Verfahrensentwicklung: Von der ersten Idee zur chemischen Produktionsanlage 978-3-527-28721-5, 978-3-527-61123-2

Content: Chapter 1 Einführung (pages 1–13): Chapter 2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile: Teile 2.1 u

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Verfahrensentwicklung: Von der ersten Idee zur chemischen Produktionsanlage
 978-3-527-28721-5, 978-3-527-61123-2

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G. Herbert Vogel Verfahrensentwicklung

Verfahrensentwicklung. G. Herbert Vogel Copyright © 2002 Wiley-VCH Verlag GmbH ISBN: 978-3-527-28721-5

G. Herbert Vogel

Verfahrensentwicklung Von der ersten Idee zur chemischen Produktionsanlage

Unter Mitarbeit von Dr.-Ing. Gerd Kaibel

Prof. Dr. G. Herbert Vogel TU Darmstadt Ernst Berl Institut fu¨r Technische und Makromolekulare Chemie Petersenstraße 20 64287 Darmstadt

Das vorliegende Werk wurde sorgfa¨ltig erarbeitet. Dennoch u¨bernehmen Autor und Verlag fu¨r die Richtigkeit von Angaben, Hinweisen und Ratschla¨gen sowie fu¨r eventuelle Druckfehler keine Haftung.

Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz fu¨r diese Publikation ist erha¨ltlich bei Der Deutschen Bibliothek ª Wiley-VCH Verlag GmbH Weinheim 2002 ¨ bersetzung in Alle Rechte, insbesondere die der U andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form – durch Fotokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren – reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprachen u¨bertragen oder u¨bersetzt werden. printed in the Federal Republic of Germany gedruckt auf sa¨urefreiem Papier

Satz Mitterweger & Partner Kommunikationsgesellschaft mbH, Plankstadt Druck Strauss Offsetdruck GmbH, Mo¨rlenbach Bindung Grossbuchbinderei J. Scha¨ffer GmbH & Co. KG, Gru¨nstadt

ISBN 3-527-28721-3

Meinen Kindern Birke, Karl, Anke und Till

VII

Vorwort ¨ bergang Die Idee des Buches war es, dem Akademiker nach seiner Ausbildung den U von der Universita¨t in die chemische Industrie zu erleichtern. Allen Diplomanden und Doktoranden der Natur-, Ingenieur-, aber auch Wirtschaftswissenschaften, die kurz vor dem Wechsel in die chemische Industrie stehen, soll dieses Buch das Ru¨stzeug in die Hand geben, das ihnen einen problemlosen Start ins Berufsleben ermo¨glicht und sie dem erfahrenen Industriechemiker und -ingenieur von Anfang an als kompetente Gespra¨chspartner gegenu¨berstehen la¨sst. Dieses Buch richtet sich aber auch sowohl an langja¨hrige Mitarbeiter aus der Industrie, die ein umfassendes aber knappes Nachschlagewerk suchen, wenn sie Ratschla¨ge zur Problemlo¨sung brauchen, als auch an Studenten der Technischen Chemie, die ihr Wissen zur Pru¨fungsvorbereitung auffrischen wollen. In den Kapiteln 3 bis 6 wird die Entwicklung und Bewertung von Produktionsverfahren sowie die Abwicklung von Projekten aus der Sicht des Chemikers geschildert. Die unterschiedlichsten Aspekte, die beru¨cksichtigt werden mu¨ssen, bevor und wa¨hrend eine Chemieanlage geplant, gebaut und in Betrieb genommen wird, werden behandelt: chemische, ingenieur- und materialwissenschaftliche, juristische, betriebswirtschaftliche, sicherheitstechnische und andere. Das no¨tige Grundwissen vermittelt Kapitel 2 mit dem Titel „Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile“. Es behandelt die wichtigsten Teilgebiete der Technischen Chemie wie Katalyse, Chemische Reaktionstechnik, Trennverfahren, Hydrodynamik, Stoff- und Energielogistik, Mess- und Regeltechnik, Anlagensicherheit, Werkstoffauswahl. So sorgt es als kurzes Lehrbuch der Chemischen Technologie, welches in das Buch integriert ist, auch dafu¨r, dass der Leser nicht weitere Bu¨cher zu Rate ziehen muss, sollte ihm an manchen Stellen das Fachwissen nicht mehr gegenwa¨rtig sein. Ein ausfu¨hrlicher Anhang (mathematische Formeln, Umrechnungen, thermodynamische Daten, Stoffdaten, gesetzliche Regelungen u. a.) unterstu¨tzt ihn dabei. Das vorliegende Buch spiegelt die industrielle Erfahrung wider, die ich in den Jahren von 1982 bis 1993 bei der BASF AG, Ludwigshafen bei Entwicklung, Planung, Bau und Inbetriebnahme petrochemischer Produktionsanlagen gesammelt habe. Daher ist die Auswahl der Themen und die Vorgehensweise natu¨rlich subjektiv. Meinen Lehrmeistern auf diesem Gebiet, Herrn Dr. Gerd Du¨mbgen und Herrn Dr. Fritz Thiessen gebu¨hrt an dieser Stelle mein besonderer Dank.

VIII

Vorwort

Ohne die aktive Hilfe von Herrn Dr.-Ing. Gerd Kaibel (BASF Aktiengesellschaft, Ludwigshafen) wa¨re dieses Buch nicht realisierbar gewesen. Er steuerte seine große industrielle Erfahrung bei, und hatte die Bearbeitung des Kapitels 2.3 u¨ber thermische und mechanische Trennverfahren u¨bernommen. Herrn Prof. Dr. Wilfried J. Petzny (ehemals EC Erdo¨lchemie GmbH, Ko¨ln) danke ich fu¨r die Durcharbeitung des Manuskriptes und seine konstruktive Kritik sowie Kommentare, die ich gerne u¨bernommen habe. Schließlich bin ich Herrn Dieter Bo¨ttiger (TU Darmstadt) fu¨r die Erstellung vieler Abbildungen sowie meiner a¨ltesten Tochter Birke Vogel (BASF AG, Ludwigshafen) fu¨r die Einfu¨hrung in die neue Rechtschreibung und das Korrekturlesen zu Dank verpflichtet. Fu¨r die in diesem Buch enthaltenen Fehler und Ma¨ngel bin ich alleine verantwortlich. Darmstadt und Ludwigshafen, im Februar 2002

G. Herbert Vogel

IX

Inhaltsverzeichnis 1

Einfu¨hrung

1.1 1.2 1.3 1.4

Das Ziel industrieller Forschung und Entwicklung 3 Die Produktionsstruktur der chemischen Industrie 4 Die Aufgabe der Verfahrensentwicklung 12 Ideenfindung 12

2

Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile Katalysator 18 Katalysatorperformance 22 Selektivita¨t 22 Aktivita¨t 22 Lebensdauer 24 Mechanische Festigkeit 27 Herstellkosten 27 Charakterisierung von Katalysatoren 30 Chemische Zusammensetzung 30 Art des Tra¨germaterials 31 Promotorenzusa¨tze 31 Phasenzusammensetzung 32 Partikelgro¨ße 32 Hohlraumstruktur 33 Oberfla¨chenstruktur 33 Nebenprodukte im Feed 33 Kinetik der Heterogenkatalyse 34 Filmdiffusion 35 Porendiffusion 37 Sorption 41 Oberfla¨chenreaktionen 45 Porendiffusion und chemische Reaktion 47 Filmdiffusion und chemische Reaktion 52 Reaktor 53 Grundlagen der chemischen Reaktionstechnik 54 Ideale Reaktoren 58 Reaktoren mit realem Verhalten 62

2.1 2.1.1 2.1.1.1 2.1.1.2 2.1.1.3 2.1.1.4 2.1.1.5 2.1.2 2.1.2.1 2.1.2.2 2.1.2.3 2.1.2.4 2.1.2.5 2.1.2.6 2.1.2.7 2.1.2.8 2.1.3 2.1.3.1 2.1.3.2 2.1.3.3 2.1.3.4 2.1.3.5 2.1.3.6 2.2 2.2.1 2.2.1.1 2.2.1.2

1

15

X

Inhaltsverzeichnis

2.2.1.3 2.2.1.4 2.3 2.3.1 2.3.1.1 2.3.1.2 2.3.2 2.3.2.1 2.3.2.2 2.3.2.3 2.3.2.4 2.3.3 2.3.3.1 2.3.3.2 2.3.3.3 2.3.3.4 2.3.4 2.3.4.1 2.3.4.2 2.3.4.3 2.3.5 2.3.5.1 2.3.5.2 2.3.5.3 2.3.5.4 2.3.6 2.3.7 2.3.8 2.3.9 2.3.10 2.3.10.1 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.4 2.5 2.5.1 2.5.2 2.5.3 2.5.4 2.5.5 2.6 2.7 2.7.1

Nicht-isotherme Reaktoren 70 Ausfu¨hrungsformen von Reaktoren 76 Produktaufarbeitung (thermische- und mechanische Trennverfahren) 83 Wa¨rmeu¨bertragung, Verdampfung, Kondensation 83 Grundlagen 83 Dimensionierung 89 Destillation, Rektifikation 98 Grundlagen der Gas/Flu¨ssig-Gleichgewichte 98 Einstufige Verdampfung 103 Mehrstufige Verdampfung (Rektifikation) 106 Entwurf von Destillationsanlagen 112 Absorption und Desorption, Strippung, Tra¨gerdampfdestillation 140 Grundlagen 140 Dimensionierung 141 Desorption 146 Tra¨gerdampfdestillation 147 Extraktion 148 Grundlagen 149 Dimensionierung 150 Apparatives 158 Kristallisation 160 Grundlagen 160 Lo¨sungskristallisation 163 Schmelzkristallisation 165 Dimensionierung 168 Adsorption, Chemisorption 170 Ionentausch 171 Trocknung 172 Sonderverfahren fu¨r fluide Phasen 174 Mechanische Verfahren 174 Abtrennung von Feststoffen aus Flu¨ssigkeiten 175 Rohrleitungssystem, Pumpen, Kompressoren 178 Grundlagen der Hydrodynamik 178 Einphasenstro¨mung in Rohrleitungen 180 Flu¨ssigkeitspumpen 185 Verdichter 190 Energieversorgung 192 Dampf- und Kondensatsystem 192 Elektrische Energie 194 Ku¨hlwasser 194 Ka¨lteenergie 195 Druckluft 195 Produktversorgung und Lagerung 196 Ru¨ckstandsentsorgung 198 Abgassammelsystem und Fackel 198

XI

2.7.2 2.7.3 2.7.4 2.7.4.1 2.7.4.2 2.7.5 2.8 2.8.1 2.8.1.1 2.8.1.2 2.8.1.3 2.8.1.4 2.8.1.5 2.8.2 2.8.3 2.9 2.10 2.10.1 2.10.1.1 2.10.1.2 2.10.2 2.10.3

Verbrennungsanlagen fu¨r gasfo¨rmige und flu¨ssige Ru¨cksta¨nde 198 Spezielle Verfahren zur Abluftreinigung 200 Abwasserreinigung und -entsorgung 203 Kla¨ranlage 203 Spezielle Verfahren der Abwasserreinigung 206 Slopsystem 207 Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik 209 Messtechnik 209 Temperaturmessung 209 Druckmessung 212 Fu¨llstandsmessung 212 Durchflussmessung 213 Analysen 217 Regelungstechnik 218 Steuerungstechnik 225 Anlagensicherheit 228 Werkstoffauswahl 232 Wichtige Werkstoffe und ihre Eigenschaften 234 Mechanische Eigenschaften und thermische Besta¨ndigkeit 236 Korrosionsverhalten 238 Metallische Werkstoffe 242 Nichtmetallische Werkstoffe 243

3

Verfahrensunterlagen

3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.2 3.3 3.3.1 3.3.2 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8 3.9 3.10 3.11 3.12

Chemische Daten 247 Reaktionswa¨rme 247 Thermodynamisches Gleichgewicht 248 Kinetik 253 Selektivita¨t und Umsatz als Funktion der Prozessparameter Massenbilanz 269 Stoffdaten 271 Reinstoffdaten 272 Mischungsdaten 273 Aufarbeitung 275 Patent- und Lizenzsituation 275 Entwicklungskosten 279 Standort 280 Marktsituation 280 Rohstoffe 282 Anlagenkapazita¨t 285 Entsorgungssituation 286 Endprodukt 287

245

265

XII

Inhaltsverzeichnis

4

Ablauf einer Verfahrensentwicklung

4.1 4.2 4.2.1 4.2.1.1 4.2.1.2 4.2.1.3 4.3 4.4 4.5 4.5.1 4.5.1.1 4.5.1.2 4.5.1.3 4.5.1.4 4.5.2

Die Verfahrensentwicklung als iterativer Prozess 291 Die Aufstellung des ersten Verfahrenskonzeptes 294 Handwerkszeuge 297 Datenbanken 297 Simulationsprogramme 298 Expertensysteme 302 Die Pru¨fung der Einzelschritte 304 Mikroplant, Schnittstelle zwischen Labor und Technikum Die Pru¨fung des Gesamtverfahrens im Technikum 307 Miniplant-Technik 307 Einleitung 307 Aufbau 308 Grenzen der Miniaturisierung 310 Grenzen der Miniplanttechnik 312 Pilotanlage 312

5

5.1 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4 5.2.5 5.2.6 5.2.7 5.2.8 5.3 5.4

Planung, Errichtung und Betriebnahme einer Chemieanlage Allgemeiner Ablauf einer Projektabwicklung 317 Wichtige Teilaspekte bei der Projektabwicklung 324 Genehmigung 324 Sicherheitsstudien 327 Sto¨rfallverordnung 331 R&I-Fließbilder 332 Funktionspla¨ne 333 Technische Bla¨tter 334 Modellbau 334 Erstellung weiterer wichtiger Unterlagen 336 Commissioning 336 Inbetriebnahme 337

6

Verfahrensbewertung

6.1 6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.1.4 6.1.5 6.1.5.1 6.1.5.2 6.1.5.3 6.1.5.4 6.1.6 6.1.6.1 6.1.6.2

Erstellung von Studien 341 Kurzfassung 342 Grundfließbild 342 Verfahrensbeschreibung und Verfahrensfließbild Entsorgungsfließbild 344 Investitionsscha¨tzung 345 Einleitung 345 Investitionen (ISBL) 346 Investitionen (OSBL) 349 Infrastrukturmaßnahmen 349 Berechnung der Herstellkosten 349 Einsatzstoffkosten 350 Energiekosten 351

289

339

342

306

315

XIII

6.1.6.3 6.1.6.4 6.1.6.5 6.1.6.6 6.1.6.7 6.1.7 6.1.8 6.1.9 6.2 6.2.1 6.2.2 6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3

Entsorgungskosten 357 Personalkosten 358 Werkstattkosten 359 Sonstige Kosten 359 Kapitalabha¨ngige Kosten (Abschreibung) 359 Technologiebewertung 360 Maßnahmen zur Erho¨hung der technischen Zuverla¨ssigkeit Experimenteller Ausarbeitungsstand 368 Rentabilita¨t 368 Statische Rentabilita¨t 368 Dynamische Rentabilita¨t 370 Wirtschaftliches Risiko 371 Sensitivita¨tsanalyse 372 Amortisationszeit 372 Cash-Flow 373

7

Trends in der Verfahrensentwicklung

8

Anhang

8.1 8.2 8.3

Mathematische Formeln 383 Naturkonstanten 392 Elementzusammenstellung mit relativen Atommassen und Bindungsradien sowie Schmelz- und Siedepunkten 392 Umrechnung verschiedener Maßeinheiten in SI-Einheiten 395 Wichtige Zusammenha¨nge zwischen abgeleiteten Einheiten und Basiseinheiten 400 Umrechnung von Konzentrationsangaben bina¨rer Mischungen der gelo¨sten Komponente A im Lo¨sungsmittel B 400 Van-der-Waals-Konstanten a und b und kritische Werte fu¨r einige Gase in alphabetischer Reihenfolge 401 Wa¨rmekapazita¨ten einiger Stoffe und ihre Temperaturabha¨ngigkeit 402 Thermodynamische Daten ausgewa¨hlter organischer Verbindungen 403 Gro¨ßenordnung der Reaktionsenthalpie DRH ausgewa¨hlter technischer Reaktionen 404 Antoine-Parameter ausgewa¨hlter organischer Verbindungen 407 Eigenschaften von Wasser 409 Formeln fu¨r die Berechnung der physikalisch-chemischen Eigenschaften von flu¨ssigem Wasser zwischen 0 und 150 8C 409 Stoffwerte von Wasser 412 Dichte q / kg m 3 von Wasser bei verschiedenen Temperaturen und Dru¨cken 414 Spezifische Wa¨rmekapazita¨t cP/kJ kg 1 K 1 von Wasser bei verschiedenen Temperaturen und Dru¨cken 415 Dynamische Viskosita¨t g/10 6 kg m 1 s 1 von Wasser bei verschiedenen Temperaturen und Dru¨cken 416

8.4 8.5 8.6 8.7 8.8 8.9 8.10 8.11 8.12 8.12.1 8.12.2 8.12.3 8.12.4 8.12.5

362

375

381

1

Einfu¨hrung

Verfahrensentwicklung. G. Herbert Vogel Copyright © 2002 Wiley-VCH Verlag GmbH ISBN: 978-3-527-28721-5

1.1 Das Ziel industrieller Forschung und Entwicklung

1.1

Das Ziel industrieller Forschung und Entwicklung In der chemischen Industrie (Abb. 1-1) werden ca. 7 % des Umsatzes fu¨r Forschung und Entwicklung ausgegeben [Jahrbuch 1991, VCI 2000, VCI 2001] (Tab. 1-1 und Anhang 8.16). Dieser Betrag liegt in der Gro¨ßenordnung des Unternehmensgewinnes oder der Kapitalinvestitionen. Die Aufgabe des Forschungsmanagements ist es, diese Mittel zur Schaffung von Wettbewerbsvorteilen einzusetzen [Meyer-Galow 2000]. Denn der Markt hat sich vera¨ndert, von einem nationalen Verka¨ufermarkt nach dem zweiten Weltkrieg (Nachfrage > Angebot) zu einem Weltmarkt mit immer gro¨ßer werdenden Konkurrenzdruck. Dies ist nicht ohne Auswirkung auf die Struktur der großen Chemiefirmen geblieben: aus integrierten, breit diversifizierten Konzernen (z. B. Hoechst, ICI, Rhone-Poulenc) sind in den 90er Jahren Spezialisten fu¨r BulkChemikalien (Dow/UCC, Celanese, Elenac/Montell), Fein- und Spezial-Chemikalien (Clariant, Ciba SC) sowie Wirkstoffformulierungen (Pharma, Agro wie Aventis, Norvatis) geworden [Felcht 2000, Perlitz 2000]. Da chemische Verkaufsprodukte im Gegensatz zu Konsumgu¨tern (z. B. Automobile oder Artikel der Modebranche) u¨berwiegend „emotionslose Produkte“ sind (Beispiele: Polyethylen, Salzsa¨ure), gelten fu¨r den professionellen Chemiekunden in erster Linie nur die Kaufanreize: Nutzen und Preis. Alle Forschungsaktivita¨ten eines Industrieunternehmens mu¨ssen sich daher in letzter Konsequenz auf drei Basisfaktoren von Wettbewerbsvorteilen reduzieren, na¨mlich das Billiger und/oder das Besser und/oder das Schneller als der Wettbewerber. Die UND-Kombination bietet die gro¨ßten Wettbewerbsvorteile und wird daher auch als Weltmeisterstrategie bezeichnet.

Abb. 1-1

Marktkapitalisierung großer Chemiekonzerne [Meyer-Galow 2000].

3

4

1 Einfu¨hrung Tab. 1-1

Wachstumskennzahlen der deutschen Chemischen Industrie [VCI 2001].

Umsatz (Mrd. EURO) Besch€aftigte in Tausend

1990

1995

1996

1997

1998

1999

2000

83,5

92,1

89,5

96,6

95,8

97,1

108,6

592

536

518

501

485

478

470

Investitionen in Sachanlagen (Mrd. EURO)

6,5

5,8

6,4

6,4

6,9

6,9

7,2

F&E-Aufwendungen (Mrd. EURO)

5,4

5,3

5,8

6,1

7,0

7,3

7,9

Tab. 1-2

Grobstruktur der Herstellkosten.

Stoffkosten Energiekosten

variable Kosten (Produktionsabh€angig)

Entsorgungskosten Personalkosten Werkstattkosten fixe Kosten (Produktionsunabh€angig) Abschreibung sonstige Kosten R Herstellkosten

Ha¨ufiger wird man sich mit der ODER-Kombination schon zufrieden geben mu¨ssen. Das qualitative Billiger kann durch eine Herstellkostenanalyse quantifiziert werden. Dazu genu¨gt es zuna¨chst, sich die Grobstruktur der Herstellkosten anzuschauen. Jede Position in Tab. 1-2 kann so fu¨r sich analysiert und das Gesamtsystem optimiert werden. Der Wettbewerbsvorteil Besser bezieht sich heute nicht nur auf die Faktoren Verfu¨gbarkeit und Produktqualita¨t, sondern auch auf die Umweltvertra¨glichkeit des Verfahrens [Ga¨rtner 2000], das Qualita¨tssicherungskonzept, Lieferzeit, Exklusivita¨t [Krekel 1992] usw.

1.2

Die Produktionsstruktur der chemischen Industrie Wenn man die Produktionsstruktur der chemischen Industrie betrachtet [Petrochemie 1990, BASF 1999, Petzny 1999], so stellt man fest, dass es nur einige hundert große Grund- und Zwischenprodukte gibt, die im Maßstab von mindestens einigen tausend bis zu mehreren Millionen Jahrestonnen weltweit hergestellt werden. Diese relativ kleine Gruppe von Schlu¨sselprodukten, die wiederum nur aus ca. 10 Rohstof-

1.2 Die Produktionsstruktur der chemischen Industrie

Abb. 1-2 Produktionsstammbaum der chemischen Industrie. Ausgehend von wenigen Rohstoffen gelangt €ber die Grund- und Zwischenprodukte zu den Feinchemikalien, Veredlungs- und Verbraucherprodukman u ten sowie Spezialchemikalien und Wirkstoffen [Quadbeck 1990, Jentzsch 1990, Chemie Manager 1998, Raichle 2001].

fen hergestellt werden, bilden den stabilen Sockel, auf dem sich die weitverzweigte Veredlungschemie (Farbstoffe, Pharmaka usw.) mit ihren vielen tausend, oft nur kurzlebigen Endprodukten aufbaut [Amecke 1987]. Es entstanden die bekannten Stammba¨ume (Abb. 1-2), die wir auch als Synonym fu¨r einen intelligenten Produktionsverbund mit oft erfolgsentscheidenden Synergien verstehen mu¨ssen. Ein besonderes Kennzeichen der Grund- und Zwischenprodukte ist ihre Langlebigkeit [Raichle 2001]. Sie sind durch die große Zahl ihrer Folgeprodukte und die Vielfalt ihrer Verwendungsmo¨glichkeiten statistisch so gut abgesichert, dass sie vom sta¨ndigen Wandel in den Verkaufspaletten kaum beru¨hrt werden. Anders als viele Endprodukte, die im Laufe der Zeit durch bessere abgelo¨st werden, haben jene selbst keinen Lebenszyklus. Der Wandel erfasst bei ihnen jedoch die Verfahren zu ihrer Herstellung. Er wird einerseits durch neue technische Mo¨glichkeiten und Fortschritte seitens der

5

6

1 Einfu¨hrung

Abb. 1-3 Die Rohstoffbasis der chemischen Industrie im Wandel der Zeit [Graeser 1995, Petzny 1997, Plotkin 1999, Van Heek 1999].

Forschung initiiert, andererseits aber auch von der jeweils herrschenden Rohstoffsituation diktiert (Abb. 1-3, Tab. 1-3). Langfristig wird es in 40 bis 50 Jahren zu einer Erdo¨lverknappung kommen, was einen versta¨rkten Einsatz von Erdgas zur Folge haben wird. Als langfristigster fossiler Energietra¨ger mit mehr als 500 Jahren Reichweite ist sicher die Kohle anzusehen. Ob die Erdgasvorra¨te in Form von Methanhydrat – hier ist mehr Kohlenstoff gespeichert als in den u¨brigen fossilen Rohstoffen – erschließbar sind, kann heute noch nicht

Tab. 1-3

Weltproduktionszahlen in Mio. jato der wichtigsten Energie- und Rohstoffquellen [Hopp 2000]. Jahr 1994

Jahr 1997

Fossile Rohstoffe Steinkohle

3568

3834

ol Erd€

3200

3475

Braunkohle

950

914

2162*)

2300*)

1946

1983

275

295

57

55

Fleisch

199

221

Zucker

111

Erdgas [Mrd. Nm3] Nachwachsende Rohstoffe Getreide mit Mais Kartoffeln H€ ulsenfr€ uchte

Fette (tierische und pflanzliche)

/

124 ca. 100

€ l€aquivalente = 29,3 106 kJ *) 1 t SKE (Steinkohleeinheiten) = 882 Nm3 Erdgas = 0,7 t O

1.2 Die Produktionsstruktur der chemischen Industrie

beantwortet werden, da diese in geographisch ungu¨nstigen Lagen (Permafrostgebiete, Kontinentalha¨nge der Ozeane, Tiefsee) liegen. Bei den Grund- und Zwischenprodukten hat nicht das chemische Individuum, sondern das Herstellverfahren bzw. die Technologie ihre Lebenskurve. Abb. 1-4 stellt bei-

Abb. 1-4 Lebenszyklus der a) Acryls€aureproduktionsverfahren: . . . . . . . . . . . . Cyanhydrin- und Propiolacton-Prozess – – – – – – Reppe-Prozess __________ Heterogenkatalysierte Propylenoxidation (2000: 3,456 Mio.t; 2003: 4,8 Mio.t (gesch€atzt) [Vogel 2001]) – . – . – . – . – neue Prozesse? b) Ethylenoxidproduktionsverfahren.

7

8

1 Einfu¨hrung

spielhaft die Lebenszyklen der Acrylsa¨ure- und Ethylenoxidverfahren dar [Jentzsch 1990, Ozero 1984]. Um hier im Wettbewerb bestehen zu ko¨nnen, muss der Produzent die Kostenfu¨hrerschaft bei seinen Verfahren besitzen. Strategische Erfolgsfaktoren sind daher [Felcht 2000]: * * * *

eine ausgefeilte Prozesstechnologie die Nutzung der economy of scale durch word-scale-Anlagen die Nutzung einer flexiblen Verbundstruktur am Produktionsstandort die professionelle Abwicklung der Logistik großer Produktstro¨me.

Die Anforderungen an die Verfahrensentwicklung fu¨r die Feinchemikalien unterscheidet sich deutlich von denen an die Grund- und Zwischenprodukte (Abb. 1-5 und Abb. 1-6). Neben den schon diskutierten Randbedingungen Besser und/oder Billiger kommen hier hinzu Time to Market (¼ Produktion des Produktes zur richtigen Zeit fu¨r eine begrenzte Periode) und fokussierter F&E-Aufwand. Nur eine kleine Anzahl von Feinchemikalien wie Vanillin, Menthol, Ibuprofen u. a., erreichen bzgl. Produktionsho¨he und Lebensdauer die Bulkchemikalien. Weitere strategische Erfolgsfaktoren bei diesem Gescha¨ft sind [Felcht 2000]: * *

* * *

strategische Entwicklungspartnerschaften mit wichtigen Kunden. das Potenzial, komplizierte mehrstufige organische Synthesen entwickeln zu ko¨nnen. ein breites Technologieportfolio bei den entscheidenden Synthesemethoden. zertifizierte Technikums- und Produktionsanlagen. Renommee und Image als kompetenter und zuverla¨ssiger Lieferant.

Spezialchemikalien sind komplexe Mischungen, deren Wertscho¨pfung in der synergistischen Wirkung der Inhaltsstoffe beruht. Die Anwendungstechnik ist hier entschei-

Abb. 1-5 Gr€ oßenordnung der Produktpreise als Funktion der Produktionsh€ ohe f€ ur die Grund- und Zwischenprodukte sowie f€ ur die Feinchemikalien [Metivier 2000].

1.2 Die Produktionsstruktur der chemischen Industrie

Abb. 1-6 Vergleich zwischen Bulk- und Feinchemikalien bzgl. Verkaufserl€ os und Entwicklungszeit des zugrundliegenden Produktionsverfahrens [Metivier 2000].

dend fu¨r den Verkaufserfolg. Der Hersteller kann nicht mehr alle Inhaltsstoffe selbst produzieren, was zu gewissen Abha¨ngigkeiten fu¨hrt. Strategische Erfolgsfaktoren fu¨r den Hersteller sind [Felcht 2000, Willers 2000]: * * * *

gute Marktkenntnisse u¨ber die Bedu¨rfnisse der Kunden eine Vielzahl von magic ingredients im Portfolio gutes technologisches Versta¨ndnis der Kundensysteme Technologiebreite und Flexibilita¨t.

Wirkstoffe wie Pharma- und Agroprodukte lassen sich nur wa¨hrend der Patentlaufzeit wirtschaftlich vermarkten, bevor Generikaanbieter auf den Markt dra¨ngen. Die Wirkstoffhersteller mu¨ssen sich daher sowohl auf die teure Forschung konzentrieren als auch sofort nach dem Ende der Wirksamkeitsstudien und der Zulassung mit dem weltweiten Vertrieb beginnen, um in der Patentrestlaufzeit keine Zeit fu¨r die Markterschließung zu verlieren. Dagegen tritt die eigentliche chemische Produktion der Wirkstoffe in den Hintergrund. Beno¨tigte Vorprodukte ko¨nnen von Zulieferern gekauft und die Produktion des Wirkstoffes nach außen vergeben werden. Erfolgsfaktoren fu¨r die Wirkstoffhersteller sind [Felcht 2000]: *

*

* *

Erforschung der biomolekularen Krankheitsursachen und Targetsuche fu¨r pharmakologische Effekte. effiziente Wirkstoffentwicklung (High Throughput Screening, Leitstrukturfindung und -optimierung, klinische Entwicklung) Patentschutz leistungsfa¨hige Vertriebsorganisation.

Unternehmen, die bereits u¨ber Wettbewerbsvorteile verfu¨gen, mu¨ssen in ihrer Forschungs- und Entwicklungsstrategie die Technologie-S-Kurve [Marchetti 1982, Marquardt 1999] beru¨cksichtigen (Abb. 1-7). Aus ihr wird ersichtlich, dass mit zunehmen-

9

10

1 Einfu¨hrung

€ bergang von der BasistechnoAbb. 1-7 Die Technologie-S-Kurve [Specht 1988, Blumenberg 1994]. Beim U logie (____) zu einer neuen Schrittmachertechnologie (– – –) steigt die Produktivit€at der Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen erheblich an.

dem Forschungs- und Entwicklungsaufwand fu¨r eine bestimmte Technologie die Produktivita¨t dieser Aufwendungen im Zeitablauf abnimmt [Krubasik 1984]. Na¨hern sich Unternehmen der Grenze der Mo¨glichkeiten einer bestimmten Technologie, so beanspruchen sie u¨berproportional hohe Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen, mit dem Ergebnis, dass der Beitrag dieser Anstrengungen fu¨r die Forschungsziele Billiger und/oder Besser immer marginaler und dem Imitator immer die Mo¨glichkeit geben wird, den technischen Vorsprung einzuholen. Hingegen hat es ein Neuling schwer, in einen etablierten Markt einzudringen. Aber wie japanische und koreanische Firmen in der Vergangenheit zeigten, ist dies nicht unmo¨glich. Die Abb. 1-8 zeigt die sog. Lernkurve fu¨r einen bestimmten Produktionsprozess. Aufgetragen sind – in doppellogarithmischer Darstellung (Potenzgesetz y ¼ x n ) – die Herstellkosten als Funktion der akkumulierten Produktionsmenge, die als Maß fu¨r die Prozesserfahrung aufgefasst werden kann.

Abb. 1-8 Lernkurve: Herstellkosten (HK) als Funktion der akkumulierten Produktion, die als Maß f€ ur die Prozesserfahrung aufgefasst werden kann, in doppellogarithmischer Darstellung [Semel 1997]: ^ inl€andindischer Produzent, & ausl€andischer Konkurrent (Erl€auterungen s. Text).

1.2 Die Produktionsstruktur der chemischen Industrie

Mit steigender Erfahrung sinken die Herstellkosten fu¨r ein bestimmtes Produkt. Wenn aber z. B. ein ausla¨ndischer Konkurrent aufgrund von besseren Standortbedingungen sein Produkt in einer Neuanlage mit deutlich niedrigeren Anfangskosten herstellen kann, hat er nach ca. 100 000 Tonnen Produktionserfahrung (Abb. 1-8) den inla¨ndischen Wettbewerber, der schon 10 Mio. Tonnen produziert hat, eingeholt und kann danach billiger produzieren. Spa¨testens wenn ein Unternehmen im oberen Bereich der Produkt- oder Techno¨ berlogie-S-Kurve angelangt ist, stellt sich die Frage, ob durch Innovation nicht ein U gang von der Standardtechnologie zu einer neuen Schrittmachertechnologie notwendig ist, um sich einen ausreichend großen Wettbewerbsvorteil zu erarbeiten [Perlitz 1985, Bo¨rnecke 2000]. Abb. 1-7 gibt schematisch diesen Umstieg auf eine neue Schlu¨ssel¨ bergang von einer Basistechnotechnologie wieder. Aus ihr wird deutlich, wie im U logie zu einer neuen Schrittmachertechnologie die Produktivita¨t im Forschungs- und Entwicklungsbereich steigt und sich auf diese Weise beachtliche Wettbewerbsvorteile erzielen lassen [Miller 1997, Wagemann 1997]. Die Technologiepotenziale der alten Technologie sind nur noch gering fu¨r eine Weiterentwicklung eines Besser und/oder Billiger, wa¨hrend bei der neuen Technologie betra¨chtliche Potenziale fu¨r Wettbewerbsvorteile geschaffen werden. Gerade fu¨r hochentwickelte La¨nder wie Deutschland, Japan u. a., die arm sind an natu¨rlichen Rohstoffen, basiert der Wohlstand im wesentlichen auf dieser Innovationsta¨tigkeit, denn Forschung bedeutet eine Investition in die Zukunft mit kalkulierbaren Risiken [Mittelstraß 1994], wa¨hrend Kapitalinvestitionen Investitionen in die Gegenwart auf Basis existierender Technologien sind. Um abscha¨tzen zu ko¨nnen, ob eine Forschungs- und Entwicklungsstrategie des Besser und/oder Billiger bei einem gegebenen Produkt oder einem Herstellverfahren noch la¨ngerfristig tragbar ist, muss das F&E-Management ein Fru¨hwarnsystem entwickeln [Collin 1986, Jahrbuch 1991, Steinbach 1999, Fild 2001]. Dieses soll den optimalen Zeitpunkt bestimmen, wann ein Unternehmen in ein neues Produkt oder eine neue Technologie umsteigen soll [Porter 1980, Porter 1985]. Entscheidend ist dabei, mo¨glichst viele aktuelle Informationen u¨ber die Aktivita¨ten der Konkurrenz zur Verfu¨gung zu stellen. Zur Informationsbeschaffung eignen sich nicht nur die Patentliteratur [Narin 1993], sondern auch externe Vortra¨ge, Tagungen, Firmenschriften und vor allem der Einblick in Offenlegungsunterlagen von Konkurrenzfirmen bei Beho¨rden (Kap. 3.5). Da industrielle Forschung sehr teuer ist, braucht man Instrumente mit denen man das Forschungsbudget gezielt steuern kann [Christ 2000, Bo¨rnecke 2000, Kraus 2001], z. B. durch eine: *

*

Kosten/Nutzen-Analyse fu¨r bestimmte Produktbereiche, wobei der Nutzen vom entsprechenden nutzenden Gescha¨ftsbereich festgelegt bzw. ermittelt wird. Nachteilig ist hier, dass u¨ber die zuku¨nftige Entwicklung nur Vermutungen angestellt werden ko¨nnen. Portfolioanalyse (Kap. 3.8), um die Fragen zu beantworten: ! Wo stehen wir jetzt? ! Wo wollen wir in 5 oder 10 Jahren stehen? ! Was mu¨ssen wir jetzt dafu¨r tun?

11

12

1 Einfu¨hrung *

ABC-Analyse, dient zur Steuerung des F&E-Ressourceneinsatzes. Sie beruht auf der Faustregel, dass: ! 20 % aller Produkte 80 % des Umsatzes erwirtschaften oder ! 20 % aller Neuentwicklungen 80 % der Entwicklungskosten verursachen. Es ist daher wichtig zu erkennen, welches diese 20 % sind, um die Priorita¨ten richtig zu setzen (A ¼ wichtig, ertragreich, gro¨ßte Erfolgsaussicht / B ¼ geringe Wertscho¨pfung / C ¼ weniger wichtige Aufgaben mit geringer Wertscho¨pfung).

Wie eine Chemiefirma ihre Forschung organisiert ist unterschiedlich und ha¨ngt vor allem von dem Produktportfolio ab [Haarer 1999, Eidt 1997]. Meist wird es eine Mischung zwischen den beiden Extremen, der reinen Zentralforschung auf der einen Seite und der dezentralen Forschung (Forschung allein in den Gescha¨ftsbereichen) auf der anderen Seite sein [Ha¨nny 1984].

1.3

Die Aufgabe der Verfahrensentwicklung ¨ bertragung von einer im Labor reproDie Aufgabe der Verfahrensentwicklung ist die U duzierbar durchfu¨hrbaren chemischen Reaktion in technische Dimensionen unter Beachtung der wirtschaftlichen, sicherheitstechnischen, o¨kologischen und juristischen Rahmenbedingungen [Harnisch 1984, Semel 1997, Kussi 2000]. Die Laborapparatur steht am Anfang, die Produktionsanlage am Abschluss der Entwicklungsarbeit; dazwischen liegt die Aufgabe der Verfahrensentwicklung. Die Ausfu¨hrungen in diesem Buch sollen zeigen, wie diese Aufgabe im allgemeinen gelo¨st wird. Die Reihenfolge der geschilderten Bearbeitungsschritte ist zwar typisch, sie ist aber keinesfalls zwingend. Hier kann nur das Grundgeru¨st angedeutet werden.

1.4

Ideenfindung In der Literatur sind eine Unzahl von Methoden zur kreativen Ideenfindung [Schlicksupp 1977, Bo¨rnecke 2000] zu finden (Tab. 1-4). Bei der ta¨glichen Routinearbeit fehlt es an der notwendigen Zeit, sich um wichtige Dinge wie die Ideenfindung fu¨r neue Verfahren und Produkte zu ku¨mmern, man ist mit den dringenden Arbeiten vollauf bescha¨ftigt. Daher sollte man sich bei der Jahresplanung im voraus Termine z. B. fu¨r: *

* * *

den Besuch von Tagungen, die thematisch nicht nur in das eigene Spezialgebiet fallen den Besuch von Forschungseinrichtungen (Institute, Universita¨ten u. a.) die Exkursion zu Firmen regelma¨ßige Diskussionen mit Planern und Vertriebsleuten

1.4 Ideenfindung Tab. 1-4

Methoden zur kreativen Ideenfindung [Schlicksupp 1977, B€ ornecke 2000, Kraus 2001].

Methodengruppe

Verfahrensmerkmale

Wichtige Repr€asentanten

Brainstorming und seine Abwandlungen

Ungehemmte Diskussion, in der keine Kritik ge€ ubt werden darf; phantastische Einf€alle und spontane Assoziationen sollen ge€außert werden

*

Brainwriting-Methoden

Spontanes Niederschreiben von Ideen auf Formularen oder Zetteln; Umlauf von Formularen

*

Befolgung bestimmter Prinzipien bei der L€osungssuche

*

Methoden der sch€opfepferischen Orientierung

*

* *

*

Stimulierung der L€osungsfindung durch Methoden der sch€opfepferischen Konfrontation Auseinandersetzung (Konfrontation) mit Bedeutungs-Inhalten, die scheinbar nicht mit dem Problem zusammenh€angen

*

Methoden der systematischen Strukturierung

Aufteilung des Problems in Teilkomplexe; L€osung der Teilprobleme und Zusammenf€ ugen zu einer Gesamtosungsl€osung; Systematisierung von L€ sungsm€oglichkeiten

*

Aufdeckung der Kernfragen eines Problems oder Problembereichs durch systematisches und hierarchischstrukturierendes Vorgehen

*

Methoden der systematischen Problemspezifizierung

* *

* * *

* * *

Brainstorming Diskussion 66

Merkmale 635 Brainwriting-Pool Ideen-Delphi heuristische Prinzipien Bionik Synektik BBB-Methode Semantische Intuition Morphologischer Kasten Morphologisches Taublau Sequentielle Morphologie Probleml€ osungsbaum Progressive Abstraktion K-J-Methode Hypothesen-Matrix Relevanzbaum

festlegen und bei diesen Veranstaltungen durch intensive Gespra¨che Ideen fu¨r die eigene Arbeit sammeln und spa¨ter bewerten. Auch kann man durch regelma¨ßiges Schmo¨kern (browsen) in fachfremder Literatur Anregungen finden.

13

2

Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Verfahrensentwicklung. G. Herbert Vogel Copyright © 2002 Wiley-VCH Verlag GmbH ISBN: 978-3-527-28721-5

17

Abb. 2-1 Prinzipieller Aufbau einer Chemieanlage. Um die eigentliche Produktionsanlage mit der Eduktvorbereitung, dem Reaktor und der Aufarbeitung des Reaktionsaustrages ranken sich eine Reihe weiterer Hilfseinrichtungen, ohne die ein Betrieb nicht m€ oglich ist.

Die Gesamtanlage ist, a¨hnlich wie ein Lebewesen, mehr als die Summe der einzelnen Bestandteile (hier Units genannt, dort Organe geheißen) [GVC VDI 1997]. Eine gut funktionierende Chemieanlage erfordert das harmonische Zusammenspiel aller Anlagenteile [Sapre 1995]. In Abb. 2-1 sind die wichtigsten Bestandteile einer Chemieanlage wiedergegeben. Da heute mehr als 85 % aller technisch durchgefu¨hrten Synthesen einen Katalysator beno¨tigen [Romanow 1999], kann man sagen, dass der Katalysator der eigentliche Kern der Anlage ist [Misono 1999]. Die Entwicklung der chemischen Industrie wird im u¨berwiegenden Maße durch die Entwicklung und Einfu¨hrung neuer katalytischer Verfahren bestimmt. Im Jahre 1995 lag der Handelswert aller Katalysatoren weltweit bei ca. 8,6 Milliarden US-$ (Polymerisation 36 %, Chemikalienherstellung 26 %, Mineralo¨lverarbeitung 22 %, Emissionsbegrenzung 16 %) [Quadbeck 1997, Felcht 2001, Senkan 2001]. Die chemische Reaktion, die sich am aktiven Zentrum des Katalysators abspielt, bestimmt das Design des Reaktors, der sich darum aufbaut [Bartholomew 1994]. Der Reaktor wiederum bestimmt die Eduktvorbereitung (Zerkleinern, Lo¨sen, Mischen, Filtrieren, Sieben u. a.) und die Produktaufarbeitung (Rektifikation, Extraktion, Kristallisation, Filtration, Trocknung u. a.). Aus deren Struktur folgt wiederum die beno¨tigte Infrastruktur, wie Entsorgung, Tanklager, Energieanschlu¨sse, Sicherheitseinrichtungen usw. Planungsfehler aufgrund falscher Vorgaben wirken sich aufgrund der in Abb. 2-2 angedeuteten Pyramidenstruktur unterschiedlich stark aus. Verha¨lt sich der Katalysator im Betrieb nur geringfu¨gig anders als in der F&E-Vorgabe (z. B. Aktivita¨t, Selektivita¨t, Lebensdauer, mechanische Festigkeit), so hat das

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2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Abb. 2-2 Pyramidenstruktur der Verfahrensentwicklung. Ohne die Basis eines funktionierenden Katalysators ergibt die weitere Verfahrensentwicklung keinen Sinn [Sapre 1995].

dramatische Auswirkungen auf die Gesamtanlage, bis hin zum Verschrotten. Werden Auslegefehler in der „Pyramide“ (Abb. 2-2) weiter oben gemacht, so ko¨nnen diese meist durch eine Nachru¨stung von Apparaten behoben werden. Eine integrierte Verfahrensentwicklung, wie in Kap. 4 beschrieben, ist erst sinnvoll, wenn die Performance des Katalysator im wesentlichen festliegt. Aufgrund der geschilderten Bedeutung der Katalyse fu¨r die Verfahrensentwicklung muss der Verfahrensingenieur u¨ber genu¨gende Sachkenntnisse auf diesem Gebiet verfu¨gen, um den Stand der Katalysatorentwicklung sicher beurteilen zu ko¨nnen [Bisio 1997, Armor 1996]. Daher sollen im folgenden Kapitel die wichtigsten Grundlagen der Katalyse [Ertl 1997] na¨her beleuchtet werden.

2.1

Katalysator Ein Katalysator muss eine chemische Reaktion nicht nur beschleunigen (Aktivita¨t), sondern auch die Richtung zum gewu¨nschten Produkt weisen (Selektivita¨t). Johann W. Do¨bereiner (1780 – 1849) war es, der als erster die katalytische Wirkung des Edelmetalls Platin auf ein Wasserstoff/Sauerstoff-Gemisch entdeckte und wirtschaftlich nutzte (Do¨bereiner-Feuerzeug), ohne den Begriff der Katalyse zu kennen. Er sprach von „Beru¨hrungswirkung“ oder auch „Kontaktprozessen“. Erst 10 Jahre spa¨ter war es Jakob J. Berzelius (1779 – 1848), der als erster den Begriff „Katalyse“ pra¨gte und erkla¨rte [Schwenk 2000]: „Die katalytische Kraft scheint eigentlich darin zu bestehen, daß bestimmte Ko¨rper durch ihre bloße Gegenwart die bei dieser Temperatur sonst nur schlummernden Verwandtschaften zu wecken vermo¨gen…“. „Wir bekommen… begru¨ndeten Anlaß, zu vermuten, daß in den lebenden Pflanzen und Tieren Tausende von katalytischen Prozessen zwischen den Geweben und den Flu¨ssigkeiten vor sich gehen.“ Nach der noch heute gu¨ltigen Definition von Wilhelm Ostwald (1853 – 1932) ist ein Katalysator jeder Stoff, der, ohne im Endprodukt einer chemischen Reaktion zu erscheinen, ihre Geschwindigkeit vera¨ndert [Ertl 1994, Fehlings 1999]. Dabei ist nicht gesagt, dass sich der Katalysator nicht irgendwie vera¨ndert. Mit der normalerweise

2.1 Katalysator

Abb. 2.1-1 Prinzip der Katalyse am Beispiel einer Umlagerung des Eduktes A in ein Produkt P mit Hilfe einer katalytisch aktiven Spezies K: AþK!A K A K!P K P K ! P þ K. DR H ist die Reaktionsenthalpie der Umsetzung und Ea die Aktivierungsenergie des unkatalysierten Prozesses.

erwu¨nschten Erho¨hung der Geschwindigkeit ist eine Erniedrigung der Aktivierungsenergie des geschwindigkeitsbestimmenden Schrittes verbunden (Abb. 2.1-1). Die Katalyse (urspru¨ngliche Bedeutung des Wortes „Katalyse“ jasakmriR (griechisch „katalyein“) ¼ losbinden, auflo¨sen) la¨sst sich in Teilgebiete wie die Homogen-, Heterogen-, Bio-, Foto- und Elektrokatalyse einteilen (Abb. 2.1-2 und Tab. 2.1-1). Bei der Homogenkatalyse liegt der Katalysator in einer fluiden Phase gelo¨st vor (z. B. ¨ bergangsmetallkomplexe). Ein Beispiel aus der chemischen InSa¨uren, Basen oder U dustrie ist die Hydroformylierungsreaktion, bei der Olefine an Cobalt- oder RhodiumCarbonylkomplexen mit Synthesegas (CO/H2-Mischung) zu Aldehyden umgesetzt werden [Weissermel 1994]. Die ersten praktischen Anwendungen der Homogenkatalyse reichen bis in das 8. Jhd. zuru¨ck. Zu dieser Zeit wurden Mineralsa¨uren als Katalysatoren verwendet, um Ether durch Dehydratisierung von Ethanol herzustellen [Thomas 1994]. Bei der Heterogenkatalyse liegt der Katalysator in fester Form vor, die Reaktion la¨uft an der Phasengrenzfla¨che Fluid/Festko¨rper ab. Das beru¨hmte Do¨bereiner-Feuerzeug [Thomas 1994] war das erste Beispiel fu¨r die kommerzielle Nutzung der heterogenen Katalyse. Heute versucht man in der Forschung die Vorteile der beiden Typen zum Beispiel dadurch zu vereinigen, dass man die homogenen Katalysatorkomplexe auf einem festen Tra¨germaterial zu fixieren versucht (Katalysator-Immobilisierung).

19

20

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Abb. 2.1-2 katalyse.

Klassifizierung der Katalyse in die drei wichtigsten Teilgebiete Heterogen-, Homogen- und Bio-

Von den in der Natur vorkommenden ca. 7000 Enzymen sind derzeit mehr als 3000 bekannt, die eine enorme Vielzahl an verschiedenen chemischen Reaktionen katalysieren. Von diesem durch die Natur zur Verfu¨gung gestellten nahezu unerscho¨pflichen Potenzial werden derzeit nur rund 75 Enzyme industriell genutzt. Der Weltmarkt fu¨r industrielle Enzyme wird auf rund eine Milliarde US-$ gescha¨tzt. Einem breiten Einsatz dieser Biokatalysatoren in chemischen Synthesen stehen jedoch ha¨ufig inha¨rente Nachteile entgegen: so ist eine hohe katalytische Aktivita¨t konventioneller Enzym ein der Regel nur innerhalb enger Temperatur- und pH-Wert-Grenzen und in wa¨ssrigen Medien gegeben, weshalb eine wirtschaftliche Nutzung, erschwert durch große Reaktorvolumina, oft nicht aussichtsreich ist.

2.1 Katalysator Tab. 2.1-1 Vor- und Nachteile der homogenen und der heterogenen Katalyse [Cavani 1997] (Ausnahmen best€atigen die Regel). Homogenkatalyse Vorteile

* * *

Nachteile

* * * * * *

Heterogenkatalyse

keine Stofftransporthemmung hohe Selektivit€at milde Reaktionsbedingungen (50…200 8C)

*

geringe Best€andigkeit der Katalysatorkomplexe Katalysatorabtrennung Korrosionsprobleme toxische Abw€asser nach Katalysatorrecycling Produktkontamination mit dem Katalysator Hohe Kosten bei Katalysatorverlusten (Edelmetallkomplexe)

*

*

*

* *

*

keine Katalysatorabtrennung hohe Temperaturbest€andigkeit geringere Selektivit€at Temperaturbeherrschung bei stark exothermen Reaktionen Stofftransportlimitierung hohe mechanische Stabilit€at erforderlich strenge Reaktionsbedingungen (> 250 8C)

Die Katalyse za¨hlt zu den Schlu¨ssel- bzw. Zukunftstechnologien [Felcht 2000, S. 97], gleichberechtigt z. B. mit Mikrosystem-, Bio- und Informationstechnologie [Martino 2000], wo Fortschritte unmittelbar eine große Innovationskette auslo¨sen [Pasquon ¨ ffentlichkeit nicht als so spekta1994, VCI 1995]1. Oft wird diese Tatsache von der O kula¨r empfunden. In der Vergangenheit sind viele Forschungsansa¨tze aufgestellt worden [Schlo¨gl 1998]. Die heutige Vorgehensweise unterscheidet sich bei der Entwicklung neuere Katalysatoren deutlich von der, die zu Zeiten von Carl Bosch (1874 – 1949), Alwin Mitasch (1869 – 1953) oder Matthias Pier (1882 – 1965) angewendet wurde. ¨ blich war fru¨her das sogenannte „Massenscreening“, d. h. der Test einer Unzahl U von Festko¨rper-Pra¨paraten mit einer noch viel gro¨ßeren Zahl von Laborexperimenten. So wurden wa¨hrend der Entwicklungsphase der Ammoniak-Synthese aus Luftstickstoff und Wasserstoff 3000 verschieden hergestellte und dotierte Eisenoxide in ca. 20 000 Experimenten getestet, um den optimalen Katalysator herauszufinden. Der Prozess ist unter dem Namen Haber-Bosch-Verfahren beru¨hmt geworden. Im Jahre 1910 lief die Produktion im Werk Oppau mit einer Tagesleistung von 30 Tonnen Ammoniak an, eine Sternstunde der heterogenen Katalyse und der Ingenieurkunst. Die heutige Vorgehensweise ist durch drei Schlagworte gepra¨gt: „interdisziplina¨re Zusammenarbeit“ und „rational catalyst design“. Im Laufe der Jahrzehnte hat sich die Katalyse-Forschung in Teildisziplinen aufgegliedert, und jede hat sich ihr eigenes Methodenarsenal geschaffen. Damit besteht die heutige Katalyseforschung aus vier Hauptsa¨ulen, na¨mlich der Festko¨rperchemie, der Chemischen Reaktionstechnik, der mikroskopischen Modellierung und der Oberfla¨chenwissenschaft. Aufgrund des interdisziplina¨ren Wissensaustausches zwischen diesen Hauptsa¨ulen ist es nun mo¨glich, in kurzer Zeit sehr viele Puzzleteile zu einem Gesamtbild zusammenzufu¨gen, um so dem Versta¨ndnis der Katalyse einen Schritt na¨her zu kommen. In einem iterativen Prozess fu¨hren die Forschungsergebnisse der einzelnen Arbeitsgruppen zu einem Vorschlag fu¨r eine Katalysator-Modifizierung, der auf das Versta¨ndnis der physikalisch-chemischen Vorga¨nge gegru¨ndet ist. Wird dieser Zyklus

21

22

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

so lange durchlaufen, bis der Katalysator verbessert und der Katalysemechanismus verstanden ist, so spricht man vom „rational catalyst design“. Auch die kombinatorische Chemie mit dem Werkzeug des „High Throughput Screenings“ wird heute zur Katalysatorentwicklung eingesetzt [Maier 1999, Maier 2000]. Mit Hilfe von weitgehend automatisierten Laborapparaturen ist es mo¨glich eine integrierte Pra¨paration und Bewertung von vielen Tausend Katalysatoren pro Jahr fu¨r eine bestimmte Reaktion durchzufu¨hren [Senkan 1998, Senkan 1999, Senkan 2001].

2.1.1

Katalysatorperformance

Fu¨r den Verfahrensentwickler ist prima¨r die Kenntnis des folgenden Katalysatoreigenschaftsvektors (Katalysatorperformance) wichtig: * * * * *

Selektivita¨t Aktivita¨t Lebensdauer mechanische Festigkeit (bei Heterogenkatalysatoren) Herstellkosten des Katalysators.

Die einzelnen Begriffe werden im Folgenden erla¨utert: 2.1.1.1

Selektivita¨t

Die Selektivita¨t (Definition s. Kap. 3.1.4) beeinflusst alle Positionen in der Herstellkostentabelle 1-1, vor allem aber die Einsatzstoff- und Entsorgungskosten. Ohne eine Selektivita¨tsangabe ist die Aufstellung einer Massenbilanz, die Basis jeder Versuchsanlage, sinnlos. 2.1.1.2

Aktivita¨t

Die Katalysatoraktivita¨t bestimmt maßgeblich die Gro¨ße des Reaktors. Als absolutes Aktivita¨tsmaß ist der Erho¨hungsfaktor der Umsatzgeschwindigkeit AKat bzw. die Differenz der Aktivierungsenergie (EA EA;Kat ) unter sonst gleichen Reaktionsbedingungen (T, P, ci , u. a.) anzusehen: rmit Kat ¼ AKat  rohne Kat

ð2:1



ð2:1



mit:  AKat / exp EA

 EA; Kat =RT:

r ¼ Umsatzgeschwindigkeit in mol Zeit 1.

2.1 Katalysator

Oft liegen am Anfang der Entwicklung aber noch keine genauen Daten u¨ber die Reaktionsgeschwindigkeit als Funktion der Prozessparameter vor, da deren Bestimmung sehr zeitaufwendig ist. Man behilft sich damit, die Aktivita¨t eines Katalysators durch folgende „weichen“ Gro¨ßen zu charakterisieren: Umsatz als Aktivita¨tsmaß Bei sonst gleichen Prozessbedingungen von (T, P, ci , u. a.) zeigt ein aktiverer Katalysator einen ho¨heren Umsatz. Reaktionstemperatur als Aktivita¨tsmaß Um eine bestimmte Reaktion bei konstantem Umsatz zu betreiben, beno¨tigt ein aktiverer Katalysator eine geringere Temperatur als ein weniger reaktiver Katalysator (Abb. 2.1-3). Raum-Zeit-Ausbeute als Aktivita¨tsmaß Diese Gro¨ße (RZA) gibt an, welche Menge Produkt pro Zeiteinheit von einem Kilogramm Katalysator produziert wird:

RZA=h

1

¼

Masse Produkt=Zeit : Masse Katalysator

ð2:1



¨ hnliche, in der Literatur oft verwendete Gro¨ßen, welche die Katalysatorbelastung ausA dru¨cken, sind: LHSV ðLiquid Hourly Space VelocityÞ=h GHSV ðGas Hourly Space VelocityÞ=h

Abb. 2.1-3

1

1

¼

¼

Fl€ ussigkeitsvolumen=Zeit ð2:1 Katalysatorvolumen

Gasvolumen=Zeit Katalysatorvolumen

ð2:1

Der Temperaturverlauf in einem Katalysatorrohr als Aktivit€atsmaß (schematisch).





23

24

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

€ nderung der Aktivit€at eines frisch eingebauten Katalysators. Das Abb. 2.1-4 Beispiel f€ ur eine zeitliche A dargestellte Aktivit€at/Zeit-Verhalten findet man oft bei Mischoxid-Katalysatoren.

WHSV ðWeight Hourly Space VelocityÞ=h

1

¼

Masse=Zeit : Katalysatormasse

ð2:1



2.1.1.3

Lebensdauer

Beim Einsatz des Katalysators im Labor oder im Produktionsprozess kann sich seine Aktivita¨t und/oder Selektivita¨t vera¨ndern. Nach einer kurzen Anfangsphase, in der die Katalysatorperformance oft noch steigt, nimmt sie im Laufe der Zeit mehr oder weniger stark ab. In der Betriebspraxis gibt es keinen beliebig stabilen Katalysator (Abb. 2.1-4). Mehr als 90 % der Aufwendungen in der industriellen Katalyse betreffen Probleme der Katalysatordesaktivierung [Ostrovskii 1997, Forzatti 1999]. Eine Ursache ist, dass die Katalysatorstruktur (Surface, Subsurface, Bulk) von der chemischen Umgebung abha¨ngig ist. In der Anfangsphase werden erst die eigentlich katalytisch aktiven Spezies gebildet, die Aktivita¨t steigt (Formierungsphase). Diesem Vorgang ist aber gleichzeitig ein Desaktivierungsvorgang u¨berlagert, der wiederum verschiedene Ursachen haben kann (Abb. 2.1-5): *

Ablagerungen (Verschmutzung, Fouling, Coking) Hierunter versteht man eine Blockierung der Katalysatoroberfla¨che durch Ablagerungen. Solche ko¨nnen durch Nebenreaktionen entstehen, wie z. B. Kohlenstoff beim Cracken hochsiedender Erdo¨lfraktionen, Polymerbildung auf der Oberfla¨che usw. Als Gegenmaßnahme empfiehlt sich hier ein diskontinuierliches Abbrennen des Cokes oder der Zusatz von Substanzen wie z. B. Wasserdampf, der die Ablagerungstendenz verringern kann.

2.1 Katalysator

Abb. 2.1-5

Grundtypen von Katalysator-Desaktivierungsmechanismen.

*

Vergiftung (Poisoning) Der frische Katalysator wird durch Verunreinigungen im Zulaufgas in der Aktivita¨t herabgesetzt indem aktive Zentren blockiert werden oder auch indem sich der ganze Katalysator mit dem Gift belegt. Bei der Ammoniak-Synthese kennt man eine reversible Vergiftung durch Sauerstoff, Argon und Methan. Diese la¨sst sich leicht wieder durch Spu¨len mit einem reinen Gas, in dem diese Komponenten nicht vorhanden sind, aufheben. Eine irreversible Vergiftung entsteht durch Komponenten, welche eine feste chemische Verbindung mit den aktiven Zentren eingehen. Viele Metallkatalysatoren ko¨nnen relativ leicht vergiftet werden. Als Gifte wirken vor allem Elemente der V- ,VI- und VII-Hauptgruppe in molekularer Form oder in Verbindungen (P, As, Sb, O, S, Se, Te, Cl, Br). Ferner wirken bestimmte Metalle (Hg oder Metallionen) und Moleku¨le mit p-Bindungen (z. B. CO, C2H4, C2H2 und C6H6) desaktivierend. Ha¨ufig auftretende Katalysatorgifte sind weiterhin PH3, AsH3, H2S, COS, SO2 und Thiophene [Forzatti 1999]. Als Gegenmaßnahme bietet sich an, vor der eigentlichen Katalysatorschu¨ttung eine Absorber- oder „Opfer“-Schu¨ttung einzubauen.

*

Alterung (Aging, Sintering) Der Katalysator selbst vera¨ndert seine Kristallstruktur. Dies kann durch u¨berho¨hte Temperatur geschehen, so dass aktive Zentren abdiffundieren oder so, dass das ¨ berhitzung Porengefu¨ge sich a¨ndert. Dies kann relativ rasch durch o¨rtliche U (z. B. bei der Phthalsa¨ureanhydrid-Herstellung oder bei der Ammoniak-Syn-

25

26

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile Tab. 2.1-2 Beispiele f€ ur Desaktivierungsfunktionen f€ ur die Randbedingung DKat ðt ¼ 0Þ ¼ DKat;0 und mit der Geschwindigkeitskonstanten der Desaktivierung kD . Linear

_ Kat ¼ D

kD

DKat ðtÞ ¼ DKat;0

Exponentiell

_ Kat ¼ D

kD  DKat

DKat ðtÞ ¼ DKat;0  exp ð kD  tÞ

Hyperbolisch

_ Kat ¼ D

kD  D2Kat

DKat ðtÞ ¼

kD  t

DKat;0 ðDKat;0  kD  t



these) oder auch langsam u¨ber la¨ngere Zeitra¨ume geschehen. Eine mo¨gliche Gegenmaßnahme ist, dass man den Katalysator vorher ku¨nstlich altert, z. B. durch tempern. Dadurch erreicht man, dass ein Katalysator u¨ber la¨ngere Zeit eine konstante Aktivita¨t beibeha¨lt. *

Verlust u¨ber die Dampfphase Hat die aktive Komponente im Katalysator einen endlichen Dampfdruck, so wird sie entsprechend diesem aus dem Reaktor ausgetragen. Beispiele sind der Austrag von MoO3 bei Heteropolysa¨uren vom Keggintyp (Vanadato-Molybdato-Phosphorsa¨uren) und der Verlust von HgCl2 als katalytisch aktive Komponente bei der Vinylchloridherstellung via Ethylen und HCl. Als Gegenmaßnahme kann man eine „Feedvorsa¨ttigung“ mit der aktiven Komponente vorschalten.

Den Alterungsvorgang kann man quantitativ erfassen, indem man der eigentlichen chemischen Kinetik rm;0 eine Desaktivierungsfunktion DKat ðtÞ u¨berlagert (Tab. 2.1-2) [Engelmann 2001]: rm ¼ rm;0 ðT; ci ; u: a:Þ  DKat ðtÞ

ð2:1

7aÞ

ð2:1

7bÞ

mit: DKat ðtÞ ¼ f ðt; T; ci ; Re; u: a:Þ:

Wichtig fu¨r den Verfahrensentwickler ist es, die Lebensdauer des Katalysators zu kennen, da diese die on-stream-Zeit (theoretisch 24 h d 1  365 d a 1 ¼ 8760 h a 1 ) der Anlage und damit direkt die Ho¨he der Investition beeinflusst. Muss ein Festbettkatalysator jedes Jahr ausgewechselt werden, weil die Selektivita¨t und/oder die Aktivita¨t des Katalysators einen wirtschaftlichen Betrieb nicht mehr erlaubt, so bedeutet das eine empfindliche Reduzierung der on-stream-Zeit. Die sicherste, aber auch aufwendigste Methode zur Bestimmung der Lebensdauer ist der Dauertest in einem integriert betriebenen Reaktor. Daher versucht man durch sog. Stresstests, bei denen der Katalysator unter verscha¨rften Bedingungen (hoher Umsatz, hohe Temperatur, hohe Konzentration u. a.) betrieben wird, eine schnellere Aussage u¨ber die Lebensdauer zu bekommen. Diese Methoden sind vor allem dann sinnvoll, wenn es um den Vergleich verschiedener Katalysatorvarianten geht. Es gilt die Desaktivierungsmechanismus aufzukla¨ren, um so gezielte Maßnahme zur Verringerung treffen zu ko¨nnen. Tab. 2.1-3 gibt einige Beispiel an.

2.1 Katalysator Tab. 2.1-3

Maßnahmen zur Reduzierung der Katalysatordesaktivierung.

Deaktivierungsart

Gegenmaßnahme

Verkokung

Zusatz von Wasserdampf

€ber Gasphase Verlust u

Vors€attigung

Katalysatorgift im Feed

Absorber vorschalten

Der Verfahrensentwickler muss sich auch Gedanken daru¨ber machen, was mit dem verbrauchten Katalysator nach seinem Ausbau geschieht. An oberster Stelle stehen heute Methoden des Katalysator-Recyclings (z. B. chemische Wiederaufarbeitung) vor der fru¨her u¨blichen Endlagerung auf Sondermu¨lldeponien. 2.1.1.4

Mechanische Festigkeit

Die Katalysatoren mu¨ssen nicht nur thermische und mechanische Spannungen durch Strukturvera¨nderungen, z. B. beim Reduzieren oder beim Regenerieren aushalten, sondern auch Beanspruchungen beim Transport und beim Einfu¨llen in den Reaktor. Die mechanische Festigkeit von Heterogenkatalysatoren bestimmt in erster Linie den Druckverlust des Reaktionsgases u¨ber den Reaktor und damit die Energiekosten des Verdichters bzw. der Pumpe, da beim Einbau der Katalysatorformko¨rper sowie durch Schwingungen und thermischen Ausdehnungen wa¨hrend des Betriebs ein Abrieb entsteht, der den Druckverlust erho¨ht. Da der Druckverlust einer Schu¨ttung auch von der Form der Pellets abha¨ngt, sollte man wenn mo¨glich nicht Kugeln, sondern Hohlzylinder wa¨hlen. Zur ersten qualitativen Beurteilung dienen ein einfacher Fingernageltest (ein akzeptabler Katalysator sollte sich nicht zwischen den Daumenfingerna¨geln zerreiben lassen) oder eine einfache Fallmethode aus einer bestimmten Ho¨he anwenden. Zur quantitativen Beurteilung der mechanischen Festigkeit kann man die Seitendruckfestigkeit der Katalysatorpellets (Soll > 15 N cm 2) messen. 2.1.1.5

Herstellkosten

Die Herstellkosten des Katalysators mu¨ssen vom Produkt getragen werden und gehen daher in die Rohstoffkostenrechnung ein: RK ¼

mKat  HK Pt

RK HK mKat P t

Anteil des Katalysators an den Einsatzstoffkosten des Produktes in Q kg Herstellkosten des Katalysators in Q kg 1 Masse des Katalysators im Reaktor in kg Produktion in kg a 1 Lebensdauer des Katalysators in Jahren.

= = = = =

ð2:1 1



27

28

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Viele Katalysatoren werden nach folgenden zwei Methoden hergestellt [Perego 1997]: a) Fa¨llung Die aktiven Komponenten werden gelo¨st und unter bestimmten Bedingungen (T, pHWert, Ru¨hrgeschwindigkeit u. a.) ausgefa¨llt. Der entstehende Niederschlag wird gewaschen und danach einer Reihe von mechanischen Grundoperationen (Filtration, Trocknung, Verformung, Calzinierung u. a.) unterworfen (Abb. 2.1-6). Die erhaltene Katalysatormasse kann in reiner Form zu Tabletten, Hohlzylindern bzw. Stra¨ngen u. a. gepresst bzw. extrudiert werden oder in Form einer du¨nnen

Abb. 2.1-6 Beispiel f€ ur die Herstellung eines Bi/Mo-Mischoxidkatalysators wie er f€ ur die Partialoxidation von Propen eingesetzt wird [Engelbach 1979].

2.1 Katalysator Tab. 2.1-4 Tr€agermaterialien und die Gr€ oßenordnung ihrer spezifischen Oberfl€ache und ihres mittleren Porendurchmessers [Hagen 1996, Despeyroux 1993]. spez. Oberfla¨che/m2 g

Tra¨ger

1

hd i/nm

Magnesiumoxid

5…10

/

Silicagel

200…800

1…10

a-Aluminiumoxid (Korund)

5…10

/

c-Aluminiumoxid

160…250

15

Aktivkohle

500…1800

1…2

Schicht auf inerte Kugeln aus Steatit (Magnesiumsilikat) aufgezogen werden (sog. Schalenkatalysatoren). b) Impra¨gnierung Ein geeigneter poro¨ser Katalysatortra¨ger (Tab. 2.1-4) wird mit einer Lo¨sung der aktiven Komponenten getra¨nkt und danach getrocknet und calziniert (Abb. 2.1-7). Die Impra¨gniermethode ist vor allem bei teuren Aktivkomponenten wie Edelmetallen zu bevorzugen, da hiermit hohe Dispersionsgrade (¼ Masse der aktiven Komponente an der Oberfla¨che bezogen auf Gesamtmasse an Aktivkomponente) erreicht werden. ¨ ber weiterfu¨hrende spezielle Herstelltechniken informiere man sich in der LiteU ratur [Pinna 1998]. Die Katalysatorherstellung geschieht meist Kampagnenweise in diskontinuierlichen Verfahrensschritten. Daher ist die sta¨ndige Qualita¨tskontrolle

Abb. 2.1-7

Herstellung von Impr€agnierkatalysatoren [Pinna 1998].

29

30

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

der einzelnen Katalysatorchargen wesentlich (z. B. Pru¨fung der mechanische Festigkeit, Performancetest in kleinen Screeningreaktoren). Besondere Beachtung muss der ¨ bertragung der Laborrezepte auf die technische KataVerfahrensentwickler auf die U lysatorproduktion legen. Es sollte relativ fru¨hzeitig ein Betriebsversuch stattfinden, um das scale-up Risiko:

Labor R Technik (100 g Kat.) (bis zu 100 t Kat.) zu minimieren [Pernicone 1997]. Bei der Herstellung industrieller Heterogenkatalysatoren muss ein Kompromiss gefunden werden zwischen Pelletgro¨ße, Reaktorvolumen (wichtig bei Hochdruckreaktoren) und Duckabfall im Festbettreaktor; 1/8 oder 1/16 Zoll Extrudate sind meist das Optimum.

2.1.2

Charakterisierung von Katalysatoren [Leofanti 1997a, b]

Die oben diskutierten Werte, welche die Performance eines Katalysators ausmachen, ha¨ngen neben den a¨ußeren Prozessparametern (T, P, ci , u. a.) und dem Reaktortyp in komplexer Weise von einer Reihe von Gro¨ßen ab:

Katalysator

Performance ¼ f

9 chemische Zusammensetzung > > > > Tr€ agermaterial > > > > Promotoren > > > > Phasenzusammensetzung = Partikelgr€oße > > > Hohlraumstruktur ðPorenradienverteilungÞ > > > > > > > > > > > Oberfl€ aa¨ chenstruktur > > > > > > > > Feedverunreinigungen > > ; : u: a: 8 > > > > > > > > > > > >
3 nm) u¨berschreiten. 2.1.2.5

Partikelgro¨ße

Die Partikelgro¨ße (Abb. 2.1-9) kann einen entscheidenden Einfluss auf die Wirkungsweise eines Katalysators haben. Die elektronischen Eigenschaften a¨ndern sich bei

Abb. 2.1-9 2

1

Spezifische €außere Oberfl€ache S einer Kugel der Dichte q als Funktion des Kugeldurchmessers d.

S=ðm g Þ ¼

6 . q=ðg cm 3 Þ  d=lm

2.1 Katalysator

kleiner werdenden Partikeln, vor allem im mesoskopischen Bereich (2…50 nm) durch Verschiebung der Valenz- und Leitungsba¨nder erheblich. 2.1.2.6

Hohlraumstruktur

Fu¨r eine wirtschaftliche Raum-Zeit-Ausbeute (Gl. (2.1-3)) beno¨tigt man eine genu¨gend große Zahl an aktiven Zentren. Dies erreicht man durch eine hohe innere Oberfla¨che (Tab. 2.1-4) in Form von Poren. In Tab. 2.1-6 ist die Standardeinteilung der Poren nach ihrem Durchmesser angegeben. Methoden zur Bestimmung der Porenradienverteilung bzw. des mittleren Porendurchmessers sind die Quecksilberporosimetrie und die BET-Methode (s. Kap. 2.1.3.3) [Kast 1988, Wijngaarden 1998]. 2.1.2.7

Oberfla¨chenstruktur

Eine glatte Oberfla¨che ist katalytisch meist weniger aktiv als eine raue. Dies liegt daran, dass an Ecken, Kanten und Terrassen sitzende aktive Atome eine ho¨here Energie besitzen. Allerdings ist die Charakterisierung solcher katalytisch aktiver Oberfla¨che heute noch ein ungelo¨stes Problem. Viele der Oberfla¨chenstruktur-Untersuchungsmethoden [Niemantsverdriet 1993] beruhen darauf, dass man Teilchenstrahlen wie Elektronen oder Ionen auf den Katalysator schießt. Aus der Vera¨nderung dieser Materiestrahlen (Energie, Impuls u. a.) kann man Ru¨ckschlu¨sse auf die Struktur des Festko¨rpers ziehen. Diese Methoden setzen allerdings voraus, dass man im Vakuum, also unter ex situ Bedingungen, arbeitet. Zur Untersuchung von Katalysatoren unter in situ Bedingungen muss man auf Techniken zuru¨ckgreifen, die elektromagnetische Strahlung (NMR, IR, UV, VIS, X-Ray) verwenden, die eine reaktive Atmospha¨re durchdringen kann (s. Anhang 8.18) [Henzel 1994]. Eine etablierte Methode fu¨r solche Untersuchungen ist die DRIFT-Spektroskopie [Krauß 1999, Drochner 1999a]. 2.1.2.8

Nebenprodukte im Feed

Das Verunreinigungsspektrum im Eduktstrom kann sich positiv (z. B. der Zusatz von halogenhaltigen Verbindungen bei der silberkatalysierten Ethylenoxid-Synthese), meiTab. 2.1-6

Einteilung der Poren.

Porenart

Porendurchmesser/nm

Makroporen

> 50

Mesoporen

2…50

Mikroporen

kG  a (starke a¨ußere Stofftransporthemmung) reff ¼ kG  a  AG

b) k 0,2 ist, muss man in Gl. (2.1-22) die mittlere freie Wegla¨nge AA durch den mittleren Porendurchmesser d ersetzen:

 DKnud A

1 A du 3

/ T 0,5 :

ð2:1

27Þ

Der Knudsendiffusionskoeffizient ist also nicht so stark von der Temperatur abha¨ngig wie der freie Raumdiffusionskoeffizient und insbesondere unabha¨ngig von Druck und Gaszusammensetzung. Oberfla¨chendiffusion Moleku¨le, die auf der Festko¨rperoberfla¨che physisorbiert sind oder sich in Mikroporen (d < 2 nm) befinden, bewegen sich durch eine Aufeinanderfolge von Spru¨ngen zwischen verschiedenen Adsorptionspla¨tzen. Dabei sind sterische Effekte von großer Bedeutung; die Diffusion stellt einen aktivierten Vorgang dar, der, a¨hnlich wie die Diffusion in Flu¨ssigkeiten [Vogel 1981, 1982], durch folgenden Arrheniusansatz beschrieben werden kann: Surface DA

Diff

¼ D0  exp

EA RT

!

:

ð2:1

28Þ

Der Oberfla¨chen-Diffusionskoeffizient liegt fu¨r kleine Moleku¨le bei Raumtemperatur in der Gro¨ßenordnung von D  10 11 m2 s 1 . Poiseuillescher Fluss Ist der Druckabfall entlang einer Makropore groß, so kann eine druckinduzierte laminare Stro¨mung entstehen. Diesen zusa¨tzlichen Beitrag zum Stofftransport bezeichnet man als Poiseuilleschen Fluss.

3) Martin Knudsen, da¨n. Physiker (1871-1949).

2.1 Katalysator

2.1.3.3

Sorption

Die Sorption (Adsorption bzw. Desorption) [Kast 1988] ist die Wechselwirkung der Reaktanten mit der Oberfla¨che des Katalysators, wobei man je nach der Bindungsart und -sta¨rke (Tab. 2.1-9) des Adsorbates zwischen Physisorption (geometrische Struktur und elektronische Eigenschaften der freien Teilchen sowie der freien Oberfla¨che bleiben im wesentlichen erhalten, Adsorptionsenthalpie um 20 bis 50 kJ mol 1 ¼ Gro¨¨ nderung ßenordnung der Kondensationsenthalpie) und Chemisorption (drastische A der elektronischen Struktur der freien Moleku¨le und der Katalysatoroberfla¨che, Adsorptionsenthalpie gro¨ßer 50 kJ mol 1) unterscheidet (Adsorbens þ Adsorptiv R Adsorbat). Die Sorption einer definierten Spezies A kann man durch Messung der Sorptionsisothermen charakterisieren, indem man die Beladung HA (¼ belegte Oberfla¨che/gesamte Oberfla¨che) des Feststoffes (Adsorbens) mit der Komponenten A (Adsorptiv) als Funktion des Partialdruckes PA bzw. der Gaskonzentration und der Temperatur misst (Abb. 2.1-12): HA ðPA , TÞ ¼

mA adsorbierte Masse des Absorptivs : ¼ ,,trockene‘‘ Masse des Adsorbens mfest

ð2:1

29Þ

Fu¨r kinetische Modellierungen kann man die Beladung auch u¨ber die Teilchenzahl: HA ðPA , TÞ ¼ Tab. 2.1-9

nA Mole adsorbiertes Gas A auf der Oberfl€ ache ¼ Mole adsorbiertes Gas A in einer Monolage nA;mono

Wertebereiche verschiedener Bindungsenergie sowie Bindungsst€arken.

Bindungsart Van der Waals-Wechselwirkung

Bindungsenergie/kJ mol 1…5

Wasserstoffbr€ ucken-Bindung

10…30

ionische Bindungen

50…100

metallische Bindungen

100…300

kovalente Bindungen

200…400

O—H

465

C—H

415

C—Cl

331

C—N

306

C¼N

615

C—O

360

C¼O

737

C—C

348

C¼C

511

1

ð2:1

30aÞ

41

42

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Abb. 2.1-12 Adsorptionsisothermen des Stoffes A: dicke Kurve: Langmuir-Isotherme (KA ¼ 25, PA0 ¼ S€attittigungsdampfdruck=1; Gl:ð2:1 33ÞÞ; d\rmuenneKurve : BET ModellðC=25; Gl:ð2:1 36Þ:

bzw. u¨ber die Zahl der aktiven Zentren des Katalysators ðÞ definieren: HA ðPA ; TÞ ¼

ðAÞ mit A besetzte Zentren ¼ : ðAÞ þ ðÞ Gesamtzahl aller aktiven Zentren

ð2:1

30bÞ

Zur quantitativen Beschreibung der Adsorptionsisothermen sind in der Literatur verschiedene Modelle aufgestellt worden. Die gro¨ßte Bedeutung hat das Langmuir4- und das BET-Modell erlangt, da die in diesen Modellen auftretenden Parameter physikalisch gedeutet werden ko¨nnen. Langmuir-Isotherme fu¨r zwei Spezies Modellvoraussetzungen * *

monomolekulare Bedeckung der aktiven Zentren ðÞ mit den Spezies A und B keine Wechselwirkung der adsorbierten Spezies untereinander.

