Verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage und Parlamentsgesetze: Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung des institutionellen Verhältnisses von Bundesverfassungsgericht und Verwaltungsgerichtsbarkeit [1 ed.] 9783428587551, 9783428187553

Unter Berufung auf den Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht im Rahmen

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German Pages 320 [321] Year 2023

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Verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage und Parlamentsgesetze: Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung des institutionellen Verhältnisses von Bundesverfassungsgericht und Verwaltungsgerichtsbarkeit [1 ed.]
 9783428587551, 9783428187553

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1501

Verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage und Parlamentsgesetze Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung des institutionellen Verhältnisses von Bundesverfassungsgericht und Verwaltungsgerichtsbarkeit

Von

Tobias Klatt

Duncker & Humblot · Berlin

TOBIAS KLATT

Verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage und Parlamentsgesetze

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1501

Verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage und Parlamentsgesetze Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung des institutionellen Verhältnisses von Bundesverfassungsgericht und Verwaltungsgerichtsbarkeit

Von

Tobias Klatt

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hat diese Arbeit im Jahr 2022 als Dissertation angenommen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D6 Alle Rechte vorbehalten

© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI Books GmbH, Leck Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-18755-3 (Print) ISBN 978-3-428-58755-1 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Im Sommersemester 2022 hat die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster die vorliegende Arbeit als Dissertation angenommen. Zur Drucklegung konnten Rechtsprechung und Literatur bis Ende Februar 2022 berücksichtigt werden. Meinem Doktorvater, Professor Dr. Hinnerk Wißmann, danke ich für die mir gebotene Möglichkeit, mein Dissertationsvorhaben zu verwirk­ lichen. Sein fachlich hervorragender Rat und der menschlich so angenehme Umgang haben den Entstehungsprozess dieser Arbeit stets gefördert. Außerdem bedanke ich mich bei Professor Dr. Marcel Krumm für die umgehende Erstellung des Zweitgutachtens. Großer Dank gebührt auch Alparslan Aksoylu, LL.M. für die kritische Durchsicht meines Manuskripts und – vor allem – seine langjährige Freundschaft. Für ihre liebevolle Unterstützung, den fortwährend Beistand und ihre wohl unendliche Geduld in allen Lebenslagen danke ich von Herzen Rebecca Marcisch. In größter Dankbarkeit ist diese Arbeit meinen Eltern, Christa und Joachim Klatt, gewidmet. Mit ihrer bedingungslosen Förderung und Unterstützung haben Sie mir mein Studium sowie die Anfertigung dieser Arbeit überhaupt erst ermöglicht. Düsseldorf, im Juli 2022

Tobias Klatt

Inhaltsübersicht 1. Teil

Einleitung 

25

A. Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2. Teil

Verfassungsgerichte und Fachgerichte 

29

A. Rahmen der Untersuchung: eine funktionale Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . 29 B. Begriffe von Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 C. Normative Kompetenzabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 D. Funktionsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 3. Teil

Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 

110

A. (K)ein Rechtsweg gegen Parlamentsgesetze? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 4. Teil

Konsequenzen für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende 

229

A. Konsequenzen für die Verwaltungsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 B. Konsequenzen für Rechtsuchende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 5. Teil

Schlussbetrachtung 

294

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319

Inhaltsverzeichnis 1. Teil

Einleitung 

25

A. Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2. Teil

Verfassungsgerichte und Fachgerichte 

29

A. Rahmen der Untersuchung: eine funktionale Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . 29 B. Begriffe von Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 I. Begriff der Verfassungsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1. Institutionen der Verfassungsgerichtsbarkeit nach einem formellen Verständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 a) Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 b) Verfassungsgerichte der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2. Erweitertes Verständnis vom Begriff der Verfassungsgerichtsbarkeit? . 34 II. Begriff der Fachgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 C. Normative Kompetenzabgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 I. Enumerationsprinzip vs. Generalklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 1. Enumerationsprinzip des Art. 93 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2. Generalklausel des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 a) Diskussionsstand: Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art . . . . 40 aa) Formelle Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 bb) Materielle Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 (1) Theorie der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit . . . . . . 41 (2) Materieller Ansatz in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . 42 (3) Materielle Subjektstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 (4) Reimers Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 (5) Schenkes Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 b) Grundrechte und Verfassungsstreitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 II. Rechtsweggarantie nach Art. 19 Abs. 4 GG und Verfassungsbeschwerde nach § 90 Abs. 1 BVerfGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 III. Aussetzungs- und Vorlagepflichten nach Art. 100 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . 48

12 Inhaltsverzeichnis 1. Regelungsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2. Sinn und Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3. Konsequenzen für das Verhältnis der Gerichtsbarkeiten zueinander . . 51 IV. Grundsätze der Rechtswegerschöpfung und der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, § 90 Abs. 2 BVerfGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2. Entwicklung des Subsidiaritätsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 a) Normative Anknüpfung und richterliche Rechtsfortbildung . . . . . . 58 b) Abgrenzung zum Gebot der Rechtswegerschöpfung . . . . . . . . . . . . 60 3. Inhalt des Subsidiaritätsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 a) Formelle Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 aa) Subsidiarität der Urteilsverfassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . 62 bb) Subsidiarität der Rechtssatzverfassungsbeschwerde . . . . . . . . . 65 b) Materielle Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 aa) Vortragsobliegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 bb) Rügeobliegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 (1) Prozessuale Rügen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 (2) Rüge von Verfassungsverstößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 (a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 (b) Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 (c) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 4. Rechtfertigung des Subsidiaritätsgrundsatzes durch das Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 a) Feststellung der Tatsachen- und Rechtsgrundlagen durch die Fachgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 b) Entwicklung einer gefestigten Rechtsprechung der Fachgerichte  . 78 c) Entlastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 5. Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 a) Vorabentscheidung, § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG . . . . . . . . . . . . . . 81 aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 bb) Anwendbarkeit auf den Subsidiaritätsgrundsatz . . . . . . . . . . . . 82 cc) Voraussetzungen einer Vorabentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . 83 b) Grenze der Zumutbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 aa) Prozessuale Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 bb) Materielle Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 (1) Nicht mehr zu korrigierende Dispositionen . . . . . . . . . . . . 86 (2) Sinn- und aussichtsloser fachgerichtlicher Rechtsschutz . 86 (3) Allein verfassungsrechtlicher Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . 88 (4) „Damokles-Rechtsprechung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 V. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 D. Funktionsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 I. Verfassungsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

Inhaltsverzeichnis13 1. Kontrollfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 a) Normenkontrolle als klassische Verfassungsstreitigkeit . . . . . . . . . 98 b) Doppelfunktion der Kontrolltätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 2. Verfassungsinterpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 II. Fachgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 1. Im Allgemeinen: Funktionsbeschreibung für die Fachgerichtsbarkeit . 102 a) Funktionsbestimmung im formellen Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 b) Funktionsbestimmung im materiellen Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 c) Funktionsbestimmung im funktionellen Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 2. Im Besonderen: Funktionsbeschreibung für die Verwaltungsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 a) Vorrangig: Subjektiver Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 b) Auch: Objektiver Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 3. Teil

Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 

110

A. (K)ein Rechtsweg gegen Parlamentsgesetze? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Öffentliche Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erlass untergesetzlicher Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erlass von Parlamentsgesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ablehnende Haltung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . bb) Kritik in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kontrolle untergesetzlicher Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Inzidente Normenkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prinzipale Normenkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kontrolle von Parlamentsgesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Auswirkungen auf die Grundsätze der Rechtswegerschöpfung und der Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

110 111 111 111 111 112 112 113 115 115 115 117 120

B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Normverwerfungsmonopol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Möglichkeiten der Inzidentkontrolle  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Richterliches Prüfungsrecht der Fachgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfassungsgeschichtliche Entwicklung des Prüfungsrechts . . . . . . b) Umfang des Prüfungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsschutz im Rahmen von „Vollzugsstreitigkeiten“ . . . . . . . . . . . . III. Rechtsschutzlücken? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

125 126 127 127 127 128 131 133

122

14 Inhaltsverzeichnis IV. Feststellungsklage als „allgemeine Normenabwehrklage“ . . . . . . . . . . . . . 134 1. Entwicklungen in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 a) Feststellungsklage und untergesetzliche Rechtsnormen . . . . . . . . . 136 aa) Verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 (1) Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 (2) Feststellungsklagen gegen den Normgeber . . . . . . . . . . . . 137 bb) Verfassungsgerichtliche Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 (1) Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 (2) Aktuelle Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 b) Feststellungsklage und Parlamentsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 aa) Verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 (1) Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 (2) Unterinstanzliche Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 bb) Verfassungsgerichtliche Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 (1) Formelle Landesgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 (a) BVerfGE 74, 69: Süddeutscher Rundfunk Rechnungsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 (b) BVerfGE 145, 20: Spielhallenzulassung . . . . . . . . . . . 148 (c) BVerfGE 150, 309: Kfz-Kennzeichenkontrolle BW-HE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 (d) 1 BvR 2771/18: IT-Sicherheitslücken . . . . . . . . . . . . . 150 (2) Formelle Bundesgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 (a) BVerfGE 142, 268: Bestellerprinzip . . . . . . . . . . . . . . 151 (b) BVerfGE 143, 246: Atomausstieg . . . . . . . . . . . . . . . . 152 (c) BVerfGE 154, 152: BND – Ausland-AuslandAufklärung und Folgeentscheidungen . . . . . . . . . . . . . 153 (d) BVerfGE 157, 30: Klimaschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 (e) 1 BvR 781/21: Bundesnotbremse I . . . . . . . . . . . . . . . 155 (f) Kammerentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 c) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 aa) Renaissance der Feststellungsklage als Normenabwehrklage . 164 bb) Fehlende Differenzierung zwischen Bundes- und Landesgesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 cc) Fehlende Differenzierung zwischen untergesetzlichen und formellen Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 dd) Fehlende Differenzierung unter self-executing Gesetzen . . . . 170 2. Kritik in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 a) Feststellungsklage und untergesetzliche Rechtssätze  . . . . . . . . . . . 172 b) Feststellungsklage und Parlamentsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 3. Sachurteilsvoraussetzungen der Feststellungsklage als allgemeine Normenabwehrklage betreffend self-executing Parlamentsgesetze . . . 179 a) Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 aa) Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art . . . . . . . . . . . . . . . 180

Inhaltsverzeichnis15 (1) Formelle Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Materielle Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Theorie der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit . . . (b) Materieller Ansatz in der Rechtsprechung . . . . . . . . . (c) Materielle Subjektstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Reimers Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (e) Schenkes Ansatz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Öffentlich-rechtliche Streitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Anknüpfungspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Abgrenzungstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Konsequenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Statthaftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Feststellungsfähiges Rechtsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Rechtliche Beziehung unter den Beteiligten . . . . . . . . . . . (2) Bestimmter, bereits überschaubarer Sachverhalt . . . . . . . . (3) Meinungsstreit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Öffentlich-rechtliche Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Klagebefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Passivlegitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zuständigkeit des angerufenen Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Feststellungsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Berechtigtes Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Qualifiziertes Feststellungsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Straf- bzw. bußgeldbewehrte Normen . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Erfordernis einer konkreten Sanktionsgefahr? . . . . . . (b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Sonstiger Normvollzug möglich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Subsidiarität der Feststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Subsidiarität gegenüber Anfechtungsklagen . . . . . . . . . . . . . . . cc) Subsidiarität gegenüber Verpflichtungsklagen . . . . . . . . . . . . . dd) Subsidiarität gegenüber allgemeinen Leistungsklagen . . . . . . . ee) Subsidiarität gegenüber Rechtsbehelfen im Ordnungswidrigkeitenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Subsidiarität gegenüber Normenkontrollanträgen . . . . . . . . . . gg) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Übertragung der Jahresfrist nach § 93 Abs. 3 BVerfGG? . . . . . . . . i) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Suspendierung eines Parlamentsgesetzes im einstweiligen Rechtsschutzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

180 181 181 181 181 182 183 183 184 185 186 187 188 189 190 193 196 197 198 199 199 200 201 201 202 203 204 206 209 210 211 211 212 217 218 221 221 222 223 224 224

16 Inhaltsverzeichnis a) Statthaftigkeit einer vorläufigen Feststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 b) Keine Vorwegnahme der Hauptsache  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 4. Teil

Konsequenzen für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende 

229

A. Konsequenzen für die Verwaltungsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 I. Rolle der Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Verfassungsgerichtsbarkeit . 229 1. Aufgabenparallelität: Grundrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 a) Fachgerichtliche Erstinterpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 b) Zeitlich und qualitativ nachgelagerter verfassungsgerichtlicher Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 c) Unterschiedliche Entscheidungswirkung und Verfassungsinterpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 d) Begrenzter objektiver Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 2. Einflussnahmemöglichkeiten der Verwaltungsgerichtsbarkeit . . . . . . . 234 a) „Röhrensystem“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 b) „Neue“ Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 3. Verwaltungsgerichte als Teil der Verfassungsgerichtsbarkeit . . . . . . . . 238 a) Materielle Verfassungsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 II. Wandel der Rollenverteilung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 1. Konstitutionalisierung des fachgerichtlichen Verfahrens?  . . . . . . . . . . 243 2. Objektivierung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes? . . . . . . 244 3. Fortentwicklung von „Emanzipationstendenzen“? . . . . . . . . . . . . . . . . 245 4. Begründung eines Kooperationsverhältnisses? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 a) Idee vom Kooperationsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 b) Kritik in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 c) Sonderfall: Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze . . . . . . . . . 249 III. Resümee  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 B. Konsequenzen für Rechtsuchende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 I. Grundsatz: Feststellungsklage vor den Verwaltungsgerichten . . . . . . . . . . 253 1. Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 2. Rechtsschutz in der Hauptsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 a) Fehlende rechtliche Beziehung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 b) Bestimmter, bereits überschaubarer Sachverhalt und qualifiziertes Feststellungsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 3. Rechtsschutz im einstweiligen Rechtsschutzverfahren . . . . . . . . . . . . . 257 4. Antragsformulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 II. Ausnahme: der direkte Weg zum Verfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . 262

Inhaltsverzeichnis17 1. Anwendbarkeit der Ausnahmen vom Subsidiaritätsgrundsatz . . . . . . . 262 2. Prozessuale Geltendmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 a) Vortrag für eine allgemeine Bedeutung der Verfassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 b) Vortrag für einen schweren und unabwendbaren Nachteil . . . . . . . 263 c) Vortrag für die offensichtliche Unzulässigkeit oder Aussichts­ losigkeit einer vorrangigen Feststellungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . 264 d) Vortrag im Sinne der „Damokles-Rechtsprechung“ . . . . . . . . . . . . 265 e) Vortrag für einen allein verfassungsrechtlichen Sachverhalt . . . . . . 266 III. Rechtsschutzdefizit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 1. Gefahr der Rechtsschutzlücke? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 a) Rechtssatz- oder Urteilsverfassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . 268 b) Jahresfrist und Verfahrensparallelität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 aa) 1. Konstellation: Prozessurteil und Jahresfrist nachträglich verstrichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 (1) Parallele Antragstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 (2) Rechtsschutzfreundliche Auslegung der Jahresfrist . . . . . . 272 (3) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 bb) 2. Konstellation: Prozessurteil und Jahresfrist von vorne­ herein verstrichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 (1) Hinausschieben der Jahresfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 (2) Prozessgrundrechtsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 2. Fachgerichtlicher Umweg? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 a) Unzumutbare Anforderungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 b) Überlange Verfahrensdauer? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 c) Lösungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 5. Teil

Schlussbetrachtung 

294

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319

Abkürzungsverzeichnis a. A. andere Ansicht a. D. außer Dienst a. E. am Ende a. F. alte Fassung Abs. Absatz AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union AGG Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz AllgPersönlR Allgemeines Persönlichkeitsrecht Alt. Alternative AnwBl Anwaltsblatt AöR Archiv des öffentlichen Rechts ApoG Gesetz über das Apothekenwesen Art. Artikel AtG Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren Aufl. Auflage Az. Aktenzeichen BAG Bundesarbeitsgericht BayGVBl. Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt BayVBL Bayerische Verwaltungsblätter Bd. Band BE Berlin BeckOK Beck’scher Online-Kommentar Begr. Begründer BFH Bundesfinanzhof BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt BGG Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen BGH Bundesgerichtshof BGleiG Gesetz für die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Bundesverwaltung und in den Gerichten des Bundes BK Bonner Kommentar BNatSchG Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege

Abkürzungsverzeichnis19 BND Bundesnachrichtendienst BNDG

Gesetz über den Bundesnachrichtendienst

BörsG Börsengesetz BSG Bundessozialgericht BSGE

Entscheidungen des Bundessozialgerichts

bspw. beispielsweise BT-Drs. Bundestagsdrucksache BV

Verfassung des Freistaates Bayern

BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerfGG

Gesetz über das Bundesverfassungsgericht

BVerwG Bundesverwaltungsgericht ­BVerwGE

Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

BW Baden-Württemberg BWahlG 

Bundeswahlgesetz

bzw. beziehungsweise COVuR

COVID-19 und Recht

ders. derselbe dies. dieselbe(n) Diss. Dissertation DÖV

Die öffentliche Verwaltung

DStR

Deutsches Steuerrecht

DV

Die Verwaltung

DVBl

Deutsches Verwaltungsblatt

ebd. ebenda Ed. Edition EFG

Entscheidungen der Finanzgerichte

EG

Europäische Gemeinschaft

EGGVG

Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz

Einl. Einleitung EL Ergänzungslieferung EU

Europäische Union

EuGH

Europäischer Gerichtshof

EuGRZ 

Europäische Grundrechte-Zeitschrift

EuR

Zeitschrift Europarecht

EUV

Vertrag über die Europäische Union

f./ff. folgende FG Festgabe

20 Abkürzungsverzeichnis FG NDS Niedersächsisches Finanzgericht FGO Finanzgerichtsordnung FMStFG Gesetz zur Errichtung eines Finanzmarkt- und eines Wirtschaftsstabilisierungsfonds Fn. Fußnote(n) FS Festschrift GewArch Gewerbearchiv GG Grundgesetz GlüStV Staatsvertrag zur Neuregulierung des Glücksspielwesens in Deutschland GO-BVerfG Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts GS Gedächtnisschrift GVBl. Gesetz- und Verordnungsblatt GVG Gerichtsverfassungsgesetz GWG Gesetz über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten h. M. herrschende Meinung Habil.-Schr. Habilitationsschrift HChE Herrenchiemsee-Entwurf HE Hessen Hrsg. Herausgeber Hs. Halbsatz HwO Gesetz zur Ordnung des Handwerks i. E. im Ergebnis i. S. d. im Sinne des i. S. v. im Sinne von i. V. m. in Verbindung mit IfSG Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen IT Informationstechnik JA Juristische Arbeitsblätter JöR Jahrbuch des öffentlichen Rechts JURA Juristische Ausbildung JuS Juristische Schulung JZ Juristenzeitung Kfz Kraftfahrzeug KG Kammergericht KGSG Gesetz zum Schutz von Kulturgut KritV Kritische Vierteljahresschrift

Abkürzungsverzeichnis21 LFGB

Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch LG Landgericht LHO BW Landeshaushaltsordnung für Baden-Württemberg lit. litera Ls. Leitsatz m. w. N. mit weiteren Nachweisen MietenWoG Bln Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin MiLoG Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns MüKo Münchener Kommentar n. F. neue Fassung NF neue Folge NJW Neue juristische Wochenschrift NordÖR Zeitschrift für öffentliches Recht in Norddeutschland Nr. Nummer NRW Nordrhein-Westfalen NS-Zeit Zeit des Nationalsozialismus NStGHG Gesetz über den Niedersächsischen Staatsgerichtshof NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NZA Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Os. Orientierungssatz OVG Oberverwaltungsgericht OVG NRW Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen OwiG Gesetz über Ordnungswidrigkeiten PolG BW Polizeigesetz Baden-Württemberg ProstG Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten RG Reichsgericht RGZ Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Rn. Randnummer RP Rheinland-Pfalz Rs. Rechtssache Rspr. Rechtsprechung RVG Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte S. Seite, Satz SächsVerfGHG Gesetz über den Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen SARS-CoV-2 severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2 (Schweres-akutes-Atemwegssyndrom-Coronavirus Typ 2)

22 Abkürzungsverzeichnis SGG Sozialgerichtsgesetz Slg.

Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Gerichts Erster Instanz

sog. sogenannte(r) st. Rspr.

ständige(r) Rechtsprechung

StBerG Steuerberatungsgesetz StGB Strafgesetzbuch StPO Strafprozessordnung SW LVerfGG

Gesetz über das Schleswig-Holsteinische Landesverfassungsgericht

ThürVerfGHG

Gesetz über den Thüringer Verfassungsgerichtshof

TKG Telekommunikationsgesetz u. a.

unter anderem, und andere

UmwRG

Gesetz über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG

Univ. Universität US

United States (Vereinigte Staaten)

v. von Var. Variante Vb Verfassungsbeschwerde VereinsG

Gesetz zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts

Verf. NDS

Niedersächsische Verfassung

Verf. NRW

Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen

VerfBlog Verfassungsblog VerfGH Bay

Bayerischer Verfassungsgerichtshof

VerfGH NRW

Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen

VerfGH RP

Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz

VerfGHG NRW

Gesetz über den Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen

VerfMV

Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern

VerfSachsen-Anhalt Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt VfGHG Bay

Gesetz über den Bayerischen Verfassungsgerichtshof

VG Verwaltungsgericht VGH Verwaltungsgerichtshof vgl. vergleiche Vorbem. Vorbemerkungen vs. versus VVDStRL

Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer

Abkürzungsverzeichnis23 VwGO Verwaltungsgerichtsordnung VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz WiVerw Wirtschaft und Verwaltung WoVermRG Gesetz zur Regelung der Wohnungsvermittlung ZevKr Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht ZJS Zeitschrift für das Juristische Studium ZLR Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht ZPO Zivilprozessordnung ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik zugl. zugleich

1. Teil

Einleitung A. Untersuchungsgegenstand Der „Dornröschenschlaf“ der Feststellungsklage1 scheint beendet. So war die Frage, ob eine negative Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 Var. 2 VwGO ein geeignetes Rechtsschutzinstrument zur Kontrolle von Parlamentsgesetzen darstellt, in jüngerer Zeit immer häufiger Gegenstand verwaltungs- und insbesondere verfassungsgerichtlicher Verfahren.2 Unter Berufung auf den Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde haben der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts und seine Kammern Beschwerdeführende von Rechtssatzverfassungsbeschwerden gegen Parlamentsgesetze zuletzt zunehmend auf eine vorrangige verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage verwiesen. Derartige Klagen seien etwa mit dem Feststellungsziel zu erheben, dass zwischen den Rechtsuchenden und dem Klagegegner aufgrund der Ungültigkeit der streitentscheidenden Norm kein Rechtsverhältnis bestehe.3 In diesen Verfahren sei es Aufgabe der Verwaltungsgerichte, die Anwendbarkeit und Verfassungsmäßigkeit der in Rede stehenden Norm sorgfältig zu prüfen.4 1  So

Engels, NVwZ 2018, 1001. exemplarisch nur BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 16. Juli 2015, Az. 1 BvR 1014/13, juris Rn. 3 ff.; Urteil vom 6. Dezember 2016, Az. 1 BvR 2821/11, BVerfGE 143, 246, juris Rn. 208 ff.; Beschluss vom 7. März 2017, Az. 1 BvR 1314/12, BVerfGE 145, 20, juris Rn. 84 ff.; Nichtannahmebeschluss vom 19. November 2018, Az. 1 BvR 1335/18, juris Rn. 2 ff.; Beschluss vom 18. Dezember 2018, Az. 1 BvR 2795/09, BVerfGE 150, 309, juris Rn. 40 ff.; Beschluss vom 24. März 2021, Az. 1 BvR 2656/18, BVerfGE 157, 30, juris Rn. 139 f.; Beschluss vom 8. Juni 2021, Az. 1 BvR 2771/18, juris Rn. 9 f.; Nichtannahmebeschluss vom 17. Januar 2022, Az. 1 BvR 2727/21, juris Rn. 12 ff. und für die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung etwa OVG NRW, Beschluss vom 22. Juni 2017, Az. 13 B 238/17, juris Rn. 12 ff.; OVG Lüneburg, Beschluss vom 11. Dezember 2020, Az. 4 LC 291/17, juris Rn. 28 ff.; VG Bremen, Beschluss vom 9. Juli 2015, Az. 5 K 171/13, juris Rn. 64 ff.; VG Köln, Urteil vom 20. April 2018, Az. 9 K 3859/16, juris Rn. 14 ff. 3  So etwa bei BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 19. November 2018, Az. 1 BvR 1335/18, juris Rn. 5. 4  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 16. Juli 2015, Az. 1 BvR 1014/13, juris Rn. 10. 2  Siehe

26

1. Teil: Einleitung

Die Zuständigkeitsverteilung unter den Gerichtsbarkeiten bleibt in dieser Beziehung im Einzelnen jedoch unklar. Dies hat medienwirksam erst kürzlich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. November 2021 über die Verfassungsbeschwerden gegen Regelungen über Ausgangsund Kontaktbeschränkungen nach § 28b Abs. 1 Satz 1 IfSG5 im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie, die sogenannte Bundesnotbremse, veranschaulicht. Der Erste Senat entschied hier unmittelbar über Verfassungsbeschwerden gegen Regelungen eines Parlamentsgesetzes,6 obwohl der Gesetzgeber eine vor den Verwaltungsgerichten zu erhebende Feststellungsklage explizit als zulässige Rechtsschutzmöglichkeit angesehen und damit auf die eigene Argumentationslinie des erkennenden Senats zurückgriffen hatte.7 Die insoweit unklare Zuständigkeitsverteilung lädt zu einer Untersuchung des institutionellen Verhältnisses von Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit ein. Während das Verhältnis von Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit hinsichtlich der Befugnisse des Bundesverfassungsgerichts zur Überprüfung fachgerichtlicher Entscheidungen bereits Gegenstand zahlreicher Er­ örterungen in der Literatur war,8 hat die auf § 90 Abs. 2 BVerfGG fußende Problematik der Abgrenzung des Zuständigkeitsbereichs unter den Gerichtsbarkeiten zurückgestanden.9 So ist die hier zu betrachtende Rechtsprechungslinie bisher nicht unter dem Blickwinkel untersucht worden, ob und inwieweit sie das bekannte Kompetenzgefüge beeinflussen kann.10

5  In der Fassung des am 23. April 2021 in Kraft getretenen Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22. April 2021 (BGBl. I S. 802). 6  BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021, Az. 1 BvR 781/21, juris Rn. 100 ff.; vgl. zuvor bereits BVerfG, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 5. Mai 2021, Az. 1 BvR 781/21, juris Rn. 26. 7  BT-Drs. 19/28732, S. 19; dazu Rixen, in: Kluckert, Das neue Infektionsschutzrecht, 2. Aufl. 2021, § 18 Rn. 18 ff. 8  Siehe dazu grundlegend etwa Ossenbühl, in: FS Ipsen, 1977, S. 129; Koch, in: GS Jeand’Heur, 1999, S. 135; Düwel, Kontrollbefugnisse des Bundesverfassungsgerichts bei Verfassungsbeschwerden gegen gerichtliche Entscheidungen, 2000; Korioth, in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd. I, 2001, S. 56; Jestaedt, DVBl 2001, 1309; Alleweldt, Bundesverfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit, 2006; Grimm, Verfassungsgerichtsbarkeit, 2021, S. 296 ff.; zur Abgrenzung der Gerichtsbarkeiten im Rahmen von konkreten Normenkontrollverfahren hingegen etwa Berkemann, AöR 99 (1974), 54. 9  So bereits Schenke, Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit, 1987, S. 11 f.; beachte jedoch Posser, Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, 1993, S. 342 ff. zur „Subsidiarität als Ausdruck verfassungsunmittelbarer Funktionszuweisungen“. 10  Eine Untersuchung erscheint auch insoweit veranlasst, als die Kammerrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die hier einen wesentlichen Anteil der zu



B. Gang der Untersuchung27

Daneben stellen sich aus Perspektive der Rechtsuchenden Fragen bezüglich der Rechtsschutzmöglichkeiten gegen „normatives Unrecht“.11 Das Kernproblem einer normbezogenen Feststellungsklage betreffend Parlamentsgesetze dürfte aus dieser Perspektive in der begrenzten Entscheidungsbefugnis der Verwaltungsgerichtsbarkeit liegen. Anders als die Verfassungsgerichte sind die Verwaltungsgerichte nicht befugt, die Unwirksamkeit der angegriffenen Normen selbst festzustellen. Stattdessen ist das jeweilige Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des zuständigen Verfassungsgerichts einzuholen (Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG). Darüber hinaus haben ihre Entscheidungen auch keine vergleichbar umfassende Wirkung wie jene der Verfassungsgerichte (§ 121 VwGO). Einher geht die Frage, wie Rechtsuchende ihr Rechtsschutzbegehren durchsetzen können. Unter welchen Voraussetzungen kann eine normbezogene Feststellungsklage an den Verwaltungsgerichten erhoben werden? Welcher Anwendungsspielraum verbleibt für die unmittelbare Rechtssatzverfassungsbeschwerde? Werden Rechtsuchende hier etwa vor die Wahl des Rechtswegs gestellt? Letztlich ist der Frage nachzugehen, ob überhaupt noch eine adäquate Rechtsschutzmöglichkeit gegen unmittelbar wirkende Parlamentsgesetze geboten wird. Die begrenzte Entscheidungsbefugnis der Verwaltungsgerichtsbarkeit sowie der erhebliche Zeit- und Kostenaufwand, der mit dem Durchlaufen der Instanzen einhergeht, scheinen die Rechtsuche zumindest zu erschweren. Ob und inwieweit dies durch einen Mehrwert für das verfassungsgerichtliche Folgeverfahren kompensiert werden kann, bleibt zu untersuchen.

B. Gang der Untersuchung Eingeleitet wird die Untersuchung indem Schlüsselbegriffe definiert und die jeweiligen Aufgaben und Leistungen der Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit im Rechtsschutzsystem beleuchtet werden. Im Mittelpunkt stehen hierbei das Bundesverfassungsgericht und die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die wesentlichen Kompetenzen der Gerichtsbarkeiten werden anhand der maßgeblichen Vorschriften des Grundgesetzes, des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes sowie der Verwaltungsgerichtsordnung bestimmt (2. Teil).

untersuchenden Entscheidungen ausmacht, in der Rechtswissenschaft eher stiefmütterlich beachtet wird, vgl. Lechner/Zuck, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, Einl. Rn. 169. 11  Der Begriff des „normativen Unrechts“ ist im Rahmen dieser Untersuchung weit zu verstehen, sodass hierunter nicht nur untergesetzliche Rechtsnormen, sondern auch Parlamentsgesetze gefasst werden; vgl. hierzu etwa bereits die Untersuchungen von Siemer, Normenkontrolle durch Feststellungsklage?, 1971 und Schenke, Rechtsschutz bei normativem Unrecht, 1979.

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1. Teil: Einleitung

Sodann sind Gegenstand der Untersuchung Rechtsschutzfragen betreffend Parlamentsgesetze. Es wird zunächst erörtert, ob hier ein Rechtsweg bestehen kann. Dazu wird untersucht, ob und inwieweit Rechtsschutz betreffend förmliche Gesetze nicht nur normativ ermöglicht, sondern auch vorausgesetzt wird. Es schließt sich eine Auseinandersetzung mit der Frage an, inwiefern die allgemeine verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO ein subjektives Rechtsschutzinstrument betreffend Parlamentsgesetze darstellen kann. Dazu wird die einschlägige verfassungs- und verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung ausgewertet, bevor die einzelnen Sachurteilsvoraussetzungen einer normbezogenen Feststellungsklage untersucht werden (3. Teil). Anschließend werden die Folgen der aufgezeigten Rechtsprechungslinie beleuchtet. Es werden die möglichen Auswirkungen auf das Kompetenz­ gefüge unter Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit sowie auf die Rechtsschutzmöglichkeiten der Rechtsuchenden herausgearbeitet (4. Teil). Die Arbeit endet mit einer thesenhaften Zusammenfassung der wesent­ lichen Erkenntnisse (5. Teil).

2. Teil

Verfassungsgerichte und Fachgerichte A. Rahmen der Untersuchung: eine funktionale Betrachtung Die Untersuchung des institutionellen Verhältnisses der Gerichtsbarkeiten zueinander ist vorliegend auf eine funktionale Betrachtung anhand der praktisch relevanten Möglichkeit des Rechtsschutzes gegen Parlamentsgesetze beschränkt. Der Versuch einer entsprechenden Kompetenzabgrenzung wurde in der Vergangenheit bereits mehrfach hinsichtlich der Überprüfung fachgerichtlicher Entscheidungen durch das Bundesverfassungsgericht unternommen.12 Die viel besprochenen Kontrollbefugnisse der Verfassungsgerichtsbarkeit bezüglich der Entscheidungen der Fachgerichtsbarkeit bleiben im Rahmen dieser Untersuchung jedoch außen vor.13 Der Begriff der „Funktion“ oder der funktionalen Betrachtung wird in der Wissenschaft nicht allgemeingültig definiert und ist gewiss kein allein der Rechtswissenschaft zugehöriger. Dennoch haben sich im rechtswissenschaftlichen Kontext Anknüpfungspunkte für eine funktionale Betrachtung herausgearbeitet: Verallgemeinert sind die Organisationen, Aufgaben und Leistungen der in Rede stehenden Institutionen zu beleuchten. Diese sind miteinander und mit ihrem Umfeld in Beziehung zu setzen. Dabei sind auch die Arbeits- und Verfahrensweisen sowie die Leistungsfähigkeit der relevanten Institutionen sowie ihre Leistungsgrenzen zu betrachten.14 Grundsätzlich wird für derartige funktionelle Untersuchungen die Gefahr gesehen, dass Lösungsvorschläge mit den Aufgaben, Funktionen und Kompetenzen der jeweils zu untersuchenden Institutionen „mehr behauptet als 12  Dazu etwa Ossenbühl, in: FS Ipsen, 1977, S. 129; aus jüngerer Zeit etwa Alleweldt, Bundesverfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit, 2006, S. 219 ff.; allgemein zur funktionell-rechtlichen Interpretation Ehmke, VVDStRL 20 (1963), 53, 73 ff.; Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 7. Teil Rn. 506 ff. m. w. N. 13  Vgl. dazu abermals Fn. 8. 14  Schmidt-Aßmann, in: FS Menger, 1985, S. 107; Jestaedt, DVBl 2001, 1309, 1312 ff.; Ossenbühl, in: FS Redeker, 1993, S. 55, 64 ff.; vgl. grundlegend auch Kra­ wietz, Das positive Recht und seine Funktion, 1967, S. 39 ff. und Luhmann, AöR 94 (1969), 1.

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2. Teil: Verfassungsgerichte und Fachgerichte

begründet“ würden.15 Schließlich sei etwa die Funktion des Bundesverfassungsgerichts „nichts der Verfassung Vorgegebenes“; sie könne vielmehr nur durch Verfassungsinterpretation bestimmt werden.16 Um dieser Gefahr zu begegnen, muss folglich Ausgangspunkt der Fragestellung sein, welche Funktion die Verfassung und das einfache Recht den Gerichtsbarkeiten zuschreiben.17 Ist in einer Rechtsordnung vorgesehen, dass ein Organ bestimmte Kompetenzen hat, wird impliziert, dass dieses Organ diese Kompetenzen auch wahrnehmen kann.18 Alleweldt hat insoweit festgehalten, dass es die Kompetenz ist, aus der sich die Funktion ergibt.19 Indem die jeweiligen Funktionen anhand ihrer normativen Anknüpfung im positiven Recht untersucht werden, können Erkenntnisse der funktionalen Analyse als Elemente der systematischen und teleologischen Auslegung genutzt werden.20 In diesem Sinne fußt die nachfolgende Untersuchung auf dem Versuch einer normativen Kompetenzabgrenzung für die Verfassungs- und die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Anhand dieser gilt es, funktionelle Unterschiede heraus­ zuarbeiten. Die Verfassungsgerichte der Länder und die weitere Fachgerichtsbarkeit finden im Rahmen der nachfolgenden Betrachtung nur vereinzelt Berücksichtigung.21

B. Begriffe von Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit I. Begriff der Verfassungsgerichtsbarkeit Hinsichtlich des von Triepel und Kelsen aus dem österreichischen Sprachgebrauch importierten Begriffs der „Verfassungsgerichtsbarkeit“22 wird re15  Korioth, in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd. I, 2001, S. 55, 75; ähnlich Lechler, NJW 1979, 2273, 2277 und Alleweldt, Bundesverfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit, 2006, S. 220 f.; zur Gegenposition Klauser, NJW 1980, 753. 16  Alleweldt, Bundesverfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit, 2006, S. 220. 17  Vgl. ebd. 18  Ebd., S. 221. 19  Ebd., S. 222 unter Verweis auf Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, 1999, S. 182. 20  Schmidt-Aßmann, in: FS Menger, 1985, S. 107. 21  Eine Berücksichtigung der „vielgestaltigen“ Kompetenzen der Verfassungsgerichte der Länder würde an dieser Stelle zu weit führen, vgl. Schäfer, in: Külz/Naumann, Staatsbürger und Staatsgewalt, Bd. I, 1963, S. 159. 22  Kelsen, VVDStRL 5 (1929), 30; Triepel, VVDStRL 5 (1929), 2. Zuvor war die Bezeichnung als „Staatsgerichtsbarkeit“ in Deutschland üblich, die in der Zeit der Weimarer Republik den Aufgabenbereich des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich beschrieb. Zur institutionellen Rolle des Staatsgerichtshofs Wißmann, Der Staat (2008) 47, 187, 189 ff. und Dreier, DÖV 2019, 609, 615 ff. In Abgrenzung zum Be-



B. Begriffe von Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit31

gelmäßig zwischen einem formellen und einem materiellen Verständnis differenziert.23 1. Institutionen der Verfassungsgerichtsbarkeit nach einem formellen Verständnis Die „formelle Verfassungsgerichtsbarkeit“ umfasst die gesamte rechtsprechende Tätigkeit der für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichte aufgrund der gesetzlichen Kompetenzzuweisung.24 Legt man diese Definition zugrunde, sind allein das Bundesverfassungsgericht und die jeweiligen Landesgerichte, die für Streitigkeiten in Bezug auf das jeweils anwendbare Landesverfassungsrecht zuständig sind,25 unter den Begriff der Verfassungsgerichtsbarkeit zu subsumieren. a) Bundesverfassungsgericht Die rechtsprechende Gewalt wird neben den Bundesgerichten und den Gerichten der Länder durch das Bundesverfassungsgericht ausgeübt (Art. 92 Hs. 2 GG). Das Bundesverfassungsgericht ist ein allen übrigen Verfassungsorganen gegenüber selbständiger und unabhängiger Gerichtshof des Bundes (§ 1 BVerfGG). Angelehnt an diesen Gesetzeswortlaut, kann – unabhängig von einem weiterhin diskutierten materiellen Verständnis der Rechtsprechung26 – die Klassifizierung des Bundesverfassungsgerichts als Gericht heute als unbestritten angesehen werden.27 Neben dem vergleichsweise eindeutigen Wortlaut spricht hierfür bereits die systematische Zuordnung zur Rechtsprechung im neunten Abschnitt des Grundgesetzes sowie die historigriff der Verfassungsgerichtsbarkeit Vásquez, Verfassungsgerichtsbarkeit, Verfassungsprozessrecht und Pluralismus, 2016, S. 69. 23  Vgl. Friesenhahn, Die Verfassungsgerichtsbarkeit in der Bundesrepublik Deutschland, 1963, S. 21 ff.; Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 1. Teil Rn. 19; kritisch Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, Vorbem. Rn.  27 ff. und ders., in: FS Schenke, 2011, S. 61, 65 ff. 24  Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, Vorbem. Rn. 26, Vorbem. § 13 Rn. 27. 25  Namentlich die Verfassungsgerichte in Brandenburg und Hamburg, die Landesverfassungsgerichte in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und SchleswigHolstein, die Verfassungsgerichtshöfe in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen und Thüringen sowie die Staatsgerichtshöfe in Bremen, Hessen und Niedersachsen. 26  Zum materiellen Begriff der Rechtsprechung Wilke, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, 3. Aufl. 2014, § 112 Rn. 58 f. m. w. N. 27  Vgl. Kreuter-Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. XII, 3. Aufl. 2014, § 272 Rn. 23.

32

2. Teil: Verfassungsgerichte und Fachgerichte

sche Auslegung: Entgegen einem Vorschlag des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee hat der Parlamentarische Rat dem Bundesverfassungsgericht keinen eigenen Abschnitt im Grundgesetz gewidmet, um die besondere Stellung als Gericht hervorzuheben.28 Auch Merkmale wie die gerichtsförmige Organisation, die Antragsabhängigkeit des nachgelagerten Rechtsschutzes29 sowie der grundsätzliche Begründungszwang sprechen für eine Klassifizierung als Gericht.30 Das Bundesverfassungsgericht ist jedoch nicht nur Gericht, sondern gleichzeitig auch Verfassungsorgan (§ 1 BVerfGG). Mit dieser Sonderstellung gehen Unterschiede zur Fachgerichtsbarkeit einher: Die Organisation des Bundesverfassungsgerichts ist auffällig personenbezogen. Die besonders qualifizierten Richter (§ 3 BVerfGG) werden zeitlich befristet und parlamentarisch durch Bundestag und Bundesrat gewählt (Art. 94 Abs. 1 Satz 2 GG, §§ 4 ff. BVerfGG). Sie können – mit Ausnahmen nach § 15 Abs. 2 Satz 2 und § 19 Abs. 4 Satz 1 BVerfGG – nicht gegeneinander ausgetauscht werden und sind völlig gleichberechtigt.31 Ein Richter kann seine in der Beratung vertretene abweichende Meinung zu der Entscheidung oder zu deren Begründung in einem Sondervotum niederlegen (§ 30 Abs. 2 BVerfGG). Auch das Verwerfungsmonopol für verfassungswidrige Parlamentsgesetze (Art. 100 Abs. 1 GG) hebt die besondere Stellung des Gerichts hervor. Nur das Bundesver­ fassungsgericht gewährleistet in dieser Form die Bindung des Gesetzgebers an die Verfassung. Diese Entscheidungsbefugnis geht mit der besonderen Bindungswirkung einher. In den Fällen des § 13 Nr. 6, 6a, 11, 12 und 14 BVerfGG – sowie in den Fällen des § 13 Nr. 8a BVerfGG, wenn ein Gesetz für nichtig oder für unvereinbar bzw. vereinbar mit dem Grundgesetz erklärt wird – hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Gesetzeskraft (§ 31 Abs. 2 Satz 1 und 2 BVerfGG). Soweit ein Gesetz als mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht vereinbar oder unvereinbar oder für nichtig erklärt wird, ist die Entscheidungsformel durch das Bundesministerium der Justiz im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen (§ 31 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG). Damit geht diese Entscheidungswirkung über die grundsätzliche 28  Robbers, Geschichtliche Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, 2. Aufl. 2005, Rn. 28. 29  Im Einzelfall sieht sich das Bundesverfassungsgericht jedoch befugt, über zurückgenommene Anträge zu entscheiden, soweit dies aufgrund eines dringenden öffentlichen Interesses erforderlich erscheint sowie einstweilige Anordnungen von Amts wegen zu erlassen, siehe etwa BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1998, Az. 1 BvR 1640/97, BVerfGE 98, 218, juris Rn. 106 ff. und BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 13. November 1951, Az. 1 BvR 213/51, BVerfGE 1, 74, juris Rn. 4 f. 30  Roellecke, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 67 Rn. 16 m. w. N. 31  Ebd., Rn. 2.



B. Begriffe von Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit33

inter partes-Wirkung instanzgerichtlicher Entscheidungen (vgl. bspw. § 121 VwGO) weit hinaus. Auch im Übrigen kommt den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts eine besondere Bindungswirkung zu. Nicht nur der Tenor des Urteils, sondern die Entscheidung selbst – einschließlich der sie tragenden, die Verfassung auslegenden Gründe32 – entfaltet Bindungskraft (§ 31 Abs. 1 BVerfGG).33 Mit der Stellung als Verfassungsorgan geht für das Gericht ein besonderer organisatorischer Status einher: Vergleichbar zu Bundestag und Bundesrat nimmt das Bundesverfassungsgericht für sich eine Geschäftsordnungsautonomie in Anspruch.34 Im Unterschied zu den fachgerichtlichen Bundesgerichten, deren Geschäftsordnungen vom zuständigen Bundesminister bekannt­ gemacht werden, übernimmt beim Bundesverfassungsgericht der Gerichtspräsident diese Aufgabe.35 Durch die Gleichstellung mit den übrigen Ver­ fassungsorganen ist das Bundesverfassungsgericht unabhängig und keinem Ministerium unterstellt. Es unterliegt keiner Dienstaufsicht.36 In ständiger haushaltsgesetzgeberischer Praxis stellt das Gericht seit dem Haushaltsjahr 1953/1954 seinen eigenen Haushalt auf und verwaltet diesen.37 Werden dem Bundesverfassungsgericht aufgrund der Stellung als Verfassungsorgan – über die genannten anerkannten Besonderheiten hinaus – weitere Kompetenzen zugesprochen,38 trifft dies allerdings auf überwiegende Ablehnung in der Literatur.39 Die Qualifikation als Verfassungsorgan führt zu keiner Entbindung von Verfassung und einfachem Recht. b) Verfassungsgerichte der Länder Die Verfassungsgerichte der Länder haben eine vergleichbare Doppelstellung. Da in einem Bundesstaat nicht nur dem Gesamtstaat, sondern auch den Gliedstaaten Staatsqualität beizumessen ist, verfügen sowohl der Gesamtstaat 32  BVerfG, Beschluss vom 20. Januar 1966, Az. 1 BvR 140/62, BVerfGE 19, 377, juris Rn. 40; Beschluss vom 10. Juni 1975, Az. 2 BvR 1018/74, BVerfGE 40, 88, juris Rn. 13. 33  Kreuter-Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. XII, 3. Aufl. 2014, § 272 Rn. 24. 34  Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 2. Teil Rn. 28. 35  Ebd. 36  Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 1991, § 2 Rn. 13. 37  Umbach, in: ders./Clemens/Dollinger, BVerfGG, 2. Aufl. 2005, § 1 Rn. 9. 38  Etwa zur rechtsetzenden Funktion des Gerichts v. Brünneck, Verfassungsgerichtsbarkeit in den westlichen Demokratien, 1992, S. 166–184. 39  Siehe nur Hillgruber/Goos, Verfassungsprozessrecht, 5.  Aufl. 2020, Rn. 9; Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 2. Teil Rn. 31 ff.; Bethge, in: SchmidtBleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, § 1 Rn. 33 ff.

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2. Teil: Verfassungsgerichte und Fachgerichte

wie auch die Gliedstaaten je über eine eigene, von ihnen selbst bestimmte Verfassung.40 Die mittlerweile von sämtlichen deutschen Bundesländern41 eingerichteten Verfassungsgerichte sind „wesentliche Attribute“ ihrer Eigenstaatlichkeit.42 Auch sie sind Teil der dritten Gewalt und haben gleichzeitig die Stellung als (Landes-)Verfassungsorgan inne. Angelehnt an § 1 Abs. 1 BVerfGG heißt es beispielsweise in § 1 Abs. 1 NStGHG: „Der Staatsgerichtshof ist ein den übrigen Verfassungsorganen gegenüber selbständiges und unabhängiges Gericht.“ Während das Bundesverfassungsgericht in Fragen des Grundgesetzes entscheidet, entscheiden die Verfassungsgerichte der Länder in Fragen der Landesverfassungen. Es besteht kein Instanzenverhältnis.43 Soweit in den Ländern etwa die Möglichkeit der Landesverfassungsbeschwerde besteht, ist dieses Verfahren weder Teil des Rechtswegs im Sinne des § 90 Abs. 2 BVerfGG noch über den Grundsatz der Subsidiarität vorrangig anzustrengen. Beide Rechtsbehelfe sollen nebeneinander eingelegt werden können, soweit das Landesrecht nicht einen Ausschluss der Landesverfassungsbeschwerde bei Erhebung der Bundesverfassungsbeschwerde vorsieht.44 2. Erweitertes Verständnis vom Begriff der Verfassungsgerichtsbarkeit? Der formelle Verfassungsbegriff kann allein für die Rechts- bzw. Verfassungsordnungen gelten, die ausdrücklich die Aufgabe der Verfassungsgerichtsbarkeit spezifischen Verfassungsgerichten zugewiesen haben. Soweit anderen Spruchkörpern (zusätzlich) die Aufgabe der Entscheidung in Verfassungsstreitigkeiten übertragen ist, muss sich dem Begriff der Verfassungsgerichtsbarkeit aus einer funktionellen und nicht aus der institutionellen Betrachtungsweise zu nähern sein.45 Dies gilt für die Verfassungsgerichtsbarkeit etwa in den Vereinigten Staaten von Amerika sowie in der Schweiz. Der Supreme Court der Vereinigten Staaten wie auch das Schweizerische Bun40  BVerfG, Beschluss vom 29. Januar 1974, Az. 2 BvN 1/69, BVerfGE 36, 342, juris Rn. 45. 41  Als letztes ist im Jahr 2008 das Schleswig-Holsteinische Landesverfassungsgericht eingerichtet worden. 42  Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, Vorbem. Rn. 233. 43  Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, 14. Aufl. 2018, Art. 93 Rn. 90. 44  BVerfG, Kammerbeschluss vom 18. Januar 1996, Az. 1 BvR 1375/95, juris Rn. 3; Beschluss vom 25. November 2008, Az. 1 BvR 848/07, BVerfGE 122, 190, juris Rn. 35. 45  Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, Vorbem. Rn. 26 unter Verweis auf Müller, VVDStRL 39 (1981), 53, 55.



B. Begriffe von Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit35

desgericht stellen Formen der sogenannten integrierten Verfassungsgerichtsbarkeit dar. Diese Formen der Verfassungsgerichtsbarkeit zeichnen sich dadurch aus, dass das höchste Gericht des nationalen Instanzenzugs neben der Eigenschaft als letztinstanzlicher Spruchkörper auch die Funktion hat, in Verfassungsstreitigkeiten zu entscheiden.46 Bedeutender für die vorliegende Untersuchung ist jedoch die daneben stehende Unterscheidung zwischen der sogenannten konzentrierten bzw. monopolisierten und der diffusen Normenkontrolle.47 In den Rechts- bzw. Verfassungsordnungen der Vereinigten Staaten und der Schweiz wird eine der Verfassungsgerichtsbarkeit zuzuordnende Normenkontrolle grundsätzlich unabhängig von der Instanz gewährleistet.48 Derart weite Befugnisse der „einfachen“ Judikative sind nicht mehr mit dem engen Begriff der formellen Verfassungsgerichtsbarkeit zu vereinbaren. Übertragen auf die deutsche Rechtsordnung könnten nach einem materiellen, über das formelle Verständnis hinausgehenden, Begriff der Verfassungsgerichtsbarkeit mithin ferner auch die Fachgerichte als Teil der Verfassungsgerichtsbarkeit anzusehen sein, wenn dies aufgrund einer funktionellen Betrachtungsweise gerechtfertigt erscheint. Normativer Anknüpfungspunkt ­ könnte die Bindung der Fachgerichte an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG) bzw. an das gesamte Verfassungsrecht (Art. 20 Abs. 3 GG) sein. Ausführungen zu der Frage, welche Rolle die Fachgerichte im Rahmen der Verfassungsrechtsprechung einnehmen, sind dem vierten Teil dieser Untersuchung vorbehalten. Erst an dieser Stelle ist folglich auf die hier aufgeworfene Fragestellung zurückzukommen.49

II. Begriff der Fachgerichtsbarkeit Für die Bezeichnung der neben dem Bundesverfassungsgericht und den Verfassungsgerichten bestehenden Gerichte wird regelmäßig der Begriff der „Fachgerichtsbarkeit“ verwendet.50 Auch das Bundesverfassungsgericht bezeichnet die Gerichte entsprechend.51 Diese Etikettierung kann missverstanden werden. Die „Fachgerichte“ sind nicht nur für Entscheidungen im Rah46  Dazu Tschentscher, Der Staat 2014, Beiheft 22, 187, 190 f. und Böckenförde, NJW 1999, 9, 13 f. 47  Der Begriff der diffusen Normenkontrolle geht zurück auf Schmitt, Der Hüter der Verfassung, 1931, S. 18, Fn. 3. 48  Näher Tschentscher, Der Staat 2014, Beiheft 22, 187, 192; Müller, VVDStRL 39 (1981), 55, 56; Brunner, JöR NF 50 (2002), 191, 195 ff. 49  Siehe nachfolgend S. 238 ff. 50  Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 1. Teil Rn. 22 unter Verweis auf den Einfluss von Ossenbühl, in: FS Ipsen, 1977, S. 129. 51  St. Rspr. seit BVerfG, Beschluss vom 30. Juni 1976, Az. 2 BvR 164/76, BVerfGE 42, 243, juris Rn. 12.

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2. Teil: Verfassungsgerichte und Fachgerichte

men ihrer gesetzlich zugewiesenen Fachzuständigkeit berufen. Vielmehr haben sie stets auch das Verfassungsrecht zu berücksichtigen und für einen effektiven Grundrechtsschutz der Rechtsuchenden Sorge zu tragen. Neben dieser Ungenauigkeit könnte die Bezeichnung als Fachgericht zudem auch mit einer Abwertung verbunden werden.52 Um diesen Unzulänglichkeiten zu begegnen, wird etwa vorgeschlagen, von „Instanzgerichten“53 oder der „allgemeinen Gerichtsbarkeit“54 zu sprechen. Es erscheint jedoch müßig, über die zutreffende Begrifflichkeit zu streiten. Die Bezeichnung als Fachgericht ist ohne Wertung zu verstehen. Es soll allein die spezielle fachliche Zuständigkeit der Gerichte in Abgrenzung zu den Verfassungsgerichten hervorgehoben werden. Die vorgeschlagenen Alternativbezeichnungen könnten gleichfalls despektierlich verstanden werden. Zugleich lässt keine der Bezeichnungen erkennen, dass auch diese Gerichte in Fragen des Grundrechtsschutzes zuständig sind. Zugunsten der Einheitlichkeit und Vereinfachung ist diese Ungenauigkeit hinzunehmen. In Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht wird nachfolgend die Bezeichnung als „Fachgerichte“ verwendet.

C. Normative Kompetenzabgrenzung Rechtssätze aus dem Grundgesetz wie aus dem einfachen Recht ermöglichen eine normative Kompetenzabgrenzung hinsichtlich des Bundesverfassungsgerichts und der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Nachfolgend werden ausgewählte Vorschriften aufgegriffen, welche als besonders geeignet erscheinen, eine funktionelle Abgrenzung der Gerichtsbarkeiten zu ermöglichen. Schwerpunktmäßig herausgegriffen werden das Enumerationsprinzip des Art. 93 GG, die Generalklausel des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO, die Aussetzungs- und Vorlagepflicht nach Art. 100 Abs. 1 GG und das Gebot der Rechtswegerschöpfung nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG bzw. Art. 94 Abs. 2 Satz 2 GG sowie der daran angelehnte Subsidiaritätsgrundsatz.

52  Als „Deklassierung der eigentlichen Gerichte“ bewertend Badura, VVDStRL 39 (1981), 147, 161. 53  Dies bevorzugend Posser, Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, 1993, S.  344 f. sowie Zuck, JZ 2007, 1036. 54  Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, 14. Aufl. 2018, Art. 93 Rn. 34 unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 10. Juni 1964, Az. 1 BvR 37/63, BVerfGE 18, 85, juris Rn. 21.



C. Normative Kompetenzabgrenzung37

I. Enumerationsprinzip vs. Generalklausel Ausgangspunkt der normativen Kompetenzabgrenzung soll die Frage der Rechtswegeröffnung sein. Während die verfassungsgerichtlichen Zuständigkeiten durch das Enumerationsprinzip geprägt sind, eröffnet regelmäßig die Generalklausel des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO den Verwaltungsrechtsweg. 1. Enumerationsprinzip des Art. 93 GG Für den „Verfassungsrechtsweg“55 zum Bundesverfassungsgericht ist die abschließende Aufzählung der Zuständigkeiten in Art. 93 Abs. 1 und 2 GG kennzeichnend. Das Gericht kann nur in den enumerativ aufgelisteten Fällen angerufen werden, wenn nicht der Verfassung- oder der einfache Gesetzgeber über Art. 93 Abs. 1 Nr. 5 GG bzw. Art. 93 Abs. 3 GG eine besondere Entscheidungsbefugnis geschaffen hat. Art. 93 GG kann als ausschließliche Kompetenzzuweisung verstanden werden. Nur in diesen bedeutenden Verfassungsstreitigkeiten soll allein das Bundesverfassungsgericht zuständig sein.56 Einfachgesetzlich spiegelt § 13 BVerfGG das Enumerationsprinzip des Art. 93 GG wider. Die Vorschrift hat keine rechtsbegründende, sondern eine rein deklaratorische Wirkung.57 Entscheidungsbefugnisse im Sinne des Art. 93 Abs. 3 GG überträgt sie nicht. Liegt keiner der von Art. 93 GG erfassten Fälle vor und besteht auch keine besondere Entscheidungsbefugnis, darf das Bundesverfassungsgericht in der Sache nicht entscheiden, auch wenn es sich um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit handelt.58 Das Enumerationsprinzip beruht gerade auf der bewussten Entscheidung des Verfassunggebers, dass nicht jede verfassungsgerichtliche Streitigkeit justiziabel sein muss.59 Diese mit der Gestaltung des Art. 93 GG getroffene Entscheidung verhindert, dass das Bundesverfassungsgericht sich eigenständig neue Zuständigkeiten über die enumerativen Entscheidungsbefugnisse hinaus schaffen kann. Anderenfalls würde der aus55  Walter, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 93 Rn. 185; ders., in: ders./Grünewald, BeckOK BVerfGG, 12. Ed. 2021, § 13 Rn. 2. 56  Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, 15.  Aufl. 2022, Art.  93 Rn. 206; Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, ­Vorbem. Rn. 66. 57  Lechner/Zuck, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, § 13 Rn. 2; Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 13 Rn. 1. 58  Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, Vorbem. § 13 Rn. 5 f.; Burkiczak, in: ders./Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2. Aufl. 2022, § 13 Rn. 4. 59  Walter, in: ders./Grünewald, BeckOK BVerfGG, 12. Ed. 2021, § 13 Rn. 2; Burkiczak, in: ders./Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2. Aufl. 2022, § 13 Rn. 4.

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2. Teil: Verfassungsgerichte und Fachgerichte

drückliche Wille des Verfassunggebers unterlaufen.60 Das Enumerationsprinzip steuert damit der häufig diskutierten „Entgrenzung“ des Bundesverfassungsgerichts entgegen.61 Das Gericht muss in jeder Sache von Amts wegen seine Zuständigkeit überprüfen.62 Auch darf die Entscheidung des Verfassunggebers für eine nur enumerative Zuständigkeit nicht durch eine groß­ zügige Auslegung der Zulässigkeitsvoraussetzungen und Erweiterung der Kontrollmaßstäbe umgangen werden.63 Auch die Zuständigkeiten der Landesverfassungsgerichte sind enumerativ geregelt. Generalklauseln bestehen ebenfalls nicht.64 Die den Landesverfassungsgerichten zugewiesenen Kompetenzen überschneiden sich vor allem im Grundrechtsbereich mit denen des Bundesverfassungsgerichts.65 So ist es grundsätzlich möglich, Verfassungsbeschwerden und Normenkontrollen parallel vor dem Bundesverfassungsgericht und einem Landesverfassungsgericht zu führen.66 Eine eindeutige Zuständigkeitsverteilung besteht zumindest für die Kompetenzen, die der Verfassung- und Gesetzgeber ausdrücklich allein dem Bundesverfassungsgericht zugesprochen hat.67 Dies ist etwa der Fall für den Ausspruch der Grundrechtsverwirkung (Art. 18 Satz 2 GG, §§ 36 ff. BVerfGG) oder das Parteiverbotsverfahren (Art. 21 Abs. 2 GG, §§ 43 ff. BVerfGG). Soweit die Zuständigkeiten parallel laufen, ist jedoch zu beachten, dass der Streitgegenstand bzw. der Kontrollmaßstab nicht derselbe ist. Während das Bundesverfassungsgericht den vorgetragenen Sachverhalt anhand des Grundgesetzes prüft, sind die Landesverfassungsgerichte zu einer Prüfung anhand der Landesverfassungen berufen. 2. Generalklausel des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO Anders als für die Verfassungsgerichtsbarkeit sind die Kompetenzen der Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht enumerativ aufgelistet. Vielmehr sieht § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO vor: Der Verwaltungsrechtsweg ist in allen öffentlich60  Walter, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 93 Rn. 186; Bethge, in: FS Schenke, 2011, S. 61, 62 f. 61  Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, Vorbem. § 13 Rn. 6; eingehend Jestaedt/Lepsius/Möllers/Schöneberg, Das entgrenzte Gericht, 2011; zur Gegenposition Voßkuhle, Europa, Demokratie, Verfassungsgerichte, 2021, S.  314 ff. 62  Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, Vorbem. § 13 Rn. 6. 63  Bethge, in: FS Schenke, 2011, S. 61, 63 f. 64  Siehe etwa Art. 75 Verf. NRW, Art. 54 Verf. NDS oder Art. 61 ff. BV. 65  Walter, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 93 Rn. 127. 66  Ebd., Rn. 144. 67  Ebd., Rn. 138.



C. Normative Kompetenzabgrenzung39

rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Dabei wird die besondere Nähe der Verwaltungsgerichtsbarkeit zur Verfassungsgerichtsbarkeit unmittelbar hervorgehoben. Nach dem Grundgesetz und dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz fallen „öffentlichrechtliche Streitigkeiten“ auch in den Zuständigkeitsbereich des Bundesverfassungsgerichts (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG, §§ 13 Nr. 8, 71 Abs. 1 BVerfGG).68 Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten war nicht seit jeher durch eine Generalklausel eröffnet. Die Zuständigkeiten der ersten, von den Verwaltungsbehörden getrennten, Verwaltungsgerichte waren nicht generalklauselartig, sondern enumerativ geregelt.69 Erst nach Ende des zweiten Weltkriegs wurden für einige Verwaltungsgerichte die enumerativen Zuständigkeiten durch eine generalklauselartige Rechtswegeröffnung ersetzt. So eröffnete etwa § 22 Abs. 1 der Militärregierungsverordnung Nr. 165 von 1948 für die britische Besatzungszone den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten für „Streitigkeiten des öffentlichen Rechts mit Ausnahme von Verfassungs­ streitigkeiten“.70 Für sämtliche Verwaltungsgerichte im Bundesgebiet führte erst die Verwaltungsgerichtsordnung von 1960 die generalklauselartige Rechtswegeröffnung ein, wie sie bis heute fortbesteht.71 Mit der Formulierung „Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art“ bezweckte der Gesetzgeber die Kompetenzabgrenzung unter den Verwaltungsund den Verfassungsgerichten.72 Da § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO als Generalklausel anders als die enumerative Kompetenzzuweisung des Art. 93 GG eine solche Kompetenzabgrenzung überhaupt vorsieht, ist die Bestimmung des Begriffs der Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art für die vorliegende Untersuchung von wesentlicher Bedeutung: Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze kann von den Verwaltungsgerichten nur dann gewährt werden, wenn hier gerade keine Streitigkeit vorliegt, aufgrund derer der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten nicht beschritten werden kann.

68  Schäfer, in: Külz/Naumann, Staatsbürger und Staatsgewalt, Bd. I, 1963, S. 159, 164; beachte allerdings den seit Langem durch §§ 40 Abs. 1 Satz 1, 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO und §§ 39 Abs. 2, 51 SGG eingeschränkten Anwendungsbereich, Wieland, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2018, Art. 93 Rn. 79 f. 69  Sodan, in: FS Schenke, 2011, S. 1259, 1260. 70  Ebd. 71  Vgl. BGBl. I, 1960, S. 21. 72  Unruh, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5.  Aufl. 2021, § 40 VwGO Rn. 154, Fn. 578 unter Verweis auf BT-Drs. 3/55, S. 30; Schenke, AöR 131 (2006), 117; Sodan, in: FS Schenke, 2011, S. 1259, 1260 f.

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2. Teil: Verfassungsgerichte und Fachgerichte

a) Diskussionsstand: Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art Während hinsichtlich der Funktion der Begrenzung der Generalklausel auf „Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art“ Einigkeit besteht, wird seit Einführung der Verwaltungsgerichtsordnung über die Auslegung dieser Formulierung diskutiert.73 Der Gesetzgeber begründete seine Entscheidung für den Ausschluss verfassungsrechtlicher Streitigkeiten lediglich insofern, als „diese meist besonderen Gerichten (Bundesverfassungsgericht, Verfassungsgericht oder Staatsgerichtshof der Länder) übertragen sind“74. Es haben sich verschiedene Ansätze zur Abgrenzung von Streitigkeiten verfassungsrechtlicher und nichtverfassungsrechtlicher Art im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO herausgebildet. Neben einem – soweit ersichtlich, nicht mehr eigenständig herangezogenen75 – formellen Abgrenzungskriterium werden materielle Ansätze vertreten, die wiederum an unterschiedliche materielle Kriterien anknüpfen. aa) Formelle Theorie Wertenbruch vertritt in seiner Urteilsanmerkung zu einer Bundesgerichtshofentscheidung aus dem Jahr 1959 zur Abgrenzung der Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Zivilgerichten die These, eine verfassungsrechtliche Streitigkeit liege schlicht immer dann vor, wenn der Verfassung- oder Gesetzgeber dem Bundesverfassungsgericht oder den Landesverfassungsgerichten ausdrücklich eine Kompetenz zugewiesen habe.76 Abgrenzungsschwierigkeiten bestehen insoweit nicht. Soweit eine Zuständigkeit nicht den Verfassungsgerichten zugewiesen ist, entscheiden die Verwaltungsgerichte über die Generalklausel des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO. In der Literatur hat dieses Verständnis trotz – oder gerade wegen – ihrer Simplizität keinen Anklang gefunden. Bereits die Gesetzesbegründung spreche gegen ein rein formelles Verständnis. Sollen Verfassungsstreitigkeiten hiernach meist durch die Verfassungsgerichte entschieden werden, heißt dies auch, dass die Verfassungsgerichte nicht für sämtliche dieser Streitigkeiten zuständig sind.77 Konsequenz der formellen Theorie ist außerdem, dass die Kompetenzabgrenzung 73  Haack, DVBl 2014, 1566; Sodan, in: FS Schenke, 2011, S. 1259; Bethge, JURA 1998, 529; Ossenbühl, in: GS Martens, 1987, S. 177, 189; Pestalozza, NJW 1978, 1782, 1783 f. 74  BT-Drs. 3/55, S. 30. 75  Vgl. Reimer, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 60. Ed. 2022, § 40 Rn. 91. 76  Wertenbruch, DÖV 1959, 505, 507. 77  Sodan, in: FS Schenke, 2011, S. 1259, 1263 unter Verweis auf BT-Drs. 3/55, S. 30.



C. Normative Kompetenzabgrenzung41

durch den Ausschluss der Streitigkeiten verfassungsrechtlicher Art überflüssig wäre. Überträgt das Grundgesetz oder das Bundesverfassungsgerichtsgesetz dem Bundesverfassungsgericht eine Zuständigkeit, ist der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten nach § 40 Abs. 1 Satz 1 a. E. VwGO ohnehin versperrt, da die Streitigkeit durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen ist. Gleiches gilt im Fall der Zuständigkeit der Landesverfassungsgerichte über § 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO.78 bb) Materielle Theorien In Ablehnung der formellen Theorie knüpfen die materiellen Theorien an inhaltliche Kriterien zur Abgrenzung der verfassungsrechtlichen zur nichtverfassungsrechtlichen Streitigkeit an. Hier herrscht jedoch keine Einigkeit, anhand welcher Kriterien die Abgrenzung konkret vorzunehmen ist. Übereinstimmung besteht lediglich insoweit, als nicht bloß allein aufgrund des Fehlens einer ausdrücklichen Kompetenzzuweisung an die Verfassungsgerichte auf eine Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte geschlossen werden kann.79 (1) Theorie der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit Nach derzeit herrschender Auffassung liegt eine Streitigkeit verfassungsrechtlicher Art vor, wenn unmittelbar am Verfassungsleben Beteiligte über Rechte und Pflichten streiten, die sich unmittelbar aus der Verfassung ergeben.80 Unmittelbar am Verfassungsleben Beteiligte sind der Bund und die Länder als Gebietskörperschaften, oberste Staatsorgane, Teile dieser Organe und sonstige Beteiligte, soweit sie von Verfassung wegen mit eigenen Rechten ausgestattet sind.81 Letzteres gilt etwa für politische Parteien, soweit ihr Recht auf Teilnahme am Prozess der politischen Willensbildung betroffen ist (Art. 21 GG).82 Von dieser Definition ausgeschlossen sind damit grundsätzlich Private. Diese können allenfalls dann am Verfassungsleben Beteiligten 78  Schenke, AöR 131 (2006), 117, 119; Kraayvanger, Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit i. S. d. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 2004, S. 18 f. 79  So Schenke, AöR 131 (2006), 117, 120. 80  Aus der Rechtsprechung: VGH Bayern, Urteil vom 25. Juni 1992, Az. Vf. 78VI-92, juris Rn. 36; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. Oktober 1987, Az. 2 BvR 64/87, juris Rn. 18; aus der Literatur: Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 12. Aufl. 2021, § 11 Rn. 49; Bosch/Schmidt/Vondung, Einführung in die Praxis des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, 10. Aufl. 2019, Rn. 258 ff.; Würtenberger/Heckmann, Verwaltungsprozessrecht, 4. Aufl. 2018, Rn. 213; Kunig, JURA 1990, 386, 387. 81  Schenke, AöR 131 (2006), 117, 121. 82  VGH Hessen, Beschluss vom 15. Januar 1991, Az. 11 N 62/91, juris Ls. 1.

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2. Teil: Verfassungsgerichte und Fachgerichte

gleichgestellt werden, wenn sie wie diese am Verfassungsleben teilnehmen, etwa im Rahmen eines Volksbegehrens als Verfassungsorgan oder Teil eines solchen.83 Kritiker betonen die Kurzsichtigkeit dieses materiellen Ansatzes. Per Definition werden wesentliche Kompetenzen der Verfassungsgerichte ausgeklammert, die diesen klassischerweise zugewiesen sind.84 Deutlich wird dies etwa anhand der von Privaten initiierten Verfassungsbeschwerden gegen Parlamentsgesetze.85 Gleiches dürfte auch für die verfassungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren im Sinne der Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 und Art. 100 GG gelten. Hier fehlt es bereits an der kontradiktorischen Beteiligung eines Verfahrensgegners.86 Darüber hinaus sei mit der Begrenzung der Verfassungsstreitigkeiten auf Streitigkeiten unter unmittelbar am Verfassungsleben Beteiligten über unmittelbares Verfassungsrecht wenig gewonnen. Diese Definition erfasse im Wesentlichen Konstellationen, die bereits ausdrücklich durch Gesetz den Verfassungsgerichten zugewiesen sind. Über § 40 Abs. 1 Satz 1 a. E. VwGO bzw. § 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO wäre der Weg zu den Verwaltungsgerichten somit ohnehin versperrt.87 (2) Materieller Ansatz in der Rechtsprechung Vor allem das Bundesverwaltungsgericht will eine verfassungsrechtliche Streitigkeit daran ausmachen, ob die jeweilige Streitigkeit „entscheidend vom Verfassungsrecht geformt ist“88 oder die Auslegung und Anwendung der Verfassung den „eigentlichen Kern“ des Rechtsstreits bildet.89 Teilweise hat sich auch die Literatur dieser Auffassung angeschlossen.90 Überwiegend wird der Nutzen dieses Abgrenzungsversuchs jedoch kritisch hinterfragt. Der ­Definition fehle es nicht nur an einer normativen Anknüpfung, sondern auch an ausreichender Trennschärfe für Rechtsuchende.91 83  VGH Hessen, Beschluss vom 15. Januar 1991, Az. 11 N 62/91, juris Rn. 53; wiedergebend Schenke, AöR 131 (2006), 117, 121 f. m. w. N. 84  Schenke, AöR 131 (2006), 117, 124. 85  Ebd., 126 f.; Bethge, JuS 2001, 1100, 1101. 86  Lerche, in: FS zum 50-jährigen Bestehen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, 1997, S. 79, 80 f. 87  Schenke, AöR 131 (2006), 117, 125. 88  St. Rspr. seit BVerwG, Urteil vom 21. Februar 1956, Az. I A 38.54, ­BVerwGE 3, 159; so ausdrücklich etwa BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1966, Az. V C 79.65, ­­BVerwGE 24, 272, juris Rn. 52. 89  BVerwG, Urteil vom 3. November 1988, Az. 7 C 115/86, B ­ VerwGE 80, 355, juris Rn. 12. 90  In diese Richtung Di Fabio, Rechtsschutz im parlamentarischen Untersuchungsverfahren, 1988, S. 109; Lerche, in: FS zum 50-jährigen Bestehen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, 1997, S. 79, 81 f. 91  Schenke, AöR 131 (2006), 117, 128.



C. Normative Kompetenzabgrenzung43

(3) Materielle Subjektstheorie Die von Ehlers begründete materielle Subjektstheorie knüpft vergleichbar zur Theorie der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit für die Bestimmung einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit an den Status der Beteiligten an. Eine Streitigkeit sei dann verfassungsrechtlicher Art, wenn ein Verfassungsrechtssubjekt passivlegitimiert ist und als solches verpflichtet werden soll.92 Anders als nach der Theorie der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit stellt Ehlers hier damit jedoch nicht auf die kontradiktorisch Beteiligten ab, sondern allein auf die Position des Rechtsschutzgegners. Nur dieser sei „vor einer gerichtlichen Kontrolle seiner verfassungsrechtlichen Kompetenzen durch die Verwaltungsgerichte [zu] schützen“.93 Damit entgeht die materielle Subjektstheorie dem Einwand, dass klassische Verfassungsstreitigkeiten mit Privaten, wie die prinzipale Normenkontrolle gegen Parlamentsgesetze, grundsätzlich per Definition ausgeklammert werden.94 Kritisiert wird dieser Ansatz dahingehend, dass durch den spezifischen Bezug zum Verfassungsrecht verfassungsgerichtliche Kontrollkompetenzen ausgeklammert würden, die nicht nur bezüglich des Verfassungsrechts bestehen. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 und Art. 100 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 GG – und Parallelbestimmungen für die Landesverfassungsgerichte – sehen gerade auch verfassungsgerichtliche Verfahren für den Fall vor, dass Normen (auch) auf ihre Vereinbarkeit mit Vorschriften unter Verfassungsrang überprüft werden können.95 Zuweilen wird dem entgegenhalten, dass auch derartige Normenkontrollverfahren durchaus als verfassungsrechtliche Streitigkeiten zu klassifizieren wären, da insoweit das Pflichtenprogramm der Landesparlamente im Sinne des Art. 31 GG überprüft werde.96 (4) Reimers Ansatz Einen anderen Ansatzpunkt verfolgt Reimer, der eine dreistufige Prüfung zur Einordnung der jeweiligen Streitigkeit vorschlägt:97 In einem ersten Schritt sei auszuschließen, dass es sich um eine verfassungsgerichtliche 92  Ehlers, JURA 2008, 183, 187; ders./Schneider, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 40 Rn. 144 ff.; so auch Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 40 Rn. 21, Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 40 Rn. 215 und Unruh, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 40 VwGO Rn. 161. 93  Ehlers/Schneider, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 40 Rn. 150. 94  Ebd., Rn. 149. 95  Schenke, AöR 131 (2006), 117, 129. 96  Sodan, in: FS Schenke, 2011, S. 1259, 1269. 97  Reimer, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 60. Ed. 2022, § 40 Rn. 98 ff.

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2. Teil: Verfassungsgerichte und Fachgerichte

Streitigkeit im Sinne der formellen Theorie handele.98 Fehle es daran, sei im nächsten Schritt in materieller Hinsicht zu prüfen, ob das Wesen der unmittelbar streitentscheidenden Norm dem Verfassungsrecht zuzuordnen sei.99 Außerdem sei – im Sinne der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit – auf den Status der Verfahrensbeteiligten abzustellen.100 Damit kombiniert Reimer die Vorzüge der anderen Definitionsansätze, liefert jedoch keinen Beitrag zu einer eigenständigen Definition der nichtverfassungsrechtlichen Streitigkeit.101 (5) Schenkes Ansatz Auch Schenke knüpft mit seinem Ansatz an bereits bestehende Defini­ tionsversuche an. Ausgehend von der materiellen Subjektstheorie sieht er als maßgeblich an, ob nach verfassungsgesetzlichen Zuständigkeitsbestimmungen die fragliche Streitigkeit grundsätzlich den Verfassungsgerichten vorbehalten sein soll, sofern man ihre Justiziabilität unterstellt.102 Damit wird der formelle Ansatz in materieller Hinsicht ergänzt. Aus den formellen Zuständigkeitszuweisungen soll nicht lediglich abgeleitet werden können, dass für die genannten Streitigkeiten den potentiellen Antragstellenden der Rechtsweg zu anderen Gerichtsbarkeiten versperrt ist, sondern auch, dass diese Sperre darüber hinaus für Streitigkeiten mit demselben – oder jedenfalls mit einem partiell überschneidenden – Gegenstand gelte, die jedoch von anderen als den genannten Rechtssubjekten angestrebt werden.103 Beispielhaft führt Schenke hierzu an, dass aus der Kompetenzzuweisung für Organstreitigkeiten (vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG) nicht nur folge, dass die genannten Staatsorgane keine andere Gerichtsbarkeit als die Verfassungsgerichtsbarkeit anrufen können, sondern dass es auch anderen potentiellen Antragstellenden verwehrt ist, das fragliche Organverhalten zur Überprüfung den Verwaltungsgerichten vorzulegen.104 Konsequenz dieses Lösungsansatzes ist ferner, dass Normenkontrollen durch Verfassungsbeschwerden ohne Umwege als verfassungsrechtliche Streitigkeit zu klassifizieren sind. Dergleichen gilt nicht, wenn man die herrschende Theorie der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit zugrunde legt. Schenkes Ansatz ist damit insoweit begrüßenswert, als er auf

in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 60. Ed. 2022, § 40 Rn. 99. Rn. 100. 100  Ebd., Rn. 102. 101  Sodan, in: FS Schenke, 2011, S. 1259, 1272. 102  Schenke, AöR 131 (2006), 117, 130 f. 103  Ebd. 104  Ebd., 131. 98  Reimer, 99  Ebd.,



C. Normative Kompetenzabgrenzung45

unkompliziertem Weg überzeugende Ergebnisse liefert.105 In der Literatur wird jedoch auch die – theoretische – Gefahr gesehen, dass aufgrund der formellen Anknüpfung an die verfassungsgerichtlichen Zuständigkeiten es dem Gesetzgeber offensteht, auch verwaltungsgerichtliche Zuständigkeiten den Verfassungsgerichten zuzuweisen.106 cc) Zwischenergebnis Wie bereits von Rechtsprechung und Literatur hervorgehoben, lässt sich „nicht ganz eindeutig abgrenzen“, was eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art ist.107 Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts kommt eine eindeutige und allgemeingültige Abgrenzungsformel nicht in Betracht.108 Wie die kritischen Stimmen zu den aufgezeigten Definitionsansätzen vernehmen lassen, können diese lediglich ein Mindestmaß an Rechtssicherheit gewährleisten.109 Zwar führen die materiellen Ansätze häufig, wenn nicht in der Regel, zu überzeugenden Ergebnissen,110 doch um im Einzelfall stets adäquate Ergebnisse zu erzielen, erscheint es überzeugend, die verschiedenen materiellen Ansätze nebeneinander anzuwenden.111 In diese Richtung scheinen auch Ehlers/Schneider zu tendieren, die etwaigen Zweifelsfällen bei Anwendung der materiellen Subjektstheorie damit entgegentreten wollen, dass zumindest bei der Beteiligung eines Privaten im Zweifel eine nichtverfassungsrechtliche Streitigkeit anzunehmen sei.112 105  So

auch Sodan, in: FS Schenke, 2011, S. 1259, 1273. S. 1274; Haack, DVBl 2014, 1566, 1567. 107  So ausdrücklich BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1966, Az. V C 79.65, ­­BVerwGE 24, 272, juris Rn. 52; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 1970, Az. VI C 55.68, ­BVerwGE 36, 218, juris Rn. 40; Unruh, in: Fehling/Kastner/Störmer, VwGO, 5. Aufl. 2021, § 40 Rn. 155; vgl. Haack, DVBl 2014, 1566, 1566 f.; Ossenbühl, in: GS Martens, 1987, S. 177, 189; kritisch Kraayvanger, Begriff der verfassungsrecht­ lichen Streitigkeit i. S. d. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 2004, S. 15 sowie Schenke, AöR 121 (2006), 117, 128. 108  BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1966, Az. V C 79.65, B ­ VerwGE 24, 272, juris Rn. 52; Urteil vom 28. Oktober 1970, Az. VI C 55.68, ­ BVerwGE 36, 218, juris Rn. 40. 109  Vgl. Lerche, in: FS zum 50-jährigen Bestehen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, 1997, S. 79; Kares, Das Rechtsverhältnis i. S. v. § 43 I Alt. 1 VwGO, 2010, S.  89 f. 110  Vgl. Unruh, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 40 VwGO Rn. 161. 111  Vgl. Kares, Das Rechtsverhältnis i. S. v. § 43 I Alt. 1 VwGO, 2010, S. 93. 112  Insoweit in Richtung doppelte Verfassungsunmittelbarkeit tendierend Ehlers/ Schneider, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 40 Rn. 152. 106  Ebd.,

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2. Teil: Verfassungsgerichte und Fachgerichte

Die Auswirkungen der unterschiedlichen Ansätze auf die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs für Rechtsschutzgesuche betreffend Parlamentsgesetze werden an späterer Stelle im Kontext der Rechtsschutzmöglichkeiten erörtert.113 b) Grundrechte und Verfassungsstreitigkeiten Nochmals zu verdeutlichen ist, dass eine Streitigkeit nicht bereits dann verfassungsrechtlicher Art ist, „wenn einfachgesetzliche Regelungen der Erfüllung von Verfassungsgeboten dienen oder die Beurteilung eines Rechtsverhältnisses nicht unerheblich von verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten abhängt“.114 Der Rechtsstreit vor den Verwaltungsgerichten wird also nicht gleich zu einer Streitigkeit verfassungsrechtlicher Art, nur weil die zu entscheidende Sache Grundrechtsfragen berührt.115 Sodan veranschaulicht dies an folgendem Beispiel: Wenn Private vor den Gerichten eine Rechtsverletzung durch Verwaltungshandeln allein auf die Verletzung ihrer Grundrechte stützen, so wird nur um Verfassungsrecht gestritten. Hier den Verwaltungsrechtsweg als versperrt zu erachten, wäre jedoch mit dem Gebot der Rechtswegerschöpfung im Sinne des § 90 Abs. 2 BVerfGG sowie dem Subsidiaritätsgrundsatz unvereinbar und dürfte im Hinblick auf Sinn und Zweck des § 40 VwGO unhaltbar sein.116 Um diesem Problem zu begegnen, versucht Lerche Grundrechtsverhältnisse generell bei der Bestimmung der verfassungsrechtlichen Streitigkeit herauszunehmen. Soweit der Streit im Grundrechtsverhältnis wurzele, werde nämlich nicht über spezifisches Verfassungsrecht gestritten. Spezifisches Verfassungsrecht läge erst dann vor, wenn es sich um alleiniges Verfassungsrecht handele. Grundrechtsstreitigkeiten seien jedoch auch Bestandteile des Unterverfassungsrechts.117 Dieser Vorschlag ist in der Literatur auf Widerstand gestoßen: Nach Art. 1 Abs. 3 GG binden zwar alle Grundrechte Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht und bedürfen in der Regel einer Konkretisierung durch einfaches Recht. Dies ist 113  Siehe

nachfolgend S. 180 ff. Urteil vom 11. Juli 1985, Az. 7 C 64/83, juris Rn. 8; siehe auch BVerwG, Beschluss vom 5. Februar 1976, Az. VII A 1.76, ­BVerwGE 50, 124, juris Rn. 26. 115  Vgl. v. Münch/Kunig, in: dies., GG, 6. Aufl. 2012, Vorb. Art. 1–19 Rn. 54; Lerche, in: FS zum 50-jährigen Bestehen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, 1997, S. 79, 88; Würtenberger/Heckmann, Verwaltungsprozessrecht, 4. Aufl. 2018, Rn. 216. 116  Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 40 Rn. 206. 117  Lerche, in: FS zum 50-jährigen Bestehen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, 1997, S. 79, 88 f. 114  BVerwG,



C. Normative Kompetenzabgrenzung47

jedoch kein Alleinstellungsmerkmal der Grundrechte.118 Auch andere Verfassungsnormen sind auf eine derartige Ausgestaltung angewiesen. Hier sind etwa die Staatszielbestimmungen wie Art. 20a GG anzuführen. Derartige Verfassungsnormen geben nur das zu erreichende Ziel vor, während Schutzniveau und Umsetzung durch die Gesetzgebung und die anderen Staatsgewalten zu konkretisieren sind.119

II. Rechtsweggarantie nach Art. 19 Abs. 4 GG und Verfassungsbeschwerde nach § 90 Abs. 1 BVerfGG Das Näheverhältnis von Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit wird ferner durch den Vergleich der Rechtswegbestimmung nach Art. 19 Abs. 4 GG mit § 90 BVerfGG deutlich.120 Während Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG den Rechtsweg eröffnet, soweit jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, ermöglicht § 90 Abs. 1 BVerfGG jedermann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in seinen Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt zu sein, Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht zu erheben. Durch den partiellen Gleichlauf der Normtexte wird klar, dass hier Konkurrenzsituationen bestehen können. Einerseits ist Art. 19 Abs. 4 GG weiter formuliert. Hiernach ist jedwede Verletzung der eigenen Rechte ausreichend. Umfasst sind also sowohl einfache wie verfassungsrechtlich garantierte Rechte,121 während § 90 Abs. 1 BVerfGG auf Verletzungen von Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten beschränkt ist. Gleichzeitig ist Art. 19 Abs. 4 GG aber auch enger als § 90 Abs. 1 BVerfGG. Die Verfassungsbeschwerde kann nämlich auch betreffend solche Hoheitsakte erhoben werden, gegen die ein Rechtsweg gerade nicht eröffnet ist.122

118  Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 40 Rn. 209; Unruh, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 40 VwGO Rn. 160, Fn. 603. 119  Vgl. für Art. 20a GG Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 20a Rn. 27. 120  Schäfer, in: Külz/Naumann, Staatsbürger und Staatsgewalt, Bd. I, 1963, S. 159, 166. 121  Sachs, in: ders., GG, 9. Aufl. 2021, Art. 19 Rn. 127; Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 154; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Art. 19 Abs. 4 Rn. 68; kritisch Pestalozza, NVwZ 1999, 140, 141. 122  Schäfer, in: Külz/Naumann, Staatsbürger und Staatsgewalt, Bd. I, 1963, S. 159, 166. Siehe zur Frage des Schutzumfangs des Art. 19 Abs. 1 Satz 4 GG nachfolgend S. 111 ff.

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2. Teil: Verfassungsgerichte und Fachgerichte

III. Aussetzungs- und Vorlagepflichten nach Art. 100 Abs. 1 GG Auch Art. 100 Abs. 1 GG lässt ersichtlich Rückschlüsse auf das Verhältnis von Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit zu. Burkiczak spricht hier sogar von der „Zentralnorm“ für die Kompetenzabgrenzung.123 1. Regelungsgehalt In Zusammenhang mit konkreten Gerichtsverfahren haben Gerichte, die ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig halten, das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des jeweils für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Verfassungsgerichts des Landes oder des Bundesverfassungsgerichts einzuholen (Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG). Dies gilt auch, wenn es sich um die Verletzung des Grundgesetzes durch Landesrecht oder um die Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit einem Bundesgesetz handelt (Art. 100 Abs. 1 Satz 2 GG). Damit begründet Art. 100 Abs. 1 GG einerseits eine Aussetzungs- und Vorlagepflicht für die Fachgerichte und andererseits ein Verwerfungsmonopol124 für die Verfassungsgerichte.125 Von der Vorlagepflicht ausgenommen sind in ständiger Rechtsprechung vorkonstitutionelle Gesetze126 sowie Rechtssetzungsakte der Exekutive127. Hier sind alle Gerichte befugt, die Nichtigkeit der fraglichen Regelung festzustellen, wenn sie von dieser überzeugt sind.128 § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG stellt ein Begründungserfordernis für den Vorlagebeschluss auf. Hiernach muss die Begründung angeben, inwiefern von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift die Entscheidung des Gerichts abhängig ist und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm sie unvereinbar ist. 123  Burkiczak, in: ders./Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2. Aufl. 2022, § 1 Rn. 18; ders., in: Kluth/Krings, Gesetzgebung, 2014, § 35 Rn. 22. 124  BVerfG, Beschluss vom 29. November 1967, Az. 1 BvL 16/63, BVerfGE 22, 373, juris Rn. 13; alternativ auch „Entscheidungsmonopol“, BVerfG, Beschluss vom 19. Februar 1957, Az. 1 BvL 13/54, BVerfGE 6, 222, juris Rn. 20 oder auch „Feststellungsmonopol“, BVerfG, Urteil vom 24. Februar 1953, Az. 1 BvL 21/51, BVerfGE 2, 124, juris Rn. 22. 125  Sieckmann/Kessal-Wulf, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7.  Aufl. 2018, Art. 100 Rn. 1. 126  BVerfG, Urteil vom 24. Februar 1953, Az. 1 BvL 21/51, BVerfGE 2, 124, juris Rn. 16; Beschluss vom 6. Oktober 1959, Az. 1 BvL 13/58, BVerfGE 10, 124, juris Rn. 11; Beschluss vom 21. Dezember 1997, Az. 2 BvL 6/95, BVerfGE 97, 117, juris Rn.  26 f. 127  BVerfG, Urteil vom 20. März 1952, Az. 1 BvL 12/51, BVerfGE 1, 184, juris Rn. 20 ff.; Beschluss vom 27. September 2005, Az. 2 BvL 11/02, BVerfGE 114, 303, juris Rn. 34. 128  Wolff, in: Hömig/Wolff, GG, 13. Aufl. 2022, Art. 100 Rn. 1.



C. Normative Kompetenzabgrenzung49

Das Bundesverfassungsgericht handhabt dieses Begründungserfordernis in seiner Rechtsprechung streng und hat über den Wortlaut von § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG hinausgehende Anforderungen aufgestellt.129 So haben aus dem Beschluss die entscheidungserheblichen Tatsachen sowie die rechtlichen Erwägungen hervorzugehen, die das Bundesverfassungsgericht in die Lage versetzen, ohne Weiteres über die Frage der Vereinbarkeit der streitigen Norm mit dem höherrangigen Recht entscheiden zu können.130 Im Einzelnen erfordere dies eine eingehende Auseinandersetzung des vorlegenden Gerichts nicht nur mit der einfachgesetzlichen, sondern auch mit der verfassungsrechtlichen Rechtslage.131 Dabei habe es sich mit der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur auseinanderzusetzen und mögliche Auslegungsvarianten zu berücksichtigen.132 Vor allem hat das Gericht damit darzulegen, worauf es seine Überzeugung von der Unwirksamkeit der angegriffenen Norm stützt und inwiefern die Gültigkeit dieser für das Ausgangsverfahren entscheidungserheblich ist.133 Diese hohen Hürden für einen zulässigen Vorlagebeschluss sind in der Literatur immer wieder Gegenstand von erheblicher Kritik gewesen.134 Selbst Bundesgerichte sind hier bereits gescheitert.135 Das 129  Lechner/Zuck, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, § 80 Rn. 31; Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 80 Rn. 106; Müller-Terpitz, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, § 80 Rn. 239; Geißler, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 12. Ed. 2021, § 80 Rn. 41. 130  BVerfG, Beschluss vom 11. Juli 1967, Az. 1 BvL 11/67, BVerfGE 22, 175, juris Rn. 6; Beschluss vom 3. Juli 1985, Az. 1 BvL 55/81, BVerfGE 70, 219, juris Rn. 21; Beschluss vom 13. April 2017, Az. 2 BvL 6/13, BVerfGE 145, 171, juris Rn. 50. 131  BVerfG, Beschluss vom 21. April 1993, Az. 1 BvL 24/92, BVerfGE 88, 198, juris Rn. 11; Beschluss vom 13. April 2017, Az. 2 BvL 6/13, BVerfGE 145, 171, juris Rn. 50. 132  BVerfG, Beschluss vom 29. November 1983, Az. 2 BvL 18/82, BVerfGE 65, 308, juris Rn. 33; Beschluss vom 12. Mai 1992, Az. 1 BvL 7/89, BVerfGE 86, 71, juris Rn. 16; Beschluss vom 13. April 2017, Az. 2 BvL 6/13, BVerfGE 145, 171, juris Rn. 50. 133  BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 1960, Az. 1 BvL 8/56, BVerfGE 11, 330, juris Rn. 21; Beschluss vom 10. Mai 1988, Az. 1 BvL 8/82, BVerfGE 78, 165, juris Rn. 19; Beschluss vom 21. März 2018, Az. 1 BvL 1/14, BVerfGE 148, 64, juris Rn. 13. 134  Lechner/Zuck, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, § 80 Rn. 31; so auch Zuck/Eisele, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, 6. Aufl. 2022, 2. Kapitel Rn. 604; Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 80 Rn. 123; Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 4. Aufl. 2020, Rn. 887; Spindler, in: GS Nagelmann, 1984, S. 329 ff.; Hamdorf, NordÖR 2011, 301, 306. 135  Siehe exemplarisch BVerfG, Beschluss vom 21. März 2018, Az. 1 BvL 1/14, BVerfGE 148, 64, juris Rn. 12 ff. (Vorlage des BAG) oder BVerfG, Beschluss vom 12. Oktober 2010, Az. 2 BvL 59/06, BVerfGE 127, 335, juris Rn. 58 ff. (Vorlage des BFH).

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2. Teil: Verfassungsgerichte und Fachgerichte

Bundesverfassungsgericht wiederum rechtfertigt die strenge Handhabe des Begründungserfordernisses einerseits mit dem Subsidiaritätsgrundsatz sowie der einhergehenden Entlastungsfunktion für das Gericht136 und andererseits mit der Belastung für die Verfahrensbeteiligten durch die Aussetzung des Ausgangsverfahrens137. 2. Sinn und Zweck Der Hauptanwendungsfall der Vorlage in Art. 100 Abs. 1 GG,138 dass ein Gericht ein Gesetz mit dem Grundgesetz für unvereinbar hält, soll nach verbreiteter Auffassung in Rechtsprechung und Literatur zu allererst den Vorrang der Verfassung sowie die Autorität des Gesetzgebers schützen.139 Der Ausschluss untergesetzlicher Rechtssätze von der Vorlagepflicht sei darauf zurückzuführen, dass nur der demokratisch legitimierte, parlamentarische Gesetzgeber hier schutzwürdig ist.140 Soweit die Verfassungsmäßigkeit vorkonstitutioneller Gesetze in Frage steht, bedarf der Gesetzgeber nicht des Schutzes durch die Entscheidungshoheit der Verfassungsgerichte. Seine Autorität ist nicht gefährdet, soweit er das jeweilige Gesetz nicht unter dem Grundgesetz erlassen oder es später bestätigt und so in seinen Willen mitaufgenommen hat.141 Ohne Grundgesetz konnte der frühere Gesetzgeber nicht die Bestimmungen desselben beachten, sodass die Feststellung eines Grundgesetzverstoßes nicht als Vorwurf zu verstehen ist.142 136  BVerfG, Beschluss vom 11. Dezember 1984, Az. 1 BvL 12/78, BVerfGE 68, 311, juris Rn. 16; Beschluss vom 15. Dezember 2015, Az. 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1, juris Rn. 22; zu beiden Gesichtspunkten nachfolgend S. 55 ff. 137  BVerfG, Beschluss vom 10. Mai 1988, Az. 1 BvL 8/82, BVerfGE 78, 165, juris Rn. 35; Beschluss vom 3. Februar 2003, Az. 1 BvL 11/02, juris Rn. 8. 138  Wieland, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2018, Art. 100 Rn. 11. 139  BVerfG, Beschluss vom 18. Dezember 1984, Az. 2 BvL 22/82, BVerfGE 68, 337, juris Rn. 27; Wieland, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2018, Art. 100 Rn. 11; Sieckmann/ Kessal-Wulf, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 100 Rn. 2; Leibholz/Rinck/Hesselberger, in: Leibholz/Rinck, GG, 85. EL 2022, Art. 100 Rn. 18; Löwer, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 70 Rn. 80; Wernsmann, in: Ehlers/Schoch, Rechtsschutz im Öffentlichen Recht, 2021, § 19 Rn. 2. 140  Dederer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 100 Rn. 84; Wieland, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2018, Art. 100 Rn. 17; Bettermann, in: FG 25 Jahre BVerfG, Bd. I, 1976, S. 323, 334 f. 141  St. Rspr., siehe nur BVerfG, Urteil vom 24. Februar 1953, Az. 1 BvL 21/51, BVerfGE 2, 124, juris Rn. 16 ff.; Beschluss vom 26. Januar 1972, Az. 1 BvL 3/71, BVerfGE 32, 296, juris Rn. 11; Wieland, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2018, Art. 100 Rn. 12; Friesenhahn, Die Verfassungsgerichtsbarkeit in der Bundesrepublik Deutschland, 1963, S. 52. 142  Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 4. Teil Rn. 137.



C. Normative Kompetenzabgrenzung51

Darüber hinaus wird mit der Vorlagepflicht das Ziel verfolgt, die Einheitlichkeit der Rechtsprechung, insbesondere in Verfassungsstreitigkeiten, zu garantieren.143 Indem das Verwerfungsmonopol für verfassungswidrige, formelle nachkonstitutionelle Gesetze bei den Verfassungsgerichten liegt, wird Rechtsklarheit geschaffen und Rechtszersplitterung vermieden.144 Sieckmann/Kessal-Wulf sprechen in diesem Zusammenhang auch von einer „Befriedungsfunktion“ der Vorlagepflicht.145 3. Konsequenzen für das Verhältnis der Gerichtsbarkeiten zueinander Die Vorlagepflicht des Art. 100 Abs. 1 GG hat zur Konsequenz, dass allein den Verfassungsgerichten das Verwerfungsrecht für Parlamentsgesetze zusteht, während der Fachgerichtsbarkeit ein richterliches Prüfungsrecht verbleibt.146 Die Fachgerichte sind befugt, die streitentscheidenden Parlamentsgesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu untersuchen, allerdings ohne dabei die Nichtigkeit dieser Vorschriften feststellen zu können. Die „Bejahung der Rechtsgültigkeit der Norm“147 kann insbesondere durch verfassungskonforme Auslegung der in Rede stehenden Norm erfolgen.148 Sind die Fachgerichte von der Verfassungswidrigkeit überzeugt,149 müssen sie das Verfahren aussetzen und die Sache dem jeweils zuständigen Verfassungsgericht vorlegen.

143  St. Rspr., siehe nur BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 1957, Az. 1 BvL 4/54, BVerfGE 6, 55, juris Rn. 28; Beschluss vom 9. Februar 1971, Az. 1 BvL 27/70, BVerfGE 30, 170, juris Rn. 5; Meyer, in: v. Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 100 Rn. 2. 144  St. Rspr., siehe nur BVerfG, Urteil vom 20. März 1952, Az. 1 BvL 12/51, BVerfGE 1, 184, juris Rn. 50; Beschluss vom 29. November 1967, Az. 1 BvL 16/63, BVerfGE 22, 373, juris Rn. 13; Wieland, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2018, Art. 100 Rn. 13. 145  Sieckmann/Kessal-Wulf, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7.  Aufl. 2018, Art. 100 Rn. 2 u. a. unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 2013, Az. 1 BvL 5/08, BVerfGE 135, 1, juris Rn. 36 und BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2015, Az. 1 BvL 13/11, BVerfGE 139, 285, juris Rn. 38. 146  Löwer, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, 3. Aufl. 2005, § 70 Rn. 79; Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 100 Rn. 2; Schlaich/ Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 4. Teil Rn. 135. 147  BVerfG, Beschluss vom 4. Oktober 1983, Az. 2 BvL 8/83, BVerfGE 65, 132, juris Rn. 28. 148  Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 5. Teil Rn. 444. 149  Nach st. Rspr. sind bloße Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Norm nicht ausreichend, siehe nur BVerfG, Urteil vom 20. März 1952, Az. 1 BvL 12/51, BVerfGE 1, 184, juris Rn. 17; Beschluss vom 7. April 1992, Az. 1 BvL 19/91, BVerfGE 86, 52, juris Rn. 17.

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2. Teil: Verfassungsgerichte und Fachgerichte

Die diesem Verfahren vorausgehende Prüfung wird als richterliches Prüfungsrecht bezeichnet.150 Soweit durch die Aussetzungs- und Vorlagepflicht der Vorrang der Verfassung geschützt werden soll, fällt auf, dass dies auch durch eine Verwerfungskompetenz sämtlicher Gerichte, also auch der Fachgerichte, sichergestellt hätte werden können.151 Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht betont, dass hier seine Aufgabe als Hüter der Verfassung zurücktritt.152 In den Mittelpunkt des Schutzzwecks rückt damit der Schutz der Autorität des Gesetzgebers sowie der Einheitlichkeit der Rechtsprechung. Mit der Bündelung der Verwerfungskompetenzen für Parlamentsgesetze bei den Verfassungsgerichten bezweckte der Verfassunggeber zu vermeiden, dass „notwendige gesetzliche Maßnahmen von unteren Gerichten mit oft nicht einwandfreier juristischer Begründung zu Fall gebracht würden“.153 Der Verfassunggeber zielte also darauf ab, die besondere Sachkunde der Verfassungsgerichte in Verfassungsfragen zu nutzen.154 Gleichfalls trägt die Verfassung mit Art. 100 Abs. 1 GG auch der Sachkunde der Fachgerichte in den Ausgangsverfahren Rechnung: Die Verfahren werden gerade nicht zur Entscheidung an das jeweilige Verfassungsgericht überwiesen. Das Verfahren bleibt beim Ausgangsgericht anhängig. Es wird lediglich ausgesetzt und nach der Entscheidung des jeweiligen Verfassungsgerichts fortgeführt.155 Das verfassungsgerichtliche Normenkontrollverfahren stellt damit nur ein Zwischenverfahren dar.156 Das Verfassungsgericht entscheidet hier lediglich über verfassungsrechtliche Rechtsfragen (§ 81 BVerfGG). Im Ausgangsverfahren arbeiten die Fachgerichte den Sachverhalt auf und prüfen neben dem jeweiligen einfachen Recht – über ihre Bindung an die Verfassung (Art. 20 Abs. 3 GG) – auch die 150  Stern, in: BK GG, 214. EL 2021, Art. 100 Rn. 5; BVerfG, Beschluss vom 16. Dezember 2014, Az. 1 BvR 2142/11, BVerfGE 138, 64, juris Rn. 78; zuvor auch als „richterliche Prüfungsbefugnis“ bezeichnend BVerfG, Beschluss vom 15. Juli 1953, Az. 1 BvL 7/53, BVerfGE 2, 406, juris Rn. 15; siehe nachfolgend zum richterlichen Prüfungsrecht S. 127 ff. 151  Dederer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 100 Rn. 19. 152  BVerfG, Urteil vom 20. März 1952, Az. 1 BvL 12/51, BVerfGE 1, 184, juris Rn. 43. 153  Dederer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 100 Rn. 21 unter Verweis auf v. Doemming/Füßlein/Matz, JöR NF 1 (1951), 1, 56, 735. 154  Wernsmann, in: Ehlers/Schoch, Rechtsschutz im Öffentlichen Recht, 2021, § 19 Rn. 4. 155  Sieckmann/Kessal-Wulf, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7.  Aufl. 2018, Art. 100 Rn. 95; Dederer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 100 Rn. 26. 156  BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 1970, Az. 1 BvL 9/60, BVerfGE 29, 325, juris Rn. 4; Meyer, in: v. Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 100 Rn. 39 ff.; Dederer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 100 Rn. 27.



C. Normative Kompetenzabgrenzung53

Vereinbarkeit der streitentscheidenden Normen mit dem Verfassungsrecht und legen die Sache unter den Voraussetzungen des Art. 100 Abs. 1 GG dem jeweiligen Verfassungsgericht vor. Das Verfassungsgericht überprüft demgegenüber die jeweilige Norm letztverbindlich am Maßstab der Verfassung. Eine Kontrolle der Fachgerichte im Ausgangsverfahren üben sie gerade nicht aus.157 Die Verfassungsgerichte nehmen hier eine prinzipale Normenkontrolle vor.158 Mithin entscheiden die Gerichte über verschiedene Streitgegenstände.159 Den unterschiedlichen Sachkompetenzen der Gerichtsbarkeiten wird so ausreichend Rechnung getragen. Die Verfassungsgerichte greifen nicht in den alleinigen Zuständigkeitsbereich der Fachgerichte zur Gestaltung des Verfahrens, der Feststellung und Würdigung des Sachverhalts sowie zur Anwendung und Auslegung des einfachen Rechts ein. Gleichzeitig wird das richterliche Prüfungsrecht in Verfassungsfragen nicht zu stark eingeschränkt. Art. 100 Abs. 1 GG stellt sicher, dass die Fachgerichte stets den ersten gerichtlichen Zugriff auf die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der streitentscheidenden Norm haben.160 Über das Begründungserfordernis der Richtervorlage im Sinne des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ist das Ausgangsgericht verpflichtet, unter Durchführung der Beweisaufnahme über den konkreten Fall hypothetisch anhand der in Rede stehenden Norm zu entscheiden, um so zu überprüfen, ob es bei Gültigkeit bzw. Ungültigkeit der Norm jeweils zu einem anderen Ergebnis kommen würde.161 Dies ist im Zusammenhang mit der Subsidiarität der Verfassungsgerichtsbarkeit zu sehen.162 Ist eine Entscheidung der Verfassungsgerichte angezeigt, vermittelt das Ausgangsgericht durch die umfassende hypothetische Prüfung dem Verfassungsgericht die erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Feststellungen, auf die es seine Entscheidung stützen kann. Insoweit besteht hier ein Gleichlauf mit den Erwägungen zur Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde.163 Möchte man in diesem Zusammenhang von einem „Kooperationsver­ hältnis“164 unter Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit sprechen, kann § 82 157  BVerfG, Beschluss vom 21. Mai 1957, Az. 2 BvL 6/56, BVerfGE 7, 1, juris Rn. 42. 158  Sieckmann/Kessal-Wulf, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7.  Aufl. 2018, Art. 100 Rn. 3. 159  Dederer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 100 Rn. 28; Benda/ Klein, Verfassungsprozessrecht, 4. Aufl. 2020, Rn. 792. 160  Meyer, in: v. Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 100 Rn. 121. 161  Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 4. Teil Rn. 148. 162  Ebd., Rn. 152. 163  Dazu sogleich nachfolgend S. 55 ff. 164  Burkiczak, in: ders./Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2. Aufl. 2022, § 1 Rn. 23; für ein Kooperationsverhältnis auch Robbers, NJW 1998, 935, 938 f.; ders., in: Bogs, Urteilsverfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht, 1999, S. 57, 63 ff.; kri-

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2. Teil: Verfassungsgerichte und Fachgerichte

Abs. 4 BVerfGG zusätzlich als normativer Beleg dienen. Das Bundesverfassungsgericht kann im Rahmen konkreter Normenkontrollverfahren165 oberste Gerichtshöfe des Bundes oder oberste Landesgerichte um die Mitteilung ersuchen, wie und auf Grund welcher Erwägungen sie das Grundgesetz in der streitigen Frage bisher ausgelegt haben, ob und wie sie die in ihrer Gültigkeit streitige Rechtsvorschrift in ihrer Rechtsprechung angewendet haben und welche damit zusammenhängenden Rechtsfragen zur Entscheidung anstehen (§ 82 Abs. 4 Satz 1 BVerfGG). Es kann sie ferner ersuchen, ihre Erwägungen zu einer für die Entscheidung erheblichen Rechtsfrage darzulegen (§ 82 Abs. 4 Satz 2 BVerfGG). Dass das Bundesverfassungsgericht die Auffassungen der obersten Fachgerichte schätzt, wird daran deutlich, dass das Gericht von dieser Möglichkeit regelmäßig Gebrauch macht.166 Die konkrete Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG weist damit Pa­ rallelen zum Vorabentscheidungsverfahren auf Unionsebene nach Art. 267 AEUV auf. Über Art. 267 Abs. 1 lit. b) AEUV wird dem Europäischen Gerichtshof das Verwerfungsmonopol für Unionsrecht zugesprochen.167 Sämtliche nationale Gerichte sind – über den Wortlaut des Art. 267 Abs. 2 AEUV hinaus („kann“) – verpflichtet, die Sache dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen, soweit sie an der Gültigkeit von anzuwendendem Unionsrecht zweifeln.168 Insofern besteht das vielzitierte Kooperationsverhältnis zwischen den nationalen Gerichten und dem Europäischen Gerichtshof169 in vergleichbarer Weise zu dem vorgenannten Verhältnis auf nationaler Ebene.170 Entsprechend zur konkreten Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG wird im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens das Verfahren beim Ausgangsgetisch etwa Alleweldt, Bundesverfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit, 2006, S. 234 f.; siehe weiter zu einem „Kooperationsverhältnis“ nachfolgend S. 247 ff. 165  Daneben sieht § 22 Abs. 4 Satz 2 GO-BVerfGG die Möglichkeit vor, entsprechende Ersuchen auch in anderen Fällen als in denen der konkreten Normenkontrolle zu verfügen. 166  Burkiczak, in: ders./Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2. Aufl. 2022, § 1 Rn. 23; ders., in: Kluth/Krings, Gesetzgebung, 2014, § 35 Rn. 26; Dollinger, in: Burkiczak/ Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2. Aufl. 2022, § 82 Rn. 17; Papier, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. III, 2009, § 79 Rn. 8; vgl. für Zusammenfassungen derartiger Stellungnahmen etwa BVerfG, Beschluss vom 13. April 2017, Az. 2 BvL 6/13, BVerfGE 145, 171, juris Rn. 41 ff. 167  EuGH, Urteil vom 22. Oktober 1987, Foto-Frost, Rs. C-314/85, Slg. 1987, 4199 Rn. 17; Dederer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 100 Rn. 8. 168  EuGH, Urteil vom 22. Oktober 1987, Foto-Frost, Rs. C-314/85, Slg. 1987, 4199 Rn. 17; Herdegen, Europarecht, 23. Aufl. 2021, § 9 Rn. 31. 169  Vgl. nur BVerfG, Urteil vom 12.  Oktober 1993, Az. 2 BvR 2134/92, BVerfGE 89, 155, juris Rn. 70 ff.; Kirchhof, EuR 2014, 267; Wegener, in: Calliess/ Ruffert, EUV/AEUV, 6. Aufl. 2022, Art. 19 EUV Rn. 37 ff. 170  Zu dieser Parallele Robbers, NJW 1998, 935, 938 f.



C. Normative Kompetenzabgrenzung55

richt ausgesetzt und in Luxemburg vorgelegt, wo anschließend allein über die Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht zu befinden ist. Dabei bleibt der Ausgangsrechtsstreit beim vorlegenden Gericht anhängig und wird dem Gerichtshof nicht zur Entscheidung in der eigentlichen Sache überwiesen.171

IV. Grundsätze der Rechtswegerschöpfung und der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, § 90 Abs. 2 BVerfGG 1. Allgemeines Die Pflicht, im Rahmen der Individualverfassungsbeschwerde den Rechtsweg zu erschöpfen, sowie der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde lassen besonders deutlich Rückschlüsse auf die Aufgabenverteilung unter dem Bundesverfassungsgericht sowie der Fachgerichtsbarkeit zu.172 Nach dem Verständnis des Bundesverfassungsgerichts enthalte der Grundsatz der Subsidiarität gerade „eine generelle Aussage über die Aufgabenverteilung zwischen Bundesverfassungsgericht und den Fachgerichten“.173 Das „System der Zuordnung von Fach- und Verfassungsgerichtsbarkeit“ baue auf dem Subsidiaritätsgrundsatz auf.174 § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG setzt für die Erhebung der Verfassungsbeschwerde voraus, dass der Rechtsweg erschöpft ist, soweit dieser gegen die in Rede stehende Verletzung zulässig ist. Sinn und Zweck ist, „das Bundesverfassungsgericht zu entlasten und für seine eigentliche Aufgabe des Verfassungsschutzes freizumachen“.175 Die Rechtswegerschöpfung soll dem Bundesverfassungsgericht die tatsächliche und rechtliche Fallanschauung der Fachgerichte vermitteln.176 Diese Zwecksetzungen rechtfertigen die An171  EuGH, Urteil vom 15. Juni 1995, Zabala Erasun, Rs. C-422/93, C-423/93, C-424/93, Slg. 1995, I-1567 Rn. 28; Dederer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 100 Rn. 8. 172  Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 90 Rn. 350; van den Hövel, Zulässigkeits- und Zulassungsprobleme der Verfassungsbeschwerde gegen Gesetze, 1990, S. 81; kritisch Posser, Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, 1993, S. 345 ff. 173  BVerfG, Beschluss vom 2. Dezember 1986, Az. 1 BvR 1509/83, BVerfGE 74, 69, juris Rn. 18; so auch BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 1978, Az. 1 BvR 475/78, BVerfGE 49, 252, juris Rn. 20 und BVerfG, Beschluss vom 30. April 2003, Az. 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, 395, juris Rn. 61. 174  BVerfG, Beschluss vom 30. April 2003, Az. 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, 395, juris Rn. 72. 175  BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 1955, Az. 1 BvR 108/52, BVerfGE 4, 193, juris Rn. 12. 176  BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983, Az. 1 BvR 209/83, BVerfGE 65, 1, juris Rn. 135; Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 4. Teil Rn. 244.

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nahme, dass der Subsidiaritätsgrundsatz eine Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche der Gerichtsbarkeiten ermöglicht.177 Es wird verdeutlicht, dass die Verfassungsbeschwerde als „außerordentlicher Rechtsbehelf“178 grundsätzlich nur nachrangig dem Grundrechtsschutz dient.179 Die Fachgerichte werden gerade in die Pflicht genommen, Grundrechtsverstößen auch ohne Beteiligung des Bundesverfassungsgerichts abzuhelfen.180 Darüber hinaus sichert die Vorprüfung der Fachgerichte, dass sich das Bundesverfassungsgericht auf Entscheidungen betreffend das Verfassungsrecht konzentrieren kann.181 Vereinzelt wird in der Literatur kritisch gesehen, dass die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde Rückschlüsse auf die Kompetenz und Aufgabenverteilung zwischen den Fachgerichten und dem Bundesverfassungsgericht ermöglichen soll. So sieht Zuck die Gefahr, dass das Bundesverfassungsgericht mit seiner Rechtsprechung zum Subsidiaritätsgrundsatz das Verhältnis zu den Fachgerichten eigenmächtig bestimmen könnte.182 Zudem zweifelt er an, dass dem Bundesverfassungsgericht eine entsprechende Abgrenzung gelungen sei. Zum einen würden die Fachgerichte zu „Hilfsorgane[n] des Bundesverfassungsgerichts“ degradiert. Darüber hinaus sei es kaum nachzuvollziehen, dass die Fachgerichte den ersten gerichtlichen Zugriff auf Fragen des Verfassungs- bzw. Grundrechtsschutzes hätten, solange durch Individualverfassungsbeschwerden auch das Bundesverfassungsgericht bemüht werden könnte. In fachgerichtlichen Verfahren fänden verfassungsrechtliche Gesichtspunkte schließlich „kaum Gegenliebe“.183 Den von Zuck vorgebrachten Argumenten ist zu entgegnen, dass nicht (allein) das Bundesverfassungsgericht über Kompetenzen und Aufgabenverteilung zwischen den Gerichtsbarkeiten entscheidet. Der Subsidiaritätsgrundsatz ist in seinem Wesen über Art. 94 Abs. 2 Satz 2 GG und über § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG sowohl grundgesetzlich wie einfachrechtlich gesetzlich 177  Klein, in: FS Zeidler, Bd. II, 1987, S. 1305, 1318; Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 4. Teil Rn. 244. 178  Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 1991, § 12 Rn. 12. 179  BVerfG, Urteil vom 27. Januar 1965, Az. 1 BvR 213/58, BVerfGE 18, 315, juris Rn. 23; Beschluss vom 30. April 2003, Az. 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, 395, juris Rn. 4; dazu Posser, Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, 1993, S. 270 f.; zweifelnd Zuck, in: FS Redeker, 1993, S. 213, 223, Fn. 59. 180  Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61.  EL 2021, § 90 Rn. 377; Lechner/Zuck, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, § 90 Rn. 146; Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 90 Rn. 350; Böhmer, Mannheimer Berichte Nr. 40, 1992, S. 19, 22 f. 181  Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 4. Teil Rn. 244; Sachs, Verfassungsprozessrecht, 4. Aufl. 2016, Rn. 587 f. 182  Zuck, in: FS Redeker, 1993, S. 213, 223; kritisch etwa auch Posser, Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, 1993, S. 345 ff. 183  Zuck, in: FS Redeker, 1993, S. 213, 223.



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verankert. Das Bundesverfassungsgericht füllt diese gesetzliche Vorgabe mit seiner Rechtsprechung lediglich aus.184 Auch sieht das Grundgesetz selbst vor, dass die Fachgerichte in bestimmten Prozesskonstellationen mit dem Verfassungs- bzw. Grundrechtsschutz betraut sind. Dies folgt bereits aus der Bindung der Rechtsprechung an die Grundrechte nach Art. 1 Abs. 3 GG. Dass dabei den Fachgerichten gerade der erste Zugriff auferlegt ist, geht nicht nur aus dem Subsidiaritätsgrundsatz hervor, sondern auch aus der Aussetzungs- und Vorlagepflicht des Art. 100 Abs. 1 GG. Wie gezeigt, wird hier eine verfassungsrechtliche Vorprüfung der Fachgerichte gerade grundgesetzlich vorausgesetzt. Hinsichtlich der Individualverfassungsbeschwerde wird zudem durch die Annahmevoraussetzungen deutlich, dass es sich bei dem durch das Bundesverfassungsgericht gewährten Rechtsschutz nur um einen nachgelagerten handeln soll. So ist eine Verfassungsbeschwerde nach § 93a Abs. 2 BVerfGG (erst dann) zur Entscheidung anzunehmen, soweit ihr grundsätzliche Bedeutung zukommt (lit. a)) oder wenn dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist, was der Fall sein kann, wenn dem Beschwerdeführer durch die Versagung der Entscheidung zur Sache ein besonders schwerer Nachteil entsteht (lit. b)). Insoweit wird die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde in qualitativer Hinsicht etwa durch § 93a Abs. 2 BVerfGG und in zeitlicher Hinsicht durch § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG bestimmt.185 Der Subsidiaritätsgrundsatz ist im Folgenden näher zu beleuchten. Er stellt die Schnittmenge der für die vorliegende Untersuchung wesentlichen Problemkreise dar. Der Subsidiaritätsgrundsatz ist nicht nur von zentraler Bedeutung für die Aufgabenverteilung unter dem Bundesverfassungsgericht und der Fachgerichtsbarkeit, sondern auch für den Problemkreis des Rechtsschutzes betreffend Parlamentsgesetze. Das ausdrücklich in § 90 Abs. 2 BVerfGG normierte Gebot der Rechtswegerschöpfung soll an dieser Stelle zurück­ stehen. Da gegen Parlamentsgesetze der Rechtsweg unmittelbar bekanntlich nicht eröffnet ist (vgl. bereits § 93 Abs. 3 BVerfGG)186, ist das Gebot der Rechtswegerschöpfung für die vorliegende Untersuchung des institutionellen Verhältnisses von Verfassungsgerichtsbarkeit und Verwaltungsgerichtsbarkeit anhand von Rechtsschutzmöglichkeiten betreffend Parlamentsgesetze zu ver184  So etwa erfolgt hinsichtlich der Rügeobliegenheit im fachgerichtlichen Verfahren durch BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 2003, Az. 2 BvR 709/99, BVerfGE 107, 257, juris Rn. 37 oder zu Gegenvorstellungen betreffend unanfechtbare Entscheidungen nach § 304 Abs. 4 StPO BVerfG, Beschluss vom 12. Januar 1983, Az. 2 BvR 964/82, BVerfGE 63, 77, juris Rn. 7. 185  Siehe dazu auch nachfolgend S. 231 f. 186  Siehe etwa BVerfG, Beschluss vom 8. April 1987, Az. 2 BvR 909/82, BVerfGE 75, 108, juris Rn. 91; Nichtannahmebeschluss vom 24. Juni 2015, Az. 1 BvR 1360/15, juris Rn. 10.

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2. Teil: Verfassungsgerichte und Fachgerichte

nachlässigen. Eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob und inwieweit nicht Inzidentkontrollen einen Rechtsweg gegen Parlamentsgesetze im Sinne des § 90 Abs. 2 BVerfGG darstellen können, bleibt den Ausführungen an späterer Stelle vorbehalten.187 Auch wenn sich die nachfolgende Darstellung auf das Verfassungsprozessrecht für Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht beschränkt, bleibt anzumerken, dass die Grundsätze der Rechtswegerschöpfung und der Subsidiarität vergleichbar – soweit eine solche landesrechtlich vorgesehen ist – für Individualverfassungsbeschwerden vor den Verfassungsgerichten der Länder Anwendung finden.188 Auch hier folgt aus diesen Prinzipien der Vorrang des fachgerichtlichen Rechtsschutzes in Verfassungsfragen.189 2. Entwicklung des Subsidiaritätsgrundsatzes a) Normative Anknüpfung und richterliche Rechtsfortbildung Während das Gebot der Rechtswegerschöpfung ausdrücklich sowohl im einfachen Recht (§ 90 Abs. 2 BVerfGG) wie im Verfassungsrecht (Art. 94 Abs. 2 GG) verankert ist, findet sich hier kein Verweis auf eine darüber­ hinausgehende prozessuale Nachrangigkeit der Verfassungsbeschwerde. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht über die richterliche Rechtsfortbildung das Gebot der Rechtswegerschöpfung mit dem allgemeinen Subsidiaritätsgrundsatz erweitert.190 Aus der Rechtsprechung des Gerichts geht dabei nicht klar hervor, wo es diesen Grundsatz normativ begründet sieht.191 Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts sei der Subsidiaritätsgrundsatz „im Verfassungsrecht verankert“.192 Für diese Annahme verweist das Gericht 187  Siehe

nachfolgend S. 122 ff. bspw. für den Verfassungsgerichtshof für das Land NRW § 54 Satz 1 VerfGHG NRW oder für den Bayerischen Verfassungsgerichtshof Art. 51 Abs. 2 Satz 1 VfGHG Bay; exemplarisch zum Subsidiaritätsgrundsatz VerfGH NRW, Beschluss vom 20. Dezember 2019, Az. 45/19.VB-1, juris Rn. 8 oder VerfGH Bay, Entscheidung vom 24. Juli 1992, Az. Vf. 84-VI-91, juris Rn. 21. 189  Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, §  90 Rn. 401; VerfGH NRW, Beschluss vom 12. November 2019, Az. 47/19.VB-3, juris Rn. 19. 190  Lechner/Zuck, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, § 90 Rn. 157. 191  Niesler, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 12. Ed. 2021, § 90 Abs. 2 Rn. 46. 192  Siehe etwa BVerfG, Beschluss vom 30. Juni 1976, Az. 2 BvR 164/76, BVerfGE 42, 243, juris Rn. 13; Nichtannahmebeschluss vom 16. Dezember 2002, Az. 2 BvR 1501/02, juris Rn. 3 oder aktueller BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 18. Dezember 2018, Az. 1 BvR 1240/18, juris Rn. 5. 188  Vgl.



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auf Art. 94 Abs. 2 Satz 2 GG und § 90 Abs. 2 BVerfGG. Im Einzelnen ist das Gericht hierbei nicht stringent. Neben der vorbezeichneten Normenkette, zieht es zuweilen § 90 Abs. 2 BVerfGG oder Art. 94 Abs. 2 Satz 2 GG auch eigenständig heran.193 An anderer Stelle wird wiederum auf einen ungeschriebenen Grundsatz abgestellt.194 Die Literatur kritisiert das Fehlen einer normativen Grundlage und spricht insoweit von einem „Legitimationsdefizit“.195 Löwer ist dem entgegengetreten: Auch ohne unmittelbare normative Anknüpfung diene der Subsidiaritätsgrundsatz funktionell-rechtlich der Entlastung des Bundesverfassungsgerichts, die gerade für die Funktionsfähigkeit des Gerichts wesentlich sei.196 Soweit dieser Gedanke in der Sache nachvollziehbar ist,197 scheint weiterhin die Frage angebracht, ob es hierfür eine selbstständige ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung bedurft hätte. Mit einer extensiven Auslegung des § 90 Abs. 2 BVerfGG dürften vergleichbare Ergebnisse zu erzielen sein und das Bundesverfassungsgericht sähe sich insoweit nicht länger mit dem Vorwurf einer legitimationswidrigen Rechtsprechung konfrontiert.198 Sollten die Grenzen der Auslegung erreicht sein, verbliebe unter Begründung einer planwidrigen Regelungslücke sowie einer vergleichbaren Interessenlange die Möglichkeit der analogen Anwendung von § 90 Abs. 2 BVerfGG.199 Schwierigkeiten bereitet der Versuch, den Ausgangspunkt der Rechtsprechung zum Subsidiaritätsgrundsatz zu bestimmen. Einige Autoren sehen den

193  Unter Verweis auf § 90 Abs. 2 BVerfGG etwa BVerfG, Beschluss vom 16. Juli 2013, Az. 1 BvR 3057/11, BVerfGE 134, 106, juris Rn. 27 sowie BVerfG, Urteil vom 11. Juli 2012, Az. 1 BvR 3142/07, BVerfGE 132, 99, juris Rn. 45; lediglich unter Verweis auf Art. 94 Abs. 2 Satz 2 GG BVerfG, Beschluss vom 2. Dezember 1980, Az. 1 BvR 1222/77, BVerfGE 55, 244, juris Rn. 12. 194  BVerfG, Beschluss vom 27. Juli 1971, Az. 2 BvR 443/70, BVerfGE 31, 364, juris Rn. 9, der Senat betont hier, dass der Grundsatz der Subsidiarität „nicht nur aus § 90 Abs. 2 BVerfGG zu entnehmen“ sei. 195  Niesler, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 12. Ed. 2021, § 90 Abs. 2 Rn. 47; so auch Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 4. Teil Rn. 244; Gusy, in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd. I, 2001, S. 641, 661; Spranger, AöR 127 (2002), 27, 60. 196  Löwer, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 70 Rn. 198; so auch van den Hövel, Zulässigkeits- und Zulassungsprobleme der Verfassungsbeschwerde gegen Gesetze, 1990, S. 81 f.; ähnlich im Ergebnis LübbeWolff, EuGRZ 2004, 669, 682. 197  Zur Rechtfertigung des Subsidiaritätsgrundsatzes sogleich, S. 73 ff. 198  Niesler, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 12. Ed. 2021, § 90 Abs. 2 Rn. 48. 199  So andenkend, i.  E. jedoch ablehnend Posser, Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, 1993, S. 381 ff.; Niesler, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 12. Ed. 2021, § 90 Abs. 2 Rn. 48 und 65 f.; vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 1998, Az. 1 BvR 661/94, BVerfGE 97, 298, juris Rn. 51.

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2. Teil: Verfassungsgerichte und Fachgerichte

Ursprung bereits in BVerfGE 1, 97.200 Ohne hier von „Subsidiarität“ zu sprechen, entschied das Bundesverfassungsgericht im Kern, nicht primär zuständiges Gericht zu sein.201 In formaler Hinsicht stelle jedoch BVerfGE 5, 9 den Ausgangspunkt dar.202 Hier habe das Bundesverfassungsgericht betreffend eine versäumte Gehörsrüge vor den Fachgerichten erstmalig über einen Teilaspekt des späteren Subsidiaritätsgrundsatzes entschieden.203 Wie Zuck und Klein herausstellen, verknüpfte das Bundesverfassungsgericht jedoch erstmalig den Subsidiaritätsgrundsatz mit § 90 Abs. 2 BVerfGG in BVerfGE 8, 222.204 Andere Autoren sehen den Ursprung des Subsidiaritätsgrundsatzes erst in BVerfGE 22, 287.205 Hier habe das Bundesverfassungsgericht den Grundstein für ein selbstständiges Zulässigkeitskriterium der Verfassungsbeschwerde gelegt, indem es im Leitsatz ohne Bezug zu § 90 Abs. 2 BVerfGG von der „Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde“ ausging.206 Legt man hingegen das Register zu den Entscheidungen der amtlichen Sammlung zugrunde, beginnt die Rechtsprechung zum Subsidiaritätsgrundsatz mit BVerfGE 1, 332, ohne dass hier von einem solchen Prinzip konkret die Rede gewesen wäre.207 b) Abgrenzung zum Gebot der Rechtswegerschöpfung In den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts hat sich der Subsidiaritätsgrundsatz stetig entwickelt.208 Wurden die Begriffe der Subsidiarität 200  Zuck, in: FS Redeker, 1993, S. 213; Klein geht davon aus, dass diese Entscheidung zumindest nachträglich in die Subsidiaritätsrechtsprechung „integriert“ wurde, ders., in: FS Zeidler, Bd. II, 1987, S. 1305. 201  BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 1951, Az. 1 BvR 220/51, BVerfGE 1, 97. 202  BVerfG, Beschluss vom 25. Mai 1956, Az. 1 BvR 53/54, BVerfGE 5, 9. 203  Zuck, in: FS Redeker, 1993, S. 213, 214. 204  Ebd.; Klein, in: FS Zeidler, Bd. II, 1987, S. 1305; BVerfG, Beschluss vom 23. Oktober 1958, Az. 1 BvR 458/58, BVerfGE 8, 222. 205  BVerfG, Beschluss vom 17. Oktober 1967, Az. 1 BvR 760/64, BVerfGE 22, 287. 206  Niesler, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 12. Ed. 2021, § 90 Abs. 2 Rn. 44.1; wobei Böhmer hier darauf verweist, dass er sich als seinerzeit mitentscheidender Richter lediglich auf das Gebot der Rechtswegerschöpfung i. S. d. § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG verstanden wissen wollte, ders., Mannheimer Berichte Nr. 40, 1992, S. 19, 22. 207  Zuck, in: FS Redeker, 1993, S. 213; BVerfG, Urteil vom 13. Juni 1952, Az. 1 BvR 137/52, BVerfGE 1, 332. 208  Vgl. Zuck, in: FS Redeker, 1993, S. 213, 214, der versucht, die Rechtsprechung des BVerfG zum Subsidiaritätsgrundsatz in der Amtlichen Sammlung bis 1983 nachzuzeichnen.



C. Normative Kompetenzabgrenzung61

und der Rechtswegerschöpfung ursprünglich noch synonym verwendet,209 entwickelte sich eine eigenständige Zulässigkeitsvoraussetzung der Individualverfassungsbeschwerde.210 Seitdem stehen die beiden Rechtsinstitute nebeneinander. Der Grundsatz der Subsidiarität ergänzt § 90 Abs. 2 BVerfGG, um eine möglichst umfassende Nachrangigkeit der Individualverfassungsbeschwerde zu erzielen.211 So umfasst der „Rechtsweg“ im Sinne von § 90 Abs. 2 BVerfGG grundsätzlich nur den Instanzenzug vor den Fachgerichten, sodass die einzelnen Prozessordnungen bestimmen, welche Rechtsbehelfe zum Rechtsweg gehören.212 Darüber hinaus haben Beschwerdeführende jedoch auch sonstige gesetzlich festgeschriebene Möglichkeiten zu ergreifen, um die Gerichte anzurufen.213 Dazu zählen beispielsweise für eine Verfassungsbeschwerde wegen der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) auch die Gehörsrüge214 oder ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand215. Aus Gründen der Rechtsmittelklarheit gilt dies jedoch nicht für ungeschriebene oder formlose Rechtsbehelfe wie etwa die Gegenvorstellung.216 Im Einzelnen scheinen die Spruchkörper des Bundesverfassungsgerichts nicht stringent zwischen dem Gebot der Rechtswegerschöpfung und dem Subsidiaritätsgrundsatz zu differenzieren.217 Zuweilen wird die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde sogar als unselbstständiger Bestandteil des 209  Niesler, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 12. Ed. 2021, § 90 Abs. 2 Rn. 44 unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 8. Januar 1985, Az. 1 BvR 700/83, BVerfGE 68, 376, juris Rn. 14. 210  Vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 8. März 1988, Az. 1 BvR 1092/84, BVerfGE 78, 58, juris Rn. 36 oder BVerfG, Beschluss vom 25. November 2008, Az. 1 BvR 848/07, BVerfGE 122, 190, juris Rn. 40. 211  Niesler, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 12. Ed. 2021, § 90 Abs. 2 Rn. 59. 212  Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 90 Rn. 356. 213  BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 1984, Az. 1 BvR 1494/78, BVerfGE 67, 157, juris Rn. 40; Beschluss vom 25. November 2008, Az. 1 BvR 848/07, BVerfGE 122, 190, juris Rn. 39. 214  BVerfG, Beschluss vom 13. April 2010, Az. 1 BvR 216/07, BVerfGE 126, 1, juris Rn. 34; Kammerbeschluss vom 9. Juli 2020, Az. 1 BvR 1054/20, juris Rn. 3. 215  BVerfG, Beschluss vom 30. Juni 1976, Az. 2 BvR 212/76, BVerfGE 42, 252, juris Rn. 8 ff.; Nichtannahmebeschluss vom 27. September 2005, Az. 2 BvR 172/04, juris Rn.  12 f. 216  BVerfG, Beschluss vom 30. April 2003, Az. 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, 395, juris Rn. 61 ff.; Beschluss vom 25. November 2008, Az. 1 BvR 848/07, BVerfGE 122, 190, juris Rn. 40; Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 90 Rn. 362; Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, § 90 Rn. 385. 217  Walter, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 93 Rn. 376 beispielhaft unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 16. Juli 2013, Az. 1 BvR 3057/11, BVerfGE 134, 106, juris Rn. 26 ff.

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2. Teil: Verfassungsgerichte und Fachgerichte

Rechts­schutzbedürfnisses gesehen.218 Im Ergebnis dürfte sich dies jedoch nicht auf die Entscheidung des Gerichts auswirken, da die Verfassungs­ beschwerde in beiden Fällen unzulässig wäre. Aus Perspektive der Recht­ suchenden kann eine nicht hinlängliche Differenzierung jedoch zur Folge haben, dass die Prüfung weiter erschwert wird, ob ihnen überhaupt ein geeigneter Rechtsbehelf im Sinne des Subsidiaritätsgrundsatzes zur Verfügung steht.219 3. Inhalt des Subsidiaritätsgrundsatzes Es ist zwischen formeller und materieller Subsidiarität zu unterscheiden.220 a) Formelle Subsidiarität Im Sinne einer formellen Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde verlangt das Bundesverfassungsgericht von den Beschwerdeführenden, dass sie „alle nach Lage der Dinge zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung schon im fachgerichtlichen Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen“.221 Der Gehalt des Subsidiaritätsgrundsatzes soll nachfolgend anhand von Fallgruppen dargestellt werden, die sich in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung herausgebildet haben. Es bietet sich eine Unterteilung anhand der Subsidiarität der Urteilsverfassungsbeschwerde und der Subsidiarität der Rechtssatzverfassungsbeschwerde an. aa) Subsidiarität der Urteilsverfassungsbeschwerde Die Subsidiarität der Urteilsverfassungsbeschwerde kommt vor allem in den Fällen des vorläufigen Rechtsschutzes, der Anfechtung von Zwischenentscheidungen sowie der unterlassenen Anhörungsrüge, wenn mit der Ver218  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 19. Juli 2016, Az. 1 BvR 2584/14, juris Rn. 11. 219  Dazu Lechner/Zuck, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, § 90 Rn. 175. 220  Siehe nur Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 4. Teil Rn. 245 oder Niesler, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 12. Ed. 2021, § 90 Abs. 2 Rn. 54 ff.; die Terminologie wird jedoch uneinheitlich verwendet, dazu Bethge, in: SchmidtBleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, § 90 Rn. 381 und Voßkuhle, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 93 Rn. 191, Fn. 526. 221  In st. Rspr. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013, Az. 1 BvR 3139/08, BVerfGE 134, 242, juris Rn. 150; vgl. weiter BVerfG, Beschluss vom 30. April 2003, Az. 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, 395, juris Rn. 61; Beschluss vom 9. November 2004, Az. 1 BvR 684/98, BVerfGE 112, 50, juris Rn. 37.



C. Normative Kompetenzabgrenzung63

fassungsbeschwerde kein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG gerügt werden soll, zum Tragen.222 Hauptsacheverfahren und vorläufige Rechtsschutzverfahren sind getrennt zu betrachten. Beide stellen selbstständige Verfahren dar.223 So ist das Hauptsacheverfahren nicht Teil des Rechtswegs im Eilverfahren.224 Der Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 BVerfGG wäre im Eilverfahren also bereits dann erschöpft, wenn in dieser Sache eine letztinstanzliche Entscheidung getroffen wurde, ohne dass ein Hauptsacheverfahren angestrengt worden sein müsste. Unter Verweis auf den Subsidiaritätsgrundsatz verweist das Bundesverfassungsgericht die Rechtsuchenden hier gegebenenfalls zunächst auf das fachgerichtliche Hauptsacheverfahren. So bedürfe es der Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache, wenn möglich erscheint, dass hier der verfassungsrechtlichen Beschwer abgeholfen werden kann.225 Dies sei regelmäßig dann der Fall, wenn die Beschwerdeführenden Grundrechtsverletzungen rügen, die sich auf die Hauptsache beziehen.226 Danach greift der Subsidiaritätsgrundsatz nicht, wenn eine Grundrechtsverletzung durch das vorläufige Rechtsschutzverfahren geltend gemacht wird, welcher die Gerichte im Hauptsacheverfahren nicht mehr abhelfen können.227 Im Übrigen ist ein Verweis des Bundesverfassungsgerichts auf das fachgerichtliche Hauptsacheverfahren ausgeschlossen, wenn einer der Ausnahmetatbestände erfüllt ist, die das Gericht allgemein unter dem Gesichtspunkt des Vorbehalts der Zumutbarkeit entwickelt hat.228 Daneben verweist das Bundesverfassungsgericht Rechtsuchende grundsätzlich auch dann auf fachgerichtliche Rechtsschutzmöglichkeiten, wenn diese beabsichtigen, gerichtliche Zwischenentscheidungen anzugreifen. Der Weg über die Verfassungsbeschwerde soll hier nicht eröffnet sein, da Verfas222  Siehe daneben für weitere Konstellationen Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/ Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, § 90 Rn. 417. 223  BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 1973, Az. 1 BvR 23/73, BVerfGE 35, 382, juris Rn. 45; Beschluss vom 20. Dezember 1979, Az. 1 BvR 385/77, BVerfGE 53, 30, juris Rn. 44. 224  Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, §  90 Rn. 415. 225  In st. Rspr. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. März 2019, Az. 1 BvR 2721/16, juris Rn. 30; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 26. Januar 1988, Az. 1 BvR 1561/82, BVerfGE 77, 381, juris Rn. 63. 226  BVerfG, Beschluss vom 25. März 1992, Az. 1 BvR 1859/91, juris Rn. 27; Nichtannahmebeschluss vom 21. Juni 2019, Az. 2 BvR 2189/18, juris Rn. 18. 227  So etwa in BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 12. Januar 2014, Az. 1 BvR 3606/13, juris Rn. 18; Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 90 Rn. 487. 228  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 21. Juni 2019, Az. 2 BvR 2189/18, juris Rn. 18.

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2. Teil: Verfassungsgerichte und Fachgerichte

sungsverstöße mit der Anfechtung der jeweiligen Endentscheidung geltend gemacht werden können.229 Parallel zur Subsidiaritätskonstellation im einstweiligen Rechtsschutz steht auch hier der Subsidiaritätsgrundsatz den Rechtsuchenden nicht im Weg, wenn bereits die Zwischenentscheidung einen bleibenden rechtlichen Nachteil für sie darstellt, der später nicht oder nicht vollständig zu beheben ist.230 Dies nimmt das Bundesverfassungsgericht etwa bei Entscheidungen über Richterablehnungsgesuche an, wenn diese eine Bindungswirkung für das weitere Verfahren entfalten, über eine wesentliche Rechtsfrage abschließend befinden und die Entscheidungen in weiteren Instanzen nicht mehr nachgeprüft und korrigiert werden können.231 Darüber hinaus wendet das Bundesverfassungsgericht den Subsidiaritätsgrundsatz in Fällen der unterlassenen Anhörungsrüge an. Soweit die Beschwerdeführenden mit der Verfassungsbeschwerde zumindest auch einen Gehörsverstoß im Sinne des Art. 103 Abs. 1 GG rügen, gehört die fachgerichtliche Anhörungsrüge bereits zum Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 BVerfGG.232 Machen die Beschwerdeführenden keinen Gehörsverstoß geltend, kann nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dennoch geboten sein, fachgerichtliche Anhörungsrüge zu erheben. Dies soll dann gelten, wenn bei Erfolg der Anhörungsrüge auch andere Grundrechtsverstöße durch die Fachgerichte beseitigt werden könnten.233 Der Subsidiaritätsgrundsatz kommt jedoch nicht zum Tragen, wenn die geltend gemachten Grundrechtsverletzungen neben Art. 103 Abs. 1 GG einen eigenen Streitgegenstand darstellen. In diesem Fall hätte eine Anhörungsrüge den Verstößen nicht abhelfen können, da nach den fachgerichtlichen Prozessordnungen das Ausgangsverfahren nur insoweit fortgeführt wird, wie dies aufgrund der Rüge geboten ist (vgl. § 152a Abs. 5 Satz 1 VwGO, § 321a Abs. 5 Satz 1 ZPO).234 Im Übrigen gilt auch hier der allgemeine Vorbehalt der Zumutbarkeit.235 229  BVerfG, Beschluss vom 8. Februar 1967, Az. 2 BvR 235/64, BVerfGE 21, 139, juris Rn. 14; Beschluss vom 23. Oktober 2007, Az. 1 BvR 782/07, BVerfGE 119, 292, juris Rn. 8. 230  BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999, Az. 1 BvR 385/90, BVerfGE 101, 106, juris Rn. 55; vgl. bereits zuvor BVerfG, Beschluss vom 28. Mai 1952, Az. 1 BvR 213/51, BVerfGE 1, 322, juris Rn. 7. 231  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 27. November 2006, Az. 1 BvR 2719/06, juris Rn. 9; Beschluss vom 23. Oktober 2007, Az. 1 BvR 782/07, BVerfGE 119, 292, juris Rn. 8. 232  BVerfG, Beschluss vom 13. April 2010, Az. 1 BvR 216/07, BVerfGE 126, 1, juris Rn. 34; Kammerbeschluss vom 9. Juli 2020, Az. 1 BvR 1054/20, juris Rn. 3. 233  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 25. April 2005, Az. 1 BvR 644/05, juris Rn. 10; Beschluss vom 16. Juli 2013, Az. 1 BvR 3057/11, BVerfGE 134, 106, juris Rn. 27. 234  Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 90 Rn. 470; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 25. April 2005, Az. 1 BvR 644/05, juris Rn. 10; Beschluss vom 16. Juli 2013, Az. 1 BvR 3057/11, BVerfGE 134, 106, juris Rn. 30.



C. Normative Kompetenzabgrenzung65

bb) Subsidiarität der Rechtssatzverfassungsbeschwerde Dem Subsidiaritätsgrundsatz ist im Rahmen der Rechtssatzverfassungsbeschwerde eine besondere Bedeutung beizumessen.236 Soweit nicht die Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO und § 55a SGG statthaft sind, kommt das Gebot der Rechtswegerschöpfung des § 90 Abs. 2 BVerfGG hier nicht zum Tragen, da im Übrigen für Gesetze unmittelbar kein Rechtsweg eröffnet ist.237 An dessen Stelle tritt das Erfordernis der unmittelbaren Betroffenheit der Beschwerdeführenden.238 Diese Zulässigkeitsvoraussetzung hat das Bundesverfassungsgericht eingeführt, um Verfassungsbeschwerden gegen Rechtssätze zu unterbinden, wenn nicht zuvor ein möglicher Vollzugsakt abgewartet wurde, der seinerseits anzugreifen wäre.239 Die Verfassungsbeschwerde gegen einen Rechtssatz setzt für ihre Zulässigkeit jedoch nicht nur voraus, dass die Beschwerdeführenden durch die Norm unmittelbar betroffen sind.240 In mittlerweile ständiger Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht den Subsidiaritätsgrundsatz auf Rechtssatzverfassungsbeschwerden übertragen.241 Insoweit verlangt es auch hier, dass grundsätzlich keine anderen prozessualen Möglichkeiten zur Verfügung stehen dürfen, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung schon im fachgerichtlichen Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen.242 Das Bundesverfassungsgericht greift im Rahmen der Rechtssatzverfassungsbeschwerde auf den Subsidiaritätsgrundsatz zurück, wenn das angegriffene Gesetz keinen Hoheitsakt voraussetzt, der herbeige-

235  BVerfG, Beschluss vom 16. Juli 2013, Az. 1 BvR 3057/11, BVerfGE 134, 106, juris Rn. 28. 236  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 24. Juni 2015, Az. 1 BvR 1360/15, juris Rn. 10; Lechner/Zuck, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, § 90 Rn. 167; Walter, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 93 Rn. 378. 237  Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 4. Teil Rn. 252 ff.; siehe zur Frage, ob Inzidentkontrollen zum Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 BVerfGG zählen können, nachfolgend S. 122 ff. 238  Bryde, Verfassungsentwicklung, 1982, S.  388; Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 4. Teil Rn. 252. 239  BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 1951, Az. 1 BvR 220/51, BVerfGE 1, 97, juris Rn. 28; Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 4. Teil Rn. 252. 240  Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, §  90 Rn. 402. 241  BVerfG, Beschluss vom 12. Dezember 1984, Az. 1 BvR 1249/83, BVerfGE 68, 319, juris Rn. 18; Urteil vom 18. Dezember 1985, Az. 2 BvR 1167/84, BVerfGE 71, 305, juris Rn. 63; Beschluss vom 2. Dezember 1986, Az. 1 BvR 1509/83, BVerfGE 74, 69, juris Rn. 17. 242  Vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Dezember 1985, Az. 2 BvR 1167/84, BVerfGE 71, 305, juris Rn. 61; Beschluss vom 7. März 2017, Az. 1 BvR 1314/12, BVerfGE 145, 20, juris Rn. 84 ff.

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2. Teil: Verfassungsgerichte und Fachgerichte

führt oder abgewartet werden könnte.243 Das Gericht prüft insoweit die unmittelbare Betroffenheit sowie die Achtung des Subsidiaritätsgrundsatzes häufig parallel.244 Hinsichtlich der vom Bundesverfassungsgericht angeführten alternativen Rechtsschutzmöglichkeiten ist zu differenzieren. Eine effektive prinzipale Normenkontrolle von Parlamentsgesetzen ist bereits aufgrund der Aussetzungs- und Vorlagepflicht in Art. 100 Abs. 1 GG ausgeschlossen.245 Nur für wenige rein materielle Rechtssätze besteht über § 47 VwGO und § 55a SGG ein Rechtsweg gegen Gesetze im Sinne des § 90 Abs. 2 BVerfGG.246 Im Übrigen verbleibt die Möglichkeit der inzidenten Kontrolle der angegriffenen Norm. Abhängig von der jeweiligen Ausgangslange können Rechtsuchende die inzidente Kontrolle an den Fachgerichten bewirken, ohne dass die Frage der Wirksamkeit der Rechtsnorm hier zum eigentlichen Streitgegenstand erhoben würde.247 Vor diesem Hintergrund kann von Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Gesetze keine Rede sein.248 In verwaltungsgerichtlichen Anfechtungssituationen kommt der Grundsatz der Subsidiarität aufgrund des Erfordernisses der unmittelbaren Betroffenheit kaum zum Tragen. Ohne einen möglichen Vollzugsakt fehlt es den Beschwerdeführenden grundsätzlich bereits an der unmittelbaren Betroffenheit, sodass es eines Rückgriffs auf den Subsidiaritätsgrundsatz nicht weiter bedarf. Exemplarisch kann hingegen eine vorrangige inzidente Kontrolle über eine Verpflichtungsklage erzielt werden, nachdem die Rechtsuchenden erfolglos bei der zuständigen Behörde eine im betroffenen Rechtssatz vorgesehene (Ausnahme-)Genehmigung beantragt haben.249 Parallel kann Verwaltungshandeln ohne Regelungswirkung wiederum eine inzidente Kontrolle 243  Vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Dezember 1985, Az. 2 BvR 1167/84, BVerfGE 71, 305, juris Rn. 61; Beschluss vom 7. März 2017, Az. 1 BvR 1314/12, BVerfGE 145, 20, juris Rn. 84 ff.; Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 90 Rn. 503. 244  Vgl. etwa BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 10. Oktober 2001, Az. 1 BvR 1970/95, juris Rn. 13; Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 90 Rn. 505 unter Verweis auf BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 28. Januar 2014, Az. 1 BvR 573/11, juris Rn.  3 ff. 245  Zur Frage, inwieweit hier auch der Rechtswegausschluss für verfassungsrechtliche Streitigkeit entgegenstünde, nachfolgend S. 180 ff. 246  Vgl. aus der jüngeren Rechtsprechung etwa BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 15. Juli 2020, Az. 1 BvR 1630/20, juris Rn. 8 ff. 247  Zu inzidenten und prinzipalen Kontrollmöglichkeiten nachfolgend S. 115 ff. 248  Vgl. bereits Posser, Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, 1993, S. 454. In der vorliegenden Untersuchung wird insoweit die Bezeichnung der Rechtsschutzmöglichkeiten betreffend Gesetze bevorzugt verwendet. 249  Vgl. Lechner/Zuck, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, § 90 Rn. 167; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 30. März 2020, Az. 1 BvR 843/18, juris Rn. 10 ff.



C. Normative Kompetenzabgrenzung67

über die verwaltungsprozessuale Leistungsklage ermöglichen.250 Daneben kommt in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten insbesondere die hier zentrale verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO als vorrangiges Rechtsschutzinstrument in Betracht. Im Rahmen der Subsidiaritätsrechtsprechung hat diese zuletzt erheblich an Bedeutung gewonnen. Wie bereits einleitend angemerkt, verweist das Bundesverfassungsgericht die Beschwerdeführenden in Rechtssatzverfassungsbeschwerden zunehmend auf die Feststellungsklage, um inzidente Normenkontrollen zu initiieren.251 Derartige Feststellungsklagen sind dann etwa mit dem Feststellungsziel zu erheben, dass zwischen den Rechtsuchenden und dem Klagegegner aufgrund der Ungültigkeit der streitentscheidenden Norm kein Rechtsverhältnis besteht.252 Im Rahmen dieser Inzidentkontrollen soll dann die Verfassungsmäßigkeit der jeweiligen Norm grundsätzlich bloße Vorfrage der fachgerichtlichen Klage sein.253 In der Literatur wird jedoch zunehmend angenommen, dass durch diese Ausprägung des Subsidiaritätsgrundsatzes eine „heimliche Normen­kontrolle“254 mittels Feststellungsklage eingeführt wird, was schließlich auf eine verdeckte prinzipale Normenkontrolle hinausliefe.255 Der Grundsatz, dass an den Fachgerichten keine Kontrollmöglichkeiten für (formelle) Rechtssätze bestehen, drohe leerzulaufen.256 Eine Auseinandersetzung mit dieser Kritik im Schrifttum sowie Ausführungen zu den Sachurteilsvoraussetzungen dieser normbezogenen Feststellungsklage, ihrer Entwicklung in der Rechtsprechung sowie zu den Auswirkungen auf den Subsidiaritätsgrundsatz bleiben dem nachfolgenden dritten Teil dieser Untersuchung vorbehalten.257

250  Vgl. Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, § 90 Rn. 207; Niesler, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 12. Ed. 2021, § 90 Abs. 2 Rn. 82. 251  Siehe exemplarisch zuvor Fn. 2. 252  So etwa bei BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 19. November 2018, Az. 1 BvR 1335/18, juris Rn. 5. 253  Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, §  90 Rn. 405; Detterbeck, AöR 136 (2011), 222, 262. 254  Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 12.  Aufl. 2021, §  18 Rn.  8; ders., in: FS Schenke, 2011, S. 803, 807; Möstl, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 60. Ed. 2022, § 43 Rn. 29; kürzlich etwa auch Bender, NVwZ-Extra 9b 2020, 1, 4. 255  So Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, § 90 Rn. 407; ähnlich auch Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 4. Teil Rn. 255; a.  A. bereits früher Warmke, Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, 1993, S.  174 ff. 256  Lechner/Zuck, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, § 90 Rn. 167a. 257  Siehe nachfolgend S. 134 ff.

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2. Teil: Verfassungsgerichte und Fachgerichte

b) Materielle Subsidiarität Neben der formellen Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde beruft sich das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung auf den Grundsatz der materiellen Subsidiarität. Anders als mit der formellen Subsidiarität stellt das Bundesverfassungsgericht hier bestimmte Anforderungen an das Verhalten der Beschwerdeführenden beim Beschreiten des Rechtswegs im Sinne des § 90 Abs. 2 BVerfGG.258 Diese lassen sich in Vortragsobliegenheiten hinsichtlich Tatsachen einerseits und Rügeobliegenheiten hinsichtlich Verfahrensfehler und Verfassungsverstöße andererseits systematisieren.259 aa) Vortragsobliegenheit Grundsätzlich verlangt das Bundesverfassungsgericht, dass bereits beim Durchlaufen des Rechtswegs im Sinne des § 90 Abs. 2 BVerfGG alle entscheidungserheblichen Tatsachen vorgetragen werden. Neuer Tatsachenvortrag im Verfassungsbeschwerdeverfahren ist damit grundsätzlich ausgeschlossen.260 Dies soll nur dann nicht gelten, wenn es den Beschwerdeführenden nicht möglich war, entsprechend vor den Fachgerichten vorzutragen und sie dies geltend machen.261 bb) Rügeobliegenheit (1) Prozessuale Rügen Weiterer Bestandteil der materiellen Subsidiarität ist die Obliegenheit der Beschwerdeführenden, bestimmte prozessuale Rügen zu erheben. Machen sie vor dem Bundesverfassungsgericht eine Verletzung ihrer Verfahrensgrundrechte (Art. 101 Abs. 1 Satz 2, 103 Abs. 1 GG) geltend, obliegt es ihnen nicht nur, die Verfahrensrügen etwa mittels der Anhörungsrügeverfahren grundsätzlich bereits vor den Fachgerichten zu erheben, sondern auch zum

258  BVerfG, Beschluss vom 11. Juni 1991, Az. 1 BvR 772/90, BVerfGE 84, 203, juris Rn. 14; Beschluss vom 10. November 2015, Az. BvR 2056/12, BVerfGE 140, 229, juris Rn. 10. 259  Vgl. Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 4. Teil Rn. 248 f. 260  St. Rspr. vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 3. Oktober 1989, Az. 1 BvR 1245/88, BVerfGE 81, 22, juris Rn. 27 f.; Beschluss vom 9. November 2004, Az. 1 BvR 684/98, BVerfGE 112, 50, juris Rn. 40; Nichtannahmebeschluss vom 15. August 2014, Az. 2 BvR 969/14, juris Rn. 33 ff. 261  BVerfG, Beschluss vom 3. Oktober 1989, Az. 1 BvR 1245/88, BVerfGE 81, 22, juris Rn. 28.



C. Normative Kompetenzabgrenzung69

Verfahrensfehler bei Beschreiten des Rechtswegs – etwa im Revisionsverfahren – entsprechend vorzutragen.262 (2) Rüge von Verfassungsverstößen (a) Grundsatz Vielbesprochen ist die Frage, ob es den Beschwerdeführenden darüber ­ inaus obliegen soll, bereits im fachgerichtlichen Verfahren zu rein verfash sungsrechtlichen Gesichtspunkten vorzutragen und ob sie anderenfalls mit ihrem verfassungsrechtlichen Vortrag vor dem Bundesverfassungsgericht präkludiert sind.263 Hierzu stellte sich die Rechtsprechungslinie der Spruchkörper am Bundesverfassungsgericht über lange Zeit uneinheitlich dar.264 So wurde in der Kammerrechtsprechung etwa gefordert, dass bereits vor den Fachgerichten verfassungsrechtlich vorzutragen ist, wobei sich die Beschwerdeführenden nicht darauf beschränken durften, lediglich vermeintlich einschlägige verfassungsrechtliche Gesichtspunkte zu benennen.265 Entscheidungen des Ersten Senats waren nicht eindeutig, gingen aber in eine ähnliche Richtung.266 Vereinzelt klang auch beim Zweiten Senat eine entsprechende Obliegenheit an, wobei der Senat in anderen Entscheidungen eine solche eher abzulehnen schien.267 Diese Unsicherheiten beseitigte das Bundesver262  BVerfG, Beschluss vom 11. Juni 1991, Az. 1 BvR 772/90, BVerfGE 84, 203, juris Rn. 14; Beschluss vom 9. November 2004, Az. 1 BvR 684/98, BVerfGE 112, 50, juris Rn. 40; Lechner/Zuck, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, § 90 Rn. 162a; zur Rügeobliegenheit bei Vorlagemöglichkeit zum EuGH BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 2011, Az. 1 BvR 1916/09, BVerfGE 129, 78, juris Rn. 60 ff., Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 90 Rn. 497 sowie Berkemann, DVBl 2019, 333, 334. 263  Siehe nur Bender, NJW 1988, 808 ff.; Posser, Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, 1993, S.  199  ff.; Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, § 90 Rn. 419 ff.; Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 93 Rn. 36; Lechner/Zuck, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, § 90 Rn. 162 ff. 264  Hierzu Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 4. Teil Rn. 248. 265  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 29. Februar 2000, Az. 2 BvR 2033/98, juris Rn. 5 f.; ferner BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 11. März 2004, Az. 2 BvR 1394/00, juris Rn. 11. 266  BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 1970, Az. 1 BvR 692/70, BVerfGE 29, 277, juris Rn. 14; Beschluss vom 11. Juni 1991, Az. 1 BvR 772/90, BVerfGE 84, 203, juris Rn. 14; offenlassend etwa BVerfG, Beschluss vom 12. Dezember 1984, Az. 1 BvR 180/84, BVerfGE 68, 334, juris Rn. 3 und BVerfG, Beschluss vom 8. Januar 1985, Az. 1 BvR 830/83, BVerfGE 68, 384, juris Rn. 17. 267  BVerfG, Beschluss vom 27. Juli 1971, Az. 2 BvR 443/70, BVerfGE 31, 364, juris Rn. 9; Beschluss vom 11. Oktober 1978, Az. 2 BvR 214/76, BVerfGE 49, 325, juris Rn. 12; kritisch BVerfG, Beschluss vom 13. Januar 1987, Az. 2 BvR 209/84, BVerfGE 74, 102, juris Rn. 33.

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2. Teil: Verfassungsgerichte und Fachgerichte

fassungsgericht mit zwei eindeutigen Entscheidungen des Ersten Senats aus den Jahren 2004 und 2011.268 Das Gericht entschied, dass Rechtsuchende grundsätzlich nicht verpflichtet wären, bereits im fachgerichtlichen Verfahren zu verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten vorzutragen. Es obliege ihnen nicht, das Verfahren bereits von Beginn an als „Verfassungsprozess“ zu führen.269 Der Senat führte aus, dass sich die Beschwerdeführenden im Ausgangsverfahren regelmäßig damit begnügen können, auf eine für sie günstige Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts hinzuwirken, ohne dass ihnen dadurch prozessuale Nachteile im Verfassungsbeschwerdeverfahren erwachsen würden. Es sei gerade Aufgabe der rechtsprechenden Organe, das Klagebegehren auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen, wenn dafür Anlass besteht.270 Eine „Konstitutionalisierung“ des fachgerichtlichen Verfahrens und dessen Überfrachtung mit verfassungsrechtlichen Fragen werde mithin vermieden.271 Die Literatur führt diese Begrenzung der materiellen Subsidiarität im Kern auf das Prinzip iura novit curia zurück.272 Der in allen deutschen Prozessordnungen zur Anwendung kommende Grundsatz besagt, dass die Rechtsanwendung Sache der Gerichte und nicht der Parteien ist.273 Je nach Prozessordnung obliegt es den Parteien lediglich, substantiiert in ihrer Sache tatsächlich vorzutragen.274 Dieser Grundsatz soll nur dann zu durchbrechen sein, wenn eine Prozessordnung die materielle Präklusion an ein Rügeversäumnis knüpft, wie etwa die §§ 344 Abs. 2, 352 268  BVerfG, Beschluss vom 9. November 2004, Az. 1 BvR 684/98, BVerfGE 112, 50, juris Rn. 38 ff. und BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 2011, Az. 1 BvR 1916/09, BVerfGE 129, 78, juris Rn. 61 ff.; so mittlerweile auch in der Kammerrechtsprechung BVerfG, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 31. Oktober 2019, Az. 1 BvQ 79/19, juris Rn. 4; wobei sich Kammern vereinzelt weiterhin auf eine entsprechende Rügeobliegenheit berufen, vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 6. Mai 2019, Az. 2 BvR 1429/16, juris Rn. 8; dazu Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 90 Rn. 502. 269  BVerfG, Beschluss vom 9. November 2004, Az. 1 BvR 684/98, BVerfGE 112, 50, juris Rn. 40; so später auch BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26. Februar 2016, Az. 1 BvR 2836/14, juris Rn. 8; Nichtannahmebeschluss vom 10. März 2017, Az. 1 BvR 201/14, juris Rn. 8. 270  BVerfG, Beschluss vom 9. November 2004, Az. 1 BvR 684/98, BVerfGE 112, 50, juris Rn. 39. 271  Ebd., Rn. 40. 272  Bender, AöR 112 (1987), 169, 170; Träger, in: FS Geiger, 1989, S. 762, 774 f.; Schorkopf, AöR 130 (2005), 465, 488; Warmke, Die Subsidiarität der Verfassungs­ beschwerde, 1993, S. 116 ff.; Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, § 90 Rn. 420 ff.; Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 4. Teil Rn. 249. 273  Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 4. Teil Rn. 249. 274  Nach der römischen Rechtsregel da mihi factum, dabo tibi ius; vgl. dazu Groh, in: Creifelds, Rechtswörterbuch, 27. Ed. 2021, iura novit curia; zur Anwendbarkeit im Verfassungsprozess Lechner/Zuck, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, Einl. Rn. 108.



C. Normative Kompetenzabgrenzung71

Abs. 1 StPO.275 In dieselbe Richtung gehen die auf §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG gestützten Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an die rechtliche Begründung der Verfassungsbeschwerde.276 (b) Ausnahmen Das Bundesverfassungsgericht hat den Verzicht auf eine verfassungsrechtliche Rügeobliegenheit in seinen Entscheidungen aus den Jahren 2004 und 2011 in mehrfacher Hinsicht eingeschränkt: Wie bereits dargestellt, haben Beschwerdeführende bereits dann im fachgerichtlichen Verfahren zu verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten vorzutragen, wenn sie beabsichtigen, Verfahrensgrundrechte aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG geltend zu machen.277 Darüber hinaus sollen Rechtsuchende grundsätzlich dann die Gerichte im Ausgangsverfahren mit verfassungsrechtlichen Fragen befassen müssen, wenn sie bei verständiger Würdigung der Rechtslage und der jeweiligen Verfahrenssituation nur in dem Fall mit ihrem B ­ egehren durchdringen können, dass verfassungsrechtliche Erwägungen ­bereits in das fachgerichtliche Verfahren eingeführt werden.278 Liegt ein s­ olcher Ausnahmefall vor, obliege es den Beschwerdeführenden „das Erforderliche“ zu veranlassen, damit sich die Fachgerichte mit den verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten des Falls befassen.279 So lägen die Dinge, wenn die fachgerichtlichen Verfahrensordnungen vorsehen, dass Anträge auf Zulassung eines Rechtsmittels oder die Rechtsmittel selbst auf die Verletzung von Verfassungsrecht zu stützen sind, vgl. § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO und § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.280 Außerdem greife diese Ausnahme insbesondere für den Fall, dass der Ausgang des fachgerichtlichen Verfahrens von der Verfassungswidrigkeit einer streitgegenständlichen Vorschrift abhängt.281 Diese wäre ohne einen entsprechenden Vortrag nicht zu begründen, sodass das fachgerichtliche Verfah275  Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, §  90 Rn. 420, Fn. 2332. 276  In st. Rspr. BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2011, Az. 2 BvR 2500/09, BVerfGE 130, 1, juris Rn. 96; Nichtannahmebeschluss vom 22. Juli 2020, Az. 2 BvR 1249/20, juris Rn. 2; Lechner/Zuck, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, § 90 Rn. 162, Fn. 830; Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, § 90 Rn. 420. 277  Siehe zuvor S. 68. 278  BVerfG, Beschluss vom 9. November 2004, Az. 1 BvR 684/98, BVerfGE 112, 50, juris Rn. 41; Beschluss vom 19. Juli 2011, Az. 1 BvR 1916/09, BVerfGE 129, 78, juris Rn. 62. 279  BVerfG, Beschluss vom 9. November 2004, Az. 1 BvR 684/98, BVerfGE 112, 50, juris Rn. 41. 280  Ebd. 281  Ebd.; so angewendet in BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 30. März 2011, Az. 1 BvR 1146/08, juris Rn. 12 ff.

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2. Teil: Verfassungsgerichte und Fachgerichte

ren obsolet wäre.282 In Form einer Rückausnahme verweist das Gericht die Beschwerdeführenden in diesen Konstellationen dann nicht auf das Ausgangsverfahren, wenn es sich um solche Fragen handelt, zu deren Prüfung die Gerichte ohnehin aufgrund ihrer allgemeinen Prüfungspflicht aus Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG verpflichtet sind.283 Die Literatur erweitert den Ausnahmenkatalog des Bundesver­fassungsgerichts um vorwerfbares oder unredliches Fehlverhalten der Beschwerdeführenden, wobei das Bundesverfassungsgericht in diesen Fällen die Verfassungsbeschwerde auch am fehlenden Rechtsschutzbedürfnis scheitern lassen könnte.284 (c) Kritik Im Kern hat diese Rechtsprechungslinie des Bundesverfassungsgerichts zur materiellen Subsidiarität in der Literatur überwiegend Zuspruch erfahren.285 Vereinzelt werden jedoch die Weite der Ausnahmen sowie die verschiedenen Begründungselemente kritisiert.286 Grundlegender fällt die Kritik von Lechner/Zuck aus.287 Sie sprechen sich dafür aus, dass die Beschwerdeführenden grundsätzlich den erforderlichen verfassungsrechtlichen Vortrag bereits im Ausgangsverfahren zu erbringen haben. Dies gelte unter der Prämisse, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Fachgerichte den ersten Zugriff auf verfassungsrechtliche Fragen haben. Es sei zuvorderst ihre Aufgabe, gegen Verfassungsverstöße Rechtsschutz zu gewähren.288 Dafür müsse das jeweilige Fachgericht jedoch überhaupt erst in die Lage versetzt werden, dieser Aufgabe nachkommen zu können. Ohne

282  Schlaich/Korioth, BVerfG, 12.  Aufl. 2021, 4. Teil Rn.  249; Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 90 Rn. 500. 283  BVerfG, Beschluss vom 12. Oktober 2011, Az. 2 BvR 633/11, BVerfGE 129, 269, juris Rn. 33. 284  Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, §  90 Rn. 424; Warmke, Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, 1993, S. 120. 285  Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, §  90 Rn. 421a; Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 90 Rn. 502; Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 4. Teil Rn. 249; Papier, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. III, 2009, § 80 Rn. 19; Linke, NJW 2005, 2190, 2191 f. 286  Linke, NJW 2005, 2190, 2192; Pestalozza, Die echte Verfassungsbeschwerde, 2007, Rn.  67 ff. 287  Wenn auch im Ergebnis zustimmend Lechner/Zuck, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, § 90 Rn. 162c, Fn. 840. 288  In st. Rspr. BVerfG, Beschluss vom 26. Januar 1988, Az. 1 BvR 1561/82, BVerfGE 77, 381, juris Rn. 64; Beschluss vom 25. März 1992, Az. 1 BvR 1859/91, BVerfGE 86, 15, juris Rn. 37.



C. Normative Kompetenzabgrenzung73

entsprechenden Vortrag könne und würde das angerufene Fachgericht im Regelfall verfassungsrechtliche Fragen nicht prüfen.289 Der Gedanke von Lechner/Zuck könnte gewährleisten, dass die Fachgerichte die vom Bundesverfassungsgericht so statuierte Aufgabenverteilung bestmöglich wahren können. Es ist ohne Weiteres nachzuvollziehen, dass sich die Gerichte eher mit verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten auseinandersetzen, wenn die Rechtsuchenden ihnen diese bereits in den jeweiligen Schriftsätzen offen präsentieren. Bei dieser Sichtweise darf jedoch nicht in den Hintergrund geraten, dass die Fachgerichte – soweit Verfassungsrelevanz besteht – über die Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG ohnehin verpflichtet sind, eigenständig Rechtsschutz gegen Verfassungsverstöße zu gewährleisten. Diese den Gerichten von Verfassung wegen auferlegte Aufgabe kann nicht durch ein zu weites Verständnis der Art. 94 Abs. 2 Satz 2 GG und § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG auf die Rechtsuchenden abgewälzt werden.290 Dies erscheint nur in Ausnahmefällen, wie vom Bundesverfassungsgericht entschieden, geboten. Damit dürfte für die Beschwerdeführenden auch keine erhebliche Belastung einhergehen. In den genannten Konstellationen wird es für sie regelmäßig auf der Hand liegen, einen Verfassungsverstoß vor Gericht geltend zu machen.291 4. Rechtfertigung des Subsidiaritätsgrundsatzes durch das Bundesverfassungsgericht Das Bundesverfassungsgericht rechtfertigt den Subsidiaritätsgrundsatz in mehrfacher Hinsicht. Diese Rechtfertigungsansätze erklären, warum der Subsidiaritätsgrundsatz nach dem Verständnis des Bundesverfassungsgerichts „eine generelle Aussage über die Aufgabenverteilung zwischen Bundesverfassungsgericht und den Fachgerichten“292 enthalte. a) Feststellung der Tatsachen- und Rechtsgrundlagen durch die Fachgerichte In ständiger Rechtsprechung begründet das Bundesverfassungsgericht den Subsidiaritätsgrundsatz damit, dass das Gericht „nicht auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage weitreichende Entscheidungen treffen muss, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, § 90 Rn. 162, 162c. abermals BVerfG, Beschluss vom 12. Oktober 2011, Az. 2 BvR 633/11, BVerfGE 129, 269, juris Rn. 33. 291  So auch Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 90 Rn. 502 und Schlaich/ Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 4. Teil Rn. 249. 292  BVerfG, Beschluss vom 2. Dezember 1986, Az. 1 BvR 1509/83, BVerfGE 74, 69, juris Rn. 18. 289  Lechner/Zuck, 290  Vgl.

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2. Teil: Verfassungsgerichte und Fachgerichte

sondern zunächst die für die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts primär zuständigen Fachgerichte die Sach- und Rechtslage vor einer Anrufung des Bundesverfassungsgerichts aufgearbeitet haben“.293 Das Bundesverfassungsgericht erkennt hier einen besonderen Sachverstand der Fachgerichten an. So könnten bei der Prüfung durch die sachnäheren Gerichte möglicherweise für die verfassungsrechtliche Prüfung erhebliche Tatsachen identifiziert werden.294 Gegenläufig zur anders andeutenden Formulierung in § 26 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG („Das Bundesverfassungsgericht erhebt den zur Erforschung der Wahrheit erforderlichen Beweis.“), entscheidet das Gericht regelmäßig auf Grundlage des von Fachgerichten ermittelten Tatsachenmaterials.295 Das Bundesverfassungsgericht ist insoweit zumindest in den Fällen, in denen bereits eine fachgerichtliche Sachverhaltsaufarbeitung vorliegt – anders als etwa in Parteiverbots-, Grundrechtsverwirkungs- oder auch Nichtanerkennungsverfahren nach § 18 Abs. 4a BWahlG –, nach wohl herrschender Auffassung keine „Tatsacheninstanz“.296 Damit wird der Grundsatz nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG durchbrochen.297 Gesetzlich verankert ist eine entsprechende Möglichkeit in § 33 Abs. 2 BVerfGG.298 Der Norm liege der Gedanke zugrunde, dass die Beweiserhebung grundsätzlich nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts sei.299 Sauer stellt zutreffend heraus, dass die Vorschrift mithin der Aufgabenverteilung unter dem Bundesverfassungsge-

293  BVerfG, Beschluss vom 18. Dezember 2018, Az. 1 BvR 2795/09, BVerfGE 150, 309, juris Rn. 42; vgl. ferner etwa BVerfG, Beschluss vom 11. Oktober 1988, Az. 1 BvR 777/85, BVerfGE 79, 1, juris Rn. 58; Beschluss vom 14. Januar 1998, Az. 1 BvR 1995/94, BVerfGE 97, 157, juris Rn. 35; Nichtannahmebeschluss vom 30. März 2020, Az. 1 BvR 843/18, juris Rn. 12. 294  BVerfG, Beschluss vom 11. Oktober 1988, Az. 1 BvR 777/85, BVerfGE 79, 1, juris Rn. 58. 295  Kritisch dazu Bartmann, Das Beweisrecht in den Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, 2020, S. 163 ff. 296  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 9. September 1999, Az. 2 BvR 1343/99, juris Rn. 5; Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 26 Rn. 5; Zöbeley/Dollinger, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, 2. Aufl. 2005, § 26 Rn. 6; Lepsius, in: Je­ staedt/Lepsius/Möllers/Schöneberg, Das entgrenzte Gericht, 2011, S. 159, 207; a. A. Kluth, NJW 1999, 3513, 3516 und jüngst m. w. N. Bartmann, Das Beweisrecht in den Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, 2020, S. 89 ff.; zur Rolle als Tatsacheninstanz in weiteren Verfahrensarten Bryde, in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd. I, 2001, S.  533, 541 ff. 297  Klein, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, § 33 Rn. 7. 298  Das BVerfG stützt den Rückgriff auf fachgerichtlich aufgearbeitetes Tatsachenmaterial hingegen regelmäßig nicht auf diese Regelung, dazu Bartmann, Das Beweisrecht in den Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, 2020, S. 163 ff. 299  BVerfG, Beschluss vom 23. Oktober 1958, Az. 1 BvR 458/58, BVerfGE 8, 222, juris Rn. 15.



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richt und den Fachgerichten entspricht.300 Würde das Gericht im Sinne des § 26 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG regelmäßig eine eigenständige Beweisaufnahme durchführen, könnte damit eine unvertretbare, dem Entlastungsgedanken zuwiderlaufende, Mehrbelastung einhergehen.301 Bereits die personelle Ausstattung des Bundesverfassungsgerichts zeigt im Vergleich zur Fachgerichtsbarkeit im Allgemeinen, dass es diese Aufgabe nicht vollumfänglich selbst wahrnehmen kann: Das Gericht setzt sich aus zwei Senaten (§ 2 Abs. 1 BVerfGG) mit je acht Richtern (§ 2 Abs. 2 BVerfGG) zusammen. Daneben bestehen in beiden Senaten mehrere Kammern, die jeweils mit drei Richtern besetzt sind (§ 15a Abs. 1 BVerfGG). Die 16 Richter werden wiederum von wissenschaftlichen Mitarbeitern – in der Praxis hat sich die Anzahl von vier Arbeitsstellen durchgesetzt302 – unterstützt (§ 13 Abs. 1 GO-BVerfG).303 Mit dieser vergleichsweise dünnen Personaldecke kann das Gericht offensichtlich nicht im selben Maße wie eine ausdifferenzierte Fachgerichtsbarkeit die erforderliche Aufarbeitung der Tatsachenlage gewährleisten.304 Die Klärung einfachrechtlicher Fragen im Rahmen des Ausgangsverfahrens ist für das Bundesverfassungsgericht ebenfalls von wesentlicher Bedeutung. Insbesondere wenn die maßgeblichen Vorschriften verschiedene Auslegungsmöglichkeiten zulassen, nimmt das Gericht die Fachgerichte in die Pflicht, die einfache Rechtslage aufzuarbeiten. Je nach Auslegung komme es zu unterschiedlichen Auswirkungen auf die als verletzt gerügten Grundrechte sowie auf Art und Umfang der Betroffenheit der Beschwerdeführenden.305 Auch soweit nicht die Auslegung bestimmter Normen in Rede steht, können einfachrechtliche Fragestellungen entscheidend sein. Machen Beschwerdeführende etwa die Verletzung ihrer Eigentumsfreiheit nach Art. 14 Abs. 1 GG geltend, muss für eine Entscheidung darüber in einem ersten Schritt festgestellt werden, ob sie in der konkreten Situation überhaupt Eigentum im Sinne

in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 12. Ed. 2021, § 33 Rn. 13. in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, § 33 Rn. 7. 302  Zur aktuellen Rolle der Wissenschaftlichen Mitarbeiter, Hiéramente, ZRP 2020, 56. 303  Grundlegend etwa Klein, in: GS Nagelmann, 1984, S. 377; zur Entlastung des Bundesverfassungsgerichts durch die wissenschaftlichen Mitarbeiter Faller, in: FS Benda, 1995, S. 43, 44 ff. 304  Bickenbach, Die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, 2014, S. 484; vgl. auch Bartmann, Das Beweisrecht in den Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, 2020, S. 207. 305  BVerfG, Kammerbeschluss vom 25. August 1992; Az. 1 BvR 1502/91, juris Rn. 25 ff.; Nichtannahmebeschluss vom 16. Juli 2015, Az. 1 BvR 1014/13, juris Rn. 12; Beschluss vom 7. März 2017, Az. 1 BvR 1314/12, BVerfGE 145, 20, juris Rn.  85 f. 300  Sauer, 301  Klein,

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des § 903 BGB innehaben.306 Aufgrund ihrer Sachnähe sind in erster Linie die Fachgerichte dazu berufen, über entsprechende Fragen zu befinden.307 Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts obliegt den Fachgerichten nicht nur die Aufarbeitung der Sach- und einfachen Rechtslage, sondern auch die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des angewendeten Rechts. Auch wenn primärer Prüfungsmaßstab der Fachgerichte das einfache Recht ist, sind sie an die Grundrechte und das weitere Verfassungsrecht gebunden (Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG).308 Ohne dass die Beschwerdeführenden Verfassungsverstöße im Rechtszug entsprechend rügen, dürfte es – insbesondere vor Zivil- und Strafgerichten – jedoch die Ausnahme bleiben, dass die Fachgerichte sich vertieft mit verfassungsrechtlichen Fragen auseinandersetzen.309 Anderes dürfte jedoch regelmäßig für Ausgangsverfahren im Hinblick auf Normenkontrollverfahren gelten. Bemühen die Rechtsuchenden hier – aufgrund der Anforderungen des Subsidiaritätsgrundsatzes – anstelle des Bundesverfassungsgerichts zunächst die Fachgerichte, werden diese sich in aller Regel mit der Verfassungsmäßigkeit der in Rede stehenden Norm befassen müssen.310 Gelangt ein Fachgericht zu der Überzeugung, dass die streitentscheidende Norm verfassungswidrig ist, hat es die Gründe für diese Erkenntnis im Einzelnen im Vorlagebeschluss nach Art. 100 Abs. 1 GG darzulegen. Selbst in dem Fall, dass sämtliche Fachgerichte im Instanzenzug nicht zu dieser Überzeugung kommen, dürften sich die Gerichte dennoch mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Norm auseinandergesetzt haben, soweit der jeweilige Rechtsbehelf nicht bereits aus anderen Gründen scheitert. In Verfahren, in denen der Ausgang desselben im Wesentlichen von der Verfassungsmäßigkeit einer Norm abhängt, ist zu erwarten, dass die Beschwerdeführenden die Gerichte mit ihrem Vortrag zu einer entsprechenden Prüfung

306  Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Juni 1992, Az. 1 BvR 1028/91, BVerfGE 86, 382, juris Rn. 22. 307  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 29. November 2000, Az. 1 BvR 630/93, juris Rn. 27; Nichtannahmebeschluss vom 10. Oktober 2001, Az. 1 BvR 1970/95, juris Rn. 31. 308  BVerfG, Dreierausschussbeschluss vom 19. Dezember 1979, Az.  1 BvR 1001/79, juris Rn. 3; Urteil vom 14. Mai 1996, Az. 2 BvR 1516/93, BVerfGE 94, 166, juris Rn. 154; eingehend verfassungsrechtlich prüfend etwa VGH Bayern, Urteil vom 17. Dezember 2012, Az. 10 BV 09.2641, juris Rn. 65 ff. 309  Vgl. zur materiellen Subsidiarität bereits zuvor S. 68 ff. sowie Lechner/Zuck, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, § 90 Rn. 162, 162c. 310  Vgl. aus der Praxis etwa VGH Bayern, Urteil vom 17. Dezember 2012, Az. 10 BV 09.2641, juris Rn. 65 ff.; VG Bremen, Beschluss vom 9. Juli 2015, Az. 5 K 171/13, juris Rn. 84 ff.; VG Arnsberg, Beschluss vom 23. Mai 2016, Az. 8 K 3614/15, juris Rn. 62 ff.; VG Oldenburg, Urteil vom 7. August 2017, Az. 5 A 726/15, juris Rn.  35 ff.



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am Maßstab des Verfassungsrechts veranlassen.311 In diesen Fällen liegt dem Bundesverfassungsgericht für die etwaig folgende Urteilsverfassungsbeschwerde ebenfalls das in mehreren Instanzen geprüfte Tatsachenmaterial sowie insbesondere auch die Fallanschauung der obersten Bundesgerichte312 vor. Zu beachten ist jedoch, dass das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, dass allein verfassungsrechtliche Erwägungen der Fachgerichte dem Subsidiaritätsgrundsatz nicht gerecht werden. Soweit es auf die Auslegung einfachen Rechts ankommt, entfalle die Pflicht zur fachgerichtlichen Prüfung nicht, selbst wenn bereits ein oberstes Bundesgericht zur Verfassungsmäßigkeit der fraglichen Norm Stellung genommen hat.313 Zuck steht diesem Rechtfertigungsansatz kritisch gegenüber. Für ihn habe der Subsidiaritätsgrundsatz hinsichtlich der Feststellung von Tatsachen- und Rechtsgrundlagen keine eigenständige Bedeutung. Das Bundesverfassungsgericht wiederhole hier im Ergebnis lediglich die Erfordernisse zur Begründung der Verfassungsbeschwerde nach §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG, zu welchen auch die Fallanschauung der Fachgerichte zähle.314 In der Tat ist Zweck des Begründungserfordernisses nach § 92 BVerfGG, das Bundesverfassungsgericht in die Lage zu versetzen, ohne Weiteres über den geltend gemachten Verfassungsverstoß zu befinden.315 Es bedürfe über den Wortlaut der Regelung hinaus grundsätzlich etwa auch einer „umfassenden einfachrechtlichen und verfassungsrechtlichen Aufbereitung der Rechtslage“.316 Insoweit ist Zuck zuzustimmen, dass sich die Zielsetzungen der Begründungspflicht sowie des Subsidiaritätsgrundsatzes hier inhaltlich überschneiden. Allerdings liegt auf der Hand, dass Beschwerdeführende – neben eigenen tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen – (natürlich) nur dann auch die Fallanschauung der Fachgerichte in ihre Begründung mitaufnehmen können, wenn die Gerichte überhaupt mit der Sache zu befassen waren. Eine vergleichbare Aufarbeitung der Sach- und Rechtslage, wie sie die Fachgerichte leisten können, kann den Beschwerdeführenden nicht abverlangt werden. 311  Vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. November 2004, Az.  1 BvR 684/98, BVerfGE 112, 50, juris Rn. 41; Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 4. Teil Rn. 249; Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 90 Rn. 500. 312  BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 1986, Az. 1 BvR 1384/85, BVerfGE 72, 39, juris Rn. 16; Beschluss vom 10. Mai 1988, Az. 1 BvR 111/77, BVerfGE 78, 155, juris Rn. 15. 313  BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017, Az. 1 BvR 1314/12, BVerfGE 145, 20, juris Rn. 87. 314  Zuck, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, 5. Aufl. 2017, 1. Kapitel Rn. 70. 315  BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2018, Az. 2 BvR 1961/09, BVerfGE 149, 346, juris Rn. 25; Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 92 Rn. 1. 316  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 8. September 2017, Az. 1 BvR 984/17, juris Rn. 21; kritisch zu dieser Entscheidung Wißmann, ZevKr 2018, 209.

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b) Entwicklung einer gefestigten Rechtsprechung der Fachgerichte Ist in erster Linie die Auslegung des einfachen Rechts Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde, rechtfertigt das Bundesverfassungsgericht den Subsidiaritätsgrundsatz auch damit, dass es nicht in eine laufende Entwicklung der Rechtsprechung eingreifen dürfe.317 Das Gericht hat hierzu ausgeführt, dass es den Aufgabenbereich der Fachgerichte beträfe, wenn es vorweg gegenständliches einfaches Recht auslegen würde. Damit würde der Raum für die weitere Entwicklung der fachgerichtlichen Rechtsprechung beschnitten. Das öffentliche Interesse, dies zu vermeiden, wiege – zumindest im entschiedenen Fall – so schwer, dass die Interessen des Beschwerdeführers zurücktreten mussten.318 Das Gericht kommt hier darauf zurück, dass der Subsidiaritätsgrundsatz eine generelle Aussage über die Aufgabenverteilung zwischen dem Bundesverfassungsgericht und den Fachgerichten enthalte und vorrangig Letztere Rechtsschutz gewähren. Gegenüber der bloßen Forderung nach der Feststellung der Tatsachen- und Rechtsgrundlagen durch das sachnähere Gericht geht das Bundesverfassungsgericht hier jedoch einen Schritt weiter. Fordert es eine gefestigte Rechtsprechung, scheint das Gericht vorauszusetzen, dass sich nicht nur die Fachgerichte des Instanzenzugs im konkret zum Bundesverfassungsgericht gebrachten Fall geäußert haben. Vielmehr scheint es hier für erforderlich zu halten, dass sich innerhalb der jeweiligen Fachgerichtsbarkeit eine einheitliche gefestigte Rechtsprechungslinie – in der Regel erzielt durch bundesgerichtliche Entscheidungen –, unabhängig vom gegenständlichen Fall, herausgebildet hat. Für Beschwerdeführende dürfte es eine nicht unerhebliche Hürde darstellen, wenn sie zu beurteilen haben, ob sich die fachgerichtliche Rechtsprechung zu einer konkreten Rechtsfrage bereits gefestigt hat. c) Entlastung Allein im Jahr 2020 gingen 5.194 Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht ein (knapp 93,9 Prozent aller Eingänge).319 Um derer 317  BVerfG, Beschluss vom 25. März 1992, Az. 1 BvR 1859/91, BVerfGE 86, 15, juris Rn. 38; Urteil vom 27. September 2005, Az. 2 BvR 1387/02, BVerfGE 114, 258, juris Rn. 89; Nichtannahmebeschluss vom 16. Juli 2015, Az. 1 BvR 1014/13, juris Rn. 4. Nach Warmke soll verhindert werden, dass die Fachgerichtsbarkeit umgangen und insoweit „ausgehöhlt“ wird, ders., Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, 1993, S. 36. 318  BVerfG, Beschluss vom 25. März 1992, Az. 1 BvR 1859/91, BVerfGE 86, 15, juris Rn. 38. 319  Jahresstatistik 2020 des Bundesverfassungsgerichts, S. 7, abrufbar unter https:// www.bundesverfassungsgericht.de/DE/Verfahren/Jahresstatistiken/2020/gb2020/ Gesamtstatistik %202020.pdf?__blob=publicationFile&v=2, letzter Abruf am 22. Februar 2022.



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Herr zu werden, steht hinter den vorgenannten Erwägungen in praktischer Hinsicht im Kern ein Entlastungsgedanke.320 Mit der angestrebten möglichst umfänglichen Prüfung der Beschwer durch die Fachgerichte soll das Bundesverfassungsgericht entlastet werden und frei sein, um seine eigentliche Aufgabe des Verfassungsschutzes zu erfüllen.321 Die Entlastung wird einerseits dadurch bezweckt, dass einer Grundrechtsverletzung durch effektiven Verfassungsschutz bereits im fachgerichtlichen Verfahren abgeholfen werden kann. Grundrechtsbeeinträchtigungen durch normatives Unrecht können die Fachgerichte durch Nichtanwendung der streitigen Norm abhelfen, soweit es sich um untergesetzliche Rechtssätze handelt. Doch auch wenn ein Parlamentsgesetz (mittelbar) angegriffen wird, bestehen Abhilfemöglichkeiten. Ist eine verfassungskonforme Auslegung der fraglichen Regelungen im Sinne der Rechtsuchenden möglich,322 kann das angerufene Gericht etwaigen Beeinträchtigungen abhelfen, ohne die Wirksamkeit der Vorschriften anzuzweifeln. Daneben kann das jeweilige Fachgericht etwa auch zu dem Ergebnis kommen, dass die Rechtsuchenden den in Rede stehenden Bestimmungen – gegebenenfalls entgegen der Auffassung der zuständigen Behörde – überhaupt nicht unterfallen.323 Sie wären mithin bereits keine Normadressaten, sodass sie nicht (länger) in ihren Rechten betroffen wären. Darüber hinaus findet sich der Entlastungsgedanke im Erfordernis der Feststellung der Tatsachenund Rechtsgrundlagen wieder. Vermitteln die Fachgerichte dem Bundesverfassungsgericht eine umfassende Fallanschauung, kann das Gericht von einer weiteren Aufarbeitung absehen und sich auf die verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte konzentrieren. Hinter dem Entlastungsgedanken steht wiederum der übergeordnete Zweck, die Funktionsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts zu gewährleisten. So könne das „System auf die Dauer nur funktionsfähig sein, wenn weitgehende Möglichkeiten der Selbstkontrolle der Fachgerichtsbarkeiten, entweder im

320  Sodan, DÖV 2002, 925, 927 f.; Lübbe-Wolff, EuGRZ 2004, 669, 682; kritisch Posser, Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, 1993, S. 353 ff. 321  BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 1955, Az. 1 BvR 108/52, BVerfGE 4, 193, juris Rn. 12; Dreierausschussbeschluss vom 15. Mai 1963, Az. 2 BvR 106/63, BVerfGE 16, 124, juris Rn. 10; Dreierausschussbeschluss vom 26. Januar 1978, Az. 1 BvR 1200/77, BVerfGE 47, 144, juris Rn. 6; Beschluss vom 19. Juli 2000, Az. 1 BvR 539/96, BVerfGE 102, 197, juris Rn. 47; Nichtannahmebeschluss vom 27. Juni 2007, Az. 1 BvR 1470/07, juris Rn. 14; Nichtannahmebeschluss vom 30. Mai 2012, Az. 1 BvR 2292/11, juris Rn. 8. 322  Vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 25. März 1992, Az. 1 BvR 1859/91, juris Rn. 38; grundlegend zur verfassungskonformen Auslegung Prümm, Verfassung und Methodik, 1977, S. 56 ff.; dogmatisch und zu spezifischen Gefahren der verfassungskonformen Auslegung Voßkuhle, AöR 125 (2000), 177. 323  Posser, Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, 1993, S. 458.

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2. Teil: Verfassungsgerichte und Fachgerichte

Rechtszuge oder in der Instanz selbst, zur Verfügung stehen“.324 Das Institut der Verfassungsbeschwerde sei wie kaum ein anderes Verfahren „der Gefahr eines Missbrauchs oder übermäßigen Gebrauchs ausgesetzt“, welche ohne weitere Einschränkungen die Funktionsfähigkeit des Gerichts aufgrund seiner weitreichenden Zuständigkeiten und „seiner begrenzten, gesetzlich festgelegten personellen Kapazitäten ernsthaft beeinträchtigen wür­de“.325 Die Rechtfertigung des Subsidiaritätsgrundsatzes mit der Funktionsfähigkeit des Gerichts als Verfassungsorgan vermag die kritisierte „lose“ normative Anknüpfung des Subsidiaritätsgrundsatzes an § 90 Abs. 2 BVerfGG und Art. 94 Abs. 2 Satz 2 GG erklären.326 Stellt man für die Begründung des Subsidiaritätsgrundsatzes auf funktionelle Gesichtspunkte ab, kann über § 90 Abs. 2 BVerfGG und Art. 94 Abs. 2 Satz 2 GG hinaus eine normative Anknüpfung in der grundgesetzlichen Ausgestaltung des Rechtsschutzsystems gesehen werden. Das Bundesverfassungsgericht leitet aus dem umfassenden Rechtsschutzsystem die Aufgabe der Gerichte ab, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten bei Verfassungsverletzungen Rechtsschutz zu gewähren.327 Diese Aufgabe folgt für die Fachgerichte aus Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG. Diesen Regelungen lässt sich zwar kein Vorrang der fachgerichtlichen Rechtsprechung auch in Verfassungsfragen gegenüber der verfassungsgerichtlichen entnehmen,328 doch stützen sie in der Zusammenschau mit § 90 Abs. 2 BVerfGG und Art. 94 Abs. 2 Satz 2 GG die Begründung des Subsidiaritätsgrundsatzes. 5. Ausnahmen Eng umgrenzt sind Ausnahmen vom Gebot der Rechtswegerschöpfung und der Subsidiarität vorgesehen. § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG normiert zwei solcher Ausnahmefälle. Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht mit seiner Zumutbarkeitsrechtsprechung ungeschriebene Ausnahmetatbestände geschaffen. Hiermit zeigen der Gesetzgeber und das Bundesverfas324  BVerfG, Beschluss vom 30. Juni 1976, Az. 2 BvR 164/76, BVerfGE 42, 243, juris Rn. 12; ferner BVerfG, Beschluss vom 28. Juni 1972, Az. 1 BvR 105/63, BVerfGE 33, 247, juris Rn. 32; Beschluss vom 3. April 1979, Az. 1 BvR 1460/78, BVerfGE 51, 130, juris Rn. 18. 325  BVerfG, Beschluss vom 3. April 1979, Az. 1 BvR 1460/78, BVerfGE 51, 130, juris Rn. 18. 326  Zur Kritik bereits zuvor S. 58 ff. 327  BVerfG, Beschluss vom 9. November 2004, Az. 1 BvR 684/98, BVerfGE 112, 50, juris Rn. 39. 328  So auch Posser, Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, 1993, S. 347 f., der die Bindung der Fachgerichtsbarkeit über Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG vielmehr als „Ursache des Abgrenzungsproblems“ sieht.



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sungsgericht, dass es im Einzelfall gerechtfertigt sein kann, von dem Grundsatz abzuweichen, dass der erste Zugriff auf verfassungsrechtliche Fragen durch die Fachgerichte zu erfolgen hat. In diesen Fällen hat der hinter den Subsidiaritätsgrundsätzen stehende Entlastungsgedanke zurückstehen. a) Vorabentscheidung, § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG aa) Allgemeines Das Bundesverfassungsgericht kann über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde (§ 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG). Das Gesetz eröffnet damit die Möglichkeit einer sogenannten Vorabentscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Als Ausnahmevorschrift soll § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG eng auszulegen sein, um dem Wesensmerkmal des außerordentlichen Rechtsbehelfs der Verfassungsbeschwerde und der „besonderen Funktion des Bundesverfassungsgerichts in dem umfassenden Rechtsschutzsystem des Grundgesetzes“ Rechnung zu tragen.329 Eine Vorabentscheidung sei nur gerechtfertigt, wenn diese „offensichtlich geboten“ ist.330 Die Möglichkeit der Vorabentscheidung ermöglicht es den Beschwerdeführenden nicht, von der Erschöpfung des Rechtswegs im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG abzusehen oder versäumte Prozesshandlungen zu heilen. Eine Vorabentscheidung setzt voraus, dass der Rechtsweg zum Zeitpunkt der Erhebung der Verfassungsbeschwerde schon beschritten ist oder zumindest noch beschritten werden kann und entsprechend mit der Ver­ fassungsbeschwerde gerügte Verletzungen bereits in den vorangegangenen In­stanzen geltend gemacht wurden.331 329  BVerfG, Beschluss vom 28. November 1967, Az. 1 BvR 515/63, BVerfGE 22, 349, juris Rn. 20; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 8. Januar 1985, Az. 1 BvR 700/83, BVerfGE 68, 376, juris Rn. 15 und BVerfG, Beschluss vom 18. Juni 1985, Az. 2 BvR 414/84, BVerfGE 70, 180, juris Rn. 20; kritisch dazu unter Verweis auf die allgemeinen Auslegungsgrundsätze Lechner/Zuck, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, § 90 Rn. 176. 330  BVerfG, Dreierausschussbeschluss vom 13. Juni 1958, Az. 1 BvR 346/57, BVerfGE 8, 38, juris Rn. 7; Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, § 90 Rn. 397. 331  In st. Rspr. etwa BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 1960, Az. 1 BvR 413/57, BVerfGE 11, 244, juris Rn. 2; Dreierausschussbeschluss vom 15. Mai 1963, Az. 2 BvR 106/63, BVerfGE 16, 124, juris Rn. 10; Beschluss vom 28. November 1967, Az. 1 BvR 515/63, BVerfGE 22, 349, juris Rn. 17.

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2. Teil: Verfassungsgerichte und Fachgerichte

Es gilt zu beachten, dass der Gesetzgeber dem Bundesverfassungsgericht in Sachen Vorabentscheidung einen Ermessensspielraum zuerkannt hat („kann“).332 Das Bundesverfassungsgericht sieht in Anlehnung an die dargelegten Rechtfertigungsgründe für die Entwicklung des Subsidiaritätsgrundsatzes von einer Vorabentscheidung etwa dann ab, wenn es – soweit entscheidungserheblich – ohne Feststellung der Tatsachen- und Rechtsgrundlagen entscheiden müsste.333 Sinn und Zweck des § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG, den Beschwerdeführenden den Rechtsweg zu ersparen,334 begrenzen den Ermessensspielraum.335 Auch wenn Beschwerdeführende nur selten Vorab­ entscheidungen erzielen können,336 öffnet § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG so dem Bundesverfassungsgericht Tür und Tor, um ohne vorausgehende fachgerichtliche Prüfung in Verfassungsbeschwerdeverfahren zu entscheiden.337 bb) Anwendbarkeit auf den Subsidiaritätsgrundsatz Seinem Wortlaut nach ist der § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG nur auf das Gebot der Rechtswegerschöpfung anzuwenden. Konsequenterweise wendet das Bundesverfassungsgericht die Norm jedoch analog auch auf den Subsidiaritätsgrundsatz an.338 Der erweiterte Anwendungsbereich der Vorabentscheidung kommt – wie bereits der Subsidiaritätsgrundsatz selbst – insbesondere beim Rechtsschutz gegen Gesetze zum Tragen.339 Aufgrund der abstrakten Wirkung von Rechtsnormen liegt eine allgemeine Bedeutung der Verfas332  BVerfG, Beschluss vom 23. Oktober 1958, Az. 1 BvR 458/58, BVerfGE 8, 222, juris Rn. 13 ff.; Nichtannahmebeschluss vom 9. März 2018, Az. 2 BvR 174/18, juris Rn. 15; Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020 § 90 Rn. 521; Kment, in: Jarass/ Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 93 Rn. 43. 333  BVerfG, Beschluss vom 23. Oktober 1958, Az. 1 BvR 458/58, BVerfGE 8, 222, juris Rn. 15; Beschluss vom 9. Januar 1962, Az. 1 BvR 662/59, BVerfGE 13, 284, juris Rn. 14; Beschluss vom 20. Juni 2017, Az. 1 BvR 1978/13, BVerfGE 145, 365, juris Rn. 19. 334  Kingreen/Poscher, Grundrechte Staatsrecht II, 37. Aufl. 2021, § 35 Rn. 1325. 335  Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 90 Rn. 521; Niesler, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 12. Ed. 2021, § 90 Abs. 2 Rn. 168. 336  Siehe für prozesstaktische Erwägungen nachfolgend S. 262 ff. 337  Schlaich/Korioth, BVerfG, 12.  Aufl. 2021, 4. Teil Rn. 251; vgl. etwa die knappe Begründung der allgemeinen Bedeutung im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG bei BVerfG, Beschluss vom 14. Juli 1999, Az. 1 BvR 995/95, BVerfGE 101, 54, juris Rn. 103. 338  In st. Rspr. BVerfG, Urteil vom 23. April 1991, Az. 1 BvR 1170/90, BVerfGE 84, 90, juris Rn. 112; Nichtannahmebeschluss vom 15. Juli 2020, Az. BvR 1630/20, juris Rn. 12; Nichtannahmebeschluss vom 16. Juli 2020, Az. 1 BvR 1614/20, juris Rn. 7. 339  Lechner/Zuck, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, § 90 Rn. 180.



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sungsbeschwerde – dazu sogleich – näher, wenn es (zumindest mittelbar) auf die Verfassungsmäßigkeit der in Rede stehenden Vorschrift ankommt.340 cc) Voraussetzungen einer Vorabentscheidung Das Bundesverfassungsgericht kann über eine Verfassungsbeschwerde vorab entscheiden, wenn diese von allgemeiner Bedeutung ist oder den Beschwerdeführenden schwere und unabwendbare Nachteile entstünden, falls diese zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würden. Eine Verfassungsbeschwerde hat allgemeine Bedeutung, wenn „sie die Klärung grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Fragen erwarten lässt und über den Fall der Beschwerdeführer hinaus zahlreiche gleich gelagerte Fälle praktisch mitentschieden werden“.341 Diese Alternative des § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG spiegelt damit die objektiv-rechtliche Zielsetzung der Verfassungsbeschwerde wider.342 Das Bundesverfassungsgericht nahm früher eine allgemeine Bedeutung insbesondere in solchen Fällen an, in denen der Ausgang maßgeblich von der Verfassungsmäßigkeit von Rechtsnormen abhing.343 Dass eine abstrakt-generelle Regelung Gegenstand des Verfahrens ist, kann jedoch offensichtlich für sich noch keine Vorabentscheidung aufgrund allgemeiner Bedeutung der Sache rechtfertigen. Anderenfalls wäre eine Subsidiarität der Rechtssatzverfassungsbeschwerde nicht zu begründen. Insoweit müssen im Einzelfall weitere Gesichtspunkte hinzutreten.344 Eine Vorabentscheidung wegen eines schweren und unabwendbaren Nachteils für die Beschwerdeführenden ist demgegenüber Ausfluss der subjektiv-

340  So etwa bei BVerfG, Urteil vom 14. Dezember 1965, Az. 1 BvR 606/60, BVerfGE 19, 268, juris Rn. 12 und BVerfG, Urteil vom 23. April 1991, Az. 1 BvR 1170/90, BVerfGE 84, 90, juris Rn. 112; ablehnend im Rahmen einer Rechtssatzverfassungsbeschwerde BVerfG, Urteil vom 18. Dezember 1985, Az. 2 BvR 1167/84, BVerfGE 71, 305, juris Rn. 85. 341  BVerfG, Beschluss vom 7. Oktober 2003, Az. 1 BvR 1712/01, BVerfGE 108, 370, juris Rn. 68. 342  Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, §  90 Rn. 398; Niesler, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 12. Ed. 2021, § 90 Abs. 2 Rn. 158; Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 4. Teil Rn. 251. 343  Vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. September 1952, Az.  1 BvR 612/52, BVerfGE 1, 418, juris Rn. 7; Urteil vom 20. Juli 1954, Az. 1 BvR 459/52, BVerfGE 4, 7, juris Rn. 12; ausführliche Übersicht bei Zuck/Eisele, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, 6. Aufl. 2022, 2. Kapitel Rn. 547. 344  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 5. Dezember 2005, Az. 1 BvR 13/05, juris Rn. 8; dazu Detterbeck, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 94 Rn. 19 m. w. N.; so auch Bettermann, AöR 86 (1961), 129, 149 f.

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rechtlichen Zielsetzung der Verfassungsbeschwerde.345 Wann ein Nachteil für die Beschwerdeführenden „schwer“ wiegt, lässt sich nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht allgemein bestimmen, sondern soll sich nach den Umständen des Einzelfalls richten.346 Maßgeblich soll ein besonders intensiver Grundrechtseingriff sein, der später nicht mehr zu beseitigen ist.347 Der Verweis auf den Rechtsweg muss nach dem Wortlaut des § 90 Abs. 2 Satz 2 a. E. BVerfGG auch kausal für den schweren und unabwendbaren Nachteil sein, sodass der fachgerichtliche Rechtsschutz nicht geeignet sein darf, dem erwarteten Nachteil abzuhelfen.348 Angenommen hat das Bundesverfassungsgericht einen solchen Nachteil etwa wegen Unerreichbarkeit des Rechtsschutzziels aufgrund hohen Alters des Beschwerdeführers349 oder wegen eines besonders schwer wiegenden Eingriffs in die persönliche Freiheit im Sinne der Art. 2 Abs. 2 Satz 2, 104 Abs. 1 GG.350 b) Grenze der Zumutbarkeit Neben der gesetzlich festgehaltenen Möglichkeit der Vorabentscheidung hat das Bundesverfassungsgericht Kriterien entwickelt, anhand derer es bestimmt, ob es für die Beschwerdeführenden im konkreten Einzelfall un­ zumutbar ist, vorab die Fachgerichte zu bemühen. Ursprünglich hat das Bundesverfassungsgericht die Zumutbarkeitsgrenzen für das Gebot der Rechtswegerschöpfung ausgearbeitet,351 doch wendet es diese auch auf den allgemeinen Subsidiaritätsgrundsatz an.352 345  Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, §  90 Rn. 399; Niesler, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 12. Ed. 2021, § 90 Abs. 2 Rn. 161; Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 4. Teil Rn. 251. 346  Zum ersetzten Vorprüfungsverfahren nach § 91a BVerfGG a. F. BVerfG, Beschluss vom 21. Januar 1959, Az. 1 BvR 800/58, BVerfGE 9, 120, juris Rn. 4. 347  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 9. März 2018, Az. 2 BvR 174/18, juris Rn. 16; Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, § 90 Rn. 399. 348  Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 90 Rn. 528; Niesler, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 12. Ed. 2021, § 90 Abs. 2 Rn. 166. 349  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 28. Juni 2004, Az. 2 BvR 1379/01, juris Rn. 33. 350  BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 21. Mai 2004, Az. 2 BvR 715/04, juris Rn. 18. 351  Vgl. zur Aussichtslosigkeit des fachgerichtlichen Rechtsschutzes BVerfG, Beschluss vom 3. Dezember 1958, Az. 1 BvR 488/57, BVerfGE 9, 3, juris Rn. 18 f. 352  St. Rspr. vgl. nur BVerfG, Urteil vom 18. Dezember 1985, Az. 2 BvR 1167/84, BVerfGE 71, 305, juris Rn. 63 und BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2009, Az. 2 BvR 890/06, BVerfGE 123, 148, juris Rn. 150; Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 1991, § 12 Rn. 49.



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Eine allgemeingültige Definition des Begriffs der „Unzumutbarkeit“ liefert das Bundesverfassungsgericht nicht.353 Um die stetig erweiterten Zumutbarkeitsgrenzen zu kategorisieren, bietet sich im Wesentlichen eine Unterteilung in die nachfolgenden Fallgruppen an.354 aa) Prozessuale Aspekte Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts soll es den Beschwerdeführenden unter prozessualen Gesichtspunkten grundsätzlich unzumutbar sein, den Rechtsweg zu erschöpfen, wenn sie einen Rechtsbehelf aufgrund einer nicht erfolgten oder falschen Rechtsbehelfsbelehrung nicht eingelegt haben,355 wenn ein Fachgericht den Beschwerdeführenden Prozesskostenhilfe mit der Begründung versagt, es bestünden keine hinreichenden Erfolgsaussichten,356 wenn die Beschwerdeführenden den Rechtsweg bereits einmal erfolglos beschritten haben und kein anderes Ergebnis zu erwarten ist357 oder wenn für sie nicht ersichtlich ist, welcher Rechtsweg einschlägig ist.358 bb) Materielle Aspekte Bedeutender für die vorliegende Untersuchung sind die materiellen Gesichtspunkte, auf die das Bundesverfassungsgericht seine Zumutbarkeitsrechtsprechung stützt.

353  Niesler, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 12. Ed. 2021, § 90 Abs. 2 Rn. 170. 354  Untergliederung in Anlehnung an Posser, Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, 1993, S. 108 ff. und Zuck/Eisele, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, 6. Aufl. 2022, 2. Kapitel Rn. 560 ff. 355  BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 2017, Az. 2 BvR 2003/14, BVerfGE 146, 294, juris Rn. 22; kritisch dazu Niesler, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 12. Ed. 2021, § 90 Abs. 2 Rn. 181. 356  BVerfG, Beschluss vom 10. Mai 1988, Az. 1 BvR 482/84, BVerfGE 78, 179, juris Rn. 34; Kammerbeschluss vom 5. August 1994, Az. 1 BvR 1402/89, juris Rn. 19. 357  BVerfG, Urteil vom 24. März 1981, Az. 1 BvR 1516/78, BVerfGE 56, 363, juris Rn. 54. 358  BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 1964, Az. 2 BvR 411/61, BVerfGE 17, 252, juris Rn. 9; Beschluss vom 14. Oktober 1969, Az. 1 BvR 30/66, BVerfGE 27, 88, juris Rn. 25.

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(1) Nicht mehr zu korrigierende Dispositionen Ursprünglich als Ausnahme vom Erfordernis der Betroffenheit der Beschwerdeführenden entwickelt,359 hält es das Bundesverfassungsgericht mittlerweile auch im Rahmen der Subsidiarität von Rechtssatzverfassungsbeschwerden für unzumutbar, den Beschwerdeführenden aufzuerlegen, die Fachgerichte zu bemühen, wenn sie dadurch veranlasst würden, nicht mehr zu korrigierende Dispositionen zu treffen.360 Dies hat das Gericht etwa für eine Verfassungsbeschwerde angenommen, mit der eine Regelung angegriffen wurde betreffend die Verminderung von Anwartschaften auf Versichertenrenten. Das Gericht argumentierte hier, dass nur im Fall einer alsbaldigen Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Regelungen die Beschwerdeführenden rechtzeitig Dispositionen für eine etwaige ergänzende Altersversorgung treffen könnten.361 (2) Sinn- und aussichtsloser fachgerichtlicher Rechtsschutz Weiter verzichtet das Bundesverfassungsgericht im Einzelfall auf das Erfordernis der Rechtswegerschöpfung, soweit fachgerichtlicher Rechtsschutz sinn- bzw. aussichtslos ist.362 Dies kann etwa der Fall sein, wenn aufgrund eindeutiger Gesetzeslage363 oder entgegenstehender gefestigter Rechtsprechung364 keine Erfolgsaussichten für die Beschwerdeführenden bestehen. Daneben hat der Erste Senat im Jahr 2000 entschieden, dass die Beschwerdeführenden ebenfalls darauf verzichten können, das behördliche Erlaubnisund anschließende Klageverfahren zu durchlaufen, wenn die Verfassungsmäßigkeit einer Norm in Rede steht, die der Exekutive keinen Ermessens- oder Beurteilungsspielraum hinsichtlich des Begehrens der Rechtsuchenden zuspricht.365 Inwieweit diese Entscheidung heute noch Anwendung finden 359  Vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Februar 1977, Az. 1 BvF 1/76, BVerfGE 43, 291, juris Rn. 212. 360  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 19. November 2018, Az. 1 BvR 1335/18, juris Rn. 4; Nichtannahmebeschluss vom 30. März 2020, Az. 1 BvR 843/18, juris Rn. 13. 361  BVerfG, Beschluss vom 1. Juli 1981, Az. 1 BvR 874/77, BVerfGE 58, 81, juris Rn. 90. 362  In st. Rspr. etwa BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 2000, Az. 1 BvR 539/96, BVerfGE 102, 197, juris Rn. 50; Beschluss vom 18. Dezember 2018, Az. 1 BvR 2795/09, BVerfGE 150, 309, juris Rn. 45. 363  BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2009, Az. 2 BvR 890/06, BVerfGE 123, 148, juris Rn.  150 ff. 364  BVerfG, Beschluss vom 11. Oktober 1966, Az. 2 BvR 489/65, BVerfGE 20, 271, juris Rn. 12; Beschluss vom 8. Januar 1985, Az. 1 BvR 700/83, BVerfGE 68, 376, juris Rn. 15.



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kann, erscheint durchaus fraglich. Nach jüngerer Rechtsprechung können Beschwerdeführende sonstige prozessuale Rechtsschutzmöglichkeiten gegenüber Rechtssätzen in diesem Kontext nicht länger unbeachtet lassen. Das Bundesverfassungsgericht betont mittlerweile – wohl in ständiger Rechtsprechung –, dass der Rechtsweg auch grundsätzlich dann zu durchlaufen ist, wenn das in Rede stehende Gesetz keinen Auslegungs-, Ermessens- oder Beurteilungsspielraum offenlässt, der es den Fachgerichten erlauben würde, „die geltend gemachte Grundrechtsverletzung kraft eigener Entscheidungskompetenz zu vermeiden“.366 Nach der zitierten jüngeren Rechtsprechung sind die Fachgerichte auch in diesen Fällen zu bemühen, selbst wenn dies bestenfalls dazu führt, dass das jeweilige Gericht die Sache nach Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorlegt. Insoweit dürfte die zitierte Entscheidung aus dem Jahr 2000 überholt sein. Den Wendepunkt dürfte dabei die zitierte Entscheidung des Ersten Senats aus dem Jahr 2009 darstellen. In Bezugnahme auf seine frühere Rechtsprechung verweist der Senat zwar noch darauf, dass die Sinn- und Aussichtslosigkeit auch darin bestehen kann, dass der Misserfolg eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens von vornherein feststeht, weil die betroffene Norm der Verwaltung keinen Ermessens- oder Beurteilungsspielraum einräumt.367 Allerdings relativiert das Gericht diese Aussage und verweist auf den vorrangigen verwaltungsgericht­ lichen Rechtsschutz, der hier nur ausnahmsweise nicht einzuholen war, da der konkrete Sachverhalt allein spezifisch verfassungsrechtliche Fragen aufgeworfen haben soll.368 Diese Rechtsprechungslinie erscheint insoweit konsequent, als das Bundesverfassungsgericht den Subsidiaritätsgrundsatz über den Entlastungsgedanken nicht nur mit etwaigen fachgerichtlichen Abhilfemöglichkeiten rechtfertigt, sondern auch mit einer umfassenden Aufarbeitung der Sach- und Rechtslage durch die sachnäheren Fachgerichte. 365  BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 2000, Az. 1 BvR 539/96, BVerfGE 102, 197, juris Rn. 50; zuvor bereits zur Frage der Betroffenheit BVerfG, Beschluss vom 23. November 1976, Az. 1 BvR 150/75, BVerfGE 43, 108, juris Rn. 21; bestätigt durch BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2015, Az. 1 BvR 931/12, BVerfGE 138, 261, juris Rn. 23. 366  BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2009, Az. 2 BvR 890/06, BVerfGE 123, 148, juris Rn. 154; Nichtannahmebeschluss vom 25. Juni 2015, Az. 1 BvR 555/15, juris Rn. 8; Nichtannahmebeschluss vom 16. Juli 2015, Az. 1 BvR 1014/13, juris Rn. 10; Nichtannahmebeschluss vom 4. Oktober 2016, Az. 1 BvR 1704/16, juris Rn. 3; Nicht­annahmebeschluss vom 2. Mai 2018, Az. 1 BvR 3250/14, juris Rn. 13; Nichtannahmebeschluss vom 19. November 2018, Az. 1 BvR 1335/18, juris Rn. 3. 367  BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2009, Az. 2 BvR 890/06, BVerfGE 123, 148, juris Rn. 150. 368  „Jedenfalls unter diesen Bedingungen ist die vorherige Ausschöpfung des Rechtswegs dem Beschwerdeführer […] nicht zumutbar“, BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2009, Az. 2 BvR 890/06, BVerfGE 123, 148, juris Rn. 154; zur Unzumutbarkeit in diesen Fällen sogleich.