Chemisches Modell k

A AðgasÞ þ ðÞ ! ðAÞ

k

A ðAÞ ! AðgasÞ þ ðÞ

k

B ðBÞ BðgasÞ þ ðÞ !

k

B ðBÞ ! BðgasÞ þ ðÞ

4) Irving Langmuir, amerik. Physiker (1881-1957).

2.1 Katalysator

Mathematisches Modell (Gl. (2.1-30b)) dHA ¼ kA  PA  ð1 dt

HA

HB Þ

k

A

 HA ¼ 0

ð2:1

31Þ

dHB ¼ kB  PB  ð1 dt

HA

HB Þ

k

B

 HB ¼ 0

ð2:1

32Þ

ð2:1

33Þ

mit 1 ¼ HA þ HB þ HðÞ . Die Lo¨sung dieses Gleichungssystems ergibt: HA ¼

KA  PA k k mit KA ¼ A und KB ¼ B : 1 þ KA  PA þ KB  PB k A k B

Die analoge Gleichung gilt fu¨r B. Die Adsorptionskonstanten KA bzw. KB ko¨nnen nach Linearisierung der obigen Gleichung: PA 1 K þ B  PB ¼ PA þ KA KA HA

ð2:1

34Þ

durch Auftragen von (PA =HA ) gegen PA bzw. PB aus dem Ordinatenabschnitt bestimmt und nach einer gaskinetischen Ableitung des Modells [Jakubith 1998] wie folgt interpretiert werden:   1 Ddes HA Dad HA pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi  exp : ð2:1 35Þ KA ¼ RT k A  2  RT  p  M Ddes HA ¼ Desorptionswa¨rme

Dad HA ¼ Adsorptionswa¨rme k

A

¼ Geschwindigkeitskonstante der Desorption.

Brunauer/Emmet/Teller-Isotherme [Brunauer 1938] Modellvoraussetzungen In Erweiterung der Langmuir-Isotherme wird hier angenommen, dass zusa¨tzliche Adsorptionsschichten auf einem Teil der Oberfla¨che aufgebaut werden ko¨nnen, bevor sich eine komplette Monoschicht gebildet hat. In der ersten adsorbierten Schicht wird die Adsorptionsenergie (¼ Kondensations- und Bindungsenergie) und fu¨r die zweite und die folgenden Schichten nur noch die Kondensationsenergie frei.

Mathematische Lo¨sung HA ¼

nA nA;mono

¼

½1

C  ðPA =PA0 Þ ðPA =PA0 ފ  ½1 þ ðC 1Þ  ðPA =PA0 ފ

ð2:1

36Þ

Die dimensionslose Konstante C ¼ exp f ðDad HA þ DV HA Þ=RTg ha¨ngt von der Adsorptions- und der Kondensationsenergie von A ab [Kast 1988]. Durch Umformen dieser Gleichung ergibt sich folgende linearisierte Form:

43

44

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

ðPA =PA0 Þ ðC 1Þ 1  ðPA =PA0 Þ þ ¼ nA;mono  C nA  ð1 ðPA =PA0 ÞÞ nA;mono  C

    ;  T

ð2:1

37Þ

so dass durch Auftragung von ðPA =PA0 Þ=½nA ð1 PA =PA0 ފ gegen PA =PA0 direkt aus dem Ordinatenabschnitt und der Gradensteigung die adsorbierte Menge von A in der Monoschicht nA;mono und die Konstante C erha¨lt werden kann. Mit dieser Gleichung kann nicht das Pha¨nomen der Kapillarkondensation erfasst werden. Daher muss zur Beschreibung dieses Vorganges ein weiterer Parameter eingefu¨hrt werden [Brunauer 1940]. Durch Auftragung von nA gegen PA =PA0 gelangt man zu Adsorptionsisothermen, anhand deren Form schon Aussagen u¨ber das Adsorbat gemacht werden ko¨nnen. Von Brunner, Emmett und Teller wurden sie aufgrund der Porosita¨t des Adsorbens und der Wechselwirkung des Adsorptivs mit demselben in sechs Typen eingeteilt (Abb. 2.1-13) [Kast 1988, IUPAC 1985]. Mit Hilfe dieser Modellvorstellungen la¨sst sich die Oberfla¨che eines Katalysators dadurch bestimmen, indem man die Menge des adsorbierten Gases A in einer Monoschichtlage experimentell bestimmt. Die Oberfla¨che S ergibt sich damit aus der Gro¨ße nA;mono und dem Platzbedarf des Sondenmoleku¨ls A SA , nach: S ¼ nA;mono  NL  SA :

ð2:1

38Þ

¨ blicherweise verwendet man Stickstoff als Sondenmoleku¨l (SN2 ¼ 1,62  10 19 m2 ) U und wendet fu¨r die Auswertung Gl. (2.1-37) bei 77 K an. Die so ermittelte Oberfla¨che

Abb. 2.1-13 Die sechs Typenklassen der Adsorptionsisothermen: €berlappen die Adsorptionspotenziale Typ I: mikropor€ ose Substanzen und Chemisorption. In Mikroporen u beider Porenw€ande, was zu einer Verst€arkung [Everett 1976] des Adsorptionspotenzials f€ uhrt. Daraus folgt eine erh€ ohte Adsorptionsenergie bei sehr kleinen Relativdr€ ucken. Typ II: unpor€ ose, feinteilige Feststoffe. Typ III: z. B. Wasser an hydrophoben Substanzen. Typ IV und V: Kapillarkondensation in Mesoporen. Zun€achst wird an der Porenoberfl€ache eine Multischicht adsorbiert. Wird der Druck weiter erh€ oht, bilden sich an bevorzugten Stellen Fl€ ussigkeitstropfen mit einer der Kelvin-Gleichung entsprechenden Kr€ ummung. Ber€ uhren sich gegen€ uberliegende Tropfen, wird die Pore € ffnungen als dem Kelvin-Radius geleert. Der Adgef€ ullt. Bei der Desorption werden Poren mit gr€ oßeren O sorptionsast zeigt die Porenausmaße, der Desorptionsast die Gr€ oße der Poren€ offnung [Evertt 1976]. Typ VI: gestufte Isotherme, z. B. einige Aktivkohlen mit Stickstoff.

2.1 Katalysator

wird als BET-Oberfla¨che SBET bezeichnet. Nach Division durch die Masse des Feststoffes erha¨lt man die spezifische BET-Oberfla¨che sBET in m2 g 1. 2.1.3.4

Oberfla¨chenreaktionen

Die heterogen katalysierte Umsetzung der Edukte A und B kann nach verschiedenen Mechanismen erfolgen [Claus 1996, Ertl 1990]. In der Praxis oft verwendete Modelle sind die von Langmuir-Hinshelwood, Eley-Rideal und Mars-van Krevelen. Langmuir-Hinshelwood5 Kinetik Modellvoraussetzungen: *

Die Edukte A und B adsorbieren auf der Oberfla¨che und reagieren im adsorbierten Zustand zum Produkt P.

Chemisches Modell: K

A ðAÞ; schnell AðgasÞ þ ðÞ ! KB BðgasÞ þ ðÞ !ðBÞ ; schnell

k

ðAÞ þ ðBÞ LH ! ðPÞ ðPÞ $ P þ ðÞ

.

(2.1 – 39)

; langsam ; schnell

Mathematisches Modell: rges ¼ kLH  HA  HB : Mit Gl. (2.1-33) ergibt sich der klassische Ansatz von Langmuir-Hinshelwood: rges ¼ kLH 

KA  KB  PA  PB

ð1 þ KA  PA þ KB  PB Þ2

:

ð2:1

40Þ

Eley-Rideal6 Kinetik Modellvoraussetzungen: *

Das Edukte A adsorbieren auf der Oberfla¨che und reagieren im adsorbierten Zustand mit dem Edukt B aus der Gasphase zum Produkt P.

Chemisches Modell: K

A ðAÞ; schnell AðgasÞ þ ðÞ ! kER ðAÞ þ BðgasÞ !ðPÞ ; langsam . ðPÞ $ P þ ðÞ ; schnell

5) C.N. Hinshelwood (1897-1967) [Laidler 1987]. 6) E.K. Rideal (1890-1974) [Laidler 1987]

(2.1 – 41)

45

46

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Abb. 2.1-14 Vergleich der Gesamtreaktionsgeschwindigkeit als Funktion des Edukt-Partialdruckes f€ ur einen angenommenen Langmuir-Hinshelwood (dicke Kurve, Gl. (2.1-40)) und einen Eley-Rideal Mechanismus (d€ unne Kurve, Gl. (2.1-43)). PB ¼ konst; KA ¼ KB ¼ 1; kER ¼ 0,15; kLH ¼ 1.

Mathematisches Modell: rges ¼ kER  HA  PB :

ð2:1

42Þ

ð2:1

43Þ

Mit Gl. (2.1-33) ergibt sich der klassische Ansatz von Eley-Rideal: rges ¼ kER 

KA  P A  P B

ð1 þ KA  PA Þ1

:

Durch Ermittlung der Mikrokinetik oder durch Konzentrationspulsexperimente kann zwischen den einzelnen Mechanismen differenziert werden (Abb. 2.1-14). Mars-van Krevelen7 Kinetik [Mars 1954] Modellvoraussetzungen: *

¨ bergangsmetalloxiDie Oxidation von Edukten mit molekularem Sauerstoff an U den folgt oft diesem Zweischritt Mechanismus: – Oxidation des Eduktes durch den Katalysator unter gleichzeitiger Reduktion des Oxides – Reoxidation des Katalysators durch molekularen Sauerstoff.

7) Dirk Willem van Krevelen, Chemietechnologe, Ehrendoktor der TU Darmstadt (1915 – 2001).

2.1 Katalysator

Chemisches Modell: k

1 PðgasÞ þ ðÞ AðgasÞ þ ðOÞ !

ð2:1

44Þ

ð2:1

45Þ

1 k2 ðÞ þ O2 ! ðOÞ 2 Mathematisches Modell: rA ¼ k1  HO  PA rO2 ¼ k2  ð1

n HO Þ  PO2

mit HO dem Sauerstoff-Beckungsgrad. Wenn mA Moleku¨le Sauerstoff fu¨r die Oxidation des Eduktes A beno¨tigt werden, gilt: rA ¼

1 1 n  r ¼ k1  PA  HO ¼  k2  PO2  ð1 mA O2 mA

HO Þ:

ð2:1

46Þ

ð2:1

47Þ

ð2:1

48Þ

Daraus ergibt sich fu¨r den Sauerstoffbedeckungsgrad: HO ¼

n k2  PO2 n mA  k1  PA  k2  PO2

und mit Gl. (2.1-47) und Gl. (2.1-45): rA ¼

1 : 1 mA þ n k1  PA k2  PO2

In Abb. 2.1-15 ist der Verlauf der Reaktionsgeschwindigkeit in Abha¨ngigkeit der Konzentrationen wiedergegeben. 2.1.3.5

Porendiffusion und chemische Reaktion [Emig 1993, Forni 1999, Keil 1999]

Das Zusammenspiel zwischen der Diffusion des Eduktes in den Poren und der Abreaktion des Eduktes an den katalytisch aktiven Wa¨nden der Pore, la¨sst sich aus der allgemeinen Stoffbilanzgleichung (Gl. (2.2-4)) ableiten. Unter der Annahme, dass das Edukt A nach einer Reaktion nter Ordnung abreagiert, folgt fu¨r den stationa¨ren Zustand: Deff 

d2 A dx 2

k  An ¼ 0:

ð2:1

49Þ

Bezieht man in dieser Gleichung die Konzentration A auf die Konzentration von A am Eingang der Pore A0 und die Porenla¨nge auf die mittlere Porenla¨nge L, so erha¨lt man nach Umformung:

47

48

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Abb. 2.1-15 Verbrauchsgeschwindigkeit von A in Abh€angigkeit von PA f€ ur verschiedene Sauerstoffpartialdr€ ucke (PO2 ¼ 0,2/0,4/0,6; von unten nach oben und kA ¼ 1; kO2 ¼ 1; n ¼ 1) nach Gl. (2.1-48). rA steigt mit h€ oher werdendem PA nicht mehr, da die Reoxidation geschwindigkeitsbestimmend wird.

d2 ðA=A0 Þ dðx=LÞ2

¼ u2  ðA=A0 Þn

ð2:1

50Þ

mit der erstmals von Thiele eingefu¨hrten dimensionslosen Kennzahl u, dem sog. Thiele-Modul [Thiele 1939, Weisz 1954]: sffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi k  A0n 1 u¼L : Deff

ð2:1

51Þ

Dieser gibt das Verha¨ltnis der Reaktionsgeschwindigkeit ohne Beeinflussung durch die Porendiffusion zum diffusiven Stofftransport in der Pore wieder. Die obige Differentialgleichung kann fu¨r einfache Katalysatorkorngeometrien und einfache Kinetiken noch geschlossen gelo¨st werden. Beispiel 2.1-1 Fu¨r n ¼ 1, A0 ¼ 1 und L ¼ 1 ergibt sich aus Gl. (2.1-50): d2 ðAðxÞÞ ¼ u2  AðxÞ: dx 2

ð2:1

52Þ

Mit den Randbedingungen Aðx ¼ 0Þ ¼ 1 und AðL ¼ 1Þ ¼ 0 ergibt sich die Lo¨sung: AðxÞ ¼

A0  expð u  xÞ  ½expð2  u  xÞ 1 expð2  L  uÞ

expð2  L  uފ

ð2:1

53Þ

2.1 Katalysator

Abb. 2.1-16 Konzentrationsverlauf der Komponente A als Funktion der L€ange x bei verschiedenen ThieleModulen nach Gl. (2.1-53) (u von oben nach unten: 0,5/1,5/3/10/50).

Abb. 2.1-16 zeigt den entsprechenden Konzentrationsverlauf von A bei verschiedenen ThieleModulen.

Zylindrische Einzelpore (La¨nge L, Durchmesser dp) und Reaktion n-ter Ordnung

AðxÞ cosh ½uz  ð1 x=Lފ ¼ A0 cosh uz

ð2:1

54Þ

ð2:1

55Þ

mit: sffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 4  k  A0n 1 uz ¼ L  ; dp  Deff dem Thiele-Modul fu¨r eine Zylinderpore. Katalysatorkugel (Radius R) und Reaktion n-ter Ordnung [Peterssen 1965, Baerns 1992, Andrigo 1999]: mit: sffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi rffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi nþ1 k  A0n 1 R ; ð2:1 57Þ uK ¼ 2 Deff

dem Thiele-Modul fu¨r eine Kugel. Mit zunehmender Temperatur steigt der Thiele-Modul wegen der Arrheniusabha¨ngigkeit8 von k an. Das Edukt A reagiert immer schneller an den Randzonen des Katalysatorkorns ab, d. h., das wertvolle Katalysatormaterial (z. B. bei Edelmetallkatalysa-

49

50

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Abb. 2.1-17 Katalysatornutzungsgrad als Funktion des Thiele-Moduls f€ ur eine zylindrische Einzelpore (Gl. 2.1-59) und eine Katalysatorkugel (Gl. 2.1-60)

toren) im Inneren der Pore wird nicht mehr genutzt. In diesem Fall ist es wirtschaftlicher einen Schalenkatalysator einzusetzen. Zur besseren Beurteilung dieser Situation fu¨hrt man einen Porennutzungsgrad (auch Katalysatornutzungsgrad genannt (Abb. 2.1-17)) gKat ein:

gKat ¼

ÐL 0

kðTÞ  AðxÞn  dx kðTÞ  An0

ð2:1

;

58Þ

der das Verha¨ltnis der mittleren Reaktionsgeschwindigkeit (Bruttoreaktionsgeschwindigkeit) zur maximal mo¨glichen Reaktionsgeschwindigkeit, d. h. ohne Diffusionseinfluss, wiedergibt. Setzt man in diese Gleichung z. B. den Konzentrationsverlauf in der Zylinderpore ein (Gl. (2.1-54)), so erha¨lt man nach Integration [Weisz 1954]: Zyl

gKat ¼

tanh uz uz

 € r uz < 0,3  1 fu € r uz > 3 1=uz f u

ð2:1

59Þ

ð2:1

60Þ

bzw. fu¨r eine Katalysatorkugel mit Gl. (2.1-56): Kugel

gKat ¼

 3 coth uK uK

1 uK



€ r uK < 0,3  1 fu : € r uK > 3 3=uK f u

Den Einfluss der Stofftransporthemmung kann z. B. durch die Bestimmung der Temperaturabha¨ngigkeit des Gesamtprozesses festgestellt werden. Da fu¨r die effektiv gemessene Reaktionsgeschwindigkeit rm;mess einer Reaktion 1. Ordnung gilt: 8) Svante Arrhenius, schwed. Physiker und Chemiker (1859 – 1927).

2.1 Katalysator

rm;mess ¼ ðgKat  kÞ  A0 ¼ kmess  A0 ;

ð2:1

61Þ

ergibt sich fu¨r den kinetisch kontrollierten Bereich (ghet  1) mit einem Arrheniusansatz: ln rm;mess ¼



Ea R





1 þ ln ðA0  k0 Þ: T

ð2:1

62Þ

Fu¨r eine reine Diffusionskontrolle in der Pore ergibt sich mit Gl. (2.1-60) bei der Katalysatorkugel: rm;mess ¼

3  k  A0 : uK

ð2:1

63Þ

Einsetzen von Gl. (2.1-57) fu¨r uK und einem Arrheniusansatz fu¨r k liefert: ln rm;mess ¼



 Ea 1  þ ln 2R T

3

pffiffiffiffiffi! k0 : R

ð2:1

64Þ

Tra¨gt man ln ½rm;mess Š bzw. ln ½kmess Š gegen 1/T auf (Abb. 2.1-18), so ergibt sich eine Kurve mit zwei Knickpunkten, die ein Indiz fu¨r einen Wechsel in der Art der Reaktionslimitierung liefern. Voraussetzung ist, dass sich der Mechanismus und damit die zugrundeliegende Aktivierungsenergie der Reaktion nicht a¨ndert.

Abb. 2.1-18

Verlauf der Reaktionsgeschwindigkeit als Funktion der reziproken Temperatur (schematisch).

51

52

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Bei der direkten Bestimmung von gKat (Gl. (2.1-60)), d. h. des Ausmaßes der Stofftransporthemmung, besteht die Schwierigkeit, dass zwar rm;mess direkt messbar ist, k in der folgenden Gleichung (Gl. (2.1-61), Gl.(2.1-60) und Gl. (2.1-57)): rm;mess ¼

3

pffiffiffi# R k coth pffiffiffiffiffiffiffiffi Deff "

pffiffiffiffiffiffiffiffi Deff  R

 a1  x  coth ða2  xÞ

a2

pffiffiffiffiffiffiffiffi! pffiffiffi Deff pffiffiffi  k  A0 R k

ð2:1

65Þ

aber nicht direkt zuga¨nglich ist. Fast man k als anpassbaren Parameter auf und fittet ihn an obige nichtlineare Gleichung an, so ergibt sich aus der Messung von rm;mess fu¨r ein vorgegebenes A0 die wahre Geschwindigkeitskonstante k als Fitparameter und damit der Thiele-Modul bzw. der Katalysatornutzungsgrad nach Gl. (2.1-60). Entscheidend fu¨r den Scale-up von Reaktoren ist die Kenntnis, ob eine Stofftransporthemmung vorliegt. Dazu wurden in der Literatur [Baerns 1992, Emig 1997] Kriterien aufgestellt. Alle diese beno¨tigen dazu die Kenntnis von: * * * * *

Katalysatorgeometrie (z. B. Korndurchmesser dKorn ) DA Fluidphasen-Diffusionskoeffizient Porendiffusionskoeffizient DPore A physikalisch-chemischen Eigenschaften der Gase experimentell ermittelte Gesamtreaktionsgeschwindigkeit reff [Wijngaarden 1998].

Ein Beispiel sei hier genannt: Wenn fu¨r eine Reaktion 1. Ordnung (n ¼ 1): 2 rV;eff  dKorn

4  ð1

eÞ  DA  AGas

 0,6

ð2:1

66Þ

gilt, dann ist der Wirkungsgrad gro¨ßer 0,95. 2.1.3.6

Filmdiffusion und chemische Reaktion

Analog wie oben geschildert (Kap. 2.1.3.5) ist das Zusammenspiel zwischen Diffusion des Eduktes A durch den laminaren Gasfilm (1) und dessen Abreaktion im Flu¨ssigkeitsfilm (2) beschreibbar. Unter der Annahme, dass A nach einer Reaktion erster ¨ berschuss) R P) folgt aus Gl. (2.1-49): Ordnung abreagiert (A þ B(U Deff 

d2 A dx 2

k  A ¼ 0:

bzw. d2 ðA=A0 Þ dðx=dÞ2

Ha2  ðA=A0 Þ ¼ 0

d ¼ Dicke des laminaren Grenzfilms

ð2:1

67Þ

2.2 Reaktor

Abb. 2.1-19

€ber die Phasengrenzfl€ache (Hatta-Zahl ¼ 4), Erl€auterungen siehe Text. Konzentrationsprofil u

sffiffiffiffiffiffiffiffi k ¼ Hatta-Zahl: Ha ¼ d  Deff

ð2:1

68Þ

Das heißt, unter den angenommenen stationa¨ren Nichtgleichgewichtsbedingungen ist der durch chemische Reaktion verbrauchte gleich dem durch die Phasengrenze bei x ¼ 0 transportierte Teilchenstrom an A. Unter den Randbedingungen: Aðx ¼ 0Þ ¼ A ; Aðx ¼ dÞ ¼ 0 dB ¼ 0; dx

Bðx ¼ dÞ ¼ Bl ;

lautet die Lo¨sung der Differenzialgleichung (2.1-67) (s. Abb. 2.1-19): AðxÞ ¼

sinh ½Ha  ð1 x=dފ  € r x 2 ½0; dŠ:  A fu sinh ½HaŠ

ð2:1

69Þ

2.2

Reaktor Der chemische Reaktor stellt das Herzstu¨ck jeder Chemieanlage dar, obwohl er oft hinsichtlich Platzbedarf und Investition der kleinste Teil der Anlage ist. Durch seine zentrale Funktion beeinflusst er jedoch alle anderen Anlagenteile wesentlich; man denke z. B. an den Aufwand, nicht umgesetzte Ausgangsprodukte zuru¨ckzufu¨hren. Deshalb ist die Wahl des Reaktortyps, neben der Wahl des Katalysators, der wichtigste Schritt bei der Verfahrensentwicklung [Donati 1997]. Mit Hilfe der chemischen Reaktionstechnik [Levenspiel 1980, Hofmann 1983], deren theoretische Grundlagen erst in der Mitte des letzten Jahrhunderts entwickelt wurden, kann der Reaktor ausgelegt werden. Auslegen heißt hier, die Fragen nach:

53

54

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile * * * *

Reaktionsbedingungen (Prozessparameter) Gro¨ße des Reaktors Form des Reaktors Betriebsweise

fu¨r eine gegebene Reaktion – die im Laborapparat einwandfrei durchfu¨hrbar ist – und eine geforderte Produktionsleistung unter Beachtung des optimalen Betriebspunktes des Gesamtprozesses zu beantworten [Damko¨hler 1936, Platzer 1996]. Der optimale Betriebspunkt ist, ganz allgemein formuliert, der Betriebspunkt, bei dem die Kapitalrendite (Kap. 6) ein Maximum besitzt. Diese ha¨ngt von allen Parametern ab, welche die Herstellkosten und die Ho¨he der Investition beeinflussen. Bei einfachen Reaktionen (keine Selektivita¨tsprobleme wie z. B. in der Ammoniaksynthese) la¨uft die reaktionstechnische Optimierung in der Regel auf die Maximierung des Umsatzes hinaus. Bei komplexen chemischen Reaktionen tritt meist die Ausbeute- und Leistungsoptimierung hinzu.

2.2.1

Grundlagen der chemischen Reaktionstechnik

Die heute verwendeten Reaktortypen lassen sich nach verschiedenen Gesichtspunkten einteilen, z. B. aufgrund: * * * *

*

der Anzahl der beteiligten Phasen (homogen oder heterogen) der Betriebsweise ( Grenzfa¨lle: diskontinuierlich und kontinuierlich) der Temperaturfu¨hrung (Grenzfa¨lle: isotherm und adiabatisch) des Verweilzeitverhaltens (Grenzfa¨lle: Pfropfenstro¨mung und vollsta¨ndige Ru¨ckvermischung) der Vermischung der Edukte (Makro- und Mikrovermischung mit den Grenzfa¨llen ideale Mikrovermischung und vollsta¨ndige Segregation).

In der Praxis werden Kombinationen dieser Einteilungskriterien eingesetzt (z. B. homogen, kontinuierlich, adiabatisch, Pfropfenstro¨mung). Diese Vielfalt an Reaktortypen spiegelt das komplexe Zusammenspiel zwischen chemischer Reaktion sowie Stoff- und Wa¨rmetransport wieder. Trotz dieses komplexen Zusammenspiels la¨sst sich jeder Reaktor im Prinzip durch die grundlegenden Bilanzgleichungen der Stoff-, Energie- und Impulserhaltung beschreiben. Diese bilden ein System von fu¨nf – u¨ber Temperatur, Konzentration und drei Geschwindigkeitsvektoren – gekoppelten partiellen Differentialgleichungen (DGL) [Damko¨hler 1936, Platzer 1996, Adler 2000]: DGL 1) Das Massenerhaltungsgesetz in Form der erweiterten Kontinuita¨tsgleichung beschreibt die zeitliche und o¨rtliche Konzentrationsa¨nderung der Komponenten A, die nach der Gleichung (vA A ! Produkte) im Reaktor abreagiert (A in mol L 1): @Aðx; y; z; tÞ ¼ @t

divðA  ~ uÞ þ divðDA  grad AÞ þ mA  rV  bA  aS  DA:

ð2:2



2.2 Reaktor

Der erste Term auf der rechten Seite ist der sog. konvektive Term (Stro¨mungsterm oder erzwungene Konvektion), mit ~ u dem Vektorfeld der Stro¨mungsgeschwindigkeit. Der zweite Term ist der sog. konduktive Term (effektive Diffusion, Kap. 2.1.3). Der Reaktionsterm (Kap. 3.1.3), mit der volumenbezogenen Reaktionsgeschwindigkeit rV und dem sto¨chiometrischen Koeffizienten mA , bildet den dritten Summanden. Der letzte Term in Gl. (2.2-1) ist der sog. Stoffu¨bergangsterm, mit dem Stoffu¨bergangskoeffizienten b A (Kap. 2.1.3), der spezifischen Stoffaustauschfla¨che aS und der Konzentrationsdifferenz DA zwischen Grenzfla¨che und Bulkphase. DGL 2) Das Erhaltungsgesetz fu¨r die Enthalpie (mechanische und nukleare Energieformen werden in der Regel nicht betrachtet) beschreibt die Temperaturverteilung im Reaktor: @Tðx; y; z; tÞ ¼ @t

div ðT  ~ uÞ þ div



k  grad T cP  q



ð2:2

ð DR HÞ  rV a  Aw  ðTw TÞ  þ cP  q  V R cP  q k cP q AW DR H a TW VR rV

= = = = = = = = =

Wa¨rmeleitfa¨higkeitskoeffizient in J m 1 K 1 s 1 Wa¨rmekapazita¨t bei konstantem Druck in J kg 1 K 1 Dichte in kg m 3 Wa¨rmeaustauschfla¨che in m2 Reaktionsenthalpie in J mol 1 Wa¨rmeu¨bergangskoeffizient in J m 2 K 1 s 1 Wandtemperatur in K Reaktorvolumen in m3 volumenbezogene Reaktionsgeschwindigkeit in mol m

3



s 1.

Die einzelnen Terme auf der rechten Seite bedeuten wie bei DGL 1) Wa¨rmetransport durch Konvektion, effektive Wa¨rmeleitung, Wa¨rmeerzeugung durch eine chemische Reaktion und Wa¨rmetausch u¨ber eine Fla¨che (von links nach rechts). ¨ nderung der GeDGL 3,4,5) Das Impulserhaltungsgesetz beschreibt die zeitliche A schwindigkeitsverteilung des Fluids in den drei Raumrichtungen des Reaktors: @~ uðx; y; z; tÞ ¼~ a @t a g q P

= = = =

1  grad ðPÞ þ grad q

Beschleunigungsvektor in m s Viskosita¨tskoeffizient in Pa s Dichte in kg m 3 Druck in Pa.

  g  divð~ uÞ q

ð2:2



2

Die Impulsbilanz (Gl. (2.2.-3)) als eine Beziehung zwischen Vektoren, die außerdem keinen Reaktionsterm entha¨lt, wird normalerweise in erster Na¨herung getrennt behandelt. Damit sind zur Reaktorauslegung vor allem die beiden Gleichungen der Massen- und Enthalpieerhaltung relevant.

55

56

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Die bisher verwendete Schreibweise hat den Vorteil, dass die Formulierung nicht an ein Koordinatensystem gebunden ist. In kartesische Koordinaten erha¨lt man fu¨r die Massen- und Energiebilanz: @Aðx; y; z; tÞ ¼ @t

@ðux  AÞ @ðuy  AÞ @ðuz  AÞ þ þ @y @x @z      

@ @A @ @A @ @A þ Dx Dy Dz þ þ @x @x @y @y @z @z

ð2:2

1aÞ

þ mA  rV  bA  aS  DA @Tðx; y; z; tÞ ¼ @t

@ðux  TÞ @ðuy  TÞ @ðuz  TÞ þ þ @y @x @z      

ky @T @ kx @T @ @ kz @T þ þ þ @x q  cP @x @y q  cP @y @z q  cP @z

þ

rV  ð DR HÞ a  AW  ðTW TÞ  q  cP q  cP  V R

ð2:2

2aÞ

und entsprechend die Massenbilanz in Zylinderkoordinaten (Anhang 8.1):

@Aðr; h; z; tÞ @ður  AÞ 1 @ðuh  AÞ @ðuz  AÞ ¼ þ þ @t @r r @h @z       1 @ @A 1 @ @A @ @A þ þ 2 þ Dr  r  Dh Dz r @r @r r @h @h @z @z þ mA  rV  b A  aS  DA;

ð2:2

1bÞ

ð2:2

1cÞ

bzw. wenn der Winkel H konstant und D isotrop ist: @Aðr; z; tÞ ¼ @t



 

@ður  AÞ @ðuz  AÞ 1 @A @ 2 A þ  þ 2 þ Dr  @r @z r @r @r

@2A þ Dz 2 þ mA  rV  bA  aS  DA @z

Die Energiebilanz in Zylinderkoordinaten lautet, wenn alle Variablen symmetrisch um die Zylinderachse verteilt sind:

2.2 Reaktor



@Tðr; z; tÞ ¼ @t

2

@ður  TÞ @ðuz  TÞ k @ T 1 @T þ r þ þ @r @z q  cP @r 2 r @r

k @ 2 T rV  ð DR HÞ a  AW  ðTW TÞ þ z þ  : q  cP q  cP  VR q  cP @z2

ð2:2

2bÞ

Mit weiteren Vereinfachungen, wie der Unabha¨ngigkeit der Geschwindigkeit und der Transportkoeffizienten vom Ort, lauten sie in eindimensionaler kartesischer Koordinatenschreibweise mit der Ortskoordinate x: @Aðx; tÞ ¼ @t @Tðx; tÞ ¼ @t

@A @2A þ DA  2 þ mA  rV  bA  aS  DA @x @x

u

  2   @T k @ T ð DR HÞ u þ  2þ  rV @x cP  q @x cP  q   a  AW  ðTW TÞ:  VR  cP  q

ð2:2



ð2:2



Weitere Gleichungen, die zur Beschreibung und Auslegung eines Reaktors beno¨tigt werden sind [Bartholomew 1994]: *

Zustandsgleichungen der Form Pðq; TÞ, z. B. das ideale Gasgesetz:   R  q  T: Pðq; TÞ ¼ M M = Molmasse R = 8,313 J mol

*

1

ð2:2



ð2:2



K 1.

Phasengleichgewichtsbeziehungen der Form yi ðxi Þ, z. B. das Raoultsche Gesetz (Kap. 2.3.2): yA ¼

xA 

xA  PA0 ðTÞ þ ð1 xA Þ  PB0 ðTÞ

PA0 ðTÞ

yA = Molenbruch der Komponente A in der Gasphase xA = Molenbruch der Komponente A in der Flu¨ssigphase Pi0 ðTÞ = Dampfdruck der reinen Komponente i (i ¼ A oder B). *

Reaktionsgeschwindigkeitsgleichungen der Form rðci ; T; PÞ Mikrokinetik (Kap. 2.1.3), z. B. Geschwindigkeitsansatz erster Ordnung oder Langmuir-Hinshelwood-Ansa¨tze (Gl. (2.1-40)). Makrokinetik (Kap. 2.1.3) der Form rm;mess ¼ gKat  rm , mit dem Katalysatornutzungsgrad gKat (Gl. (2.1-58)).

57

58

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Das Problem der chemischen Reaktionstechnik liegt nun – a¨hnlich wie bei der Quantenmechanik mit der Schro¨dingergleichung – darin, dass sich geschlossene Lo¨sungen fu¨r dieses u¨ber die Gro¨ßen c, T und ~ u gekoppelte Differentialgleichungssystem nur fu¨r sehr einfache Grenzfa¨lle, die sog. Idealreaktoren, angeben lassen. Bei diesen idealen Grenzfa¨llen wird angenommen, dass das hydrodynamische Verhalten durch die Grenzfa¨lle vollsta¨ndige Ru¨ckvermischung (¼ kontinuierlicher Ru¨hrkessel) bzw. Pfropfenstro¨mung (¼ idealer Rohrreaktor) beschrieben werden kann und die Reaktoren isotherm und isobar betrieben werden, so dass die Enthalpie- und Impulsbilanz entfa¨llt. Weiterhin gibt es hier nur eine homogene Betriebsweise (eine Phase) und somit keine Austauschterme zwischen einzelnen Phasen. Die Auslegungsgleichungen reduzieren sich dann auf die Lo¨sung der Massenbilanz. 2.2.1.1

Ideale Reaktoren Idealer kontinuierlicher Ru¨hrkessel Dieser stellt das mathematisch am einfachsten zu lo¨sende Beispiel fu¨r einen idealen Reaktor dar. Der Bilanzraum (Abb. 2.2-1) kann hier u¨ber den gesamten Reaktor ausgedehnt werden, da dieser Typ aufgrund der Randbedingung „vollsta¨ndige Ru¨ckvermischung“ gradientenfrei ist. Die Differentialgleichung (2.2-4) kann fu¨r das Reaktionsbeispiel A ! P durch eine algebraische Gleichung ersetzt werden:

n_ A;0 V_ VR A

n_ A ¼ V_  ðA0

AÞ ¼ VR  rV ! rV ¼

A0

A s

;

ð2:2



¨ nderung durch Reaktion) = Volumenstrom (keine A = effektives Reaktorvolumen = Konzentration von A in mol L 1,

¨ nderung des Molenstromes Dn_ A des Eduktes A ist gleich der abreagierten d. h. die A Stoffmenge (VR  rV ).

Abb. 2.2-1

Der ideale kontinuierliche R€ uhrkessel.

2.2 Reaktor 

Fu¨r eine Reaktion n-ter Ordnung bzgl. des Eduktes A: A ¼ leren Verweilzeit s ¼ VR =V_ ergibt sich damit: A0

A s

¼ k  An

k  An und der mitt-

ð2:2

9aÞ

ð2:2

9bÞ

oder umgeschrieben:  A0  1 A ¼ ks n

 A : A0

Fu¨r konkrete n lauten die Lo¨sungen: n¼0:

A ¼1 A0

ks ¼1 A0

Da

ð2:2

10Þ

n¼1:

A 1 1 ¼ ¼ A0 1 þ ks 1 þ Da

ð2:2

11Þ

ð2:2

12Þ

hqffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi A 1 ¼  ð4  ks  A0 þ 1Þ A0 2  ks  A0 hpffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi i 1 ¼  ð4  Da þ 1Þ 1 2  Da

n¼2:

i 1

mit der dimensionslosen Damko¨hlerzahl Da ¼ ks  A0n 1 . ¨ berschuss E Wenn bei einer bimolekularen Reaktion von A mit B das Edukt B im U vorliegt, dann ist B ¼ A þ E und Gl. (2.2-8) lautet dann: A0

A s

¼ k  A  ðA þ EÞ

ð2:2

13Þ

ð2:2

14Þ

mit der Lo¨sung: 0sffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi   A 1 @ 1 E 2 A0 þ ¼  þ A0 A0 2  ks 2 ks

3  1 E 5 þ : 2  ks 2



Bei bekannter Kinetik (hier kðTÞ) kann dann der Reaktor (hier Volumen des Reaktors VR ) ausgelegt werden, wenn die Spezifikationen (hier Umsatz U ¼ ðA0 AÞ=A0 ) und der Volumenstrom V_ vorgegeben werden. Ideales Stro¨mungsrohr bzw. diskontinuierlicher Ru¨hrkessel Mit Hilfe der Gleichung (2.2-4) und den Randbedingungen des idealen Stro¨mungsrohres: *

~ u ¼ juj ¼ konstant

59

60

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile *

@A ¼ 0 ðstation€arÞ @t

(2.2-15)

sowie der Annahme einer einfachen Kinetik n-ter Ordnung ergibt sich die Differentialgleichung: 0¼u

dA dx

k  An ;

ð2:2

16Þ

mit der Lo¨sung: €r n ¼ 1 A ¼ A0  exp ð ksÞ f u n A ¼ ðn

ð1 nÞ

1Þ  ks þ A0

o1=ð1



€ r n 6¼ 1; fu

ð2:2

17aÞ

ð2:2

17bÞ

wobei s ¼ L=u die mittlere Verweilzeit und L die La¨nge des Rohrreaktors ist. ¨ berschuss E Wenn bei einer bimolekularen Reaktion von A mit B das Edukt B im U vorliegt, dann ist B ¼ A þ E und: A¼

A0  E ðA0 þ EÞ  exp ðE  ksÞ

A0

ð2:2

:

18Þ

Die gleichen Beziehungen erha¨lt man unter den Randbedingungen des idealen diskontinuierlichen Ru¨hrkessels: *

@A ¼ 0 (ideale Ru¨ckvermischung, d. h. keine Konzentrationsgradienten). @x

Einsetzen dieser Randbedingung in die allgemeine Gl. (2.2-4) ergibt: @A ¼ 0 þ 0 þ mA  rV : @t

ð2:2

19Þ

Mit einer Kinetik nter Ordnung erha¨lt man die gleichen Lo¨sungen wie oben (Gl. (2.217 und 18)), nur, dass die Variable s durch die absolute Reaktionszeit t ersetzt wurde. Man erkennt, dass Idealrohr und diskontinuierlicher Ru¨hrkessel (Batchkessel) das gleiche Verhalten aufweisen: Kessel :

@A ¼ mA  rV @t

u¼dx=dt

! Rohr :

@A 1 ¼ m r ; @x u A V

ð2:2

20Þ

d. h. ein reagierendes Volumenelement kann nicht unterscheiden, ob es sich in einem Batchkessel oder in einem idealen Rohrreaktor befindet (Voraussetzung: keine Volumena¨nderungen). Eine Zusammenstellung der wichtigsten Reaktorgleichungen fu¨r einfache Kinetiken ist in Tab. 2.2-1 zu finden.

2.2 Reaktor Tab. 2.2-1

Reaktorgleichungen f€ ur die Idealreaktoren im Falle eines kinetischen Ansatzes nter Ordnung.

n 1

Idealrohr bzw. diskonti. Ru¨hrkessel

konti. Ru¨hrkessel

sffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 2  ks A ¼ A0  1 A20



A0 2

A ¼ A0 ks   pffiffiffiffiffiffi ks 2 pffiffiffiffiffiffi € r s  2 A0 =k A¼ A0 fu 2

A ¼ A0

1

A ¼ A0  exp ð ksÞ



2



A0 1 þ A0  ks



n

n A ¼ ðn

0 0,5

€ r n 6¼ 1 fu 2 ¨ berschuss mit U (E) an B ¼ A þ E

ð1 nÞ

1Þ  ks þ A0

o1=ð1

A0  E A¼ ðA0 þ EÞ  exp ðE  ksÞ

A0







sffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi! ks 1 A20

ks

1 2  A0 þ k 2 s 2 2

A0 1 þ ks

ks

pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 4  A0 þ k2 s2

pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 1  4  ks  A0 þ 1Þ 2  ks

An ¼

 A0  1 ks

A A0

1





0sffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi   A 1 @ 1 E 2 A0 þ ¼  þ ks A0 A0 2  ks 2 1   1 E A þ 2  ks 2

Bildet man das Konzentrationsverha¨ltnis ARohr =AKessel fu¨r die drei Fa¨lle n = ð 1; 0; þ1Þ, so erkennt man aus Abb. 2.2-2 leicht, dass fu¨r den Normalfall n > 0 ein Rohrreaktor Vorteile gegenu¨ber einem kontinuierlichen Ru¨hrkessel besitzt.

Abb. 2.2-2 Verh€altnis der Konzentrationen von A im Rohr- zu kontinuierlichem Kessel (k ¼ 1). F€ ur eine Reaktionsordnung n ¼ þ1 ist das Verh€altnis immer kleiner als null, d. h. das Edukt A wird im Rohrreaktor schneller abgebaut als im Kessel. F€ ur n < 0 sind die Verh€altnisse genau umgekehrt. Nur im Falle einer Reaktion 0-Ordnung sind beide Reaktorarten gleichwertig.

61

62

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Ideale Ru¨hrkesselkaskade Diese stellt das Bindeglied zwischen dem idealen kontinuierlichen Ru¨hrkessel (Kesselzahl N ¼ 1) und dem idealen Rohrreaktor (N ! 1) dar. Fu¨r eine Reaktion 1. Ordnung und einer Batterie aus N-gleichen Kessel ergibt sich:

AN ¼ A0 

1 ð1 þ ksÞN

:

ð2:2

21Þ

2.2.1.2

Reaktoren mit realem Verhalten

In der Praxis treten mehr oder weniger große Abweichungen von dem vorher beschriebenen idealen Verhalten auf. Die Gro¨ße der Abweichung und damit der erste Schritt zur Erfassung der Realita¨t kann man bei einem gegebenen Reaktor durch die Analyse des Verweilzeitverhaltens ermitteln. Verweilzeitverhalten Fu¨r das Selektivita¨t/Umsatz-Verhalten eines chemischen Reaktors ist nicht nur die Kinetik der ablaufenden Reaktion entscheidend, sondern auch die Zeit, die den Reaktionspartnern fu¨r die Reaktion zur Verfu¨gung steht, d. h. das hydrodynamische Verhalten. Durch die experimentelle Bestimmung des Verweilzeitverhaltens eines real existierenden Reaktors kann man die Abweichung vom idealen hydrodynamischen Verhalten (Grenzfa¨lle: Pfropfenstro¨mung und vollsta¨ndige Ru¨ckvermischung) ermitteln und entscheiden, mit welchem Reaktormodell der reale Reaktor am besten beschrieben werden kann. Das Verweilzeitverhalten kann man experimentell mit Hilfe der Verdra¨ngungsmarkierung oder der Stoßmarkierung ermitteln, indem eine nichtreagierende Markierungssubstanz M in den Reaktorzulauf V_ gegeben wird. In Abb. 2.2-3 wird die Kon2.2.1.2.1

Abb. 2.2-3

Beispiel f€ ur die Durchf€ uhrung einer Verdr€angungsmarkierung (Erl€auterungen s. Text).

2.2 Reaktor

zentration von M im Volumenstrom zum Reaktor zur Zeit t ¼ 0 sprungartig von M ¼ 0 auf M0 zur Zeit t > 0 angehoben und der zeitliche Konzentrationsverlauf am Reaktorausgang gemessen, zum Beispiel indem man den konstanten Zulauf von Beha¨lter B1 (entha¨lt VE-Wasser) auf den Beha¨lter B2 (entha¨lt eine 1 %-ige Na2SO4-Lo¨sung) durch das gleichzeitige Umstellen zweier Kugelha¨hne umlegt und am Ausgang die elektrische Leitfa¨higkeit mit einem entsprechenden Detektor (Leitfa¨higkeitsmesszelle Q) registriert. In der Praxis verwendet man meist radioaktive Substanzen als Marker, da sie nur in Spuren der Reaktionsmischung beigemengt werden mu¨ssen, gut nachweisbar sind und so die chemische Reaktion nicht beeinflussen. Die erhaltene Antwortfunktion ist die sog. Verweilzeitsummenkurve FðtÞ: FðtÞ ¼

MðtÞ M0

ð2:2

22Þ

FðtÞ ¼ 0 fu¨r t ¼ 0 FðtÞ ¼ 1 fu¨r t ! 1.

Durch Differenzieren von FðtÞ (dimensionslos) erha¨lt man die Verweilzeitverteilungsfunktion wðtÞ (Dimension s 1): wðtÞ ¼

ðt dFðtÞ bzw: FðtÞ ¼ wðt 0 Þdt 0 ; dt

ð2:2

23Þ

0

die in der Literatur auch oft mit EðtÞ abgeku¨rzt wird [Baerns 1992]. Diese Funktion kann man auch direkt durch eine sog. Sprung- oder Stoßmarkierung messen, indem man die gesamte Markierungssubstanz innerhalb einer sehr kurzen Zeit zugibt. Aus den so erhaltenen Verweilzeitfunktionen (FðtÞ u¨ber Verdra¨ngungsmarkierung bzw. wðtÞ u¨ber Stoßmarkierung) kann man die mittlere Verweilzeit s berechnen:



1 ð

ð1

t  wðtÞdt ¼ t  dFðtÞ ¼

ð1

ð2:2

FðtÞÞdt:

24Þ

0

0

0

1 ð

Fu¨r die praktische Auswertung ermittelt man das Integral nummerisch, z. B. aus der Summenverteilungsfunktion nach: s

X i

ti  DFi ¼

X ð1 i

Fi Þ  Dti :

ð2:2

25Þ

ð2:2

26Þ

Fu¨r die Streuung um den Mittelwert (Varianz) erha¨lt man analog: 2

r ¼

1 ð 0

ðt

2

1 ð

sÞ  wðtÞdt ¼ 2  ð1 0

FðtÞÞ  ðt

s Þdt; 2

63

64

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

bzw. nach der Einfu¨hrung diskreter Messwerte [Baerns 1992]: r2  2 

X

ð2

Fi Þ  ðt

s Þ  Dti : 2

ð2:2

27Þ

€ r t < s und 1 f u €r t  s FðtÞ ¼ 0 f u

ð2:2

28Þ

€ r t ¼ s und 0 sonst: wðtÞ ¼ 1 f u

ð2:2

29Þ

ð2:2

30Þ

ð2:2

31Þ

ð2:2

32Þ

ð2:2

33Þ

i

Verweilzeitverhalten idealer Reaktoren Idealer Rohrreaktor mit Pfropfenstro¨mung 2.2.1.2.2

Laminares Stro¨mungsrohr FðtÞ ¼ 1 wðtÞ ¼

1 4  ðt=sÞ2

€ r ðt=sÞ  0,5 fu

1 1  : 2  s ðt=sÞ3

Idealer Ru¨hrkessel FðtÞ ¼ 1

exp ð t=sÞ ¼ Fðt=sÞ

1 1 wðtÞ ¼  exp ð t=sÞ ¼  wðt=sÞ: s s

Abb. 2.2-4 Verweilzeit-Summenfunktion Fðt=sÞ f€ ur den idealen kontinuierlichen R€ uhrkessel (1), das ideale Str€ omungsrohr mit Pfropfenstr€ omung (2) und das laminare Str€ omungsrohr (3). s ¼ 1.

2.2 Reaktor

Abb. 2.2-5 Verweilzeit-Verteilungsfunktion wðt=sÞ f€ ur den idealen kontinuierlichen R€ uhrkessel (1), das ideale Str€ omungsrohr mit Pfropfenstr€ omung (3) und das laminare Str€ omungsrohr (2). s ¼ 1.

Verweilzeitverhalten realer Reaktoren Sind die Abweichungen nur „klein“, so ko¨nnen diese mit dem sog. Dispersionsmodell (zusa¨tzlicher Dispersionsstrom ist der Pfropfenstro¨mung u¨berlagert) oder Zellenmodell (Kaskade idealer Ru¨hrkessel) beschrieben werden. Sind die Abweichungen „gro¨ßer“, so ist die Berechnung nicht idealer Reaktoren im allgemeinen schwierig. Ein einfacher zu behandelnder Sonderfall liegt vor, wenn die durch den Reaktor stro¨menden Volumenelemente nur makroskopisch aber nicht mikroskopisch vermischt sind (segregierte Stro¨mung). Dieser Fall la¨sst sich durch das Hofmann-Schoenemann9-Verfahren (s. unten) lo¨sen. Dispersionsmodell [Qi 2001] Das Dispersionsmodell geht davon aus, dass die Verweilzeitverteilung eines realen ¨ berlagerung der Pfropfenstro¨Stro¨mungsrohres na¨herungsweise als Folge einer U mung, die dem idealen Stro¨mungsrohr zugrunde liegt, durch eine diffusionsartige axiale Vermischung betrachtet werden kann. Diese axiale Vermischung wird durch einen axialen Dispersionskoeffizienten Dax charakterisiert, der dieselbe Dimension hat wie der molekulare Diffusionskoeffizient, jedoch viel gro¨ßer sein kann als dieser. Zur axialen Vermischung ko¨nnen folgende Effekte beitragen: *

*

*

die konvektive Vermischung in Stro¨mungsrichtung, hervorgerufen durch Wirbelbildungen bzw. Turbulenzen, das unterschiedliche Verweilzeitverhalten von Teilchen, die sich entlang verschiedener Stromlinien bewegen, verursacht durch eine ungleichfo¨rmige Verteilung der Stro¨mungsgeschwindigkeit u¨ber den Rohrquerschnitt, die allgegenwa¨rtige molekulare Diffusion.

9) Karl Schoenemann, von 1948 bis 1966 Professor an der Technischen Hochschule Darmstadt.

65

66

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

In den meisten praktischen Fa¨llen tritt der Einfluss der molekularen Diffusion gegenu¨ber den ersten beiden Effekten in den Hintergrund. Die beiden ersten Effekte unterscheiden sich insofern wesentlich voneinander, als der erste eine Ru¨ckvermischung, d. h. einen Stofftransport entgegen der Stro¨mungsrichtung unter dem Einfluss eines Konzentrationsgradienten verursachen kann; eine Ru¨ckvermischung infolge des zweiten Effektes ist dagegen unmo¨glich. Die Verweilzeit-Summenfunktion fu¨r ein reales Stro¨mungsrohr kann aus der allgemeinen Stoffbilanz unter Beru¨cksichtigung des Dispersionsterms abgeleitet werden: @M ¼ @t

ux 

@M @2M þ Dax  @x @x 2

ð2:2

34Þ

M = Konzentration der nichtreagierenden Markierungssubstanz.

Durch Einfu¨hrung der dimensionslosen Variablen t=s und x=L sowie durch die Definition der dimensionslosen Bodensteinzahl10 (Bo): Bo ¼

ux  L ; Dax

ð2:2

35Þ

ð2:2

36Þ

erha¨lt man folgende Differentialgleichung: @M ¼ @ðt=sÞ

@M 1 @2M þ  , @ðx=LÞ Bo @ðx=LÞ2

deren Lo¨sung fu¨r einen unendlichen langen Reaktor (L ! 1) lautet [Fitzer 1989]: " Mðt=sÞ 1 ¼ Fðt=sÞ ¼  1 M0 2

erf

mit der „error function“:

!# pffiffiffiffiffiffi Bo 1 ðt=sÞ  pffiffiffiffiffiffi 2 t=s

ðx 2 2 p ffiffiffi erf ðxÞ ¼ t  dt:  exp p

ð2:2

37Þ

ð2:2

38Þ

0

Durch Differenzieren der Verweilzeit-Summenfunktion Fðt=sÞ (Gl. (2.2-23) und Gl. (2.2-37)) erha¨lt man die entsprechende Verweilzeit-Verteilungsfunktion: 1 þ ðt=sÞ  wðt=sÞ ¼ 4  ðt=sÞ

sffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi Bo  exp p  ðt=sÞ

! Bo  ½1 ðt=sފ2 : 4  ðt=sÞ

10) Max E.A. Bodenstein, dtsch. Physiker (1871 – 1942).

ð2:2

39Þ

2.2 Reaktor

Abb. 2.2-6 Verweilzeit-Summenfunktion (Gl. (2.2-37)) f€ ur verschiedene Bo-Werte (von links nach rechts: Bo ¼ 0,1/1/5/10/20/50/100/200).

Diese Gleichung gilt fu¨r Bo-Werte > 0. Laminares Stro¨mungsverhalten wird durch diese Gleichung nicht abgedeckt. In den Abb. 2.2-6 und -7 sind diese Funktionen fu¨r verschiedene Bo-Werte dargestellt.

Abb. 2.2-7 Verweilzeit-Verteilungsfunktion (Gl. (2.2-39)) f€ ur verschiedene Bo-Werte (von links nach rechts: Bo ¼ 1/5/10/20/50/100).

67

68

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Fu¨r die Grenzwerte gilt: *

*

Bo ! 1: es liegt keine axiale Vermischung vor, d. h. das System erfu¨llt die Voraussetzungen des idealen Stro¨mungsrohres. Bo ¼ 0: es liegt vollsta¨ndige Ru¨ckvermischung vor, welche fu¨r den Idealkessel charakteristisch ist.

Um die Stro¨mung in einem realen Stro¨mungsrohr zu beschreiben, ist aus der Schar der berechneten Verweilzeitsummen-Kurven diejenige auszusuchen, welche die experimentell ermittelte Kurve am besten wiedergibt. Aus dem Zahlenwert, der dieser ausgewa¨hlten Kurve entsprechenden Bo-Zahl, la¨sst sich das Verhalten des Systems als Reaktor abscha¨tzen, außerdem kann man aus dem Bo-Wert, da u und L bekannt sind, Dax berechnen. Zellenmodell (Abb. 2.2-8 und Abb. 2.2-9) Das reale Verweilzeit-Verhalten eines Reaktors kann auch mit Hilfe einer Reaktorkaskade beschrieben werden. Als Kennzahl fu¨r das reale Verhalten dient die Anzahl der Kessel N. Die entsprechenden Verteilungsfunktionen lauten:

Fðt=sÞ ¼ 1

wðt=sÞ ¼

" # N X ðN  ðt=sÞÞi 1 i¼1

ði

N  ðN  t=sÞN ðN 1Þ!

1Þ!

 exp ð N  t=sÞ

ð2:2

40Þ

ð2:2

41Þ

1

 exp ð N  t=sÞ:

Abb. 2.2-8 Verweilzeit-Summenfunktion (Gl. (2.2-40)) f€ ur verschiedene N-Werte (von links nach rechts: N ¼ 1/2/5/20/50).

2.2 Reaktor

Abb. 2.2-9 Verweilzeit-Verteilungsfunktion (Gl. (2.2-41)) f€ ur verschiedene N-Werte (von links nach rechts: N ¼ 1/2/5/20/50).

Dispersions- und Zellenmodell sind fu¨r den Fall, dass das Verweilzeit-Verhalten sich nur wenig vom idealen Rohreaktor unterscheidet (Bo > 40) a¨hnlich und es gilt: Bo  2  N:

ð2:2

42Þ

Treten gro¨ßere Abweichungen vom idealen Verhalten ein (z. B. Totwasser, Kurzschluss), so gibt es folgende Mo¨glichkeiten das Problem zu lo¨sen: ¨ hnlichkeitsa) Historisch wurde das Problem von den Ingenieuren mit Hilfe der A theorie und den daraus abgeleiteten Kennzahlen gelo¨st (Buckinghamsches P-Theorem [Zlokarnik 2000]). b) Heute versucht man das Differentialgleichungssystem dank leistungsstarker Rechner nummerisch zu lo¨sen (s. Kap. 2.4.1) [Platzer 1996]. Dennoch setzt die Komplexita¨t des realen Systems auch hier schnell Grenzen. Die Gru¨nde sind, wie oben schon angedeutet, die Schwierigkeiten bei der Lo¨sung des partiellen, nichtlinearen Differentialgleichungssystems (Gl. (2.2-1 bis 2.2-3)) und der großen Zahl der dafu¨r notwendigen Eingabedaten, die fu¨r reale Systeme ha¨ufig nur schwer beschaffbar oder mit großen Fehlern behaftet sind. Hofmann11-Schonemann12-Verfahren Bei einer segregierten Stro¨mung kann man sich jedes Volumenelement als einen kleinen idealen Ru¨hrkessel vorstellen, in dem die Reaktion solange abla¨uft, wie das Volumenelement im Reaktor verweilt. Die sich dann einstellende Konzentration berechnet sich aus: 11) Hans Hofmann, Prof. eme. an der Technischen Universita¨t Karlsruhe. 12) Karl Schoenemann, Prof. an der Technischen Universita¨t Darmstadt (1900 – 1984).

69

70

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Aende ¼

1 ð

AðtÞ  wðtÞ  dt

bzw: U ¼ 1

0

1 ð 0

AðtÞ  wðtÞ  dt; A0

ð2:2

43Þ

wobei AðtÞ die Konzentration des Eduktes in einem satzweise, die Zeit t betriebenen Ru¨hrkessel und wðtÞ das Verweilzeitspektrum der Volumenelemente darstellt. AðtÞ kann dabei in einem Laborreaktor gemessen werden; wðtÞ muss im technischen Reaktor bestimmt werden. Die Gl. (2.2-43) kann nummerisch oder grafisch (Verfahren nach Hofmann-Schoenemann) gelo¨st werden. Beispiel 2.2-1 Fu¨r den idealen kontinuierlichen Ru¨hrkessel sowie einer Reaktion 1. Ordnung lauten die entsprechenden Gleichungen: AðtÞ ¼ A0  exp ð k  tÞ  t 1 : wðtÞ ¼  exp s s Einsetzen in Gl. (2.2-43) liefert nach Umformung:

Aende

A ¼ 0 s

1 ð

exp

0

    1  t dt kþ s

und Integration: Aende ¼

A0 1 þ ks

die bekannte Ru¨hrkesselgleichung Gl. (2.2-11).

2.2.1.3

Nicht-isotherme Reaktoren

Die bei den idealen Reaktoren angenommene isotherme Fahrweise la¨sst sich bei Reaktionen mit starker Wa¨rmeto¨nung in technischen Reaktoren praktisch nicht realisieren, so dass fu¨r die Praxis neben der Stoffbilanz (Gl. (2.2-44)), die Energiebilanz (Gl. (2.2-45)) mit zu beru¨cksichtigen ist: @Aðx; tÞ ¼ @t

 u

@A @2A þ DA  2 þ mA  rV ðTÞ @x @x

ð2:2

44Þ

2.2 Reaktor

@Tðx; tÞ ¼ @t

  2   @T k @ T ð DR HÞ  u þ  2þ  rV ðTÞ @x cP  q @x cP  q   kW  AW  þ  ðTK TÞ VR  cP  q

kW = Wa¨rmedurchgangskoeffizient in W m TK = Ku¨hlmitteltemperatur in K u¨brige Symbole s. Gl. (2.2-2).

2

K

ð2:2

45Þ

1

Die beiden Gleichungen (Legende s. Kap. 2.2.1) sind u¨ber die Temperaturabha¨ngigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit rV ðTÞ miteinander gekoppelt. Da diese Abha¨ngigkeit normalerweise mit Hilfe des Arrhenius-Terms ausgedru¨ckt wird, muss dieses Differentialgleichungssystem nummerische gelo¨st werden, da der Arrhenius-Term nicht geschlossen integriert werden kann. Im Folgenden wird die Beschreibung der wichtigsten Reaktormodelle unter Beru¨cksichtigung einer nicht-isothermen Fahrweise an folgendem Beispiel vorgestellt: Beispiel 2.2-2 [Wang 1999] Chemie: Oxidation einer wa¨ssrigen Glucose-Lo¨sung mit reinem Sauerstoff unter u¨berkritischen Bedingungen [Franck 1999], d. h. homogene Fluidphase. *

C6 ðH2 OÞ6 þ 6O2 ! 6CO2 þ 6H2 O; DR H ¼ konst: ¼

2802 kJ mol

Kinetik: Reaktion pseudo 1. Ordnung bzgl. Glucose (A) * * * *

A ¼ A0 exp ð ktÞ kð380 8CÞ ¼ 0,0536 s 1 Ea ¼ 91,3 kJ mol 1 kðTÞ ¼ 1,08 106 exp ð 91300=RTÞ

Randbedingungen: * * *

Ausgangstemperatur T0 ¼ 380 8C ¼ 653 K Druck P ¼ 300 bar Ausgangskonzentration A0 ¼ 1 % (g g 1) ¼ 11,11 mol m (mittlere Dichte 200 kg m 3)

3

Stoffdaten: * *

mittlere Dichte q ¼ 200 kg m 3 mittlere Wa¨rmekapazita¨t cP ¼ 6000 J kg

1

K

1

Ku¨hlbedingungen: * *

Ku¨hlmitteltemperatur TK ¼ konst. ¼ 380 8C ¼ 653 K Wa¨rmeu¨bergangskoeffizient kW ¼ konst. ¼ 500 W m 2 K

1

1

71

72

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Kontinuierlicher idealer Rohrreaktor mit adiabatischer Reaktionsfu¨hrung Unter der Beru¨cksichtigung der Randbedingungen fu¨r einen idealen Rohrreaktor sowie der Annahme einer Reaktion 1. Ordnung ergibt sich aus den Gl. (2.2-44 und 45):

dA dx



 u



  dT ð DR HÞ  þ  kðTÞ  A: u dx cP  q

kðTÞ  A

ð2:2

46Þ

ð2:2

47Þ

Beispiel 2.2-2a Einsetzen der obigen Beispielbedingungen ergibt bei einer angenommenen Stro¨mungsgeschwindigkeit u ¼2 m s 1: 1,08  10 6  exp ð 91300=RTÞ  A 2   dT ð DR HÞ 2802  10 3 ¼  kðTÞ  A ¼  1,08  10 6  exp ð 91300=RTÞ  A:  dx q  cP  u 6000  200  2 dA ¼ dx

kðTÞ  A ¼  u

Die nummerische Lo¨sung liefert den in Abb. 2.2-10 dargestellten Temperaturverlauf entlang des Rohrreaktors.

Abb. 2.2-10 Temperaturprofil in einem Rohrreaktor (Randbedingungen s. Text). Die adiabatische Temperaturerh€ ohung betr€agt 26 8C (Gl. (2.2-50)).

2.2 Reaktor

Wenn man auf das Temperatur/La¨nge-Profil TðxÞ verzichtet, kann man die Temperaturerho¨hung als Funktion des Umsatzes durch Integration von Gl. (2.2-44):   dT ð DR HÞ dA dx ¼  þ mit u ð2:2 48Þ  0¼ u dx cP  q dt dt direkt berechnen: T ¼ T0 þ

ð DR HÞ  A0  U: cP  q

ð2:2

49Þ

Bei vollsta¨ndigem Umsatz folgt fu¨r die adiabatische Temperaturerho¨hung: DTad ¼

ð DR HÞ  A0 : cP  q

ð2:2

50Þ

Diskontinuierlicher idealer Ru¨hrkessel mit adiabatischer Reaktionsfu¨hrung Dieser Fall ist mathematisch identisch mit obigem Fall, da man mit Hilfe der mitt die La¨nge x in die Zeit tðdx ¼ u  dtÞ transformieleren Stro¨mungsgeschwindigkeit u ren kann. Diskontinuierlicher idealer Ru¨hrkessel mit polytroper Reaktionsfu¨hrung Unter der Beru¨cksichtigung der Randbedingungen fu¨r einen idealen diskontinuierlichen Ru¨hrkessel sowie der Annahme einer Reaktion 1. Ordnung ergibt sich aus den Gl. (2.2-44) und (2.2-45):

@Aðx; tÞ ¼ @t dTðx; tÞ ¼ dt

kðTÞ  A     ð DR H kW  AW  kðTÞ  A þ  ðTW cP  q V R  cP  q

TÞ:

ð2:2

51Þ

ð2:2

52Þ

Wie man aus Gl. (2.2-52) erkennt, steigt die Wa¨rmeabfuhr linear mit der Temperatur im Kessel (bei konstanter Ku¨hlmitteltemperatur); die Wa¨rmeerzeugung steigt dagegen „exponentiell“ entsprechend der Arrhenius-Gleichung an (Vorsicht!). Beispiel 2.2-2b Einsetzen der Beispielbedingungen ergibt fu¨r einen 1 m3 kugelfo¨rmigen Reaktor (4,84 m2 Wa¨rmetauschfla¨che): dAðx; tÞ ¼ dt

1,08  106  exp ð 91300=RTÞ  A

73

74

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Abb. 2.2-11 s. Text).

Zeitlicher Temperaturverlauf in einem diskontinuierlichen R€ uhrkessel (Randbedingungen

  dTðx; tÞ 2802  103 ¼  1,08  106 exp ð 91300=RTÞ  A dt 6000  200   500  4,84 þ  ð653 TÞ: 1  6000  200 Die nummerische Lo¨sung liefert den in Abb. 2.2-11 dargestellten Temperaturverlauf TðtÞ als Funktion der Reaktionszeit t.

Kontinuierlicher idealer Rohrreaktor mit polytroper Reaktionsfu¨hrung Dieser Fall ist mathematisch identisch mit obigem Fall, da man wieder mit Hilfe der  die Zeit t in die La¨nge xðdt ¼ u  1 dxÞ transmittleren Stro¨mungsgeschwindigkeit u formieren kann. Kontinuierlicher idealer Ru¨hrkessel mit polytroper Reaktionsfu¨hrung Die Behandlung dieses Falles ist mathematisch besonders einfach, da aufgrund des gradientenfreien Betriebs kein gekoppeltes Differentialgleichungssystem gelo¨st werden muss. Die Stoffbilanz u¨ber den kontinuierlichen Ru¨hrkessel fu¨r eine einfache irreversible Reaktion A ! P ergibt sich aus Gl. (2.2-9a) fu¨r die folgenden Reaktionsordnungen n zu:

2.2 Reaktor

n ¼ 0 : UA ðT; sÞ ¼

kðTÞ  s A0

ð2:2

53Þ

n ¼ 1 : UA ðT; sÞ ¼

kðTÞ  s 1 þ kðTÞ  s

ð2:2

54Þ

ð2:2

55Þ

n ¼ 2 : UA ðT; sÞ ¼ 1

1  2ks  A0

qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 4  ks  A0 þ 1

1 :

Die durch Reaktion produzierte (verbrauchte) Wa¨rmemenge Q_ R ist gleich der durch Wa¨rmetausch mit der Umgebung Q_ W und der durch Konvektion transportierten Wa¨rmemenge Q_ K : Q_ R ¼ Q_ W þ Q_ K :

ð2:2

56Þ

Die durch die Reaktion produzierte (verbrauchte) Wa¨rmemenge ist gleich: Q_ R ðT; sÞ ¼ ð DR HÞ  ðn_ 0A

n_ A Þ ¼ ð DR HÞ  V_  A0  UA ðT; sÞ:

ð2:2

57Þ

Die durch Wa¨rmetausch mit der Umgebung ausgetauschte Wa¨rmemenge ist gleich: Q_ W ðT; sÞ ¼ kW  AW  ðT

TK Þ

ð2:2

58Þ

kW = Wa¨rmedurchgangskoeffizient AW = Wa¨rmetauschfla¨che TK = Ku¨hlmitteltemperatur (konstant).

Die durch Stro¨mung in bzw. aus dem Reaktor ein bzw. ausgetragene Wa¨rmemenge ist gleich: Q_ K ðT; sÞ ¼ V_  q  cP  ðT

T0 Þ:

ð2:2

59Þ

T0 = Eintrittstemperatur

Die Lo¨sung der Gl. (2.2-56) erfolgt am einfachsten grafisch durch die Bestimmung der gemeinsamen Schnittpunkte (¼ Betriebspunkte) der S-fo¨rmigen Q_ R -Kurve und der Geraden Q_ W þ Q_ K (Abb. 2.2-13). Ein stationa¨rer Betriebspunkt ist dann stabil (in_ stabil), wenn die Steigung der QR -Kurve kleiner (gro¨ßer) als die Steigung der Q_ W þ Q_ K -Geraden ist [Mu¨ller-Erlwein 1998, Ferino 1999]. Beispiel 2.2-2c (Abb. 2.2-12)

Einsetzen der obigen Beispielbedingungen ergibt fu¨r einen 1 m3 kugelfo¨rmigen Reaktor (4,84 m2 Wa¨rmetauschfla¨che) und einen Volumenstrom von 36 m3 h 1 (entsprechend 100 s Verweilzeit):

75

76

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Abb. 2.2-12

Umsatz als Funktion der Reaktortemperatur nach Gl. (2.2-60) (Erl€auterungen s. Text).

UA ðT; sÞ ¼

kðTÞ  s mit kðTÞ ¼ 1,08  106  exp ð 91300=RTÞ: 1 þ kðTÞ  s

Die einzelnen Terme ergeben sich in kJ s

1

ð2:2

60Þ

zu:

Q_ R ðT; sÞ ¼ ð DR HÞ  V_  A0  UA ðT; sÞ ¼ 2 802 000  0,01  11,11  UA ðT; sÞ Q_ W ðT; sÞ ¼ kW  AW  ðT

TK Þ ¼ 500  4,84  ðT

Q_ K ðT; sÞ ¼ V_  q  cP  ðT

T0 Þ ¼ 0,01  200  6000  ðT

Q_ W ðT; sÞ þ Q_ K ðT; sÞ ¼ 14420  ðT

653Þ 653Þ

653Þ:

Aus Abb. 2.2-13 ergibt sich als gemeinsamer Schnittpunkt zwischen Wa¨rmeproduktionskurve und Wa¨rmeabfuhrkurve eine stationa¨re Reaktortemperatur von 672 K, was nach Abb. 2.2-12 einem Umsatz von 90 % entspricht.

2.2.1.4

Ausfu¨hrungsformen von Reaktoren

Die Zahl der mo¨glichen Ausfu¨hrungsformen von chemischen Reaktoren ist aufgrund der mo¨glichen Kombinationen zwischen: * * * *

Chargen- und Fließbetrieb Reaktionswa¨rme (stark exotherm bis stark endotherm) Temperaturfu¨hrung (adiabatisch bis isotherm) Raum-Zeit-Ausbeute (niedrig bis hoch)

2.2 Reaktor

Abb. 2.2-13

* * *

W€arme-Temperatur Diagramm (Erl€auterungen s. Text).

Reaktionsbedingungen (Druck, Temperatur, Konzentration) Katalysator (heterogen, homogen, bio) Phasen (homogen bis mehrphasig)

sehr groß. In der industriellen Praxis findet man jedoch eine u¨berschaubare Zahl an Reaktortypen, die man z. B. nach den zu handhabenden Aggregatzusta¨nden einteilen kann in: * * * *

Gasphasen-Reaktoren Flu¨ssigphasen-Reaktoren Gas/Flu¨ssig-Reaktoren Gas/Fest-Reaktoren u. a.

¨ berblick findet man in [Ullmann2]. Im Folgenden sollen nur die drei Einen guten U wichtigsten Reaktortypen, der Ru¨hrkessel-, der Rohr- und der Wirbelschichtreaktor sowie eine neuere Entwicklung, der Mikroreaktor, na¨her beschrieben werden. Ru¨hrkesselreaktor Der klassische Apparat fu¨r homogene flu¨ssige Reaktionssysteme ist der Ru¨hrkessel, der vorzugsweise diskontinuierlich betrieben wird, da der kontinuierliche Betrieb bei „normalen“ Reaktionskinetiken (Reaktionsordnung gro¨ßer null) nachteilig ist (Kap. 2.2.1.1), eine Ausnahme bildet sein Einsatz in Verbindung mit einer Kaskadenschaltung. Fu¨r kleinere Produktionsmengen (Faustregel: kleiner 10 000 jato) und/oder sta¨ndig wechselnde Produkte hat er gegenu¨ber dem Rohrreaktor deutliche Vorteile. Mit seiner Hilfe ko¨nnen sehr lange Verweilzeiten problemlos eingestellt sowie Reaktionsbedingungen wie Temperatur, pH-Wert oder Katalysatorkonzentration wa¨hrend der Reaktionszeit vera¨ndert und optimiert werden. Die Produktqualita¨t unterliegt im Chargenbetrieb gewissen Schwankungen, so dass eine sta¨ndige Prozesskontrolle notwendig ist.

77

78

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile Abb. 2.2-14 Volumen/m3

Standardr€ uhrkessel nach DIN. Beispiele:

d B* /m

Wa¨rmeaustauschfla¨che/m2

Fla¨chen/VolumenVerha¨ltnis/m2 m 3

0,1

0,508

0,80

8,0

0,25

0,700

1,48

5,9

1,0

1,20

3,87

3,9

2,50

1,60

7,90

3,2

6,30

2,00

13,1

2,1

10,0

2,40

18,7

1,9

25,0

3,00

34,6

1,4

* Durchmesser

Ru¨hrkessel gibt es in einer großen Anzahl standardisierter Gro¨ßen und Abmessungen (Abb. 2.2-14). Wenn immer mo¨glich, wird man aus Gru¨nden der Kostenersparnis auf die Standardabmessungen und -materialien zuru¨ckgreifen und teure Sonderanfertigungen vermeiden. Eine der Hauptaufgaben des Ru¨hrkessels besteht im homogenisieren der zulaufenden Edukte und der Reaktionsmischung mit Hilfe eines geeigneten Ru¨hrers. Um eine homogene Reaktionsmasse im Beha¨lter zu gewa¨hrleisten, sollte die Mischzeit ho¨chstens 10 % der Zeitkonstante der Reaktion (Ausgangskonzentration geteilt durch die Reaktionsgeschwindigkeit) sein. Neben dem Einsatz von Ru¨hrern ist es mo¨glich den Reaktorinhalt mit Hilfe von Strahlmischern (Eindu¨sen der umgepumpten Flu¨ssigkeit) und Schlaufenreaktoren durchzufu¨hren. Daneben spielt der Wa¨rmeaustausch u¨ber die Kesselwand und die unter Umsta¨nden eingebauten Rohrschlangen (besonders bei gro¨ßeren Kesseln) eine wesentliche Rolle bei der Reaktorauslegung. Abb. 2.2-15 gibt ein besonders bevorzugtes Ru¨hrkessel-Design wieder, bei welchem der Ru¨hrer durch ein Pumpe/Du¨se-System ersetzt ist und der Wa¨rmetausch u¨ber einen außenliegenden Wa¨rmetauscher erfolgt. Rohrreaktor Wegen der im Vergleich zum Ru¨hrkessel großen wa¨rmeabfu¨hrenden Wandfla¨che im Verha¨ltnis zum Inhalt, ist der Rohrreaktor besonders zur Durchfu¨hrung von Reaktionen mit starker Wa¨rmeto¨nung (exo- bzw. endotherm) geeignet. Im allgemeinen werden Rohrreaktoren im turbulenten Stro¨mungsbereich betrieben (Re > 104 ). Das Verha¨ltnis von Rohrla¨nge zu Rohrdurchmesser sollte gro¨ßer fu¨nfzig betragen, um den Einfluss von Ru¨ckvermischungsvorga¨ngen gegenu¨ber dem konvektiven Transport durch erzwungene Stro¨mung im Reaktor vernachla¨ssigen zu ko¨nnen. Fu¨r langsame Reaktionen, dazu geho¨ren ha¨ufig Flu¨ssigphasenreaktionen, ist der Einsatz von Rohrreaktoren durch die erforderlichen langen Verweilzeiten und daher

2.2 Reaktor

Abb. 2.2-15

Beispiel f€ ur ein intelligentes R€ uhrkessel-Design.

niedrigen Stro¨mungsgeschwindigkeiten begrenzt. Eine gesicherte Reaktionsfu¨hrung ist bei Re < 1000 vor allem bei niedermolekularen Medien nicht mehr mo¨glich. Durch Wa¨rme- und Stoffaustausch kommt es zu Sekunda¨rstro¨men, die zu einem chaotischen Reaktorverhalten fu¨hren ko¨nnen. In hochviskosen Medien, z. B. bei Polymerisationsreaktionen, stellt sich ein laminares Geschwindigkeitsprofil ein, dass zu einem breiten Verweilzeitspektrum (Abb. 2.2-5) fu¨hrt. Eine gewisse Abhilfe ko¨nnen hier Einbauten, wie z. B. statische Mischer oder Fu¨llko¨rper schaffen, die zu einem verbesserten radialen Konzentrations- und Temperaturausgleich fu¨hren. Bei heterogen katalysierten Gasphasenreaktionen (z. B. Partialoxidationen, Dehydrierungen) werden Rohrreaktoren oft als Rohrbu¨ndelreaktoren (viele katalysatorgefu¨llte Rohre in Parallelschaltung) gefertigt (Abb. 2.2-16) [Hofmann 1979, Andrigo 1999, Adler 2000]. Wirbelschicht-Reaktor Unter einer Wirbelschicht versteht man eine sich bewegende Partikelschu¨ttung, die durch ein Fluid von unten durchstro¨mt wird, ohne dass das stro¨mende Medium den Feststoff mitreißt. Die Verwirbelung (Vermischung) beruht auf zwei parallel verlaufenden Grundvorga¨ngen, na¨mlich der Vermischung des stro¨menden Fluids in den Zwischenra¨umen und der Vermischung im gesamten Bett durch die bewegten Feststoffteilchen. Das Verweilzeitverhalten der durchstro¨menden Fluidphase entspricht bei schlanken Reaktoren dem eines Stro¨mungsrohres; bei gedrungenen Reaktoren und geringerer Fluidgeschwindigkeit hat man Ru¨hrkesselverhalten. Wirbelschichtreaktoren werden bevorzugt zur Durchfu¨hrung von Reaktionen mit starker Wa¨rmeto¨nung (Acrylnitril-Synthese durch Ammonoxidation von Propylen, DR H ¼ 502 kJ mol 1 ; Melamin aus Harnstoff, DR H ¼ þ472 kJ mol 1 eingesetzt, ¨ berhitzungen (Hot-spots) zu vermeiden. Der Wa¨rmeu¨bergang ist 5 um o¨rtliche U bis 10mal gro¨ßer als in einem Festbett. Trotz des Einsatzes von sehr kleinen Feststoffpartikeln (< 300 lm, normalerweise 50 bis 100 lm) mit hoher spezifischer Oberfla¨-

79

80

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Abb. 2.2-16 Salzbad-Rohrb€ undel-Reaktor f€ ur Partialoxidationen an einem Heterogenkatalysator. Die freiwerdende Reaktionsw€arme wird an ein umlaufendes Salzbad abgef€ uhrt, welches durch Kondensatverdampfung gek€ uhlt wird.

€ber einer Partikelsch€ Abb. 2.2-17 Verlauf des Druckverlustes DP u uttung in Abh€angigkeit von der Fluidgeschwindigkeit u. ð1 eÞ2 m  u Laminare Str€ omung (RedP ¼ 10 bis 50): DP=L / e3 dP2 q  u2 Turbulente Str€ omung (RedP > 300): DP=L / ð1 eÞ  dP Wirbelschicht: DP=L / ð1 eÞ  ðcFest cGas Þ e = Vleer =Vges m = kinematische Z€ahigkeit dP = Partikeldurchmesser q = Dichte c = spezifisches Gewicht Weitere Erl€auterungen s. Text. u  dp  q : mit Redp ¼ g

2.2 Reaktor

che ist der Druckverlust im Vergleich zum Festbett sehr gering. In Abb. 2.2-17 ist qualitativ der Verlauf des Druckverlustes in Abha¨ngigkeit von der Fluidgeschwindigkeit aufgetragen. Der Druckverlust des Fluids nimmt dabei zuna¨chst u¨ber die Ho¨he der Feststoffschu¨ttung mit wachsender Geschwindigkeit zu (Festbett-Reaktor, e ¼ 0,4 bis 0,5) bis zum sog. Lockerungspunkt (Lockerungsgeschwindigkeit von 0,001 bis 0,1 m s 1 bzgl. Leerrohr), an dem die Feststoffschu¨ttung aufgelockert wird und in den Fließzustand (bis 0,5 m s 1) u¨bergeht. Bei weiterer Steigerung der Fluidgeschwindigkeit bleibt der Druckverlust anna¨hernd konstant, wa¨hrend sich die gebildete Wirbelschicht weiter ausdehnt und die Bewegung der Teilchen dabei immer heftiger wird (Wirbelschicht-Reaktor, e ¼ 0,7 bis 0,8) . Bei weiterer Steigerung der Fluidgeschwindigkeit werden die Feststoffpartikel mit dem Fluidstrom aus dem Reaktor ausgetragen und die Feststoffmenge im Reaktor kann nur durch Ru¨ckfu¨hrung des ausgetragenen Feststoffes aufrechterhalten werden (Riser-Reaktor, circulating fluidized-bed [Contractor 1999], e ¼ 0,9 bis 0,98). Ab einer bestimmten Fluidgeschwindigkeit gelangt man in den Bereich der pneumatischen Fo¨rderung, bei der die Feststoffpartikel ohne verweilen direkt aus dem Reaktor ausgetragen werden und der Druckverlust durch die Beschleunigung der Feststoffteilchen merklich ansteigt. In technischen Wirbelschichtreaktoren treten oft Inhomogenita¨ten (Kanalbildung, Blasenbildung, stoßende Wirbelschicht), die durch das Zusammenwirken von Staudruck und Schweredruck einerseits und Gro¨ße und Oberfla¨chenbeschaffenheit des Feststoffes andererseits entstehen. Dabei sind schwere und unregelma¨ßig geformte, scharfkantige Partikel besonders fu¨r die Ausbildung dieser Inhomogenita¨ten pra¨destiniert. Wirbelschichtreaktoren ko¨nnen im Chemiebereich bis zu 10 m Durchmesser erreichen. Ihr Scale-up ist mit großen Risiken verbunden (Erosion an den Reaktorwa¨nden und insbesondere an den Ku¨hlrohren, Blasenbildung (R Stoßen), Feststoffaustrag, Feinstaubverlust, Abrieb), so dass heute die Haupteinsatzgebiete bei Synthesen mit starker Wa¨rmeto¨nung (z. B. Acrylnitril, Maleinsa¨ureanhydrid, Fluid Catcrakken) sowie im Bereich der Wirbelschichtfeuerung liegen. Mikroreaktor Die Mikroreaktionstechnik befasst sich mit chemischen Reaktionen und Grundoperationen der Verfahrenstechnik in Komponenten und Systemen, deren charakteristische Abmessungen sich typischerweise vom Submillimeter- bis in den Submikrometerbereich erstrecken. Da mit einer Verkleinerung der charakteristischen Abmessungen bei vorgegebenen Temperatur- und Konzentrationsunterschieden die Gradienten dieser Zustandsgro¨ßen entsprechend ansteigen, ergeben sich in Mikroreaktionssystemen wesentlich ho¨here treibende Kra¨fte fu¨r den Stoff- und Wa¨rmeaustausch. Mikroreaktoren [Wo¨rz 2000, Wo¨rz 2000a, GIT 1999, Ehrfeld 2000] werden in ju¨ngster Zeit sowohl als Produktionsreaktoren als auch als Werkzeug fu¨r die Reaktorentwicklung diskutiert. Kennzeichen eines Mikroreaktors sind Reaktionskana¨le in der Gro¨ßenordnung von 10 bis 100 lm, bei denen das Oberfla¨chen zu Volumenverha¨ltnis (s. auch Abb. 2.1-9) sehr hohe Werte annimmt. Damit sind Mikroreaktoren zur Durchfu¨hrung von sehr schnellen Reaktionen, die mit großen Reaktionswa¨rmen verbunden sind, geeignet. Dadurch ko¨nnen unerwu¨nschte Hot-spots weitgehend vermie-

81

82

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

den werden. Sind Foulingprobleme zu erwarten, so ist der technische Einsatz von Mikroreaktoren in Frage gestellt. Die ersten Mini- und Mikroreaktoren laufen bereits in der chemischen Produktion (Merck KGaA) [Felcht 2001].

2.3 Produktaufarbeitung (thermische- und mechanische Trennverfahren)

2.3

Produktaufarbeitung (thermische- und mechanische Trennverfahren) Die Trenntechnik – ein Kerngebiet der chemischen Technologie – wird in ihrer Vielfalt von kaum einem anderen Bereich erreicht. Die Trennprozesse erfordern ca. 43 % der verbrauchten Energie und 40 bis 70 % der Investitionskosten [Eissen 2002]. Thermische Trennverfahren [Sattler 1995, Scho¨nbucher 2002] (z. B. Rektifikation) kommen ebenso zum Einsatz wie mechanische Verfahren (z. B. Filtrieren, Zerkleinern) oder chemische Reaktionen (z. B. Ionentauscher). Entsprechend umfangreich ist die Palette der eingesetzten Gera¨te und Hilfsstoffe, so dass im Rahmen dieses Buches nur eine kleine Auswahl pra¨sentiert werden kann.

2.3.1

Wa¨rmeu¨bertragung, Verdampfung, Kondensation

Wa¨rmeaustauscher sind neben Pumpen zahlenma¨ßig die ha¨ufigsten Apparate in Chemieanlagen. Sie spielen eine Rolle bei der Eduktvorbereitung, der Einstellung und Aufrechterhaltung von Reaktionsbedingungen und vor allem bei den thermischen Trennverfahren. Eine wa¨rmetechnisch gut ausgelegte Anlage tra¨gt erheblich ¨ lkrise zur Wirtschaftlichkeit eines Verfahrens bei. So wurden nach der zweiten O von der chemischen Großindustrie in den 80er Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen, Chemielangen wa¨rmetechnisch z. B. mit Hilfe der Linnhoff-Analyse zu optimieren (s. Kap. 6.1.6.2). 2.3.1.1

Grundlagen

Eine Wa¨rmeu¨bertragung ist ein irreversibler Vorgang und erfolgt immer von einer Stelle ho¨herer nach niedrigerer Temperatur. Die instationa¨re Abku¨hlung eines heißen Apparates folgt in erster Na¨herung einem einfachen Exponentialgesetz:  t ; ð2:3:1 1Þ DTðtÞ ¼ DT0  exp s mit der Zeitkonstanten s, die von der verfu¨gbaren Fla¨che, dem Wa¨rmeu¨bergangskoeffizienten und der Wa¨rmekapazita¨t abha¨ngt. Wa¨rmeenergie kann durch die folgenden drei Mechanismen transportiert werden: Wa¨rmestrahlung Die Energieu¨bertragung durch Strahlung ha¨ngt von der Temperatur (T), der Fla¨che (AW ) und der Struktur der Oberfla¨che (e) entsprechend dem Stefan1-Boltzmann2-Gesetz ab: 1 Josef Stefan, o¨sterr. Physiker (1835-1893). 2 Ludwig Boltzmann, o¨sterr. Physiker (1844-1906).

Verfahrensentwicklung. G. Herbert Vogel Copyright © 2002 Wiley-VCH Verlag GmbH ISBN: 978-3-527-28721-5

83

84

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Q_ Strahlung ¼ rs  e  AW  T 4 rS e

ð2:3:1



= 5,670 10 8 W m 2 K 4 (Stefan-Boltzmann-Konstante) = Emissionsgrad (Beispiele: Cupoliert ð100 8CÞ  0,02; Cuoxidiert ð400 8CÞ  0,7; Eisen poliert ð100 8CÞ  0,2; Eisen angerostet ð20 8CÞ  0,65; Beton ð20 8CÞ  0,94; Glas ð20 8CÞ  0,9; Wasser ð20 8CÞ  0,95).

Gla¨nzende, polierte Metalloberfla¨chen haben ein geringes Abstrahlungsvermo¨gen, weil sie wenig Strahlung absorbieren; Glasapparate verlieren dagegen viel Wa¨rme durch Abstrahlung. Daher mu¨ssen Rektifikationskolonnen in Miniplants trotz Vakuummantel verspiegelt werden, um hinreichend adiabatische Bedingungen zu erreichen. Fu¨r die praktische Berechnung des durch Strahlung transportierten Nettowa¨rmestroms vom Ko¨rper 2 (Fla¨che AW2 , ho¨here Temperatur T2 ) auf den Ko¨rper 1 (Fla¨che AW1 , niedrigere Temperatur T1 ) verwendet man die Gleichung: Q_ 21 ¼ rs  C21  AW2  ðT24

T14 Þ:

ð2:3:1



Der Strahlungsaustausch-Koeffizient C21 ha¨ngt von der geometrischen Anordnung der beiden Ko¨rper ab und betra¨gt z. B. fu¨r die Fa¨lle: C21 ¼

parallele Fla¨chen:

Zylinder in Zylinder: C21 ¼

1 1 1 þ e1 e2 1 AW2 þ e2 AW1

1 1 

1 e1

 : 1

ð2:3:1



ð2:3:1



Wa¨rmeleitung Der Wa¨rmestrom durch Wa¨rmeleitung ha¨ngt vom Temperaturgradienten und der Fla¨che entsprechend dem 1. Fourierschen3 Gesetz ab:

dT Q_ Leitung ¼ kðTÞ  AW  dx

ð2:3:1

6aÞ

k = Wa¨rmeleitfa¨higkeitskoeffizient in W m 1 K 1 (Beispiele bei 20 8C: Cu ¼ 392; Al ¼ 221; Fe ¼ 67; Stahl ¼ 46; Beton ¼ 2; Glas ¼ 0,8; Wasser ¼ 0,6; Luft ¼ 0,026).

Integration u¨ber eine ebene Wand der Dicke Dx1 : Q_ Leitung;Wand 

Dx ð1 0

dx ¼ k  AW

Tð1

dT

T0

3 Jean-Baptiste Joseph Fourier, frz. Mathematiker und Physiker (1768-1830).

ð2:3:1

6bÞ

2.3 Produktaufarbeitung (thermische- und mechanische Trennverfahren)

liefert als Temperaturgefa¨lle: ðT1

T0 Þ ¼

Q_ Leitung;Wand k  AW

 Dx1 :

ð2:3:1

6cÞ

Fu¨r den Fall der stationa¨ren Wa¨rmeleitung durch eine Rohrwand gilt unter Beru¨cksichtigung der Zylindergeometrie: Q_ Leitung;Rohr ¼

kðTÞ  ð2p  r  LÞ 

dT dr

ð2:3:1

7aÞ

ð2:3:1

7bÞ

bzw. integriert: Q_ Leitung;Rohr ¼ 2  p  k 

L  ðTi r ln a ri

Ta Þ:

ra = Außenradius des Rohres ri = Innenradius des Rohres L = Rohrla¨nge.

Fu¨r den praktisch wichtigen Fall der stationa¨ren Wa¨rmeleitung durch n parallele Schichten, typischerweise: * * *

Foulingschicht innen (z. B. Cokeablagerungen), Dicke Dxi Stahlmantel, Dicke DxW Foulingschicht außen (z. B. Algen), Dicke Dxa (Abb. 2.3.1-1)

ergibt sich allgemein: Q_ Leitung ¼

1 n Dx  AW  ðT0 P i i¼1 ki

Tn Þ;

ð2:3:1



ð2:3:1



und fu¨r den speziellen Fall aus Abb. 2.3.1-1: Q_ Leitung ¼

1  A  ðTH Dxi DxW Dxa W þ þ ki kStahl ka

TK Þ:

Konvektion Beim konvektiven Wa¨rmetransport findet die Wa¨rmeu¨bertragung durch ein sich bewegendes Fluid an eine Wand statt. Erfolgt die Stro¨mung des Fluids nur durch Auftriebskra¨fte, dann spricht man von freier Konvektion, im Gegensatz zur erzwungenen Konvektion, z. B. durch Pumpen oder Kompressoren. Da ein effektiver Wa¨rmetausch nur bei turbulenter Stro¨mung in bzw. um die Rohre mo¨glich ist, kann man den Wa¨rmeu¨bergang durch ein Zweifilmmodell beschreiben, indem man den hydrodynami-

85

86

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Abb. 2.3.1-1 Station€arer W€armedurchgang von einem heißen Fluid (H) auf ein kaltes Fluid (K) a) durch drei ebene W€ande (Cokeschicht innen, Stahlwand und Foulingschicht außen) b) durch drei Zylinderw€ande (dito).

schen Grenzfilm der Dicke d als Wand auffasst und einen Wa¨rmeu¨bergangskoeffizienten a definiert: a¼

kFluid ; dðReÞ

ð2:3:1

10Þ

mit dem Wa¨rmeleitfa¨higkeitskoeffizienten des entsprechenden Fluids kFluid . Damit ergibt sich fu¨r die Beschreibung des Wa¨rmeu¨bergangs durch Konvektion:

2.3 Produktaufarbeitung (thermische- und mechanische Trennverfahren)

Q_ Konvektion ¼ aðRe; kFluid Þ  AW  ðTH

TK Þ:

ð2:3:1

11Þ

Der fu¨r die Praxis wichtigste Fall der Wa¨rmeu¨bertragung von einem heißen Fluid (Index H) durch eine n-schichtige Wand auf ein kaltes Fluid (Index K) kann als Kombination von Konvektion und Leitung analog den Gl. (2.3.1-11) und Gl. (2.3.1-8) wie folgt beschrieben werden (Abb. 2.3.1-1a): Q_ W ¼

1  AW  ðTH n dH X Dxi dK þ þ kH i¼1 ki kK

TK Þ:

ð2:3:1

12Þ

Mit der Einfu¨hrung eines Wa¨rmedurchgangskoeffizienten kW (Tab. 2.3.3-1): n X 1 d Dxi dK ¼ Hþ þ ; kW kH i¼1 ki kK

ð2:3:1

13Þ

ð2:3:1

14Þ

kann man vereinfacht schreiben: Q_ W ¼ kW  AW  ðTH

TK Þ:

Diese Gleichung ist nur fu¨r den Fall der ebenen Wand exakt. Fu¨r den technisch wichtigen Fall des Wa¨rmedurchgangs durch Rohre (Zylindergeometrie) muss man die sich

Tab. 2.3.1-1

€ berschl€agige kW -Werte f€ U ur verschiedene Bauarten von W€armetauschern.

Bauart des Wa¨rmetauschers Doppelrohr-

Rohrb€ undel-

SpiralPlatten-

von

nach

€berschl€agiger k W -Wert u Wm 2 K 1

Niederdruckgas

Niederdruckgas

10 bis 40

Hochdruckgas

Niederdruckgas

25 bis 60

Hochdruckgas

Hochdruckgas

200 bis 400

Hochdruckgas

Fl€ ussigkeit

250 bis 600

Fl€ ussigkeit

Fl€ ussigkeit

400 bis 1800

Niederdruckgas

Niederdruckgas

5 bis 40

Hochdruckgas

Hochdruckgas

200 bis 450

Hochdruckgas

Fl€ ussigkeit

250 bis 700

Stattdampf

Fl€ ussigkeit

500 bis 4000

Fl€ ussigkeit

Fl€ ussigkeit

200 bis 1500

Fl€ ussigkeit

Fl€ ussigkeit

600 bis 2800

K€ uhlwasser

Gas

Fl€ ussigkeit

Fl€ ussigkeit

25 bis 80 500 bis 4000

87

88

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

a¨ndernde Fla¨che beachten. Dies geschieht durch Beru¨cksichtigung einer gemittelten Rohrfla¨che AW fu¨r den Wa¨rmedurchgang (Abb. 2.3.1-1b): AW ¼

AaW

AiW r r ¼ 2p  L  a r i AaW a ln ln i ri AW

1 dH Dxi DxW Dxa dK þ þ þ þ : ¼ kW  AW kH  AWH ki  AWH kW  AW ka  AWK kK  AWK

ð2:3:1

15Þ

ð2:3:1

16Þ

Fu¨r die Ausrechnung des kW -Wertes bzw. der a-Werte muss nach Gl. (2.3.1-10) die Dicke der hydrodynamischen Grenzschicht bekannt sein. Diese kann aber nur na¨herungsweise z. B. nach: d d  pffiffiffiffiffi Re

ð2:3:1

17Þ

abgescha¨tzt werden (s. auch Gl. (2.4-14) in Kap. 2.4.2). Als genauere Methode hat sich die Verwendung von Kennzahlen fu¨r den Wa¨rmeu¨bergang wie der: ðNuÞsselt4 -Zahl ¼

ad k

ð2:3:1

18Þ

bewa¨hrt, die sich als Funktion der ðReÞynolds-Zahl ¼

udq g

ð2:3:1

19Þ

ðPrÞandtl5 -Zahl ¼

cP  g k

ð2:3:1

20Þ

Geometrie-Zahl ¼

d L

ð2:3:1

21Þ

ausdru¨cken la¨sst. In der Literatur sind viele empirische Gleichungen vom Typ: Nu ¼ konst:  Ren  Pr m 

 k d L

ð2:3:1

22Þ

angegeben worden, mit deren Hilfe die Nusselt-Zahl und damit die entsprechenden Wa¨rmeu¨bergangskoeffizienten zuverla¨ssig berechnet werden ko¨nnen. Im Folgenden ist ein Beispiele fu¨r eine Formel zur Berechnung des Wa¨rmeu¨bergangskoeffizienten bei turbulenter Stro¨mung in la¨ngsdurchstro¨mten glatten Rohren wiedergegeben: Nu ¼ 0,02  Re0,80  Pr 0,43 : 4 Ernst Kraft Wilhelm Nusselt, Wa¨rmetechniker (1882-1957). 5 Ludwig Prandtl, deutscher Physiker (1875-1953).

ð2:3:1

23Þ

2.3 Produktaufarbeitung (thermische- und mechanische Trennverfahren)

Abb. 2.3.1-2

W€armetausch entlang eines Rohres (Erl€auterungen s. Text).

2.3.1.2

Dimensionierung

Bisher wurde der Wa¨rmeu¨bergang an einer bestimmten Stelle x (Abb. 2.3.1-2) eines Rohres betrachtet. Fu¨r die Dimensionierung eines Wa¨rmetauschers muss aber der Wa¨rmeu¨bergang entlang des gesamten Rohres betrachtet werden, da sich die Triebkraft des Wa¨rmeu¨bergangs, d. h. die Temperaturdifferenz entlang des Rohres, a¨ndert. Durch geeignete Mittelwertbildung ergibt sich fu¨r die mittlere treibende Temperaturdifferenz (Nomenklatur s. Abb. 2.3.1-2): DTm ¼

DT2

DT1 DT2 ln DT1

ð2:3:1

24Þ

ð2:3:1

25Þ

und damit : Q_ ¼ kW  AW  DTm :

Dies ist die Hauptgleichung fu¨r die Auslegung eines Wa¨rmetauschers. Ist die zu u¨bertragende Wa¨rmemenge nach: _ H  cpH  DTH ¼ Q_ K ¼ m _ K  cpK  DTK Q_ H ¼ m _ H = Massenstrom in kg h m _ K = Massenstrom in kg h m

1 1

ð2:3:1

26Þ

des heißen Stromes des kalten Stromes

festgelegt, so kann bei bekanntem kW -Wert die fu¨r den Wa¨rmetausch beno¨tigte Fla¨che AW ermittelt werden. Diese muss auf die entsprechenden Rohre nach bestimmten sinnvollen Auslegungskriterien verteilt werden (s. Beispiel 2.3.1-1). Ein Wa¨rmetauscher kann im Gleich-, Gegen- oder Kreuzstrom betrieben werden (Abb. 2.3.1-3). In der Praxis wird jedoch nahezu ausschließlich der Gegenstrom an-

89

90

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Abb. 2.3.1-3

Vergleich von Gleich- und Gegenstrom.

gewendet, da er am effektivsten ist. Nur unter speziellen Randbedingungen (thermisch labile Produkte, Foulingverhalten u. a.) findet auch der Gleichstrom Verwendung. Der Kreuzstrom, eine Mischform zwischen Gleich- und Gegenstrom, der weniger effektiv als der reine Gegenstrombetrieb ist, muss bei Rohrbu¨ndelwa¨rmetauschern aus konstruktiven Gru¨nden zwangsla¨ufig in Kauf genommen werden. Die wichtigsten Bauarten von Wa¨rmetauschern sind der Rohrbu¨ndel-, der Spiralund der Plattenwa¨rmetauscher (Abb. 2.3.1-4). Der Rohrbu¨ndelwa¨rmetauscher mit seinen verschiedenen Bauarten, ist der Standardapparat schlechthin (Abb. 2.3.1-4a). Der Spiralwa¨rmetauscher ist der ideale Gegenstromapparat. Er besteht aus zwei oder vier Blechba¨ndern, die um ein zentrales zylindrisches Kernrohr gewickelt werden. Durch ein Mittenblech in zwei Teile unterteilt, werden jeweils, durch am Umfang ¨ ffnungen, die Medien in die entsprechenden Spiralen eingeleitet. befindliche O Auf die Spiralbleche sind Bolzen aufgeschweißt, die zum einen den Druck auf das jeweils na¨chste a¨ußere Blech weiterleiten und zum anderen dafu¨r sorgen, dass die Spiralba¨nder u¨ber ihre gesamte La¨nge einen konstanten Abstand behalten. Der beschriebene Austauschko¨rper wird in einen zylindrischen Mantel eingebaut, der mit entsprechenden Flanschen ausgeru¨stet ist (Abb. 2.3.1-4b).

2.3 Produktaufarbeitung (thermische- und mechanische Trennverfahren)

(a)

(b)

(c) Abb. 2.3.1-4 Die wichtigsten Bauarten von W€armetauschern. a) Rohrb€ undel, b) Spiral, c) Plattenw€armermetauscher:

Vorteile * *

* * * *

idealer Gegenstrom sehr kompakte Bauweise (150 m2 m 3), bis zu 600 m2 in einer Einheit hoher Selbstreinigungseffekt, dank der Zentrifugalkraft hohe k-Werte wegen der hohen Turbulenz Risiko der Vermischung ist ausgeschlossen fu¨r hohe Temperaturen bis 400 8C geeignet

Nachteile * * *

aufwendige Wartung schwierig zu reinigen nicht fu¨r Hochdruck (max. 25 bar)

91

92

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Der Plattenwa¨rmetauscher besteht aus einer Anzahl profilierter, kaltumgeformter Metallplatten und Dichtungen. Diese werden zwischen einer feststehenden und einer beweglichen Gestellplatte angeordnet, von Leitschienen gefu¨hrt und durch außenliegende Zuganker verspannt. Der Heiß- und Kaltkreislauf werden durch elastische Dichtungen gegeneinander sowie nach außen gedichtet. Die beiden Stro¨me durchstro¨men die von jeweils zwei Platten gebildeten Plattenkana¨le in entgegengesetzter Richtung (Gegenstrom) (Abb. 2.3.1-4c). Bei hohen Anforderungen an den Betriebsdruck und die Dichtheit werden – anstelle der gedichteten – geschweißte Ausfu¨hrungen eingesetzt. Vorteile *

*

*

* * *

Kompaktheit: Große Wa¨rmetauschfla¨che auf kleinem Raum Flexibilita¨t: Zahl und Art der Platten sind einfach zu a¨ndern einfache Wartung durch vollsta¨ndige Demontierbarkeit hohe k-Werte wegen hoher Turbulenz gutes Antifoulingverhalten durch hohe Turbulenz niedrige Kosten

Nachteile * *

nicht fu¨r Hochdruck geeignet (max. 50 bar) nicht fu¨r hohe Temperaturen geeignet (Dichtungen)

Auslegekriterien fu¨r Rohrbu¨ndelwa¨rmetauscher Die folgenden Auslegekriterien dienen zur groben Orientierung, um die mit Hilfe von Computerprogrammen (s. unten) ausgelegten Wa¨rmetauscher auf Sinnhaftigkeit zu pru¨fen: Rohrla¨nge: 1,5 bis 6 m (wenn die Rohre la¨nger sein mu¨ssen, muss der Apparat mehrzu¨gig gebaut werden). Rohrdurchmesser: u¨blich sind Standardrohre mit 16, 20 oder 25 mm. Stro¨mungszustand in den Rohren: um volle Turbulenz und damit gute a-Werte zu gewa¨hrleisten, sind Flu¨ssigkeitsgeschwindigkeiten von 2 bis 3 m s 1 anzustreben. Stro¨mungszustand um die Rohre: hier sind Stro¨mungsgeschwindigkeiten von 1 bis 2,5 m s 1 anzustreben.

Vorteil einer Auslegung mit geringeren Geschwindigkeiten: *

kleiner Druckverlust.

Vorteile einer Auslegung mit ho¨heren Geschwindigkeiten: * *

geringeres Fouling ho¨here a-Werte.

2.3 Produktaufarbeitung (thermische- und mechanische Trennverfahren)

Beispiel 2.3.1-1 Ein Volumenstrom in den Rohren (d ¼ 20 mm) von 100 m3 h 1 soll abgeku¨hlt werden, wofu¨r 100 m2 Fla¨che beno¨tigt werden. Bei einer gewa¨hlten Stro¨mungsgeschwindigkeit in den Rohren von 2 m s 1 ko¨nnen pro Rohr ca. 2,3 m3 h 1 durchgeleitet werden (s. Gl. (2.4-16)), so dass 100/2,3 ¼ 44 Rohre beno¨tigt werden. Um die geforderte Fla¨che zu gewa¨hrleisten mu¨ssen die Rohre entsprechend lang sein, na¨mlich: A ¼ p  d  L  N ¼ 100 m2 ¼ p  20  10

3

 L  44:

ð2:3:1

27Þ

woraus sich eine Rohrla¨nge von 36 m ergibt. Bei einer Standardla¨nge von 6 m fu¨r den Wa¨rmetauscher ergibt sich, dass der Wa¨rmetauscher 36/6 ¼ 6-zu¨gig gebaut werden muss. ¨ nderung des Phasenzustands ist bei der VerfahrensentDie Wa¨rmeu¨bertragung ohne A wicklung in den meisten Fa¨llen wenig problematisch. Fu¨r die Dimensionierung der Wa¨rmeu¨bertra¨ger stehen ausreichend genaue Berechnungsmethoden zur Verfu¨gung. Kritisch und im Einzelfall gesondert zu pru¨fen sind die Auswirkungen von Verschmutzungen, beispielsweise produktseitig durch Polymerisatbela¨ge oder durch ¨ bliche Abhilfemaßnahmen biologische Bela¨ge bei einer Ku¨hlung mit Flusswasser. U sind glatte Oberfla¨chen, hohe Stro¨mungsgeschwindigkeiten von etwa 1,5 bis 5 m s 1 ¨ bergang auf unkritische Ku¨hlmittel, beispielsweise auf Ru¨ckku¨hlwasser. und der U Ferner werden in kritischen Fa¨llen die Wa¨rmeu¨bertra¨ger gro¨ßer dimensioniert oder mehrfach installiert, um ohne eine Betriebsunterbrechung Reinigungsarbeiten vornehmen zu ko¨nnen (s. Kap. 6.1.7). Durch das Fouling a¨ndert sich der k-Wert in bestimmter Weise mit der Zeit (Abb. 2.3.1-5), was bei der Auslegung des Wa¨rmetauschers zu beru¨cksichtigen ist. Daher ist es im Stadium der Verfahrensentwicklung

Abb. 2.3.1-5

Einfluss des Foulingverhaltens auf den Gesamtw€armewiderstand.

93

94

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

wichtig, mo¨glichst viele Informationen u¨ber die Foulingkinetik zwischen Medium und Wandmaterial zu ermitteln [Scholl 1996]. Falls thermisch empfindliche Produkte gehandhabt werden, mu¨ssen bei der experimentellen Untersuchung spezielle Techniken angewandt werden. Da bei den kleinen Versuchsapparaten das Verha¨ltnis von Wa¨rmeu¨bertragungsfla¨che zu Volumen stets gro¨ßer ist als beim großtechnischen Apparat, liegen bei der Versuchsapparatur kleinere Temperaturdifferenzen vor als sie bei der spa¨teren Produktionsanlage auftreten. Mo¨gliche Produktscha¨digungen durch hohe Wandtemperaturen in der Großanlage ko¨nnten so bei der experimentellen Verfahrensausarbeitung unentdeckt bleiben. In solchen Fa¨llen mu¨ssen die Versuchsapparaturen entsprechend modifiziert und mit kleineren Wa¨rmeu¨bertragungsfla¨chen ausgestattet werden. Beispiel 2.3.1-2 In einen Ru¨hrbeha¨lter soll Wa¨rme u¨ber die Beha¨lterwand zugefu¨hrt werden. Bei einer Beheizung des gesamten Beha¨ltermantels mu¨sste bei der kleinen Versuchsapparatur mit kleineren Temperaturdifferenzen gearbeitet werden. Durch Segmentierung des Doppelmantels la¨sst sich auch bei der Versuchsapparatur eine fu¨r die Großanlage repra¨sentative Temperaturdifferenz erzielen.

Verdampfer und Kondensatoren ko¨nnen ebenfalls recht sicher mit den vorhandenen Berechnungsmethoden ausgelegt werden und mu¨ssen meist nicht eigens in repra¨sentativen Versuchsapparaturen untersucht werden. Verdampfer Versuchstechnisch am einfachsten zu realisieren sind Naturumlaufverdampfer mit Heizkerzen und Du¨nnschichtverdampfer mit rotierenden Wischerbla¨ttern. Wenn bei Du¨nnschichtverdampfern mit Wischerbla¨ttern der Bru¨denstrom am unteren Ende entnommen wird, la¨sst sich bei geringer Einbauho¨he ein Fallstromverdampfer simulieren (Abb. 2.3.1-6). Ausnahmen bilden Fa¨lle, speziell bei Verdampfern, bei denen werkstoff-, temperatur- und verweilzeitabha¨ngig mit Produktvera¨nderungen zu rechnen ist. Hier ist eine experimentelle Bearbeitung zwingend. Der geeignete Apparatetyp – Naturumlauf- oder Zwangsumlaufverdampfer, Fallfilmverdampfer (die auch bei kleinen Versuchsapparaturen eine sto¨rend große Bauho¨he von mehr als 3 m aufweisen), Du¨nnschichtverdampfer oder in Extremfa¨llen Kurzwegverdampfer – ist unter Kostengesichtspunkten vorab auszuwa¨hlen und experimentell zu pru¨fen. Auch bei Verdampfungen, in denen eine Feststoffbildung auftritt, ist eine experimentelle Bearbeitung nicht zu umgehen, meist in Umlaufentspannungsverdampfern. Bei stark verschmutzten oder viskosen Medien ko¨nnen Wendelrohrverdampfer mit zylindrisch gewickelten Rohren eine gu¨nstige Lo¨sung darstellen (Abb. 2.3.1-7). Bei dieser Bauart wird durch hohe Bru¨dengeschwindigkeiten im Bereich von etwa 100 m s 1 und die dadurch induzierten Stro¨mungswirbel eine gute Reinigung der Heizfla¨chen sowie eine hohe Wa¨rmeu¨bertragung erzielt [Casper 1986, 1970]. Diese Bauform la¨sst

2.3 Produktaufarbeitung (thermische- und mechanische Trennverfahren)

Abb. 2.3.1-6

D€ unnschichtverdampfer im Gleich- und Gegenstrombetrieb.

sich gut in Versuchsanlagen testen. Im extremen Vakuum bei Dru¨cken von < 0,1 mbar kommen Kurzwegverdampfer zum Einsatz. Kleine komplette Versuchseinheiten sind am Markt verfu¨gbar. Fu¨r die Vorauswahl einer wirtschaftlich gu¨nstigen mittleren Temperaturdifferenz ko¨nnen gelten: * * * * * *

Flu¨ssig/Flu¨ssig Gas/Flu¨ssig Gas/Gas Verdampfungen Du¨nnschichtverdampfer Tieftemperaturprozesse

Abb. 2.3.1-7

10 – 20 8C 20 – 30 8C 50 – 80 8C 10 – 30 8C 30 – 100 8C 2 – 10 8C.

Querschnitt durch einrn Wendelrohrverdampfer (schematisch) [Casper 1986, 1970].

95

96

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile Tab. 2.3.1-2 Handelsname

Anwendungstechnische Eigenschaften einiger W€armetr€ager [H€anßle 1984]. Hersteller

chemische Struktur

Einsatzbereich/ 8C

Malotherm S

H€ uls

Dibenzyltoluol

14 bis 350

Malotherm L

H€ uls

Benzyltoluole

55 bis 350

Diphyl

Bayer

Diphenyl/Diphenyloxid

20 bis 400

Syltherm 800

Dow Corning

Polydimethylsiloxane

40 bis 400

Kondensatoren Fu¨r besonders kritische Produkte, wie z. B. Monomere, haben sich direkte Abku¨hlungsmethoden (Quench) bewa¨hrt (Abb. 2.3.1-8a). Hier erfolgt die Kondensation in das eigene kalte Medium. Die Wa¨rme wird in einem Flu¨ssig/Flu¨ssig-Wa¨rmetauscher auf tieferem Temperaturniveau mit einem normalen indirekten Wa¨rmetauscher abgefu¨hrt. Auch sind Kombinationen zwischen direkter und indirekter Wa¨rmeabfuhr mo¨glich, indem der Kondensator zusa¨tzlich gequencht wird (Abb. 2.3.1-8b). Wasser hat als Wa¨rmetra¨ger nur einen begrenzten Einsatzbereich zwischen 0 und ca. 200 8C. Sobald dieser u¨berschritten wird, stehen eine Vielzahl organischer Wa¨rmetra¨ger auf Mineralo¨lbasis zur Verfu¨gung (Tab. 2.3.1-2). Das Produktangebot u¨berstreicht Einsatzbereiche von 55 bis 400 8C (bei Stickstoffu¨berdeckung). Ein prinzipieller Nachteil aller organischen Wa¨rmetra¨ger ist ihre potenzielle Brennbarkeit. Salzschmelzen, die von 150 bis 550 8C eingesetzt werden ko¨nnen, umgehen ¨ bliche Gemische sind [Albrecht 2000]: diesen Nachteil. U *

*

ein terna¨res eutektisch schmelzendes Gemisch aus NaNO2, NaNO3 und KNO3 (Schmelztemperatur 142 8C; Schu¨ttdichte 1200 kg m 3; Dichte des erstarrten Salzes 2100 kg m 3; Wa¨rmekapazita¨t 1,56 kJ kg 1 K 1; Einsatzbereich 200 bis 500 8C). ein bina¨res Gemisch von 45 % NaNO2 und 55 % KNO3 (Schmelztemperatur 141 8C; Schu¨ttdichte 1200 kg m 3; Dichte der erstarrten Schmelze 2050 kg m 3; Wa¨rmekapazita¨t 1,52 kJ kg 1 K 1; Einsatzbereich 200 bis 500 8C).

Der Unterschied der beiden Gemische liegt im Wesentlichen in deren Wa¨rmeleitfa¨higkeit. Diese ist beim Dreistoffgemisch deutlich ho¨her, wodurch sich eine bessere Wa¨rmeu¨bertragung ergibt. Aufgrund des drucklosen Betriebs ko¨nnen die Apparate trotz der hohen Temperatur aus u¨blichen Werkstoffen wie St 35.81 gefertigt werden.

2.3 Produktaufarbeitung (thermische- und mechanische Trennverfahren)

(a)

(b) Abb. 2.3.1-8 Beispiele f€ ur indirekten W€armetausch: a) Direkte K€ uhlung mit einem Umlaufquench. b) Kombination zwischen direkter und indirekter W€armermeabfuhr:

97

98

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

2.3.2

Destillation, Rektifikation 2.3.2.1

Grundlagen der Gas/Flu¨ssig-Gleichgewichte

Phasengleichgewichte sind eine wesentliche Grundlage vieler Verfahrensschritte in chemischen Prozessen. Quantitative Angaben fu¨r diese Gleichgewichte und Daten u¨ber die beteiligten Stoffe bilden deshalb eine notwendige Voraussetzung fu¨r die Verfahrensentwicklung und die Auslegung von Apparaten. Die Auslegung von Trennprozessen erfolgt heute fast ausschließlich mit Hilfe von Prozesssimulatoren durch Lo¨sung der Bilanzgleichungen. Dabei werden bei Trennprozessen neben Reinstoffdaten insbesondere zuverla¨ssige Phasengleichgewichtsinformationen des zu trennenden Mehrkomponentensystems beno¨tigt. Wa¨hrend vor ca. 20 Jahren fu¨r die Auslegung thermischer Trennprozesse noch eine Vielzahl zeit- und kostenintensiver Technikumversuche und aufwendige Phasengleichgewichtsmessungen erforderlich waren, erlauben moderne thermodynamische Modelle (Zustandsgleichungen bzw. GE -Modelle) im Falle von Nichtelektrolytsystemen eine zuverla¨ssige Vorausberechnung des Phasengleichgewichtsverhaltens von Multikomponentensystemen bei Kenntnis des Verhaltens der bina¨ren Systeme. Daher sollen die wichtigsten Beziehungen zur Beschreibung von bina¨ren Mischungen kurz zusammengefasst werden. Die Grundlage der Trennung einer bina¨ren Mischung A/B durch Destillation ist der Konzentrationsunterschied (Molenbruch) der Komponente A im Dampf (y) und in der Flu¨ssigphase (x). Der Zusammenhang wird durch das Dampf/Flu¨ssig-Phasengleichgewicht beschrieben (Raoultsches Gesetz6). Vereinbarungsgema¨ß ist die Komponente A im Folgenden immer der Leichtsieder und B der Schwersieder; zur Vereinfachung gilt weiterhin wegen xA þ xB ¼ 1 fu¨r die Flu¨ssigphase xA ¼ x, bzw. yA ¼ y fu¨r die Gasphase. Die Abb. 2.3.2-1 zeigt schematisch das entsprechende P=T=x=y-Phasendiagramm. Diese 3D-Darstellung veranschaulicht, dass schon fu¨r einfache Mischungen das Phasendiagramm sehr komplex aussieht. Daher arbeitet man in der Praxis bei der quantitativen Beschreibung gerne mit 2D-Darstellungen, die weiter unten kurz erla¨utert werden. Reinstoffe Gasphase Das P=V=T-Verhalten von Gasen kann mathematisch durch thermische Zustandsgleichungen beschrieben werden [Gmehling 1992]. Die a¨lteste und einfachste Beziehung ist das ideale Gasgesetz (s. Kap. 3). Zur Beschreibung realer Gase stehen eine Reihe von Zustandsgleichungen zur Verfu¨gung, z. B.: 2.3.2.1.1

6 Francois Marie Raoult, frz. Chemiker (1830-1901).

2.3 Produktaufarbeitung (thermische- und mechanische Trennverfahren)

Abb. 2.3.2-1 P=T=x=y-Phasendiagramm einer einfachen bin€aren Mischung (schematisch) mit den drei Schnitten: * Isotherme: P=x-Diagramm (hell) * Isoplethe: P=T-Diagramm (schraffiert) * Isobare: T=x-Diagramm (dunkel).

Virialgleichung RT P ¼z  V

ð2:3:2



mit z ¼ 1 þ BðTÞ  P þ CðTÞ  p2 þ :::, mit den Virialkoeffizienten BðTÞ, CðTÞ…, die durch Potenzialfunktionen der intermolekularen Wechselwirkungskra¨fte beschrieben werden ko¨nnen. Kubische Zustandsgleichungen Diese halbempirischen Beziehungen leiten sich alle von der u¨ber 100 Jahre alten van der Waals7-Gleichung ab: RT P¼ V b

a 2 V

mit a ¼ 27  b2  Pkrit und b ¼

ð2:3:2



RTkrit . 8  Pkrit :

Eine ha¨ufig angewendete Modifikation ist die Redlich-Kwong-Gleichung [Gmehling 1992]: RT P¼ V b

a pffiffiffiffi   þ bÞ T  V  ðV

7 Johannes D. van der Waals, niederl. Physiker (1837-1923).

ð2:3:2



99

100

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile 5=2

mit a ¼

R2  Tkrit 1 pffiffiffi ffiffiffi p und b ¼  ð 3 2 3 3 9  ð 2 1Þ  Pkrit

1Þ:

RTkrit . Pkrit

Gas/Flu¨ssig-Gleichgewicht reiner Stoffe Isochore: P/T-Diagramme (Dampfdruckkurve) In Abb. 2.3.2-1 sind die Dampfdruckkurven der reinen Komponenten A bzw. B bei xB ¼ 0 bzw. 1 schematisch dargestellt. Die Dampfdruckkurve der reinen Komponente A bzw. B beginnt im Tripelpunkt und endet im kritischen Punkt (KPA bzw. KPB). In weiten Bereichen ko¨nnen sie durch die zweiparametrige Clausius8-Clapeyron9-Gleichung beschrieben werden: P ¼ P0  exp



 DV H : RT

ð2:3:2



Trifft die in der Ableitung getroffene Annahme einer konstanten Verdampfungsenthalpie DV H nicht zu, so werden drei- oder ho¨herparametrige Gleichungen verwendet wie z. B. die ANTOINE-Gleichung (s. auch Anhang 8.13 und Kap. 3.3.2): ln P ¼ A þ

B : CþT

ð2:3:2



2.3.2.1.2 Bina¨re Mischungen [Ghosh 1999] Die zwei fu¨r die Auslegung von Destillationsprozessen wichtigsten Schnitte durch das P=T=x=y-Diagramm (Abb. 2.3.2-1) sind: Isothermen: P=x=y-Diagramme (Raoultsches10 Diagramm, Abb. 2.3.2-2)

PðxÞ ¼ PA þ PB ¼ x  PA0 þ ð1 PðyÞ ¼

xÞ  PB0

PA0  PB0 : PA0 þ ðPB0 PA0 Þ  y

ð2:3:2



ð2:3:2



Isobare: T/x/y-Diagramme (Siedelinse, Abb. 2.3.2-3) xðTÞ ¼ yðTÞ ¼

P PA0

PB0 Taupunktslinie PB0

PA0 PA0

PB0

  1

PB0 P



Siedelinie

8 Rudolf E. Clausius, dtsch. Physiker (1822-1888). 9 Benoit P. E. Clapeyron, frz. Physiker (1799-1864). 10 Francois M. Raoult, frz. Chemiker (1830-1901).

ð2:3:2

8aÞ

ð2:3:2

8bÞ

2.3 Produktaufarbeitung (thermische- und mechanische Trennverfahren)

Abb. 2.3.2-2 P=x=y-Diagramm (Gl. (2.3.2-6 und 7)) einer als ideal angenommenen Methanol/WasserMischung bei drei verschiedenen Temperaturen (von unten nach oben: 63, 80, 100 8C). 0 PMeOH =bar ¼ exp ð11,96741 3626,55=ð238,23 þ T= 8CÞÞ 0 PH2O =bar ¼ exp ð11,78084 3887,20=ð230,23 þ T= 8CÞÞ.

Abb. 2.3.2-3 T=x=y-Diagramm (Gl. (2.3.2-8a und 8b)) einer als ideal angenommenen Methanol/WasserMischung bei 1 bar Gesamtdruck mit: 0 PMeOH =bar ¼ exp ð11,96741 3626,55=ð238,23 þ T= 8CÞÞ 0 PH2O =bar ¼ exp ð11,78084 3887,20=ð230,23 þ T= 8CÞÞ

101

102

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Abb. 2.3.2-4 y=x-Diagramm (Gl. (2.3.2-9) einer als ideal angenommenen A/B-Mischung bei 1 bar Gesamtdruck und vier verschiedenen relativen Fl€ uchtigkeiten (von unten nach oben: 1/1,2/2/10/100).

Fu¨r die Auslegung von Rektifikationskolonnen sind die Gleichgewichtskonzentration von Gas- und Flu¨ssigphase bei konstantem Druck von entscheidender Bedeutung. Das sog. McCabe-Thiele Diagramm (Abb. 2.3.2-4), basierend auf dem Raoultschen Gesetz, gibt diesen Zusammenhang wider: yðTÞ ¼

aðTÞ  x 1 þ ðaðTÞ 1Þ  x

ð2:3:2



mit der relativen Flu¨chtigkeit aðTÞ ¼ PA0 ðTÞ=PB0 ðTÞ. Arten von Mischungen Ideale A/B Mischungen, die durch das Raoultsche Gesetz beschrieben werden, existieren in der Praxis nicht. In der Regel hat man es mit mehr oder weniger stark realen Mischungen zu tun. Die Abweichung vom idealisierten Verhalten wird durch entsprechende Korrekturfaktoren, sog. Aktivita¨ts- (Flu¨ssigphase c) bzw. Fugazita¨tskoeffizienten (Gasphase u) beru¨cksichtigt (s. auch Kap. 3.3.2):

y  uðx; TÞ  P ¼ x  cðx; TÞ  PA0 :

ð2:3:2

10Þ

Die Abweichungen lassen sich außerdem u¨ber die Exzessgro¨ßen (Index E) beschreiben: SE ¼ Dmix S

Dmix Sid ¼ Dmix S

R

2 X i¼1

xi  ln xi

ð2:3:2

11Þ

2.3 Produktaufarbeitung (thermische- und mechanische Trennverfahren)

HE ¼ Dmix H

Dmix H id ¼ Dmix H

GE ¼ Dmix G

Dmix Gid ¼ Dmix G

0 RT 

2 X i¼1

xi  ln xi :

ð2:3:2

12Þ

ð2:3:2

13Þ

Von athermischen Mischungen spricht man, wenn die Mischungswa¨rme Dmix H sehr kleine Werte annimmt, aber SE sich deutlich von null unterscheidet. Ein Beispiel sind Polymerlo¨sungen. Von regula¨ren Mischungen spricht man, wenn HE sich deutlich von null unterscheidet, SE aber vernachla¨ssigbar ist. Beispiele sind Mischungen von niedermolekularen stark polaren Stoffen (Nitrile/Ester). Um eine zuverla¨ssige Anpassung der beno¨tigten Parameter im gesamten Konzentrations- und Temperaturbereich zu erreichen, sollte eine simultane Anpassung an alle zuverla¨ssigen thermodynamischen Daten (Dampf/Flu¨ssig-Gleichgewichte, azeotrope Daten, Exzessenthalpie, Aktivita¨tskoeffizienten, Flu¨ssig/Flu¨ssig-Gleichgewichte) erfolgen. Stehen keine experimentellen Daten zur Verfu¨gung, so ko¨nnen Gruppenbeitragsmethoden wie UNIFAC oder ASOG [Ochi 1982] zur erfolgreichen Vorausberechnung des realen Verhaltens, d. h. der Aktivita¨tskoeffizienten eingesetzt werden. Diese Methoden wurden insbesondere zur Vorausberechnung von Dampf/Flu¨ssig-Gleichgewichten entwickelt. Durch Modifikation der Modelle (mod. UNIFAC), Definition neuer Hauptgruppen, Einfu¨hrung temperaturabha¨ngiger Gruppenwechselwirkungsparameter und Verwendung einer breiten Datenbasis (Dortmunder Datenbank) zur simultanen Anpassung der beno¨tigten Gruppenwechselwirkungsparameter konnte das Anwendungsgebiet enorm erweitert und die Zuverla¨ssigkeit der Resultate der Gruppenbeitragsmethoden deutlich erho¨ht werden. Dabei wurde insbesondere die Beschreibung der Temperaturabha¨ngigkeit und das Verhalten bei unendlicher Verdu¨nnung verbessert. Besonders erfolgversprechende Modelle konnten durch Verwendung sog. GE -Mischungsregeln fu¨r kubische Zustandsgleichungen realisiert werden. Diese Modelle erlauben neben der Beschreibung bzw. Vorausberechnung des Verhaltens stark polarer Systeme auch die Beru¨cksichtigung u¨berkritischer Komponenten. Ein weiterer Vorteil dieser Modelle ist, dass neben Phasengleichgewichten auch andere wichtige Gro¨ßen, wie Dichten und kalorische Daten direkt berechenbar sind. Die beno¨tigten Werte von GE ko¨nnen dabei entweder durch Anpassung der Parameter bewa¨hrter GE Modelle (z. B. Wilson-, NRTL- oder UNIQUAC-Gleichung) an experimentelle Phasengleichgewichtsdaten oder mit Hilfe von Gruppenbeitragsmethoden (z. B. UNIFAC) erhalten werden.

2.3.2.2

Einstufige Verdampfung

Mit Hilfe einer kontinuierlichen, einstufigen, geschlossenen Verdampfung einer A/B-Mischung kann entsprechend ihres Gas/Flu¨ssig-Gleichgewichtes, der Leicht-

103

104

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Abb. 2.3.2-5

Kontinuierliche, einstufige, geschlossene Verdampfung.

sieder A in der Dampfphase angereichert werden (Abb. 2.3.2-5). Erfolgt die Verdampfung unter adiabatischen Bedingungen, so spricht man von einer Flashverdampfung. Die Auslegung erfolgt durch Gleichsetzen der Massenbilanzbeziehung (Hebelgesetz): D  ðy

x0 Þ ¼ F  ðx0

xÞ ! y ¼

  F F xþ þ 1  x0 D D

ð2:3:2

14Þ

mit einer gegebenen Dampf/Flu¨ssig-Gleichgewichtsbeziehung (z. B. Gl. (2.3.2-9)). Die Lo¨sung des nichtlinearen Gleichungssystems kann z. B. grafisch oder nummerisch erfolgen (Abb. 2.3.2-6). Beispiel 2.3.2-1 Fu¨r ein gegebenes F/D-Verha¨ltnis von eins und einer Eingangskonzentration von x0 ¼ 0,5 kann bei bekanntem a von fu¨nf sowie konstantem Druck das Gleichungssystem (Gl. (2.3.214) und Gl. (2.3.2-9)): y¼

1xþ1

ygl ¼ yðTÞ ¼

5x 1þ4x

aufgestellt werden. Durch grafische oder nummerische Lo¨sung ergibt sich die Dampf- und Sumpfzusammensetzung zu x ¼ 0,31 und y ¼ 0,69, d. h. es hat eine Anreicherung von A im Kopfprodukt von 0,50 auf 0,69 stattgefunden (Abb. 2.3.2-7).

2.3 Produktaufarbeitung (thermische- und mechanische Trennverfahren)

Abb. 2.3.2-6 Ermittlung der Gleichgewichtszusammensetzung von Dampf- und Fl€ ussigphase sowie der Temperatur bei vorgegebenem Teilungsverh€altnis F/D und dem Druck P.

Abb. 2.3.2-7

Grafische L€ osung des Gleichungssystems aus Beispiel 2.3.2-1.

105

106

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Abb. 2.3.2-8 Schema einer Rektifikationskolonne mit den Str€ omen: M ¼ Zulauf, E ¼ Erzeugnis, A ¼ Ablauf, F ¼ Fl€ ussigkeit, D ¼ Dampf.

2.3.2.3

Mehrstufige Verdampfung (Rektifikation)

Die einfache kontinuierliche Verdampfung fu¨hrt nur in Fa¨llen sehr großer Siedepunktsdifferenzen zu guten Trennungen (s. Beispiel 2.3.2-1). Eine wesentliche Verbesserung erha¨lt man durch die Rektifikation, bei der Dampf und Flu¨ssigkeit im Gegenstrom gefu¨hrt werden (gekoppelte Verdampfung und Kondensation, Abb. 2.3.2-8). Die von oben kommende Flu¨ssigkeit gibt an den von unten kommenden Dampf den Leichtsieder A ab, wa¨hrend der entgegengesetzt stro¨mende Dampf den Hochsieder B an die Flu¨ssigkeit abgibt. Um diesen Gegenstrom zu erzeugen muss im Kolonnensumpf Dampf erzeugt werden und auf den Kolonnenkopf Flu¨ssigkeit (normalerweise Kondensat vom obersten Boden) aufgegeben werden. In den einzelnen Trennstufen (Bo¨den) der Kolonne findet ein intensiver Stoffaustausch zwischen Dampf und Flu¨ssigkeit statt. Fu¨r die Trennung des Flu¨ssigkeitszulaufes M (Zusammensetzung xM ) in zwei Stro¨me der Zusammensetzung xE (Erzeugnis, Destillat) und xA (Sumpfablauf) kann mit Hilfe des historischen McCabe-Thiele11-Verfahrens die erforderliche Zahl der theoretischen Stufen auf grafische Art ermittelt werden, da fru¨her keine Computer zur Verfu¨gung standen, um solch umfangreiche Gleichungssysteme aus Massenbilanzen und Gleichgewichtsbeziehungen zu lo¨sen. Dieses Verfahren hat fu¨r die Praxis keine Bedeutung mehr, es eignet sich aber als didaktisches Hilfsmittel hervorragend, um das Grundprinzip der Rektifikation zu verstehen. Annahmen fu¨r die Anwendung des McCabe-Thiele-Verfahrens: *

Die Kolonne besteht aus theoretischen Stufen, d. h. auf jedem Boden herrscht Gleichgewicht.

11 L. McCabe und E. W. Thiele.

2.3 Produktaufarbeitung (thermische- und mechanische Trennverfahren) *

*

*

Der Dampf (D in mol/Zeit)- und der Flu¨ssigkeitsstoffstrom (F in mol/Zeit) sind jeweils im Versta¨rkung- und im Abtriebsteil konstant (Voraussetzung: die molaren Verdampfungsenthalpien von A und B sind nahezu gleich und es herrschen adiabatische Bedingungen). Die Bru¨den werden total bei Siedetemperatur kondensiert und der Ru¨cklauf geht flu¨ssig siedend auf den Kopf der Kolonne zuru¨ck. Der Druckabfall in der Kolonne ist vernachla¨ssigbar klein.

Die Projektierung wird wie folgt durchgefu¨hrt: Wie bereits bei der Verdampfung gezeigt, werden die Bilanzbeziehungen fu¨r den Auftriebs- und den Abtriebsteil aufgestellt (Abb. 2.3.2-8): Gesamtmassenbilanz um den Auftriebsteil D¼EþF

ð2:3:2

15Þ

ð2:3:2

16Þ

ð2:3:2

17Þ

Leichtsiederbilanz A um den Auftriebsteil Dy ¼ExþFx



F E  x þ  xE : D D

Mit dem Ru¨cklaufverha¨ltnis m ¼ F=E erha¨lt man die Bilanzgerade fu¨r den Auftriebsteil zu: y¼

m 1 xþ x : mþ1 mþ1 E

ð2:3:2

18Þ

Diese Gleichung liefert fu¨r x ¼ xE den Wert y ¼ xE und fu¨r x ¼ 0 den Ausdruck y ¼ xE =ðm þ 1Þ (Abb. 2.3.2-9). Ein analoges Vorgehen fu¨r den Abtriebsteil gibt unter der Voraussetzung, dass der Zulauf M flu¨ssig siedend, d. h. M þ F ¼ F ! , erfolgt: Gesamtmassenbilanz um den Abtriebsteil F ! ¼ D! þ A

ð2:3:2

19Þ

ð2:3:2

20Þ

ð2:3:2

21Þ

Leichtsiederbilanz A um den Abtriebsteil F !  x ¼ D!  y þ A  xA



F! x D!

A x : D! E

107

108

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Abb. 2.3.2-9 Verlauf der Bilanzgeraden und Treppenkonstruktion: a) minimales R€ ucklaufverh€altnis, unendliche Bodenzahl, b) endliches R€ ucklaufverh€altnis bzw. endliche Bodenzahl, c) totaler R€ ucklauf, minimale Bodenzahl.

Mit der Totalbilanz um die gesamte Kolonne M ¼ E þ A und der Definition des Zulaufverha¨ltnisses u ¼ M=E folgt fu¨r die Bilanzgerade des Abtriebsteils: y¼

mþu x mþ1

u 1 x : mþ1 A

ð2:3:2

22Þ

Diese Gleichung liefert fu¨r x ¼ xA den Wert y ¼ xA (Abb. 2.3.2-9). Der Schnittpunkt der beiden Geraden liegt, wie man durch Gleichsetzen einfach zeigen kann, bei: xSchnittp: ¼

xE þ ðu

u

1Þ  xA

:

ð2:3:2

23Þ

2.3 Produktaufarbeitung (thermische- und mechanische Trennverfahren)

Dieser Schnittpunkt liegt unter den gemachten Vorraussetzungen (Zulauf flu¨ssig siedend) an der Stelle x ¼ xM (Abb. 2.3.2-9). Fu¨r u¨berhitzte oder unterku¨hlte Zula¨ufe ergibt sich: q

xþ



q



HD HM HD hF

q

1 q

1

 xM

ð2:3:2

24aÞ

ð2:3:2

24bÞ

mit

HD = Enthalpie des Dampfes hF = Enthalpie der Flu¨ssigkeit HM = Enthalpie des Zulaufes.

Danach werden die Bilanzgeraden sukzessive mit der Gleichgewichtskurve geschnitten (Abb. 2.3.2-9). Die Zahl der fu¨r die Trennung erforderlichen theoretischen Stufen ergibt sich aus der Zahl der auf der Gleichgewichtskurve liegenden Punkte einer Treppenkonstruktion zwischen Versta¨rkungsgerade und Gleichgewichtskurve von xE bis xM und zwischen der Abtriebsgeraden und Gleichgewichtskurve von xA bis xM . Die unterste Stufe ist die Verdampferstufe. Die eigentliche Stufenzahl der Kolonne ist somit um eins vermindert. Das Ru¨cklaufverha¨ltnis m kann von einer unteren Grenze mmin bis zu 1 gewa¨hlt werden: *

*

Eine Grenze zur Lo¨sung der Trennaufgabe besteht darin, die Zahl der theoretischen Stufen Ntheo auf 1 anzuheben. Dies ist der Fall, wenn die Versta¨rkungsgerade die Gleichgewichtgerade bei xM schneidet. Aus dem Ordinatenabschnitt der Versta¨rkungsgeraden ðxE =ðmmin þ 1ÞÞ kann dann mmin berechnet werden (Abb. 2.3.2-9a). Fu¨r m gegen 1 wird die Versta¨rkungsgerade mit y ¼ x zur Diagonalen. In diesem Fall kommt man, wie die Treppenkonstruktion zeigt, mit der geringsten Bodenzahl (Abb. 2.3.2-9c) aus.

Fu¨hrt man fu¨r verschiedene m > mmin die Ermittlung der theoretischen Stufenzahl durch, so erha¨lt man fu¨r jede gegebene Trennaufgabe eine Beziehung zwischen der Zahl der theoretischen Stufen und des Ru¨cklaufverha¨ltnisses (Abb. 2.3.2-9b), das N=m-Diagramm (Abb. 2.3.2-10). Mit der Zahl der Trennstufen steigen die Investitionskosten der Kolonne und damit die Abschreibung; mit zunehmendem Ru¨cklaufverha¨ltnis steigen die Betriebskosten fu¨r Verdampfung und Kondensation, aber auch die Investitionskosten fu¨r die Verdampfungs- und Kondensationseinrichtungen. Diese Wirtschaftlichkeitsbetrachtung liefert das optimale Ru¨cklaufverha¨ltnis. In vielen Fa¨llen gilt die Faustformel: mopt  1,2 bis 2mmin :

109

110

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

(a)

(b) Abb. 2.3.2-10 N=m-Diagramm. a) Kurvenparameter ist die relative Fl€ uchtigkeit a (1,5/2,0/4,0), b) Kurvenparameter ist die Trennausbeute r (0,9/0,99/0,999).

Aus dem optimalen Ru¨cklaufverha¨ltnis ergibt sich die theoretische Stufenzahl N und mit dem Bodenwirkungsgrad: g¼

Ntheo ; Nprakt

ð2:3:2

25Þ

die praktische Bodenzahl und daru¨ber die Ho¨he der Kolonne. ¨ berlegungen und ist abha¨nDer Kolonnendurchmesser folgt aus hydrodynamischen U gig von der Art der Trenneinbauten. Prima¨r erfolgt die Auslegung u¨ber den Dampfbelastungsfaktor (F-Faktor). Bei hohen Flu¨ssigkeitsbelastungen (Druckkolonnen) verringert sich der zula¨ssige F-Faktor. Von den Herstellern der Kolonneneinbauten werden die beno¨tigten Auslegungsunterlagen bereitgestellt (Abb. 2.3.2-11). Als Standardwerte merke man sich F-Faktoren von:

2.3 Produktaufarbeitung (thermische- und mechanische Trennverfahren)

(a)

(b) Abb. 2.3.2-11 a) Trennleistung im System Cyclohexan/n-Heptan bei vier verschiedenen Systemdr€ ucken in Zahl der theoretischen Stufen pro Meter als Funktion des F-Faktors einer regelm€aßigen Stoffaustauschpackung (Montz-Pak B1-350M), b) dito f€ ur den Druckverlust.

111

112

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile * * *

2 bis 2,5 Pa0,5 fu¨r geordnete Packungen, 1,5 bis 2,0 Pa0,5 fu¨r Fu¨llko¨rper und 1,2 bis 1,8 Pa0,5 fu¨r Bodenkolonnen.

2.3.2.4

Entwurf von Destillationsanlagen

Die Rektifikation stellt das in der chemischen Industrie mit Abstand ha¨ufigste Trennverfahren dar. Es zeichnet sich durch eine robuste, wenig sto¨ranfa¨llige Technologie und vergleichsweise niedrige Investitionskosten aus. Der Energiebedarf ist jedoch betra¨chtlich. Etwa 40 % des Gesamtenergiebedarfs der chemischen Industrie entfallen auf die destillative Trenntechnik. Energieverbundmaßnahmen zur Mehrfachnutzung der eingesetzten Heizenergie sind daher von besonderer Bedeutung und werden verbreitet eingesetzt (s. Kap. 6.1.6.2) [Kaibel 1990]. Die rechnerische Auslegung von Destillationskolonnen wird mit Hilfe von Rechenprogrammen vorgenommen. Beispiele fu¨r kommerzielle Programme sind ASPEN und HYSIM, die neben der thermodynamischen auch die fluiddynamische Dimensionierung ermo¨glichen (s. Kap. 4.2). Nichtideales Siedeverhalten kann durch verschiedene mathematische Ansa¨tze mit fu¨r die Praxis ausreichender Genauigkeit wiedergegeben werden. Ha¨ufig genutzte Modelle sind die Ansa¨tze nach Wilson und der NRTL-Ansatz, der auch fu¨r Stoffsysteme mit Phasenzerfall geeignet ist. Die mathematische Modellierung von Destillationsvorga¨ngen hat inzwischen einen hohen Stand erreicht. Etwa in der Ha¨lfte der Anwendungsfa¨lle kann die Auslegung von Destillationsanlagen allein auf Basis von Rechnungen erfolgen. Shortcut-Methoden und grafische Verfahren (z. B. MacCabe-Thiele-Verfahren) zur Auslegung von Destillationsanlagen haben an Bedeutung verloren, da durch die Kombination der Rechenprogramme mit Stoffdatenbanken eine rasche Bearbeitung mo¨glich ist. Fu¨r die u¨berschla¨gige Abscha¨tzung und Dimensionierung dienen die Beziehungen von Fenske und Underwood zur Bestimmung der Mindestbodenzahl Nmin und des Mindestru¨cklaufverha¨ltnisses mmin : ln Nmin ¼



1

1

mmin ¼

a

y 1 y x 1 x xM 1 xM

= = = = = =

y

1





1

x

y x ln a 

y xM

Konzentration Konzentration Konzentration Konzentration Konzentration Konzentration

a

 1 y 1 xM

des des des des des des



Leichtsieders im Destillat Hochsieders im Destillat Leichtsieders im Sumpf Hochsieders im Sumpf Leichtsieders im Zulauf Hochsieders im Zulauf.

ð2:3:2

26Þ

ð2:3:2

27Þ

2.3 Produktaufarbeitung (thermische- und mechanische Trennverfahren)

Die Fenske-Gleichung zur Ermittlung der Mindestbodenzahl gilt definitionsgema¨ß nur fu¨r Bodenkolonnen mit einem Bodenwirkungsgrad von eins. Die Anwendung dieser Beziehung fu¨hrt bei Packungskolonnen, besonders bei hohen relativen Flu¨chtigkeiten zu erheblichen Fehlern. Fu¨r Packungskolonnen sollte die Mindestbodenzahl Nmin nach folgender Beziehung ermittelt werden: Nmin ¼ ln



x 1

y



þ

1 a

1

 ln

y  ð1 x  ð1

xÞ yÞ

ð2:3:2

28Þ

Das Diagramm von Gilliland gibt fu¨r beliebige Werte den Zusammenhang zwischen der Trennstufenzahl und dem zugeho¨rigen Ru¨cklaufverha¨ltnis u¨berschla¨gig wider (s. Abb. 2.3.2-12). Wirtschaftliche Auslegungen ergeben sich fu¨r Trennstufenzahlen, die etwa dem 1,3-fachen (Gl. (2.3.2-24)) der Mindesttrennstufenzahl oder dem 1,2 bis 1,3-fachen der Mindestheizleistung entsprechen. Im Hinblick auf die Regelbarkeit und die Mindestberieselungsdichte sollte das Ru¨cklaufverha¨ltnis Mindestwerte von etwa 0,3 bis 0,5 nicht unterschreiten. Destillative Trennungen sind inzwischen mathematischen Modellbildungen gut zuga¨nglich. Dies erlaubt es in manchen Fa¨llen, auf eine experimentelle Ausarbeitung zu verzichten oder sie stark einzuschra¨nken. Eine experimentelle Ausarbeitung destillativer Aufarbeitungsschritte ist entbehrlich, wenn: *

bereits ein Herstellungsverfahren fu¨r das Produkt ausgeu¨bt wird und sich die Verfahrensa¨nderungen nur auf den Aufarbeitungsteil beschra¨nken, beispielsweise die Verfahrensumstellung auf Trennwandkolonnen oder die Einfu¨hrung von Wa¨rmeverbundmaßnahmen.

Abb. 2.3.2-12

Zusammenhang zwischen Trennstufenzahl N und R€ ucklaufverh€altnis v nach Gilliland.

113

114

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile * *

nur bescheidene Anforderungen an die Produktspezifikationen gestellt werden. keine chemische Reaktionen zu erwarten sind, wie beispielsweise Produktscha¨digungen durch hohe Temperaturen, Verfa¨rbungen oder Polymerisationen.

Zwingend erforderlich wird eine experimentelle Bearbeitung, wenn: *

*

* *

* *

bestimmte einzuhaltende Produkteigenschaften mathematisch nicht modelliert werden ko¨nnen, wie beispielsweise Verfa¨rbungen durch thermische Belastung, geruchliche Eigenschaften bei Riechstoffen, geschmackliche Eigenschaften bei Aromastoffen, komplexe Produkteigenschaften in nachfolgenden Verarbeitungsstufen, wie die Polymerisationseigenschaften, die Festigkeit oder die Verspinnbarkeit bei Kunststoffmonomeren. Ru¨ckfu¨hrungen von nicht umgesetzten Reaktanten in die Synthesestufe auftreten und eine Katalysatorscha¨digung nicht ausgeschlossen werden kann. Temperatur- und verweilzeitabha¨ngige Nebenreaktionen auftreten ko¨nnen. Reaktivdestillationen auszuarbeiten sind, bei denen die Durchfu¨hrung der chemischen Reaktion in den Aufarbeitungsschritt integriert ist. geeignete Werkstoffe fu¨r kritische Stoffgemische auszuwa¨hlen sind. extreme Stoffeigenschaften, wie hohe Viskosita¨ten der Flu¨ssigkeit, vorliegen.

Die Auslegung der großtechnischen Kolonne erfolgt u¨ber die Parameter: * * * * *

Druck und Temperatur in der Kolonne zula¨ssige Bru¨dengeschwindigkeit Zahl der erzielbaren theoretischen Trennstufen je Meter Kolonnenho¨he Druckverlust Flu¨ssigkeitsholdup.

Gu¨nstigste Investitionskosten ergeben sich meist fu¨r einen Druckbereich zwischen 1 und 4 bar. Bei temperaturempfindlichen Substanzen muss der Druck unter Inkaufnahme ho¨herer Investitionskosten so weit abgesenkt werden, bis tolerierbare Temperaturbelastungen vorliegen. Dru¨cke u¨ber etwa 4 bar werden u¨ber die Kosten fu¨r die Ku¨hlmittel erzwungen. Beispielsweise wird die Abtrennung von Ammoniak aus wa¨ssrigen Gemischen meist bei Dru¨cken im Bereich von 17 bis 20 bar vorgenommen, um mit Ku¨hlwasser anstelle von Sole kondensieren zu ko¨nnen. Als Mindesttemperaturen gelten fu¨r eine Ku¨hlung mit Flusswasser 30, fu¨r Ru¨ckku¨hlwasser 40 und fu¨r Luft 55 8C. Die zula¨ssige Bru¨dengeschwindigkeit wird u¨ber den Dampfbelastungsfaktor, ha¨ufig als F-Faktor bezeichnet, bestimmt (s. Gl. (2.4.15)). Die mo¨glichen Dampfbelastungsfaktoren sind fu¨r die verschiedenen Kolonneneinbauten u¨ber Herstellerangaben leicht zuga¨nglich. Schwieriger ist die Ermittlung der erzielbaren theoretischen Trennstufenzahl. Auch hier ist zuna¨chst auf Herstellerangaben zuru¨ckzugreifen. Die Werte mu¨ssen hinsichtlich der Stoffeigenschaften gepru¨ft werden. Hohe Viskosita¨ten, wie sie bei Extraktivdestillationen auftreten, reduzieren beispielsweise den Wirkungsgrad von Bo¨den auf etwa 40 %, wa¨hrend u¨blicherweise Wirkungsgrade von 60 bis 75 % erzielt werden ko¨nnen.

2.3 Produktaufarbeitung (thermische- und mechanische Trennverfahren)

Diskontinuierliche Destillation Bei Produktionsmengen, die im Bereich unterhalb von etwa 1 000 jato liegen, werden destillative Trennungen bevorzugt diskontinuierlich ausgefu¨hrt. Die diskontinuierliche Destillation bietet bei kleineren Produktionsmengen den Vorteil niedriger Investitionskosten, da nacheinander die einzelnen Fraktionen in derselben Anlage abgetrennt werden ko¨nnen. Sie ist sehr flexibel, da sie sich leicht mit anderen Verfahrensschritten kombinieren la¨sst. Wenn man die Destillationsblase in Form eines Ru¨hrbeha¨lters ausfu¨hrt, ko¨nnen in der Destillationsapparatur zusa¨tzliche Verfahrensschritte, wie Lo¨sen von Feststoffen, chemische Reaktionen, destillative Lo¨sungsmittelwechsel, Flu¨ssig/ Flu¨ssig-Extraktionen, Verdampfungs- und Ku¨hlkristallisationen oder Fa¨llungen von Feststoffen vorgenommen werden. Bei der diskontinuierlichen Destillation wird derzeit noch u¨berwiegend die Aufwa¨rtsfahrweise angewandt, bei der das Ausgangsgemisch in einer Destillationsblase vorgelegt und aufgeheizt wird und anschließend nacheinander die einzelnen Fraktionen in der Reihenfolge ihrer Flu¨chtigkeiten, beginnend mit der am leichtesten siedenden Fraktion, u¨ber Kopf abgetrennt werden (Abb. 2.3.2-13). Das Ru¨cklaufverha¨ltnis bei der diskontinuierlichen Destillation sollte wa¨hrend der Abtrennung einer Fraktion nicht konstant gehalten, sondern allma¨hlich angehoben werden, um eine mo¨glichst zeitlich konstante Reinheit des entnommenen Kopfproduktes zu erreichen. Bei einem zeitlich konstanten Ru¨cklaufverha¨ltnis fa¨llt die Reinheit des Kopfproduktes allma¨hlich ab, da der Gehalt der abzutrennenden Komponente in der Destillationsblase zuru¨ckgeht, die Trennung schwieriger wird (Abb. 2.3.2-14). Das Vermischen von Kopfprodukten mit unterschiedlicher Zusammensetzung in der Destillatvorlage am Kolonnenkopf fu¨hrt zu einer Mischungsentropie, die sich bei einer zeitlich konstanten Destillatzusammensetzung vermeiden la¨sst. Die geeigneten zeitlich ansteigenden Werte fu¨r das Ru¨cklaufverha¨ltnis werden zweckma¨ßigerweise rechnerisch ermittelt. Sie ko¨nnen in der Praxis mit Hilfe eines Prozessleitsystems u¨ber vorgegebene zeitliche Rampenfunktionen oder auch Temperatursignale mit ausreichender Genauigkeit verwirklicht werden. Die Einsparungen sind betra¨chtlich. Im Vergleich zu einer Fahrweise mit zeitlich konstantem Ru¨cklaufverha¨ltnis kann eine Verringerung der Destillationszeit und des Energiebedarfs auf etwa 30 bis 60 % erwartet werden. 2.3.2.4.1

Abb. 2.3.2-13

Aufw€artsfahrweise bei der diskontinuierlichen Destillation.

115

116

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Abb. 2.3.2-14 Zeitlicher Verlauf der Destillatkonzentration und des R€ ucklaufverh€altnisses bei unterschiedlicher Steuerung des R€ ucklaufverh€altnisses.

Wenn hohe Reinheiten der einzelnen Fraktionen gefordert werden, ist es unerla¨sslich, Zwischenfraktionen zu nehmen, die separat gespeichert und bei der na¨chsten Charge wieder zugegeben werden. Aus thermodynamischen Gru¨nden ist es im Hinblick auf die Minimierung von Mischungsentropien anzustreben, fu¨r jede Zwischenfraktion einen separaten Beha¨lter vorzusehen und die einzelnen Zwischenfraktionen nicht gemeinsam zu Beginn der na¨chsten Charge, sondern erst jeweils bei Beginn der Fraktion, an deren Ende die jeweilige Zwischenfraktion entnommen wurde, wieder zuzufu¨hren. Auch fu¨r die einzelnen Zwischenfraktionen ist es vorteilhaft, mit zeitlich ansteigenden Ru¨cklaufverha¨ltnissen zu arbeiten. Zur Verringerung der Mengen an Zwischenfraktionen sollten die Trenneinbauten einen mo¨glichst geringen Flu¨ssigkeitsholdup aufweisen. Glockenbo¨den und Ventilbo¨den sind ungu¨nstig. Die gu¨nstigsten Werte werden mit geordneten Blechpackungen erreicht. Zur Begrenzung der Temperaturen wird bei diskontinuierlichen Destillationen oft bei zeitlich abnehmenden Dru¨cken gearbeitet. Die Druckabsenkung kann bei entsprechender Automatisierung zu jedem beliebigen Zeitpunkt vorgenommen werden. Sie darf nur so schnell erfolgen, dass bei gestoppter Energiezufuhr keine hydraulische ¨ berlastung der Kolonne oder des Kondensators auftritt. U Im Vergleich zu kontinuierlichen Destillationen weisen diskontinuierliche destillative Trennungen den Nachteil einer erho¨hten thermischen Belastung der Produkte infolge la¨ngerer Verweilzeiten auf. Auch der Energiebedarf ist grundsa¨tzlich ho¨her als bei der kontinuierlichen Fahrweise. Zur zumindest teilweisen Behebung dieses Nachteils ko¨nnen spezielle Fahrweisen der diskontinuierlichen Destillation angewandt werden. Die Abwa¨rtsfahrweise wird bereits in einigen Fa¨llen industriell eingesetzt. Dabei wird das zu trennende Ausgangsgemisch nicht wie bei der Aufwa¨rtsfahrweise in einer Destillationsblase am unteren

2.3 Produktaufarbeitung (thermische- und mechanische Trennverfahren)

Abb. 2.3.2-15

Abw€artsfahrweise bei der diskontinuierlichen Destillation.

Ende der Kolonne vorgelegt, sondern am oberen Ende. Die einzelnen Fraktionen werden in der Reihenfolge ihrer Siedepunkte, beginnend mit der schwerstsiedenden Fraktion, nacheinander am unteren Ende der Kolonne entnommen (Abb. 2.3.2-15). Besonders vorteilhaft ist eine Kombination von Aufwa¨rtsfahrweise und Abwa¨rtsfahrweise. Dabei wird man in der Regel bei der ersten Fraktion mit der Abwa¨rtsfahrweise beginnen. Dies bietet den Vorteil, dass die Aufheizzeit und die fu¨r die Aufheizung des Ausgangsgemisches erforderliche Energie eingespart werden ko¨nnen. Am unteren Ende der Kolonne wird nur die fu¨r den Verdampfer beno¨tigte Mindestfu¨llmenge vorgelegt. Bei den nachfolgenden Fraktionen kann man je nach den gewu¨nschten Reinheiten der einzelnen Fraktionen die geeignete Fahrweise – Aufwa¨rts- oder Abwa¨rtsfahrweise – jeweils individuell wa¨hlen. Die Eignung der verschiedenen Fahrweisen lassen sich rechnerisch mit Hilfe von Rechenprogrammen fu¨r diskontinuierliche Destillationen ermitteln. Allerdings ist die Ausarbeitung diskontinuierlicher Destillationen erheblich aufwendiger als die von kontinuierlichen Destillationen. Die Entscheidung kann jedoch vereinfacht mit nachstehenden Berechnungsformeln erfolgen, die fu¨r die verschiedenen Fahrweisen mit Hilfe der Differentialgleichungen ermittelt wurden. Als Vergleich dient die Mindestbru¨denmenge G: Diskontinuierlich, Aufwa¨rtsfahrweise: G ¼ nA 

a 1

a



rA þ rB 1 1 1 r þ rB  ln þ nB   A 1 rB rB a 1 rA

1

 ln

1 1

rA ð2:3:2

29Þ

ð2:3:2

30Þ

Diskontinuierlich, Abwa¨rtsfahrweise: G ¼ nA 

a a

þ nB 

a

 1 1

rA þ rB 1 1  ln rB 1 rB r þ rB 1 1  A  ln 1 1 rA rA

117

118

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Hierbei ist vorausgesetzt, dass die Steuerung des Ru¨cklaufverha¨ltnisses jeweils optimal erfolgt und die entnommenen Fraktionen mit zeitlich konstanten Konzentrationen entnommen werden. Zum Vergleich gilt fu¨r die kontinuierliche Fahrweise: G ¼ nA 

a 1

a

 ðrA þ rB

1

1Þ þ nB 

1

a

 ðrA þ rB Þ

ð2:3:2

31Þ

Fu¨r den Fall reiner Kopf- bzw. Sumpfprodukte gelten die einfacheren Beziehungen: G ¼ nA 

a 1

a

 rA þ nB 

1 a

1

1

 ln

1

rA

ð2:3:2

32Þ

ð2:3:2

33Þ

fu¨r reines Kopfprodukt bei Aufwa¨rtsfahrweise und G ¼ nA 

a a

1

 ln

1 1

rB

þ nB 

1 a

1

 rB

fu¨r reines Sumpfprodukt bei Abwa¨rtsfahrweise. Hierin bedeuten: G bei einer Kolonne mit unendlich hoher Trennstufenzahl zur Trennung erforderliche Mindestbru¨denmenge (mol) nA Ausgangsmenge Leichtsieder (mol) nB Ausgangsmenge Schwersieder (mol) a relative Flu¨chtigkeit rA Trennausbeute des Leichtsieders (Anteil des Leichtsieder im Destillat zu Leichtsieder in der Ausgangsmenge) rB Trennausbeute des Schwersieders (Anteil des Schwersieders im Sumpf zu Schwersieder in der Ausgangsmenge).

Die kontinuierliche Fahrweise ist hinsichtlich des Energiebedarfs grundsa¨tzlich am gu¨nstigsten. Fu¨r die geeigneten Anwendungsbereiche der Aufwa¨rtsfahrweise bzw. der Abwa¨rtsfahrweise lassen sich folgende Regeln entnehmen: Die Abwa¨rtsfahrweise ist gegenu¨ber der Aufwa¨rtsfahrweise zu bevorzugen, wenn:   1 1  ln n r 1 rA   a A < A 1 1 nB  ln rB 1 rB

1

1 rA 1 1  ln 1 rB rB

1

rA

 ln

ð2:3:2

34Þ

ð2:3:2

35Þ

bzw. wenn rA ¼ rB : a

nA 800 8C ohne Wa¨rmenutzung verbrannt (Abb. 2.7-2). Die Verbrennung kann sowohl im Freien als auch in einer abgeschirmten Fackel erfolgen. Da die Abgase aus dem Abgassammelsystem nur einen geringen Heizwert haben wird die Fackel mit Stu¨tzgas (z. B. Erdgas) betrieben. Je nach Fackelkonstruktion erfolgt die Zufu¨hrung der Verbrennungsluft durch Ansaugung aus der Umgebung oder durch Zwangszufu¨hrung mittels Gebla¨se. Die Fackel muss mit diversita¨ren Sicherheitssystemen zur Verhinderung eines Flammenru¨ckschlages ausgestattet sein (z. B. Wassertauchbad, Flammenru¨ckschlagsicherungen, Beschleunigungsstrecke als dynamischer Ru¨ckzu¨ndungsschutz, Abb. 2.7-2). In der chemischen Industrie werden Fackeln heute immer weniger zur Abluftreinigung, statt dessen als Sicherheitsmaßnahme, z. B. zur schnellen Druckentlastung oder zur Beseitigung scha¨dlicher Gase bei Betriebssto¨rungen, betrieben.