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Einschränkend nimmt das Bundesverfassungsgericht die Unzumutbarkeit aufgrund von Sinn- und Aussichtslosigkeit des Rechtsbehelfs lediglich dann an, wenn dies „offensichtlich“369 ist oder die Erfolgsaussichten zumindest „höchst zweifelhaft“370 sind.371 Einfache Zweifel an den Erfolgsaussichten reichen nach ständiger Rechtsprechung nicht aus. Dies gilt insbesondere für die Fälle, in denen unklar ist, ob ein entsprechender Rechtsbehelf statthaft ist und im zu entscheidenden Fall in zulässiger Weise eingelegt werden kann.372 Grundsätzlich genügt jedoch nicht, dass Rechtsprechung zugunsten der ­Zulässigkeit des Rechtsbehelfs in der konkreten Fallgestaltung noch nicht vorliegt.373 Aus der Aufgabenverteilung unter Fach- und Verfassungsgerichtsbarkeit folge gerade, dass Erstere dafür zuständig sei, über streitige Zulässigkeitsfragen zu entscheiden.374 (3) Allein verfassungsrechtlicher Sachverhalt In jüngerer Zeit verweist das Bundesverfassungsgericht die Beschwerdeführenden vermehrt auch dann nicht auf die Fachgerichte, wenn der zu entscheidende Fall allein spezifisch verfassungsrechtliche Fragen aufwirft.375 Dies erscheint unter Berücksichtigung der Rechtfertigung des Subsidiaritätsgrundsatzes nur konsequent. Durch die Inanspruchnahme der Fachgerichte verspricht sich das Bundesverfassungsgericht, seine Entscheidungen auf eine fachgerichtliche Feststellung der Tatsachen- und Rechtsgrundlagen stützen zu können, um so die Funktion der Rechtsprechung in Verfassungsfragen bestmöglich wahrnehmen zu können. Hängt die Beantwortung der zum Bun369  Siehe abermals etwa BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2009, Az. 2 BvR 890/06, BVerfGE 123, 148, juris Rn. 150; Nichtannahmebeschluss vom 2. Mai 2018, Az. 1 BvR 3250/14, juris Rn. 13. 370  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 16. Juni 2014, Az. 1 BvR 1443/12, juris Rn. 12. 371  Eingehend dazu Niesler, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 12. Ed. 2021, § 90 Abs. 2 Rn. 172 ff. 372  Siehe etwa BVerfG, Dreierausschussbeschluss vom 26. März 1963, Az. 1 BvR 451/62, BVerfGE 16, 1, juris Rn. 5; Beschluss vom 8. Januar 1985, Az. 1 BvR 700/83, BVerfGE 68, 376, juris Rn. 16; Beschluss vom 7. März 2017, Az. 1 BvR 1314/12, BVerfGE 145, 20, juris Rn. 85. 373  BVerfG, Beschluss vom 18. Juni 1985, Az. BvR 414/84, BVerfGE 70, 180, juris Rn. 21. 374  BVerfG, Beschluss vom 8. Januar 1985, Az. 1 BvR 700/83, BVerfGE 68, 376, juris Rn. 16 unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 10. Juni 1964, Az. 1 BvR 37/63, BVerfGE 18, 85, juris Rn. 21. 375  Mittlerweile in st. Rspr. etwa BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2009, Az. 2 BvR 890/06, BVerfGE 123, 148, juris Rn. 154; Beschluss vom 30. Juni 2015, Az. 2 BvR 1282/11, BVerfGE 139, 321, juris Rn. 84; Beschluss vom 10. November 2020, Az. 1 BvR 3214/15, BVerfGE 156, 11, juris Rn. 60 f.



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desverfassungsgericht gebrachten Fragen jedoch „allein von der Auslegung und Anwendung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe“376 ab, erscheint eine vorherige Inanspruchnahme der Fachgerichte nicht geboten. Diese könnten hier im Rahmen eines Vorlagebeschlusses nach Art. 100 Abs. 1 GG lediglich ihre Auffassung über die Verfassungsmäßigkeit einer in Rede stehenden Norm mit dem Bundesverfassungsgericht teilen. Die Beschwerdeführenden würden durch einen Verweis auf den Rechtsweg insoweit durch die Verzögerung des Verfahrens unbegründet belastet. Bereits früh erkannte dies auch Bundesverfassungsrichter a. D. Katzenstein, der in einer abweichenden Meinung zu BVerfGE 72, 39 von 1986 bereits darauf abstellte, dass es in derart gelagerten Fällen nicht „der Funktion des Bundesverfassungsgerichts, spezifisch verfassungsrechtliche Fragen alsbald zu klären“, entspreche, wenn hier noch vorab die Fachgerichte bemüht würden.377 Die gegenständliche Mehrheitsmeinung führe daher zu einer „vermeidbaren Verzögerung der Entscheidung, die den Beschwerdeführerinnen nicht zumutbar ist“.378 Eine Systematisierung der „allein verfassungsrechtlichen Sachverhalte“ fällt schwer.379 In der Regel dürfte es auf eine Bewertung im Einzelfall ankommen. So sah das Bundesverfassungsgericht etwa im Fall einer Rechtssatzverfassungsbeschwerde gegen beamtenrechtliche Regelungen betreffend ruhegehaltfähige Dienstbezüge fachgerichtliche Feststellungen nicht als erforderlich an. Eine für die Beschwerdeführenden günstige Auslegung der betroffenen Regelung sei hier aufgrund des eindeutigen Wortlauts nicht in Betracht gekommen. Außerdem habe die angegriffene Regelung auf andere Rechtsgebiete keine Auswirkungen, die die Verfassungsmäßigkeit hätten b ­ eeinflussen können.380 Ähnlich hat das Bundesverfassungsgericht in einem Fall betreffend Regelungen des Thüringer Ladenöffnungsgesetzes vom 24. November 2006381 entschieden. Da hier kein Auslegungsspielraum vorgesehen sei und es im Kern auf Fragen der Gesetzgebungskompetenz ankomme, liege ein entspre376  BVerfG, Urteil vom 27. September 2005, Az. 2 BvR 1387/02, BVerfGE 114, 258, juris Rn. 90. 377  Abweichende Meinung des Richters a. D. Katzenstein zu BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 1986, Az. 1 BvR 1384/85, BVerfGE 72, 39, juris Rn. 30; ähnlich auch bereits BVerfG, Beschluss vom 12. Dezember 1984, Az. 1 BvR 1249/83, BVerfGE 68, 319, juris Rn. 21; später BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 2000, Az. 1 BvR 539/96, BVerfGE 102, 197, juris Rn. 54 und BVerfG, Urteil vom 27. September 2005, Az. 2 BvR 1387/02, BVerfGE 114, 258, juris Rn. 90. 378  Abweichende Meinung des Richters a. D. Katzenstein zu BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 1986, Az. 1 BvR 1384/85, BVerfGE 72, 39, juris Rn. 22, 29. 379  Kritisch auch Zuck, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, 5. Aufl. 2017, 1. Kapitel Rn. 70. 380  BVerfG, Urteil vom 27. September 2005, Az. 2 BvR 1387/02, BVerfGE 114, 258, juris Rn. 90 ff. 381  GVBl. S. 541.

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2. Teil: Verfassungsgerichte und Fachgerichte

chender Ausnahmefall vor.382 Ohne nähere Begründung sah das Bundesverfassungsgericht diesen Ausnahmefall beispielsweise auch im Rahmen der Verfassungsbeschwerden gegen die 13. Novelle des Atomgesetzes383 sowie in der Sache „Antiterrordateigesetz II“384 als gegeben an.385 Demgegenüber stuft das Bundesverfassungsgericht Fälle, in denen es auf die Auslegung einfachen Rechts ankommt, nachvollziehbar nicht als allein verfassungsrechtliche Sachverhalte ein. Exemplarisch kann hier auf den Nichtannahmebeschluss zum Geldwäschegesetz in der Fassung vom 23. Juni 2017386 verwiesen werden, in dem das Gericht dies im Einzelnen detailliert dargelegt hat.387 Die Auslegung der einfachgesetzlichen Vorschriften sei hier wesentlich, da es je nach Auslegung zu unterschiedlichen Auswirkungen auf die geltend gemachten Grundrechte sowie Art und Umfang der Betroffenheit kommen könne.388 Nach eigener Aussage des Bundesverfassungsgerichts handelt es sich bei dieser Ausprägung der Unzumutbarkeit um eine Ausnahme, die auf Fälle beschränkt sei, in denen sich „Beschwerdeführer unmittelbar gegen ein förmliches Gesetz wenden und das fachgerichtliche Verfahren für sie bestenfalls dazu führen kann, dass das angegriffene Gesetz gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt wird“, wie die Kammern des Ersten Senats zu SARS-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnungen entschieden.389 Die Begrenzung auf derartige Fälle ist kritisch zu sehen. Zwar mag der Anwendungsbereich bei Rechtssatzverfassungsbeschwerden gegen Parlamentsgesetze näher liegen, doch kann das Bundesverfassungsgericht auch mit Fragen der Verfassungsmäßigkeit untergesetzlicher Normen befasst werden, die ebenfalls allein verfassungsrechtliche Fragen aufwerfen. Exemplarisch 382  BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2015, Az. 1 BvR 931/12, BVerfGE 138, 261, juris Rn. 24. 383  Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes vom 31. Juli 2011 (BGBl. I S. 1704). 384  Gesetz zur Änderung des Antiterrordateigesetzes und anderer Gesetze vom 18. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2318). 385  BVerfG, Urteil vom 6. Dezember 2016, Az. 1 BvR 2821/11, BVerfGE 143, 246, juris Rn. 211; Beschluss vom 10. November 2020, Az. 1 BvR 3214/15, BVerfGE 156, 11, juris Rn. 60 f. 386  BGBl. I S. 1822. 387  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 19. November 2018, Az. 1 BvR 1335/18, juris Rn.  6 ff. 388  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 16. Juli 2015, Az. 1 BvR 1014/13, juris Rn.  12 f. 389  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 31. März 2020, Az. 1 BvR 712/20, juris Rn. 16; Nichtannahmebeschluss vom 18. April 2020, Az. 1 BvR 829/20, juris Rn. 11; Nichtannahmebeschluss vom 3. Juni 2020, Az. 1 BvR 990/20, juris Rn. 11; Nichtannahmebeschluss vom 15. Juli 2020, Az. 1 BvR 1630/20, juris Rn. 11; Hervorhebung nur hier.



C. Normative Kompetenzabgrenzung91

sind etwa Kompetenzvorschriften des Grundgesetzes zu nennen.390 Das Bundesverfassungsgericht verweist die Beschwerdeführenden damit auch dann auf den fachgerichtlichen Rechtsweg, wenn – im Zusammenhang mit untergesetzlichen Normen – allein spezifisch verfassungsrechtliche Fragen zu klären sind. Mithin spricht es den Fachgerichten die Aufgabe zu, nicht nur die Grundlage für die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu schaffen, sondern auch selbst in derartigen Fällen (Verfassungs-)Recht zu sprechen. Das Gericht begründet dies dabei lediglich mit der fehlenden Vorlagepflicht für untergesetzliche Rechtsnormen im Vergleich zu Art. 100 Abs. 1 GG bei Parlamentsgesetzen.391 Inwieweit sich hier tatsächlich eine Rechtsprechungslinie verfestigt, mag fraglich erscheinen. So erwog erst kürzlich die erste Kammer des Ersten Senats – ebenfalls im Rahmen einer Entscheidung zu untergesetzlichen SARS-CoV-2-­Bestimmungungen –, dass es keiner vorrangigen fachgerichtlichen Prüfung bedürfe, wenn „die Beurteilung einer Norm allein spezifisch verfassungsrechtliche Fragen aufwirft“, ohne diesen Ausnahmefall ausdrücklich auf Parlamentsgesetze zu beschränken.392 Dies überrascht, da es dieselbe Kammer war, die zuvor diese Ausnahme erstmalig explizit auf Parlamentsgesetze beschränkt hat.393 Insoweit bleibt hier die weitere Rechtsprechungsentwicklung zu beobachten. (4) „Damokles-Rechtsprechung“ Wie ebenfalls ursprünglich zum Kriterium der Betroffenheit der Beschwerdeführenden im Rahmen von Rechtssatzverfassungsbeschwerden entwickelt, verweist das Bundesverfassungsgericht Beschwerdeführende nicht darauf, zunächst einen Vollzugsakt abzuwarten und diesen seinerseits anzugreifen, wenn dies eine Zuwiderhandlung gegen Straf- oder Ordnungswidrigkeitentatbestände voraussetzen würde.394 Diesen unter dem Schlagwort „DamoklesRechtsprechung“395 bekannten Grundsatz hat das Bundesverfassungsgericht 390  Vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Dezember 1984, Az. 1 BvR 1249/83, BVerfGE 68, 319, juris Rn. 21. 391  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 31. März 2020, Az. 1 BvR 712/20, juris Rn. 16; Nichtannahmebeschluss vom 15. Juli 2020, Az. 1 BvR 1630/20, juris Rn. 11. 392  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 7. Juni 2021, Az. 1 BvR 1260/21, juris Rn. 6. 393  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 31. März 2020, Az. 1 BvR 712/20, juris Rn. 16. 394  BVerfG, Beschluss vom 18. Oktober 1966, Az. 2 BvR 386/63, BVerfGE 20, 283, juris Rn. 46; Beschluss vom 25. Oktober 1977; Az. 1 BvR 173/75, BVerfGE 46, 246, juris Rn. 22. 395  Die Bezeichnung geht zurück auf BVerwG, Urteil vom 23. Januar 1992, Az. 3 C 50/89, B ­ VerwGE 89, 327, juris Rn. 33.

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2. Teil: Verfassungsgerichte und Fachgerichte

konsequenterweise auch auf den Subsidiaritätsgrundsatz übertragen: Es könne nicht verlangt werden, dass „ein Betroffener vor der Erhebung der Verfassungsbeschwerde gegen eine straf- oder bußgeldbewehrte Rechtsnorm zunächst eine Zuwiderhandlung begeht, um dann im Straf- oder Bußgeldverfahren die Verfassungswidrigkeit der Norm geltend zu machen“.396 Zuweilen legt das Bundesverfassungsgericht diesen Unzumutbarkeitstatbestand großzügig aus. So entschied das Gericht, dass über straf- und bußgeldbewehrte Verbote hinaus ein Beschwerdeführer zudem nicht an die Zivilgerichte zu verweisen war, da dadurch die Gefahr eines Insolvenzverfahrens begründet worden wäre und in diesem Zusammenhang Schadensersatzansprüche Dritter entstanden wären.397 Großzügig wendete das Bundesverfassungsreicht die „Damokles-Rechtsprechung“ auch im bereits erwähnten Verfahren betreffend das Thüringer Ladenöffnungsgesetz an. Hier war ein Verstoß gegen die maßgebliche Regelung weder straf- noch bußgeldbewehrt. Das Gericht hielt es dennoch für unzumutbar, die Beschwerdeführerin an die Fachgerichte zu verweisen, da sie anderenfalls eine Unterlassungsverfügung sowie Zweifel an ihrer gewerberechtlichen Zuverlässigkeit provozieren könnte.398 Ferner soll der Unzumutbarkeit nicht entgegenstehen, dass die zuständige öffentliche Stelle erklärt, Zuwiderhandlungen gegen die fraglichen gesetzlichen Verbote nicht (hier als Ordnungswidrigkeit) zu verfolgen. Das Gericht begründete seine Sichtweise hier damit, dass die Behörde lediglich vage in Aussicht gestellt habe, etwaige Verstöße nicht zu verfolgen.399 Dies überrascht in Anbetracht der üblicherweise strengen Rechtsprechung des Gerichts zum Subsidiaritätsgrundsatz. Demgegenüber scheint das Bundesverfassungsgericht in jüngerer Zeit strengere Maßstäbe anzulegen. In der Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit von Vorschriften des Hessischen Spielhallengesetzes vom 28. Juni 2012400 sah es die zweite Kammer des Ersten Senats nicht als unzumutbar an, zunächst fachgerichtlichen Rechtsschutz zu suchen, obwohl die angegriffenen Vorschriften bußgeldbewehrt waren. Die Beschwerdeführerin solle hier jedoch nicht gegen die jeweiligen Normen verstoßen müssen, um dann im 396  BVerfG, Beschluss vom 14. November 1989, Az. 1 BvL 14/85, BVerfGE 81, 70, juris Rn. 41; in st. Rspr. weiter etwa BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 1998, Az. 1 BvR 1995/94, BVerfGE 97, 157, juris Rn. 35; Nichtannahmebeschluss vom 25. Februar 2004, Az. 1 BvR 2016/01, juris Rn. 50. 397  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 27. Januar 2011, Az. 1 BvR 3222/09, juris Rn.  27 f. 398  BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2015, Az. 1 BvR 931/12, BVerfGE 138, 261, juris Rn. 24. 399  BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 4. Mai 2012, Az. 1 BvR 367/12, BVerfGE 131, 47, juris Rn. 34. 400  GVBl. S. 213.



C. Normative Kompetenzabgrenzung93

Bußgeldverfahren die Verfassungswidrigkeit der Norm rügen zu können. Vielmehr bestand nach Auffassung des Gerichts die Möglichkeit, mithilfe der negativen Feststellungsklage vor den Verwaltungsgerichten fachgerichtlichen Rechtsschutz zu erreichen. Der während des laufenden Verfahrens bestehenden Gefahr der Verfolgung wegen einer Ordnungswidrigkeit könne die Beschwerdeführerin mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gemäß § 123 Abs. 1 VwGO begegnen.401 Zeitlich nachfolgend schlägt in dieselbe Kerbe auch die Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit formell-gesetzlicher landesrechtlicher Einschränkungen für Spielhallen in Berlin, Bayern und im Saarland. Obwohl die betroffenen Vorschriften ganz überwiegend bußgeld­ bewehrt waren, nahm das Bundesverfassungsgericht keinen Fall der Un­ zumutbarkeit an. Die Beschwerdeführerinnen hätten versäumt, ausreichend dazulegen, warum es ihnen nicht zumutbar gewesen sein soll, negative Feststellungsklagen verbundenen mit Anträgen auf einstweiligen Rechtsschutz zu erheben.402 Das Bundesverfassungsgericht griff diese Rechtsprechungslinie erneut mit der bereits zitierten Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit von Vorschriften des Geldwäschegesetzes auf. Auch hier verwies das Gericht die Beschwerdeführenden auf die verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage – gegebenenfalls in Verbindung mit einem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes –, obwohl ein Verstoß gegen die angegriffenen Vorschriften hier ebenfalls bußgeldbewehrt war.403 Im Nachgang an diese Entscheidung bestätigte das Gericht diese Rechtsprechungslinie mehrfach, sodass mittlerweile von einer ständigen Rechtsprechung auszugehen ist.404 Wie bereits in Literatur und Rechtsprechung postuliert,405 kann diese Beschränkung der „Damokles-Rechtsprechung“ allein für Regelungen gelten, deren Verstoß als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden kann. Falls der Verstoß 401  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 16. Juli 2015, Az. 1 BvR 1014/13, juris Rn. 14; ähnlich, aber weniger eindeutig bereits kurz zuvor BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 25. Juni 2015, Az. 1 BvR 555/15, juris Rn. 8 ff.; bestätigt in der Senatsrechtsprechung durch BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017, Az. 1 BvR 1314/12, BVerfGE 145, 20, juris Rn. 86; ähnlich zuvor BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 25. Februar 2004, Az. 1 BvR 2016/01, juris Rn. 50 ff.; beipflichtend aus der Literatur etwa Detterbeck, AöR 136 (2011), 222, 262 f. 402  BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017, Az. 1 BvR 1314/12, BVerfGE 145, 20, juris Rn. 86. 403  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 19. November 2018, Az. 1 BvR 1335/18, juris Rn. 5. 404  Vgl. nur BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 31. März 2020, Az. 1 BvR 712/20, juris Rn. 12; Nichtannahmebeschluss vom 28. Juni 2021, Az. 1 BvR 1727/17, juris Rn. 16. 405  Barczak, in: Modrzejewski/Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. V, 2019, S. 17, 36; Engels, NVwZ 2018, 1001, 1006 f. unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 30. September 1999 Az. 3 C 39/98, juris Rn. 26 und OVG NRW, Beschluss vom 25. August 2017, Az. 13 B 762/17, juris Rn. 24 ff.

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2. Teil: Verfassungsgerichte und Fachgerichte

als Straftat geahndet wird, kann eine verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage verbunden mit einem entsprechenden Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes – soweit diese in entsprechenden Konstellationen überhaupt zulässig wäre406 – grundsätzlich nicht als vorrangiger Rechtsbehelf in Betracht kommen. Eine entsprechende verwaltungsgerichtliche Entscheidung wäre nur für die Ordnungsbehörde, nicht jedoch gegenüber der Staatsanwaltschaft oder Strafgerichten verbindlich, sodass eine strafrechtliche Verfolgung nicht sicher verhindert werden könnte.407 Dies gilt selbst dann, wenn es sich um einen verwaltungsrechtsakzessorischen Straftatbestand handelt, der etwa an die Verletzung einer verwaltungsrechtlichen Pflicht anknüpft.408 Auch hier kann angesichts unterschiedlicher Streitgegenstände und Beteiligter keine unmittelbare Bindungswirkung über § 121 VwGO bestehen.409 Gegen diese Sichtweise spricht auch nicht, dass regelmäßig erwartet werden kann, dass sich die Strafverfolgungsbehörde bzw. das Strafgericht nicht über Feststellungen betreffend die Rechtmäßigkeit eines bestimmten Handelns oder Unterlassens in einer rechtskräftigen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung hinwegsetzen wird.410 Da für diese Stellen der Strafverfolgung gerade keine entsprechende ausdrückliche rechtliche Verpflichtung besteht, darf den Rechtsuchenden insoweit nicht das Strafbarkeitsrisiko auferlegt werden. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist diesbezüglich uneinheitlich. Wie dargelegt, geht das Gericht allgemein davon aus, dass die verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage in Verbindung mit einem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes eine vorrangig zu bemühende Rechtsschutzmöglichkeit außerhalb eines Ordnungswidrigkeiten- oder Straf406  Dazu OVG NRW, Beschluss vom 25. August 2017, Az. 13 B 762/17, juris Rn. 24 ff.; siehe für die Sachurteilsvoraussetzungen entsprechender normbezogener Feststellungsklagen nachfolgend S. 179 ff. 407  So ausdrücklich BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 9. Juli 2020, Az. 1 BvR 2067/17, juris Rn. 25; Barczak, in: Modrzejewski/Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. V, 2019, S. 17, 36; ferner auch BVerfG, Beschluss vom 6. Mai 1987, Az. 2 BvL 11/85, BVerfGE 75, 329, juris Rn. 48; a. A. Detterbeck, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 94 Rn. 20, Fn. 109. 408  Vgl. etwa Normen des Umweltstrafrechts wie § 324a StGB; dazu Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 89. 409  Clausing/Kimmel, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 121 Rn. 41; Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 121 Rn. 12; Quaas/Hartung/Sennekamp/ Huschens/Rieger/Funke-Kaiser/Wilke, in: Quaas/Zuck/Funke-Kaiser, Prozesse in Verwaltungssachen, 3. Aufl. 2018, § 3 Rn. 812; Germelmann, in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 121 Rn. 37; Hansmann, NVwZ 1989, 913, 917; Hammerl, ZLR 1995, 15; a. A. Lässig, NVwZ 1988, 410, 412; eingehend zur Problematik Schenke/Roth, WiVerw 1997, 81, 110 ff. 410  Dazu Clausing/Kimmel, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 121 Rn. 41 und zustimmend Lindner, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 60. Ed. 2022, § 121 Rn. 24; a. A. Detterbeck, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 94 Rn. 20, Fn. 109.



C. Normative Kompetenzabgrenzung95

verfahrens bieten kann.411 Wenig überzeugend verwies etwa die erste Kammer des Ersten Senats betreffend Verbote einer infektionsschutzrechtlichen Rechtsverordnung des Landes Berlin den Beschwerdeführer an die Fachgerichte, obwohl nach Auffassung der Kammer nicht auszuschließen war, dass ein Verstoß gegen die angegriffenen Regelungen nach § 75 Abs. 1 Nr. 1 IfSG als Straftat geahndet werden könnte.412 Parallel entschied jüngst auch die zweite Kammer desselben Senats zum Kulturschutzgesetz vom 31. Juli 2016413, obwohl hier ein Verstoß gegen die angegriffenen Vorschriften sowohl als Ordnungswidrigkeit wie auch als Straftat verfolgt werden kann.414 Diese Entscheidungen überzeugen aufgrund der vorstehenden Erwägungen nicht. So sah es auch die dritte Kammer des Ersten Senats und entschied – ohne auf die abweichende Kammerrechtsprechung einzugehen – zum sogenannten Kuttenverbot im Vereinsrecht, dass es für die Beschwerdeführenden unzumutbar wäre, hier erst eine verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage zu erheben, die „nur gegenüber der Verbotsbehörde, nicht jedoch gegenüber Staatsanwaltschaft oder Strafgerichten verbindlich [wäre]“, da diese „ihre strafrechtliche Verfolgung nicht sicher verhindern [könnte]“.415 Da eine klare Rechtsprechungslinie insoweit bisher fehlt, bleibt zu beobachten, ob die Spruchkörper hier künftig eine einheitliche Linie finden werden. Aus Rechtsschutzgesichtspunkten wäre im Sinne der Rechtsuchenden eine ausdrückliche Ausklammerung der strafbewehrten Normen zu begrüßen.

V. Resümee Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass verfassungs- und einfachrechtliche Bestimmungen zumindest eine grundlegende Kompetenzabgrenzung unter Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit ermöglichen. Anders als die verwaltungsgerichtliche Generalklausel in § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO statuiert das in Art. 93 GG verankerte Enumerationsprinzip begrenzte Zuständigkeiten des Bundesverfassungsgerichts. Auch wenn hier auf dem Gebiet der „öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten“ – wie insbesondere der Vergleich von Art. 19 Abs. 4 GG mit § 90 Abs. 1 BVerfGG zeigt – Konkurrenzen bestehen können, begrenzte der Gesetzgeber die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit mit dem Ausschluss verfassungsrechtlicher Streitigkei411  Siehe

zuvor Fn. 404. Nichtannahmebeschluss vom 31. März 2020, Az. 1 BvR 712/20, juris

412  BVerfG,

Rn. 15. 413  BGBl. I S. 1914. 414  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 28. Juni 2021, Az. 1 BvR 1727/17, juris Rn. 4, 16. 415  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 9. Juli 2020, Az. 1 BvR 2067/17, juris Rn. 25.

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2. Teil: Verfassungsgerichte und Fachgerichte

ten vom Rechtsweg im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Nach der normativen Konzeption kommt dem Bundesverfassungsgericht der „Primat“416 zur Entscheidung von Verfassungsstreitigkeiten zu. Besonders deutlich tritt dies durch die Regelung des Art. 100 Abs. 1 GG zu Tage. Die Aussetzungsund Vorlagepflicht monopolisiert die Verwerfungskompetenz für nachkonstitutionelle Parlamentsgesetze bei den Verfassungsgerichten. Will der Verfassunggeber hier vermeiden, dass „notwendige gesetzliche Maßnahmen von unteren Gerichten mit oft nicht einwandfreier juristischer Begründung zu Fall gebracht würden“417, tritt dabei seine Einschätzung hervor, dass die Fachgerichte nicht über die ausreichende Sachkompetenz für entsprechende Entscheidungen verfügen. Vielmehr obliegt es ihnen, mit der eigenen Sachkompetenz den Verfassungsgerichten die für die Entscheidung erforderliche tatsächliche und rechtliche Fallanschauung zu vermitteln. Der Primat zur Entscheidung in Verfassungsstreitigkeiten schließt dabei ein eigenes Prüfungsrecht der Fachgerichte nicht aus. Wie gezeigt, werden sie im Rahmen ihrer „Vorarbeit“ für die verfassungsrechtlichen Entscheidungen vielmehr in die Pflicht zu einer eigenen verfassungsrechtlichen Prüfung genommen. Dies haben auch die Ausführungen zum Gebot der Rechtswegerschöpfung und zum Grundsatz der Subsidiarität gezeigt. Insoweit das Bundesverfassungsgericht durch diese Prinzipien entlastet wird, ist es frei, seine Aufgabe der Sicherung des Verfassungsrechts wahrzunehmen. Hervorzuheben ist in diesem Kontext die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Ausnahme vom Subsidiaritätsgrundsatz aufgrund allein verfassungsrechtlichen Sach­ verhalts. Will das Gericht diese Ausnahme allein im Rahmen von Verfassungsbeschwerden gegen Parlamentsgesetze zulassen und nicht auch auf untergesetzliche Rechtsnormen anwenden, auch wenn hier nur Fragen verfassungsrechtlicher Art im Raum stehen,418 spricht es den Fachgerichten die Kompetenz zu, in Fällen zu entscheiden, die nach der dargestellten Kompetenzverteilung in den Aufgabenbereich des Bundesverfassungsgerichts fielen. Es bestätigt insoweit die Tendenz – die etwa auch anhand der Entwicklung einer strengen „Damokles-Rechtsprechung“ deutlich wird –, dass das Gericht den Rechtsuchenden den Weg zum Bundesverfassungsgericht stetig erschwert.419 Wie dies mit der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts in Einklang zu bringen ist, dass eine „nicht gebotene ‚Konstitutionalisierung‘

416  Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, Vorbem. Rn. 44. 417  Dederer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 100 Rn. 21 unter Verweis auf v. Doemming/Füßlein/Matz, JöR NF 1 (1951), 1, 56, 735. 418  Siehe abermals BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 31. März 2020, Az. 1 BvR 712/20, juris Rn. 16; Nichtannahmebeschluss vom 15. Juli 2020, Az. 1 BvR 1630/20, juris Rn. 11.



D. Funktionsbestimmung97

des fachgerichtlichen Verfahrens und dessen Überfrachtung“420 vermieden werden soll, ist zumindest zu hinterfragen.421

D. Funktionsbestimmung Es bleibt auszuwerten, welche Schlüsse die normative Kompetenzabgrenzung im Hinblick auf funktionelle Unterschiede von Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit ermöglicht.

I. Verfassungsgerichte Um eine funktionelle Abgrenzung der Verfassungsgerichtsbarkeit von der Fach- und insbesondere der Verwaltungsgerichtsbarkeit vorzunehmen, wird im Folgenden die Darstellung der Verfassungsgerichtsbarkeit auf ihre klassische Rolle in der Judikative beschränkt.422 Ausgeklammert werden insoweit etwaige rechtsetzende und gesellschaftspolitische Funktionen.423 Als „Hüter der Verfassung“ ist Aufgabe der Verfassungsgerichte, die Achtung der Verfassung zu sichern. Diese Aufgabe umfasst im Kern die Kontrolle staatlicher Gewalt (hierzu  1.) sowie die Konkretisierung und Fortbildung des Verfassungsrechts durch Auslegung (hierzu 2.).424 1. Kontrollfunktion Unternimmt man den Versuch einer Konkretisierung der Kontrollfunktion des Bundesverfassungsgerichts, können vier wesentliche Unterkategorien un­ 419  Lübbe-Wolff, EuGRZ 2004, 669, 671; kritisch auch bereits Böhmer, Mannheimer Berichte Nr. 40, 1992, 19, 24. 420  BVerfG, Beschluss vom 9. November 2004, Az. 1 BvR 684/98, BVerfGE 112, 50, juris Rn. 40. 421  Siehe dazu nachfolgend im vierten Teil S. 243 f. 422  Siehe zuvor zur institutionellen Stellung als Gericht im Sinne des Art. 92 GG S. 31 ff. 423  Zur „rechtsetzenden“ Funktion etwa v. Brünneck, Verfassungsgerichtsbarkeit in den westlichen Demokratien, 1992, S. 166–184 sowie zur gesellschafts-politischen Funktion eingehend Ebsen, Das Bundesverfassungsgericht als Element gesellschaft­ licher Selbstregulierung, 1985, S. 218 ff. und Vásquez, Verfassungsgerichtsbarkeit, Verfassungsprozessrecht und Pluralismus, 2016, S. 86 ff. 424  Hesse, in: Häberle, Verfassungsgerichtsbarkeit, 1976, S. 367, 368; neben diesen Kategorien stehen spezielle Verfahren wie das Parteiverbots-, das Verwirkungsverfahren nach Art. 18 GG und die Wahlprüfungsverfahren, die jedoch ebenfalls dem Verfassungsschutz dienen.

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2. Teil: Verfassungsgerichte und Fachgerichte

terschieden werden:425 Entscheidungen über das Zusammenwirken der Staatsorgane, Kontrolle der Legislative, Kontrolle der Exekutive sowie die Kontrolle der Judikative. Die Kontrollgegenstände sind dabei stets am Maßstab der Verfassung zu messen. a) Normenkontrolle als klassische Verfassungsstreitigkeit Die Kontrolle von Parlamentsgesetzen, also der Legislative, wird dabei klassischerweise als „Kernaufgabe“ der Verfassungsgerichtsbarkeit gesehen.426 Jestaedt spricht insoweit von der „Normenkontrollgerichtsbarkeit“.427 Dies spiegelt sich in den dargelegten Begriffsbestimmungen der Verfassungsgerichtsbarkeit wider: In formeller Hinsicht weist das Grundgesetz über Art. 100 Abs. 1 GG die Aufgabe der prinzpalen Normenkontrolle mit dem Normverwerfungsmonopol gerade exklusiv den Verfassungsgerichten zu. Diesen obliegt es, den Vorrang der Verfassung auch gegenüber dem parlamentarischen Gesetzgeber zu sichern und durchzusetzen. Wie dargelegt, hat der Verfassunggeber der Fachgerichtsbarkeit nicht dasselbe Vertrauen entgegengebracht, um ihr diese Aufgabe zu übertragen.428 Abermals ist in diesem Zusammenhang zu betonen, dass Art. 100 Abs. 1 GG allein die Kompetenz der Normverwerfung für Parlamentsgesetze exklusiv den Verfassungsgerichten zuspricht. Eine (vorgeschaltete) Prüfungsbefugnis bzw. Prüfungspflicht wird indes sämtlichen Gerichten zuteil. b) Doppelfunktion der Kontrolltätigkeit Im Rahmen des Aufgabenkatalogs kommt der Kontrolltätigkeit der Verfassungsgerichtsbarkeit eine doppelte Funktion zu. Primär übt die Verfassungsgerichtsbarkeit durch sämtliche Verfahrensarten objektiven Rechtsschutz aus.429 Das Bundesverfassungsgericht selbst hat betont, dass es aufgrund der von Verfassung und Gesetz zuerkannten Funktionen und seiner Organisation weder dazu berufen noch dazu in der Lage sei, einen Individualrechtsschutz in dem Maß zu gewährleisten wie die Fachgerichte.430 Dennoch schützt das Bundesverfassungsgericht im Rahmen von Verfassungsbeschwerdeverfahren 425  Einen entsprechenden Überblick gebend Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 1. Teil Rn. 4 ff. 426  Hesse, in: ders. u. a., Verfassungsrecht und Verfassungspolitik in Umbruchsituationen, 1999, S. 9, 23; ähnlich auch Böckenförde, NJW 1999, 9, 15. 427  Jestaedt, in: ders./Lepsius/Möllers/Schöneberg, Das entgrenzte Gericht, 2011, S. 77, 101. 428  Dazu zuvor S. 51 ff. 429  Vgl. Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, ­Vorbem. Rn.  51  f.



D. Funktionsbestimmung99

unmittelbar auch subjektive Individualrechte.431 Die Subjektivität der Verfassungsbeschwerde ist gekennzeichnet durch die individuelle Antragsmöglichkeit der Betroffenen, die Verletzung verfassungsrechtlich garantierter subjektiver öffentlicher Rechte vor einem Verfassungsgericht geltend zu machen. Auch das Instrument der Verfassungsbeschwerde hat neben der subjektiven eine objektive Rechtsschutzfunktion. So hat Häberle hierzu treffend for­ muliert: „Über den Schutz der Individualinteressen wird die Verfassung bewahrt.“432 Über die subjektiven Rechte der Beschwerdeführenden hinaus wird das objektive Verfassungsrecht gesichert, ausgelegt und fortgebildet.433 Neben dem „kasuistischen Kassationseffekt“ habe die Verfassungsbeschwerde einen „generellen Edukationseffekt“.434 Das Bundesverfassungsgericht leistet objektiven Rechtsschutz im individualschützenden Verfahren insbesondere durch Verfassungsinterpretation.435 Die objektive Rechtsschutzfunktion wird gesetzlich vorausgesetzt:436 Nach § 93a Abs. 2 lit. b) BVerfGG ist eine Verfassungsbeschwerde unabhängig vom konkreten Einzelfall zur Entscheidung anzunehmen, soweit ihr grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt. In diese Richtung geht auch § 90 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 BVerfGG. Das Bundesverfassungsgericht kann über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist. Besonders deutlich wird die Verknüpfung von subjektivem und objektivem Rechtsschutz im Verfassungsbeschwerdeverfahren anhand der Bindungswirkung der Entscheidungen.437 Wie bereits dargestellt, binden diese nicht nur die Beteiligten, sondern auch die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden (§ 31 Abs. 1 BVerfGG). Darüber hinaus entfalten sie in Verfassungsbeschwerdeverfahren nach § 31 Abs. 2 BVerfGG Gesetzeskraft, wenn das Bundesverfassungsgericht die (Un-)Vereinbarkeit eines Gesetzes mit dem Grundgesetz bzw. des430  BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996, Az. 2 BvR 1516/93, BVerfGE 94, 166, juris Rn. 159. 431  Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, Vorbem. Rn. 51. 432  Häberle, in: ders., Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 1, 15. 433  BVerfG, Beschluss vom 28. Juni 1972, Az. 1 BvR 105/63, BVerfGE 33, 247, juris Rn. 33; Beschluss vom 7. Juni 1977, Az. 1 BvR 108/73, BVerfGE 45, 63, juris Rn.  36 f. 434  Zweigert, JZ 1952, 321. 435  Eingehend Rühl, KritV 1998, 156, 161  ff.; Marsch, AöR 137 (2012), 592, 615 f.; Böhmer, Mannheimer Berichte Nr. 40, 1992, S. 19, 21. 436  Düwel, Kontrollbefugnisse des Bundesverfassungsgerichts bei Verfassungsbeschwerden gegen gerichtliche Entscheidungen, 2000, S. 251 ff.; kritisch dazu Marsch, AöR 137 (2012), 592, 607 ff. 437  BVerfG, Gegenstandswertfestsetzung im verfassungsgerichtlichen Verfahren vom 28. Februar 1989, Az. 1 BvR 1291/85, BVerfGE 79, 365, juris Rn. 8.

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sen Nichtigkeit feststellt. Ebenfalls deutlich wird die Verknüpfung von subjektivem und objektivem Rechtsschutz in Fragen der Verfahrenserledigung.438 Obwohl sich das Begehren der Beschwerdeführenden erledigt hat, geht das Bundesverfassungsgericht – parallel zu § 93a Abs. 2 lit. b) und § 90 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 BVerfGG – weiterhin von einem fortbestehenden Rechtsschutz­ interesse aus, wenn die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung andernfalls unterbliebe.439 Ferner kann zur Veranschaulichung auch die Praxis des Gerichts herangezogen werden, über Anträge zu entscheiden, die von den Beschwerdeführenden zurückgenommen wurden.440 Beschwerdeführende können unter Berücksichtigung der auch im Verfassungsbeschwerdeverfahren grundsätzlich geltenden Dispositions­ maxime ihre Beschwerde nachträglich zurücknehmen.441 Dies hat grundsätzlich zur Folge, dass das Beschwerdebegehren nicht mehr zur Entscheidung steht. Nach Auffassung des Gerichts soll dies jedoch nicht gelten, wenn die Beschwerde im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG von allgemeiner Bedeutung ist, über sie bereits mündlich verhandelt worden ist und wenn die allgemeine Bedeutung auch in der Zeit bis zur Urteilsverkündung nicht entfallen ist.442 Unter diesen Voraussetzungen stehe die objektive Rechtsschutzfunktion der Verfassungsbeschwerde im Vordergrund.443 Ähnlich ist das Bundesverfassungsgericht in der „Wunsiedel“-Entscheidung verfahren.444 In der Rechtsprechung des Gerichts ist zwar anerkannt, dass sich eine Verfassungsbeschwerde zur Durchsetzung höchstpersönlicher Rechte der Beschwerdeführenden mit ihrem Tod erledigt.445 In dieser Sache begründeten die Richter jedoch eine Ausnahme von diesem Grundsatz und stützten ihre Auffassung auf die prozessuale Vorgeschichte des Verfahrens, die Entscheidungsreife der Sache sowie auf die allgemeine verfassungsrechtliche Bedeutung.446 438  Vgl. Düwel, Kontrollbefugnisse des Bundesverfassungsgerichts bei Verfassungsbeschwerden gegen gerichtliche Entscheidungen, 2000, S. 261, Fn. 324. 439  BVerfG, Beschluss vom 14. Juli 1994, Az. 1 BvR 1595/92, BVerfGE 91, 125, juris Rn. 31. 440  BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1998, Az. 1 BvR 1640/97, BVerfGE 98, 218, juris Rn. 108; dazu Marsch, AöR 137 (2012), 592, 597 ff.; kritisch zu diesem Vorgehen des Gerichts Wißmann, DÖV 1999, 152. 441  BVerfG, Beschluss vom 13. April 2010, Az. 1 BvR 216/07, BVerfGE 126, 1, juris Rn. 35. 442  BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1998, Az. 1 BvR 1640/97, BVerfGE 98, 218, juris Rn. 108. 443  Ebd. 444  BVerfG, Beschluss vom 4. November 2009, Az. 1 BvR 2150/08, BVerfGE 124, 300. 445  BVerfG, Urteil vom 10. Mai 1957, Az. 1 BvR 550/52, BVerfGE 6, 389, juris Rn. 197; Urteil vom 3. März 2004, Az. 1 BvR 2378/98, BVerfGE 109, 279, juris Rn.  88 f.



D. Funktionsbestimmung101

2. Verfassungsinterpretation Zutreffend wird in der Kommentarliteratur regelmäßig auf den prägnanten Satz des US Chief Justice Charles Evan Hughes von 1908 verwiesen: „We are under a Constitution, but the Constitution is what the judges say it is.“447 Rechtsanwendende des Grundgesetzes sind im Vergleich zum einfachen Recht in besonderem Ausmaß auf Gesetzesinterpretation angewiesen, da auch heute das Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland in nur 146 Artikeln „fragmentarisch“448 geregelt ist. Eine besondere Rolle nimmt hier das Bundesverfassungsgericht ein. Häberle spricht diesbezüglich von einer „Führungsstellung“ des Gerichts.449 Das Bundesverfassungsgericht ist jedoch nicht alleiniger Interpret der Verfassung. Auch andere staatliche Stellen, wie die Legislative, die Exekutive und insbesondere auch die Fachgerichte sind Interpreten der Verfassung.450 Die besondere Rolle des Bundesverfassungsgerichts liegt in seiner Funktion als „Letztinterpret“.451 Diese Rolle fußt auf der speziellen Bindungswirkung der Entscheidungen des Gerichts. Sowohl Tenor wie auch die tragenden Gründe der Entscheidungen sind für die anderen Verfassungsinterpreten verbindlich. Dadurch wahrt das Gericht eine einheitliche Geltung des Verfassungsrechts sowie den Vorrang der Verfassung.452 Indem das Bundesverfassungsgericht dieser Aufgabe nachkommt, entscheidet es gleichzeitig über die Reichweite seiner eigenen Kompetenzen. Die Verfassung ist Entscheidungsmaßstab des Gerichts. Diesen bestimmt der Verfassunggeber. Die Verfassung ist, wie gezeigt, jedoch nicht nur Entscheidungsmaßstab, sondern auch Interpretationsgegenstand des Bundesverfassungsgerichts. Dies führt dazu, dass das Gericht faktisch über eine „Kompe446  BVerfG, Beschluss vom 4. November 2009, Az. 1 BvR 2150/08, BVerfGE 124, 300, juris Rn. 44. 447  Voßkuhle, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 93 Rn. 33; Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 15.  Aufl. 2022, Art. 93 Rn. 45; Säcker, in: MüKo BGB, 9. Aufl. 2021, Einl. Rn. 79 unter Verweis auf Hughes, in: ders./Schumann, Addresses and Papers of Charles Evans Hughes, governor of New York, 1906–1908, 1908, S. 133, 139. 448  Böckenförde, NJW 1976, 2089, 2091; Starck, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. XII, 3. Aufl. 2014, § 271 Rn. 5. 449  Häberle, in: ders., Verfassungsgerichtsbarkeit, 1976, S. 1, 16; instruktiv zur Verfassungsinterpretation durch das Bundesverfassungsgericht auch Roellecke, in: FG 25 Jahre BVerfG, Bd. II, 1976, S. 22. 450  Dazu Borowski, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. XII, 3. Aufl. 2014, § 274 Rn. 31 ff. 451  Ebd., Rn. 45; Kreuter-Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. XII, 3. Aufl. 2014, § 272 Rn. 49. 452  Vgl. Kreuter-Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. XII, 3. Aufl. 2014, § 272 Rn. 56.

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tenz-Kompetenz“ verfügt.453 Einfach zu veranschaulichen ist diese Verquickung etwa anhand der Ausweitung von Schutzbereichen oder der Kreation „neuer“ Grundrechte:454 War Art. 2 Abs. 1 GG ursprünglich als spezielles Grundrecht zur freien Entfaltung des Persönlichkeitskerns konzipiert,455 hat das Bundesverfassungsgericht in dieses Grundrecht bekanntlich das weite Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit hineingelesen.456 Durch dieses Verständnis sind Private umfassend geschützt, da quasi jedes Staatshandeln im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde durch das Bundesverfassungsgericht überprüft werden kann.457 Die Bedenken gegenüber einer etwaigen „Machtvollkommenheit“ der Verfassungsgerichte458 dürfen nicht über die wesentliche Bedeutung der Verfassungsinterpretation hinwegtäuschen. Durch stetige Interpretation und richterliche Fortbildung der Verfassung veraltet das Grundgesetz nicht. Es bleibt „gegenwartsgerecht“.459

II. Fachgerichtsbarkeit 1. Im Allgemeinen: Funktionsbeschreibung für die Fachgerichtsbarkeit a) Funktionsbestimmung im formellen Sinn Staatstheoretische Überlegungen außen vor,460 gibt Rolle und Funktion der Fachgerichtsbarkeit vorrangig das Grundgesetz vor. Der Staat ist grundgesetzlich verpflichtet, Rechtsfrieden zu schaffen und zu bewahren (Art. 20 Abs. 2, 92, 97 GG).461 Daraus resultiert die Justizgewährungspflicht, die mit dem Rechtsstaatsprinzip verfassungsrechtlich verankert ist (Art. 20 Abs. 3 GG). Weiter wird die Funktion der Rechtsprechung im neunten Abschnitt des 453  Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 1. Teil Rn. 14; a. A. Kreuter-Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. XII, 3. Aufl. 2014, § 272 Rn. 33. 454  Siehe dazu nachfolgend S. 237 f. 455  Der Parlamentarische Rat verzichtete gerade auf eine weite Fassung des Art. 2 Abs. 1 GG, die ebenfalls diskutiert wurde („Jedermann ist frei, zu tun und zu lassen, was die Rechte anderer nicht verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“), v. Doemming/Füßlein/Matz, JöR NF 1 (1951), 1, 56. 456  Vgl. das „Elfes-Urteil“, BVerfG, Urteil vom 16. Januar 1957, Az. 1 BvR 253/56, BVerfGE 6, 32, juris Rn. 15 ff. 457  Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 1. Teil Rn. 15. 458  So bereits Kelsen, VVDStRL 5 (1929), 30, 70. 459  Kreuter-Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. XII, 3. Aufl. 2014, § 272 Rn. 44. 460  Dazu Hillgruber, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 92 Rn. 8 f. 461  Ebd., Rn. 10.



D. Funktionsbestimmung103

Grundgesetzes umgrenzt. Art. 92 GG vertraut der Rechtsprechung all jene Aufgaben an, welche die Verfassung selbst an anderer Stelle den Gerichten überträgt (sog. formeller Begriff der Rechtsprechung).462 Die (enumerativen) Zuständigkeiten des Bundesverfassungsgerichts ausgenommen, bleiben die repressive Rechtskontrolle bei Eingriffen der öffentlichen Gewalt nach Art. 19 Abs. 4 GG, die zwingende gerichtliche Zuständigkeit zur Anordnung von Freiheitsentziehungen nach Art. 104 Abs. 2 und 3 GG sowie spezielle Zuweisungen in Art. 13 Abs. 2 bis 5 GG (Durchsuchung und Wohnraumüberwachung), Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG (Enteignungsentschädigungen), Art. 15 Satz 2 GG (Entschädigung für Sozialisierung), Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG (Aussetzung der Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen) sowie die Rechtswegzuweisung in Art. 34 Satz 3 GG (Amtshaftung). Damit sind gerichtliche Zuständigkeiten für die Fälle grundgesetzlich verankert, die aufgrund der Schwere des Eingriffs in die Rechte von Privaten gerichtlichen Rechtsschutz erforderlich machen.463 b) Funktionsbestimmung im materiellen Sinn Die Funktion der Fachgerichtsbarkeit geht über die Aufgabenerfüllung der ihr von der Verfassung zugewiesenen Aufgaben hinaus. Auch die konkrete sachliche Tätigkeit der Gerichte ist zu berücksichtigen (sog. materieller Begriff der Rechtsprechung).464 Über eine traditionelle Betrachtung kann beispielsweise nicht bezweifelt werden, dass die zivilrechtliche Rechtspflege sowie die Strafgerichtsbarkeit der dritten Gewalt zuzurechnen sind.465 Das Bundesverfassungsgericht führt dies auf die Aufzählung der einzelnen Gerichtsbarkeiten in Art. 95 f. GG zurück. Diese sollen nicht nur Bestimmungen über die obligatorische (Art. 95 GG) und die fakultative (Art. 96 GG) Errichtung von Bundesgerichten enthalten, sondern vielmehr an die herkömmlichen Aufgabenbereiche der einzelnen Gerichtsbarkeiten anknüpfen. Dies sei nur sinnvoll, wenn zumindest der Kernbereich der herkömmlicherweise den einzelnen Gerichtsbarkeiten übertragenen Aufgaben als Rechtsprechung angesehen wird.466 462  Hillgruber, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 92 Rn. 32; kritisch zum Begriff der formellen Rechtsprechung etwa Wilke, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 112 Rn. 57. Das BVerfG ordnet auch diesen Aspekt dem Begriff der materiellen Rechtsprechung zu, vgl. BVerfG, Urteil vom 6. Juni 1967, Az. 2 BvR 375/60, BVerfGE 22, 49, juris Rn. 100. 463  Hillgruber, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 92 Rn. 34. 464  Ebd., Rn. 35; Morgenthaler, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, 49. Ed. 2021, Art. 92 Rn. 10. 465  BVerfG, Urteil vom 6. Juni 1967, Az. BvR 375/60, BVerfGE 22, 49, juris Rn. 101. 466  Ebd. zu Art. 96 und 96a GG a. F.

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2. Teil: Verfassungsgerichte und Fachgerichte

c) Funktionsbestimmung im funktionellen Sinn Darüber hinaus kann der einfache Gesetzgeber gerichtliche Zuständigkeiten begründen, die nicht schon dem Begriff der materiellen Rechtsprechung unterfallen, indem er einen Sachbereich derart regelt, dass funktionell nur die dritte Gewalt zuständig sein kann (sog. funktioneller Begriff der Rechtsprechung).467 Dies setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts voraus, dass das Grundgesetz die jeweilige Zuständigkeit keiner anderen Gewalt zuspricht, die Aufgabe nicht bloß auf ein mit Richtern im Sinne des Art. 92 GG besetztes staatliches Gremium übertragen wird, sondern die gesetzliche Zuweisung ausdrücklich an ein Gericht oder einen Richter erfolgt, ein gerichtsförmiges Verfahren zu Streitentscheidung vorgesehen ist und die zu treffende Entscheidung eine Rechtswirkung hat, wie sie nur von der dritten Gewalt herbeigeführt werden kann.468 2. Im Besonderen: Funktionsbeschreibung für die Verwaltungsgerichtsbarkeit Wie bereits zuvor angemerkt, weist die Verwaltungsgerichtsbarkeit eine besondere Nähe zur Verfassungsgerichtsbarkeit auf. Beide entscheiden in „öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten“ (vgl. nur § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO und Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG).469 Vergleichbar zum Bundesverfassungsgericht und im Unterschied zur ordentlichen Gerichtsbarkeit leistet die Verwaltungsgerichtsbarkeit insoweit Rechtsschutz durch Kontrolle staatlichen Handelns. Dabei hat sie ebenfalls die Funktion sowohl (subjektiven) Individualschutz wie (objektiven) Überindividualschutz zu leisten.470

467  Hillgruber, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95.  EL 2021, Art.  92 Rn.  37; BVerfG, Urteil vom 8. Februar 2001, Az. 2 BvF 1/00, BVerfGE 103, 111, juris Rn. 97; kritisch dazu Wilke, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 112 Rn. 75. 468  Morgenthaler, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, 49. Ed. 2021, Art. 92 Rn. 11 unter Verweis auf BVerfG, Urteil vom 8. Februar 2001, Az. 2 BvF 1/00, BVerfGE 103, 111, juris Rn. 97. 469  Beachte auch § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO und §§ 13 Nr. 8, 71 Abs. 1 BVerfGG, dazu Schäfer, in: Külz/Naumann, Staatsbürger und Staatsgewalt, Bd. I, 1963, S. 159, 164. 470  Schlacke, in: Erbguth/Masing, Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit im Mehrebenensystem, 2008, S. 123, 126.



D. Funktionsbestimmung105

a) Vorrangig: Subjektiver Rechtsschutz Die Verfassung garantiert die subjektive Rechtsschutzfunktion der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG). Die ausdrückliche Anknüpfung an konkrete Rechtsverletzungen veranschaulicht die Systementscheidung des Verfassunggebers zugunsten des subjektiven Rechtsschutzes.471 Diese Ausgestaltung ist keineswegs zwingend. Standen sich im 19. Jahrhundert noch das preußische, am objektiven Rechtsschutz orientierte System, und das süddeutsche subjektivrechtliche System gegenüber, hat sich der deutsche Verfassunggeber mit Art. 19 Abs. 4 GG eindeutig für Letzteres entschieden.472 Indes verknüpft Art. 19 Abs. 4 GG die subjektive Rechtsschutzfunktion nicht zwangsläufig mit den Verwaltungsgerichten. Im Gegenteil: Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben (Art. 19 Abs. 4 Satz 2 GG). Die praktische Bedeutung dieser subsidiären Rechtswegklausel ist jedoch gering. Umfassende spezielle Rechtswegzuweisungen (§ 40 Abs. 1 VwGO, § 33 FGO, § 51 SGG, § 23 EGGVG) verdrängen in Fragen der Rechtsverletzung durch die öffentliche Hand die Rechtswegklausel des Art. 19 Abs. 4 Satz 2 GG.473 Insbesondere über die Generalklausel des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO tragen hier die Verwaltungsgerichte die „Hauptlast“ des effektiven Rechtsschutzes.474 Zutreffend wird die Gewährleistung des Individualschutzes insoweit als „Grundfunktion“ der Verwaltungsgerichtsbarkeit beschrieben.475 Subjektive Rechte im Sinne des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG sind Rechtspositionen, welche die Rechtsordnung im Interesse des Einzelnen gewährt.476 Sowohl die Verfassung in Gestalt der Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte wie auch das einfache Recht gewähren diese Rechtspositionen. Dies ergibt sich bereits aus einem Vergleich des Wortlauts von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zu den Abs. 1 bis 3.477 Nach der Intention des Verfassunggebers 471  Krebs, in: v. Münch/Kunig, GG, 6.  Aufl. 2012, Art. 19 Rn. 64; ders., in: FS Menger, 1985, S. 191, 197; Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 8; eingehend zur Systementscheidung Wahl, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL 2021, Vorbem. § 42 Abs. 2 Rn. 11 ff. 472  Rennert, DVBl 2015, 793, 794. 473  Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 294. 474  Schmidt-Aßmann, in: FS Menger, 1985, S. 107, 109. 475  Ebd.; Krebs, Kontrolle in staatlichen Entscheidungsprozessen, 1984, S. 59 f. 476  BVerfG, Beschluss vom 23. Mai 2006, Az. 1 BvR 2530/04, BVerfGE 116, 1, juris Rn. 29; Krebs, in: v. Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 19 Rn. 66. 477  Krebs, in: v. Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 19 Rn. 65.

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2. Teil: Verfassungsgerichte und Fachgerichte

ist die Verwaltungsgerichtsbarkeit damit vorrangig für den Schutz sowohl einfachgesetzlich wie von Verfassung wegen gewährter subjektiver Rechte zuständig.478 Über die Verfassung hinaus veranschaulicht § 42 Abs. 2 VwGO die einfachgesetzliche Umsetzung der Systementscheidung zugunsten des subjektiven Rechtsschutzsystems.479 Eine verwaltungsgerichtliche Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage ist nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein (§ 42 Abs. 2 Hs. 2 VwGO). Parallel knüpft der in § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO geregelte Rechtswidrigkeitszusammenhang den Erfolg einer Anfechtungsklage nicht nur an die Rechtswidrigkeit des staatlichen Handels, sondern stets auch an die Verletzung subjektiver Rechte.480 Die Systementscheidung zugunsten eines Individualschutzsystems wird konsequenterweise auch an der weiteren Ausgestaltung der verwaltungsprozessualen Rechtsinstitute deutlich. Zu nennen sind hier etwa die Disposi­ tionsbefugnis der Rechtsuchenden, das Recht Dritter zur Beiladung, wenn auch ihre Rechte betroffen sind oder die Möglichkeit der Durchsetzung von öffentlich-rechtlichen Ansprüchen im Wege der Verpflichtungsklage.481 b) Auch: Objektiver Rechtsschutz Die auf ein subjektives Rechtsschutzsystem ausgerichtete Formulierung des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG lässt jedoch auch objektiven Rechtsschutz zu.482 Subjektiven Rechtsschutzverfahren ist ein objektiver Rechtsschutz immanent. Die Verwaltungsgerichte kontrollieren in Verfahren zur Sicherung subjektiver öffentlicher Rechte gleichzeitig auch die Gesetzesmäßigkeit des Exekutivhandels.483 Damit leisten die Gerichte objektiven Rechtsschutz, „insofern subjektives und objektives Recht ein gutes Stück gemeinsamen Weges 478  Kritisch

Pestalozza, NVwZ 1999, 140, 141. Schlacke, in: Erbguth/Masing, Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit im Mehrebenensystem, 2008, S. 123, 128; Wahl/Schütz, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 42 Abs. 2 Rn. 6. 480  Schmidt-Aßmann/Schenk, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL 2021, Einl. Rn. 168. 481  Rennert, DVBl 2015, 793, 794; ders., Vortrag vor dem Obersten Verwaltungsgericht (Supreme Administrative Court) der Republik China vom 31. März 2016, S.  9, abrufbar unter https://www.bverwg.de/user/data/media/rede_20160331_ %20 VortragTaiwan_Funktionswandel.pdf, letzter Abruf am 22. Februar 2022. 482  Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 9. 483  Krebs, in: FS Menger, 1985, S. 191 f.; Schmidt-Aßmann/Schenk, in: Schoch/ Schneider, VwGO, 41. EL 2021, Einl. Rn. 170. 479  Vgl.



D. Funktionsbestimmung107

gehen“.484 In diesen Schnittmengen sind subjektiver und objektiver Rechtsschutz keine Alternativen.485 Der objektive Rechtsschutz bleibt aus dem Blickwinkel des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG jedoch bloße Nebenfolge.486 Das Verwaltungsprozessrecht kennt über den inzidenten objektiven Rechtsschutz hinaus auch direkte objektive Rechtsschutzverfahren. Dies sind zum einen Verfahren, in denen die Verletzung subjektiver Rechte nicht Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung ist, sowie zum anderen solche Verfahren, in denen der Gesetzgeber im Rahmen der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage über § 42 Abs. 2 Hs. 1 VwGO eine Ausnahme vom Erfordernis der Klagebefugnis vorgesehen hat bzw. Hoheitsträger legitimiert hat, Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen zu erheben.487 Namentlich handelt es sich hier insbesondere um Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO und Verbandsklagen. Auch kommunalrechtliche Organstreitigkeiten, die zwar die Möglichkeit einer materiellen Rechtsverletzung des klagenden Hoheitsträgers voraussetzen, können hierzu gezählt werden, da sie vorrangig die objektive Kontrolle der jeweiligen hoheitlichen Funktion bezwecken.488 Derartige Rechtsschutzverfahren garantiert Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG von Verfassung wegen zwar nicht, doch schließt er sie auch nicht aus.489 Die Rechtsschutzgarantie legt insoweit lediglich einen „Mindeststandard“ an Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt fest.490 Schmidt-Aßmann mahnt dabei an, dass der durch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verfassungsrechtlich garantierte Individualrechtsschutz nicht vernachlässigt und in seiner E ­ ffektivität gefährdet werden darf.491 Um einer solchen Gefahr vorzubeugen, erscheint überzeugend, dass die Einführung „überindividueller Klagebefug­ nisse“492 VVDStRL 34 (1976), 222, 235. Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, 1973, S. 130; Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 9. 486  Menger, DÖV 1955, 587, 591; Schmidt-Aßmann, in: FS Menger, 1985, S. 107, 109; Krebs, in: FS Menger, 1985, S. 191, 193. 487  Krebs, Kontrolle in staatlichen Entscheidungsprozessen, 1984, S. 61 f. 488  Vgl. Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, 2008, S. 12. 489  BVerwG, Urteil vom 18. April 1996, Az. 11 A 86/95, ­BVerwGE 101, 73, juris Rn.  35; vgl. m. w. N. Schlacke, in: Erbguth/Masing, Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit im Mehrebenensystem, 2008, S. 123, 129 f.; Krebs, in: v. Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 19 Rn. 64. 490  Michael, DV 37 (2004), 35, 37. 491  Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 9. 492  Schlacke, in: Erbguth/Masing, Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit im Mehrebenensystem, 2008, S. 123, 130; eingehend dies., Überindividueller Rechtsschutz, 2008. 484  Schmidt-Aßmann, 485  Lorenz,

108

2. Teil: Verfassungsgerichte und Fachgerichte

e­iner gesetzlichen Grundlage bedarf.493 Unter Achtung des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG kann die Legislative so in einem förmlichen Verfahren objektive Kontrollmöglichkeiten implementieren.494 Der Gesetzgeber hat diese Gesetzesvorbehalte verschiedentlich umgesetzt. Mit § 47 VwGO hat er ein objektives Rechtsbeanstandungsverfahren eingeführt, das allerdings an das Erfordernis der Möglichkeit einer subjektiven Rechtsverletzung geknüpft ist (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO), während antragsbefugte Behörden nach ständiger Rechtsprechung lediglich mit der gegenständlichen Norm befasst sein müssen.495 Neben der Möglichkeit der Normenkontrolle für Behörden sehen etwa auch § 34 BGleiG und §§ 8 Abs. 4, 12 HwO überindividuelle Klagebefugnisse zugunsten hoheitlicher Sachwalter vor.496 Gänzlich unter Verzicht auf eine mögliche Verletzung individueller subjektiver öffentlicher Rechte hat der Gesetzgeber vereinzelt von § 42 Abs. 2 Hs. 1 VwGO Gebrauch gemacht und die Möglichkeit von Verbandsklagen im öffentlichen Recht vorgesehen (vgl. § 64 BNatSchG, § 2 Umw­RG, § 15 BGG sowie weitere landesrechtrechtliche Verbandsklagerechte497). Dass diese besondere Ausprägung objektiven Rechtsschutzes insbesondere im Umweltrecht eine wesentliche Rolle spielt, kann auf das Gebot des Art. 20a GG zurückgeführt werden. Hier wird ausdrücklich auch die Rechtsprechung in die Pflicht zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen genommen.498

III. Zwischenergebnis Die normative Funktionsbestimmung lässt den Schluss zu, dass die Verfassungsgerichtsbarkeit vorrangig dem objektiven und die Verwaltungsgerichtsbarkeit dem subjektiven Rechtsschutz dient. Offen bleibt, welche Rolle die Verwaltungsgerichte im Verhältnis zur Verfassungsgerichtsbarkeit einnehmen, 493  Vgl. Schlacke, in: Erbguth/Masing, Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit im Mehrebenensystem, 2008, S. 123, 130 f.; Michael, DV 37 (2004), 35, 37. 494  Zum Verbandsklagerecht BVerfG, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 10. Mai 2001, Az. 1 BvR 481/01, juris Rn. 19; Schmidt-Aßmann, in: FS Menger, 1985, S. 107, 109 f. 495  Sieh nur BVerwG, Beschluss vom 15. März 1989, Az.  4 NB 10/88, ­BVerwGE 81, 307, juris Rn. 15; Beschluss vom 1. Juli 2005, Az. 4 BN 26/05, juris Rn. 7; Urteil vom 26. November 2015, Az. 7 CN 1/14, juris Rn. 18. 496  Schlacke, in: Erbguth/Masing, Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit im Mehrebenensystem, 2008, S. 123, 132. 497  Siehe bspw. § 2 des Gesetzes über Mitwirkungs- und Klagerechte von Tierschutzorganisationen in Niedersachsen (GVBl. 2017, S. 108). 498  Vgl. Sachs, in: Erbguth, Effektiver Rechtsschutz im Umweltrecht?, 2005, S. 15, 28.



D. Funktionsbestimmung109

wenn es in Fragen des subjektiven Rechtsschutzes zu Funktionsüberschneidungen kommt. Beide Gerichtsbarkeiten dienen (auch) dem individuellen Grundrechtsschutz. Zwar sollen die Verwaltungsgerichte nicht in Streitigkeiten verfassungsrechtlicher Art entscheiden, doch entbindet sie dies nicht von der Pflicht, Verfassungsrecht zu beachten (Art. 20 Abs. 3 GG) und Grundrechte durchzusetzen (Art. 1 Abs. 3 GG). Insoweit liegt gerade keine allein den Verfassungsgerichten zugewiesene verfassungsrechtliche Streitigkeit vor. Eine Auseinandersetzung mit der Frage, wie hier eine Abgrenzung vorzunehmen ist, bleibt – vor dem Hintergrund der Rechtsschutzmöglichkeiten betreffend Parlamentsgesetze – den Ausführungen im vierten Teil dieser Untersuchung vorbehalten.499

499  Siehe

nachfolgend S. 229 ff.

3. Teil

Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze Der dritte Abschnitt der Untersuchung wird mit der Fragestellung eingeleitet, ob fachgerichtlicher Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze verfassungsrechtlich im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG indiziert ist. Selbst wenn dies zu verneinen sein sollte, ist gleichzeitig nicht ausgeschlossen, dass fachgerichtlicher Rechtsschutz betreffend derartige Rechtssätze dennoch möglich ist. Vergleichbar sind Verbandsklagemöglichkeiten über Art. 19 Abs. 4 GG nicht geboten, gleichzeitig aber auch nicht verboten.500 Insoweit wird nachfolgend erörtert, auf welche Art und Weise die Fachgerichte mit der Frage nach der Wirksamkeit von Parlamentsgesetzen befasst werden können. Schwerpunktmäßig wird an dieser Stelle die Entwicklung der allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO zur „allgemeinen Normenabwehr­ klage“501 nachgezeichnet und anschließend untersucht, ob sich dieser Anwendungsfall der verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklage im normativen Rahmen der Verwaltungsgerichtsordnung halten kann.

A. (K)ein Rechtsweg gegen Parlamentsgesetze? In einem ersten Schritt werden die hier wesentlichen Tatbestandsmerkmale der Rechtsverletzung sowie der öffentlichen Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG beleuchtet, um der Frage nachzugehen, ob das Rechtsschutzgebot auch gegenüber normativem Unrecht greift. Im Anschluss wird erörtert, wie effektiver Rechtsschutz betreffend Legislativakte gewährleistet werden kann und ob insoweit von einem „Rechtsweg gegen Gesetze“ auszugehen ist.

500  Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1996, Az. 11 A 86/95, ­BVerwGE 101, 73, juris Rn. 35; Schlacke, in: Erbguth/Masing, Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit im Mehrebenensystem, 2008, S. 123, 130 f. 501  Die Bezeichnung geht zurück auf Barczak, in: Modrzejewski/Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. V, 2019, S. 17, 41; ders., DVBl 2019, 1040.



A. (K)ein Rechtsweg gegen Parlamentsgesetze?111

I. Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG setzt zur Eröffnung seines Schutzbereichs voraus, dass jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird. 1. Rechtsverletzung Losgelöst von der vielbesprochenen Frage, welche Rechtspositionen von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG geschützt werden,502 steht hier die Frage nach der Rechtsverletzung im Fokus. Nach traditioneller, bei Entstehung der Rechtsweggarantie herrschender, Ansicht sollte eine Verletzung der geschützten subjektiven Rechtspositionen durch Rechtssätze ausgeschlossen sein.503 Dagegen wurde jedoch die alle drei Gewalten umfassende Bindung des Art. 1 Abs. 3 GG angeführt. Da die auf Art. 1 GG folgenden Grundrechte auch die Legislative binden, ist mittlerweile allgemein anerkannt, dass Parlamentsgesetze, welche die Normadressaten unmittelbar, also auch ohne Vollzugsakt (sog. self-executing Normen504), zu einem Handeln, Dulden oder Unterlassen verpflichten, individuelle subjektive Rechte verletzen können.505 2. Öffentliche Gewalt Unstreitig erfasst der Begriff der „öffentlichen Gewalt“ im Sinne des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG das Verwaltungshandeln.506 Ob hingegen auch Legislativakte umfasst sind, ist bis heute in der Rechtswissenschaft ungeklärt. a) Erlass untergesetzlicher Rechtsnormen Da es sich um einen Akt der Exekutive handelt, ist die Rechtsprechung wie das Schrifttum mittlerweile der einhelligen Auffassung, dass die unterge502  Siehe dazu etwa Stern/Sachs/Dietlein, Staatsrecht, Bd. IV/2, 2011, S. 1918 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95.  EL 2021, Art.  19 Abs.  4 Rn.  116 ff. 503  Stern/Sachs/Dietlein, Staatsrecht, Bd. IV/2, 2011, S. 1910; Sachs, in: ders., GG, 9. Aufl. 2021, Art. 19 Rn. 122; Frenz, BayVBl 1993, 483. 504  Zur „sprachlich eleganteren“ Begrifflichkeit Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/ Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, § 90 Rn. 373; zu diesen nachfolgend S. 133 ff. 505  Schenke, in: BK GG, 214. EL 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 535; Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 19 Rn. 435; Stern/Sachs/Dietlein, Staatsrecht, Bd. IV/2, 2011, S. 1910; Sachs, in: ders., GG, 9. Aufl. 2021, Art. 19 Rn. 122. 506  Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Art. 19 Abs. 4 Rn. 48; Stern/ Sachs/Dietlein, Staatsrecht, Bd. IV/2, 2011, S. 1904.

112

3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

setzliche Normgebung Bestandteil der öffentlichen Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG ist.507 Während das Bundesverfassungsgericht die Frage früher offen ließ,508 hat es sich mittlerweile mit dem Beschluss zur Kulturpflanzen-Ausgleichszahlungs-Verordnung aus dem Jahr 2006 der Auffassung in der Literatur angeschlossen.509 Ohne tiefere Begründung verweist das Gericht hier schlicht darauf, dass es sich bei untergesetzlichen Rechtsnormen um Exekutivakte handele, welche in den Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 GG miteinzubeziehen seien.510 Auch das Bundesverwaltungsgericht hält sich mit einer Begründung zurück. Das Gericht ordnete bereits früher die exekutive Normsetzung der öffentlichen Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zu.511 Dies führte es jedoch allein darauf zurück, dass das Bundesverfassungsgericht anders als für Parlamentsgesetze eine Anwendung des Art. 19 Abs. 4 GG nicht ausgeschlossen hatte.512 Auch sonst sei kein Grund ersichtlich, den Erlass von Rechtsnormen durch die Exekutive vom gewährleisteten Rechtsschutz durch die staatlichen Gerichte auszunehmen.513 b) Erlass von Parlamentsgesetzen aa) Ablehnende Haltung des Bundesverfassungsgerichts Demgegenüber fasst das Bundesverfassungsgericht den parlamentarischen Gesetzgeber nicht unter den Begriff der öffentlichen Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 Satz  1 GG.514 Maßgeblich ist hier die sogenannte AKU-Ent507  Siehe zur Auffassung in der Literatur etwa Huber, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 19 Rn. 429; Seiler, DVBl 2007, 538; Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 70  ff.; Schenke, Rechtsschutz bei normativem Unrecht, 1979, S. 28 ff.; ders., JZ 2006, 1004, 1005. 508  BVerfG, Beschluss vom 27. Juli 1971, Az. 2 BvR 443/70, BVerfGE 31, 364, juris Rn. 8. 509  BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2006, Az. 1 BvR 541/02, BVerfGE 115, 81, juris Rn. 41. 510  Ebd. 511  BVerwG, Urteil vom 3. November 1988, Az. 7 C 115/86, ­BVerwGE 80, 355, juris Rn. 20. 512  Vgl. BVerfG, Urteil vom 25. Juni 1968, Az. 2 BvR 251/63, BVerfGE 24, 33, juris Rn.  46 ff. 513  BVerwG, Urteil vom 3. November 1988, Az. 7 C 115/86, ­BVerwGE 80, 355, juris Rn. 20. 514  BVerfG, Urteil vom 25. Juni 1968, Az. 2 BvR 251/63, BVerfGE 24, 33, juris Rn. 46 ff.; Urteil vom 18. Dezember 1968, Az. 1 BvR 638/64, BVerfGE 24, 367, juris Rn. 117; Beschluss vom 10. Mai 1977, Az. 1 BvR 514/68, BVerfGE 45, 297, juris Rn. 133; Beschluss vom 25. Januar 2005, Az. 2 BvR 656/99, BVerfGE 112, 185, juris Rn. 89; zuletzt BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021, Az. 1 BvR 781/21, juris Rn. 136.



A. (K)ein Rechtsweg gegen Parlamentsgesetze?113

scheidung515 des Gerichts. In dieser hat es den Ausschluss des parlamentarischen Gesetzgebers eingehender begründet. Bis heute ist das Gericht von dieser Argumentationslinie nicht zurückgetreten. Nach traditionellem Verfassungsverständnis sei bis zum Inkrafttreten des Grundgesetzes selbstverständlich gewesen, dass Private Gesetze nicht unmittelbar gerichtlich angreifen können. Hätte der Verfassunggeber mit dieser Tradition über Art. 19 Abs. 4 GG brechen wollen, hätte er dies eindeutig zum Ausdruck bringen müssen.516 Weiter führt das Gericht unter Verweis auf Art. 20 Abs. 3 und Art. 97 Abs. 1 GG an, dass Gesetze „Grundlage der richterlichen Entscheidung“ seien und nicht ihr Gegenstand.517 Vor allem Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 und Art. 100 Abs. 1 GG seien für die verfassungsrechtliche Überprüfung von Gesetzen als abschließend zu erachten. Für Private bestehe daneben keine Rechtsschutzmöglichkeit, Parlamentsgesetze vor den Fachgerichten anzugreifen.518 Schließlich räume Art. 19 Abs. 4 GG den Rechtsuchenden kein Recht ein, eine allgemeinverbindliche Entscheidung über die Gültigkeit einer Rechtsnorm zu erzielen. Eine solche bedürfe eine gerichtliche Entscheidung jedoch, welche die Gültigkeit eines Gesetzes zum Gegenstand hat. Aufgrund der Eigenart eines solchen Verfahrens dürfe sich die Entscheidung nicht auf eine Rechtskraft inter partes beschränken. Die Feststellung, das sonst gültig bleibende Gesetz verletze die Rechtsuchenden in ihren Rechten und dürfe ihnen gegenüber nicht angewendet werden, sei hier nicht ausreichend.519 bb) Kritik in der Literatur Die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist in der Literatur überwiegend auf Widerspruch gestoßen.520 Bereits aus dem Wortlaut des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG sei zu schlussfolgern, dass auch die formelle Gesetzgebung von der Rechtsschutzgarantie erfasst sei. Der Schutzbereich sei hinsichtlich 515  BVerfG, 516  Ebd., 517  Ebd.

Urteil vom 25. Juni 1968, Az. 2 BvR 251/63, BVerfGE 24, 33. juris Rn. 47.

518  Ebd. 519  Ebd.

520  Ernst, in: v. Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 19 Rn. 131; Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 19 Rn. 435; Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95.  EL 2021, Art.  19 Abs.  4 Rn.  93; Maurer, in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd. II, 2001, S. 467, 479 ff.; Schenke, in: BK GG, 214. EL 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 429 ff.; ders., JZ 2006, 1004, 1005 ff.; ders., NJW 2017, 1062, 1064 ff.; a. A. Enders, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, 49. Ed. 2021, Art. 19 Rn. 59; Stern/Sachs/Dietlein, Staatsrecht, Bd. IV/2, 2011, S. 1911 f., Jarass, in: ders./ Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 19 Rn. 44.

114

3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

der „öffentlichen Gewalt“ nicht begrenzt.521 Insoweit sei eine vergleichbare Auslegung dieses Begriffs wie im Rahmen der Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG und § 90 BVerfGG angezeigt, bei denen nie in Zweifel gestanden habe, dass der Begriff der öffentlichen Gewalt auch die Legislative erfasst.522 Dieses grammatikalische Argument gelte nach Schenke umso mehr, seitdem das Bundesverfassungsgericht auch die untergesetzliche Rechtssetzung zur öffentlichen Gewalt zählt, da sich die Wirkungsweise der untergesetzlichen Rechtssätze nicht von jener der Parlamentsgesetze unterscheide.523 Auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift spreche für ein entsprechend weites Verständnis der Norm. Indem der Verfassunggeber Art. 19 GG den materiellen Grundrechten hintenanstellte, habe er die Verfahren kennzeichnen wollen, durch welche die materiellen Grundrechte verfahrensmäßig gesichert werden.524 Dies ist wiederum in Zusammenhang mit Art. 1 Abs. 3 GG zu sehen. Hiernach binden die Grundrechte einheitlich die Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung. Mit seiner Stellung im ersten Abschnitt stellt Art. 19 Abs. 4 GG eines der Grundrechte dar. Konsequenterweise müsse damit auch die Gesetzgebung unter den Schutzbereich der Rechtsschutzgarantie fallen.525 Ferner sei teleologisch eine unterschiedliche Handhabe von formellen und untergesetzlichen Rechtsnormen diesbezüglich nicht zu begründen. Sowohl bei exekutivem wie bei legislativem Unrecht bestehe ein Bedürfnis nach effektivem Rechtsschutz. Nach Schenke seien Rechtsnormen und Verwaltungshandeln mittlerweile zu weiten Teilen austauschbar geworden.526 Die Wahl der Rechtsform durch die öffentliche Gewalt dürfe keine Auswirkungen auf die Anwendbarkeit des Art. 19 Abs. 4 GG haben. Anderenfalls wird die Gefahr gesehen, die öffentliche Hand könne über die Eröffnung des Schutzbereichs eines Grundrechts und damit auch über die Frage nach effektivem Rechtsschutz disponieren.527

521  Schenke, 522  Ebd.

NJW 2017, 1062, 1065.

523  Ebd. 524  Ebd.

525  Schenke, NJW 2017, 1062, 1065; Ernst, in: v. Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 19 Rn. 131. 526  Schenke, NJW 2017, 1062, 1065 f.; ähnlich auch Huber, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 19 Rn. 435 und Ernst, in: v. Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 19 Rn. 131. 527  Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7.  Aufl. 2018, Art. 19 Rn. 435; Schenke, Rechtsschutz bei normativem Unrecht, 1979, S. 56 f.; ders., JZ 2006, 1004, 1006.



A. (K)ein Rechtsweg gegen Parlamentsgesetze?115

II. Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes Will man mit der herrschenden Auffassung in der Literatur annehmen, dass Art. 19 Abs. 4 GG auch effektiven Rechtsschutz betreffend Legislativ­ akte voraussetzt, stellt sich die Frage, wie dies zu gewährleisten ist. Art. 19 Abs. 4 GG gibt selbst nicht vor, in welcher Art und Weise Rechtsschutz konkret zu gewähren ist.528 Um dies näher zu beleuchten, wird zunächst der Frage nach Rechtsschutzmöglichkeiten betreffend untergesetzliche Rechtsnormen nachgegangen, um etwaige Schlüsse für den Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze zu ziehen. 1. Kontrolle untergesetzlicher Rechtsnormen Die Kontrolle untergesetzlicher Rechtsnormen kann sowohl im Rahmen einer Inzidentkontrolle wie auch durch eine prinzipale Kontrolle erfolgen. a) Inzidente Normenkontrolle Inzidente Normenkontrolle meint die Überprüfung von Normen, „deren Gültigkeit die Vorfrage für die Entscheidung eines Prozesses ist“.529 Kommt es zu einer inzidenten Normverwerfung – die Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG den Fachgerichten bei untergesetzlichen Rechtsnormen gerade nicht verwehrt – geht die Bindungswirkung der Entscheidung nicht über die gewöhnliche inter partes-Wirkung hinaus (vgl. etwa § 121 VwGO). Die Norm selbst ist gerade nicht Streitgegenstand. Das jeweilige Gericht entscheidet insoweit nicht über die Rechts- oder Verfassungsmäßigkeit der Norm, sodass ihre Verwerfung nicht über die am Rechtsstreit Beteiligten hinaus gelten kann.530 Nach herrschender Auffassung ist eine Inzidentkontrolle grundsätzlich ausreichend, um effektiven Rechtsschutz im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG betreffend untergesetzliche Rechtsnormen zu gewährleisten.531 Hier wird dem Rechtsschutzgebot ausreichend Rechnung getragen, wenn der durch NJW 1986, 1451, 1456. in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, 3. Aufl. 2014, § 112 Rn. 30; vgl. weiter Maurer, Staatsrecht I, 6. Aufl. 2010, § 20 Rn. 70. 530  Panzer, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 47 Rn. 8. 531  BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 19. Juni 2007, Az. 1 BvR 1290/05, juris Rn. 44; Papier, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. VIII, 3. Aufl. 2014, § 177 Rn. 33; Sachs, in: ders., GG, 9. Aufl. 2021, Art. 19 Rn. 123; Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn.  74; a. A. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 12. Aufl. 2021, § 19 Rn. 3; ders., in: FS Schenke, 2011, S. 803, 808; Frenz, BayVBl 1993, 483, 485. 528  Schenke, 529  Wilke,

116

3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

eine untergesetzliche Norm begründeten Rechtsverletzung rechtzeitig und wirksam für den Einzelfall abgeholfen wird.532 Eine Grenze soll jedoch erreicht sein, wenn eine inzidente Kontrolle nicht in Betracht kommt oder diese nicht ohne Weiteres der Rechtsbeeinträch­ tigung abhelfen kann.533 Dies bedeutet allerdings nicht, dass in diesen Fällen zwangsläufig eine prinzipale Normenkontrolle angezeigt wäre. Mit der Entscheidung zur Kulturpflanzen-Ausgleichszahlungs-Verordnung aus dem ­ Jahr 2006 hat das Bundesverfassungsgericht für derartige Fallgestaltungen einen Rechtsschutz über die Feststellungsklage unmittelbar gegen den Normgeber postuliert.534 Dabei hat das Gericht dieser Klage keine vergleichbare Wirkung wie prinzipalen Kontrollen beigemessen. Über die Ausgestaltung als prinzipale oder inzidente Kontrollmöglichkeit hat der Gesetzgeber zu befinden.535 Allerdings erscheint fraglich, inwiefern hier nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts „die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Norm lediglich als – wenn auch streitentscheidende – Vorfrage“ gesehen werden kann und ob dies in verwaltungsprozessualer Sicht noch von § 43 Abs. 1 VwGO getragen wird.536 Anders beantwortet insbesondere Schenke die Frage, ob bloß inzidente Normenkontrollen dem Rechtsschutzgebot nach Art. 19 Abs. 4 GG gerecht werden. Er ist wohl bekanntester Vertreter der Auffassung, dass im Einzelfall auch prinzipale Normenkontrollen von untergesetzlichen Rechtssätzen zulässig sein müssen, um ausreichenden Rechtsschutz zu gewähren.537 Schenke bildet Fallgruppen, um diese Einzelfälle darzulegen. Verbleibende Rechtsschutzlücken sieht er zum einen bei selfexecuting Normen, wenn sich die Belastung der Rechtsuchenden aus einer Regelung dieser Norm ergibt, die gegenüber einer Vielzahl anderer Personen

532  Papier, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. VIII, 3. Aufl. 2014, § 177 Rn. 33. 533  Sachs, in: ders., GG, 9. Aufl. 2021, Art. 19 Rn. 125; Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 74 f. 534  BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2006, Az. 1 BvR 541/02, BVerfGE 115, 81, juris Rn. 50; vgl. in der Fachgerichtsbarkeit BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2000, Az. 11 C 13/99, ­BVerwGE 111, 276, juris Rn. 30; BSG, Urteil vom 13. Januar 1993, Az. 14a/6 RKa 67/91, BSGE 72, 15, juris Rn. 43 f.; zur Feststellungsklage gegen den Normgeber in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung nachfolgend S. 137 ff. 535  BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 19. Juni 2007, Az. 1 BvR 1290/05, juris Rn. 44; Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 19 Rn. 436. 536  Zu dieser Frage betreffend Parlamentsgesetze siehe nachfolgend S. 188 ff. 537  Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 17. Aufl. 2021, Rn. 1136 f.; ders., Rechtsschutz bei normativem Unrecht, 1979, S. 152 ff.; Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 43 Rn. 8k; ders., NVwZ 2016, 720, 721 ff.; so auch anklingend bei SchmidtAßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 75 und 93.



A. (K)ein Rechtsweg gegen Parlamentsgesetze?117

getroffen wird („janusköpfige Normen“).538 Zum anderen sieht er für den Fall Rechtsschutzlücken, dass Normen rechtswidrig aber gleichzeitig rechtswirksam sind sowie wenn für die Durchsetzung der jeweiligen Norm eine Vielzahl an Hoheitsträgern zuständig ist.539 Zusammengefasst trägt Schenke hier zwei Gründe dafür vor, dass inzidente Normenkontrollen keinen ausreichenden Rechtsschutz bieten sollen: Zum einen sei dies auf die Entscheidungswirkung zurückzuführen. Die Entscheidung über die Nichtigkeit einer Norm erwachse hier nicht in Rechtskraft, da sie selbst nicht Streitgegenstand ist. Zum anderen besteht die Rechtskraft der Entscheidung im Übrigen ausschließlich zwischen den Verfahrensbeteiligten und ihren Rechtsnachfolgern.540 Eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Ansatz Schenkes soll im Rahmen dieser Untersuchung nicht erfolgen, da im Kern die Rechtslage betreffend Parlamentsgesetze zu beleuchten ist.541 Festzuhalten bleibt lediglich, dass nach ganz herrschender Auffassung Art. 19 Abs. 4 GG betreffend untergesetzliche Rechtsnormen bereits durch inzidente Normenkontrollen ausreichend Rechnung getragen wird. b) Prinzipale Normenkontrolle Gegenstand der prinzipalen Normenkontrolle ist die Gültigkeit der Norm selbst.542 Nach deutschem Recht kennzeichnend für diese Verfahren ist eine erga omnes-Wirkung der getroffenen Entscheidung betreffend die Unwirksamkeit der jeweiligen Norm.543 Gemeint ist damit die personelle Reichweite der Entscheidung. Entscheidet das zuständige Gericht, dass die Rechtsvor538  Siehe im Einzelnen Schenke, NVwZ 2016, 720, 721 ff.; ders., Verwaltungsprozessrecht, 17. Aufl. 2021, Rn. 1136 f.; ders., Rechtsschutz bei normativem Unrecht, 1979, S.  152 ff. 539  Ebd.; zum Teil unterteilt Schenke weiter nach „in einem sozialen Zusammenhang stehenden Normen“ und „Plannormen“, siehe dazu Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 43 Rn. 8k m. w. N. 540  Schenke, NJW 2017, 1062, 1063. 541  Kritik zu diesem Ansatz bei Kares, Das Rechtsverhältnis i. S. v. § 43 I Alt. 1 VwGO, 2010, S. 79 ff. und Siemer, in: FS Menger, 1985, S. 501, 504 ff.; zustimmend Kuntz, Der Rechtsschutz gegen unmittelbar wirkende Rechtsverordnungen des Bundes, 2001, S. 47 ff. und Hahn, Verwaltungsgerichtlicher Schutz gegen Rechtssätze der Verwaltung, 2004, S. 132 ff. 542  Wilke, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, 3. Aufl. 2014, § 112 Rn. 31; Panzer, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 47 Rn. 8. Die Begrifflichkeit soll zurückgehen auf Bettermann, so Bachof, AöR (86) 1961, 186, 188; so auch Warmke, Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, 1993, S. 62. 543  BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 19. Juni 2007, Az. 1 BvR 1290/ 05, juris Rn. 44; Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2010, § 2 Rn. 131; Maurer, Staatsrecht I, 7. Aufl., 2021, § 20 Rn. 70.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

schrift ungültig ist, ist die Entscheidung in diesem Fall allgemein, also für jedermann, verbindlich (vgl. etwa § 47 Abs. 5 Satz 2 Hs. 2 VwGO). Wie dargelegt, gibt Art. 19 Abs. 4 GG nach ganz herrschender Auffassung dem Gesetzgeber gerade nicht vor, entsprechende prinzipale Normenkon­ trollmöglichkeiten für untergesetzliche Rechtssätze einzurichten. Kontrollverfahren, die zu einer Entscheidung mit allgemeinverbindlicher Wirkung führen können, „gehen über die Gewährleistung individuellen Rechtsschutzes, dem Art. 19 Abs. 4 GG dient, hinaus“.544 Prinzipale Normenkontrollen gewähren nämlich einen objektiven Rechtsschutz, der von Art. 19 Abs. 4 GG gerade nicht vorausgesetzt wird.545 Dennoch besteht im Einzelfall die Möglichkeit für (private) Rechtsuchende untergesetzliche Rechtssätze prinzipal von den Gerichten kontrollieren zu lassen.546 Dem Gesetzgeber steht es frei, über Art. 19 Abs. 4 GG hinaus objektive Kontrollmöglichkeiten für Rechtssätze einzurichten; allerdings insoweit begrenzt, als dadurch der Individualrechtsschutz im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG nicht wesentlich eingeschränkt wird.547 Der Gesetzgeber hat insofern einfachgesetzlich mit § 47 VwGO und § 55a SGG von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und eine prinzipale Normenkontrolle vor den Oberverwaltungsgerichten bzw. den Landessozialgerichten für bestimmte untergesetzliche Rechtssätze eingerichtet. Mit diesen Normenkontrollverfahren hat der Gesetzgeber es ermöglicht, durch eine einzige Gerichtsentscheidung eine Vielzahl von Einzelklagen, die andernfalls 544  Sachs, in: ders., GG, 9. Aufl. 2021, Art. 19 Rn. 123; so auch BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 19. Juni 2007, Az. 1 BvR 1290/05, juris Rn. 44; BVerwG, Beschluss vom 2. September 1983, Az. 4 N 1/83, B ­ VerwGE 68, 12, juris Rn. 9; Lorenz, in: FS Menger, 1985, S. 143, 151; Papier, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. VIII, 3. Aufl. 2014, § 177 Rn. 33; für § 47 VwGO auch Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 75; a. A. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 12. Aufl. 2021, § 19 Rn. 3 und speziell für selfexecuting Normen Frenz, BayVBl 1993, 483, 485. 545  Michael, ZJS 2014, 621, 623. Parallel besteht kein grundrechtlich garantiertes Recht auf Verbandsklagen unabhängig von einer subjektiven Rechtsverletzung, dazu Papier, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. VIII, 3. Aufl. 2014, § 177 Rn. 2, Fn. 3 und BVerfG, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 10. Mai 2001, Az. 1 BvR 481/01, juris Rn. 19. 546  Die abstrakte Normenkontrolle im Sinne des Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG i. V. m. §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG, die Kommunalverfassungsbeschwerde im Sinne des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG i. V. m. §§ 13 Nr. 8a, 91 BVerfGG und die parallelen landesrechtlichen Verfahren sollen hier außen vor bleiben, da diese keine Rechtsschutzmöglichkeiten für Private bieten. 547  Papier, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. VIII, 3. Aufl. 2014, § 177 Rn. 2; Schlacke, in: Erbguth/Masing, Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit im Mehrebenensystem, 2008, S. 123, 129 f.; Schmidt-Aßmann, in: Dürig/ Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 9.



A. (K)ein Rechtsweg gegen Parlamentsgesetze?119

von potentiellen Rechtsuchenden erhoben werden müssten, zu vermeiden und dadurch die Gerichte zu entlasten.548 Gleichzeitig wird der Gefahr divergierender Entscheidungen in Gestalt unterschiedlicher Ergebnisse durch Inzidentkontrollen begegnet.549 Insoweit ist der Gesetzgeber hier hinsichtlich der von § 47 VwGO und § 55a SGG erfassten Normen den vorgenannten Bedenken Schenkes begegnet, die sich aus einer weniger breiten Entscheidungswirkung ergeben.550 Daneben steht Rechtsuchenden in verfassungsprozessualer Hinsicht grundsätzlich auch die Möglichkeit offen, Rechtssatzverfassungsbeschwerde zu erheben. Untergesetzliche Rechtssätze sind wie Parlamentsgesetze tauglicher Beschwerdegegenstand im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG.551 Dies gilt unabhängig davon, dass nach wohl herrschender Auffassung Art. 19 Abs. 4 GG keinen verfassungsrechtlichen Rechtsschutz verbürgt,552 sodass auch für die Rechtssatzverfassungsbeschwerde gilt, dass Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG diese nicht als Rechtsschutzinstrument betreffend untergesetzliche Rechtsnormen voraussetzt.553 Die Möglichkeit nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG gegen untergesetzliche Normen Rechtsschutz zu erlangen, ist dabei offensichtlich weiter als das Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO, da hier sämtliche von der Exekutive, also etwa auch auf Bundesebene, erlassene Rechtsnormen erfasst sind. Wird ein enger Gesetzesbegriff zugrunde gelegt, steht auch § 93c Abs. 1 Satz 3 BVerfGG Kammerentscheidungen über die Unvereinbarkeit einer untergesetzlichen Rechtsnorm mit dem Grundgesetz nicht entgegen.554 Gleich548  Giesberts, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 60. Ed. 2022, § 47 Rn. 2 unter Verweis auf die Begründung des Regierungsentwurfs in BT-Drs. 3/55, S. 33. 549  BVerwG, Beschluss vom 14. Juli 1978, Az. 7 N 1/78, ­BVerwGE 56, 172, juris Rn. 15; Unruh, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 47 VwGO Rn. 7. 550  Ähnlich auch Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 75 in Bezug auf Bebauungspläne. 551  Lechner/Zuck, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, § 90 Rn. 124; Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 90 Rn. 168. 552  BVerfG, Beschluss vom 16. Juli 1998, Az. 2 BvR 1953/95, BVerfGE 99, 1, juris Rn. 73; Nichtannahmebeschluss vom 18. Oktober 2010, Az. 2 BvR 2174/10, juris Rn. 5; Bethge, in: FS Schenke, 2011, S. 61, 74; Papier, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. VIII, 3. Aufl. 2014, § 177 Rn. 58, Fn. 142; Burkiczak, in: ders./Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2. Aufl. 2022, § 1 Rn. 69; Sachs, in: ders., GG, 9. Aufl. 2021, Art. 19 Rn. 138; Häberle, JöR NF 45 (1997), 89, 116; a. A. Frenz, DÖV 1993, 847, 852. 553  A. A. Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 19 Rn. 450; so betreffend Parlamentsgesetze Schenke, NJW 2017, 1062, 1067 f.; Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 175. 554  Siehe etwa BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 19. Juni 2007, Az. 1 BvR 1290/05, juris Rn. 23; Stattgebender Kammerbeschluss vom 18. Juli 2019, Az. 1

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

zeitig sind jedoch die höheren Hürden des Verfassungsbeschwerdeverfahrens zu beachten. Schmidt-Aßmann geht sogar so weit, hier den direkten Weg über die Verfassungsbeschwerde als „versperrt“ zu bewerten.555 Für sämt­ liche Normen, die von § 47 VwGO bzw. § 55a SGG erfasst werden, ist grundsätzlich zunächst der Rechtsweg über das Normenkontrollverfahren im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zu beschreiten.556 Für die übrigen untergesetzlichen Rechtsnormen sind die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Anforderungen des Subsidiaritätsgrundsatzes zu beachten. Darüber hinaus steht Rechtsuchenden keine Möglichkeit der prinzipalen Normenkontrolle zur Verfügung. Die Feststellungsklage nach § 43 VwGO bietet auch dann keine entsprechende Rechtsschutzmöglichkeit, wenn sie „atypisch“557 gegen den Normgeber erhoben wird.558 2. Kontrolle von Parlamentsgesetzen Wie bereits dargelegt, will die Rechtsprechung – anders als der Großteil der Literatur – den parlamentarischen Gesetzgeber nicht unter den Begriff der öffentlichen Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG fassen. Insoweit würde sich die Frage nicht stellen, wie diesbezüglich effektiver Rechtsschutz zu gewährleisten ist. Zu beachten ist jedoch, dass durch die Herausnahme von Legislativakten aus dem Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze nicht ausgeschlossen ist. Parallel zu prinzipalen Normenkontrollen für untergesetzliche Rechtsnormen oder auch Verbandsklagemöglichkeiten kann der Gesetzgeber grundsätzlich Rechtsschutzmöglichkeiten etablieren, die über die Vorgaben des Art. 19 BvR 807/12, juris Rn. 76; kritisch dazu etwa Lechner/Zuck, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, § 93c Rn. 15 und Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 93c Rn. 26. 555  Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 75. 556  BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985, Az. 2 BvR 397/82, BVerfGE 70, 35, juris Rn. 57; Beschluss vom 23. Juni 1987, Az. 2 BvR 826/83, BVerfGE 76, 107, juris Rn. 22. 557  Zu der Begrifflichkeit etwa Engels, NVwZ 2018, 1001, BVerwG, Urteil vom 23. August 2007, Az. 7 C 13/06, juris Rn. 23 und Schenke, NVwZ 2016, 720, 725 f.; unter Verweis auf die uneinheitliche Handhabe der Begrifflichkeit der „atypischen Feststellungsklage“ rät Kares zurecht an, auf ihre Verwendung zu verzichten, dies., Das Rechtsverhältnis i. S. v. § 43 I Alt. 1 VwGO, 2011, S. 87 ff. 558  Dazu Fellenberg/Karpenstein, NVwZ 2006, 1133, 1135; vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2010, Az. 8 C 19/09, B ­ VerwGE 136, 54, juris Rn. 23 ff.; BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2006, Az. 1 BvR 541/02, BVerfGE 115, 81, juris Rn. 50 ff.; zur Feststellungsklage gegen den Normgeber in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung nachfolgend S. 137 ff.



A. (K)ein Rechtsweg gegen Parlamentsgesetze?121

Abs. 4 Satz 1 GG hinausgehen.559 Der einfache Gesetzgeber hat jedoch davon abgesehen, spezielle Rechtsschutzinstrumente betreffend Parlamentsgesetze zu schaffen. Unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Grenze des Art. 100 Abs. 1 GG wäre der Nutzen entsprechender Rechtsschutzinstrumente augenscheinlich zumindest fraglich.560 Bedeutsam ist, dass auch über Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG hinaus ein gewisser Mindeststandard an Rechtsschutz garantiert wird. Schmidt-Aßmann zufolge garantiert Art. 19 Abs. 4 GG lediglich „besondere Rechtsschutzstandards“ gegen Akte der öffentlichen Gewalt. Diese sollen gleichzeitig aber in einer engen Beziehung zu den von ihm so bezeichneten „allgemeinen Rechtsschutzstandards“ stehen.561 Neben der richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 GG), dem Gebot rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), dem Recht auf den gesetzlichen Richter sowie dem Verbot der Ausnahmegerichte (Art. 101 Abs. 1 GG) sollen hierzu auch ungeschriebene Rechtsschutzstandards gehören.562 Zu diesen zählt Schmidt-Aßmann auch das von Art. 100 Abs. 1 GG vorausgesetzte richterliche Prüfungsrecht bzw. die entsprechende Prüfungspflicht eines jeden Fachgerichts.563 Folge ist, dass die gerichtliche Inzidentkontrolle bereits unabhängig von der Frage des Schutzumfangs des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zum gebotenen Prüfungsumfang der Fachgerichte zählt. Dies ist im Ergebnis nur konsequent, weil sonst der grundgesetzliche Prüfungsauftrag in Art. 100 Abs. 1 GG leerliefe. Wenn mit der herrschenden Auffassung in der Literatur der parlamentarische Gesetzgeber unter Art. 19 Abs. 4 GG gefasst wird, kann dies danach streng genommen nur zur Konsequenz haben, dass auch eine prinzipale Normenkontrollmöglichkeit für Parlamentsgesetze gefordert wird.564 Zu beachten ist hier wiederum, dass damit nicht die Forderung an den Gesetzgeber nach einer einfachgesetzlichen prinzipalen Normenkontrollmöglichkeit einhergehen muss. Insbesondere Schenke und Schmidt-Aßmann heben hier hervor, dass mit der (Rechtssatz-)Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG eine ausreichende Rechtsschutzmöglichkeit gegeben ist. Die Ver559  Siehe

dazu bereits zuvor S. 106 ff. auch Papier, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. VIII, 3. Aufl. 2014, § 177 Rn. 41 und Posser, Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, 1993, S. 453. 561  Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn.  18 f.; zustimmenden Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 19 Rn. 359; BVerfG, Beschluss vom 30. April 2003, Az. 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, 395, juris Rn. 16. 562  Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 18. 563  Ebd., Rn. 20. 564  Ebd., Rn.  93 ff. 560  Vgl.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

fassungsbeschwerde sei hier insoweit der von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG vorausgesetzte Rechtsweg.565 Diese Sichtweise überzeugt. Selbst wenn also die parlamentarische Gesetzgebung öffentliche Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG darstellen sollte, wird ein Konflikt mit dem Normverwerfungsmonopol der Verfassungsgerichte nach Art. 100 Abs. 1 GG vermieden. Gleichzeitig kann so auch auf eine wenig zielführende einfachgesetzlich normierte prinzipale Normenkontrollmöglichkeit für Parlamentsgesetze verzichtet werden. Mit diesem Verständnis hat die Streitfrage, ob Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG auch gegenüber dem formellen Gesetzgeber ein Recht auf effektiven Rechtsschutz verbürgt, für den Rechtsuchenden keine praktische Auswirkung. Aufgrund des in Art. 100 Abs. 1 GG verankerten allgemeinen Rechtsschutzstandards haben die Gerichte unabhängig von der Auslegung des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG Parlamentsgesetze zumindest inzidenter zu prüfen. Sollte der Schutzumfang der Rechtsschutzgarantie weiter verstanden werden,566 bietet die Rechtssatzverfassungsbeschwerde für die Rechtsuchenden eine ausreichende prinzipale Normenkontrollmöglichkeit, die wiederum bereits unabhängig vom Verständnis des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zur Verfügung steht.

III. Auswirkungen auf die Grundsätze der Rechtswegerschöpfung und der Subsidiarität In Anbetracht der Möglichkeit der inzidenten Normenkontrolle stellt sich die Frage nach den Auswirkungen auf die Zugangshürden für die Rechtsschutzmöglichkeiten vor dem Bundesverfassungsgericht. Im Rahmen der Ausführungen zum Gebot der Rechtswegerschöpfung im Sinne des § 90 Abs. 2 BVerfGG und zum Grundsatz der Subsidiarität wurde bereits auf den 565  Schenke, NJW 2017, 1062, 1067 f.; ders., in: BK GG, 214. EL 2021, Art 19 Abs. 4 Rn. 439; Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 94; ders./Schenk, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL 2021, Einleitung Rn. 15; siehe auch Papier, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. VIII, 3. Aufl. 2014, § 177 Rn. 41; Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 19 Rn. 450; Krebs, in: v. Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 19 Rn. 69; Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, 1973, S. 167; Schweitzer, Die Befristung prinzipaler Normenkontrollverfahren im Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 4 GG, 2007, S. 91; so auch bereits Bettermann, AöR 86 (1961), 129, 186; unter Verweis auf die fehlende Praxisrelevanz dieser Frage Stern/Sachs/ Dietlein, Staatsrecht, Bd. IV/2, 2011, S. 1944 f.; kritisch Ossenbühl, in: FS Hoppe, 2000, S. 183, 192 f. 566  Vgl. dazu Schenke, Rechtsschutz bei normativem Unrecht, 1979, S. 152 ff.; ders., in: FS Steiner, 2009, 682, 726 ff.; aufgreifend Kuntz, Der Rechtsschutz gegen unmittelbar wirkende Rechtsverordnungen des Bundes, 2001, S. 47 ff.



A. (K)ein Rechtsweg gegen Parlamentsgesetze?123

Rechtsweg in Form des § 47 VwGO (und § 55a SGG im Sozialgerichtsverfahren) für bestimmte untergesetzliche Rechtsnormen und den im Übrigen fehlenden unmittelbaren Rechtsweg verwiesen. Konträr zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts567 wird in der Literatur zum Teil vertreten, dass aufgrund der erwähnten inzidenten Kontrollmöglichkeiten dennoch ein Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 BVerfGG bestehe.568 Eines Rückgriffs auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität bedürfe es insoweit nicht.569 Dies wird insbesondere vor dem Hintergrund der mittlerweile klaren Positionierung des Bundesverfassungsgerichts570 diskutiert, dass Art. 19 Abs. 4 GG auch inzidenten Rechtsschutz betreffend untergesetzliche Rechtsnormen verbürge.571 Für den Begriff des Rechtswegs im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG soll nämlich nach Auffassung von Henke der Schutzumfang des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG maßgeblich sein.572 Entscheidend für die Rechtswegbestimmung sei, dass der auf dem gerügten Hoheitsakt basierenden Grundrechtsverletzung abgeholfen werden kann. Ob dies unmittelbar oder mittelbar erfolge, sei irrelevant.573 Gegen diesen Ansatz dürfte bereits vorzubringen sein, dass sich der Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 BVerfGG nach herrschender Auffassung primär nach den fachgerichtlichen Prozessordnungen bestimmt.574 Soweit 567  Siehe nur BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2006, Az. 1 BvR 541/02, BVerfGE 115, 81, juris Rn. 37 und BVerfG, Beschluss vom 18. Dezember 2018, Az. 1 BvR 2795/09, BVerfGE 150, 309, juris Rn. 42 ff. 568  Henke, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2.  Aufl. 2022, § 90 Rn. 221, 224; Schenke, NJW 1986, 1451, 1456 ff.; ders., Rechtsschutz bei normativem Unrecht, 1979, S. 301 ff.; ders., in: FS Steiner, 2009, S. 682, 698 ff., 710 ff.; ders., Verwaltungsprozessrecht, 17. Aufl. 2021, Rn. 1173; Detterbeck, DÖV 1990, 558, 562; Warmke, Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, 1993, S. 177 ff.; nur für untergesetzliche Rechtsnormen Bethge, in: FS Schenke, 2011, S. 61, 76; Gerontas, DÖV 1982, 440, 443 f.; a. A. Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 4. Teil Rn. 255, Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, § 90 Rn. 402 und Niesler, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 12. Ed. 2021, § 90 Abs. 2 Rn. 81; differenzierend Posser, Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, 1993, S.  453 ff. 569  Henke, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2.  Aufl. 2022, § 90 Rn. 221. 570  BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2006, Az. 1 BvR 541/02, BVerfGE 115, 81, juris Rn. 41; siehe dazu bereits zuvor S. 111 f. 571  So etwa Henke, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2. Aufl. 2022, § 90 Rn. 221, 224; bereits zuvor ausführlich etwa Schenke, NJW 1986, 1451, 1456 ff. 572  Henke, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2.  Aufl. 2022, § 90 Rn. 133, 150, 224. 573  Ebd. 574  BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 31. Oktober 2005, Az. 2 BvR 2233/04, juris Rn. 32; Lechner/Zuck, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, § 90 Rn. 147; Lenz/

124

3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

diese eine Normenkontrolle nur für bestimmte untergesetzliche Rechtsnormen im Sinne der § 47 VwGO und § 55a SGG vorsehen, besteht auch nur in diesen Fällen ein Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 BVerfGG. Darüber hinaus bestehen gerade im Hinblick auf Parlamentsgesetze Bedenken, in inzidenten Kontrollmöglichkeiten einen solchen Rechtsweg zu sehen. Die Aussetzungs- und Vorlagepflicht des Art. 100 Abs. 1 GG verhindert, dass die Fachgerichte hier einen vergleichbaren Rechtsschutz bieten, wie sie es hinsichtlich untergesetzlicher Rechtssätze können. Soweit keine (verfassungskonforme) Auslegung im Sinne der Rechtsuchenden in Betracht kommt, kann im Fall der Grundrechtsverletzung unmittelbar durch ein Parlamentsgesetz im Ergebnis ohnehin allein ein Verfassungsgericht der Grundrechtsbeeinträchtigung abhelfen.575 Letztlich erscheint hier eine vertiefte Stellungnahme jedoch entbehrlich. Der Frage, ob die Nachrangigkeit der Rechtssatzverfassungsbeschwerde nun auf das Gebot der Rechtswegerschöpfung im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG oder auf den allgemeinen Subsidiaritätsgrundsatz zu stützen ist, kann in praktischer Hinsicht keine Bedeutung beigemessen werden.576 In beiden Fällen wird den Rechtsuchenden der unmittelbare Weg zum Bundesverfassungsgericht erschwert. Unterschiedslos ist eine unmittelbare prinzipale Normenkontrolle über die Verfassungsbeschwerde nur möglich, soweit das Bundesverfassungsgericht von einem Ausnahmefall des § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG – gegebenenfalls in analoger Anwendung – ausgeht oder annimmt, es sei den jeweiligen Beschwerdeführenden unzumutbar, vorrangig die Fachgerichte zu bemühen.577 Von der Frage des Bestehens eines unmittelbaren bzw. mittelbaren Rechtswegs ist die Frage nach der Art und Weise zu trennen, wie die Rechtsuchenden diesen zu beschreiten haben.578 Unabhängig davon, ob das Bundesverfassungsgericht die jeweiligen Beschwerdeführenden über § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG oder über den allgemeinen Subsidiaritätsgrundsatz an die Fachgerichte verweist, haben sie ihre Rügeobliegenheit im fachgerichtlichen Verfahren zu berücksichtigen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht bereits festgestellt, dass keine Pflicht besteht, den Ausgangsprozess als „Verfassungs-

Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 90 Rn. 356 ff.; Niesler, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 12. Ed. 2021, § 90 Abs. 2 Rn. 25. 575  Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 4. Teil Rn. 255. 576  Auch nach Schenke ist diese Frage nur von „untergeordneter Bedeutung“, ders., NVwZ 2016, 720. 577  So auch Henke, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2. Aufl. 2022, § 90 Rn. 223. 578  Zur materiellen Subsidiarität bereits zuvor S. 68 ff.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 125

prozess“ zu führen,579 doch trifft Rechtsuchende im fachgerichtlichen Verfahren – wie bereits dargestellt580 – die Pflicht, zu verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten vorzutragen, wenn sie hier die Verfassungswidrigkeit einer Rechtsnorm geltend machen wollen. Der Verweis an die Fachgerichte bringt insofern – konträr zur zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – mit sich, dass es ihnen in diesen Fällen gleich mehrfach obliegt, einen „Verfassungsprozess“ zu führen.581 Im Ergebnis bedarf die Frage, ob (k)ein Rechtsweg gegen Gesetze besteht, im Rahmen dieser Ausarbeitung keiner endgültigen Antwort. Unabhängig davon, ob der parlamentarische Gesetzgeber im Gleichlauf mit der exekutiven Normsetzung unter den Begriff der öffentlichen Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zu subsumieren ist und unabhängig von der Frage, ob inzidente Kontrollmöglichkeiten von Rechtssätzen einen Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG darstellen, bestehen als „Hürden“ grundsätzlich vorrangige Rechtsschutzmöglichkeiten betreffend normatives Unrecht, welche die Rechtsuchenden zu überwinden haben, bevor sie ver­ fassungsgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen können. Es bleibt nachfolgend zu erörtern, wie die aufgestellten Hürden im Zusammenhang mit der allgemeinen Feststellungsklage im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO als potentielle „allgemeine Normenabwehrklage“582 ausgestaltet sind.