2.7.2

Verbrennungsanlagen fu¨r gasfo¨rmige und flu¨ssige Ru¨cksta¨nde

Die im BImSch-Gesetz (Kap. 5.2.1) formulierten Ziele werden durch den Erlass von Rechtsvorschriften und Verwaltungsvorschriften, durch die Aufstellung von Luftreinhaltungspla¨nen und die Festlegung von Belastungsgebieten sowie durch Einzelfallentscheidungen konkretisiert. Die Verordnung u¨ber Abfallverbrennungsanlagen regelt genau, welche Emissionen aus einer Abfallverbrennungsanlage entweichen du¨rfen und welche technischen Vorkehrungen getroffen werden mu¨ssen, damit bei einem

2.7 Ru¨ckstandsentsorgung

(a)

(b) Abb. 2.7-1 Abgassammelsystem (a) mit zwei alternativen Entsorgungswegen (b): Fackel und/oder katalytische Nachverbrennung.

drohenden Defekt in der Anlage diese automatisch verriegelt und so eine weitere Abfallverbrennung unterbunden wird. Die thermischen Verbrennung von Abgasen und flu¨ssigen Ru¨cksta¨nden erfolgt bei Temperaturen zwischen 750 und 1200 8C [Loo 2000]. Zur Wa¨rmenutzung des gereinigten Abgases bieten sich das Vorwa¨rmen des Abgases bzw. der Verbrennungsluft oder eine nachgeschaltete Dampferzeugung an (Abb. 2.7-3). Diese Maßnahmen steigern den Wirkungsgrad einer Verbrennungsanlage erheblich und vermindern die Betriebskosten. Je nach Standort der geplanten Anlage in-

199

200

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

(a)

formiere man sich fru¨hzeitig, ob Synergien mit anderen Verbrennungsanlagen genutzt werden ko¨nnen (z. B. Kraftwerke in der na¨heren Umgebung).

2.7.3

Spezielle Verfahren zur Abluftreinigung

In den letzten Jahrzehnten sind eine Vielzahl von Neuentwicklungen auf dem Gebiet der Abgas- und Abluftreinigung durchgefu¨hrt worden. Im Folgenden werden diese stichwortartig aufgelistet:

2.7 Ru¨ckstandsentsorgung

(b) Abb. 2.7-2 a) Fackel mit integrierten Flammenr€ uckschlagsicherungen (Beschleunigungsstrecke und umschaltbaren Flammenr€ uckschlagssicherungen). b) Drei Prinzipien von Flammenr€ uckschlagssicherungen [Mendoza 1998].

Abb. 2.7-3

Verbrennungsanlage (schematisch).

201

202

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Absorption Wenn die Abluft nur einen bestimmten Schadstoff entha¨lt, kann dieser durch ein geeignetes Waschmittel physikalisch oder chemisch absorbiert werden. Dieses Verfahren ist oft dann wirtschaftlich, wenn die beladene Waschflu¨ssigkeit ohne spezielle Aufarbeitung wieder in einem Prozess eingesetzt werden kann. Adsorption Es wird die hohe Aufnahmefa¨higkeit von organischen Da¨mpfen – z. B. an Aktivkohle – ausgenutzt. Dadurch sind sehr geringe Restkonzentrationen erreichbar. Da es sich um ein regeneratives Verfahren handelt, werden immer mindestens zwei Adsorbertu¨rme beno¨tigt. Biofilter Mikroorganismen, welche die organischen Verunreinigungen zu Kohlendioxid und Wasser oxidieren, werden auf feuchtgehaltenem Tra¨germaterial fixiert, durch das die beladene Abluft geleitet wird. Voraussetzungen sind: niedrige Konzentrationen und wasserlo¨sliche Schadstoffe. Biowa¨scher Eine wa¨ssrige Belebtschlammsuspension wird im Gegenstrom zur Abluft durch eine Kolonne geleitet. Membran-Trennung (Dampfpermeation) Voraussetzung ist Verfu¨gbarkeit einer geeigneten Membran und ein sauberes Abgas ohne Schmutzpartikel (Abb. 2.7-4).

Abb. 2.7-4

Schematische Darstellung einer Abluftreinigungsanlage via Dampfpermeation.

2.7 Ru¨ckstandsentsorgung

2.7.4

Abwasserreinigung und -entsorgung

Bei chemischen Produktionsprozessen fallen oft mit Nebenprodukten beladene Produktionsabwa¨sser an, die einer Abwasseraufarbeitungsanlage zugefu¨hrt werden mu¨ssen, bevor sie gereinigt in ein Gewa¨sser eingeleitet werden du¨rfen. Die Menge des Abwassers kann durch Kreislauffu¨hrung, Ru¨ckgewinnung von Inhaltsstoffen, Anwendung abwasserarmer Verfahren u. a. reduziert werden (integrierter Umweltschutz) [Christ 1999]. Trotz dieser Maßnahmen liegt das Abwasseraufkommen in Deutschland bei mehr als 4  109 m3 a 1. Durch das Wasserhaushaltsgesetz (WHG) der Bundesrepublik Deutschland aus dem Jahre 1957 und seiner ersten Novellierung 1960 sind Rahmenvorschriften festgelegt, die durch weitere Gesetze und Verordnungen der La¨nder umgesetzt werden. Das WHG regelt die Benutzung von Gewa¨ssern, die Entnahme und Einleitung von Wasser und wurde bis heute durch weitere Novellierungen den gea¨nderten Bedu¨rfnissen angepasst. Daru¨ber hinaus trat 1978 das Abwasserabgabengesetz mit dem Ziel in Kraft, das Verursacherprinzip auf dem Gebiet des Gewa¨sserschutzes wirksam werden zu lassen. Die zusta¨ndige Wasserbeho¨rde ist mo¨glichst fru¨hzeitig in das Projekt einzubinden, denn diese muss eine Einleiterlaubnis erteilen und legt darin Grenzwerte und Auflagen fest, die beho¨rdlich u¨berwacht werden. Je nach der Art des anfallenden Abwassers stehen verschiedene Verfahren zur Verfu¨gung: *

*

*

*

biologische Behandlung (bevorzugt bei verdu¨nnten Abwa¨ssern (< 5 %) und gut biologisch abbaubaren Inhaltsstoffen) chemische Behandlung (bevorzugt bei biologisch schwer abbaubaren Inhaltsstoffen), z. B. durch Oxidationsverfahren wie katalytische Nassoxidation, katalytische UV-Oxidation, Oxidation mit H2O2, Super Critical Water Oxidation (SCWO) [Baur 2001] physikalische Behandlung (Extraktion [Schierbaum 1997], Membranverfahren, Adsorption an Adsorberharze, Aktivkohle u. a.) Kombinierte Verfahren (z. B. biologisch-chemisch-physikalische Behandlungsverfahren).

2.7.4.1

Kla¨ranlage

Gro¨ßere Industriestandorte verfu¨gen normalerweise u¨ber eine mechanisch-chemisch biologische Abwasseraufarbeitungsanlage (sog. Kla¨ranlage). Die Abwa¨sser der einzelnen Produktionsbetriebe werden gesammelt und der Kla¨ranlage zugefu¨hrt (additiver Umweltschutz). Diese besteht im Wesentlichen aus folgenden Stufen: *

Sand- und Grobmaterialabtrennung Mechanische Einrichtungen wie Rechenwerke, Sandfa¨nger und Siebanlagen scheiden Grobstoffe und Sand ab, um einen sto¨rungsfreien Betrieb der nachfolgenden Anlagen zu gewa¨hrleisten.

203

204

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile *

*

*

*

*

Neutralisationsstufe Da die biologische Reinigung des Abwassers unter neutralen Bedingungen (pH 6…8) am effektivsten abla¨uft, mu¨ssen die Abwa¨sser je nach pH-Wert mit Kalkmilch oder Schwefel- bzw. Salzsa¨ure neutralisiert werden. Schwermetallionen (Blei, Quecksilber, Cadmium, Chrom u. a.) bzw. kolloidal gelo¨ste Stoffe werden vor der Neutralisation bei pH 8 bis 10 als Hydroxide ausgefa¨llt bzw. durch Zugabe von Eisen(II)-sulfat ausgeflockt. Vorkla¨rung in einem Absetzbecken Hier werden die gebildeten Niederschla¨ge durch Verringerung der Stro¨mungsgeschwindigkeit abgeschieden. Biologische Reinigung in einem Bioreaktor Mit adaptierten Mikroorganismen (Bakterien, Pilze u. a.) erfolgt durch aeroben Abbau eine Zerlegung der Wasserinhaltsstoffe in Kohlendioxid und Belebtschlamm (Huminsa¨uren, Bakterienmasse). Die Belebtschlamm-Konzentration betra¨gt 1 bis 5 g Trockensubstanz pro Liter. Die Reinigungsleistung dieser biologischen Stufe ha¨ngt vom Angebot an abbaubaren Substanzen, von der Sauerstoffzufuhr, von der Temperatur und von der Verweilzeit ab. Bakteriengifte mu¨ssen ferngehalten werden, wobei der Begriff Gift eine Frage von Konzentration und Adaption der Mikroorganismen an die betreffende Substanz ist. Daher sollten qualitativ und quantitativ stark schwankende Abwa¨sser aus den Produktionsbetrieben vermieden werden (Puffertank fu¨r Spu¨labwa¨sser vorsehen). Dies kann z. B. durch eine konstante Grundlast an kommunalen Abwa¨ssern abgepuffert werden. Die heute angewendeten Bioreaktoren unterscheiden sich in der Art der Haltung der Bakterien (Suspension, Festbetteinbauten u. a.), des Sauerstoffeintrages sowie der Hydrodynamik des Beckens. Nachkla¨rung im Absetzbecken Hier wird durch Sedimentation unter Zusatz von Flockungsmitteln der Belebtschlamm vom gereinigten Abwasser abgetrennt und zum Teil wieder in den Bioreaktor ru¨ckgefu¨hrt. Kla¨rschlammaufarbeitung Der u¨berschu¨ssige Belebtschlamm wird durch unterschiedliche Techniken denaturiert, entwa¨ssert und z. B. nach Zumischung von Kohlenstaub in Wirbelschichtoder Drehrohro¨fen verbrannt. Die aufwendige Kla¨rschlammbehandlung und Entsorgung verschlingt einen wesentlichen Teil der Betriebskosten.

Abwasseranalyse und -charakterisierung Schon wa¨hrend der Verfahrensentwicklung in der integrierten Miniplant sind repra¨sentative Abwasserproben zu untersuchen. Zusammen mit der Abwassermenge der geplanten Großanlage mu¨ssen die analytischen Daten des zu entsorgenden Abwassers festgestellt werden, um fu¨r die am geplanten Standort vorhandene oder zu bauende Kla¨ranlage die zu bewa¨ltigende Schmutzlast zu ermitteln. Da eine quantitative Analyse aller nachweisbaren Inhaltsstoffe oft nicht mit vernu¨nftigem Aufwand mo¨glich ist (AAS, GC/MS, HPLC u. a.), werden meist folgende Summenparameter zur Charakterisierung verwendet:

2.7 Ru¨ckstandsentsorgung * * *

*

* * *

*

absetzbare Stoffe Salzgehalt chemischer Sauerstoffbedarf CSB nach DIN 38409 Die mit Schwefelsa¨ure angesa¨uerte Abwasserprobe wird nach Zugabe eines defi¨ berschusses (Oxidationsmittel) und Silberionen als Kanierten Kaliumdichromat-U talysator zwei Stunden am Ru¨ckfluss gekocht. Nach Abku¨hlung wird nicht verbrauchtes Oxidationsmittel mit Eisen(II)-Sulfat ru¨cktitriert. Daraus ergibt sich der CSB-Wert als mg O2 pro Liter Abwasser. biologischer Sauerstoffbedarf BSB5 nach DIN 38409 Die Abwasserprobe wird mit bakterienhaltigem, sauerstoffgesa¨ttigtem Wasser versetzt und der Sauerstoffgehalt via O2-Glaselektrode bestimmt. Die Probe wird verschlossen und bei 20 8C thermostatisiert. Nach fu¨nf Tagen wird der O2-Gehalt gemessen und aus der Differenz der BSB5 in mg verbrauchter O2 pro Liter ermittelt. Der Index 5 bei BSB5 bedeutet 5 Tage Bebru¨tungsdauer. gesamter organischer Kohlenstoff TOC nach DIN 38409-H3 gelo¨ster organischer Kohlenstoff DOC nach DIN 38409 Teil 3 (1983) an Aktivkohle adsorbierbare organische Halogenverbindungen AOX nach DIN 38409-H14. leichtflu¨chtige und schwerabsorbierbare Anteile POX (purgable) extrahierbare Anteile EOX (DIN 38409-H8).

Um die Gefa¨hrdung der Kla¨ranlage durch toxische Stoffe zu vermeiden, werden Abwa¨sser im Bedarfsfall mit biologischen Testmethoden auf toxische Effekte untersucht (Fisch- oder Bakterientoxizita¨t). Jeder einzelne Inhaltsstoff muss fu¨r sich allein hinreichend biologisch abbaubar sein, um zu vermeiden, dass ein nichtabbaubarer Stoff in der Gesamtmenge der abbaubaren Inhaltsstoffe untergeht. Ein Stoff gilt als hinreichend abbaubar, wenn das Verha¨ltnis BSB5/CSB gro¨ßer als 0,5 ist; gut abbaubare Abwa¨sser haben Werte gro¨ßer 2/3. Gegebenenfalls mu¨ssen weitergehende Abbautests durchgefu¨hrt werden, welche das Adaptionsverhalten der Mikroorganismen besser beru¨cksichtigen ko¨nnen, z. B. der Zahn-Wellens-Test. Dieser Standardversuch ist eine statistische Methode zur Pru¨fung der Eliminierbarkeit bzw. der potenziellen biologischen Abbaubarkeit einer Pru¨fsubstanz unter aeroben Bedingungen (Abb. 2.7-5). Die Beurteilung von reinen Stoffen bzgl. ihrer biologischen Abbaubarkeit und ihrer toxischen Wirkung auf Wasserorganismen erfolgt u¨ber die Einteilung in Wassergefa¨hrdungsklassen (WGK). Es gilt: * * *

WGK 1 schwach wassergefa¨hrdend (z. B. Essigsa¨ure, Maleinsa¨ureanhydrid) WGK 2 wassergefa¨hrdend (z. B. Acetonitril) WGK 3 stark wassergefa¨hrdend (z. B. Arsen(III)oxid).

Mo¨glichst fru¨hzeitig sind Gespra¨che u¨ber die Abwasserproblematik mit den entsprechenden Entsorgungsabteilungen zu fu¨hren.

205

206

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Abb. 2.7-5 Beispiel f€ ur den Zahn-Wellenstest eines essigs€aurehaltigen Abwassers. Aufgetragen ist die relative DOC-Abnahme im Verlauf von 28 Tagen. Die Pr€ ufsubstanz wird nach Verd€ unnung mit kommunalem Belebtschlamm in einem Batchbeh€alter unter standardisierten Bedingungen 28 Tage ger€ uhrt und bel€ uftet. Je nach Verlauf der Eliminationskurve k€ onnen biologische Abbauvorg€ange, Adsorption an den Belebtschlamm oder Strippeffekte unterschieden werden. Rein biologischer Abbau ist an folgenden Kriterien zu erkennen: * vorliegen einer typischen S-f€ ormigen Abbaukurve * geringer Adsorptionsanteil (Elimination nach 3 h < 20 %) * kein Hinweis auf Strippeffekte. Ein Abwasser ist gut eliminierbar, wenn Eliminationswerte gr€ oßer 70 % erreicht werden (20…70 % bedeutet m€aßig eliminierbar, < 20 % schwer eliminierbar).

2.7.4.2

Spezielle Verfahren der Abwasserreinigung

Die Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes hat die gesetzlichen und beho¨rdlichen Bestimmungen zur Abwasserbehandlung verscha¨rft. In vielen Fa¨llen muss heute das Abwasser vor Ort behandelt werden, ehe es zur zentralen Kla¨ranlage geleitet wird. Neben destruktiven Verfahren wie: *

*

chemischer Abbau mit Oxidationsmitteln (Ozon, H2O2, HNO3 oder Behandlung mit Luftsauerstoff (sog. Nassoxidation) bei hohem Druck und hoher Temperatur mit und ohne Katalysator) Pyrolyse in Abwasserverbrennungsanlagen u. a.

kommen heute im Rahmen des integrierten Umweltschutzes regenerative Verfahren wie: * * * * * *

Adsorption-Desorption Extraktion [Schierbaum 1997] Destillation Fa¨llung Membrantrennverfahren Ionentausch u. a.

immer mehr zum Zuge. Art und Umfang der einzusetzenden Verfahren richten sich nach der zu lo¨senden Aufgabe (Abwassermenge, Abwasserbelastung qualitativ und quantitativ), der Zielsetzung (Reduzierung, Eliminierung, Recycling) und den ent-

2.7 Ru¨ckstandsentsorgung

sprechenden Betriebskosten der Abwasser-Behandlungsanlage. Zum Beispiel wird sich der Einsatz einer Ozon-Behandlungsanlage [Ozonia] bei der Eliminierung von sehr stabilen organischen Verbindungen bei kleinen, gering belasteten Abwa¨sserstro¨men durchaus gegenu¨ber einer Verbrennung rechnen. Je ho¨her hingegen der CSBWert des Abwassers, umso gro¨ßere Vorteile bietet eine thermische Abwasserverbrennungsanlage. Nach der Wahl des entsprechenden Behandlungsverfahrens sind Versuche mit original Abwa¨ssern in einer Miniplant durchzufu¨hren, um die scale-up Probleme zu meistern. Vor allem bei der Wahl von regenerativen Verfahren, bei denen gegebenenfalls abgetrennte Stoffe wieder als Wertprodukte in den Produktionsverbund recycliert werden, sind die Auswirkungen der neuen Ru¨ckfu¨hrungen in einer integrierten Versuchsanlage zu pru¨fen.

2.7.5

Slopsystem

Das Slopsystem ist ein fu¨r das An- und Abstellen der Anlage sowie zur Beherrschung von Notsituationen wichtiges Hilfssystem (Abb. 2.7-6). Die Slopsammelleitung verla¨uft in einem Ringkanal um die Anlage. Beha¨lter, Kolonnen u.s.w., die z. B. fu¨r Revisionen geleert werden mu¨ssen, werden u¨ber die Ablaufstutzen via Metallschla¨uchen

Abb. 2.7-6

Slopsystem (schematisch).

207

208

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

an die Ringleitung angeschlossen, so dass die Beha¨lterinhalte in den Sloptanks, die den hydrostatisch tiefsten Punkt der Anlage bilden, zwischengelagert werden ko¨nnen. Nach Beendigung der Instandsetzungsarbeiten kann der Inhalt via Tauchpumpen wieder in den entsprechenden Anlagenteil recycelt werden.

2.8 Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik

2.8

Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik Aus Rationalisierungs- und Sicherheitsgru¨nden werden Chemieanlagen heute soweit automatisiert, dass sie mit einem Minimum an Personal auskommen. Eine gut automatisierte Anlage beno¨tigt heute, nahezu unabha¨ngig von ihrer Gro¨ße, nur eine Stammmannschaft von fu¨nf permanent anwesenden Mitarbeitern, na¨mlich: * * * *

1 2 1 1

Schichtfu¨hrer Schichtarbeiter in der Messwarte Schichtarbeiter vor Ort Reserve.

Diese Rumpfmannschaft kann sich bei entsprechender Automatisierung voll der ¨ berwachung der Anlage und der Beseitigung von Sto¨rungen widmen. Dies wird U ermo¨glicht durch den konsequenten Einsatz der Prozessleittechnik (Abb. 2.8-1).

2.8.1

Messtechnik

Mit geeigneten Sensoren werden Betriebszusta¨nde festgestellt. Die wichtigsten sind: * * * * *

Temperatur T (Temperature) Druck P (Pressure) Durchfluss F (Flow) Stand L (Level) Analysen Q (Quality).

2.8.1.1

Temperaturmessung

Die gebra¨uchlichste Temperaturskala im deutschsprachigen Raum ist immer noch die Celcius-Skala, wa¨hrend im angelsa¨chsischen Raum die Fahrenheit-Skala dominiert. Die absolute Kelvin-Skala findet in der technischen Chemie nur selten Verwendung. Die Umrechnungen lauten: 8C ¼ 10=18  ð8F 32Þ ð0 8C ¼ 328FÞ 8F ¼ 0,18  8C þ 32 ð100 8C ¼ 2128FÞ K ¼ 8C þ 273,2: Die mit Abstand am ha¨ufigsten eingesetzten Temperaturmessgera¨te sind das Thermoelement und das Widerstandsthermometer, da diese ein von der Temperatur abha¨ngiges elektrisches Ausgangssignal liefern, das beliebig verarbeitet werden kann.

209

Struktur eines Prozessleitsystems.

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Abb. 2.8-1

210

2.8 Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik

Widerstandsthermometer Es wird der elektrische Widerstand einer Metalldrahtwicklung (ha¨ufig Platin) gemessen und aus der bekannten Widerstand/Temperatur-Funktion die Temperatur ermittelt (sog. Pt 100, wegen 100 X bei 0 8C). Der Messeinsatz ist in einem Schutzgeha¨use (Einsteckrohr, Abb. 2.8-2b) untergebracht und kann somit bei laufendem Betrieb gewechselt werden. Das erzeugte Messsignal (Widerstandswert) wird in einem Messumformer (sog. Transmitter) in ein Einheitssignal (4 bis 20 mA) umgewandelt. Der Gesamtfehler der Messung liegt bei ca.  0,5 %. Je nach erforderlicher Messgenauigkeit wird zwischen Zwei-, Drei- und Vierleiterschaltungen unterschieden. Ha¨ufige Fehlerquellen sind u. a. Korrosionserscheinungen an den Klemmverbindungen und schlecht isolierte Einsteckrohre (Wa¨rmeabstrahlung). Der Messbereich liegt bevorzugt zwischen 250 und þ 500 8C. Thermoelemente Ein Thermoelement besteht aus zwei Dra¨hten aus unterschiedlichem Material (z. B. Fe und CuNi), die an der Spitze (¼ Temperaturmessstelle) meist verlo¨tet sind. An den freien Drahtenden (Vergleichsstelle) kann eine von der Temperatur abha¨ngige sog. Thermospannung (z. B. Fe und CuNi: 5,26 mV/100 K bei 210 bis 760 8C) abgegriffen werden (Abb. 2.8-2). Der Messeinsatz ist in einem Schutzgeha¨use (Einsteckrohr) untergebracht und kann somit bei laufendem Betrieb gewechselt werden. Das erzeugte Messsignal (Thermospannung) wird in einem Messumformer in ein Einheitssignal (4 bis 20 mA) umgewandelt. Der Gesamtfehler der Messung liegt bei ca.  1 %. Ha¨ufige Fehlerquellen sind u. a. Vera¨nderungen der Thermospannung durch Alterung und Driften der Vergleichsstelle. Der bevorzugte Einsatzbereich liegt bei den ho¨heren Temperaturen (> 400 bis 1000 8C).

Abb. 2.8-2 a) Prinzip eines Thermoelementkreises mit drei Materialien A, B und Cu sowie der Vergleichsstellentemperatur T0. Die Vergleichsstelle kann als Thermostat (z. B. Eisbad) oder als Korrekturschaltung ausgef€ uhrt werden. b) Messeinsatz mit Schutzgeh€ause.

211

212

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

2.8.1.2

Druckmessung

Die in der technischen Chemie gebra¨uchlichste Druckeinheit ist hierzulande das Bar (bar), wa¨hrend im englisch/amerikanischen Sprachraum das pound per square inch (psi) am gebra¨uchlichsten ist. Die Umrechnungsfaktoren einschließlich der heute nicht mehr zula¨ssigen Druckeinheiten lauten: 1 bar ¼ 105 Pa ¼ 750 Torr ¼ 1,02 kp cm

2

oder at ¼ 0,987 atm ¼ 14,5 psi:

Bei Druckangaben ist darauf zu achten, ob es sich um: * * *

Absolutdruck (Pa), ¨ berdruck (Pe = Pa 1,013 bar) oder U Druckdifferenzen DP

handelt. Nach dem Messprinzip kann man folgende drei Druckmessgera¨tearten unterscheiden: * * *

Druckmessgera¨te mit Sperrflu¨ssigkeit (z. B. U-Rohrmanometer) Druckmessgera¨te mit federelastischem Druckaufnehmer Druckmessumformer.

Wa¨hrend U-Rohr-Manometer aus Sicherheitsgru¨nden zur Routinemessung nur noch selten Verwendung finden, werden die Druckmessgera¨te mit federelastischem Messglied (Rohr-, Platten-, Kapselfedermanometer) am ha¨ufigsten eingesetzt, da sie sehr robust und preiswert sind (Abb. 2.8-3a). Bei pulsierenden Dru¨cken (z. B. hinter einer Kolbenpumpe) mu¨ssen flu¨ssigkeitsgefu¨llte Manometer (Da¨mpfung) eingesetzt werden. Der Anschluss eines Messumformers ist mo¨glich, so dass ein elektrisches Einheitssignal zur Verfu¨gung steht. Druckmessumformer enthalten als Messglied eine Metallmembran, die sich bei Drucka¨nderungen geringfu¨gig verformt (Abb. 2.8-3b). Diese Verformung kann durch induktiven-, kapazitiven- oder piezoresistiven Abgriff in ein elektrisches Signal umgeformt werden. Druckmessumformer sind im Vergleich zu Manometern deutlich teurer und werden daher bevorzugt zur Messwertu¨bertragung sowie zur Differenzdruckmessung eingesetzt. 2.8.1.3

Fu¨llstandsmessung

Die genaue Kenntnis des Fu¨llstandes in Kolonnen oder Beha¨ltern ist vor allem beim An- und Abfahren einer Anlage von großer Bedeutung, da man im Allgemeinen nicht in die Apparate hinein sehen kann. Außerdem ku¨ndigen sich Sto¨rungen (Verstopfungen, Lecks u. a.) oft fru¨hzeitig u¨ber diese wichtige Messgro¨ße an. Einfache mechanische Fu¨llstandsmessgera¨te wie Peilsta¨be, Schaugla¨ser u. a. sind zwar zuverla¨ssig und genau, eignen sich aber nicht zur Messwertu¨bertragung. Eine preiswerte und zuverla¨ssige Messmethode ist die Einperlmethode, die im Prinzip den hydrostatischen Druck misst und damit die Standmessung in eine Differenzdruckmessung

2.8 Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik

Abb. 2.8-3 Prinzipien der Druckmessung. a) Plattenfedermanometer, b) Druckmessumformer.

u¨berfu¨hrt, die wie oben beschrieben gut zu automatisieren ist (Abb. 2.8-4). Als Einperlgas (ca. 50 bis 100 L h 1) wird u¨blicherweise Stickstoff verwendet, so dass der Beha¨lter automatisch intertisiert ist. Die Standanzeige erfolgt normalerweise in Prozent, wobei die Grenzwerte 0 und 100 % in die Beha¨lterzeichnungen eingetragen werden sollten. Fu¨r die Standmessung von besonders schwierigen Medien (hohe Viskosita¨t, Schaumbildung, hoher Feststoffanteil u. a.) eignen sich Beha¨lterwa¨gungen, radiometrische Fu¨llstandsmessungen [Ka¨mereit 2001] (Vorsicht eingebaute Gammastrahler!), kapazitive Methoden oder Ultraschall-Methoden (Echolot), die aber sehr aufwendig bzgl. Anschaffung und Wartung sind. 2.8.1.4

Durchflussmessung [CITplus 1999, Belevich 1996]

Durchflu¨sse sind fu¨r die Regelung einer Anlage und fu¨r die Bilanzierung bzw. Dosierung von Flu¨ssigkeiten von fundamentaler Bedeutung. Die Zahl der Messprinzipien ist hierbei besonders groß. Alle diese Messprinzipien messen im wesentlichen den Volumenstrom; nur eine Messart, die Corioliskraft-Messer, erfassen direkt den Massenstrom.

213

214

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Abb. 2.8-4

Einperlmethode zur Bestimmung des F€ ullstandes.

Drosselgera¨te Das Prinzip ist der Einbau eines mechanischen Widerstandes in die Stro¨mung und die Messung des dabei auftretenden Druckverlustes. Die Durchflussmessung wird damit in eine Differenzdruckmessung u¨berfu¨hrt. Als Drosselgera¨te kommen meistens sog. Messblenden oder Normblenden zum Einsatz (Abb. 2.8-5). Weitere Drosselformen sind Normdu¨se, Normventuridu¨se sowie das Drallrohr, die gegenu¨ber der Normblende Vorteile bzgl. eines geringeren bleibenden Druckverlustes haben. Diese Messart ist in einem weiten Messbereich einsetzbar, wartungsarm und preiswert so-

Abb. 2.8-5

Messprinzip an einer Normblende [Belevich 1996].

2.8 Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik

Abb. 2.8-6

Schwebek€ orperdurchflussmesser [Belevich 1996].

wie fu¨r Gase und Flu¨ssigkeiten einsetzbar. Der Nachteil ist der hohe bleibende Druckverlust (Kompressionsenergie) und Probleme bei schwierigen Medien (viskose Flu¨ssigkeiten, verschmutzende Medien, Mehrphasenstro¨mungen). Schwebeko¨rper-Durchflussmesser Ihr Einsatz beschra¨nkt sich auf die Messung kleiner bis mittlerer Volumenstro¨me von niedermolekularen Flu¨ssigkeiten ohne Feststoffanteile. Die Stellung des Schwebeko¨rpers kann induktiv abgegriffen werden, so dass ein elektrisches Signal zur Messwertverarbeitung zur Verfu¨gung steht (Abb. 2.8-6). Magnetisch-induktive Durchflussmesser Dieses Messprinzip erfordert das Vorliegen von Flu¨ssigkeiten mit einer gewissen Mindestleitfa¨higkeit (mindestens 1 lS cm 1; zum Vergleich: einfach destilliertes Wasser hat ca. 10 lS cm 1). Der zu messende Flu¨ssigkeitsstrom fließt durch ein senkrecht zur Stro¨mungsrichtung ausgerichtetes Magnetfeld (Abb. 2.8-7). Dadurch wird eine elektrische Spannung induziert, die durch zwei Elektroden abgegriffen wird und als Messgro¨ße dient. Die Messung ist unabha¨ngig von der Dichte und der Viskosita¨t der Flu¨ssigkeit, verursacht keinen zusa¨tzlichen Druckverlust und ist in einem großen Messbereich (einigen Litern pro Stunde bis 100 000 m3 h 1) einsetzbar. Wirbelstrommesser In dem stro¨menden Fluid entstehen hinter einem Stauko¨rper Wirbel. Die Wirbelfrequenz (Wirbel pro Zeiteinheit) wird mit einem geeigneten Sensor (z. B. piezoelek-

Abb. 2.8-7

Magnetisch-induktive Durchflussmesser [Belevich 1996].

215

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2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Abb. 2.8-8

Wirbelstrommesser [Belevich 1996].

trisch) gemessen und ist proportional der Stro¨mungsgeschwindigkeit (Abb. 2.8.-8). Diese Messung ist auch bei extremen Temperaturen ( 200 bis 400 8C) einsetzbar, der Messbereich liegt bei Flu¨ssigkeiten etwa bei 0,5 bis 2 000 m3 h 1 und bei Gasen bei 10 bis 20 000 m3 h 1. Coriolismesser [Messtechnik 1998] Ein U-Rohr, durch das der zu messende Flu¨ssigkeitsstrom fließt, wird elektromagnetisch in seiner Eigenfrequenz zu Schwingungen angeregt. Die stro¨mende Flu¨ssigkeit wird mitbewegt und erfa¨hrt eine Corioliskraft, die eine Verdrillung des U-Rohres bewirkt. Diese Verdrillung wird optisch oder elektromagnetisch registriert und ist ein Maß fu¨r den Massendurchfluss (Abb. 2.8-9). Da mit diesem Messprinzip die Masse und nicht das Volumen des Flu¨ssigkeitsstromes erfasst wird, wird es u¨berwiegend dort eingesetzt, wo Volumenstrommesser versagen (z. B. bei Zweiphasenstro¨mung, viskosen Medien, Scha¨umen, Schla¨mmen u. a.). Ein weiterer Vorteil ist, dass bei der Messung nahezu kein Druckverlust auftritt. Thermische Massendurchflussmesser Eine Heizdrahtwicklung um ein metallisches Rohr erzeugt bei fehlender Stro¨mung eine Temperaturverteilung. Eine Stro¨mung vera¨ndert diese Verteilung. Ein Mess- und Referenzwiderstand misst diese sich a¨ndernde Temperaturdifferenz la¨ngs des Rohres. Als Bestandteil einer Wheatstoneschen Bru¨cke regeln sie den Heizstrom so nach, dass die Temperaturdifferenz bei allen Stro¨mungsverha¨ltnissen konstant bleibt. Der Heizstrom ist dann ein Maß fu¨r den Massendurchfluss (Abb. 2.8-10). Dieses Messprinzip eignet sich fu¨r kleine Durchflu¨sse (< 500 g h 1) und große Dru¨cke (bis 3 000 bar), also im Bereich von Miniplants und zur Registrierung von Dosierstro¨men. Da der Messeffekt von der spezifischen Wa¨rme und von der Wa¨rmeleitfa¨higkeit abha¨ngt, ist das Gera¨t fu¨r jedes Medium zu kalibrieren.

Abb. 2.8-9

Coriolismesser [Belevich 1996].

2.8 Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik

Abb. 2.8-10

Thermischer Massendurchflussmesser [Belevich 1996].

Ultraschall-Durchflussmesser [Breyer 2000] Die nicht-invasive Ultraschalldurchflussmessung mit den drei Varianten direkte Laufzeitmessung, „Sing-Around“- und Doppler-Verfahren bietet eine Reihe von Vorteilen: der geringe Druckverlust, das Fehlen mechanisch bewegter Teile und die dadurch erreichte Unempfindlichkeit gegen Fouling verringern den Wartungsaufwand und erho¨hen die Lebensdauer. Das Hauptproblem ist, die recht lange Laufzeit des Ultraschalls mit genu¨gend hoher Auflo¨sung zu messen. 2.8.1.5

Analysen

Einige wichtige Prozessgro¨ßen sind im Folgenden aufgefu¨hrt [Melzer 1980]: * *

* * * * * *

Brechungsindex Konzentrationen via: Gaschromatographie oder nach speziellen Methoden wie: – Flammenionisationsdetektoren – IR-Prinzip, sog. URAS fu¨r CO, CO2, NO, SO2. – Paramagnetismus des Sauerstoffs fu¨r O2-Konzentrationsmessungen. Dichte Drehzahl elektrische Leitfa¨higkeit Feuchtigkeit pH-Wert (Glaselektroden) Viskosita¨t.

217

218

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

2.8.2

Regelungstechnik

Regeln bedeutet hier den Messwert einer Betriebsgro¨ße, die sog. Regelgro¨ße x (IstWert x), auf einem vorgegebenen Soll-Wert w (auch Fu¨hrungsgro¨ße genannt) zu halten, indem die Aktoren wie Ventile, Pumpen usw. solange u¨ber ein Stellglied verstellt werden, bis die Abweichung zwischen w und x ausgeglichen ist. Der Stellbefehl (Stellgro¨ße y) ist damit immer abha¨ngig vom Sollwert und dem aktuellen Istwert (Ru¨ckkopplung). In der Abb. 2.8-11 ist das Prinzip eines einfachen Regelkreises erla¨utert. Neben den in Abb. 2.8-11 erla¨uterten Grundelementen werden fu¨r die praktische Durchfu¨hrung der Regelaufgabe noch weitere Hilfselemente beno¨tigt (Abb. 2.8-12) wie: Messwertumformer (sog. Transmitter) Er wandelt das Ausgangssignal eines bestimmten Messinstrumentes in ein standardisiertes Einheitssignal (z. B. 4…20 mA oder 0…20 mA oder 0,2…1,0 bar) um [Meßumformer 1999].

Abb. 2.8-11 Grundelemente eines einfachen Regelkreises. Die in der Regelstrecke zu regelnde Gr€ oße x wird von dem Messinstrument gemessen (Ist-Wert x) und im eigentlichen Regler mit dem gew€ unschten Soll-Wert w verglichen. Die Regelabweichung (x w) wird durch €ber ein Stellglied auf die Regelstrecke einen Regelalgorithmus zu einer Stellgr€ oße y verarbeitet und wirkt u ein, wodurch sich die Regelgr€ oße x wieder €andert (R€ uckkopplung).

2.8 Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik

Abb. 2.8-12

Erweiterter Regelkreis am Beispiel einer Durchflussregelung.

Stellungsregler Dieser Hilfsregler wird bei starker Belastung fu¨r Antrieb und Stellglied eingesetzt, wenn die Stellkra¨fte nicht ausreichen oder wenn die Regelgu¨te verbessert werden soll. Er arbeitet so, dass er die wahre Ventilstellung vor Ort mechanisch abgreift und mit dem Stellsignal y, das der eigentliche Regler ausgibt, vergleicht. Bei Regelabweichungen wird das Stellglied solange vera¨ndert bis die vorgegebene Stellung y erreicht ist. Zeitverhalten von Regelstrecken (wichtig: Regler ist auf Handbetrieb) Die Kenntnis des dynamischen Verhaltens des zu regelnden Prozesses (Regelstrecke), ¨ nderung des Ist-Wertes xðtÞ als Folge einer sprunghaften Stellgro¨d. h. die zeitliche A ßena¨nderung Dy ist fu¨r die Auslegung des gesamten Regelkreises von großer Bedeutung. Dieses Verhalten la¨sst sich analysieren, indem man die Stellgro¨ße y sprunghaft um einen Betrag Dy a¨ndert (z. B. das Stellventil von 50 auf 60 % o¨ffnet) und den IstWert x registriert (Abb. 2.8-13). Zeitverhalten von Reglertypen (wichtig: ohne Regelstrecke) Der Reglertyp bzw. die am Regler einzustellenden Parameter mu¨ssen nach dem erwarteten dynamischen Verhalten der Regelstrecke ausgewa¨hlt bzw. optimiert werden. Ein wichtiges Charakteristikum eines Reglers ist die zeitliche Stellgro¨ßena¨nderung DyðtÞ auf eine sprunghafte Regelabweichung (x w). Entsprechend diesem Verhalten unterscheidet man drei Grundtypen von Reglern, den P-, I- und D-Regler (Abb. 2.8-14).

219

220

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Abb. 2.8-13 Dynamisches Verhalten einer Regelstrecke. a) Sprung der Stellgr€ oße Dy, b) Sprungantwort xðtÞ. Durch Anlegen einer Tangente an den Wendepunkt kann man die zwei Kenngr€ oßen Verzugszeit TU und Ausgleichszeit TG ermitteln. Wenn beide Kenngr€ oßen den Wert null haben, so spricht man von einer Regelstrecke ohne Verz€ ogerung oder 0. Ordnung; wenn nur TG null ist, spricht man von einer Regelstrecke 1. Ordnung. Im allgemeinen Fall handelt es sich um Regelstrecken h€ oherer Ordnung (n > 1) mit: n  10 

TU þ1 TG

ð2:8



Als Maß f€ ur die Regelbarkeit gilt: TU =TG < 1=10 gut regelbar TU =TG  1=6 noch regelbar TU =TG > 1=3 schwer regelbar.

Verhalten von Regelkreisen (Zusammenspiel zwischen den wichtigsten Reglertypen mit der Regelstrecke): *

*

*

P-Regler Der Proportionalregler reagiert auf einen (x w)-Sprung sofort mit einer propor¨ nderung von y. Das Verha¨ltnis Dw=Dy nennt man den Proportionalbetionalen A reich XP . Dieses Verhalten fu¨hrt zu einem Ist-Wert x, der aber normalerweise ebenfalls vom Soll-Wert abweicht, d. h. mit einem reinen P-Regler ist es nicht mo¨glich, exakt auf den Soll-Wert zu regeln (bleibende Regelabweichung). I-Regler Der Integralregler antwortet auf einen (x w)-Sprung mit einer kontinuierlich ansteigenden Stellgro¨ßena¨nderung DyðtÞ, und zwar so lange, bis die Regelabweichung null ist. Reine I-Regler haben den Nachteil, dass sie entweder zu tra¨ge sind oder zu unkontrollierbaren Schwingungen neigen. D-Regler Der Differentialregler reagiert auf eine Regelabweichung mit einem y-Puls, d. h die Stellgro¨ße y steigt schlagartig an und geht dann langsam auf den Ausgangswert zuru¨ck, so dass keine eigene Regelwirkung vorliegt.

2.8 Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik

Abb. 2.8-14 Zeitverhalten der Stellgr€ oße y auf eine sprunghafte Regelabweichung (x Regler-Grundtypen.

w) bei den drei

In der Praxis werden die Grundreglertypen oft kombiniert, um zu einem optimalen Regelverhalten zu kommen. Die wichtigsten Kombinationen, die man in Chemieanlagen findet sind: PI-Regler Dieser Reglertyp hat ein insgesamt gu¨nstiges Regelverhalten (keine bleibende Regelabweichung). Er greift sofort ein, regelt aber relativ langsam auf den Sollwert ein. Das Zeitverhalten des PI-Reglers wird durch die Nachstellzeit TN charakterisiert (Abb. 2.815). Er ist besonders fu¨r Druck- und Durchfluss-Regelstrecken geeignet. PID-Regler Der PID-Regler vereinigt die Vorteile der drei Grundtypen, na¨mlich sehr schneller Regeleingriff, rasche Ausregelung und rasche Feinregelung auf den Sollwert ohne bleibende Regelabweichung. Er ist besonders gut zur Temperatur-Regelung geeignet (Abb. 2.8-15). Mathematisch la¨sst sich der „ideale“ PID-Regler beschreiben durch:

9 8 ðt < 1 dDx= :  Dx  dt 0 þ TV  Dy ¼ Kp  Dx þ : TN dt ;

ð2:8



t¼0

Die einzelnen Beitra¨ge der Grundtypen in einem PID-Regler und damit das Regelverhalten wird durch die drei Kennzahlen charakterisiert:

221

222

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Abb. 2.8-15

*

*

*

Regelverhalten von PI- und PID-Reglern.

XP Proportionalbereich, Vera¨nderung des P-Verhaltens (kleiner XP -Wert ¼ großer P-Anteil). Oft wird auch der Reziprokwert KP ¼ 1=XP verwendet. TN Nachstellzeit, Vera¨ndern des I-Verhaltens (kleiner TN -Wert ¼ großer I-Anteil) TV Vorhaltezeit, Vera¨ndern des D-Verhaltens. (TV groß ¼ großer D-Anteil)

Vorsicht: Die drei Kennzahlen sind nicht unabha¨ngig voneinander! Zur optimalen Anpassung des Reglers an die Regelstrecke muss man das Verhalten von beiden kennen. Wahlloses Herumdrehen an allen drei Schrauben fu¨hrt normalerweise nicht zum Erfolg. Zur Ermittlung gu¨nstiger Reglerkennzahlen gibt es eine Reihe von Methoden (z. B. Methode von Ziegler-Nichols: 1. Strecke mit reinem P-Regler betreiben (TN ! 1, TV ¼ 0), 2. XP soweit erniedrigen bis der Regelkreis Dauerschwingungen ¨ nderungen und der dann entstehenden Reaktion ausfu¨hrt), wobei anhand gezielter A der Regelstrecke auf die richtige Einstellung des Reglers geschlossen werden kann. Noch einige praktische Tipps (Tab. 2.8-1): *

Fu¨hrt die Messgro¨ße der Regelstrecke periodische Schwankungen aus, so ist die Regelung instabil. Das hat meist seine Ursache in einem zu starken Eingriff des Reglers. Oft hilft hier eine Vergro¨ßerung des Proportionalbereiches (kleinerer PAnteil) oder eine Vergro¨ßerung der TN -Zeit. Stets muss man darauf achten, dass bei einem PID-Regler die TN -Zeit mindestens das vier- bis fu¨nffache der TV -Zeit ist.

2.8 Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik Tab. 2.8-1

Grobe Richtlinien f€ ur die Einstellung von Reglerkennzahlen.

Regelgro¨ße

bevorzugter Reglertyp

XP /%

TN /min

TV /min

Bemerkung

Temperatur

PID

10 bis 50

1 bis 20

0,2 bis 3

Regelstrecke oft tr€age mit langen Anlaufzeiten

Druck

PI

10 bis 30

0,1 bis 1

0

Regelstrecke oft sehr schnell

Durchfluss

PI

100 bis 200

0,1 bis 0,5

0

Regelstrecke bei Fl€ ussigssigkeiten extrem schnell

Stand

PI

5 bis 50

1 bis 10

0

Tab. 2.8-2 Abk€ urzungsverzeichnis zur Bezeichnung von wichtigen MSR-Stellen. Z. B. bedeutet PDIRCA++S0+ eine Differenzdruckmessung, die in der Messwarte angezeigt und registriert wird und zus€atzlich mit einem Voralarm Max1 hoch und einer Schaltung bei Max2 ausgestattet ist. Erstbuchstabe

Erga¨nzungsbuchstabe

Folgebuchstabe

*

P Druck

*

D Differenz

*

I Anzeige des Ist-Wertes

*

T Temperatur

*

Q Summe

*

R Registrierung (z. B. Schreiber)

*

F Durchfluss

*

F Verh€altnis

*

C Regelung

*

L Stand

*

A Alarm bei Grenzwert€ uberschreitung

*

oße Q Qualit€atsgr€ (Analysenwert)

*

S Schaltung bei Grenzwert€ berschreitung u

*

Z Sicherheitsschaltung bei Grenzwert€ uueberschreitung

Analysengro¨ßen wie z. B. der pH-Wert sind relativ schwierig zu regeln, da das Verhalten der Regelstrecke oft sehr komplex ist. Die Darstellung und Bezeichnung von Mess-, Steuer- und Regelstellen (kurz MSRStellen) in Verfahrens- und RI-Fließbildern ist nach DIN 19227 und DIN 19228 genormt (Abb. 2.8-16 und Tab. 2.8-2).

Abb. 2.8-16 Bedeutung der Zeichen an einer Messstelle. Die Buchstabenkombination gibt die Art der €bertragen wird MSR-Stelle wieder (Tab. 2.8.-2). Der Strich deutet, dass der Q-Wert in die Messwarte u € bertragung, sondern Verarbeitung vor Ort). Die Zahl gibt die Messstellen-Nummer (kein Strich ¼ keine U an.

223

224

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Regler ko¨nnen zu ganzen Regelnetzwerken kombiniert werden. Ha¨ufig verwendete Regelstrategien sind: Kaskaden-Regelung Durch den Einsatz eines Hilfsreglers wird die Genauigkeit und Geschwindigkeit der Regelung verbessert. So ist es z. B. oft gu¨nstiger nicht direkt den Durchfluss zu regeln (große Regelschwankungen), sondern diesen u¨ber den Stand als Soll-Wert zu fu¨hren. Wenn der Stand im Beha¨lter schnell ansteigt, wird der Soll-Wert des Abflussstromes langsam erho¨ht (Abb. 2.8-17a).

(a)

(b)

(c) Abb. 2.8-17 Regelstrategien. a) Kaskaden-Regelung am Beispiel Stand f€ uhrt Menge. b) Verh€altnis-Regler am Beispiel Menge B f€ uhrt Menge in einem konstanten Verh€altnis. c) Splitrange-Regelung am Beispiel Temperatur regelt Kaltwasser im Bereich 0,2…0,6 bar und Heißwasser im Bereich 0,6…1,0 bar.

2.8 Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik

Verha¨ltnis-Regelung Sie wird oft angewendet bei der Regelung konstanter Mischungsverha¨ltnisse (z. B. sto¨chiometrischer Zulauf zweier Edukte A und B). Der Ist-Wert des Durchflussstroms A wird u¨ber einen Verha¨ltnissteller als Sollwert dem Folgeregelkreis (Durchfluss B) eingespeist (Abb. 2.8.17b). Split-Range Der Begriff Split-Range betrifft keine Regelmethode, sondern bedeutet, dass der Bereich des Stellgliedes auf zwei Stellglieder aufgeteilt wird (Abb. 2.8-17c).

2.8.3

Steuerungstechnik

Die Steuerung ist ein Vorgang in einem System, bei dem Eingangsgro¨ßen Ausgangsgro¨ßen aufgrund einer logischen Verknu¨pfung beeinflussen. Kennzeichen fu¨r das Steuern ist – im Gegensatz zur Regelung – der offene Wirkungsablauf (Abb. 2.8-18). Die Verarbeitung von Grenzkontakten und das daraus resultierende Schalten von Stellgliedern (Auf/Zu) ist eine wichtige Aufgabe der Steuerungseinrichtungen, die man daher einteilen kann in: Ablauf (Rezeptor)-Steuerung (bei Chargenprozessen): Steuervorga¨nge, die zeitgefu¨hrt oder u¨ber erfu¨llte Bedingungen in Form einer Schrittkette ablaufen. Ein Stellglied reagiert nicht sofort auf Bedingungen, sondern erst abha¨ngig vom Ablaufschritt, von welchem es angesteuert wird. Verknu¨pfungs (Verriegelungs)-Steuerung (bei kontinuierlichen Anlagen): Schaltung eines Stellgliedes (Auf/Zu oder Ein/Aus oder 1/0, d. h. A ¼ 1 wenn A 6¼ 0, A ¼ 0 wenn A 6¼ 1) auf der Basis einer logischen Verknu¨pfung von Prozess-Messwerten. In dieser logischen Verschaltung ist die gesamte Sicherheitsphilosophie einer Chemieanlage realisiert.

Abb. 2.8-18

Prinzipskizze einer Steuerung.

225

226

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Die logischen Verknu¨pfungsglieder zwischen den Sensoren und den Aktoren sind die Grundelemente der Steuerungstechnik. Die wichtigsten sind (Abb. 2.8-19): AND-Glied (Konjunktion, logisches Produkt, logisches UND): Die AND-Verknu¨pfung der Sensor-Grenzwerte stellt die „ha¨rteste“ Bedingung fu¨r die Freigabe eines Aktors dar, da alle Bedingungen an die Messwerte erfu¨llt, d. h. im „Gutbereich“, sein mu¨ssen.

Abb. 2.8-19

Die logischen Grundbausteine der Steuerungstechnik.

2.8 Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik

OR-Glied (Disjunktion, logische Addition, logisches ODER): Die OR-Bedingung ist die „weichste“ Bedingung fu¨r die Freigabe eines Aktors. Es genu¨gt schon, dass ein Sensorwert im Gutbereich ist, um den Aktor freizuschalten. Unabha¨ngig von dieser Einteilung ko¨nnen alle Steuerungen verbindungsprogrammiert oder speicherprogrammiert z. B. im Prozessleitsystem (PLS) technisch realisiert werden. Bei einer Verbindungsprogrammierten Steuerung (VPS) wird die Funktion der Steuerung durch eine entsprechende Verdrahtung erreicht. Nachteilig dabei ist, dass bei einer gea¨nderten Problemstellung die Verdrahtung gea¨ndert werden oder im ungu¨nstigsten Fall der Schaltschrank neu installiert werden muss. Lo¨st man das gleiche Problem mit einer Speicherprogrammierbaren Steuerung (SPS), so a¨ndern sich die Befehlsgeber und die Stellglieder nicht, jedoch wird die Verdrahtung durch ein Programm ersetzt. Bei einer gea¨nderten Problemstellung wird lediglich das Programm gea¨ndert oder ausgetauscht. Eine SPS-Anlage besteht grundsa¨tzlich aus einer Zentralbaugruppe, der sog. CPU, mit internen Ein- und Ausga¨ngen oder mit externen Einund Ausgabebaugruppen. Kernstu¨ck der CPU ist ein Mikroprozessor, welcher ein zuvor geladenes Programm abarbeitet. Dabei beru¨cksichtigt er die Signalzusta¨nde der Einga¨nge und weist je nach Rechenoperation die Ausga¨nge zu.

227

228

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

2.9

Anlagensicherheit Lange vor dem Bau einer Versuchsanlage, d. h. schon beim Aufbau der Laborappa¨ berlegungen bzgl. des Sicherratur und am Anfang der Planungsphase sind erste U heitskonzeptes anzustellen. Der erste Schritt ist dabei die Sammlung aller relevanten ¨ berlegungen zur Notwendigkeit von Stoffdaten (Kap. 3.2). Daran schließen sich U Hilfsstoffen an (muss es eine AI-Flu¨ssigkeit sein oder geht auch eine B-Lo¨sungsmit¨ bergang vom Labor in die Technikumsanlage ist ein detailliertes Sichertel?). Beim U heitskonzept vorzulegen und mit den verantwortlichen Stellen (Technikumsleiter, Sicherheitsabteilung u. a.) abzusprechen. Am Ende der Verfahrensentwicklung mu¨s¨ bergabeprotokoll alle sicherheitsrelevanten Aspekte dokumentiert sen in einem U sein. Dieses Dokument ist die Basis fu¨r die Sicherheitsstudien (Kap. 5.2.2) im Rahmen der Feasibilty Study (Kap. 5.1). Das Gefahrenpotenzial, das von einer Chemieanlage ausgeht, wird im Wesentlichen durch die verwendeten Stoffe (Rohstoffe, Produkte, Hilfsstoffe) und durch ihre mo¨glichen chemischen Reaktionen bestimmt. Daher ist wie oben schon erwa¨hnt die Kenntnis der Stoffeigenschaften (Kap. 3.2) aller gehandhabten Stoffe (Reinstoffdaten) und ihrer Mischungen (bina¨r- und terna¨re Stoffdaten) fu¨r eine Sicherheitsbetrachtung unerla¨ss¨ kotox-Daten und lich. Neben den physikalisch-chemischen Daten mu¨ssen auch die O die sicherheitstechnischen Kenngro¨ßen bekannt sein. Viele der sicherheitstechnischen Kenngro¨ßen geho¨ren zu den sog. weichen Stoffdaten, die oft durch genormte Versuchsapparaturen bestimmt werden (z. B. Flammpunkt). Mit ihrer Hilfe kann das Gefahrenpotenzial einer Chemikalie oder einer Chemikalienmischung beurteilt und daraus die geeigneten Sicherheitsmaßnahmen u¨ber den Umgang mit Gefahrstoffen festgelegt werden. Da Luft allgegenwa¨rtig ist, besteht die Gefahr beim Umgang mit brennbaren Stoffe in der Entstehung zu¨ndfa¨higer Gemische. Damit eine Verbrennung abla¨uft, mu¨ssen gleichzeitig folgende Voraussetzungen vorliegen: * *

* *

brennbarer Stoff (Gas, Dampf, Staub) Sauerstoff (z. B. in Form von Luft oder hoch sauerstoffhaltigen Verbindungen wie Peroxide, Nitrate u. a.) Zu¨ndquelle mit einer ausreichenden Zu¨ndenergie Konzentrationen im Explosionsbereich.

Fehlt einer der obigen Punkte, kann keine Verbrennung (Flammenerscheinung) auftreten. Explosionsdiagramme (Abb. 2.9-1), aufgenommen nach bestimmten DIN-Vorschriften [Fehlings 1998, Weber 1996], geben eine genaue Auskunft u¨ber den Ex-Bereich, die Ex-Grenzen sowie die Sauerstoffgrenzkonzentration von Gasgemischen. Die Sauerstoffgrenzkonzentration liegt fu¨r Kohlenwasserstoffe normalerweise im Bereich von 10 bis 12 Vol.-% (Methan 12,1; Ethan 11,0; Propan 11,4; Butan 12,1; Ethen 10,0; Propen 11,5). Ausnahmen sind Wasserstoff (5,0 Vol.-%) und Kohlenmonoxid (5,6 Vol.-%).

2.9 Anlagensicherheit

Abb. 2.9-1

Explosionsdiagramm einer Propen / Sauerstoff / Stickstoff - Mischung [Fehlings 1998].

Weitere wichtige Kenngro¨ßen sind: *

*

Zu¨ndtemperatur Darunter versteht man die niedrigste Temperatur, bei der sich das zu¨ndwillige Substanz/Luft-Gemisch gerade noch nicht von selbst entzu¨ndet (Tab. 2.9-1). Mindestzu¨ndenergie Eine weitere Voraussetzung fu¨r eine Entzu¨ndung ist, dass die Zu¨ndquelle eine bestimmte Mindestzu¨ndenergie besitzt. Sie betra¨gt in der Regel fu¨r Gasmischungen 0,01 bis 2 mJ und fu¨r brennbare Sta¨ube zwischen 1 und 1 000 mJ. Die nied-

Tab. 2.9-1

Z€ undtemperaturen.

Temperaturklasse

Zu¨ndtemperatur in 8C

Beispiel

T1

> 450

H2 (560 8C), NH3 (630 8C)

T2

> 300

1-Butanol (340 8C)

T3

> 200

Cyclohexan (270 8C)

T4

> 135

Dimethylether (190 8C)

T5

> 100

T6

> 85

Schwefelkohlenstoff (95 8C)

229

230

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

*

* * * *

rigsten Zu¨ndenergien beno¨tigen Wasserstoff und Acetylen (ca. 0,01 mJ), die ho¨chste Ammoniak (ca. 700 mJ). Funken von Trennschleifern (bis 100 mJ) und vor allem von Schweißgera¨ten (bis 10 000 mJ) haben in der Regel genu¨gend Energie, um eine Gasexplosion auszulo¨sen. Aber auch schon die Entladungsfunken von elektrisch aufgeladenen Personen (bis 1 mJ) genu¨gen in der Regel zur Zu¨ndung von organischen Dampf/Luft-Mischungen (z. B. Propan: 0,25 mJ). Daher sind bei der Planung von Miniplants, die meist aus elektrisch nichtleitendem Glas aufgebaut sind, Erdungsmaßnahmen zur Vermeidung von elektrostatischen Aufladungen besonders wichtig. Flammpunkt Der Flammpunkt ist die niedrigste Temperatur einer Flu¨ssigkeit, bei der von dieser so viele Da¨mpfe entwickelt werden, dass eine Zu¨ndung mit einer Zu¨ndquelle hoher Temperatur mo¨glich ist. Der Flammpunkt ha¨ngt damit eng mit der Siedetemperatur zusammen. Beispiele sind: Ottokraftstoff < 20 8C, Ethanol 12 8C, Dieselkraftstoff > 55 8C und Glyzerin 160 8C.

Der Flammpunkt ist eine entscheidende Gro¨ße bei der Auswahl der Sicherheitsmaßnahmen beim Umgang mit brennbaren Stoffen. Wird der entsprechende Stoff bei Temperaturen oberhalb seines Flammpunktes gehandhabt, so sind besondere ExSchutz-Maßnahmen notwendig. Der Umgang mit brennbaren Flu¨ssigkeiten bei Lagerung, Abfu¨llung oder Transport ist durch die Verordnung u¨ber brennbare Flu¨ssigkeiten (VbF) gesetzlich geregelt. Entsprechend ihrem Flammpunkt werden sie in folgende Gefahrenklassen eingeteilt: *

*

*

Gefahrenklasse B: Flu¨ssigkeiten mit einem Flammpunkt unter 21 8C, die sich bei 15 8C in Wasser lo¨sen (z. B. Ethanol, 11 8C) Gefahrenklasse A: Flu¨ssigkeiten mit einem Flammpunkt unter 100 8C und die sich nicht in Wasser mischen. Eine Feinunterteilung ist: AI: Flammpunkt unter 21 8C (z. B. Diethylether) AII: Flammpunkt zwischen 21 und 55 8C (z. B. 1-Butanol mit 35 8C; Cyclohexanon mit 43 8C) AIII: Flammpunkt zwischen 55 und 100 8C (z. B. Cyclohexanol mit 68 8C). Zersetzungstemperatur Alle organischen Stoffe bzw. Stoffgemische ko¨nnen sich bei Luftausschluss thermisch zersetzen, wenn eine bestimmte Temperatur u¨berschritten wird. Bei manchen Stoffen erfolgt diese Zersetzung exotherm. Wenn hier die Wa¨rmeproduktion gro¨ßer wird als die Wa¨rmeabfuhr, so kann es im Extremfall zu einer sog. Wa¨rmeexplosion kommen. Vor allem organische, chemisch undefinierte Hochsiederru¨cksta¨nde, wie sie bei vielen Prozessen anfallen, neigen dazu. Daher sind im Laufe der Verfahrensentwicklung entsprechende Untersuchungen (DTA-Messungen, Druckwa¨rmestaupru¨fungen u. a.) an mo¨glichst repra¨sentativen Proben aus der Versuchsanlage durchzufu¨hren.

2.9 Anlagensicherheit

Brennbare Sta¨ube (z. B. Mehl) ko¨nnen im aufgewirbelten Zustand mit Luft ebenfalls explosionsfa¨hige Gemische bilden, die aufgrund ihres besonders hohen Energieinhaltes schwere Scha¨den verursachen ko¨nnen [Borho 1991]. Zu ihrer sicheren Handhabungen sind weitere spezifische Kenngro¨ßen, wie z. B. Glimmtemperatur, FallhammerBewertung, Schwelpunkt, Zersetzungstemperatur notwendig. Schutzmassnahmen zur Vermeidung von Explosionen sind zuna¨chst der vorbeugende Ex-Schutz, d. h. die Vermeidung eines der obigen Punkte durch: * * * *

Vermeidung explosionsfa¨higer Gemische (z. B. durch Inertisierung mit Stickstoff) Ersatz brennbarer Hilfsstoffe durch nichtbrennbare Verminderung des Sauerstoffgehaltes unter die Sauerstoff-Grenzkonzentration Vermeidung von Zu¨ndquellen (z. B. Isolierung heißer Leitungen).

Die gewa¨hlten Schutzmaßnahmen, mu¨ssen auch fu¨r den An- und Abstell-Betrieb sowie bei mo¨glichen Betriebssto¨rungen wirksam bleiben. Ist das Ziel durch diese vorbeugenden Maßnahmen nicht zu erreichen, so kommen erst in zweiter Linie konstruktive Schutzmaßnahmen (gefa¨hrliche Auswirkungen der Explosion verhindern) zum Zuge. Beispiele sind: * *

explosionsfeste Auslegung von Apparateteilen, explosionstechnische Entkopplung von Apparaten.

Die Gesamtanlage fu¨r den gefa¨hrlichsten Fall (z. B. kleiner Hochdruckreaktor mit brennbarer Flu¨ssigkeit) auszulegen ist kaum bezahlbar. Daher teilt man eine Chemieanlage in verschiedene Zonen ein, die sich in der Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Ex-Gefahr unterscheiden (Tab. 2.9-2).

Tab. 2.9-2

Zoneneinteilung Ex-gef€ahrdeter Bereiche.

Brennbarer Stoff

Ex-Gefahr

Gas und D€ampfe

*

Staub

Ex-Zone

Beispiel

st€andig oder langzeitig vorhanden

0

im Inneren von Verdampfern, Reaktoren usw.

*

gelegentlich

1

in der N€ahe von Zone 0; im n€aheren Umgebung von Abf€ ulleinrichtungen oder zerbrechlichen Apparaten

*

selten oder kurzzeitig

2

Bereiche um die Zone 1; Flanschverbindungen in geschlossenen R€aumen

*

langzeitig oder h€aufig vorhanden

10

im Inneren von Trocknern, M€ uhlen, Mischern u. a.

*

gelegentlich

11

in der n€aheren Umgebung von Zone 10 Apparaten

231

232

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

2.10

Werkstoffauswahl Die Auswahl eines Werkstoffes fu¨r einen Anlagenteil kann nicht allein an den Anforderungen der Korrosionsbesta¨ndigkeit ausgerichtet sein, sondern muss auch Prozessparameter (T, P, Konz., pH, Stro¨mungszustand u. a.) und Produktspezifikation erfu¨llen. Ne¨ konomie und einer guten Verarbeitbarkeit gibt es noch ein breites Spektrum ben der O von Gesichtspunkten, die bei der Werkstoffauswahl zu beru¨cksichtigen sind. In der Laborphase steht die Frage nach dem Werkstoff im Hintergrund, da Materialkosten in diesem Stadium der Verfahrensentwicklung keine Rolle spielen. Entweder wird in Glas gearbeitet oder in einem Werkstoff, von dem erwartet werden kann, dass er den auftretenden korrosiven und mechanischen Beanspruchungen genu¨gt. Diese Situation a¨ndert sich beim Betrieb einer integrierten Miniplant. In diesem Stadium muss experimentell gekla¨rt werden, welche Werkstoffe in der technischen Anlage verwendet werden sollen. Da die Ho¨he der Investition erheblich vom Werkstoff abha¨ngt, gilt es, den unter Beru¨cksichtigung des Korrosionsverhaltens wirtschaftlichsten Werkstoff zu finden. Angaben u¨ber Korrosionsverhalten sowie mechanische Eigenschaften der verschiedenen Materialien in Abha¨ngigkeit der Temperatur, sind Tabellenwerken zu entnehmen. Mit Schwierigkeiten ist zu rechnen, wenn verschiedene extreme Beanspruchungen gleichzeitig auftreten, z. B. beim arbeiten mit u¨berkritischem Wasser als Reaktionsmedium (chemischer Angriff, Dru¨cke > 250 bar und Temperaturen > 400 8C [Kaul 1999]). Hier kann eine erste Auswahl anhand von Sammelwerken [DECHEMA 1953, Hochmu¨ller 1973] getroffen werden. Im Regelfall sollte man zu einem mo¨glichst fru¨hen Zeitpunkt den Rat eines Werkstoffspezialisten einholen. Aufgrund ihrer mechanischen Festigkeit und ihres Korrosionsverhaltens bei gleichzeitig gu¨nstigen Preisen sind Werkstoffe mit Eisen als Hauptlegierungsbestandteil (sog. Sta¨hle), von beherrschender Bedeutung im chemischen Apparatebau. Abbil¨ bersicht u¨ber die wichtigsten Arten von Materialien im chedung 2.10-1 gibt eine U mischen Apparatebau.

Abb. 2.10-1

€ berblick u €ber wichtige Werkstoffarten im chemischen Apparatebau. U

2.10 Werkstoffauswahl

Am zuverla¨ssigsten sind Versuche, bei denen eine Materialprobe den spa¨ter zu erwartenden Angriffsbedingungen ausgesetzt wird. Die Versuche mu¨ssen oft in einem Bruchteil der Zeit durchgefu¨hrt werden, die als Benutzungsdauer des Werkstoffes gefordert wird. Eine Zeitraffung kann durch versta¨rke Angriffsbedingungen und durch Auswertung nur wenig angegriffener Proben erreicht werden. Auf diese Weise lassen sich aber nur Relativaussagen gewinnen. Zur endgu¨ltigen Werkstoffauswahl bei Vorliegen extremer Betriebsbedingungen oder von korrosiven oder erosiven Medien wird man besonders gefa¨hrdete Apparateteile aus dem vorgesehenen Material in die Miniplant-Anlage einbauen, wa¨hrend des Betriebs der Versuchsanlage u¨berwachen und nach Beendigung der Versuche zersto¨rend untersuchen. Solche Untersuchungen sind am aussagekra¨ftigsten, weil die Betriebsbedingungen denen der technischen Anlage am na¨chsten kommen. Sollen Werkstoffproben in der Miniplant auf Spannungsrisskorrosion untersucht werden, so ist es zweckma¨ßig, sie unter mechanischer Spannung einzubauen (z. B. Werkstoffproben mit Schweißna¨hten). Diese Ergebnisse sind allerdings nicht immer auf gro¨ßere Anlagen u¨bertragbar. Damit ist zu rechnen, wenn sie von den hydrodynamischen Verha¨ltnissen abha¨ngen. Dies ist z. B. der Fall, wenn die Abtragungsgeschwindigkeit mit wachsender Stro¨mungsgeschwindigkeit ansteigt [Johnstone 1957]. Man tra¨gt daher die Abtragungsgeschwindigkeit als Funktion der Re-Zahl des Fluids auf und erha¨lt dann die in einer Großanlage zu erwartende Abtragung durch Extrapolation auf die Re-Zahl des Fluids in der Großanlage. Dabei ist gleichgu¨ltig, ob es sich um eine Korrosion handelt oder ob durch gleichzeitige Erosion eine Schutzschicht auf dem Werkstoff sta¨ndig abgetragen wird. Bei Elektrolyten ko¨nnen Konzentrations- und Geschwindigkeitsunterschiede zwischen verschiedenen Stellen eines Apparates einen elektrochemischen Angriff bewirken. Da die La¨nge der Feldlinien im Elektrolyten mit wachsender Vergro¨ßerung zuund damit die Stromsta¨rke bei gleichem Potenzial abnimmt, ist diese Art von Korrosion in der technischen Anlage meist von geringerer Bedeutung als im Modell. Ist jedoch die La¨nge der Feldlinien durch die Kristallitgro¨ße bestimmt und liegt der Stofftransportwiderstand der korrodierenden Medien im Werkstoff selbst, wie bei der Spannungsrisskorrosion, so ist weder mit einer Abha¨ngigkeit von der Stro¨mungsge¨ hnlich liegen die Verha¨ltschwindigkeit, noch von der Anlagengro¨ße zu rechnen. A nisse, wenn der Werkstoffaufbau durch Diffusion von Bestandteilen allma¨hlich vera¨ndert wird. Beispiele sind die Lo¨sung von Wasserstoff in Stahl, ferner Aufkohlungsund Entkohlungsvorga¨nge. Auch in diesen Fa¨llen braucht man mit einer Abha¨ngigkeit vom Modellmaßstab nicht zu rechnen. Bei der Werkstoffauswahl sollte nicht u¨bersehen werden, dass nicht nur eine Scha¨digung des Werkstoffes durch das Medium stattfinden kann, sondern dass umgekehrt auch mit einer Beeinflussung des Mediums durch das Wandmaterial gerechnet werden muss. Eine Oberfla¨chenkatalyse durch das Wandmaterial oder eine homogene Katalyse durch gelo¨ste Legierungsbestandteile sind oft nicht auszuschließen. Da sowohl Oberfla¨chenreaktionen als auch die Lo¨sung von Wandmaterial im chemischen Medium zur Gro¨ße der Oberfla¨che proportional zunehmen, nimmt deren Einfluss bei Vergro¨ßerung des Apparatevolumen etwa umgekehrt zur Kapazita¨t ab.

233

234

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

2.10.1

Wichtige Werkstoffe und ihre Eigenschaften

Die wichtigsten Werkstoffe der chemischen Industrie sind in Tabelle 2.10-1 zusammengestellt [s. auch. Ullmann 1992]. Die Auswahl eines geeigneten Werkstoffes erfolgt durch eine Optimierung zwischen Material- und Verarbeitungskosten einerseits und den Mindestanforderungen bzgl.

Tab. 2.10-1

Werkstoffe im chemischen Apparatebau.

Werkstoff

Anwendungsbeispiel

1. Eisenmetalle Weicheisen

Dichtungsmaterial

Grauguss

emaillierte Apparate, Maschinenteile

Stahlguss

h€ oher belastete Maschinenteile

Stahl, niedrig legiert

Apparateger€ uste, Masse der Rohrleitungen

Stahl, hoch legiert: * ferritisch (12…17 % Cr) * austenitisch (0,07 % C; 12…18 % Cr; 9…26 % Ni) * martensitisch (0,075…0,9 % C; 13…19 % Cr) * hitzebest€ andig (mit Si und Al u. a.)

*

*

* *

drucklose korrosionsbeanspruchte Apparate korrosionsbeanspruchte Apparate verg€ utete und geh€artete Teile zunderbest€andige Apparate

2. Nichteisenmetalle Aluminium

Kupfer Bronze (75…99 % Cu, Rest Sn, Pb, Al, Mn, Ni u. a.) * Messing (56…90 % Cu, Rest Zn) *

* *

Monel ((ca. 60 % Cu, Rest Ni, Fe) Rotguss (83…93 % Cu, Rest Sn, Zn, Pb)

Lagerbeh€alter wenn Eisen-Kontaminationen vermieden werden m€ ussen, Apparate f€ ur tiefe Temperaturen W€arme€ ubertragungsapparate Seewasser-best€andige Apparate

*

*

* *

Kondensatorrohre bei Gefahr von Spannungsrissen Seewasser-best€andige Apparate Armaturen, Pumpen

Nickel [Ameling 2000, Henker 1999, Crum 2000]] korrosionsbest€andige Druckapparate Inconel (45…76 % Ni, 15…22 % Cr, Al, Ti, Nb, Mo) * warmfeste, zunderbest€andige Apparate * Hastelloy (ca. 60 % Ni, Rest Cr, Mo, Fe) * warmfeste und korrosionsbest€ andige Apparate

*

Tantal

wegen des hohen Preises nur selten angewendet, korrosionsbest€andige Spezialteile

Titan

korrosionsbest€andige Sonderapparate (Salpeters€aure, heiße niedere Carbons€auren), W€armetauscher f€ ur Brakwasser

Wolfram

Hartmetalle auf Wolframcarbidbasis

Zirkon

hochs€aurebest€andige Apparate (W€armetauscher f€ ur heiße w€assrige Schwefels€aure) [Donat 1989]

2.10 Werkstoffauswahl Tab. 2.10-1

Werkstoffe im chemischen Apparatebau. (Fortsetzung)

Werkstoff

Anwendungsbeispiel

3. Edelmetalle Gold

zur Plattierung von Apparaten f€ ur hochkonz. Minerals€auren

Silber

Kleinapparate mit hoher W€armeleitf€ahigkeit

Platin

ochster zur Plattierung von Apparaten mit h€ Korrosionsbest€andigkeit

4. Anorganische Materialien Glas

kleinere korrosionsfeste Apparate mit m€aßiger Druck- und Temperaturbeanspruchung, Schaugl€aser

Quarz

ohere korrosionsfeste Kleinapparate f€ ur h€ Temperaturen

Stein- und Glaswolle

Isoliermaterial

Asbest

f€ ur Dichtungen, wenn kein Ersatzstoff gefunden werden kann.

Email

s€aurefeste Korrosionsschutzschicht auf Metalloberfl€achen

Graphit

korrosionsfeste W€armetauscher bis ca. 200 8C

5. Kunststoffe Thermoplaste * Polyvinylchlorid (PVC) * Polyethylen hoher Dichte (PE-HD) * Polypropylen (PP) * Polytetrafluorethylen (PTFE)

gute Chemikalienbest€andigkeit und Verarbeitbarkeit, geringe Festigkeit und Steifigkeit, Anwendung f€ ur Rohre, Beh€alter, F€ ullk€ orper, Armaturen.

glasfaserverst€arkte Duroplate (GFK) * Phenol-Formaldehyd-Harze (PF) * Polyesterharz (UP) * Vinylesterharz (VP) * Epoxidharz (EP)

gute Chemikalienbest€andigkeit, Verarbeitbarkeit und Festigkeit, geringe Steifigkeit. Verwendung f€ ur Rohrleitungen, Druckbeh€alter, Wacht€ urme, Flansche.

Elastomere * Ethylen-Propylen-Terpolymere (EPDM) * Fluorkautschuk

gute Chemikalienbest€andigkeit und hohe Flexibilit€at. Anwendung f€ ur Schl€auche, Kompensatoren, Armatureneinbauten.

* * *

mechanischen Eigenschaften (z. B. Zugfestigkeit) thermischer Besta¨ndigkeit Korrosionsverhalten

andererseits.

235

236

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

2.10.1.1

Mechanische Eigenschaften und thermische Besta¨ndigkeit

Ein Werkstoff kann auf Zug, Druck, Scherung, Biegung und Torsion beansprucht werden. Von diesen Kriterien ist im Bereich der Chemieanlagen die Zugfestigkeit bei der jeweiligen Betriebstemperatur am wichtigsten (Tab. 2.10-2). Zur Charakterisierung der Zugfestigkeit dienen Zugversuche (Abb. 2.10-2). Sie vermitteln anschaulich das Kraft-Verformungsverhalten bzw. das Spannungs-Dehnungs-Verhalten bei quasi-einachsiger Zugbeanspruchung. Bei diesen Versuchen wird ein genormter Pru¨fko¨rper in einer Zugmaschine mit einer bestimmten Geschwindigkeit bis zum Bruch auseinandergezogen. Die mechanisch wirksame Spannung ergibt sich aus dem Quotienten der jeweiligen Kraft und dem Anfangsquerschnitt. Die Dehnung ist durch den Quotienten von La¨ngena¨nderung durch Ausgangsla¨nge gegeben. Die Zugspannung je Fla¨cheneinheit eines Materialquerschnitts, bei der die Grenze der Tab. 2.10-2 Wichtige Kennwerte einiger Werkstoffklassen bzw. Werkstoffe. a ¼linearer W€armeausdehrmeausdehnungskoeffizient, q ¼Dichte, k ¼W€armeleitf€ahigkeit, cp ¼W€armekapazit€at Werkstoffklassen bzw. Werkstoffe

0,2 % Streckgrenze (100 8C)/ N mm 2

Zugfestigkeit/ N mm 2

T-Einsatz- a/ 10 bereich/ 8C

Kesselblech, HII (1.0454)

225

410…500

< 450

11,1

7,85

12

0,46

Hitzebest€andiger Stahl (1.4841)

230

800

< 150

17 (400 8C)

7,9

14

0,5

Verg€ utungsstahl (1.7707)

1020

1300

< 450

11

8,0

19,5

0,38

Lochfraß- und Spaltkorrosionsbest€andiger Stahl (2.4856)

400

850

< 700

12,8

8,44

9,8

0,41

V2A-Stahl (1.4541)

200

700

< 550

16

7,9

15

0,5

< 1000

0,59

2,2

1,4

0,73

< 450

8,8

2,4… 3,0

0,84

0,75

Quarzglas

6

K

1

q/ g cm

3

k/ Wm

1

K

1

cp / kJ kg

Normalglas

7…22

Teflon (PTFE)

17…28

200… 280

99

2,2

0,24

1,05

Fluorcarbonkautschuk (Viton)

20…32

60…200 16

1,8

0,12… 0,23

1,38

Polyvinylchlorid (PVC)

55

30…60

1,4

0,15

1,05

70

1

K

1

2.10 Werkstoffauswahl

Abb. 2.10-2 Charakterisierung der mechanischen Eigenschaften von Werkstoffen durch Messung des Spannungs-Dehnungs-Verhaltens in Zugversuchen. Spannung r = Kraft / Anfangsquerschnitt des Probek€ orpers = E  e, mit dem Elastizit€atsmodul E und der Dehnung e = ðL L0 Þ=L0 . Bereich I: proportional oder elastischer Bereich Bereich II: elastisch-plastischer Bereich Bereich III: plastischer Bereich.

elastischen Dehnung (Hooksches Gesetz) gerade um eine festgelegte Toleranz u¨berschritten wird, nennt man Streckgrenze. Bei den meisten Metallen gilt eine bleibende Verformung von DL=L ¼ 0,2 % als kennzeichnenden Wert fu¨r die Streckgrenze (Tab. 2.10-2). Die maximal erreichbare Zugspannung ist die Zugfestigkeit. Bei spro¨den Werkstoffen ist sie identisch mit der Spannung beim Bruch, der sog. Reißfestigkeit. Eine Keramik kann nur außerordentlich wenig gedehnt werden und bricht daher fast verformungslos. Metalle und Polymere sind dagegen je nach Struktur sta¨rker verformbar. Aus der Anfangssteigung der Spannungs-Dehnungs-Kurve (Abb. 2.10-2) gewinnt man eine weitere wichtige Werkstoff-Kenngro¨ße, den Elastizita¨tsmodul E, der ein Maß fu¨r die Steifigkeit ist. Eine weitere Werkstoff-Kenngro¨ße ist die Bruchdehnung, also die Dehnung im Bruchpunkt.