B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze Unabhängig von der Frage, ob die Verfassung einen subjektiven Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze fordert, bleibt zu erörtern, auf welche Art ein solcher erreicht werden könnte. Dazu ist zwischen unmittelbar verfassungsrechtlichem Rechtsschutz und fachgerichtlichem Rechtsschutz zu unterscheiden.

579  BVerfG, Beschluss vom 9. November 2004, Az. 1 BvR 684/98, BVerfGE 112, 50, juris Rn. 40. 580  Siehe zuvor S. 69 ff. 581  Vgl. für eine umfassende verfassungsrechtliche Prüfung vor den Fachgerichten etwa VGH Bayern, Urteil vom 17. Dezember 2012, Az. 10 BV 09.2641, juris Rn. 65 ff. oder OVG NRW, Beschluss vom 22. Juni 2017, Az. 13 B 238/17, juris Rn. 89 ff.; in diese Richtung auch Zuck, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, 5. Aufl. 2017, 1. Kapitel Rn. 71. 582  Siehe bereits zuvor Fn. 501.

126

3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

I. Normverwerfungsmonopol Wie zuvor bereits mehrfach festgehalten, steht die Aussetzungs- und Vorlagepflicht des Art. 100 Abs. 1 GG einer Entscheidung der Fachgerichte über die Wirksamkeit von nachkonstitutionellen Parlamentsgesetzen entgegen. Eine gerichtliche prinzipale Normenkontrollmöglichkeit ist damit zwar nicht per se ausgeschlossen, doch dürfte die Effektivität eines entsprechenden Rechtsschutzinstruments vor dem Hintergrund des Art. 100 Abs. 1 GG für die Rechtsuchenden mehr als fraglich sein. Einzig das Verfassungsprozessrecht bietet unmittelbare gerichtliche Kontrollmöglichkeit für formelle Rechtssätze. Den Fachgerichten verbleibt ihr richterliches Prüfungsrecht im Rahmen von Inzidentkontrollen (hierzu II.). Ungeachtet der weiteren Normenkontrollmöglichkeiten583 ist Rechtsuchenden allein über die Verfassungsbeschwerde der unmittelbare Weg zum Bundesverfassungsgericht grundsätzlich eröffnet, wenn sie sich durch Rechtssätze in ihren Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten verletzt sehen. Im Übrigen besteht nur mittelbar die Möglichkeit über Aussetzungs- und Vorlagebeschlüsse der Fachgerichte nach Art. 100 Abs. 1 GG das Gericht mit ihrem Anliegen zu befassen. Ähnlich verhält es sich für die Rechtsschutzmöglichkeiten vor den Landesverfassungsgerichten. Soweit ein Bundesland die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde eingeführt hat, können die Rechtsuchenden auch auf Länderebene eine Verletzung der durch die jeweilige Landesverfassung garantierten subjektiven Rechte rügen. Rechtsuchende können die Landesverfassungsbeschwerden – bis auf die Verfassungsbeschwerde zum Bayerischen Verfassungsgerichtshof (vgl. Art. 51 Abs. 1 VfGHG Bay)584 – als Rechtssatzverfassungsbeschwerde erheben und so grundsätzlich unmittelbaren Rechtsschutz gegen formelle Landesgesetze erlangen.585 Über die Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG können auch auf Länderebene die Verfassungsgerichte mittelbar bemüht werden. Auf dem vermeintlich unmittelbaren Weg der Verfassungsbeschwerde stehen Rechtsuchende zunächst vor den Hürden der (unmittelbaren) Betroffenheit im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG sowie dem Grundsatz der Subsidiarität.586 Durch stetig gesteigerte Anforderungen werden die Rechtsuchenden 583  Vgl. bereits Fn. 546 und für formelle Bundesgesetze weiter die Kompetenzkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2a GG. i. V. m. §§ 13 Nr. 6a, 76 Abs. 2, 77 ff. BVerfGG. 584  Der Freistaat Bayern hat hierfür die Möglichkeit einer sog. Popularklage nach Art. 98 Satz 4 BV i. V. m. Art. 2 Nr. 7, Art. 55 VfGHG Bay eingerichtet. 585  Siehe nur Art. 53 Nr. 6 VerfMV oder Art. 75 Nr. 6 VerfSachsen-Anhalt. 586  Auf Länderebene gilt grds. Entsprechendes. Für die Popularklage zum Bayerischen Verfassungsgerichtshof sind wiederum die Besonderheiten des Art. 55 VfGHG Bay zu berücksichtigen.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 127

hier zunehmend auf inzidente Kontrollmöglichkeiten verwiesen, die ihrerseits wiederum die Bedeutung des Vorlageverfahrens nach Art. 100 Abs. 1 GG fördern.587 Im Schrifttum wird angesichts der hohen Hürden vertreten, dass die Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen Gesetze fast ausgeschlossen ist.588 Die Frage, ob bzw. inwieweit die im Einzelnen noch darzustellende gegenständliche Rechtsprechungslinie diesbezüglich Rechtsschutzdefizite mit sich bringt, wird im Rahmen des vierten Teils erörtert.589

II. Möglichkeiten der Inzidentkontrolle 1. Richterliches Prüfungsrecht der Fachgerichte Die Konzentration der letztverbindlichen Normverwerfungskompetenz für Parlamentsgesetze in Verbindung mit der Aussetzungs- und Vorlagepflicht nach Art. 100 Abs. 1 GG hat ein diffuses Normprüfungsrecht für sämtliche Fachgerichte zur Folge.590 a) Verfassungsgeschichtliche Entwicklung des Prüfungsrechts Bis mit der Herausbildung einer „abstrakten Normenkontrolle“ im Sinne des Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG zu Abgrenzungszwecken die Bezeichnung als „konkrete Normenkontrolle“ erforderlich wurde, war für die Gesetzesprüfung durch einen Richter die Bezeichnung als „richterliches Prüfungsrecht“ oder „richterliche Prüfungszuständigkeit“ üblich.591 Die Existenz eines solchen Prüfungsrechts war lange Zeit umstritten.592 Hierbei ist zu beachten, dass nach dem früheren Verständnis das richterliche Prüfungsrecht wohl stets mit 587  Zu dieser Reflexwirkung Warmke, Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, 1993, S. 39. 588  Siehe nur Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, § 90 Rn. 412; Lechner/Zuck, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, § 90 Rn. 167; Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 4. Teil Rn. 253 ff. 589  Siehe nachfolgend S. 268 ff. 590  Vgl. zum Begriff der diffusen Normenkontrolle Löwer, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 70 Rn. 79, Rn. 59 unter Verweis auf Kälin zur Rechtslage in der Schweiz, ders., in: Thürer, Verfassungsrecht der Schweiz, 2001, § 74, S. 1167 ff.; siehe zu Art. 100 Abs. 1 GG bereits zuvor S. 48 ff. 591  Dederer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 100 Rn. 1; Stern, in: BK GG, 214. EL 2021, Art. 100 Rn. 5. 592  Siehe weiterführend zur Entwicklung des richterlichen Prüfungsrechts Herrmann, Entstehung, Legitimation und Zukunft der konkreten Normenkontrolle im modernen Verfassungsstaat, 2001 und eingehend zum Prüfungsrecht im Reichskonstitutionalismus und in der Weimarer Republik Wißmann, Der Staat, Beiheft 22, 2014, 253.

128

3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

der Befugnis zur Normverwerfung oder zumindest der Nichtanwendung einherging und sich nicht in einer bloßen Inzidentkontrolle erschöpfte.593 Zu Zeiten des Kaiserreichs bestätigte das Reichsgericht zwar ein Prüfungsrecht für untergesetzliche Rechtsnormen, doch lehnte es ein solches für Parlamentsgesetze ab.594 Weiterhin ohne konkrete gesetzliche Stütze entschied das Gericht nachfolgend im Jahr 1925, dass die Gerichte berechtigt und verpflichtet seien, Reichsgesetze am Maßstab der Weimarer Reichsverfassung zu prüfen.595 Während ihnen in der NS-Zeit ein richterliches Prüfungsrecht aufgrund des „Führerprinzips“ wieder abgesprochen wurde,596 erkannten fast sämtliche Landesverfassungen der Nachkriegszeit eine entsprechende Befugnis an.597 Ohne dabei ausdrücklich klarzustellen, ob die konkrete Normenkontrolle sowohl formelle wie untergesetzliche Rechtsnormen erfassen sollte, fand das richterliche Prüfungsrecht über Art. 137 Abs. 1 HChE mit Art. 100 Abs. 1 GG seinen Weg in das Grundgesetz. Erst das Bundesverfassungsgericht bestätigte im Jahr 1952, dass nur Parlamentsgesetze über Art. 100 Abs. 1 GG den Verfassungsgerichten vorzulegen sind.598 b) Umfang des Prüfungsrechts Anders als früher wird vor dem Hintergrund des Art. 100 Abs. 1 GG unter dem Begriff des „richterlichen Prüfungsrechts“ nicht mehr jede Normprüfung durch den Richter verstanden, die auch in einer Normverwerfung enden kann. Vielmehr meint der Begriff heute in Abgrenzung zur Normverwerfungskompetenz die gerichtliche inzidente Normenkontrolle, veranlasst durch einen konkreten Sachverhalt.599 Ist hierbei eine untergesetzliche Rechtsnorm – oder ein vorkonstitutionelles Parlamentsgesetz – entscheidend, kann es das jeweilige Gericht schlicht unangewendet lassen, wenn es von der 593  Dederer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 100 Rn. 1, Fn. 3 m. w. N. 594  RG, Urteil vom 17. Februar 1883, Az. I 513/82, RGZ 9, 232, 235, Urteil vom 28. März 1889, Az. IV 4/89, RGZ 24, 1, 3; Urteil vom 20. März 1899, Az. VI 6/99, RGZ 43, 418, 420. 595  RG, Urteil vom 4. November 1925, Az. V 621/24, RGZ 111, 320, 323; das RG stützte seine Entscheidung vielmehr auf das Fehlen einer verfassungsrechtlichen Regelung, welche den Gerichten ein entsprechendes Prüfungsrecht entziehen würde, vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 20. März 1952, Az. 1 BvL 12/51, BVerfGE 1, 184, juris Rn. 35. 596  Dazu Stern, AöR 91 (1966), 223, 224. 597  Einen Überblick gibt BVerfG, Urteil vom 20. März 1952, Az. 1 BvL 12/51, BVerfGE 1, 184, juris Rn. 37. 598  Ebd., Rn.  39 ff. 599  Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 4. Teil Rn. 134 f.; Dederer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 100 Rn. 9.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 129

Unwirksamkeit ausgeht. Ist das Gericht wiederum von der Verfassungswidrigkeit eines Parlamentsgesetzes überzeugt, muss es über Art. 100 Abs. 1 GG das Verfahren aussetzen und die jeweilige Norm zur Entscheidung einem Verfassungsgericht vorlegen. Auch in diesem Fall wird das Prüfungsrecht jedoch nicht verdrängt. Das Gericht ist zumindest über die Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG) verpflichtet, die Wirksamkeit der jeweiligen Norm zu überprüfen. Kommt es zu dem Ergebnis – etwa auch durch eine verfassungskonforme Auslegung der streitentscheidenden Norm600 –, dass die jeweilige Vorschrift mit dem höherrangigem Recht vereinbar ist, hat es die Verfassungsgerichte nicht mit der Sache zu befassen. Selbst in dem Fall, dass die Gerichte die jeweilig anzuwendende Rechtsgrundlage nicht explizit auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz hin untersuchen, streitet eine Entscheidung der Fachgerichte objektiv dafür, dass sie (implizit) verfassungskonform ist.601 Die Gerichte üben das Prüfungsrecht vollkommen eigenständig aus. Lediglich die Kompetenz zur endgültigen Nichtanwendung und Verwerfung formellen Rechts fehlt den Fachgerichten. Das entsprechende Monopol liegt hier bei den Verfassungsgerichten.602 Korioth hält die Bezeichnung als „Prüfungsrecht“ zurecht für unvollständig.603 Durch die Aussetzung des Verfahrens und Vorlage an das Verfassungsgericht kann das vorlegende Gericht zwar nicht die Feststellung der Nichtigkeit, jedoch zumindest die zeitweilige Nichtanwendung der fraglichen Norm bewirken.604 In diesem Zusammenhang ist weiter zu beachten, dass die Aussetzungs- und Vorlagepflicht den Fachgerichten grundsätzlich nicht verwehrt, in einstweiligen Rechtsschutzverfahren bereits ohne entsprechende Richtervorlage in der Sache zu entscheiden.605 Ist im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes geboten, vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren 600  Das BVerfG versteht hier unter verfassungskonformer Auslegung gerade die Auslegung „durch Bejahung der Rechtsgültigkeit der Norm im allgemeinen unter Ausschaltung der beanstandeten Auslegung im besonderen“, BVerfG, Beschluss vom 4. Oktober 1983, Az. 2 BvL 8/83, BVerfGE 65, 132, juris Rn. 28; weiterführend Burkiczak, in: Kluth/Krings, Gesetzgebung, 2014, § 35 Rn. 30 ff. 601  Borowski, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. XII, 3. Aufl. 2014, § 274 Rn. 12 und 41. 602  BVerfG, Beschluss vom 29. November 1967, Az. 1 BvL 16/63, BVerfGE 22, 373, juris Rn. 13; alternativ auch „Entscheidungsmonopol“, BVerfG, Beschluss vom 19. Februar 1957, Az. 1 BvL 13/54, BVerfGE 6, 222, juris Rn. 20 oder auch „Feststellungsmonopol“, BVerfG, Urteil vom 24. Februar 1953, Az. 1 BvL 21/51, BVerfGE 2, 124, juris Rn. 22. 603  Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 4. Teil Rn. 135. 604  So auch Bettermann, in: FG 25 Jahre BVerfG, Bd. I, 1976, S. 323, 326  f.; Heun, in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd. I, 2001, S. 615, 622; Löwer, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 70 Rn. 79. 605  Siehe zum einstweiligen Rechtsschutz auch nachfolgend S. 224 ff.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

und wird dadurch die Hauptsache nicht vorweggenommen, kann das je­ weilige Gericht sich darauf beschränken, erst das Hauptsacheverfahren ­auszusetzen und dem jeweiligen Verfassungsgericht zur Entscheidung vor­ zulegen.606 Die Fachgerichte sollen hier „auf der Grundlage ihrer Rechts­ auffassung“607 entscheiden dürfen, sodass sie ihre Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren auch mit der Unvereinbarkeit der jeweils streitentscheidenden Norm mit höherrangigem Recht begründen können.608 Der durch Art. 100 Abs. 1 GG bezweckte Schutz des parlamentarischen Gesetzgebers wird zum einen durch die Vorlagepflicht im Hauptsacheverfahren und zum anderen durch die Vorlagepflicht bei Vorwegnahme der Hauptsache ausreichend gewahrt.609 Auch in einem weiteren Anwendungsfall kann eine inzidente Normenkontrolle eines Parlamentsgesetzes über eine bloße Normprüfung hinausgehen und zu einer – hier endgültigen – Nichtanwendung führen: Können die Rechtsuchenden für eine Unionsrechtswidrigkeit der in Rede stehenden Norm vortragen, kann das angerufene Fachgericht diese auch ohne Vorlage an ein Verfassungsgericht im Einzelfall unangewendet lassen, wenn es einen Verstoß gegen Unionsrecht feststellt.610 Eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG kommt hier bereits wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit nicht in Betracht.611 Die Fachgerichte der Mitgliedstaaten sind – funktional betrach606  BVerfG, Beschluss vom 24. Juni 1992, Az. 1 BvR 1028/91, BVerfGE 86, 382, juris Rn. 29; grundlegend zum Konflikt von Art. 100 Abs. 1 GG mit Art. 19 Abs. 4 GG Schmitt, Richtervorlagen in Eilverfahren?, 1997, S. 236 ff.; beachte ferner auch die von Schenke angeführten Fälle, in denen keine Konfliktsituation zwischen Art. 19 Abs. 4 und Art. 100 Abs. 1 GG bestehen und insoweit die Vorlagepflicht der Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz nicht entgegenstehen soll, ders., JuS 2017, 1141, 1144 ff. 607  BVerfG, Beschluss vom 24. Juni 1992, Az. 1 BvR 1028/91, BVerfGE 86, 382, juris Rn. 29. 608  Dederer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 100 Rn. 258. 609  Wernsmann, in: Ehlers/Schoch, Rechtsschutz im Öffentlichen Recht, 2021, § 19 Rn. 58; Dederer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 100 Rn. 152. 610  Dazu Barczak, in: Modrzejewski/Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. V, 2019, S. 17, 48 f., ders., DVBl 2019, 1040, 1048 f., Burkiczak, in: Kluth/Krings, Gesetzgebung, 2014, § 35 Rn. 89 ff. und ders., ZRP 2015, 21. Ein vermeintlicher Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts i. S. d. Art. 25 GG soll nach herrschender Auffassung wiederum die Vorlagepflicht nach Art. 100 Abs. 1 GG auslösen, dazu Burkiczak, in: Kluth/Krings, Gesetzgebung, 2014, §  35 Rn.  106 ff. m. w. N. 611  BVerfG, Beschluss vom 9. Juni 1971, Az. 2 BvR 225/69, BVerfGE 31, 145, juris Rn. 94; Urteil vom 28. Januar 1992, Az. 1 BvR 1025/82, BVerfGE 85, 191, juris Rn. 47; siehe ferner zur nötigen Differenzierung bei der Prüfung von Umsetzungsrechtsakten mit und ohne Umsetzungsspielraum BVerfG, Beschluss vom 4. Oktober 2011, Az. 1 BvL 3/08, BVerfGE 129, 186, juris Rn. 44 ff.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 131

tet – als Teil der Unionsgerichtsbarkeit612 gerade eigenständig dazu verpflichtet, aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts Verstößen mit der Nichtanwendung der jeweiligen nationalen Norm zu begegnen.613 Zu einer Vorlage zum Europäischen Gerichtshof im Sinne des Art. 267 AEUV ist das jeweilige Gericht in diesem Fall erst dann verpflichtet, wenn dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden kann (Art. 267 Abs. 3 AEUV) und dies auch nur dann, wenn das Gericht an der treffenden Auslegung des Unionsrechts zweifelt.614 Ein unberechtigter Verzicht auf eine Vorlage nach Art. 267 AEUV kann wiederum vor dem Bundesverfassungsgericht als Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) gerügt werden.615 Ist im Einzelfall die Auslegung des Unionsrechts bloß zweifelhaft und ist das angerufene Fachgericht zugleich auch von der Unvereinbarkeit des fraglichen Parlamentsgesetzes mit deutschem Verfassungsrecht überzeugt, räumt das Bundesverfassungsgericht dem Gericht „nach eigenen Zweckmäßigkeitserwägungen“ ein Wahlrecht ein, ob es dem Europäischen Gerichtshof oder dem Bundesverfassungsgericht vorlegt.616 2. Rechtsschutz im Rahmen von „Vollzugsstreitigkeiten“ Die Verwaltungsgerichte üben ihr richterliches Prüfungsrecht in aller ­ egel im Rahmen von „Vollzugsstreitigkeiten“ aus.617 Soweit die Behörde R den Betroffenen gegenüber Vollzugsakte erlässt, die vermeintlich auf einer unwirksamen Rechtsgrundlage beruhen, steht ihnen grundsätzlich die Möglichkeit frei, diese, soweit es sich um Verwaltungsakte handelt, mit der ­Anfechtungsklage618 oder, im Fall von Realakten, mit einer Unterlassungs612  Nowak, in: Terhechte, Verwaltungsrecht der Europäischen Union, 2011, § 13 Rn. 24; eingehend Rodríguez Iglesias, NJW 2000, 1889. 613  Burkiczak, in: Kluth/Krings, Gesetzgebung, 2014, § 35 Rn. 96 f. 614  Dazu und zur Vorlagepflicht unterinstanzlicher Gerichte m. w. N. Karpenstein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 74. EL 2021, Art. 267 AEUV Rn.  23 f., 61 ff. und Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Aufl. 2022, Art. 267 AEUV Rn.  9 ff., 19 ff. 615  BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 1986, Az. 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339, juris Rn. 69 ff.; Beschluss vom 6. Juli 2010, Az. 2 BvR 2661/06, BVerfGE 126, 286, juris Rn. 88. 616  BVerfG, Beschluss vom 11. Juli 2006, Az. 1 BvL 4/00, BVerfGE 116, 202, juris Rn. 52; Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art 100 Rn. 20; Dederer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 100 Rn. 52, 171. 617  Papier, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. VIII, 3. Aufl. 2014, § 177 Rn. 41. 618  Vgl. für einen solchen Fall etwa VGH Bayern, Urteil vom 17. Februar 2012, Az. 10 BV 11.482, juris Rn. 25 ff.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

klage619 anzugreifen. Hebt ein Rechtssatz einen öffentlich-rechtlichen Leistungsanspruch auf oder beschränkt diesen, können die Rechtsuchenden entsprechend – nach vorherigem Antrag bei der Behörde – Verpflichtungsklage oder allgemeine Leistungsklage erheben.620 Betrifft eine Norm nicht subjektiv-öffentliche Rechtspositionen, sondern Privatrechte ist – mangels Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs – grundsätzlich inzidenter Rechtsschutz vor den Zivilgerichten zu suchen. Welche Prozesskonstellation hier einschlägig ist, richtet sich nach dem konkreten Einzelfall.621 Eine inzidente Kontrolle strafrechtlicher Normen bzw. von Bußgeldtatbeständen könnten Rechtsuchende grundsätzlich dadurch erzielen, dass sie sich gegenüber den ordentlichen Gerichten im jeweiligen Verfahren auf die Nichtigkeit der jeweiligen Norm berufen, was einer Verurteilung bzw. einer Ahndung als Ordnungswidrigkeit entgegenstünde. Entsprechend wurde etwa in den Ausgangsverfahren betreffend die Verfassungswidrigkeit des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche nach § 219a StGB vorgetragen.622 In beiden Verfahren sind mittlerweile Urteilsverfassungsbeschwerden anhängig.623 Unter Beachtung der bereits dargestellten „Damokles-Rechtsprechung“ trifft die Rechtsuchenden jedoch nicht die Pflicht, Straf- oder Ordnungswidrigkeitentatbestände zu erfüllen, um wiederum die Ahndung dieser angreifen zu können.624 Soweit nicht die Möglichkeit besteht, negative Feststellungsklage in Verbindung mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zu erheben,625 sind die Rechtsuchenden nicht auf Inzidentkontrollen zu verweisen. Vielmehr steht ihnen unmittelbar der Weg zum Bundesverfassungsgericht über eine Rechtssatzverfassungsbeschwerde offen.626

619  Vgl. für einen solchen Fall etwa VG Aachen, Urteil vom 24. Januar 2011, Az. 6 K 140/10, juris Rn. 51 ff. 620  Schenke, Rechtsschutz bei normativem Unrecht, 1979, S. 191; ders., NVwZ 2016, 720, 721. 621  Dazu Schenke, NVwZ 2016, 720, 721. 622  Vgl. KG Berlin, Beschluss vom 19. November 2019, Az. (3) 121 Ss 143/19 (80 + 81/19) oder LG Gießen, Urteil vom 12. Oktober 2018, Az. 3 Ns 406 Js 15031/15. 623  Die Verfahren sind unter dem A. 2 BvR 390/21 anhängig. 624  Siehe dazu bereits zuvor S. 91 ff. 625  Vgl. abermals etwa BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017, Az. 1 BvR 1314/12, BVerfGE 145, 20, juris Rn. 86. 626  Vgl. etwa zur Verfassungswidrigkeit des § 217 StGB BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020, Az. 2 BvR 2347/15, BVerfGE 153, 182, juris Rn. 194 ff.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 133

III. Rechtsschutzlücken? Nicht alle öffentlich-rechtlichen Normen setzen einen entsprechenden Vollzugsakt voraus. Sogenannte self-executing Normen können ohne weiteren Vollzug unmittelbar in subjektiv-öffentliche Rechte eingreifen.627 Solche Rechtssätze sind insbesondere als Ge- und Verbotsnormen vorzufinden.628 Exemplarisch werden regelmäßig Regelungen des Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuchs angeführt (vgl. etwa §§ 17 ff. LFGB).629 Dass eine Norm von sich aus Normadressaten unmittelbar betrifft, schließt jedoch nicht aus, dass die jeweilige Norm noch weiteren Normvollzug zulässt.630 Nicht selten flankieren Bußgeld- und/oder Straftatbestände entsprechende Regelungen (vgl. etwa §§ 58 ff. LFGB). Daneben kommt weiterer Normvollzug etwa auch in Gestalt einer Untersagungsverfügung in Betracht.631 Insoweit eröffnet die self-executing Norm dann in Gestalt der Ahndung weiteren Normvollzug im Rahmen der Durchsetzung bzw. der Überwachung ihrer Befolgung.632 Inwieweit hier eine Bezeichnung der jeweiligen Norm als „self-executing“ noch angemessen erscheint, mag zu bezweifeln sein.633 Aufgrund der unmittelbaren Betroffenheit der Rechtsuchenden durch solche Normen wird in der vorliegenden Untersuchung dennoch generell die Bezeichnung als „self-executing“ zugrunde gelegt, auch wenn im Einzelfall ein „weiterer Normvollzug“ möglich ist. Dies steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.634 627  Derartige Regelungen werden auch als „Vollzugsnormen“ oder „selbstvollziehende“ Normen bezeichnet; zur Begrifflichkeit abermals Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, § 90 Rn. 373 sowie Siemer, Normenkon­ trolle durch Feststellungsklage?, 1971, S. 12. 628  Vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017, Az. 1 BvR 1314/12, BVerfGE 145, 20, juris Rn. 80; Nichtannahmebeschluss vom 19. November 2018, Az. 1 BvR 1335/18, juris Rn. 5. 629  Vgl. Greve/Lassahn, NVwZ-Extra 10a 2021, 1, 5; Lässig, NVwZ 1988, 410. 630  Vgl. Bettermann, AöR 86 (1961), 129, 134 f. 631  Vgl. im Lebensmittelrecht § 39 Abs. 2 LFGB und Art. 138 der Verordnung (EU) 2017/625 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2017 über amtliche Kontrollen und andere amtliche Tätigkeiten zur Gewährleistung der Anwendung des Lebens- und Futtermittelrechts und der Vorschriften über Tiergesundheit und Tierschutz, Pflanzengesundheit und Pflanzenschutzmittel oder etwa im Glücksspielrecht § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV 2021. 632  BVerwG, Urteil vom 23. August 2007, Az. 7 C 2/07, ­BVerwGE 129, 199, juris Rn. 22; Urteil vom 28. Januar 2010, Az. 8 C 19/09, B ­ VerwGE 136, 54, juris Rn. 29. 633  Eine entsprechende Bezeichnung ablehnend scheinbar Schenke, Rechtsschutz bei normativem Unrecht, 1979, S. 197; befürwortend wiederum Rixen, in: Kluckert, Das neue Infektionsschutzgesetz, 2. Aufl. 2021, § 18 Rn. 20. 634  BVerwG, Urteil vom 23. August 2007, Az. 7 C 2/07, ­BVerwGE 129, 199, juris Rn. 22; Urteil vom 28. Januar 2010, Az. 8 C 19/09, B ­ VerwGE 136, 54, juris Rn. 29.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

Soweit – insbesondere wegen Fehlens eines Vollzugsaktes635 – eine Normprüfung im Rahmen einer Vollzugsstreitigkeit nicht in Betracht kommt, könnten potentielle Rechtsschutzlücken – soweit Rechtsschutz gegen die parlamentarische Gesetzgebung über Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG indiziert sein sollte – durch eine Inzidentprüfung über die allgemeine Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO geschlossen werden. Diese ermöglicht über Art. 100 Abs. 1 GG wiederum eine Vorlage zu einem Verfassungsgericht.636 Voraussetzung ist, dass sich die Feststellungsklage als „allgemeine Normenabwehrklage“ im normativen Rahmen der Verwaltungsgerichtsordnung hält und mithin überhaupt zu einer Entscheidung in der Sache führen kann.637 Soweit die bereits dargelegte Auffassung vertreten wird, dass im Einzelfall nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG auch betreffend Parlamentsgesetze darüber hinaus eine prinzipale Normenkontrolle erforderlich ist, könnten Rechtsschutzlücken über eine unmittelbar zulässige Rechtssatzverfassungsbeschwerde vermieden werden.638

IV. Feststellungsklage als „allgemeine Normenabwehrklage“ In der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung hat sich über den Grundsatz der Subsidiarität herausgebildet, dass den Rechtsuchenden der Weg zu den Verfassungsgerichten grundsätzlich versperrt ist, soweit ihnen mit der allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO eine vorrangige Rechtsschutzmöglichkeit betreffend self-executing Parlamentsgesetze zur Verfügung steht.639 Nicht nur anhand von Vollzugsakten soll also eine Inzidentkontrolle von Rechtssätzen möglich sein.640 Wie sogleich dargestellt 635  Zu weiteren Ausnahmefällen nachfolgend im Rahmen der Untersuchung der Sachurteilsvoraussetzungen der Feststellungsklage in ihrer Ausprägung als allgemeine Normenabwehrklage S. 179 ff.; weitergehend Schenke, Rechtsschutz bei normativem Unrecht, 1979, S. 198 ff. 636  Ernst, in: v. Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 19 Rn. 131; Sachs, in: ders., GG, 9. Aufl. 2021, Art. 19 Rn. 125. 637  Dazu nachfolgend S. 179 ff. 638  Siehe dazu bereits zuvor S. 120 ff. 639  Siehe etwa BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 16. Juli 2015, Az. 1 BvR 1014/13, juris Rn. 3  ff.; Urteil vom 6. Dezember 2016, Az. 1 BvR 2821/11, BVerfGE 143, 246, juris Rn. 208 ff.; Beschluss vom 7. März 2017, Az. 1 BvR 1314/12, BVerfGE 145, 20, juris Rn. 84 ff.; Nichtannahmebeschluss vom 19. November 2018, Az. 1 BvR 1335/18, juris Rn. 2 ff.; Beschluss vom 18. Dezember 2018, Az. 1 BvR 2795/09, BVerfGE 150, 309, juris Rn. 40 ff.; Beschluss vom 24. März 2021, Az. 1 BvR 2656/18, BVerfGE 157, 30, juris Rn. 139 f.; Beschluss vom 8. Juni 2021, Az. 1 BvR 2771/18, juris Rn. 9 f.; Nichtannahmebeschluss vom 17. Januar 2022, Az. 1 BvR 2727/21, juris Rn. 12 ff. 640  Vgl. zur a. A. noch Frenz, BayVBl 1993, 483, 485 und Kukk, NVwZ 2001, 408, 409, trotz bereits anders lautender Tendenzen in der Rechtsprechung, vgl. nur



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 135

wird, hat sich die Rechtsprechung vielmehr dahingehend entwickelt, dass mit der Feststellungsklage als „allgemeine Normenabwehrklage“641 etwa überprüft werden kann, ob die Rechtsuchenden aufgrund der (Un-)Wirksamkeit einer Norm gesetzliche Ge- und Verbote zu beachten haben oder ob sie überhaupt vom Anwendungsbereich einer Norm erfasst sind.642 Nachfolgend soll zunächst die Entwicklung dieser Rechtsprechungslinie nachgezeichnet werden, bevor auf die Frage eingegangen wird, inwieweit sich dieser Anwendungsfall der allgemeinen Feststellungsklage noch im normativ vorgegebenen Rahmen hält und wie der Rechtsschutz in der Haupt­ sache hier einstweilig ergänzt werden kann. 1. Entwicklungen in der Rechtsprechung Im Rahmen der Rechtsprechungsauswertung gilt es eine im Schrifttum vertretene These zu überprüfen: Barczak meint, dass in der Senatsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bisher „keine endgültige Linie“ zur Frage auszumachen ist, ob über den Grundsatz der Subsidiarität insbesondere auch die allgemeine Feststellungsklage zu den gegenüber Parlamentsgesetzen vorrangig zu ergreifenden Rechtsbehelfen zählt.643 Nach Barczak sollen nur „deutliche Konturen“ in den Senats- und Kammerentscheidungen zu erkennen sein, die aufzeigen, dass die Rechtsprechung den zunächst für untergesetzliche Landes- und Bundesnormen entwickelten Anwendungsfall des § 43 Abs. 1 VwGO schließlich auch auf formelle Landes- und Bundesgesetze übertragen habe.644 Die Untersuchung der Rechtsprechungsentwicklung hat dabei vor dem Hintergrund zu erfolgen, dass nach dem Bundesverfassungsgericht – unter Verweis auf die Nachrangigkeit der Verfassungsbeschwerde – die Aufgabenverteilung unter Fach- und Verfassungsgerichtsbarkeit vorgibt, dass nur Erstere dafür zuständig sei, über streitige Zulässigkeitsfragen im fachgericht­ BVerfG, Beschluss vom 2. Dezember 1986, Az. 1 BvR 1509/83, BVerfGE 74, 69, juris Rn. 21. 641  Siehe zur Bezeichnung abermals zuvor Fn. 501. 642  Barczak, DVBl 2019, 1040, 1043 mit entsprechenden Nachweisen aus der Rechtsprechung zur Statthaftigkeit der Feststellungsklage in diesen Fällen; siehe ausführlicher zur Statthaftigkeit nachfolgend S. 188 ff. 643  Barczak, DVBl 2019, 1040, 1042 und ders., in: Modrzejewski/Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. V, 2019, S. 17, 27 f. unter Verweis auf Löwer, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 70 Rn. 198, Michael, ZJS 2014, 490, 493, Fn. 32 und Bäcker, EuR 2011, 103, 109. 644  Barczak, DVBl 2019, 1040, 1042 und ders., in: Modrzejewski/Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. V, 2019, S. 17, 27 f.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

lichen Prozess zu entscheiden.645 Aufgabe der Verfassungsgerichte kann also nicht sein, neuartige fachgerichtliche Rechtsschutzmöglichkeiten zu entwickeln, die entsprechend von den Fachgerichten heranzuziehen wären. Der Ausgangspunkt muss hier vielmehr in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zu suchen sein. Das Bundesverfassungsgericht kann die fachgerichtlichen Entwicklungen schließlich in seiner Rechtsprechung zum Subsidiaritätsgrundsatz verarbeiten und Anforderungen an die Prozessführung im Ausgangsverfahren zurückfließen lassen.646 a) Feststellungsklage und untergesetzliche Rechtsnormen aa) Verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung (1) Ausgangspunkt Die Feststellungsklage als Normenabwehrklage betreffend untergesetzliche Rechtsnormen findet ihren Ursprung in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung. Die ersten in diesem Zusammenhang bekannten Ent­ scheidungen traf das Bundesverwaltungsgericht am 9. Dezember 1982. Hier hatte das Gericht in vier parallellaufenden Verfahren unter anderem darüber zu entscheiden, ob eine Feststellungsklage bezüglich des Nichtbestehens der Mitgliedschaft in einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft, hier die Industrie- und Handelskammer, deswegen unzulässig ist, weil ihre Begründetheit ausschließlich von der gerügten Gültigkeit einer Rechtsverordnung abhängt.647 Unter Zurückweisung der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalens befand das Bundesverwaltungsgericht, dass eine allgemeine Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO auch dann zulässig sei, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits allein davon abhängt, ob die zugrundeliegende Rechtsverordnung – hier eine Neugliederungsverordnung der Industrie- und Handelskammer Nordrhein-Westfalens – wirksam ist. Die Regelung des § 47 VwGO stehe nicht entgegen. Lediglich Klagebegehren, die im Ergebnis darauf hinauslaufen würden, die Rechtmäßigkeit einer 645  BVerfG, Beschluss vom 8. Januar 1985, Az. 1 BvR 700/83, BVerfGE 68, 376, juris Rn. 16 unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 10. Juni 1964, Az. 1 BvR 37/63, BVerfGE 18, 85, juris Rn. 20 f. 646  So auch Löwer, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 70 Rn. 198; zu diesem von Barczak so betitelten „Röhrensystem“ ders., DVBl 2019, 1040, 1041, ders., in: Modrzejewski/Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. V, 2019, S. 17, 22 und nachfolgend S. 235 ff. 647  BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1982, Az. 5 C 103/81, 5 C 104/81, 5 C 105/81, 5 C 106/81.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 137

Norm überprüfen zu lassen, die gerade einer prinzipalen Normenkontrolle nicht offensteht, wären unzulässig, unabhängig davon, in welche Form sie gekleidet würden.648 Allein der Umstand, dass eine inzidente Überprüfung einer Rechtsnorm erforderlich sei „und in diesem Bereich konkreter Normenkontrolle“ der eigentliche Zweck der Klage liege, mache die Feststellungsklage nicht unzulässig.649 „Dem System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes kann nicht etwa entnommen werden, daß außerhalb des § 47 VwGO die Überprüfung von Rechtsetzungsakten ausgeschlossen sein soll.“650 Das Bundesverwaltungsgericht verwies hier auf die anerkannte Prüfungskompetenz der Fachgerichte, Rechtsnormen auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht zu überprüfen. Solange die Anwendung einer Rechtsnorm auf einen bestimmten tatsächlichen Sachverhalt streitig sei, stehe der Weg über die Feststellungsklage offen. Die „Rechtmäßigkeit der Norm [wird hier] lediglich als streitentscheidende Vorfrage aufgeworfen“.651 Erst dann, wenn Rechtsuchende begehren, abstrakte Rechtsfragen klären zu lassen – sei es aufgrund eines erdachten Sachverhalts oder eines solchen, dessen Eintritt noch ungewiss ist –, diene die Klage nicht mehr der Durchsetzung von konkreten Rechten, sodass die Klage als unzulässig bewertet werden müsste.652 (2) Feststellungsklagen gegen den Normgeber Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Rechtsprechung in den folgenden Jahren fortgeführt und auch auf Verordnungen auf Bundesebene erstreckt. Bekanntheit haben hier die Entscheidungen des Elften Senats betreffend Ab648  BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1982, Az. 5 C 103/81, juris Rn. 10 unter Verweis auf BVerwG, Beschluss vom 27. November 1964, Az. VII B 115.62, juris Rn. 17 und BVerwG, Beschluss vom 21. März 1974, Az. VII B 97.73, juris Rn. 9 f. 649  BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1982, Az. 5 C 103/81, juris Rn. 10. 650  Ebd. 651  Ebd. 652  Ebd. Mit einer Entscheidung zur Berufsordnung der Apothekerkammer Westfalen-Lippe aus dem folgenden Jahr bestätigte der Dritte Senat die Entscheidung des Fünften Senats, BVerwG, Urteil vom 16. Juni 1983, Az. 3 C 79/81, B ­ VerwGE 67, 261, juris Rn. 28. Im Nachgang erkannten auch die unteren Instanzen die Zulässigkeit entsprechender Feststellungsklagen an, vgl. etwa VG Hamburg, Urteil vom 24. November 1992, Az. 17 VG 2854/92, juris Rn. 19 zur Wirksamkeit einer Vorschrift der Hamburger Hundeverordnung; vgl. zuletzt auch die zahlreichen unterinstanzlichen Entscheidungen zu den diversen Landesverordnungen betreffend infektionsschützende Maßnahmen, etwa VG Karlsruhe, Beschluss vom 28. April 2020, Az. 7 K 1606/20, juris Rn. 3 ff., VG Bremen, Beschluss vom 11. November 2020, Az. 5 V 2472/20, juris Rn. 13 ff. oder VG Neustadt (Weinstraße), Beschluss vom 3. März 2021, Az. 5 L 156/21.NW, juris Rn. 20 ff.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

flugrouten aus dem Jahr 2000653 oder die Entscheidung des Siebten Senats zu Rücknahme- und Pfandpflichten für Einweggetränkeverpackungen nach der Verpackungsverordnung in der seinerzeit gültigen Fassung aus dem Jahr 2007654 erlangt.655 Während das Gericht in der erstgenannten Entscheidung noch nicht gesondert auf die Frage des Rechtsverhältnisses zwischen Rechtsuchenden als Normadressaten und Normgeber bzw. Normanwender als Vollzugsbehörde einging, äußerte sich der Siebte Senat in der Entscheidung betreffend die Verpackungsverordnung erstmalig zu diesem Dreiecksverhältnis. Nach Auffassung des Senats eröffne sich im Regelfall ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis zwischen Normadressaten und Normanwender. Ein solches Verhältnis bestehe regelmäßig nicht zwischen Normadressat und Normgeber, da dieser nicht an der Umsetzung einer Norm gegenüber den Adressaten beteiligt sei.656 Der Senat betonte weiter, dass dies auch für selfexecuting Normen wie der streitgegenständlichen Verpackungsverordnung gelte. Einer „atypischen Feststellungsklage“ gegen den Normgeber bedürfe es nicht.657 Sogenannte Normenerlassklagen außen vor – für die Feststellungsklagen gegen den untergesetzlichen Normgeber bereits anerkannt waren658 – entschied das Bundesverwaltungsgericht hingegen erst im Jahr 2010, dass auch eine Feststellungsklage unmittelbar gegen den Normgeber statthaft sein kann.659 Die zuvor zitierte Flugrouten-Entscheidung aus dem Jahr 2000 kann dafür nicht als Beleg angeführt werden. Zwar war die Feststellungsklage unmittelbar gegen den Bund gerichtet, der hier auch als Normgeber auftrat, doch lag ein Ausnahmefall der bundeseigenen Verwaltung (Art. 87d Satz 1

653  BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2000, Az. 11 C 13/99, ­BVerwGE 111, 276, juris Rn.  28 ff. 654  BVerwG, Urteil vom 23. August 2007, Az. 7 C 13/06, juris Rn. 17 ff. 655  Dazu etwa Engels, NVwZ 2018, 1001; Pils, JA 2011, 113; Weidemann, NVwZ 2007, 1268; ders., NVwZ 2006, 1259; Fellenberg/Karpenstein, NVwZ 2006, 1133, 1134; Seiler, DVBl 2007, 538; Rupp, NVwZ 2002, 286. 656  BVerwG, Urteil vom 23. August 2007, Az. 7 C 13/06, juris Rn. 21 f. 657  Ebd., Rn. 22 f., 26. 658  Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 7. September 1989, Az. 7 C 4/89, juris Rn. 11 ff. 659  BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2010, Az. 8 C 19/09, B ­ VerwGE 136, 54, juris Rn. 30. In der Rechtsprechung einiger Rechtsmittelgerichte zeichnete sich die Entwicklung der Feststellungsklage unmittelbar gegen den Normgeber bereits zuvor ab, vgl. etwa OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20. Oktober 2005, Az. OVG 12 B 3.05, juris Rn. 43; VGH Hessen, Urteil vom 9. März 2006, Az. 6 UE 3281/02, juris Rn. 41; OVG Hamburg, Urteil vom 1. September 2006, Az. 1 Bf 171/05.P, juris Rn. 55; vgl. auch zur Parallelnorm § 55 SGG in Auseinandersetzung mit der Subsidiaritätsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts BSG, Urteil vom 13. Januar 1993, Az. 14a/6 RKa 67/91, BSGE 72, 15, juris Rn. 30 ff.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 139

GG) vor.660 Gegenstand der Ausgangsklage in dem Verfahren aus dem Jahr 2010 war das Feststellungsbegehren, dass die damalige Postmindestlohnverordnung des Bundes die Rechtsuchenden in ihren subjektiv-öffent­ lichen Rechten verletze.661 Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts steht im Rahmen einer solchen Feststellungsklage der Annahme eines feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses nicht entgegen, dass die Klage unmittelbar gegen den Normgeber gerichtet ist. Dies rechtfertige sich jedoch nicht allein aus dem Umstand, dass eine Norm self-executing ist.662 Regelungen oder Anordnungen könnten derartige Normen im Einzelfall konkretisieren oder individualisieren. In diesen Fällen müsse die Feststellungsklage gegen den Normanwender gerichtet werden. Eine Feststellungsklage gegen den Normgeber sei nur dann zu erwägen, wenn die jeweilige Norm „unmittelbar Rechte und Pflichten der Betroffenen begründet, ohne dass eine Konkretisierung oder Individualisierung durch Verwaltungsvollzug vorgesehen oder möglich ist“.663 Das Bundesverwaltungsgericht hat sich dabei nie von seiner früheren Rechtsprechung verabschiedet, dass Klagebegehren, die im Ergebnis darauf abzielen, die Nachprüfung der Wirksamkeit einer Norm zu bewirken, gleich welcher Form, unzulässig sein sollen.664 Eine Klage unmittelbar mit dem Ziel, eine Rechtsverletzung festzustellen – wie sie auch der Entscheidung zur Postmindestlohnverordnung zugrunde lag –, dürfte jedoch regelmäßig eben darauf hinauslaufen.665

660  So zutreffend Weidemann, NVwZ 2006, 1259, 1260; a. A. Fellenberg/Karpenstein, NVwZ 2006, 1133, 1134. 661  VG Berlin, Urteil vom 7. März 2008, Az. 4 A 439.07, juris Rn. 35 f. 662  BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2010, Az. 8 C 19/09, B ­ VerwGE 136, 54, juris Rn. 28 f. unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 23. August 2007, Az. 7 C 13/06, juris Rn.  22 f. 663  BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2010, Az. 8 C 19/09, B ­ VerwGE 136, 54, juris Rn.  29 f. 664  BVerwG, Beschluss vom 27. November 1964, Az. VII B 115.62, juris Rn. 17; Beschluss vom 21. März 1974, Az. VII B 97.73, juris Rn. 9 f.; Urteil vom 12. September 2019, Az. 3 C 3/18, B ­ VerwGE 166, 265, juris Rn. 23. 665  Kritisch dazu etwa Schenke, der vertritt, dass in diesen Konstellationen die Feststellungsklagen eigentlich die Frage zum Gegenstand hätten, ob der Normgeber berechtigt ist, die Norm zu erlassen, ders., NVwZ 2016, 720, 727; eingehend zur Frage der Grenzen der Feststellungsklage nachfolgend S. 179 ff.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

bb) Verfassungsgerichtliche Rechtsprechung (1) Ausgangspunkt Entgegen einzelnen Stimmen im Schrifttum666 kann das Bundesverfassungsgericht nicht als ursprünglich treibende Kraft bei dieser Rechtsprechungsentwicklung gesehen werden. Augenscheinlich entschied ein Senat des Bundesverfassungsgerichts erstmalig im Jahr 2006, dass der Grundsatz der Subsidiarität der Zulässigkeit einer Rechtssatzverfassungsbeschwerde gegen untergesetzliche Rechtsnormen entgegenstehen kann, wenn die allgemeine Feststellungsklage den Rechtsuchenden eine Möglichkeit der inzidenten Normenkontrolle bietet.667 Damit ist in der Senatsrechtsprechung erst Jahre nach dem Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich auf eine vorrangige normbezogene Feststellungsklage betreffend die Frage der Wirksamkeit untergesetzlicher Rechtsnormen abgestellt worden. Auch ging das Gericht mit seiner Beschlussbegründung hier keine neuen Wege. So führte das Gericht aus, dass eine entsprechend erhobene Feststellungsklage keinen Bruch mit dem Rechtsschutzsystem der Verwaltungsgerichtsordnung darstelle. Die Klage rechtfertige sich im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG insofern, als dass alleiniger Streitgegenstand die Anwendung der Rechtsnorm auf einen bestimmten Sachverhalt wäre. Die Frage nach der Rechtmäßigkeit der jewei­ ligen Norm sei damit lediglich (streitentscheidende) Vorfrage.668 Für diese rechtlichen Feststellungen verwies der Senat stets auf die bereits in der Fachgerichtsbarkeit entwickelten Grundsätze.669 Anzumerken ist, dass zur Frage der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde gegen untergesetzliche Rechtsnormen und der Möglichkeit einer vorrangigen verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklage bereits vor dieser Entscheidung des Ersten Senats Kammerbeschlüsse desselben ergangen

666  Engels, NVwZ 2018, 1001, 1007; zum „Ping-Pong-Verfahren“ der Rechtsprechungsentwicklung Geis, in: FS Schenke, 2011, S. 709, 710 ff. 667  Zur Kulturpflanzen-Ausgleichszahlungs-Verordnung des Bundes BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2006, Az. 1 BvR 541/02, BVerfGE 115, 81, juris Rn. 50 ff.; vergleichbar aber weniger deutlich zuvor BVerfG, Urteil vom 18. Dezember 1985, Az. 2 BvR 1167/84, BVerfGE 71, 305, juris Rn. 61 ff.; andenkend zuvor auch BVerfG, Urteil vom 16. Februar 2000, Az. 1 BvR 420/97, BVerfGE 102, 26, juris Rn. 33. 668  BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2006, Az. 1 BvR 541/02, BVerfGE 115, 81, juris Rn. 50. 669  Vgl. abermals BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1982, Az. 5 C 103/81, juris Rn. 10, Urteil vom 28. Juni 2000, Az. 11 C 13/99, ­BVerwGE 111, 276, juris Rn. 28 ff. sowie BSG, Urteil vom 13. Januar 1993, Az. 14a/6 RKa 67/91, BSGE 72, 15, juris Rn.  22 ff.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 141

sind.670 Auch in diesen Kammerentscheidungen verwies das Bundesverfassungsgericht dabei jedoch stets auf die bereits verbreitete Rechtsauffassung in der Fachgerichtsbarkeit.671 (2) Aktuelle Entwicklungen Das Bundesverfassungsgericht ist dieser Rechtsprechungslinie weiter treu geblieben. Bis heute verweist das Gericht die Beschwerdeführenden in entsprechenden Fallkonstellationen für Rechtsschutz betreffend untergesetzliche Rechtsnormen grundsätzlich zunächst an die Fachgerichte. Vermehrt war dies zuletzt im Kontext mit den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu den SARS-CoV-2-Eindämmungs­maßnahmenverordnungen der Fall.672 Als künftig weiter zu beobachtende Entwicklung ist allerdings nochmals auf die hier – augenscheinlich erstmalig – ausdrücklich erfolgte Klarstellung des Bundesverfassungsgerichts zu verweisen, dass auch allein verfassungsrechtlich geprägte Sachverhalte der Entscheidung der Fachgerichte überlassen sein sollen, soweit die Rechtsuchenden sich lediglich gegen eine untergesetzliche Rechtsnorm wenden. Soweit jedoch nicht der parlamentarische Gesetzgeber die streitentscheidenden Normen erlassen hat, stünde den Fachgerichten auch dann – ohne Anrufung des Bundesverfassungsgerichts – die Normverwerfungskompetenz zu, wenn allein Fragen verfassungsrechtlicher Natur zu klären sind.673

670  Vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 2. April 1997, Az. 1 BvR 446/96, juris Rn. 12; dazu, dass die Kammer hier auf eine vorrangige Feststellungsklage anspielt, Peters, NVwZ 1999, 506; siehe ferner etwa BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. Februar 1999, Az. 1 BvR 167/99, juris Rn. 10; Nichtannahmebeschluss vom 22. März 2000, Az. 1 BvR 1500/93, juris Rn. 5; Nichtannahmebeschluss vom 3. Juli 2001, Az. 1 BvR 1472/99, juris Rn. 7. 671  Vgl. etwa BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 3. Juli 2001, Az. 1 BvR 1472/99, juris Rn. 7 unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 17. Januar 1972, Az. I C 33.68, B ­ VerwGE 39, 247. 672  Siehe etwa BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 31. März 2020, Az. 1 BvR 712/20, juris Rn. 11 ff.; Nichtannahmebeschluss vom 18. April 2020, Az. 1 BvR 829/20, juris Rn. 8 ff.; siehe dazu bereits zuvor S. 88 ff. 673  Ebd.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

b) Feststellungsklage und Parlamentsgesetze aa) Verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung (1) Ausgangspunkt Parallel zur Entwicklung der aufgezeigten Rechtsprechungslinie betreffend untergesetzliche Rechtsnormen findet die Rechtsprechung zur Feststellungsklage als Normenabwehrklage gegenüber Parlamentsgesetzen ihren Ursprung ebenfalls in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung. Überraschenderweise wird im Schrifttum darauf verwiesen, dass zu beobachten ist – bzw. früher noch zu erwarten war674 –, dass das Bundesverfassungsgericht maßgeblicher Treiber der Entwicklung einer normbezogenen Feststellungsklage betreffend Parlamentsgesetze sei.675 Dabei dürfte diese Rechtsprechungslinie ihren Ursprung in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bereits in einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1972 – und damit sogar bereits vor etwaigen Entwicklungen betreffend untergesetzliche Rechtsnormen – haben: Verfahrensgegenständlich war hier die Frage einer gewerberechtlichen Erlaubnispflicht. Konkret hatte der Senat zu entscheiden, ob der beabsichtigte Einzelhandel mit Teppichen und Antiquitäten ohne Erlaubnis des Beklagten betrieben werden durfte. Dazu trug der Kläger vor, dass die hier einschlägigen Vorschriften des Gesetzes über die Berufsausübung im Einzelhandel verfassungswidrig waren, sodass keine Erlaubnispflicht bestanden habe.676 Der Senat hielt das Feststellungsbegehren für statthaft und führte eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der einschlägigen Vorschriften durch.677 Das Gericht ging dabei allerdings an keiner Stelle gesondert auf den rechtlichen Umstand ein, dass der Kläger hier im Ergebnis mit einer allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO ein Parlamentsgesetz durch die Fachgerichtsbarkeit auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüfen ließ. Dem dürfte geschuldet sein, dass die Entscheidung in diesem Zusammenhang augenscheinlich keine Beachtung in der Literatur gefunden hat. Auch soweit sich das Bundesverwaltungsgericht im Nachgang erneut mit normbezogenen Feststellungsklagen betreffend Parlamentsgesetze auseinanderzusetzen hatte, erörterte es augenscheinlich die Frage der Zulässigkeit

674  Vgl.

Seiler, DVBl 2007, 538, 543 f.; Geis, in: FS Schenke, 2011, S. 709, 716. Barczak, DVBl 2019, 1040, 1042 f.; ders., in: Modrzejewski/Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. V, 2019, S. 17, 28; Engels, NVwZ 2018, 1001, 1007. 676  BVerwG, Urteil vom 17. Januar 1972, Az. I C 33.68, B ­ VerwGE 39, 247, juris Rn. 6. 677  Ebd., Rn. 6, 13 ff. 675  Vgl.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 143

entsprechender Klagen nicht gesondert.678 Vielmehr ging es entweder ohne nähere Begründung von der Zulässigkeit der erhobenen Feststellungsklage aus679 oder lehnte diese aufgrund konkreter Umstände des Einzelfalls ab.680 (2) Unterinstanzliche Rechtsprechung Auch finden sich unterinstanzliche Entscheidungen mit denen die Gerichte entsprechende Feststellungsklagen für zulässig erachteten. Unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Feststellungsklage betreffend untergesetzliche Rechtsnormen hielt etwa das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen eine entsprechende Klage betreffend Vorschriften des Heilberufsgesetzes NRW für zulässig. Der Klage stünde nicht entgegen, dass die Entscheidung des Rechtsstreits allein von der Wirksamkeit der streit­entscheidenden Norm abhing. Begehren, die auf die Feststellung von Rechten und Pflichten gerichtet sind, die sich aus einer Rechtsnorm angesichts eines konkreten Sachverhalts ergeben, seien statthaft im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO.681 Über diese Erwägungen hinaus ging der Senat jedoch nicht darauf ein, dass hier – anders als in der zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts – die Wirksamkeit eines Parlamentsgesetzes im Streit stand. Insbesondere in älteren Entscheidungen sind die Verwaltungsgerichte mit ähnlich knapper Begründung verfahren.682 Demgegenüber ist in der jüngeren verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung der Trend zu beobachten, dass sich die Gerichte ausführlicher mit der Zulässigkeit der Feststellungsklage als Normenabwehrklage betreffend Parlamentsgesetze auseinan-

678  Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 23. Januar 1992, Az. 3 C 50/89, B ­ VerwGE 89, 327, juris Rn. 28 ff.; Urteil vom 14. April 2005, Az. 3 C 31/04, juris Rn. 13 ff.; Urteil vom 2. Dezember 2015, Az. 10 C 18/14, juris Rn. 12 ff.; Urteil vom 20. Januar 2016, Az. 10 C 24/14, B ­ VerwGE 154, 58, juris Rn. 11 ff.; Urteil vom 16. Dezember 2016, Az. 8 C 6/15, B ­ VerwGE 157, 126, juris Rn. 15. 679  So etwa BVerwG, Urteil vom 14. April 2005, Az. 3 C 31/04, juris Rn. 13 ff.; Urteil vom 2. Dezember 2015, Az. 10 C 18/14, juris Rn. 13 ff.; Urteil vom 20. Januar 2016, Az. 10 C 24/14, ­BVerwGE 154, 58, juris Rn. 11 ff. und Urteil vom 16. Dezember 2016, Az. 8 C 6/15, ­BVerwGE 157, 126, juris Rn. 15. 680  So etwa BVerwG, Urteil vom 23. Januar 1992, Az. 3 C 50/89, ­BVerwGE 89, 327, juris Rn. 28 ff. 681  OVG NRW, Urteil vom 9. Juni 1992, Az. 15 A 571/92, juris Rn. 19 ff. unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1982, Az. 5 C 103/81, juris Rn. 10. 682  Vgl. etwa VG Sigmaringen, Urteil vom 31. März 2004, Az. 5 K 1526/02, juris Rn. 19, die Kammer verweist hier lediglich darauf, dass die Feststellung der Ungültigkeit der streitentscheidenden Norm dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten ist; anders bereits etwa VG Hannover, Urteil vom 24. November 2008, Az. 10 A 1017/08, juris Rn. 31.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

dersetzen.683 Unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – zu dieser sogleich – stellte etwa das Verwaltungsgericht Arnsberg fest, dass in derartigen Fallkonstellationen zu berücksichtigen sei, dass „an das Vorliegen eines Rechtsverhältnisses im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO keine besonders strengen Anforderungen zu stellen“ seien.684 Ob allerdings von einer gefestigten verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung auszugehen ist, erscheint derzeit noch unklar. Zwar häufen sich die Entscheidungen, die entsprechende Klagebegehren unter § 43 Abs. 1 VwGO subsumieren, doch ergehen auch weiterhin gegenteilige verwaltungsgerichtliche Entscheidungen.685 Exemplarisch ist ein Urteil des Verwaltungsgerichts München herauszugreifen. Die Kammer hielt es zumindest für zweifelhaft, ob das Klagebegehren, „festzustellen, dass die Klägerin entgegen den Vor­ gaben des § 17a LFGB […] keiner gesetzlichen Pflicht zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung unterliegt“, unter § 43 Abs. 1 VwGO zu subsumieren sei.686 Ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis bestehe nicht schon dann, wenn das Gesetz unmittelbar einer Person bestimmte Pflichten auferlegt, die eine Behörde zu überwachen hat. In derartigen Fallgestaltungen sollen Rechtsuchende allein eine Entscheidung über die Wirksamkeit der verpflichtenden Norm begehren, sodass eine abstrakte Rechtsfrage zu klären wäre.687 Da in der zugrundeliegenden Fallgestaltung weder inhaltliche Fragen zum materiellen Gehalt der streitentscheidenden Norm des LFGB noch Sachverhaltsfragen zu klären gewesen wären, sei hier zumindest das Vorliegen eines feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses zweifelhaft.688 Die Kammer stellte gleichzeitig jedoch heraus, dass „in Fällen wie dem Vorliegenden, in dem es inhaltlich ausschließlich um die Vereinbarkeit einer einfach-gesetzlichen Norm mit den Grundrechten geht“, ein Rechtsverhältnis angenommen werden müsse, wenn es sich um eine Fallgestaltung handelt, in der das Bundesverfassungsgericht Rechtssatzverfassungsbeschwerden aufgrund ihrer Subsidiarität zurückweist.689 Unter Verweis auf einzelne Entscheidungen des 683  Vgl. etwa VG Arnsberg, Beschluss vom 23. Mai 2016, Az. 8 K 3614/15, juris Rn. 37 ff.; VG Oldenburg, Urteil vom 7. August 2017, Az. 5 A 726/15, juris Rn. 14 ff., bestätigt durch OVG Lüneburg, Beschluss vom 11. Dezember 2020, Az. 4 LC 291/17, juris Rn. 28 ff.; VG Köln, Urteil vom 20. April 2018, Az. 9 K 3859/16, juris Rn. 13 ff. 684  VG Arnsberg, Beschluss vom 23. Mai 2016, Az. 8 K 3614/15, juris Rn. 44. 685  Vgl. etwa VG München, Urteil vom 8. Juli 2015, Az. M 18 K 14.1109, juris Rn. 19 ff. und VG Bayreuth, Beschluss vom 3. Mai 2021, Az. B 7 E 21.508, juris Rn.  21 f. 686  VG München, Urteil vom 8. Juli 2015, Az. M 18 K 14.1109, juris Rn. 5, 21 ff. 687  Ebd., Rn. 22 unter Verweis auf VG München, Urteil vom 12. Oktober 2005, Az. M 18 K 04.4744, juris Rn. 25. 688  Vgl. etwa VG München, Urteil vom 8. Juli 2015, Az. M 18 K 14.1109, juris Rn. 23. 689  Ebd., Rn. 25.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 145

Bundesverfassungsgerichts führte die Kammer hier unter anderem die Fallgruppen an, dass das jeweilige Gesetz den Gerichten Entscheidungsspielräume belässt, die für die Frage der Verfassungsmäßigkeit relevant sein können690 oder dass für die verfassungsrechtliche Prüfung erhebliche Tatsachen zu Tage gefördert werden können.691 Im Ergebnis ließ das Gericht die Frage der Statthaftigkeit der Feststellungsklage jedoch aufgrund fehlenden Feststellungsinteresses im Ergebnis dahinstehen. Überzeugend erscheint hier, dass die Kammer die Zulässigkeit der Feststellungsklage nicht ohne Berücksichtigung der Subsidiaritätsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beleuchtet hat. Würden die Verwaltungsgerichte den Rechtsuchenden den Weg über die normbezogene Feststellungsklage auch in den Konstellationen verwehren, in denen das Bundesverfassungsgericht entsprechende Rechtssatzverfassungsbeschwerden aufgrund ihrer Subsidiarität als unzulässig erachtet, würden nicht zu rechtfertigende Rechtsschutzlücken entstehen. Kritikwürdig ist jedoch die Sichtweise, eine normbezogene Feststellungsklage hier allein aus dem Grund als statthaft zu erachten, dass dies aufgrund der Subsidiaritätsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geboten erscheint. Vergleichbar zum Verwaltungsgericht München ging auch das Verwaltungsgericht Bayreuth vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts davon aus, dass für einen Vortrag zu allein spezifisch verfassungsrechtlichen Fragen, die weder von einer näheren Sachverhaltsermittlung noch von der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts abhingen, eine Feststellungsklage nicht in Betracht komme.692 Hier mag zwar zugunsten der Rechtsuchenden tatsächlich unmittelbar der Weg zum Bundesverfassungsgericht offenstehen, da dieses ihnen den „Umweg“ über die Fachgerichte in den angeführten Ausnahmefällen nicht zumuten will, doch kann dieser Umstand für sich nicht die Unzulässigkeit der Feststellungsklage nach sich ziehen. Anderenfalls stünde es dem Bundesverfassungsgericht frei, über die Zulässigkeitsvoraussetzungen fachgerichtlicher Rechtsbehelfe zu disponieren. Dies liefe der Aufgabenteilung unter den G ­ erichtsbarkeiten zuwider. Vielmehr haben die Gerichte das Vorliegen der Sach­urteilsvoraussetzungen einer normbezogenen Feststellungsklage anhand des konkreten Einzelfalls am Maßstab der Verwaltungsgerichtsordnung zu beurteilen. Soweit die Kammer hier annimmt, die Frage der Wirksamkeit der angegriffenen Rechtsnorm stelle nicht mehr bloß eine entscheidungserhebliche Vorfrage, sondern die 690  Vgl. etwa VG München, Urteil vom 8. Juli 2015, Az. M 18 K 14.1109, juris Rn. 25 unter Verweis auf BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 25. Februar 2004, Az. 1 BvR 2016/01, juris Rn. 50. 691  VG München, Urteil vom 8. Juli 2015, Az. M 18 K 14.1109, juris Rn. 25 unter Verweis auf BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 25. Februar 2004, Az. 1 BvR 2016/ 01, juris Rn. 54. 692  VG Bayreuth, Beschluss vom 3. Mai 2021, Az. B 7 E 21.508, juris Rn. 21 f.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

abstrakte „Hauptfrage“ dar,693 hätte sie die Feststellungsklage lediglich aus normativen Gründen – etwa aufgrund eines fehlenden feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses694 – scheitern lassen dürfen. Die insoweit noch uneinheitliche Rechtsprechungslinie in der Verwaltungsgerichtsbarkeit dürfte dem Umstand geschuldet sein, dass das Bundesverwaltungsgericht – insbesondere im Nachgang an die Entwicklungen in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung – sich augenscheinlich noch nicht explizit mit den Zulässigkeitsvoraussetzungen einer normbezogenen Feststellungsklage betreffend Parlamentsgesetze auseinandergesetzt hat. Wie dargelegt, ging das Gericht nicht näher auf die Frage der Zulässigkeitsvoraussetzungen ein, soweit es über entsprechende Fallgestaltungen zu entscheiden hatte.695 Es bleibt abzuwarten, ob sich das Bundesverwaltungsgericht hier künftig konkreter positionieren wird. bb) Verfassungsgerichtliche Rechtsprechung Zu untersuchen bleibt, wie sich die Subsidiaritätsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu einer vorrangigen Feststellungsklage betreffend Parlamentsgesetze entwickelt hat. Um die eingangs dargelegte These Bar­ czaks überprüfen zu können,696 wird nachfolgend zwischen formeller Landes- und Bundesgesetzgebung sowie Senats- und Kammerrechtsprechung unterschieden. (1) Formelle Landesgesetze (a) BVerfGE 74, 69: Süddeutscher Rundfunk Rechnungsprüfung Bereits vor der vielzitierten Entscheidung zur Kulturpflanzen-Ausgleichszahlungs-Verordnung aus dem Jahr 2006 entschied der Erste Senat im Jahr 1986, dass eine Rechtssatzverfassungsbeschwerde gegen eine Vorschrift eines formellen Landesgesetzes – hier § 111 Abs. 3 LHO BW in der Fassung vom 18. Oktober 1982 (GBl. S. 461) – gegenüber einer Klage nach § 43 Abs. 1 VwGO auf Feststellung, dass ein Prüfungsrecht des Rechnungshofs im Sinne der streitigen Vorschrift nicht besteht, subsidiär sein kann. Der Zulässigkeit einer solchen Klage stünde nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht entgegen, dass die Entscheidung wesentlich 693  VG

Bayreuth, Beschluss vom 3. Mai 2021, Az. B 7 E 21.508, juris Rn. 21 f. nachfolgend S. 189 ff. 695  Vgl. abermals zuvor die Fn. 678 ff. 696  Siehe zuvor S. 135. 694  Dazu



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von der Gültigkeit der angegriffenen Norm abhänge.697 Die Verwaltungs­ gerichtsbarkeit hätte in diesen Verfahren die Vereinbarkeit des § 111 Abs. 3 LHO mit höherrangigem Recht zu prüfen und unter den Voraussetzungen des Art. 100 Abs. 1 GG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Anderenfalls stehe – nach Erschöpfung des Rechtswegs – der Weg über eine Urteilsverfassungsbeschwerde offen.698 Unmittelbar sei der Weg über die Rechtssatzverfassungsbeschwerde nur für den Fall eröffnet, dass die Normadressaten zu später nicht mehr korrigierbaren Entscheidungen oder Dispositionen veranlasst würden oder wenn der mit dem Grundsatz der Subsidiarität verfolgte Zweck, eine fachgerichtliche Klärung der Sach- und Rechtsfragen herbeizuführen, nicht zu erreichen wäre.699 Diese wenig beachtete Entscheidung zeigt nicht nur, dass Ausgangspunkt der Rechtsprechungsentwicklung nicht zwangsläufig in der Feststellungsklage betreffend untergesetzliche Rechtsnormen zu sehen ist, sondern auch, dass diese Ausprägung der Subsidiaritätsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kein originär verfassungsgerichtliches „Gewächs“ ist. Der Erste Senat verwies in der zitierten Entscheidung ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass eine Feststellungsklage auch dann statthaft sein kann, wenn die Entscheidung letztlich von der Gültigkeit der streitentscheidenden Norm abhängt.700 In Ermangelung einschlägiger verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung zu dieser Frage lehnte der Erste Senat zuvor eine entsprechend vorrangige Feststellungsklage noch ab. Zweifel an der Zulässigkeit einer normbezogenen Feststellungsklage, die als „verkappte Normenkontrolle“ gesehen werden könnte, dürften nicht zu Lasten der Rechtsuchenden gehen.701 Im Nachgang an diese Entscheidung des Ersten Senats entschieden auch die Kammern, dass die Rechtssatzverfassungsbeschwerde gegen formelle Landesgesetze gegenüber einer verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklage subsidiär sein kann.702 697  BVerfG, Beschluss vom 2. Dezember 1986, Az. 1 BvR 1509/83, BVerfGE 74, 69, juris Rn. 21 unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1982, Az. 5 C 103/81, juris Rn. 10. 698  Ebd., Rn. 22. 699  Ebd., Rn. 23. 700  Ebd., Rn. 21 unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1982, Az. 5 C 103/81, juris Rn. 10. 701  BVerfG, Urteil vom 29. Juli 1959, Az. 1 BvR 394/58, BVerfGE 10, 89, juris Rn. 36. 702  Vgl. etwa BVerfG, Kammerbeschluss vom 25. August 1992, Az. 1 BvR 1502/91, juris Rn. 32; Kammerbeschluss vom 21. Januar 1999, Az. 1 BvR 2077/98, juris Rn. 7; Nichtannahmebeschluss vom 20. September 2007, Az. 1 BvR 816/07, juris Rn. 3; Nichtannahmebeschluss vom 16. Juli 2015, Az. 1 BvR 1014/13, juris

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

(b) BVerfGE 145, 20: Spielhallenzulassung Seine Rechtsprechung zur vorrangigen Feststellungsklage betreffend formelle Landesgesetze bestätigte der Erste Senat – nachdem er in einer ähnlich gelagerten Konstellation die Möglichkeit einer vorrangigen Feststellungsklage nicht erwogen hatte703 – erst Jahre später mit seiner Entscheidung zu landesgesetzlichen Vorschriften zur Regulierung des Spielhallensektors in Berlin, Bayern und im Saarland. Der Senat entschied – abermals unter Verweis auf die Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts –, dass die Beschwerdeführerinnen nicht ausreichend dargelegt hätten, aus welchen Gründen ihnen nicht zumutbar gewesen wäre, eine negative Feststellungsklage gemäß § 43 VwGO gegen die individuelle Verbindlichkeit der angegriffenen Verbote und Verpflichtungen zu erheben.704 Für den Senat war ausschlaggebend, dass alle angegriffenen Vorschriften auslegungsbedürftige und -fähige Rechtsbegriffe enthielten, von deren Auslegung und Anwendung maßgeblich abhängen würde, inwieweit die Beschwerdeführerinnen durch die angegriffenen Regelungen tatsächlich und rechtlich beschwert sind.705 Einer verwaltungsgerichtlichen Klage stünde auch nicht entgegen, dass die angegriffenen Vorschriften ganz überwiegend bußgeldbewehrt sind.706 Der Senat spielte hier auf die Möglichkeit an, etwaigen Bußgeldverfahren mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zu begegnen.707 (c) BVerfGE 150, 309: Kfz-Kennzeichenkontrolle BW-HE Eingehend setzte der Erste Senat sich mit der Subsidiaritätsfrage und insbesondere den Ausnahmen vom Subsidiaritätsgrundsatz in seiner Entscheidung über Verfassungsbeschwerden gegen polizeirechtliche Vorschriften in Rn. 6; Ablehnung einstweilige Anordnung vom 10. März 2020, Az. 1 BvQ 15/20, juris Rn. 18; zu beachten ist jedoch, dass die Kammern nicht stets in entsprechenden Konstellationen eine vorrangige Feststellungsklage erwägen, vgl. etwa BVerfG, Nicht­annahmebeschluss vom 14. Oktober 2008, Az. 1 BvR 928/08, juris Rn. 6 ff. 703  Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 2000, Az. 1 BvR 539/96, BVerfGE 102, 197, juris Rn. 50. 704  BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017, Az. 1 BvR 1314/12, BVerfGE 145, 20, juris Rn. 86 insb. unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2016, Az. 8 C 6/15, ­BVerwGE 157, 126, juris Rn. 15. 705  BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017, Az. 1 BvR 1314/12, BVerfGE 145, 20, juris Rn. 86. 706  Ebd. 707  Siehe zu dieser Ausnahme der Unzumutbarkeitsrechtsprechung bereits zuvor S. 91  ff. und zur Möglichkeit des einstweiligen Rechtsschutzes nachfolgend S. 224 ff.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 149

Baden-Württemberg und Hessen auseinander. Die angegriffenen Regelungen ermächtigten zur automatisierten Kontrolle der Kennzeichen von Kraftfahrzeugen. Der Senat sah hier den Subsidiaritätsgrundsatz auch ohne Inanspruchnahme der Fachgerichte als gewahrt an. Zwar könne die Feststellungsklage zu den vor Erhebung einer Rechtssatzverfassungsbeschwerde zu erhebenden Rechtsbehelfen gehören, doch betonte er unter Verweis auf die bereits bestehende Subsidiaritätsrechtsprechung gleichzeitig die Konstellationen, in denen dies nicht erforderlich sei:708 Die Inanspruchnahme der Fachgerichte sei nicht geboten, soweit die Beurteilung einer Norm allein spezifisch verfassungsrechtliche Fragen aufwirft, eine fachgerichtliche Aufarbeitung der Tatsachen- und Rechtsgrundlagen also nicht geboten erscheint oder einer der bekannten Fälle der Unzumutbarkeit der vorrangigen Inanspruchnahme fachgerichtlichen Rechtsschutzes einschlägig ist.709 Ohne dass es erkennbar in dem zu entscheidenden Fall wesentlich darauf ankam, ging der Senat auch auf die Frage ein, inwieweit die Subsidiaritätsrechtsprechung die Handlungsmöglichkeiten der Rechtsuchenden unter dem Aspekt der zu beachtenden Fristen einschränkt. Grundsätzlich bringe die Subsidiaritätsrechtsprechung die Beschwerdeführenden nicht in Gefahr, die Jahresfrist nach § 93 Abs. 3 BVerfGG zu versäumen. Soweit sie etwa über eine Feststellungsklage ein Sachurteil erstritten hätten, stünde ihnen hiergegen der Weg zum Bundesverfassungsgericht über die Urteilsverfassungsbeschwerde offen, mit der mittelbar auch die Verfassungswidrigkeit des jeweiligen Gesetzes geltend gemacht werden könne. Unabhängig von der Jahresfrist wäre hierbei die Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG zu berücksichtigen.710 Nach Auffassung des Senats sind die gesetzlichen Fristen in § 93 Abs. 3 BVerfGG jedoch dann rechtsschutzfreundlich auszulegen, wenn der fachgerichtliche Rechtsbehelf der Rechtsuchenden als unstatthaft oder sonst unzulässig zurückgewiesen wird. Sollten dieselben Rechtsuchenden anschließend eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen das frag­ liche Gesetz erheben, dürfe ihnen nicht die Frist des § 93 Abs. 3 BVerfGG entgegengehalten werden. Vielmehr sei die Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für die Rechtssatzverfassungsbeschwerde entsprechend heranziehen, sofern die Beschwerdeführenden den fachgerichtlichen Rechtsschutz betreffend die angegriffenen Vorschriften innerhalb eines Jahres nach deren Inkrafttreten anhängig gemacht haben. Etwas anderes soll in Fällen der Offensichtlichkeit gelten, also wenn die Beschwerdeführenden hätten er-

708  BVerfG, Beschluss vom 18. Dezember 2018, Az. 1 BvR 2795/09, BVerfGE 150, 309, juris Rn. 44 ff. 709  Ebd. 710  Ebd., Rn.  46 f.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

kennen müssen, dass das fachgerichtliche Verfahren keine Aussicht auf Erfolg hatte.711 (d) 1 BvR 2771/18: IT-Sicherheitslücken Die Rechtsprechungslinie bestätigte der Erste Senat mit seinem Beschluss zur Rechtssatzverfassungsbeschwerde gegen § 54 Abs. 2 PolG BW in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 für die Polizei in Baden-Württemberg und zur Änderung weiterer polizeirechtlicher Vorschriften vom 6. Oktober 2020 (BGBl. S. 735). Die Verfassungsbeschwerde betrifft den Umgang der Polizeibehörden in Baden-Württemberg mit IT-Sicherheitslücken, die den jeweiligen Systemherstellern noch unbekannt sind (sog. Zero-Day-Schwachstellen). Die Beschwerdeführenden trugen hier für eine Schutzpflichtverletzung vor, da das Polizeigesetz keine Verpflichtung der zuständigen Behörden vorsah, die Systemhersteller über bekannte Sicherheitslücken zu informieren.712 Der Senat wies die Verfassungsbeschwerde aufgrund unzureichender Substantiierung sowie der Missachtung des Subsidiaritätsgrundsatzes zurück. Unter Verweis auf die „stRspr“ hielt der Senat eine verwaltungsgerichtliche Feststellungs- oder Unterlassungsklage für vorrangig. Zum wiederholten Mal legte er die Rechtfertigung seiner Subsidiaritätsrechtsprechung dar und ging auf die möglichen Ausnahmetatbestände ein, von denen hier jedoch aufgrund Auslegungsbedürftigkeit des einfachen Rechts keiner einschlägig gewesen sei.713 Neuland betrat der Senat insoweit, als er diese Subsidiaritätsrechtsprechung auch auf den Fall der Rüge einer gesetzgeberischen Schutzpflichtverletzung übertrug. Auch hier sei eine vorrangige Inanspruchnahme des fachgerichtlichen Rechtsschutzes regelmäßig angezeigt, um zu vermeiden, dass das Bundesverfassungsgericht auf tatsächlich und einfachrechtlich ungeklärter Grundlage entscheiden muss. Eine Lücke der angegriffenen Rechtssätze lasse sich häufig erst dann zuverlässig feststellen, wenn Fachgerichte zuvor den zugrundeliegenden Sachverhalt und die einfachrechtliche Rechtslage umfassend aufgearbeitet hätten.714

711  BVerfG, Beschluss vom 18. Dezember 2018, Az. 1 BvR 2795/09, BVerfGE 150, 309, juris Rn. 48; zur Fristenproblematik im Einzelnen nachfolgend S. 269 ff. 712  BVerfG, Beschluss vom 8. Juni 2021, Az. 1 BvR 2771/18, juris Rn. 1, 9 f. 713  Ebd., Rn.  70 ff. 714  Ebd., Rn. 72.



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(2) Formelle Bundesgesetze Wie bereits in der Literatur zutreffend herausgestellt, hat bisher keiner der Senate des Bundesverfassungsgerichts Beschwerdeführende im Rahmen einer Rechtssatzverfassungsbeschwerde gegen formelle Bundesgesetze für vorrangigen Rechtsschutz in Gestalt der allgemeinen Feststellungsklage an die Verwaltungsgerichte verwiesen.715 (a) BVerfGE 142, 268: Bestellerprinzip Demgemäß hat der Erste Senat in seiner Entscheidung zur Beschränkung der Berufsfreiheit von Wohnungsvermittlern durch das „Bestellerprinzip“ (§ 2 Abs. 1a WoVermRG716) keine entsprechenden Erwägungen hinsichtlich der Subsidiarität dieser Rechtssatzverfassungsbeschwerde angestellt. Der Senat hielt es für die Beschwerdeführer unzumutbar, „sich zunächst um eine Klärung im fachgerichtlichen Verfahren zu bemühen, weil sie sich hiermit der Gefahr eines Bußgeldverfahrens aussetzen müssten“.717 Dies überrascht auf den ersten Blick, als der Erste Senat in der vorgenannten Entscheidung zur Regulierung des Spielhallensektors in Berlin, Bayern und im Saarland später eine negative Feststellungsklage gemäß § 43 VwGO, verbunden mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz, gegen die individuelle Verbindlichkeit der bußgeldbewehrten Verbote und Verpflichtungen als der Verfassungsbeschwerde vorrangig ansah.718 Dass der Senat hier keine weitergehenden Subsidiaritätserwägungen anstellte, könnte darauf zurückzuführen sein, dass er davon ausging, dass die streitentscheidende Vorschrift dem Zivilrecht zuzuordnen war, sodass den Verwaltungsgerichten eine Entscheidung über § 13 GVG versagt wäre. Für eine zivilgerichtliche

715  Barczak, DVBl 2019, 1040, 1045; ders., in: Modrzejewski/Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. V, 2019, S. 17, 36. So verneinte etwa der Zweite Senat in seiner Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit des Künstlersozialversicherungsgesetzes aus dem Jahr 1987 die Frage der Subsidiarität einer Verfassungsbeschwerde gegen ein formelles Bundesgesetz u. a. noch mit der sehr formalen Begründung, dass Fachgerichte nicht zuständig seien, entsprechende Vorschriften zu verwerfen, BVerfG, Beschluss vom 8. April 1987, Az. 2 BvR 909/82, BVerfGE 75, 108, juris Rn. 92. 716  Gesetz zur Regelung der Wohnungsvermittlung in der Fassung vom 21. April 2015 (BGBl. I S. 610). 717  BVerfG, Beschluss vom 29. Juni 2016, Az. 1 BvR 1015/15, BVerfGE 142, 268, juris Rn. 44. 718  Vgl. abermals BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017, Az. 1 BvR 1314/12, BVerfGE 145, 20, juris Rn. 86.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

Feststellungsklage wiederum dürfte hier der rechtliche Boden gefehlt haben.719 (b) BVerfGE 143, 246: Atomausstieg Demgegenüber setzte sich der Erste Senat in nachfolgenden Entscheidungen ausdrücklich mit der Frage auseinander, ob eine verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage gegenüber Rechtssatzverfassungsbeschwerden gegen formelle Bundesgesetze vorrangig sein kann. Den Ausgangspunkt dürfte die Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde gegen das dreizehnte Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes vom 31. Juli 2011720 darstellen. Hier hob der Senat in seinen Subsidiaritätserwägungen hervor, dass die allein in Frage kommende verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage im Zusammenhang mit dem Angriff eines Gesetzes „nicht von vorneherein ausgeschlossen sei“.721 Jedoch zweifelte das Gericht in dem zu entscheidenden Fall an, dass ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis bestand. Es sei kein „sinnvoller Feststellungsantrag, der über die den Verwaltungsgerichten in jedem Fall verwehrte Feststellung der Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Normen hinaus ginge und diese gleichwohl zum Gegenstand der Klärung eines konkreten Rechtsverhältnisses machte“, ersichtlich.722 Im Übrigen habe es sich hier um einen Sachverhalt gehandelt, aus dem sich allein verfassungsrecht­ liche Fragen ergeben, die einer fachgerichtlichen Aufarbeitung nicht bedurft hätten.723

719  Dazu Barczak, in: Modrzejewski/Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. V, 2019, S. 17, 37 f.; zur Frage des Rechtswegs nachfolgend S. 184 ff. 720  BGBl. I S. 1704. 721  BVerfG, Urteil vom 6. Dezember 2016, Az. 1 BvR 2821/11, BVerfGE 143, 246, juris Rn. 210. 722  Ebd.; zu dieser Feststellung nachfolgend S. 254  ff.; zum Feststellungsantrag ebenfalls nachfolgend S. 258 ff. 723  Ebd., Rn. 211. Mit exakt gleicher Argumentation verneinte der Senat später auch die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde gegen Vorschriften des Gesetzes zur Entwicklung und Förderung der Windenergie auf See (Art. 2 des Gesetzes zur Einführung von Ausschreibungen für Strom aus erneuerbaren Energien und zu weiteren Änderungen des Rechts der erneuerbaren Energien vom 13. Oktober 2016 [BGBl. I S. 2258]) gegenüber einer verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklage, BVerfG, Beschluss vom 30. Juni 2020, Az. 1 BvR 1679/17, juris Rn. 70.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 153

(c) BVerfGE 154, 152: BND – Ausland-Ausland-Aufklärung und Folgeentscheidungen Auch in den folgenden Jahren hat der Erste Senat die Möglichkeit der vorrangigen verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklage immer wieder in seinen Subsidiaritätserwägungen angeschnitten, ohne jedoch hier endgültig Farbe zu bekennen: In der Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit von Vorschriften des Gesetzes über den Bundesnachrichtendienst (BNDG)724 zur Ausland-Ausland-Telekommunikationsaufklärung heißt es, dass zwar die Erhebung einer Feststellungs- oder Unterlassungsklage grundsätzlich zu den zumutbaren Rechtsbehelfen im Sinne der Subsidiaritätsrechtsprechung gehört, doch soweit die Beurteilung einer Norm allein spezifisch verfassungsrechtliche Fragen aufwerfe, bei denen keine verbesserte Entscheidungsgrundlage durch eine fachgerichtliche Vorarbeit zu erwarten wäre, bedürfe es einer entsprechenden vorangehenden fachgerichtlichen Entscheidung nicht.725 Der Senat stellte diesen Ausführungen jedoch die Feststellung hintenan, dass es allein „[i]nsoweit“ dabei bleibe, dass „Verfassungsbeschwerden unmittelbar gegen ein Gesetz weithin auch ohne vorherige Anrufung der Fachgerichte zulässig sind“.726 Im Übrigen ist also die Feststellungsklage durchaus gegenüber formellen Bundesgesetzen als vorrangiger Rechtsbehelf anzusehen. Quasi mit wortgleicher Begründung lehnte der Senat kurz darauf auch die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerden unter anderem gegen § 113 TKG727 im Zusammenhang mit der Bestandsdatenauskunft728 sowie gegen § 6a des Gesetzes zur Errichtung einer standardisierten zentralen Antiterrordatei von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten von Bund und Ländern729 ab. Auf724  Die angegriffenen Vorschriften wurden durch das am 31. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3346) im BNDG vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954, 2979), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Verordnung (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 vom 30. Juni 2017 (BGBl. I S. 2097), eingeführt. 725  BVerfG, Urteil vom 19. Mai 2020, Az. 1 BvR 2835/17, BVerfGE 154, 152, juris Rn.  77 ff. 726  Ebd., Rn. 78 unter Verweis auf eine seiner Entscheidungen zu formellen Landesgesetzen, BVerfG, Beschluss vom 18. Dezember 2018, Az. 1 BvR 2795/09, BVerfGE 150, 309, juris Rn. 44. 727  In der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes und zur Neuregelung der Bestandsdatenauskunft vom 20. Juni 2013 (BGBl. I S. 1602). 728  BVerfG, Beschluss vom 27. Mai 2020, Az. 1 BvR 1873/13, BVerfGE 155, 119, juris Rn. 77. 729  Eingeführt durch das Gesetz zur Änderung des Antiterrordateigesetzes und anderer Gesetze vom 18. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2318); BVerfG, Beschluss vom 10. November 2020, Az. 1 BvR 3214/15, BVerfGE 156, 11, juris Rn. 60 ff.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

fällig ist, dass der Senat sich in den vorgenannten Entscheidungen – stets unter Verweis auf die „stRspr“ – auf seine Subsidiaritätserwägungen in der Entscheidung zu Regelungen zur automatisierten Kraftfahrzeugkennzeichenkontrolle in Baden-Württemberg und Hessen aus Dezember 2018 bezieht.730 Der Verweis auf diese Entscheidung zu formellen Landesgesetzen verdeutlicht, dass der Senat hier nicht zwischen Landes- und Bundesgesetzen differenziert. Augenscheinlich sieht der Senat in beiden Konstellationen die verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage als grundsätzlich der Rechtssatzverfassungsbeschwerde gegenüber vorrangig an. Dies gilt unabhängig davon, ob ein Landes- oder der Bundesgesetzgeber die streitentscheidenden Normen erlassen hat. Wollte der Senat hier eine Differenzierung vornehmen, dürfte er sich nicht uneingeschränkt auf seine Rechtsprechung zu formellen Landesgesetzen beziehen. Auch liegt nahe, dass der Senat sich in den zitierten Entscheidungen von seiner einschlägigen Kammerrechtsprechung – zu dieser sogleich – distanziert hätte, wäre er gewillt, Rechtssatzverfassungsbeschwerden gegen formelle Bundesgesetze unter andere Voraussetzungen zu stellen, als solche gegen formelle Landesgesetze. (d) BVerfGE 157, 30: Klimaschutz Auch in der medienwirksamen Entscheidung zum Bundes-Klimaschutzgesetz vom 12. Dezember 2019731 verwies der Erste Senat die Beschwerdeführenden mit ihrem Angriff gegen das Gesetz nicht auf die verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage.732 Der Senat ging hier davon aus, dass der Anwendungsbereich der Feststellungsklage vor den Verwaltungsgerichten nicht eröffnet gewesen sein dürfte. Seine Auffassung begründete er jedoch nicht weiter, sondern verwies lediglich auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Postmindestlohnverordnung aus dem Jahr 2010 – im Rahmen derer der Senat jedoch von der Zulässigkeit einer entsprechenden Feststellungsklage ausging.733 Ferner sei die Inanspruchnahme fachgerichtlichen Rechtsschutzes hier auch nicht geboten gewesen, da keine „Vertiefung oder Verbreiterung des tatsächlichen und rechtlichen Materials“ zu erwarten ge730  BVerfG, Urteil vom 19. Mai 2020, Az. 1 BvR 2835/17, BVerfGE 154, 152, juris Rn. 78; Beschluss vom 27. Mai 2020, Az. 1 BvR 1873/13, BVerfGE 155, 119, juris Rn. 77; Beschluss vom 10. November 2020, Az. 1 BvR 3214/15, BVerfGE 156, 11, juris Rn. 60 unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 18. Dezember 2018, Az. 1 BvR 2795/09, BVerfGE 150, 309, juris Rn. 44. 731  BGBl. I S. 2513. 732  BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021, Az. 1 BvR 2656/18, BVerfGE 157, 30, juris Rn.  139 f. 733  Ebd. unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2010, Az. 8 C 19/09, ­BVerwGE 136, 54.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 155

wesen wäre. Insbesondere seien keine Fragen der Auslegung einfachen Rechts entscheidungserheblich gewesen.734 (e) 1 BvR 781/21: Bundesnotbremse I Auch zuletzt erachtete der Erste Senat mit seinen Entscheidungen betreffend die Regelungen über Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen nach § 28b Abs. 1 Satz 1 IfSG735 eine verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage nicht als vorrangig.736 Mit § 28b IfSG hatte der Gesetzgeber in Form der sogenannten Bundesnotbremse Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen in das Infektionsschutzgesetz eingefügt, um bundeseinheitliche Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie zu etablieren. Ein Verstoß konnte über § 73 Abs. 1a Nr. 11c bzw. Nr. 11b IfSG als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Soweit der Verstoß vorsätzlich begangen und dadurch eine vom Tatbestand erfasste Krankheit verbreitet wurde, war der Verstoß als Straftrat zu verfolgen (§ 74 IfSG).737 Der Senat erachtete die erhobenen Rechtssatzverfassungsbeschwerden im Kern als zulässig. Insbesondere sah er den Grundsatz der Subsidiarität als gewahrt an. So sei hier zwar die Möglichkeit einer negativen Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO nicht von vorne­ herein ausgeschlossen,738 doch würden sich allein verfassungsrechtliche Fragen stellen, die das Bundesverfassungsgericht zu beantworten habe, ohne dass eine durch fachgerichtliche Aufarbeitung verbesserte Entscheidungsgrundlage zu erwarten wäre. Obwohl die maßgeblichen Regelungen „in nicht unerheblichem Umfang unbestimmte Rechtsbegriffe enthielten und damit zahlreiche Auslegungsfragen aufwarfen“,739 sah der Senat die Voraussetzungen dieses Ausnahmefalls vom Subsidiaritätsgrundsatz als erfüllt an: „Ob ein 734  BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021, Az. 1 BvR 2656/18, BVerfGE 157, 30, juris Rn. 140. 735  In der Fassung des am 23. April 2021 in Kraft getretenen Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22. April 2021 (BGBl. I S. 802). 736  BVerfG, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 5. Mai 2021, Az. 1 BvR 781/ 21, juris Rn. 26; Beschluss vom 19. November 2021, Az. 1 BvR 781/21, juris Rn. 103. 737  Zu diesen Gesichtspunkten bereits zuvor S. 91 ff. 738  BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021, Az. 1 BvR 781/21, juris Rn. 101, 149. 739  Ebd., Rn. 103; vgl. auch Greve/Lassahn, NVwZ-Extra 10a 2021, 1, 6 und Kießling, Stellungnahme als geladene Einzelsachverständige zum Entwurf eines Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (BT-Drs. 19/28444) vom 16. April 2021, S. 7, abrufbar unter https:// www.bundestag.de/resource/blob/834718/f9d7dff3462d982b089359365a45624a/19_1 4_0323-6-_ESV-Dr-Andrea-Kiessling_-viertes-BevSchG-data.pdf, letzter Abruf am 22. Februar 2022.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

Grundrechtseingriffe unmittelbar anordnendes, selbstvollziehendes Gesetz in mit Verfassungsrecht unvereinbarer Weise den Rechtsschutz der Betroffenen verkürzt oder gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) verstößt, hängt nicht von der konkreten Ausgestaltung des Eingriffs ab“.740 (f) Kammerentscheidungen Anders als der Senat selbst weisen die Kammern des Ersten Senats bereits seit einigen Jahren in ständiger Rechtsprechung auch Verfassungsbeschwerden gegen formelle Bundesgesetze unter Verweis auf eine vorrangige fachgerichtliche Feststellungsklage zurück. Soweit ersichtlich, hat erstmalig die erste Kammer des Ersten Senats im Jahr 1996 zum Verhältnis der Rechtssatzverfassungsbeschwerde und einer fachgerichtlichen Feststellungsklage Stellung bezogen. Ohne Letztere hier ausdrücklich als vorrangig zu bewerten, hielt die Kammer unter Verweis auf die zivilgerichtliche Rechtsprechung fest, dass die Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO die Möglichkeit biete, die Verfassungswidrigkeit der hier angegriffenen Pflichtteilsregelung des BGB im fachgerichtlichen Verfahren geltend zu machen, um so schließlich über eine Urteilsverfassungsbeschwerde das Bundesverfassungsgericht anzurufen.741 Dieselbe Kammer griff im Jahr 1999 diesen Gedanken auf und verwies den Beschwerdeführer insoweit an die Fachgerichte. Gegenstand des Nichtannahmebeschlusses war eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen die in § 7a Abs. 2 Satz 1 BörsG742 enthaltene Pflicht zur Gestattung der Einführung des elektronischen Börsensystems XETRA.743 Die Kammer hielt die Verfassungsbeschwerde für subsidiär gegenüber einer negativen Feststellungsklage mit dem Feststellungsziel, dass der von der jeweiligen Börse geltend gemachte Anspruch auf Gestattung der Einführung des Börsensystems nicht besteht. Das Gericht ließ dabei ausdrücklich offen, ob eine entsprechende Feststellungsklage über § 256 Abs. 1 ZPO vor den Zivilgerichten oder über § 43 Abs. 1 VwGO vor den Verwaltungsgerichten zu erheben gewesen wäre.744 740  BVerfG, 741  BVerfG,

Beschluss vom 19. November 2021, Az. 1 BvR 781/21, juris Rn. 103. Kammerbeschluss vom 21. November 1996, Az. 1 BvR 1862/96, juris

Rn. 11. 742  Eingeführt durch Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur weiteren Fortentwicklung des Finanzplatzes Deutschland (Drittes Finanzmarktförderungsgesetz) vom 24. März 1998 (BGBl. I S. 529). 743  BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. März 1999, Az. 1 BvR 295/99. 744  Ebd., Rn. 7. Die dritte Kammer desselben Senats bestätigte diese Subsidiaritätsrechtsprechung im Jahr 2009 mit einem Nichtannahmebeschluss betreffend eine



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Im Jahr 2004 verwies die dritte Kammer desselben Senats eine Beschwerdeführerin mit ihrem Vortrag an die Verwaltungsgerichte, dass Bestimmungen des Verfütterungsverbotsgesetzes in seiner damaligen Fassung745 über Verfütterung und Verbringung bestimmter Futtermittel sie in ihren Grundrechten verletze. Hier sei eine Feststellungsklage statthaft mit dem Ziel festzustellen, dass die Beschwerdeführerin weiterhin berechtigt sei, die durch die streitige Vorschrift verbotene unternehmerische Tätigkeit fortzuführen. Als Beleg für die Zulässigkeit entsprechender Feststellungsklagen verwies die Kammer auf die Kommentarliteratur, auf bestehende Kammer- und Senatsrechtsprechung zur Frage der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde gegen formelle Landesgesetze und Rechtsverordnungen sowie auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Festlegung von An- und Abflugstrecken.746 Dass mit der zu entscheidenden Verfassungsbeschwerde ein formelles Bundesgesetz angegriffen wurde, stellte demgegenüber für die Kammer keinen erwähnenswerten Umstand dar. Auch stünde einer verwaltungsgerichtlichen Klage nicht entgegen, dass die Beschwerdeführerin hier ausdrücklich die formelle Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Regelungen rügte.747 Die erste Kammer des Ersten Senats griff die dargelegte Subsidiaritätsrechtsprechung betreffend formelle Bundesgesetze im Jahr 2014 wieder auf. Hier nahm sie eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen naturschutzrechtliche Vorschriften nicht zur Entscheidung an und verwies unter anderem auf eine vorrangige verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage mit dem Feststellungsziel, dass die beabsichtigte Betätigung keiner Genehmigung bedarf bzw. das beabsichtigte Verhalten zulässig ist.748 Die dritte Kammer führte ihre Subsidiaritätsrechtsprechung zu Ver­ fassungsbeschwerden unmittelbar gegen formelle Bundesgesetze mit dem Nicht­annahmebeschluss betreffend den Angriff von Vorschriften des Min-

Verfassungsbeschwerde gegen Regelungen des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes. Zwar verwies die Kammer die Beschwerdeführerin hier für eine Inzidentkontrolle nicht auf die verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage, jedoch auf die zivilgericht­ liche Feststellungsklage nach § 256 ZPO, BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26. März 2009, Az. 1 BvR 119/09, juris Rn. 22. 745  Gesetz über das Verbot des Verfütterns, des innergemeinschaftlichen Verbringens und der Ausfuhr bestimmter Futtermittel vom 1. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1635). 746  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 25. Februar 2004, Az. 1 BvR 2016/01, juris Rn. 53. 747  Ebd., Rn. 57. 748  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 28. Januar 2014, Az. 1 BvR 573/11, ­juris Rn.  13.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

destlohngesetzes (MiLoG)749 fort und ging hier näher auf die Voraussetzungen einer entsprechenden negativen Feststellungsklage sowie auf die Ausnahmen vom Grundsatz der Subsidiarität ein. Vor den Fachgerichten habe die Möglichkeit bestanden, auf Feststellung zu klagen, nicht zu den gebotenen Handlungen verpflichtet zu sein, wie es die angegriffenen Vorschriften des MiLoG bei deren Wirksamkeit vorgeben würden.750 Eine solche negative Feststellungsklage wäre auch nicht von vorneherein unzulässig. Das erforderliche rechtliche Interesse an der Feststellung des Bestehens bzw. Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses könne sich hier daraus ergeben, dass die Auslegung und Anwendung des MiLoG zwischen Arbeitgebern und ihren Beschäftigten sowie den staatlichen Behörden noch ungeklärt war.751 Die fachgerichtlichen Feststellungsklageverfahren seien auch geeignet, die Unklarheiten bezüglich der Reichweite des MiLoG aufzuarbeiten. Insbesondere könnten die fachgerichtlichen Entscheidungen auch die verfassungsrechtliche Bewertung des Gesetzes beeinflussen. Zwar könnten die Gerichte vor dem Hintergrund des Art. 100 Abs. 1 GG die jeweiligen Vorschriften nicht selbst für verfassungswidrig erklären, doch setze ein zulässiger Vorlagebeschluss an das Bundesverfassungsgericht voraus, dass das jeweilige Ausgangsgericht die Anwendbarkeit und Verfassungsmäßigkeit der streitentscheidenden Norm bereits selbst sorgfältig geprüft hat. Dabei hätten die Gerichte auf naheliegende tatsächliche und rechtliche Gesichtspunkte einzugehen und unter Umständen auch eine verfassungskonforme Auslegung in Betracht zu ziehen.752 Es sei den Beschwerdeführenden auch nicht deshalb unzumutbar, zunächst die Fachgerichte zu bemühen, weil ihnen dadurch schwere Nachteile drohen würden. Soweit die behaupteten Insolvenzrisiken tatsächlich bestünden, könnte diesen durch fachgerichtlichen einstweiligen Rechtsschutz begegnet werden. Selbst für den Fall, dass das jeweilige Gericht die Sache über Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorläge, wären sie in diesem Fall nicht gehindert, schon vor der im Hauptsacheverfahren einzuholenden Entscheidung vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn dies im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes geboten erscheint und die Hauptsacheentscheidung dadurch nicht vorweggenommen wird. Auch eine Vorabscheidung wegen allgemeiner Bedeutung nach § 90 Abs. 2 749  Eingeführt durch Art. 1 des Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) vom 11. August 2014 (BGBl. I S. 1348). 750  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 25. Juni 2015, Az. 1 BvR 555/15, juris Rn. 11. Die Kammer geht hier nicht ausdrücklich auf den einschlägigen Rechtsweg ein. Zu den verschiedenen denkbaren Kontrollmöglichkeiten Löwisch, NZA 2014, 948, 949 ff. 751  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 25. Juni 2015, Az. 1 BvR 555/15, juris Rn. 12. 752  Ebd., Rn. 13.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 159

Satz 2 Alt. 1 BVerfGG komme nicht in Betracht, da hier dem Vorteil fachgerichtlicher Klageverfahren im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Subsidiaritätsgrundsatzes nur verhältnismäßig geringe Belastungen der Beschwerdeführenden gegenüberstünden.753 Auf den Umstand, dass Verstöße gegen die entscheidenden Vorschriften des MiLoG hier als Ordnungswidrigkeiten geahndet werden könnten, ging die Kammer nicht gesondert ein. Es klingt jedoch an, dass sie diesbezüglich die Rechtsuchenden für ausreichend durch fachgerichtliche einstweilige Rechtsschutzverfahren geschützt hielt.754 So sah es die erste Kammer des Ersten Senats auch in der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde gegen Vorschriften des Geldwäschegesetzes vom 23. Juni 2017755. Ohne neue Wege zu gehen, erklärte das Gericht hier abermals ausdrücklich, dass die negative Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO zum vorrangigen Rechtsschutz gegen die individuelle Verbindlichkeit normativer Verbote und Verpflichtungen gehört. Die Klage sei statthaft, wenn die Feststellung begehrt wird, dass aufgrund der Ungültigkeit oder Unanwendbarkeit einer Rechtsnorm kein Rechtsverhältnis zu einem anderen Beteiligten begründet ist. Die Verfassungsbeschwerde lasse einen erheblichen Bedarf für eine fachgerichtliche Klärung der Sach- und Rechtslage erkennen, die im Rahmen der Feststellungsklage geleistet werden könne. Der Umstand, dass ein Verstoß gegen die einschlägigen Vorschriften bußgeldbewehrt ist, stehe dem nicht entgegen, da mit der Feststellungsklage – gegebenenfalls verbunden mit einem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes – die Möglichkeit bestehe, fachgerichtlichen Rechtsschutz auch außerhalb eines Straf- oder Bußgeldverfahrens zu erlangen.756 Neue Facetten der Subsidiaritätsrechtsprechung lassen sich in der Entscheidung der dritten Kammer des Ersten Senats zum „Kuttenverbot“ aus dem Jahr 2020 entnehmen. Hier richteten sich die Verfassungsbeschwerden unmittelbar gegen das Zweite Gesetz zur Änderung des Vereinsgesetzes vom 10. März 2017757. Mit Abänderung des Verbots der Verwendung von Kennzeichen in § 9 Abs. 3 VereinsG und der korrespondierenden Strafnorm in § 20 Abs. 1 Satz 2 VereinsG soll insbesondere Vereinigungen des kriminellen Rockermilieus begegnet werden.758 Entsprechend waren Beschwer753  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 25. Juni 2015, Az. 1 BvR 555/15, juris Rn.  16 f. 754  Vgl. ebd., Rn. 10. 755  BGBl. I S. 1822. 756  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 19. November 2018, Az. 1 BvR 1335/18, juris Rn.  5 f. 757  BGBl. I S. 419. 758  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 9. Juli 2020, Az. 1 BvR 2067/17, juris Rn. 1 unter Verweis auf BT-Drs. 18/9758, S. 7.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

deführende lokale „Chapter“ verschiedener Rockergruppierungen sowie einzelne Mitglieder dieser Vereinigungen. Die von den „Chaptern“ erhobenen Verfassungsbeschwerden wies die Kammer unter Verweis auf den Subsidiaritätsgrundsatz zurück. Besonders hervorzuheben ist hier, dass eine der Vereinigungen vorausgehend ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht angestrengt hatte. Hier begehrte diese – neben der Anfechtungsklage in der Hauptsache – einstweiligen Rechtsschutz betreffend ein gegenüber einer anderen Vereinigung ergangenes Vereinsverbot und machte ihre Bedenken betreffend die Verfassungsmäßigkeit der geänderten Vorschriften des Vereinsgesetzes geltend.759 Das Gericht wies den Antrag insbesondere unter Verweis auf die fehlende Antragsbefugnis der Vereinigung und die offensichtliche Unzulässigkeit des Hauptsacherechtsbehelfs zurück. Augenscheinlich war es das Ziel der Vereinigung, die Verfassungsmäßigkeit des geänderten Vereinsgesetzes vor den Fachgerichten anzugreifen, wohl um so der dargestellten Subsidiaritätsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gerecht zu werden. Hierbei scheint die Vereinigung jedoch übersehen zu haben, dass die Möglichkeit bestand, negative Feststellungsklage – verbunden mit einem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes – gegen die Anwendung des Kennzeichenverbots zu erheben, worauf der zuständige Senat des ­Bundesverwaltungsgerichts in seiner Entscheidung auch ausdrücklich hinwies.760 Dem Bundesverfassungsgericht war dieser Versuch, fachgericht­lichen Rechtsschutz zu erlangen, offenbar nicht genug. Es verwies die Beschwerdeführenden im Einklang mit dem Bundesverwaltungsgericht darauf, eine mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz verbundene negative Feststellungsklage gemäß § 43 VwGO gegen die Verbindlichkeit der angegriffenen Verbote zu erheben.761 Insoweit setzt die dritte Kammer hier ein gewisses Mindestmaß an Erfolgsaussicht des fachgerichtlichen Rechtsbehelfs voraus, damit die Bemühungen der Beschwerdeführenden den Subsidiaritätsanforderungen gerecht werden. Die Verfassungsbeschwerden der Mitglieder der betroffenen Vereinigungen wies die Kammer nicht aufgrund Verstoßes gegen den Subsidiaritätsgrundsatz zurück. Da es sich bei der primär angegriffenen Norm um eine strafbewehrte Vorschrift handelt, wäre es für sie unzumutbar, erst gegen diese Norm zu verstoßen, bevor eine Grundrechtsverletzung im Strafverfahren geltend gemacht werden könnte. Auch komme hier eine verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage nicht als vorrangiger Rechtsbehelf in Betracht. Dies begründete die Kammer damit, dass eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung 759  Vgl.

BVerwG, Beschluss vom 10. Januar 2018, Az. 1 VR 14/17, juris Rn. 3,

760  Ebd.,

Rn. 34. Nichtannahmebeschluss vom 9. Juli 2020, Az. 1 BvR 2067/17, juris

34.

761  BVerfG,

Rn.  16 ff.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 161

nur gegenüber der Verbotsbehörde, nicht aber gegenüber der Staatsanwaltschaft oder Strafgerichten verbindlich wäre und eine strafrechtliche Verfolgung nicht sicher verhindern könnte.762 Wie bereits im vorstehenden Teil dieser Untersuchung dargelegt, präzisierte die Kammer damit in begrüßenswerter Weise die sogenannte Damokles-Rechtsprechung als Ausnahme vom Subsidiaritätsgrundsatz.763 In einem weiteren Verfahren verwies abermals die dritte Kammer des Ersten Senats eine Beschwerdeführerin mit ihrer Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen § 11 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 1a des Apothekengesetzes (ApoG) in der Fassung vom 14. Oktober 2020764 auf eine vorrangige verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage.765 Mit der angegriffenen Vorschrift führte der Bundesgesetzgeber ein Verbot der kommerziellen Rezeptmakelei ein.766 Damit wurde nach Auffassung der Beschwerdeführerin ihr Geschäftsmodell, den digitalen Versand von Arzneimittelrezepten zwischen Ärzten und Apotheken zu ermöglichen, untersagt. Mit dem Nichtannahmebeschluss entwickelte die Kammer die Subsidiaritätsrechtsprechung zur vorrangigen Feststellungsklage jedoch nicht weiter, sondern verwies lediglich auf die bereits bekannten Grundsätze. Konkret habe die Beschwerdeführerin hier auf Feststellung klagen können, „dass die von ihr ausgeübte Tätigkeit nicht den von ihr als verfassungswidrig angegriffenen, sie konkret und aktuell belastenden Verboten nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 1a ApoG unterliegt“.767 In diesem Verfahren würden sich einfachgesetzliche Fragen bei der Auslegung und Anwendung dieser Vorschrift stellen, sodass keine rein verfassungsrechtliche Streitigkeit vorläge, die unmittelbar durch das Bundesverfassungsgericht hätte entschieden werden können.768 Etwaigen Umständen, welche die Unzumutbarkeit der vorherigen Inanspruchnahme fachgerichtlichen Rechtsschutzes begründen würden, könnten begegnet werden, indem die Beschwerdeführerin die Feststellungsklage mit einem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes verbinde. Ein Fall des § 90 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 BVerfGG läge ebenfalls nicht vor. Mit bereits bekannter Begründung769 verwies die 762  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 9. Juli 2020, Az. 1 BvR 2067/17, juris Rn. 25. 763  Siehe zuvor S. 91 ff. 764  BGBl. I S. 2115. 765  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 12. November 2020, Az. 1 BvR 2424/20, juris Rn.  7 ff. 766  Vgl. BT-Drs. 19/18793, S. 137. 767  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 12. November 2020, Az. 1 BvR 2424/20, juris Rn. 14. 768  Ebd., Rn. 11, 15. 769  Vgl. abermals BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 25. Juni 2015, Az. 1 BvR 555/15, juris Rn. 17.

162

3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

Kammer darauf, dass der Vorteil einer vorherigen Befassung der Fachgerichte die verhältnismäßig geringe Belastung der Beschwerdeführerin überwiegen würde.770 Ferner lehnte die dritte Kammer des Ersten Senats in jüngerer Zeit drei verbundene Eilanträge gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG, gerichtet auf die Aussetzung des Vollzugs eines formellen Bundesgesetzes, ab. Gegenstand der Entscheidung war die Wirksamkeit von Teilen des Arbeitsschutzkontrollgesetzes771, das als Artikelgesetz insbesondere in der Fleischwirtschaft Einschränkungen des Einsatzes von Fremdpersonal in der Schlachtung, Zerlegung und Fleischverarbeitung normiert.772 Die Kammer stützte ihre Entscheidung im Wesentlichen auf die Subsidiarität – und damit auf die von vorneherein bestehende Unzulässigkeit – der in den Hauptsachen zu erhebenden Verfassungsbeschwerden. Sie verwies die Antragstellenden auf die vorrangig vor den Verwaltungsgerichten zu erhebende negative Feststellungsklage – erforderlichenfalls verbunden mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz –, um die Verbindlichkeit der angegriffenen Verbote klären zu lassen. Im Übrigen verwies die Kammer darauf, dass keiner der aus der Subsidiaritätsrechtsprechung bekannten Ausnahmefälle vorläge.773 Außerdem nahm die zweite Kammer des Ersten Senats Rechtssatzverfassungsbeschwerden gegen einzelne Vorschriften des Kulturgutschutzgesetzes (KGSG) vom 31. Juli 2016774 unter Verweis auf eine vorrangige Unterlassungs- oder Feststellungsklage nicht zur Entscheidung an.775 Das Gesetz regelt unter anderem die Ein- und Ausfuhr von Kulturgütern. Die Kammer stützte ihre Entscheidung erneut im Wesentlichen darauf, dass die angegriffenen Vorschriften auslegungsbedürftige und -fähige Rechtsbegriffe enthielten, die vor Inanspruchnahme der Verfassungsbeschwerdemöglichkeit fachgerichtlich aufzuarbeiten wären.776 Nach Auffassung der Kammer folge nichts anderes aus dem Umstand, dass hier die Gesetzgebungskompetenz für die fraglichen Regelungen gerügt wurde. Es bedürfe einer weiteren Sachverhaltsaufklärung, um zu bestimmen, unter welche Kompetenzregelung die angegriffenen Bestimmungen fallen.777 Dies überrascht, weil der Erste Senat 770  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 12. November 2020, Az. 1 BvR 2424/20, juris Rn. 16. 771  Gesetz zur Verbesserung des Vollzugs im Arbeitsschutz vom 22. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3334). 772  BVerfG, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 29. Dezember 2020, Az. 1 BvQ 165/20, juris Rn. 1 ff. 773  Ebd., Rn.  19 f. 774  BGBl. I S. 1914, 1936. 775  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 28. Juni 2021, Az. 1 BvR 1727/17. 776  Ebd., juris Rn. 15 ff. 777  Ebd., Rn. 24.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 163

in der bereits zitierten Entscheidung zum Thüringer Ladenöffnungsgesetz fachgerichtlichen Rechtsschutz ausnahmsweise nicht für vorrangig erachtete, da die Klärung von „Fragen der Gesetzgebungskompetenz, […] ohnehin letztlich dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten ist“.778 Zugleich scheint die Entscheidung abermals ein zu strenges Verständnis der „DamoklesRechtsprechung“ zu offenbaren. So verwies die Kammer die Beschwerdeführenden an die Verwaltungsgerichte, obwohl ein Verstoß gegen die angegriffenen Vorschriften auch als Straftat geahndet werden könnte (vgl. § 83 Abs. 1 Nr. 3 KGSG). Aus dem Beschluss geht augenscheinlich jedoch nicht hervor, ob unter den Beschwerdeführenden auch natürliche Personen waren, die Adressaten des Straftatbestandes wären. Unter Berücksichtigung der anderslautenden Entscheidung der dritten Kammer zum „Kuttenverbot“ ist abermals darauf hinzuweisen, dass zu beobachten bleibt, wie sich die Rechtsprechungslinie hier entwickeln wird.779 Zuletzt betonte nochmals die dritte Kammer des Ersten Senats die Subsidiarität der Rechtssatzverfassungsbeschwerde gegen Parlamentsgesetze gegenüber der verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklage im Zusammenhang mit Verfassungsbeschwerden unmittelbar gegen einzelne Bestimmungen des Bayerischen Lobbyregistergesetzes vom 6. Juli 2021.780 Die von den beschwerdeführenden Gewerkschaften angegriffenen Vorschriften normieren unter anderem eine Registrierungspflicht für Interessenvertretungen, wenn die Lobbyarbeit gegenüber dem bayerischen Landtag oder der Staatsregierung betrieben wird sowie Sanktionen gegen entsprechende Pflichtverstöße. Abermals begründete die Kammer ihre Entscheidung mit der Auslegungsbedürftigkeit der relevanten Bestimmungen. Die Beschwerdeführenden hätten sich mit der negativen Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO an die Verwaltungsgerichte wenden und dort klären lassen können, ob sie nicht oder nur teilweise in den Anwendungsbereich des Bayerischen Lobbyregistergesetzes fallen.781 c) Resümee Aus der Rechtsprechungsauswertung lassen sich im Wesentlichen die vier folgenden Schlüsse ziehen. 778  BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2015, Az. 1 BvR 931/12, BVerfGE 138, 261, juris Rn. 24; ähnlich auch bereits BVerfG, Beschluss vom 12. Dezember 1984, Az. 1 BvR 1249/83, BVerfGE 68, 319, juris Rn. 21; dazu Sodan, Staat und Verfassungsgerichtsbarkeit, 2010, S. 64 f. 779  Dazu bereits zuvor S. 91 ff. 780  BayGVBl. S. 661. 781  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 17. Januar 2022, Az. 1 BvR 2727/21, juris Rn.  17 ff.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

aa) Renaissance der Feststellungsklage als Normenabwehrklage Der erste Gesichtspunkt betrifft gleich in mehrfacher Hinsicht die Entwicklung der Rechtsprechung zur Feststellungsklage als Normenabwehrklage. Zuerst ist festzuhalten, dass dieser Anwendungsfall der allgemeinen Feststellungsklage seinen Ursprung nicht in Konstellationen findet, in denen Rechtsuchende beabsichtigten, untergesetzliche Rechtsnormen anzugreifen. Mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1972782 sowie jener des Bundesverfassungsgerichts von 1986783 finden sich die Ursprünge der Subsidiaritätsrechtsprechung zur Feststellungsklage als all­ ­ gemeine Normenabwehrklage in Fallgestaltungen, in denen sich die Recht­ suchenden im Ergebnis gegen Parlamentsgesetze zur Wehr setzten. Den Literaturstimmen, welche die Entwicklung dieser Ausprägung der Feststellungsklage regelmäßig auf Fallgestaltungen zurückführen wollen, in denen untergesetzliche Rechtssätze angegriffen wurden,784 ist daher nur insoweit beizupflichten, als die Gerichte im Nachgang an die vorgenannten Entscheidungen zunächst vermehrt zur Feststellungsklage im Zusammenhang mit der Wirksamkeit von untergesetzlichen Rechtsnormen entschieden haben.785 Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass die Entwicklung der Feststellungsklage zu einem Rechtsschutzinstrument betreffend Rechtsnormen keine originäre Schöpfung des Bundesverfassungsgerichts ist. Sowohl hinsichtlich untergesetzlicher wie auch formeller Rechtssätze ist erstmalig in der Verwaltungsgerichtsbarkeit die Feststellungsklage entsprechend herangezogen worden. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Subsidiaritätsrechtsprechung mithin lediglich bereits bestehende Tendenzen in der fachgerichtlichen Rechtsprechung aufgenommen und damit gemäß der Aufgabenverteilung

782  BVerwG, 783  BVerfG,

69.

Urteil vom 17. Januar 1972, Az. I C 33.68, B ­ VerwGE 39, 247. Beschluss vom 2. Dezember 1986, Az. 1 BvR 1509/83, BVerfGE 74,

784  Vgl. Seiler, DVBl 2007, 538, 543 f.; Geis, in: FS Schenke, 2011, 709, 716; Löwer, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 70 Rn. 198; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 12. Aufl. 2021, § 18 Rn. 8; Barczak, DVBl 2019, 1040, 1042 f.; ders., in: Modrzejewski/Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. V, 2019, S. 17, 28; Engels, NVwZ 2018, 1001, 1007. 785  Vgl. abermals etwa BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2000, Az. 11 C 13/99, ­BVerwGE 111, 276, juris Rn. 28 ff.; Urteil vom 23. August 2007, Az. 7 C 13/06, juris Rn. 20  ff. oder BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2006, Az. 1 BvR 541/02, BVerfGE 115, 81, juris Rn. 40 ff.; dazu etwa Engels, NVwZ 2018, 1001; Pils, JA 2011, 113; Weidemann, NVwZ 2007, 1268; ders., NVwZ 2006, 1259; Fellenberg/ Karpenstein, NVwZ 2006, 1133, 1134; Seiler, DVBl 2007, 538; Rupp, NVwZ 2002, 286.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 165

unter den Gerichtsbarkeiten entschieden. Auch dies stellt einen Gesichtspunkt dar, der in der Literatur scheinbar vermehrt verkannt wird.786 Ferner ist deutlich geworden, dass die Feststellungsklage in der Gestalt als allgemeine Normenabwehrklage keineswegs ein erst in der jüngeren Rechtsprechung entwickeltes Rechtsschutzinstrument darstellt. Auch wenn der Ursprung dieser Rechtsprechungslinie nicht selten in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Kulturpflanzen-Ausgleichszahlungs-Verordnung aus dem Jahr 2006787 bzw. in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts betreffend Abflugrouten aus dem Jahr 2000788 gesehen wird, entschieden beide Gerichte bereits Jahre zuvor zu diesem Anwendungsfall der Feststellungsklage. Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass das Bundesverfassungsgericht zu keiner Zeit so regelmäßig Subsidiaritätserwägungen betreffend die Feststellungsklage im Rahmen von Rechtssatzverfassungsbeschwerden angestellt hat wie heute. Selbst der Erste Senat geht – zumindest indirekt – davon aus, dass sich die Subsidiaritätsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Hinblick auf die vorrangige Möglichkeit einer Feststellungsklage bei Rechtssatzverfassungsbeschwerden verschärft hat. So bleibe es nur „[i]nsoweit“ dabei, dass die Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen ein Parlamentsgesetz zulässig sei, als sich allein spezifisch verfassungsrechtliche Fragen stellen.789 Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse erscheint angemessen, hier von einer Renaissance der Feststellungsklage in der Gestalt als allgemeine Normenabwehrklage – insbesondere betreffend Parlamentsgesetze – zu sprechen. bb) Fehlende Differenzierung zwischen Bundes- und Landesgesetzen Weiter hat die Rechtsprechungsauswertung gezeigt, dass die Gerichte nicht zwischen Bundes- und Landesgesetzen differenzieren, wenn es um die Frage der Anwendbarkeit der normbezogenen Feststellungsklage geht. Keiner der ausgewerteten verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen konnte entnommen werden, dass ein Gericht höhere Anforderungen an die Zulässigkeit und Be786  Siehe Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 12. Aufl. 2021, § 18 Rn. 8 oder Engels, NVwZ 2018, 1001, 1007; anklingend auch bei Barczak, in: Modrzejewski/Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. V, 2019, S. 17, 47 und ders., DVBl 2019, 1040, 1048; zutreffend aber Löwer, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 70 Rn. 198 Fn. 1626. 787  Barczak, in: Modrzejewski/Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. V, 2019, S. 17, 30 und ders., DVBl 2019, 1040, 1043; Geis, in: FS Schenke, 2011, S. 709, 709 ff.; vgl. auch ders./Schmidt, JuS 2012, 599, 603. 788  Geis, in: FS Schenke, 2011, S. 709 ff. 789  BVerfG, Beschluss vom 18. Dezember 2018, Az. 1 BvR 2795/09, BVerfGE 150, 309, juris Rn. 44; dazu Barczak, DVBl 2019, 1040, 1043.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

gründetheit verwaltungsgerichtlicher Feststellungsklagen stellt, soweit bundesgesetzliche Regelungen in Rede stehen. Parallel handhabt das Bundesverfassungsgericht die Subsidiaritätsrechtsprechung keineswegs strenger bei Rechtssatzverfassungsbeschwerden gegen Bundesgesetze im Vergleich zu Verfassungsbeschwerden gegen Landesgesetze. Das Vorgehen des Gerichts, hier regelmäßig in Entscheidungen betreffend formelle Bundesgesetze auf die Subsidiaritätsrechtsprechung zu formellen Landesgesetzen zu rekurrieren, unterstreicht diesen Gesichtspunkt.790 Wie bereits festgehalten, ist Barczak zwar beizupflichten, dass bisher in keiner Senatsentscheidung eine Rechtssatzverfassungsbeschwerde gegen ein formelles Bundesgesetz mit dem Argument zurückgewiesen wurde, dass vorrangig eine verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage zu erheben war.791 Jedoch dürfte eine entsprechende Entscheidung gar nicht erforderlich sein, um zumindest die Haltung des Ersten Senats zu dieser Frage zu erkennen. So hat er in Entscheidungen über Rechtssatzverfassungsbeschwerden gegen formelle Bundesgesetze in jüngerer Zeit zumindest stetig erwogen, ob nicht eine vorrangige fachgerichtliche Feststellungsklage in Betracht käme.792 Auch liegt nahe, dass der Senat sich in diesen Fällen von der gefestigten Kammerrechtsprechung zur Frage der Feststellungsklage betreffend diese Gesetze distanziert hätte. Die Kammern haben wie gezeigt bereits mehrfach Verfassungsbeschwerden unmittelbar gegen formelle Bundesgesetze nicht zur Entscheidung angenommen. Dass ein Senat Beschwerdeführende einer Rechtssatzverfassungsbeschwerde gegen ein formelles Bundesgesetz bisher noch nicht auf eine im Voraus zu erhebende Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO verwiesen hat, dürfte vielmehr auf die Ausgestaltung des Annahmeverfahrens der Verfassungsbeschwerde zurückzuführen sein. Die Berichterstatter legen einen Großteil der Verfassungsbeschwerden einer Kammer vor.793 So erledigten die Kammern im Jahr 2020 knapp 99,6 Prozent aller Verfassungsbeschwerden – 5.338 gegenüber 23 Erledigungen durch die 790  So in BVerfG, Urteil vom 19. Mai 2020, Az. 1 BvR 2835/17, BVerfGE 154, 152, juris Rn. 78; Beschluss vom 27. Mai 2020, Az. 1 BvR 1873/13, BVerfGE 155, 119, juris Rn. 77; Beschluss vom 10. November 2020, Az. 1 BvR 3214/15, BVerfGE 156, 11, juris Rn. 60 unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 18. Dezember 2018, Az. 1 BvR 2795/09, BVerfGE 150, 309, juris Rn. 44. 791  Siehe abermals Barczak, in: Modrzejewski/Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. V, 2019, S. 17, 36; ders, DVBl 2019, 1040, 1045. 792  Siehe nur BVerfG, Urteil vom 19. Mai 2020, Az. 1 BvR 2835/17, BVerfGE 154, 152, juris Rn. 78; Beschluss vom 27. Mai 2020, Az. 1 BvR 1873/13, BVerfGE 155, 119, juris Rn. 77; Beschluss vom 10. November 2020, Az. 1 BvR 3214/15, BVerfGE 156, 11, juris Rn. 60. 793  Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 4. Teil Rn. 265.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 167

Senate.794 Die Kammern wiederum können durch einstimmigen Beschluss (§ 93d Abs. 3 Satz 1 BVerfGG) die Annahme der Verfassungsbeschwerde ablehnen, insbesondere etwa, wenn der Verfassungsbeschwerde aufgrund offensichtlicher Unzulässigkeit keine grundsätzliche Bedeutung zukommt (§§ 93a Abs. 2 lit. a), 93b Satz 1 BVerfGG). Ferner ist hier der Umstand zu berücksichtigen, dass die Wissenschaftlichen Mitarbeiter am Bundesverfassungsgericht an der Vorbereitung der Nichtannahmeentscheidungen beteiligt sind.795 In der Literatur wird betont, dass die Wissenschaftlichen Mitarbeiter angesichts ihrer nur recht kurzen Einsatzzeit am Bundesverfassungsgericht von knapp zwei bis drei Jahren regelmäßig „stark durch die fachgerichtliche Vortätigkeit geprägt sind“.796 Insoweit kann gemutmaßt werden, dass diese aufgrund ihrer Vertrautheit mit etwaig vorrangigen fachgerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten – wie der normbezogenen Feststellungsklage – veranlasst sind, dem Berichterstatter vorzuschlagen, die Beschwerdeführenden entsprechend an die Fachgerichte zu verweisen. Überdies ist auch nicht ersichtlich, aus welchem Grund die parlamentarische Gesetzgebung des Bundes gegenüber jener der Länder privilegiert zu behandeln wäre. Soweit das Grundgesetz etwa mit Art. 100 Abs. 1 GG den parlamentarischen Gesetzgeber schützen will, gilt dieser Schutzweck sowohl gegenüber dem Landes- wie dem Bundesgesetzgeber. Beide sind unmittelbar demokratisch legitimiert.797 Im Ergebnis ist Barczak insoweit beizupflichten, als er es nur noch für eine Frage der Zeit hält, bis ein Senat eine Rechtssatzverfassungsbeschwerde gegen ein formelles Bundesgesetz gegenüber einer Feststellungsklage für subsidiär erklärt.798

794  Jahresstatistik des Bundesverfassungsgerichts 2020, S.  19, abrufbar unter https://www.bundesverfassungsgericht.de/DE/Verfahren/Jahresstatistiken/2020/gb 2020/Gesamtstatistik %202020.pdf?__blob=publicationFile&v=2, letzter Abruf am 22. Februar 2022. 795  Zur Rolle der Wissenschaftlichen Mitarbeiter im Nichtannahmeverfahren Graßhof, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, § 93b Rn. 11 ff. 796  So Hiéramente, ZRP 2020, 56, 58 unter Verweis auf Zuck, in: van Ooyen/ Möllers, Handbuch Bundesverfassungsgericht im politischen System, 2. Aufl. 2015, S. 443, 453. 797  Vgl. zum Schutzzweck bereits zuvor S. 50 f. 798  Barczak, in: Modrzejewski/Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. V, 2019, S. 17, 41; ders. DVBl 2019, 1040, 1045 f.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

cc) Fehlende Differenzierung zwischen untergesetzlichen und formellen Rechtsnormen Als dritte wesentliche Erkenntnis ist hervorzuheben, dass die Gerichte ihre Entscheidung, ob eine verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage als statthafter bzw. vorrangig zu bemühender Rechtsbehelf in Betracht kommt, grundsätzlich nicht davon abhängig machen, ob im jeweiligen Fall die Wirksamkeit einer untergesetzlichen oder einer formellen Rechtsnorm inzident zu prüfen ist. Wie gezeigt, findet die Feststellungsklage als Normenabwehrklage ihren Ursprung in Rechtsschutzkonstellationen betreffend Parlamentsgesetze, obwohl bei diesen eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle über Art. 100 Abs. 1 GG ungleich erschwert ist. Dem hier besprochenen Anwendungsfall der Feststellungsklage als Normenabwehrklage steht Art. 100 Abs. 1 GG jedoch auch betreffend Parlamentsgesetze nicht pauschal entgegen. Erst wenn die Gerichte davon überzeugt sind, dass ein Parlamentsgesetz mit höherrangigem Recht unvereinbar ist, haben sie ihre Aussetzungs- und Vorlagepflicht zu beachten. Diese wirkt sich jedoch auf die Statthaftigkeit der Feststellungsklage nicht aus. Nach jüngerer Kammerrechtsprechung soll die Einordnung als förmliche bzw. untergesetzliche Rechtsnormen jedoch hinsichtlich der Ausnahmen vom Grundsatz der Subsidiarität zum Tragen kommen. Dies betrifft den bereits erörterten Ausnahmefall, dass die Fachgerichte nicht vorrangig zu bemühen sind, soweit ein Sachverhalt allein spezifisch verfassungsrechtliche Fragen aufwirft, die zu ihrer Beantwortung durch das Bundesverfassungsgericht keiner fachgerichtlichen Aufarbeitung der tatsächlichen oder rechtlichen ­Entscheidungsgrundlagen bedürfen. Wie ebenfalls zuvor dargestellt, hat das Bundesverfassungsgericht gleich mehrfach in Kammerentscheidungen festgehalten, dass dieser Ausnahmefall allein für Parlamentsgesetze greifen könne. Im Fall untergesetzlicher Normen habe hingegen auch das Fachgericht die Normverwerfungskompetenz, welche es berechtige, auch ohne die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts über allein spezifisch verfassungsrechtliche Fragen zu entscheiden.799 Die Differenzierung unter den Rechtsnormen wird vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung damit erst für die Frage relevant, ob im Einzelfall ausnahmsweise auf vorrangigen fachgerichtlichen Rechtsschutz verzichtet werden kann.

799  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 31. März 2020, Az. 1 BvR 712/20, juris Rn. 16; Nichtannahmebeschluss vom 18. April 2020, Az. 1 BvR 829/20, juris Rn. 11; Nichtannahmebeschluss vom 3. Juni 2020, Az. 1 BvR 990/20, juris Rn. 11; Nichtannahmebeschluss vom 15. Juli 2020, Az. 1 BvR 1630/20, juris Rn. 11; beachte jedoch die gegenteilig deutbare Entscheidung bei BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 7. Juni 2021, Az. 1 BvR 1260/21, juris Rn. 6; siehe hierzu bereits zuvor S. 88 ff.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 169

Von der Ausnahme für allein verfassungsrechtliche Sachverhalte im Kontext mit Parlamentsgesetzen hat das Bundesverfassungsgericht zuletzt vermehrt Gebrauch gemacht.800 Dies erscheint insofern stringent, als das Gericht seine Subsidiaritätsrechtsprechung hier im Wesentlichen mit dem Erfordernis der fachgerichtlichen Aufarbeitung der Tatsachen- und Rechtsgrundlagen rechtfertigt.801 Die derzeit offenbar großzügige Handhabe dieser Ausnahme vom Subsidiaritätsgrundsatz erscheint für die jeweiligen Beschwerdeführenden zwar erfreulich, doch bringt diese Praxis für zukünftige Verfahren gleichzeitig nicht unwesentliche Unsicherheiten mit sich. Regelmäßig konkretisiert das Bundesverfassungsgericht nicht näher, aus welchen Gründen es jeweils davon ausging, dass die Verfassungsbeschwerden im Kern allein spezifisch verfassungsrechtliche Fragen aufgeworfen hätten.802 Andersherum hat das Gericht bereits in anderen Entscheidungen mit vergleichbar knapper Begründung auch einen fachgerichtlichen Klärungsbedarf angenommen und die Beschwerdeführenden auf die verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage verwiesen.803 Insoweit kann durchaus die Gefahr gesehen werden, dass das 800  Vgl. BVerfG, Urteil vom 6. Dezember 2016, Az. 1 BvR 2821/11, BVerfGE 143, 246, juris Rn. 211; Urteil vom 19. Mai 2020, Az. 1 BvR 2835/17, BVerfGE 154, 152, juris Rn. 78 f.; Beschluss vom 27. Mai 2020, Az. 1 BvR 1873/13, BVerfGE 155, 119, juris Rn. 77 f.; Beschluss vom 10. November 2020, Az. 1 BvR 3214/15, BVerfGE 156, 11, juris Rn. 60 f.; Beschluss vom 24. März 2021, Az. 1 BvR 2656/18, BVerfGE 157, 30, juris Rn. 139 f.; Ablehnung einstweilige Anordnung vom 5. Mai 2021, Az. 1 BvR 781/21, juris Rn. 26; Beschluss vom 19. November 2021, Az. 1 BvR 781/21, juris Rn. 103. 801  Siehe nur BVerfG, Beschluss vom 18. Dezember 2018, Az. 1 BvR 2795/09, BVerfGE 150, 309, juris Rn. 44; Urteil vom 19. Mai 2020, Az. 1 BvR 2835/17, BVerfGE 154, 152, juris Rn. 78; Beschluss vom 27. Mai 2020, Az. 1 BvR 1873/13, BVerfGE 155, 119, juris Rn. 77; Beschluss vom 10. November 2020, Az. 1 BvR 3214/15, BVerfGE 156, 11, juris Rn. 60; Beschluss vom 8. Juni 2021, Az. 1 BvR 2771/18, juris Rn. 73. 802  Vgl. BVerfG, Urteil vom 6. Dezember 2016, Az. 1 BvR 2821/11, BVerfGE 143, 246, juris Rn. 211; Urteil vom 19. Mai 2020, Az. 1 BvR 2835/17, BVerfGE 154, 152, juris Rn. 79; Beschluss vom 27. Mai 2020, Az. 1 BvR 1873/13, BVerfGE 155, 119, juris Rn. 78; Beschluss vom 10. November 2020, Az. 1 BvR 3214/15, BVerfGE 156, 11, juris Rn. 61; Beschluss vom 24. März 2021, Az. 1 BvR 2656/18, BVerfGE 157, 30, juris Rn. 140; Ablehnung einstweilige Anordnung vom 5. Mai 2021, Az. 1 BvR 781/21, juris Rn. 26. 803  Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017, Az. 1 BvR 1314/12, BVerfGE 145, 20, juris Rn. 86; Nichtannahmebeschluss vom 9. Juli 2020, Az. 1 BvR 2067/17, juris Rn. 19; Nichtannahmebeschluss vom 12. November 2020, Az. 1 BvR 2424/20, juris Rn. 14; siehe für eine ausführlichere Begründung, dass nicht lediglich spezifische Fragen entscheidend waren etwa BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 25. Juni 2015, Az. 1 BvR 555/15, juris Rn. 14, Nichtannahmebeschluss vom 16. Juli 2015, Az. 1 BvR 1014/13, juris Rn. 12 f., Nichtannahmebeschluss vom 19. November 2018, Az. 1 BvR 1335/18, juris Rn. 7 ff. oder BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 28. Juni 2021, Az. 1 BvR 1727/17, juris Rn. 17 ff.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

Gericht hier nach und nach eigenständig ein „freies Annahmeverfahren“ nach Vorbild des writ of certiorari-Verfahrens am US-Supreme Court etabliert, bei dem nach gerichtlichem Ermessen über die Annahme gerichtlicher Ersuchen entschieden wird.804 In der Literatur wird zu dieser möglichen Entwicklung schon in Bezug auf § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG vorgetragen.805 Die weitere Gerichtspraxis bleibt hier zu beobachten. Im Übrigen rekurriert das Bundesverfassungsgericht für die Ausnahmen vom Grundsatz der Subsidiarität grundsätzlich auf seine bisherige Rechtsprechung, unabhängig von der Einordnung als förmliche oder untergesetzliche Rechtsnorm. dd) Fehlende Differenzierung unter self-executing Gesetzen Schließlich konnte die Erkenntnis gewonnen werden, dass der Anwendungsbereich der allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO als allgemeine Normenabwehrklage nicht bloß auf self-executing Gesetze beschränkt ist, die keinen weiteren Normvollzug zu ihrer Durchsetzung bzw. Überwachung ihrer Einhaltung ermöglichen.806 So haben Gerichte die verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage in diesem Zusammenhang auch für die self-executing Normen erwogen, die eine Konkretisierung oder Individualisierung durch weiteren Verwaltungsvollzug zulassen – sei es durch Entscheidungen über Anträge auf Befreiungs-807 bzw. Erlaubniserteilung808, Untersagungsverfügungen809 oder sonstige Anordnungen und Maßnahmen

804  Vgl. so generell zum Subsidiaritätsgrundsatz Klein, in: FS Zeidler, Bd. II, 1987, S. 1305, 1323; zum Verfahren vor dem US-Supreme Court Graßhof, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, § 93a Rn. 24 ff., Graf Vitz­ thum, JöR NF 53 (2005), 319 und Schäfer, Grundrechtsschutz im Annahmeverfahren, 2015, S.  17 ff.; generell zum freien Annahmeverfahren und seinen Nachteilen Posser, Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, 1993, S. 468 ff.; ein freies Annahmeverfahren befürwortend etwa Zuck, NJW 2017, 35, 39 und Hermes, VVDStRL 61 (2002), 119, 150 unter Verweis auf Wahl/Wieland, JZ 1996, 1137, 1141 f. 805  So etwa Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 15.  Aufl. 2022, Art. 94 Rn. 217; Barczak, DVBl 2019, 1040, 1047. 806  Vgl. abermals BVerwG, Urteil vom 23. August 2007, Az.  7 C 2/07, ­BVerwGE 129, 199, juris Rn. 22. 807  So etwa VG Oldenburg, Urteil vom 7. August 2017, Az. 5 A 726/15, juris Rn. 23, bestätigt durch OVG Lüneburg, Beschluss vom 11. Dezember 2020, Az. 4 LC 291/17, juris Rn. 32. 808  So etwa VG Berlin, Urteil vom 22. September 2008, Az. 35 A 15.08, juris Rn. 56. 809  So etwa VG Hannover, Urteil vom 24. November 2008, Az. 10 A 1017/08, juris Rn. 35.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 171

zur Kontrolle und Durchsetzung der angegriffenen Vorschriften810. Die insoweit der Feststellungsklage grundsätzlich vorrangigen Rechtsschutzmöglichkeiten in Form von Gestaltungs- oder Leistungsklagen sollen hier nicht zwangsläufig dem Feststellungsinteresse der Rechtsuchenden entgegenstehen oder die Subsidiarität der Klage begründen.811 Auch unabhängig von der Einordnung der jeweiligen Norm als self-executing kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Feststellungsklage ausnahmsweise gegen den Normgeber erhoben werden, soweit das jeweilig angegriffene Gesetz unmittelbar Rechte und Pflichten der Betroffenen begründet, ohne dass eine Konkretisierung oder Individualisierung durch Verwaltungsvollzug vorgesehen oder möglich ist.812 Soweit ersichtlich, hat das Bundesverwaltungsgericht diese zu untergesetzlichen Vorschriften ergangene Rechtsprechung allerdings bisher nicht ausdrücklich auf Parlamentsgesetze übertragen. In der unterinstanzlichen Rechtsprechung ist diese Frage ausdrücklich offengeblieben.813 Auch das Bundesverfassungsgericht hat in der Entscheidung zur Kulturpflanzen-Ausgleichszahlungs-Verordnung die Beschwerdeführenden ausdrücklich auf die Möglichkeit verwiesen, eine vorrangige Feststellungsklage gegen die Bundesrepublik Deutschland als Normgeber zu erheben.814 Bei dieser Entscheidung ist jedoch die Besonderheit zu beachten, dass der entscheidende Senat hier auf eine vorrangige Klage abstellte, mit der die Feststellung begehrt werden könne, dass das Recht der Rechtsuchenden auf Gleichbehandlung den Erlass oder die Änderung einer Rechtsverordnung – und nicht deren Kassation – gebiete. Für verwaltungsgerichtliche Feststellungsklagen auf Normänderung ist anerkannt, dass diese gegen den Normgeber zu richten sind.815 Mithin kann dieser Entscheidung keine Allgemeingültigkeit beigemessen werden.

810  So

etwa VG Köln, Urteil vom 20. April 2018, Az. 9 K 3859/16, juris Rn. 68 ff. abermals VG Oldenburg, Urteil vom 7. August 2017, Az. 5 A 726/15, ­juris Rn. 23, bestätigt durch OVG Lüneburg, Beschluss vom 11. Dezember 2020, Az. 4 LC 291/17, juris Rn. 32; diesbezüglich zur Subsidiarität der Feststellungsklage nachfolgend S. 211 ff. 812  BVerwG, Urteil vom 23. August 2007, Az. 7 C 2/07, ­BVerwGE 129, 199, juris Rn. 22; Urteil vom 28. Januar 2010, Az. 8 C 19/09, ­BVerwGE 136, 54, juris Rn. 29 f. 813  Vgl. VG Köln, Urteil vom 20. April 2018, Az. 9 K 3859/16, juris Rn. 25. 814  BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2006, Az. 1 BvR 541/02, BVerfGE 115, 81, juris Rn. 36, 50. 815  Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. September 2019, Az. 3 C 3/18, B ­ VerwGE 166, 265, juris Rn.  44 f. m. w. N. 811  Vgl.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

2. Kritik in der Literatur Insbesondere betreffend untergesetzliche Rechtssätze ist die Feststellungsklage als Normenabwehrklage Gegenstand zahlreicher Diskussionen in der Literatur.816 Im Anschluss an eine Auseinandersetzung mit den in diesem Zusammenhang vorgebrachten Argumenten wird nachfolgend überprüft, ob und inwieweit die bestehenden Bedenken auch auf die Feststellungsklage als Normenabwehrklage betreffend Parlamentsgesetze übertragen werden können. a) Feststellungsklage und untergesetzliche Rechtssätze Im Nachgang an die Bundesverfassungsgerichtsentscheidung zur Kulturpflanzen-Ausgleichszahlungs-Verordnung aus dem Jahr 2006 setzte die Literatur sich vermehrt mit potentiellen „dogmatischen Verwerfungen“817 im Verwaltungsprozessrecht als Konsequenz dieser Rechtsprechungslinie aus­ einander. Zum einen soll es bereits hinsichtlich der Zuständigkeit der Gerichte zu Verwerfungen kommen. So sei nicht nachvollziehbar, dass für untergesetzliche Landesnormen und Satzungen nach dem BauGB über § 47 Abs. 1 VwGO sachlich die Oberverwaltungsgerichte bzw. Verwaltungsgerichtshöfe zuständig sind, während über die – angeblich vergleichbare – normbezogene Feststellungsklage die Verwaltungsgerichte entscheiden (§ 45 VwGO).818 In örtlicher Hinsicht verwundere, dass – soweit die Klage gegen den Rechtsträger des Normgebers zu erheben ist819 – einzelne Verwaltungsgerichte, so wie das Verwaltungsgericht Berlin, überproportional in die Pflicht genommen würden.820 Zum anderen wird vermehrt eine Entwertung des Rechtsverhältnisses im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO befürchtet. Insbesondere bestehe ein solches nicht zwischen Normgeber und Normadressat.821 So sieht Geis in Feststellungsbegehren, dass die jeweils betroffene Norm die 816  Siehe nur Siemer, Normenkontrolle durch Feststellungsklage?, 1971; Schenke, Rechtsschutz bei normativem Unrecht, 1979, S. 215 ff.; ders., NVwZ 2016, 720; Geis, in: FS Schenke, 2011, S. 709; Hufen, in: FS Schenke, 2011, S. 803; Rupp, NVwZ 2002, 286; ders., in: FS Isensee, 2007, S. 283, 284 ff.; Kuntz, Der Rechtsschutz gegen unmittelbar wirkende Rechtsverordnungen des Bundes, 2001; Hahn, Verwaltungsgerichtlicher Schutz gegen Rechtssätze der Verwaltung, 2004. 817  Geis, in: FS Schenke, 2011, S. 709, 714; ähnlich auch Hufen, in: FS Schenke, 2011, S. 803, Rupp, in: FS Isensee, 2007, S. 283, 284 ff. und Fellenberg/Karpenstein, NVwZ 2006, 1133, 1134 f. 818  Hufen, in: FS Schenke, 2011, S. 803, 805. 819  Zur Frage der Passivlegitimation nachfolgend S. 199 f. 820  Geis, in: FS Schenke, 2011, S. 709, 714 f. 821  Ebd., S. 716.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 173

Rechtsuchenden nicht binde, einen „Taschenspielertrick“ und befürchtete im Jahr 2011 noch, dass über diesen Weg die Feststellungsklage auch gegen Parlamentsgesetze gerichtet werden könnte.822 Als weitere Unstimmigkeit benennt Geis die fehlende Klagebefugnis für Behörden im Gegensatz zur Antragsbefugnis im Normenkontrollverfahren nach § 47 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 VwGO sowie den Umstand, dass der Rechtsträger des Normgebers als potentieller Klagegegner bei landesrechtlichem Vollzug nicht am Rechtsverhältnis beteiligt ist.823 Auch verstoße der Anwendungsfall der Feststellungsklage als Normenabwehrklage gegen die von § 47 VwGO vorgesehene föderalistische Freiheit, den Rechtsuchenden keine Normenkontrollmöglichkeit gegen untergesetzliche Landesnormen zu eröffnen, wenn ihnen mit der Feststellungsklage über eine „Hintertür“ die Möglichkeit eröffnet wird, entsprechende landesrechtliche Vorschriften anzugreifen.824 Ferner weist Geis auf die Inkongruenz der Rechtswirkung der Entscheidungen im Rahmen von Normenkontrollverfahren und Feststellungsklagen hin. Es sei dogmatisch inkonsequent und wenig prozessökonomisch, wenn Entscheidungen im Rahmen einer „Quasi-Normenkontrolle“ nur eine inter partes-Wirkung zukomme statt einer erga omnes-Wirkung wie gegebenenfalls im Verfahren nach § 47 VwGO. Eine etwaige ungeschriebene Bindungswirkung der Behörde an Feststellungsurteile über Art. 20 Abs. 3 GG825 helfe über diesen Umstand nicht hinweg.826 Schließlich komme es auch hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Rechtsmittel zu Verwerfungen. Während gegen Entscheidungen im Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO nur die Rechtsmittelinstanz der Revision besteht, stünden gegen Feststellungsurteile sowohl die Berufungs- wie die Revisionsinstanz zur Verfügung.827 Unter Berücksichtigung der Ausgangsfälle, in denen die Rechtsprechung die Feststellungsklage als Normenabwehrklage herangezogen bzw. auf diese als vorrangig verwiesen hat,828 erscheinen die vorgebrachten Argumente wenig stichhaltig. So trägt die Literatur dem Umstand nicht ausreichend Rech822  Geis,

823  Ebd., 824  Ebd.

in: FS Schenke, 2011, S. 709, 716. S. 717.

825  Zu dieser „Ehrenmanntheorie“ etwa Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 12. Aufl. 2021, § 18 Rn. 6. Dass Geis diesbezüglich zuzustimmen ist, hat eindrucksvoll der Fall der Stadt Wetzlar gezeigt, als diese sich beharrlich sowohl einer Entscheidung des VG Gießen sowie dem BVerfG widersetzt hat; darauf verweisend Barczak, in: Modrzejewski/Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. V, 2019, S. 17, 42, Fn. 119; siehe dazu etwa Hecker, NVwZ 2018, 787. 826  Geis, in: FS Schenke, 2011, S. 709, 717; hier hingegen eine erga omnes-Wirkung entsprechender Feststellungsurteile fordernd Pielow, DV 32 (1999), 445, 470. 827  Geis, in: FS Schenke, 2011, S. 709, 718. 828  Vgl. die Rechtsprechungsauswertung zuvor S. 135 ff.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

nung, dass es sich bei der Überprüfung von untergesetzlichen Rechtsnormen mittels Feststellungsklage immer noch um eine inzidente Rechtskontrolle handelt und nicht um eine prinzipale Normenkontrolle, wie sie § 47 VwGO vorsieht.829 Vor diesem Hintergrund lassen sich die wesentlichen vorgebrachten Bedenken ausräumen. So entscheiden die Verwaltungsgerichte nicht wie die Oberverwaltungsgerichte bzw. die Verwaltungsgerichtshöfe allgemeinverbindlich (§ 47 Abs. 5 Satz 2 Hs. 2 VwGO) über die Unwirksamkeit der jeweiligen Norm. Die weitreichenderen Entscheidungen trifft damit weiterhin das überinstanzliche Gericht. Insoweit ist auch die vorgebrachte Verwerfung mit dem Rechtsmittelrecht nicht stichhaltig. Weiter scheint die Vermutung unbegründet, dass einzelne Gerichte wie das Verwaltungsgericht Berlin überproportional in die Pflicht genommen werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bleiben Feststellungsklagen gegen den Normgeber die Ausnahme,830 sodass regelmäßig der Rechtsträger der jeweiligen Vollzugsbehörde passivlegitimiert ist und sich die örtliche Zuständigkeit auch für untergesetzliches Bundesrecht insoweit nicht beim Verwaltungsgericht Berlin konzentriert. Auch die fehlende Klagebefugnis für Behörden ist im Vergleich zur Normenkontrolle nach § 47 VwGO zu vernachlässigen, da über die Inzidentkontrolle ohnehin keine allgemeinverbindliche Entscheidung des Gerichts erzielt werden könnte. Ferner wird durch die inzidente Normenkontrolle mittels der Feststellungsklage keine „Hintertür“ geöffnet, um entsprechende landesrechtliche Vorschriften unter Verstoß gegen die föderale Freiheit anzugreifen. Die Möglichkeit der inzidenten Rechtskontrolle besteht ebenso im Rahmen von Gestaltungs- und Leistungsklagen. Lediglich die befürchtete Entwertung des Rechtsverhältnisses kann nicht ohne Weiteres durch Verweis auf die Verfahrenseigenschaft als Inzidentkon­ trolle entkräftet werden. Klar ist, dass sich das Feststellungsbegehren im Einzelfall im Rahmen der verwaltungsprozessrechtlichen Vorgaben halten muss. Nur in diesen Fällen kann die Feststellungsklage in zulässiger Weise als Normenabwehrklage aktiviert werden. Dies ist zumindest dann ausgeschlossen, wenn kein ausreichender Einzelfallbezug besteht, also die Prüfung 829  So wie hier Warmke, Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, 1993, S. 174, Kuntz, Der Rechtsschutz gegen unmittelbar wirkende Rechtsverordnungen des Bundes, 2001, S. 179 und Hahn, Verwaltungsgerichtlicher Schutz gegen Rechtssätze der Verwaltung, 2004, S. 94; a. A. Rupp in: FS Isensee, 2007, S. 283, 284 f., der der Entscheidung des BVerfG zur Kulturpflanzen-Ausgleichszahlungs-Verordnung aus dem Jahr 2006 das Erfordernis einer prinzipalen Normenkontrolle über die Feststellungsklage entnehmen will. 830  Siehe abermals BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2010, Az. 8 C 19/09, ­BVerwGE 136, 54, juris Rn. 29 f.; dies scheinbar missverstehend Engels, der unter Verweis auf diese Rechtsprechung des BVerwG davon auszugehen scheint, dass eine Feststellungsklage gegen den Normgeber hier immer schon dann in Betracht kommen soll, wenn die Norm self-executing ist, ders., NVwZ 2018, 1001, 1002.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 175

der Gültigkeit eines Gesetzes nicht mehr nur Vorfrage, sondern unmittelbarer Prüfungsgegenstand der Feststellungsklage wäre.831 b) Feststellungsklage und Parlamentsgesetze Anders als bezüglich der untergesetzlichen Rechtsnormen dreht sich die Kritik hier verständlicherweise nicht um das Konkurrenzverhältnis zu § 47 VwGO, der gerade keine Normenkontrolle von Parlamentsgesetzen ermöglicht. Aufgegriffen werden jedoch die verwaltungsprozessualen Bedenken hinsichtlich der Entwertung des Rechtsverhältnisses im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO. So ist etwa Bethge der Auffassung, dass sich bestimmte vom Bundesverfassungsgericht vorgebrachte Feststellungsbegehren nicht mehr im Rahmen der Feststellungsklage hielten. Anträge etwa mit dem Inhalt, festzustellen, die Rundfunkanstalt unterliege nicht der Kontrolle des Rechnungshofs832 oder festzustellen, dass zwischen den Rechtsuchenden und dem beklagten Hoheitsträger aufgrund der Unwirksamkeit der jeweiligen Norm kein Rechtsverhältnis bestünde, gingen nicht mehr bloß von der Vorgreiflichkeit der Verfassungsmäßigkeit des Parlamentsgesetzes aus.833 Hier würde in unzulässiger Weise die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zur ­ Hauptfrage der Feststellungsklage erhoben. Derartige Konstellationen der Feststellungsklage seien der Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte über § 40 VwGO entzogen.834 Insoweit sieht Bethge die Gefahr, dass die Möglichkeit der fachgerichtlichen Inzidentkontrolle mittels Feststellungsklage zu einer „den Fachgerichten untersagten, verkappten prinzipalen Kon­ trolle formeller Gesetze ‚umgemodelt‘ “ wird.835 Ähnlich kritisch meint Glaser, die Feststellungsklage dürfe hinsichtlich formeller Gesetze keine Bedeutung haben. Nur so sei für Rechtsuchende angemessen zu bestimmen, welche Rechtsbehelfe ihnen jeweils in Bezug auf Rechtssätze zur Verfügung stünden. So ergebe sich die klare Zuordnung, dass gegen untergesetzliche Normen die Feststellungsklage – und soweit statthaft, die Normenkontrolle nach § 47 VwGO – sowie gegen Parlamentsgesetze die Verfassungsbeschwerde unmittelbar offensteht. Bei untergesetz­lichen Normen 831  Im

Einzelnen zum feststellungsfähigen Rechtsverhältnis nachfolgend S. 189 ff. zur Subsidiarität einer Rechtssatzverfassungsbeschwerde gegen ein formelles Landesgesetz BVerfG, Beschluss vom 2. Dezember 1986, Az. 1 BvR 1509/83, BVerfGE 74, 69. 833  Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, §  90 Rn. 407. 834  Ebd.; vgl. ferner Bethge, in: FS Schenke, 2011, S. 61, 77. 835  Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, §  90 Rn.  407; a. A. Detterbeck, Zum präventiven Rechtsschutz gegen ultra-vires-Handlungen öffentlich-rechtlicher Zwangsverbände, 1990, S. 198. 832  So

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

rechtfertige sich der Umweg über die Fachgerichte durch ihre Verwerfungskompetenz.836 Vergleichbar sieht auch Gärditz den Angriff formeller Gesetze mittels der Feststellungsklage als „von vorneherein ineffektiv“ an. Dieser Rechtsschutz stelle lediglich ein Vehikel dar, um die Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG oder eine mittels Urteilsverfassungsbeschwerde anzugreifende Entscheidung zu erzielen. Pauschal hält er hierbei fest, dass in der Regel kein Mehrwert durch die fachgerichtliche Vorkontrolle erzielt würde.837 Positiv sieht hingegen Barczak die Entwicklungen in der Rechtsprechung. Die negative Feststellungsklage als „allgemeine Normenabwehrklage“ he­ ranzuziehen, sei nur „konsequent und angemessen“. Die Verlagerung des Grundrechtsschutzes auf die Ebene der Fachgerichte könne zur notwendigen Entlastung des Bundesverfassungsgerichts beitragen.838 Auch füge sich die Rechtsprechungslinie in das Bild, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit dazu tendiere, Rechtsschutz nicht nur gegen hoheitliche Einzelakte, sondern auch gegen abstrakte Rechtssätze zu gewähren. Dies erscheint vor dem Hintergrund, dass in der heutigen Zeit diese beiden Ausprägungen hoheitlichen Handelns häufig austauschbar geworden sind, nur nachvollziehbar.839 Besonders in jüngerer Zeit ist dieser Befund mehr als deutlich zu Tage getreten: Ursprünglich hat sich das gefahrenabwehrrechtliche Handeln zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie noch in exekutivem Handeln in Form von Allgemeinverfügungen im Sinne des § 35 Satz 2 VwVfG dargestellt. Mit Fortdauern der Krise äußerte sich das staatliche Handeln jedoch vermehrt in Gestalt exekutiver Normsetzung und schließlich mit dem geänderten Infek­ tionsschutzgesetz auch in Form eines Parlamentsgesetzes. Die dabei maßgeblichen Bestimmungen betreffend Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der COVID-19-Krankheit sind dabei grundsätzlich jeweils inhaltsgleich selbstvollziehender Natur (vgl. § 28b Abs. 1 IfSG a. F.840). In der letztlich erfolgten normativen Verlagerung von Schutzmaßnahmen auf ein self-executing Parlamentsgesetz sieht Kingreen das Bundesverfassungsgein: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 43 Rn. 24. DVBl 2014, 1127, 1133, Fn. 13. 838  Barczak, in: Modrzejewski/Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. V, 2019, S. 17, 47; ders., DVBl 2019, 1040, 1048. 839  Dazu Schenke, NJW 2017, 1062, 1065; ders., JZ 2006, 1004, 1006, Ernst, in: v. Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 19 Rn. 131 und Huber, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 19 Rn. 435; Weidemann, in: Erbguth, Verwaltungsrechtsschutz in der Krise, 2010, S. 45 f.; dies anerkennend auch bereits BVerwG, Urteil vom 3. November 1988, Az. 7 C 115/86, ­BVerwGE 80, 355, juris Rn. 19; vgl. dazu auch bereits zuvor S. 113 f. 840  In der Fassung des am 23. April 2021 in Kraft getretenen Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22. April 2021 (BGBl. I S. 802). 836  Glaser,

837  Gärditz,



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 177

richt hier unmittelbar in die Pflicht genommen. Der Anwendungsbereich der verwaltungsgerichtlichen negativen Feststellungsklage sei nicht eröffnet. „Anderenfalls würde die verwaltungsgerichtliche Kontrolle von exekutiven Einzelfallentscheidungen zu einer allein dem Bundesverfassungsgericht obliegenden Verfassungskontrolle von Parlamentsgesetzen umfunktioniert wer­ den“.841 Damit stellt Kingreen sich der Einschätzung des Gesetzgebers entgegen. Bezüglich der Änderungen des Infektionsschutzgesetzes durch das Vierte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite sieht dieser für Rechtsuchende eine vor den Verwaltungsgerichten zu erhebende Feststellungsklage mit dem Ziel, festzustellen, nicht von der gesetzlichen Regelung erfasst zu sein, explizit als Rechtsschutzmöglichkeit an.842 Der Gesetzgeber kann mit dieser Einschätzung den Gerichten zwar keine Rechtsschutzlinie diktieren, doch geht davon praktisch eine gewisse Indizwirkung für das abzuspulende Prüfprogramm aus.843 Auch der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts erkannte, dass hier grundsätzlich eine (vorrangige) Rechtsschutzmöglichkeit mit der verwaltungsgericht­ lichen Feststellungsklage besteht.844 Im Ergebnis stellte er mit seinen Entscheidungen zum geänderten Infektionsschutzgesetz jedoch klar, dass nach seiner Auffassung allein über verfassungsrechtliche Fragen zu entscheiden gewesen sei. Auch soweit die maßgeblichen Regelungen im Einzelnen „zahlreiche Auslegungsfragen“ aufwarfen, sei es für die verfassungsrechtliche

841  Kingreen, Stellungnahme als geladener Einzelsachverständiger zum Entwurf eines Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (BT-Drs. 19/28444) vom 16. April 2021, S. 4 f., abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource/blob/835086/141e8c66a95c14a9d9def23da8d9a 06a/19_14_0323-19-_ESV-Prof-Dr-Thorsten-Kingreen_-viertes-BevSchG-data.pdf, letzter Abruf am 22. Februar 2022; a. A. Greve/Lassahn, NVwZ-Extra 10a 2021, 1, 5 f.; ebenfalls hier eine Feststellungsklage erwägend Kießling, Stellungnahme als geladene Einzelsachverständige zum Entwurf eines Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (BT-Drs. 19/28444) vom 16. April 2021, S. 7, abrufbar unter https://www.bundestag.de/ resource/blob/834718/f9d7dff3462d982b089359365a45624a/19_14_0323-6-_ESVDr-Andrea-Kiessling_-viertes-BevSchG-data.pdf, letzter Abruf am 22. Februar 2022 und Wollenschläger, Stellungnahme als geladener Einzelsachverständiger zum Entwurf eines Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (BT-Drs. 19/28444) vom 16. April 2021, S. 11 f., abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource/blob/835164/c7062527e14f960fefc4c 71a0aa4a164/19_14_0323-21-_ESV-Prof-Dr-Ferdinand-Wollenschlaeger_-viertesBevSchG-data.pdf, letzter Abruf am 22. Februar 2022. 842  BT-Drs. 19/28732, S. 19. 843  So zurecht Rixen, in: Kluckert, Das neue Infektionsschutzrecht, 2. Aufl. 2021, § 18 Rn. 18. 844  BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021, Az. 1 BvR 781/21, juris Rn. 101, 149.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

Beurteilung nicht maßgeblich auf deren Beantwortung angekommen.845 Im Ergebnis habe es somit den Rechtsuchenden freigestanden, unmittelbar im Wege der Rechtssatzverfassungsbeschwerde das Bundesverfassungsgericht anzurufen. Auch Barczak steht den Entwicklungen in der Rechtsprechung nicht uneingeschränkt positiv gegenüber. So sieht er die Gefahr, dass sich das Bundesverfassungsgericht teilweise seiner unmittelbaren Zugriffsmöglichkeit auf Normen begibt. Folge wäre, dass die jeweils in Rede stehenden Vorschriften länger Bestand hätten, bevor das Gericht allgemeinverbindlich ihre Unwirksamkeit feststellen könnte. Die Vorabentscheidungsmöglichkeit nach § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG stelle kein ausreichendes Korrektiv dar.846 Die Befürchtung, das Bundesverfassungsgericht begebe sich seiner unmittelbaren Zugriffsmöglichkeit auf Rechtssätze, dürfte jedoch zu vernachlässigen sein. Wie zuvor in der Rechtsprechungsauswertung dargelegt, greift das Gericht insbesondere in jüngerer Zeit vermehrt auf die Ausnahme vom Subsidiaritätsgrundsatz für allein verfassungsrechtliche Sachverhalte zurück; häufig ohne dabei näher zu konkretisieren, aus welchen Gründen es jeweils davon ausging, dass die Verfassungsbeschwerden hier im Kern allein spezifisch verfassungsrechtliche Fragen aufgeworfen hätten.847 Diese gegebenenfalls als „freies Annahmeverfahren“ zu bezeichnende Praxis848 dürfte dem Bundesverfassungsgericht ausreichend Freiraum einräumen, nach seinem Ermessen über die Annahme entsprechender Rechtssatzverfassungsbeschwerden zu entscheiden. Vergleichbar simpel kann der grundlegenden Kritik an der Feststellungsklage als Normenabwehrklage betreffend Parlamentsgesetze nicht begegnet werden. Soweit im Schrifttum Verwerfungen mit dem Verwaltungsprozessrecht befürchtet werden, können diese nur durch eine Prüfung der Sachur845  BVerfG, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 5. Mai 2021, Az. 1 BvR 781/21, juris Rn. 26; Beschluss vom 19. November 2021, Az. 1 BvR 781/21, juris Rn. 103; zu diesen Entscheidungen zuvor S. 155 f. 846  Barczak, in: Modrzejewski/Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. V, 2019, S. 17, 48; ders., DVBl 2019, 1040, 1048; weitergehend sieht Barczak hier drohende Untiefen durch fehlende Kontrollmöglichkeiten des BVerfG für die Feststellung eines Verstoßes von nationalen Rechtsvorschriften gegen vorrangig geltendes Unionsrecht; dazu auch Burkiczak, in: Kluth/Krings, Gesetzgebung, 2014, § 35 Rn. 89 ff. 847  Vgl. abermals BVerfG, Urteil vom 6. Dezember 2016, Az. 1 BvR 2821/11, BVerfGE 143, 246, juris Rn. 211; Urteil vom 19. Mai 2020, Az. 1 BvR 2835/17, BVerfGE 154, 152, juris Rn. 78 f.; Beschluss vom 27. Mai 2020, Az. 1 BvR 1873/13, BVerfGE 155, 119, juris Rn. 77 f.; Beschluss vom 10. November 2020, Az. 1 BvR 3214/15, BVerfGE 156, 11, juris Rn. 60 f.; Beschluss vom 24. März 2021, Az. 1 BvR 2656/18, BVerfGE 157, 30, juris Rn. 140. 848  Dazu zuvor S. 168 ff.



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teilsvoraussetzungen einer normbezogenen Feststellungsklage ausgeräumt werden. Wird im Rahmen der Prüfung dieser Sachurteilsvoraussetzungen das Ergebnis gefunden, dass sich im Einzelfall die Feststellungsklage in ihrer Ausgestaltung als allgemeine Normenabwehrklage im normativen Rahmen der Verwaltungsgerichtsordnung halten kann, ist die vorgebrachte Kritik insoweit als nicht stichhaltig zurückzuweisen. 3. Sachurteilsvoraussetzungen der Feststellungsklage als allgemeine Normenabwehrklage betreffend self-executing Parlamentsgesetze Insoweit werden nachstehend die einzelnen Sachurteilsvoraussetzungen der allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO in ihrer Ausprägung als allgemeine Normenabwehrklage betreffend Parlamentsgesetze untersucht. Es gilt zu bestimmen, ob bzw. in welchen Rechtsschutzkonstellationen sich diese Klageform im normativen Rahmen der Verwaltungsgerichtsordnung hält und wo ihre Grenzen liegen. Begrenzt werden die Ausführungen dabei auf self-executing Gesetze im Sinne des zuvor dargelegten Verständnisses.849 Unabhängig von der Frage, ob auch betreffend vollzugsbedürftige Gesetze die Feststellungsklage herangezogen werden könnte,850 sind entsprechende Prozesskonstellationen nicht Grundlage der gegenständlichen Rechtsprechungslinie. Einerseits ist das Bundesverfassungsgericht hier nicht veranlasst, auf den Grundsatz der Subsidiarität zurückzugreifen, da Rechtssatzverfassungsbeschwerden regelmäßig bereits an der fehlenden unmittelbaren Betroffenheit scheitern würden. Andererseits bestehen hier aus Sicht der Beschwerdeführenden in der Regel keine Rechtsschutzlücken, da sie sich nach Normvollzug gegen den Vollzugsakt wenden und so eine inzidente Überprüfung der anzugreifenden Norm herbeiführen könnten. a) Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs Regelmäßig greift keine aufdrängende Sonderzuweisung ein, sodass zu untersuchen ist, inwieweit der Verwaltungsrechtsweg nach der Generalklausel des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO für die Feststellungsklage als Normenabwehrklage eröffnet sein kann. Hierbei können zwei Problemkreise identifiziert werden: Zum einen ist zu beleuchten, ob es sich noch um Streitigkeiten 849  Siehe

zuvor S. 133 ff. bestehen dahingehend, ob einerseits ohne Normvollzug überhaupt ein Rechtsverhältnis begründet werden kann und andererseits, ob Rechtsuchende hier ihre Rechte nicht vorrangig durch Gestaltungs- oder Leistungsklage zu verfolgen haben; dazu Kares, Das Rechtsverhältnis i. S. d. § 43 I Alt. 1 VwGO, 2011, S. 101 ff. 850  Bedenken

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

nichtverfassungsrechtlicher Art handelt. Zum anderen gilt zu klären, in welchen Fällen eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Abgrenzung zu einer privatrechtlichen Streitigkeit anzunehmen ist. aa) Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art Im Abschnitt zur normativen Kompetenzabgrenzung ist bereits der alten Streitfrage nachgegangen worden, was unter der „Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art“ im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu verstehen ist.851 An dieser Stelle bleibt zu untersuchen, ob die Fallgestaltung, dass Rechtsuchendende mittels der Feststellungsklage die inzidente Überprüfung von Parlamentsgesetzen beabsichtigen, nach den dargelegten Theorien noch eine Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art darstellt. Dies wird in der Literatur zum Teil verneint.852 (1) Formelle Theorie Nach der formellen Theorie, dass eine verfassungsrechtliche Streitigkeit schlicht immer dann vorliege, wenn der Verfassung- oder Gesetzgeber dem Bundesverfassungsgericht oder den Landesverfassungsgerichten ausdrücklich eine Kompetenz zugewiesen hat,853 läge mit der dargestellten Rechtsschutzkonstellation eine nichtverfassungsrechtliche Streitigkeit vor. Zwar hat der Verfassunggeber allein die Verfassungsgerichte für prinzipale Kontrollen formeller Gesetze für zuständig erklärt (vgl. nur Art. 100 Abs. 1 GG), doch gilt dies nicht auch für Inzidentkontrollen in Ausübung des richterlichen Prüfungsrechts.854 Anderenfalls müsste in jedem verwaltungsgerichtlichen Verfahren, in dem eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG angezeigt ist, der verwaltungsgerichtliche Rechtsweg versperrt bleiben.855

851  Siehe

zuvor S. 38 ff. scheinbar Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, § 90 Rn. 407, der meint, die Feststellungsklage laufe hier Gefahr, sich zu einer prinzipalen Normenkontrolle formeller Gesetze zu entwickeln, die der Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichtsbarkeit entzogen sei. 853  Dazu zuvor S. 40 f. 854  Zum richterlichen Prüfungsrecht zuvor S. 127 ff. 855  So zutreffend etwa VG Arnsberg, Beschluss vom 23. Mai 2016, Az. 8 K 3614/15, juris Rn. 34; vgl. auch Seiler, DVBl 2007, 538, 542. 852  So



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(2) Materielle Theorien (a) Theorie der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit Auch nach der derzeit herrschenden Auffassung, dass eine Streitigkeit verfassungsrechtlicher Art vorliege, wenn unmittelbar am Verfassungsleben Beteiligte über Rechte und Pflichten streiten, die sich unmittelbar aus der Verfassung ergeben,856 ist hier eine verfassungsrechtliche Streitigkeit ab­ zulehnen. Mit den privaten Rechtsuchenden streiten bereits auf der einen Seite nicht unmittelbar am Verfassungsleben Beteiligte. Zum anderen wird hier nicht über Rechte und Pflichten gestritten, die sich unmittelbar aus der Verfassung ergeben. Wie bereits dargelegt, ist eine Streitigkeit nicht bereits dann verfassungsrechtlicher Art, „wenn die Beurteilung eines Rechtsverhältnisses nicht unerheblich von verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ab­ hängt“.857 (b) Materieller Ansatz in der Rechtsprechung Kein anderes Ergebnis wird nach dem materiellen Ansatz der Recht­ sprechung erzielt. „Entscheidend vom Verfassungsrecht geformt“858 ist die Streitigkeit wie gezeigt nicht bereits deshalb, weil dem Rechtsstreit die Frage zugrunde liegt, ob die streitentscheidenden Normen mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Insoweit kann abermals auf das richterliche Prüfungsrecht und die vorgenannte Argumentation verwiesen werden, dass anderenfalls der Rechtsweg nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO nie eröffnet wäre, sobald eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG im Raum steht. (c) Materielle Subjektstheorie Zu differenzieren ist hinsichtlich Ehlersʼ materieller Subjektstheorie, nach der eine Streitigkeit dann verfassungsrechtlicher Art sein soll, wenn der Rechtsschutzgegner ein Verfassungsrechtssubjekt ist, das als solches verpflichtet werden soll.859 Ist wie in aller Regel die Feststellungsklage gegen

856  Dazu

zuvor S. 41 f. Urteil vom 11. Juli 1985, Az. 7 C 64/83, juris Rn. 8; dazu zuvor

857  BVerwG,

S. 46 f. 858  St. Rspr. seit BVerwG, Urteil vom 21. Februar 1956, Az. I A 38.54, ­BVerwGE 3, 159; so ausdrücklich etwa BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1966, Az. V C 79.65, ­BVerwGE 24, 272, juris Rn. 52; dazu zuvor S. 42. 859  Dazu zuvor S. 43.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

den Rechtsträger der Vollzugsbehörde als Normanwender zu richten,860 liegt nach dieser Ansicht eine nichtverfassungsrechtliche Streitigkeit vor. Anders könnte dies in der Fallkonstellation zu werten sein, wenn die Feststellungsklage ausnahmsweise gegen den Rechtsträger des Normgebers selbst zu richten ist.861 Beabsichtigen die Rechtsuchenden beispielweise, ein formelles Bundesgesetz inzident überprüfen lassen, das ausnahmsweise nicht nur selbstvollziehend ist, sondern auch keinen weiteren Normvollzug bei der Überwachung der Einhaltung der Norm ermöglicht,862 könnte die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsträgerin des Bundestages und damit als Passivlegitimierte in den Blick zu nehmen sein. Jedoch dürfte das Verfassungsrechtssubsubjekt hier nicht im Sinne der materiellen Subjektstheorie „als solches verpflichtet“ werden. Die Rechtsuchenden initiieren in den gegenständlichen Verfahren lediglich Inzidentprüfungen von Parlamentsgesetzen. Das zuständige Gericht kann im Ergebnis nur entscheiden, ob vor dem Hintergrund der (Un-)Wirksamkeit der angegriffenen Regelung ein Rechtsverhältnis besteht oder nicht. Durch die Inzidentkontrolle würde nicht in die verfassungsrechtlich garantierte Gesetzgebungsbefugnis des Bundestags oder der Landtage eingegriffen. Erst die prinzipal wirkenden Entscheidungen der Verfassungsgerichte betreffen den parlamentarischen Gesetzgeber. Insofern kommt auch in diesem Fall der Rolle der Passivlegitimierten für die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs kein besonderes Gewicht zu.863 Bedeutender erscheint in diesem Zusammenhang die Frage, ob sowohl gegenüber dem Normanwender wie auch gegenüber dem Normgeber ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis in Bezug auf die Normadressaten bestehen kann.864 (d) Reimers Ansatz Nach dem Ansatz von Reimer, der mehrere Aspekte der dargelegten Abgrenzungstheorien kombiniert,865 ist wiederum nach vorgenannten Gesichtspunkten zweifelsfrei eine Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art anzunehmen.

860  Dazu 861  Ebd.

zuvor S. 136 ff.

862  Siehe dazu abermals BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2010, Az. 8 C 19/09, ­BVerwGE 136, 54, juris Rn. 29 f. 863  Auch Ehlers selbst neigt in Zweifelsfällen dazu, zumindest bei der Beteiligung von Privaten eine nichtverfassungsrechtliche Streitigkeit anzunehmen, ders./Schneider, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 40 Rn. 152. 864  Dazu nachfolgend S. 190 ff. 865  Dazu zuvor S. 43 f.



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(e) Schenkes Ansatz Schließlich dürfte hier auch nach Schenkes Ansatz eine nichtverfassungsrechtliche Streitigkeit vorliegen, der ebenfalls an die bereits bestehenden Definitionsversuche anknüpft.866 Da hiernach unter anderem maßgeblich sein soll, ob der Verfassung- oder Gesetzgeber dem Bundesverfassungsgericht oder den Landesverfassungsgerichten eine Kompetenz zugewiesen hat, ist eine verfassungsrechtliche Streitigkeit erneut mit dem Argument abzulehnen, dass der Verfassunggeber nicht allein den Verfassungsgerichten die Kompetenz für Inzidentkontrollen in Ausübung des richterlichen Prüfungsrechts zugesprochen hat. Erst in einer prinzipalen Normenkontrolle wäre nach Schenkes Auffassung keine nichtverfassungsrechtliche Streitigkeit zu sehen.867 (3) Zwischenergebnis Mit Ausnahme von Ehlersʼ materieller Subjektstheorie ist nach sämtlichen dargestellten Abgrenzungstheorien bei Inzidentkontrollen eines Parlamentsgesetzes mittels der Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO ohne Weiteres von einer nichtverfassungsrechtlichen Streitigkeit auszugehen. Auch für die materielle Subjektstheorie verbleiben nur Unsicherheiten in den seltenen Konstellationen, dass die Rechtsuchenden sich veranlasst sehen, die Feststellungsklage gegen den Normgeber zu erheben. Und auch in diesen Fällen erscheint es unter Berücksichtigung der dargelegten Argumente überzeugender, von einer nichtverfassungsrechtlichen Streitigkeit auszugehen. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass bei der Frage der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs die Subsidiaritätsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht völlig unberücksichtigt bleiben kann. Sofern das Gericht auch in den hier betrachteten Fällen streng am Subsidiaritätsgrundsatz festhalten und die Rechtsuchenden an die Verwaltungsgerichte verweisen würde, könnten diese den Verwaltungsrechtsweg nicht „unreflektiert“ ablehnen,868 ohne gleichzeitig Rechtsschutzlücken zu begründen.

866  Dazu

zuvor S. 44 f. Schenke, NJW 2017, 1062, 1067. 868  So auch Happ, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 43 Rn. 9b, der meint, dass die Interpretation des Begriffs der nichtverfassungsrechtlichen Streitigkeit insofern die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „reflektieren“ müsse. 867  Vgl.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

bb) Öffentlich-rechtliche Streitigkeit Auch ist zu bestimmen, in welchen Fällen die Inzidentkontrolle von Parlamentsgesetzen eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO darstellt. Der alleinige Umstand, dass inzident die Frage der Wirksamkeit einer Norm zu prüfen ist, gibt den Rechtsweg nicht vor. Nur in prinzipalen Normenkontrollen ist ohne Weiteres eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit zu sehen.869 Daher ist hier eine Abgrenzung zur privatrechtlichen Streitigkeit vorzunehmen, für die der Rechtsweg zu den Zivilgerichten eröffnet ist (§ 13 GVG). Das Problem stellt sich, soweit die Rechtsuchenden mittelbar eine gesetzliche Regelung angreifen, die nicht klar dem öffent­lichen Recht zuzuordnen ist. Kann hier dennoch der Verwaltungsrechtsweg beschritten werden oder sind etwa die Zivilgerichte mit einer entsprechenden Feststellungsklage (§ 256 Abs. 1 ZPO) anzurufen? Diese Problematik wird veranschaulicht anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln)870. Mit der zunächst ergangenen Entscheidung lehnte die dritte Kammer des Ersten Senats in dieser Sache einen Eilantrag ab, § 11 Abs. 1 Nr. 2 bis 5, Abs. 2 MietenWoG Bln vorläufig außer Kraft zu setzen. Im Rahmen der summarischen Prüfung, ob die in der Hauptsache zu erhebende Rechtssatzverfassungsbeschwerde aufgrund Subsidiarität derselben von vorneherein unzulässig wäre, hatte die Kammer erwogen, ob vorrangig „eine mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz verbundene negative Feststellungsklage gemäß § 43 VwGO gegen die individuelle Verbindlichkeit der hier angegriffenen bußgeldbewehrten Verbote und Verpflichtungen zu erheben“ wäre.871 Dies mag verwundern, da der Zweite Senat mit seiner Entscheidung aus März 2021 im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle des MietenWoG Bln später ausdrücklich klarstellte, dass Regelungen zur Miethöhe für frei finanzierten Wohnraum, der auf dem freien Wohnungsmarkt angeboten werden kann, in die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit für das bürgerliche Recht im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG fallen.872 Dass die Kammer im einstweiligen Rechtsschutzverfahren dennoch eine vorrangige verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage erwogen hat, kann darauf zurückzuführen sein, dass das MietenWoG Bln auch verwaltungs- und ordnungsrechtliche Instrumente enthielt (vgl. §§ 5 Abs. 2 in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 60. Ed. 2022, § 40 Rn. 41. durch Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung gesetzlicher Vorschriften zur Mietenbegrenzung vom 11. Februar 2020 (GVBl. BE S. 50). 871  BVerfG, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 10. März 2020, Az. 1 BvQ 15/20, juris Rn. 18. 872  BVerfG, Beschluss vom 25. März 2021, Az. 2 BvF 1/20, juris Rn. 107 ff. 869  Reimer,

870  Eingeführt



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 185

und 11 MietenWoG Bln). Diese Einkleidung ändere allerdings nichts daran, dass das MietenWoG Bln der Sache nach Regelungen der Rechtsverhältnisse zwischen Vermietern und Mietern enthielt und damit nach Auffassung des Zweiten Senats als Teil des Privatrechts einzuordnen war.873 In diesem Zusammenhang sind zwei weitere Kammerentscheidungen zu berücksichtigen, denen jeweils Gesetze mit zivilrechtlicher Einkleidung zugrunde lagen: In einer Entscheidung aus dem Jahr 1999 ließ die entscheidende Kammer ausdrücklich offen, ob die maßgebliche Vorschrift des Börsengesetzes hier mit einer verwaltungsgerichtlichen oder zivilgerichtlichen Feststellungsklage vorrangig anzugreifen gewesen wäre.874 In einer weiteren Entscheidung nahm die zuständige Kammer wiederum eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen Regelungen des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes unter Verweis auf eine vorrangige zivilgerichtliche Feststellungsklage nicht zur Entscheidung an.875 Angesichts dieser unterschiedlichen Handhabe der verwaltungs- bzw. zivilgerichtlichen Feststellungsklage ist näher zu beleuchten, was entscheidendes Kriterium sein kann, um den Rechtsweg für die Inzidentkontrolle privatrechtlicher Gesetze zu bestimmen. (1) Anknüpfungspunkt Die Abgrenzung von öffentlich-rechtlichen zu bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten wird als eines der „am meisten erörterten und diffizilsten Problemen des Prozessrechts“ angesehen.876 Insoweit soll an dieser Stelle isoliert auf die Frage eingegangen werden, wie die Rechtsnatur der streitentscheidenden Norm als maßgeblicher Anknüpfungspunkt zu bestimmen ist. Kann die streitentscheidende Norm dem öffentlichen Recht zugeordnet werden, ist der Verwaltungsrechtsweg nach der Generalklausel eröffnet.877 Dabei ist zunächst festzuhalten, dass sich diese Abgrenzungsfrage nicht für untergesetzliche Rechtssätze stellt. Da sich die rechtliche Zuordnung der rein materiellen Rechtsnorm nach der jeweiligen Rechtsgrundlage bestimmt, sind Rechtssätze der Exekutive dem öffentlichen Recht zuzuordnen, sodass der Verwaltungs-

873  BVerfG,

Beschluss vom 25. März 2021, Az. 2 BvF 1/20, juris Rn. 169. Kammerbeschluss vom 29. März 1999, Az. 1 BvR 295/99, juris Rn. 7; zur Kammerrechtsprechung zuvor S. 156 ff. 875  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26. März 2009, Az. 1 BvR 119/09, juris Rn. 22. 876  So m. w. N. Ehlers/Schneider, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 40 Rn. 200. 877  Reimer, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 60. Ed. 2022, § 40 Rn. 40; Unruh, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 40 VwGO Rn. 84. 874  BVerfG,

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

rechtsweg eröffnet ist.878 Klärungsbedürftig ist mithin allein, wie die Rechtsnatur der streitentscheidenden Parlamentsgesetze zu bestimmen ist. (2) Abgrenzungstheorien Zur Bestimmung der Rechtsnatur der streitentscheidenden Rechtsnorm und damit zur Abgrenzung von öffentlichem und bürgerlichem Recht werden mittlerweile zahlreiche Theorien vertreten. Zu den derzeit relevantesten zählen die sogenannte Interessen-, die Subordinations- sowie die modifizierte Subjektstheorie.879 Nomen est omen ist nach der Interessentheorie darauf abzustellen, ob die streitentscheidende Norm dem Schutz öffentlicher Interessen dient. Ist dies der Fall, sei die Rechtsnorm dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Schützt sie hingegen Individualinteressen, soll es sich um eine privatrechtliche Norm handeln.880 Nach der Subordinationstheorie soll eine Norm dem öffentlichen Recht zuordnen sein, wenn sie ein „Über-Unterordnungsverhältnis“ zwischen Hoheitsträgern und Privaten begründet.881 Vertreter der in der Literatur wohl herrschenden modifizierten Subjektstheorie sehen als maßgeblich an, ob die streitentscheidende Norm zumindest auch einen Hoheitsträger als solchen berechtigt oder verpflichtet.882 Die Rechtspraxis wiederum misst den Abgrenzungstheorien keine große Bedeutung zu.883 So kombiniert die Rechtsprechung in der Regel verschiedene Theorien, um ein im Einzelfall adäquates Ergebnis zu finden.884

878  Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 40 Rn. 391; Unruh, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 40 VwGO Rn. 136. 879  Unruh, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5.  Aufl. 2021, § 40 VwGO Rn. 92; Ehlers/Schneider, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 40 Rn. 218; Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 40 Rn. 289; siehe für die daneben vertretenen Ansichten die Übersicht bei Reimer, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 60. Ed. 2022, § 40 Rn. 45 ff. 880  Dazu etwa Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 40 Rn. 290 ff. 881  So etwa BVerfG, Beschluss vom 22. April 1958, Az. 2 BvL 32/56, BVerfGE 7, 342, juris Rn. 63; BVerwG, Urteil vom 17. Februar 1971, Az. V C 68.69; B ­ VerwGE 37, 243, juris Rn. 15. 882  Siehe nur Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 40 Rn. 302; Haack, in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 40 Rn. 38 f.; Ehlers, DV 20 (1987), 373, 379. 883  Unruh, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5.  Aufl. 2021, § 40 VwGO Rn. 99. 884  Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 2. Mai 2007, Az. 6 B 10/07, ­BVerwGE 129, 9, juris Rn. 4; Beschluss vom 26. Mai 2010, Az. 6 A 5/09, juris Rn. 17.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 187

(3) Konsequenz Im Ergebnis erscheint überzeugend, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zum MietenWoG Bln eine vorrangige verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage erwogen hat. Dass der Zweite Senat später feststellte, dass das MietenWoG Bln im Kern ein privatrechtliches Gesetz im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG darstelle, steht dem nicht zwangsläufig entgegen. Das MietenWoG Bln enthielt gerade auch verwaltungs- und ordnungsrechtliche Instrumente (vgl. §§ 5 Abs. 2 und 11 MietenWoG Bln), die für sich als streitentscheidende Normen ohne Weiteres nach den vorgenannten Abgrenzungstheorien als öffentlich-rechtlich zu qualifizieren sind.885 Lediglich nach der von Stelkens entwickelten „Gesetzgebungskompetenztheorie“ zur Abgrenzung von öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Streitigkeiten könnte der Verwaltungsrechtsweg versperrt sein, da hier der Begriff des „bürgerlichen Rechts“ in Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG dem Begriff des Privatrechts gleichgestellt wird und daher der Zuordnung zum öffentlichen Recht entgegenstehen könnte.886 Der Ansatz Stelkensʼ hat bisher jedoch wenig Rezeption in Rechtsprechung und Literatur gefunden,887 sodass dieser hier vernachlässigt werden soll. Legt man die beiden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum MietenWoG Bln zugrunde, ist im Einzelfall zu prüfen, ob auch ein im Kern privatrechtliches Gesetz – zumindest in Teilen – mittels der Feststellungsklage vor die Verwaltungsgerichte zu bringen ist. Entscheidend dürfte sein, dass die anzugreifenden Regelungen auch verwaltungs- und ordnungsrecht­ liche Instrumente enthalten. Ähnlich geht auch Bachof davon aus, dass eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit schon dann vorliegen soll, wenn ein Hoheitsträger für die Überwachung und Durchsetzung des infrage stehenden Rechtssatzes berufen ist.888 Gleicht man diese These mit den zwei weiteren genannten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ab, ergibt sich folgendes Bild: Der bereits zitierten Entscheidung aus dem Jahr 1999 lag eine Verfassungsbeschwerde gegen § 7a Abs. 2 BörsG a. F. zugrunde.889 Mit dieser Vorschrift wurde die Pflicht zur Gestattung der Einführung des elek­ tronischen Börsensystems XETRA gegenüber anderen Wertpapierbörsen ge885  Vgl. zum Rechtsschutz gegen hoheitliche Maßnahmen, wenn die Nichtbefolgung straf- oder bußgeldbewehrt ist Reimer, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 60. Ed. 2022, § 40 Rn. 62a; Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 40 Rn. 50. 886  Vgl. Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, 2005, S. 330  ff., 346 ff.; dazu Ehlers/ Schneider, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 40 Rn. 230 ff. 887  Ehlers/Schneider, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 40 Rn. 240. 888  Bachof, in: FG BVerwG, 1978, S. 1, 13. 889  Siehe abermals BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. März 1999, Az. 1 BvR 295/99, juris Rn. 7.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

regelt. Wie dargelegt, ließ die Kammer hier zwar ausdrücklich offen, ob der Verwaltungsrechtsweg eröffnet wäre, doch dürfte die Kammer dies zurecht angezweifelt haben, da die streitentscheidende Vorschrift, soweit ersichtlich, nicht von verwaltungs- bzw. ordnungsrechtlichen Instrumenten flankiert wurde. Ähnlich liegen die Dinge hinsichtlich der ebenfalls bereits angeführten Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen Regelungen des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes, mit welchem die Kammer auf eine vorrangige zivilgerichtliche Feststellungsklage für die Inzidentkon­ trolle der § 3 und § 5 FMStFG a. F. verwies. Auch hier ist nicht ersichtlich, dass etwaige verwaltungs- bzw. ordnungsrechtliche Instrumente bestanden hätten. Nur soweit betreffend andere Regelungen ein Vorgehen des Finanzmarktstabilisierungsfonds als Anstalt des öffentlichen Rechts in Betracht käme, könnte auch anderer fachgerichtlicher Rechtsschutz als zivilgericht­ licher erwogen werden.890 Die Kammerentscheidungen stützen mithin die These, dass hinsichtlich des Rechtswegs für Feststellungsklagen als Normenabwehrklagen betreffend Parlamentsgesetze mit privatrechtlichem Kern stets zu prüfen ist, ob die anzugreifenden Regelungen durch verwaltungs- bzw. ordnungsrechtliche Instrumente flankiert werden. b) Statthaftigkeit Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden (§ 43 Abs. 1 VwGO). Ob ein solches Rechtsverhältnis auch der Feststellungsklage als allgemeine Normenabwehrklage betreffend Parlamentsgesetze gegenständlich ist, dürfte – in Zusammenschau mit dem erforderlichen Feststellungsinteresse – eine der Kernfragen der Zulässigkeitsprüfung darstellen. Die These ist: Ein entsprechendes Klagebegehren kann sich nur dann im Rahmen von § 43 Abs. 1 VwGO halten, wenn die Verfassungsmäßigkeit des Parlamentsgesetzes bloße Vorfrage ist. Die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes darf hier nur inzidenter erörtert werden und nicht Hauptfrage sein.891 Zu beachten ist, dass die Feststellungsklage als Normenabwehrklage in negativer Gestalt erhoben wird, gerichtet auf Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses aufgrund der Unwirksamkeit der streitigen Rechtsnorm.892 Praktisch hat die Kategorisierung als positive oder negative Fest890  Vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26. März 2009, Az. 1 BvR 119/09, juris Rn. 20, 22 f. 891  Vgl. Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, § 90 Rn. 407. 892  Barczak, in: Modrzejewski/Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. V, 2019, S. 17, 28 f.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 189

stellungsklage jedoch keine Auswirkungen. Hierbei handele es sich „nur um eine unterschiedliche Sichtweise in Bezug auf dasselbe Problem“.893 Insbesondere ändert sich nach herrschender Auffassung die Beweislast nicht. Die Frage der Beweislast dürfe nicht davon abhängen, wie das Klagebegehren sprachlich gefasst ist.894 aa) Feststellungsfähiges Rechtsverhältnis Bis heute besteht kein gänzlich einheitliches Verständnis vom auf Jellinek zurückgehenden Begriff des feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses.895 Als in Rechtsprechung und Literatur anerkannt dürfte jedoch die grundlegende Definition gelten: „Unter einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis sind die rechtlichen Beziehungen zu verstehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis von (natürlichen oder juristischen) Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben, kraft deren eine der beteiligten Personen etwas Bestimmtes tun muss, kann oder darf oder nicht zu tun braucht.“896 Wesentlich ist hier die Eingrenzung, dass sich die rechtlichen Beziehungen der Beteiligten erst dann zu einem konkreten und folglich feststellungsfähigen Rechtsverhältnis verdichtet haben sollen, wenn die Anwendung einer öffentlichrechtlichen Norm auf einen bestimmten, bereits überschaubaren Sachverhalt streitig ist.897 Hierauf kommt es für die Statthaftigkeit der Feststellungsklage als allgemeine Normenabwehrklage betreffend Parlamentsgesetze entscheidend an.898 in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 45. in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 43 Rn. 6; Möstl, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 60. Ed. 2022, §  43 Rn.  1.1; a.  A. Redeker/ Kothe/v. Nicolai, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, 17. Aufl. 2022, § 43 Rn. 2. 895  Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 1931, S. 191 ff.; exemplarisch zum feststellungsfähigen Rechtsverhältnis Kares, Das Rechtsverhältnis i. S. v. § 43 I Alt. 1 VwGO, 2011. 896  Siehe für die Rechtsprechung nur BVerwG, Urteil vom 20. November 2003, Az. 3 C 44/02, juris Rn. 18 m. w. N.; bestätigend aus der Literatur etwa Pietzcker, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 43 Rn. 5; Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 7; Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 43 Rn. 11. 897  St. Rspr., siehe etwa BVerwG, Urteil vom 7. Mai 1987, Az. 3 C 53/85, BVerwGE 77, 207, juris Rn. 24; Urteil vom 23. Januar 1992, Az. 3 C 50/89, ­ ­BVerwGE 89, 327, juris Rn. 30. 898  Vgl. aus der Rspr. VG Hannover, Urteil vom 24. November 2008, Az. 10 A 1017/08, juris Rn. 25; VG Arnsberg, Beschluss vom 23. Mai 2016, Az. 8 K 3614/15, juris Rn. 37 ff.; vgl. aus der Literatur Barczak, in: Modrzejewski/Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. V, 2019, S. 17, 28 f.; ders., DVBl 2019, 1040, 1043. 893  Sodan,

894  Pietzcker,

190

3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

(1) Rechtliche Beziehung unter den Beteiligten Das feststellungsfähige Rechtsverhältnis bedarf zunächst überhaupt einer rechtlichen Beziehung unter den Beteiligten. Im Rahmen der Feststellungsklage als allgemeine Normenabwehrklage kommen als Bezugspersonen auf der einen Seite der Normgeber sowie die Vollzugsbehörde als Normanwender und auf der anderen Seite die Rechtsuchenden als Normadressaten in Betracht, wobei Normgeber und Normanwender auch in einem Hoheitsträger zusammenfallen können.899 Wie bereits die Rechtsprechungsauswertung ergeben hat, besteht ein Rechtsverhältnis in aller Regel zwischen dem Norm­ anwender und den Normadressaten. Der Normgeber ist nicht für die Durchsetzung des abstrakten Rechtssatzes gegenüber den Adressaten verantwortlich.900 So liegen die Dinge insbesondere auch bei Bundesgesetzen, die wegen Art. 30, 83 ff. GG durch die zuständigen Landesbehörden durchzusetzen sind. Nach der Rechtsprechung gilt dies grundsätzlich auch für self-executing Gesetze. Obwohl diese ohne weiteren Normvollzug unmittelbar gegenüber den Normadressaten Geltung entfalten, ist hier regelmäßig ein weitergehender Normvollzug möglich.901 Das Rechtsverhältnis zwischen Normadressat und Normanwender besteht dann konkret in der Gestalt, dass Ersterer von einem imperativen Ge- oder Verbot betroffen ist und Letzterer für den Vollzug bzw. die Überwachung der Befolgung zuständig ist.902 Exemplarisch kann sich ein Rechtsverhältnis unter Normadressat und Normanwender etwa daraus ergeben, dass sich die Beteiligten um Folgendes streiten: die Berechtigung der 899  So bei BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2000, Az. 11 C 13/99, ­ BVerwGE 111, 276; siehe weiter BVerwG, Urteil vom 23. August 2007, Az. 7 C 2/07, B ­ VerwGE 129, 199, juris Rn. 21; VG Hannover, Urteil vom 24. November 2008, Az. 10 A 1017/08, juris Rn. 27; Wysk, in: ders., VwGO, 3. Aufl. 2020, § 43 Rn. 19. 900  BVerwG, Urteil vom 23. August 2007, Az. 7 C 13/06, juris Rn. 22; Urteil vom 28. Januar 2010, Az. 8 C 19/09, ­BVerwGE 136, 54, juris Rn. 28; Sodan, in: ders./ Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 58b f.; Wysk, in: ders., VwGO, 3. Aufl. 2020, § 43 Rn. 19; Redeker/Kothe/v. Nicolai, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, 17. Aufl. 2022, § 43 Rn. 6; Ehlers, in: ders./Schoch, Rechtsschutz im Öffentlichen Recht, 2021, § 30 Rn. 67; Barczak, in: Modrzejewski/Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. V, 2019, S. 17, 28 f.; ders., DVBl 2019, 1040, 1043; Weidemann, VerwArch 98 (2007), 523, 527 f.; unentschieden Pietzcker, in: Schoch/ Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 43 Rn. 25a. 901  BVerwG, Urteil vom 23. August 2007, Az. 7 C 2/07, ­BVerwGE 129, 199, juris Rn. 22; dazu zuvor S. 133 ff. 902  BVerwG, Urteil vom 23. August 2007, Az. 7 C 2/07, ­BVerwGE 129, 199, juris Rn. 22; Siemer, in: FS Menger, 1985, S. 501, 513 f., ders., Normenkontrolle durch Feststellungsklage?, 1971, S. 53 ff. und Kuntz, Der Rechtsschutz gegen unmittelbar wirkende Rechtsverordnungen des Bundes, 2001, S. 124 f.; zum Erfordernis der Betroffenheit auch BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 25. Februar 2004, Az. 1 BvR 2016/01, juris Rn. 58.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 191

Rechtsuchenden, den Kitesurfsport in den von ihnen genannten Gebieten zeitlich und örtlich uneingeschränkt auszuüben,903 die Pflicht, Telekommunikationsverkehrsdaten zu speichern904 oder die Berechtigung, im Internet gewerbliche Spielvermittlung zu betreiben905. Nur vereinzelt wird die Ansicht vertreten, dass hier vorrangig das Rechtsverhältnis zum Normgeber bestehe.906 Fraglich erscheint bereits, worin konkret das Rechtsverhältnis bestehen soll und – vielmehr noch – wie sich das Rechtsverhältnis weiter aufgrund eines bestimmten Sachverhalts verdichten soll. In der bereits dargestellten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Postmindestlohnverordnung geht auch der entscheidende Senat dieser Frage nicht näher nach. Hier wird der Rechtsschutz mittels Feststellungsklage gegen den Normgeber primär mit Art. 19 Abs. 4 GG gerechtfertigt, der das Recht auf effektiven Rechtsschutz auch gegenüber abstrakten Rechtssätzen der Exekutive verbürgt.907 Nur ausnahmsweise soll hier die Feststellungsklage gegen den Normgeber statthaft sein, und zwar in dem Fall, dass der jeweilige Rechtssatz unmittelbar Rechte und Pflichten der Betroffenen begründet, „ohne dass eine Konkretisierung oder Individualisierung durch Verwaltungsvollzug vorgesehen oder möglich ist“.908 Soweit man die parlamentarische Gesetzgebung jedoch nicht unter die öffentliche Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG subsumieren will, erscheint fraglich, ob diese Rechtsprechung auch auf die Feststellungsklage als Normenabwehrklage betreffend Parlamentsgesetze zu übertragen ist. Als ausreichendes Rechtsschutzinstrument könnte hier die Rechtssatzverfassungsbeschwerde zur Verfügung stehen, die mangels Statthaftigkeit der Feststellungsklage dieser ge903  VG Oldenburg, Urteil vom 7. August 2017, Az. 5 A 726/15, juris Rn. 15; bestätigt durch OVG Lüneburg, Beschluss vom 11. Dezember 2020, Az. 4 LC 291/17, juris Rn. 30. 904  VG Köln, Urteil vom 20. April 2018, Az. 9 K 3859/16, juris Rn. 24. 905  VG Berlin, Urteil vom 22. September 2008, Az. 35 A 15.08, juris Rn. 55. 906  So ausdrücklich Kares, Das Rechtsverhältnis i. S. d. § 43 I 1 VwGO, 2011, S. 182 f.; Möstl spricht sich unter Verweis auf die unmittelbar gegen den Normgeber zu richtende Normerlassklage ebenfalls für die Möglichkeit der Normenabwehrklage gegen den Normgeber aus, ders., in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 60. Ed. 2022, § 43 Rn. 30; eine Passivlegitimation des Normgebers befürwortend jedoch auch Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 17. Aufl. 2021, Rn. 1162, Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 43 Rn. 8i und Krumm, DVBl 2011, 1008, 1012; zur Frage, ob in diesen Konstellationen ein wirkungsvollerer Rechtsschutz erzielt werden könnte Engels, NVwZ 2018, 1001, 1005 f. 907  Siehe abermals BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2010, Az. 8 C 19/09, ­BVerwGE 136, 54, juris Rn. 28. 908  Ebd., Rn. 30; zustimmend Sodan, in: ders/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 58c und Wysk, in: ders., VwGO, 3. Aufl. 2020, § 43 Rn. 69; ähnlich auch Fellenberg/Karpenstein, NVwZ 2006, 1133, 1135.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

genüber nicht subsidiär wäre. Soweit das Bundesverwaltungsgericht für das Rechtsverhältnis – mangels Konkretisierungsmöglichkeit durch den Norm­ anwender – allein auf die Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte abstellen will,909 ist dies nicht mit der herrschenden Auffassung in Einklang zu bringen, dass die abstrakte Frage der Rechtsverletzung für sich kein Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO darstellt.910 Diesem Bruch will die Literatur zum Teil damit begegnen, dass hier nicht die Rechtsverletzung maßgeblich sei, sondern die fehlende Berechtigung des Normgebers zum Erlass der jeweiligen Norm.911 So mag dies – insbesondere vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG – die Zulässigkeit der Feststellungsklage als Normenabwehrklage betreffend untergesetzliche Rechtsnormen weiter stützen, doch kann dieser Ansatz nicht auf Rechtsschutzkonstellationen betreffend Parlamentsgesetze übertragen werden. Das Klagebegehren, die fehlende Berechtigung zur Normsetzung eines parlamentarischen Gesetzgebers feststellen zu lassen, fiele eindeutig in den Zuständigkeitsbereich der Verfassungsgerichtsbarkeit, sodass der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten bereits nicht eröffnet wäre.912 Ferner ist zu beachten, dass eine Klage mit dem Ziel der Nichtigkeitsfeststellung einer Rechtsnorm nicht auf § 43 Abs. 1 VwGO gestützt werden kann. Eine solche Klage zielt nicht auf die Frage des (Nicht-)Bestehens eines ­Rechtsverhältnisses ab.913 Mittels der Feststellungsklage kann lediglich die Fest­stellung begehrt werden, dass „wegen Ungültigkeit oder Unanwendbarkeit einer Rechtsnorm kein Rechtsverhältnis zu dem anderen Beteiligten begründet ist“.914 Anträge auf Feststellung der Nichtigkeit/Unwirksamkeit einer Rechtsnorm sind unstatthaft. Bereits ein Umkehrschluss zu § 43 Abs. 1 a. E. VwGO 909  BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2010, Az. 8 C 19/09, B ­ VerwGE 136, 54, juris Rn.  25 f. 910  Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 58c; Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 43 Rn. 8n, 13; VGH Bayern, Urteil vom 9. April 2003, Az. 24 B 02.646, juris Rn. 22; a. A. offenbar Glaser, in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 43 Rn. 45. Soweit das BVerfG in der Vergangenheit einen Antrag auf Feststellung für statthaft gehalten hat, dass die Beschwerdeführenden durch ein Gesetz in ihren subjektiven Rechten verletzt worden sind, kann dies nicht verallgemeinert werden. Im Rahmen dieser Entscheidung zur Kulturpflanzen-Ausgleichszahlungs-Verordnung hat das Gericht die Beschwerdeführer nicht auf eine vorrangige Normenabwehrklage verwiesen, sondern auf eine Feststellungsklage mit dem Ziel der Normänderung als Unterfall der Normerlassklage, BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2006, Az. 1 BvR 541/02, BVerfGE 115, 81, juris Rn. 50. 911  Sodan, in: ders/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 58c. 912  So auch Schenke, NJW 2017, 1062, 1067; ablehnend auch Möstl, in: Posser/ Wolff, BeckOK VwGO, 60. Ed. 2022, § 43 Rn. 30. 913  BVerwG, Urteil vom 23. August 2007, Az. 7 C 2/07, ­BVerwGE 129, 199, juris Rn. 20. 914  Ebd.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 193

zeigt, dass die Nichtigkeit einer Rechtsnorm kein Rechtsverhältnis darstellen kann, wenn schon in der Nichtigkeit von Verwaltungsakten kein entsprechendes Verhältnis liegen soll. Dies wäre vom Gesetzgeber vergleichbar zu ­normieren gewesen.915 Steht die Wirksamkeit untergesetzlicher Rechtsnormen in Frage, würde anderenfalls auch die in § 47 VwGO enthaltene gesetzgeberische Wertung umgangen, dass diese Rechtssätze nur in den eng begrenzten Ausnahmefällen – im Einklang mit dem Willen der Landesgesetzgeber – Gegenstand eines objektiven Rechtsbeanstandungsverfahrens sein sollen. Soweit objektiv die Klärung der Wirksamkeit einer Rechtsnorm erreicht werden soll, würde der Rechtsstreit nicht länger zur Durchsetzung subjektiver Rechte, ­sondern nur noch der Klärung abstrakter Rechtsfragen dienen.916 Zu beachten ist jedoch, dass entsprechend unstatthafte Klageanträge durch das Gericht ­gegebenenfalls so auszulegen sind, dass das klägerische Begehren sich hier noch im Rahmen des § 43 Abs. 1 VwGO hält (§ 88 VwGO).917 (2) Bestimmter, bereits überschaubarer Sachverhalt Ferner würde sich in dem Fall, dass unmittelbar die Wirksamkeit einer Rechtsnorm zur Überprüfung durch die Fachgerichte gestellt würde, die Rechtsbeziehung zwischen den Beteiligten nicht aus einem bestimmten, bereits überschaubaren Sachverhalt ergeben, da das Klagebegehren lediglich abstrakte Rechtsfragen betreffen würde.918 Ein entsprechender Sachverhalt ist erst anzunehmen, wenn sich Rechtsfragen bezüglich eines konkreten Einzelfalls stellen. Dazu soll erforderlich sein, dass das der Klage zugrundeliegende „Geschehen zeitlich und örtlich festgelegt ist und die Beteiligten individualisiert sind“.919 Zu beachten ist, dass das grundlegende Verhältnis von Staat und Privaten für sich noch kein hinreichendes Rechtsverhältnis darstellen soll. Erforderlich sei hier eine weitere „Verdichtung“ des Rechtsverhältnisses. Typischerweise erfolgt diese durch Verwaltungs- oder Realakt.920 915  Barczak, DVBl 2019, 1040, 1043; Rupp, NVwZ 2002, 286, 288; Krumm, DVBl 2011, 1008, 1010. 916  BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1982, Az. 5 C 103/81, juris Rn. 10; Urteil vom 28. Januar 2010, Az. 8 C 19/09, ­BVerwGE 136, 54, juris Rn. 25; Urteil vom 12. September 2019, Az. 3 C 3/18, B ­ VerwGE 166, 265, juris Rn. 23. 917  Wysk, in: ders., VwGO, 3. Aufl. 2020, § 43 Rn. 31; siehe nachfolgend zu den Klageanträgen S. 258 ff. 918  BVerwG, Urteil vom 23. August 2007, Az. 7 C 2/07, ­BVerwGE 129, 199, juris Rn. 27. 919  Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 44. 920  Ebd., Rn. 46; Terhechte, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 43 VwGO Rn. 42; ausführlich Siemer, Normenkontrolle durch Feststellungsklage?, 1971, S. 27 ff.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

Von besonderer Bedeutung ist die Voraussetzung des bestimmten Sachverhalts daher im Rahmen des vorbeugenden Rechtsschutzes, also in Fällen, in denen die zuständige Behörde noch keine weiteren Maßnahmen getroffen hat. Mit vorbeugenden Feststellungsklagen soll gerade ein belastendes staatliches Handeln verhindert werden.921 In den der Feststellungsklage in der Gestalt als Normenabwehrklage zugrundeliegenden Prozesskonstellationen geht es den Rechtsuchenden regelmäßig darum, festgestellt zu wissen, dass sie aufgrund der Unwirksamkeit der jeweiligen Norm ihrem Tatbestand nicht unterfallen und der zuständigen Behörde ihnen gegenüber im Ergebnis keine Eingriffsbefugnisse zustehen. Damit wird die Feststellungsklage hier als vorbeugendes Rechtsschutzinstrument genutzt.922 Die für das feststellungsfähige Rechtsverhältnis erforderliche Verdichtung des zugrundeliegenden Sachverhalts soll in diesen Fällen spätestens dann eintreten, wenn sich die zuständige staatliche Stelle mit einer Handlungsbefugnis berühmt,923 ein Vorgehen gegen die Rechtsuchenden ankündigt924 oder mit einer Maßnahme wie mit der Einleitung eines Bußgeldverfahrens oder einer Strafanzeige droht925.926 Aufgrund dieser Eingrenzung betrifft die vorbeugende Feststellungsklage einen bereits überschaubaren und keinen zukünftigen Sachverhalt.927 in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 104. etwa BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017, Az. 1 BvR 1314/12, BVerfGE 145, 20, juris Rn. 86; Nichtannahmebeschluss vom 19. November 2018, Az. 1 BvR 1335/18, juris Rn. 5; Ablehnung einstweilige Anordnung vom 10. März 2020, Az. 1 BvQ 15/20, juris Rn. 18; Nichtannahmebeschluss vom 9. Juli 2020, Az. 1 BvR 2067/17, juris Rn. 19; VG München, Urteil vom 8. Juli 2015, Az. M 18 K 14.1109, juris Rn. 28; VG Köln, Urteil vom 20. April 2018, Az. 9 K 3859/16, juris Rn. 54; zu § 41 FGO FG NDS, Urteil vom 25. Juli 2019, Az. 6 K 298/18, juris Rn. 21; Pietzcker, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 43 Rn. 49; nach einer engeren Auffassung soll nur dann von einer „vorbeugenden“ Feststellungsklage die Rede sein, wenn mit ihr unmittelbar festgestellt werden soll, dass die zuständige Behörde nicht zur Vornahme einer bestimmten Maßnahme befugt ist, so Schenke, AöR 95 (1970), 223, 226; ders./Roth, WiVerw 1997, 81, 99 f. 923  Vgl. etwa VG Arnsberg, Beschluss vom 23. Mai 2016, Az. 8 K 3614/15, juris Rn. 50. 924  Vgl. etwa VG Köln, Urteil vom 20. April 2018, Az. 9 K 3859/16, juris Rn. 36; zu § 41 FGO FG NDS, Urteil vom 25. Juli 2019, Az. 6 K 298/18, juris Rn. 36 f. 925  BVerwG, Urteil vom 13. Januar 1969, Az. I C 86.64, ­BVerwGE 31, 177, juris Rn. 18. 926  Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 104; konkrete Beispiele für eine Konkretisierung m. w. N. bei Redeker/Kothe/v. Nicolai, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, 17. Aufl. 2022, § 43 Rn. 7; großzügiger Schenke/Roth, WiVerw 1997, 81, 123 ff., die ein konkretisierendes Verhalten der zuständigen Behörde für entbehrlich halten. 927  Zur Abgrenzung etwa Möstl, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 60. Ed. 2022, § 43 Rn. 8; so auch Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 17. Aufl. 2021, Rn. 429; Siemer, in: FS Menger, 1985, S. 501, 513; Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 921  Sodan, 922  Vgl.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 195

Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung scheint zuletzt weniger strenge Anforderungen an das Kriterium des bestimmten, bereits überschaubaren Sachverhalts zu stellen: Der Sechste Senat des Bundesverwaltungsgerichts sah etwa bereits den schriftlichen Hinweis der zuständigen Behörde auf ihre Untersagungsbefugnis für die in Rede stehende Betätigung der Klägerin als ausreichende Konkretisierung des Rechtsverhältnisses im Rahmen einer vorbeugenden Feststellungsklage an.928 Ferner lassen die Gerichte regelmäßig auch ausreichen, dass hinreichend zum Ausdruck kommt, dass zwischen den Beteiligten eine konkrete Tatbestandsfrage strittig ist (hierzu sogleich unter (3)).929 Beispielsweise haben Gerichte darin eine ausreichende Verdichtung des Rechtsverhältnisses gesehen, dass die Rechtsuchenden vortragen, ein bestimmtes – bei Wirksamkeit der streitigen Norm verbotenes – Verhalten ausüben zu wollen und die beklagte Behörde wiederum auf ihrer Homepage erklärt, entsprechendes Verhalten ahnden zu wollen. Ein weiterer „Auslöser“ zur Verdichtung dieses Rechtsverhältnisses sei aufgrund der Bußgeldbewehrtheit des streitigen Verbots hier nicht erforderlich. Ein entsprechendes Berühmen oder eine Ankündigung von Maßnahmen soll im konkreten Einzelfall damit entbehrlich gewesen sein.930 Zum Teil gehen die Gerichte noch darüber hinaus und erachten bereits die klägerische Ankündigung als ausreichend, eine zukünftig verbotene Tätigkeit auch weiterhin ausüben zu wollen und die zuständige Behörde wiederum verpflichtet wäre, wegen dieser Tätigkeit einzuschreiten.931 Dass die Gerichte hier zum Teil weniger strenge Anforderungen an das feststellungsfähige Rechtsverhältnis stellen, kann darauf zurückzuführen sein, dass sie bei ihrer Subsumtion die Subsidiaritätsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigen. So hat etwa das Verwaltungsgericht Arnsberg ausdrücklich festgehalten, dass in Ansehung dieser Rechtsprechung „jedenfalls an das Vorliegen eines Rechtsverhältnisses im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO keine besonders strengen Anforderungen zu stellen“ sind.932

2018, § 43 Rn. 20, 104 und Terhechte, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 43 VwGO Rn. 47; a. A. Happ, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 43 Rn. 18, 32. 928  BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 2002, Az. 6 C 1/02, juris Rn. 21. 929  BVerwG, Urteil vom 30. November 2011, Az. 6 C 20/10, B ­ VerwGE 141, 223, juris Rn.  12 m. w. N. 930  VG Oldenburg, Urteil vom 7. August 2017, Az. 5 A 726/15, juris Rn. 16 f.; bestätigt durch OVG Lüneburg, Beschluss vom 11. Dezember 2020, Az. 4 LC 291/17, juris Rn. 30. 931  VG Hannover, Urteil vom 24. November 2008, Az. 10 A 1017/08, juris Rn. 29; ähnlich auch VG Berlin, Urteil vom 22. September 2008, Az. 35 A 15.08, juris Rn. 55. 932  VG Arnsberg, Beschluss vom 23. Mai 2016, Az. 8 K 3614/15, juris Rn. 44.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

Die Rechtsprechungslinie erscheint hier jedoch uneinheitlich. So halten wiederum andere Gerichte an den strengen Voraussetzungen der Verdichtung bzw. Konkretisierung des Rechtsverhältnisses fest und erachten eine konkrete Beanstandung oder Aufforderung der beklagten Behörde für erforderlich.933 Zur Begründung wird auf die vermeintlich strengeren Anforderungen nach der „Damokles-Rechtsprechung“ des Bundesverwaltungsgerichts verwiesen.934 Hier überschneidet sich die Frage nach der Verdichtung des Rechtsverhältnisses im Rahmen der vorbeugenden Feststellungsklage mit dem Erfordernis eines qualifizierten Feststellungsinteresses. Hierzu wird auf die folgenden Ausführungen zum Feststellungsinteresse verwiesen.935 Der Annahme eines entsprechend hinreichend konkreten Sachverhalts steht ferner nicht entgegen, dass die Erfolgsaussichten der Feststellungsklage davon abhängig sind, ob die inzidenter zu überprüfende Rechtsnorm gültig ist. Dem richterlichen Prüfungsrecht ist gerade immanent, dass die Gerichte dazu berufen sind, die Gültigkeit von untergesetzlichen wie formellen Rechtsnormen inzidenter zu überprüfen, wenn dies für den Ausgang des Rechtsstreits entscheidend ist.936 (3) Meinungsstreit Weiter hat nach der Rechtsprechung zwischen den Beteiligten des Rechtsverhältnisses ein Meinungsstreit zu bestehen, aus dem heraus sich eine Seite berühmt, ein bestimmtes Tun oder Unterlassen der anderen Seite verlangen zu können.937 Insoweit besteht hier eine nicht unerhebliche Schnittmenge mit der Voraussetzung des bestimmten, bereits überschaubaren Sachver933  VG München, Urteil vom 8. Juli 2015, Az. M 18 K 14.1109, juris Rn. 22; ähnlich auch VG München, Urteil vom 12. Oktober 2005, Az. M 18 K 04.4744, juris Rn. 24 ff., VG Köln, Beschluss vom 21. Juli 2008, Az. 20 L 945/08, juris Rn. 28 und VG Trier, Gerichtsbescheid vom 3. Juli 2020, Az. 9 K 1129/20.TR, juris Rn. 26 ff.; alle lediglich unter Verweis auf ältere höchstrichterliche Rechtsprechung. 934  So ausdrücklich etwa VG Trier, Gerichtsbescheid vom 3. Juli 2020, Az. 9 K 1129/20.TR, juris Rn. 24 f. unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 23. Januar 1992, Az. 3 C 50/89, ­BVerwGE 89, 327, juris Rn. 33. 935  Siehe nachfolgend S. 201 ff.; vgl. Möstl, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 60. Ed. 2022, § 43 Rn. 8. 936  BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1982, Az. 5 C 103/81, juris Rn. 10; Urteil vom 12. September 2019, Az. 3 C 3/18, B ­ VerwGE 166, 265, juris Rn. 22. 937  BVerwG, Urteil vom 23. Januar 1992, Az. 3 C 50/89, B ­ VerwGE 89, 327, juris Rn. 31; Urteil vom 23. August 2007, Az. 7 C 2/07, B ­ VerwGE 129, 199, juris Rn. 28. Nach wohl überwiegender Auffassung in der Literatur handelt es sich hierbei nicht um eine konstitutive Voraussetzung des feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses, siehe etwa Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 55; Ehlers, JURA 2007, 179, 182; Schenke/Roth, WiVerw 1997, 81, 126 ff.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 197

halts.938 Gemeint ist nämlich gerade nicht, „dass zwischen Normadressat und normanwendender Behörde etwa schriftlich ausgetauschte Divergenzen offenkundig geworden sein müssten“.939 Ausreichend ist nach der Rechtsprechung vielmehr, dass die zuständige Behörde Kenntnis von der abweichenden Rechtsauffassung der Rechtsuchenden hat und ihrerseits wiederum ihre anderslautende Auffassung zum Ausdruck gebracht hat. Dies kann sich etwa in einem Vortrag der Rechtsuchenden äußern, aufgrund einer behaupteten Verfassungswidrigkeit der jeweiligen gesetzlichen Regelung nicht einem bestimmten Ge- oder Verbot zu unterliegen, der wiederum von der beklagten Behörde zurückgewiesen wurde.940 Parallel zu der Voraussetzung des bestimmten, bereits überschaubaren Sachverhalts sehen die Gerichte zum Teil die Voraussetzung des Meinungsstreits bereits als erfüllt an, wenn ein Streit „allseits bekannt ist“.941 So hat etwa das Verwaltungsgericht Hannover öffentliche Erklärungen der Beteiligten zu ihrer jeweiligen Rechtsauffassung zur Gültigkeit der streitigen Rechtsnormen für ausreichend befunden. Eine weitere Konkretisierung zu fordern, wäre „reine Förmelei“.942 Auch hier hat sich jedoch noch keine einheitliche Rechtsprechungslinie herausbilden können. So hat exemplarisch das Niedersächsische Finanzgericht zur Parallelnorm des § 41 Abs. 1 FGO nicht ausreichen lassen wollen, dass auf eine Verlautbarung der Rechtsuchenden, eine bestimmte – gegebenenfalls ver­ botene – Tätigkeit ausüben zu wollen, das Finanzamt seine gegenteilige Rechtsauffassung in der abstrakten Form einer Rechtsbelehrung mitgeteilt hat.943 (4) Öffentlich-rechtliche Norm Schließlich muss auch eine öffentlich-rechtliche Norm im Streit stehen bzw. das streitige Rechtsverhältnis auf einer solchen beruhen. Für die Cha938  Pietzcker, 939  BVerwG,

in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 43 Rn. 17. Urteil vom 23.August 2007, Az. 7 C 2/07, ­BVerwGE 129, 199, juris

Rn. 28. 940  Ebd.; OVG NRW, Beschluss vom 22. Juni 2017, Az. 13 B 238/17, juris Rn. 21; VG Hannover, Urteil vom 24. November 2008, Az. 10 A 1017/08, juris Rn. 30; VG Oldenburg, Urteil vom 7. August 2017, Az. 5 A 726/15, juris Rn. 14 f.; VG Köln, Urteil vom 20. April 2018, Az. 9 K 3859/16, juris Rn. 40; für ein weites Verständnis des streitigen Rechtsverhältnisses auch Terhechte, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 43 VwGO Rn. 43. 941  VG Hannover, Urteil vom 24. November 2008, Az. 10 A 1017/08, juris Rn. 30 unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 23.August 2007, Az. 7 C 2/07, B ­ VerwGE 129, 199, juris Rn. 28. 942  Ebd. 943  FG NDS, Urteil vom 25. Juli 2019, Az. 6 K 298/18, juris Rn. 29 f.; bestätigt durch BFH, Beschluss vom 30. September 2020, Az. VII B 96/19.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

rakterisierung als „öffentlich-rechtlich“ kann auf die vorstehenden Ausführungen zur Frage der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO verwiesen werden.944 Die Rechtsnatur der öffentlich-rechtlichen Norm ist für die Statthaftigkeit der Feststellungsklage von keiner Bedeutung. Dass ein Rechtsverhältnis aufgrund eines Parlamentsgesetzes besteht – oder im Falle der Nichtigkeit eben nicht besteht –, steht der Zulässigkeit nicht entgegen. Wie dargelegt, kann lediglich die abstrakte Frage der Wirksamkeit eines Gesetzes nicht Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklage sein. Die Frage der Nichtigkeit einer Rechtsnorm selbst begründet kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis. Unschädlich ist jedoch, dass der Rechtsstreit wesentlich oder sogar allein von der Wirksamkeit einer inzidenter zu überprüfenden Rechtsnorm abhängt.945 Der Umstand, dass ein Parlamentsgesetz Gegenstand der Inzidentprüfung ist, kommt erst dann zum Tragen, wenn das entscheidende Gericht von der Nichtigkeit der jeweiligen Norm überzeugt ist und die Aussetzungs- und Vorlagepflicht des Art. 100 Abs. 1 GG ausgelöst wird. bb) Zwischenergebnis Die negative Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 Var. 2 VwGO kann als allgemeine Normenabwehrklage statthaft sein, wenn mit ihr das Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses aufgrund der Unwirksamkeit einer Rechtsnorm festgestellt werden soll. Unerheblich ist, ob es sich bei dem inzidenter zu überprüfenden öffentlich-rechtlichen Rechtssatz um eine untergesetzliche oder eine formelle Rechtsnorm handelt. Die Frage der Wirksamkeit der jeweiligen Norm ist dabei nicht (unmittelbar) Gegenstand des feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses. Das Rechtsverhältnis kann zwischen Normadressat und Normanwender konkret in der Gestalt bestehen, dass Ersterer von einem imperativen Geoder Verbot betroffen und Letzterer für den Vollzug bzw. die Überwachung der Befolgung zuständig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann über Art. 19 Abs. 4 GG im Einzelfall für untergesetzliche Rechtsnormen die Feststellungsklage unmittelbar gegen den Normgeber statthaft sein. Dies dürfte nicht auch auf die Feststellungsklage als Normenabwehrklage betreffend Parlamentsgesetze zu übertragen sein. Ein hinreichendes Rechtsschutzinstrument bietet hier die Rechtssatzverfassungsbeschwerde. 944  Siehe

zuvor S. 184 ff. Urteil vom 23. August 2007, Az. 7 C 2/07, ­BVerwGE 129, 199, juris

945  BVerwG,

Rn. 20.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 199

An die erforderliche „Verdichtung“ des Verhältnisses zwischen Staat und Privaten in Form eines bestimmten und streitigen Sachverhalts werden – in Zusammenschau mit dem erforderlichen Feststellungsinteresse946 – uneinheitliche Anforderungen gestellt. Die Tendenz in der Rechtsprechung scheint jedoch dahin zu gehen, die Anforderungen an die Konkretisierung des Rechtsverhältnisses herabzusetzen. Dies ist vor dem Hintergrund der strengen Subsidiaritätsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu begrüßen. c) Klagebefugnis Bis heute wird die Frage uneinheitlich beantwortet, ob für die Zulässigkeit der Feststellungsklage eine Klagebefugnis analog zu § 42 Abs. 2 VwGO zu fordern ist. Dieser Auffassung ist überwiegend die Rechtsprechung.947 Teile der Literatur sehen hingegen im Erfordernis des Feststellungsinteresses nach § 43 Abs. 1 a. E. VwGO eine ausreichende individuelle Verknüpfung der Rechtsuchenden mit ihrem Feststellungsbegehren.948 Die Streitfrage ist an dieser Stelle zu vernachlässigen. Für die Ausprägung der Feststellungsklage als Normenabwehrklage gelten keine Besonderheiten. Insoweit ist nach der Rechtsprechung für die Feststellungsklage auch in dieser Ausprägung zu prüfen, ob die Rechtsuchenden geltend machen können, in ihren Rechten verletzt zu sein, entweder aufgrund einer eigenen Beteiligung an dem fest­ zustellenden Rechtsverhältnis oder weil von dem Rechtsverhältnis eigene Rechte abhängen.949 d) Passivlegitimation Nach dem allgemeinen Rechtsträgerprinzip ist hier der Rechtsträger derjenigen staatlichen Stelle passivlegitimiert, welcher gegenüber festzustellen ist, 946  Dazu

sogleich nachfolgend S. 201 ff. Rspr., siehe nur BVerwG, Urteil vom 26. Januar 1996, Az. 8 C 19/94, BVerwGE 100, 262, juris Rn. 20; Urteil vom 28. Juni 2000, Az. 11 C 13/99, ­ ­BVerwGE 111, 276, juris Rn. 32; so auch aus der Literatur Happ, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 43 Rn. 4; Terhechte, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 43 VwGO Rn. 54 f.; Ehlers, NVwZ 1990, 105, 110 f.; ders., JURA 2007, 179, 188. 948  Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5.  Aufl. 2018, § 43 Rn. 72; Knöpfle, in: FS Lerche, 1993, S. 771, 783 f.; Laubinger, VerwArch 82 (1991), 459, 491 ff.; Hammerl, ZLR 1995, 15, 21. 949  BVerwG, Urteil vom 2. Dezember 2015, Az. 10 C 18/14, juris Rn. 16 ff.; VG Sigmaringen, Urteil vom 31. März 2004, Az. 5 K 1526/02, juris Rn. 22; VG Berlin, Urteil vom 22. September 2008, Az. 35 A 15.08, juris Rn. 58. 947  St.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

dass das Rechtsverhältnis nicht besteht.950 Dies hat für Bundesgesetze regelmäßig über Art. 30, 83 ff. GG zur Konsequenz, dass das Land als Rechtsträger der mit dem Normvollzug bzw. der Rechtsdurchsetzung betrauten Behörde den Rechtssatz eines anderen Rechtsträgers – der Bundesrepublik – vor Gericht zu verteidigen hat.951 In diesen Fällen kann der Normgeber jedoch beizuladen sein.952 Dass in aller Regel das Land in seiner Stellung als Rechtsträger richtiger Beklagter ist, gilt auch für self-executing Gesetze. Hier ist auf die Befugnis zur Überwachung der Einhaltung der Norm abzustellen.953 Wiederum ist die Feststellungsklage ausnahmsweise gegen den Bund zu richten, wenn ein Fall der bundeseigenen Verwaltung vorliegt.954 Soweit – entgegen der hier vertretenen Auffassung – ausnahmsweise auch Feststellungsklagen unmittelbar gegen den parlamentarischen Normgeber statthaft sein sollten,955 wäre die Klage gegen den Bund zu richten, wenn dem streitigen Rechtsverhältnis eine Bundesnorm zugrunde liegt. e) Zuständigkeit des angerufenen Gerichts Auch hinsichtlich der gerichtlichen Zuständigkeit ergeben sich keine Besonderheiten. In sachlicher Hinsicht folgt die erstinstanzliche Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte aus § 45 VwGO. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich regulär nach § 52 Nr. 5 VwGO. Für die Argumentation, dass dadurch kein Bruch mit der Zuständigkeitsregelung nach § 47 VwGO begründet wird oder Entscheidungskompetenzen beim Verwaltungsgericht Berlin konzentriert werden, kann auf vorstehende Ausführungen verwiesen werden.956

950  Vgl. Terhechte, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 43 VwGO Rn. 62; Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 78 Rn. 3. 951  Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 58c; dazu kritisch auch Geis, in: FS Schenke, 2011, S. 709, 717 und Hufen, in: FS Schenke, 2011, S. 803, 809. 952  Happ, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 43 Rn. 45; so auch Pils, JA 2011, 113, 115; nach Seiler liegt hier kein Fall der notwendigen Beiladung vor, ders., DVBl 2007, 538, 539. 953  Happ, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 43 Rn. 45. 954  Vgl. abermals für eine entsprechende Fallgestaltung BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2000, Az. 11 C 13/99, B ­ VerwGE 111, 276; dazu Weidemann, NVwZ 2006, 1259, 1260. 955  Vgl. abermals zu diesem Ausnahmefall BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2010, Az. 8 C 19/09, B ­ VerwGE 136, 54, juris Rn. 28 ff.; zu den Bedenken dagegen zuvor S. 190 ff. 956  Siehe zuvor S. 172 ff.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 201

f) Feststellungsinteresse aa) Berechtigtes Interesse Ferner setzt § 43 Abs. 1 a. E. VwGO ein berechtigtes Interesse der Rechtsuchenden an der baldigen Feststellung voraus. Nach ständiger Rechtsprechung fällt hierunter nicht nur ein rechtliches Interesse, sondern darüber hinaus soll jedes als schutzwürdig anzuerkennendes hinreichend gewichtiges Interesse wirtschaftlicher oder ideeller Art ausreichend sein.957 Entscheidend ist: Die Feststellungsklage muss geeignet sein, die Rechtsposition der Rechtsuchenden zu verbessern.958 Dies ist für die Feststellungsklage in ihrer Ausgestaltung als allgemeine Normenabwehrklage betreffend self-executing Gesetze grundsätzlich dann der Fall, wenn unter Zuhilfenahme dieses Rechtsschutzinstruments erzielt werden kann, dass ein bestimmtes Ge- oder Verbot für eine bestimmte Betätigung der Rechtsuchenden bzw. das Unterlassen einer solchen keine Anwendung findet. Regelmäßig besteht ein wirtschaftliches Interesse der Rechtsuchenden, wenn ein bestimmtes Verbot eine vermeintlich lukrative unternehmerische Betätigung beschränkt oder gänzlich untersagt.959 Parallel besteht auch ein entsprechendes wirtschaftliches Inte­resse, Regelungen nicht zu unterfallen, die durch etwaige erforderlich werdende wirtschaftliche Dispositionen die Kostenlast für eine unternehmerische Betätigung vermeintlich erhöhen.960 Neben diesen wirtschaftlichen Gesichtspunkten kann auch ein ideelles Interesse an der Feststellung in Betracht kommen. So etwa, wenn das streitige Gesetz den Rechtsuchenden eine bestimmte Freizeitaktivität untersagt.961 Die Rechtsprechung scheint hier die Anforderungen an das Feststellungsinteresse für Feststellungsklagen in Gestalt der Normenabwehrklage nicht zu

957  Siehe nur BVerwG, Urteil vom 29. Juni 1995, Az. 2 C 32/94, B ­ VerwGE 99, 64, juris Rn. 18; Urteil vom 26. Januar 1996, Az. 8 C 19/94, juris Rn. 20; siehe auch BT-Drs. 55/3, S. 32. 958  St. Rspr. siehe nur BVerwG, Urteil vom 6. Februar 1986, Az. 5 C 40/84, ­BVerwGE 74, 1, juris Rn. 28; Beschluss vom 20. Dezember 2017, Az. 6 B 14/17, juris Rn.  13 m. w. N. 959  So etwa bei VG Berlin, Urteil vom 22. September 2008, Az. 35 A 15.08, juris Rn. 54, VG Hannover, Urteil vom 24. November 2008, Az. 10 A 1017/08, juris Rn. 33 oder bei VG Bremen, Beschluss vom 9. Juli 2015, Az. 5 K 171/13, juris Rn. 66. 960  So etwa bei VG Köln, Urteil vom 20. April 2018, Az. 9 K 3859/16, juris Rn.  54 ff. 961  So etwa bei VG Sigmaringen, Urteil vom 31. März 2004, Az. 5 K 1526/02, juris Rn. 22 oder VG Oldenburg, Urteil vom 7. August 2017, Az. 5 A 726/15, juris Rn. 22.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

überspannen.962 Zuweilen sehen die Gerichte bereits die bestehende Klagebefugnis für ausreichend an.963 Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung kann Rechtsuchenden insbesondere auch nicht entgegengehalten werden, dass ein Feststellungsurteil sich in seiner Wirkung auf ein Bundesland beschränkt, bedingt durch den Umstand, dass die Klage gegen das jeweilige Bundesland als Rechtsträger der jeweils für die Durchsetzung der Rechtsnorm zuständigen Behörde gerichtet ist. So soll das wirtschaftliche Interesse der Rechtsuchenden an der Feststellung auch bestehen, wenn sie noch in weiteren Bundesländern tätig sind und das fragliche Gesetz ihnen dort ihre jeweilige wirtschaftliche Betätigung ebenfalls untersagt.964 bb) Qualifiziertes Feststellungsinteresse Zu beachten ist jedoch, dass die herrschende Auffassung im Rahmen von vorbeugenden Feststellungsklagen ein qualifiziertes Feststellungsinteresse fordert.965 Dies ist zurückzuführen auf den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gewaltenteilung und auf die Entscheidung für ein im Kern repressives Rechtsschutzsystem.966 Hiervon ist nur ausnahmsweise abzuweichen, wenn Rechtsuchenden nicht zuzumuten ist, die jeweilige Maßnahme abzuwarten und repressive Rechtsschutzmittel – zu denen auch der vorläufige Rechtsschutz nach § 123 VwGO oder § 80 Abs. 5 VwGO zählt – in Anspruch zu nehmen.967 Ein Fall der Unzumutbarkeit liegt vor, wenn die Gefahr besteht, dass repressiver Rechtsschutz nicht mehr rechtzeitig erzielt werden könnte und Rechtsuchende ohne Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes so 962  So

VG Bremen, Beschluss vom 9. Juli 2015, Az. 5 K 171/13, juris Rn. 65. VG Sigmaringen, Urteil vom 31. März 2004, Az. 5 K 1526/02, juris

963  Vgl.

Rn. 22. 964  BVerwG, Urteil vom 23. August 2007, Az. 7 C 13/06, juris Rn. 29 f.; so auch VG Hannover, Urteil vom 24. November 2008, Az. 10 A 1017/08, juris Rn. 33. 965  BVerwG, Urteil vom 7. Mai 1987, Az. 3 C 53/85, ­ BVerwGE 77, 207, juris Rn. 25; Urteil vom 30. September 1999, Az. 3 C 39/98, juris Rn. 21; Selb, Die verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage, 1998, S. 112, 154 f.; Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 105; a. A. Pietzcker, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 43 Rn. 34 mit dem Argument, dass Feststellungsklagen stets zukunftsgerichtete, „vorbeugende“ Elemente enthielten. 966  BVerwG, Urteil vom 25. September 2008, Az. 3 C 35/07, B ­ VerwGE 132, 64, juris Rn. 26; Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, Vorbem. § 40 Rn. 33; Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 17. Aufl. 2021, Rn. 442; Huber, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 19 Rn. 467 f. 967  BVerwG, Urteil vom 8. September 1972, Az. IV C 17.71, B ­ VerwGE 40, 323, juris Rn. 29; Urteil vom 25. September 2008, Az. 3 C 35/07, ­BVerwGE 132, 64, juris Rn. 26; Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 105; Möstl, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 60. Ed. 2022, § 43 Rn. 27.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 203

vor nicht mehr zu korrigierende Tatsachen gestellt werden oder ihnen schwere nicht mehr wiedergutzumachende Nachteile drohen.968 Hinsichtlich der vorbeugenden Feststellungsklage ist an dieser Stelle zu beachten, dass hier nicht der Fall erfasst sein soll, dass die im Einzelfall streitgegenständliche Regelung überhaupt noch nicht erlassen wurde. Unabhängig davon, dass für eine entsprechende Feststellungsklage zumindest betreffend den Erlass eines Parlamentsgesetzes der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet sein dürfte, bestünde in diesen Fällen regelmäßig gerade kein anerkennungswürdiges Rechtsschutzbedürfnis und damit auch kein entsprechendes Feststellungsinteresse.969 Für die Anforderungen an ein qualifiziertes Feststellungsinteresse ist zu unterscheiden: Einerseits sind self-executing Normen zu betrachten, die als weiteren Normvollzug lediglich die Ahndung als Straftat oder Ordnungswidrigkeit vorsehen. Daneben stehen solche self-executing Normen, die (darüber hinaus) weiteren Normvollzug zulassen.970 (1) Straf- bzw. bußgeldbewehrte Normen Nach der bereits für das Verfassungsprozessrecht dargelegten sogenannten Damokles-Rechtsprechung971 ist das Abwarten von hoheitlichen Maßnahmen für Rechtsuchende zumindest dann unzumutbar, wenn ihnen als Vollzugsmaßnahme bzw. Überwachungsmaßnahme bezüglich der Normeinhaltung die Einleitung eines Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahrens droht. Den Rechtsuchenden soll nicht zugemutet werden, verwaltungsrechtliche Zweifelsfragen „auf der Anklagebank“ erleben zu müssen.972 Insoweit ist hinsichtlich der „Damokles-Rechtsprechung“ im Verfassungsbeschwerdeverfahren und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu unterscheiden. Wie im Rahmen der Ausführungen zur Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde dargelegt, besteht nach vorzugswürdiger Auffassung keine Pflicht, auch betreffend die Wirksamkeit strafbewehrter Normen zunächst die Verwaltungsgerichte über eine Feststellungsklage – verbunden mit einem 968  BVerwG, Urteil vom 23. Mai 1986, Az. 8 C 5/85, juris Rn. 28; Möstl, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 60. Ed. 2022, § 43 Rn. 27; dazu auch Bauer, Gerichtsschutz als Verfassungsgarantie, 1973, S. 97 ff. 969  Wysk, in: ders., VwGO, 3. Aufl. 2020, § 43 Rn. 64; dazu auch Sodan, in: ders./ Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 42 Rn. 60. 970  Zu dieser Unterscheidung zuvor S. 133 ff. 971  Siehe zuvor S. 91 ff. 972  BVerwG, Urteil vom 13. Januar 1969, Az. I C 86.64, B ­ VerwGE 31, 177, juris Rn. 19; Beschluss vom 9. Dezember 1999, Az. 6 B 35/99, juris Rn. 4; aus der Literatur etwa Terhechte, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 43 VwGO Rn. 58.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz – zu bemühen. Aufgrund der fehlenden Bindungswirkung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen für die Strafverfolgungsbehörden sowie die Strafgerichte ist den Rechtsuchenden nicht zuzumuten, sich einem Strafbarkeitsrisiko auszusetzen. Dies hat jedoch nicht zwangsläufig zur Folge, dass eine Feststellungsklage in diesen Fällen nicht in Betracht kommen kann. Bereits der Einfluss, den eine Entscheidung im Verwaltungsgerichtsverfahren auf die strafrechtliche Schuldfrage haben kann, rechtfertigt die Annahme eines Feststellungsinteresses.973 Dies gilt umso mehr, berücksichtigt man die uneinheitliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der Frage, ob bei strafbewehrten Normen der Weg über die Rechtssatzverfassungsbeschwerde unmittelbar eröffnet ist.974 Um die mögliche Strafbarkeit ihres Verhaltens effektiv klären zu lassen, erscheint nicht zumutbar, die Rechtsuchenden insoweit auf die Anklagebank an den Strafgerichten zu verweisen, wo im Zweifel nicht zu einer Klärung der verwaltungsrechtlichen Streitfrage beigetragen würde.975 (a) Erfordernis einer konkreten Sanktionsgefahr? Parallel zur Frage, inwieweit sich das Rechtsverhältnis bereits verdichtet bzw. konkretisiert haben muss, ist problematisch, ob die verantwortliche Stelle konkret mit einer Strafanzeige oder der Einleitung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens gedroht haben muss oder ob bereits die abstrakte Sank­ tionsgefahr ein qualifiziertes Feststellungsinteresse begründen kann. Der ursprünglichen Damokles-Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts lag der Sachverhalt zugrunde, dass die zuständige Behörde bereits ausdrücklich mit einer Strafanzeige gedroht hatte.976 Auch in darauffolgenden Entscheidungen hielt das Gericht an dem Erfordernis eines konkreten Verfolgungsrisikos fest.977 Die wohl herrschende Auffassung in der Literatur will hingegen ein 973  BVerwG, Urteil vom 13. Januar 1969, Az. I C 86.64, B ­ VerwGE 31, 177, juris Rn. 19; VGH BW, Urteil vom 5. März 2009, Az. 5 S 2398/07, juris Rn. 21; Wysk, in: ders., VwGO, 3. Aufl. 2020, § 43 Rn. 23; Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 86; Schenke/Roth, WiVerw, 1997, 81, 142. 974  Zu dieser Rechtsprechung zuvor S. 91 ff. 975  Vgl. Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 86. 976  BVerwG, Urteil vom 13. Januar 1969, Az. I C 86.64, B ­ VerwGE 31, 177, juris Rn. 18 f. unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 9. Mai 1957, Az. I C 31.54, ­BVerwGE 4, 363; die Begrifflichkeit geht hingegen zurück auf BVerwG, Urteil vom 23. Januar 1992, Az. 3 C 50/89, ­BVerwGE 89, 327, juris Rn. 33. 977  BVerwG, Urteil vom 7. Mai 1987, Az. 3 C 53.85, B ­ VerwGE 77, 207, juris Rn. 24; Urteil vom 23. Januar 1992, Az. 3 C 50/89, ­BVerwGE 89, 327, juris Rn. 33; Beschluss vom 9. Dezember 1999, Az. 6 B 35/99, juris Rn. 9; so etwa auch VG München, Urteil vom 12. Oktober 2005, Az. M 18 K 04.4744, juris Rn. 34; Urteil vom 17. Juli 2019, Az. M 18 K 17.4163, juris Rn. 25.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 205

objektives Verfolgungsrisiko ausreichen lassen.978 Erforderlich sei lediglich die „begründete Besorgnis“ einer Sanktionierung.979 Diese soll zumindest durch einen Streit über die Rechte und Pflichten der Betroffenen indiziert werden, ohne dass dieser notwendige Bedingung für das Feststellungsinteresse wäre.980 Ausreichend sei vielmehr bereits, dass sich ein solcher Streit abzeichnet. Schenke/Roth schlagen als Anhaltspunkt etwa vor, dass die zuständige Behörde bereits ihre anderslautende Rechtsauffassung kundgegeben hat. Auch soll das Feststellungsinteresse hier durch eine derart objektiv unklare Rechtslage gerechtfertigt werden, bei der ein Pflichtverstoß und damit eine Sanktionierung „ernstlich in Betracht gezogen werden muss“.981 Dieses weite Verständnis scheint vermehrt auch in der Rechtsprechung Berücksichtigung zu finden. Anders als in den zitierten Entscheidungen hat das Bundesverwaltungsgericht nachfolgend bereits die abstrakte Sanktionsgefahr ausreichen lassen, soweit zumindest ein Pflichtenverstoß der Rechtsuchenden in Rede stand.982 Diesen Maßstab legen zum Teil auch unterinstanzliche Gerichte bei ihrer Prüfung des qualifizierten Feststellungsinteresses an.983 Zum Teil auch ohne Verweis auf gesteigerte Anforderungen an ein qualifiziertes Feststellungsinteresse werden hier bereits Meinungsverschiedenheiten über das fragliche Gebot bzw. Verbot als ausreichend gesehen, wenn die Zuwiderhandlung mit einem Bußgeld oder als Straftat geahndet werden könnte.984 978  Schenke/Roth, WiVerw 1997, 81, 144  ff.; Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 43 Rn. 24; Hufen, ZLR 1989, 562, 574; Dickersbach, GewArch 1989, 41, 49; Ehlers, in: ders./Schoch, Rechtsschutz im Öffentlichen Recht, 2021, § 30 Rn. 52; Selb, Die verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage, 1998, S. 158; in diese Richtung auch Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 89 und Terhechte, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 43 VwGO Rn. 58; a. A. Hammerl, ZLR 1995, 15, 17, 21; Mahn, ZLR 1993, 217, 225. 979  Schenke/Roth, WiVerw 1997, 81, 151  ff.; ähnlich bereits Schenke, AöR 95 (1970), 223, 259; so auch Ehlers, in: ders./Schoch, Rechtsschutz im Öffentlichen Recht, 2021, § 30 Rn. 52. 980  Schenke/Roth, WiVerw 1997, 81, 152. 981  Ebd. 982  BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2010, Az. 8 C 19/09, B ­ VerwGE 136, 54, juris Rn. 42; Urteil vom 23. Juni 2016, Az. 2 C 18/15, juris Rn. 20; Urteil vom 16. Dezember 2016, Az. 8 C 6/15, B ­ VerwGE 157, 126, juris Rn. 15; Urteil vom 28. März 2018, Az. 8 C 9/17, B ­ VerwGE 161, 334, juris Rn. 13; Urteil vom 12. September 2019, Az. 3 C 3/18, B ­ VerwGE 166, 265, juris Rn. 29; zum Pflichtenverstoß BVerwG, Urteil vom 14. April 2005, Az. 3 C 31/04, juris Rn. 12. 983  Siehe etwa OVG NRW, Beschluss vom 22. Juni 2017, Az. 13 B 238/17, juris Rn. 26; ähnlich VGH Bayern, Urteil vom 26. März 2001, Az. 9 B 96.1129, juris Rn. 32; VG Freiburg (Breisgau), Urteil vom 10. Dezember 2019, Az. 8 K 6149/18, juris Rn. 26. 984  OVG RP, Urteil vom 13. März 2019, Az. 8 A 11522/18, juris Rn. 33; VG Köln, Urteil vom 20. April 2018, Az. 9 K 3859/16, juris Rn. 58; VG Karlsruhe, Urteil vom 11. August, 2020, Az. 14 K 6725/19, juris Rn. 23 f.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

Einzelne Gerichte sehen es dabei nicht einmal als erforderlich an, dass die Rechtsansichten individuell unter den Beteiligten ausgetauscht werden müssen.985 In diesem Kontext weist Sodan darauf hin, dass sich die zuständige Behörde – wegen Art. 19 Abs. 4 GG – zumindest nicht dauerhaft dadurch einer Feststellungsklage entziehen kann, dass sie sich weigert, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen oder Stellung zu einer Rechtsfrage zu beziehen.986 Ein qualifiziertes Feststellungsinteresse soll regelmäßig jedoch dann ausscheiden, wenn die zuständige Behörde bereits ernsthaft erklärt hat, nicht wegen des vermeintlichen Verstoßes gegen die Betroffenen vorgehen zu wollen.987 Ein bloß zeitlicher Aufschub des Sanktionsverfahrens für die Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens führt jedoch nicht zum Entfall des Feststellungsinteresses.988 (b) Stellungnahme Vorzugswürdig erscheint der Ansatz, bereits die abstrakte Gefahr der Sanktionierung unmittelbar durch Gesetz ver- oder gebotenen Verhaltens für die Annahme eines qualifizierten Feststellungsinteresses ausreichen zu lassen, soweit ein Pflichtenverstoß auf Seiten der Rechtsuchenden in Rede steht und mithin die „begründete Besorgnis“989 einer Sanktionierung besteht. Dies stützt sich im Wesentlichen darauf, dass der Gedanke der „Damokles-Rechtsprechung“, dass Rechtsuchende verwaltungsgerichtliche Streitfragen nicht auf der Anklagebank zu klären haben, auch ohne das konkrete Inaussichtstellen einer Strafanzeige oder der Einleitung eines Bußgeldverfahrens verfängt. Eröffnen die Verwaltungsgerichte hier nicht den Weg über die allgemeine Feststellungsklage, würden die Rechtsuchenden in den gegenständlichen Fallgestaltungen rechtsschutzlos gestellt. Käme es auf ein vorgeschaltetes Einschrei985  VG Hannover, Urteil vom 24. November 2008, Az. 10 A 1017/08, juris Rn. 33, 30; VG Oldenburg, Urteil vom 7. August 2017, Az. 5 A 726/15, juris Rn. 16, 22. 986  Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 89, 50; ähnlich Kopp/ Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 43 Rn. 24; Schenke/Roth, WiVerw 1997, 81, 149 ff.; dies erkennend auch VG Trier, Gerichtsbescheid vom 3. Juli 2020, Az. 9 K 1129/20.TR, juris Rn. 26. 987  BVerwG, Urteil vom 30. Mai 1985, Az. 3 C 28/84, juris Rn. 15; OVG NRW, Beschluss vom 25. August 2017, Az. 13 B 762/17, juris Rn. 19; anders in einer vergleichbaren Sachlage im Verfassungsprozess BVerfG, Einstweilige Anordnung ­ vom 4. Mai 2012, Az. 1 BvR 367/12, BVerfGE 131, 47, juris Rn. 34; Dickersbach, ­GewArch 1989, 41, 49. 988  BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2010, Az. 8 C 19/09, B ­ VerwGE 136, 54, juris Rn. 42. 989  So Schenke/Roth, WiVerw 1997, 81, 151 ff.; ähnlich bereits Schenke, AöR 95 (1970), 223, 259.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 207

ten der Behörde an, hätte diese es in der Hand, über die Rechtsschutzmöglichkeiten der Betroffenen zu disponieren.990 Den Rechtsuchenden stünde keine Alternative zur Verfügung, eine Klärung der Rechtslage zu erzielen, wenn ihnen hier ihr qualifiziertes Feststellungsinteresse abgesprochen wird. Zwar sieht das Gesetz die Möglichkeit vor, mittels Verfassungsbeschwerde auch Rechtsschutz unmittelbar gegen Rechtssätze erzielen zu können (§ 93 Abs. 3 BVerfGG), doch dürften entsprechende Rechtssatzverfassungsbeschwerden regelmäßig aufgrund der dargestellten Subsidiaritätserwägungen des Bundesverfassungsgerichts scheitern.991 In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Vorrangigkeit der verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklage in Fällen, in denen sich die Beschwerdeführenden gegen bußgeld- oder strafbewehrte Normen gewandt haben, hat das Gericht keine entsprechenden Erwägungen dazu angestellt, dass hier die vorbeugende Feststellungsklage nur dann in Betracht käme, wenn die zuständige Behörde bereits Drohungen mit Bußgeldern oder Strafanzeigen ausgesprochen hätte.992 Wenn die Verwaltungsgerichte dies bei ihren Entscheidungen nicht berücksichtigen, könnten Rechtsuchende dem Dilemma gegenüberstehen, dass der Weg zu den Verfassungsgerichten aufgrund Subsidiaritätserwägungen versperrt ist und die Verwaltungsgerichte sich zugleich unter Verweis auf ein fehlendes Feststellungsinteresse einer Sachentscheidung enthalten. Vereinzelt erkennen die Fachgerichte diese Gefahr und berücksichtigen die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung entsprechend.993 Das Bundesverfassungsgericht nimmt dadurch auch nicht in unberechtigter Weise Einfluss auf die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung. Wie gezeigt, scheint auch das Bundesverwaltungsgericht in der jüngeren Rechtsprechung dazu zu neigen, bereits die abstrakte Gefahr der Ahndung auszureichen zu lassen, sodass das Bundesverfassungsgericht hier keine neuen verwaltungsprozessualen Wege vorgibt. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Trier aus dem Jahr 2020. Hier vertritt die Kammer die Auffassung, dass die vorbeugend erhobene Feststellungsklage mangels einer konkret ausgesprochenen Drohung mit einem Bußgeld oder einer Strafanzeige am fehlenden Feststellungsinte­

990  Vgl. Schenke/Roth, WiVerw 1997, 81, 146; Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 89, 50. 991  Vgl. dazu zuvor S. 91 ff. 992  Vgl. bspw. BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017, Az. 1 BvR 1314/12, BVerfGE 145, 20, juris Rn. 86; Nichtannahmebeschluss vom 19. November 2018, Az. 1 BvR 1335/18, juris Rn. 5; Ablehnung einstweilige Anordnung vom 10. März 2020, Az. 1 BvQ 15/20, juris Rn. 18; Nichtannahmebeschluss vom 9. Juli 2020, Az. 1 BvR 2067/17, juris Rn. 19. 993  VG Arnsberg, Beschluss vom 23. Mai 2016, Az. 8 K 3614/15, juris Rn. 41 ff.; VG München, Urteil vom 8. Juli 2015, Az. M 18 K 14.1109, juris Rn. 25.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

resse scheitern müsse.994 Jedoch hat das Gericht die Berufung wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen, um der Klägerin die Möglichkeit zu geben, klären zu lassen, ob die Gefahr der Ahndung tatsächlich konkret vorzuliegen hat. Dies erschien der Kammer angezeigt, da auch der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz im Rahmen von Rechtssatzerfassungsbeschwerden Betroffene über den Grundsatz der Subsidiarität – trotz in Rede stehender bußgeld- bzw. strafbewehrter Verpflichtungen – auf die negative Feststellungsklage vor den Verwaltungsgerichten verwiesen hatte, ohne dass es hier ersichtlich auf konkrete Drohungen angekommen wäre.995 Darüber hinaus besteht für die Rechtsuchenden auch aufgrund der bloß abstrakten Sanktionsgefahr ein vergleichbarer Druck, ihr Verhalten zu ändern, um nicht weiterhin vermeintlich rechtswidrig zu agieren und der Gefahr der Sanktionierung ausgesetzt zu sein. Die Sanktionierungsmöglichkeit besteht gerade von Gesetzes wegen und sieht als Tatbestandsmerkmal nicht vor, dass die zuständige Behörde zunächst ein Vorgehen gegen die Betroffenen konkret angedroht haben muss.996 Soweit durch eine ihnen zuzurechnende Betätigung oder ein Unterlassen ein sanktionierungswürdiger Pflichtenverstoß in Rede steht, haben die Betroffenen mit einer entsprechenden Ahndung zu rechnen. Dieser Gesichtspunkt klingt bereits in der „Damokles-Entscheidung“ selbst an, wenn der Senat betont, dass das Feststellungsinteresse hier auch durch „die Unsicherheit in der kaufmännischen Disposition“ gerechtfertigt werde.997 Dass Rechtsuchende sich von dieser Unsicherheit erst dann mittels verwaltungsgerichtlicher Klage befreien können sollen, wenn die zuständige Behörde ein Einschreiten angekündigt hat, erscheint nicht überzeugend. Dies gilt selbst dann, wenn die zuständige Behörde ausdrücklich erklärt hat, dass sie wegen des vermeintlich rechtswidrigen Verhaltens vorerst nicht gegen den Rechtsuchenden einschreiten will. Auch hier sähen sich die Betroffenen mit rechtlicher Unsicherheit konfrontiert. In der Literatur ist insoweit von einer „lähmenden Ungewissheit“ die Rede, die einen ordnungsgemäßen Geschäftsbetrieb behindert.998 Rechtsuchende können nicht absehen, 994  VG Trier, Gerichtsbescheid vom 3. Juli 2020, Az. 9 K 1129/20.TR, juris Rn.  26 ff. 995  Ebd., Rn. 31 unter Verweis auf VerfGH RP, Beschluss vom 29. April 2020, Az. VGH B 26/20, juris Rn. 14 und Beschluss vom 30. April 2020, Az. VGH B 25/20, juris Rn. 11. 996  Zu diesem Aspekt Schenke/Roth, WiVerw 1997, 81, 149 f.; ähnlich auch Hufen, ZLR 1989, 562, 573 f. 997  Siehe abermals BVerwG, Urteil vom 13. Januar 1969, Az.  I C 86.64, ­BVerwGE 31, 177, juris Rn. 19. 998  Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 106 und Dickersbach, GewArch 1989, 41, 47.



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ob die Behörde in Zukunft nicht doch einschreiten will, sodass sie sich bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt veranlasst sehen könnten, ihr Verhalten anzupassen, um etwa der Gefahr künftiger Bußgelder zu entgehen. Etwas anderes kann nur gelten, wenn die zuständige Stelle ankündigt, generell von einer Ahndung Abstand nehmen zu wollen. (2) Sonstiger Normvollzug möglich Wie zuvor erläutert, können auch self-executing Normen mittelbarer Gegenstand von Feststellungsklagen sein, die – gegebenenfalls neben der Ahndung als Straftat oder Ordnungswidrigkeit – weiteren Normvollzug zulassen. Vor dem Hintergrund des Vorrangs des repressiven Rechtsschutzes könnte hier den Rechtsuchenden das berechtigte Feststellungsinteresse abzusprechen sein. Regelmäßig besteht dann nämlich die Möglichkeit, einen Vollzugsakt abzuwarten und diesen anschließend wiederum beispielsweise mit einer Anfechtungsklage – gegebenenfalls in Verbindung mit einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO – anzugreifen.999 Exemplarisch ist für eine entsprechende Rechtsgestaltung das Glücksspielrecht anzuführen. Wie der Wortlaut von § 4 Abs. 1 Satz 2 GlüStV 2021 zeigt („sind verboten“), handelt es sich bei dem Verbot unerlaubten Glücksspiels um eine unmittelbar wirkende Bestimmung. Ein Verstoß kann nach § 28a Abs. 1 Nr. 1 GlüStV 2021 einerseits als Ordnungswidrigkeit und über § 284 Abs. 1 StGB andererseits als Straftat geahndet werden. Zugleich ist jedoch in Form der Untersagungsverfügung nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV 2021 daneben weiterer Normvollzug möglich. Soweit in diesen Fällen die Sanktionierung einer Zuwiderhandlung gegen die self-executing Vorschrift in Rede steht, ohne dass für die Tatbestandserfüllung weiterer Normvollzug erforderlich wäre (vgl. § 28a Abs. 1 Nr. 1 GlüStV 2021 und § 284 Abs. 1 StGB), muss hier das qualifizierte Feststellungsinteresse grundsätzlich bejaht werden. Es gelten die vorgenannten Grundsätze.1000 Für den Fall, dass eine self-executing Norm lediglich Ordnungsmaßnahmen zur Überwachung ihrer Einhaltung vorsieht, kann aufgrund des Vorrangs des repressiven Rechtsschutzes nur ausnahmsweise ein berechtigtes Feststellungsinteresse angenommen werden. Dies ist insbesondere der Fall, wenn nicht mehr wiedergutzumachende Schäden drohen, eine Vielzahl gleichartiger Rechtsakte anzugreifen wären oder wenn die Betroffenen sich zu nicht

999  BVerwG, Urteil vom 7. Mai 1987, Az. 3 C 53/85, ­ BVerwGE 77, 207, juris Rn. 25; Möstl, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 60. Ed. 2022, § 43 Rn. 26 f. 1000  So auch Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 17. Aufl. 2021, Rn. 444.

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mehr revidierbaren Dispositionen veranlasst sähen.1001 Darüber hinaus wird vereinzelt angenommen, dass – parallel zur „Damokles-Rechtsprechung“ – von einem qualifizierten Feststellungsinteresse auszugehen ist, wenn der Verstoß gegen den im Einzelfall möglichen Verwaltungsakt wiederum strafoder bußgeldbewehrt ist.1002 Überzeugend ist dies für den Fall, dass die repressiven Rechtsschutzmöglichkeiten eine Ahndung nicht ausreichend verhindern können, diese also keinen Suspensiveffekt haben.1003 Anderenfalls kann auch hier nur über eine der vorgenannten Fallgruppen eine Ausnahme vom grundsätzlichen Vorrang des repressiven Rechtsschutzes zu rechtfertigen sein. cc) Zwischenergebnis Vor dem dargestellten Hintergrund der uneinheitlichen Rechtsprechung kann das erforderliche qualifizierte Interesse für eine Feststellungsklage als Normenabwehrklage mit ihrem vorbeugenden Charakter in der Rechtspraxis zweifelsfrei nur dann bejaht werden, wenn die zuständige Behörde bereits weitere Maßnahmen zur Ahndung etwaiger Rechtsverstöße gegen die von Straf- bzw. Bußgeldtatbeständen flankierten self-executing Bestimmungen angekündigt bzw. angedroht hat. Soweit nur abstrakt die Gefahr der Ahndung verbunden mit der begründeten Besorgnis einer Sanktionierung besteht oder die zuständige Behörde noch weitere Vollzugsmaßnahmen erlassen kann, haben Betroffene die Erfolgsaussichten einer Feststellungsklage – unter Berücksichtigung der Rechtsprechungslinie der jeweils zuständigen Verwaltungsgerichte – anhand des konkreten Einzelfalls zu beurteilen; ein offenkundig wenig zufriedenstellendes Ergebnis für Rechtsuchende. Betroffene können insoweit jedoch begrüßen, dass die Gerichte die Voraussetzung des Feststellungsinteresses in diesen Fällen – gemäß den Forderungen in der Literatur – zunehmend großzügiger handhaben. Dennoch erscheint eine höchstrichterliche Entscheidung angezeigt, mit der das Bundesverwaltungsgericht nicht nur implizit auf die Voraussetzung der konkreten Androhung der Ahndung verzichtet, sondern explizit erklärt, dass auch die abstrakte Gefahr derselben hier bereits ein qualifiziertes Feststellungsinteresse begründen 1001  Möstl, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 60. Ed. 2022, § 43 Rn. 27; Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 106; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 8. September 1972, Az. IV C 17.71, juris Rn. 29; Urteil vom 7. Mai 1987, Az. 3 C 53/85, B ­ VerwGE 77, 207, juris Rn. 25. 1002  So aus der Rechtsprechung etwa BVerwG, Urteil vom 23. Juni 2016, Az. 2 C 18/15, juris Rn. 20; ähnlich zuvor BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 2002, Az. 6 C 1/02, juris Rn. 21; aus der Literatur Peine, JURA 1983, 285, 292; Selb, Die verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage, 1997, S. 156. 1003  Dazu Lapp, Vorbeugender Rechtsschutz gegen Normen, 1994, S. 262 ff.



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kann. Anderenfalls könnte den Betroffenen die Möglichkeit genommen werden, sie unmittelbar betreffende Rechtssätze gerichtlich anzugreifen, wenn sie sich nicht auf eine der vom Bundesverfassungsgericht anerkannten Ausnahmen vom Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde berufen können. g) Subsidiarität der Feststellungsklage Die Feststellung des Bestehens bzw. Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO). aa) Allgemeines Hinter dem Subsidiaritätsgrundsatz stecken primär prozessökonomische Erwägungen. Der Gesetzgeber will Feststellungsklagen vermeiden, wenn den Rechtsuchenden rechtsschutzintensivere Klagearten zur Verfügung stehen, um ihr Rechtsschutzziel zu erreichen.1004 Anders als durch Leistungs- oder Gestaltungsklagen erhalten Rechtsuchende mit einem Feststellungsurteil weder einen vollstreckbaren Titel noch wirkt die Entscheidung unmittelbar rechtsgestaltend.1005 Dabei soll nicht nur die Prozessökonomie verwaltungsgerichtlicher Verfahren gefördert werden. Der Subsidiaritätsgrundsatz gilt aufgrund der Gleichwertigkeit der Rechtswege vielmehr rechtswegüber­ greifend.1006 Neben die prozessökonomischen Erwägungen treten Gründe der Systematik des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzsystems. So soll Rechtsuchenden mit der Feststellungsklage keine Möglichkeit gegeben werden, die speziellen Sachurteilsvoraussetzungen der Gestaltungs- und Leistungsklagen, wie insbesondere das Frist- und Vorverfahrenserfordernis, zu umgehen.1007 Seine Grenzen findet der Subsidiaritätsgrundsatz in der Effektivität des Rechtsschutzes. Rechtsuchende müssen sich nicht auf eine Leistungs- oder 1004  Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2000, Az. 7 C 3/00, ­ BVerwGE 111, 306, juris Rn. 12; Selb, Die verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage, 1998, S. 169. 1005  Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 113. 1006  BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 1985, Az. 4 C 21/80, B ­ VerwGE 72, 172, juris Rn. 41; Urteil vom 28. Januar 2010, Az. 8 C 19/09, ­BVerwGE 136, 54, juris Rn. 40; Pietzcker, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 43 Rn. 53. 1007  St. Rspr., siehe nur BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 1970, Az. VI C 8.69, ­BVerwGE 36, 179, juris Rn. 12 und BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2002, Az. 2 C 13/01, juris Rn. 15; Möstl, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 60. Ed. 2022, § 43 Rn. 12.

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Gestaltungsklage verweisen lassen, wenn mittels der Feststellungsklage diesen gegenüber der effektivere Rechtsschutz erzielt werden kann.1008 Die hinter dem Subsidiaritätsgrundsatz stehenden Erwägungen kommen nicht zum Tragen, wenn das zu überprüfende Rechtsverhältnis nur als bloße „Vorfrage“ im Rahmen einer Gestaltungs- oder Leistungsklage zu berücksichtigen wäre.1009 Hier liefen die Rechtsuchenden Gefahr, dass über ihre Vorfrage, deren Klärung ihr eigentliches Ziel ist, mangels Entscheidungserheblichkeit gar nicht entschieden würde.1010 bb) Subsidiarität gegenüber Anfechtungsklagen Soweit die anzugreifende self-executing Norm weiteren Normvollzug neben dem Erlass eines Bußgeldbescheides – etwa im Rahmen einer Untersagungsverfügung – ermöglicht, könnten Rechtsuchende über § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO darauf zu verweisen sein, einen bereits ergangenen Vollzugsverwaltungsakt anzugreifen bzw. den Erlass eines solchen abzuwarten und gegen diesen mittels der Anfechtungsklage – gegebenenfalls verbunden mit einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO – vorzugehen.1011 Damit ist hinsichtlich der Subsidiarität gegenüber der Anfechtungsklage grundsätzlich zwischen zwei Sachverhaltskonstellation zu unterscheiden: zum einen, dass die zuständige Behörde in Durchsetzung der streitigen Regelungen den Recht­ suchenden gegenüber noch keinen Verwaltungsakt erlassen hat und zum anderen, dass bereits ein entsprechender Verwaltungsakt ergangen ist. Soweit noch kein Vollzugsakt ergangen ist, könnte parallel zur Frage des qualifizierten Feststellungsinteresses zu argumentieren sein, dass den Betroffenen noch keine unzumutbaren Nachteile erwachsen und mithin kein Grund besteht, ausnahmsweise vom Grundsatz des repressiven Rechtsschutzes abzuweichen.1012 Im Rahmen der Subsidiaritätserwägungen darf jedoch nicht das eigentliche Rechtsschutzbegehren der jeweiligen Rechtsuchenden außer Acht gelassen werden. In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass Rechtsuchende auch dann nicht auf die vorrangige Gestaltungsklage zu verweisen sind, wenn dies nicht ihrem eigentlichen Rechtsschutzziel entspricht. Die 1008  BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2004, Az. 4 C 11/03, B ­ VerwGE 121, 152, juris Rn. 19; Urteil vom 26. März 2015, Az. 7 C 17/12, B ­ VerwGE 152, 1, juris Rn. 17. 1009  BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 1970, Az. VI C 8.69, ­ BVerwGE 36, 179, juris Rn. 12; Urteil vom 26. März 2015, Az. 7 C 17/12, ­ BVerwGE 152, 1, juris Rn. 17. 1010  Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 113. 1011  Vgl. Pietzcker, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 43 Rn. 49. 1012  Vgl. VGH Bayern, Beschluss vom 27. Juli 2015, Az. 20 ZB 14.2089, juris Rn. 5.



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Feststellungsklage ist also dann nicht subsidiär, wenn ihr Gegenstand im Rahmen einer Anfechtungsklage nur als bloße Vorfrage zu werten wäre.1013 So dürften die Dinge auch im Kontext der Feststellungsklage in ihrer Gestalt als allgemeine Normenabwehrklage liegen. Bereits in den 60er-Jahren entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass sich eine Gemeinde mit ihrem Begehren, feststellen zu lassen, dass sie nicht Mitglied eines Wasserverbands geworden ist, da die zugrundeliegende Gründungssatzung rechtswidrig sei, nicht auf eine vorrangige Anfechtungsklage verweisen lassen muss. Dies gelte auch dann, wenn bereits Beitragsbescheide erlassen wurden, welche die Gemeinde hätten angegriffen und so eine inzidente Überprüfung der Satzung ermöglichen können.1014 Diese Rechtsprechung bestätigte das Gericht später für einen ähnlich gelagerten Sachverhalt betreffend die Feststellung des Nichtbestehens der Mitgliedschaft in einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft auch für den Fall, dass noch keine konkreten Beitragsbescheide im Raum standen.1015 Diesen Gedanken griff später der Vierte Senat des Bundesverwaltungsgerichts in einer der Entscheidungen zur Festlegung von Flugrouten auf. Hier entschied der Senat, dass nicht vorrangig mittels Anfechtungsklage einzelne Freigabeentscheidungen anzufechten seien, mit der dann inzident die Überprüfung der normativen Grundlagen ermöglicht würde. Für den Fall, dass Rechtsuchende die Wirksamkeit der normativen Vorgaben anzweifeln, lasse sich ihrem eigentlichen Rechtsschutzanliegen mittels Feststellungsklage im Vergleich zu einer Anfechtungsklage besser Rechnung tragen. Der Senat meint dabei, dass die Frage der Wirksamkeit der zugrundeliegenden Regelungen allenfalls als „Vorfrage“ eine Rolle im Anfechtungsverfahren spielen würde.1016 Der Gedanke des Gerichts wird klar, wenn es die Rechtsuchenden nicht auf eine Anfechtungsklage einzelner Bescheide verweisen will. Es gibt ihnen mit der Feststellungsklage ein In­ strument an die Hand, das es ihnen ermöglicht, ohne die erhöhten Anforderungen der Gestaltungsklage ihr eigentliches Rechtsschutzziel zu erreichen, nämlich die Wirksamkeit der normativen Grundlagen klären zu lassen. Die Begründung erscheint jedoch fragwürdig, wenn das Gericht impliziert, dass die Wirksamkeit der Rechtsgrundlagen nur im Anfechtungsverfahren Vorfrage sein soll. Gegenstand der Feststellungsklage ist – wie mehrfach dar­ 1013  BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 1970, Az. VI C 8.69, ­ BVerwGE 36, 179, juris Rn. 12; Urteil vom 29. April 1997, Az. 1 C 2/95, juris Rn. 29; Urteil vom 24. Juni 2004, Az. 4 C 11/03, ­BVerwGE 121, 152, juris Rn. 19; Sodan, in: ders./ Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 136; Pietzcker, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 43 Rn. 47. 1014  BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 1966, Az. IV C 222.65, B ­ VerwGE 25, 151, juris Rn. 67. 1015  BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1982, Az. 5 C 103/81, juris Rn. 12. 1016  BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2004, Az. 4 C 11/03, ­BVerwGE 121, 152, juris Rn. 19.

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gelegt – gerade nicht die Wirksamkeit einer Rechtsnorm, sondern das Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten.1017 Insoweit ist auch hier die Wirksamkeit der Rechtsnorm „nur“ eine – wenn auch entscheidungserheb­ liche – Vorfrage für das Bestehen bzw. Nichtbestehen des jeweiligen Rechtsverhältnisses. Auch die unterinstanzliche Rechtsprechung erachtet die Feststellungsklage in ihrer Gestalt als Normenabwehrklage regelmäßig nicht als subsidiär gegenüber der Anfechtungsklage: Hervorzuheben ist eine glücksspielrechtliche Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hannover aus dem Jahr 2008. Nach der zugrundeliegenden Sachverhaltskonstellation hätte der Klägerin alternativ zur Feststellungsklage die Möglichkeit offen gestanden, Untersagungsverfügungen der zuständigen Glücksspielbehörde abzuwarten, um diese mittels Anfechtungsklage mit dem Argument anzugreifen, dass sie mit dem Glücksspielstaatsvertrag in der seinerzeit gültigen Fassung auf einer unwirksamen Rechtsgrundlage beruhen würden.1018 Die Kammer war der Auffassung, dass der mittels Feststellungsklage potentiell zu erreichende Rechtsschutz weiter reiche als jener, der durch eine Anfechtungsklage erzielt werden könne. Dies begründete sie damit, dass die Klägerin auf eine alsbaldige Klärung der Rechtslage angewiesen sei, um sinnvoll wirtschaftlich disponieren zu können. Es könne ihr nicht zugemutet werden, ein Einschreiten der Behörde erst abzuwarten. Außerdem laufe die Klägerin bei Erhebung einer Anfechtungsklage Gefahr, dass die Verfügung der Aufsichtsbehörde bereits aus formellen oder anderen Gründen, die nicht im Zusammenhang mit der Wirksamkeit der streitigen Rechtsgrundlage stehen, rechtswidrig ist, sodass die Frage der Wirksamkeit der streitentscheidenden Norm mangels Entscheidungserheblichkeit nicht erörtert würde.1019 Vergleichbar argumentierte später auch das Verwaltungsgericht Köln in einer Entscheidung aus dem Jahr 2014, welche mittelbar die Wirksamkeit des Nichtraucherschutzgesetzes NRW betraf.1020 Auch hier ging die Kammer davon aus, dass die Feststellungsklage den im Vergleich zur Anfechtungsklage effektiveren Rechtsschutz bieten würde. In einer Anfechtungssituation sähen sich Rechtsuchende gegebenenfalls auch dem Risiko ausgesetzt, sich zusätzlich gegen eine Anordnung einer sofortigen Vollziehung oder Zwangsgeldfestsetzungen zur Wehr setzen zu müs-

1017  Das BVerwG hat sich in seiner Entscheidung nicht zum Rechtsverhältnis geäußert. Allerdings stellte die Vorinstanz zutreffend auf das durch Rechtsnorm begründete Rechtsverhältnis ab, vgl. VGH Hessen, Urteil vom 11. Februar 2003, Az. 2 A 1062/01, juris Rn. 22. 1018  VG Hannover, Urteil vom 24. November 2008, Az. 10 A 1017/08, juris Rn. 35. 1019  Ebd. 1020  VG Köln, Urteil vom 25. Februar 2014, Az. 7 K 4612/13, juris Rn. 33.



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sen.1021 Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen bestätigte diese Entscheidung.1022 Auch haben sich Stimmen aus dem Schrifttum zuweilen ausdrücklich dafür ausgesprochen, bei der Überprüfung von Rechtsnormen die allgemeine Feststellungsklage nicht mit dem Argument hinter einer Anfechtungsklage zurücktreten zu lassen, dass eine gerichtliche Klärung auch anhand – gegebenenfalls noch bevorstehender – Einzelakte erzielt werden könne. Glaser sieht hier in der allgemeinen Feststellungsklage das prozessökonomischere Rechtsschutzinstrument, das schneller zur Rechtssicherheit führe.1023 Wysk spricht in diesem Zusammenhang von einem „Feststellungsmehrwert“.1024 Diesen Erwägungen von Rechtsprechung und Literatur stehen zwar einige Bedenken gegenüber, im Ergebnis ist ihnen jedoch beizupflichten. Klarzustellen ist, dass der von Wysk proklamierte „Feststellungsmehrwert“ im Kontext der Feststellungsklage als Normenabwehrklage nicht so verstanden werden darf, dass Gerichtsentscheidungen im Rahmen der Feststellungsklage hier eine weitergehende Wirkung als im Rahmen einer Anfechtungsklage mit inzidenter Normprüfung zukommen würde. Zum einen hat ein Feststellungsurteil keine allgemeingültige Entscheidungswirkung wie sie Entscheidungen im Rahmen prinzipaler Normenkontrollen haben. Es bleibt bei der inter partes-Wirkung im Sinne des § 121 VwGO.1025 Zum anderen kann der Mehrwert der Feststellungsklage auch nicht darin liegen, dass die Frage der Wirksamkeit selbst unmittelbarer Gegenstand der Klage ist. Die Normenkontrolle erfolgt lediglich mittelbar. Die Gerichte können untergesetzliche Rechtsnormen im Fall ihrer Unwirksamkeit lediglich unangewendet lassen und unwirksame Parlamentsgesetze über Art. 100 Abs. 1 GG den Verfassungsgerichten vorlegen. Der „Feststellungsmehrwert“ ist vielmehr in prozessökonomischen Gesichtspunkten zu sehen. Zutreffend ist in der Rechtsprechung hervorgehoben worden, dass sich Rechtsuchende bei Erhebung der Feststellungsklage nicht unnötig der Gefahr ausgesetzt sehen, dass die Frage der Wirksamkeit der streitigen Rechtsgrundlage mangels Entscheidungserheblichkeit überhaupt

1021  VG Köln, Urteil vom 25. Februar 2014, Az. 7 K 4612/13, juris Rn. 33; ähnlich auch VG Köln, Urteil vom 20. März 2012, Az. 7 K 3169/11, juris Rn. 89 ff., bestätigt durch BVerwG, Urteil vom 20. November 2014, Az. 3 C 26/13, juris Rn. 23. 1022  OVG NRW, Urteil vom 4. November 2014, Az. 4 A 775/14, juris Rn. 20. 1023  Glaser, in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 43 Rn. 73; ähnlich auch Kopp/ Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 43 Rn. 29 und Lässig, NVwZ 1988, 410, 411. 1024  Wysk, in: ders., VwGO, 3. Aufl. 2020, § 43 Rn. 45. 1025  Siehe abermals nur BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1982, Az. 5 C 103/81, juris Rn. 11.

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nicht erörtert würde.1026 Wenn Rechtsuchende das Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses aufgrund der Unwirksamkeit der zugrundeliegenden Norm geltend machen, wird sich das jeweilige Gericht – bei Vorliegen der Sachurteilsvoraussetzungen – im Rahmen der Begründetheit regelmäßig mit dieser Frage auseinandersetzen müssen. Ferner bleibt ihnen im Vergleich zu Anfechtungssituationen erspart, gegebenenfalls zusätzlich eine Anordnung der sofortigen Vollziehung oder Zwangsgeldfestsetzungen angreifen zu müssen.1027 Diese Verfahrensweise fördert vielmehr das hinter dem Subsidiaritätsgedanken stehende Prinzip der Prozessökonomie. Insoweit erscheint angemessen, eine Ausnahme vom Grundsatz des repressiven Rechtsschutzes zuzulassen. Unter Berücksichtigung des eigentlichen Rechtsschutzbegehrens der Rechtsuchenden kann ihnen nicht zugemutet werden, zunächst einen Vollzugsakt abzuwarten, um anschließend eine Gestaltungsklage zu erheben, die gegebenenfalls überhaupt nicht zu einer Klärung ihres wahren Anliegens führen kann. Soweit sie in diesen Sachverhaltskonstellationen die Hürde des qualifizierten Feststellungsinteresses nehmen konnten, erschiene es als bloße „Förmelei“ Rechtsuchende darauf zu verweisen, den Normvollzug aufgrund des Grundsatzes der Subsidiarität abzuwarten. Dies gilt umso mehr für den Fall, wenn es die zuständige Behörde ablehnt, die jeweilig streitige Norm durch Verwaltungsakt zu vollziehen und sich so der Klärung des Rechtsverhältnisses entzieht.1028 Im Ergebnis rechtfertigen die vorstehenden Erwägungen also eine Ausnahme vom Grundsatz der Subsidiarität sowie gleichzeitig vom Vorrang des repressiven Rechtsschutzes. Soweit lediglich zukünftige Vollzugsverwaltungsakte in Rede stehen, dürfte auch der weitere hinter dem Subsidiaritätsgrundsatz stehende Gesichtspunkt des Schutzes der Systematik des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzsystems hier nicht beeinträchtigt werden. Die besonderen Sachurteilsvoraussetzungen der Anfechtungsklage in Form des Fristerfordernisses sowie des Vorverfahrens werden hier nicht umgangen. Sinn und Zweck des Fristerfordernisses nach § 74 Abs. 1 VwGO – Rechtssicherheit durch (formelle) Bestandskraft eines Verwaltungsakts zu schaffen1029 – kann hier nicht 1026  Vgl. abermals VG Hannover, Urteil vom 24. November 2008, Az. 10 A 1017/08, juris Rn. 35; VG Düsseldorf, Urteil vom 10. September 2002, Az. 17 K 5844/02, juris Rn. 63. 1027  VG Köln, Urteil vom 25. Februar 2014, Az. 7 K 4612/13, juris Rn. 33; bestätigt durch OVG NRW, Urteil vom 4. November 2014, Az. 4 A 775/14, juris Rn. 20; ähnlich auch VG Köln, Urteil vom 20. März 2012, Az. 7 K 3169/11, juris Rn. 89 ff., bestätigt durch BVerwG, Urteil vom 20. November 2014, Az. 3 C 26/13, juris Rn. 23. 1028  Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 50. 1029  BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1997, Az. 3 C 35/96, ­BVerwGE 105, 288, juris Rn. 37; Kastner, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 74 VwGO Rn. 1.



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zum Tragen kommen, da eine entsprechende Regelung noch nicht erlassen ist und mithin auch nicht in Bestandskraft erwachsen kann. Gleiches gilt für das Vorverfahrenserfordernis nach § 68 Abs. 1 VwGO. Berücksichtigt man die Kontrollfunktion des Vorverfahrens, also die Gelegenheit zur Selbstkon­ trolle der Behörde,1030 kann auch diese Funktion hier nicht beeinträchtigt sein, da noch kein behördliches Handeln im Raum steht, welches durch die Exekutive selbst zu kontrollieren wäre. Für die Fälle, in denen die zuständige Behörde bereits einen Verwaltungsakt zum Normvollzug erlassen hat, könnte der Gedanke naheliegen, zumindest in diesen Fallgestaltungen den Rückgriff auf die Feststellungsklage aus systematischen Gründen auszuschließen.1031 Zumindest tragen in dieser Sachverhaltskonstellation die Erwägungen, dass die besonderen Sachurteilsvoraussetzungen der Anfechtungsklage umgangen werden könnten. Auch hier ist jedoch nach allgemeiner Ansicht eine Anfechtungsklage dann nicht vorrangig zu erheben, wenn die Gestaltungsklage nicht dem Rechtsschutzbegehren der Rechtsuchenden entspricht oder ihnen unzumutbar ist, eine Anfechtungsklage zu erheben.1032 Aus den vorgenannten Gründen der Prozessökonomie und Rechtsschutzgesichtspunkten erscheint diesbezüglich also keine unterschiedliche Bewertung der Frage der Subsidiarität angebracht. Auch soweit ein Verwaltungsakt zum Normvollzug bereits in der Welt ist, entspricht es nicht dem primären Rechtsschutzbegehren der Rechtsuchenden, dessen Wirksamkeit anzugreifen. Mithin sind sie auch in diesen Fällen nicht auf eine vorrangige Anfechtungsklage zu verweisen. cc) Subsidiarität gegenüber Verpflichtungsklagen Nicht selten kommt es den Rechtsuchenden darauf an, die Wirksamkeit einer Norm überprüfen zu lassen, die eine Erlaubnispflicht für eine von ihnen ausgeübte oder beabsichtige Betätigung statuiert.1033 In diesen Sachver1030  BVerwG, Urteil vom 29. Juni 2006, Az. 7 C 14/05, juris Rn. 11; Geis, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 68 Rn. 16 ff. 1031  Vgl. Siemer, in: FS Menger, 1985, S. 501, 512 so ebenfalls andenkend Lässig, NVwZ 1988, 410, 411; zu dieser Fallkonstellation allgemein Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 139; vgl. weiter Möstl, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 60. Ed. 2022, § 43 Rn. 14 und Pietzcker, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 43 Rn. 46. 1032  Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 136 ff. und Pietzcker, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 43 Rn. 46 ff. 1033  Vgl. dazu etwa VG Sigmaringen, Urteil vom 31. März 2004, Az. 5 K 1526/02, juris Rn. 20; VG Berlin, Urteil vom 22. September 2008, Az. 35 A 15.08, juris Rn. 56; VG Bremen, Beschluss vom 9. Juli 2015, Az. 5 K 171/13, juris Rn. 68; VG Oldenburg, Urteil vom 7. August 2017, Az. 5 A 726/15, juris Rn. 23.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

haltskonstellationen könnte eine auf Erlaubniserteilung gerichtete Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO gegenüber der Feststellungsklage vorrangig zu erheben sein (vgl. § 43 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 VwGO). Auch die Verpflichtungsklage kann hier zu einer inzidenten Überprüfung der Rechtsgrundlage führen. Ähnlich zu den vorstehenden Erwägungen zur Subsidiarität gegenüber einer Anfechtungsklage, kommt nach allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Literatur jedoch auch hier der Gedanke zum Tragen, dass Rechtsuchende über den Subsidiaritätsgrundsatz nicht auf Klagearten zu verweisen sind, die nicht ihrem eigentlichen Rechtsschutzbegehren entsprechen. So liegen die Dinge, wenn sie mit der Feststellungsklage die Erlaubnisfreiheit einer bestimmten Betätigung aufgrund der Unwirksamkeit der zugrundeliegenden Erlaubnispflicht festgestellt wissen wollen.1034 Zum einen wäre die Frage der Erlaubnispflicht bloße Vorfrage im Verpflichtungsverfahren.1035 Zum anderen müssten die Rechtsuchenden gerade ihren Rechtsstandpunkt zur Erlaubnisfreiheit aufgeben, indem sie auf Verpflichtung zur Erlaubnis­ erteilung klagen. Es erscheint unbillig, wenn sie im Verpflichtungsprozess mit ihrer Argumentation durchdringen, dass die jeweilige Tätigkeit erlaubnisfrei ist und dennoch die Prozesskosten zu tragen hätten, da keine Erlaubnis erteilt werden kann.1036 dd) Subsidiarität gegenüber allgemeinen Leistungsklagen Parallel zur Frage einer vorrangigen Anfechtungsklage bei noch ausstehendem Normvollzug könnte über § 43 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 VwGO eine allgemeine Leistungsklage in Gestalt der (vorbeugenden) Unterlassungsklage gegenüber einer Feststellungsklage vorrangig sein. Soweit die Feststellungsklage im Einzelfall statthaft ist, könnte diese hier vorrangig zur Abwehr potentieller Maßnahmen zum Normvollzug in Form von Realakten1037 oder Verwal­ tungsakten,1038 auch in Form von Bußgeldbescheiden,1039 zu erheben sein. 1034  Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 1972, Az. I C 33.68, B ­ VerwGE 39, 247, juris Rn. 7; VGH Bayern, Urteil vom 30. August 2000, Az. 22 B 00.1833, juris Rn. 34; OVG NRW, Beschluss vom 22. November 2006, Az. 8 B 1695/06, juris Rn. 20; Pietzcker, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 43 Rn. 51; Kopp/ Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 43 Rn. 29; Brüning, JuS 2004, 882, 883. 1035  BVerwG, Urteil vom 2. Dezember 2015, Az. 10 C 18/14, juris Rn. 14. 1036  Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 131; zu dieser Kon­ stellation im Baurecht Duken, NVwZ 1990, 443, 444. 1037  Dazu BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 2014, Az. 6 C 7/13, juris Rn. 16 ff. und Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 12. Aufl. 2021, § 16 Rn. 4 ff. 1038  Dazu BVerwG, Urteil vom 7. Mai 1996, Az. 1 C 10/95, B ­ VerwGE 101, 157, juris Rn. 21 und Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 42 Rn. 57 ff.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 219

Nach allgemeiner Auffassung in der Rechtsprechung und einzelnen Stimmen in der Literatur kommt der Vorrang der Leistungsklage jedoch nicht zum Tragen, soweit die jeweilige Klage gegen einen Hoheitsträger gerichtet ist.1040 Die Feststellungs- und die allgemeine Leistungsklage – auch in ihrer Ausprägung als vorbeugende Unterlassungsklage – werden hier als im Ergebnis „praktisch austauschbar“ gesehen,1041 sodass ein Wahlrecht1042 unter diesen Klagearten bestehe. Dies ist damit zu begründen, dass der Rechtsgedanke des Subsidiaritätsgrundsatzes hier nicht zum Tragen kommt. Einerseits werden die besonderen Sachurteilsvoraussetzungen von Gestaltungs- bzw. Leistungsklagen nicht umgangen, soweit mit der herrschenden Auffassung das Erfordernis der Klagebefugnis auch auf die Feststellungsklage übertragen wird.1043 Ferner besteht nach der Rechtsprechung auch kein prozessökonomischer Grund Rechtsuchenden hier zu versagen, auf Feststellung zu klagen. Ist die Klage gegen einen Hoheitsträger gerichtet, ist nach der sogenannten ­Ehrenmanntheorie davon auszugehen, dass dieser aufgrund der verfassungsrechtlichen Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG) das Urteil achtet und es insoweit keines Rückgriffs auf die Leistungsklage bedarf, um einen vollstreckbaren Titel zu erstreiten.1044 Der Gedanke der Austauschbarkeit von Feststellungs- und Unterlassungsklage findet sich auch in der Subsidiaritätsrechtsprechung des Bundesver­ fassungsgerichts wieder. In den jüngeren Entscheidungen zur Subsidiarität der Rechtssatzverfassungsbeschwerde aufgrund vorrangiger fachgerichtlicher

1039  Zur Streitfrage, ob hier überhaupt der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet wäre VG Stuttgart, Beschluss vom 18. August 2006, Az. 10 K 4317/05, juris Rn. 17, VG Oldenburg, Beschluss vom 28. September 2012, Az. 7 A 4182/12, juris Rn.  5 ff., Reimer, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 60. Ed. 2022, § 40 Rn. 62a und Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 40 Rn. 50. 1040  St. Rspr., siehe nur BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 1970, Az. VI C 8.69, ­BVerwGE 36, 179, juris Rn. 12; Urteil vom 8. September 1972, Az. IV C 17.71, juris Rn. 32; Urteil vom 22. Februar 2001, Az. 5 C 34/00, B ­ VerwGE 114, 61, juris Rn. 8; so ebenfalls Glaser, in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 43 Rn. 76 und Wysk, in: ders., VwGO, 3. Aufl. 2020, § 43 Rn. 48; a. A. Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 121, 126; Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 43 Rn. 28; Brüning, JuS 2004, 882, 883 f.; Schenke, AöR 95 (1970), 223, 255 f. 1041  Möstl, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 60. Ed. 2022, § 43 Rn. 15, 26. 1042  Glaser, in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 43 Rn. 76. 1043  BVerwG, Urteil vom 8. September 1972, Az. IV C 17.71, juris Rn. 32; Urteil vom 15. Februar 1991, Az. 8 C 85/88, juris Rn. 11; Urteil vom 26. Oktober 2016, Az. 10 C 3/15, B ­ VerwGE 156, 199, juris Rn. 15. 1044  Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2001, Az. 5 C 34/00, B ­ VerwGE 114, 61, juris Rn. 8; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 31. Oktober 2003, Az. 3 LB 107/03, juris Rn. 32; siehe zur „Ehrenmanntheorie“ abermals Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 12. Aufl. 2021, § 18 Rn. 10.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

Rechtsschutzmöglichkeiten zur (inzidenten) Überprüfung der jeweiligen Rechtsnormen hat das Gericht regelmäßig nicht hinsichtlich der beiden Klagearten differenziert. In diesen Fällen könne zu den zumutbaren Rechtsbehelfen sowohl die Erhebung einer Feststellungs- wie auch einer Unterlassungsklage gehören, um eine fachgerichtliche Klärung entscheidungserheblicher Tatsachen- oder Rechtsfragen des einfachen Rechts zu erzielen.1045 Dass dennoch der Fokus von Rechtsprechung und Literatur auf der Feststellungsklage als allgemeine Normenabwehrklage liegt, dürfte auf die im Vergleich zur Unterlassungsklage größere Flexibilität zurückzuführen sein. So kann die Feststellungsklage auch eine adäquate Rechtsschutzmöglichkeit bieten, wenn das in Rede stehende Rechtsverhältnis über die Frage hinausgeht, ob die jeweilige Behörde zu einem bestimmten Handeln gegenüber den Rechtsuchenden befugt ist. Hier kommt es auf das Bestehen eines „vorgelagerten Rechtsverhältnisses“ an.1046 Exemplarisch ist die Genehmigungsbedürftigkeit einer Betätigung der Rechtsuchenden zu nennen. Diese Frage ist jener vorgelagert, ob die zuständige Behörde aufgrund Verletzung einer etwaig eingreifenden Genehmigungspflicht Maßnahmen gegenüber den Rechtsuchenden ergreifen darf. Hier ist der Feststellungsklage wiederum ein anderes, weitergehendes Rechtsschutzziel gegenständlich als der vorbeugenden Unterlassungsklage, mit der ein konkretes behördliches Einschreiten verhindert werden soll.1047

1045  Siehe abermals BVerfG, Beschluss vom 18. Dezember 2018, Az. 1 BvR 2795/09, BVerfGE 150, 309, juris Rn. 44; Urteil vom 19. Mai 2020, Az. 1 BvR 2835/17, BVerfGE 154, 152, juris Rn. 78; Beschluss vom 27. Mai 2020, Az. 1 BvR 1873/13, BVerfGE 155, 119, juris Rn. 77; Beschluss vom 29. September 2020, Az. 1 BvR 1550/19, BVerfGE 155, 378, juris Rn. 32; Beschluss vom 10. November 2020, Az. 1 BvR 3214/15, BVerfGE 156, 11, juris Rn. 60; Nichtannahmebeschluss vom 12. November 2020, Az. 1 BvR 2424/20, juris Rn. 10; Ablehnung einstweilige Anordnung vom 4. Januar 2021, Az. 1 BvQ 108/20, juris Rn. 9; Beschluss vom 8. Juni 2021, Az. 1 BvR 2771/18, juris Rn. 70; bereits früher BVerfG, Beschluss vom 2. Dezember 1986, Az. 1 BvR 1509/83, BVerfGE 74, 69, juris Rn. 21; zur „Äquivalenz“ der Klagearten in diesem Zusammenhang Barczak, DVBl 2019, 1040, 1046; ders., in: Modrzejewski/Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. V, 2019, S. 17, 42. 1046  Schenke, AöR 95 (1970), 223, 256. 1047  Ebd., 256 f.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 221

ee) Subsidiarität gegenüber Rechtsbehelfen im Ordnungswidrigkeitenverfahren Da die Feststellungsklage als „rechtswegübergreifend“ subsidiär verstanden wird,1048 könnte auch ein zivilgerichtliches Einspruchsverfahren nach §§ 67 ff. OWiG als vorrangig angesehen werden. Auch in diesem könnte inzident die Wirksamkeit der streitigen Rechtsnorm überprüft werden. Der Bußgeldbescheid wäre rechtswidrig ergangen, wenn es an einer wirksamen Rechtsgrundlage fehlen würden. Ein entsprechend vorrangiges Einspruchsverfahren kommt grundsätzlich in Betracht, soweit die zuständige Behörde bereits einen Bußgeldbescheid erlassen hat. Steht eine Ahndung noch aus, wird nach den vorgenannten Grundsätzen der „Damokles-Rechtsprechung“ Rechtsuchenden nicht zugemutet, verwaltungsgerichtliche Zweifelsfragen auf der Anklagebank klären zu müssen. Doch auch wenn bereits ein angreifbarer Bußgeldbescheid in der Welt ist, überzeugt es nicht, die Rechtsuchenden mit ihrem Begehren an die Zivil­ gerichte zu verweisen.1049 Dies fußt auf vorgenannten, entsprechend heran­ zuziehenden Erwägungen. Auch hier ist zu beachten, dass die Feststellungsklage nicht als subsidiär zu bewerten ist, wenn diese im Vergleich das ­effektivere Rechtsschutzinstrument darstellt. Rechtsuchende begehren in den vorliegenden Sachverhaltskonstellationen gerade die Feststellung des Nichtbestehens des streitigen Rechtsverhältnisses aufgrund der Unwirksamkeit der streitentscheidenden Norm. Dies kann nur mittels der Feststellungsklage zum unmittelbaren Klagegegenstand gemacht werden. Im Rahmen des Einspruchsverfahrens wäre dies nur Vorfrage und gegebenenfalls mangels Entscheidungserheblichkeit vom Gericht überhaupt nicht zu erörtern.1050 ff) Subsidiarität gegenüber Normenkontrollanträgen Nur soweit die Wirksamkeit einer untergesetzlichen Rechtsnorm streitig ist, kommt schließlich als vorrangig zu erhebender Rechtsbehelf das Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO in Betracht. Hier greift die Subsi­ diaritätsregel des § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO jedoch gerade nicht. Die Rechtsschutzinstrumente stehen nebeneinander. Die Feststellungsklage ist lediglich 1048  Siehe

zuvor S. 211 f. auch OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Juni 2015, Az. OVG 1 B 13.13, juris Rn. 17, bestätigt durch BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2016, Az. 8 C 7/15, juris Rn. 10; VG Düsseldorf, Urteil vom 15. Dezember 2016, Az. 6 K 7687/15, juris Rn. 55 ff.; a. A. VG Berlin, Urteil vom 12. April 2013, Az. 4 K 443.12, juris Rn.  22 ff. 1050  Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 15. Dezember 2016, Az. 6 K 7687/15, juris Rn. 57. 1049  So

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

gegenüber Gestaltungs- und Leistungsklagen subsidiär. Einer Entscheidung im Normenkontrollverfahren nach § 47 Abs. 5 VwGO kommt jedoch ebenfalls eine bloß feststellende Wirkung zu.1051 Nach der hinter dem Normenkontrollverfahren stehenden gesetzgeberischen Intention entfaltet § 47 VwGO gegenüber der Feststellungsklage nur für den Fall Sperrwirkung, dass mit dieser unmittelbar die Wirksamkeit einer untergesetzlichen Rechtsnorm angegriffen würde.1052 gg) Zwischenergebnis Nach vorzugswürdiger Auffassung greift die Subsidiaritätsregelung des § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO für die Feststellungsklage in ihrer Gestalt als allgemeine Normenabwehrklage nicht. Dies dürfte unbestritten sein, soweit als einziger Durchsetzungsakt einer self-executing Norm lediglich die Einleitung eines Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahrens erfolgen kann. Nach der „Damokles-Rechtsprechung“ wäre es Rechtsuchenden unzumutbar, ihr Begehren auf der Anklagebank durchzusetzen. Mit vergleichbarer Gewissheit ist auch eine Subsidiarität gegenüber der Verpflichtungsklage zu verneinen, wenn es den Rechtsuchenden darauf ankommt, die Erlaubnisfreiheit einer Tätigkeit aufgrund der Unwirksamkeit der zugrundeliegenden Norm festgestellt zu wissen. Ferner ist die Feststellungsklage nach der Rechtspraxis hier auch nicht subsidiär gegenüber einer allgemeinen Leistungsklage, da die Klagearten in der Rechtsprechung als untereinander austauschbar gesehen werden. Vor größeren Unsicherheiten stehen Rechtsuchende, die mittels der Feststellungsklage die inzidente Überprüfung einer Norm begehren, die weiteren Normvollzug zur Überwachung ihrer Einhaltung zulässt. Können sie in entsprechenden Sachverhaltskonstellationen ein qualifiziertes Feststellungsinte­ resse vorweisen, erscheint es aus Gründen der Prozessökonomie jedoch angemessen, die Zulässigkeit der Feststellungsklage nicht am Subsidiaritätsgrundsatz scheitern zu lassen. Es entspricht hier nicht dem primären Rechtsschutzbegehren, einen bestimmten Vollzugsakt mittels Anfechtungsklage zu beseitigen, sondern das Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses aufgrund der Unwirksamkeit der zugrundeliegenden Norm festgestellt zu wissen. Dies gilt unabhängig davon, ob der jeweilige Vollzugsakt bereits erlassen wurde oder noch aussteht. 1051  Pietzcker, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 43 Rn. 52; Giesberts, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 60. Ed. 2022, § 47 Rn. 83; Rubel, DVBl 2015, 525. 1052  Siehe abermals nur BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2000, Az. 11 C 13/99, ­BVerwGE 111, 276, juris Rn. 29 und Urteil vom 28. Januar 2010, Az. 8 C 19/09, ­BVerwGE 136, 54, juris Rn. 25.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 223

h) Übertragung der Jahresfrist nach § 93 Abs. 3 BVerfGG? Antragsrechte für von Privaten einzuleitende prinzipale Normenkontrollverfahren unterliegen in der Regel zeitlichen Beschränkungen (vgl. § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO und § 93 Abs. 3 BVerfGG).1053 Insoweit kann die Überlegung angestellt werden, ob es im Sinne der Rechtssicherheit billig erscheint, die Feststellungsklage als allgemeine Normenabwehrklage ohne Fristbindung als zulässig zu erachten. Nach allgemeiner Meinung sind entsprechende Fristenregelungen jedoch nicht auf inzidente Normenkontrollverfahren zu übertragen.1054 So betonte der Gesetzgeber bei der (nachträglichen) Einführung des Fristerfordernisses für das verwaltungsgerichtliche Normenkontrollverfahren ausdrücklich, dass dadurch „die Befugnis der Verwaltungsgerichte, Normen inzident auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht zu prüfen, nicht berührt“ werde.1055 Dies erscheint vor dem Hintergrund der Verschiedenheit von inzidenter und prinzipaler Normenkontrolle nur überzeugend. Der Feststellungsklage ist nicht die Frage der Wirksamkeit einer Rechtsnorm gegenständlich. Sie kann gerade nicht in einem allgemeinverbindlichen Urteil über die Unwirksamkeit des streitigen Rechtssatzes enden. Soweit es im Einzelfall auf Basis von Zeit- und Umstandsmoment unbillig erscheint, sich im Rahmen einer Feststellungsklage auf die Unwirksamkeit einer Rechtsnorm zu berufen, könnten diese Zweifelsfälle über eine mög­ liche Verwirkung des Klagerechts gelöst werden.1056 Zu beachten ist jedoch, dass diese Gesichtspunkte allein für die Zulässigkeit der Feststellungsklage Geltung beanspruchen können. Unter Umständen können Rechtsuchende jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts veranlasst sein, die Feststellungsklage innerhalb der Jahresfrist entsprechend § 93 Abs. 3 BVerfGG zu erheben, um sich gegebenenfalls den anschließenden Weg zum Bundesverfassungsgericht offenzuhalten. Für diese prozesstaktischen Erwägungen wird auf den vierten Teil dieser Untersuchung verwiesen.1057

1053  Anders

das sozialgerichtliche Normenkontrollverfahren nach § 55a SGG. Beschluss vom 8. April 2003, Az. 4 B 23/03, juris Rn. 4 m. w. N.; VGH Bayern, Urteil vom 25. November 2019, Az. 3 BV 17.1857, juris Rn. 19; Terhechte, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 43 VwGO Rn. 35; Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 43 Rn. 1. 1055  BT-Drs. 13/3993, S. 10. 1056  Dazu Terhechte, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 43 VwGO Rn. 35, 60 m. w. N. 1057  Siehe nachfolgend S. 253 ff. 1054  BVerwG,

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

i) Zwischenergebnis Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass sämtliche Sachurteilsvoraussetzungen für eine negative Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 Var. 2 VwGO erfüllt sein können, wenn sie als allgemeine Normenabwehrklage betreffend self-executing Normen erhoben wird. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese vom parlamentarischen Gesetzgeber oder der Exekutive erlassen wurden. Auch kommt es nicht darauf an, ob es sich um eine landes- oder eine bundesrechtliche Vorschrift handelt. Auch soweit die selbstvollziehende Norm neben der Ahndung eines Verstoßes als Ordnungswidrigkeit oder Straftat weiteren Normvollzug in Überwachung ihrer Einhaltung zulässt, kann eine Feststellungsklage im Einzelfall statthaft sein. Der befürchtete Bruch mit dem Rechtsschutzsystem der Verwaltungsgerichtsordnung durch die Etablierung einer Normenabwehrklage über § 43 Abs. 1 Var. 2 VwGO betreffend Parlamentsgesetze ist insoweit grundsätzlich unbegründet.1058 Prozesstaktische Erwägungen betreffend die normbezogene Feststellungsklage sowie zur Frage, in welchen Fallgestaltungen der hier dargestellte „Umweg“ über die Verwaltungsgerichte entbehrlich erscheint, bleiben den Ausführungen im nachfolgenden vierten Teil der Untersuchung vorbehalten.1059 4. Suspendierung eines Parlamentsgesetzes im einstweiligen Rechtsschutzverfahren Unter Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes können Rechtsuchende der Gefahr begegnen, dass die Behörde vor oder während des Hauptsacheverfahrens Maßnahmen zur Durchsetzung der streitigen Norm ergreift.1060 Nachfolgend werden knapp die Besonderheiten eines entsprechenden Verfahrens – insbesondere die Möglichkeit der einstweiligen Suspen­ dierung eines Parlamentsgesetzes – beleuchtet. Im Übrigen gelten die vorstehenden Ausführungen zu den Sachurteilsvoraussetzungen der (vorbeugenden) negativen Feststellungsklage entsprechend. a) Statthaftigkeit einer vorläufigen Feststellung Über § 123 Abs. 1 VwGO kann nach mittlerweile wohl allgemeiner Auffassung auch die vorläufige Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens 1058  Siehe

für die Kritik in der Literatur zuvor S. 175 ff. nachfolgend S. 253 ff. 1060  Wie dargelegt, gilt dies nicht auch für Maßnahmen der Strafverfolgung; siehe dazu zuvor S. 91 ff. 1059  Siehe



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 225

eines Rechtsverhältnisses im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO beantragt werden.1061 Mit der einstweiligen Anordnung des Gerichts, dass die Antragstellenden etwa zu einem bestimmten Handeln berechtigt bzw. nicht verpflichtet sind, ist der zuständigen Behörde – zumindest über Art. 20 Abs. 3 GG – untersagt, Maßnahmen gegenüber den Antragstellenden zu treffen, die dieser Anordnung des Gerichts zuwiderliefen. Über das ihnen durch § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 938 Abs. 1 ZPO eingeräumte Ermessen ist den Gerichten jedoch auch anheimgestellt, die Antragsgegnerseite vorläufig zu verpflichten, ein bestimmtes Verhalten der Antragstellenden zu dulden.1062 Ein entsprechendes Begehren dürfte regelmäßig als Antrag auf Erlass einer Sicherungsanordnung im Sinne des § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO statthaft sein, wenn es den Antragstellenden darum geht, dass sie einer bestimmten gesetzlichen Neuregelung nicht unterfallen, also zu einem bestimmten Tun weiter berechtigt bzw. nicht verpflichtet sind.1063 Im Ergebnis ist der Kategorisierung des Antragsbegehrens als Sicherungs- oder Regelungsanordnung ohnehin keine Relevanz beizumessen. Es werden keine unterschiedlichen Anforderungen an die Zulässigkeit oder Begründetheit des Antrags gestellt.1064 b) Keine Vorwegnahme der Hauptsache Als problematisch kann sich hier die Frage nach der Vorwegnahme der Hauptsache erweisen. Als vorläufiges Rechtsschutzverfahren soll mit der einstweiligen Anordnung grundsätzlich (lediglich) das Hauptsacheverfahren gesichert werden und einen Zwischenzustand bis zu einer endgültigen Hauptsacheentscheidung regeln.1065 Insoweit kann grundsätzlich nur eine vorläu1061  BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 7. April 2003, Az. 1 BvR 2129/02, juris Rn. 11 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29. Oktober 2014, Az. OVG 1 S 30.13, juris Rn. 17, 20; OVG Hamburg, Beschluss vom 19. Mai 2015, Az. 4 Bs 14/15, juris Rn. 14; OVG NRW, Beschluss vom 22. Juni 2017, Az. 13 B 238/17, juris Rn. 13; Bender, in: FS Menger, 1985, S. 657, 659; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz, 7. Aufl. 2017, Rn. 219; Schoch, in: ders./ Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 123 Rn. 35; a. A. noch OVG NRW, Beschluss vom 25. April 1996, Az. 15 B 2786/95, juris Rn. 13; zweifelnd scheinbar auch OVG Hamburg, Beschluss vom 20. Mai 2020, Az. 5 Bs 77/20, juris Rn. 13. 1062  OVG Hamburg, Beschluss vom 20. Mai 2020, Az. 5 Bs 77/20, juris Rn. 15; Schoch, in: ders./Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 123 Rn. 139. 1063  Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 22. Juni 2017, Az. 13 B 238/17, juris Rn. 12; so wohl auch OVG Hamburg, Beschluss vom 19. Mai 2015, Az. 4 Bs 14/15, juris Rn. 14. 1064  Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 45; OVG NRW, Beschluss vom 21. Dezember 2010, Az. 13 B 1482/10, juris Rn. 21. 1065  Bostedt, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 123 VwGO Rn. 81.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

fige Regelung getroffen werden, durch welche die spätere Entscheidung in der Hauptsache nicht vorweggenommen wird. Unter der Vorwegnahme der Hauptsache ist nur die endgültige Vorwegnahme zu verstehen, in der Weise, dass die Entscheidung und ihre Folgen nicht mehr durch eine spätere Hauptsacheentscheidung rückgängig gemacht werden könnten.1066 Nicht hierunter fällt gerade die bloß vorläufige Anordnung – oder eben vorläufige Feststellung. Der Umstand, dass auch diese selbst später nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, steht dem nicht entgegen. Wesensnotwendiger Bestandteil einer jeden vorläufigen Entscheidung ist die zeitlich beschränkte Vorwegnahme.1067 Im Einzelfall kann jedoch auch eine bloß vorläufige Feststellung einer Vorwegnahme der Hauptsache gleichkommen. Dies gilt für den Fall, dass die begehrte Feststellung faktisch einen endgültigen Charakter hat. In den hier betrachteten Rechtsschutzbegehren, dass das Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses aufgrund der Unwirksamkeit einer Norm festgestellt werden soll, liegt ein entsprechender Fall dann vor, wenn die streitentscheidende Regelung in ihrer Geltung befristet ist und daher – angesichts der üblichen Verfahrensdauer – nicht mehr Gegenstand einer Hauptsacheentscheidung sein wird.1068 In diesen Fällen ist eine einstweilige Anordnung bzw. Feststellung jedoch nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Ausnahmsweise kann über Art. 19 Abs. 4 GG die (faktische) Vorwegnahme der Hauptsache gerechtfertigt sein, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings unabweisbar ist.1069 Voraussetzung dafür sei die weit überwiegende Wahrscheinlichkeit des Erfolgs in der Hauptsache. Außerdem müssen sich die Antragstellenden schweren und unzumutbaren, nicht mehr nachträglich zu korrigie1066  Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 123 Rn. 14; Kuhla, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 60. Ed. 2022, § 123 Rn. 156; Wollenschläger, in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 123 Rn. 124 f.; a. A. OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. September 2008, Az. 13 ME 90/08, juris Rn. 3. 1067  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 31. März 2003, Az. 2 BvR 1779/02, juris Rn. 4; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29. Oktober 2014, Az. OVG 1 S 30.13, juris Rn. 18; OVG Hamburg, Beschluss vom 19. Mai 2015, Az. 4 Bs 14/15, juris Rn. 17; Bostedt, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 123 VwGO Rn. 83; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 123 Rn. 104; Schoch, in: ders./Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 123 Rn. 35; Hong, NVwZ 2012, 468, 469 f. 1068  So bspw. bei OVG Hamburg, Beschluss vom 20. Mai 2020, Az. 5 Bs 77/20, juris Rn. 17; VG Stuttgart, Beschluss vom 4. Mai 2021, Az. 16 K 2291/21, juris Rn. 23; Wollenschläger, in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 123 Rn. 124. 1069  BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 1988, Az. 2 BvR 745/88, BVerfGE 79, 69, juris Rn. 27; BVerwG, Beschluss vom 13. August 1999, Az. 2 VR 1/99, ­BVerwGE 109, 258, juris Rn. 24; OVG Hamburg, Beschluss vom 20. Mai 2020, Az. 5 Bs 77/20, juris Rn. 17; Buchheister, in: Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 123 Rn. 34.



B. Subjektiver Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze 227

renden Nachteilen gegenübersehen, soweit sie eine Hauptsacheentscheidung abwarten müssten.1070 Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist Frage des Einzelfalls. Das von der Rechtsprechung aufgestellte Erfordernis der hohen Erfolgsaussichten in der Hauptsache soll in den hier betrachteten Fällen dadurch unterstrichen werden, dass eine gewisse Nähe zu den Eilanträgen im Normenkontrollverfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO bestehe.1071 § 47 Abs. 6 VwGO stellt an die Aussetzung des Vollzugs einer (untergesetzlichen) Norm erheblich strengere Anforderungen, als es über § 123 VwGO sonst der Fall ist.1072 Zwar ist durchaus eine Parallele dahingehend zu erkennen, dass es in beiden Rechtsschutzverfahren den Antragstellenden im Kern um die Frage der Wirksamkeit einer Rechtsnorm geht. Dennoch erscheint unbillig, die Antragstellenden im Verfahren nach § 123 VwGO vor vergleichbar hohe Hürden zu stellen. Die strengen Anforderungen an die vorläufige Aussetzung einer Rechtsnorm ergeben sich nicht nur bereits aus dem Wortlaut des § 47 Abs. 6 VwGO („dringend geboten“), sondern sind auch darauf zurückzuführen, dass hier das Gericht die Anwendbarkeit bzw. den Vollzug des jeweiligen Rechtssatzes allgemeinverbindlich aussetzen kann.1073 Über § 123 VwGO können die Antragstellenden jedoch lediglich eine vorläufige inter partes wirkende Entscheidung beantragen. Wie bereits festgehalten, ist in diesem Zusammenhang ferner zu beachten, dass die Gerichte in einstweiligen Rechtsschutzverfahren betreffend die Wirksamkeit von Parlamentsgesetzen grundsätzlich berechtigt sind, bereits ohne Vorlage- und Aussetzungsbeschluss im Sinne des Art. 100 Abs. 1 GG in der Sache zu entscheiden, wenn sie von der Unwirksamkeit der jeweiligen Rechtsnorm überzeugt sind.1074 Wird die Hauptsache – auch nur in faktischer Hinsicht – vorweggenommen, droht jedoch der durch Art. 100 Abs. 1 GG bezweckte Schutz des parlamentarischen Gesetzgebers sowie das Verwer1070  BVerwG, Beschluss vom 13. August 1999, Az. 2 VR 1/99, B ­ VerwGE 109, 258, juris Rn. 24; Urteil vom 18. April 2013, Az. 10 C 9/12, ­BVerwGE 146, 189, juris Rn. 22; OVG Hamburg, Beschluss vom 14. April 2021, Az. 5 Bs 67/21, juris Rn. 13; Bostedt, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 123 VwGO Rn. 84; Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 123 Rn. 14. 1071  VGH BW, Beschluss vom 24. Oktober 2002, Az. 8 S 2210/02, juris Rn. 33; OVG NRW, Beschluss vom 26. März 2012, Az. 5 B 892/11, juris Rn. 9; OVG Hamburg, Beschluss vom 20. Mai 2020, Az. 5 Bs 77/20, juris Rn. 18; Beschluss vom 14. April 2021, Az. 5 Bs 67/21, juris Rn. 14; so auch Giesberts, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 60. Ed. 2022, § 47 Rn. 92. 1072  BVerwG, Beschluss vom 18. Mai 1998, Az. 4 VR 2/98, juris Rn. 3. 1073  Vgl. Unruh, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 47 VwGO Rn. 140; OVG Bremen, Beschluss vom 11. März 1991, Az. 1 T 2/91, juris Rn. 19. 1074  Siehe zuvor S. 128 ff.; dazu eingehend Schmitt, Richtervorlage in Eilverfahren?, 1997, S. 33 ff.

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3. Teil: Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz

fungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts unterlaufen zu werden.1075 Anders als betreffend untergesetzliche Rechtsnormen ist hier mithin die Grenze für eine gegebenenfalls über Art. 19 Abs. 4 GG angezeigte Vorwegnahme der Hauptsache zu ziehen, soweit faktisch endgültig über die Wirksamkeit eines Parlamentsgesetzes entschieden würde. In diesen Fällen ist dann auch das einstweilige Rechtsschutzverfahren auszusetzen und die Sache dem jeweils zuständigen Verfassungsgericht vorzulegen.1076 Dann kann nur noch im Verfassungsprozess vorläufiger Rechtsschutz (vgl. für das Bundesverfassungsgericht § 32 BVerfGG) gewährt werden. Hierbei kommt den Beteiligten des Ausgangsverfahrens jedoch – mangels Beteiligtenstellung im Verfahren der konkreten Normenkontrolle1077 – kein Antragsrecht zu, sodass eine einstweilige Anordnung nur von Amts wegen in Betracht kommen soll.1078

1075  Vgl. eingehend Schenke, JuS 2017, 1141, 1147 f.; Schoch, in: ders./Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 123 Rn. 129b. 1076  So für die h. M. BVerfG, Beschluss vom 24. Juni 1992, Az. 1 BvR 1028/91, BVerfGE 86, 382, juris Rn. 29; OVG NRW, Beschluss vom 21. Februar 2017, Az. 6 B 1109/16, juris Rn. 3; Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 80 Rn. 42; Löwer, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 70 Rn. 83; a. A. Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 80 Rn. 162 und Schoch, in: ders./Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 123 Rn. 129b, die ebenfalls eine Vorlagepflicht befürworten, welche jedoch einer Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht entgegenstehe und Froese/Kempny/Schiffbauer, DÖV 2017, 261, 269 f., die trotz Vorlage vorläufigen Rechtsschutz mittels eines auf Art. 19 Abs. 4 GG gestützten Hängebeschlusses gewähren wollen. 1077  Siehe dazu BVerfG, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 2. November 1960, Az. 2 BvQ 9/60, BVerfGE 11, 339, juris Rn. 19; Beschluss vom 26. Oktober 1966, Az. 1 BvL 2/60, BVerfGE 20, 350, juris Rn. 2; Sieckmann/Kessal-Wulf, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 100 Rn. 70. 1078  BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 7. Dezember 1977, Az. 2 BvF 1/77, BVerfGE 46, 337, juris Rn. 1; Dederer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 100 Rn. 152.

4. Teil

Konsequenzen für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende Im letzten Abschnitt dieser Untersuchung wird erörtert, welche Konsequenzen die Heranziehung der verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklage als allgemeine Normenabwehrklage betreffend Parlamentsgesetze für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende haben kann.

A. Konsequenzen für die Verwaltungsgerichtsbarkeit I. Rolle der Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Verfassungsgerichtsbarkeit Die Kontrolle von Parlamentsgesetzen wird klassischerweise dem Auf­ gabenbereich der Verfassungsgerichtsbarkeit zugeordnet.1079 Um der Frage nachzugehen, ob die dargestellten Bestrebungen in der Rechtsprechung mit dieser Zuordnung brechen könnten, wird zunächst knapp die Rolle der Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Verfassungsgerichtsbarkeit nach dem Status quo beleuchtet. Hervorgehoben werden dabei ihre Rolle in Fragen des Grundrechtsschutzes sowie ihre Einflussmöglichkeiten auf die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung. 1. Aufgabenparallelität: Grundrechtsschutz Die Aufgabe des Grundrechtsschutzes ist wesentlicher Teil der Verfassungsgerichtsbarkeit, jedoch dieser nicht exklusiv zugewiesen. Während Rechtsuchende über die Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht nur gegen Beeinträchtigungen von Grundrechten bzw. grundrechtsgleichen Rechten vorgehen können, steht ihnen der Weg zu den Fachgerichten grundsätzlich betreffend sämtliche Rechtsverletzungen offen.1080 Die bereits im ersten Teil dieser Untersuchung vorgenommene Kompetenz1079  Dazu

zuvor S. 98. Bundesverfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit, 2006, S. 203.