237

238

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

2.10.1.2

Korrosionsverhalten

Als Korrosion bezeichnet man die beginnende Zersto¨rung an der Oberfla¨che fester Ko¨rper, die neben Bruch und Verschleiß zum Versagen des Werkstoffs fu¨hren [Hornbogen 1994, Tostmann 2001]. Beim Korrosionsverhalten unterscheidet man zwischen: * * *

gleichma¨ßig abtragende Korrosion selektive Korrosion (z. B. interkristalliner Kornzerfall) lokalisierte Korrosion (z. B. Lochfraß oder Spannungsrisskorrosion).

Tritt Korrosion auf, obwohl alle Teile der Apparatur u¨ber dem Taupunkt des Reaktionsmediums gehalten werden, so handelt es sich um einen rein chemischen Angriff. Unterschreiten dagegen auch nur Teilbereiche der Apparatur den Taupunkt (z. B. bei Ka¨ltebru¨cken an Tra¨gern), so ist in der kondensierten Phase stets mit einem elektrochemischen Angriff zu rechnen, dessen Folgen weit gefa¨hrlicher sind. Die gleichma¨ßig abtragende Korrosion ist im Allgemeinen eine Folge eines chemischen Angriffs durch das Reaktionsmedium; sie kann begu¨nstigt werden durch erosive Abtragung einer Passivierungsschicht. Ein bekanntes Beispiel ist die Verzunderung von Eisen, d. h. wenn heiße Luft auf der Metalloberfla¨che Oxide bildet. Zu ihrer Ermittlung braucht man Versuchszeiten von 1 bis 2 Monaten, da der Angriff zu Beginn im Allgemeinen sta¨rker ist. Die folgenden Bereiche fu¨r Korrosionsgeschwindigkeiten ko¨nnen zur orientierenden Beurteilung dienen: * * * * *

< 2 lm a 1 korrosionsfrei < 50 lm a 1 gut 50 lm a 1 bis 0,5 mm a 1 befriedigend 0,5 bis 1,0 mm a 1 bedingt hinnehmbar > 1,0 mm a 1 unakzeptabel.

Die selektive und lokalisierte Korrosion ist gefa¨hrlicher als die gleichma¨ßig abtragende, da sie nicht planbar ist und ha¨ufig erst im vollendeten Schadensfall erkennbar wird. Ursache ist ein elektrochemischer Angriff durch das Medium. Elektrochemisch bedeutet hier einen Elektronentransport zu einer, an anderer Stelle verlaufenden Reduktion (Bildung eines sog. Lokalelementes). Metallische Werkstoffe werden auf diese Weise korrodiert, d. h. wenn das angreifende Medium flu¨ssig ist und eine minimale Leitfa¨higkeit besitzt. Die Leitfa¨higkeit kann dabei sehr gering sein, die Eigenleitfa¨higkeit von „reinem“ Wasser genu¨gt beispielsweise schon. Der weitaus gro¨ßte Teil der Korrosionsreaktionen von Metallen la¨sst sich auf die zwei Typen zuru¨ckfu¨hren: * *

die Sauerstoffkorrosion und die Sa¨urekorrosion (Abb. 2.10-3).

2.10 Werkstoffauswahl

(a)

(b) Abb. 2.10-3 Mechanismus der: a) Sauerstoffkorrosion: Anodenprozess: Me ! Me2þ þ 2 e Kathodenprozess neutral, alkalisch: 1/2 O2 þ H2 O þ 2 e ! 2 OH 1/2 O þ 2 Hþ þ 2 e ! H O sauer: 2 2 und b) S€aurekorrosion: Anodenprozess: Me ! Me2þ þ 2 e Kathodenprozess 2 Hþ þ 2 e ! H2

Beispiel 2.10-1 Korrosionsrate von unlegiertem Stahl in belu¨ftetem Wasser in Abha¨ngigkeit vom pH-Wert [Tostmann 2001], (Abb. 2.10-4).

Lochfraß entsteht ha¨ufig in Anwesenheit von Halogenionen an Stellen, an denen sich Lokalelemente bilden ko¨nnten. Bei Legierungen ko¨nnen Lokalelemente zwischen dem (unedleren) Zwischenkornmaterial und dem Korn selbst zur allma¨hlichen Auflo¨sung des Zwischenmaterials von der Oberfla¨che her fu¨hren. Man spricht dann von Kornzerfall.

239

240

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile

Bei der Spannungskorrosion reißt der Werkstoff infolge von mechanischen Spannungen unter dem Einfluss eines Korrosionsmediums. Die Spannungsrisskorrosion a¨ußert sich in tiefgreifenden, a¨ußerlich meist schwer erkennbaren, inter- oder transkristallinen Rissen. Ursache ko¨nnen Eigenspannungen sein, die durch Kaltverformung oder in der Umgebung von Schweißna¨hten entstanden sind. Wegen der Bedeutung der richtigen Materialauswahl ist es im Zuge der Verfahrensentwicklung meistens nicht zu umgehen, spezielle Korrosionstests [Corbett 1995] im Labor durchzufu¨hren. Dabei ist besonders auf einfache und reproduzierbare Versuchsbedingungen zu achten. Die Korrosionspru¨fungen und -untersuchungen werden in chemische und elektrochemische unterteilt. zu: chemische Korrosionsuntersuchungen Bei gleichma¨ßiger Fla¨chenkorrosion kann durch gravimetrische Messung [DIN 50905] die lineare spezifische Massena¨nderungsrate v (sog. Korrosionsrate): vlin ðT; P; MediumÞ=ðmg m

2

a 1Þ ¼

Massen€anderung der Probe ð2:10 Fl€ache der Probe  Einwirkdauer



bzw. die lineare Abtragungsrate d: dlin ðT; P; MediumÞ=ðmm a 1 Þ ¼ ¼

Dickenabnahme Einwirkdauer

Massenabnahme Dichte der Probe  Einwirkzeit  Fl€ ache der Probe

ð2:10



ermittelt werden (Abb. 2.10-4). zu: elektrochemische Korrosionsuntersuchungen Mit Hilfe elektrochemischer Pru¨fverfahren [DIN 50918] ko¨nnen qualitative Aussagen u¨ber den Korrosionsmechanismus getroffen werden. Die experimentelle Ermittlung

Abb. 2.10-4 Korrosionsrate als Funktion des pH-Wertes f€ ur unlegierten Stahl in luftges€attigtem Wasser [Trostmann 2001].

2.10 Werkstoffauswahl

der Strom/Potenzial-Beziehungen besitzt hierbei die gro¨ßte Aussagekraft. Damit lassen sich Grenzpotenziale, d. h. die fu¨r das Auftreten von z. B. Loch- und Spannungsrisskorrosion kritischen Potenziale, bestimmen. Korrosionsschutzmaßnahmen Ein wichtiger Teil der Korrosionsschutzmaßnahmen fu¨r metallische Werkstoffe besteht im Aufbringen von metallischen, anorganischen und organischen Schichten. Beispiele fu¨r Techniken zum Aufbringen von metallische Schichten sind: * *

*

Galvanisieren: elektrochemische Abscheidung von Zn, Cr, Ni, Ag oder Au. Plattieren: Verbindung zweier Metallplatten – z. B. Kesselblech HII mit dem Auflagewerkstoff Zirkon [Donat 1989] – durch Sprengplattierung. Schmelztauchen: z. B. Eintauchen der vorbehandelten Sta¨hle in geschmolzenes Zink.

Beispiele fu¨r Techniken zum Aufbringen von anorganischen Schichten sind: *

*

*

Emaillieren: Durch Tauch- oder Spritzverfahren wird auf der Metalloberfla¨che ein ¨ berzug aufgebracht. Emailschichten sind fest haftender, anorganisch-glasiger U chemisch widerstandsfa¨hig (Ausnahme heiße Alkali), hart und hitzebesta¨ndig aber sehr spro¨de (Vorsicht bei Reparaturarbeiten). Phosphatieren bzw. Chromatieren ist die Behandlung mit Phosphorsa¨ure, saurer Phosphat- bzw. saurer Chromatlo¨sung. Im Tauch- oder Spritzverfahren bei erho¨hten Temperaturen wird durch die Bildung von Phosphaten bzw. Chromaten eine festhaftende Deckschicht erzeugt. Anodisieren: Durch anodische Oxidation in Sa¨uren lassen sich z. B. bei Aluminium festhaftende, schu¨tzende Oxidschichten erzeugen.

Der Schutz metallischer Werkstoffe durch eine Beschichtung mit organischen Materialien (Lack-, Pulver-, Laminatbeschichtung, Kunststoffauskleidung, Gummierung) beschra¨nkt sich im chemischen Apparatebau vor allem auf den Schutz von Tragekonstruktionen und Lagerbeha¨ltern, Apparateteilen also, die keinen hohen Temperaturen ausgesetzt sind. Aufgrund der Brennbarkeit solcher Schutzschichten und den dadurch mo¨glichen Folgescha¨den (z. B. starke Rußbildung) ist ihr Einsatz in technischen Anlagen wohl zu u¨berlegen. Außer dem oben aufgefu¨hrten passiven Schutz durch Beschichtungen gibt es aktive Korrosionsschutzmaßnahmen, bei denen ein Eingriff in die Korrosionsreaktion erfolgt. Beispiele sind: *

*

elektrochemischer Korrosionsschutz (kathodischer Korrosionsschutz, galvanische Anoden, Fremdstromschutzanlagen) Zusatz von Korrosionsinhibitoren zum angreifenden Medium.

241

242

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile Tab. 2.10-3

Einfluss des Kohlenstoffgehaltes auf die Eigenschaften von unlegierten St€ahlen.

Kohlenstoffgehalt/%

Eigenschaften

Werkstoff

3…4

spr€ode, hart, nicht schmiedbar

Grauguss

0,5…1,7

h€artbar, hart, schlecht schweißbar

Werkzeugstahl

0,05…0,5

dicht, hart, gut schweißbar

*

Bau- und Konstruktionsst€ahle f€ ur Stahlbau (St37; St 52; St 35.8)

*

Kesselbaust€ahle (Kesselblech II) f€ ur Beh€alterbau

2.10.2

Metallische Werkstoffe

Von beherrschender Bedeutung ist bei der Verwendung von metallischen Werkstoffen im Allgemeinen und Sta¨hlen [Class 1982] im Besonderen, die gu¨nstige Kombination von mechanischer Festigkeit, thermischer Belastbarkeit, Korrosionsverhalten und geringer Materialkosten. Sta¨hle kann man grob einteilen in: unlegierte, niedrig legierte und hochlegierte Sta¨hle [Heinke 1997]. Unlegierte Sta¨hle enthalten im Wesentlichen nur Kohlenstoff als Legierungsbestandteil, deren Gehalt einen besonderen Einfluss auf die Eigenschaften hat (Tab. 2.10-3). Der Kohlenstoff liegt in Form von Eisencarbid (Fe3C) vor und bildet zusammen mit der Eisenmatrix den Strukturwerkstoff Stahl. Niedrig legierte Sta¨hle enthalten weniger als 5 % Legierungselemente wie Cr, Co, Mn, Ni, Si, W u. a. und werden im Stahl- und Beha¨lterbau eingesetzt. Hoch legierte Sta¨hle (mehr als 5 % Legierungsbestandteile) [Henker 1999] sind rostund sa¨urebesta¨ndig und daher die wichtigsten Werkstoffe im Chemieanlagenbau. Rohrleitungen und Apparate aus diesen Materialien sind besta¨ndig gegen jede Witterung und mu¨ssen daher nicht mit einem Schutzanstrich versehen werden. Zwei ha¨ufig eingesetzte Edelsta¨hle, die im Jahre 1914 von Krupp entwickelt wurden [Szo¨llo¨si 1998], sind V2A- und V4A-Stahl: V2A-Stahl: Werkstoffnummer*): 1.4541 Kurzname X 10 CrNiTi 18 9 [DIN 17440] Zusammensetzung: 0,08 % C; 17…19 % Cr; 9…12 % Ni; 0,8 % Ti V4A-Stahl: Werkstoffnummer: 1.4571 Kurzname X 10 CrNiMoTi 18 10 [DIN 17440] Zusammensetzung: 0,08 % C; 16,5…18,5 % Cr; 11…14 % Ni; 2…2,5 % Mo; 0,4 % Ti *)

Die erste Ziffer kennzeichnet die Werkstoffhauptgruppe (z. B. 1 fu¨r Stahl). Die letzten vier Ziffern bedeuten die Sortennummer.

2.10 Werkstoffauswahl Tab. 2.10-4 Preisfaktoren von metallischen Werkstoffen (Basis ist Kohlenstoffstahl) [Wilson 1971]. (Ein W€armetauscher bzw. Beh€alter aus Zirkon ist etwa 200 mal teurer als einer aus Kohlenstoffstahl). Werkstoff

Faktor

Kohlenstoffstahl

1,00

Aluminium

1,3

V2A

2,6

V4A

3,0

Titan

8,0

Hastelloy C

14

Tantal

55

Zirkon [Yau 1995]

> 200

Nichteisenhaltige Metall-Legierungen werden wegen des hohen Preises gegenu¨ber Stahl (Tab. 2.10-4) nur als Sonderwerkstoff eingesetzt [Donat 1989].

2.10.3

Nichtmetallische Werkstoffe

Andere Werkstoffe sind, verglichen mit Stahl, von untergeordneter Bedeutung. Im Bereich niedriger Temperaturen (unter ca. 100 8C) werden in zunehmendem Umfang organische Werkstoffe herangezogen, wa¨hrend ho¨chste Temperaturen anorganischen Materialien vorbehalten sind. Meist werden hierbei Verbundkonstruktionen mit Aufgabenteilung verwendet. Ha¨ufig nimmt der eine Verbundwerkstoff die Druckkra¨fte auf, wa¨hrend der andere chemische und/oder thermische Besta¨ndigkeit aufweist. So bestehen z. B. Verbrennungso¨fen innen aus Keramik, welche die Temperatur abbaut, wa¨hrend ein Stahlmantel die mechanischen Kra¨fte aufnimmt. Ein anderes Beispiel sind emaillierte Stahlbeha¨lter. Das Email (gesintertes Glas) ist gegen starke Sa¨uren besta¨ndig, der Stahlmantel nimmt die Druckkra¨fte auf. Durch Plattieren von Stahl entstehen Verbundwerkstoffe, die bei gleichen Oberfla¨cheneigenschaften wesentlich billiger sind als ein entsprechender Werkstoff aus dem Plattierungsmaterial allein. Ein Beispiel fu¨r einen eisenfreien Verbundwerkstoff sind Polyesterharze mit eingelagerten Glasfasern. Aus diesem Material ko¨nnen auch gro¨ßere selbsttragende Beha¨lter gefertigt werden. Anorganische Werkstoffe wie Graphit und Glas erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Aus Glas werden komplette Anlagen hergestellt, wobei allerdings die besondere Stoßund Spannungsempfindlichkeit zu beru¨cksichtigen ist. Außerdem sind der Gro¨ße der Apparate enge Grenzen gesetzt. Kunststoffe finden im Chemieanlagen vor allem Verwendung, wenn es um hohe Besta¨ndigkeit gegen wa¨ssrige Sa¨uren, Laugen oder Salzlo¨sungen bei moderaten Temperaturen geht. In Tabelle 2.10-5 sind einige wichtige Kunststoffe und ihre Chemikalienbesta¨ndigkeit aufgefu¨hrt (s. auch Tab. 2.10-1).

243

244

2 Die chemische Produktionsanlage und ihre Bestandteile Tab. 2.10-5

Chemikalienbest€andigkeit von wichtigen Kunststoffen im Chemieanlagenbau. Thermoplaste PVC

Duroplaste

Elastomere EPDM FPM

PE-HD PP

PTFE

GF-UP GF-EP PF

þ

þ

þ

þ

þ

Wasser heiß

o

þ

þ

þ

o

schwache S€auren

þ

þ

þ

þ

o

starke S€auren

þ

þ

o

þ

oxidierende S€auren

o

Flusss€aure

o

o

o

þ

o

schwache Laugen

þ

þ

þ

þ

þ

starke Laugen

þ

þ

þ

þ

o

anorg. Salzl€osungen

þ

þ

þ

þ

þ

þ

þ

aliphatische KW

þ

þ

þ

þ

þ

þ

þ

o

o

o

o þ

Wasser kalt

chlorierte KW

þ

þ

þ

o

o

þ

þ

þ

o

þ

þ

þ

þ

þ

þ þ

þ

þ

þ

þ

þ

þ þ

þ

þ

þ

o

þ

þ

Ester

þ

o

þ

o

o

o

o/

o/

Ketone

þ

o

þ

o

þ

o/

o/

Ether

o

þ

þ

þ

o

o

Alkohole

þ

þ

þ

o þ

þ

þ

o

þ

o

þ

aromatische KW

o

o

þ

þ

þ

o

o

Kraftstoffe

þ

o

þ

þ

þ

o

þ

þ

þ

þ

þ

þ

þ

þ

organische S€auren

€ le Fette, O unges€attigte chlorierte KW

o

þ

þ

þ besta¨ndig, o bedingt best€andig, nicht besta¨ndig KW Kohlenwasserstoffe GF-UP Glasfaserversta¨rktes Polyester-Harz PVC Polyvinylchlorid GF-EP Glasfaserversta¨rktes Epoxid-Harz PE-HD Polyethylen hoher Dichte PF Phenol(-Formaldehyd)-Harz PP Polypropylen EPDM Ethylen-Propylen-Terpolymere PTFE Polytetrafluorethylen FPM Fluorkautschuk

3

Verfahrensunterlagen

Verfahrensentwicklung. G. Herbert Vogel Copyright © 2002 Wiley-VCH Verlag GmbH ISBN: 978-3-527-28721-5

3.1 Chemische Daten

Nach der Beendigung der Laborphase und vor dem Beginn der eigentlichen Verfahrensentwicklung, die in der Regel mit hohen Kosten verbunden ist, mu¨ssen weitere Informationen besorgt werden.

3.1

Chemische Daten Den Kern einer Chemieanlage bildet der Reaktor. Er bestimmt mit seinem In- und Output die ganze Anlage, die sich um ihn herum aufbaut. Daher sollten in einem mo¨glichst fru¨hen Stadium detaillierte Kenntnisse u¨ber die chemische Reaktion vorliegen. Im einzelnen mu¨ssen folgende Punkte gekla¨rt werden: * * * *

Reaktionswa¨rme (exotherm/endotherm?) Thermodynamisches Gleichgewicht (ja, nein?) Kinetik der Haupt-, Folge- und Nebenreaktionen Selektivita¨ts/Umsatz-Funktion in Abha¨ngigkeit der Prozessparameter.

3.1.1

Reaktionswa¨rme

Fu¨r die Auswahl des geeigneten Reaktortyps ist u. a. die Kenntnis der umgesetzten

= Reaktionswa¨rme unter Standardbedingungen DR H von ausschlaggebender Bedeu = tung. Da normalerweise DR H nicht direkt im Kalorimeter bestimmt werden kann (technisch relevante Reaktionen laufen nicht mit 100 % Ausbeute ab), muss diese u¨ber die experimentell leicht zuga¨nglichen Verbrennungswa¨rmen der Reaktanten

= DC Hi ermittelt werden.

= Die aus den Verbrennungswa¨rmen DC H nach dem Hess’schen Satz errechneten Bildungsenthalpien der Reaktanten i [Yaws 1988]:

=

Df Hi ¼

X

=

DC HElemente

=

ð3:1:1

DC Hi :



Elemente

=

und die hieraus berechnete Reaktionsenthalpie DR H ist dann oft eine Differenz großer Zahlen (s. auch Beispiel 3.1.1-1) und damit stark Fehler behaftet (Vorsicht!):

=

DR H ¼

X

=

mi  Df Hi :

ð3:1:1



i

Es bleibt dann oft, um das scale-up Risiko zu minimieren, nichts anderes u¨brig als die Reaktion in einem Pilotreaktor unter adiabatischen Bedingungen zu untersuchen (teuer!). In kleinen Laborreaktoren sind adiabatische Verha¨ltnisse normalerweise nicht zu erreichen (Pru¨fung!).

247

248

3 Verfahrensunterlagen

Beispiel 3.1.1-1 Gesucht ist die Bildungsenthalpie von Benzol, d. h. die Enthalpie der Reaktion: 6 C þ 3 H2 ! C6 H6

ð3:1:1



Aus den gemessenen bzw. bekannten Verbrennungswa¨rmen von Benzol und den entsprechenden Elementen folgt:

=

3268 kJ mol

1

ð3:1:1



6 CO2

! 6 C þ 6 O2 ; 6 Df H ¼ 6 ð393,51 kJ mol

1

ð3:1:1



3 H2 O

! 3 H2 þ 1,5 O2 ; 3 Df H ¼ 3 ð285,83 kJ mol 1 Þ:

ð3:1:1



C6 H6 þ 7,5 O2 ! 6 CO2 þ 3 H2 O; DC H ¼

=

=

Aus der entsprechenden Addition der Gleichungen (3.1.1-4) bis (3.1.1-6) erha¨lt man:

=

Df H ðBenzolÞ ¼

6  ð393,51Þ

3  ð285,83Þ þ 3268 kJ mol

1

¼ þ49,5 kJ mol 1 :

In Tab. 3.1.1-1 sind die Reaktionsenthalpien fu¨r einige technisch wichtige Reaktionstypen angegeben, um ein Gefu¨hl fu¨r die Gro¨ßenordnung zu vermitteln.

3.1.2

Thermodynamisches Gleichgewicht

Viele chemische Reaktionen, wie z. B. Veresterungen, Hydrierungen und Dimerisierungen, verlaufen u¨ber Gleichgewichte. Das thermodynamische Gleichgewicht liefert eine Aussage u¨ber den maximal mo¨glichen Umsatz, der auch durch noch so gute Katalysatoren oder kinetische Tricks nicht u¨berschritten werden kann. Um dieses Umsatzpotenzial abscha¨tzen zu ko¨nnen, muss man wissen, wie weit die erzielten Umsa¨tze vom chemischen Gleichgewicht entfernt sind (s. Beispiel 3.1.2-1). Beispiel 3.1.2-1 Die Bildung von Trioxan aus Formaldehyd: 3 CH2 O $ C3 H6 O3 (FA) (Tri)

ð3:1:2



in der Gasphase ist eine typische Gleichgewichtsreaktion. Die Gleichgewichtskonstante: Kp ¼

PðTriÞ 3

PðFAÞ

¼

4  ð0PðFAÞ ð3P



0PðFAÞÞ3

ð3:1:2



3.1 Chemische Daten Tab. 3.1.1-1 Reaktionsenthalpien f€ ur einige technisch wichtige Reaktionsklassen [Weissermel 1994], (s. auch Anhang 8.12).

=

DR H /kJ mol

Hydrierungen CH2 ¼ CH2 þ H2 ! CH3

CH3

1

137

Oxidationen H2 þ 12 O2 ! H2 O

285

C þ 12 O2 ! CO

111

C þ O2 ! CO2

393

CH2 ¼ CH2 þ

1 2 O2

! Ethylenoxid

105

CH3

CH ¼ CH2 þ 4=2 O2 ! 3 CO2 þ 3 H2 O

1920

CH3

CH ¼ CH2 þ O2 ! CH2 ¼ CH

340

CH2 ¼ CH

CHO þ 12 O2 ! CH2 ¼ CH

CH3 CH2 CH3 þ 12 O2 ! CH3

CHO þ H2 O COOH

CH ¼ CH2 þ H2 O

250 122 bei 500 8C [Watzenberger 1999]

Hydratisierung CH2 ¼ CH2 þ H2 O ! CH3 CH2 OH CH3

46

CH ¼ CH2 þ H2 O ! CH3 CHðOHÞCH3

50

Polymerisation CH2 ¼ CH2 !

CH2

CH2

90

Neutralisation Hþ þ OH ! H2 O

55

NH3 ðaqÞ þ HNO3 ðaqÞ ! NH4 NO3 ðaqÞ

50

Chlorierung CH2 ¼ CH2 þ Cl2 ! Cl

P 8P(FA) P(Tri), P(FA)

= = =

CH2 CH2

Cl

180

Gesamtdruck im Gleichgewicht Partialdruck am Anfang Gleichgewichtsdruck

betra¨gt [Busfield 1969] als Funktion der Temperatur: lgðKP =bar 2 Þ ¼

7350 T=K

19,8:

ð3:1:2



Daraus folgt, dass unter den angenommenen Prozessbedingungen T ¼ 80 8C und 8P(FA) ¼ 0,2 bar ein maximaler Formaldehyd-Umsatz von: U¼

3  PðTriÞ  100 ¼ 35 % PðFAÞ

ð3:1:2



249

250

3 Verfahrensunterlagen

im geraden Durchgang erreichbar ist. Der tatsa¨chlich erreichte Umsatz kann nur kleiner als 35 % sein und ha¨ngt vom Katalysatorsystem und von der Art des Reaktors ab.

Das chemische Gleichgewicht ist dadurch gekennzeichnet, dass die freie Reaktionsenthalpie DR G gleich null ist: DR G ¼ 0 ¼ DR G0 þ RT  ln KðTÞ:

ð3:1:2



DR G0 ist die Gibbssche1 Standard-Reaktionsenthalpie fu¨r den Standardzustand P0 ¼ 1,013 bar und der Temperatur T. Mit Hilfe von tabellierten molaren Gibbs = schen Standard-Bildungsenthalpien Df Gi fu¨r die Reaktanten Ai la¨sst sich fu¨r die allgemeine Reaktionsgleichung: X

mi  Ai ¼ 0

ð3:1:2



i

mi = sto¨chiometrischer Koeffizient (Produkte þ; Edukte

),

die Gibbssche Standard-Reaktionsenthalpie (T0 ¼ 298 K und P0 ¼ 1,013 bar):

=

DR G ¼

X

=

ð3:1:2

mi  Df Gi



i

und daraus die thermodynamische Gleichgewichtskonstante K berechnen:

=

ln KðT0 Þ ¼

X DR G ¼ ln RT0 i



fi P0

mi

ð3:2:1



fi = Fugazita¨t P 0 = Standarddruck (1,013 bar).

Die Fugazita¨t fi ist anschaulich ein korrigierter Druck und nur bei idealen Gasen sind Fugazita¨t und Partialdruck identisch. Fu¨r diesen Fall kann K gleich:  mi P ð3:1:2 9Þ KP ¼ P i 0i P gesetzt werden, wobei Pi der Partialdruck des Reaktanten i ist. Der Zusammenhang von Pi und fi ist u¨ber den Fugazita¨tskoeffizienten uðT; PÞ gegeben (fi ¼ u  Pi ). Dieser kann bei Kenntnis der kritischen Daten (Pk , Tk ) aus Abb. 3.1.2-1 abgescha¨tzt werden [Atkins 1990]. Aufgrund der exponentiellen Abha¨ngigkeit der Gleichgewichtskonstanten von der

= Gibbsschen Standard-Reaktionsenthalpie versta¨rken sich Fehler in DR G exponentiell (Vorsicht!). 1 Josiah W. Gibbs, amerik. Physiker (1839-1903).

3.1 Chemische Daten

Abb. 3.1.2-1 Fugazit€atskoeffizienten u eines reinen van-der-Waals-Gases als Funktion von P ¼ P=PK (Abszisse) und t ¼ T=TK (Kurvenparameter). Beispiel: 400 mol N2 (TK ¼ 126 K, PK ¼ 34 bar) bei 100 8C in einem 20 L Beh€alter: Pideal ¼ 620 bar; u aus Abbildung 3.1.2-1 ist 1,4; daraus folgt fN2 ¼ 870 bar.

=

DR G -Werte erha¨lt man nach:

=

DR G ¼ DR H

=

=

ð3:1:2

T0  DR S

10Þ

=

=

aus der Standardreaktionsenthalpie DR H und der Standardreaktionsentropie DR S .

= Die DR H -Werte ko¨nnen fu¨r viele Verbindungen aus den tabellierten Standardbil = dungsenthalpien Df Hi [Landolt-Bo¨rnstein] nach:

=

DR H ¼

X

=

ð3:1:2

mi  Df Hi

11Þ

i

=

berechnet werden. Stehen Df Hi -Werte nicht aus der Literatur zur Verfu¨gung, so ko¨nnen sie mit geringem experimentellen Aufwand via Bombenkalorimeter aus den Ver = brennungsenthalpien DC H bestimmt werden (Gl. (3.1.1-1)).

= Schwieriger gestaltet sich die Situation bei den DR Si -Werten, die u¨ber die Standard = Entropie Si der Reaktanten nach:

=

DR S ¼

X

=

ð3:1:2

mi  Si

12Þ

i

=

zwar berechnet werden ko¨nnen, die Si -Werte aber oft fehlen und nur mit großem experimentellen Aufwand u¨ber die Wa¨rmekapazita¨ten cp ðTÞ und Umwandlungswa¨rmen DU H nach folgendem schematischen Integrationsschema bestimmt werden ko¨nnen:

=

Si ¼ Sð0Þ þ

Tð1 0

CP1 ðTÞ D H  dT þ U 1 þ T T1

ð:::

T1

::: þ

298,2 ð :::

cPk ðTÞ  dT: T

ð3:1:2

13Þ

Diesen großen Aufwand kann man umgehen, wenn man sich mit Na¨herungsverfahren (z. B. Gruppenbeitragsmethoden) begnu¨gt [Knapp 1987].

251

252

3 Verfahrensunterlagen

Die nach Gl. (3.1.2-8) ermittelte Gleichgewichtskonstante bei 25 8C la¨sst sich mit Hilfe der van‘t Hoff-Gleichung2 [Gmehling 1992]:  @ln_ K  DR HðTÞ  ¼ @T  RT 2

ð3:1:2

14Þ

ð3:1:2

15Þ

p

auf die gewu¨nschte Temperatur umrechnen: ln KðTÞ ¼ ln KðT0 Þ þ

DR H R

=



1 T0

 1 ; T

=

wenn man annimmt, dass DR H in erster Na¨herung temperaturunabha¨ngig ist. Ist diese Annahme nicht gerechtfertigt, so muss mit Hilfe der molaren Wa¨rmekapazita¨ten der Reaktanten cpi ðTÞ dieser Einfluss beru¨cksichtigt werden:

=

DR HðTÞ ¼ DR H þ

ðT X

Ist in erster Na¨herung

i

ð3:1:2

16Þ

i

T0

P

mi  cpi ðT 0 Þ  dT 0 :

=

mi  cpi ¼ DR cp ðT0 Þ ¼ DR cp temperaturunabha¨ngig, so gilt:

=

=

@ln KðTÞ DR H ðT0 Þ þ DR cp  ðT ¼ @T RT 2

T0 Þ

ð3:1:2

17Þ

ð3:1:2

18Þ

oder integriert:

=  KðTÞ DR H 1 ln ¼  KðT0 Þ T0 R

1 T



=

DR cp



T T0  ln þ þ R T0 T

 1 :

Beispiel 3.1.2-2 Gesucht ist die Gleichgewichtskonstante der Schift-Gas-Reaktion ðCO þ H2 O $ CO2 þ H2 Þ bei 1000 K. Aus Tab. 3.1.2-1 ergeben sich die entsprechenden Werte fu¨r H, S bzw. cp ( 41,20 kJ mol 1; 42,10 J mol 1 K 1 bzw. 3,20 J mol 1 K 1). Daraus folgt:

=

aus Gl. (3.1.2-10): DR G ¼

41,20

aus Gl. (3.1.2-8): ln Kð298 KÞ ¼

298  ð 0,04210Þ ¼

28,65 kJ mol

1

28,65  1000 ¼ 11,559. 8,313  298

Unter der Annahme, dass DR H temperaturunabha¨ngig ist, ergibt sich nach Gl. (3.1.2-15): K (1000 K) ¼ 0,89. Unter der Annahme, dass DR cp temperaturunabha¨ngig ist, ergibt sich nach Gl. (3.1.2-18): K (1000 K) ¼ 1,1. 2 Jacobus Henricus van‘t Hoff (1852-1911).

3.1 Chemische Daten Tab. 3.1.2-1 Thermodynamische Gr€ oßen f€ ur einige wichtige Grund- und Zwischenprodukte [Fratzscher 1993, Fedtke 1996, Atkins 1990, Sandler 1999] (s. auch Anhang 8.11). Stoff

Df H i / kJ mol

1

S i / J mol

1

K

1

D f G i / kJ mol

1

1 Dc H i /kJ mol Edukt bei 25 8C H2O(l), CO2(g)

c p/ J mol

H2 (g)

0

130,7

0

285,8

28,8

N2 (g)

0

191,6

0

/

29,1

0

205,0

0

/

29,4

H2O (g)

O2 (g)

241,8

188,8

228,6

/

33, 6

H2O (l)

285,8

69,91

237,1

/

0

5,74

0

393,5 283,0

29,2

C (Graphit) CO (g)

110,5

197,7

137,2

CO2 (g)

393,5

213,7

394,4

/

37,1

CH4 (g)

74,8

186,3

50,7

890

35,8

200,7

239,8

162,0

CH3OH (l) CH2O (g)

108,6

218,8

102,5

HCOOH (l)

424,7

129,0

361,4

CH3CH3 (g)

84,7

229,6

32,8

CH2 ¼ CH2 (g)

52,3

219,6

68,15

CH3CH2OH (l)

277,7

160,8

1

K

1

35,3 1560

52,7 43,6

174,8

CH3CHO (l)

192,3

160,2

128,1

CH3COOH (l)

484,5

159,8

389,9

CH3CH2CH3

103,8

269,9

23,5

CH3-CH ¼ CH2

20,4

267,0

62,8

2220

C6 H6

82,9

129,7

3268

C6H5-CH3

12,2

113,6

3910

63,9

Die zur Berechnung der Gleichgewichtskonstante beno¨tigten thermodynamischen Daten (Standard-Bildungsenthalpie und -entropie, spezifische Wa¨rme der Reaktanten) ko¨nnen aus Tabellenwerken entnommen oder durch Na¨herungsmethoden abgescha¨tzt werden [Ullmann, Knapp 1987].

3.1.3

Kinetik

Um den spa¨teren Reaktortyp festlegen zu ko¨nnen, mu¨ssen Informationen u¨ber den potenziellen Reaktionsweg zu Haupt-, Neben- und Folgeprodukten vorhanden sein. Die Bildungsgeschwindigkeiten sowie ihre Abha¨ngigkeit von den Prozessparametern wie Temperatur, Druck, Katalysatorkonzentration usw. sollten mo¨glichst quantitativ

253

254

3 Verfahrensunterlagen

bekannt sein. Auf die Aufkla¨rung des Reaktionsmechanismus muss bei der Verfahrensentwicklung am Anfang aus Zeitgru¨nden verzichtet werden. Die dazu notwendigen detaillierten kinetischen Untersuchungen zur Bestimmung der Mikrokinetik (¼ reine chemische Kinetik ohne Transportlimitierungen durch den a¨ußeren Stofftransport wie Konvektion oder Diffusion, s. auch Kap. 2.1.3) [Forzatti 1997] werden oft erst durchgefu¨hrt, wenn die technische Anlage schon produziert. Im Rahmen der Verfahrensentwicklung ist es oft nur mo¨glich die Makrokinetik ¨ berlagerung der chemischen Kinetik durch Stoff- und Wa¨rmetransportvorga¨n(¼ U ge) zu ermitteln. In diesem Fall muss darauf geachtet werden, dass der Laborreaktor dem voraussichtlich einzusetzenden technischen Reaktor hydrodynamisch a¨hnlich ist (vor allem das La¨nge/Durchmesser-Verha¨ltnis), um die Transporteinflu¨sse in beiden Systemen ungefa¨hr gleich zu halten. Besonders einfach ist dies z. B. bei Rohrbu¨ndelreaktoren, wie sie oft bei Partialoxidationen eingesetzt werden (z. B. Phthalsa¨ureanhydrid, Acrylsa¨ure und Ethylenoxid), mo¨glich. Hier kann im Labor die Makrokinetik am Original-Einzelrohr durchgefu¨hrt werden, da die hydrodynamischen Verha¨ltnisse spa¨ter identisch sind (Scale-up Faktor ¼ 1). Fu¨r kinetische Untersuchungen stehen verschiedene Versuchsreaktoren wie Differential-, Differentialkreislauf- (kontinuierlicher Ru¨hrkessel [Reisener 2000]) (Abb. 3.1.3-2) und Integralreaktoren (Stro¨mungsrohr [Hofe 1998], diskontinuierlicher Ru¨hrkessel) zur Verfu¨gung (Abb. 3.1.3-1) [Forni 1997]. Die absolute Reaktionsgeschwindigkeit r fu¨r eine allgemeine Reaktion mA A ! mp P ist definiert als die auf den sto¨chiometrischen Koeffizienten mA bzw. mP (Edukte negativ, Produkte positiv, s. auch Gl. (3.1.2-6) ) bezogene zeitliche Molzahla¨nderung des Eduktes A bzw. Produktes P: r¼

þ1 dnA 1 dn ¼  P:  mA dt mP dt

ð3:1:3

1aÞ



þ1 1 r ¼ r : mA A mP P

ð3:1:3

1bÞ

Ersetzt man die Molzahl nA durch die molare Konzentration des Eduktes AðcA ¼ nA =V ¼ A mol L 1 Þ, so folgt: r¼

 þ1 dðV  AÞ 1  ¼  V  A_ þ A  V_ : mA dt mA

ð3:1:3



Unter der Annahme einer volumenbesta¨ndigen Reaktion (V_ ¼ 0) definiert man die volumenbezogene Reaktionsgeschwindigkeit fu¨r homogene Reaktionen: rV ¼

rA 1 dA : ¼  V mA dt

ð3:1:3

3aÞ

Fu¨r heterogene Reaktionssysteme ist es zweckma¨ßig, die Reaktionsgeschwindigkeit auf die Oberfla¨che oder die Masse eines Katalysators zu beziehen:

3.1 Chemische Daten

Abb. 3.1.3-1 Laborreaktortypen zur Bestimmung der Kinetik von heterogenkatalysierten Reaktionen [Luft 1978a, Forni 1997, Cavalli 1997]: a) Differentialreaktor: Direkte Bestimmung der Reaktionsgeschwindigkeit m€ oglich, aber stark Fehler behaftet, wenn die Analyse nicht ausreichend genau ist. ß 1 n_ A n_ A rm  , wenn der Umsatz von A kleiner als ca. 10 % ist. mA mKat (Vorsicht: Die Differenz etwa gleich großer Zahlen ist stark Fehler behaftet!) b) Differentialkreislaufreaktor: Direkte Bestimmung der Reaktionsgeschwindigkeit mit hoher Genauigkeit m€ oglich. 1 n_ A n_ 0A , wenn das Kreislaufverh€altnis gr€ oßer als 20 ist. rm ¼ mA mKat c) Integralreaktor: Nur indirekte Bestimmung der Reaktionsgeschwindigkeit m€ oglich. rKat muss aus der Steigung der gemessenen Konzentrations/Zeit(Ort)-Profile ermittelt werden und ist oft nicht eindeutig den Prozessparametern (Temperatur, Partialdr€ ucke u. a.) zuordenbar. Oft ist es auch schwierig, isotherme Verh€altnisse zu garantieren.

rm ¼

rA 1 dA : ¼  mKat mA mKat  dt

ð3:1:3

3bÞ

Zur direkten Bestimmung der Reaktionsgeschwindigkeit rV ist der Differentialkreislaufreaktor besonders geeignet (Abb. 3.1.3-2). Bei diesem Reaktortyp kann aus der gemessenen Konzentrationsa¨nderung der Komponente A die Reaktionsgeschwindigkeit rV direkt berechnet werden (s. auch Gl. (2.2-8)): rV ¼

1 Aende A0 € r homogene Reaktionen fu mA s

A: Konzentration der Komponente A in mol L s: Verweilzeit im Reaktor

rm ¼ þ

ð3:1:3

4aÞ

ð3:1:3

4bÞ

1

1 n_ A;ende n_ A;0 €r heterogenkatalysierte Reaktionen fu mKat mA

255

256

3 Verfahrensunterlagen

Abb. 3.1.3-2 Prinzipien von Differenzialkreislaufreaktoren mit Katalysatorsch€ uttung [Buzzi-Ferraris 1999, Perego 1999, Forni 1997] zur Bestimmung der Kinetik von heterogenkatalysierten Reaktionen: a) „Spinning Basket“- Prinzip, ein drehender Korb mit Katalysatorpellets ist als R€ uhrer ausgebildet b) Treibstrahlprinzip mit innerem Umlauf [Luft 1973 b, Luft 1978, Dreyer 1982] c) Umw€alzungsprinzip mit externem Kreislauf.

n_ A;ende : Mole der Komponente A, die pro Zeiteinheit aus dem Reaktor austreten in mol s n_ A;0 : Mole der Komponente A, die pro Zeiteinheit in den Reaktor eintreten in mol s 1.

1

und somit rV bzw. rm eindeutig den Versuchsparametern (Temperatur, Konzentrationen, Druck) zugeordnet werden, da durch die Ru¨ckfu¨hrung bzw. die gute Durchmischung ein gradientenfreier Betrieb gewa¨hrleistet ist [Erlwein 1998]. Der Integralreaktor ist experimentell oft einfacher zu handhaben und liefert einen ¨ berblick u¨ber die Kinetik. Jedoch muss aus den gemessenen Konzentraschnelleren U tions/Zeit-Kurven durch differenzieren die Reaktionsgeschwindigkeit rV abgeleitet werden (Vorsicht Fehler!). Außerdem sind den so ermittelten r-Werten die Reaktantenkonzentrationen und die Temperatur oft nicht eindeutig zuordenbar. Die im Labor bestimmten Geschwindigkeitsdaten (rV ðtÞ bzw. AðtÞ als Funktion von T, P) sollten nun an mo¨glichst physikalisch sinnvolle Modelle angepasst werden, die gegebenenfalls den Mechanismus der Reaktion andeuten ko¨nnen [Santacesaria 1999, Wang 1999]. Im ersten Schritt wird man probieren, ob die kinetischen Messdaten mit einem einfachen Separationsansatz: rV ¼ f1 ðTÞ  f2 ðA1 :::Þ

ð3:1:3



zu beschreiben sind. Der T-abha¨ngige Term f1 ðTÞ kann oft durch einen einfachen Arrheniusansatz [Mezinger 1969]: f1 ðTÞ ¼ kA ðTÞ ¼ k0  exp



Ea RT



ð3:1:3

6aÞ

beschrieben werden, wobei kA die Geschwindigkeitskonstante, k0 der sog. pra¨exponentielle Faktor (Stoßfaktor) und Ea die sog. Aktivierungsenergie ist. Typische Werte

3.1 Chemische Daten

fu¨r Ea liegen zwischen 50 und 100 kJ mol 1 fu¨r heterogenkatalysierte Reaktionen und 200 und 400 kJ mol–1 fu¨r homogene Gasphasenreaktionen. Abweichungen vom Arrhenius-Verhalten ko¨nnen als Indiz fu¨r einen Mechanismuswechsel (Hoch- zu Tieftemperatur- oder radikalischer zu ionischem Mechanismus) gewertet werden. Nur bei sehr hohen Dru¨cken hat auch der Druck - u¨ber das Aktivierungsvolumen DVa# – einen Einfluss auf die Geschwindigkeitskonstante [Steiner 1967, Luft 1969, Luft 1989]: f1 ðT; PÞ ¼ kA ðT; PÞ ¼ k0  exp



Ea þ DVa#  ðP RT

 P0 Þ

ð3:1:3

6bÞ

Typische Werte fu¨r DVa# liegen zwischen 25 und þ 15 cm3 mol 1. Fu¨r den konzentrationsabha¨ngigen Term f2 ðA:::Þ kann oft ein Potenzansatz gewa¨hlt werden, so dass sich folgender einfacher Ausdruck fu¨r die Reaktionsgeschwindigkeit ergibt: rV ¼ kA ðTÞ  AnA  :::;

ð3:1:3



wobei nA die Ordnung der Reaktion bzgl. der Komponente A genannt wird. Sie stellt einen an die experimentellen Daten anpassbaren Parameter dar. Diesen Parameter erha¨lt man z. B. durch doppellogarithmische Auftragung von rV gegen A. In der technischen Chemie werden gerne die vorher eingefu¨hrten Potenzansa¨tze gewa¨hlt, da sie mathematisch einfach zu handhaben sind. Den meisten Reaktionen, bei denen ein Katalysator beteiligt ist, liegt aber ein komplizierterer Reaktionsmechanismus zugrunde, wodurch die mathematische Beschreibung der Kinetik schnell sehr kompliziert wird. Einfache Geschwindigkeitsgesetze sind dann eher selten. Ein Beispiel dafu¨r ist die enzymkatalysierte Reaktion nach dem sog. Michaelis-Menten-Mechanismus (Beispiel 3.1.3-1). Beispiel 3.1.3-1 Das Substrat A reagiert in einer vorgelagerten Gleichgewichtsreaktion mit dem Enzym E zum aktivierten Komplex A*. Dieser reagiert langsam unter Freisetzung von E zum Produkt P ab: k1  k 2 A þ E !A ! P þ E: k 1

ð3:1:3



ð3:1:3



Voraussetzungen: * * *

E0 ¼ E þ A  A0 ¼ A þ P þ A  A þ P dA =dt  0.

Daraus ergeben sich die Differentialgleichungen: P_ ¼ k2  A A_  ¼ k  A  E 1

k

1

 A

k2  A ¼ 0

257

258

3 Verfahrensunterlagen

Nach Umformen erha¨lt man: P_ ¼

A_ ¼ k2  E0 

A , Km þ A

ð3:1:3

10Þ

mit der Michaelis-Menten-Konstanten Km ¼ ðk 1 þ k2 Þ=k1 . Die Kinetik weist also einen hemmenden Term im Nenner auf. Je nach Grenzfall kann man diese Kinetik durch ein Geschwindigkeitsgesetz pseudo 1. Ordnung oder pseudo O. Ordnung approximieren:   k 2  E0  A1 Km

Fall 1 : A > Km ! P_ ¼

A_ ¼ ðk2  E0 Þ  A0 :

ð3:1:3

11Þ

ð3:1:3

12Þ

Auf der Basis der ermittelten Kinetik kann man nun die Reaktorauswahl (Idealrohr oder konti. Kessel) treffen (s. Kap. 2.2.1.1): Idealrohr (Gl. (2.2-13)): 0¼

u

@A @x

k2  E 0 

A : Km þ A

ð3:1:3

13Þ

Integration dieser Differentialgleichung und Auflo¨sen nach der Verweilzeit s ergibt sich: sRohr ¼

 1  A0 k 2  E0

A

Km  ln

 A : A0

ð3:1:3

14Þ

ð3:1:3

15Þ

ð3:1:3

16Þ

Idealer kontinuierlicher Ru¨hrkessel (Gl. (2.2-8)): A_ ¼

A0

A s

¼

k2  E0 

A Km þ A

Auflo¨sung nach der Verweilzeit s ergibt: sKessel ¼

ðA0

AÞ  ðKm þ AÞ : k2  E0  A

Das Verha¨ltnis der Verweilzeiten F ¼ sRohr =sKessel ist immer kleiner als eins, so dass aus reaktionstechnischer Sicht ein Rohrreaktor bevorzugt wa¨re (Abb. 3.1.3-3).

¨ hnliche Reaktionskinetiken wie in Beispiel 3.1.3-1 mit einem hemmenden Term im A Nenner findet man auch bei heterogen katalysierten Reaktionen (Kap. 2.1.3.4) und solche mit einem Beschleunigungsterm bei autokatalytischen Reaktionen, z. B. der Esterhydrolyse [Krammer 1999] (s. Beispiel 3.1.3-2).

3.1 Chemische Daten

Abb. 3.1.3-3 Verh€altnis F der Verweilzeiten von Rohr/Kessel (Gl. (3.1.3-14 und 16) als Funktion der Konzentration des Substrates A f€ ur das Beispiel: k1 ¼ k 1 ¼ 1; k2 ¼ 0,1; A0 ¼ 1.

Beispiel 3.1.3-2 Die Hydrolyse von Ethylacetat (E) in heißem Hochdruckwasser ist eine typische autokatalytische Reaktion, da die aus der produzierten Essigsa¨ure (HAc) gebildeten H+-Ionen nach dem Reaktionsstart die Verseifung katalysieren. Nach Krammer [Krammer 1999] gilt folgender Mechanismus: K

2 EHþ ; K2 ¼ E þ Hþ !

EHþ E  Hþ

K

3 HAc þ EtOH þ H3 Oþ EHþ þ 2 H2 O !

K

A Hþ þ Ac ; KA ¼ HAc !

ð3:1:3

17Þ

Hþ2 HAc

Da die Abreaktionsgeschwindigkeit von E durch den langsamsten Schritt bestimmt wird, gilt in guter Na¨herung: rV ¼

dE ¼ k3  EHþ  H2 O2 : dt

ð3:1:3

18Þ

ð3:1:3

19Þ

Einsetzen der Gleichgewichtskonstanten (Gl.(3.1.3.17) ) K2 und KA liefert: pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffi dE ¼ k3  K2  H2 O2  KA  E  E0 E : dt

259

260

3 Verfahrensunterlagen

Abb. 3.1.3-4 Konzentrationsverlauf der Verseifung von Essigester in heißem Hochdruckwasser (E0 ¼ 1, const. ¼ 1) [Krammer 1999].

Diese Differentialgleichung la¨sst sich durch Trennung der Variablen leicht geschlossen lo¨sen: "

E ¼ E0  1

( pffiffiffiffiffi )2 # const:  E0 t tanh 2

ð3:1:3

20Þ

pffiffiffiffiffiffi mit const: ¼ k3  K2  H2 O2  KA . Die Abb. 3.1.3-4 zeigt die fu¨r autokatalytische Reaktionen typische S-fo¨rmige Kurve.

Noch komplexer wird die Situation, wenn nicht nur ein Produkt gebildet wird, sondern sich Nebenprodukte bilden [Lintz 1999]. Das prinzipielle Vorgehen bei der Aufstellung der kinetischen Gleichungen ist im Folgenden wiedergegeben: Fu¨r eine allgemeine Reaktion entsprechend Gl. (3.1.2-6) ist die absolute Gesamtreaktionsgeschwindigkeit r gleich: r¼

1 r: mi i

ð3:1:3

21Þ

Wenn die Edukte (mi < 0) bzw. Produkte (mi > 0) in mehr als einer Reaktion vorkommen (j-Reaktionen mit j ¼ 1 bis N), so gilt fu¨r die Stoffmengena¨nderungsgeschwindigkeit der i-ten Komponente: ri ¼

N X j¼1

vij  rij ¼ mi  r;

ð3:1:3

22Þ

3.1 Chemische Daten

wobei vij die Matrix der sto¨chiometrischen Koeffizienten ist [Santacesaria 1997]. Die Propylenoxidation an einem Mischoxid-Katalysator soll als ein Beispiel fu¨r die kinetische Analyse eines Reaktionsnetzwerkes dienen [Ko¨nig 1998]. Beispiel 3.1.3-3 Die Abb. 3.1.3-5 gibt den angenommenen Reaktionsmechanismus wider. Es liegen vier unabha¨ngige chemische Reaktionen (j ¼ 1 bis N mit N ¼ 4) vor: kC3H6

1:Þ 1  C3 H6 þ 2  ½OŠ 2:Þ 1  O2 þ 2  ½ Š

! 1  C3 H4 O þ 1  H2 O þ 2  ½ Š

kO2

! 2  ½OŠ

3:Þ 1  C3 H6 þ 4,5  O2 4:Þ 1  C3 H4 O þ 7  ½OŠ

k1CO2

ð3:1:3

23Þ

ð3:1:3

24Þ

! 3  CO2 þ 3  H2 O

k2CO2

! 3  CO2  H2 O þ 7  ½ Š

die man wie folgt modellieren kann [Ko¨nig 1998]: r1 ¼ kC3H6  ½OŠ  C3 H6 r2 ¼ kO2  ð1

½OŠÞ  O2

r3 ¼ k1CO2  ð1

½OŠÞ  C3 H6  O2 : C3 H4 O r4 ¼ k2CO2  ½OŠ  C3 H6

Wir stellen entsprechend Gl. (3.1.3-22) die Matrix der sto¨chiometrischen Koeffizienten auf: j

iR

Q

C3 H6

1

1

2

0

2

0

2

3

1

4

0

[O]

O2

C3H4O

CO2

H2O

[]

1

0

1

2

1

0

0

0

2

0

4,5

0

3

3

0

7

0

1

3

2

7

Abb. 3.1.3-5 Reaktionsmechanismus der Propylenoxidation an einem Mischoxid-Katalysator. Mit [O] bzw. [ ] werden die aktiven Sauerstoffspezies bzw. Sauerstoff-Leerstellen des Mischoxid-Katalysators bezeichnet [Moro 1993].

261

262

3 Verfahrensunterlagen

Daraus ergeben sich die Geschwindigkeitsgleichungen aller Edukte und Produkte zu: _ ¼3r þ3r CO 2 3 4 _ ¼ 1r 4,5  r O 2

2

_ ¼ 1r C3 H 6 1 _ O¼1r C H 3

4

1

3

1  r3

ð3:1:3

25Þ

1  r4

Dieses System gekoppelter Differentialgleichungen la¨sst sich nur nummerisch lo¨sen. Die Parameter (¼ Geschwindigkeitskonstanten) sind an die im Rohrreaktor ermittelten Konzentrations/Zeit-Kurven iterativ anzupassen. Die muss fu¨r jeden Katalysatortyp individuell durchgefu¨hrt werden. In Abb. 3.1.3.-6 sind beispielhaft fu¨r einen typischen Acrolein-Katalysator die simulierten Konzentrations/Zeit-Verla¨ufe aller Reaktanten wiedergegeben. In einem weiteren Beispiel ist ein einfaches Reaktionsnetzwerk aus Folge- und Parallelreaktionen 1. Ordnung wiedergegeben. Mit diesem einfachen Netzwerk-Modell la¨sst sich z. B. die technisch wichtige Reaktionsklasse der Partialoxidationen oft gut beschreiben.

Abb. 3.1.3-6 Konzentrations/Raumzeit-Verl€aufe bei 400 8C der Edukte Propen und Sauerstoff sowie der Produkte Acrolein und Kohlendioxid f€ur einen vorgegebenen Satz von Geschwindigkeitskonstanten (kC3H6 ¼ 3,94 cm3 g 1 s 1 ; kO2 ¼ 16,0 cm3 g 1 s 1 ; k1CO2 ¼ 0,38 cm3 g 1 s 1 ; k2CO2 ¼ 0,14 cm3 g 1 s 1 ), die f€ ur den betrachteten typischen Acrolein-Katalysator individuell an Messungen angepasst wurden. Anstelle der Verweilzeit wurde die auf die Katalysatormasse bezogene Raumzeit [mkat =ðgÞ  V_ =ðcm3 s 1 Þ] verwendet. Diese Simulation erfolgte f€ ur einen station€aren Sauerstoffbedeckungsgrad von ½OŠ ¼ 0,82.

3.1 Chemische Daten

Beispiel 3.1.3-4 Das Ausgangsprodukt A reagiert nicht nur zum Produkt P sondern [Fitzer 1975]: a) in einer Parallelreaktion zu dem unerwu¨nschten Nebenprodukt Y bzw. b) in einer Folgereaktion zu dem unerwu¨nschten Folgeprodukt X: k1

k2

A !P !X k

ð3:1:3

:

26Þ

3 A ! Y

a) Parallelreaktion erster Ordnung ¨ nderung der Eduktkonzentration A gilt mit der vereinfachten Schreibweise Fu¨r die zeitliche A dcA =dt ¼ A_ : A_ ¼

ðk1 þ k3 Þ  A

ð3:1:3

27Þ

ð3:1:3

28Þ

ð3:1:3

29Þ

ð3:1:3

30Þ

ð3:1:3

31Þ

ð3:1:3

32Þ

ð3:1:3

33Þ

ð3:1:3

34Þ

mit Aðt ¼ 0Þ ¼ A0 erha¨lt man nach Integration: A ¼ A0  exp



ðk1 þ k3 Þ  t :

Fu¨r das Wertprodukt P erha¨lt man: P_ ¼ k1  A: Die Integration liefert mit Pðt ¼ 0Þ ¼ P0 : P ¼ P0 þ

k1  A0  f1 ðk1 þ k3 Þ

exp ½ ðk1 þ k3 Þ  tŠg:

Entsprechendes gilt fu¨r Y.

b) Folgereaktion erster Ordnung Hierfu¨r lauten die drei simultanen Differentialgleichungen: A_ ¼ k1  A P_ ¼ k1  A k2  P X_ ¼ k  P: 2

Deren Integration ergibt, wenn P0 ¼ X0 ¼ 0 und k1 6¼ k2 ist: A ¼ A0  exp ð k1  tÞ P¼

k1  A0  exp ð k2  tÞ k1 k2

 X ¼ A0  1 þ

k1 k2

k1

exp ð k1  tÞ

 exp ð k2  tÞ



k2 k2

k1

  exp ð k1  tÞ :

263

264

3 Verfahrensunterlagen

c) Kombinierte Folge- und Parallelreaktion Mit dem Differentialgleichungssystem: A_ ¼ ðk1 þ k3 Þ  A P_ ¼ k1  A k2  P X_ ¼ k2  P Y_ ¼ k3  A

ð3:1:3

35Þ

ð3:1:3

36Þ

ð3:1:3

37Þ

ergibt sich als Lo¨sung: A ¼ A0  exp P¼



ðk1 þ k3 Þ  t

k1  A 0  exp ð k2  tÞ ðk1 þ k3 k2 Þ

 k1  A0  1 X¼ ðk1 þ k3 Þ



k3  A0  1 k1 þ k3

exp ð ðk1 þ k3 Þ  tÞ

exp ð k2  tÞ  ½k1 þ k3 k1 þ k3 k2

exp





ðk1 þ k3 Þ  t :



k2  exp ð ðk1 þ k3

k2 Þ  tފ



ð3:1:3

38Þ

ð3:1:3

39Þ

Die Abb. 3.1.3-7 zeigt den Verlauf der Reaktantkonzentrationen fu¨r den Fall einer einfachen Folge- und Parallelreaktion (Gl. (3.1.3-26)).

Abb. 3.1.3-7 Verlauf der Reaktantkonzentrationen A, P, X, und Y f€ ur eine einfache Folge- und Parallelreaktion (Gl. (3.1.3-36 bis 39)) mit den Werten: k1 ¼ 1; k2 ¼ 0,4; k3 ¼ 0,3 und A0 ¼ 1.

3.1 Chemische Daten

3.1.4

Selektivita¨t und Umsatz als Funktion der Prozessparameter

Mit Hilfe der Kinetik kann der Reaktor dimensioniert werden (Kap. 2.2). Andere wichtige Gro¨ßen, welche die Wirtschaftlichkeit des gesamten Verfahrens nachhaltig beeinflussen, sind die Selektivita¨t und der Umsatz. Bei Kenntnis der Kinetik ko¨nnen beide Gro¨ßen optimiert und damit die Ausbeute (¼ Selektivita¨t mal Umsatz) maximiert werden. Zuna¨chst mu¨ssen wir diese Gro¨ßen definieren. Betrachten wir die Reaktion der Edukte A und B zum Produkt P: € berschussÞ ! m P mA A þ B ðim st€ochiometrischen U P

ð3:1:4



Der Umsatz UA ist definiert als die umgesetzte Stoffmenge des Eduktes A (welches untersto¨chiometrisch vorliegt) bezogen auf die eingesetzte Stoffmenge: UA ¼

n0A

nA n0A

:

ð3:1:4



Die sog. integrale Selektivita¨t I SP bzgl. des Produktes P (oft nur Selektivita¨t genannt) ist definiert als die gebildete Stoffmenge (hier P) bezogen auf die umgesetzte Menge des Eduktes (hier A) dividiert durch die sto¨chiometrischen Koeffizienten: I

SP ¼

ðn0A

nP =mP : nA Þ=mA

ð3:1:4



Diese ist abha¨ngig von den Prozessbedingungen wie T, P, Konz., von der Art des Katalysators und vom Umsatz: I

SP fðT; P; Konz:Þ; ðKatalysatorÞ; ðUmsatzÞg:

ð3:1:4



Die sog. differentielle (augenblickliche) Selektivita¨t D SP ist u¨ber das Verha¨ltnis der Reaktionsgeschwindigkeiten der Bildung von P und dem Zerfall von A definiert: D

SP ¼

rP : rA

ð3:1:4



Beide, integrale und differentielle Selektivita¨t, ko¨nnen ineinander umgerechnet werden: I

1  SP ¼ Ue

U ðe

D

SP ðUÞ  dU;

ð3:1:4



0

wobei Ue der erreichte Endumsatz im Integralreaktor darstellt. Experimente im Integralreaktor liefern I SP -Werte; Experimente im kontinuierlichen Ru¨hrkessel D SP -Werte. Wir wollen dies wieder am Beispiel eines einfachen Reaktionsnetzwerkes von Folge- und Parallelreaktion zeigen.

265

266

3 Verfahrensunterlagen

Beispiel 3.1.4-1 Fu¨r das folgende Dreiecksschema erster Ordnung: k

k

1 2 A ! P ! X

ð3:1:4

k3



A !X lauten die Differentialgleichungen in vereinfachter Schreibweise (cA ¼ A, dcA =dt ¼ A_ usw.): A_ ¼ k1  A k3  A P_ ¼ þk1  A k2  P X_ ¼ þk2  P þ k3  A

ð3:1:4



ð3:1:4



mit den Lo¨sungen: A ¼ A0  exp P¼





ðk1 þ k3 Þ  t

k1  A 0  exp ð k2  tÞ ðk1 þ k3 k2 Þ A0 ðk1 þ k3

k2 Þ

exp ð ðk1 þ k3 Š  t g

k2  t þ ðk3  k1  exp

k2 Þ  exp



ð3:1:4

ðk1 þ k3 Þ  t

ð3:1:4

10Þ

11Þ

Die Abb. 3.1.4-1 zeigt den Verlauf der Reaktantenkonzentration.

Abb. 3.1.4-1 Qualitativer Verlauf der Reaktantkonzentrationen A, P und X f€ ur ein einfaches Reaktionsnetzwerk (Gl. (3.1.4-7 und Gl. (3.1.4-9 bis -11) mit k1 ¼ 1; k2 ¼ 0,4; k3 ¼ 0,3 und A0 ¼ 1.

3.1 Chemische Daten

Differentielle Selektivita¨t Aus der Definitionsgleichung (3.1.4-5) folgt: D

SP ¼

r1 r2 k1  A k2  P : ¼ ðk1 þ k3 Þ  A r1 þ r3

ð3:1:4

Nach Einfu¨hrung der Gl. (3.1.4-9) und (3.1.4-10) sowie des Umsatzes U ¼ ðA0 bzw. t ¼ ln ð1 UÞ/ðk1 þ k3 Þ folgt: D

SP ¼

k1 ðk1 þ k3 Þ  ðk1 þ k3

k2 Þ

  k1 þ k3

k2  ð1



k1 þk3 k2 k1 þk3



:

12Þ AÞ/A0

ð3:1:4

13Þ

ð3:1:4

14Þ

ð3:1:4

15Þ

ð3:1:4

16Þ

Eine Grenzwertbetrachtung liefert: a) k2 ! 0 (reine Parallelreaktion): lim D SP ¼

k2 !0

k1 : k1 þ k3

b) k3 ! 0 (reine Folgereaktion): D

lim SP ¼

k2 k1 k1

k2  ð1 UÞ k1 k2

k1

k3 !0

:

c) U ! 0 (Grenzselektivita¨t): lim D SP ¼

U!0

k1 k1 þ k3

Die Abb. 3.1.4-2 zeigt den qualitativen Verlauf der differentiellen Selektivita¨t als Funktion des Umsatzes. Integrale Selektivita¨t Aus der Definitionsgleichung (3.1.4-3) ergibt sich mit den Gln. (3.1.4-9 und 10) sowie der Umsatzdefinition: I

I

SP ¼

Pe A0

Ae

¼

1 k1  Ue ðk1 þ k3

k2 Þ

 ð1

k2

Ue Þk1 þk3

ð1

Ue Þg:

ð3:1:4

17Þ

SP kann auch mit Hilfe von Gl. (3.1.4-6) aus D SP ausgerechnet werden: I

1 SP ¼  Ue

Ue ð 0

k1 ðk1 þ k3 Þ  ðk1 þ k3

k2 Þ

  k1 þ k3

k2  ð1



k1 þk3 k2 k1 þk3



 dU:

ð3:1:4

18Þ

267

268

3 Verfahrensunterlagen

Abb. 3.1.4-2 Differentielle Selektivit€at D SP als Funktion des Umsatzes U (Gl. (3.1.4-13)) f€ ur die zwei F€alle: dicke Kurve: k1 ¼ 1; k2 ¼ 0,1; k3 ¼ 0,1 d€ unne Kurve: k1 ¼ 1; k2 ¼ 0,4; k3 ¼ 0,6.

Eine Grenzwertbetrachtung liefert: a) k2 ! 0 (reine Parallelreaktion): lim I SP ¼

k2 !0

k1 : k1 þ k3

b) k3 ! 0 (reine Folgereaktion):  k2 1 k1 I   ð1 Ue Þk1 lim SP ¼ Ue k1 k2 k3 !0

ð1



Ue Þ :

ð3:1:5

19Þ

ð3:1:4

20Þ

ð3:1:4

21Þ

c) U ! 0 (Grenzselektivita¨t): lim I SP ¼

U!0

k1 : k1 þ k3

Die Abb. 3.1.4-3 zeigt den Verlauf der integralen Selektivita¨t als Funktion des Umsatzes.

3.2 Massenbilanz

Abb. 3.1.4-3 Verlauf der integralen Selektivit€at I SP bzw. der Ausbeute A in Abh€angigkeit vom erreichten Endumsatz Ue . (Gl. (3.1.4-17)): dicke Kurve: k1 ¼ 1; k2 ¼ 0,1; k3 ¼ 0,1 und d€ unne Kurve: k1 ¼ 1; k2 ¼ 0,4; k3 ¼ 0,6.

3.2

Massenbilanz Die wichtigsten Informationen u¨ber einen neuen Prozess fließen in die Massenbilanz ein. Daher sollte mo¨glicht fru¨h ein Mengenschema auf der Basis des ersten groben Fließschemas erstellt werden. Es ist zweckma¨ßig, sie fu¨r eine Masseneinheit Endprodukt aufzustellen. Unter Beru¨cksichtigung von Umsatz und Ausbeute erha¨lt man Angaben u¨ber die Rohstoffmengen, die Stoffstro¨me zwischen Reaktions- und Trennteil und u¨ber die anfallenden Nebenprodukte. Die Grundlage der Massenbilanz ist das Massenerhaltungsgesetz. Fu¨r jeden Teilbereich des Fließbildes (Reaktor, Separator, Mischer u. a.) gilt hinsichtlich der Gesamtmengen und der chemischen Elemente, dass die Summe der eintretenden gleich der Summe der austretenden Mengen ist [Denk 1996]. Das folgende einfache Beispiel soll das prinzipielle Vorgehen wiedergeben. Beispiel 3.2-1 Das Edukt A wird im Reaktor R (Abb. 3.2-1) mit 100 % Selektivita¨t und 50 % Umsatz in das Produkt P umgesetzt. In der nachfolgenden Trenn-Unit wird das Produkt P quantitativ abgetrennt und das nichtumgesetzte Edukt A in den Mischer M zuru¨ckgefu¨hrt, wo es mit frischem Edukt A vermischt und dann dem Reaktor zugefu¨hrt wird. Mit der Gesamtbilanz ergeben sich somit die folgenden vier Bilanzra¨ume (I, II, III, IV).

269

270

3 Verfahrensunterlagen

Abb. 3.2-1

Blockfließbild.

Bilanzraum

Edukt A

I (Mischer)

n1A

þ

n5A

Produkt P ¼

n2A

n1P þ n5P ¼ n2P n2A þ n2P ¼ n3A þ n3P

II (Reaktor) n3A ¼ n4A þ n5A

III (Trenn-Unit)

n1A ¼ n4P

IV (Gesamtanlage) n1A bedeutet, n Mole h

n3P ¼ n4P þ n5P

1

des Stoffes A im Strom 1 (s. auch Abb. 3.2-1)

Daraus ergeben sich sechs Gleichungen mit 10 Variablen (n1A bis n5A und n1P bis n5P ), so dass (10 6) ¼ 4 Variablen vorgegeben werden mu¨ssen. Sinnvollerweise legen wir fest: Produktion: n4P ¼ 10 kmol h 1 Produktqualita¨t: n4A ¼ 0 kmol h 1 Trennleistung: n5P ¼ 0 kmol h 1 Bedingungen vor Reaktor: n2A ¼ 20 kmol h 1. Daraus ergibt 0 1 0 B0 1 B B0 1 B B1 0 B @0 0 0 0

sich das folgende lineare Gleichungssystem: 1 0 11 0 1 1 0 0 0 20 nA B n3 C B 20 C 0 0 1 1C C B A5 C B C B C B C 1 0 0 0C C  B nA1 C ¼ B 0 C C C B C 0 0 0 0C B B nP C B 10 C 2 A @ 0 1 1 0 nP A @ 0 A 0 0 0 1 10 n3P

ð3:2



3.3 Stoffdaten

mit der Lo¨sung: 0 11 0 1 10 nA B n3 C B 10 C B A5 C B C B n C B 10 C B A1 C ¼ B C: Bn C B 0 C B PC B C @ n2 A @ 0 A P 10 n3P

ð3:2



Damit lautet die Massenbilanz fu¨r unser Beispiel:

Strom-Nr. R

1

2

Stoff A/kmol h

1

3

4

5

10

20

10

0

10

Stoff P/kmol h

1

0

0

10

10

0

Summe/kmol h

1

10

20

20

10

10

3.3

Stoffdaten Die genaue Kenntnis der Stoffdaten hat in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung zugenommen [Fratzscher 1993]. Dies hat mehrere Gru¨nde: *

*

*

Durch den sta¨ndig steigenden Einsatz von Simulationsprogrammen werden die Anforderungen an exakte Stoffdaten immer wichtiger. Das Ergebnis einer Simulationsrechnung kann nur so gut sein wie die Qualita¨t der Stoffdaten. Die Beho¨rden verlangen bei der Genehmigung von chemischen Anlagen Auskunft u¨ber die Toxizita¨t, die Abbaubarkeit und die Sicherheitsdaten der beteiligten Stoffe [Streit 1991, Roth 1991]. ¨ ffentlichkeit mo¨chte in zunehmenden Maße Informationen u¨ber die AuswirDie O kung der gehandhabten Stoffe auf die Umwelt haben.

Am Anfang der Verfahrensentwicklung werden Stoffdatenordner (Rein-, Bina¨r- und Terna¨rdaten) angelegt. Die Stoffdatenordner wachsen mit fortschreitendem Entwicklungsstand und sind immer auf dem neusten Stand zu halten. Sie werden spa¨ter als Unterlage an die Planungsabteilung und den Anlagenbau weitergegeben. Viele Firmen unterhalten und pflegen heute jeweils eigene Stoffdatenbanken. Die dort gesammelten Daten sind bewertete Gro¨ßen und sollten sich beim Einsatz in der Praxis bewa¨hrt haben. Die Zeiten, dass in einer Firma zehn verschiedene Sa¨tze von ANTOINParameter (Gl. (3.3-3)) fu¨r Wasser zwischen 0 und 100 8C existieren, sollten vorbei ¨ berpru¨fung der wichsein. Letzten Endes ist eine experimentelle Bestimmung bzw. U tigsten Werte, auf denen eine ganze Anlagenauslegung beruht, unumga¨nglich. Es ist stra¨flicher Leichtsinn, sich auf Stoffdaten zu verlassen, von denen es in der Literatur nur eine einzige Quelle gibt.

271

272

3 Verfahrensunterlagen

3.3.1

Reinstoffdaten

Als Deckblatt fu¨r die einzelnen Kapitel der Reinstoffdatensammlung hat sich die in Tab. 3.3-1 dargestellte Form bewa¨hrt. In ihnen werden die als zuverla¨ssig bewerteten Daten niedergelegt. Nur diese fließen in die Rechenprogramme ein. Am Anfang der Verfahrensentwicklung wird man zuna¨chst die in der Literatur verfu¨gbaren Daten u¨ber einen Stoff zusammentragen ¨ kotox[Ullmann 3]. Die Einteilung in Tab. 3.3-2 in physikalisch-chemische Daten, O daten und Sicherheitsdaten hat sich bewa¨hrt:

Tab. 3.3-1 Wichtige Reinstoffdaten, die bei der Verfahrensentwicklung h€aufig ben€ otigt werden, am Beispiel der Acryls€aure [Ullmann 1, BASF 1987]. Produktname: Acrylsa¨ure CAS-Nr.

79-10-7

Summenformel

C3H4O2 1

Molmasse

kg kmol

Schmelzpunkt

8C

72,06 13,5

Siedepunkt

8C

141,0

8C

A ¼ 9,135 B ¼ 3245 C ¼ 216,4

ANTOINE Parameter ln (P/bar) ¼ A + B / (C + T/ 8C) Dampfdruck bei 20 8C

mbar

f€ ur 15 bis 140 8C

10

Verdampfungsw€arme

kJ kg

1

W€armekapazit€at

kJ kg

1

Dichte

kg m

3

Viskosit€at

mPa s

Bildungsw€arme

kJ mol

oberer Heizwert

kJ kg

1

19 095

Umwandlungsw€arme

kJ kg

1

1075

Schmelzw€arme

kJ kg

1

154

bei 13 8C

L€ oslichkeit in H2O

1

bei

L€ oslichkeit von H2O

1

bei

K

1

MAK-Wert Giftigkeit

633

bei Siedetemp.

1,93

fl€ ussig

1040

bei 30 8C

1,149

bei 25 8C

/ (Polymerisation)

/ mg kg

Wassergef€ahrdungsklasse Geruchsschwelle Flammpunkt

1

1

LD50 ¼ 340

rat, oral

1

schwach wassergef€ahrdend

stechend 8C

54

Z€ undtemperatur

8C

390

Explosionsgrenzen, untere Explosionsgrenzen, obere

Vol.-%

2,4 16

bei 47,5 8C bei 88,5 8C

3.3 Stoffdaten Tab. 3.3-2

€kotox- und Sicherheitsdaten. Einteilung der Reinstoffdaten in physikalisch chemische-, o

Allgemeine Angaben

Physikalisch-chemische Daten

Sicherheitsdaten (s. auch Anhang 8.15)

¨ kotoxdaten O

*

Produktname

*

Synonyme

*

Molmasse

*

CAS-Nummer

*

Siedepunkt

*

Schmelzpunkt

*

Dichte

*

Dampfdruck

*

Verdampfungsw€arme

*

W€armekapazit€at

*

Viskosit€at

*

Brechungsindex

*

Wasserl€oslichkeit

*

Wasseraufnahme

*

dielektrische Konstante

*

spez. Drehung

*

Umwandlungsw€armen

*

Flammpunkt

*

Explosionsgrenzen

*

Z€ undtemperatur

*

WGK (Wassergef€ahrdungsklasse)

*

€ber brennbare Fl€ VbF-Einteilung (Verordnung u ussigkeiten)

*

R-S€atze (Hinweise auf besondere Gefahren)

*

S-S€atze (Sicherheitsratschl€age)

*

LD50 (oral)

*

LD50 (skin)

*

LC50 (inhalativ – Gase, D€ampfe)

*

LC50 (inhalativ – Aerosole, St€aube)

*

MAK-Wert (maximale Arbeitsplatzkonzentration)

*

BSB5

*

CSB

3.3.2

Mischungsdaten

Phasengleichgewichte sind eine wesentliche Grundlage vieler Verfahrensschritte in chemischen Prozessen. Quantitative Angaben u¨ber diese Gleichgewichte und Daten u¨ber die beteiligten Stoffe bilden deshalb eine notwendige Voraussetzung fu¨r die Projektierung von Verfahren und die Auslegung von Apparaten. Die wichtigsten Bina¨rdaten sind Dampf/Flu¨ssig- und Flu¨ssig/Flu¨ssig-Gleichgewichte [Gmehling 1992].

273

274

3 Verfahrensunterlagen

Dampf/Flu¨ssig-Gleichgewichte kann man experimentell leicht messen und mathematisch gut beschreiben. Die allgemeine Beziehung fu¨r das Gleichgewicht zwischen einer flu¨ssigen Phase und einer idealen Gasphase lautet: yi ðxi ; TÞ ¼

ci ðxi ; TÞ  Pi0 ðTÞ  xi P

ð3:3



yi = Molenbruch der Komponente i in der Gasphase xi = Molenbruch der Komponente i in der flu¨ssigen Phase Pi0 ðTÞ = Sa¨ttigungsdruck der reinen Komponente i bei der Systemtemperatur T P = Dampfdruck der Mischung cI = Aktivita¨tskoeffizient der Komponente i in der Flu¨ssigphase.

Der Dampfdruck der reinen Komponente Pi0 kann im einfachsten Fall durch die CLAUSIUS-CLAPEYRON-Gleichung ausgedru¨ckt werden: DV Hi þ konst: RT

ln Pi0 ðTÞ ¼

ð3:3



Da die Verdampfungswa¨rme DV Hi aber nicht konstant ist, wird in der Praxis ha¨ufig der dreiparametrige Ansatz von ANTOINE verwendet, der auch u¨ber gro¨ßere Temperaturbereiche den Dampfdruck hinreichend genau beschreibt (Anhang 8-13): ln Pi0 ðTÞ ¼ Ai þ

Bi : Ci þ T

ð3:3



Die Verdampfungswa¨rme kann in einer groben Na¨herung nach der Pictet/TroutonRegel abgescha¨tzt werden: DV H=kJ kg

1



88=kJ kmol 1  Tsiede =K : M=kg kmol 1

ð3:3



Zur Darstellung des Aktivita¨tskoeffizienten ci stehen mehrere Modelle zur Verfu¨gung wie z. B. das WILSON-Modell, das fu¨r homogene Flu¨ssigkeitsgemische anwendbar ist, oder das NRTL-Modell, welches auch fu¨r Systeme mit Mischungslu¨cken geeignet ist [Prausnitz 1969, Gmehling 1977, Gmehling 1992]. Sind keine Stoffwerte in der Literatur auffindbar, was oft fu¨r bina¨re bzw. terna¨re Datensa¨tze gilt, so sind diese fu¨r die ersten Arbeiten durch empirische Formeln abzuscha¨tzen oder durch sinnvolle Werte zu erga¨nzen [Sandler 1999, Poling 2001].

3.5 Patent- und Lizenzsituation

3.4

Aufarbeitung Die Aufarbeitung (s. Kap. 2.3) ist stark an die chemische Reaktion gekoppelt. Solange ¨ nderungen im chemischen Bereich gibt (Katalysator, Lo¨sungses noch erhebliche A mittelwahl u. a.), hat es wenig Sinn, sich große Gedanken u¨ber die Aufarbeitung zu machen. Erst wenn das Reaktionsgemisch einigermaßen repra¨sentativ anfa¨llt, kann ein erstes Aufarbeitungskonzept erarbeitet werden (s. Kap. 4.2). Eine generelle Vorgehensweise gibt es hier nicht. Es ist mehr Kunst als Handwerk und lebt von Inspiration und Erfahrung. Bewa¨hrt hat sich hier immer noch, mo¨glichst viele erfahrene Fachleute um einen Tisch zu versammeln und regelma¨ßig u¨ber die Problematik zu diskutieren. Sinnvoll in diesem Zusammenhang ist das Abarbeiten eines heuristischen Regelwerkes, in dem die Erfahrungen aus fru¨heren Projekten systematisch zusammengefasst wurden (Kap. 4.2). Es gibt zwar heute erste Ansa¨tze, den kollektiven Sachverstand in Expertensysteme fu¨r Aufarbeitungsstrategien zu zwa¨ngen, diese sind aber von einer allgemeinen Anwendung noch weit entfernt. ¨ berlegungen steht ein Trennkonzept (Kap. 2.3.2.4), welches in die Am Ende dieser U einzelnen Unitoperations zerlegt werden kann. Diese einzelnen Units ko¨nnen im Labor zuna¨chst batchweise, aber auch kontinuierlich – falls genu¨gend Menge vorhanden – auf prinzipielle Machbarkeit hin u¨berpru¨ft werden (Azeotropbildung?, Trennaufwand?, Lo¨segeschwindigkeit?, Phasentrennung? usw.). Daraus ergibt sich ein erstes Verfahrenskonzept, auf dessen Grundlage mit der eigentlichen Verfahrensentwicklung begonnen werden kann.

3.5

Patent- und Lizenzsituation Ein Patent ist die Gewa¨hrung exklusiver Rechte fu¨r einen begrenzten Zeitraum (meist 20 Jahre) durch einen Staat im Austausch gegen die vero¨ffentlichte Beschreibung der Erfindung. Bedingungen fu¨r die Patentierbarkeit sind Neuheit und Erfindungsho¨he der Erfindung sowie die wirtschaftliche Anwendbarkeit. Ein Patent gibt das Recht, andere von der Nutzung der Erfindung auszuschließen, aber der Erfinder selbst braucht mo¨glicherweise zur Nutzung noch eine Genehmigung, z. B. die Zulassung fu¨r ein Medikament. Daher werden zuverla¨ssige Informationsquellen, die u¨ber den neuesten Stand der Patentliteratur, internationale Ma¨rkte und das Konkurrenzverhalten Auskunft geben, immer wichtiger [Boeters 1989, Cohausz 1993, Cohausz 1996, Fattore 1997, Hansen 1997, Hirsch 1995, Mu¨nch 1992, Reichel 1995, Ullmann 5]. Wenn ein Verfahren auf der Basis einer neuen Idee entwickelt werden soll, so ist sorgfa¨ltig zu recherchieren, ob eventuell fremde Schutzrechte beru¨hrt werden [Dietzsch 1996]. Die großen Chemiefirmen unterhalten eigene Patent- und Dokumentationsabteilungen, die solche Patentrecherchen professionell durchfu¨hren. Fu¨r kleinere Firmen besteht die Mo¨glichkeit in den deutschen Patentinformationszentren (in

275

276

3 Verfahrensunterlagen

allen gro¨ßeren Sta¨dten) Recherchen im Informationsverbund ONLINE $ CD-ROM $ Archiv durchzufu¨hren. Aber der Verfahrensentwickler kann heute selbst direkt vom Arbeitsplatz aus erste Patentinformationen schnell abfragen, denn rund 90 % des gesamten vero¨ffentlichten technischen Wissens ist in Patenten gespeichert. Jede Woche werden weltweit u¨ber 20 000 Patente publiziert, die juristische-, wirtschaftliche- und technische Informationen liefern. Einige Beispiele sind [Bio World 1997]: * *

* * * * *

CHEMICAL ABSTRACTS (gesamte Chemie) CAB INTERNATIONAL (Landwirtschaft, Biotechnologie, Forstwesen, Veterina¨rmedizin) MEDLINE (gesamte Medizin) PROMT (Predicasts Overview of Markets and Technology) PATDPA (Deutsches Patentamt) INPADOC (Europa¨isches Patentamt) WORLD PATENTS INDEX (Derwent).

In der Regel werden diese Informationsspeicher in Lizenz von Datenbankanbietern (sog. Hosts) wie beispielsweise DIMDI, ECHO, KNIGHT, RIDDER oder STN INTERNATIONAL den Benutzern zur Verfu¨gung gestellt. Folgende Recherchestrategien werden ha¨ufig angewendet [Walter 1997]: Technische Informationsrecherchen * Kurzrecherche zum ersten Einblick in den Stand der Technik * Vollrecherche fu ¨ r ausfu¨hrliche Berichte zum Stand der Technik Patentstatistische Konkurrenzanalyse * Entwicklungstrends in Technikgebieten * Anmeldeliste der Unternehmen im gefragten Bereich * Herkunfts- und Ziella ¨nder Namensrecherchen * National oder international * Erfinder, Anmelder ¨ berwachung U * Nach Patenklassen * Nach Firmennamen

Am gu¨nstigsten ist die Situation, wenn die Idee: * * *

vo¨llig neu unvorhersehbar und eine signifikante Verbesserung gegenu¨ber dem Stand der Technik darstellt

und damit eigene Patente eingereicht werden ko¨nnen, die eine uneingeschra¨nkte Nutzung gewa¨hrleisten (selten). Der entsprechende Sachbearbeiter formuliert dazu

3.5 Patent- und Lizenzsituation

seine Idee schriftlich und belegt sie mit einigen Laborexperimenten. Im Folgenden ist der prinzipielle Aufbau eines Patentdokumentes aufgezeigt: *

*

*

*

*

*

*

*

*

* *

Anmelder Name und Anschrift des Anmelders. Bei Firmen stehen hier Name und Anschrift des Unternehmens. Titel Kurzbezeichnung der Erfindung: „Verfahren zur Herstellung von … .“ Patentanspru¨che aufgeteilt in Hauptanspruch, Unter- und Nebenanspru¨che (sog. claims). Der Standardaufbau eines Hauptanspruches lautet schematisch: (…Stand der Technik…, dadurch gekennzeichnet, dass…Erfindung…, z. B. „Verfahren zur Herstellung von …, d. g. z., dass man…“) Der Hauptanspruch muss alle Merkmale enthalten, die die Erfindung in ihrem Kern ausmachen. Ein Nebenanspruch entha¨lt weitere unabha¨ngige Lo¨sungen fu¨r dieselbe technische Aufgabe wie der Hauptanspruch. Detailausgestaltungen und bevorzugte Ausfu¨hrungsformen werden in Unteranspru¨chen formuliert. Sie sind vom Hauptanspruch abha¨ngig. Beschreibung der Idee „Vorliegende Erfindung betrifft ein Verfahren zur Herstellung von…“. Diskussion zum Stand der Technik Kritische Auseinandersetzung mit der Literatur, die der Idee am na¨chsten kommen. Beliebt sind hier Floskeln wie: „Es ist allgemein bekannt …“ oder „Wie dem Fachmann allgemein bekannt ist, … .“ Kritik am Stand der Technik Was ist nachteilig am Stand der Technik? Erwa¨hnt werden nur die Nachteile, die mit der Erfindung beseitigt werden. Vorteile der Erfindung „…besonders vorteilhaft ist …“ Aufgabe und Lo¨sung zum Patentgegenstand Was ist neu an der eigenen Idee (Vorteile gegenu¨ber dem Stand der Technik)? Spezialbeschreibung der Idee Ausfu¨hrliche Beschreibung des neuen Verfahrens, Gera¨tes,…, auch z. B. anhand von Abbildungen und Tabellen. Versuchsbeispiele Zusammenfassung.

Im na¨chsten Schritt setzt er sich mit dem Patentsachbearbeiter zusammen, der diese so fixierte Idee in die „Patentsprache“ umsetzt [Mu¨nch 1992]. Danach wird diese Schrift u¨blicherweise zuerst beim Deutschen Patentamt eingereicht. Der Anmeldetag ist dann der Priorita¨tstag der Anmeldung. Innerhalb der Priorita¨tsfrist kann der Anmelder entscheiden, ob und wo er die Anmeldung im Ausland anmelden will. Normalerweise erfolgt eine Anmeldung beim europa¨ischen Patentamt (EPA). Wenn in dieser Patentanmeldung Deutschland (DE) als Vertragsstaat benannt wird, kann er die Anmeldung beim deutschen Patentamt fallen lassen. Erfindungen mu¨ssen in jedem Land patentiert sein, in dem sie geschu¨tzt sein sollen (Territoriali-

277

278

3 Verfahrensunterlagen

ta¨tsprinzip). Bei der Weiterleitung von Patentverfahren helfen u¨berstaatliche Organisationen wie das EPA in Mu¨nchen und die WIPO (World Intellectual Property Organization) in Genf. Nach 18 Monaten (ab Priorita¨tstag) wird die Anmeldung vom Europa¨ischen Patentamt offengelegt (Offenlegungsschrift oder patent application EP-A1-) und das Pru¨fungsverfahren (Bescheide, Erwiderungen, zusa¨tzliche Beispiele u. a.) eingeleitet. Der Anmeldung darf wa¨hrend des Pru¨fungsverfahrens nichts (keine neuen Erkenntnisse) hinzugefu¨gt werden. Es darf im Pru¨fungsverfahren nur aus und mit den Unterlagen argumentiert werden, die am Anmeldetag mit der Anmeldung eingereicht worden sind. Danach wird, wenn die Pru¨fung positiv ausgefallen ist, das Patent erteilt (Patentschrift oder patent specification EP-B1-). In den folgenden 9 Monaten kann die Konkurrenz gegen das Patent schriftlich beim Europa¨ischen Patentamt einsprechen. Manchmal ist es sinnvoll die Patentanmeldung so weit zu fassen, dass es den Wettbewerbern „das Wasser abgra¨bt“ oder sie zu Verhandlungen zwingt. Eine starke Patentsituation erleichtert auch Verhandlungen mit Wettbewerbern auf anderen Gebieten (quid pro quo). Der Wert einer Firma wird ferner wesentlich vom Wert eines starken Patentportfolios bestimmt, was bei Firmenka¨ufen eine wichtige Rolle spielen kann. Patentstreitigkeiten u¨ber industrial property rights vor Gericht ko¨nnen sehr schnell zu Streitwerten in zwei- und dreistelligen Millionenbetra¨gen fu¨hren (Beispiele: Metallocenkatalyse bei Polyolefinen, Essigsa¨uresynthese). Neben der Schutzfunktion entfalten Patentanmeldungen aber eine Informationswirkung fu¨r die Konkurrenz [Dolder 1991, Wirth 1994]. Es ist daher sorgfa¨ltig abzuwa¨gen, ob man eine Idee geheim halten will und auch kann oder ob man patentieren muss [Hayes 1994]. Das Risiko eines Verzichtes auf Patentieren eigener Kenntnisse kann vermindert werden, wenn man die patentrechtliche Neuheit der betreffenden Erkenntnisse durch eine entsprechende Publikation weltweit zersto¨rt. Dies kann im Rahmen einer Hauszeitschrift, eines „Technical Bulletin“ o. a. vorgenommen werden. Ist die Idee durch fremde Schutzrechte eingeschra¨nkt, so sind folgende Fragen zu beantworten: * * *

Wann laufen die fremden Schutzrechte aus? Wie ko¨nnen sie gegebenenfalls zu Fall gebracht werden? Wie ko¨nnen sie durch Modifikation umgangen werden?

Wenn die Idee durch fremde Schutzrechte voll vorbeschrieben ist, so bleibt nur der Weg Lizenzverhandlungen aufzunehmen. Eine Verfahrensentwicklung sollte normalerweise erst nach Kla¨rung der juristischen Voraussetzungen aufgenommen werden.

3.6 Entwicklungskosten

3.6

Entwicklungskosten Ha¨ufig erreichen die Entwicklungskosten einen beachtlichen Anteil an den Gesamtkosten eines Projektes. Die Gesamtkosten fu¨r die Entwicklung eines vo¨llig neuen Verfahrensweges liegen oft in der Gro¨ßenordnung von 50 % des Investitionsbetrages fu¨r die technische Anlage, und dies auch nur unter der Voraussetzung, dass keine Pilotanlage gebaut werden muss. Daher sollten diese Kosten vor dem Beginn der Verfahrensentwicklung nach folgendem Schema, welches nur die wichtigsten Punkte entha¨lt, abgescha¨tzt werden: *

*

*

Mannjahre Wie viele Chemiker und Ingenieure werden wie lange am Projekt bescha¨ftigt sein? Die Kosten eines Sachbearbeiters fu¨r die einzelnen Untersuchungen sind in den Unternehmen bekannt. Erstellungskosten Fu¨r die Ermittlung der Erstellungskosten einer Technikumsanlage (Miniplant, s. Kap. 4.4) genu¨gt eine rohe Scha¨tzung, da dieser Kostenblock normalerweise den kleinsten Anteil an den Entwicklungskosten einnimmt. Wenn schon eine Vorstellung u¨ber das Verfahren vorliegt (grobes Verfahrensfließbild), so ko¨nnen die Kosten mit genu¨gender Genauigkeit ermittelt werden. Betriebskosten Die Betriebskosten ko¨nnen aus der angenommenen Entwicklungszeit und dem erforderlichen Betreuungspersonal (Schichtpersonal) abgescha¨tzt werden. Eine Faustregel besagt, dass der Betrieb einer Versuchsanlage ja¨hrlich mindestens soviel kostet, wie die Erstellung gekostet hat.

¨ nderungen und Schwieriger abzuscha¨tzen sind die ja¨hrlich beno¨tigten Gelder fu¨r A Reparaturen an der Versuchsanlage. Sie ha¨ngen im wesentlichen davon ab, ob neue oder schon bewa¨hrte Technologien zum Einsatz kommen. Die so ermittelten Entwicklungskosten enthalten keine Anteile fu¨r nicht direkt an der Entwicklung beteiligte Stellen wie Management oder Patentsachbearbeiter. Auch erfolglose Entwicklungen sind nicht beru¨cksichtigt. Trotzdem erscheint es sinnvoll, die unmittelbaren Entwicklungskosten auf das Produkt zu beziehen und die sonstigen Forschungs- und Entwicklungskosten anderweitig zu beru¨cksichtigen, z. B. u¨ber einen Gemeinkostenzuschlag (Kap. 6). Auf diese Weise wird zwar nur der Teil der Entwicklungskosten erfasst, der zum Erfolg gefu¨hrt hat, andererseits ist aber die Belastung des Produktes relativ hoch, wenn die gesamten Entwicklungskosten der Erstanlage zugeordnet werden. Neben einer guten Kostenplanung ist ein gutes Zeitmanagement wettbewerbsentscheidend. Ein halbes oder ganzes Jahr schneller am Markt zu sein als der Wettbewerber kann sehr wohl ho¨here Entwicklungskosten rechtfertigen.

279

280

3 Verfahrensunterlagen

3.7

Standort Die Hauptwettbewerbsvorteile wie Preis und Verfu¨gbarkeit werden heute nicht selten durch den Standort bestimmt, an dem die Anlage produzieren soll [Hopp 1990]. Die Herstellung der großen Grundchemikalien wie z. B. Methanol u. a. wird heute immer ¨ lla¨nder verlagert. Die Produkte, deren Herstellung ein großes Knowmehr in die O how erfordert, sind standortunabha¨ngiger und werden auch in Zukunft weiter in den Industriestaaten produziert werden. Extremfa¨lle, in denen die juristischen Rahmenbedingungen die Standortfrage entscheiden, sind heute auf dem Gebiet der Gentechnologie bekannt. Bei der Standortwahl sollten folgende Punkte beachtet werden: * * * * * *

*

*

*

*

*

Na¨he zum Absatzmarkt Na¨he zu den Rohstoffen bzw. den Vorprodukten Art und Menge des Produktes Transportmo¨glichkeiten (Schiff, Bahn, Straße) Qualita¨t der Arbeitskra¨fte, Personalkosten Energiesituation (Bereitstellungsmo¨glichkeiten fu¨r Energietra¨ger wie Erdgas, Heizdampf, Gebrauchs- und Ku¨hlwasser; Nutzung der Prozesswa¨rme; Kopplung von elektrischer Energie und Dampfenergie) Spezifische Standortsituation (klimatische Verha¨ltnisse, optimale Einbindung in die Verbundstruktur und Nutzung von Synergien, z. B. Verwendung von Nebenprodukten und Prozesswa¨rme) ¨ l- oder Gaskraftwerke, die synergistisch als VerEntsorgungslogistik (Kla¨ranlage; O brennungsanlage mitgenutzt werden ko¨nnen u. a.) Politische Rahmenbedingungen (Steuern, Investitionshilfen bzw. Fo¨rdermaßnahmen der o¨ffentlichen Hand, Genehmigungssituation) Wirtschaftliche Rahmenbedingungen (Lohnniveau, Wochenarbeitszeit, Urlaubsregelungen u. a.) Gesellschaftliche Rahmenbedingungen (kritische Haltung der Bevo¨lkerung gegen¨ bersa¨ttigung der Grundbedu¨rfu¨ber neuen Technologien, bedingt durch eine „U nisse“, Streikbereitschaft u. a.).

3.8

Marktsituation Alle durch die Verfahrensentwicklung erarbeiteten Wettbewerbsvorteile sollten letztendlich dem Markt mit seinen Kunden zugute kommen. Daher ist ohne eine genaue Kenntnis dieses Marktes keine zielgerichtete Verfahrensentwicklung mo¨glich. Die Marktsituation wird u¨blicherweise von eigenen Marketing-Abteilungen eruiert. Marketing ist die Ausrichtung des Unternehmens auf den Markt mit seinen Kunden; in Kurzform: „Marketing ist im Kopf des Kunden denken“. Dadurch wird das Unterneh-

3.8 Marktsituation

men systematisch mit seiner Umwelt verbunden. Das Hauptziel dabei ist die Gewinnmaximierung. Folgende Informationen sind notwendig, um Basisdaten fu¨r eine Produktionsplanung (Anlagengro¨ße, maximale Herstellkosten) zu erhalten: * * * *

* *

Marktpreis (zeitliche Entwicklung und Schwankungen) Bedarf, differenziert in Eigen- und Fremdbedarf Marktwachstum (Bedrohung durch neue Technologien?) Auslastung der bestehenden Anlagen, differenziert nach Standorten (USA, Westeuropa, Japan, China u. a.) und Herstellverfahren Konkurrenzsituation (gro¨ßter Konkurrent?) Kundensituation (viele Kleine und wenige Große?).

Die Frage, ob sich eine Verfahrensentwicklung bzw. Verfahrensverbesserung fu¨r ein Produkt lohnt, la¨sst sich u¨bersichtlich z. B. an einer Portfolio-Darstellung analysieren (Abb. 3.8-1).

Abb. 3.8-1 Portfolio-Matrix [Dichtl 1987]. * Sleeping-Dog Hier sind Problemprodukte versammelt, die aufgrund ihres niedrigen Marktanteils eine schwache Wettbewerbsposition haben. Eine Verfahrensentwicklung lohnt sich hier nicht. * Cash Cow Hier sind Produkte mit zwar niedrigem Marktwachstum aber hohem relativen Marktanteil angesiedelt. Die erwirtschafteten Kostenvorteile sind auszusch€ opfen. Große Investitionen in Verfahrensverbesserungen sind nicht sinnvoll. Die entsprechenden Produkte sollten vielmehr „gemolken“ werden. Der erwirtschaftete Cash-Flow sollte zur Unterst€ utzung der Starprodukte genutzt werden. € berleben der Firma * Stars Alle Anstrengungen sind auf diese Produkte zu konzentrieren, da sie das U langfristig sichern. * Question Mark Hier steht das Unternehmen vor der Entscheidung, den Marktanteil f€ ur das Produkt zu erh€ ohen (R Star) oder wegen zu geringer Chancen aus diesem Gesch€aft auszusteigen.

281

282

3 Verfahrensunterlagen

Die Portfolio-Analyse ist ein Instrument der strategischen Planung und dient dazu, die Forschungsinvestitionen auf solche Produkte zu lenken, bei denen die Marktaussichten gu¨nstig erscheinen und Wettbewerbsvorteile genutzt werden ko¨nnen [Dichtl 1987].

3.9

Rohstoffe Die Rohstoffe, ihre Verfu¨gbarkeit und Preisstruktur (s. Tab. 6.1-3a und b) haben zu jeder Zeit die technologische Basis und damit den Auf- und Ausbau der industriellen Chemie entscheidend mit gestaltet. In der chemischen Industrie werden aus wenigen anorganischen und organischen Rohstoffen eine Vielzahl von Produkten hergestellt. Ausgehend von den z. Z. wichtigsten organischen Chemierohstoffen Erdgas und Erdo¨l und den wichtigsten anorganischen Rohstoffen Luft, Wasser, Kochsalz und Schwefel werden die Basischemikalien Synthesegas (CO/H2-Gemisch), Acetylen, Ethylen, Propylen, Benzol, Ammoniak, Schwefelsa¨ure u. a. hergestellt, aus denen wiederum die Zwischenprodukte wie Methanol, Styrol, Harnstoff, Ethylenoxid, Essigsa¨ure, ¨ nderung Acrylsa¨ure, Cyclohexan u. a. produziert werden (Abb. 1-2) (Tab. 3.9-3). Jede A in Preis und Verfu¨gbarkeit der Rohstoffe muss daher die Herstellverfahren fu¨r die Folgeprodukte besonders treffen. Die genauen Einkaufspreise (Transferpreise) mu¨ssen zu jeder Zeit in einem chemischen Betrieb abrufbar sein und auf dem neuesten Stand gehalten werden. Sie sind eine wichtige Informationsquelle fu¨r die Beurteilung der Herstellkosten. Außer dem Preis sind die Verfu¨gbarkeit und die Qualita¨t (Reinheit, Lieferform) fu¨r die potenziellen Rohstoffe zu ermitteln. Die Entscheidung fu¨r einen bestimmten Rohstoff kann nie allgemeingu¨ltig getroffen werden, sondern ha¨ngt von der Verfu¨gbarkeit am Standort und von der zeitlichen Entwicklung ab. Vom wichtigsten Chemierohstoff, dem Erdo¨l, werden heute ca. 3,6 Milliarden Tonnen in rund 600 Raffinerien weltweit aufgearbeitet. Aus Tabelle 3.9-1 geht hervor, dass die chemische Industrie nur ca. 7 % dieser Rohstoffquelle anzapft; der Lo¨wenanteil geht in die Bereiche Verkehr und Heizung. Da Erdo¨l ein komplexes Kohlenwasserstoffgemisch ist, kann es nur u¨ber Summenparameter oder Kennzahlen wie:

Tab. 3.9-1

Weltweiter Erd€ olverbrauch in Milliarden Tonnen. 1995

2000

2010

Verkehr

1,60

1,87

2,32

Heizung

1,22

1,27

1,43

Petrochemie

0,19 (¼ 6 %)

0,25 (¼ 7 %)

0,30 (¼ 7 %)

Gesamt

3,2

3,6

4,3

3.9 Rohstoffe *

* * *

Dichte (z. B. AIP density ¼ 141,5; q (15,5 8C) ¼ 131,5; AIP ¼ Am. Petroleum Institut) Siedepunkt, Siedeanalyse (TBP ¼ True Boiling Point) S-Gehalt (0,1 bis 7 %) Wachsgehalt (n-Alkane: 5 bis 7 %) u. a.

charakterisiert werden. Nach der destillativen Zerlegung des Erdo¨ls bei Normaldruck in: * * * * * *

Flu¨ssiggas (LPG: Propan, Butan) Leichtbenzin (LDF 3: leichtes Naphtha) Schwerbenzin (schweres Naphtha) Kerosin (Petroleum) Gaso¨l Atmospha¨renru¨ckstand (long residue)

Kp: < 20 8C Kp: 20…75 8C Kp: 75…175 8C Kp: 175…225 8C Kp: 225…350 8C Kp: > 350 8C

wird der Atmospha¨renru¨ckstand durch Vakuumdestillation (ca. 50 mbar) weiter aufgetrennt in: * * *

Vakuumgaso¨l schwere Vakuumdestillate Vakuumru¨ckstand (short residue).

Die fu¨r die chemische Industrie wichtigen petrochemischen Raffinerien verarbeiten diese Schnitte durch verschiedene chemische, vorwiegend katalytische Verfahren weiter in petrochemische Prima¨rprodukte (Grundchemikalien wie Olefine, Diolefine, Aromaten, Paraffine, Acetylen). Diese Veredlungsverfahren – Verschiebung des C/H-Verha¨ltnisses der Produkte – kann man prinzipiell einteilen in: Carbon-Out-Methoden (CnHm R Cn-xHm þ x C) * *

* *

*

*

Thermisches Cracken Visbreaking (interne Verschiebung des C/H-Verha¨ltnisses, rein thermischer Crackprozess, z. B. n-C12H26 R n-Hexen þ n-Hexan) Fluidcoking Delayed Coking (verscha¨rfter thermischer Crackprozess, heute in den USA noch weit verbreitet) Flexicoking (hat sich aus Kostengru¨nden nicht durchgesetzt, Renaissance in der Zukunft fu¨r Teersand denkbar) Catcracking (Catalytic Cracking an Zeolithen besitzt heute die gro¨ßte Bedeutung).

Hydrogen-In-Methoden (CnHm þ x H2 R CnHm + 2x) *

* *

Hydrocracking (spaltende Hydrierung bei hohem Druck und Temperatur, Heteroatomentfernung, vor allem S-Hydrierung zu H2S) Ru¨ckstandscracken H-Oil-Cracking,

um so das H/C-Verha¨ltnis (Tab. 3.9-2) zu steigern. 3 LDF ¼ Low density fuel.

283

284

3 Verfahrensunterlagen Tab. 3.9-2

H/C-Verh€altnis verschiedener Rohstoffklassen.

Erdgas

4

Aliphaten

2

Aromaten

1

Kohle

0

Tab. 3.9-3a 2000].

Weltbedarf an den wichtigsten organischen Grundchemikalien in Millionen Tonnen [Martino

1998

2010

Ethylen

80

120

Propylen

45

82

1-Buten

0,8

h€ ohere a-Olefine

1,4

1,0

2,2

Benzol

27

40

Toluol

13

21

p-Xylol

14

30

Tab. 3.9-3b

Preise f€ ur Energietr€ager sowie ausgew€ahlte Rohstoffe und Grundchemikalien [VCI 2001]. 1997

1998

1999

2000

Energietr€ager Steinkohle/Q t Heiz€ol/Q t

1

1 1

Erdgas/Q GJ

42

39

34

40

118

101

118

191

3,02

3,09

2,73

3,65

Strom/Q-cent/kWh 4 MW/4000 h

7,40

7,40

7,08

5,55

10 MW/6000 h

5,84

5,84

5,41

4,23

40 MW/8000 h

4,96

4,96

4,46

3,50

19,12

12,72

17,79

28,33

Rohstoffe Roh€ol/US$/bbl Naphtha/Q t

1

167 508

422

422

664

1

414

290

303

548

117

156

284

Olefine Ethylen/Q t

1

Propylen/Q t Aromaten Benzol/Q t

1

270

225

236

410

o-Xylol/Q t

1

351

225

236

410

p-Xylol/Q t

1

411

327

343

541

3.10 Anlagenkapazita¨t

3.10

Anlagenkapazita¨t Die optimale Anlagenkapazita¨t, d. h. die Anlagengro¨ße bei der die ho¨chste Rendite (Kap. 6.2) erzielt wird, erha¨lt man, wenn 3 bis 5 Jahre nach der Inbetriebnahme ein Auslastungsgrad von 100 % erreicht wird. Da die Festlegung der Anlagenkapazita¨t etwa 4 bis 5 Jahre vor der Inbetriebnahme aus planerischen und genehmigungsrechtlichen Gesichtspunkten erfolgen sollte, mu¨sste man also etwa 7 bis 10 Jahre in die Zukunft blicken ko¨nnen, um die optimale Kapazita¨t zu bestimmen. Zeitlich nicht ausgelastete Kapazita¨ten erho¨hen die spezifischen Produktionskosten. Daraus wird ersichtlich, dass dies eine genaue Kenntnis des Marktpotenzials und der Entwicklung des Marktwachstums erfordert. Es gilt folgende Beziehung zwischen Herstellpreis und Auslastungsgrad:

 FK 1 þ VK HK

  ¼ HK0 1 þ FK  Keff VK K

ð3:10



0

HK HK0 FK VK Keff K0

= = = = = =

Herstellkosten in Q/kg Herstellkosten bei Nennkapazita¨t fixe Kosten variable Kosten effektive Anlagenkapazita¨t in Tonnen/a zugrunde gelegte Kapazita¨t (Nennkapazita¨t).

Man sieht, dass die Herstellkosten mit sinkendem Auslastungsgrad hyperbelartig ansteigen und dass diese Abha¨ngigkeit um so gro¨ßer wird, je ho¨her der Anteil der fixen Kosten ist (Abb. 3.10-1). Je unsicherer die Marktstudien sind und je neuer die verwendete Technologie ist, um so eher ist eine etwas kleinere Kapazita¨t zu wa¨hlen. Viele japanische Chemiefirmen gehen diesen Weg und bauen lieber mehrere kleinere Kapazita¨ten auf. Kleinere Kapazita¨ten fu¨hren aber zu spezifisch teureren Anlagen und damit zu ho¨heren Herstellkosten. Es gilt folgende empirische Beziehung (s. Kap. 6.1.5): I2 ¼ I1  ðK2 =K1 Þj

ð3:10



I = Investition K = Kapazita¨t j = Degressionsexponent.

Fu¨r einzelne Apparate gilt j  0,6 und fu¨r Anlagen mit gleicher Anzahl von Apparaten j  2=3 [Schneider 1965]. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass durch debottlenecking und kontinuierliche Verbesserungen nach dem Start-up in den ersten Jahren oft erhebliche Kapazita¨tserho¨hungen mo¨glich sind.

285

286

3 Verfahrensunterlagen

Abb. 3.10-1 Abh€angigkeit der relativen Herstellkosten HK vom Auslastungsgrad Keff =K0 bei verschiedenen Verh€altnissen der fixen Kosten FK und der variablen Kosten VK; von unten nach oben: 0,25/0,5/ 1/1,5/1.

3.11

Entsorgungssituation Die Entsorgungsmo¨glichkeiten (Verbrennung, Kla¨ranlage, Deponie u. a.) ha¨ngen vom Standort ab. Da am Beginn der Verfahrensentwicklung die Standortfrage aber im allgemeinen noch offen ist, sollte das Verfahren so konzipiert werden, dass nur einfach zu verbrennende Ru¨cksta¨nde anfallen. Verfahren mit Salzanfall oder bei denen gro¨ßere Mengen verdu¨nnter wa¨ssriger Lo¨sungen mit biologisch schwer abbaubaren Inhaltsstoffen anfallen, sind von vornherein standortabha¨ngig. Die Hauptentsorgungswege werden im Kap. 2.7 ausfu¨hrlicher behandelt. Zur Einteilung und Beurteilung von Ru¨cksta¨nden sind folgende Fragen zu beantworten: * * * * * * * *

Allgemeine Angaben (verantwortlicher Betrieb, Entstehungsort usw.) Chemische Bezeichnung der bekannten Inhaltsstoffe Sicherheitsmaßnahmen Eigenschaften des Ru¨ckstandes Physikalische Kenngro¨ßen Analysendaten des Ru¨ckstandes Pru¨fung der Wiederverwertung Pru¨fung auf Deponiefa¨higkeit.

3.12 Endprodukt

3.12

Endprodukt Fu¨r das Endprodukt sind Bedarf, Spezifikation und erzielbarer Preis zu ermitteln. Je ¨ nderungen zu rechnen; nach Konkurrenzlage ist mit besonders starken zeitlichen A die kritische Prognose ist also besonders wichtig. Die Spezifikation ist fu¨r die Verfahrensentwicklung von besonderer Bedeutung (Tab. 3.12-1). Im einfachsten Fall besteht sie in einer geforderten Mindestreinheit, z. B. soll das Endprodukt mindestens 99 % einer bestimmten chemischen Verbindung enthalten. Der zula¨ssige Verunreinigungsgrad kann je nach Produkt sehr unterschiedlich sein. Wa¨hrend er bei Farbstoffen einige Prozent betragen kann, sind bei Monomeren oft wenige ppm schon die Grenze. Leider ist eine so einfache Charakterisierung des Endproduktes in den meisten Fa¨llen nicht mo¨glich. Die Weiterverwendung kann durch verschiedene Verunreinigungen unterschiedlich beeinflusst werden. In diesem Fall genu¨gt es nicht, eine obere Grenze fu¨r die Summe der Verunreinigungen festzulegen, vielmehr mu¨ssen Grenzen fu¨r wichtige Einzelkomponenten angegeben werden. Sehr ha¨ufig ist es auch der Fall, dass das Endprodukt nicht oder nicht nur durch seine chemische Analyse festgelegt werden kann; man denke z. B. an polymere Verbindungen. Zur weiteren Charakterisierung wird dann ein Satz von verarbeitungstechnischen Eigenschaften herangezogen, die sich im gu¨nstigsten Fall auf einfache physikalische Kenngro¨ßen (z. B. Farbzahl) zuru¨ckfu¨hren lassen. Das Bestreben des Verfahrensentwicklers sollte es sein, die Spezifikation des Endproduktes vor Beginn seiner Ta¨tigkeit so weitgehend wie mo¨glich zu pra¨zisieren. Endgu¨ltig wird sie allerdings meist erst wa¨hrend der Verfahrensentwicklung festgelegt. Aussagen wie „so rein wie mo¨glich“ sind nicht ausreichend, denn die Entfernung der letzten Verunreinigungen ist mit erheblichen Kosten verbunden. Einzelspezifikationen, die fu¨r die Charakterisierung des Endproduktes keine Bedeutung haben, sind zu vermeiden. Wenn mo¨glich, ist der analytisch bestimmbaren Zusammensetzung der Vorzug vor der rein physikalischen Charakterisierung zu geben, da sie im engeren Zusammenhang mit dem Verfahrensablauf steht. Tab. 3.12-1

Beispiel f€ ur eine Spezifikation.

*

Reinheit (gaschromatographisch)

*

min. 99,0 %

Wassergehalt nach K. Fischer (DIN 51 777)

max. 0,05 %

*

S€auregehalt (berechnet als Essigs€aure)

max. 0,3 %

*

Aschegehalt

max. 0,001 %

*

Farbzahl (APHA-Verfahren, DIN 53409)

max. 20

287

4

Ablauf einer Verfahrensentwicklung

Verfahrensentwicklung. G. Herbert Vogel Copyright © 2002 Wiley-VCH Verlag GmbH ISBN: 978-3-527-28721-5

4.1 Die Verfahrensentwicklung als iterativer Prozess

4.1

Die Verfahrensentwicklung als iterativer Prozess Die Ausarbeitung chemischer Verfahren ist ein sehr komplexer Arbeitsprozess. Mit dem Auffinden eines erfolgversprechenden Syntheseweges und der meist zugeho¨rigen Katalysatoren ist die erste Hu¨rde zu einem neuen Verfahren genommen. Neben den im Kapitel 3 angesprochenen Punkten sind bis zur technischen Realisierung aber noch zahlreiche Fragen zu kla¨ren und Probleme zu lo¨sen, bis alle fu¨r die Planung einer chemischen Produktionsanlage und deren Betrieb erforderlichen Unterlagen zusammengestellt sind [Lu¨ck 1983, Harnisch 1984]. Wie gelangt man nun zu diesen Planungsunterlagen? Das klassische Vorgehen erfolgt in drei Etappen [Kussi 2000, Kussi 2000a] (Abb. 4-1): Ausgehend von der zumeist diskontinuierlichen optimierten Laborsynthese wird ein erstes Verfahrenskonzept ausgearbeitet (Kap. 4.2) und die Einzelschritte des Verfahrens unabha¨ngig voneinander im Labor u¨berpru¨ft und simuliert (Kap. 4.3). Danach wird eine kontinuierliche Laboranlage geplant, aufgebaut und betrieben, die sog. Miniplant („Kleinanlage“) [Behr 2000] (Kap. 4.4.1). Dies ist eine kleine, vollsta¨ndige Anlage mit Produktionsmengen um 100 g h 1 bestehend aus Eduktvorbereitung, Syntheseteil, Aufarbeitung und allen Ru¨ckfu¨hrungen. Nach Besta¨tigung des Verfahrenskonzeptes in der Miniplant ist der na¨chste Schritt die Planung und der Aufbau einer Versuchsanlage mit deutlich ho¨herer Kapazita¨t. Der Maßstab dieser Pilotanlage liegt zwischen dem der Miniplant und dem der spa¨teren technischen Anlage. Die Produktionsmengen von einigen Kilogramm pro Stunde oder Tonnen pro Jahr erlauben hier z. B. die Durchfu¨hrung anwendungstechnischer Tests oder Kundenbelieferung im

Abb. 4-1 Stufen der Verfahrensentwicklung [Vogel 1997]. Die angegebenen Zeitr€aume f€ ur Planung/Aufbau und Betrieb haben nur orientierenden Charakter und k€ onnen im konkreten Fall erheblich von den angegebenen Werten abweichen. F€ ur die Anlageninvestitionen gilt dabei folgende Faustregel: Laborforschung 0,1 Mio. Q < Miniplant 1 Mio. Q < Pilotanlage 10 Mio. Q < Produktionsanlage 100 Mio. Q.

291

292

4 Ablauf einer Verfahrensentwicklung

gro¨ßeren Maßstab. Der Betrieb der Anlage dient zur Komplettierung und Absicherung bereits ermittelter Daten und Unterlagen (Kap. 4.4.2). ¨ bertragungs- oder Scale-up-Faktor von einer Stufe zur na¨chsten ist immer Der U begrenzt nach dem Prinzip des Minimums: *

Der Verfahrensschritt oder Apparat mit der geringsten Vergro¨ßerungsmo¨glichkeit (Scale-up) bestimmt die maximale Kapazita¨t der na¨chstgro¨ßeren Anlage mit kalkulierbarem Betriebsverhalten.

Hier nun liegt die Chance des Verfahrensentwicklers, Zeit und Geld zu sparen [Hauthal 1998]. Gelingt es na¨mlich, gesicherte Unterlagen fu¨r die Planung einer Produktionsanlage direkt u¨ber die extreme Maßstabsvergro¨ßerung von vier Zehnerpotenzen (100 g h 1  104 ¼ 1 t h 1) zusammenzustellen, so fallen mit der Zwischenstufe auch die Kosten der Pilotanlage sowie drei bis vier Jahre Entwicklungszeit weg [Hofen 1990, Ja¨ckel 1995]. Dies stellt einen gewichtigen Vorteil in der Wirtschaftlichkeit und am Markt dar. Daher ist man heute bestrebt, direkt von der Miniplant auf den Produktionsmaßstab zu u¨bertragen. In Tab. 4-1 sind einige wichtige Verfahrensschritte mit typischen Grenzwerten fu¨r technisch noch sicher durchfu¨hrbaren Maßstabsvergro¨ßerungen zusammengestellt [Krekel 1985, Krekel 1992]. Man erkennt sofort, dass bei Gasphasenreaktionen, z. B. in Rohrbu¨ndelreaktoren, ein großer scale-up Faktor mo¨glich ist. Fu¨r die Aufarbeitung erlauben die Unit-Opera¨ bertragung ohne Zwischenstutions Destillation, Rektifikation und Absorption eine U fen. Dies erkla¨rt z. B. das Bemu¨hen u¨ber die Betriebsbedingungen bevorzugt Gase und Flu¨ssigkeiten umzusetzen und aufzuarbeiten. Der Grund liegt darin, dass das Verhalten von Fluiden und von Gas/Flu¨ssigkeits-Mischungen physikalisch gut zu beschreiben ist und daher einer Berechnung leicht zuga¨nglich ist (Kap. 3). Beim Feststoffhandling fu¨hren Unberechenbarkeiten, wie z. B. Ablagerungen, Verbackungen und Abrieb zu scale-up Faktoren, die mehrere Gro¨ßenordnungen darun-

Tab. 4-1

Scale-up Faktoren f€ ur einige Verfahrensschritte.

Reaktoren *

Rohrb€ undelreaktor

€ ber 10 000 u

*

homogenes Rohr

€ ber 10 000 u

*

homogener R€ uhrkessel

€ ber 10 000 u

*

Blasens€aule

bis 1000

*

Wirbelschichtreaktor

50 bis 100

Trennoperationen *

Destillation und Rektifikation

1000 bis 50 000

*

Absorption

1000 bis 50 000

*

Extraktion

500 bis 1000

*

Trocknung

20 bis 50

*

Kristallisation

20 bis 30

4.1 Die Verfahrensentwicklung als iterativer Prozess

ter liegen. Dies gilt fu¨r die Synthese, z. B. bei Wirbelschicht-Reaktoren und fu¨r die Aufarbeitung, z. B. beim Trocknen, Sublimieren oder Kristallisieren. Die Verfahrensentwicklung verla¨uft aber nicht in einer Einbahnstraße. Sehr oft werden Verfahrensschritte parallel entwickelt, um Zeit zu sparen. Bei den einzelnen Entwicklungsstufen werden Annahmen getroffen, die erst bei der Bearbeitung der na¨chsten Stufe erha¨rtet oder widerlegt werden. Die einzelnen Stufen mu¨ssen daher unter Umsta¨nden mit abgea¨nderten Annahmen mehrmals durchlaufen werden. Auf diese Weise entsteht das Bild eines zyklischen Ablaufes (Abb. 4-2). Das wichtigste Anliegen muss daher sein, die Schwachpunkte festzustellen und deren Bearbeitung besonders zu intensivieren. Mit den so gewonnenen verbesserten Unterlagen wird der Gesamtprozess wieder durchlaufen usw. Die Tatsache, dass viele

Abb. 4-2

Zyklischer Ablauf der Verfahrensentwicklung.

293

294

4 Ablauf einer Verfahrensentwicklung

Abb. 4-3 Die Kosten zur Beseitigung von Fehlern und die Investitionskosten steigen von Entwicklungsstufe zu Entwicklungsstufe etwa um den Faktor 10 an (Faustregel). 1. Labor 3. Pilotanlage 2. Miniplant 4. Produktionsanlage.

Entscheidungen mit unvollkommenen Kenntnissen getroffen werden mu¨ssen, ist eine grundsa¨tzliche aber unvermeidbare Schwierigkeit. Mit dem Beginn der Entwicklung zu warten bis alle Unklarheiten beseitigt sind, wa¨re genauso falsch wie ein Beginn der technischen Ausarbeitung allein aufgrund von Laborkenntnissen. Mit der Selektion unter verschiedenen Verfahren oder Verfahrensvarianten sollte so fru¨hzeitig begonnen werden, dass die Betrachtung einer gro¨ßeren Zahl von Mo¨glichkeiten auf die Laborbearbeitung beschra¨nkt bleibt. Die Untersuchung zweier Varianten im Versuchsmaßstab u¨ber la¨ngere Zeit sollte eine Ausnahme sein. Wie Abb. 4-2 zeigt, ist nach jeder Entwicklungsstufe eine Bewertung zwischengeschaltet, die entscheidet, ob diese Entwicklung weiterbetrieben, gestoppt oder bei einem fru¨heren Entwicklungsstand neu begonnen werden muss (Kap. 4). Am Anfang der Arbeiten werden die meisten Fehler gemacht. Ihre Beseitigung ist im Stadium der Miniplant aber noch relativ einfach und billig. Je weiter die Verfahrensentwicklung fortgeschritten ist, um so teurer wird es, Fehler zu beseitigen (Abb. 4-3). In der fertiggestellten Produktionsanlage ist eine Korrektur nur mit einem ungeheuren Aufwand an Geld und Zeit durchzufu¨hren, denn, Fehler haben Eisbergcharakter.

4.2

Die Aufstellung des ersten Verfahrenskonzeptes Sind alle Informationen zusammengetragen (Kap. 3), so muss ein erstes Verfahrenskonzept aufgestellt werden [Trotta 1997, Gilles 1998, Frey 2000, Kussi 2000a]. Allgemein hat sich folgende Vorgehensweise bewa¨hrt: Man stellt erste, mo¨glichst sinnvolle Verfahrenskonzepte (Abb. 4-4) auf und durchla¨uft durch Diskussion im Projektteam einen iterativen Problembearbeitungsprozess, bei dem allgemeine Gesetzma¨ßigkeiten verfahrenstechnischer Prozessabla¨ufe, der Strukturierung und Systemgesetze, aber auch Intuition und Erfahrung mit den konkreten Eigenschaften der zu verarbeitenden Rohstoffe- und Energiestro¨me sowie der

4.2 Die Aufstellung des ersten Verfahrenskonzeptes

Abb. 4-4 Erstes Verfahrenskonzept zur Oxidation eines Eduktes mit Luft und anschließende Isolierung des Produktes durch Absorption und Destillation.

zu verwendenden Ausru¨stung und o¨konomischen Konditionen beru¨cksichtigt werden [Glanz 1999]. Alle bisher zusammengetragenen Informationen sollten dabei beru¨cksichtigt werden. Nach der Diskussion aller Vor- und Nachteile sollte nur eine Verfahrensvariante u¨brig bleiben. Eine deterministische Methode, die „beste“ Verfahrensvariante am Anfang zu finden, gibt es heute nicht und sie wird es vermutlich auch in Zukunft nicht geben [Blaß 1985, Kaibel 1989, Scholl 1995]. Das Auffinden eines optimalen Verfahrenskonzeptes ist eine scho¨pferische Aufgabe und verlangt neben Wissen und Erfahrung einen erheblichen Anteil an Kreativita¨t, da die Zahl der mo¨glichen Prozessfu¨hrungen fu¨r eine gegebene Aufgabe nahezu unendlich ist und viele Gesetzma¨ßigkeiten noch nicht quantitativ zu erfassen, d. h. noch nicht algorithmierbar sind [Erdmann 1984]. Das folgende Beispiel soll dies erla¨utern.

295

296

4 Ablauf einer Verfahrensentwicklung

Beispiel 4-1 Die Veresterung einer verunreinigten organischen Sa¨ure mit Methanol liefert ein Reaktionsgemisch mit mindestens 5 Komponenten (N ¼ 5), na¨mlich unumgesetzter Sa¨ure, unumgesetztem Alkohol, Ester, Leichtsieder (z. B. Wasser, niedere Ester und Dimethylether) sowie Hochsieder (z. B. ho¨here Ester). Nach Stephanopolous [Stephanopoulos 1976] errechnet sich die bei Trennoperationen mo¨gliche Zahl von Schaltungen nach der Beziehung: Z¼

½2  ðN 1Þ!Š N S N!  ðN 1Þ!

1

ð4



Z = Zahl der Schaltungsalternativen N = Zahl der Komponenten S = Anzahl der Trennverfahren.

Sind alle Komponenten durch Destillation trennbar, so beno¨tigt man (N-1) ¼ 4 Trennkolonnen, fu¨r die es 14 Schaltungsalternativen gibt. Muss man ein zweites Trennverfahren, z. B. eine Extraktion wegen Azeotropbildung von Ester, Alkohol und Wasser zulassen, so ergeben sich schon 224 Schaltungsvarianten. Wenn man jetzt noch die Zahl der mo¨glichen Reaktionsfu¨hrungen (batch [Uhlemann 1996]/kontinuierlich; Gas/Flu¨ssig; Ionentauscher/ Mineralsa¨ure u. a.) mit ins Spiel bringt, so ergeben sich nahezu unendlich viele Prozessfu¨hrungen (sog. kombinatorische Explosion).

Den besten Prozess bzgl. Wirtschaftlichkeit unter den gegebenen Rahmenbedingungen aus all diesen Varianten herauszufinden ist schon deshalb nahezu unmo¨glich, weil die optimale Lo¨sung nicht bekannt ist [Bauer 1996]. Alle mo¨glichen Varianten durchzurechnen [Seider 1999], zu vergleichen und dann zu selektieren ist aber aufgrund der hohen Zahl unmo¨glich. Vielleicht la¨sst dieses Beispiel erkennen, warum die Verfahrensfindung kein Handwerk, sondern immer noch eine Kunst ist [Beßling 1995]. Fu¨r diese Kunst stehen uns heute aber immer bessere Werkzeuge zur Verfu¨gung [Blaß 1989, Schembecker 1996] (Kap. 4.2.1). Ein großer Teil der Varianten scheidet allerdings aus trivialen Gru¨nden von Anfang an aus (Tab. 4-2). Aber auch die verbleibende Zahl von potenziellen Varianten ist noch so groß, dass nicht von alle diesen die Investitions- und Herstellkosten errechnet werden ko¨nnen, abgesehen davon, dass die dazu beno¨tigten Informationen zu diesem Zeitpunkt oft nur unzureichend zur Verfu¨gung stehen und somit die Gefahr besteht, dass aussichtsreiche Varianten eliminiert werden. In diesem Stadium kann man von den verbliebenen Varianten (max. 3 bis 4) durch den Einsatz von Schnellkostenscha¨tzmethoden die Zahl der Varianten gegebenenfalls weiter reduzieren (Kap. 6.1.6). Aufbauend auf dem ersten Konzept wird eine technische Anlage konzipiert. Die einzelnen Unit-Operations (Reaktor, Absorber, Destillation u. a.) werden auf der Basis der vorhandenen Informationen ausgelegt (ungefa¨hre Gro¨ße und Durchmesser der Kolonnen usw.). Von dieser hypothetischen Großanlage wird im scale-down Verfahren eine Versuchsanlage, heute meist eine Miniplant, ausgelegt (Kap. 4.4.1). Parallel dazu wird die technische Anlage mit Hilfe eines Programms simuliert und eine erste komplette Massen- und Energiebilanz aufgestellt.

4.2 Die Aufstellung des ersten Verfahrenskonzeptes Tab. 4-2

K.O.-Kritierien zur Alternativenreduzierung.

technische Gr€ unde

* * * *

€ okonomische Gr€ unde

* *

€ okologische Gr€ unde

* * * *

juristische Gr€ unde

* *

Hochdrucktechnik Hochvakuumtechnik Korrosion Katalysatorlebenszeit, Regenerierbarkeit Edelmetalleinsatz große R€ uckf€ uhrungen Salzanfall Anfall schwer entsorgbarer Nebenprodukte kanzerogene Hilfsstoffe schwer abtrennbare Nebenprodukte Patentsituation Genehmigungsdauer

4.2.1

Handwerkszeuge

Voraussetzungen fu¨r die Anwendung der modernen EDV-Handwerkszeuge sind: * * *

schneller Zugriff zur Information Informationen am Arbeitsplatz bequem handhabbar Informationsspeicher mu¨ssen gepflegt werden, d. h. sta¨ndig auf den neusten Stand gebracht werden.

4.2.1.1

Datenbanken

Um die Verfahrensentwicklung mo¨glichst effektiv zu gestalten ist es wichtig, dass keine Doppelarbeit geleistet wird. Dazu geho¨rt, dass schon vorhandenes Wissen nicht u¨bersehen und genutzt wird. Daher werden in den Chemiefirmen sowohl interne Datenbanken aufgebaut und gepflegt sowie auch externe Datenbanken genutzt ¨ berblick u¨ber den Aufbau einer Online-Datenbank. [Blaß 1984]. Abb. 4-5 gibt einen U Ein Unterschiedsmerkmal von Datenbanken ist es, ob die Datenbank die Information unmittelbar entha¨lt (sog. Prima¨rinformation, Faktendaten) oder ob sie auf andere Informationsquellen verweist (sog. Sekunda¨rinformation, Literaturdaten). Im Folgenden sind einige fu¨r die Verfahrensentwicklung wichtige Datenarten wiedergegeben [ACHEMA 1991]: * * * * * *

Werkstoffkennwerte [Berenz 1991] Stoffdaten ¨ kotox-Daten O Kosten fu¨r Roh-, Zwischen- und Endprodukte Kosten fu¨r Energien und Gera¨te On-Line Literaturrecherchen [Ullmann].

297

298

4 Ablauf einer Verfahrensentwicklung

Abb. 4-5

Komponenten von Online-Diensten nach [Kind 1990].

4.2.1.2

Simulationsprogramme

Neben Experiment und Versuchsanlage ist die Simulation mit Hilfe von Computerprogrammen eines der wirksamsten Instrument des Verfahrensentwicklers [Zeitz 1987, Schuler 1995, Messer 1998, Schneider 1998, Seider 1999]. Durch die Entwicklung sehr schneller Computer einerseits und wirkungsvoller physikalischer Modelle andererseits ist es jetzt mo¨glich, einzelne Units (z. B. Destillation), Netze homogener Units (z. B. Ru¨hrkesselkaskade, Wa¨rmetauschernetz) und Netze inhomogener Units (z. B. Chemieanlagen) zu simulieren. Die Vorteile beim Einsatz geeigneter Simulationswerkzeuge bei der Verfahrensentwicklung sind: * * *

besseres Versta¨ndnis des Prozesses (inkl. der Sicherheitsaspekte) Zeitersparnis Erho¨hung der scale-up Sicherheit

4.2 Die Aufstellung des ersten Verfahrenskonzeptes * *

Kosteneinsparung durch weniger Technikumsversuche Optimierung der Prozessfu¨hrung.

Je nach Aufgabenstellung werden in der Praxis verschiedene Simulationsprogramme eingesetzt; denn es ist wenig sinnvoll, mit einem zwar allumfassenden aber dafu¨r tra¨gen Simulationsprogramm Detailaufgaben lo¨sen zu wollen, wenn es dafu¨r wesentlich effizientere und genau auf den speziellen Bedarf abgestimmte Tools gibt. Diese Spezialtools ko¨nnen heute u¨ber Interface-Komponenten an kommerzielle Simulationsprogramme angeschlossen werden. Programme zur Lo¨sung spezieller Aufgaben werden in der Regel von den Anwendern selbst entwickelt und stehen der Allgemeinheit nicht oder nur selten zur Verfu¨gung. Zur Behandlung von Flowsheet-Aufgaben gibt es eine Vielzahl von Programmen aus dem Hochschulbereich, der Industrie oder dem kommerziellen Markt [Splanemann 2001] (Tab. 4-3 und 4-4). Der Begriff Simulation ist heute sehr umfassend und dementsprechend aufgeweicht [Hartmann 1980, Marquardt 1992]. Daher gibt es durchaus Unterschiede, was der einzelne unter Simulation versteht. Stellt man die Mathematik in den Mittelpunkt, kann man eine Einteilung in zwei große Blo¨cke vornehmen, na¨mlich in stationa¨re (Tab. 4-3) und in instationa¨re Vorga¨nge (Tab. 4-4). Ob es nun die Aufgabe ist, einzelne Apparate oder ganze Verfahren zu simulieren, immer wird folgende Vorgehensweise empfohlen [Seider 1999, Glasscock 1994]: *

* *

Formulierung der Aufgabe bzw. des Problems, z. B. kontinuierlicher Rohrreaktor mit einer Ru¨ckfu¨hrung Wahl der Software Wahl der Hardware

Tab. 4-3

Auswahl von Simulationsprogrammen f€ ur station€are Vorg€ange [Schuler 1995].

Name ASPEN PLUS

Referenz Aspen Technology Inc. Cambridge (MA), USA

CHEMASIM

BASF AG Ludwigshafen, Deutschland

CHEMCAD

Chemstations Deutschland GmbH Engineering Software www.chemstations.de, [Chemcad 1996]

DESIGN II

Chemshare

FLOWPACK

ICI

HYSYS

HYPROTECH, D€ usseldorf www.software.aeat.com

VTPLAN (CONTI)

BAYER AG Leverkusen, Deutschland

PROCESS

Simulation Science Inc.

Pro/II

Fullerton (CA), USA

299

300

4 Ablauf einer Verfahrensentwicklung Tab. 4-4 Auswahl von Simulationsprogrammen f€ ur dynamische Systeme [Gilles 1986, Ingham 1994, Scheiding 1989, Wozny 1991, Daun 1999]. Name

Referenz

CHEMADYN

BASF AG Ludwigshafen, Deutschland

DIVA [Kreul 1997, Weierstraß 1999]

Prof. Gilles Universit€at Stuttgart, Deutschland

SIMUSOLV

DOW Company Midland (Mi), USA

ASPEN Custom Modeler [Weierstraß 1999]

Prosys Technology Ltd. Cambridge, England, seit 1991 ASPEN Technology Inc.

*

Eingabe der essentiellen Vorinformationen: – Zeichnen des Flowsheets – Wahl der chemischen Komponenten – Reinstoffdaten – Spezifizierung der Stro¨me – Spezifizierung der Unit Operations – Verknu¨pfung der Stro¨me und Units – Wahl des thermodynamischen Modells – bina¨re Mischungsdaten.

Grundsa¨tzlich gibt es zwei Lo¨sungsansa¨tze fu¨r die Berechnung stationa¨rer Vorga¨nge: * *

den Sequentiell Modularen Ansatz den Gleichungsorientierten Ansatz.

Bei dem Sequentiell Modularen Ansatz wird die Lo¨sungsstrategie der klassischen Handrechnung auf das Flowsheeting-Programm u¨bertragen. Es wird eine Unit-Operation nach der anderen von dem Programm abgearbeitet. Hieraus ergeben sich nachfolgend aufgefu¨hrte Vor- und Nachteile: Vorteile *

* *

Es ko¨nnen sehr große Flowsheets erstellt werden, da der Solver die Blo¨cke einzeln lo¨st Die Simulation ist verfahrenstechnisch leicht nachvollziehbar Das Startverhalten ist meist sehr gutmu¨tig.

Nachteile * * *

Konvergenzprobleme bei Flowsheets mit vielen Ru¨ckfu¨hrungen Undurchschaubares Konvergenzverhalten bei großen Flowsheets Langsam bei großen Flowsheets mit vielen Ru¨ckfu¨hrungen und komplexen Designspezifikationen.

4.2 Die Aufstellung des ersten Verfahrenskonzeptes

Abb. 4-6

Beispiel f€ ur ein Flowsheet mit R€ uckf€ uhrung.

Die einzelnen Grundoperationen werden auf Basis der Ausgangsstro¨me der vorgeschalteten Einheit(-en) berechnet. Die Berechnungsreihenfolge entspricht etwa der der Flussrichtung in der Anlage. Bei Ru¨ckfu¨hrungen wird die iterative Lo¨sung von Apparateschleifen notwendig. Dazu wird ein Schnittstrom festgelegt, z. B. S7 in Abb. 4-6, fu¨r den der nach einem Prozesslauf errechnete Wert mit einem Vorgabewert bzw. dem Wert der vorherigen Iteration verglichen wird. Abbruchkriterium ist die vorgegebene Toleranz zwischen den Werten. Der Simultane oder Gleichungsorientierte (equation oriented) Programmtyp vereinigt die Gleichungen fu¨r die Verknu¨pfungen des Fließbildes und die Apparatemodelle in einer (meist schwach besetzten) Matrix, die dann „simultan“ gelo¨st wird. Stoffeigenschaften und Phasengleichgewichte werden allerdings – wie auch beim Sequentiell Modularen Ansatz – bei vielen Programmen dieses Typs in Unterprogrammtechnik gelo¨st. Der gleichungsorientierte Ansatz hat folgende Vor- und Nachteile: Vorteile * * *

Optimales Konvergenzverhaltens bei Flowsheets mit vielen Ru¨ckfu¨hrungen. Sicheres Konvergenzverhalten. Sehr schnell.

Nachteile * * * *

Großer Speicherbedarf. Fehlersuche sehr schwer. Kein Einblick in die Units. Vorgabe von Startwerten erforderlich.

Ein modernes kommerzielles Simulationsprogramm entha¨lt heute folgende Bausteine: * *

*

Benutzeroberfla¨che Stoffdatenmodelle Stoffsysteme wie konventionelle Systeme, Feststoffe, Elektrolyte, Polymere u. a. und Stoffeigenschaften wie Reinstoff- und Gemischeigenschaften, Gleichgewichte u. a. (Kap. 3). Unit-Operation-Modelle Black-Box-Modelle wie Mixer, Teiler, Komponentensplitt, Separator u. a., Phasentrennungs- und Entspannungsmodelle, Wa¨rmeu¨bertra¨germodelle, Mehrstufen-

301

302

4 Ablauf einer Verfahrensentwicklung

*

*

modelle, Pumpen und Verdichter, Reaktormodelle wie Gleichgewichtsreaktor, sto¨chiometrischer Reaktor, Rohrreaktor u. a. (Kap. 2). allgemeine Simulationsfunktionen Sequencing, Tearing, Feed-Forward/Back-Controller, Convergence, Optimierung u. a. Zusatzprogramme.

4.2.1.3

Expertensysteme [Ferrada 1990]

Der Unterschied zwischen Simulationen und Expertensystemen besteht darin, dass bei Simulationen die Modellierung starr in einen Algorithmus eingebettet ist, wa¨hrend im Expertensystem das Wissen u¨ber das Modell unabha¨ngig vom Folgerungsmechanismus in der Wissensbasis gespeichert ist [Lieberam 1986, Ferrada 1990, Klar 1991]. Ein Expertensystem ist ein mit Wissen und Fa¨higkeiten ausgestattetes Computerprogramm, das komplexe Aufgaben ausfu¨hren kann, indem es versucht, modellhaft die menschliche Intelligenzleistung nachzubilden. Sie eignen sich daher besonders zum Einsatz in der Verfahrensentwicklung, da die komplexen Probleme hier durch Schlussfolgerungen und experimentelles Wissen gelo¨st werden. Wissen besteht hier nicht nur aus Faktenwissen, welches in Datenbanken abgespeichert werden kann, sondern man erwirbt es dadurch, dass man Verfahrensentwicklung praktiziert, scheitert, erfolgreich ist, den gleichen Vorgang ha¨ufiger wiederholt, dazulernt; kurz gesagt, Gefu¨hl fu¨r ein Problem bekommt. Man lernt, wann man sich an die Regeln zu halten hat und wann gegen sie zu verstoßen ist; es wird ein Vorrat an praxisbewa¨hrtem heuristischem Wissen, d. h. plausible aber fehlbare Mutmaßungen aufgebaut (Tab. 4-5) [Erdmann 1986, Hacker 1980]. Kombinatorische Probleme, wie die Erstellung eines ersten Verfahrenskonzeptes oder die Entwicklung eines komplexen Katalysatorsystems, fu¨hren zur kombinatorischen Explosion (Kap. 4.2). Das systematische Durchprobieren aller Lo¨sungsansa¨tze ist zeitlich nicht machbar. Der menschliche Experte bewa¨ltigt diese kombinatorische Explosion dadurch, dass er jene Mo¨glichkeiten, die fruchtlos erscheinen, ausklammert. Er konzentriert sich auf die wahrscheinlichen Mo¨glichkeiten und verwendet heuristisches Wissen, das ihn an die optimale Lo¨sung heranfu¨hrt, aber sie nicht garantiert. Die Hauptbestandteile eines Expertensystems sind (Abb. 4-7): *

*

*

*

Wissensbasis: heuristisches Wissen wird hier in einer Symbolstruktur repra¨sentiert ¨ ndern, Hinzufu¨gen oder Entfernen von Regeln unterWissenseditor: Modul, das A stu¨tzt und deren Bewertung formalisiert Folgerungsmechanismus: er kombiniert Wissen und Problemdaten, indem er aufgrund der in der Wissensbasis gespeicherten Regeln weitere Daten ableitet Ein/Ausgabe-Systeme.

Eine erste Anwendung fand diese neue Technik im Jahre 1969 bei der Beschreibung und Auslegung von Wa¨rmetauscherverbundsystemen [Masso 1969]. Sie war regelorientiert, d. h. das Expertensystem besaß eine Reihe von Regeln, deren Kombination

4.2 Die Aufstellung des ersten Verfahrenskonzeptes Tab. 4-5

Beispiele f€ ur heuristische Regeln (Faustformeln) in der Verfahrensentwicklung:

*

Gesamtausbeute maximieren

*

Zahl der Prozessstufen minimieren

*

Fluide Phasen vor festen Phasen bevorzugen

*

Extreme Prozessbedingungen vermeiden (Hochdruck, Feinvakuum u. a.)

*

Jede Reaktion bzw. Trennoperation nur einmal durchf€ uhren (z. B. nur eine Leichtsiederausschleusung)

*

€ber die gesamte AufLeicht isolierbare Stoffe sofort nach ihrer Entstehung abtrennen und nicht u arbeitung verschmieren

*

oglichst nur zu schwachen R€ uckkopplungen R€ uckf€ uhrungen minimieren und so gestalten, dass sie m€ f€ uhren

*

Trennoperationen mit bew€ahrtem technologischen Erfahrungsschatz bevorzugen (Rektifikation vor Extraktion, Extraktion vor Membrantechnik)

*

Rektifikation bevorzugen (jede Extraktion zieht mindestens drei Rektifikationskolonnen nach sich)

*

Trennoperationen, die Fremdphasen (Hilfsstoffe) in den Prozess einschleusen erst in zweiter Linie ber€ ucksichtigen (Azeotroprektifikation, Extraktivrektifikation, Extraktion)

*

Als Hilfsstoffe (z. B. L€osungsmittel) m€oglichst solche Stoffe verwenden, die im Reaktionsaustrag sowieso vorhanden sind. Dadurch kann der Aufarbeitungsaufwand u. U. erheblich reduziert werden.

zu unterschiedlichen Ergebnissen fu¨hrte. Die Ansteuerung erfolgte u¨ber Gewichte, ¨ ber diese Technik der sich a¨ndernden die ihrerseits vom Erfolg diktiert wurden. U Gewichte „lernte“ das System. Es war somit in der Lage, immer bessere Resultate zu liefern. Waren die ersten Expertensysteme mu¨hsam in FORTRAN geschrieben, so erhielt diese Technik Anfang der 80er Jahre neuen Schwung, als geeignete Programmiersprachen eingefu¨hrt wurden, wie z. B. LISP (List Processor). Diese kann Symbole und Symbolstrukturen mittels eines Rechners verarbeiten [Steele 1984]. Parallel dazu entstand ein breitgefa¨chertes Angebot an EDV-Werkzeugen. Sie haben zwar die Entwicklung und den Umgang mit Expertensystemen vereinfacht, aber fast nichts

Abb. 4-7

Struktur eines Expertensystems [Trum 1986].

303

304

4 Ablauf einer Verfahrensentwicklung

zum Versta¨ndnis der Pha¨nomene beigetragen [Puigjaner 1991]. Es ist heute unbestritten, dass Expertensysteme ihre Berechtigung haben, obwohl die Euphorie der 70er Jahre einer nu¨chternen Einscha¨tzung weichen musste. Als vo¨lliger Irrtum hat sich erwiesen, fehlendes Wissen und fehlendes Versta¨ndnis durch ein Expertensystem u¨berspielen zu ko¨nnen. Es ist gerade umgekehrt, dass ein Expertensystem nur durch den Experten sinnvoll genutzt werden kann [Sowell 1998].

4.3

Die Pru¨fung der Einzelschritte Ebenso wie die Reaktionsschritte werden auch die ausgewa¨hlten Vorbereitungs- und Trennschritte zuna¨chst einzeln im Labormaßstab unabha¨ngig voneinander gepru¨ft (Abb. 4-8). Schon in diesem Stadium ko¨nnen neue Anforderungen an die Reaktionsstufe entstehen. Beispielsweise kann ein schlecht abtrennbares Nebenprodukt gea¨nderte Reaktionsbedingungen oder gar eine Modifikation des Katalysators notwendig machen.

Abb. 4-8 Pr€ ufung der Einzelschritte im Labor mit reinen Einsatzstoffen am Beispiel der Absorberstufe (s. Abb. 4-4)

4.3 Die Pru¨fung der Einzelschritte

Die Laborexperimente werden in der Regel mit reinen, wohldefinierten Stoffen durchgefu¨hrt. So wird das fu¨r die Absorption ausgewa¨hlte Lo¨sungsmittel so eingesetzt, wie es aus der Chemikalienausgabe kommt. Das entspricht natu¨rlich nicht der spa¨teren Situation, bei der das Lo¨sungsmittel aus Kostengru¨nden im Kreis gefu¨hrt werden muss und zwangsla¨ufig mit Nebenprodukten angereichert ist, die zu diesem Zeitpunkt aber normalerweise noch nicht alle bekannt sind. Als Zulauf wird ein synthetisches, aus reinen Stoffen hergestelltes Gasgemisch verwendet, das natu¨rlich ebenfalls noch keine Nebenprodukte entha¨lt. Das Experiment zeigt nun, ob es physikalisch mo¨glich ist, das Wertprodukt aus dem Gasstrom mit sinnvollen Lo¨sungsmittelmengen zu absorbieren. Parallel zum Experiment, z. B. dem Test eines Absorbers (Abb. 4-8) laufen thermodynamische Simulationsrechnungen der entsprechenden Unit ab. Wenn die parallel laufende Rechnung den Absorber mit den vorhanden Stoffdaten sinnvoll simulieren kann, ist die Bearbeitung dieses Schrittes abgeschlossen und diese Unit kann als Mosaiksteinchen in das Gesamtverfahren, welches als na¨chstes in einer integrierten Versuchsanlage gepru¨ft werden muss, eingebaut werden. Wenn alle Einzelschritte mit Erfolg getestet sind, la¨sst sich ein gesichertes Fließbild des Gesamtverfahrens erstellen (Abb. 4-9). Stellt sich ein Trennschritt in diesem Stadium als nicht machbar heraus, so muss das Verfahrenskonzept gea¨ndert werden. Fu¨r dieses erste, noch nicht insgesamt ausgetestete Schema kann man eine erste grobe Kostenscha¨tzung (sog. Orientierungsstudie, s. Kap. 6) durchfu¨hren.

Abb. 4-9

Beispiel f€ ur ein vereinfachtes Verfahrensfließbild nach der Pr€ ufung der Einzelschritte.

305

306

4 Ablauf einer Verfahrensentwicklung

4.4

Mikroplant, Schnittstelle zwischen Labor und Technikum Ein neuer Weg der Verfahrensentwicklung versucht zwischen Laborphase, in der nur die einzelnen Units untersucht werden, und Technikumsphase, in der die einzelnen Units im Verbund betrieben werden, aufgrund hoher Technikumskosten und langer Aufbauzeiten einen Zwischenschritt einzubauen, die sog. Mikroplant [Behr 2000]. Die Entwicklung eines Verfahrens erfordert in einem fru¨hen Planungsstadium die Kenntnis u¨ber die im Verfahren auftretenden Stoffe und ihr Verhalten in den Units. In der Regel sind nicht alle Komponenten eines Reaktionsaustrages bekannt. Die die Verfahrensentwicklung begleitenden Experimente sollten daher das Verhalten unbekannter Komponenten mo¨glichst fru¨hzeitig erkennen und Ru¨ckfu¨hrungen schließen, um das Anreichern von Spurenkomponenten und deren Auswirkung auf den Prozess zu erkennen und zu untersuchen. Aus unserem Beispielschema (Abb. 4-9) wird ersichtlich, dass beim Zusammenfu¨gen der Einzelschritte Kreisla¨ufe entstehen. Im vorliegenden Fall sind es ein Gas- und ein Lo¨sungsmittelkreislauf. Diese Kreisla¨ufe oder Ru¨ckfu¨hrungen sind eine wirtschaftliche Notwendigkeit, obwohl sie neue verfahrenstechnische Probleme mit sich bringen. So ko¨nnen Ru¨ckfu¨hrungen zum Reaktor die Katalysatorperformance (insbesondere die Aktivita¨t und die Laufzeit) empfindlich sto¨ren. Weiterhin ko¨nnen sich Nebenprodukte im Lo¨sungsmittelkreis anreichern und die Produktreinheit negativ beeinflussen. Die angefu¨hrten Probleme lassen sich nur im Prinzip durch mathematische Simulation lo¨sen. Da aber viele Gro¨ßen, die zur mathematischen Beschreibung vorgegeben werden mu¨ssen, nicht bekannt sind, mu¨ssen diese Fragen experimentell gelo¨st werden. Daher ist es wichtig, in einem mo¨glichst fru¨hen Stadium den Einfluss der wichtigsten Ru¨ckfu¨hrungen auf das Gesamtverhalten der Anlage (Reaktor mit Katalysator, Trennverhalten) zu kennen und somit eine weitere Diskriminierung von Verfahrensvarianten zu erreichen. Ein preiswertes und schnelles Hilfsmittel dazu ist die sog. Mikroplant. Eine Mikroplant ist eine um den Faktor 100 kleinere Miniplant (Kap. 4.5.1), die als reine Simulationstechnologie im Labor eingesetzt werden kann (Tab. 4-6). Sie stellt ein rein experimentelles Handwerkszeug dar, mit dessen Hilfe aus einer Vielzahl von Verfahrensvarianten schon im Laborstadium die beste herausgefunden werden soll. Eine Mikroplant soll so klein und kompakt sein, dass sie auf einem Labortisch Platz findet. Bei einer modularen Bauweise ko¨nnen auch leicht mehrere Mikroplants aufgebaut und parallel betrieben werden, was zu einer erheblichen Verku¨rzung der Tab. 4-6

Charakteristika von integrierten Versuchsanlagen. Produktion in g h 1

Apparatedurchmesser in mm

Durchsa¨tze in ml h 1 bis

Pilotplant

10 000

500-100

1 000 000

Miniplant

100

Mikroplant

1

50-10 5-1

10 000 100

4.5 Die Pru¨fung des Gesamtverfahrens im Technikum

Entwicklungszeit fu¨hrt. Eine modulare Bauweise mit hoher Integrationsdichte der einzelnen Units gewa¨hrleistet einen schnellen und einfachen Auf- und Abbau. Es ist offensichtlich, wie auf diese Art Zeit, Kosten und Laborfla¨che gespart werden ko¨nnen. Die Entwicklung entsprechender Units, wie Mikroreaktoren, Mikrodestillationskolonnen, Mikroextraktoren sowie die Verbindung der einzelnen Mikrounits durch Manifolds ist jedoch heute noch Gegenstand von Entwicklungsarbeiten. Es ist jedoch abzusehen, dass in zehn Jahren diese Technologie einen erheblichen Anteil an der Verfahrensentwicklung einnehmen wird. Beispiel 4-2 Beim Betrieb einer Anlage mit Ru¨ckfu¨hrung (Abb. 4-9) reichert sich im Lo¨sungsmittelkreis ein Hochsieder an. Seine Existenz war vorher nicht bekannt, da er bei Geradeausfahrweise im Reaktionsaustrag unterhalb der analytischen Nachweisgrenze lag. Der Hochsieder hat zudem die unangenehme Eigenschaft, ab einer bestimmten Konzentration im Lo¨sungsmittel auszufallen und damit die Kolonnen zu belegen.

Da dieser Hochsieder aus Beispiel 4-2 also a priori nicht bekannt war, konnte er in der mathematischen Simulation auch nicht beru¨cksichtigt werden. Nachdem er jetzt durch den Betrieb einer integrierten Anlage (Mikroplant oder Miniplant) entdeckt wurde, kann er charakterisiert und in die Simulation mit einbezogen werden [Buschulte 1995]. Wa¨hrend man mit Hilfe der Mikroplants versucht die wichtigsten Ru¨ckfu¨hrungen schon im Labor zu testen, werden mit der integrierten Miniplant alle Ru¨ckfu¨hrungen gepru¨ft.

4.5

Die Pru¨fung des Gesamtverfahrens im Technikum Das Verfahren verla¨sst nun die Forschungsphase und geht in die Entwicklungsphase u¨ber. Damit ist ein Sprung in den Kosten verbunden, der ab jetzt ein diszipliniertes „Milestoning“ und eine sta¨ndige Kosten- und Zeitkontrolle notwendig macht. Als integrierte Technikumsanlagen werden heute meist sog. Miniplants verwendet. Auf diese soll im Folgenden na¨her eingegangen werden. 4.5.1

Miniplant-Technik [Heimann 1998] 4.5.1.1

Einleitung

Mit der Verbesserung der Rechenprogramme zur Modellierung von Prozessen hat die sog. ganzheitliche „Integrierte Miniplant-Technologie“ als Kombination von experi-

307

308

4 Ablauf einer Verfahrensentwicklung

menteller Miniplant-Technik und Prozesssimulation [Buschulte 1995, Behr 2000] in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen, da der Synergismus zwischen Miniplant-Technik und mathematischer Simulation zu einer a¨hnlich guten scale-up Sicherheit fu¨hrt wie der Einsatz einer Pilotanlage [Greß 1979, Maier 1990, Robbins 1979, Burst 1991]. Die integrierte Miniplant-Technik la¨sst sich wie folgt charakterisieren: *

*

*

*

*

*

Die Versuchsanlage realisiert physikalisch alle Ru¨ckfu¨hrungen (sog. integrierte ¨ bertragungssicherheit gewa¨hrleistet Miniplant). Dadurch wird eine hohe U [Wo¨rz 1995]. Die verwendeten Bauteile (Kolonnen, Pumpen, Ku¨hler, Leitungen) entsprechen weitgehend denen im Labor. Es werden wenn mo¨glich standardisierte, im Dauerbetrieb bewa¨hrte und wiederverwendbare Bauteile eingesetzt. Dadurch werden niedrige Investitionskosten und eine hohe Flexibilita¨t erreicht. Die Anlage wird wochenlang im Schichtbetrieb – rund um die Uhr – gefahren. Daher ist sie soweit wie mo¨glich zu automatisieren, um die Betreibungskosten niedrig zu halten. Dies sollte allerdings nicht auf Kosten der Flexibilita¨t gehen. Die eingesetzten Mess- und Regelgera¨te sind standardisierte Teile, die heute meist an ein kleines Prozessleitsystem angeschlossen sind [Wo¨rsdo¨rfer 1991]. Dadurch ¨ nderungen im Mess- und Regelbereich schnell durchzufu¨hren. sind A Die gesamte Anlage wird u¨blicherweise in einer abgesaugten Kammer aufgebaut, wodurch ein Nicht-Ex-Betrieb mo¨glich ist und die Anforderungen an die Arbeitssicherheit [Behr 2000] einfacher eingehalten werden ko¨nnen.

4.5.1.2

Aufbau

Fu¨r den Aufbau einer Miniplant sind mindestens folgende Planungsunterlagen zu erarbeiten: *

*

*

*

Verfahrensfließbild mit allen Mengenstro¨men in der Miniplant und der zugeho¨rigen Temperatur und Druckbedingungen. Rohrleitungs- und Instrumentenfließbild (R&I) Soll-Informationen: – Alle Apparate und Maschinen – Nennweite, Druckstufe, Werkstoff der Rohrleitungen – Angaben zur Isolierung von Apparaten und Rohrleitungen – Aufgaben der Mess-, Steuerungs- und Regeltechnik. Messstellenverzeichnis (Messstellennummer, Spezifikation, Stu¨ckliste, Einbauort, s. auch Kap. 2.8.1) Sicherheitskonzept (Funktionsplan, d. h. die Verknu¨pfung der Geber (z. B. Temperatur, Druck, Durchfluss, Stand) und der Aktoren (z. B. Ventile, Pumpen) durch die Sicherheitslogik (s. auch Kap. 2.8.3).

4.5 Die Pru¨fung des Gesamtverfahrens im Technikum

Festlegung der Apparategro¨ße Auf den Durchsatz bezogen ist der Hold-up in der Miniplant fast immer gro¨ßer als in der technischen Anlage. Daher ist die Gro¨ße dieser Beha¨lter und Kolonnensu¨mpfe zu minimieren, da sonst das Erreichen des stationa¨ren Zustandes der Miniplant durch große Verweilzeiten zu lange dauert (Beispiel 4-3). Fu¨r die als besonders kritisch anzusehenden Kolonnensu¨mpfe ist ein Hold-up von 100-200 ml normalerweise die unterste Grenze. Unterhalb dieses Bereiches ist ein Laborverdampfer normalerweise nicht mehr sinnvoll zu betreiben (zu große Temperaturdifferenzen, Scha¨umen u. a.).

Beispiel 4-3 Ein Hochsiederru¨ckstand fa¨llt in einer Miniplant mit 1 g h 1 an. Er wird aus einer Destillationskolonne (Blaseninhalt ¼ 200 ml) im Sumpf ausgeschleust (mittlere Verweilzeit 200 h). Die Zeit bis zum Erreichen der Stationarita¨t betra¨gt somit etwa 25 Tage (ca. 3 mal die mittlere Verweilzeit). Erst nach dieser Zeit kann dieser Sumpfru¨ckstand bilanziert und Aussagen u¨ber Fouling-Verhalten, Zusammensetzung, Eigenschaften u. a. gemacht werden.

Festlegung der Mengenstro¨me In Kap. 4.2 wurde gezeigt, dass von einer hypothetischen Großanlage aus im scale-down Verfahren eine Miniplant ausgelegt werden soll. Der scale-down Faktor wird durch die Ermittlung des kritischen Massenstromes bestimmt (Beispiel 4-4). Dazu werden zuna¨chst mit Hilfe des erarbeiteten Massenschemas der Großanlage die Stellen mit dem kleinsten und dem gro¨ßten Mengenstrom im Verfahrensweg ermittelt. Die Handhabbarkeit dieser Stro¨me bestimmt den scale-down Faktor. Sinnvoll sind in einer Miniplant im Normalfall nur Stro¨me mit minimal 1 g h 1 bzw. maximal 10 kg h 1. Die Mindestmenge wird vor allem bestimmt durch die Zeit, die zum Erreichen eines stationa¨ren Zustandes beno¨tigt wird (Beispiel 4-3). Die obere Grenze des Mengenstroms ist festgelegt durch die hydrodynamische Belastung der verwendeten Laborkolonnen (max. ca. 50 mm Durchmesser).