1080  Alleweldt,

230 4. Teil: Konsequenzen für Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende

abgrenzung und Funktionsbestimmung führen insoweit nicht mehr weiter, wenn der Frage nachgegangen wird, wo die Grenzen der Gerichtsbarkeiten in Fragen des Grundrechtsschutzes verlaufen. Art. 1 Abs. 3 und 20 Abs. 3 GG nehmen gerade sämtliche Gerichte in die Pflicht.1081 Im Bereich des Grundrechtsschutzes wird insoweit von einer „Aufgabenparallelität“ gesprochen.1082 Die Aufgabe der Gerichtsbarkeiten ist hier dieselbe: den Grundrechtsschutz der Rechtsuchenden zu gewährleisten.1083 a) Fachgerichtliche Erstinterpretation Bedingt durch den Vorrang des fachgerichtlichen Rechtsschutzes wird Grundrechtsschutz in erster Linie bei Anwendung und Auslegung des einfachen Rechts gewährleistet.1084 Dies gilt allgemein für sämtliche Fachgerichte, im Besonderen aber für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.1085 Die Gerichte werden dabei als gerichtliche Erstinterpreten der Verfassung tätig und tragen dem Willen des Verfassunggebers bei der Auslegung des einfachen Rechts soweit wie möglich Rechnung.1086 Der fachgerichtliche unterscheidet sich vom verfassungsgerichtlichen Rechtsschutz hier jedoch durch seine Sachnähe, die Sachkunde und spezifische Aufklärungsmöglichkeiten im Rahmen der mündlichen Verhandlung.1087 Durch eine fachliche Untergliederung der einzelnen Gerichtsbarkeiten kann 1081  Zur Kompetenzabgrenzung bereits zuvor S.  36 ff.; Düwel, Kontrollbefugnisse des Bundesverfassungsgerichts bei Verfassungsbeschwerden gegen gerichtliche Entscheidungen, 2000, S. 232 f.; ähnlich auch Posser, Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, 1993, S. 345 ff. 1082  Die Bezeichnung geht in diesem Zusammenhang zurück auf Bryde, Verfassungsentwicklung, 1982, S.  316; aufnehmend etwa Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 1. Teil Rn. 20. 1083  So auch Bryde, Verfassungsentwicklung, 1982, S. 318; Düwel, Kontrollbefugnisse des Bundesverfassungsgerichts bei Verfassungsbeschwerden gegen gerichtliche Entscheidungen, 2000, S. 241 f.; Robbers, NJW 1998, 935, 938 f.; Uerpmann, in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd. I, 2001, S. 673, 690 f. 1084  BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996, Az. 2 BvR 1516/93, BVerfGE 94, 166, juris Rn. 166; siehe zum Subsidiaritätsgrundsatz zuvor S. 55 ff. 1085  Nach Zuck finden verfassungsrechtliche Argumente in der ordentlichen Gerichtsbarkeit jedoch „kaum Gegenliebe“, ders., in: FS Redeker, 1993, S. 213, 223; kritisch zur Verfassungskontrolle durch die Verwaltungsgerichte Pestalozza, NJW 1978, 1782, 1784 f. 1086  Vgl. Zuck, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, 5. Aufl. 2017, 1. Kapitel Rn. 66, Fn. 202. 1087  Düwel, Kontrollbefugnisse des Bundesverfassungsgerichts bei Verfassungsbeschwerden gegen gerichtliche Entscheidungen, 2000, S. 241; Bethge, in: SchmidtBleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, § 90 Rn. 403; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 11. Oktober 1988, Az. 1 BvR 777/85, BVerfGE 79, 1, juris Rn. 58.



A. Konsequenzen für die Verwaltungsgerichtsbarkeit231

sich die Sachnähe und Sachkunde der Fachgerichte erst herausbilden. Diese Untergliederung ist für unser heutiges Rechtssystem wesentlich. Der stetig zunehmenden Ausdifferenzierung des einfachen Rechts und den wachsenden gesetzlichen Regulierungen können nur entsprechend spezialisierte Gerichte Herr werden.1088 Dies schlägt sich auch in Fragen des Grundrechtsschutzes nieder. So ist Papier beizupflichten, wenn er davon ausgeht, dass ohne die besondere Sachkunde der Fachgerichte „sich der Grundrechtsschutz wohl nicht derart ausdifferenziert und effizient [hätte] entwickeln können“.1089 Einen Beleg für den wirksamen Grundrechtsschutz durch die Fachgerichtsbarkeit sieht Papier nachvollziehbarer Weise in der geringen „Erfolgsquote“1090 der (Urteils-)Verfassungsbeschwerde.1091 Das Bundesverfassungsgericht leistet auch im Rahmen der Verfassungsbeschwerde keinen vergleichbaren Einzelfallrechtsschutz.1092 Zutreffend verweist es für die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Sachverhalts sowie für die Anwendung und Auslegung des einfachen Rechts auf die alleinige Zuständigkeit der Fachgerichte.1093 b) Zeitlich und qualitativ nachgelagerter verfassungsgerichtlicher Rechtsschutz Das Bundesverfassungsgericht wird subjektiv rechtsschützend nicht nur zeitlich (über das Gebot der Rechtswegerschöpfung und den Grundsatz der Subsidiarität), sondern auch qualitativ nachgelagert tätig. Das Gericht selbst führt als Nachweis hierzu die Annahmevoraussetzungen nach § 93a Abs. 2 lit. b) Hs. 2 BVerfGG an.1094 Das Gericht nimmt eine Verfassungsbeschwerde erst zur Entscheidung an, wenn dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 lit. b) Hs. 1 BVerfGG). 1088  Vgl. Düwel, Kontrollbefugnisse des Bundesverfassungsgerichts bei Verfassungsbeschwerden gegen gerichtliche Entscheidungen, 2000, S. 241. 1089  Papier, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. III, 2009, § 79 Rn. 51. 1090  Unter Verweis auf die auch objektive Rechtsschutzfunktion der Verfassungsbeschwerde kritisch zu diesem Begriff Böhmer, Mannheimer Berichte Nr. 40, 1992, S. 19, 21. 1091  Papier, DVBl 2009, 473, 481. 1092  BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996, Az. 2 BvR 1516/93, BVerfGE 94, 166, juris Rn. 159; Düwel, Kontrollbefugnisse des Bundesverfassungsgerichts bei Verfassungsbeschwerden gegen gerichtliche Entscheidungen, 2000, S. 243. 1093  Siehe nur BVerfG, Beschluss vom 10. Juni 1964, Az.  1 BvR 37/63, BVerfGE 18, 85, juris 1. Os.; Beschluss vom 8. Januar 1985, Az. 1 BvR 792/83, BVerfGE 68, 361, juris Rn. 22. 1094  Vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. April 2003, Az. 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, 395, juris Rn. 62; vgl. auch Kirchhof, NVwZ-Beilage 2013, 13, 15.

232 4. Teil: Konsequenzen für Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende

Dies ist unter anderem der Fall, wenn den Beschwerdeführenden durch die Versagung der Entscheidung zur Sache ein besonders schwerer Nachteil entsteht. Ein solcher Nachteil besteht nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts soweit die von den Beschwerdeführenden geltend gemachte Rechtsverletzung sie in „existentieller Weise“ betreffe.1095 Der Rechtsschutz vor den Fachgerichten beschränkt sich demgegenüber nicht auf eine derartige Betroffenheit, sondern erfasst Rechtsbeeinträchtigungen jeglicher Art.1096 Vergleichbare Aspekte spielen bei der Fachgerichtsbarkeit erst bei Rechtsmittelfragen eine Rolle, vgl. §§ 124 Abs. 2, 132 Abs. 2 VwGO. Für die Frage der Eröffnung des Rechtswegs sind derartige Erwägungen jedoch belanglos.1097 Auch § 34 Abs. 2 BVerfGG verdeutlicht, dass das Bundesverfassungsgericht subjektiven Rechtsschutz erst in qualifizierten Fällen gewähren soll.1098 In Ausnahme zur Kostenfreiheit der Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht kann das Gericht eine Missbrauchsgebühr verlangen. In der Vergangenheit hat das Gericht in Fragen des subjektiven Rechtsschutzes Beschwerdeführenden diese Gebühr auferlegt, wenn mit der angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidung nur eine geringe Beschwer einhergegangen ist.1099 c) Unterschiedliche Entscheidungswirkung und Verfassungsinterpretation Wie bereits dargelegt, kommt den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts eine besondere Bedeutung zu. Über § 31 BVerfGG geht von ihnen eine umfassende Bindungswirkung aus. Auch in subjektiven Rechtsschutzverfahren wird dadurch über den Einzelfall hinaus Verfassungsrecht gewahrt, ausgelegt und fortgebildet.1100 Zwar sind auch die Fachgerichte Interpreten der Verfassung, doch kommt ihren Entscheidungen keine objektive Wirkung wie jenen des Bundesverfassungsgerichts zu. Ihnen fehlt es an einer vergleichbar starken Bindungswirkung. Soweit sie als Verfassungsinterpreten in Erscheinung treten, können ihre Feststellungen zum Verfassungsrecht zwar von weiteren Verfassungsanwendern herangezogen werden, doch besteht 1095  BVerfG, Beschluss vom 8. Februar 1994, Az. 1 BvR 1693/92, BVerfGE 90, 22, juris Rn. 13; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 9. Juli 1997, Az. 2 BvR 1371/96, BVerfGE 96, 245, juris Rn. 9. 1096  BVerfG, Beschluss vom 30. April 2003, Az. 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, 395, juris Rn. 63. 1097  Ebd. 1098  Düwel, Kontrollbefugnisse des Bundesverfassungsgerichts bei Verfassungsbeschwerden gegen gerichtliche Entscheidungen, 2000, S. 259 f. 1099  Schmittmann, DVBl 1997, 988 unter Verweis auf BVerfG, Kammerbeschluss vom 17. Dezember 1995, Az. 2 BvR 2676/95. 1100  Siehe dazu zuvor S. 98 ff.



A. Konsequenzen für die Verwaltungsgerichtsbarkeit233

hierzu im Gegensatz zu Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gerade keine vergleichbare Pflicht. Darüber hinaus führt auch die Art der Senatsbesetzung am Bundesverfassungsgericht zu einer anderen Intensität von Grundrechtsinterpretation.1101 Die Richter am Bundesverfassungsgericht wechseln während ihrer Amtszeit nicht. Anders als etwa den Richtern am Bundesverwaltungsgericht sind ihnen oft nicht bestimmte Rechtsgebiete, sondern einzelne Grundrechte zugewiesen. Diese Fokussierung ermöglicht über die Jahre im Amt eine gänzlich andere Auseinandersetzung mit den Grundrechten als bloß eine Auslegung im konkreten Einzelfall.1102 Dieser Umstand wird durch die zunehmende Anzahl an Kammerentscheidungen verstärkt, die der einzelnen Richterstimme im Vergleich zur Senatsentscheidung mehr Gewicht verleihen.1103 d) Begrenzter objektiver Rechtsschutz Unabhängig von der Entscheidungswirkung sind objektiven Rechtskontrollen durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Rahmen von subjektiven Rechtsschutzverfahren „deutliche Grenzen“ gesetzt.1104 So ist etwa die Anfechtungsklage nur begründet, soweit der Verwaltungsakt rechtwidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Gesetzgeber begrenzt den Kontrollumfang damit erheblich. Die Gerichte sind grundsätzlich nicht legitimiert, in Rechtsfragen zu entscheiden, die „erkennbar keine Auswirkung auf die geschützte Rechtsposition des Klägers haben können“.1105 Insoweit ist die Begründetheitsprüfung deckungsgleich mit der Zulässigkeitsvoraussetzung der Klagebefugnis im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO. Das subjektiv-öffentliche Recht ist damit nicht bloß Ausgangs-, sondern Angelpunkt des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes.1106 Anders stellt sich dies für das Bundesverfassungsgericht dar. Das 1101  Auch Böckenförde macht die Verschiedenheit der Gerichtsbarkeiten maßgeblich anhand der „einzigartigen Interpretationsmacht“ der Verfassungsgerichtsbarkeit fest, ders., NJW 1999, 9, 12 f. 1102  Kirchhof, NVwZ-Beilage 2013, 13, 14. 1103  Ebd., kritisch zur Häufung der Kammerentscheidungen Farahat, in: v. Bogdandy/Grabenwarter/Huber, Ius Publicum Europaeum, Bd. VI, 2016, § 97 Rn. 114. 1104  Ehlers, in: ders./Schoch, Rechtsschutz im öffentlichen Recht, 2021, § 27 Rn. 123; so auch Bettermann, in: FS Schima, 1969, S. 71, 88 und Kirchhof, NVwZBeilage 2013, 13, 15. 1105  Ehlers, in: ders./Schoch, Rechtsschutz im öffentlichen Recht, 2021, § 27 Rn. 66; wiedergebend Barczak/Görisch, DVBl 2011, 332, 334. 1106  Schlacke, in: Erbguth/Masing, Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit im Mehrebenensystem, 2008, S. 123, 129; Schmidt-Aßmann, in: FS Menger, 1985, S. 107, 122.

234 4. Teil: Konsequenzen für Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende

Gericht versteht den Prüfungsumfang hier um objektive Gesichtspunkte erweitert. Dies zeigt sich besonders anhand der Entscheidung trotz Erledigung durch Rücknahme der Beschwerde oder Tod der Beschwerdeführenden.1107 Gesetzlicher Anknüpfungspunkt für dieses Vorgehen des Gerichts ist etwa der bereits aufgegriffene § 93a Abs. 2 lit. a) BVerfGG. So kann das Gericht eine Verfassungsbeschwerde unabhängig vom konkreten Einzelfall zur Entscheidung annehmen, soweit ihr grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt. Ferner stellt die Ausnahme vom Gebot der Rechtsweg­ erschöpfung nach § 90 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 BVerfGG für den Fall, dass die eingelegte Verfassungsbeschwerde von allgemeiner Bedeutung ist, einen weiteren Anknüpfungspunkt dar. Insoweit ist die Beschwerdebefugnis der Rechtsuchenden in Form einer möglichen Grundrechts- oder grundrechtsgleichen Rechtsverletzung im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung lediglich der Schlüssel zu einer umfassenden Prüfung. Die Beschwerdebefugnis und eine umfassende Begründetheitsprüfung der Beschwerde sind jedoch nicht zwingend spiegelbildlich.1108 2. Einflussnahmemöglichkeiten der Verwaltungsgerichtsbarkeit Daneben ist für die Rolle der Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Verfassungsgerichtsbarkeit entscheidend, inwiefern fachgerichtliche bzw. verwaltungsgerichtliche Entscheidungen Einfluss auf die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung ausüben können. Bedingt durch den Vorrang der Verfassung und der Bindungswirkung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (§ 31 Abs. 1 BVerfGG) haben die Fachgerichte in rechtlicher Hinsicht grundsätzlich keine „Remonstrationsmöglichkeiten“.1109 Hingegen nehmen die Fachgerichte in tatsächlicher Hinsicht nicht selten Einfluss auf die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung.1110 Dies kann sowohl in prozessualer wie in materieller Hinsicht festgestellt werden.

1107  Dazu

zuvor S. 98 ff. Barczak/Görisch, DVBl 2011, 332, 336; vergleichbar setzt § 47 VwGO als Zulässigkeitshürde zwar die Möglichkeit der Verletzung eines subjektiven Rechts voraus, doch spielt die Rechtsverletzung für die Begründetheit des Antrags keine Rolle; dazu Panzer, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 47 Rn. 80. 1109  Roellecke, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, 3. Aufl. 2005, § 68 Rn. 24. 1110  Ebd., Rn. 25. 1108  Vgl.



A. Konsequenzen für die Verwaltungsgerichtsbarkeit235

a) „Röhrensystem“ Im Rahmen der Verfassungsbeschwerde veranschaulichen die Grundsätze der Rechtswegerschöpfung und der Subsidiarität, wie die Fachgerichte Einfluss auf verfassungsprozessuale Anforderungen nehmen können. Bildlich beschreibt Barczak, dass fach- und verfassungsgerichtlicher Rechtsschutz über § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG „wie miteinander kommunizierende Röhren“ fungieren.1111 Die fachgerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten bedingen die Anforderungen, die an die Beschwerdeführenden gestellt werden, um verfassungsgerichtlichen Rechtsschutz zu erlangen. Mit erweiterten fachgerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten gehen gesteigerte Anforderungen an die Rechtswegerschöpfung und die Subsidiarität einher.1112 Parallel fließen in dem „Röhrensystem“ auch Anforderungen an die fachgerichtlichen Verfahren zurück. Die Grundsätze der Rechtswegerschöpfung und der Subsidiarität haben eine „Vorwirkung“1113 für die Ausgangsverfahren dergestalt, dass hierüber den Rechtsuchenden Anweisungen erteilt werden können, wie sie ihr Ausgangsverfahren zu betreiben haben.1114 Das „Röhrensystem“ kann an folgendem Beispiel veranschaulicht wer­ den:1115 Im Jahr 2008 stellte der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen von Rechtssatzverfassungsbeschwerdeverfahren gegen die hessischen und schleswig-holsteinischen Landesregelungen zur automatisierten Kennzeichenerfassung fest, dass die entsprechenden Regelungen nichtig und mit dem Grundgesetz unvereinbar waren.1116 Im Rahmen dieser Entscheidung erwog der Senat nicht, ob normbezogene Feststellungsklagen betreffend die angegriffenen Bestimmungen vorrangig zu erheben gewesen wären. Knapp zehn Jahre später hatte der Senat erneut über entsprechende Regelungen in Hessen und nunmehr auch in Baden-Württemberg zu ent-

1111  Barczak, DVBl 2019, 1040, 1041; ders., in: Modrzejewski/Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. V, 2019, S. 17, 22; währenddessen beschreibend als „Scharnier“ zwischen dem Verfassungsprozessrecht und dem einfachen Recht, Niesler, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 12. Ed. 2021, § 90 Abs. 2 Rn. 13 bezugnehmend auf Bender, AöR 112 (1987), 169. 1112  Barczak, DVBl 2019, 1040, 1041; ders., in: Modrzejewski/Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. V, 2019, S. 17, 22. 1113  Bender, AöR 112 (1987), 169. 1114  Niesler, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 12. Ed. 2021, § 90 Abs. 2 Rn. 13. 1115  Barczak wählt zur Veranschaulichung das Parallelverfahren der Kennzeichenkontrolle in Bayern, ders., DVBl 2019, 1040, 1041 f. unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 18. Dezember 2018, Az. 1 BvR 142/15, BVerfGE 150, 244 und BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 16. März 2019, Az. 1 BvR 1782/09. 1116  BVerfG, Urteil vom 11. März 2008, Az. 1 BvR 2074/05, BVerfGE 120, 378.

236 4. Teil: Konsequenzen für Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende

scheiden.1117 In der Zwischenzeit war eine Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs betreffend die Parallelvorschriften im Bayerischen Landesrecht ergangen. Der Gerichtshof hielt hier eine verwaltungsgericht­ liche Unterlassungsklage für zulässig, über welche er die Verfassungsmäßigkeit der betroffenen Regelungen umfassend untersuchte.1118 Der Erste Senat am Bundesverfassungsgericht erkannte im Nachgang, dass insoweit fachgerichtliche Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung gestanden hätten, die grundsätzlich im Voraus zu den Rechtssatzverfassungsbeschwerden zu erheben gewesen wären.1119 Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung hat insoweit die Anforderungen modifiziert, die nunmehr das Bundesverfassungsgericht an die Rechtswegerschöpfung bzw. die Subsidiarität stellen konnte. Insoweit nahm das Bundesverfassungsgericht die Judikatur aus der Fachgerichtsbarkeit auf und „verarbeitet[e]“1120 diese in seiner verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. In der dargestellten Entscheidung berücksichtigte der Senat jedoch, dass die Beschwerdeführenden ihre Verfassungsbeschwerden bereits knapp ein bzw. zwei Jahre1121 nach der Entscheidung des Bundes­ verfassungsgerichts zur Kennzeichenkontrolle aus dem Jahr 2008 erhoben hatten, in der es – bei gleicher verfassungsprozessualer Ausgangslage – die Rechtssatzverfassungsbeschwerden noch für uneingeschränkt zulässig erachtet hatte, ohne überhaupt zu erwägen, die Beschwerdeführenden auf vorrangigen fachgerichtlichen Rechtsschutz zu verweisen.1122 Insofern befand das Bundesverfassungsgericht in seiner Folgeentscheidung, dass es den Beschwerdeführenden ausnahmsweise unzumutbar gewesen sei, hier vorrangig fachgerichtliche Rechtsschutzmöglichkeiten zu beanspruchen.1123

1117  BVerfG, Beschluss vom 18. Dezember 2018, Az. 1 BvR 2795/09, BVerfGE 150,

309.

1118  VGH Bayern, Urteil vom 17. Dezember 2012, Az. 10 BV 09.2641, juris Rn.  59 ff. 1119  BVerfG, Beschluss vom 18. Dezember 2018, Az. 1 BvR 2795/09, BVerfGE 150, 309, juris Rn. 43. 1120  Löwer, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. II, 3. Aufl. 2005; § 70 Rn. 198; so auch Barczak, DVBl 2019, 1040, 1041; ders., in: Modrzejewski/ Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. V, 2019, S.  17, 22 f. 1121  Unter dem Az. 1 BvR 2795/09 griffen Beschwerdeführende die baden-württembergische Regelung und unter dem Az. 1 BvR 3187/10 griff ein weiterer Beschwerdeführer die hessische Parallelregelung an. 1122  Vgl. BVerfG, Urteil vom 11. März 2008, Az. 1 BvR 2074/05, BVerfGE 120, 378, juris Rn. 56 ff. 1123  BVerfG, Beschluss vom 18. Dezember 2018, Az. 1 BvR 2795/09, BVerfGE 150, 309, juris Rn. 51.



A. Konsequenzen für die Verwaltungsgerichtsbarkeit237

Übertragen auf den Gegenstand dieser Untersuchung kann das „Röhrensystem“ mithin veranschaulichen, wie die Entwicklung der fachgerichtlichen Rechtsprechung zur Zulässigkeit der verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklage betreffend die Wirksamkeit von Parlamentsgesetzen die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung beeinflusst hat. Das Bundesverfassungsgericht hat über das „Röhrensystem“ von fach- und verfassungsgerichtlichem Rechtsschutz die fachgerichtlichen Entwicklungen in seiner Rechtsprechung zum Subsidiaritätsgrundsatz verarbeitet und Anforderungen an die Prozessführung im Ausgangsverfahren zurückfließen lassen. b) „Neue“ Grundrechte Die Fachgerichte können die Rechtsprechung des Bundesverfassungs­ gerichts nicht nur in prozessualer, sondern auch in materieller Hinsicht beeinflussen. Dies kann wiederum anhand der Beteiligung der Fachgerichte bei der Schöpfung „neuer“ Grundrechte veranschaulicht werden. Grundsätzlich weist das Bundesverfassungsgericht den Weg, wenn es um die Standardisierung von Grundrechtsprüfungen anlässlich „neuer“ grundrecht­licher Gefährdungen geht.1124 Beispielhaft ist etwa das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme auf Grundlage von Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG zu nennen.1125 Entsprechende Bestrebungen können jedoch auch von den Fachgerichten ausgehen. So war es zwar das Bundesverfassungsgericht, welches das allgemeine Persönlichkeitsrecht über eine gemeinsame Heranziehung von Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG zum Grundrecht erhoben hat, doch ging dies zurück auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der das allgemeine Persönlichkeitsrecht als schützenswertes Gut im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB anerkannte.1126 Als weiteres Beispiel kann auch das sogenannte Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb herangezogen werden. Die Zivilgerichte haben dieses ebenfalls als „sonstiges Recht“ im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB etabliert.1127 Erst im Nachgang wurde diese Position NVwZ-Beilage 2013, 13, 16. vgl. BVerfG, Urteil vom 27. Februar 2008, Az. 1 BvR 370/07, BVerfGE 120, 274, juris Rn. 201 ff. 1126  BVerfG, Beschluss vom 14. Februar 1973, Az. 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269, juris Rn. 6, 27 unter Verweis auf BGH, Urteil vom 25. Mai 1954, Az. I ZR 211/53, BGHZ 13, 334; zur Entwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts etwa Vogelgesang, Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung?, 1987, S. 39 ff. 1127  Vgl. BGH, Urteil vom 28. Januar 1957, Az. III ZR 141/55, BGHZ 23, 157, juris Rn. 13  ff.; dazu Papier, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. III, 2009, § 79 Rn. 14. 1124  Kirchhof, 1125  Ebd.;

238 4. Teil: Konsequenzen für Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende

zum Teil in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG miteinbezogen.1128 Einen Schritt weiter ging das Bundesverwaltungsgericht mit seiner Rechtsprechung zum menschenwürdigen Existenzminimum. Hier erkannte das Gericht bereits lange vor dem Bundesverfassungsgericht ein entsprechendes Grundrecht an.1129 3. Verwaltungsgerichte als Teil der Verfassungsgerichtsbarkeit Die vorstehenden Ausführungen rechtfertigen die bereits im ersten Teil der Untersuchung aufgeworfene Frage, ob nicht die Fachgerichte bzw. im Besonderen die Verwaltungsgerichte selbst als Teil der Verfassungsgerichtsbarkeit anzusehen sind. a) Materielle Verfassungsgerichtsbarkeit Anknüpfungspunkt ist ein, über das formelle Begriffsverständnis hinaus­ gehender,1130 materieller Begriff der Verfassungsgerichtsbarkeit. Anders als der normativ geprägte Begriff der formellen Verfassungsgerichtsbarkeit lässt sich die materielle Begriffsbestimmung jedoch schwieriger erfassen. In diesem Zusammenhang wird unter anderem diskutiert, ob der Begriff der materiellen Verfassungsgerichtsbarkeit auch Zuständigkeiten der Fachgerichte umfassen kann.1131 So sehen Schlaich/Korioth die Rechtsprechung in Fragen des Verfassungslebens nicht als Privileg der verselbstständigten Verfassungsgerichte an. Verfassungsrechtsprechung im materiellen Sinn übe auch die Fachgerichtsbarkeit aus.1132 Die gesamte Rechtsprechung dient letztlich der Verwirklichung der Grundrechte.1133 Für die öffentlich-rechtliche Gerichtsbarkeit ist es ohnehin, für die Strafgerichtsbarkeit zumindest anhand von 1128  Papier, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. III, 2009, § 79 Rn. 14 m. w. N.; bis zuletzt offenlassend BVerfG, Urteil vom 6. Dezember 2016, Az. 1 BvR 2821/11, BVerfGE 143, 246, juris Rn. 240 m. w. N. 1129  BVerwG, Urteil vom 24. Juni 1954, Az. V C 78.54, ­ BVerwGE 1, 159, juris Rn. 27 ff.; BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010, Az. 1 BvL 1/09, BVerfGE 125, 175; dazu Kirchhof, NVwZ-Beilage 2013, 13, 16. 1130  Siehe zum Begriff der formellen Verfassungsgerichtsbarkeit zuvor S. 30 ff. 1131  Vgl. Friesenhahn, Die Verfassungsgerichtsbarkeit in der Bundesrepublik Deutschland, 1963, S. 21 ff.; Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 1. Teil Rn. 19; kritisch Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, Vorbem. Rn.  27 ff. 1132  Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 1. Teil Rn. 19. 1133  BVerfG, Beschluss vom 11. April 1972, Az. 2 BvR 75/71, BVerfGE 33, 23, juris Rn. 22.



A. Konsequenzen für die Verwaltungsgerichtsbarkeit239

Art. 103, 104 GG sowie für die Zivilgerichtsbarkeit spätestens mit der Begründung der mittelbaren Drittwirkung bzw. der Ausstrahlungswirkung der Grundrechte,1134 Aufgabe, die zu Gericht getragenen Sachverhalte immer auch am Maßstab der Grundrechte zu messen. Dabei ist jeder Spruchkörper berechtigt und gleichzeitig verpflichtet, die angewendeten Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu überprüfen.1135 Die durch Art. 100 Abs. 1 GG aufgestellte Schranke, dass die Erklärung eines Gesetzes für verfassungswidrig grundsätzlich den positiv-rechtlich bestimmten Verfassungsgerichten obliegt, verringert die richterliche Verantwortung und Entscheidungslast dabei nicht.1136 Dieses Verständnis steht auch im Einklang mit den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Vorgaben. So entspreche es der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung und Aufgabenzuweisung, dass vorrangig die Fachgerichte Rechtsschutz gegen Verfassungsverletzungen gewähren.1137 Selbst Bethge als Kritiker des Begriffs der materiellen Verfassungsgerichtsbarkeit spricht davon, dass der „Hauptpart gerichtlichen Grundrechtsschutzes“ zunächst den Fachgerichten obliege.1138 Wie Schlaich/Korioth weiter feststellen, reicht das materielle Verständnis der Verfassungsrechtsprechung sicher nicht soweit, dass die Entscheidungskompetenzen der Fachgerichte denen des Bundesverfassungsgerichts ebenbürtig sind.1139 Wie vorstehend dargelegt, besteht jedoch zumindest im Bereich des Grundrechtsschutzes eine gewisse Aufgabenparallelität. So hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts zu den Verfahrensgrundrechten festgehalten, dass das Bundesverfassungsgericht im Wege der Verfassungsbeschwerde nichts bewirkt, was nicht auch die Fachgerichte leisten können.1140 Insoweit sei die Tätigkeit des Bundesverfassungsgerichts „identisch“ mit jener der Fachgerichte.1141 Dies gelte selbst für die Prüfung der Verfassungs1134  Vgl. das „Lüth-Urteil“, BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958, Az. 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198; zum Grundrechtsschutz vor den ordentlichen Gerichten Papier, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. III, 2009, § 79 Rn. 10 ff.; zur Zivilgerichtsbarkeit ferner Burkiczak, in: Kluth/ Krings, Gesetzgebung, 2014, § 35 Rn. 53 ff. 1135  Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 1. Teil Rn. 19. 1136  Vgl. Pestalozza, in: Stark/Stern, Landesverfassungsgerichtsbarkeit, TeilBd. I, 1983, S. 183, 228. 1137  BVerfG, Dreierausschussbeschluss vom 26. Januar 1978, Az. 1 BvR 1200/77, BVerfGE 47, 144, juris Rn. 6; Beschluss vom 8. Januar 1985, Az. 1 BvR 700/83, BVerfGE 68, 376, juris Rn. 14. 1138  Bethge, KritV 1990, 9, 10. 1139  Vgl. Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 1. Teil Rn. 20. 1140  BVerfG, Beschluss vom 30. Juni 1976, Az. 2 BvR 164/76, BVerfGE 42, 243, juris Rn. 12. 1141  Schlaich, VVDStRL 39 (1981), 99, 121 unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 1978, Az. 1 BvR 475/78, BVerfGE 49, 252, juris Rn. 21.

240 4. Teil: Konsequenzen für Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende

mäßigkeit von Gesetzen, auch wenn die Prüfungskompetenz der Fachgerichte wegen Art. 100 Abs. 1 GG hier nur eine vorläufige ist.1142 Schlaich geht insoweit von einer Konzeption der Verfassungsrechtsprechung aus, bei der Grundrechtsschutz durch alle Gerichte gewährleistet wird und sich der „Umweg“ über das Bundesverfassungsgericht tendenziell als entbehrlich erweist.1143 In diese Richtung geht auch das Bundesverfassungsgericht selbst. Das Gericht sichere die Beachtung der Grundrechte im fachgerichtlichen Verfahren nur nachträglich. Der dem Bundesverfassungsgericht übertragene Grundrechtsschutz setze die Existenz einer die Grundrechte schützenden Fachgerichtsbarkeit voraus, die im Allgemeinen dafür sorge, dass Grundrechtsverletzungen und deren Folgen ohne Anrufung des Bundesverfassungsgerichts abgeholfen werden.1144 b) Stellungnahme Friesenhahn traf die Aussage, dass andere Gerichte (als die Verfassungs­ gerichte) keine Verfassungsgerichtsbarkeit im strengen Sinn ausüben. Soweit diese Gerichte Vorschriften des Grundgesetzes auslegen und anwenden, handle es sich dabei nicht um gerichtliche Verfahren, welche die Einhaltung der Verfassung unmittelbar gewährleisten sollen.1145 Bethge nahm diese Einschätzung auf, um seine Auffassung zu untermauern, dass insoweit kein Begriff der materiellen Verfassungsgerichtsbarkeit zu konstruieren sei.1146 So stehe den Fachgerichten zwar ein von Art. 100 Abs. 1 GG – und auch von § 90 Abs. 2 BVerfGG – vorausgesetztes vorläufiges Prüfungsrecht zu, doch erhebe dies den Fachrichter nicht zum Verfassungsrichter. Auch die den Oberverwaltungsgerichten zugeschriebene prinzipale Normenkontrolle ändere hieran nichts. Schließlich agiere das Bundesverfassungsgericht auch nicht als Fachgericht, wenn es im Rahmen von Kommunalverfassungsbeschwerden nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG untergesetzliche Normen überprüfe.1147 Bethge ist insoweit zuzustimmen, als die Fachgerichte selbstverständlich nicht unmittelbar als Verfassungsgerichte im engeren – oder auch formellen – Sinn agieren. Ein offensichtliches Unterscheidungskriterium ist hier etwa die Befugnis, in verfassungsrechtlichen Organstreitigkeiten als „eigent­ VVDStRL 39 (1981), 99, 121. 122; Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 1. Teil Rn. 21. 1144  BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996, Az. 2 BvR 1516/93, BVerfGE 94, 166, juris Rn. 155, 159. 1145  Friesenhahn, Die Verfassungsgerichtsbarkeit in der Bundesrepublik Deutschland, 1963, S. 21 f. 1146  Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, Vorbem. Rn. 34; ders., in: FS Schenke, 2011, S. 61, 67 f. 1147  Bethge, in: FS Schenke, 2011, S. 61, 67 f. 1142  Schlaich, 1143  Ebd.,



A. Konsequenzen für die Verwaltungsgerichtsbarkeit241

liche“ Verfassungsstreitigkeiten1148 und Bund-Länder-Streitigkeiten als „Urgestein deutscher Verfassungsgerichtsbarkeit“1149 zu entscheiden oder die Unwirksamkeit von Parlamentsgesetzen festzustellen. Als weiteres Unterscheidungskriterium ist die umfassende Bindungswirkung der gerichtlichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts oder jener der Verfassungsgerichte der Länder anzuführen.1150 Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden über die übliche Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidungen hinaus die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden (§ 31 Abs. 1 BVerfGG). Diese Umstände rechtfertigen jedoch lediglich den Schluss, die Fachgerichte nicht zur Verfassungsgerichtsbarkeit im engeren, formellen Sinn zu zählen. Nicht ersichtlich ist, warum nicht von materieller Verfassungsgerichtsbarkeit gesprochen werden soll, wenn die Gerichte ihrer verfassungsrechtlichen Bindung im Sinne der Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG nachkommen. Die Begrifflichkeiten der formellen und materiellen Verfassungsgerichtsbarkeit stehen nebeneinander und schließen sich nicht aus. So nimmt auch Friesenhahn an, dass neben der von den Verfassungsgerichten ausgeübten „Verfassungsgerichtsbarkeit im engeren Sinne“ die Fachgerichte zumindest „eine Art Verfassungsgerichtsbarkeit im weiteren Sinn“ ausüben können.1151 Dafür streitet auch der Umstand, dass der Verfassunggeber den Fach­ gerichten unmittelbar verfassungsrechtliche Kompetenzen übertragen hat. Art. 100 Abs. 1 GG impliziert, dass sie für untergesetzliches und vorkonstitutionelles Recht selbst die Verwerfungskompetenz besitzen. Einhergehend wird die Normenkontrollkompetenz der Oberverwaltungsgerichte nach § 47 VwGO zum Teil zur unmittelbaren Verfassungsgerichtsbarkeit gezählt.1152 § 47 VwGO könne im Verhältnis zu § 40 VwGO als eine Rechtswegerweiterung angesehen werden, die ausnahmsweise eine prinzipale Kontrolle 1148  BVerfG, Urteil vom 5. April 1952, Az. 2 BvH 1/52, BVerfGE 1, 208, juris Rn. 42. Die Verwaltungsgerichte entscheiden im Rahmen der „Kommunalverfassungsstreitigkeiten“ jedoch ebenfalls über Organstreitigkeiten. 1149  Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, Vorbem. Rn. 29. Für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art zwischen dem Bund und den Ländern und zwischen verschiedenen Ländern siehe § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO. 1150  Siehe für die Bindungswirkung der Entscheidungen der Verfassungsgerichte der Länder etwa Art. 29 Abs. 1 VfGHG Bay, § 26 VerfGHG NRW, § 29 SW LVerfGG § 14 SächsVerfGHG, § 25 ThürVerfGHG. 1151  Friesenhahn, Die Verfassungsgerichtsbarkeit in der Bundesrepublik Deutschland, 1963, S. 21. 1152  Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 8 f.; früher auch Schenke, AöR 131 (2006), 117, 133; vgl. auch ders., Verwaltungsprozessrecht, 17. Aufl. 2021, Rn. 1159; a. A. etwa Unruh, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 47 VwGO Rn. 10.

242 4. Teil: Konsequenzen für Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende

durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit zulasse.1153 Diese Sichtweise stimmt auch mit der gesetzgeberischen Intention überein. Aus der Begründung der Bundesregierung zur Einführung des § 47 VwGO geht hervor, dass die Normenkon­ trolle „ihrem Wesen nach an sich zur Verfassungsgerichtsbarkeit“ gehöre.1154 Auch die Zuständigkeitszuweisungen an die Verfassungsgerichtsbarkeit durch das (Grund-)Gesetz lassen keine Rückschlüsse zu, ob neben den ausgewählten Verfassungsgerichten weitere Gerichte im Sinne einer Verfassungsgerichtsbarkeit entscheiden. Wie gezeigt, differenziert das Grundgesetz neben der enumerativen Kompetenzzuweisung zwischen Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit nicht grundlegend.1155 Die rechtsprechende Gewalt wird durch das Bundesverfassungsgericht, durch die im Grundgesetz vorgesehenen Bundesgerichte und durch die Gerichte der Länder ausgeübt (Art. 92 Hs. 2 GG). Geht man davon aus, dass die Aufgabenparallelität unter den Fach- und Verfassungsgerichten im Wesentlichen auf dem Feld des Grundrechtsschutzes besteht, kann auch die Abstufung der Prüfungsbefugnisse bzw. -pflichten im Sinne des Art. 100 Abs. 1 GG nicht rechtfertigen, den Fachgerichten eine Bezeichnung als Verfassungsgerichte im materiellen Sinn abzusprechen. Die Vorlagepflicht für als verfassungswidrig erachtete Gesetze dient nicht dem Grundrechtsschutz der Betroffenen, sondern der Einheitlichkeit der Verfassungsauslegung und somit der Rechtssicherheit.1156 Die vorlegenden Gerichte nehmen durch die der Vorlage vorgeschaltete vertiefte verfassungsrechtliche Auseinandersetzung die Grundrechtsinteressen bereits vollumfänglich wahr.1157 c) Zwischenergebnis Die Begriffe der formellen und materiellen Verfassungsgerichtsbarkeit bestehen in Rechtsordnungen mit „monopolisierten“ Verfassungsgerichten nebeneinander. Während das Bundesverfassungsgericht und die Verfassungsgerichte der Länder aufgrund der positiv-rechtlichen Zuständigkeitszuweisungen als formelle Verfassungsgerichtsbarkeit zu bezeichnen sind, lässt sich die Fachgerichtsbarkeit als materielle Verfassungsgerichtsbarkeit betiteln, soweit sie ihrer verfassungsrechtlichen Bindung im Sinne der Art. 1 Abs. 3, 20 1153  Schenke, AöR 131 (2006), 117, 133; so etwa auch Schäfer, in: Külz/Naumann, Staatsbürger und Staatsgewalt, Bd. I, 1963, S. 159, 175 f. 1154  BT-Drs. 55/3, S. 33. 1155  Siehe dazu zuvor den ersten Teil der Untersuchung S. 36 ff. und S. 97 ff. 1156  Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 1. Teil Rn. 20; Wieland, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2018, Art. 100 Rn. 13. 1157  Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 1. Teil Rn. 20.



A. Konsequenzen für die Verwaltungsgerichtsbarkeit243

Abs. 3 GG nachkommt und den Grundrechtsschutz der Rechtsuchenden gewährleistet. Insoweit sind die Fachgerichte ebenfalls Teil der Verfassungsgerichtsbarkeit.1158

II. Wandel der Rollenverteilung? Ob sich durch die hier aufgezeigte Rechtsprechungslinie ein Wandel der Rollenverteilung unter den Gerichtsbarkeiten abzeichnet, wird vor dem Hintergrund der folgenden vier Fragestellungen beleuchtet: Führt die dargestellte Rechtsprechungslinie durch eine Konstitutionalisierung des fachgerichtlichen Verfahrens zu einem „Verfassungsprozess in der ersten Instanz“ (hierzu 1.); einer Objektivierung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes (hierzu 2.); einer Fortentwicklung von „Emanzipationstendenzen“ in der Verwaltungs­ gerichtsbarkeit (hierzu 3.) oder zu einem Kooperationsverhältnis zwischen Bundesverfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit (hierzu 4.)? 1. Konstitutionalisierung des fachgerichtlichen Verfahrens? Nach der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts soll es den Verfahrensbeteiligten nicht obliegen, bereits das fachgerichtliche Verfahren als „Verfassungsprozess“ zu führen. Eine „Konstitutionalisierung“ des fachgerichtlichen Verfahrens sei zu vermeiden.1159 Soweit nach knapp 70 Jahren Verfassungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit entsprechenden Instruktionen an die Fachgerichte nicht ohnehin von einer „konstitutionellen ‚Sättigung‘ “ auszugehen ist,1160 könnte die dargestellte Rechtsprechungslinie an der Feststellung des Bundesverfassungsgerichts zweifeln lassen. Schließlich gehört gerade die Kontrolle von Parlamentsgesetzen zu den Kernaufgaben der Verfassungsgerichtsbarkeit.1161 Der These einer weitergehenden Konstitutionalisierung ist auch der Umstand nicht gerade abträglich, dass nach der dargestellten jüngeren Kammerrechtsprechung die Ausnahme vom Subsidiaritätsgrundsatz für allein verfassungsrechtliche 1158  So etwa auch Kunig, VVDStRL 61 (2002), 34, 45 f., Alexy, VVDStRL 61 (2002), 7, 29 und Hoffmann-Riem, AöR 128 (2003), 173, 188. 1159  BVerfG, Beschluss vom 9. November 2004, Az. 1 BvR 684/98, BVerfGE 112, 50, juris Rn. 40; Nichtannahmebeschluss vom 26. Februar 2016, Az. 1 BvR 2836/14, juris Rn. 8; Nichtannahmebeschluss vom 10. März 2017, Az. 1 BvR 201/14, juris Rn. 8, juris. 1160  So Voßkuhle, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl., Art. 93 Rn. 66; ­kritisch dazu Alleweldt, Bundesverfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit, 2006, S.  243 ff. 1161  Siehe zuvor S. 98.

244 4. Teil: Konsequenzen für Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende

Fragen auf Parlamentsgesetze begrenzt sein soll.1162 Insoweit haben die Fachgerichte auch über Fragen allein verfassungsrechtlicher Art zu entscheiden, soweit § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO dies gestattet. Es sprechen jedoch gewichtige Argumente gegen die Annahme, dass damit ein Mehr an Konstitutionalisierung des Verwaltungsgerichtsprozesses einhergeht. Zum einen ist zum wiederholten Mal die Verschiedenheit von inzidenter und prinzipaler Normenkontrolle zu unterstreichen. Die dargestellte Rechtsprechungslinie spricht den Fachgerichten keine Kompetenz zur Normverwerfung bzw. Nichtanwendung von Parlamentsgesetzen mittels Feststellungsurteil zu. Allein diese ist jedoch als verfassungsrechtliche Kompetenz anzusehen. Wie dargestellt, ist die Prüfung von Gesetzen über die Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG) hingegen gerade eine von Verfassung wegen bestehende Pflicht der Fachgerichte. Die Möglichkeit zur Inzidentkontrolle im Rahmen einer allgemeinen Feststellungsklage unterscheidet sich beispielsweise nicht von denen im Rahmen von Gestaltungsoder Leistungsklagen. Im Übrigen ist zu beachten, dass Rechtsuchende bereits nach der bekannten Subsidiaritätsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtliche Erwägungen und Bedenken vorzutragen haben, soweit das fachgerichtliche Verfahren von der Verfassungswidrigkeit einer Vorschrift abhängt.1163 Die Obliegenheit, vorrangig die Verwaltungsgerichte über eine Feststellungsklage um Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze zu ersuchen, führt insoweit zu keiner Neuerung. 2. Objektivierung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes? Unter dem Stichwort „Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit“ wird bereits seit Langem die Frage der „Objektivierung“ des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes diskutiert.1164 Unter dem Begriff der Objektivierung wird hier im Kern die „Ablösung“ des verwaltungsgerichtlichen Rechts1162  Siehe abermals BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 31. März 2020, Az. 1 BvR 712/20, juris Rn. 16; Nichtannahmebeschluss vom 15. Juli 2020, Az. 1 BvR 1630/20, juris Rn. 11; beachte jedoch die gegenteilig anklingende Entscheidung bei BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 7. Juni 2021, Az. 1 BvR 1260/21, juris Rn. 6; siehe hierzu zuvor S. 88 ff. 1163  Siehe abermals BVerfG, Beschluss vom 9. November 2004, Az. 1 BvR 684/98, BVerfGE 112, 50, juris Rn. 41; Nichtannahmebeschluss vom 26. Februar 2016, Az. 1 BvR 2836/14, juris Rn. 8; Nichtannahmebeschluss vom 10. März 2017, Az. 1 BvR 201/14, juris Rn. 8. 1164  Vgl. bereits Schmidt-Aßmann, in: FS Menger, 1985, S. 107, 120 ff. und Krebs, Kontrolle in staatlichen Entscheidungsprozessen, 1984, S. 61 ff. In jüngerer Zeit ist die Frage vor dem Hintergrund des Einflusses des Unionsrechts auf dem 71. Deutschen Juristentag im Jahr 2016 ausgiebig diskutiert worden, vgl. nur Gärditz, in: Verhandlungen des 71. Deutschen Juristentages, Bd. I, 2016, S. D 9.



A. Konsequenzen für die Verwaltungsgerichtsbarkeit245

schutzes vom subjektiven Recht verstanden.1165 Dies ist insbesondere aus dem Naturschutz- bzw. Umweltrecht in Gestalt altruistischer Verbandsklagemöglichkeiten bekannt (vgl. § 64 BNatSchG, § 2 UmwRG).1166 Unter der Prämisse, dass es vorrangig Aufgabe der Verfassungsgerichtsbarkeit ist, objektiven Rechtsschutz zu gewähren, könnte eine Objektivierung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes zu einer Annäherung der Gerichtsbarkeiten führen.1167 Dieser Gedanke ist an dieser Stelle jedoch nicht weiter zu verfolgen. Die Feststellungsklage in ihrer Gestalt als Normenabwehrklage stellt kein objektives Rechtsbeanstandungsverfahren dar. Sie eröffnet Rechtsuchenden nicht die Möglichkeit, Rechtssätze einer abstrakten gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen. Wie gezeigt, bestehen hier die Hürden der Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO analog), des hinreichend konkreten Rechtsverhältnisses sowie des Feststellungsinteresses.1168 Diese Voraussetzungen einer jeden Feststellungsklage stehen einer objektiven Recht­ mäßigkeits- bzw. Verfassungsmäßigkeitskontrolle entgegen. Die dargestellte Entwicklung der Feststellungsklage in der verwaltungs- und verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist mithin nicht im Zusammenhang mit einem Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu diskutieren. Sie führt nicht zu einer (weitergehenden) Objektivierung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes. 3. Fortentwicklung von „Emanzipationstendenzen“? In seiner Auseinandersetzung mit der dargestellten Rechtsprechungslinie stellt Barczak die These auf, dass die Senats- und Kammerrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Linie nachzeichne, „die von einer ‚Emanzipationstendenz‘ der Verwaltungsgerichtsbarkeit selbst ausgeht“.1169 Er bezieht sich dabei auf eine von Wittreck vorgeschlagene Begrifflichkeit.1170 Dieser sieht „besorgniserregende Entwicklungen“ in der Rechtsprechung und belegt diese für die Verwaltungsgerichtsbarkeit mit einer Entin: FS Menger, 1985, S. 107, 122. im Zusammenhang mit einem Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit etwa Rennert, DVBl 2015, 793 und Steinbeiß-Winkelmann, NVwZ 2016, 713. 1167  Die Aufgaben der Gerichtsbarkeiten vergleichend Krebs, Kontrolle in staat­ lichen Entscheidungsprozessen, 1984, S. 66 ff. 1168  Zu den Sachurteilsvoraussetzungen zuvor S. 179 ff. 1169  Barczak, in: Modrzejewski/Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. V, 2019, S. 17, 21; ders., DVBl 2019, 1040, 1041; vgl. in anderem Zusammenhang ferner auch ders., in: Mülder/Drechsler u. a., Richterliche Abhängigkeit, 2018, S. 333, 343. 1170  Wittreck, Die Verwaltung der dritten Gewalt, 2006, S. 138. 1165  Schmidt-Aßmann, 1166  Dazu

246 4. Teil: Konsequenzen für Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende

scheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2003. Hier urteilte der Vierte Senat, dass im Wege des Normenkontrollverfahrens im Sinne des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO im Ausnahmefall auch ein vom parlamentarischen Gesetzgeber erlassener Rechtssatz durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit überprüft werden könne. Diesen Ausnahmefall beschränkte das Gericht, unter dem Vorbehalt landesrechtlicher Besonderheiten, auf Rechtsvorschriften, die als formelles Landesgesetz erlassen worden sind, um eine Rechtsverordnung zu ändern oder zu ergänzen, wenn das Parlamentsgesetz gleichzeitig vorsieht, dass die durch formelles Gesetz eingeführten Anpassungen in Zukunft mittels Rechtsverordnung geändert werden können (sog. Ent­ ­ steinerungsklausel).1171 Der Senat konnte sich dabei auf eine vergleichbare Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stützen, mit der es bereits im Jahr 1985 für nach hamburgischem Recht in Form formeller Gesetze erlassene Bebauungspläne festgehalten hatte, dass diese über § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit kontrolliert werden könnten und insoweit ein der Verfassungsbeschwerde vorrangiger Rechtsweg bestand.1172 Insoweit betrat das Bundesverwaltungsgericht hier kein völliges Neuland. Im Nachgang hat auch das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich klargestellt, dass Normgebilde, die dadurch entstehen, dass der parlamentarische Gesetzgeber wegen des sachlichen Zusammenhangs eines Reformvorhabens bestehende Rechtsverordnung ändert oder erweitert, aus Gründen der Normenklarheit insgesamt als Verordnung zu qualifizieren seien.1173 Vorlagen an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG kommen mithin für entsprechende Normgebilde nicht in Betracht.1174 Soweit in diesem Zusammenhang „Emanzipationstendenzen“ der Verwaltungsgerichtsbarkeit auszumachen waren, dürften diese nicht mit der hier aufgezeigten Rechtsprechungslinie fortgeführt werden. Es sind keine vergleichbaren Bestrebungen nach Selbstständigkeit erkennbar. Dagegen streiten drei Gesichtspunkte. Zum einen setzt sich die Verwaltungsgerichtsbarkeit hier nicht über den parlamentarischen Gesetzgeber hinweg. Anders als mit der dargestellten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem 1171  BVerwG, Urteil vom 16. Januar 2003, Az. 4 CN 8/01, B ­ VerwGE 117, 313, juris Rn. 17; dazu Clausing, JuS 2004, 298 ff. 1172  BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985, Az. 2 BvR 397/82, BVerfGE 70, 35, juris Rn.  57 ff. 1173  BVerfG, Beschluss vom 13. September 2005, Az. 2 BvF 2/03, BVerfGE 114, 196, juris Rn. 205; dies begrüßend etwa Unruh, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 47 VwGO Rn. 45, Sendler, DVBl 2005, 423 und Panzer, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 47 Rn. 19; kritisch etwa Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 47 Rn. 25. 1174  Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. September 2005, Az.  2 BvL 11/02, BVerfGE 114, 303, juris Rn. 40.



A. Konsequenzen für die Verwaltungsgerichtsbarkeit247

Jahr 2003 wird mit der Feststellungsklage keine prinzipale Normenkontrolle ermöglicht, mit der eine gesetzgeberische Entscheidung revidiert werden könnte. Zweitens agiert die Verwaltungsgerichtsbarkeit hier auch nicht selbstständig im Verhältnis zum Bundesverfassungsgericht. Es bleibt bei der Aufgabenverteilung, dass die Fachgerichte anhand des durch sie zu entscheidenden Sachverhalts die jeweils maßgeblichen Rechtsnormen in Ausübung ihres richterlichen Prüfungsrechts auf ihre Wirksamkeit hin untersuchen und Parlamentsgesetze in dem Fall, dass die Gerichte von ihrer Unwirksamkeit überzeugt sind, der Verfassungsgerichtsbarkeit zur Entscheidung vorlegen. Eine Umgehung der Vorlagepflicht nach Art. 100 Abs. 1 GG – und damit eine Missachtung der Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichts – steht nicht im Raum. Drittens geht die Verwaltungsgerichtsbarkeit mit der dargestellten Rechtsprechungslinie keine neuen Wege. Wie die Rechtsprechungsauswertung gezeigt hat, wird die Feststellungsklage bereits seit Jahrzehnten als Normenabwehrklage herangezogen. Es ist nicht zwischen einer Inzidentkontrolle im Rahmen der Feststellungsklage und solchen etwa im Rahmen von Gestaltungs- oder Leistungsklagen zu unterscheiden. Dass diese Art der Normprüfung zuletzt vermehrt in Erscheinung trat, ist nicht auf entsprechende Bestrebungen in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, sondern allein auf das in der Senats- und Kammerrechtsprechung in jüngerer Zeit strenger gehandhabte Subsidiaritätskriterium im Rahmen von Rechtssatzverfassungsbeschwerden zurückzuführen. 4. Begründung eines Kooperationsverhältnisses? Bereits im Rahmen der Ausführungen zur Vorlagepflicht im Sinne des Art. 100 Abs. 1 GG fand der Begriff des „Kooperationsverhältnisses“ für das Verhältnis zwischen dem Bundesverfassungsgericht und den Fachgerichten Verwendung.1175 An dieser Stelle wird wiederum untersucht, ob die Idee vom Kooperationsverhältnis auf das durch die dargestellte Rechtsprechungslinie gezeichnete Bild des Verhältnisses der Gerichtsbarkeiten zueinander übertragbar ist. a) Idee vom Kooperationsverhältnis In Anlehnung an die Idee des Kooperationsverhältnisses zwischen den nationalen Gerichten der Mitgliedstaaten der Europäischen Union und dem 1175  Siehe

zuvor S. 51 ff.

248 4. Teil: Konsequenzen für Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende

Europäischen Gerichtshof besteht nach der Idee Robbersʼ zwischen Bundesverfassungsgericht und der Fachgerichtsbarkeit gleichfalls ein Kooperationsverhältnis.1176 Dies könne normativ insbesondere an zwei Gesichtspunkte geknüpft werden. Einerseits seien im Rahmen des konkreten Normenkon­ trollverfahrens nach Art. 100 Abs. 1 GG Ansätze für eine Kooperation der Gerichtsbarkeiten auszumachen.1177 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist hier eine tiefgehende Auseinandersetzung der Fachgerichte mit verfassungsrechtlichen Fragen erforderlich. Neben der aufgearbeiteten Tatsachen- und einfachen Rechtslage kann das Bundesverfassungsgericht für seine eigene Entscheidung auch auf verfassungsrechtliche Erwägungen der Fachgerichte zurückgreifen. Darüber hinaus bestehe über § 82 Abs. 4 Satz 1 BVerfGG für das Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit, oberste Gerichtshöfe des Bundes oder oberste Landesgerichte um die Mitteilung zu ersuchen, wie und auf Grund welcher Erwägungen sie das Grundgesetz in der streitigen Frage bisher ausgelegt haben, ob und wie sie die in ihrer Gültigkeit streitige Rechtsvorschrift in ihrer Rechtsprechung angewendet haben und welche damit zusammenhängenden Rechtsfragen zur Entscheidung anstehen.1178 Daneben streite auch das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG für ein Kooperationsverhältnis. So rechtfertige sich die vorherige Rechtswegerschöpfung nicht nur mit dem Entlastungsgedanken, sondern vielmehr auch mit einer Aufklärungsfunktion hinsichtlich der tatsächlichen Umstände sowie dem „kompetenten Fachgespräch über verfassungsrechtliche Probleme des Einzelfalles“.1179

1176  Robbers, NJW 1998, 935, 938  f.; ders., in: Bogs, Urteilsverfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht, 1999, S. 57, 63 ff.; ähnlich bereits zuvor andenkend Seidl, in: Verhandlungen des 61. Deutschen Juristentages, Bd. II/1, 1996, S. O 9, O 25. 1177  Robbers, NJW 1998, 935, 939. 1178  Im Zusammenhang mit einem Kooperationsverhältnis Burkiczak, in: ders./ Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2. Aufl. 2022, § 1 Rn. 23. 1179  Robbers, NJW 1998, 935, 939.



A. Konsequenzen für die Verwaltungsgerichtsbarkeit249

b) Kritik in der Literatur Robbersʼ Idee vom Kooperationsverhältnis ist in der Literatur teilweise positiv rezipiert worden,1180 zugleich jedoch auch auf Kritik gestoßen.1181 Sie sei inhaltsleer1182 und zur Kompetenzabgrenzung ungeeignet1183. Die Literatur hat diese Argumente gegen die Annahme eines Koopera­ tionsverhältnisses im Kontext des verfassungsgerichtlichen Prüfungsumfangs für fachgerichtliche Entscheidungen im Rahmen von Urteilsverfassungsbeschwerden vorgebracht. Wenn das Bundesverfassungsgericht fachgerichtliche Entscheidungen auf Grundrechtsverletzungen hin überprüfe, „kontrolliert es und kooperiert nicht“.1184 c) Sonderfall: Rechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze Mag die Kritik in Hinsicht auf das „Kompetenzproblem“1185 im Rahmen der Urteilsverfassungsbeschwerde berechtigt sein, dürfte etwas anderes für das hier betrachtete Kompetenzverhältnis hinsichtlich der Überprüfung von Parlamentsgesetzen gelten.1186 Ein Kompetenzkonflikt, vergleichbar zu dem im Rahmen der Urteilsverfassungsbeschwerde, ist nicht erkennbar. Mit Art. 100 Abs. 1 GG hat der Verfassunggeber eine klare Trennlinie gezogen. Verbindliche Entscheidungen über die Wirksamkeit eines Parlamentsgesetzes bleiben den Verfassungsgerichten vorbehalten. Die Fachgerichte nehmen eine Wirksamkeitsprüfung in Ausübung ihres richterlichen Prüfungsrechts vor. Dabei ergänzen sich fach- und verfassungsrechtlicher Rechtsschutz in Grundrechtsfragen. Im Sinne des Subsidiaritätsgedankens steht den Fachgerichten der erste Zugriff auf den Sachverhalt auch in Grundrechtsfragen zu.1187 Hier1180  Vgl. Burkiczak, in: ders./Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2. Aufl. 2022, § 1 Rn. 23; Papier, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. III, 2009, § 80 Rn. 37; Schenke, in: FS Steiner, 2009, S. 682, 717; Düwel, Kontrollbefugnisse des Bundesverfassungsgerichts bei Verfassungsbeschwerden gegen gerichtliche Entscheidungen, 2000, S. 246; Alexy, VVDStRL 61 (2002), 7, 29. 1181  Ossenbühl, in: Bogs, Urteilsverfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungs­ gericht, 1999, S. 124, 124 f.; Alleweldt, Bundesverfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit, 2006, S. 234 f.; Koch, in: GS Jeand’Heur, 1999, S. 135, 138; Korioth, in: FS 50 Jahre BVerfG, Bd. I, 2001, S. 55, 79. 1182  Koch, in: GS Jeand’Heur, 1999, S. 135, 138; so auch Alleweldt, Bundesverfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit, 2006, S. 234. 1183  Ossenbühl, in: Bogs, Urteilsverfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht, 1999, S. 124, 124 f. 1184  Alleweldt, Bundesverfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit, 2006, S. 234. 1185  Ebd., S. 235. 1186  Wie hier Schenke, in: FS Steiner, 2009, S. 682, 717. 1187  Siehe zum Subsidiaritätsgrundsatz zuvor S. 55 ff.

250 4. Teil: Konsequenzen für Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende

bei können die Fachgerichte bereits im Rahmen des Rechtswegs für Abhilfe der grundrechtlichen Beschwer sorgen. Falls dies im Einzelfall nicht gelingt, können nachrangig die Verfassungsgerichte bemüht werden, die mit objektiver Bindungswirkung letztverbindlich über die verfassungsrechtlichen Fragen entscheiden. Über die Erfordernisse wie das Gebot der Rechtswegerschöpfung, den Subsidiaritätsgrundsatz oder die Anforderungen an eine konkrete Normenkontrolle im Sinne des Art. 100 Abs. 1 GG wird dabei sichergestellt, dass die Fachgerichte den Verfassungsgerichten die für ihre Entscheidungen erforderlichen tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen liefern. Im Sinne einer Kooperation arbeiten die Gerichtsbarkeiten so in Fragen des Grundrechtsschutzes effizient zusammen. Diese Aufgabenverteilung ist selbst­ redend keineswegs erst durch die hier diskutierte Rechtsprechungslinie eta­ bliert worden. Das insoweit bestehende Kooperationsverhältnis dürfte jedoch über die durch den Subsidiaritätsgrundsatz veranlasste gesteigerte Inpflichtnahme der Fachgerichte gestärkt werden. Das Kooperationsverhältnis hat jedoch auch Grenzen. Diese werden besonders in zwei Prozesskonstellationen deutlich. Parallel zur Kritik in der Literatur dürfte der Kooperationsgedanke in den Hintergrund treten, sobald Rechtsuchende im Nachgang an den durchschrittenen Rechtsweg Urteilsverfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben. Hier tritt das Bundesverfassungsgericht gegenüber den Fachgerichten primär in der Rolle des Kontrolleurs auf.1188 Die Idee des Kooperationsverhältnisses wirkt jedoch insoweit fort, als das Bundesverfassungsgericht auf die Feststellungen zur Tatsachen- und Rechtslage der Fachgerichte als Grundlage für eine eigene Entscheidung zurückgreifen kann.1189 Darüber hinaus verzichtet das Bundesverfassungsgericht auf das „Ideal einer Tatsachenfechtstellung und Rechtsdiskussion“ durch den fachgericht­ lichen Rechtszug, wenn es einen der Ausnahmefälle vom Grundsatz der Subsidiarität als gegeben ansieht.1190 Wie in der Rechtsprechungsauswertung dargelegt, hat der Erste Senat in jüngerer Zeit häufiger entsprechend unter Verweis auf „allein spezifisch verfassungsrechtliche Fragen“ unmittelbar über Rechtssatzverfassungsbeschwerden entschieden. Exemplarisch sind die Verfahren gegen Regelungen betreffend die Ausland-Ausland-Telekommunikationsaufklärung1191, zur Bestandsdatenauskunft1192 oder auch zur

Bundesverfassungsgericht und Fachgerichtsbarkeit, 2006, S. 234 f. auch Alexy, der insoweit von einem „begrenzten“ Kooperationsverhältnis ausgeht, das „hierarchisch überwölbt“ sei, ders., VVDStRL 61 (2002), 7, 30. 1190  Kirchhof, NVwZ-Beilage 2013, 13, 16. 1191  BVerfG, Urteil vom 19. Mai 2020, Az. 1 BvR 2835/17, BVerfGE 154, 152, juris Rn.  77 ff. 1188  Alleweldt, 1189  Vgl.



A. Konsequenzen für die Verwaltungsgerichtsbarkeit251

„Bundesnotbremse“1193 zu nennen.1194 Ohne Beteiligung der Fachgerichte kann hier das Kooperationsverhältnis nicht zum Tragen kommen.

III. Resümee Mit der untersuchten Rechtsprechungslinie deutet sich derzeit kein Wandel der klassischen Rollenverteilung unter der Verfassungs- und der Verwaltungsgerichtsbarkeit an. Die Feststellungsklage als Normenabwehrklage betreffend Parlamentsgesetze heranzuziehen stellt den Rechtsuchenden gerade kein objektives Beanstandungsverfahren zur Verfügung. Damit wird weder die Konstitutionalisierung noch die Objektivierung des Verwaltungsgerichtsprozesses gefördert. Über die Bindung an die Grundrechte und das sonstige Verfassungsrecht ist die Verwaltungsgerichtsbarkeit Teil der Verfassungsgerichtsbarkeit. Unabhängig von der hier dar­ gestellten Rechtsprechungslinie gewährleisten die Gerichtsbarkeiten den Grundrechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze in einem Kooperationsverhältnis. Da es mit der dargestellten Rechtsprechungslinie zu keiner Verschiebung der Prüfungsmaßstäbe kommt, ist keine Änderung der Rollenverteilung zu erkennen. Soweit nach der Subsidiaritätsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Verwaltungsgerichte hinsichtlich des Rechtsschutzes betreffend Parlamentsgesetze zunehmend in die Pflicht genommen werden, könnte dies das Kooperationsverhältnis unter den Gerichtsbarkeiten jedoch fördern. Durch vermehrte Vorprüfungen durch die Fachgerichte wird das Bundesverfassungsgericht weiter entlastet. Während Erstere die erheblichen tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen liefern und gleichzeitig auch eine verfassungsrechtliche Vorprüfung vornehmen, bleibt das Bundesverfassungsgericht frei, um seine eigentliche Aufgabe des Verfassungsschutzes zu erfüllen. Dass mit der Heranziehung der Feststellungsklage als Normenabwehrklage betreffend Parlamentsgesetze eine wesentliche Mehrbelastung der Verwaltungsgerichte einhergeht, ist derzeit anhand der veröffentlichten Gerichtsentscheidungen nicht zu erkennen. Der Trend weg von der Eingriffsverwaltung durch hoheitliche Einzelakte hin zu self-executing Vorschriften könnte eine entsprechende Entwicklung jedoch begünstigen. Wie bereits dargestellt, dient das gefahrenabwehrrechtliche Handeln zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie hier als Paradebeispiel.1195 Ausgehend von Allgemeinverfügungen im Sinne des § 35 Satz 2 VwVfG über die exekutive Normsetzung erfolgte die 1192  BVerfG, Beschluss vom 27. Mai 2020, Az. 1 BvR 1873/13, BVerfGE 155, 119, juris Rn. 77 f. 1193  BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021, Az. 1 BvR 781/21, juris Rn. 103. 1194  Zu diesen Entscheidungen zuvor S. 153 ff. 1195  Siehe zuvor S. 175 ff.

252 4. Teil: Konsequenzen für Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende

Gefahrenabwehr schließlich mit dem geänderten Infektionsschutzgesetz auch in Form eines self-executing Parlamentsgesetzes. Parallel zu den Pandemiehochzeiten war eine erhebliche Beanspruchung der Verwaltungsgerichte in Form von Normenkontrollanträgen und Feststellungsklagen – bzw. der entsprechend statthaften Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz – betreffend Regelungen der verschiedenen Corona-Schutzverordnungen der Länder zu verzeichnen.1196 Obwohl die Literatur zum Teil durchaus von der Zulässigkeit entsprechender Feststellungsklagen ausgegangen ist,1197 blieb währenddessen eine vergleichbare Klagewelle vor den Verwaltungsgerichten betreffend das geänderte Infektionsschutzgesetz aus.1198 Auch das Bundesverfassungsgericht hat in dem Beschluss zur „Bundesnotbremse“ die Zulässigkeit entsprechender Klagen zwar nicht ausgeschlossen, im Ergebnis jedoch die verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage nicht als gegenüber der Verfas1196  Vgl. Ruttlof/Wagner, COVuR 2020, 285; Bender, NVwZ-Extra 9b 2020, 1, 3 f.; Schübel-Pfister, JuS 2021, 416; Lenk, JA 2021, 388; weiterführend Lindner, in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 3. Aufl. 2021, § 18 Rn. 119 ff. 1197  Greve/Lassahn, NVwZ-Extra 10a 2021, 1, 5 f.; dies erwägend auch Kießling, Stellungnahme als geladene Einzelsachverständige zum Entwurf eines Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (BT-Drs. 19/28444) vom 16. April 2021, S. 7, abrufbar unter https://www. bundestag.de/resource/blob/834718/f9d7dff3462d982b089359365a45624a/19_14_03 23-6-_ESV-Dr-Andrea-Kiessling_-viertes-BevSchG-data.pdf, letzter Abruf am 22. Februar 2022 und Wollenschläger, Stellungnahme als geladener Einzelsachverständiger zum Entwurf eines Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (BT-Drs. 19/28444) vom 16. April 2021, S. 11 f., abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource/blob/835164/c7062527e14 f960fefc4c71a0aa4a164/19_14_0323-21-_ESV-Prof-Dr-Ferdinand-Wollenschlaeger_viertes-BevSchG-data.pdf, letzter Abruf am 22. Februar 2022; a. A. Kingreen, Stellungnahme als geladener Einzelsachverständiger zum Entwurf eines Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (BT-Drs. 19/28444) vom 16. April 2021, S. 5, abrufbar unter https://www.bundestag. de/resource/blob/835086/141e8c66a95c14a9d9def23da8d9a06a/19_14_0323-19-_ ESV-Prof-Dr-Thorsten-Kingreen_-viertes-BevSchG-data.pdf, letzter Abruf am 22. Februar 2022 und Ipsen, DVBl 2021, 1121, 1123. 1198  So auch Kirchberg, DVBl 2021, 1278, 1283 f. Beachte jedoch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren etwa VG Bayreuth, Beschluss vom 3. Mai 2021, Az. B 7 E 21.508 und VG Augsburg, Beschluss vom 19. Mai 2021, Az. Au 9 E 21.1159. Anders stellt sich hingegen die Situation am Bundesverfassungsgericht dar. Hier sind gegen das Vierte Bevölkerungsschutzgesetz bis einschließlich dem 31. Juli 2021 insgesamt 301 Verfahren eingegangen (281 Verfassungsbeschwerden – davon 200 verbunden mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung – und 20 isolierte Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung). Darüber hinaus sind 151 Eingänge im Allgemeinen Register erfasst; BVerfG, Pressemitteilung Nr. 78/2021 vom 20. August 2021, abrufbar unter https://www.bundesverfassungsgericht.de/ SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-078.html, letzter Abruf am 22. Fe­ bruar 2022.



B. Konsequenzen für Rechtsuchende253

sungsbeschwerde vorrangig erachtet, da sich hier allein spezifisch verfassungsrechtliche Fragen gestellt hätten.1199

B. Konsequenzen für Rechtsuchende Rechtsuchende werden durch die gegenständliche Rechtsprechungslinie vor die Frage gestellt, ob sie mit ihrem Rechtsschutzbegehren unmittelbar das jeweils zuständige Verfassungsgericht anrufen können oder ob sie zunächst den fachgerichtlichen Rechtsweg zu beschreiten haben.1200 Die nachstehenden Ausführungen legen zusammenfassend dar, wie Rechtsuchende grundsätzlich zu verfahren haben, wann ausnahmsweise direkt verfassungsgerichtlicher Rechtsschutz beantragt werden kann und welche prozessualen Hürden dabei zu nehmen sind. Abschließend wird der Frage nachgegangen, ob mit der dargestellten Rechtsprechungslinie ein Defizit an Rechtsschutz betreffend self-executing Parlamentsgesetze einhergeht.

I. Grundsatz: Feststellungsklage vor den Verwaltungsgerichten 1. Ausgangssituation Soll die Frage nach den eröffneten Rechtsschutzmöglichkeiten beantwortet werden, muss Ausgangspunkt das Begehren der Rechtsuchenden sein. Sind diese der Ansicht, durch ein Parlamentsgesetz unmittelbar in ihren Rechten verletzt zu werden, wollen sie regelmäßig festgestellt wissen, dass die frag­ liche Norm unwirksam ist und insoweit von ihnen als Normadressaten nicht zu beachten ist. Dieses Ziel können die Rechtsuchenden betreffend Parlamentsgesetze unmittelbar nur durch eine Rechtssatzverfassungsbeschwerde erreichen. Die Vorlagepflicht des Art. 100 Abs. 1 GG steht – zumindest in der Hauptsache – einer entsprechenden Entscheidung der Fachgerichte entgegen. Gleichzeitig ist der Weg zu den Verfassungsgerichten über die Subsidiaritätsrechtsprechung regelmäßig versperrt. Soweit die Recht­suchenden nicht für einen der engen Ausnahmefälle vortragen können (hierzu II.), müssen sie sich zunächst mit dem – vor dem Hintergrund des eigentlichen Rechtsschutzbegehrens – weniger rechtsschutzintensiven fachgerichtlichen Verfahren be­ gnügen, mit dem sie nur mittelbar über die Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG die Feststellung der Unwirksamkeit erreichen können. Doch auch für eine 1199  BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021, Az. 1 BvR 781/21, juris Rn. 103; siehe zu dieser Entscheidung zuvor S. 155 f. 1200  Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf die Rechtssatzverfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht und den verwaltungsgerichtlichen Rechtsweg.

254 4. Teil: Konsequenzen für Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende

Entscheidung im verwaltungsgerichtlichen Hauptsache- bzw. einstweiligen Rechtsschutzverfahren sind zunächst recht­liche Hürden zu überwinden. 2. Rechtsschutz in der Hauptsache Wie im dritten Teil der Untersuchung festgestellt, hält sich die Feststellungsklage in der Ausprägung als allgemeine Normenabwehrklage grund­ sätzlich im normativen Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzsystems.1201 Dies bedeutet gleichzeitig nicht, dass Rechtsuchende eine Feststellungsklage betreffend ein self-executing Parlamentsgesetz in jedem Fall in zulässiger Weise erheben könnten. Die Untersuchung der Sachurteils­ voraussetzungen der Feststellungsklage als allgemeine Normenabwehrklage hat gezeigt, dass insbesondere die Zulässigkeitsvoraussetzungen des feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses in Zusammenschau mit dem qualifizierten Feststellungsinteresse die Rechtsuchenden vor hohe Hürden stellen kann. Nachfolgend wird erörtert, ob und wie diese Hürden unter Berücksichtigung der Rechtsprechung am ehesten zu nehmen sind. a) Fehlende rechtliche Beziehung In einem ersten Schritt haben Rechtsuchende zu prüfen, ob die jeweils in Frage stehende Norm für sich – ohne weiteren Normvollzug – überhaupt eine rechtliche Beziehung im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO zwischen ihnen und einem Hoheitsträger begründet. Dies ist grundlegende Voraussetzung für ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis.1202 Nicht auf jedem Rechtssatz kann eine solche Beziehung fußen. Lediglich Regelungen, welche die Rechtsuchenden – oder ausnahmsweise dritte Private1203 – unmittelbar betreffen und insoweit Rechte und Pflichten begründen, erscheinen geeignet, ein Rechtsverhältnis unter den Beteiligten bereits ohne weiteren Normvollzug zu begründen und mithin im Rahmen der Feststellungsklage einer inzidenten Prüfung unterzogen werden zu können.1204 Das Rechtsverhältnis besteht zwischen den Normadressaten und dem Normanwender konkret in der Gestalt, dass Erstere von einem imperativen Ge- oder Verbot betroffen sind und Letzterer für den Vollzug bzw. die Überwachung der Befolgung zuständig ist. Soweit ausnahmsweise eine self-executing Bestimmung eine Konkretisierung 1201  Siehe

zuvor S. 179 ff. dieser Voraussetzung zuvor S. 190 ff. 1203  Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 27. Juni 1997, Az. 8 C 23/96, juris Rn. 17; Urteil vom 14. April 2005, Az. 3 C 3.04, juris Rn. 22. 1204  Vgl. bereits Kares, Das Rechtsverhältnis i. S. v. § 43 I Alt. 1 VwGO, 2011, S. 101 f.; siehe zu den self-executing Vorschriften zuvor S. 133 ff. 1202  Zu



B. Konsequenzen für Rechtsuchende255

oder Individualisierung durch weiteren Verwaltungsvollzug nicht vorsieht oder ermöglicht,1205 kommt allein im Verhältnis zum Normgeber ein Rechtsverhältnis in Betracht. Nach der hier vertretenen Auffassung kann ein solches für Parlamentsgesetze jedoch nicht konstruiert werden. Ein hinreichendes Rechtsschutzinstrument bietet hier die Rechtssatzverfassungsbeschwerde.1206 Als Negativbeispiel kann hier aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Entscheidung zum Bundes-Klimaschutzgesetz angeführt werden. Eine Feststellungsklage vor den Verwaltungsgerichten ist hier in den jeweiligen Prozesskonstellationen nach Auffassung des Gerichts nicht in Frage gekommen.1207 Die angegriffenen Vorschriften betrafen insbesondere die nationalen Klimaschutzziele bzw. die zulässigen Jahresemissionsmengen.1208 Während Erstere zunächst an den Staat und Letztere (mittelbar) an die Akteure der betroffenen Sektoren gerichtet sind, sind die privaten Rechtsuchenden bzw. die beschwerdeführenden Umweltvereinigungen nicht selbst adressiert, sodass das Bundes-Klimaschutzgesetz keine Beziehung im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO unter Hoheitsträgern und den Beschwerdeführenden begründet. Mangels vorrangiger fachgerichtlicher Rechtsschutzmöglichkeit stand hier der unmittelbare Weg zum Bundesverfassungsgericht über die Rechtssatzverfassungsbeschwerde offen. Vergleichbar vertrat der Erste Senat bereits zuvor mit seiner Entscheidung zum Atomausstieg die Auffassung, dass auch hinsichtlich der 13. Novelle des Atomgesetzes kein „sinnvoller Feststellungsantrag“ vor den Verwaltungsgerichten hätte gestellt werden können.1209 Warum nicht etwa ein Antrag auf Feststellung statthaft hätte sein können, dass die Rechtsuchenden aufgrund der Unwirksamkeit der Gesetzesänderung zum Leistungsbetrieb einer Anlage zur Spaltung von Kernbrennstoffen weiter berechtigt sind (vgl. § 7 Abs. 1a Satz 1 AtG a. F.), hat der Senat nicht erörtert. Ein entsprechender Antrag ist in vergleichbaren Verbotskonstellationen in der Verwaltungsgerichtsbarkeit bereits als statthaft angesehen worden.1210 1205  Siehe abermals BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2010, Az. 8 C 19/09, ­BVerwGE 136, 54, juris Rn. 30. 1206  Siehe zuvor S. 190 ff. 1207  BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021, Az. 1 BvR 2656/18, BVerfGE 157, 30, juris Rn. 140. 1208  Ebd., Rn. 14. 1209  BVerfG, Urteil vom 6. Dezember 2016, Az. 1 BvR 2821/11, BVerfGE 143, 246, juris Rn. 210; so auch zum Gesetz zur Entwicklung und Förderung der Windenergie auf See BVerfG, Beschluss vom 30. Juni 2020, Az. 1 BvR 1679/17, BVerfGE 155, 238, juris Rn. 70. 1210  Vgl. etwa VG Oldenburg, Urteil vom 7. August 2017, Az. 5 A 726/15, juris Rn. 13 ff., bestätigt durch OVG Lüneburg, Beschluss vom 11. Dezember 2020, Az. 4 LC 291/17, juris Rn. 28 ff.

256 4. Teil: Konsequenzen für Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende

b) Bestimmter, bereits überschaubarer Sachverhalt und qualifiziertes Feststellungsinteresse Im zweiten Schritt ist zu hinterfragen, ob das jeweilige Rechtsverhältnis auf einem bestimmten, bereits überschaubareren Sachverhalt basiert, also sich Rechtsfragen bezüglich eines konkreten Einzelfalls stellen, sich das Rechtsverhältnis insoweit bereits verdichtet hat und nicht bloß abstrakte Rechtsfragen an die Gerichte herangetragen werden.1211 Diese Voraussetzung findet sich im Rahmen des vorbeugenden Rechtsschutzes im Erfordernis des qualifizierten Feststellungsinteresses wieder. Die beiden Problemkreise weisen regelmäßig großflächig Überschneidungen auf, sodass sie hier gemeinsam aufgegriffen werden.1212 Es kann nicht für sämtliche Fallkonstellationen mit vergleichbarer Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden, dass das jeweils angerufene Gericht eine normbezogene Feststellungsklage bezüglich dieser Punkte als zulässig erachten wird. Dies bleibt im Grunde eine Frage des Einzelfalls. Soweit an dieser Stelle die gewonnenen Erkenntnisse verallgemeinert werden können, dürften die besten Erfolgsaussichten den Feststellungsklagen betreffend bußgeld- bzw. strafbewehrte self-executing Normen zu bescheinigen sein, wenn die zuständige Behörde bereits mit Strafanzeige bzw. der Einleitung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens gedroht hat. Entsprechend der hier vertretenen Rechtsansicht stellen einige Gerichte bei derartigen Regelungen mittlerweile weniger strenge Anforderungen an diese Voraussetzung und lassen bereits die abstrakte Sanktionsgefahr ausreichen.1213 Da hier jedoch keine einheitliche Rechtsprechungslinie besteht, sind Rechtsuchende gut beraten, ihre Feststellungsklage erst dann zu erheben, wenn auch nach der strengeren Rechtsprechungslinie sich das Rechtsverhältnis hinreichend verdichtet hat. Die Rechtsuchenden sollten also solange mit dem zuständigen Hoheitsträger kommunizieren und sich über die Anwendbarkeit der fraglichen Regelung streiten, bis dieser sich mit einer nach der streitigen Regelung vorgesehenen Handlungsbefugnis berühmt, ein entsprechendes Vorgehen gegen die Rechtsuchenden angekündigt oder angedroht hat.1214 Für den Fall, dass sich die Behörde jeglicher Stellungnahme enthält, ist nach hier vertretener Auffassung ebenfalls von einer hinreichenden Konkretisierung

1211  Zu

dieser Voraussetzung zuvor S. 193 ff. zu diesen Problemkreisen zuvor S. 193 ff. und S. 201 ff. 1213  Siehe abermals bspw. VG Berlin, Urteil vom 22. September 2008, Az. 35 A 15.08, juris Rn. 55 und VG Hannover, Urteil vom 24. November 2008, Az. 10 A 1017/08, juris Rn. 29. 1214  Dazu bereits zuvor S. 203 ff. 1212  Siehe



B. Konsequenzen für Rechtsuchende257

des Rechtsverhältnisses bzw. dem erforderlichen Feststellungsinteresse auszugehen.1215 Ungleich kritischer sind wiederum die Erfolgsaussichten von Feststellungsklagen betreffend self-executing Normen zu bewerten, die als weiteren Normvollzug zur Überwachung ihrer Einhaltung keine Ahndung als Ordnungswidrigkeit oder Straftat, sondern ein Vorgehen etwa in Form von Untersagungsverfügungen vorsehen.1216 Hier haben die Rechtsuchenden nach der Rechtsprechung regelmäßig zu argumentieren, dass ihnen nicht zumutbar ist, den Vollzug der betroffenen Norm abzuwarten, da nicht mehr wiedergutzumachende Schäden drohen, eine Vielzahl gleichartiger Rechtsakte anzugreifen wären oder sie sich zu nicht mehr revidierbaren Dispositionen veranlasst sähen. Soweit der Verstoß gegen einen Vollzugsakt wiederum als Ordnungswidrigkeit oder Straftat geahndet werden kann, kommt hier vorbeugender Rechtsschutz über die Feststellungsklage insbesondere dann in Betracht, wenn repressive Rechtsschutzmöglichkeiten keinen Suspensiveffekt haben. Ferner haben Rechtsuchende hier vorzutragen, dass die Feststellungsklage in diesen Fällen nicht gegenüber der Anfechtungsklage subsidiär ist, da diese nicht ihrem eigentlichen Rechtsschutzbegehren entspricht.1217 Mangels einheitlicher Rechtsprechungslinie dürfte hier jedoch ungleich stärker vom Einzelfall abhängen, ob die Rechtsuchenden mit ihrem Vortrag durchdringen. Kann nicht ausreichend für einen Fall der Unzumutbarkeit vorgetragen werden, ist im Zweifel der Vollzugsakt abzuwarten und anschließend anzugreifen, um eine inzidente Überprüfung der Rechtsgrundlage zu erzielen.1218 3. Rechtsschutz im einstweiligen Rechtsschutzverfahren Um zu verhindern, dass vor oder während des Hauptsacheverfahrens ein Bußgeldverfahren eingeleitet wird oder die Behörde sonstige Maßnahmen zur Durchsetzung der streitigen Norm ergreift, ist Rechtsuchenden angeraten, über § 123 Abs. 1 VwGO die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu beantragen. In diesem Fall besteht für sie – über die Rechtsschutzmöglichkeit 1215  Ausreichend erscheint auch, dass ein Antrag auf Erlass eines feststellenden Verwaltungsakts gestellt wird, den die zuständige Behörde jedoch zurückweist; dazu Schenke, WiVerw 1997, 81, 171 ff. und Sodan, in: ders./Ziekow, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn.  132 ff. m. w. N. 1216  Der Verstoß gegen diese kann dann ggf. wiederum den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit bzw. Straftat erfüllen, vgl. abermals etwa BVerwG, Urteil vom 23. Juni 2016, Az. 2 C 18/15, juris Rn. 20. 1217  Dazu bereits zuvor S. 212 ff. 1218  Vgl. für einen entsprechenden Fall zu § 41 Abs. 1 FGO FG NDS, Urteil vom 25. Juli 2019, Az. 6 K 298/18, juris Rn. 41; bestätigt durch BFH, Beschluss vom 30. September 2020, Az. VII B 96/19.

258 4. Teil: Konsequenzen für Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende

im Hauptsacheverfahren hinaus – die Chance, dass das angerufene Gericht in diesem Verfahren betreffend die Wirksamkeit von Parlamentsgesetzen bereits ohne Vorlage- und Aussetzungsbeschluss in der Sache entscheidet, wenn es von der Unwirksamkeit der jeweiligen Rechtsnorm ausgeht.1219 Insoweit obliegt es den Antragstellenden dafür vorzutragen, dass im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes geboten ist, vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren. Zu beachten ist, dass diese Möglichkeit nach herrschender Auffassung jedoch nicht besteht, soweit im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die Entscheidung in der Hauptsache (faktisch) vorweggenommen würde. Sollte eine entsprechende Fallkonstellation vorliegen, verbleibt den Antragstellenden die Option, entsprechend der Meinung einzelner Vertreter im Schrifttum dafür vorzutragen, dass die Vorlage der Sache im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes über Art. 19 Abs. 4 GG nicht entgegenstehe.1220 Im Übrigen haben Recht­ suchende die vorstehenden Ausführungen zu den Sachurteilsvoraussetzungen der (vorbeugenden) negativen Feststellungsklage entsprechend bei ihrer Antragstellung zu berücksichtigen. 4. Antragsformulierung Auch sehen sich Rechtsuchende mit der Frage konfrontiert, wie sie ihren Antrag „sinnvoll formulieren“1221, um ihr Begehren mittels der Feststellungsklage bzw. im einstweiligen Rechtsschutzverfahren durchsetzen zu können. Grenzen ziehen hier der Ausschluss verfassungsrechtlicher Streitigkeiten vom Verwaltungsrechtsweg sowie die Statthaftigkeit der Feststellungsklage. Ausgeschlossen sind also Anträge gerichtet auf Feststellung, dass die streitige Regelung nichtig, unwirksam oder verfassungswidrig ist.1222 Regelmäßig wird – je nach Sachverhaltslage im Einzelfall – ein Antrag auf Feststellung in Betracht kommen, dass 1219  Zum

einstweiligen Rechtsschutz in diesen Konstellationen zuvor S. 224 ff. abermals Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 80 Rn. 162 und Schoch, in: ders./Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 123 Rn. 129b, die ebenfalls eine Vorlagepflicht befürworten, welche jedoch einer Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht entgegenstehe und Froese/Kempny/Schiffbauer, DÖV 2017, 261, die trotz Vorlage vorläufigen Rechtsschutz mittels eines auf Art. 19 Abs. 4 GG gestützten Hängebeschlusses gewähren wollen. 1221  Barczak, in: Modrzejewski/Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. V, 2019, S. 17, 46 f. 1222  BVerwG, Urteil vom 23. August 2007, Az. 7 C 2/07, B ­ VerwGE 129, 199, juris Rn. 20; VG Berlin, Urteil vom 29. September 2016, Az. 4 K 122.15, juris ­ Rn. 19; Barczak, in: Modrzejewski/Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. V, 2019, S. 17, 28 f.; ders., DVBl 2019, 1040, 1043; Bettermann, AöR 86 (1961), 129, 157. 1220  Siehe



B. Konsequenzen für Rechtsuchende259

–– ­ sich aus dem Gesetz keine Rechte oder Pflichten für die Rechtsuchenden ergeben;1223 –– ­ das jeweilige gesetzliche Ge- bzw. Verbot auf die Rechtsuchenden nicht anwendbar ist;1224 –– ­ den Rechtsuchenden eine bestimmte Betätigung weiter gestattet ist bzw. sie zu dieser nicht verpflichtet sind;1225 –– ­ eine bestimmte Tätigkeit erlaubnisfrei ist.1226 Zum Teil wird vorgeschlagen, einen Antrag auf Feststellung zu stellen, dass die jeweilige Regelung die Rechtsuchenden in ihren Rechten verletzt.1227 Zu Recht wird dies in der Literatur kritisiert. Die Rechtsverletzung als solche ist kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis.1228 Dem ähnelt ein Antrag auf Feststellung des Fehlens eines Normgebungsrechts. So schlägt Schenke im Rahmen der Diskussion um den Rechtsschutz mittels Feststellungsklage betreffend untergesetzliche Rechtsnormen vor, das Nichtbestehen eines Rechts des Hoheitsträgers zum Erlass einer die Rechtsuchenden betreffenden untergesetzlichen Rechtsnorm feststellen zu lassen.1229 Ein entsprechendes Klagebegehren ist betreffend Parlamentsgesetze jedoch von vorneherein ausgeschlossen. Die Frage, ob ein parlamentarischer Gesetzgeber im jeweiligen Einzelfall befugt war, einen Rechtssatz in einer bestimmten Art und Weise zu erlassen, liefe im Ergebnis auf eine prinzipale Normenkontrolle hinaus und ist als verfassungsrechtliche Streitigkeit allein den Verfassungsgerichten vorNVwZ-Extra 10a 2021, 1, 6. bspw. VG Berlin, Urteil vom 22. September 2008, Az. 35 A 15.08, juris

1223  Greve/Lassahn, 1224  Vgl.

Rn. 1, 18. 1225  Vgl. bspw. BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2005, Az. 7 C 26/04, ­BVerwGE 124, 47, juris Rn. 9; VG Hannover, Urteil vom 24. November 2008, Az. 10 A 1017/08, juris Rn. 11 ff.; VG Köln, Urteil vom 25. Februar 2014, Az. 7 K 4612/13, juris Rn. 18; VG Oldenburg, Urteil vom 7. August 2017, Az. 5 A 726/15, juris Rn. 6; VG Köln, Urteil vom 20. April 2018, Az. 9 K 3859/16, juris Rn. 5. 1226  Vgl. bspw. VG Bremen, Beschluss vom 9. Juli 2015, Az. 5 K 171/13, juris Rn. 47; so auch BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 28. Januar 2014, Az. 1 BvR 573/11, juris Rn. 13. 1227  So Barczak, in: Modrzejewski/Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. V, 2019, S. 17, 29; vgl. aus der Praxis bspw. VGH BW, Urteil vom 22. März 2002, Az. 8 S 1271/01, juris Rn. 40; für die nur ausnahmsweise zulässige Klage gegen den Normgeber so auch BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2006, Az. 1 BvR 541/02, BVerfGE 115, 81, juris Rn. 50 und BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2010, Az. 8 C 19/09, ­BVerwGE 136, 54, juris Rn. 25. 1228  Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 58c. 1229  Schenke, NVwZ 2016, 720, 723  ff.; ders., NJW 2017 1062, 1064; Kopp/ Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 43 Rn. 80 ff.; so auch Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 58c.

260 4. Teil: Konsequenzen für Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende

behalten.1230 Hier würde die abstrakte Frage der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm zum Gegenstand der Feststellungsklage erhoben werden. Dieses Begehren ist nicht unter den Begriff des feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO zu subsumieren.1231 Dies zeigt bereits die gesondert normierte Feststellungsmöglichkeit betreffend die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts. Dieser besonderen Ausprägung der Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 a. E. VwGO hätte es nicht bedurft, wenn die Frage der Wirksamkeit hoheitlichen Handelns bereits ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Sinne der Norm darstellen würde.1232 Steht ein Normvollzug durch Einleitung eines Bußgeldverfahrens oder in sonstiger Weise im Raum, ist zugleich ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz über § 123 VwGO zu stellen. Hier wiederholen sich die vorgenannten Anträge mit der Besonderheit, dass stets allein die „vorläufige“ Feststellung begehrt werden kann.1233 Weiter ist zu beachten, dass die Verwaltungsgerichte zwar nicht über das Klagebegehren hinausgehen dürfen, aber nicht an die Fassung der Anträge gebunden sind (§ 88 VwGO). Insoweit hat das jeweils angerufenen Gericht einen missverständlichen Antrag auszulegen.1234 Im Voraus obliegt es dem Gericht darauf hinzuwirken, dass unklare Anträge erläutert werden (§ 86 Abs. 3 VwGO). Ein entsprechender gerichtlicher Hinweis gibt den Recht­ suchenden die Möglichkeit, ihren Antrag umzustellen und diesen insoweit in zulässiger Weise zu stellen. Erst wenn dies nicht zum erwarteten Erfolg führt, hat das Gericht den Antrag auszulegen oder umzudeuten und das eigentliche Klagebegehren zu bestimmen.1235 Die Grenzen zwischen Auslegung und Umdeutung verlaufen hier fließend.1236 Werden die Rechtsuchenden von einem Rechtsanwalt vertreten, wird zum Teil argumentiert, dass 1230  Schenke, NJW 2017 1062, 1067; Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 43 Rn. 8w; Selb, Die verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage, 1998, S. 80, Fn. 331. 1231  So im Ergebnis auch Selb, Die verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage, 1998, S. 80. 1232  Ebd., Rn. 35; Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 43 Rn. 13; Möstl, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 60. Ed. 2022, § 43 Rn. 4; siehe dazu bereits zuvor S. 190 ff. 1233  Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 22. Juni 2017, Az. 13 B 238/17, juris Rn. 5; VG Sigmaringen, Beschluss vom 7. Mai 2021, Az. 5 K 1392/21, juris Rn. 10. 1234  Redeker/Kothe/v. Nicolai, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, 17. Aufl. 2022, § 88 Rn. 1. 1235  Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 88 Rn. 6 f.; Bamberger, in: Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 88 Rn. 9; Redeker/Kothe/v. Nicolai, in: Redeker/v. Oertzen, VwGO, 17. Aufl. 2022, § 88 Rn. 1; Fertig, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 60. Ed. 2022, § 88 vor Rn. 1. 1236  Peters/Kujath, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 88 Rn. 37.



B. Konsequenzen für Rechtsuchende261

strengere Maßstäbe anzulegen seien.1237 In Achtung des tatsächlichen Willens der Rechtsuchenden entbindet dieser Umstand das Gericht jedoch nicht von der Pflicht, im Zweifel mit einem richterlichen Hinweis im Sinne des § 86 Abs. 3 VwGO zu arbeiten;1238 wenn auch die Hinweispflicht hier nur in abgeschwächter Form bestehen soll.1239 Der Auslegung und Umdeutung von Klageanträgen kommt gerade im Rahmen des Rechtsschutzes mittels Feststellungsklage betreffend Rechtssätze eine nicht unwesentliche Rolle zu.1240 So bestehe etwa die Möglichkeit, einen Antrag auf Ungültigkeitsfeststellung einer Rechtsnorm als Antrag auf Feststellung des Bestehens bzw. Nichtbe­ stehens eines Rechtsverhältnisses aufgrund der Ungültigkeit der jeweiligen Norm zu verstehen.1241 Vergleichbar hat ein Gericht darauf hinzuwirken, dass Rechtsuchende ihren Antrag auf eine Feststellungsklage umstellen, wenn es eigentlich um die Erlaubnisfreiheit einer bestimmten Betätigung geht, sie jedoch auf Verpflichtung klagen.1242 Im Ergebnis dürfte die Antragstellung keine wesentliche Hürde für die Rechtsuchenden darstellen. Zumindest ermöglicht die Verpflichtung des Gerichts, bei einer „unvernünftigen Prozessführung“1243 einen richterlichen Hinweis – erforderlichenfalls sogar mittels Formulierungshilfe1244 – zu erteilen, jeweils gestellte Anträge später im Prozessverlauf noch entsprechend zu korrigieren.

1237  Vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. März 2012, Az. 9 B 7/12, juris Rn. 6; Urteil vom 9. April 2014, Az. 8 C 50/12, ­BVerwGE 149, 265, juris Rn. 17; a. A. Fertig, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 60. Ed. 2022, § 88 Rn. 7. 1238  Vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 23. Oktober 2007, Az. 2 BvR 542/07, juris Rn. 16. 1239  In st. Rspr. BVerwG, Beschluss vom 1. Juli 2013, Az. 4 B 10/13, juris Rn. 8; BVerfG, Kammerbeschluss vom 8. Mai 1991, Az. 2 BvR 170/85, juris Rn. 12; Dawin/Panzer, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL 2021, § 86 Rn. 136. 1240  Möstl, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 60. Ed. 2022, § 43 Rn. 4. 1241  Wysk, in: ders., VwGO, 3. Aufl. 2020, § 43 Rn. 31; vgl. exemplarisch für die Auslegung eines Antrags auf Nichtigkeitsfeststellung einer Rechtsnorm VG Berlin, Urteil vom 29. September 2016, Az. 4 K 122.15, juris Rn. 19. 1242  Vgl. BVerwG, Urteil vom 1. September 2016, Az. 4 C 4/15, ­BVerwGE 156, 94, juris Rn. 10; Peters/Kujath, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 88 Rn. 40. 1243  Haack, in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 88 Rn. 7. 1244  Seibert, JuS 2017, 122, 124 unter Verweis auf BVerwG, Beschluss vom 9. November 1976, Az. V B 80.76, juris Rn. 8.

262 4. Teil: Konsequenzen für Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende

II. Ausnahme: der direkte Weg zum Verfassungsgericht 1. Anwendbarkeit der Ausnahmen vom Subsidiaritätsgrundsatz Der unmittelbare Weg zum Bundesverfassungsgericht mittels Rechtssatzverfassungsbeschwerde steht den Rechtsuchenden über die Ausnahmen vom Subsidiaritätsgrundsatz offen. Die Ausnahmetatbestände nach § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG sowie die Unzumutbarkeitsrechtsprechung finden auch hinsichtlich des allgemeinen Subsidiaritätsgrundsatzes und insoweit auch hinsichtlich der dargestellten Rechtsprechungslinie zur vorrangigen Feststellungsklage Anwendung.1245 2. Prozessuale Geltendmachung Im Einzelfall stellt es die Beschwerdeführenden vor große Hürden, die Voraussetzungen für eine Vorabentscheidung oder für einen sonstigen Ausnahmefall prozessual vor dem Bundesverfassungsgericht durchzusetzen. So halten etwa Lenz/Hansel für die Erhebung einer zulässigen Rechtssatzverfassungsbeschwerde ein „großes Maß an prozessrechtlicher Fantasie“ für erforderlich.1246 Zwar sind die dargestellten Ausnahmen nicht direkt antragsbedürftig, doch sollen Beschwerdeführende dazu grundsätzlich über das Er­ fordernis der §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG substantiiert vorzutragen ­haben.1247 Wie ein entsprechender Vortrag ausgestaltet sein könnte, wird nachfolgend für die einzelnen Ausnahmekonstellationen skizziert. a) Vortrag für eine allgemeine Bedeutung der Verfassungsbeschwerde Der Vortrag für eine allgemeine Bedeutung einer Rechtssatzverfassungsbeschwerde erscheint vor dem Hintergrund der Ausführungen zu den Voraussetzungen einer Vorabentscheidung im vorstehenden zweiten Teil dieser Untersuchung und angesichts der abstrakt-generellen Wirkung von Rechtsnormen zunächst erfolgsversprechend, da die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer gesetzlichen Regelung regelmäßig eine Vielzahl von Personen betreffen 1245  Zu

den Ausnahmen zuvor S. 80 ff. BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 90 Rn. 519. 1247  Vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 25. Februar 2004, Az. 1 BvR 2016/01, juris Rn. 52; Nichtannahmebeschluss vom 19. November 2018, Az. 1 BvR 1335/18, juris Rn. 6; Niesler, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 12. Ed. 2021, § 90 Abs. 2 Rn. 154. 1246  Lenz/Hansel,



B. Konsequenzen für Rechtsuchende263

wird.1248 Es ist jedoch daran zu erinnern, dass die Entscheidung für eine Vorabentscheidung nach § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG im Ermessen des Bundesverfassungsgerichts steht. In Anlehnung an die dargelegten Rechtfertigungsgründe für die Entwicklung des Subsidiaritätsgrundsatzes sieht das Bundesverfassungsgericht von einer Vorabentscheidung insbesondere dann ab, wenn es – soweit entscheidungserheblich – ohne Feststellung der Tatsachen- und Rechtsgrundlagen entscheiden müsste.1249 Unter Berücksichtigung der vorgenommenen Rechtsprechungsauswertung fällt auf, dass sich das Gericht hinsichtlich der dargestellten Rechtsprechungslinie nicht selten gerade auf diesen Gesichtspunkt stützt, um die Subsidiarität einer erhobenen Rechtssatzverfassungsbeschwerde zu begründen.1250 Mithin dürfte es Beschwerdeführenden nur schwerlich gelingen, aufgrund der allgemeinen Bedeutung der Verfassungsbeschwerde im Sinne einer Vorabentscheidung zu argumentieren, wenn das Bundesverfassungsgericht derweil tatsächlichen bzw. einfachrechtlichen Klärungsbedarf sieht. Gleichzeitig steht dem Bundesverfassungsgericht hier natürlich auch offen, auf eine fachgerichtliche Auf­ arbeitung zu verzichten und unmittelbar selbst in der Sache zu entscheiden, wenn es sich dazu bereits in der Lage sieht. Insoweit wird auf die ­Ausführungen zu den Unwägbarkeiten eines „freien Annahmeverfahrens“ verwiesen.1251 b) Vortrag für einen schweren und unabwendbaren Nachteil Ebenso wenig können Rechtsuchende rechtssicher auf die Möglichkeit der Vorabentscheidung aufgrund schweren, unabwendbaren Nachteils verwiesen werden. Auch insoweit steht die Entscheidung über eine Vorabentscheidung im Ermessen des Gerichts, sodass die vorgenannten Erwägungen auch hier gelten. Darüber hinaus spiele dieser Anwendungsfall des § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG in der Praxis schon seit Jahren keine Rolle mehr.1252 Dies wird darauf zurückgeführt, dass eine Verfassungsbeschwerde schon nicht zur Entscheidung angenommen werden würde, wenn nicht für einen „beson­ ders schweren Nachteil“ vorgetragen werden könnte (§ 93a Abs. 2 lit. b) 1248  So auch Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, § 90 Rn. 409; ähnlich Zuck, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, 5. Aufl. 2017, 2. Kapitel Rn. 784. 1249  Siehe abermals BVerfG, Beschluss vom 23. Oktober 1958, Az. 1 BvR 458/58, BVerfGE 8, 222, juris Rn. 15; Beschluss vom 9. Januar 1962, Az. 1 BvR 662/59, BVerfGE 13, 284, juris Rn. 14; Beschluss vom 20. Juni 2017, Az. 1 BvR 1978/13, BVerfGE 145, 365, juris Rn. 19. 1250  Siehe zuvor Fn. 801. 1251  Siehe dazu zuvor S. 168 ff. 1252  Zuck/Eisele, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, 6. Aufl. 2022, 2. Kapitel Rn. 549.

264 4. Teil: Konsequenzen für Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende

BVerfGG).1253 Zuletzt wurde dieser Ausnahmetatbestand allerdings vereinzelt wieder in der Kammerrechtsprechung erwähnt, wenn auch nicht als tragender Grund für eine Vorabentscheidung angeführt.1254 Die Voraussetzungen für einen hinreichenden Vortrag werden entsprechend eng gesehen. Für erfolgsversprechende Beispiele wird auf die Ausführungen im Rahmen des zweiten Teils der Untersuchung verwiesen.1255 c) Vortrag für die offensichtliche Unzulässigkeit oder Aussichtslosigkeit einer vorrangigen Feststellungsklage Ferner erscheint im Regelfall ebenfalls wenig erfolgversprechend, für eine offensichtliche Unzulässigkeit der Feststellungsklage in ihrer Gestalt als allgemeine Normenabwehrklage betreffend Parlamentsgesetze vorzutragen. Wie im Rahmen der Rechtsprechungsauswertung dargelegt, hält die Verwaltungsgerichtsbarkeit normbezogene Feststellungsklagen nicht generell für unzulässig. Auch wenn einige Gerichte die Voraussetzungen der Feststellungsklage hier eher restriktiv auslegen,1256 kann unter Berücksichtigung der Anforderungen an diese Fallgruppe der Unzumutbarkeit1257 nicht argumentiert werden, dass dieser Anwendungsfall der Feststellungsklage „offensichtlich unzulässig“ wäre. Wie dargelegt, liegt zwar keine höchstrichterliche Rechtsprechung vor, der konkret entnommen werden könnte, in welchen Konstellationen die Feststellungsklage betreffend Parlamentsgesetze zulässig bzw. unzulässig sein soll, doch genügt nach der Subsidiaritätsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gerade nicht, dass eine gefestigte Rechtsprechung zugunsten der Zulässigkeit des Rechtsbehelfs in der konkreten Fallgestaltung noch nicht vorliegt.1258 Aus der Aufgabenverteilung unter Fach- und Verfas1253  Zuck/Eisele, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, 6. Aufl. 2022, 2. Kapitel Rn. 775, 784; Lechner/Zuck, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, § 90 Rn. 185a; a. A. offenbar Lenz/Hansel, die „einzig“ auf Grundlage des besonders schweren und unabwend­ baren Nachteils Erfolgsaussichten sehen, um eine Vorabentscheidung herbeizuführen, dies., BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 90 Rn. 535. 1254  Vgl. etwa BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 16. Juli 2020, Az. 1 BvR 1614/20, juris Rn. 7; Ablehnung einstweilige Anordnung vom 23. Oktober 2020, Az. 1 BvQ 120/20, juris Rn. 10; Nichtannahmebeschluss vom 12. November 2020, Az. 1 BvR 2424/20, juris Rn. 17. 1255  Siehe zuvor S. 83 ff. 1256  Vgl. abermals exemplarisch VG München, Urteil vom 8. Juli 2015, Az. M 18 K 14.1109, juris Rn. 18 ff. und zur Parallelnorm des § 41 FGO FG NDS, Urteil vom 25. Juli 2019, Az. 6 K 298/18, juris Rn. 21 ff., bestätigt durch BFH, Beschluss vom 30. September 2020, Az. VII B 96/19, juris Rn. 9 ff. 1257  Siehe dazu zuvor S. 86 ff. 1258  BVerfG, Beschluss vom 18. Juni 1985, Az. BvR 414/84, BVerfGE 70, 180, juris Rn. 21.



B. Konsequenzen für Rechtsuchende265

sungsgerichtsbarkeit folge gerade, dass Erstere dafür zuständig sei, über die streitige Zulässigkeitsfrage zu entscheiden.1259 Ein Anwendungsbereich dieser Fallgruppe dürfte nur für den Fall verbleiben, dass eine Feststellungsklage im konkreten Einzelfall unzweifelhaft ausgeschlossen ist, etwa weil die jeweilige Norm kein Rechtsverhältnis zu den Rechtsuchenden begründen kann. Entgegen der früheren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts soll der vorrangige fachgerichtliche Rechtsbehelf hier auch dann nicht aussichtslos sein, wenn eine Norm in Rede steht, die keinen Auslegungs-, Ermessensoder Beurteilungsspielraum hinsichtlich des Begehrens der Rechtsuchenden einräumt, der es den Fachgerichten erlauben würde, „die geltend gemachte Grundrechtsverletzung kraft eigener Entscheidungskompetenz zu vermei­ den“.1260 d) Vortrag im Sinne der „Damokles-Rechtsprechung“ Auch soweit Rechtsuchende straf- oder bußgeldbewehrte Normen angreifen wollen, sehen sie sich mit gesteigerten Subsidiaritätsmaßstäben konfrontiert. Wie im zweiten Teil der Ausarbeitung dargelegt, verweist das Bundesverfassungsgericht mittlerweile in ständiger Rechtsprechung die Beschwerdeführenden darauf, der während des laufenden Hauptsacheverfahrens bestehenden Gefahr der Verfolgung als Ordnungswidrigkeit vorrangig mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zu begegnen. Insofern sei fachgerichtlicher Rechtsschutz außerhalb eines Bußgeldverfahrens zu erlangen.1261 Daher eröffnet ein Vortrag allein zur Bußgeldbewehrtheit der frag­ lichen Rechtsnorm nicht den unmittelbaren Weg zum Bundesverfassungs­ gericht. Wie dargestellt, ist die Rechtsprechungslinie wiederum betreffend strafbewehrte Normen nicht eindeutig.1262 Hier bleiben die Entwicklungen zu beobachten. Soweit Rechtsuchende beabsichtigen, strafbewehrte Normen un1259  BVerfG, Beschluss vom 8. Januar 1985, Az. 1 BvR 700/83, BVerfGE 68, 376, juris Rn. 16 unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 10. Juni 1964, Az. 1 BvR 37/63, BVerfGE 18, 85, juris Rn. 21. 1260  Siehe abermals etwa BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2009, Az. 2 BvR 890/06, BVerfGE 123, 148, juris Rn. 154; Nichtannahmebeschluss vom 25. Juni 2015, Az. 1 BvR 555/15, juris Rn. 8; Nichtannahmebeschluss vom 16. Juli 2015, Az. 1 BvR 1014/13, juris Rn. 10; Nichtannahmebeschluss vom 4. Oktober 2016, Az. 1 BvR 1704/16, juris Rn. 3; Nichtannahmebeschluss vom 2. Mai 2018, Az. 1 BvR 3250/14, juris Rn. 13; Nichtannahmebeschluss vom 19. November 2018, Az. 1 BvR 1335/18, juris Rn. 3. 1261  Siehe abermals nur BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 16. Juli 2015, Az. 1 BvR 1014/13, juris Rn. 14; Beschluss vom 7. März 2017, Az. 1 BvR 1314/12, BVerfGE 145, 20, juris Rn. 86; Nichtannahmebeschluss vom 19. November 2018, Az. 1 BvR 1335/18, juris Rn. 5. 1262  Dazu zuvor S. 91 ff.

266 4. Teil: Konsequenzen für Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende

mittelbar mit der Rechtssatzverfassungsbeschwerde anzugreifen, sollten sie explizit darlegen, dass eine verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage verbunden mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hier keine ausreichende Rechtsschutzmöglichkeit bietet, um das Strafbarkeitsrisiko adäquat zu minimieren. Der Verweis an die Fachgerichte kann für die Beschwerdeführenden zudem dann problematisch werden, wenn bislang nur die abstrakte Sanktionsgefahr im Raum steht, die zuständige Behörde also noch nicht in Aussicht gestellt hat, Pflichtverstöße zu ahnden. Wie zuvor erörtert, meinen einige Verwaltungsgerichte, das Rechtsverhältnis unter den Beteiligten sei in diesen Fällen noch nicht hinreichend konkretisiert bzw. wollen sie in diesen Kon­ stellationen kein ausreichendes Feststellungsinteresse der Rechtsuchenden erkennen können, sodass eine entsprechende Feststellungsklage bzw. ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz unzulässig sei.1263 Diese Unsicherheiten dürften jedoch wiederum ihrerseits keine Ausnahme vom Subsidiaritätsgrundsatz rechtfertigen. Da bereits mehrfach Gerichte in der dargestellten Sachverhaltskonstellation entsprechende Rechtsschutzbegehren als zulässig erachtet haben, ist hier nicht von einem Fall der „offensichtlichen Unzulässigkeit“ der Rechtsschutzmöglichkeiten auszugehen. Auch insoweit wäre ein Vortrag der Rechtsuchenden nicht erfolgsversprechend. e) Vortrag für einen allein verfassungsrechtlichen Sachverhalt Die besten Erfolgsaussichten dürften den Beschwerdeführenden zu bescheinigen sein, die dafür vortragen können, dass sich bei der Prüfung der von ihnen angegriffenen Rechtsnormen allein verfassungsrechtliche Fragen stellen. Auf diesen Ausnahmefall hat sich das Bundesverfassungsgericht zuletzt immer häufiger gestützt.1264 Inwieweit ein „allein verfassungsrechtlicher Sachverhalt“ vorliegt, dürfte eine Frage des Einzelfalls sein. Wie die Rechtsprechungsauswertung gezeigt hat, sind wesentliche Indikatoren die Auslegungsbedürftigkeit der fraglichen Regelungen sowie ein feststehender, geklärter Sachverhalt. Soweit die einfache Rechts- und Tatsachenlage eindeutig bzw. für die Beantwortung der verfassungsrechtlichen Fragen nicht entscheidungserheblich ist, ist der Umweg über die Fachgerichte nicht länger gerechtfertigt. Für Rechtsuchende zieht dies die Obliegenheit nach sich, die Einschätzung vorzunehmen, inwieweit sich bei den von ihnen angegriffenen Normen auch maßgebliche einfachrechtliche oder tatsächliche Fragen stellen. Zuck sieht hierin eine im 1263  Dazu

1264  Siehe

zuvor S. 204 ff. zuvor Fn. 800.



B. Konsequenzen für Rechtsuchende267

Voraus kaum zu lösende Aufgabe für die Beschwerdeführenden.1265 Als Orientierungspunkt kann die Frage dienen, ob es auf die Auslegung der streitentscheidenden Normen ankommt und diese in Rechtsprechung und Literatur noch ungeklärt bzw. strittig ist.1266 Dies soll zumindest für den Fall abzulehnen sein, dass der Gesetzgeber die streitige Regelung bereits mittels Legaldefinition konkretisiert hat.1267 Auch dürften sich allein verfassungsrechtliche Fragen stellen, wenn etwa nur die Gesetzgebungskompetenz1268 oder die Begrenzung und Bestimmtheit der Regelungen fraglich ist1269 sowie wenn abstrakte Verfassungsrechtsfragen zu klären sind.1270 Pauschalierte Aussagen verbieten sich hier jedoch: Erst kürzlich verwies die zweite Kammer des Ersten Senats Beschwerdeführende auch hinsichtlich der Frage der Gesetzgebungskompetenz auf vorrangig in Anspruch zu nehmenden fachgerichtlichen Rechtsschutz.1271 Abschließend sei abermals darauf hingewiesen, dass das Bundesverfassungsgericht diesen Fall der Unzumutbarkeit auf Rechtssatzverfassungsbeschwerden betreffend Parlamentsgesetze begrenzen will. Soweit eine untergesetzliche Rechtsnorm angegriffen wird, stehe auch den Fachgerichten die Kompetenz zur Normverwerfung zu. Auch wenn sich allein verfassungsrechtliche Fragen stellen würden, sollen diese daher ohne Anrufung des Bundesverfassungsgerichts Rechtsschutz hinsichtlich der Norm gewähren.1272 Das Recht der Verfassungsbeschwerde, 5. Aufl. 2017, 1. Kapitel Rn. 70. etwa BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 25. Juni 2015, Az. 1 BvR 555/15, juris Rn. 12; Nichtannahmebeschluss vom 12. November 2020, Az. 1 BvR 2424/20, juris Rn. 14; Beschluss vom 8. Juni 2021, Az. 1 BvR 2771/18, juris Rn. 73. 1267  BVerfG, Beschluss vom 10. November 2020, Az.  1 BvR 3214/15, BVerfGE 156, 11, juris Rn. 61. 1268  BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2015, Az. 1 BvR 931/12, BVerfGE 138, 261, juris Rn. 24; ähnlich auch bereits BVerfG, Beschluss vom 12. Dezember 1984, Az. 1 BvR 1249/83, BVerfGE 68, 319, juris Rn. 21; dazu Sodan, Staat und Verfassungsgerichtsbarkeit, 2010, S. 64 f. 1269  BVerfG, Urteil vom 19. Mai 2020, Az. 1 BvR 2835/17, BVerfGE 154, 152, juris Rn. 79; Beschluss vom 27. Mai 2020, Az. 1 BvR 1873/13, BVerfGE 155, 119, juris Rn.  77 f. 1270  Dies nahm der Erste Senat im Rahmen der Entscheidung über die „Bundesnotbremse“ für die Frage an, ob ein Grundrechtseingriffe unmittelbar anordnendes, self-executing Gesetz in mit Verfassungsrecht unvereinbarer Weise den Rechtsschutz der Betroffenen verkürzt oder gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) verstößt, BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021, Az. 1 BvR 781/21, juris Rn. 103. 1271  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 28. Juni 2021, Az. 1 BvR 1727/17, ­juris Rn.  24. 1272  Siehe abermals BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 31. März 2020, Az. 1 BvR 712/20, juris Rn. 16; Nichtannahmebeschluss vom 18. April 2020, Az. 1 BvR 829/20, juris Rn. 11; Nichtannahmebeschluss vom 3. Juni 2020, Az. 1 BvR 990/20, 1265  Zuck, 1266  So

268 4. Teil: Konsequenzen für Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende

III. Rechtsschutzdefizit? Abschließend wird zu der Frage Stellung genommen, ob unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen noch von einem adäquaten Schutz­ niveau hinsichtlich formeller Rechtssätze ausgegangen werden kann. Auch wenn die Rechtsprechung weiter nicht gewillt ist, die parlamentarische Gesetzgebung zur öffentlichen Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG zu zählen, darf nicht aus den Augen verloren werden, dass der Gesetzgeber mit § 93 Abs. 3 BVerfGG eine unmittelbare Rechtsschutzmöglichkeit betreffend Gesetze vor dem Bundesverfassungsgericht voraussetzt. Zweifelsfrei beschränkt die dargestellte Rechtsprechungslinie den Weg zur Rechtssatzverfassungsbeschwerde weiter. Insoweit wird die dargestellte Subsidiaritätsrechtsprechung in der Literatur nicht nur vereinzelt als stark nachteilhaft für die Rechtsuchenden gesehen.1273 Im Folgenden wird dargelegt, weshalb die Kritik im gegenständlichen Zusammenhang nur bedingt berechtigt erscheint und wie verbleibende Bedenken gemildert werden könnten. 1. Gefahr der Rechtsschutzlücke? a) Rechtssatz- oder Urteilsverfassungsbeschwerde Festzuhalten ist, dass im Einklang mit § 93 Abs. 3 BVerfGG Beschwerdeführende auch weiterhin Rechtsschutz über die Verfassungsbeschwerde betreffend Parlamentsgesetze erlangen können. Soweit eine unmittelbare Rechtssatzverfassungsbeschwerde aus Subsidiaritätsgründen nicht in Betracht kommt, steht den Rechtsuchenden nach Durchlaufen des Instanzenzugs der Weg über die Urteilsverfassungsbeschwerde offen, falls die Fachgerichte der grundrechtlichen Beschwer – etwa durch verfassungskonforme Auslegung – nicht abhelfen konnten bzw. sie die Sache nicht ohnehin bereits dem Bundesverfassungsgericht oder einem sonst zuständigen Landesverfassungsgericht vorgelegt haben. Vom erzielbaren Rechtsschutz ausgehend betrachtet, erwachsen den Beschwerdeführenden hieraus im Ergebnis keine Nachteile. In der Sache stellt die Wirksamkeit der (hier mittelbar) angegriffenen Rechtsjuris Rn. 11; Nichtannahmebeschluss vom 15. Juli 2020, Az. 1 BvR 1630/20, juris Rn. 11; zu dieser Rechtsprechung zuvor S. 168 ff. 1273  Schlaich/Korioth, BVerfG, 12.  Aufl. 2021, 4. Teil Rn.  255; Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, § 90 Rn. 412; Lechner/ Zuck, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, § 90 Rn. 175; Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 15. Aufl. 2022, Art. 94 Rn. 213, 216; Zuck, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, 5. Aufl. 2017, 1. Kapitel Rn. 72; Spranger, AöR 127 (2002), 27, 61, Fn. 215; Lenz/Würtenberger, NVwZ 2010, 168, 169 f.; Lübbe-Wolff, EuGRZ 2004, 669, 671, 673.



B. Konsequenzen für Rechtsuchende269

norm zwar nur eine Vorfrage für die Überprüfung der fachgerichtlichen Entscheidungen dar.1274 Anders als im fachgerichtlichen Verfahren unterscheidet sich die inzidente Normenkontrolle über eine Urteilsverfassungsbeschwerde hinsichtlich der Entscheidungswirkung jedoch nicht von der Wirkung der prinzipalen Normenkontrolle über eine Rechtssatzverfassungsbeschwerde. Zwar wird im Tenor der jeweiligen Entscheidung über eine konkrete Grundrechtsverletzung im Einzelfall entschieden, doch geht dem eine Erklärung zur Vereinbarkeit der dem Verfahren zugrundeliegenden Norm mit den Grundrechten voraus, bevor etwa ein angegriffenes Urteil aufgehoben wird.1275 Über § 95 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG wird auch hier über die Wirksamkeit von Gesetzen allgemeingültig entschieden. Insoweit wird diese Vorfrage zur Hauptfrage des Verfahrens.1276 Zu beachten ist allerdings, dass unter Umständen mit dem Urteilsverfassungsbeschwerdeverfahren ein Mehr an Zeit- und Begründungsaufwand einhergehen kann. Beschwerdeführende haben hier schließlich nicht allein zur (Un-)Wirksamkeit der angegriffenen Norm vorzutragen, sondern es obliegt ihnen ferner, sich mit den im Voraus ergangenen Entscheidungen der Fachgerichte und der Frage auseinanderzusetzen, weshalb sie der vermeintlichen Grundrechtsbeeinträchtigung nicht abgeholfen haben bzw. von der Wirksamkeit der angegriffenen Norm ausgegangen sind.1277 Nach überzeugender Ansicht steht es den Beschwerdeführenden nach Inanspruchnahme des vorrangigen fachgerichtlichen Rechtsschutzes jedoch frei, statt der Urteilsverfassungs­ beschwerde nunmehr unmittelbar Rechtssatzverfassungsbeschwerde zu er­ heben, soweit Letztere noch nicht verfristet ist – dazu sogleich. Ein Rang­ verhältnis unter den Alternativen gibt weder das Grundgesetz noch das Bundesverfassungsgerichtsgesetz vor.1278 Mithin können Rechtsuchende im konkreten Einzelfall entscheiden, welche Alternative der Verfassungsbeschwerde ihnen zielführender erscheint. b) Jahresfrist und Verfahrensparallelität Zu berücksichtigen ist jedoch, dass vor dem Hintergrund der Jahresfrist der Rechtssatzverfassungsbeschwerde zwei Sachverhaltskonstellationen denk­ 1274  Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, § 90 Rn.  213 m. w. N. 1275  Kirchhof, NVwZ-Beilage 2013, 13, 15. 1276  Ebd. 1277  Vgl. Hömig, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, § 92 Rn. 43 f. und 47. 1278  Barczak, DVBl 2019, 1040, 1048; Grünewald, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 12. Ed. 2021, § 93 Rn. 83; a. A. Detterbeck, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 93 Rn. 98.

270 4. Teil: Konsequenzen für Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende

bar sind, in denen Rechtsuchende ohne einschränkende Auslegung der maßgeblichen Bestimmungen rechtsschutzlos gestellt werden könnten. Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz, kann die Verfassungsbeschwerde nur binnen eines Jahres seit dem Inkrafttreten des Gesetzes erhoben werden (§ 93 Abs. 3 BVerfGG). Bemühen die jeweilig Rechtsuchenden im Sinne der Subsidiaritätsrechtsprechung zunächst die Fachgerichte, wäre kaum ein Fall denkbar, in dem die Jahresfrist bei strenger Gesetzesanwendung nach Durchlaufen des Instanzenzugs nicht bereits verstrichen wäre. Dies ist nur dann unproblematisch, wenn die Rechtsuchenden dabei ein Sachurteil erstreiten können. Hiergegen steht ihnen die Verfassungsbeschwerde in Form einer Urteilsverfassungsbeschwerde offen, um mittelbar die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Gesetzes geltend zu machen. Hier haben die Beschwerdeführenden bei Erhebung der Verfassungsbeschwerde lediglich die Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG zu beachten. Ungleich problematischer stellt sich die Rechtslage dar, wenn sich die Fachgerichte bei Durchlaufen des Instanzenzugs nicht in der Sache mit der Wirksamkeit der angegriffenen Norm befasst haben, etwa wenn sie eine normbezogene Feststellungsklage letztlich als unstatthaft oder aus anderen Gründen als unzulässig ansehen. Die insoweit ergangenen Prozessurteile ermöglichen keine mittelbare Überprüfung des im fachgerichtlichen Verfahren angegriffenen Rechtssatzes durch das Bundesverfassungsgericht im Wege der Urteilsverfassungsbeschwerde. Etwaige materielle Ausführungen der Beschwerdeführenden gingen im Verfassungsprozess ins Leere.1279 In diesen Fallgestaltungen ist wiederum danach zu differenzieren, ob im Zeitpunkt des Beschreitens des fachgerichtlichen Rechtswegs die Jahresfrist für die Rechtssatzverfassungsbeschwerde noch gewahrt werden konnte (hierzu aa)) oder ob diese bereits verstrichen war (hierzu bb)). aa) 1. Konstellation: Prozessurteil und Jahresfrist nachträglich verstrichen Auch wenn eine Rechtssatzverfassungsbeschwerde im Einzelfall noch innerhalb der Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG gegen ein neues bzw. geändertes Gesetz hätte erhoben werden können, dürfte die Frist jedoch nach 1279  Anschaulich BVerfG, Beschluss vom 18. Dezember 2018, Az. 1 BvR 2795/09, BVerfGE 150, 309, juris Rn. 46 ff.; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 20. März 2001, Az. 1 BvR 491/96, BVerfGE 103, 172, juris Rn. 32; Beschluss vom 7. Dezember 2010, Az. 1 BvR 2628/07, BVerfGE 128, 90, juris Rn. 24; Beschluss vom 8. Juli 2021, Az. 1 BvR 2237/14, juris Rn. 93; dazu Detterbeck, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 93 Rn. 98 und Barczak, in: Modrzejewski/Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. V, 2019, S. 17, 45 f.; ders., DVBl 2019, 1040, 1047 f.



B. Konsequenzen für Rechtsuchende271

Durchlaufen des fachgerichtlichen Rechtswegs in aller Regel verstrichen sein, sodass auch nicht länger Rechtssatzverfassungsbeschwerde erhoben werden könnte.1280 Um diesen Konflikt aufzulösen, kommen grundsätzlich zwei Lösungsansätze in Betracht. Einerseits kann zur Fristwahrung unter bestimmten Voraussetzungen eine parallele Antragstellung im verwaltungs- und zeitgleich im verfassungsgerichtlichen Verfahren erwogen werden. Zum anderen könnte die Jahresfrist im Sinne des § 93 Abs. 3 BVerfGG rechtsschutzfreundlich auszulegen sein. (1) Parallele Antragstellung Grundsätzlich besteht aufgrund von § 90 Abs. 2 BVerfGG und Art. 94 Abs. 2 Satz 2 GG kein Wahlrecht der Rechtsuchenden, ob sie zunächst den fachgerichtlichen Rechtsweg beschreiten oder direkt Verfassungsbeschwerde erheben.1281 Die Verfassungsbeschwerde ist vielmehr als außerordentlicher Rechtsbehelf nur nachrangig zu beanspruchen, falls der Grundrechtsbeeinträchtigung nicht auf anderem Weg abgeholfen werden konnte.1282 Ausnahmsweise gestattet das Bundesverfassungsgericht, dass die Verfassungsbeschwerde parallel zum fachgerichtlichen Verfahren erhoben wird, wenn die Zulässigkeit eines fachgerichtlichen Rechtsbehelfs zweifelhaft ist.1283 Erheben die Rechtsuchenden die Verfassungsbeschwerde fristgemäß parallel zum fachgerichtlichen Rechtsbehelf, entgehen sie der Gefahr, dass die Frist für die Verfassungsbeschwerde nach Durchlaufen des fachgerichtlichen Verfahrens bereits verstrichen ist. Damit die Verfassungsbeschwerde nicht aufgrund fehlender Erschöpfung des Rechtswegs bzw. aufgrund des Subsidiaritätsgrundsatzes durch das Bundesverfassungsgericht verworfen wird, können die Rechtsuchenden das Gericht bei Erhebung der Verfassungsbeschwerde ersuchen, diese nicht ins Verfahrensregister einzutragen, sondern zunächst nur im

1280  BVerfG, Beschluss vom 18.  Dezember 2018, Az.  1 BvR 2795/09, BVerfGE 150, 309, juris Rn. 46 ff.; dazu Detterbeck, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 93 Rn. 98 und Barczak, in: Modrzejewski/Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. V, 2019, S. 17, 45 f.; ders., DVBl 2019, 1040, 1047 f. 1281  Niesler, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 12. Ed. 2021, § 90 Abs. 2 Rn. 207. 1282  Vgl. BVerfG, Urteil vom 27. Januar 1965, Az. 1 BvR 213/58, BVerfGE 18, 315, juris Rn. 23; Beschluss vom 30. April 2003, Az. 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, 395, juris Rn. 4. 1283  BVerfG, Entscheidung vom 19. November 2020, Az. 1 BvR 856/20, juris Rn. 12.

272 4. Teil: Konsequenzen für Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende

Allgemeinen Register zu führen bzw. zu „parken“.1284 Wird der Beschwer der Rechtsuchenden im fachgerichtlichen Verfahren abgeholfen bzw. legt eines der angerufenen Gerichte die Entscheidung nach Art. 100 Abs. 1 GG vor, dürften die Beschwerdeführenden kein Interesse haben, das Verfassungsbeschwerdeverfahren fortzuführen. Ergehen im fachgerichtlichen Rechtsschutzverfahren Entscheidungen in der Sache, ohne dass der Beschwer abgeholfen oder die Sache nach Art. 100 Abs. 1 GG vorgelegt wird, steht es den Betroffenen wiederum frei, diese Entscheidungen mittels der Urteilsverfassungsbeschwerde anzugreifen. Erachten die angerufenen Fachgerichte die erhobene Feststellungsklage jedoch bereits als unstatthaft bzw. sonst unzulässig, sodass keine Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Begehren der Rechtsuchenden erfolgt, können sie ihre bereits erhobene Rechtssatzverfassungsbeschwerde fortführen, indem sie durch Schriftsatz beantragen, die Beschwerde in das BvR-Register zu übertragen. § 64 Abs. 2 GO-BVerfGG soll insoweit entsprechend heranzuziehen sein.1285 (2) Rechtsschutzfreundliche Auslegung der Jahresfrist Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts schlägt zur Auflösung des Fristproblems eine für die Rechtsuchenden weniger aufwendige Lösung vor: Tritt der Fall ein, dass die Fachgerichte die im Instanzenzug in Rücksicht auf die Subsidiaritätsrechtsprechung erhobenen normbezogenen Feststellungsklagen letztlich als unstatthaft oder aus anderen Gründen als unzulässig beurteilen, ist nach Auffassung des Gerichts eine rechtsschutzfreundliche Auslegung der Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG indiziert. So soll das Fristerfordernis derselben Person nicht entgegengehalten werden können, wenn sie nunmehr Rechtssatzverfassungsbeschwerde unmittelbar gegen das jeweilige Gesetz erhebt. Voraussetzung sei jedoch, dass die jeweilig beschwerdeführende Person den fachgerichtlichen Rechtsschutz betreffend das angegriffene Gesetz innerhalb eines Jahres nach dessen Inkrafttreten anhängig gemacht hat. In diesem Fall will der Senat eine anschließend erhobene Rechtssatzverfassungsbeschwerde unter die Monatsfrist entsprechend § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG stellen. Etwas anderes soll nur dann gelten, wenn offensichtlich 1284  Zu der hier vorliegenden Konstellation Barczak, in: Modrzejewski/Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. V, 2019, S. 17, 45 f.; ders., DVBl 2019, 1040, 1047 f.; vgl. weiter BVerfG, Entscheidung vom 19. November 2020, Az. 1 BvR 856/20, juris Rn. 12; Niesler, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 12. Ed. 2021, § 90 Abs. 2 Rn. 207; Peters, in: Barczak, BVerfGG, 2018, § 93 Rn. 22; Lübbe-Wolff, EuGRZ 2004, 669, 673; vgl. zu den ähnlich gelagerten Fällen der „Neunzigzwei-Dreiundneunzigeins-Falle“ Lübbe-Wolff, AnwBl 2005, 509, 513 f. und Hartmann, JuS 2007, 657. 1285  Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 90 Rn. 419.



B. Konsequenzen für Rechtsuchende273

war, also die Beschwerdeführenden hätten erkennen müssen, dass das fachgerichtliche Verfahren keine Aussicht auf Erfolg hatte.1286 Barczak weist in diesem Zusammenhang auf die Parallele zur Fristenpro­ blematik im Rahmen der Kommunalverfassungsbeschwerde im Sinne des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG und §§ 13 Nr. 8a, 91 ff. BVerfGG hin. Hier steht die Kommune vor einem vergleichbaren Fristenproblem, wenn es ihr aufgrund der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde obliegt, zunächst den Rechtsweg über § 47 VwGO zu beschreiten – oder auch eine normbezogene Feststellungsklage zu erheben –, dann jedoch in aller Regel nach Durchlaufen des Instanzenzuges die Jahresfrist für die – hier allein in Betracht kommende (vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG, § 91 Satz 1 BVerfGG) – Rechtssatzverfassungsbeschwerde bereits verstrichen ist. Das Bundesverfassungsgericht schiebt in diesen Fällen die Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG insoweit hinaus, als der Kommune mit Abschluss des fachgerichtlichen Verfahrens ermöglicht wird, innerhalb eines Jahres nunmehr die Rechtssatzverfassungsbeschwerde zu erheben. Voraussetzung sei, dass die Kommune den jeweiligen fachgerichtlichen Rechtsbehelf wiederum bereits innerhalb eines Jahres anhängig gemacht hat, was im Rahmen des § 47 VwGO ohnehin (mittlerweile) Zulässigkeitsvoraussetzung ist.1287 Barczak kritisiert, dass der Erste Senat hier von den zur Kommunalverfassungsbeschwerde entwickelten Grundsätzen abweichen will, wenn er die nachträglich erhobene Rechtssatzverfassungsbeschwerde nicht unter die ­Jahresfrist, sondern unter die Monatsfrist entsprechend § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG stellen will. Dies überzeuge angesichts des Beschwerdegegenstands der schließlich zu erhebenden Verfassungsbeschwerde nicht.1288 Dieser Kritik ist beizupflichten. Nicht nur das formale Argument überzeugt, dass Be1286  So BVerfG, Beschluss vom 18. Dezember 2018, Az.  1 BvR 2795/09, BVerfGE 150, 309, juris Rn. 48; Kopp/Schenke scheinen hier dem Zeitpunkt der Erhebung der Feststellungsklage keine Bedeutung beimessen zu wollen, dies., VwGO, 27. Aufl. 2021, § 43 Rn. 8k, Fn. 36. 1287  Barczak, in: Modrzejewski/Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. V, 2019, S. 17, 45 f.; ders., DVBl 2019, 1040, 1047 f. unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 1987, Az. 2 BvR 826/83, BVerfGE 76, 107, juris Rn. 25 f. und BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 12. November 2009, Az. 2 BvR 2034/04, juris Rn. 33. 1288  Barczak, DVBl 2019, 1040, 1048; ders., in: ders., BVerfGG, 2018, § 91 Rn. 73; ähnlich auch Grünewald, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 12. Ed. 2021, § 93 Rn. 83, Detterbeck, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 93 Rn. 98, Hömig, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, § 93 Rn. 82 und Lenz/ Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 93 Rn. 95; a. A. Hillgruber/Goos, Verfassungsprozessrecht, 5. Aufl. 2020, Rn. 319; Gröpl, NVwZ 1999, 967, 968 und scheinbar auch Sachs, JuS 2019, 730, 731, der den Verweis des Ersten Senats auf § 93 Abs. 1 BVerfGG unkritisch übernimmt.

274 4. Teil: Konsequenzen für Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende

schwerdegegenstand weiterhin eine Rechtsnorm bleibt. Zu beachten ist auch, dass in der vom Ersten Senat herausgegriffenen Prozesskonstellation die Rechtsuchenden ihr eigentliches Begehren durch Angriff der fachgericht­ lichen Entscheidungen überhaupt nicht erreichen könnten, da die Gerichte gerade nicht zur Sache, also der Unwirksamkeit der angegriffenen Norm, Stellung bezogen haben. Die Beschwerdeführenden sind insoweit nicht primär durch die fachgerichtlichen Entscheidungen beschwert.1289 Sie sehen sich weiterhin unmittelbar durch den angegriffenen Rechtssatz in ihren Rechten verletzt. Die Fachgerichte haben dieser Beschwer (lediglich) nicht abgeholfen bzw. haben sich in der vorliegenden Konstellation nicht einmal mit dieser auseinandergesetzt. (3) Bewertung Fraglich bleibt, welche der beiden Lösungsansätze vorzugswürdig ist. Auf den ersten Blick erscheint die parallele Antragstellung für Rechtsuchende nur mit Nachteilen verbunden zu sein. Auch wenn über ihre Verfassungsbeschwerde aus Subsidiaritätsgesichtspunkten überhaupt noch nicht entschieden werden könnte, obläge es ihnen bereits zu einem frühen Verfahrenszeitpunkt eine umfassend begründete Verfassungsbeschwerde zu erheben. Die Beschwerdefrist in Verbindung mit dem Begründungserfordernis des § 92 BVerfGG lässt es nicht zu, die Verfassungsbeschwerde zunächst unbegründet zu erheben und erst nachträglich die relevanten Unterlagen einzureichen.1290 Auch spielen hier Verfahrenskosten eine Rolle. Solange die Verfassungs­ beschwerde nicht missbräuchlich eingelegt wurde, löst diese zwar keine Gerichtskosten aus (§ 34 Abs. 1 und 2 BVerfGG), doch fallen bei Inanspruchnahme eines Rechtsbeistands zumindest für diesen bereits Kosten an (§ 37 Abs. 2 RVG).1291 Mit der Fristenlösung des Bundesverfassungsgerichts ist kein vergleichbarer, unter Umständen vergeblicher, Mehraufwand verbunden. Die Verfassungsbeschwerde ist hier nur dann zu erheben und zu begründen, wenn die Rechtsuchenden Gewissheit haben, ob dies aufgrund Scheiterns im fachgerichtlichen Verfahren tatsächlich erforderlich ist.

1289  Vgl.

so aber Göpel, NVwZ 1999, 967, 968. in: Modrzejewski/Naumann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. V, 2019, S. 17, 45; Grünewald, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 12. Ed. 2021, § 93 Rn. 22 mit Formulierungsvorschlag in Rn. 23.2; siehe auch Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 93 Rn. 10 f.; Scheffczyk, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 12. Ed. 2021, § 92 Rn. 92 ff. 1291  Weiterführend zur Gebührenrechnung Zuck/Eisele, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, 6. Aufl. 2022, 5. Kapitel Rn. 1068 ff. 1290  Barczak,



B. Konsequenzen für Rechtsuchende275

Dennoch kann allein mit der parallelen Antragstellung erreicht werden, dass sich das Bundesverfassungsgericht mit der Sache befassen wird. Das Bundesverfassungsgericht schränkt seine Fristenlösung dahingehend ein, dass die im fachgerichtlichen Verfahren erhobenen Rechtsbehelfe nicht offensichtlich unzulässig gewesen sein dürfen.1292 Wie dargelegt, ist die normbezogene Feststellungsklage in geeigneten Sachverhaltskonstellationen zwar an sich nicht generell „offensichtlich unzulässig“. Im Einzelfall könnten Rechtsuchende aufgrund der strengen Subsidiaritätsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedoch versucht sein, auch in Konstellationen Rechtsschutz über die Feststellungsklage zu suchen, die keinen Raum für eine solche bieten, etwa da bereits kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis ersichtlich ist.1293 Wird hier dennoch eine normbezogene Feststellungsklage erhoben, ist nicht auszuschließen, dass das Bundesverfassungsgericht nach erfolglosem Beschreiten des Instanzenzugs den erhobenen Rechtsbehelf als offenkundig unzulässig ansehen und mithin eine rechtsschutzfreundliche Auslegung des § 93 Abs. 3 BVerfGG nicht für erforderlich halten könnte. Insofern ist von den Rechtsuchenden in diesen Konstellationen eine Einschätzung betreffend die Zulässigkeit der jeweils in Betracht kommenden fachgerichtlichen Rechtsbehelfe vorzunehmen. Verbleiben Unsicherheiten, bietet sich der Weg über die parallele Antragstellung an. bb) 2. Konstellation: Prozessurteil und Jahresfrist von vorneherein verstrichen Die zweite Sachverhaltskonstellation soll exemplarisch anhand des finanzgerichtlichen Rechtsstreits um die Tax Law Clinic an der Leibniz Universität Hannover veranschaulicht werden.1294 Der Verein zur Förderung der Steuerrechtswissenschaft an der Leibniz Universität Hannover beabsichtigte zum Wintersemester 2018/2019 eine studentische Steuerberatung einzuführen, vergleichbar zu den an Universitäten bereits verbreiteten Law Clinics. Der Verein zeigte seine Absicht beim zuständigen Finanzamt an. Gleichzeitig bat 1292  BVerfG, Beschluss vom 18. Dezember 2018, Az. 1 BvR 2795/09, BVerfGE 150, 309, juris Rn. 48. 1293  Diese Gefahr ebenfalls erkennend Zuck, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, 5. Aufl. 2017, 1. Kapitel Rn. 67, Fn. 209 und 2. Kapitel Rn. 839; vgl. bspw. abermals BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021, Az. 1 BvR 2656/18, BVerfGE 157, 30, juris Rn. 140: In seiner Entscheidung zum Bundes-Klimaschutzgesetz erwog der Erste Senat zwar eine vorrangige Feststellungsklage, doch sah er keinen Raum für ihre Anwendung, zu dieser Entscheidung bereits zuvor S. 154 f. 1294  FG NDS, Urteil vom 25. Juli 2019, Az. 6 K 298/18, bestätigt durch BFH, Beschluss vom 30. September 2020, Az. VII B 96/19; dazu Kilian, DStR 2020, 406, Hennigfeld, EFG 2020, 222 und Deckenbrock, AnwBl online 2019, 770.

276 4. Teil: Konsequenzen für Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende

er um Bestätigung, dass dieses das Vorhaben nicht nach § 7 StBerG unter­ sagen würde. Diese Bitte stellte der Verein vor dem Hintergrund des Verbots geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Steuersachen durch unbefugte Dritte (§ 2 StBerG). Unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit der früheren Parallelregelung im Rechtsberatungsgesetz aus dem Jahr 2004 hielt der Verein die entsprechende Regelung im Steuerberatungsgesetz für verfassungswidrig.1295 Das Finanzamt teilte diese Rechtsansicht jedoch nicht und wies auf die gesetzlichen Ahndungsmöglichkeiten bei Zuwiderhandlungen hin. Daraufhin erhob der Verein Feststellungsklage (§ 41 FGO) zum zuständigen Finanzgericht Niedersachsen mit dem Antrag festzustellen, dass er im Rahmen einer Tax Law Clinic unentgeltlich Hilfe in Steuersachen durch Studierende unter Anleitung von Rechtsanwälten leisten darf.1296 Das Gericht hielt die Klage jedoch bereits für unzulässig. Es bestehe weder ein ausreichend konkretes Rechtsverhältnis noch habe der Verein ein berechtigtes Interesse an der Feststellung. Da die zuständige Finanzverwaltung insbesondere noch nicht mit einer Ahndung von Zuwiderhandlungen als Ordnungswidrigkeit gedroht hatte, sei es zumutbar, repressive Maßnahmen abzuwarten, die ihrerseits gerichtlich angegriffen werden könnten.1297 Der Bundesfinanzhof bestätigte diese Entscheidung.1298 Dem Verein gelang es folglich nicht, die Finanzgerichte zu einer Prüfung der inzident angegriffenen Regelung zu bewegen. Weder das Finanzgericht Niedersachsen noch der Bundesfinanzhof nahm Stellung zur Wirksamkeit des § 2 StBerG. Trotz Durchlaufen des Instanzenzugs verblieb für die nunmehr eröffnete Möglichkeit der Urteilsverfassungsbeschwerde kein Raum, um inzident die verfassungswidrige Anwendung des Gesetzes durch die Gerichte überprüfen zu lassen, da die Gerichte sich in der Sache nicht mit dieser Frage befasst hatten. Die Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG für eine Rechtssatzverfassungsbeschwerde war hier wiederum bereits seit Jahren verstrichen. Auch in dieser Konstellation kommen grundsätzlich zwei Lösungsansätze in Betracht: das Hinausschieben der Jahresfrist (hierzu (1)) oder die Geltendmachung von Prozessgrundrechtsverletzungen im Urteilsverfassungsbeschwerdeverfahren (hierzu (2)).

1295  Vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 29. Juli 2004, Az. 1 BvR 737/00. 1296  FG NDS, Urteil vom 25. Juli 2019, Az. 6 K 298/18. 1297  Ebd., juris Rn. 28 ff., 38 ff. 1298  BFH, Beschluss vom 30. September 2020, Az. VII B 96/19.



B. Konsequenzen für Rechtsuchende277

(1) Hinausschieben der Jahresfrist Eine rechtsschutzfreundliche Auslegung des § 93 Abs. 3 BVerfGG dahingehend, dass die Jahresfrist – oder zumindest eine Monatsfrist – für eine Rechtssatzverfassungsbeschwerde nach Durchlaufen des Instanzenzugs (neu) zu laufen beginnt, kommt hier nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht. Anders als in der ersten Konstellation ist die Frist für eine Rechtssatzverfassungsbeschwerde im Zeitpunkt der erstmaligen Klageerhebung vor den Fachgerichten bereits verstrichen. Etwas anderes könnte nur dann gelten, soweit man den Beginn der Jahresfrist entgegen dem Wortlaut des § 93 Abs. 3 BVerfGG auf den Zeitpunkt der erstmaligen Beschwer durch das anzugreifende Gesetz verlagern will. Soweit eine entsprechende Auslegung möglich wäre, könnten die zur ersten Konstellation ausgeführten Grundsätze entsprechend herangezogen werden, sodass den Rechtsuchenden offen stünde, parallel fach- und verfassungsgerichtliche Anträge zu stellen bzw. sich auf die Fristenlösung des Bundesverfassungsgerichts zu berufen. In diesem Sinne plädieren Teile der Literatur dafür, den Fristbeginn auf den Zeitpunkt der erstmaligen Beschwer hinauszuschieben.1299 Zu Recht lehnt jedoch das Bundesverfassungsgericht eine entsprechende Verlagerung des Fristbeginns nach § 93 Abs. 3 BVerfGG grundsätzlich ab. Sinn und Zweck der Frist, Rechtssicherheit zu schaffen, ginge anderenfalls verloren.1300 Dies gelte zumindest solange, wie den Beschwerdeführenden nach Erschöpfung des Rechtswegs noch die Möglichkeit der mittelbaren Normenkontrolle mittels Urteilsverfassungsbeschwerde eröffnet ist.1301 Mit dieser Einschränkung nähert sich das Gericht der wohl herrschenden Meinung in der Literatur an, die ebenfalls als maßgeblich ansieht, ob die Belastung unmittelbar dem Gesetz entspringt und kein umsetzender Vollzugsakt ergeht, dessen Angriff seinerseits eine inzidente Normenkon-

1299  Lechner/Zuck, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, § 93 Rn. 72; Hömig, in: SchmidtBleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, § 93 Rn. 80; Hartmann, in: Pieroth/ Silberkuhl, Die Verfassungsbeschwerde, 2008, § 93 BVerfGG Rn. 85 ff.; Schenke, in: FS Steiner, 2009, S. 682, 729 ff. 1300  BVerfG, Beschluss vom 6. März 1968, Az. 1 BvR 975/58, BVerfGE 23, 153, juris Rn. 41; Beschluss vom 13. Januar 1971, Az. 1 BvR 671/65, BVerfGE 30, 112, juris Rn. 38; Nichtannahmebeschluss vom 12. November 2009, Az. 2 BvR 2034/04, juris Rn. 32. 1301  BVerfG, Kammerbeschluss vom 21. November 1996, Az. 1 BvR 1862/96, juris Rn. 11; Kammerbeschluss vom 4. Dezember 1998, Az. 2 BvR 2126/96, juris Rn. 17; so aus der Literatur auch Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 93 Rn. 108.

278 4. Teil: Konsequenzen für Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende

trolle im Rahmen einer Urteilsverfassungsbeschwerde ermöglichen würde.1302 Überzeugend ist, den Beginn der Jahresfrist dann hinauszuschieben, wenn den Beschwerdeführenden in der konkreten Situation keine Möglichkeit zur Verfügung steht, die jeweilige Norm im fachgerichtlichen Verfahren und gegebenenfalls anschließend mittelbar im Urteilsverfassungsbeschwerdeverfahren anzugreifen. Entgegen Teilen der Literatur und der Rechtsprechung1303 kann für diese Bewertung jedoch nicht maßgeblich sein, ob die Norm einen Normvollzugsakt zulässt, der seinerseits im fachgerichtlichen Verfahren angegriffen werden könnte. Wie im Rahmen der vorliegenden Untersuchung dargestellt, besteht für self-executing Gesetze regelmäßig die Möglichkeit, negative Feststellungsklage zu erheben, um eine inzidente Normenkontrolle zu initiieren. Eines Vollzugsaktes bedarf es dazu nicht. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in der Vergangenheit darauf abgestellt, ob die unmittelbar geltende Rechtsnorm fachgerichtlich mittels einer (hier zivilprozessualen) Feststellungsklage einer inzidenten Normenkontrolle durch die Fachgerichte hätte unterzogen werden können, sodass ein Hinausschieben der Jahresfrist mangels Rechtsschutzlücke nicht gerechtfertigt wäre.1304 Damit kommt ein Hinausschieben der Jahresfrist bei nachträglicher Beschwer nur in wenigen Ausnahmefällen in Betracht. Voraussetzung ist, dass der in Rede stehende Rechtssatz die Rechtsuchenden erstmalig unmittelbar betrifft und – unabhängig vom Normvollzug – fachgerichtlich keine Möglichkeit der (inzidenten) Normenkontrolle besteht, die nach Durchlaufen des Instanzenzugs zu einer Normenkontrolle im Rahmen einer Urteilsverfassungsbeschwerde führen könnte. Für den dargestellten Fall der Tax Law Clinic der Leibniz Universität Hannover kann insoweit folgende Schlussfolgerung gezogen werden: Grundsätzlich bestand hier kein Bedarf, den Beginn der Jahresfrist ausnahmsweise auf den Zeitpunkt der erstmaligen Beschwer (Absicht, die Tax Law Clinic zu gründen) hinauszuschieben. Wie auch die Ausführungen des Finanzgerichts gezeigt haben, erschien eine normbezogene Feststellungsklage betreffend die angegriffene self-executing Norm nicht offensichtlich unzulässig, sodass 1302  Lechner/Zuck, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, § 93 Rn. 73, Fn. 103; Hömig, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, § 93 Rn. 80. 1303  Hömig, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, § 93 Rn. 80; Hartmann, in: Pieroth/Silberkuhl, Die Verfassungsbeschwerde, 2008, § 93 BVerfGG Rn. 86; VerfGH NRW, Beschluss vom 27. August 2019, Az. 30/19.VB-1, juris Rn. 4; anders Lechner/Zuck, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, § 93 Rn. 73, Fn. 103, Lenz/Hansel, BVerfGG, 3.  Aufl. 2020, § 93 Rn. 108 und Peters, in: Barczak, BVerfGG, 2018, § 93 Rn. 139. 1304  Siehe abermals BVerfG, Kammerbeschluss vom 21. November 1996, Az. 1 BvR 1862/96, juris Rn. 11.



B. Konsequenzen für Rechtsuchende279

grundsätzlich Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung gestanden haben, um gegebenenfalls eine mittelbare Normenkontrolle im Wege der Urteils­ verfassungsbeschwerde erzielen zu können.1305 Da sich jedoch sowohl das Finanzgericht Niedersachsen wie auch der Bundesfinanzhof nicht in der Sache mit dem Vortrag des klagenden Vereins auseinandergesetzt haben, eröffnete sich für den rechtsuchenden Verein hier gerade keine entsprechende Möglichkeit, nachgeschaltet das Bundesverfassungsgericht anzurufen. Um Rechtsschutzlücken zu vermeiden, könnte in entsprechenden Sachverhaltskonstellationen ausnahmeweise angezeigt sein, den Rechtsuchenden die Möglichkeit der Rechtssatzverfassungsbeschwerde nachträglich zu ermöglichen, auch wenn der dargestellte Ausnahmetatbestand nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gerade nicht erfüllt ist.1306 Dem beschwerdeführenden Verein kann nicht angelastet werden, die Subsidiaritätsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beachtet zu haben. Dagegen ließe sich allenfalls vorbringen, der Verein habe trotz bereits bestehender unmittelbarer Betroffenheit etwaig mögliche Vollzugsakte der zuständigen Behörde durch Aufnahme der streitigen Tätigkeit provozieren müssen, welche wiederum über den Angriff im fachgerichtlichen Verfahren den Weg zu einer inzidenten Normenkontrolle im Rahmen einer Urteilsverfassungsbeschwerde eröffnen könnten. Dies überzeugt jedoch nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat es in der Vergangenheit bereits mehrfach nicht für erforderlich gehalten, dass von self-executing Normen unmittelbar betroffene Beschwerdeführende einen weiteren möglichen Normvollzug provozieren müssten. Vielmehr verweist das Gericht in ähnlich gelagerten Fällen lediglich auf die vorrangige Möglichkeit der Inzidentkontrolle im Rahmen einer vorbeugenden Feststellungs- oder Unterlassungsklage.1307 Insoweit wäre nicht nachvollziehbar, wenn das Bundesverfassungsgericht hier andere Maßstäbe anlegen würde. (2) Prozessgrundrechtsverletzung Soweit ein Hinausschieben der Jahresfrist nach diesen Grundsätzen nicht in Betracht kommen sollte, bliebe den Rechtsuchenden in der zweiten Fall1305  Vgl. abermals FG NDS, Urteil vom 25. Juli 2019, Az. 6 K 298/18, juris Rn.  21 ff. 1306  Vgl. ähnlich auch Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 93 Rn. 108 und Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 17. Aufl. 2021, Rn. 1168. 1307  Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.  Januar  2015, Az.  1 BvR 931/12, BVerfGE 138, 261, juris Rn. 24 oder BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 19. November 2018, Az. 1 BvR 1335/18 zum Geldwäschegesetz: Hier wäre in Aufsicht der Einhaltung des Gesetzes auch ein Angriff von (provozierten) Aufsichtsmaßnahmen nach § 51 Abs. 2 GWG in Betracht gekommen.

280 4. Teil: Konsequenzen für Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende

konstellation lediglich die Möglichkeit, Fehlentscheidungen der Fachgerichte unter Berufung auf die Verletzung ihrer Prozessgrundrechte geltend zu machen. In Betracht kommt – gegebenenfalls nach erfolgloser Anhörungsrüge (vgl. § 152a VwGO)1308 – ein Vortrag für eine pflichtwidrig unterlassene Prüfung des angegriffenen Gesetzes sowie einhergehend ein Verstoß gegen die Vorlagepflicht des Art. 100 Abs. 1 GG. Die ungenügende Auseinandersetzung mit dem verfassungsrechtlichen Vortrag der Recht­ suchenden könnte im Einzelfall eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) darstellen.1309 Eine pflichtwidrig unterlassene Richtervorlage kann wiederum einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG bedeuten.1310 Im Einzelfall ist entscheidend, ob das Gericht noch „sachlich vertretbar“ gehandelt hat. Solange das angerufene Fachgericht eine Entscheidung in der Sache nicht aus Willkür verhindert, dürfte ein entsprechender Verstoß in den hier wesentlichen Sachverhaltskonstellationen kaum in Betracht kommen.1311 Der Vortrag für eine Verletzung von Prozessgrundrechten durch die Fachgerichte dürfte auch im Ergebnis wenig zielführend sein. Das Bundesver­ fassungsgericht würde im Rahmen einer entsprechenden Urteilsverfassungsbeschwerde die betroffenen Entscheidungen lediglich aufheben und die ­Sache an das zuständige Gericht zurückverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Ein – über den Wortlaut des § 95 Abs. 2 BVerfGG hinausgehendes – „Durchentscheiden“ des Bundesverfassungsgerichts in der Sache wird hier nicht in Betracht kommen, da ein Entscheidungsspielraum der Fachgerichte verbleibt.1312 Mithin kann mit diesem zweiten Lösungsansatz allenfalls eine neue fachgerichtliche Entscheidung erzielt werden, die ihrerseits letztlich 1308  Siehe

dazu bereits zuvor S. 60 ff. Lechner/Zuck, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, Einl. Rn. 162. 1310  BVerfG, Urteil vom 6. März 2007, Az. 2 BvR 556/04, BVerfGE 117, 330, juris Rn. 79; Beschluss vom 16. Dezember 2014, Az. 1 BvR 2142/11, BVerfGE 138, 64, juris Rn. 65 ff.; dazu m. w. N. Kunig/Saliger, in: v. Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 101 Rn. 40. 1311  Willkürliche Gerichtsentscheidungen können zugleich einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG sowie gegen den allgemeinen Justizgewährungsanspruch darstellen, vgl. dazu Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 4. Teil Rn. 299 f. m. w. N. und Jarass, in: ders./Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 20 Rn. 128 ff. Ein Verstoß des Gerichts gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG aufgrund einer „Rechtsschutzverweigerung“ kommt hier nach Auffassung des BVerfG mangels Schutzbereichseröffnung nicht in Betracht; insoweit missverständlich zum konkreten Sachverhalt Deckenbrock, AnwBl online 2019, 770, 777. 1312  Vgl. BVerfG, Urteil vom 5. Juni 1973, Az. 1 BvR 536/72, BVerfGE 35, 202, juris Rn. 91; Beschluss vom 16. Dezember 2014, Az. 1 BvR 2142/11, BVerfGE 138, 64, juris Rn. 101; dazu Müller, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2. Aufl. 2022, § 95 Rn. 74 ff. 1309  Vgl.



B. Konsequenzen für Rechtsuchende281

über eine Urteilsverfassungsbeschwerde den Weg für eine verfassungsgerichtliche inzidente Normenkontrolle eröffnen kann. Wie erwähnt, kann dieses Ergebnis alternativ auch darüber erzielt werden, dass die Rechtsuchenden die im Einzelfall von Gesetzes wegen untersagte bzw. gebotene Tätigkeit aufnehmen bzw. unterlassen und so einen behördlichen Vollzugsakt provozieren. Dieser könnte wiederum fachgerichtlich mit dem Argument der unwirksamen Rechtsgrundlage angegriffen werden und schließlich ebenfalls den Weg zum Bundesverfassungsgericht eröffnen. Für diese Alternative hat sich augenscheinlich auch der klagende Verein im dargestellten Fallbeispiel entschieden und beabsichtigt nunmehr den Betrieb der Tax Law Clinic aufzunehmen.1313 Von einer Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Bundesfinanzhofs habe man aufgrund geringer Erfolgsaussichten abgesehen.1314 Soweit nach öffentlichen Angaben ersichtlich, hat der Verein die hier angedachte Möglichkeit einer Rechtssatzverfassungsbeschwerde verbunden mit einem Hinausschieben der Jahresfrist nicht erwogen. 2. Fachgerichtlicher Umweg? a) Unzumutbare Anforderungen? Auch wenn durch die aufgezeigten Lösungsansätze Rechtsschutzlücken grundsätzlich vermieden werden können, bleibt die Frage, ob die dargestellte Subsidiaritätsrechtsprechung zu „unzumutbaren und unkalkulierbaren Anforderungen“ für die Rechtsuchenden führt.1315 Diesbezüglich verweisen Teile 1313  Um den Verein und seinen Vorstand zu schützen, wurde im Oktober 2021 ein neuer Verein mit dem alleinigen Zweck des Betriebs einer Tax Law Clinic gegründet. Nachdem dieser Verein die Eintragung in das Vereinsregister beantragt hatte, wurde dieser Antrag durch Zwischenverfügung des Amtsgerichts Hannover aufgrund des Verstoßes gegen §§ 3 und 5 StBerG abgelehnt. Mit der Begründung der Verfassungswidrigkeit der einschlägigen Vorschriften geht der Verein nunmehr mittels Beschwerde vor, vgl. die Pressemitteilung des Vereins zur Förderung der Steuerrechtswissenschaft an der Leibniz Universität Hannover e. V. vom 21.  November 2021, abrufbar unter https://vfs-hannover.de/2021/11/25/amtsgericht-verweigert-eintragung-in-das-vereins register-tax-law-clinic-hannover-reicht-beschwerde-ein/#more-2194, letzter Abruf am 22. Februar 2022; dazu auch Deckenbrock/Keß, AnwBl online 2021, 328, 334. 1314  Vgl. Pressemitteilung der Juristischen Fakultät der Leibniz Universität Hannover vom 17. Dezember 2020, abrufbar unter https://www.jura.uni-hannover.de/ nocache/de/news-veranstaltungen/neuigkeiten/aktuelles-detailansicht/news/vfs-han nover-plant-den-start-deutschlands-erster-tax-law-clinic-fuer-2021, letzter Abruf am 22. Februar 2022. 1315  So Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL 2021, § 90 Rn. 412.

282 4. Teil: Konsequenzen für Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende

der Literatur darauf, dass Rechtsuchende durch die Inanspruchnahme fachgerichtlichen Rechtsschutzes hier ihr eigentliches Rechtsschutzziel nicht erreichen können. Im für sie besten Fall kann lediglich ein unterinstanzlicher Aussetzungs- und Vorlagebeschluss im Sinne des Art. 100 Abs. 1 GG ergehen. Für unmittelbar belastend wirkende Gesetze müsse vielmehr auch unmittelbar der Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht offenstehen.1316 Diese Kritik verfängt nur insoweit, als der Anwendungsbereich des Art. 100 Abs. 1 GG eröffnet ist. Neben untergesetzlichen und vorkonstitutionellen Rechtsnormen können Rechtsuchende nämlich auch nachkonstitutionelle Parlamentsgesetze über eine fachgerichtliche inzidente Normenkon­ trolle einer für sie effektiven Prüfung unterziehen lassen, wenn sie für eine Unionsrechtswidrigkeit der in Rede stehenden Norm vortragen können. Hier kann das angerufene Fachgericht das Parlamentsgesetz im Einzelfall auch ohne Vorlage an ein Verfassungsgericht oder den Europäischen Gerichtshof unangewendet lassen, wenn es einen entsprechenden Verstoß feststellt und keine unionsgerichtliche Vorabentscheidung über Art. 267 AEUV indiziert ist.1317 Auch ansonsten erscheint der „Umweg“ über die Fachgerichte jedoch im Grunde gerechtfertigt zu sein. Wie mit den Ausführungen zur Rechtfertigung des Subsidiaritätsgrundsatzes bereits dargelegt, steht hinter der Subsidiaritätsrechtsprechung ultimativ der Gedanke der Entlastung des Bundesver­ fassungsgerichts; mithin die Funktionssicherung eines Verfassungsorgans. Es soll nicht als „Erstkontrolleur“ für sämtliche Rechtssätze zuständig sein. Die Verfassungsbeschwerde soll keine primäre Rechtsschutzmöglichkeit in Grundrechtsfragen eröffnen. Das Bundesverfassungsgericht verfügt hierzu bereits nicht über die nötige Ausstattung.1318 In der Literatur wird kritisiert, dass der Entlastungsgedanke in Rechtsschutzfragen betreffend Parlamentsgesetze nicht zum Tragen kommen könne. Aufgrund des Verwerfungsmonopols des Bundesverfassungsgerichts könne ausreichender Rechtsschutz durch die Fachgerichte nicht (immer) gewährt werden. Im Ergebnis habe ohnehin das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden.1319 Mit dieser pauschalen Aussage wird jedoch die Bedeutung verkannt, die ein vorausgehendes fachgericht­ liches Verfahren für das Verfassungsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht haben kann. Erst die fachgerichtliche Aufarbeitung der Tatsachen- und Rechtslage ermöglicht es dem Gericht, sich auf seine eigent1316  Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 4. Teil Rn. 255; Glaser, in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 43 Rn. 24; van den Hövel, NVwZ 1993, 549, 551 f. 1317  Dazu bereits zuvor S. 128 ff. 1318  Dazu bereits zuvor S. 73 ff. 1319  Schlaich/Korioth, BVerfG, 12. Aufl. 2021, 4. Teil Rn. 255; van den Hövel, NVwZ 1993, 549, 551 f.



B. Konsequenzen für Rechtsuchende283

liche Aufgabe, der Rechtsprechung ausschließlich in Verfassungsfragen, zu konzentrieren. Obläge es dem Bundesverfassungsgericht stets auch eigene Feststellungen zur Sach- und einfachen Rechtslage zu treffen, wäre die institutionelle Trennung von Fach- und Verfassungsgerichtsbarkeit obsolet.1320 Zum Teil wird weitergehend kritisiert, dass generell im Rahmen der Rechtssatzverfassungsbeschwerde kein Bedürfnis für eine vorherige fachgerichtliche Aufarbeitung bestehe. Das Bundesverfassungsgericht entscheide hier lediglich über die Frage der Wirksamkeit einer Norm, sodass kein Bedürfnis für eine Aufarbeitung des Tatsachenmaterials bestehe. Das Gericht werde „eher noch belastet, da es sich im Rahmen der Urteilsverfassungsbeschwerde nun auch durch fachgerichtlich aufgeblähte Akten durcharbeiten“ müsse.1321 Diese Ansicht ist in mehrfacher Hinsicht kritikwürdig. Die fachgerichtliche Aufarbeitung der Sach- und Rechtslage ist aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts erforderlich, um beurteilen zu können, ob die Beschwerdeführenden tatsächlich und rechtlich beschwert sind.1322 Je nach Auslegung des einfachen Rechts kommt es zu unterschiedlichen Auswirkungen auf die als verletzt gerügten Grundrechte.1323 Ohne die Vorarbeit der Fachgerichte hätte das Bundesverfassungsgericht stets selbst die nötigen Feststellungen zu treffen, um etwa ermitteln zu können, ob die von den jeweiligen Recht­ suchenden erhobenen Beschwerden berechtigt sind.1324 Zudem ist möglich, dass die zuständigen Fachgerichte der grundrechtlichen Beschwer bereits selbst abhelfen können, etwa in dem Fall, dass die streitige Norm im Sinne der Rechtsuchenden verfassungskonform auszulegen ist.1325 Dabei ist nicht zu bestreiten, dass auch Konstellationen denkbar sind, in denen es nicht auf eine fachgerichtliche Aufarbeitung ankommt und das Bundesverfassungsgericht sich in der Lage sieht, unmittelbar selbst zu entscheiden. Dafür hat es jedoch die bereits dargestellte Ausnahme zum Subsidiaritätsgrundsatz für 1320  Ähnlich auch Buchheim, Die Grenzen des „entgrenzten Gerichts“, VerfBlog vom 27.  Juli 2021, abrufbar unter https://verfassungsblog.de/die-grenzen-desentgrenzten-gerichts/, letzter Abruf am 22. Februar 2022. 1321  Van den Hövel, NVwZ 1993, 549, 552; ähnlich kritisch auch Leibold, Die Eingliederung der Verfassungsbeschwerde in rechtsprechende Gewalt und die Erschöpfung des Rechtswegs, 1972, S. 38 f.; a. A. Schenke, in: FS Steiner, 2009, S. 682, 716 f. 1322  BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017, Az. 1 BvR 1314/12, BVerfGE 145, 20, juris Rn. 86; Nichtannahmebeschluss vom 28. Juni 2021, Az. 1 BvR 1727/17, juris Rn. 10. 1323  BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 16. Juli 2015, Az. 1 BvR 1014/13, juris Rn. 12. 1324  Vgl. etwa den – ohne fachgerichtliche Aufarbeitung erstellten – umfassenden Tatbestand in der Entscheidung des Ersten Senats zum Atomausstieg, BVerfG, Urteil vom 6. Dezember 2016, Az. 1 BvR 2821/11, BVerfGE 143, 246, juris Rn. 1 bis 179. 1325  Siehe dazu zuvor S. 78 ff.

284 4. Teil: Konsequenzen für Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende

„allein verfassungsrechtliche Sachverhalte“ geschaffen. Wie dargelegt, würde hier eine vorrangige Anrufung der Fachgerichte tatsächlich bloß einen „Umweg“ darstellen, sodass das Bundesverfassungsgericht dies als entbehrlich betrachtet. Darüber hinaus begegnet die normbezogene Feststellungsklage betreffend Parlamentsgesetze nicht den gleichen Rechtsschutzbedenken wie die Feststellungsklage betreffend untergesetzliche Rechtsnormen. Da die Fachgerichte im Rahmen von Klagen gegen Letztere befugt sind, die Unwirksamkeit der angegriffenen Regelungen festzustellen und insoweit unangewendet zu lassen, kann es aufgrund der fehlenden erga omnes-Wirkung im Rahmen inzidenter Normenkontrollverfahren zu unterschiedlichen Rechtsschutzergebnissen kommen. Da auch betreffend untergesetzliche Vorschriften des Bundes grundsätzlich die Länder für die Normdurchsetzung zuständig sind, besteht kein zentraler Gerichtsstand etwa beim Verwaltungsgericht Berlin.1326 So ist das Szenario denkbar, dass das eine Gericht die inzident angegriffene untergesetzliche Norm für wirksam und ein anderes Gericht für unwirksam befindet. Die Literatur spricht hier von der Problematik der „ ‚relativen‘ Gültigkeit“ von Rechtsnormen.1327 Dieses Problem stellt sich im Rahmen der Feststellungsklage betreffend Parlamentsgesetze jedoch nicht in vergleichbarem Ausmaß. Art. 100 Abs. 1 GG untersagt grundsätzlich eine eigene Entscheidung der Fachgerichte über die Unwirksamkeit der Norm, sodass die Gerichte die jeweilig angegriffene Norm im Hauptsacheverfahren auch nicht unangewendet lassen können. Lediglich die Verfassungsgerichte können die Unwirksamkeit zentralisiert und allgemeingültig feststellen. Allein für den Fall, dass ein Gericht über eine einstweilige Anordnung die fragliche Norm mittelbar für vorübergehend unanwendbar erklärt, kann es zu einer „Rechtszersplitterung“ kommen.1328 Da es sich hierbei jedoch lediglich um einen vorübergehenden Schwebezustand handelt, der ausnahmsweise aus Rechts-

1326  Siehe

dazu zuvor S. 172 ff. und S. 200. in: FS Schenke, 2011, S. 709, 716; dazu auch Kuntz, Der Rechtsschutz gegen unmittelbar wirkende Rechtsverordnungen des Bundes, 2001, S. 108; Hahn, Verwaltungsgerichtlicher Schutz gegen Rechtssätze der Verwaltung, 2004, S. 114 f.; siehe ferner Happ, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 43 Rn. 45 und Pils, JA 2011, 113, 115, welche die Beiladung über § 65 VwGO zur Problemlösung heranziehen wollen. 1328  Kritisch Möllers, Stellungnahme als geladener Einzelsachverständiger zum Entwurf eines Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (BT-Drs. 19/28444) vom 15. April 2021, S. 5, abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource/blob/834614/9ace24a12b228c12a677f4b05 aec4865/19_14_0323-2-_Prof-Dr-Moellers_-viertes-BevSchG-data.pdf, letzter Abruf am 22. Februar 2022; zuvor bereits kritisch Posser, Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, 1993, S. 181. 1327  Geis,



B. Konsequenzen für Rechtsuchende285

schutzgesichtspunkten geboten sein kann, dürfte dieses Szenario zu vernachlässigen sein. Schließlich ist dem Vorwurf der Unzumutbarkeit in diesem Zusammenhang zu entgegnen, dass die Rechtsuchenden im fachgerichtlichen Verfahren keineswegs schutzlos gestellt sind. Ist im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes geboten, vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren und wird dadurch die Hauptsache nicht vorweggenommen, kann sich das jeweilige Gericht darauf beschränken, erst das Hauptsacheverfahren auszusetzen und die Sache dem jeweiligen Verfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen, wenn es von der Unwirksamkeit der Regelung überzeugt ist. Damit kann im fachgerichtlichen Verfahren zumindest über die vorläufige Nichtanwendung Rechtsschutz betreffend das streitige Parlamentsgesetz erzielt werden. Wie bereits im Rahmen der Rechtsprechungsauswertung dargelegt, wird über diese Rechtsschutzmöglichkeit nur das Strafbarkeitsrisiko beim Angriff strafbewehrter Normen nicht adäquat vermindert. Die Strafverfolgungsbehörden sowie die Strafgerichte sind über § 121 VwGO hinaus nicht an die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte gebunden.1329 Mithin muss für den Angriff entsprechender Vorschriften der unmittelbare Weg über die Rechtssatzverfassungsbeschwerde offenstehen. b) Überlange Verfahrensdauer? Auch wenn der „Umweg“ über die Fachgerichte aus den vorgenannten Gründen regelmäßig gerechtfertigt erscheint, ist nicht auszuschließen, dass mit Beschreiten des Rechtswegs eine unverhältnismäßig lange Verfahrensdauer verbunden sein kann.1330 Im Schrifttum wird befürchtet, dass mit der aufgeschobenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Rechtsuchenden „über Jahre hinweg“ einer unsicheren Rechtslage ausgesetzt wären. Insbesondere strategische Entscheidungen von Wirtschaftsakteuren würden so erschwert.1331 Statistiken zeigen, dass ein Durchlaufen sämtlicher verwaltungsgericht­ licher Instanzen durchschnittlich mehrere Jahre beansprucht. Im Schnitt lief ein Hauptsacheverfahren an einem deutschen Verwaltungsgericht in den

1329  Siehe

zuvor S. 91 ff. zum effektiven Rechtsschutzgebot unter Berücksichtigung eines zeitgerechten Verfahrens Linke, in: Knopp, Effektives Rechtsschutzgebot, 2019, S. 15. 1331  Lenz/Würtenberger, NVwZ 2010, 168, 170; vgl. auch Bonhage/Dietrich, NVwZ 2017, 1352, 1356. 1330  Weiterführend

286 4. Teil: Konsequenzen für Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende

Jahren 2006 bis 2020 zwischen 8,6 (2017) und 17,9 Monate (2020).1332 Rechtsmittelverfahren an den Oberverwaltungsgerichten bzw. Verwaltungsgerichtshöfen beanspruchten in den Jahren 2013 bis 2020 im Schnitt zwischen 7,5 (2018) und 10,4 Monate (2014).1333 Betrachtet man die Verfahrensdauer ab Eingang in erster Instanz beläuft sich die Verfahrensdauer für denselben Betrachtungszeitraum auf im Schnitt zwischen 23,1 (2017) und 33,5 Monate (2020).1334 Revisionsverfahren am Bundesverwaltungsgericht liefen in dem Betrachtungszeitraum von 2010 bis 2020 durchschnittlich nochmal zwischen 10,2 (2016) und 14,5 Monate (2019).1335 Im ungünstigsten Fall, dass keines der Gerichte im Instanzenzug das Verfahren aussetzt und die Sache dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorlegt, können – berücksichtigt man auch die Zeiträume zwischen dem Abschluss einer Instanz und der Einleitung des folgenden Verfahrens – bereits mehr als vier Jahre vergangen sein, bis eine letztinstanzliche Entscheidung erstritten wurde, die den Weg zum Bundesverfassungsgericht eröffnet.1336 Betrachtet man wiederum die durchschnittliche Verfahrensdauer von Verfassungsbeschwerdeverfahren am Bundesverfassungsgericht, ergibt sich eine deutliche Diskrepanz zur Gesamtdauer des verwaltungsgerichtlichen Instanzenzuges. Nur in 20 Prozent der Fälle betrug die Verfahrensdauer in den Jahren 2011 bis 2020 mehr als ein Jahr.1337 Zu beachten ist, dass in dieser Statistik insbesondere auch die Nichtannahmebeschlüsse der Kammern enthalten sind, die nicht selten bereits nach einigen Wochen ergehen.1338 Die verhältnismäßig kurze Verfahrensdauer korreliert insoweit mit den statistisch 1332  Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 2.4, 2020, S. 23  f., abrufbar ­unter https://www.destatis.de/DE/Themen/Staat/Justiz-Rechtspflege/Publikationen/ Downloads-Gerichte/verwaltungsgerichte-2100240207004.pdf?__blob=publication File, letzter Abruf am 22. Februar 2022. 1333  Ebd., S. 107. 1334  Ebd., S. 108. 1335  Geschäftsbericht des Bundesverwaltungsgerichts für den Zeitraum vom 1. Januar 2020 bis zum 31. Dezember 2020, S. 67 f., abrufbar unter https://www.bverwg. de/medien/pdf/jahresstatistik_2020.pdf, letzter Abruf am 22. Februar 2022. 1336  Soweit die Gerichte sich hier in der Sache mit der Wirksamkeit der angegriffenen Norm befasst haben, kann nachfolgend das Urteilsverfassungsbeschwerdeverfahren eingeleitet werden. Anderenfalls besteht grundsätzlich die Möglichkeit, (nachträglich) Rechtssatzverfassungsbeschwerde zu erheben; siehe dazu zuvor S. 268 ff. 1337  Jahresstatistik des Bundesverfassungsgerichts 2020, S.  22, abrufbar unter https://www.bundesverfassungsgericht.de/DE/Verfahren/Jahresstatistiken/2020/gb 2020/Gesamtstatistik %202020.pdf?__blob=publicationFile&v=2, letzter Abruf am 22. Februar 2022. 1338  Kleine-Cosack, Verfassungsbeschwerden und Menschenrechtsbeschwerde, 3. Aufl. 2013, Rn. 135.



B. Konsequenzen für Rechtsuchende287

betrachtet geringen Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde. In dem Betrachtungszeitraum von 2011 bis 2020 hat das Bundesverfassungsgericht in lediglich zwischen 1,46 Prozent (2013) und 2,78 Prozent (2012) der entschiedenen Verfassungsbeschwerdeverfahren den Anträgen stattgegeben.1339 Rechtssatzverfassungsbeschwerden machen von der Gesamtzahl der erhobenen Verfassungsbeschwerden wiederum nur einen verhältnismäßig kleinen Anteil aus. Von insgesamt 4.861 Verfassungsbeschwerden gegen Gerichtsentscheidungen/Gesetze (Rechtsnormen)/Hoheitsakte von Bundes-/Landes- sowie EU-Behörden im Geschäftsjahr 2020 waren lediglich 237 gegen Rechtssätze gerichtet, wovon nur sieben zu einer Normprüfung führten, die ihrerseits in allen sieben Fällen – zumindest partiell – im Sinne der Beschwerdeführenden abgeschlossen wurden.1340 Betrachtet man diese Verfahren, fällt auf, dass hier die Verfahrensdauer erheblich über den vorgenannten Angaben liegt. So hatten die Beschwerdeführenden etwa die Verfassungsbeschwerde gegen das Zustimmungsgesetz zum Abkommen über ein Einheitliches Patentgericht bereits am 31. März 2017 erhoben, während der Beschluss des Zweiten Senats erst knapp drei Jahre später am 13. Februar 2020 erging.1341 Vergleichbar entschied das Gericht über die Verfassungsbeschwerde gegen Vorschriften des BNDG vom 19. Dezember 2017 erst knapp zweieinhalb Jahre später.1342 Extrembeispiele aus dem Geschäftsjahr 2020 sind etwa die Kommunalverfassungsbeschwerde betreffend die sozialgesetzlichen Regelungen zum kommunalen Bildungs- und Teilhabepaket aus dem Jahr 20121343 sowie die Verfassungsbeschwerde gegen Regelungen zur manuellen Bestandsdatenauskunft aus dem Jahr 2013.1344 Mithin muss eine unmittelbar zulässige Rechtssatzverfassungsbeschwerde im Vergleich zum verwaltungsgerichtlichen Instanzenzug nicht zwangsläufig das weniger zeitintensive Verfahren darstellen. Dennoch stellt es zweifelsfrei für Rechtsuchende eine zeitliche Mehrbelastung dar, wenn im für sie ungünstigsten Fall zunächst alle drei verwaltungsgerichtlichen Instanzen zu be1339  Jahresstatistik des Bundesverfassungsgerichts 2020, S.  21, abrufbar unter https://www.bundesverfassungsgericht.de/DE/Verfahren/Jahresstatistiken/2020/gb 2020/Gesamtstatistik %202020.pdf?__blob=publicationFile&v=2, letzter Abruf am 22. Februar 2022. 1340  Ebd., S. 26, 32 f. 1341  Vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.  Februar 2020, Az.  2 BvR 739/17, BVerfGE 153, 74, juris Rn. 35. 1342  Vgl. BVerfG, Urteil vom 19. Mai 2020, Az. 1 BvR 2835/17, BVerfGE 154, 152, juris Rn. 82; siehe zu dieser Entscheidung bereits zuvor S. 153 f. 1343  BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 2020, Az. 2 BvR 696/12, BVerfGE 155, 310, juris Rn. 45. 1344  BVerfG, Beschluss vom 27. Mai 2020, Az. 1 BvR 1873/13, BVerfGE 155, 119; siehe zu dieser Entscheidung bereits zuvor S. 153 f.

288 4. Teil: Konsequenzen für Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende

schreiten sind und zusätzlich im Anschluss das Verfahren am Bundesverfassungsgericht zu betreiben ist. c) Lösungsansatz Einen Ausweg kann das Vorlageverfahren im Sinne des Art. 100 Abs. 1 GG bieten. Können Rechtsuchende in den Fallgestaltungen, in denen keine unmittelbare Rechtssatzverfassungsbeschwerde in Betracht kommt, bereits das Verwaltungsgericht von der Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Rechtsnorm überzeugen, ist das Bundesverfassungsgericht schon vor Abschluss der ersten Instanz mit der Sache zu befassen. Der langwierige und gegebenenfalls kostspielige Instanzenzug, dem wiederum eine Verfassungsbeschwerde folgen würde, wird vermieden. Eine Vorlage der Sache in einem frühen Stadium des Instanzenzugs scheint für einen angemessenen Interessenausgleich zu sorgen. Einerseits wird die Rechtsschutzangelegenheit zeitnah an das Bundesverfassungsgericht herangetragen, welches im Sinne der Rechtsuchenden auch befugt ist, das angegriffene Parlamentsgesetz zu verwerfen. Zugleich ist das Bundesverfassungsgericht nicht gezwungen, auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage zu entscheiden. Im Idealfall arbeitet das Verwaltungsgericht mit seinem Vorlagebeschluss die Sach- und Rechtslage im Sinne der Subsidiaritätsrechtsprechung dergestalt auf, dass dem Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung in den wesentlichen Verfassungsfragen ermöglicht wird.1345 Es soll nicht unterschlagen werden, dass auch dieser Verfahrensweg nicht hindernisfrei ist. Zum einen kann auch das konkrete Normenkontrollverfahren einen beträchtlichen Zeitraum in Anspruch nehmen, bis das Bundesverfassungsgericht entscheidet. Die Verfahren, in denen das Gericht im Geschäftsjahr 2020 eine Normprüfung durchgeführt hat, betrugen zwischen knapp 191346 und 36 Monaten1347.1348 Im Vergleich zur Verfahrensdauer von Rechtssatzverfassungsbeschwerden erscheinen diese Zeiträume – auch unter Berücksichtigung, dass zuvor nur in erster Instanz ein fachgerichtliches Verfahren einzuleiten wäre – jedoch akzeptabel.1349 1345  Siehe

zum Umfang der Begründungspflicht zuvor S. 48 ff. Urteil vom 26. Mai 2020, Az. 1 BvL 5/18, BVerfGE 153, 358. 1347  BVerfG, Beschluss vom 11. März 2020, Az. 2 BvL 5/17, BVerfGE 153, 310 und BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 2020, Az. 2 BvL 6/17, BVerfGE 155, 77. 1348  Jahresstatistik des Bundesverfassungsgerichts 2020, S. 32  f., abrufbar unter https://www.bundesverfassungsgericht.de/DE/Verfahren/Jahresstatistiken/2020/ gb2020/Gesamtstatistik %202020.pdf?__blob=publicationFile&v=2, letzter Abruf am 22. Februar 2022. 1349  So auch Zuck/Eisele, die von einer deutlichen Verkürzung der Verfahrensdauer ausgehen, dies., Das Recht der Verfassungsbeschwerde, 6. Aufl. 2022, 2. Kapi1346  BVerfG,



B. Konsequenzen für Rechtsuchende289

Zum anderen ist die Rolle der Beteiligten am Ausgangsrechtsstreit zu beachten. Das Bundesverfassungsgericht betont in ständiger Rechtsprechung, dass diese in Anbetracht der objektiven Natur des konkreten Normenkon­ trollverfahrens nicht am Verfassungsprozess beteiligt sind.1350 Ihnen steht damit nicht offen, den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG zu beantragen, Prozesshandlungen wie den Verzicht auf eine mündliche Verhandlung zu erklären (§ 25 Abs. 1 BVerfGG) oder die Befangenheit eines Richters zu rügen (§ 19 Abs. 1 BVerfGG).1351 Mit Verfahrensrechten ausgestattet sind nach ihrem Beitritt gemäß § 82 Abs. 2 BVerfGG lediglich die in § 77 BVerfGG aufgeführten Bundes- und Landesverfassungsorgane. Den am Ausgangsverfahren Beteiligten steht jedoch ein Äußerungsrecht im Normenkontrollverfahren zu (§ 82 Abs. 3 BVerfGG), sodass ihnen auch im Verfassungsprozess ermöglicht wird, ihre Rechtsauffassung darzulegen. Der Verlust des Antragsrechts betreffend einstweiligen Rechtsschutz kann unter dem Gesichtspunkt vernachlässigt werden, dass den Rechtsuchenden sich in der Regel die Möglichkeit bietet, vor den Fachgerichten einstweiligen Rechtsschutz zu erzielen, der zu einer einstweiligen Nichtanwendung des fraglichen Parlamentsgesetzes führen kann. Soweit man die Rechtsposition der am Ausgangsrechtsstreit Beteiligten als zu stark eingeschränkt sieht, insbesondere für den Fall, dass die formelle Gesetzgebung unter die „öffentliche Gewalt“ im Sinne des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zu subsumieren sein sollte,1352 kann zur Stärkung ihrer Verfahrensrechte eine verfassungskonforme Ausweitung von § 82 Abs. 2 BVerfGG erwogen werden.1353 So könnte im Verhältnis zu den beitrittsberechtigten Bundes- und Landesgesetzgebern für Waffengleichheit gesorgt werden.1354 Darüber hinaus wird in der Literatur kritisiert, dass der Weg über das Vorlageverfahren gegebenenfalls mit erheblichen Kosten für die Rechtsuchenden einhergehen kann.1355 Für das konkrete Normenkontrollverfahren – wie auch tel Rn. 605; hingegen kritisieren Lenz/Hansel unter Verweis auf langwierige Verfahren aus dem Jahr 2017 die Verfahrensdauer, dies., BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 80 Rn. 34. 1350  BVerfG, Beschluss vom 22. April 1953, Az. 1 BvL 18/52, BVerfGE 2, 213, juris Rn. 12; Ablehnung einstweilige Anordnung vom 2. November 1960, Az. 2 BvQ 9/60, BVerfGE 11, 339, juris Rn. 19; Ablehnung einstweilige Anordnung vom 21. Januar 1976, Az. 2 BvL 10/75, BVerfGE 41, 243, juris Rn. 7. 1351  Dederer, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL 2021, Art. 100 Rn. 263 m. w. N.; Geißler, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 12. Ed. 2021, § 80 Rn. 37. 1352  Zu dieser Streitfrage zuvor S. 112 ff. 1353  So Schenke, JZ 2006, 1004, 1009 f. 1354  Ebd. 1355  Bonhage/Dietrich, sprechen von „  ‚abschreckenden‘ Kosten“, dies., NVwZ 2017, 1352, 1356.

290 4. Teil: Konsequenzen für Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende

für die Verfassungsbeschwerde – selbst fallen keine Gerichtskosten (§ 34 Abs. 1 BVerfGG), sondern allenfalls Kosten für Rechtsbeistand an.1356 Dies gilt jedoch nicht für das Verfahren im Ausgangsrechtsstreit. Hier ist mit den üblichen Prozesskosten zu rechnen. Auch insoweit erscheint im Sinne der Rechtsuchenden eine frühzeitige Vorlage der Sache geboten, um die Kosten möglichst gering zu halten. Ferner könnte gemutmaßt werden, dass die fachgerichtliche Aufarbeitung über mehrere Instanzen hinweg tiefgreifender ausfallen könnte, als eine Aufarbeitung allein durch das Verwaltungsgericht in erster Instanz. Inwieweit dies den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht, bleibt Frage des Einzelfalls und dürfte erheblich von der Leistungsfähigkeit des jeweils vorlegenden Spruchkörpers abhängen. Im Sinne eines ausgewogenen Interessenausgleichs dürften etwaige Unzulänglichkeiten im Einzelfall jedoch hinzunehmen sein. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass es das Bundesverfassungsgericht selbst in der Hand hat, über seine Vorgaben für einen ausreichenden Vorlagebeschluss das Prüfprogramm der Gerichte im Ausgangsverfahren vorzuzeichnen. Gerade hierin liegt jedoch zugleich das wesentliche Problem des vorgeschlagenen Lösungsansatzes. Im Schrifttum wird regelmäßig kritisiert, dass das Bundesverfassungsgericht die Anforderungen an die Begründung einer Richtervorlage „bis an die Grenze der Unerfüllbarkeit verschärft“ hätte.1357 Insbesondere die tendenziell stark ausgelasteten erstinstanzlichen Gerichte würden mit ihren Vorlagen regelmäßig an den hohen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts scheitern.1358 Dieser Umstand dürfte eine Erklärung für den stetigen Rückgang der Richtervorlagen bieten.1359 Auch wenn die Fallzahl der konkreten Normenkontrolle stets von starken Schwankungen geprägt war, lassen die Eingangszahlen einen Abwärtstrend erken­ 1356  Vgl. zum Gebührenanspruch des Rechtsanwalts im Normenkontrollverfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG BVerfG, Gegenstandswertfestsetzung im verfassungsgerichtlichen Verfahren vom 12. März 1980, Az. 1 BvL 9/72, BVerfGE 53, 332; weiterführend zur Gebührenrechnung Zuck/Eisele, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, 6. Aufl. 2022, 5. Kapitel Rn. 1068 ff. 1357  Lechner/Zuck, BVerfGG, 8. Aufl. 2019, § 80 Rn. 31; so auch Zuck, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, 5. Aufl. 2017, 1. Kapitel Rn. 66; Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 80 Rn. 123; Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 4. Aufl. 2020, Rn. 887; S ­ pindler, in: GS Nagelmann, 1984, S. 329 ff.; Hamdorf, NordÖR 2011, 301, 306. 1358  Dollinger, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, 2.  Aufl. 2005, § 80 Rn. 79. 1359  So auch Barczak, in: Mülder/Drechsler u. a., Richterliche Abhängigkeit, 2018, S. 333, 359; Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 4. Aufl. 2020, Rn. 794; Dreier, DV 36 (2003), 105, 108; Eisele/Hyckel, NVwZ 2016, 1298, 1299.



B. Konsequenzen für Rechtsuchende291

nen:1360 Während im Zeitraum von 1951 bis Ende des Jahres 2020 insgesamt 3.734 Richtervorlagen beim Bundesverfassungsgericht eingingen, entfallen davon lediglich 258 auf die letzten zehn Jahre.1361 Auch wenn sich dies noch nicht in den „nackten Zahlen“ niedergeschlagen hat,1362 will das Bundesverfassungsgericht das Begründungserfordernis im Sinne des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG und damit die Voraussetzungen an eine zulässige Richtervorlage mittlerweile „großzügiger“ interpretieren.1363 Auch Teile der Literatur wollen erkannt haben, dass das Bundesverfassungsgericht hier zuletzt „ersichtlich ein Stück zurück[rudert]“.1364 Dies wäre zu begrüßen.1365 Durch ein Absenken der vom Bundesverfassungsgericht stetig gesteigerten Voraussetzungen an eine zulässige Richtervorlage kann das konkrete Normenkontrollverfahren für Rechtsuchende eine angemessene Rechtsschutzalternative zur Rechtssatzverfassungsbeschwerde darstellen, die zugleich auch die Zuständigkeitsverteilung unter Verfassungsund Fachgerichtsbarkeit achtet. Den Rechtsuchenden würde eine Möglichkeit eröffnet, bereits zu einem frühen Verfahrenszeitpunkt die Verfassungsgerichte mit ihrem Anliegen zu befassen, während den Fachgerichten über die erhobene Feststellungsklage weiterhin – im Sinne des Subsidiaritätsgedankens – der erste Zugriff auf den Sachverhalt auch in Grundrechtsfragen verbleibt.1366 Der für das Bundesverfassungsgericht zentrale Entlastungsge1360  Moradi Karkaj, in: Barczak, BVerfGG, 2018, § 80 Rn. 4; eingehend Eisele/ Hyckel, NVwZ 2016, 1298, 1299; Kirchhof spricht hingegen von der „intensiv genutzte[n] Möglichkeit einer Richtervorlage“, ders., NVwZ-Beilage 2013, 13, 16. 1361  Jahresstatistik des Bundesverfassungsgerichts 2020, S. 6, 29, abrufbar unter https://www.bundesverfassungsgericht.de/DE/Verfahren/Jahresstatistiken/2020/gb 2020/Gesamtstatistik%202020.pdf?__blob=publicationFile&v=2, letzter Abruf am 22. Februar 2022. 1362  Vgl. ebd.; der verzeichnete Anstieg auf 36 eingegangene konkrete Normenkontrollverfahren im Jahr 2020 dürfte bei einem Mittelwert von 29,19 Eingängen in den Jahren 2000 bis 2020 noch kein hinreichendes Indiz für ein gegenteiliges Verständnis bieten. 1363  BVerfG, Kammerbeschluss vom 9. Oktober 2019, Az. 2 BvL 13/19, juris Rn. 19 unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 15. Dezember 2015, Az. 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1, juris Rn. 22 ff. 1364  Barczak, in: Mülder/Drechsler u. a., Richterliche Abhängigkeit, 2018, S. 333, 359, Fn. 111; anlässlich der „Recht auf Vergessen“-Rechtsprechung andenkend auch Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 80 Rn. 124 ff.; ferner dies beobachtend auch Sieckmann/Kessal-Wulf, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 100 Rn.  55; a. A. Geißler, in: Walter/Grünewald, BeckOK BVerfGG, 12. Ed. 2021, § 80 Einl., der hier lediglich eine „Momentaufnahme“ sieht. 1365  So auch Meyer, in: v. Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 100 Rn. 121; betreffend die Voraussetzung der Entscheidungserheblichkeit Eisele/Hyckel, NVwZ 2016, 1298, 1301. 1366  Vgl. Meyer, in: v. Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 100 Rn. 121.

292 4. Teil: Konsequenzen für Verwaltungsgerichtsbarkeit und Rechtsuchende

danke würde ebenfalls nicht umgangen. Wie gezeigt, wird die Entlastung des Bundesverfassungsgerichts nicht dadurch erzielt, dass es die (prinzipale) Rechtsschutzmöglichkeit betreffend Parlamentsgesetze auf die Fachgerichte überträgt. Aufgrund des Normverwerfungsmonopols würde das Bundesverfassungsgericht im Zweifel ohnehin wieder mit der Sache befasst, wenn die Fachgerichte der Beschwer nicht ohne Normverwerfung abhelfen können. Vielmehr ist die Entlastung darin zu sehen, dass sich das Bundesverfassungsgericht durch die Aufarbeitung der Sach- und Rechtslage der Fach­ gerichte auf seine eigentliche Aufgabe, Recht in Verfassungsfragen zu sprechen, konzentrieren kann. Ist die Vorlage in erster Instanz hinreichend ausführlich begründet, sollte dies auch ohne Durchlaufen der weiteren Instanz zu gewährleisten sein. Inwieweit die erstinstanzlichen Gerichte vor dem Hintergrund ihres Erledigungsdrucks auch tatsächlich gewillt sind, eine unter Umständen arbeitsintensive Richtervorlage zu formulieren,1367 dürfte Frage des Einzelfalls bleiben. Zumindest aber hätte es das Bundesverfassungsgericht in der Hand, den Antrieb der Gerichte wiederum maßgeblich durch den Abbau der selbst geschaffenen hohen Hürden für eine zulässige Richtervorlage zu steuern. 3. Zwischenergebnis Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass keine Rechtsschutz­ lücken hinsichtlich des Rechtsschutzes betreffend Parlamentsgesetze zu verzeichnen sind, wenn die verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage als allgemeine Normenabwehrklage herangezogen wird. Soweit der Weg über die unmittelbare Rechtssatzverfassungsbeschwerde versperrt ist, steht Rechtsuchenden nach Durchlaufen des Instanzenzugs offen, Urteils- oder Rechtssatzverfassungsbeschwerde zur erheben bzw. diese fortzuführen. Im Einzelfall drohende Rechtsschutzlücken können über die parallele Antragstellung oder das Hinausschieben der Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG geschlossen werden. Diese muss auch in Fällen wie jenem der Tax Law Clinic der Leibniz Universität Hannover gelten, in denen die Gerichte sich einer Entscheidung in der Sache unter Berufung auf die Unzulässigkeit einer Feststellungsklage verschließen. Da die vorrangige Aufarbeitung der Sach- und Rechtslage durch die Fachgerichte der Vorbereitung eines späteren Verfassungsprozesses – und damit der Entlastung des Bundesverfassungsgerichts – dient, erscheint die einhergehende Mehrbelastung für die Rechtsuchenden durch den Verweis auf vorrangigen fachgerichtlichen Rechtsschutz grundsätzlich gerechtfertigt. 1367  Kritisch

Meyer, in: v. Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 100 Rn. 121.



B. Konsequenzen für Rechtsuchende293

Es verbleiben jedoch Bedenken hinsichtlich der überlangen Verfahrensdauer für das Beschreiten des Instanzenzugs und einen sich anschließenden Verfassungsprozess. Um einen angemessenen Interessenausgleich zu erzielen, wird hier der Weg über eine frühzeitige Richtervorlage bereits in erster Instanz vorgeschlagen. Dieser Lösungsansatz dürfte einerseits weiterhin die fachgerichtliche Aufarbeitung der Sach- und Rechtslage und andererseits eine zeitnahe Entscheidung der zu Normverwerfungen berechtigten Verfassungsgerichtsbarkeit gewährleisten. Ein Abbau der hohen Anforderungen an eine ausreichende Begründung einer Richtervorlage ist insoweit zu begrüßen.

5. Teil

Schlussbetrachtung Nach Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur konnten im Wesentlichen die folgenden Erkenntnisse gewonnen werden: –– Verfassungs- und einfachrechtliche Bestimmungen ermöglichen eine normative Kompetenzabgrenzung hinsichtlich des Bundesverfassungsgerichts und der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Nach dieser kommt dem Bundesverfassungsgericht zwar der „Primat“ zur Entscheidung von Verfassungsstreitigkeiten zu, doch gebührt den Fachgerichten der erste Zugriff auf Fragen des Grundrechtsschutzes. Es ist zuvorderst ihre Aufgabe, gegen Verfassungsverstöße Rechtsschutz zu gewähren. Durch die vorrangige Inanspruchnahme der Fachgerichte ist das Bundesverfassungsgericht frei, die Aufgabe der Sicherung des Verfassungsrechts wahrzunehmen. (S. 36 ff.) –– Nach einer klassischen Rollenverteilung gewährt das Bundesverfassungsgericht vorrangig objektiven Rechtsschutz, während die Verwaltungsgerichtsbarkeit subjektiven Rechtsschutz gegen Hoheitsakte gewährleisten soll. Betreffend Fragen des subjektiven Grundrechtsschutzes kommt es zu Funktionsüberschneidungen. (S. 97 ff.) –– Unabhängig davon, ob der Begriff der „öffentlichen Gewalt“ im Sinne des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG neben Exekutiv- auch Legislativakte umfasst, haben die Fachgerichte aufgrund des in Art. 100 Abs. 1 GG verankerten allgemeinen Rechtsschutzstandards Parlamentsgesetze inzidenter zu überprüfen. Sollte der Schutzumfang der Rechtsschutzgarantie weiter verstanden werden, bietet die Rechtssatzverfassungsbeschwerde den Rechtsuchenden eine ausreichende prinzipale Normenkontrollmöglichkeit, die ihnen von Gesetzes wegen auch unabhängig vom Verständnis des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zur Verfügung steht (vgl. § 93 Abs. 3 BVerfGG). (S. 110 ff.) –– Inzidente Kontrollmöglichkeiten für Parlamentsgesetze stellen keinen Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 BVerfGG dar. Zumindest hat diese Frage keine Auswirkungen in der Rechtspraxis, da das Bundesverfassungsgericht die Ausnahmen des § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG sowie aufgrund Unzumutbarkeit sowohl auf das Gebot der Rechtswegerschöpfung als auch auf den Grundsatz der Subsidiarität anwendet. (S. 122 ff.)



5. Teil: Schlussbetrachtung295

–– Allein die Rechtssatzverfassungsbeschwerde am Bundesverfassungsgericht bietet den Rechtsuchenden auf Bundesebene eine unmittelbare Rechtsschutzmöglichkeit betreffend Parlamentsgesetze. In Ausübung des richterlichen Prüfungsrechts gewährleisten die Fachgerichte nur mittelbar im Wege von Inzidentkontrollen Rechtsschutz betreffend formelle Rechtssätze. Aufgrund des Normverwerfungsmonopols der Verfassungsgerichtsbarkeit kann einzig in einstweiligen Rechtsschutzverfahren die Prüfung zu einer (zeitweisen) Nichtanwendung der vermeintlich verfassungswidrigen Norm führen. (S. 125 ff.) –– Entgegen Stimmen aus dem Schrifttum hat die Rechtsprechung die verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage als „allgemeine Normenabwehrklage“ nicht zunächst betreffend untergesetzliche Landes- und Bundesnormen entwickelt und erst später auch auf Parlamentsgesetze übertragen. Der Literatur ist nur insoweit beizupflichten, als die Gerichte in der Vergangenheit zunächst vermehrt über Feststellungsklagen im Zusammenhang mit der Wirksamkeit von untergesetzlichen Rechtsnormen entschieden haben. (S. 135 ff.) –– Die normbezogene Feststellungsklage hat ihren Ursprung in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung. Teile der Literatur übersehen, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Subsidiaritätsrechtsprechung lediglich bereits bestehende Tendenzen in der fachgerichtlichen Rechtsprechung aufgenommen hat und damit gemäß der Aufgabenverteilung unter den Gerichtsbarkeiten entscheidet. (S. 135 ff.) –– Nicht erst die jüngere Rechtsprechung hat die Feststellungsklage als Normenabwehrklage herangezogen. Der Ursprung der gegenständlichen Rechtsprechungslinie geht sowohl in der verwaltungsgerichtlichen wie in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung bereits Jahrzehnte zurück. Nicht von der Hand zu weisen ist, dass sich das Bundesverfassungsgericht zu keiner Zeit so regelmäßig mit der Feststellungsklage in seinen Subsidiaritätserwägungen im Rahmen der Rechtssatzverfassungsbeschwerde auseinandergesetzt hat wie heute. Diesbezüglich erscheint angemessen, von einer Renaissance der Feststellungsklage als allgemeine Normenabwehrklage zu sprechen. (S. 135 ff.) –– Die Gerichte differenzieren für die Anwendbarkeit der Feststellungsklage als Normenabwehrklage weder zwischen untergesetzlichen und formellen Rechtsnormen noch zwischen Bundes- und Landesgesetzen. Dass bisher keiner der Senate des Bundesverfassungsgerichts die Beschwerdeführenden im Rahmen einer Rechtssatzverfassungsbeschwerde gegen ein formelles Bundesgesetz auf eine vorrangige verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage verwiesen hat, dürfte auf die Ausgestaltung des Annahmeverfahrens der Verfassungsbeschwerde zurückzuführen sein. (S. 135 ff.)

296

5. Teil: Schlussbetrachtung

–– Die Feststellungsklage kann nach der Rechtsprechung auch dann als Normenabwehrklage herangezogen werden, wenn die anzugreifenden selfexecuting Regelungen weiteren Normvollzug bei ihrer Überwachung und Durchsetzung zulassen. (S. 135 ff.) –– Die von der Literatur geäußerte Kritik an der Feststellungsklage als Normenabwehrklage betreffend Parlamentsgesetze erscheint insoweit überzogen, als sich diese Ausprägung der Feststellungsklage im normativen Rahmen der Verwaltungsgerichtsordnung hält. (S. 172 ff.) •• Der Verwaltungsrechtsweg kann nach der Generalklausel des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet werden. Soweit Verwaltungsgerichte in Ausübung ihres richterlichen Prüfungsrechts lediglich Inzidentkontrollen vollziehen, entscheiden sie in Streitigkeiten nichtverfassungsrecht­ licher Art. Auch soweit Gesetze im Streit stehen, die im Kern zum bürgerlichen Recht zu zählen sind, kann eine „öffentlich-rechtliche Streitigkeit“ anzunehmen sein, wenn die anzugreifenden Regelungen von verwaltungs- und ordnungsrechtlichen Instrumenten flankiert werden. (S. 179 ff.) •• Die Feststellungsklage ist als allgemeine Normenabwehrklage solange statthaft, wie die Wirksamkeit der angegriffenen Regelung nur eine „Vorfrage“ für das (Nicht-)Bestehen eines Rechtsverhältnisses darstellt. Dieses kann zwischen den Normadressaten und dem Normanwender konkret in der Gestalt bestehen, dass Erstere von einem imperativen Ge- oder Verbot betroffen sind und Letzterer für den Vollzug bzw. die Überwachung der Befolgung zuständig ist. An die erforderliche „Verdichtung“ des grundlegenden Verhältnisses von Staat und Privaten in Form eines bestimmten und streitigen Sachverhalts werden uneinheitliche Anforderungen gestellt. Es ist zu begrüßen, dass die Rechtsprechung hier dahinzugehen scheint, geringere Anforderungen an die Konkretisierung des Rechtsverhältnisses im Einzelfall zu stellen. (S. 189 ff.) •• Das für die Feststellungsklage erforderliche Feststellungsinteresse kann zweifelsfrei hier nur für den Fall bejaht werden, dass die zuständige Behörde bereits weitere Maßnahmen zur Ahndung etwaiger Rechtsverstöße gegen die self-executing Bestimmungen angekündigt bzw. angedroht oder sich entsprechender Befugnisse berühmt hat. Nach überzeugender Auffassung muss jedoch bereits die abstrakte Gefahr der Ahndung von Normverstößen ausreichend sein, wenn die „begründete Besorgnis“ einer Sanktionierung besteht. Soweit als Vollzugsmaßnahme statt der Ahndung als Straftat oder Ordnungswidrigkeit weiterer, sonstiger Normvollzug in Betracht kommt, bleibt es eine Frage des Einzelfalls, ob Rechtsuchende in zumutbarer Weise auf repressive Rechtsschutzmöglichkeiten verwiesen werden können. (S. 201 ff.)



5. Teil: Schlussbetrachtung297

•• Angesichts des Rechtsschutzziels ist die Feststellungsklage in ihrer Gestalt als Normenabwehrklage nach hier vertretener Auffassung nicht gegenüber einer grundsätzlich vorrangigen Gestaltungs- oder Leistungsklage subsidiär. (S. 211 ff.) •• Die Feststellungsklage kann fristunabhängig erhoben werden. Für eine gegebenenfalls nach Durchlaufen des Instanzenzugs zu erhebende Rechtssatzverfassungsbeschwerde kann jedoch entscheidend sein, ob fachgerichtlicher Rechtsschutz innerhalb der Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG in Anspruch genommen wurde. (S. 223, 272 ff.) –– Mit einem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes können Rechtsuchende die vorläufige Nichtanwendbarkeit der angegriffenen Regelung erzielen. Eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache ist hier erst dann anzunehmen, wenn aufgrund der Umstände des Einzelfalls Rechtsschutz in der Hauptsache nicht mehr möglich erscheint und insoweit das Normverwerfungsmonopol im Sinne des Art. 100 Abs. 1 GG umgangen würde. (S. 224 ff.) –– Mit der untersuchten Rechtsprechungslinie deutet sich derzeit kein Wandel der klassischen Rollenverteilung unter Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit an. Die Anwendung der verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklage als Normenabwehrklage ermöglicht den Rechtsuchenden gerade keine prinzipale Kontrolle von Parlamentsgesetzen durch ein objektives Rechtsbeanstandungsverfahren. Damit wird weder die Konstitutionalisierung noch die Objektivierung des Verwaltungsgerichtsprozesses gefördert. Dies gilt gleichzeitig für etwaig bestehende „Emanzipationstendenzen“ in der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Über die Bindung an die Grundrechte und das sonstige Verfassungsrecht ist die Verwaltungsgerichtsbarkeit Teil der materiellen Verfassungsgerichtsbarkeit. Bereits unabhängig von der hier aufgezeigten Rechtsprechungslinie gewährleisten die Gerichtsbarkeiten den Grundrechtsschutz betreffend Parlamentsgesetze in einem Kooperationsverhältnis. Die Subsidiaritätsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dürfte dieses Kooperationsverhältnis fördern. Der zu beobachtende Trend weg von der Eingriffsverwaltung durch hoheitliche Einzelakte hin zum Erlass von self-executing Vorschriften – wie am gefahrenabwehrrechtlichen Handeln zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie veranschaulicht – kann eine entsprechende Entwicklung weiter begünstigen. (S. 229 ff.) –– Im Regelfall haben Rechtsuchende vorrangig zum Rechtssatzverfassungsbeschwerdeverfahren betreffend unmittelbar geltende öffentlich-rechtliche Parlamentsgesetze eine verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage zu erheben. Um die Zulässigkeitsschwelle zu nehmen, sind vor allem die Anforderungen an ein hinreichend konkretes Rechtsverhältnis sowie das

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5. Teil: Schlussbetrachtung

qualifizierte Feststellungsinteresse zu beachten. Rechtsuchende können „sinnvolle“ Anträge im Rahmen der Feststellungsklage stellen, um eine inzidente Normenkontrolle zu initiieren. Soweit sie hier zu scheitern drohen, greift grundsätzlich die richterliche Hinweispflicht. (S. 253 ff.) –– Rechtsuchenden steht der Weg zum Bundesverfassungsgericht unmittelbar über eine Rechtssatzverfassungsbeschwerde nur aufgrund besonderer Umstände offen. Hierzu müssen sie darlegen können, dass ausnahmsweise eine Feststellungsklage betreffend self-executing Gesetze nicht in Betracht kommt oder ein Ausnahmefall vom Grundsatz der Subsidiarität einschlägig ist. Hier kann im Einzelfall insbesondere der Vortrag im Sinne der „Damokles-Rechtsprechung“ bei strafbewehrten Normen sowie der Vortrag für einen allein verfassungsrechtlichen Sachverhalt erfolgsversprechend sein. (S. 262 ff.) –– Mit der dargestellten Rechtsprechungslinie gehen keine Rechtsschutz­ lücken einher. Verfassungsgerichtlicher Rechtsschutz gegen Parlamentsgesetze wird nicht gänzlich ausgeschlossen. Die vorrangige Inanspruchnahme der Fachgerichte erscheint vor dem Hintergrund der Entlastung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich gerechtfertigt. Rechtsuchende sind im fachgerichtlichen Verfahren nicht schutzlos gestellt. Regelmäßig kann über einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz die vorläufige Nichtanwendung der streitigen Rechtsnorm erzielt werden. Nach vorzugswürdiger Auffassung muss jedoch bei strafbewehrten self-executing Normen unmittelbar der Weg über die Rechtssatzverfassungsbeschwerde offenstehen. (S. 268 ff.) –– Es verbleiben Bedenken hinsichtlich einer überlangen Verfahrensdauer. Um einen angemessenen Interessenausgleich zu erzielen, könnte sich eine frühzeitige Richtervorlage bereits in erster Instanz anbieten. Diese würde einerseits weiterhin die fachgerichtliche Aufarbeitung der Sach- und Rechtslage gewährleisten und andererseits eine zeitnahe Entscheidung der zu Normverwerfungen berechtigten Verfassungsgerichtsbarkeit ermöglichen. (S. 285 ff.) Vor dem Hintergrund der hier aufgezeigten Rechtsprechungslinie hat sich die Literatur nur vereinzelt mit der verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklage betreffend Parlamentsgesetze und den Auswirkungen auf den verfassungsgerichtlichen Subsidiaritätsgrundsatz befasst. Dies unterstreicht, dass eine höchstrichterliche Auseinandersetzung mit den Zulässigkeitsvoraussetzungen der Feststellungsklage in ihrer Ausgestaltung als allgemeine Normenabwehrklage angezeigt ist. Im Sinne der Kompetenzverteilung unter den Gerichtsbarkeiten können Rechtsuchende nur so rechtssicher bestimmen, ob sie sich mit ihrem Anliegen in zulässiger Weise zunächst an die Verwaltungsgerichte wenden können bzw. ihnen dies – vorbehaltlich sonstiger verfas-



5. Teil: Schlussbetrachtung299

sungsprozessual gebotener Ausnahmesituationen – obliegt. Gleichzeitig bleibt abzuwarten, ob das Bundesverfassungsgericht Wort hält, und die Begründungsanforderungen für Richtervorlagen nunmehr großzügiger interpretiert. Soweit es an der strengen Subsidiaritätsrechtsprechung festhält, dürften allein auf diesem Weg langwierige Rechtsschutzverfahren über sämtliche Instanzen und einen sich anschließenden Verfassungsprozess zu vermeiden sein.

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Sachverzeichnis Allein verfassungsrechtlicher Sachverhalt  88, 169, 178, 266 Allgemeine Bedeutung der Verfassungsbeschwerde siehe Vorabentscheidung Allgemeines Register  272 Atypische Feststellungsklage  138 Aufgabenparallelität  229 Bundes-Klimaschutzgesetz  154, 255 Bundesnotbremse  26, 155, 251, 253, 267 Bundesverfassungsgericht  31, 97, 140, 146, 232, 247, 288 COVID-19-Pandemie  155, 176, 252 Damokles-Rechtsprechung  91, 132, 161, 196, 203, 221, 265 Effektiver Rechtsschutz  110, 115, 226 Einstweiliger Rechtsschutz  62, 129, 224, 258 –– Vorläufige Feststellung  224 –– Vorwegnahme der Hauptsache  225 Entlastungsgedanke  78, 282, 291 Enumerationsprinzip  37 Fachgerichtsbarkeit  35, 51, 73, 77, 102, 127, 230, 238 Feststellung der Tatsachen- und Rechtsgrundlagen  73, 88, 149, 169, 263, 288 Feststellungsklage  134, 172, 179, 253 –– Antragsformulierung  258 –– Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs  179 –– Feststellungsfähiges Rechtsverhältnis  138, 144, 152, 189, 254, 256, 259

–– Feststellungsinteresse  201, 256 –– Feststellungsklage gegen den Normgeber  137, 171, 191 –– Frist  223 –– Klagebefugnis  199 –– Passivlegitimation  199 –– Statthaftigkeit  188 –– Subsidiarität  211 –– Zuständigkeit  200 Funktionelle Untersuchung  29 Gebot der Rechtswegerschöpfung  55, 61, 122, 231, 235 Generalklausel  38, 179 Grundsatz der Subsidiarität  55, 122, 231, 235, 262 –– Formelle Subsidiarität  62 –– Materielle Subsidiarität  67 Heimliche Normenkontrolle  67 Infektionsschutzgesetz  155, 176, 252 Inzidente Normenkontrolle  66, 115, 127 Jahresfrist  223, 270 Konkrete Normenkontrolle  48, 288 Konstitutionalisierung  70, 243 Kooperationsverhältnis  53, 247 Mindestlohngesetz  158 Neunzigzwei-Dreiundneunzigeins-Falle  272 Nicht mehr zu korrigierende Dispositionen  85 Normverwerfungsmonopol  98, 126

320 Sachverzeichnis Prinzipale Normenkontrolle  66, 117, 121

Unmittelbare Betroffenheit  66, 133

Richterliches Prüfungsrecht  51, 127

Verfahrensdauer  285 Verfassungsgerichtsbarkeit  30, 33, 51, 97 –– Formelle Verfassungsgerichtsbarkeit  31 –– Materielle Verfassungsgerichtsbarkeit  238 Verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage siehe Feststellungsklage Verwaltungsgerichtsbarkeit  104, 136, 142, 200, 229, 234, 238, 245 Vollzugsstreitigkeiten  131 Vorabentscheidung  81, 262, 263

SARS-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnungen  90, 141 Schwerer und unabwendbarer Nachteil siehe Vorabentscheidung Self-executing Gesetze  111, 133, 134, 170, 176, 179, 209, 251 Sinn- und aussichtsloser fachgericht­ licher Rechtsschutz  86 Subsidiaritätsgrundsatz siehe Grundsatz der Subsidiarität Tax Law Clinic  275