Beispiel 4-4 Hypothetische Großanlage mit 5 t h *

*

1

Produktion:

1

kleinster Strom: 50 kg h eines Hochsieders, der ausgeschleust und verbrannt werden muss. gro¨ßter Strom: 100 t h 1 Reaktionsaustrag, in dem das Wertprodukt als 5 %-ige wa¨ssrige Lo¨sung vorliegt.

Scale-down-Faktor * *

aus kleinstem Strom: 50 kg h 1/1 g h 1 ¼ 50 000 aus gro¨ßtem Strom: 100 t h 1/10 kg h 1 ¼ 10 000.

Daraus ergibt sich, dass die Miniplant fu¨r eine Kapazita¨t von mindestens 100 g h ho¨chstens 500 g h 1 Wertprodukt auszulegen ist.

1

oder

309

310

4 Ablauf einer Verfahrensentwicklung

Festlegung der Apparateart Anders als beim normalen Laborexperiment, wo nur tagsu¨ber die Apparatur la¨uft, mu¨ssen Miniplants Tag und Nacht, und das u¨ber Wochen, im Dauerbetrieb laufen, damit sie ihre Aufgabe erfu¨llen ko¨nnen. Das liegt zum einen an dem oft hohen Zeitbedarf bis zum Erreichen eines stationa¨ren Zustandes, zum anderen an Langzeiteffekten wie Korrosion, Fouling, Katalysatordesaktivierung u. a., u¨ber die erst nach langer Zeit (1 Woche bis 6 Monate) eine verla¨ssliche Aussage mo¨glich ist. Die Anforderung an die Verfu¨gbarkeit der Anlagenkomponenten ist daher bei Miniplants, anders als im Labor, sehr hoch und entspricht fast dem der Großanlage. Dies setzt mitunter sehr enge Grenzen bei der Apparateauswahl und macht an manchen Stellen eine eigene Entwicklung erforderlich, da der Markt Entsprechendes nicht bietet. 4.5.1.3

Grenzen der Miniaturisierung

Tab. 4-7 zeigt die Grenzdimensionen, bis zu denen aus den ausgewerteten Versuchsergebnissen noch Scale-up fa¨hige Aussagen fu¨r den Verfahrensablauf gezogen werden ko¨nnen. Kolonnen, die normalerweise den gro¨ßten Anteil an einem Verfahren einnehmen, sind beispielsweise bei einer eingebauten geordneten Packung bis hinunter zu 35 mm Durchmesser noch sinnvoll betreibbar. Bei den Bodenkolonnen mit einer Glocke je Boden liegt die Grenze bei ca. 50 mm Durchmesser. Bei noch kleineren Dimensionen ko¨nnen Wandeffekte nur noch schwer unterdru¨ckt werden. Im Bereich der Feststoffhandhabung oder bei extremen Betriebsbedingungen gibt es meistens keine ka¨uflichen Versuchsgera¨te. Dies zwingt oft zu Eigenentwicklungen und zur Kooperation mit den Fachfirmen und auch mit Instituten an Universita¨ten und Forschungsgesellschaften. Es gilt, diese Synergien zu nutzen. Der Mess- und Regelaufwand kann fu¨r die Miniplant oft erheblich geringer sein als fu¨r die entsprechende Großanlage. Voraussetzung ist aber, dass die Miniplant u¨berwiegend aus Glasteilen besteht, also im Niederdruckbereich arbeitet, und so eine ¨ berwachung (Flu¨ssigkeitssta¨nde, Ablagerungen, Schaumbildung u. a.) erheblich U Tab. 4-7

Beispiele erprobter Grenzen der Miniaturisierung [Maier 1990].

Beispiele

Erprobte und getestete Grenzen

Kolonnen

30 mm Durchmesser, gepackte Kolonnen 35 mm Durchmesser, strukturierte geordnete Packungen, Dual-Flow Kolonnen 50 mm Durchmesser, Glockenbodenkolonnen

Pumpen

1 mL h 1 Spritzenpumpen 10 mL h 1 Kolbenpumpen 100 L h 1 Kreiselpumpen

Bandfilter

50 mm Bandweite

Zentrifugen

5L h

Rohrleitungen

1,5 mm Außendurchmesser, Metall oder PTFE

1

Austrag

4.5 Die Pru¨fung des Gesamtverfahrens im Technikum Tab. 4-8

Erprobte Grenzen der Miniaturisierung von Mess- und Regelkomponenten [Maier 1990].

Messgro¨ße

Messprinzip

Erprobter minimaler Messbereich

Gasstr€ ome

thermisch

0,02…0,6 L h

ome Fl€ ussigkeitsstr€

Temperatur

Stand

Differenzdruck

1

1

volumetrisch

2…200 L h

thermisch

2…30 g h

Corioliskraft

0,07…1,5 kg h

1 1

1

magnetisch induktiv

0,6…6 L h

volumetrisch

0,1…1 L h 1 f€ ur Kolbenz€ahler 2…40 L h 1 f€ ur Ovalradmesser 1 mL h 1 f€ ur Dosierpumpen

gravimetrisch

2…50 g h

Widerstands€anderung

max. Bereich

Thermoelektrische Spannung

max. Bereich 0…1000 8C

1

(Wagebereich 0…5000 g)

konduktiv

> 50 mm

kapazitiv

> 50 mm

hydrostatisch

> 4 mbar

Dehnungsmessstreifen

ab 1,25 mbar

200…600 8C

piezoresistiv kapazitive

einfacher ist als die der Großanlage. Schulz-Walz zeigt Beispiele von Mess- und Dosiertechniken beim Betrieb von Miniplants [Schulz 1990]. Auf dem Gebiet der Sensortechnik hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten Wesentliches getan. Neben der Elektronik und Prozessortechnik hat insbesondere die Miniaturisierung der Sensoren die Miniplanttechnik erheblich vereinfacht (Tab. 4-8). Man kann vier Stufen der Miniplant-Automatisierung unterscheiden: Stufe 1 Die Elektro-, Mess- und Regel-Ausru¨stung der Miniplant besteht aus autarken kompakten Einzelkomponenten (Beispiel: Waage – Dosierregler – Dosierpumpe – Thermostat – Temperaturregler – pH-Sensor – Einzelregler – Regel¨ berwachung und Bedienung erfolgt ventil – Drucksensor – Schreiber). Die U durch das Schichtpersonal. Stufe 2 Der Aufbau der Sensoren, Aktoren und Einzelkomponenten ist entsprechend der Stufe 1. Die einzelnen Komponenten ko¨nnen jedoch u¨ber Schnittstellen bzw. u¨ber Messdaten-Interface mit einem Rechner zur Datenverarbeitung ¨ berwachung und Bedienung erfolgt hier durch verbunden werden. Die U das Schichtpersonal. Stufe 3 Das System zur Messdatenerfassung ist entsprechend wie in Stufe 2. Die Steuerung und die Sollwertvorgabe fu¨r die unterlagerten autarken Einzelkomponenten erfolgt jedoch von einer u¨bergeordneten Automatisierungssoft-

311

312

4 Ablauf einer Verfahrensentwicklung

ware. Das Schichtpersonal kann sich auf Beobachtungsaufgaben konzentrieren. Stufe 4 Die Miniplant ist mit einem kompakten Prozessleitsystem (s. Abb. 2.8.1) ausgeru¨stet. Das Aktor- sowie Sensorsystem ist wie bei Stufe 1. Alle sonstigen Funktionen wie Steuern, Messen, Regeln, Rechnen, Datenverarbeitung, Optimierung, Archivierung, Alarmierung, Protokollierung, Bedienung und Beobachtung erfolgt mit dem Prozessleitsystem. Die Wahl der Automatisierungsstufe wird in der Planungsphase der Miniplant gema¨ß den spezifischen Anforderungen und Randbedingungen der Anlage und der Versuche festgelegt. Diese ho¨heren Automatisierungsstufen 3 bzw. 4 sind erst dann gerechtfertigt, wenn eine Miniplant u¨ber einen la¨ngeren Zeitraum betrieben werden soll. 4.5.1.4

Grenzen der Miniplanttechnik

Ein prinzipieller Nachteil der Miniplant zeigt sich dann, wenn es einzelne kritische ¨ bertragung von der Miniplant zur techSchritte im Verfahren gibt, bei denen die U nischen Anlage mit einem großen Risiko behaftet ist. Scale-up Faktoren von ca. vier Zehnerpotenzen sind z. B. bei Extraktions- und Kristallisationsschritten auch heute noch nicht machbar. Man kann diesen Nachteil oft umgehen, indem man die kritischen Teilstu¨cke aus dem Verfahren herauslo¨st und sie in einer Zwischenstufe (PilotStufe) bearbeitet. Wenn es mo¨glich ist, aus einer integrierten Miniplant mit vertretbarem Aufwand soviel eines Originalaustrages zu sammeln, um damit z. B. eine Extraktionskolonne oder einen Kristaller im Pilot-Maßstab genu¨gend lange mit repra¨sentativem Feed betreiben zu ko¨nnen, so kann die Gesamtanlage wieder mit kalkulierbarem Risiko hochgerechnet werden. Der Bau einer kosten- und zeitintensiven Pilot-Anlage fu¨r das Gesamtverfahren kann dadurch umgangen werden [Berty 1979].

4.5.2

Pilotanlage

Der Bau einer Pilotanlage kann dann notwendig werden, wenn eine der folgenden Bedingungen zutrifft [Palluzi 1991]: *

*

* *

¨ bertragungsrisiko ist zu groß, um von der Miniplant direkt zur technischen Das U Anlage zu gehen. Das Verfahren entha¨lt mehrere kritische Stufen, die durch physikalische Modelle nicht beschreibbar sind (Feststoffhandling u. a.). Es kommt eine schwierige bzw. vo¨llig neuartige Technologie zum Einsatz. Es mu¨ssen so große repra¨sentative Produktmengen z. B. zur Markteinfu¨hrung gestellt werden, dass diese nicht mehr in vernu¨nftiger Zeit in der Miniplant produziert werden ko¨nnen.

4.5 Die Pru¨fung des Gesamtverfahrens im Technikum

Beim Betrieb der Pilotanlage sind alle die Fragen zu kla¨ren, welche in der Miniplant nicht repra¨sentativ beantwortet werden konnten. Beispiele sind [Lowenstein 1985, Berty 1979]: * * * *

*

* * * * *

¨ berpru¨fung der Auslegungsrechnungen U Lo¨sung der scale-up Probleme ¨ berpru¨fung der experimentellen Ergebnisse der Miniplant U Messung der wahren Temperaturprofile in Reaktoren und Kolonnen unter adiabatischen Bedingungen Gewinnung von Prozess Know-how (dynamisches Verhalten der Anlage, An- und Abfahrprozeduren) Gewinnung repra¨sentativer Probemengen in gro¨ßeren Mengen Genaue Bilanzierung relativ kleiner Stro¨me (z. B. Ru¨cksta¨nde) Training der spa¨teren Betriebsleitung Bessere Abscha¨tzung der zu erwartenden Laufzeiten Materialtests unter realistischen hydrodynamischen Bedingungen.

Eine Pilotanlage sollte so ausgelegt werden, dass sie eine scale-down Version der technischen Anlage ist und kein gro¨ßeres Abbildung der existierenden Miniplant. Die Planung, der Bau und der Betrieb der Pilotanlage ist heute schon fast genauso aufwendig wie der einer technischen Anlage. Die Entscheidung zum Bau einer Pilotanlage lo¨st erhebliche Kosten aus. Als Faustregel betra¨gt die Erstinvestition mindestens 10 % der Investitionskosten der spa¨teren technischen Anlage. Wenn mit besonders toxischen Substanzen gearbeitet werden muss oder vom Gesetzgeber vorgegebene Mengen u¨berschritten werden, sind Pilotanlagen genehmigungspflichtig. Dadurch kann die Zeit bis zur Inbetriebnahme der Pilotanlage erheblich steigen. Nach einem erfolgreichen Abschluss der Verfahrensentwicklung im Pilotmaßstab ist die Anlage solange im stand-by Zustand zu halten, bis die technische Anlage problemlos la¨uft. Normalerweise wird beim Anfahren der Großanlage die Pilotanlage mit betrieben werden, um auftretende Probleme dort schnell bearbeiten und vor allem das Verfahren gleich kostengu¨nstiger und ohne Gefa¨hrdung der Produktion weiter verbessern zu ko¨nnen. Zudem ko¨nnen auch Lizenzfragen dort bearbeitet werden. Trotz allem Know-how der Verfahrensentwicklung sollte aber nicht vergessen werden, dass es zu sehr teuren Flops im technischen Maßstab kommen kann. Die Geschichte der chemischen Industrie kennt zahlreiche Beispiele.

313

5

Planung, Errichtung und Betriebnahme einer Chemieanlage

Verfahrensentwicklung. G. Herbert Vogel Copyright © 2002 Wiley-VCH Verlag GmbH ISBN: 978-3-527-28721-5

5.1 Allgemeiner Ablauf einer Projektabwicklung

Die Geschichte der gezielten Planung von Chemieanlagen ist erst gut 100 Jahre alt [Kra¨tz 1990, Sattler 2000]. C. Duisberg plante im Jahr 1898 erstmals den Bau einer gesamten neuen chemischen Fabrikanlage am Reißbrett. Vorher baute man das, was man jeweils gerade brauchte, so dass chemische Fabriken nach kurzer Zeit einen chaotischen Anblick boten. Heute besteht eine neue Anlage lange bevor ein Grundstu¨ck erschlossen, Beton gegossen oder Stahl angeliefert wird, nur aus einem Stapel Papier bzw. Festplatten. Chemische Produktionsanlagen sind in der Regel komplexe Unikate, die einer Vielzahl von beho¨rdlichen Auflagen und Vorschriften unterliegen. [Wengerowski 2001]. Zur Planung und Errichtung solcher Anlagen hat sich ein dreistufiges Vorgehen etabliert. Hierbei wird in einzelnen Schritten mit definierten Teilzielen die Planung verfeinert, wobei vor allem in der fru¨hen Planungsphase durch intensives Nachdenken, kreative Ideen u. a. die Investitionskosten gesenkt werden ko¨nnen. Die beiden Hauptziele sind hierbei: * *

Erreichen einer großen Investitionssicherheit Minimierung des technischen Risikos.

5.1

Allgemeiner Ablauf einer Projektabwicklung Mit der Fertigstellung der Projektstudie (Kap. 6) ist die Verfahrensentwicklung zu einem gewissen Abschluss gekommen. Sind alle Rahmenbedingungen positiv, so muss es jetzt zu einer unternehmerischen, d. h. strategischen oder wirtschaftlichen Entscheidung des zusta¨ndigen Unternehmensbereiches (Produktsparte) oder des Vorstandes auf der Basis der vorliegenden Informationen (Projektstudie, Marketingstudien, Patentsituation u. a.) kommen. Jede Zeitverzo¨gerung kostet Geld, da die Versuchsanlagen (Mini- oder Pilotplant) in einem gewissen, wenn auch reduziertem Rahmen weiter betrieben werden mu¨ssen oder da eventuell ein Wettbewerber fru¨her am Markt sein ko¨nnte. Gerne verwendete Ausreden, die Entscheidung weiter hinauszuzo¨gern sind: * *

Haben sie das schon untersucht? Jenes Detailergebnis sollte man noch abwarten!

u. a. Ist die Entscheidung negativ, so muss die Konsequenz heißen: Versuchsanlagen abbauen. Ist sie positiv, d. h. wird ein Vorplanungsauftrag erteilt, wird die interne oder eine externe Ingenieurabteilung beauftragt, eine Machbarkeitsstudie (sog. Feasibility Study) zu erstellen. Die Federfu¨hrung fu¨r das Projekt geht jetzt von der Forschung auf die entsprechende Ingenieurabteilung u¨ber. Viele große Chemiefirmen besitzen eine eigene Entwicklungs- und Ingenieurabteilung, die alle notwendigen Aktivita¨ten von der verfahrenstechnischen Forschung bis hin zur Montageabwicklung in Eigenregie durchfu¨hrt (In-house-Engineering). Durch Rationalisierungsmaßnahmen sind diese in den letzten Jahren oft soweit reduziert oder ausgelagert worden, dass nur noch eine

317

318

5 Planung, Errichtung und Betriebnahme einer Chemieanlage

Kernmannschaft vorhanden ist, die in der Regel nur die Grundplanung durchfu¨hrt. ¨ berwachung von BauDie Detailplanung, die Beschaffung der Ausru¨stung sowie die U und Montagearbeiten werden von Kontraktoren erbracht, die bei ihrer Arbeit von der internen Ingenieurabteilung beraten werden. Bei Neuanlagen mit großem internen Know-how wird man versuchen, das Projekt mit der eigenen Mannschaft durchzufu¨hren, wa¨hrend man Standardanlagen von externen Anlagenbau-Firmen errichten la¨sst. Die Zusammenarbeit mit Kontraktoren wird vorher vertraglich festgelegt ¨ bergabe, sog. lump-sum-contract oder Bezahlung nach Auf(z. B. schlu¨sselfertige U wand, sog. reimbursable contract) oder Mischformen davon, wobei heute incentive payments an die Kontraktoren eine immer gro¨ßere Rolle spielen, wenn ein bestimmtes Projekt unter Budget und/oder schneller als geplant beendet wird. Erwa¨hnt werden sollen hier auch strategic alliances zwischen Auftraggebern und Chemieingenieurfirmen/Kontraktoren. Die Projektabwicklung (vom Abschluss der Verfahrensentwicklung in der Forschung bis zur Inbetriebnahme der Großanlage) la¨uft nach dem in Abb. 5-1 angegebenen Schema ab [Dietz 2000, Wengerowski 2001]. zu Phase I Das Ziel dieser Projektphase, der sog. Planungsphase (andere Ausdru¨cke: konzeptionelle Phase, Basic-Design, Preproject) ist es, bei vertretbarem Aufwand zu analysieren, ob es aus unternehmenspolitischer Sicht wirtschaftlich ist, das in der Projektstudie aufgefu¨hrte Verfahren anlagentechnisch zu realisieren. Die Anlage muss definiert werden; zu diesem Zweck werden in einer Projektierungsabteilung eine Vielzahl von Studien und Analysen erarbeitet, die dem Unternehmensmanagement die Entscheidung erleichtern. Die Gesamtheit dieser Studien und Analysen wird Machbarkeitsstudie oder Feasibility Study genannt. Der Schwerpunkt der Arbeiten liegt hier auf der Bewertung des Verfahrens und seiner Wirtschaftlichkeit, der Bewertung von Alternativen sowie der Vorkla¨rung der beho¨rdlichen Genehmigungssituation. Tab. 5.1-1 gibt das Hausaufgabenheft der Planungsphase wieder. Der zeitliche Bedarf fu¨r diese Phase ist von Projekt zu Projekt recht unterschiedlich und ha¨ngt von vielen Faktoren ab. Eine Verzo¨gerungstaktik ist nicht angebracht, da auch jetzt Kapital (z. B. fu¨r das Warmhalten der Versuchsanlagen) beno¨tigt wird. Ab der Erteilung des Planungsauftrages, meist durch den zusta¨ndigen Unternehmensbereich, werden aber mindestens 3 bis 6 Monate gebraucht, um die beno¨tigten Unterlagen zu erstellen. Wenn mo¨glich sollte schon in dieser Phase der potenzielle Projektleiter festgelegt werden, der spa¨ter zusammen mit dem Projektingenieur die volle Verantwortung fu¨r die Abwicklung des Projektes tra¨gt. Am Ende dieser Phase sollte eine unabha¨ngige Kommission den vorgelegten Projektantrag unter folgenden Gesichtspunkten pru¨fen: *

* * *

strategische Bedeutung (passt das Projekt in die mittel- und langfristige Strategie des Unternehmens (s. auch Stichwort Firmenportfolio in Kap. 3.7) wirtschaftliche Bedeutung (Renditekennzahlen, s. Kap. 6.2) technische Reife und Risiko? (s. Kap. 6.1.7) beho¨rdliche Genehmigungssituation (s. Kap. 5.2.1).

5.1 Allgemeiner Ablauf einer Projektabwicklung

Abb. 5-1

Ablauf einer Projektabwicklung.

319

320

5 Planung, Errichtung und Betriebnahme einer Chemieanlage Tab. 5.1-1

Wichtige T€atigkeiten in der Planungsphase.

Ta¨tigkeit

Ergebnis

Verantwortlicher

Festlegung * Anlagenkapazita ¨t * on-stream Zeit * Standort

Anforderungen an Logistik

Marketing, Produktion

Untersuchung von Alternativen (Standort, Kosten, Umwelt)

Verfahrenskonzept

Forschung, Entwicklung, Produktion

Werkstoffempfehlungen

Materialschlu¨ssel

Forschung, Entwicklung

Zusammenstellung der Stoffdaten

Stoffdatenordner

Forschung, Entwicklung

Verfahrenssimulation und Teiloptimierung

Verfahrensfließbilder mit Massenbilanz

Entwicklung, Projektierung

Linnhoff-Analyse (Kap. 6.1.6.2)

optimierte Energiebilanz

Ingenieurabteilung

Grobdimensionierung der Maschinen und Apparate

Technische Bla¨tter fu¨r Hauptausru¨stung

Entwicklung, Projektierung

Aufstellungsstudie

„Styropormodell“

Projektierung

Entwurf der Aufstellungs- und Lagepla¨ne

Lageplan

Projektierung

Sicherheitsbetrachtung (1 Stufe)

Sicherheitsforderungskatalog

Investitionskostenscha¨tzung  15 % ¨ bersichtsterminplan fu¨r die U

Sicherheitsabteilung Ingenieurabteilung Ingenieurabteilung

Phasen II und III Zusammenstellung aller Unterlagen fu¨r die Freigabe zur Ausarbeitung

Projektantrag

Ingenieurabteilung

Fa¨llt die Pru¨fung positiv aus, so ist das Projekt, gegebenenfalls unter Auflagen, zur Ausarbeitung freigegeben. zu Phase II In dieser Phase, der sog. Ausarbeitungsphase (andere Ausdru¨cke sind: Genehmigungsphase, Basic Engineering), die sich von der Freigabe zur Ausarbeitung bis zur Genehmigung erstreckt, sind detailliert aufgeschlu¨sselte Projektunterlagen zu erstellen (Tab. 5.1-2). Diese bilden das Grundgeru¨st der Anlagenplanung, die anschließend in die Ausschreibungs- bzw. Bestellphase geht. Als Ergebnis der Ausarbeitungsphase ist die Anlage und deren Funktion in allen Komponenten vollsta¨ndig definiert. Auch in dieser Phase ist moderne Engineering-Planungssoftware nicht mehr wegzudenken. Es erfolgt eine genaue Bearbeitung der einzelnen Verfahrensschritte (Auslegung, Berechnungen, Versuche, Qualita¨tssicherungsmaßnahmen). All diese Aktivita¨ten fließen in dem sog. R&I-Fließbild zusammen, dass die Basis fu¨r die spa¨tere Erstellung des Anlagenmodells, der Bau- und Montageplanung (Apparateaufstellungs- und Rohrleitungsplan), der Technischen Bla¨tter und des Sicherheits- sowie des MSR-Konzeptes (MSR ¼ Mess-Steuerung-Regelung) ist.

5.1 Allgemeiner Ablauf einer Projektabwicklung Tab. 5.1-2 T€atigkeiten in der Ausarbeitungsphase. Bei allen T€atigkeiten ist das Projektteam (Projektleiter und Projektingenieur) federf€ uhrend. Ta¨tigkeit

Ausfu¨hrender

Stoff- und Energiebilanz (optimiertes Verfahrensfließbild)

Forschung, Entwicklung, Ingenieurabteilung

Entwurf der R&I-Schemata

Projektteam, Ingenieurabteilung

Sicherheitsbetrachtung zweite Stufe (Sicherheitsanforderungen fu¨r die na¨chste Phase formulieren)

Sicherheitsabteilung, Forschung

Unterlagen fu¨r Beho¨rdenantrag

Genehmigungsabteilung

Beho¨rdengespra¨ch

Genehmigungsabteilung, zusta¨ndiger Unternehmensbereich

Dimensionierung der Maschinen und Apparate

Entwicklung, Ingenieurabteilung

Medienschlu¨ssel und Werkstoffliste

Ingenieurabteilung

Liste der elektrischen Verbraucher

Ingenieurabteilung

Investitionskostenscha¨tzung  5 %

Ingenieurabteilung

Terminplan fu¨r die Phase III

Projektteam

Personalbedarf (erstellen des Personalplanes)

Personalabteilung, Betriebsrat

Patent- und Linzenssituation (positives Gutachten?)

Patenabteilung

Antrag auf Genehmigung

Das Projektteam, bestehend aus Projektleiter und Projektingenieur, muss festgelegt sein. Sie sind sowohl fu¨r die Erarbeitung als auch fu¨r die Durchfu¨hrung des Projektes verantwortlich. Ihnen obliegt unter Hinzuziehen von Fachkra¨ften: * * * * * * *

die Planung die Vorbereitung ¨ berwachung der Terminpla¨ne das Aufstellen und die U ¨ die Uberwachung der Montage die Kostenu¨berwachung das Commissioning (¼ Vorbereitung zum Anfahren) die Inbetriebnahme.

Aus der Projekt- bzw. Durchfu¨hrbarkeitsstudie sind die einzelnen Verfahrensschritte und die ungefa¨hren Abmaße der dafu¨r beno¨tigten Maschinen und Apparate bekannt. Ergeben sich aufgrund der Sicherheitsbetrachtung oder eines fortschrittlicheren Standes der Technik bzw. Sicherheitstechnik neue Erkenntnisse, so wird das Verfahrenskonzept u¨berarbeitet und neu gezeichnet. Dieser iterative Prozess wird wa¨hrend der detaillierten Bearbeitung der einzelnen Verfahrensschritte mehrfach durchgefu¨hrt werden mu¨ssen. Wichtig ist daher eine klare Dokumentation der Entscheidungskriterien und eine Fortschreibung des Erkenntnisstandes. Parallel werden in der Regel die erforderlichen beho¨rdlichen Genehmigungen beantragt. Mit einem vertretbaren Aufwand ko¨nnen am Ende dieser Phase die Investitionskosten auf  10 % genau bestimmt werden. Die ersten Apparate mit langen Lieferzeiten werden in der Regel am Ende der Ausarbeitungsphase bestellt.

321

322

5 Planung, Errichtung und Betriebnahme einer Chemieanlage

Zur Erstellung der gesamten Unterlagen sind mindestens (je nach Projektgro¨ße) 6 bis 12 Monate zu veranschlagen. Unvorhergesehene Ereignisse wie z. B. Einspru¨che Außenstehender (Privatpersonen, Umweltverba¨nde, Patentkla¨ger) ko¨nnen diesen Zeitraum erheblich verla¨ngern. zu Phase III Nach der Genehmigung des Vorstandes stehen die Gelder zur Realisierung des Projektes zu Verfu¨gung, es beginnt die sog. Durchfu¨hrungsphase (detail engineering). Jetzt werden die definierten Ausfu¨hrungspla¨ne und Unterlagen erstellt. Ab diesem Zeitpunkt steht das gesamte Projektteam unter einem enormen Zeitdruck. Jede Verzo¨gerung bewirkt, dass der Anfahrtermin nach hinten verschoben werden muss, mit der Folge, dass das investierte Kapital keine Rendite erwirtschaften kann. Oberstes Ziel ist es daher jetzt, die Anlage mo¨glichst bald in Betrieb zu nehmen. Nur eine genaue Terminplanung (Hilfsmittel: Balkendiagramm u. a.) und konsequente, „brutale“ Terminverfolgung durch die Projektleitung ermo¨glicht einen nach außen reibungslosen Ablauf von Planung, Bau und Montage [Hyland 1998]. Nach dem Abschluss der Detailplanung werden die Ergebnisse (R&I-Fließbild, Technische Bla¨tter u. a.) zusammengefasst und veranschaulicht. Zu diesem Zweck wird ein Modell der Anlage angefertigt (Kunststoff- oder CAD-Modell). Auf der Grundlage dieses Modells und der Planungsunterlagen wird zuna¨chst mit der Erstellung des Rohbaus mit allen Hilfseinrichtungen begonnen (Tab. 5.1-3).

Tab. 5.1-3

T€atigkeiten in der Durchf€ uhrungsphase.

Ta¨tigkeit Detailplanung: * * * * *

Verfahrensfließbilder R&I-Fließbilder Aufstellungspla¨ne Medienschlu¨ssel Maschinen und Apparatebla¨tter

Sicherheitsbetrachtung (3 Stufe) Beschaffung: * * *

Entwurf von technischen Bla¨ttern fu¨r die Maschinen und Apparate Teilnahme an wichtigen Vergabeverhandlungen Kontrolle von Herstellerzeichnungen und Baupla¨nen

Rohrplanung und Modellbau Kostenkontrolle Terminkontrolle Commissioningpla¨ne Montageu¨berwachung Projektabschluss einschließlich Dokumentation

5.1 Allgemeiner Ablauf einer Projektabwicklung Tab. 5.1-4

Zeitplan einer Projektabwicklung.

Jahre

Aktivita¨t

0

Inbetriebnahme Mechanische Fertigstellung

0,5

1 Montagebeginn (Modell auf Baustelle) 1,5

2

Baubeginn (ca. 80 % aller Bestellungen sind erfolgt) Beho¨rdengenehmigung liegt vor Grundmodell fertig (Beginn Detailmodellbau)

2,5

Genehmigung Vorstand Sicherheitsbetrachtung Stufe III, Ausgang Bestellung Großapparate ggf. Ero¨rterungstermin bei Beho¨rde

3

3,5

Beginn Offenlegung bei Beho¨rde (Offenlegungsfassung) Beho¨rdenbesprechung R&I-Schema Detailauslegung fertig Freigabe zur Ausarbeitung

4

Sicherheitsbetrachtung Stufe 1 Beginn Erstellung der Beho¨rdenunterlagen Styropormodell

4,5

Verfahrensfließbild (Mengengeru¨st) Kickoff-Meeting mit Benennung des Projektteams

5

Festlegung der Kapazita¨t

5,5

Ernennung des Projektleiters

323

324

5 Planung, Errichtung und Betriebnahme einer Chemieanlage

Die Durchfu¨hrungsphase betra¨gt in der Regel 20 bis 24 Monate und ist normalerweise, auch bei noch so großem Einsatz des Projektteams, nicht zu beschleunigen, da die Termine durch Liefer- und Handwerkerzeiten festgelegt sind. In Tab. 5.1-4 ist ein typischer Zeitplan fu¨r eine Projektabwicklung wiedergeben.

5.2

Wichtige Teilaspekte bei der Projektabwicklung 5.2.1

Genehmigung

Die Genehmigung eines Investitionsvorhabens wird heute immer mehr zum geschwindigkeitsbestimmenden Schritt bei der Projektabwicklung. Wa¨hrend man die technischen Abla¨ufe durch Automatisierung und Einsatz von EDV immer weiter verbessert und optimiert hat, ist man bei der Genehmigung von außenstehenden Beho¨rden abha¨ngig. Daher ist es besonders wichtig, mit diesen einen guten Kontakt zu pflegen und sie mo¨glichst fru¨hzeitig zu informieren und in die Entscheidungen einzubinden. Der Antragsteller bzw. die ausfu¨hrende Stelle, das Projektteam, sieht sich heute einer Flut von Gesetzen, Verordnungen und Vorschriften gegenu¨ber, die bei Planung, Bau und Betrieb von Chemieanlagen „gestaltend und ordnend“ eingreifen. Vor dem ersten Spatenstich, muss in Deutschland eine Genehmigung fu¨r die Errichtung und spa¨ter fu¨r den Betrieb in rechtskra¨ftiger Form vorliegen. Das fru¨here Motto der Beho¨rde „Es ist alles erlaubt, was nicht verboten ist“ hat sich heute in das Gegenteil verkehrt, na¨mlich „Es wird nur das genehmigt, was ausdru¨cklich erlaubt ist“. Das Projektteam muss daher durch Fachleute (interne Genehmigungsabteilung) beim Beho¨rden-Engineering unterstu¨tzt werden. Das im Jahr 1974 inkraftgetretene Bundes-Immissions-Schutz-Gesetz (BImSchG) (s. Anhang 8.19) [Bimschg 2001] ist das Gesetz, nach dem verfahrenstechnische Anlagen genehmigt werden. Im Paragraph 1 (Fassung Bundesgesetzblatt Teil I Nr. 40 ¨ nderung des BImSchG) heißt es : vom 02.08.2001, Artikel 2 A „(1) Zweck dieses Gesetzes ist es, Menschen, Tiere und Pflanzen, den Boden, das Wasser, die Atmospha¨re sowie Kultur- und sonstige Sachgu¨ter vor scha¨dlichen Umwelteinwirkungen zu schu¨tzen und dem Entstehen scha¨dlicher Umwelteinwirkungen vorzubeugen. (2) Soweit es sich um genehmigungsbedu¨rftige Anlagen handelt, dient dieses Gesetz auch: *

*

der integrierten Vermeidung und Verminderung scha¨dlicher Umwelteinwirkungen durch Emissionen in Luft, Wasser und Boden unter Einbeziehung der Abfallwirtschaft, um ein hohes Schutzniveau fu¨r die Umwelt insgesamt zu erreichen, sowie dem Schutz und der Vorsorge gegen Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Bela¨stigungen, die auf andere Weise herbeigefu¨hrt werden.“

Unter scha¨dlichen Umwelteinflu¨ssen versteht man Immissionen (d. h. Auswirkungen der Anlage auf die Umwelt) wie:

5.2 Wichtige Teilaspekte bei der Projektabwicklung Tab. 5.2-1 Paragraph

Die f€ ur Chemieanlagen wesentlichen Paragraphen des BImSchG (Fassung vom 14.5.1990). Inhalt

1

Zweck des Gesetzes

4

Genehmigung

5

Grundpflichten der Betreiber genehmigungsbedu¨rftiger Anlagen

6

Genehmigungsvoraussetzungen

7

Rechtsverordnung u¨ber Anforderungen an genehmigungsbedu¨rftige Anlagen

10 16

Genehmigungsverfahren ¨ nderung genehmigungsbedu¨rftiger Anlagen (Anzeigen) A ¨ nderung genehmigungsbedu¨rftiger Anlagen (Antrag) wesentliche A

19

vereinfachtes Verfahren (Genehmigung)

62

Ordnungswidrigkeiten

15

*

* * * * *

Luftverunreinigungen (z. B. Rauch, Ruß, Gase, Aerosole, Da¨mpfe und Geruchsstoffe) Gera¨usche Erschu¨tterungen Licht Wa¨rme Strahlen.

Die wichtigsten Paragraphen sind in der Tab. 5.2-1 zusammengestellt. Da die technische Entwicklung sehr schnelllebig ist, wird im BImSchG nur das Ziel formuliert; Wege und Maßnahmen werden in technischen Regeln und Anleitungen, in Leitfa¨den sowie in Verwaltungsvorschriften und Durchfu¨hrungsverordnungen na¨her beschrieben. Diese werden dem „Stand der Technik“ entsprechend aktualisiert. Die wichtigsten Verordnungen fu¨r die Genehmigung von Chemieanlagen sind: * * *

*

4. BImSchV (entha¨lt einen Anhang von genehmigungsbedu¨rftigen Anlagen) 12. BImSchV (sog. Sto¨rfallverordnung) Verwaltungsvorschrift TA Luft (derzeit als Novelle (Entwurf) mit verscha¨rften Anforderungen) Verwaltungsvorschrift TA La¨rm.

Der zu betreibende Aufwand (quantifizierbar u¨ber die Zahl der Beteiligen oder die Anzahl der produzierten Aktenordner) zeigt, wie komplex heute das Beho¨rden-Engineering in Deutschland und wie wichtig eine gute Koordinierung der Arbeiten fu¨r einen zu¨gigen Ablauf ist, da die Genehmigungsdauer zunehmend zum zeitbestimmenden Faktor in der Entstehungsphase einer Chemieanlage wird. Das Gesetz unterscheidet drei Arten von Genehmigungsverfahren: * *

*

genehmigungsfreie Anlagen (§ 22 BImSchG, Abs. 1 und 2) ¨ ffentlichkeit, kein Ero¨rterungstermin, keine Pra¨vereinfachtes Verfahren (keine O klusion, es sei denn, die Anlage unterliegt der UVP-Pflicht (Umweltvertra¨glichkeitspru¨fung), dann ist ein Antrag im fo¨rmlichen Verfahren zu genehmigen) fo¨rmliches Verfahren.

325

326

5 Planung, Errichtung und Betriebnahme einer Chemieanlage

Abb. 5-2

Ablaufdiagramm f€ ur ein f€ ormliches Genehmigungsverfahren nach § 4 oder § 15 des BImSchG.

Das fo¨rmliche Genehmigungsverfahren nach BImSchG mit Vero¨ffentlichung ist i. A. das umfangreichste und zeitraubendste Verfahren fu¨r Chemieanlagen (Abb. 5-2). Nach der Erstellung des Grundkonzeptes wird ein Vorgespra¨ch mit der Genehmigungsbeho¨rde und Vertretern der wichtigsten Fachbeho¨rden (z. B. Gewerbeaufsichtsamt, Untere Wasserbeho¨rde) gefu¨hrt, um die Genehmigungsbedu¨rftigkeit und -fa¨higkeit, die Antragsart und den Umfang der Antragsunterlagen sowie die Frage der Vero¨ffentlichung fu¨r das Vorhaben zu kla¨ren. Die Gespra¨che mit den Beho¨rdenvertretern werden gegebenenfalls auch wa¨hrend der Erstellung der Unterlagen und nach Einreichung des Antrages wiederholt, um offene Fragen zu diskutieren. Bei Neuanlagen, die unter Spalte 1 in den Anhang der 4. BImSchV fallen oder bei Anlagen mit UVP-Plicht (UVP ¼ Umweltvertra¨glichkeitspru¨fung) immer und bei wesentlichen ¨ nderungen (§ 16 BImSchG) unter bestimmten Voraussetzungen muss das VorhaA ben vero¨ffentlicht und die Antragsunterlagen (geteilt in offene Unterlagen zur Einsicht und betriebsgeheime Unterlagen zum Schutz von Know-how und Betriebsgeheimnissen) offengelegt werden (Tab. 5.2-2). Werden Einwa¨nde von Betroffenen (Anlieger,

5.2 Wichtige Teilaspekte bei der Projektabwicklung Tab. 5.2-2

Inhaltsverzeichnis f€ ur einen Genehmigungsantrag nach BImSchG.

*

Standort der Anlage

*

Art, Umfang und Zweck des Verfahrens

*

Beschreibung des Verfahrens

*

Technische Einrichtungen und Nebeneinrichtungen der Anlage dargelegt durch: – Fließbild – Apparateliste – Baupl€ane, Apparateaufstellungspl€ane – gehandhabte Stoffe (Einsatzstoffe, Zwischen-, Neben- und Endprodukte, Brennstoffe, Reststoffe) – Maßnahmen f€ ur Abluftreinigung, L€armschutz, Brand- und Explosionsschutz, Abwasserbehandlung – Art und Ausmaß der Emissionen (TA-Luft) – Arbeitschutz – Sicherheit (evtl. Hinweis auf St€orfallV) – Gew€asserschutz (evtl. Hinweis auf Eignungsfeststellung nach WHG).

Umweltschu¨tzer u. a.) erhoben, muss ein Ero¨rterungstermin durchgefu¨hrt werden. Nach der Ero¨rterung und den Stellungnahmen der Fachbeho¨rden entscheidet die Genehmigungsbeho¨rde u¨ber Erteilung oder Versagen (normalerweise mit Auflagen) der Genehmigung. Sind alle Genehmigungsvoraussetzungen erfu¨llt, so besteht ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Genehmigung. Gegen diesen Bescheid ko¨nnen der Antragsteller und Einwa¨nder Rechtsmittel (letzte Instanz: Bundesverwaltungsgericht) einlegen, welche die Rechtskraft der erteilten Genehmigung stark verzo¨gern ko¨nnen. Lag die mittlere Laufzeit bis zur Bescheiderteilung eines Antrages nach dem BImSchG in den 70er Jahren und Anfang der 80er Jahre noch bei ca. 10 Monaten, so stieg sie durch die 5. Novelle WHG ab 1.1.1987 (sog. Sandozeffekt) und die Novelle Sto¨rfallverordnung (1.9.1988) bis 1990 auf mehr als das doppelte. Durch die sich verschlechternde Wirtschaftssituation Anfang der neunziger Jahre waren die Beho¨rden bemu¨ht, diese fu¨r alle Beteiligten unangenehme Situation in den Griff zu bekommen, so dass die Zeiten Mitte der neunziger Jahre bei ca. 4 bis 6 Monaten ab Abgabe des Antrages lagen. Die 9. BImSchV regelt im § 7 die Frist zur Pru¨fung der Vollsta¨ndigkeit der Antragsunterlagen (unverzu¨glich, in der Regel innerhalb eines Monates). Die Fristen bis zur Entscheidung der Beho¨rde und Bescheiderteilung sind im BImSchG in § 10, Abs. 6a geregelt (fo¨rmliches Verfahren 7 Monate, vereinfachtes Verfahren 3 Monate), wobei eine Fristverla¨ngerung der Beho¨rde unter bestimmten Voraussetzungen um 3 Monate mo¨glich ist.

5.2.2

Sicherheitsstudien

Zu den wesentlichen Anforderungen an chemische Anlagen geho¨rt neben den wirtschaftlichen Gesichtspunkten, dass sie einwandfrei funktionieren und die vorgegebene Leistung erbringen, d. h., dass sie verfu¨gbar sind. Weiterhin sollen sie sicher sein bei bestimmungsgema¨ßem und bei Sto¨rungen des bestimmungsgema¨ßen Betriebs. Idealerweise sollte Sicherheit ein Thema auf jeder Stufe der Verfahrensentwicklung

327

328

5 Planung, Errichtung und Betriebnahme einer Chemieanlage

sein – Labor, Miniplant, Pilotplant, Produktionsplanung und Betrieb. Die kostenwirksamsten Lo¨sungen ergeben sich in der Regel in den fru¨hen Planungsstadien. In der chemischen Industrie treten dabei im Vergleich mit anderen Industriezweigen verha¨ltnisma¨ßig wenige Sto¨rungen auf. Dabei ist das Gefahrenpotenzial beim Umgang mit den chemischen Rohstoffen und den synthetisierten Produkten vergleichsweise hoch. Die Stoffe mu¨ssen meist unter besonderen Druck- und Temperaturverha¨ltnissen gehandhabt werden, sie sind oft giftig, a¨tzend, brennbar, explosiv u. a. Die chemische Industrie hat daher schon von Anfang an die Wichtigkeit von ¨ berlegungen erkannt; entsprechend ist der Stand des Wissicherheitstechnischen U sens u¨ber die spezifischen sicherheitstechnischen Probleme bei chemischen Anlagen sehr hoch. Eine sichere chemische Anlage zu konzipieren, zu entwickeln und zu bauen, ist in jedem Fall eine interdisziplina¨re Aufgabe. Sie ist nur zu verwirklichen, wenn Chemiker, Ingenieure, Konstrukteure sowie Mess- und Regeltechniker gezielt zusammenarbeiten. Das große Ziel ist die „eigensichere“ Anlage. Bei der heutigen Gesetzgebungsflut wird oft u¨bersehen, dass die Industrie an sicheren und umweltfreundlichen Anlagen interessiert ist. Nur sichere und umweltfreundliche Anlagen arbeiten wirtschaftlich. Deshalb fu¨hrt die chemische Industrie ha¨ufig u¨ber die Forderungen des Gesetzgebers hinausgehende Sicherheitsbetrachtungen durch. Sie haben zum Ziel, die sicherheitstechnischen Grundkonzepte so detailliert darzustellen, dass sie von Fachleuten ohne projektspezifische Kenntnisse begutachtet werden ko¨nnen [Tro¨ster 1985, Eichendorf 2001]. Das Sicherheitskonzept einer Chemieanlage wird u. a. bestimmt durch: * * * * * *

die Qualifikation der Mitarbeiter die Stoffeigenschaften das Verfahren den Standort die Geba¨ude- und Anlagenausfu¨hrung Beho¨rdliche und Vorstandsvorgaben.

Im Sinne einer transparenten Projektdurchfu¨hrung ist es erforderlich, die wichtigsten sicherheitstechnischen Aspekte im Rahmen einer Sicherheitsstudie von Zeit zu Zeit entsprechend dem Planungsfortschritt darzulegen und in einem Expertenkreis (Projektteam, Forschung- und Entwicklung, Sicherheitsabteilung, Ingenieurabteilung u. a.) zu diskutieren, zu verabschieden und das Ergebnis zu dokumentieren. Diese Sicherheitsbetrachtung wird firmenintern bei allen Anlagen durchgefu¨hrt und darf nicht mit der bis zum Jahre 2000 geforderten sog. Sicherheitsanalyse fu¨r Anlagen, die unter die erweiterten Pflichten der Sto¨rfallverordnung fielen, verwechselt werden. Im zeitlichen Ablauf einer Anlagenplanung lassen sich drei sicherheitstechnische „Mile Stones“ festhalten [Henne 1994]: 1. In der Planungsphase Darlegung und Entscheidung, dass das gewa¨hlte Verfahren an dem vorgesehenen Standort aus sicherheitstechnischen Gru¨nden durchgefu¨hrt werden kann. 2. In der Ausarbeitungsphase Erarbeitung des sicherheitstechnischen Konzepts und dessen Begutachtung durch Experten ohne projektspezifische Kenntnisse.

5.2 Wichtige Teilaspekte bei der Projektabwicklung

3. In der Durchfu¨hrungsphase ¨ berpru¨fung der Planungsunterlagen auf sicherheitstechnische Konsistenz im U Sinne einer sicherheitstechnischen Selbstkontrolle. Zu Punkt 1: Sicherheitsstudie in der Planungsphase Das Ziel ist, die wichtigsten Gefa¨hrdungsmo¨glichkeiten des Verfahrens und die Gefahrenquellen der Chemieanlage aufzuzeigen, die Aufgaben fu¨r die sicherheitstechnische Grundkonzeption zu formulieren, und festzustellen, ob noch sicherheitstechnische Einzelprobleme zu untersuchen sind. Daru¨ber hinaus muss dargelegt werden, dass der vorgesehene Standort aus sicherheitstechnischer Sicht geeignet ist. Die Ergebnisse werden in einer Sicherheitsstudie (Stufe Planungsphase) festgehalten, die wie folgt aufgebaut sein kann: *

*

*

*

*

Verfahrensbeschreibung… … mit dem Schwerpunkt auf sicherheitstechnische Fragestellungen (Reaktionsfu¨hrung, Nebenreaktionen, Durchgeh- und Einschlafverhalten der Reaktionen u. a.). Stoffliste… … mit den wichtigsten physikalisch-chemischen, sicherheitstechnischen und o¨kotoxikologischen Daten (Kap. 3.2) u¨ber alle Einsatz- und Hilfsstoffe, Ru¨cksta¨nde, Zwischen-, Neben- und Endprodukte; die ungefa¨hren Mengen in der Gesamtanlage sowie ihre Verteilung auf die einzelnen Anlagenteile. Umweltbelastung Auflistung aller umweltrelevanten Einflu¨sse wie Abluft, Abgase, La¨rm, Ru¨cksta¨nde und Abwasser in Qualita¨t und Quantita¨t. Sicherheitskonzept Erla¨uterung aller sicherheitstechnischen Vorkehrungen fu¨r die Anlagenteile, die ein wesentliches Gefahrenpotenzial aufweisen bzw. potenzielle Gefahrenquellen darstellen (z. B. extreme Betriebsbedingungen, Sonderwerkstoffe fu¨r korrosive Medien, Entstehung explosiver Gemische, o¨kotoxikologisch bedenkliche Stoffe). Die detaillierte Ausarbeitung des festgelegten sicherheitstechnischen Grundkonzeptes kann spa¨ter erfolgen. Standortvorschlag Begru¨ndung fu¨r die Wahl des Standortes aus sicherheitstechnischen Aspekten (Lagepla¨ne, Nachbaranlagen u. a.).

zu Punkt 2: Sicherheitsstudie in der Ausarbeitungsphase Das Sicherheitskonzept an dem vorgesehenen Standort soll detailliert dargestellt werden, so dass es von Fachleuten ohne projektspezifische Kenntnisse begutachtet werden kann. Der Inhalt dieser Sicherheitsstudie (Stufe Ausarbeitungsphase) soll wie folgt aufgebaut sein: *

Sicherheitstechnische Aspekte des Baukonzeptes Standort kritischer Apparate, Fluchtwege, Ausfu¨hrung der Messwarte, Sondermaßnahmen u. a.

329

330

5 Planung, Errichtung und Betriebnahme einer Chemieanlage *

*

*

*

*

*

*

*

*

*

Mess-, Steuer- und Regelkonzept Aufgabe und Funktion von Abschalteinrichtungen und installierten Sicherheitsvorkehrungen, Redundanz und Diversita¨t von Sicherheitssystemen, Sicherheitsstellung der Armaturen u. a. Besondere Auslegekriterien explosionsdruckfeste oder druckstoßfeste Auslegung u. a. Dichtheit der Anlage Dichtungen an Maschinen und Apparaten fu¨r kritische Stoffe u. a. Inertisierung welche Apparate, Druckniveau und dessen Sicherstellung u. a. Ex-Schutz Zoneneinteilung (Kap. 2.9.1), Maßnahmen zur Vermeidung elektrostatischer Aufladungen u. a. Schutzmaßnahmen bei Ausfall von Energien Notstromversorgung, Maßnahmen bei Totalausfall, Ausfall einzelner Energien, gefahrlose Beseitigung von Emissionen u. a. Umweltbelastung Abluft, Abgase, Ru¨cksta¨nde und Abwasser; wie werden die gesetzlichen Rahmenbedingungen eingehalten? u. a. Notentspannungs-, Notentleerungssysteme, Sicherheitsventile nur kritische Sicherheitsventile, d. h. Ventile bei denen z. B. toxische Stoffe austreten ko¨nnen. Brandschutz nur Sondermaßnahmen, z. B. spezieller Schutz wichtiger Anlagenteile. Sondermaßnahmen Explosionssperren, Dampfsperren u. a.

zu Punkt 3: Sicherheitsstudie in der Durchfu¨hrungsphase Das Ziel ist es, in dieser Phase bereits ausgearbeitete Planungsunterlagen wie R&IFließbilder, Funktionspla¨ne u. a. auf sicherheitstechnische Konsistenz zu u¨berpru¨fen. Da diese Durchsprachen oft sehr zeitaufwendig sind, beschra¨nken sie sich auf sicherheitstechnisch besonders wichtige Anlagenteile, die in den vorherigen Studien festgelegt wurden. Wegen des hohen Bearbeitungsaufwandes kann diese Sicherheitsdurchsprache fu¨r das Gesamtprojekt zeitbestimmend werden und ist damit sorgfa¨ltig im Gesamtterminplan einzuordnen. Eine besondere Bedeutung kommt der Doku¨ berlegungen, die zum Ergreifen oder auch Weglassen einer mentation zu, da die U sicherheitstechnischen Maßnahme gefu¨hrt haben, spa¨ter jederzeit nachvollziehbar und gerichtsfest sein mu¨ssen. Die Durchfu¨hrung dieser Sicherheitsdurchsprachen geschieht nach vorher festgelegten Methoden fu¨r Sicherheitsbetrachtungen und Gefahrenanlagen. Hier kommt es darauf an, alle mo¨glichen Abweichungen vom Betriebsverhalten zu erkennen, ihre Eintrittswahrscheinlichkeiten und Auswirkungen abzuscha¨tzen und, falls erforderlich, weitere Schutzmaßnahmen vorzusehen. Als hierfu¨r geeignete Methode kann die Bedienungsfehler-Operabilita¨ts-Analyse eingesetzt werden. Beispielsweise das sog. PAAG-Verfahren (engl.: HAZOP-Verfahren ¼ Hazard and Operability Studies [Bartels 1990], d. h. eine Sto¨rung im chemischen Betrieb verhu¨ten durch:

5.2 Wichtige Teilaspekte bei der Projektabwicklung * * * *

Prognose Auffinden der Ursachen Abscha¨tzung der Auswirkungen Gegenmaßnahmen,

verwendet werden [Pilz 1985]. Weitere zum Teil hiervon abgeleitete Methoden sind beispielsweise in der 2. Sto¨rfallverwaltungsvorschrift aufgefu¨hrt (Ausfalleffekt-, Fehlerbaum-Analyse u. a.).

5.2.3

Sto¨rfallverordnung

Mit dem Begriff „Sto¨rfall“ sollte sehr sorgfa¨ltig umgegangen werden. Nicht jede kleine Undichtigkeit oder Betriebssto¨rung ist ein Sto¨rfall! Nur wenn durch eine Sto¨rung des bestimmungsgema¨ßen Betriebs das Leben oder die Gesundheit von Menschen bedroht bzw. die Umwelt gescha¨digt werden kann, sollte man diesen Begriff verwenden. Die Sto¨rfall-Verordnung (s. Anhang 8.19) gilt fu¨r Anlagen, die nach BImSchG genehmigungspflichtig sind. Diese Verordnung nennt Stoffe, die als kritisch zu bewerten sind. Wenn einer dieser Stoffe in einer Anlage hergestellt werden soll oder durch eine Sto¨rung entstehen kann, gibt es durch diese Verordnung klare Festlegung, welche Sicherheitspflichten zusa¨tzlich zum BImSchG vorgesehen werden mu¨ssen (Anwendungsbereich (§ 1), 1. Sto¨rfallVwV Nr. 2, Anhang I: Anlagenliste, Anhang II: Stoffliste). Fa¨llt die zu planende Anlage unter die erweiterten Pflichten der Sto¨rfall-Verordnung, so muss vom Betreiber eine detaillierte Sicherheitsanalyse erstellt werden [Pilz 1985, Hezel 1986]. Bei dieser Analyse kommt es darauf an, neben der ausfu¨hrlichen Anlagen- und Stoffbeschreibung alle mo¨glichen Abweichungen vom normalen Betriebsverhalten zu erkennen, ihre Auswirkung abzuscha¨tzen und, falls erforderlich, weitere Schutzmaßnahmen vorzusehen. Als Methode fu¨r die Gefahrenanalyse kann beispielsweise das oben schon erwa¨hnte PAAG-Verfahren verwendet werden. Der Aufbau dieser Sicherheitsanalysen nach Sto¨rfallverordnung kann wie folgt aussehen: * * * * * * *

Einleitung Beschreibung der Stoffe Beschreibung der Anlage und des Verfahrens Beschreibung der sicherheitstechnisch bedeutsamen Anlagenteile Darlegung der sto¨rfallverhindernden und sto¨rfallbegrenzenden Vorkehrungen Angabe u¨ber Sto¨rfallauswirkungen Ergebnisse der Sicherheitsanalyse (so wird z. B. in einem Wartungs- und Inspektionsplan genau festgelegt, wie oft und von welchen Stellen die sicherheitstechnisch bedeutsamen Anlagenteile gewartet werden mu¨ssen).

Diese Sicherheitsanalyse ist Bestandteil der Genehmigungsunterlagen. Sie ist im Betrieb sta¨ndig bereitzuhalten und muss entsprechend den neuen sicherheitstechnischen Erkenntnissen fortgeschrieben werden.

331

5 Planung, Errichtung und Betriebnahme einer Chemieanlage

5.2.4

R&I-Fließbilder

Beispiel f€ ur einen Ausschnitt aus einem R&I-Fließbild (Rohrleitung und Instrumenten-Fließbild).

Vor dem Beginn der Erstellung der R&I-Fließbilder (Abb. 5-3) sollte der Projektleiter einen Richtlinienkatalog fu¨r alle Teammitglieder herausgeben, in dem wichtige Vereinbarungen festgehalten werden, z. B.:

Abb. 5-3

332

5.2 Wichtige Teilaspekte bei der Projektabwicklung *

*

*

*

*

Nummern der Prozessstufen (z. B. Stufe 1000 (¼ Reaktor), Stufe 2000 (¼ Absorber fu¨r das Reaktionsgas), s. auch Abb. 4-9. Jeder Apparat erha¨lt eine vierstellige Nummer, wobei die Nummern so zu vergeben sind, dass daraus schon auf den Ort und die Funktion geschlossen werden kann (z. B. 20xy fu¨r alle Teile die dem Sumpf des Absorbers funktionell zugeordnete werden, 21xy fu¨r alle Teile die dem Kopf des Absorbers zugeordnet werden). Die ra¨umliche Zuordnung der Apparate sollte aus dem R&I-Fließbild ersichtlich sein. Bedienerstationen sollten so gezeichnet sein, dass die Lage der Ventile usw. auf dem Fließbild und vor Ort etwa u¨bereinstimmt. Pumpenstationen u. a. sollten alle nach der gleichen Philosophie aufgebaut werden.

5.2.5

Funktionspla¨ne

Unter welchen Voraussetzungen darf eine Pumpe, ein Ventil, ein Ru¨hrwerk u. a. eingeschaltet werden? Unter welchen Betriebsbedingungen muss eine Pumpe, ein Ventil, ein Ru¨hrer ausgeschaltet werden? Diese und a¨hnliche Fragestellungen werden durch die Funktionspla¨ne beantwortet (Abb. 5-4). In diesen ist die gesamte Sicherheitsphilosophie der Anlage dokumentiert (Kap. 2.8.3). Sie verknu¨pfen bei kontinuierlichen Anlagen Sensorsignale (T, P, L, F, Q u. a.) u¨ber Logikbausteine (AND, OR, NOT u. a.) mit den Aktoren (Pumpen, Ventile, Motoren u. a.) (s. Kap. 2.8).

5.2.6

Technische Bla¨tter

Anhand der vorhandenen Planungsunterlagen wird fu¨r jeden beno¨tigten Apparat ein sog. technisches Blatt (Abb. 5-5) erstellt, in dem genau aufgefu¨hrt ist, welchen verfahrensbedingten und konstruktiven Anforderungen dieser Apparat genu¨gen muss. Auf Grund der im technischen Blatt enthaltenen konstruktiven Daten, kann die entsprechende Fachwerkstatt oder auch eine evtl. beauftragte Fremdfirma ein Angebot mit Liefertermin und Preis unterbreiten. Ein solches Angebot beinhaltet die Verpflich¨ bernahme des Projektes in der Lage zu sein, den betreffenden Apparat tung, bei der U gema¨ß den Anforderungen des technischen Blattes termingerecht zu dem vereinbarten Preis herzustellen.

5.2.7

Modellbau

Zur Veranschaulichung der Planungsunterlagen fertigt eine Modellbauabteilung ein detailgetreues Kunststoffmodell im Maßstab 1:25 oder 1:33 auf der Basis aller bisher erstellten Planungsunterlagen. Wichtig ist dabei insbesondere der Medienschlu¨ssel,

333

334

5 Planung, Errichtung und Betriebnahme einer Chemieanlage

Abb. 5-4 Beispiel f€ ur einen Ausschnitt aus einem Funktionsplan. Die Pumpe P3700 kann nur eingeschaltet werden und in Betrieb bleiben, wenn folgende Bedingungen erf€ ullt sind: a) Stand im Beh€alter L3700 > Min 2; b) Stand im Beh€alter L3800 < Max1; c) Temperatur im Pumpenkopf T3701 < Min; d) Schalter NOT AUS nicht gedr€ uckt. Der Taster HT 3700 dient als Anfahr€ uberbr€ uckung bis P3701 > Min ist.

der alle Informationen u¨ber die bei den einzelnen Medien zu verwendenden Rohrleitungsmaterialien, Armaturen, Dichtungen, Da¨mmungen usw. entha¨lt. Heutzutage haben CAD-Systeme mit dreidimensionalen Darstellungsmo¨glichkeiten den klassischen Modellbau weitgehend verdra¨ngt. Diese Systeme bieten die Mo¨glichkeit, Ausschnitte zu vergro¨ßern oder realita¨tsnah die Anlage zu durchlaufen. Die Entwicklung auf diesem Gebiet Anfang der 90er Jahre ist schwindelerregend. Das Modell ist die Grundlage fu¨r die Ausarbeitung folgender Punkte: * * * * * * *

Rohrleitungsfertigung und -beschaffung sowie fu¨r die Montage Festigkeits- und Spannungsberechnungen isometrische Rohrleitungszeichnungen Rohrbru¨ckenbelegungspla¨ne Materialauszu¨ge zur Beschaffung des Rohrleitungsmaterials Da¨mmlisten Beschichtungslisten.

Abb. 5-5 Beispiel f€ ur ein technisches Blatt.

5.2 Wichtige Teilaspekte bei der Projektabwicklung

Am Modell lassen sich folgende Punkte besonders gut fru¨hzeitig u¨berpru¨fen: * * * *

¨ bersichtlichkeit der Anlage U Zuga¨nglichkeit und Bedienbarkeit von Apparaten und Armaturen Montageablauf Demontage bei Instandsetzungsarbeiten, Katalysatorwechsel u. a.

335

336

5 Planung, Errichtung und Betriebnahme einer Chemieanlage * * *

Fo¨rder- und Rohrleitungswege Gefa¨lle in Rohrleitungen Studien u¨ber die gu¨nstigste Fu¨hrung von Rohrleitungen (Kollision?!).

Wie schon bei den R&I-Fließbildern gezeigt, sollte der Projektleiter bzw. der spa¨tere Betriebsleiter (kann, muss aber nicht dieselbe Person sein) vor dem Beginn des Modellbaus generelle Richtlinien bzgl. des Baus bestimmter Funktionseinheiten festlegen. Bewa¨hrt hat sich auch die Hinzuziehung „alter Hasen“ aus der Meisterebene, die u¨ber eine langja¨hrige Praxis verfu¨gen. Beispiele sind der einheitliche Aufbau von: * * * *

Filterstationen Pumpenstationen Flusswasserku¨hlern bestimmte Units (z. B. Rektifikationskolonnen).

Alle Units sind nach der selben Kriterienliste durchzuplanen, nur in begru¨ndeten Ausnahmefa¨llen darf davon abgewichen und du¨rfen Sonderfa¨lle installiert werden. 5.2.8

Erstellung weiterer wichtiger Unterlagen

Analytikorganisation * * *

Analysenmethoden fu¨r alle Stro¨me ausarbeiten Ort der Probenahmeventile festlegen Art und Ha¨ufigkeit der Analysen festlegen (Routine- oder Sonderanalysen, sind on-line Analysengera¨te notwendig?)

Die Ergebnisse werden in einem Analysenordner festgehalten. ¨ kotoxdaten-Ordner erstellen (wichtig fu¨r den spa¨teren Umgang mit den Beho¨rden bei O der Meldung von Sto¨rungen und Sto¨rfa¨llen u. a.). Ausbildungsunterlagen fu¨r die spa¨teren Mitarbeiter erstellen.

5.3

Commissioning In diesem Arbeitsabschnitt gilt es, die mechanisch fertige Anlage in einen anfahrbereiten Zustand zu u¨berfu¨hren (Indienststellung). Insbesondere kann das Schichtpersonal in der Praxis ausgebildet werden. Um Zeit zu sparen, darf man nicht warten bis die mechanische Fertigstellung erfolgt ist, sondern der Projektleiter sollte mit der Montageleitung in engem Kontakt stehen, so dass bestimmte Prozessstufen oder zusammenha¨ngende Einheiten bevorzugt mechanisch fertig gestellt werden, die man schon vorab pru¨fen kann. Hier sind Kooperation und Improvisation im hohen Maße gefragt. Jemanden mit der Aussage zu glauben „Das ist alles in Ordnung“ ist

5.4 Inbetriebnahme

stra¨flicher Leichtsinn. Der Projektleiter bzw. die Anfahrmannschaft muss sich perso¨nlich von der richtigen Funktionsweise u¨berzeugen, denn die Praxis zeigt, dass die Fehlerrate nahezu 100 % ist, getreu dem Motto, wenn etwas schief gehen kann, dann wird es das tun, und das zur ungu¨nstigsten Zeit [Henderhot 2000]. Am besten kommt man mit dem Motto durch: „Alle Leute lu¨gen, alle genannten Termine sind falsch, alle Leute wollen einen hereinlegen“. Wichtige Arbeitspakete wa¨hrend der Commissioningphase sind: * *

*

* * * *

Spu¨len aller Rohrleitungen. Inspektion aller Kolonnen, Beha¨lter, Wa¨rmetauscher u. a. auf der Basis der R&IFließbilder (sind alle Schrauben fest?, sind alle Einbauten spezifikationsgerecht? u. a.). Pru¨fung der MSR-Installation auf der Basis der Funktionspla¨ne (alle Sensorsignale in den Gutbereich bringen und einzeln die Wirkung auf den Aktor pru¨fen). Inspektion aller Pumpen (Laufrichtung in Ordnung?, Wasserfahrt). Pru¨fung aller Sicherheitseinrichtungen. Schreiben der Betriebsanleitung. Wasserfahrt.

5.4

Inbetriebnahme Die Inbetriebnahme [Weber 1996] muss vorher auch aufgrund der beim Commissioning gesammelten praktischen Erfahrung sorgfa¨ltig vorbereitet werden. Vor dem Beginn sind folgende Vorarbeiten zu erledigen: * * *

* *

Anlage im Innen- und Außenbereich sa¨ubern. Alle Isolierungen an den Rohrleitungen mu¨ssen komplett sein. Alles brennbare und nicht beno¨tigte Material (z. B. keine Montagenester aus Holzbrettern) beseitigen. Alle Hilfsdichtungen gegen die vorgesehenen Dichtungen austauschen. Alle Handwerker aus der Anlage nehmen.

Eine allgemeingu¨ltige Anfahrvorschrift gibt es bei Neuanlagen im allgemeinen nicht, daher ko¨nnen an dieser Stelle nur einige Ratschla¨ge gegeben werden: *

*

* *

Inbetriebnahme aller Betriebsmittelsysteme (z. B. Druck- und Steuerluft, Kaltwasser-, Ku¨hlwasser- und Heißwasser) Alle Blindscheiben ziehen und gegebenenfalls durch die vorgesehenen Lochblenden ersetzen! Dampfsystem in Betrieb nehmen! Die Anlage von hinten nach vorne anfahren, d. h. erst alle Entsorgungseinheiten funktionsfa¨hig machen (Fackel, Abwasserentsorgung u. a.), Aufarbeitungskolonnen anfahren und das Produkt u¨ber Hilfsleitungen zuru¨ckfu¨hren.

337

338

5 Planung, Errichtung und Betriebnahme einer Chemieanlage *

*

Sukzessive werden die Hilfsstoffe in die Vorlagebeha¨lter eingefu¨llt und die einzelnen Lo¨sungsmittel- und Eduktkreise (Pumpen laufen im Umlaufbetrieb) angefahren. Reaktor am Ende aller Vorbereitungen anfahren.

6

Verfahrensbewertung

Verfahrensentwicklung. G. Herbert Vogel Copyright © 2002 Wiley-VCH Verlag GmbH ISBN: 978-3-527-28721-5

6.1 Erstellung von Studien

Zwischen jeder Entwicklungsstufe (Kap. 4.1) sollte eine Dokumentation des Wissens und eine Bewertung des Verfahrensstandes vorgenommen werden. Dies geschieht in Form von sog. Studien und ist heute bei vielen Konzernen u¨blich. Es gilt hier mit Bezug auf Kapitel 1 die Frage nach dem Besser und Billiger sowie dem Schneller als der Wettbewerber zu beantworten.

6.1

Erstellung von Studien In ihnen wird das Wissen u¨ber den Entwicklungsstand eines Verfahrens nach definierten Zeitabsta¨nden bzw. definierten Entwicklungsstufen dokumentiert, um so die Grundlage fu¨r eine Entscheidung zu ermo¨glichen. Ziel der Studien ist es, drei essentielle Fragen zu beantworten: * * *

Ist der Produktionsprozess prinzipiell so realisierbar? Wie hoch ist die Rentabilita¨t? Wie hoch ist das Risiko in wirtschaftlicher und technologischer Hinsicht?

Mindestens vier Projektstudien sind im Laufe der Entwicklung eines Verfahrens auszuarbeiten und zwar: *

*

* *

Im Laufe der Laborphase (Vorstudie). Hier geht es im besonderen um die Frage, welche der Syntheserouten weiter verfolgt werden soll. Zu Beginn einer Verfahrensentwicklung (Orientierungsstudie). Hier geht es um Fragen wie: Hat man genu¨gend geforscht? Genu¨gt das Wissen, um in die technische Entwicklung einzusteigen? Im Laufe einer Verfahrensentwicklung (Verfahrensstudie). Am Ende einer Verfahrensentwicklung (Projektstudie).

Eine Studie sollte mindestens folgende Punkte enthalten: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Kurzfassung Grundfließbild Verfahrensfließbild und Verfahrensbeschreibung Entsorgungsfließbild Investitionsscha¨tzung Berechnung der Herstellkosten Technologiebewertung Experimenteller Ausarbeitungsstand.

341

342

6 Verfahrensbewertung

6.1.1

Kurzfassung

Die Kurzfassung muss am Anfang eine genaue Zieldefinition enthalten. Es folgt eine kurze Darstellung des Verfahrensweges und der wichtigsten Verfahrensstufen. Die Chemie des Verfahrens ist durch Bruttoreaktionsgleichungen wiederzugeben. Die angenommenen Werte fu¨r Umsatz und Selektivita¨t sind anzugeben und zu begru¨nden. Angaben zum Ergebnis der Studie, den Herstellkosten, den Investitionskosten fu¨r eine definierte Produktionsmenge pro Jahr mit der dazu geho¨renden Scha¨tzgenauigkeit und, falls bekannt, den beabsichtigten Standort der Anlage, sind weitere wichtige Punkte. Angaben zum Stand des Wissens sowie Angaben zu den wesentlichen Risiken vervollsta¨ndigen den Sachinhalt in der Kurzfassung.

6.1.2

Grundfließbild

¨ berblick u¨ber das Gesamtverfahren soll das Grundfließbild vermitteln. Einen raschen U Aus ihm gehen die Eingangs- und Ausgangsstro¨me sowie die Kreislaufstro¨me und die Kennzeichnung der einzelnen Verfahrensstufen hervor (Abb. 6.1-1).

6.1.3

Verfahrensbeschreibung und Verfahrensfließbild

Der Verfahrensablauf muss in allen Einzelschritten so genau wie mo¨glich beschrieben werden. Als Grundlage dienen alle bisher vorliegenden Informationen. Die Verfahrensbeschreibung sollte Bezug nehmen auf das Verfahrensfließbild (Abb. 6.1-2). In diesem sind der Verfahrensablauf und die Zusammensetzung der Stoffstro¨me in u¨bersichtlicher Form ablesbar. Aus dem Verfahrensfließbild sollten mindestens folgende Informationen ablesbar sein:

Abb. 6.1-1

Grundfließbild.

6.1 Erstellung von Studien

Ausschnitt aus einem Verfahrensfließbild.

*

alle Apparate und Maschinen (Kolonnen, Beha¨lter, Wa¨rmetauscher, Reaktoren u. a.) alle Produktstro¨me (durchnummeriert).

Abb. 6.1-2

*

343

344

6 Verfahrensbewertung Tab. 6.1-1 Stoff-Nr.

Beispiel f€ ur eine Massenbilanztabelle. Stoffname

Molmasse 1

Strom-Nr. 1 1

g mol

kg h

Strom-Nr. 2 1

% (g g )

3

1

m h

… 1

% (L L )

1

A

100

1000

66,7

2

B

120

500

33,3



3

C

32

200

9,1

4

D

28

2000

90,9

2200

100

Summe in kg h1 bzw. m3 h1 u. N.

1500

Zustand

flu¨ssig

gasfo¨rmig



q/kg m3

990

1,4



P/bar

4

1,2



T/8C

102

220



100



Unter dem Verfahrensfließbild befindet sich die Massenbilanz (s. Kap. 2) in Form einer u¨bersichtlichen Tabelle (Tab. 6.1-1). Bei fortgeschrittenem Entwicklungsstand bzw. am Ende der Entwicklung mu¨ssen noch folgende zusa¨tzliche Informationen aus dem Verfahrensfließbild ablesbar sein: *

* *

* *

Nennung der Energietra¨ger (Dampfart, Ku¨hlwasser, Druckluft, elektrischer Strom, Stickstoff, VE-Wasser, Heizgas, Ka¨ltetra¨ger u. a.) Angaben u¨ber Material, Gro¨ße und Leistung der Apparate und Maschinen charakteristische Betriebsbedingungen (Druck, Temperatur in Kolonnen, Leitungen u. a.) wesentliche Armaturen Aufgabenstellung fu¨r Messen, Regeln und Steuern.

6.1.4

Entsorgungsfließbild

Hier werden die zu entsorgenden Stro¨me, die in der Anlage nicht mehr wirtschaftlich weiterverwendet werden ko¨nnen (Kap. 2.7), unter Angabe der Stromnummern aus dem Verfahrensfließbild besonders gekennzeichnet. Es mu¨ssen genaue Angaben zu den einzelnen Komponenten wie Toxizita¨t, Abbaubarkeit, Wassergefa¨hrdung, Flammpunkt, Zu¨ndtemperatur, Maximale Arbeitsplatz Konzentration, Geruchsschwelle u. a. (Kap. 2.9), den Massenstro¨men und dem Aggregatzustand des Stromes gemacht werden. Aufgrund dieser Angaben kann die Art der Entsorgung wie: * * * *

Kla¨ranlage Verbrennung in einem Kraftwerk oder einer Verbrennungsanlage zentrale Sonderru¨ckstandverbrennung Deponie

6.1 Erstellung von Studien

unter standortspezifischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten festgelegt werden. Besondere Beachtung mu¨ssen dabei die verfu¨gbaren Kapazita¨ten vorhandener Kla¨ranlagen und Deponien finden. Der Bau neuer Kapazita¨ten hat schon o¨fter den Bau einer neuen Produktionsanlage verhindert oder zeitlich verschoben, da die entstehenden Zusatzkosten die Herstellkosten des neuen Produktes u¨ber Gebu¨hr erho¨hen und dadurch evtl. unwirtschaftlich machen. Hier bieten Verbundstandorte erhebliche Vorteile.

6.1.5

Investitionsscha¨tzung 6.1.5.1

Einleitung

Ein wesentliches Ziel bei der Erstellung von Studien ist die Ermittlung der fu¨r ein Vorhaben erforderlichen Investitionskosten [Muthmann 1984, Prinzing 1985, DAdda 1997]. Diese setzen sich aus den Kosten fu¨r die Verfahrensanlage (ISBL ¼ inside battery limits ¼ standortunabha¨ngige Investitionsaufwendungen, wie Produktionsanlage mit Messwarte, Labors, Sozialra¨ume, Schaltra¨ume, Tanklager, Be- und Entladestellen), den Kosten fu¨r alle Nebenanlagen (OSBL ¼ outside battery limits ¼ standortabha¨ngige Investitionsaufwendungen, wie Lagergeba¨ude, Ku¨hltu¨rme, Entsorgungseinrichtungen) sowie Kosten fu¨r Infrastrukturmaßnahmen zusammen (Abb. 6.1-3). Der Reifegrad des Verfahrens hat einen entscheidenden Einfluss auf die Scha¨tzgenauigkeit der Investitionskosten [Jung 1983].

Abb. 6.1-3

Unterteilung des Projektes in ISBL, OSBL und Infrastrukturmaßnahmen [Frey 1990].

345

346

6 Verfahrensbewertung

6.1.5.2

Investitionen (ISBL)

Da die direkten Anlagekosten stets fu¨r einen in der Zukunft liegenden Zeitpunkt abzuscha¨tzen sind, muss der Einfluss der Preissteigerungen mit Hilfe von Preisindizes ermittelt werden. Preisindizes chemischer Anlagen werden fu¨r die einzelnen La¨nder vero¨ffentlicht (Tab. 6.1-2). Der durch Extrapolation ermittelte Preisindex i wird durch denjenigen Preisindex i0 dividiert, der zum Zeitpunkt der Kostenermittlung gu¨ltig war. Der so erhaltene Quotient i=i0 ist dann ein Maß fu¨r die zu erwartende Investitionskostensteigerung. Von den vielen Methoden zur Erfassung des Kapitalbedarfs einer zu errichtenden Anlage seien im Folgenden fu¨nf genannt: a) Degressionsmethode Diese sehr einfache Methode kann nur bei gleichen oder sehr a¨hnlichen Anlagen angewendet werden. Mit Hilfe des sog. Degressionskoeffizienten v kann von der Investitionssumme I1 einer gegebenen Anlage (Kap1 ) auf eine mit abweichender Kapazita¨t (Kap2 ) umgerechnet werden [Schembra 1993]:   Kap2 v I2 ¼ I1  : ð6  1Þ Kap1 Der Degressionskoeffizient hat etwa den Wert 2/3. b) Methode der Zuschlagskalkulation Mit dieser Methode kann aus den bekannten Kosten errichteter Anlagen mit einer Scha¨tzgenauigkeit von  30 % auf die Kosten einer neu zu errichtenden Anlage geTab. 6.1-2 Preisindizes i chemischer Anlagen in Deutschland [VCI, „chemie PRODUKTION“, „EUROPA CHEMIE“ 2001]. Jahr

i

1988

76,4

1989

79,2

1990

83,1

1991

88,7

1992

93,1

1993

96,1

1994

97,7

1995

100,0

1996

101,5

1997

102,6

1998

101,7

1999

101,1

2000

102,7

6.1 Erstellung von Studien

schlossen werden. Eine solche Methode ist nur mo¨glich, weil Chemieanlagen stets a¨hnlich strukturiert sind, d. h. sie bestehen aus einer nicht sehr verschiedenen Zahl a¨hnlicher Apparate, die in analoger Weise aufgebaut und miteinander verknu¨pft sind. Deshalb sind die Investitionskosten fu¨r die fertig montierte Gesamtanlage pauschal um einen, von der Kapazita¨t abha¨ngigen Gesamtfaktor gro¨ßer als der mittlere Maschinen- und Apparatewert (¼ Summe der Maschinen- und Apparatekosten, dividiert durch die Anzahl der Maschinen und Apparate). Die Summe der Maschinenund Apparatekosten wird auf Basis der Stu¨ckliste ermittelt. Die Kosten fu¨r die einzelnen Aggregate ko¨nnen aus firmeninternen Datenbanken oder direkt vom Hersteller bezogen werden. Beispiel 6-1 [Prinzing 1985] Die abgewickelten Projekte im Chemieanlagenbau der BASF weisen im Jahr 1984 im Mittel einen Gesamtfaktor von 3,9 auf. Das bedeutet, dass die direkten Anlagekosten fu¨r eine durchschnittliche Chemieanlage das 3,9fache der Maschinen- und Apparatekosten betragen.

Der Gesamtfaktor wird im Wesentlichen von folgenden Gro¨ßen bestimmt: * * *

Betriebsbedingungen (Druck, Temperatur) Art des Konstruktionsmaterials (Schwarzstahl, Edelstahl, Sonderwerkstoffe?) Maschinen- und Apparategro¨ße.

Den Einfluss dieser Gro¨ßen auf den Gesamtfaktor kann man nach Miller [Miller 1965] durch den mittleren Maschinen- und Apparatewert erfassen (Abb. 6.1-4).

Abb. 6.1-4 Gesamtfaktor f€ ur die direkten Anlagekosten in Abh€angigkeit vom mittleren Maschinen- und Apparatewert nach [Prinzing 1985]: a) Regressionskurve, b) Vertrauensgrenzen f€ ur eine statistische Sicherheit von 95 %.

347

348

6 Verfahrensbewertung

Dadurch ergibt sich folgende einfache Beziehung: direkte Anlagenkosten = Gesamtfaktor  (hmittlerer Maschinen- und Apparatewerti)  P Maschinen und Apparate

ð6  2Þ

Da die direkten Anlagekosten stets fu¨r einen in der Zukunft liegenden Zeitpunkt abzuscha¨tzen sind, muss der Einfluss der Preissteigerungen mit Hilfe von Preisindizes ermittelt werden (Tab. 6.1.1-2). Die direkten Anlagekosten enthalten noch keine Ingenieurkosten, die in der Regel 10 bis 20 % ausmachen, und noch keinen Anteil fu¨r Unvorhergesehenes (ca. 5 bis 10 %). Diese Scha¨tzmethode hat den Nachteil, dass zuna¨chst die Maschinen- und Apparatekosten relativ genau ermittelt werden, deren Mittelwert aber mit einem relativ ungenauen Gesamtfaktor multipliziert wird. Durch Aufsplittung in Einzelfaktoren la¨sst sich die Genauigkeit erheblich steigern. c) Methode der spezifischen Unit Fu¨r a¨hnlich strukturierte Anlagen (petrochemische Anlagen, biochemische Anlagen u. a.) ergibt sich, dass der Quotient Q aus den Investitionskosten bezogen auf die Kapazita¨t und die Zahl der Units N etwa konstant ist: Q¼

I  konstant: Kap  N

ð6  3Þ

Unter Unit wird hier eine komplette funktionierende Reaktor- oder Trenneinheit verstanden, z. B. eine Rektifikationskolonne mit allen Pumpen, Sumpf- und Kopfwa¨rmetauschern usw. Die ISBL-Kosten ergeben sich dann zu: ISBL=Euro ¼ Q=ðEuro t1 a1 Unit1 Þ  Kap=ðt a1 Þ  N:

ð6  4Þ

Diesen Quotienten Q kann sich jede Chemiefirma durch Analyse der vergangenen Projektabrechnungen ermitteln. Diese einfache und schnelle Methode (Genauigkeit  60 %) ist vor allem im Stadium der Vorstudien geeignet, wenn das Wissen u¨ber den Gesamtprozess noch sehr lu¨ckenhaft ist. Fu¨r große petrochemische Grund- und Zwischenprodukte du¨rfte der Faktor etwa bei 60 Q/((t/a)  Unit) liegen (Basisjahr 1995). d) Methode der spezifischen Unit unter Beru¨cksichtung der Anlagenkomplexizita¨t Eine Verfeinerung dieser Methode wurde von DuPont [Zevnik 1963] angegeben. Hier wird nicht nur die Kapazita¨t und die Zahl der Units N beru¨cksichtigt, sondern auch die Komplexita¨t (maximale Prozesstemperatur, maximaler Prozessdruck, Werkstoffart) beru¨cksichtigt. Als Inputdaten zur Berechnung der Gesamtinvestition werden folgende Gro¨ßen beno¨tigt: * *

Kapazita¨t Kap Kostenindex i=i0

6.1 Erstellung von Studien * *

Zahl der Units N Komplexizita¨tsfaktor CF.

Die Gesamtinvestition ergibt sich danach zu: I ¼ 1,33 

i  N  CPFðCFÞ; i0

ð6  5Þ

wobei der Faktor 1,33 die OSBL-Kosten beru¨cksichtigt und die Gro¨ße CPF die Kosten pro Unit darstellt, die eine Funktion des Komplexizita¨tsfaktors CF und der Kapazita¨t Kap ist [Zevnik 1963]. 6.1.5.3

Investitionen (OSBL)

Die OSBL-Kosten ha¨ngen vom Standort der Anlage ab und sind ausschließlich zum Betrieb der Anlage erforderlich, also beispielsweise Kosten fu¨r Lagergeba¨ude, Ku¨hltu¨rme, Entsorgungseinrichtungen, Anbindung des Blockfeldes an den vorgegebenen Standort u. a. Da in einem fru¨hen Entwicklungsstadium die Standortfrage meistens noch offen ist, ko¨nnen die OSBL-Kosten nicht explizit angegeben werden. Als Orientierungswert kann man 20 bis 30 % der ISBL-Kosten fu¨r OSBL ansetzen. Der Prozentsatz liegt bei kleinen Anlagen eher an der oberen, bei gro¨ßeren Anlagen eher an der unteren Grenze. Ist der Standort bekannt, so kann eine recht genaue Scha¨tzung der OSBL-Kosten durchgefu¨hrt werden. 6.1.5.4

Infrastrukturmaßnahmen

Die Kosten fu¨r die Infrastrukturmaßnahmen ha¨ngen vom Standort der Anlage ab, beziehen sich aber nicht ausschließlich auf das Projekt, sondern werden auch von anderen Fabrikationen genutzt. Das sind also alle Maßnahmen die verpreist werden, wie z. B. Werksta¨tten, zentrales Lager, Kanalnetz u. a. Man erkennt, dass diese Kostenart nur bei Kenntnis der genauen Lage der Anlage an einem Standort angegeben werden kann.

6.1.6

Berechnung der Herstellkosten

Die Herstellkosten eines Produktes entscheiden u¨ber die Wirtschaftlichkeit eines neuen Verfahrens (Kap. 6.2). Zu ihrer Ermittlung werden folgende Angaben beno¨tigt: * * * *

Mengenfließbild Entsorgungsfließbild Energiezusammenstellung Investitionskosten.

349

350

6 Verfahrensbewertung

Die Herstellkosten errechnen sich durch die Addition der folgenden Posten: *

*

Einsatzstoffkosten – Rohstoffe – Hilfsstoffe – Katalysatoren Fertigungskosten, die sich unterteilen in: – Energiekosten – Entsorgungskosten – Personalkosten (Lo¨hne und Geha¨lter) – Werkstattkosten – Sonstige Kosten (Overhead des Konzerns) – Kapitalabha¨ngige Kosten (Abschreibung, Zinsen, Steuern).

6.1.6.1

Einsatzstoffkosten

Aus dem Mengenschema fu¨r die gewa¨hlte Kapazita¨t ergibt sich der Rohstoffbedarf. Zur Ermittlung der Einsatzstoffkosten sind Angaben u¨ber die Preise der Rohstoffe no¨tig (Tab. 6.1-3). ¨ nderung der Rohstoffpreise wa¨hrend der Entwicklungszeit eines Verfahrens Die A kann abgescha¨tzt werden. Schwerer zu beru¨cksichtigen ist die Tatsache, dass die zu

Tab. 6.1-3 Preise einiger ausgew€ahlter Rohstoffe, Grundchemikalien und Zwischenprodukte auf fossiler und nachwachsender Basis in Deutschland (Stand Dezember 1999) [Chemische Rundschau 1996, Eggersdorfer 2000].

Rohstoffe

Grundchemikalien

Zwischenprodukte

1

Fossile Basis

Preis/E kg1

Nachwachsende Basis

Preis/E kg1

Roho¨l1

0,17

Mais

0,90

Erdgas

0,27

Weizen

1,05

Naphtha

0,21

Sojabohnen

0,22

Benzol

0,31

Rapso¨l

0,40

Ethylen

0,35

Palmo¨l

0,37

Propylen

0,27

Melasse

0,14

Methanol

0,18

Zucker

0,41

Ammoniak

0,12

Sta¨rke

0,30

Ethylenoxid

0,61

Sorbit

0,63

Propylenoxid

1,03

Glycerin

1,30

1,2-Propandiol

0,73

Furfural

0,80

1,4-Butandiol

1,60

Citronensa¨ure

1,60

Acrylsa¨ure

1,15

Fettalkohole

0,90

Roho¨lpreise in $/Barrel: 23,69 (1990)/17,05 (1995)/20,45 (1996)/19,12 (1997)/12,72 (1998)/17,79 (1999)/ 28,23 (2000) [VCI 2001].

6.1 Erstellung von Studien

errichtende Anlage in den Rohstoffmarkt eingreift und dadurch das Preisgefu¨ge vera¨ndert wird. In manchen Fa¨llen sind daher fru¨hzeitig Verhandlungen mit dem Rohstofflieferanten notwendig. Kommen die Rohstoffe von anderen Anlagen des eigenen Unternehmens, so treten Transferpreise an die Stelle der Marktpreise [Lunde 1985]. Hierdurch wird das Problem der Marktbeeinflussung durch die geplante Anlage jedoch nicht aufgehoben, sondern lediglich verschoben. Die Bedeutung der Rohstoffkosten fu¨r die Kosteneinscha¨tzung ist sehr unterschiedlich. Bei Verfahren mit hoher Materialveredlung, wie manchen Pharmaka, oder bei Verfahren mit hohem spezifischen Energiekosten, wie z. B. der Chlorproduktion, ist eine genaue Ermittlung nicht so wichtig wie bei in Großanlagen hergestellten billigen Massengu¨tern (z. B. Petrochemikalien). Gutschriften fu¨r Nebenprodukte ko¨nnen von vornherein gegen die Rohstoffkosten verrechnet werden. 6.1.6.2

Energiekosten

Bei Großverfahren ha¨ngt die Wirtschaftlichkeit des Prozesses erheblich vom Aufwand fu¨r die Betriebsmittel ab. Daher kommt dem Energieverbund innerhalb der Anlage eine große Bedeutung zu. Schon in einem fru¨hen Stadium der Verfahrensentwicklung muss man sich Gedanken u¨ber die optimale wa¨rmetechnische Verkopplung machen, da hier erhebliche Einflu¨sse auf die Verfahrensgestaltung ausgehen ko¨nnen [Ko¨rner 1988]. Ob man z. B. die Kondensationsenergie von Bru¨den ausnutzen kann, ha¨ngt vom Verhalten der Stoffe ab. Bei sauberen und stabilen Kondensaten ist es meist kein Problem die Kondensationswa¨rme zum Aufheizen von kalten Stro¨men einzusetzen. Bei Produkten, die zu Ablagerungen neigen (Zersetzung, Polymerisation u. a.) ist eine optimale wa¨rmetechnische Ausnutzung der Bru¨denenergien nicht mo¨glich. In diesen Fa¨llen mu¨ssen die Bru¨den gequencht werden, um Ablagerungen zu vermeiden, was einen Energieverlust bedeutet. Diese Art der Fragestellungen sind in der Miniplantphase zu beantworten. Als Instrumentarium zur Systematisierung einer solchen Betrachtungsweise hat sich die Linnhoff-Analyse (Engpassanalyse oder pinch technology) als geeignet erwiesen [Linnhoff 1981, Linnhoff 1983, Ullmann]. Das Ziel ist es, die Verfahrenskonfiguration eines Prozesses zu ermitteln, bei der mo¨glichst wenig Energie von außen zugefu¨hrt bzw. nach außen abgegeben werden muss. Es ist die Aufgabe zu lo¨sen, durch geeignete Verschaltung innerhalb der Anlage die Wa¨rmesenken und Wa¨rmequellen so zu koppeln, dass das vorgenannte Ziel eines minimalen Energieeinsatzes erreicht wird. P Dazu werden in einem ersten Rechenschritt die sog. Composite Curves ( Hotstreams P ¼ Hot Composite Curve, Coldstreams ¼ Cold Composite Curve) sowie die sog. Pinch Temperatur ermittelt. Das ist die Temperatur oberhalb der Wa¨rme abgefu¨hrt und unterhalb der Wa¨rme aufgenommen werden kann (Abb. 6.1-5).

351

352

6 Verfahrensbewertung

Abb. 6.1-5

Temperatur / Enthalpie-Diagramm.

Beispiel 6-2 Es soll die „Hot Composite Curve“ von zwei heißen, abzuku¨hlenden Stro¨men berechnet werden:

Hot Stream 1 _  cp ¼ 1 kW K1 Von 200 auf 100 8C; m Hot Stream 2 _  cp ¼ 2 kW K1 Von 150 auf 50 8C; m Diese beiden Stro¨me werden wie in Abb. 6.1-6 gezeigt addiert und ergeben die Hot Composite Curve.

Fu¨r eine gegebene Verschaltung zeigt die Linnhoff-Analyse, wie weit man von einem Optimum der Wa¨rmeausnutzung entfernt ist. Oft sprechen Gru¨nde gegen eine optimale Verschaltung:

Abb. 6.1-6

Hot Composite Curve aus Beispiel 6-2.

6.1 Erstellung von Studien *

*

*

Fu¨r Anfahrvorga¨nge werden meist Anfahrwa¨rmetauscher beno¨tigt, was ho¨here Investitionskosten bedeutet. Energieausnutzung wird erst durch Anheben des Druckniveaus einer Kolonne sinnvoll mo¨glich, was ho¨here Investkosten bedeutet oder stofflich zu Problemen fu¨hrt (Zersetzung, Nebenreaktionen u. a.). Ablagerungsprobleme beim Wa¨rmeu¨bergang, was zu einer direkten Wa¨rmeabfuhr (Quench) zwingt.

Allgemein kann man sagen, dass mit gro¨ßer werdender Anlagenkapazita¨t eine Reduktion der Betriebsmittel, d. h. ein optimaler Wa¨rmeverbund, gegenu¨ber einer Steigerung der Investitionskosten sich positiv auf die Herstellkosten auswirkt. Aus der Energiezusammenstellung werden die beno¨tigten bzw. freigesetzten Energiemengen entnommen und die Energie pro Mengeneinheit ausgerechnet. Zur Ermittlung der Energiekosten sind Angaben u¨ber den Preis der Energiearten no¨tig. Diese Betriebsmittelpreise sind von den beno¨tigten Mengen (Groß- oder Kleinverbraucher) und dem Standort abha¨ngig. Im Folgenden werden wichtige Energiearten vorgestellt. Wasserdampf (s. Kap. 2.5.1) Eine erste grobe Abscha¨tzung des Dampfbedarfes fu¨r eine Kolonne ergibt sich nach:

Dampfmenge=ðt h1 Þ 

ðR€ ucklauf þ KopfproduktionÞ=ðt h1 Þ 5

ð6  6Þ

Voraussetzung * *

optimaler Wa¨rmeverbund (z. B. heißer Sumpfaustrag heizt Zulauf) normale organische Flu¨ssigkeit (Verdampfungswa¨rmen ca. 110 kWh t1) (s. Tab. 6.1-4).

Bei einem Dampfpreis von ca. 10 bis 20 Q t1 (Stand 1995 in Mitteleuropa, weiterhin abha¨ngig vom Standort und vom Dampfdruck) ergeben sich damit fu¨r N Rektifikationskolonnen folgende Dampfkosten in Euro pro kg Produkt: Dampfkosten=ðEuro kg1 Þ ¼ N P

Dampfmenge der Kolonne i=ðt h1 Þ  Dampfpreis=ðEuro t1 Þ :

ð6  7Þ

i¼1

Nennkapazit€at=ðkg h1 Þ

Elektrische Energie (s. Kap. 2.5.2) Bei den Strompreisen nimmt die BRD eine Spitzenstellung ein (5 bis 7 Eurocent kWh1 [VCI 2000]). Damit ist elektrische Energie als Wa¨rmequelle fu¨r Kolonnen normalerweise aufgrund des ho¨heren Preises (mehr als Doppelt so teuer wie Dampf) und bei Explosionsgefahr nicht geeignet. Der ha¨ufigste Einsatz der elektrischen Energie ist fu¨r Antriebszwecke, sei es zum Fo¨rdern (Kap. 2.4) oder zur Durchfu¨hrung von Operationen wie Zerkleinern, Mischen, Trennen usw. Ein weiteres Anwendungsgebiet fu¨r elektrische Energie in Chemieanlagen sind elektrische Begleitheizungen, die das Ein-

353

354

6 Verfahrensbewertung Tab. 6.1-4 Verdampfungsw€arme von einigen organischen Stoffen und das Verh€altnis der Verdampfungsw€armen zwischen Wasser und dem betrachteten Stoff [Handbock 1978]. DV H/kJ kg1

Stoff

DV HH20 /DV H

Methan

557

4,1

Ethan

522

4,3

Propan

433

Wasser

2257

1

5,2

Methanol

1227

1,8

Ethanol

880

2,5

n-Propanol

788

2,8

Aceton

552

4,1

Ameisensa¨ure

901

2,5

Essigsa¨ure

695

3,2

Propionsa¨ure

705

3,2

Benzol

437

5,1

Toluol

436

5,2

frieren von Rohrleitungen bei Anlagenausfall vor allem in der kalten Jahreszeit verhindern sollen. Die erforderlichen Pumpenleistung N in kW (s. auch Kap. 2.4.3) kann nach folgender Formel abgescha¨tzt werden [Henglein 1963]: N=kW ¼ V_ H q g gges DP

= = = = = =

V_  H  q  g V_  DP ¼ 3 3600  10  gges 36  gges

ð6  8aÞ

Nutzfo¨rderstrom in m3 h1 Fo¨rderho¨he in m Dichte in kg m3 Erdbeschleunigung ca. 10 m s2 Gesamtwirkungsgrad (70 bis 80 %) Fo¨rderdruck in bar.

Der Gesamtwirkungsgrad setzt sich aus dem mechanischen und dem elektrischen Wirkungsgrad zusammen: gges ¼ gmech  geletr :

ð6:1:1  8bÞ

Er liegt bei Kreiselpumpen etwa bei 0,7 bis 0,8 und bei Kolbenpumpen bei 0,8 bis 0,9. Bei kleinen Pumpen (5 m3 h1) kann der Gesamtwirkungsgrad allerdings erheblich kleiner sein [Hirschberg 1999]. Eine erste grobe Abscha¨tzung der Stromkosten in W pro kg Produkt fu¨r alle Pumpen in einer Anlage aus N-Units, ergibt sich aus:

6.1 Erstellung von Studien

Stromkosten/Euro kg1 =

Kennzahl  Strompreis/(Euro kWh1 Þ  N. 1000

ð6  9Þ

Die Kennzahl (ca. 4 kW pro Unit und t h1) ergibt sich aus der Erfahrung, dass in Großanlagen jede Unit mit einem Produktdurchsatz von 1 t Produkt h1 vier Pumpen beno¨tigt und jede Pumpe ca. 4 m3 h1 fo¨rdern muss. Brennstoffe Brennstoffe werden in chemischen Anlagen nur eingesetzt, wenn Stro¨me auf so hohe Temperaturen aufgeheizt werden mu¨ssen, dass Dampf nicht mehr wirtschaftlich ist. Die Grenze liegt bei etwa 100 bar Dampf (ffi 310 8C). Der Einsatz von Brennstoffen in chemischen Anlagen birgt immer die Gefahr der Zu¨ndquelle. Nutzbar ist nur der untere Heizwert Hu der Brennstoffe, da der gebildete Wasserdampf im allgemeinen nicht kondensiert werden kann. Einige typische Werte sind in der Tab. 6.1-5 enthalten. Ku¨hlwasser (s. Kap. 2.5.3) Entsprechend der unterschiedlichen Temperatur und Wasserqualita¨t wird der Ku¨hlwasserbedarf fu¨r die Abfu¨hrung einer bestimmten Wa¨rmemenge unterschiedlich sein. Liegen keine na¨heren Angaben vor, so genu¨gt es in erster Na¨herung, die Ku¨hlwassermenge unter Zugrundelegung einer Temperaturerho¨hung des Wassers um 10 8C zu ermitteln. Als Alternative zur Ku¨hlung mit Wasser bieten sich in Fa¨llen mit relativ hoher Produkttemperatur Luftku¨hler an. Luftku¨hler erfordern eine ho¨here Investition als Wasserku¨hler, sind aber ha¨ufig im Betrieb billiger und verschmutzen nicht so leicht. Fu¨r die erste Wirtschaftlichkeitsrechnung wird es jedoch im allgemeinen genu¨gen Wasserku¨hlung zugrunde zu legen, es sei denn, dass an dem bekannten Standort Ku¨hlTab. 6.1-5

Standard-Verbrennungsenthalphie DC H0 bei 25 8C [Chemikerkalender 1984, Handbook 1991].

Substanz

DC H0 / kWh t1

Kohlenstoff

9110

Kohlenmonoxid

2810

Wasserstoff

39 740

Methan

15 460

Methanol

6310

Formaldehyd

5190

Ameisensa¨ure

1590

Ethan

14 440

Ethanol

8250

Acetaldehyd

7360

Essigsa¨ure

4040

355

356

6 Verfahrensbewertung

wassermangel herrscht. Die beno¨tigten Flusswasserkosten in W pro kg Produkt ergeben sich aus der Annahme, dass alle beno¨tigte Dampfenergie vom Flusswasser auf einem Temperaturniveau von 25 bis 30 8C (¼ 5 8C Temperaturerho¨hung) abgefu¨hrt werden muss zu: Flusswasserkosten=ðEuro kg1 Þ ¼ Flusswasserpreis=ðEuro m3 Þ  Dampfverbrauch=ðt Dampf =t ProduktÞ:

ð6  10Þ

Der Flusswasserpreis ha¨ngt natu¨rlich vom Standort ab, fu¨r Mitteleuropa betra¨gt er etwa 8 Euro pro 1000 m3 Flusswasser. Ka¨lteenergie (s. Kap. 2.5.4) Mit Hilfe von Ka¨ltemaschinen wird die Sole (i. A. Ethylenglykol/Wasser-Mischungen) durch Verdichtung, Ku¨hlung und adiabatische Entspannung geeigneter Ka¨ltemittel in der Anlage selbst erzeugt, d. h. der Ka¨ltebedarf ist auf einen Bedarf an elektrischer Energie und an Ku¨hlwasser zuru¨ckfu¨hrbar. Fu¨r die Abfu¨hrung einer bestimmten Wa¨rmemenge mu¨ssen etwa 20 bis 50 % dieser Wa¨rmemenge, je nach gefordertem Temperaturniveau, zusa¨tzlich in Form elektrischer Energie aufgewandt werden. Hierdurch erho¨ht sich die abzufu¨hrende Wa¨rmemenge auf etwa 120 bis 150 %. Druckluft (s. Kap. 2.5.5) Wird Druckluft im Verfahren in kleinen Mengen beno¨tigt, so wird sie u¨ber Rohrleitungen bezogen. Ein Beispiel ist die fu¨r die Regelgera¨te beno¨tigte Steuerluft (Faustregel: 1 m3/h Steuerluft pro Regelgera¨t). Gro¨ßere Mengen werden in der Anlage durch Luftverdichter erzeugt, der Bedarf ist dann in elektrischer Energie ausdru¨ckbar [Coulson 1990]. Die fu¨r die Verdichtung von Gasen aufzuwendende Leistung Ntheo erha¨lt man nach (s. Kap. 2.4):

Ntheo

¼ P1  V_ 1 

v  v1

( v1 ) P2 v 1 P1

ð6  11Þ

v = cp =cv cp bzw. cv = Wa¨rmekapazita¨t des Gases bei konstantem Volumen bzw. Druck P1 bzw. P2 = Anfangs- bzw. Enddruck V_ 1 = Volumenstrom am Anfang.

Fu¨r Luft ist v ¼ 1,4, so dass sich bei einem Gesamtwirkungsgrad von 0,7 fu¨r die Luftverdichtung ergibt: n o N=kW ¼ 0,14  V_ 1 =ðm3 =hÞ  ðP2 =barÞ0,286  1 :

ð6  12Þ

6.1 Erstellung von Studien

6.1.6.3

Entsorgungskosten

Die Entsorgungssituation hatte sich im Bereich der Chemieanlagen in den 80er Jahren deutlich zugespitzt. Die Abgabe von Abwa¨ssern bzw. Ru¨cksta¨nden an zentrale Kla¨ranlagen bzw. Ru¨ckstandsverbrennungsanlagen oder Deponien war aufgrund beho¨rdlicher Anforderungen an eine Grenze gestoßen, wodurch die Entsorgungskosten in den letzten Jahren in Deutschland dramatisch stiegen. Dies stellte eine Herausforderung an die Verfahrensentwicklung dar. Mit der Formel integrierter statt additiver Umweltschutz wird heute gefordert, Umweltbelastungen bereits im Herstellprozess zu verringern und sich zu bemu¨hen, mo¨glichst auch die Nebenprodukte eines chemischen Prozesses nutzbringend zu verwenden [Swodenk 1984, Bakay 1989, Lenz 1989, Lippardt 1989, Schierbaun 1999]. Solche Forderungen haben einen großen Einfluss auf die Entwicklung von chemischen Verfahren. Es gilt hier die Synergien zu nutzen, die sich aus dem Anlagen- und Standortverbund ergeben. Das Zauberwort heißt hier „Nachhaltige Entwicklung“, Sustainable Development also. Wichtige Beitra¨ge zum Sustainable Development liefern die Entwicklung neuer besserer Katalysatoren und Verfahren. Vor allem der steigende Einsatz von Katalysatoren in industriellen Verfahren fu¨hrt zu ho¨heren Ausbeuten, geringerem Ressourcenverbrauch, vermindertem Abfall und nicht zuletzt zu einer leichteren Weiterverarbeitung. Kla¨ranlage In eine Kla¨ranlage du¨rfen nur Abwa¨sser eingeleitet werden, die biologisch gut abbaubar und nicht toxisch fu¨r die Kla¨ranlagenbakterien sind. Jeder einzelne Stoff in einem bestimmten Abwasserstrom sollte fu¨r sich allein gesehen eine genu¨gend gute biologische Abbaurate besitzen, unabha¨ngig von der Gesamtmenge dieses Stoffes im Abwasserstrom. Diese Forderung verhindert, dass einzelne nicht abbaubare Stoffe in der Gesamtheit des ansonsten gut abbaubaren Gesamtgemisches untergeht. Zur Beurteilung, ob ein Strom u¨ber eine Kla¨ranlage entsorgt werden darf, mu¨ssen fu¨r alle Einzelstoffe im Abwasserstrom folgende Informationen zusammengetragen werden: * * *

*

Biologischer Sauerstoffbedarf bzw. der BSB5/CSB-Wert [DIN 38409] Zahn-Wellens-Test [OECD 1981] Bakterien- und Fischtoxizita¨t [Juhnke 1978, Bringmann 1977, DIN 38412, DFG 1983] Wassergefa¨hrdungsklasse WGK [Ku¨hn 1996].

Zu einer ersten groben Abscha¨tzung der oberen Kla¨ranlagekosten in Q pro kg Produkt kommt man, wenn man annimmt, dass alle gebildeten Nebenprodukte in die Kla¨ranlage geleitet werden: Kl€aranlagekosten=ðEuro kg1 Þ ¼

M ðEduktÞ ð1  SÞ  M ðProduktÞ S  C  Gehalt ðEduktÞ  C  Preis

ð6  13Þ

357

358

6 Verfahrensbewertung M(Edukt) M(Produkt) S (1-S) C-Gehalt(Edukt) C-Preis

= = = = = =

Molmasse des Eduktes Molmasse des Produktes Selektivita¨t des Produktes Selektivita¨t zu den Nebenprodukten Massenbruch Kohlenstoff im Edukt Q pro kg organisch gebundenem Kohlenstoff (die Kla¨ranlagenbetreiber fordern ca. 1 Q/kg C).

Verbrennungsanlagen [Jahrbuch 1991, Geiger 2000] Abfallstro¨me, die nur aus C/H/O-haltigen Verbindungen bestehen und mit einem Gehalt von > 10 % in Wasser anfallen sind ideal geeignet, um in einer Verbrennungsanlage oder einem Kraftwerk entsorgt zu werden (bei einem Gehalt von > 10 % organischen Stoffen ist die Verbrennungswa¨rme etwa gleich der Verdampfungswa¨rme des Wassers). In dieser Situation darf man als erste grobe Na¨herung die variablen Entsorgungskosten bei der Herstellkosten-Rechnung vernachla¨ssigen. Schwieriger gestaltet sich die Entsorgungssituation via Verbrennung, wenn weitere Elemente wie N, Cl, S, Metalle u. a. im Ru¨ckstand enthalten sind. Derartige Ru¨cksta¨nde ko¨nnen wirtschaftlich nur in einer zentralen Ru¨ckstandsverbrennungsanlage entsorgt werden, die mit entsprechenden Absorptionssystemen fu¨r NOX, HCl, SO2 usw. ausgeru¨stet ist [Hu¨ning 1984, Hu¨ning 1989]. Deponie Die Anforderungen, die an deponiefa¨hige Ru¨cksta¨nde gestellt werden, steigen sta¨ndig, abgesehen davon, dass neuer Deponieraum nicht mehr zur Verfu¨gung steht. Bei der Entwicklung von neuen Verfahren ist diese Option der Entsorgung praktisch nicht mehr gegeben.

6.1.6.4

Personalkosten

Die Kosten fu¨r das Bedienungspersonal chemischer Anlagen ko¨nnen sehr unterschiedlich sein. Bei großen automatisierten Anlagen ko¨nnen es weniger als 3 %, bei kleiner Produktion im Chargenbetrieb bis zu 25 % der Herstellkosten betragen. Ha¨ufig liegen sie zwischen 5 und 10 % der Herstellkosten. Der Trend geht bei neuen Anlagen sowohl beim kleinen Chargenbetrieb wie auch bei Einstranganlagen hin zur weitestgehenden Automatisierung. Durch die Einfu¨h¨ berwachung rung der Prozessleittechnik ist eine nahezu lu¨ckenlose Bedienung und U der Anlage u¨ber freianzeigende Bilder mo¨glich geworden [Jahrbuch 1991]. Eine gut durchgeplante und automatisierte Einstranganlage beno¨tigt heute nahezu unabha¨ngig von der Anlagengro¨ße folgende Mindestbesetzung: * * * *

1 2 1 2

Betriebsleiter (außertariflicher Angestellter) Tagmeister (tariflicher Angestellter) Schichtfu¨hrer oder sein Stellvertreter (tariflicher Angestellter) Schichtleute fu¨r die Messwarte (gewerblicher Arbeitnehmer)

6.1 Erstellung von Studien * *

1 Schichtmann fu¨r den Außendienst (gewerblicher Arbeitnehmer) ¨ berbru¨ckung von Pausen u. a. 1 Schichtmann als Reserve, zur U

Diese Mindestbesetzung von 5 Mann im 24 Stundenbetrieb ist mit einem firmenspezifischen Faktor zu multiplizieren, der die Art des Schichtmodells, die Krankenstatistik und die Urlaubszeit beru¨cksichtigt, um die Gesamtzahl der beno¨tigten Schichtarbeitspla¨tze zu erhalten. Fu¨r eine erste grobe Abscha¨tzung der Personalkosten in Q pro kg Produkt auf der Basis der obigen Mindestpersonalzahl kann man folgende Faustformel verwenden (Stand BRD 1992): Personalkosten=ðEuro kg1 Þ ¼

2000 : Nennkapazit€at=ðt a1 Þ

ð6  14Þ

Spezielle betriebliche Anforderungen, wie z. B. ha¨ufiger Wechsel des Produktionsprogramms, periodisches An- und Abfahren der Anlage, Be- und Entladen von Tankfahrzeugen u. a., ko¨nnen zusa¨tzlich Personal erforderlich machen. 6.1.6.5

Werkstattkosten

Die Reparatur- und Wartungskosten betragen erfahrungsgema¨ß im allgemeinen ja¨hrlich 3 bis 6 % des investierten Kapitals [Wagener 1972]. Sie bestehen etwa zur Ha¨lfte aus Materialkosten, der Rest sind Lohnkosten. Es kann also angenommen werden, dass ihr Anstieg langfristig zwischen dem der Investitionskosten (Tab. 6.1-2) und dem der Tariflo¨hne (Tab. 6.1-6) liegt. Erfahrungsgema¨ß treten erho¨hte Reparaturkosten unmittelbar nach Inbetriebnahme zur Behebung von Anlaufschwierigkeiten und nach la¨ngerer Betriebszeit durch Großreparaturen auf. Je nach Neuheit eines Verfahrens sollte daher bei einer ersten Scha¨tzung vorsichtshalber mit ja¨hrlichen Kosten zwischen 5 und 10 % der gescha¨tzten Investitionssumme gerechnet werden. 6.1.6.6

Sonstige Kosten

Unter den sonstigen Kosten ist der gesamte Overhead der Firma wie Zentraleinheiten (Forschung, Personalwesen, Energieabteilung), Werksleitung, Sozialeinrichtungen, innerbetrieblicher Verkehr, Werksschutz u. a. zusammengefasst. Diese Kosten ha¨ngen stark von der Firmenstruktur ab. Sie betragen in der Regel etwa 5 bis 20 % der Summe aus Energiekosten, Personalkosten und Abschreibung. 6.1.6.7

Kapitalabha¨ngige Kosten (Abschreibung)

Die Abschreibung des Anlagenkapitals kann nach verschiedenen Methoden erfolgen [Ko¨lbe1 1967]. Fu¨r die Wirtschaftlichkeitsrechnung genu¨gt es im allgemeinen, vollsta¨ndige lineare Abschreibung wa¨hrend zehnja¨hriger Nutzungsdauer anzusetzen.

359

360

6 Verfahrensbewertung Tab. 6.1-6 Bruttostundenverdienst f€ ur einen durchschnittlichen Arbeiter in der chemischen Industrie der BRD [VCI 2001, Jahrbuch 1991]. Jahr

Q

Steigerungsrate/%

Index 1995 ¼ 100

Steigerungsrate/%

1985

8,99

þ 3,1

64,8

þ 3,2

1986

9,30

þ 3,4

66,9

þ 3,2

1987

9,69

þ 4,2

69,7

þ 4,2

1988

10,06

þ 3,8

72,4

þ 3,9

1989

10,42

þ 4,2

75,0

þ 3,6

1990

11,11

þ 6,7

80,0

þ 6,7

1991

11,76

þ 5,9

84,6

þ 5,8

1992

12,51

þ 6,3

89,8

þ 6,1

1993

13,20

þ 5,5

94,6

þ 5,3

1994

13,62

þ 3,2

97,6

þ 3,2

1995

14,01

þ 2,9

100,0

þ 2,5

1996

14,41

þ 2,8

101,6

þ 1,6

1997

14,54

þ 0,9

102,7

þ 1,1

1998

14,65

þ 0,8

103,2

þ 0,5

1999

14,93

þ 1,9

105,1

þ 1,8

2000

15,46

þ 3,5

108,9

þ 3,6

Die ja¨hrliche Abschreibung ist dann mit 10 % des Anlagenkapitals zu veranschlagen: Abschreibung=ðEuro kg1 Þ ¼

Gesamtinvestition=Euro : 10 a  Nennkapazit€ at=ðkg a1 Þ

ð6  15Þ

6.1.7

Technologiebewertung

Die Technologiebewertung soll Auskunft u¨ber das technische Risiko eines Verfahrens geben. Dieses ist gleichbedeutend mit dem wirtschaftlichen Schaden, der entsteht, wenn das Verfahren im Extremfall prinzipiell nicht funktioniert. Bei der Technologiebewertung ist aufzuzeigen, ob die einzelnen Unitoperations bzw. die eingesetzten Apparate und Maschinen technisch erprobt sind oder ob Neuland mit besonderen Risiken betreten wird (Gro¨ße, Konstruktion, Werkstoff, scale-up Faktor u. a.). Hierher geho¨rt auch eine Aussage daru¨ber, ob das Verfahren auf einer fu¨r die Firma bekannten Technologie aufbaut (z. B. Hochdruck, Gasphasenoxidation, Phosgenierungstechnologie) oder ob es sich um grundsa¨tzliche Neuerungen handelt. Werden Grenzen u¨berschritten, sind die erprobten Grenzen anzugeben (z. B. die Dimensionen der gro¨ßten bisher in der Firma arbeitenden Extraktionskolonne werden bei dem neuen Projekt deutlich u¨berschritten). Diese Informationen sind schon in einem mo¨glichst fru¨hen Stadium zu erarbeiten, um mo¨gliche Risiken und Fehlerquellen zu erkennen,

6.1 Erstellung von Studien

Abb. 6.1-7

€ kologische Fingerprint – ein Instrument zur Bestimmung der Umweltbeeinflussung. Der O

abzuwa¨gen und zu bewerten. Unerkannte Risiken und Fehler haben Eisbergcharakter (s. auch Abb. 4-3). In der Phase des Miniplantbetriebs ist besonders kritisch auf Ablagerungen, ha¨ufig wiederkehrende Sto¨rungen und a¨hnliches zu achten, denn solche Probleme in der Miniplant fu¨hren spa¨ter in der Großanlage oft zu unu¨berwindlichen Schwierigkeiten (z. B. Scha¨umen, Emulsionsbildung, Feststoffablagerungen, Aerosolbildung u. a.). Auch sollte zu einem mo¨glichst fru¨hen Zeitpunkt das Verfahren nicht nur bzgl. Kosten- sondern auch bzgl. Umweltaspekten analysiert werden. Beispielsweise ¨ koeffizienz-Analyse (Abb. 6.1-7) nicht nur unter kann das Verfahren mit Hilfe der O Kostengesichtspunkten sondern auch unter Umweltgesichtspunkten analysiert werden. Das Ziel ist eine u¨bersichtliche und einga¨ngige Darstellung der o¨konomischen und o¨kologischen Einflu¨sse wa¨hrend des gesamten Lebensweges eines Produktes. Damit kann bei Investitionsentscheidungen die langfristig beste Alternative ausgewa¨hlt werden [Kircherer 2001, Ga¨rtner 2000]. Beispiel 6-3 ¨ koeffizienzanalyse [BASF 2001, Ga¨rtner 2000], bei der die BASF Das Ergebnis einer O verschiedene Chemikalien fu¨r die Bleiche von Illustriertenpapier untersucht hat, beweist: Hydrosulfitbleicherde ist kostengu¨nstiger und weniger umweltbelastend als die Peroxidbleiche. Deshalb sollten Papierhersteller – wenn mittlere Bleichqualita¨t ausreicht – Hydrosulfit benutzen und nur fu¨r sehr gute Bleichqualita¨t zusa¨tzlich Wasserstoffperoxid verwenden. Der gro¨ßte Pluspunkt beim Hydrosulfit: man braucht keine zusa¨tzlichen Hilfsstoffe. Anders beim Wasserstoffperoxid: es entfaltet seine bleichende Wirkung nur dann, wenn zusa¨tzlich Natronlauge und Wasserglas u. a. zugegeben werden. Diese erho¨hen die Kosten und den Ener-

361

362

6 Verfahrensbewertung

gieverbrauch, der bei Peroxid u¨ber den gesamten Lebensweg doppelt so groß ist wie beim Hydrosulfit. Ein weiterer Vorteil von Hydrosulfit ist der schonende reduktive Bleichvorgang. Mit den aggressiven Oxidationsmittel Wasserstoffperoxid werden die Holzfasern zum Teil zersto¨rt. Das Ergebnis ist eine sehr große Belastung des Abwassers beim Papiermacher mit TOC.

Kennzahlen zur Bewertung der Nachhaltigkeit chemischer Prozesse sind [Eissen 2002]: * *

*

Kumulierter Energieaufwand (Prozessenergie pro Produkteinheit) Atomverwertungsfaktor (Molmasse Produkt pro Summe aller Molmassen der Edukte) Umweltfaktor (Masse des Abfalls, d. h. alle verwendeten Stoffe, die nicht Produkt sind, pro Produkteinheit).

Als Ergebnis dieser Technologiebewertung erha¨lt man eine Liste der Schwachstellen, geordnet nach der Ho¨he des technischen Risikos (z. B. Katalysatorlebensdauer, Korrosion). Anhand dieser Liste ko¨nnen nun die Maßnahmen beschlossen werden, die das technische Risiko verringern. Prinzipiell gibt es zwei Maßnahmen: *

*

¨ berpru¨fung dieser Unit im Erho¨hung des Aufwandes fu¨r F&E an dieser Stelle (z. B. U Pilotmaßstab oder Suche nach bewa¨hrten Lo¨sungen). Diese Mo¨glichkeit ist immer dann zu wa¨hlen, wenn im Extremfall, beim Versagen dieser Unit, mit einer Investitionsruine zu rechnen ist. Entwicklung von Versagensszenarien, d. h. was kann bei auftretenden Problemen oder beim vo¨lligem Versagen der Unit spa¨ter getan werden.

Normalerweise sind beide Mo¨glichkeiten gegeneinander abzuwa¨gen, d. h. es wird gekla¨rt, ob es wirtschaftlicher ist das Risiko durch erho¨hten F&E-Aufwand zu minimieren (z. B. Bau einer Pilotanlage) oder durch spa¨tere technische Maßnahmen (z. B. zusa¨tzliche Instrumentierung oder Reserveaggregate) zu vermindern oder sogar auszuschalten. Einige allgemeine Gesichtspunkte, die zur Beurteilung der technischen Zuverla¨ssigkeit nu¨tzlich sein ko¨nnen, sollen im Folgenden zusammengestellt werden. Aus der Risikoabscha¨tzung und den daraus abgeleiteten Maßnahmen kann recht genau die wirtschaftliche Auswirkung quantifiziert werden (Zuschla¨ge zu den Entwicklungskosten oder zu den Investitions- und Reparaturkosten). Damit geht die technische Zuverla¨ssigkeit in die Wirtschaftlichkeitsu¨berlegungen ein, und es ergibt sich die Mo¨glichkeit, das Risiko des Entwicklungsprojektes in Geldeinheiten auszudru¨cken. 6.1.8

Maßnahmen zur Erho¨hung der technischen Zuverla¨ssigkeit Entkopplung von Verfahrensschritten Ein Verfahren welches in einer Einstranganlage durchgefu¨hrt werden soll, ist um so sto¨ranfa¨lliger, je mehr Verfahrensschritte aufeinander folgen und je gro¨ßer die Ausfallwahrscheinlichkeit des Einzelschrittes ist. Eine Einstranganlage kann nur funktio-

6.1 Erstellung von Studien

nieren, wenn jeder einzelne Schritt funktioniert. Werden Teilstro¨me auf fru¨here Stufen zuru¨ckgefu¨hrt, so ist die Kopplung der Stufen besonders stark. Dies gilt auch fu¨r den Energieverbund innerhalb eines Verfahrens, wie er bei integrierten Anlagen selbstversta¨ndlich ist (Kap. 6.1.6.2). Die Erho¨hung des Risikos mit wachsender Zahl von Verfahrensschritten ist unabha¨ngig davon, ob das Verfahren kontinuierlich oder diskontinuierlich durchgefu¨hrt wird. Es gibt nun verschiedene Mo¨glichkeiten, die in der Praxis eingesetzt werden, um aus diesem Dilemma herauszukommen (Abb. 6.1-8 und 6.1-9): *

*

Entkopplung durch Zwischenschaltung von Tanks fu¨r die Zwischenprodukte (je gro¨ßer der Puffertank, um so mehr Unabha¨ngigkeit). Bei gro¨ßeren Produktmengen oder gasfo¨rmigen Zwischenprodukten ist diese Maßnahme jedoch praktisch nicht durchfu¨hrbar. Entkopplung durch Parallelschaltung von besonders sto¨ranfa¨lligen Apparaten. Alle Filter und sto¨ranfa¨lligen Armaturen sollten mit einem Umgang versehen werden soweit dies die Sicherheit zula¨sst (z. B. Wa¨rmetauscher im Hauptstrom, bei denen mit starkem Fouling zu rechnen ist).

Abb. 6.1-8 Beispiel zur Entkopplung einer Einstranganlage: a) Zwischentank zum Ausgleich von Zulaufschwankungen. b) R€ uckf€ uhrung zum Ausgleich von Zulaufschwankungen.

363

364

6 Verfahrensbewertung

Abb. 6.1-9

Entkopplung einer Einstranganlage durch redundante Ausstattung [Englund 1992].

Alle Maßnahmen, die zu einer Erho¨hung der Verfu¨gbarkeit einer Einstranganlage beitragen, fu¨hren zu einer Erho¨hung der Investitionskosten. In der Praxis ist es ha¨ufig so, dass diese Maßnahmen erst nach der Erstinbetriebnahme der Anlage ergriffen werden. Wahl von scale-up-sicheren Verfahrensschritten Ein Beispiel fu¨r die Abha¨ngigkeit der technischen Zuverla¨ssigkeit von der anzuwendenden Operation bietet die Stoffu¨bertragung. Wa¨hrend fu¨r Rektifikationen einfache Standardapparate benutzt werden ko¨nnen, ist fu¨r die Extraktion eine Vielzahl von Apparaten entwickelt worden, in denen die Phasen in mehreren Stufen gemischt und anschließend getrennt werden. Diese Apparate erfordern im Allgemeinen zum sicheren Betrieb mehr Aufwand als Destillationskolonnen. Eine Operation wird um so komplizierter sein, je mehr Stoffe und Phasen an ihr beteiligt sind und je extremer die Betriebsbedingungen sind. So erfordert die gleichzeitige Anwesenheit von zwei flu¨ssigen Phasen besondere Vorkehrungen. Das gleiche gilt, wenn

6.1 Erstellung von Studien

besondere hohe oder tiefe Temperaturen bzw. Dru¨cke vorliegen. Sollen Feststoffe verarbeitet werden, so muss das Verfahren sehr vorsichtig beurteilt werden. Die Vergro¨ßerung von Apparaten zur Feststoffabtrennung ist besonders sorgfa¨ltig zu untersuchen. Auch die Bunkerung und der Transport von Feststoffen bereiten ha¨ufig stoffspezifische Schwierigkeiten. Wird eine neue Technologie angewandt, so ist damit zu rechnen, dass die Betriebssicherheit gegenu¨ber bewa¨hrten Verfahren geringer ist. Sie kann erho¨ht werden, wenn in der Versuchsanlage die gleichen Apparatetypen verwendet werden wie in der zu errichtenden Großanlage. Voraussetzung hierfu¨r ist allerdings die Vergro¨ßerbarkeit, die bei Reaktionsapparaten nicht immer gegeben sind. Auswege aus diesem Dilemma ko¨nnte die Einfu¨hrung von Mikroreaktoren sein [Srinivasan 1997], die sich aber erst in der Phase der Forschung und Entwicklung befinden. Wahl der zu verarbeitenden Stoffe Sind toxische, explosive oder umweltgefa¨hrliche Stoffe zu handhaben, so ist von vornherein ein ho¨heres Maß an Betriebssicherheit zu verlangen als bei harmlosen Substanzen. Wahl der Apparatematerialien Korrosion bedeutet stets ein besonderes Risiko und macht die Verwendung von Sondermaterialien no¨tig. Fu¨r eine erste Auswahl stehen Tabellenwerke zur Verfu¨gung [Ullmann]. In den meisten Fa¨llen wird es jedoch no¨tig sein, spezielle Korrosionsversuche anzustellen. Spurenverunreinigungen ko¨nnen zu erheblichen Schwierigkeiten fu¨hren, wenn sie sich an bestimmten Stellen der Apparatur anreichern. Die zuverla¨ssigsten Aussagen liefert hier der Betrieb einer integrierten Miniplant. Werden Mischphasen mit hoher Geschwindigkeit bewegt, so ist mit Erosion des Wandmaterials zu rechnen. Die Abtragung kann oft durch Wahl des Materials und durch sinnvolle konstruktive Gestaltung in Grenzen gehalten werden. Wandsta¨rkezuschla¨ge helfen im Allgemeinen nicht, weil die Erosion meist punktfo¨rmig angreift. Miniplantversuche helfen hier nicht weiter, da diese meistens nicht repra¨sentativ bzgl. der Hydrodynamik sind. Bei bewegten Feststoffen unterliegen nicht nur die Apparatewa¨nde, sondern auch die Feststoffe selbst einem Abrieb. Wird im Verfahren eine bestimmte Korngro¨ße vorausgesetzt, so kann der Abriebverlust von erheblichem Einfluss sein. Bei Verfahrensvergro¨ßerungen ist stets mit einem Ansteigen des Abriebs zu rechnen. Feststoffablagerungen Ha¨ufig scheiden sich Feststoffe innerhalb von Apparaten ab und fu¨hren zu einer Verschmutzung. Hier liefern Miniplantergebnisse wertvolle Informationen. In Wa¨rmetauschern wird die Verschmutzung durch empirisch ermittelte Zuschla¨ge zum Wa¨rmedurchgangswiderstand (Verschmutzungsfaktoren) beru¨cksichtigt (Abb. 6.1-10). Ist mit nicht ausreichender Betriebszeit zu rechnen, so muss ein Reserveaustauscher parallel installiert werden. Bei gro¨ßeren Anlagen sind Wa¨rmetauscher aus konstruktiven Gru¨nden meist ohnehin in mehrere Apparate unterteilt. Wird durch entsprechende Armaturen (Doppelblock und Bleed) dafu¨r gesorgt, dass jeder Wa¨rmetauscher wa¨hrend des Betriebes gereinigt werden kann, so ist der Einfluss auf die Verfu¨g-

365

366

6 Verfahrensbewertung

Abb. 6.1-10

Einfluss des Verschmutzungsfaktors Fi auf den W€armedurchgangskoeffizienten k mit:

1 1 ¼ þ Fi k k0 F1 ¼ 7  104 m2 K W1 (typischer Wert f€ ur Flusswasser) k0 ¼ 1000 W m2 K1.

barkeit der Gesamtanlage gering (Abb. 6.1-9). Dies gilt allerdings nur, solange eine technisch sinnvolle Reinigungsfrequenz nicht u¨berschritten wird. Wa¨rmetauscherkonstruktion und Reinigungsoperationen mu¨ssen sorgfa¨ltig auf die Art der Verschmutzung abgestimmt werden, eine weitgehende Automatisierung lohnt sich bei gro¨ßeren Apparaten immer. Ist mit Verschmutzung in Kolonnen zu rechnen, so ist einzuplanen, dass bei gro¨ßeren Kolonnen jeder Boden begangen werden kann oder bei kleinen Kolonnen an jedem Boden ein Handloch zur Atu¨matenreinigung vorhanden ist. Weiterhin sollten Konstruktionen verwendet werden, deren Funktion gegenu¨ber Verschmutzung relativ unempfindlich ist und die leicht gereinigt werden ko¨nnen (z. B. polierte DualFlow-Bo¨den in Kolonnen). Die Wahl von Reaktionsapparaten kann durch die Verschmutzung wesentlich beeinflusst werden. In Festbettreaktoren steigt der Druckverlust mit wachsender Verschmutzung rasch an, wa¨hrend Wirbelbettreaktoren praktisch nicht beeinflusst werden. Zur Regenerierung des verschmutzten Kontaktes mu¨ssen Festbettreaktoren geo¨ffnet und entleert werden, Wirbelbett-Kontakte sind meist im Reaktor regenerierbar. Ha¨ufig ist auch Entnahme, Regenerierung und Ru¨ckschleusen eines Teilstromes des Katalysators wa¨hrend des Betriebes mo¨glich. Wenig erfreulich ist eine Verschmutzung, die nicht nur vom zu verarbeitenden Stoff, sondern auch vom Apparatematerial abha¨ngt. Zum Beispiel lassen sich bei vielen Polymerisationsreaktoren Wandbela¨ge durch geeignete Wahl des Wandmaterials und der Bearbeitungsmethode zuru¨ckdra¨ngen. In solchen Fa¨llen ist darauf zu achten, dass in der Versuchsanlage das gleiche Wandmaterial verwendet wird wie in der technischen Anlage. Erfolgen Ablagerungen an der Wand und wachsen die Ablagerung mit konstanter Geschwindigkeit, so kann erwartet werden, dass die Schwierigkeiten in Volumenapparaten und Rohrleitungen mit wachsender Vergro¨ßerung abnehmen, in Kolonnen und Wa¨rmetauschern (Oberfla¨chenapparaten) aber unvera¨ndert bleiben.

6.1 Erstellung von Studien

Maschinen Maschinen haben bewegte Teile und sind damit stets eine mo¨gliche Quelle fu¨r Betriebssto¨rungen. Ist der Anteil von Maschinen im Verfahren relativ hoch, so beeintra¨chtigt dies die Zuverla¨ssigkeit des Verfahrens. Allgemein werden Maschinen mit hin und her gehenden Teilen als weniger zuverla¨ssig betrachtet als Maschinen mit nur rotierenden Teilen. Bei Maschinen ist deshalb die sinnvolle Bereitstellung von Reserven besonders wichtig. Pumpen werden wegen der relativ geringen Kosten meist in zwei Aggregaten mit je 100 % Reserve installiert. Gelegentlich ko¨nnen auch zwei Pumpen verschiedener Funktion mit einer gemeinsamen Reserve ausgestattet werden. Bei Kolbenmaschinen kommt außer der vollen Reserve (2  100 %) auch 2  66 % oder in Ausnahmefa¨llen 3  50 % in Betracht. Turbomaschinen werden meistens mit 1  100 % installiert, wobei fu¨r rasche Ersetzbarkeit von Verschleißteilen gesorgt wird. Auch zwei Maschinen mit 50 % Reserve werden ha¨ufig installiert. Mess- und Regeleinrichtungen Je enger die Grenzen sind, in denen Mengenstro¨me und Betriebsbedingungen fu¨r einen sicheren Betriebsablauf gehalten werden mu¨ssen, desto ho¨here Anforderungen werden an die Mess- und Regeltechnik gestellt. Um die Verfu¨gbarkeit zu erho¨hen, werden bei kritischen Schaltungen und Regelkreisen anstelle einer Messung n Messungen installiert. Die Gesamtheit arbeitet bestimmungsgema¨ß, solange m von n Messungen (m < n) im Gutbereich sind (m von n-Schaltung). Je gro¨ßer m ist, um so ho¨her wird die Sicherheit und um so niedriger die Verfu¨gbarkeit. Bei Chemieanlagen hat sich die 2 von 3-Schaltung bewa¨hrt, die einen Kompromiss zwischen Sicherheit und Verfu¨gbarkeit darstellt. Mehrstrangigkeit Nach Gl. (6-1) steigen die Investitionskosten bei Vergro¨ßerung der Anlage etwa mit der Potenz 2/3 der Kapazita¨t. Die spezifischen Investitionskosten sind demnach bei einer Einstranganlage um ca. 20 % niedriger als bei einer Zweistranganlage gleicher Gesamtkapazita¨t. Auch der Bedienungsaufwand ist bei einer Einstranganlage niedriger als in mehreren Einzelanlagen gleicher Gesamtkapazita¨t. Auf der anderen Seite ko¨nnen bestimmte Anlagenteile ha¨ufig nicht genu¨gend sicher auf die gewu¨nschte Gesamtkapazita¨t vergro¨ßert werden. So kann die Maximalkapazita¨t von Polymerisationskesseln dadurch begrenzt sein, dass bei Ausfall der Ku¨hlung gerade noch keine gefa¨hrlichen Betriebszusta¨nde erreicht werden oder dass die Gro¨ße eines Oxidationsreaktors aus Kostengru¨nden nicht u¨berschritten werden soll. In diesem Fall wird die Gesamtkapazita¨t aus der no¨tigen Anzahl von Einzelapparaten zusammengesetzt. Ein erheblicher Vorteil der Mehrstrangigkeit liegt oft in der Tatsache, dass ein voru¨bergehender Teillastbetrieb leichter zu bewa¨ltigen ist als Abstellen und anschließendes Wiederanfahren. Bei unvollsta¨ndiger Auslastung der Anlage sind die spezifischen Verbrauchszahlen mehrstrangiger Anlagen niedriger. Ferner lassen sich mehrstrangige Anlagen leichter nachtra¨glich auf ho¨here Kapazita¨t bringen, besonders wenn dies von vornherein geplant wurde. Die Vorteile der Mehrstrangigkeit ko¨nne natu¨rlich nur dann genutzt werden, wenn die Mo¨glichkeit besteht, jeden Strang einer Verfahrens-

367

368

6 Verfahrensbewertung

stufe mit jedem beliebigen der folgenden Stufe zu verknu¨pfen. Hierzu sind Sammelleitungen no¨tig.

6.1.9

Experimenteller Ausarbeitungsstand

In diesem Teil der Projektstudie sind Angaben daru¨ber zu machen, ob die vorliegenden Versuchsergebnisse selbst erarbeitet sind, oder ob es sich um unternehmensfremde Ergebnisse handelt. Liegen eigene Erkenntnisse vor, dann ist darzulegen, in welchen Versuchseinheiten die Experimente erarbeitet wurden (z. B. Labor, integrierte Miniplant) und wie lange die Versuche bei welchen Bedingungen gelaufen sind. Ziel ist es hier, zu einer mo¨glichst objektiven Beurteilung u¨ber die Qualita¨t der ermittelten Daten zu kommen, da diese einen großen Einfluss auf die Genauigkeit der Projektkostenscha¨tzung hat.

6.2

Rentabilita¨t Nach Scha¨tzung der einzelnen Kostenfaktoren ist eine rohe Wirtschaftlichkeitsrechnung mo¨glich [Solinas 1997]. Sie soll Auskunft u¨ber die Rentabilita¨t (¼ Verha¨ltnis von Gewinn zu eingesetztem Kapital) der geplanten Investition geben. Eine Investition in das betrachtete Verfahren ist dann vorteilhaft, wenn die Summe der Einnahmen die Summe der Ausgaben u¨bersteigt und der Gewinn (¼ Einnahmen – Ausgaben) eine Amortisation und eine angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals ermo¨glicht. Die Rentabilita¨t des Verfahrens kann durch Minimierung der Herstellkosten gesteigert werden. Durch Offenlegung der Hauptkostenfaktoren (Rohstoff, Energie, Entsorgung, Personal, Abschreibung) ergeben sich so Hinweise, in welcher Richtung die Verfahrensentwicklung vorangetrieben werden muss, um das Verfahren zu verbessern (Tab. 6.2-1). Eine Minimierung der Herstellkosten fu¨hrt jedoch dann nicht zur Maximierung der Rentabilita¨t, wenn die Auslastung der Anlage nicht erreicht wird. Hier ko¨nnte eine Anlage mit geringerer Kapazita¨t und ho¨heren Herstellkosten zwar weniger wirtschaftlich, aber rentabler sein. Im Folgendem sollen einige in der Praxis ha¨ufig angewendeten Kennzahlen zur Beurteilung der Rentabilita¨t dargestellt werden.

6.2.1

Statische Rentabilita¨t

Eine weit verbreitetes Praktikerverfahren ist die Rentabilita¨tsrechnung (Return on Investment), die in ihrer einfachsten Form den erwarteten Jahresgewinn auf das investierte Kapital bezieht:

6.2 Rentabilita¨t Tab. 6.2-1

Beispiele f€ ur Maßnahmen, die zu einer Reduktion der Hauptkostenfaktoren f€ uhren k€ onnen.

Hauptkostenfaktor

Maßnahmen

Rohstoff

*

Selektivita¨t des Katalysators erho¨hen

*

Aufarbeitungsverluste minimieren

*

Rohstoffe mit niederer Qualita¨t einsetzen

*

Optimierung des Wa¨rmeverbundes

*

mehrstufige Verdampfung einsetzen

*

Extraktion statt Destillation

*

Flusswasserku¨hler statt Luftku¨hler

*

Integrierte Abfallverwertung

*

Standortwahl

*

Automatisierungsgrad der Anlage erho¨hen

*

Prozessleitsystem

Energie

Entsorgung

Personal

Abschreibung



*

Vereinfachung der Reaktionsfu¨hrung und der Aufarbeitung

*

Materialwahl u¨berpru¨fen

*

Dimensionierung des Rohrleitungssystems u¨berpru¨fen

*

Synergien des Standortes nutzen

ðU  HÞ  100 I

ð6  16Þ

= Renditeprozentsatz in % a1 = Jahresumsatz in Q a1 (¼ Absatzmenge mal Preis) = ja¨hrliche aufzuwendende Kosten fu¨r die Herstellung in Q a1 (Produktionsrate mal Herstellkosten) I = Investition in Q ðU  HÞ = Jahresgewinn in Q a1. R U H

Das Verfahren kann durch Beru¨cksichtigung des Umsatzes aufschlussreicher gemacht werden: R¼

ðU  HÞ U   100: U I

ð6  17Þ

Der erste Faktor zeigt den Umsatzerfolg, der zweite den Kapitalumschlag. Anstelle von R kann auch der reziproke Wert, die Wiedereinbringzeit 100/R, benutzt werden. Sie gibt an, nach welchem Zeitraum das investierte Kapital zuru¨ckgewonnen ist, so dass die Anlage beginnt, Gewinn zu machen. Die Rentabilita¨t des untersuchten Verfahrens ist mit derjenigen bekannter Verfahren zu vergleichen. Oberhalb eines Grenzwertes, der von Fall zu Fall verschieden sein kann, ist das Verfahren rentabel. Ha¨ufig wird mit einer Mindestrendite R von 20 % gearbeitet. Dieser Richtwert ha¨ngt aber stark vom technischen Risiko und der Sicher-

369

370

6 Verfahrensbewertung

heit des Marktes ab. Wa¨hrend er bei geringem Risiko niedriger liegen kann, ist es vernu¨nftig, bei neuen, mit hohem Risiko behafteten Produkten einen bis um den Faktor zwei gro¨ßeren Mindestwert zu fordern. Fu¨r den Verfahrensentwickler stellt sich in der Regel nicht die Frage, wie rentabel ein Projekt ist, sondern ob eine bestimmte verfahrenstechnische Maßnahme im Vergleich zu einer anderen alternativen Lo¨sung im Rahmen des untersuchten Verfahrens rentabler ist oder nicht [Frey 1990]. Der Umsatz a¨ndert sich somit nicht, wohl aber die Produktionskosten H und die Investition I: H2 ¼ H1  DH, I2 ¼ I1  DI:

ð6  18Þ

Die Rendite der speziellen Maßnahme ergibt sich dann als das Verha¨ltnis der Vera¨nderungen: R12 ¼

DH : DI

ð6  19Þ

Die Gesamtrendite vera¨ndert sich durch diese Maßnahme dann wie folgt: R2 ¼

ðR1  I1 þ DHÞ : ðI1 þ DIÞ

ð6  20Þ

Die Schwa¨che der statischen Rentabilita¨tskennzahlen liegt in der kurzfristigen Betrachtungsweise, die zuku¨nftige Vera¨nderungen nicht beru¨cksichtigt. Kurzlebige Investitionen werden begu¨nstigt. Ihr wesentlicher Vorteil ist natu¨rlich die einfache Ermittlung.

6.2.2

Dynamische Rentabilita¨t

Die Verbesserung gegenu¨ber der statischen Methode besteht darin, dass der Zeitpunkt der Geldbewegungen beru¨cksichtigt wird. Da nur zeitgleiche Gelder vergleichbar sind, mu¨ssen die Ausgaben fu¨r Investitionen und die Einnahmen aus dem Gewinn auf einen festen Zeitpunkt, meistens den Produktionsbeginn, diskontiert werden. Setzt man nun einen bestimmten Zinssatz p fest, so lassen sich alle Kapitalbewegungen auf diesen festgelegten Zeitpunkt beziehen, man erha¨lt den sogenannten Barwert einer Kapitalbewegung: ðE  AÞt¼0 ¼ ðE  AÞt  ð1 þ pÞt * * * * *

ð6  21Þ

E = erwartete Einnahmen in Q a1, z. B. aus Produktverkauf A = erwartete Ausgaben in Q a1, z. B. Herstellkosten p = Zinssatz t = Anzahl der Jahre, vor Inbetriebnahme negativ, nach Inbetriebnahme positiv Index t = Kapitalbewegung im Jahr t .

6.3 Wirtschaftliches Risiko

Zum Beispiel wird eine Anlage bei Inbetriebnahme durch eine Ausgabe, die fu¨nf Jahre vor der Inbetriebnahme erfolgte, bei einem Zinssatz von 15 % in doppelter Ho¨he belastet. Umgekehrt wiegt eine Einnahme im fu¨nften Jahr nach Inbetriebnahme nur halb, eine Einnahme nach dem zehnten Jahr ist praktisch bedeutungslos. Der Kapitalwert K eines Projektes ergibt sich dann als Summe der Barwerte: K¼

t¼þn X

ðE  AÞt  ð1 þ pÞt

ð6  22Þ

t¼m * *

m = Dauer der Verfahrensentwicklung in Jahren n = Nutzungsdauer des Projekts, meist 10 Jahre.

Um verschiedene Projekte vergleichen zu ko¨nnen, geht man bei Chemieanlagen meist von einer Nutzungsdauer von zehn Jahren aus. Eine Investition ist nun vorteilhaft, wenn ihr Kapitalwert gleich null oder positiv ist. Bei der Methode des internen Zinsflusses (DCF-Methode; Discounted Cash Flow) sucht man den Diskontierungszinsfluss, der zu einem Kapitalwert von null fu¨hrt, d. h. bei dem die Barwerte der Einzahlungs- und Auszahlungsreihe gleich groß sind (interner Zinsfuß). Man ermittelt den internen Zinsfuß p0 , indem man die oben dargestellte Kapitalwertfunktion gleich null setzt: t¼þn X

ðE  AÞt  ð1 þ pÞt ¼ 0:

ð6  23Þ

z¼m

Der Vergleich verschiedener Projekte erfolgt durch Vergleich der jeweiligen errechneten internen Zinsfu¨ße. Das Projekt mit dem ho¨chsten internen Zinsfuß ist am rentabelsten.

6.3

Wirtschaftliches Risiko Die Rentabilita¨tsrechnung gibt an, ob ein Projekt wirtschaftlich sinnvoll ist oder nicht. Zur Berechnung der Rendite mu¨ssen Annahmen u¨ber die wahrscheinlichsten Produktpreise, Herstellausgaben, Auslastung, Investitionskosten u. a. gemacht werden. Ob diese Annahmen so zutreffen, entscheidet die Zukunft. Der Einfluss dieser Unsicherheiten auf die Wirtschaftlichkeit des Projektes kann durch folgende Gro¨ßen quantifiziert werden.

371

372

6 Verfahrensbewertung

6.3.1

Sensitivita¨tsanalyse

Die Sensitivita¨tsanalyse liefert eine Aussage u¨ber die Empfindlichkeit des Verfahrens gegen Abweichungen der einzelnen Einflussgro¨ßen und damit u¨ber die Zuverla¨ssigkeit des Ergebnisses der Rentabilita¨tsbetrachtung. Daru¨ber hinaus gibt sie einen Hinweis, in welcher Richtung das Verfahren weiter zu entwickeln ist. Die Entwicklung lohnt sich besonders dann, wenn sie Einflussgro¨ßen a¨ndert, gegen welche die Rentabilita¨t eine große Sensitivita¨t aufweist. Man geht so vor, dass man in Gl. (6-23) nacheinander die verschiedenen Einflussgro¨ßen (unter Konstanthaltung aller u¨brigen) um einen bestimmten Bruchteil (z. B. 10 %) in die ungu¨nstige Richtung variiert und danach die jeweiligen Abweichungen des internen Zinssatzes p0 vom urspru¨nglichen Wert ermittelt (Tab. 6.2-2).

6.3.2

Amortisationszeit

Das zeitliche Risiko kann durch die Amortisationszeit (Wiedereinbringzeit) tw quantifiziert werden. Sie gibt an, welche Zeit beno¨tigt wird, bis das aufgewendete Kapital wieder zuru¨ckgeflossen ist. Fu¨r eine erste Abscha¨tzung ergibt sich tw als Verha¨ltnis der Investition I zu den ja¨hrlich erwirtschafteten Einnahmeu¨berschu¨ssen (E  A) und der Abschreibung (vereinfacht): tw =a 

I=Euro ðE  AÞ þ Abschreibung=ðEuro a1 Þ

ð6  24Þ

Den Reziprokwert bezeichnet man als return on investment.

€ nderung des internen Zinssatzes p bei Variation der Einflussgr€ Tab. 6.2-2 Relative A oße x. Bei sukzessiver 0 € nderung von x in die ung€ A unstige Richtung, kann Dp0/p0 nach Gl. (6-23) berechnet werden. Einflussgro¨ße x

Dx/x

Entwicklungskosten

þ 10 %

Investitionskosten

þ 10 %

Produktpreis

 10 %

Auslastung der Anlage

 10 %

Netto-Rohstoffkosten

þ 10 %

Betriebsmittelkosten

þ 10 %

Personalkosten

þ 10 %

6.3 Wirtschaftliches Risiko

6.3.3

Cash-Flow [Hirschberg 1999]

Als Cash-Flow (¼ Einnahmeu¨berschuss oder exakter, bilanzierter Jahresgeldfluss) bezeichnet man den Unterschied zwischen dem Verkauferlo¨s und den dafu¨r aufgewendeten Geldmitteln. Abb 6.3-1 zeigt den Cash-Flow einer Investition schematisch.

Abb. 6.3.-1

Der Cash-Flow einer Anlageninvestition.

373

7

Trends in der Verfahrensentwicklung

Verfahrensentwicklung. G. Herbert Vogel Copyright © 2002 Wiley-VCH Verlag GmbH ISBN: 978-3-527-28721-5

377

Der sta¨ndig ha¨rter werdende internationale Wettbewerb zwingt die chemische Industrie, immer neue Methoden zur Verfahrensverbesserung zu entwickeln und einzusetzen. Neben den wirtschaftlichen Aspekten wie ho¨here Reaktionsausbeuten [Eigenberger 1991, Emig 1993, Misonon 1999], verbesserte Katalysatoren u. a. spielen Faktoren wie Sicherheit, Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung und Umweltvertra¨glichkeit eine wichtige Rolle [Standort 1995, Zlokarnik 1989]. Einen Beitrag dazu kann die Verfahrensentwicklung leisten [Onken 1997], indem der Ablauf der Verfahrensentwicklung so gestaltet wird, dass daraus Wettbewerbsvorteile entstehen, d. h. ein Verfahren muss schnell und billig entwickelt werden. Einige Trends, die diesem Ziel dienen, sind im Folgenden aufgefu¨hrt [Bogensta¨tter 1985, Frey 1998]: Die komplexe Aufgabe einer Verfahrensentwicklung kann heute nur noch durch ein Arbeitsteam bewa¨ltigt werden, das sich aus Mitgliedern aller naturwissenschaftlichen Fachrichtungen zusammensetzt. Daher wird zum Beginn der Arbeiten ein Projektteam zusammengestellt [Sowa 1997], welches sich in der Regel aus einem Verfahrenschemiker, einem pra¨parativen Chemiker, einem Ingenieur und evtl. dem spa¨teren Betriebsleiter besteht [Platz 1986]. Diese Gruppe kann bei Bedarf Spezialisten aus den entsprechenden Fachbereichen rekrutieren bzw. zu Rate ziehen (Tab. 7-1). Das Arbeiten im Team und der Teamgeist sind wichtige Voraussetzungen fu¨r den Arbeitserfolg [Kro¨tz 1999]. Hier gilt es, die Synergien auszunutzen, die sich durch die Teamarbeit ergeben. Das Team vermag mehr als die Summe seiner Mitglieder. Diese Arbeitsweise ist der Berufsanfa¨nger in der Regel nicht gewohnt; an der Hochschule oft nur im Einzelkampf ausgebildet, bedeutet dies fu¨r ihn in der Regel eine große Umstellung im ersten Berufsjahr [Frey 1995]. Nach dem Abschluss der Verfahrensentwicklung ist es sinnvoll, wenn wenigstens ein Mitglied des Projektteams in der folgenden Planungs-, Bau-, Commissioning- und Inbetriebnahmephase weiter am Projekt mitarbeitet, da ansonsten sehr viel Detailwissen wieder verloren geht. Tab. 7-1

Beispiel f€ ur ein Projektteam f€ ur die Entwicklung eines chemischen Verfahrens.

Tempora¨res Projektteam *

Pra¨parativer Chemiker, der die Synthese im Labor bearbeitet hat.

*

Ingenieur, spa¨terer Betriebsingenieur

*

Verfahrenschemiker mit Betriebserfahrung, spa¨terer Projektleiter

Spezialisten aus Fachabteilungen *

Analytik

*

Entsorgung

*

Fachabteilungen fu¨r die Unitoperations

*

Genehmigungsverfahren

*

Marketing

*

Patentabteilung

*

Sicherheit

*

Toxikologie

*

Werkstofftechnik

378

7 Trends in der Verfahrensentwicklung

Der Trend in der Verfahrensentwicklung geht bei kurzlebigen verbrauchernahen Produkten (Farbstoffe, Wirkstoffe, Dispersionen u. a. m.), die vorzugsweise in Batch-Prozessen hergestellt werden, zu mo¨glichst flexiblen Apparaturen (Mehrzweckproduktionsanlagen [Schuch 1992], Mehrzwecktechnikas [Rauch 1997]). Bei diesen verbrauchernahen ¨ nderung der Rezeptur Produkten ergeben sich Innovationsschritte meistens aus einer A ¨ und nicht so sehr aus einer Anderung der Apparatur. Optimal ist es, mit einer BatchAnlage u¨ber la¨ngere Zeitra¨ume hinweg die unterschiedlichsten Produkte herzustellen. Wird der Betrieb einer Pilotanlage unumga¨nglich, so ist es heute oft gu¨nstiger eine Anlage von einer Fremdfirma komplett erstellen zu lassen (sog. Custom Manufacturing) [Sowa 1997]. Bei den Grund- und Zwischenprodukten, die in kontinuierlichen Anlagen hergestellt werden, kann die Verfahrensentwicklung ihren Beitrag zur Wettbewerbsfa¨higkeit leisten, indem die Zeiten und die Kosten fu¨r die Entwicklung verbesserter Herstellverfahren reduziert werden. Dieses Ziel ist durch eine Vergro¨ßerung der scale-up Faktoren zu erreichen (Kap. 4.1). Um das dadurch erho¨hte technische Risiko begrenzen zu ko¨nnen, nutzt man heute die Synergien zwischen einer integrierten Miniplant und einer mathematischen Simulation aus. Dadurch ist es mo¨glich, die Stufe der Pilotanlage zu u¨berspringen, d. h. der Synergismus zwischen integrierter Miniplanttechnik und mathematischer Simulation fu¨hrt zu a¨hnlich guten scale-up Sicherheiten wie der Einsatz einer Pilotanlage. Die Zeit fu¨r die verfahrenstechnische Entwicklung kann dadurch um scha¨tzungsweise 30 % verku¨rzt werden, was sich in einem gegebenen Einzelfall spu¨rbar auf die Wirtschaftlichkeit eines neuen Verfahrens auswirkt. Ein weiterer Trend geht heute neben dem versta¨rkten Einsatz der Prozesssimulation [Sowa 1997] in Richtung Erstellung und Anwendung von Expertensystemen. Diese gibt es heute schon fu¨r einfache, begrenzte Systeme wie z. B. der Optimierung einzelner Unitoperations [Go¨ttert 1991]. Bei wesentlich komplexeren Systemen wie der Katalysatorentwicklung oder der Optimierung ganzer Anlagen usw. ist man von einer allgemeinen Anwendung z. Z. noch in der Praxis weit entfernt. Auch Expertensysteme werden nur den Experten dienen. Der mu¨ndige Benutzer kann nicht darauf verzichten, selbst Experte seines Fachs zu sein. Die Aufgaben der Zukunft werden fu¨r die Verfahrensentwicklung bei folgenden Bereichen liegen [Arntz 1993, Plotkin 1999, Klos 2000, Meyer-Galow 2000, Shinnar 1991, Villermaux 1995, Wiesner 1990]: *

*

Ressourcenschonende Produktion von Chemikalien, von denen weltweit jeweils mehr als 1 Million Tonnen pro Jahr hergestellt werden [Eissen 2002]. Ein Beispiel ist Propylenoxid. Verbesserung von Anlagen und Verfahren mit dem Ziel eines integrierten Umweltschutzes [Swodenk 1984, Christmann 1985, Zlokarnik 1989, Scharfe 1991, Dechema 1990, Christ 1999, 2000]: –Abfallreduzierung Verringerung der Nebenproduktmengen durch Verbesserung der Katalysatoren und der Reaktionsfu¨hrung.

379

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– Integrierte Abfallverwertung Unvermeidbare Abfallstro¨me im Verbund mit der Hauptanlage aufarbeiten, d. h. Ausnutzung der Synergien vor Ort (Wa¨rme und Stoffverbund) und die aufgearbeiteten Abfa¨lle sinnvoll wiederverwerten. Entwicklung neuer Verfahren fu¨r die Grund- und Zwischenprodukte auf der Basis [Plotkin 1999]: – Erdgas (Cl-Chemie) – Nachwachsender Rohstoffe [Eggersdorfer 1994, Petzny 1997] – Abfallstro¨me als Rohstoff – Direkte Funktionalisierung von Alkanen durch selektive Partialoxidation zu Oxigenaten [Baerns 2000, Petzny 1999]. Substitution von chemischen Umsetzungen mit sto¨chiometrischem Einsatz von Rea¨ berfu¨hrung dieser Prozesse in den indugenzien durch katalytische Prozesse und U striellen Maßstab [Metivier 2000]. Voraussetzungen dafu¨r sind: Es muss ein Katalysator mit einer genu¨genden Performance zur Verfu¨gung stehen. Daher stellt die Verbesserung und Entwicklung von Katalysatoren: – durch Rationales Katalysatordesign (direkte Einblicke in den atomaren Maßstab), – durch Kombinatorische Chemie mit Hilfe von High-Throughput-Verfahren, – nach dem Vorbild der Natur (Nachbildung von Enzymen durch a¨hnlich wirkende Strukturen (Zeozyme)), eine wichtige F&E-Aufgabe dar. Die erforderliche Technologie sollte hinreichend bekannt sein. Es muss ein deutliches o¨konomisches und o¨kologisches Verbesserungspotenzial vorhanden sein. Beispiele sind: – Friedel-Crafts-Reaktionen: Ersatz von sto¨chiometrischen Mengen an Lewissa¨uren (AlCl3, FeCl3, BF3, ZnCl2, TiCl4) oder Bronstedsa¨uren (H3PO4, HF) durch Heterogenkatalysatoren (Zeolithe, Ionentauscher, Heteropolysa¨uren u. a.). – Oxidation von Alkoholen und Ketonen: Ersatz von sto¨chiometrischen Mengen an Oxidationsmitteln wie Permanganat, Hypochlorit u. a. durch molekularen Sauerstoff, der durch getra¨gerte Metallkatalysatoren aktiviert wird. – Reduktion von Carbonsa¨uren zu den Aldehyden: Ersatz der Rosenmund-Reaktion ¨ berfu¨hrung der Carbonsa¨uren in die Sa¨urechloride und deren katalytische (U Hydrierung) oder der Verwendung von Grignard-Verbindungen (Einwirkung von Grignard-Verbindungen auf Ameisensa¨ureester) durch molekularen Wasserstoff und Heterogenkatalysatoren (Ru3Sn7-Legierung). Katalytische Funktionalisierung von Nachwachsenden Rohstoffen [Eissen 2002]. Einsatz der Biotechnologie in der chemischen Produktion [Eissen 2002], d. h. Nutzung der Biokatalyse fu¨r die industrielle Synthese von Feinchemikalien. Beschleunigung der Verfahrensentwicklung [Faz 1999] durch den Einsatz der „Integrierten Miniplant-Technologie“ (Labor R Mikroplants R Miniplants R technische Anlage). Verfahren entwickeln, die zu kleineren, wirtschaftlicheren und spezifisch billigeren Anlagen fu¨hren z. B. durch multifunktionelle Reaktoren [Westerterp 1992, Eigenberger 1991] und den Einsatz von ungewo¨hnlichen Bedingungen (Chemie unter u¨berkritischen Bedingungen [Vogel 1999], Sonochemie u. a.).

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7 Trends in der Verfahrensentwicklung *

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Zusammenarbeit von Chemie-, Raffinerie- und Chemieingenieur-Unternehmen bei neuen Verfahren, wobei die Partner spezifisches Know-how einbringen, um die Verfahrensentwicklung zu beschleunigen (z. B. Geminox (BP/Lurgi: Wirbelschichtoxidation und selektive Hydrierung), Cyclar (BP/UOP: Wirbelschichtund Regeneriertechnologie)). Verbesserung der Ausbildung [Gillett 2001, Molzahn 2001].

Der Technologiebereich, der fu¨r die Zukunft wahrscheinlich die gro¨ßte Bedeutung einnehmen wird, ist die Biotechnologie, welche die technologische Zukunft entscheidend mitbestimmen wird. Hier bieten sich fantastische Mo¨glichkeiten. Ihr Querschnittscharakter hat Auswirkungen auf viele andere Technologiebranchen, wie Mikroelektronik, medizinische Technik, Energie- und Umwelttechnik, Agrar- und Nahrungsmitteltechnik sowie chemische Technik, Apparate- und Messtechnik. Weiterhin sind von besonderer Bedeutung die Materialforschung und die Chemische Technologie mit der Katalyse.

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Anhang

Verfahrensentwicklung. G. Herbert Vogel Copyright © 2002 Wiley-VCH Verlag GmbH ISBN: 978-3-527-28721-5

Anhang 8.1 Mathematische Formeln

Anhang 8.1

Mathematische Formeln mathematische Konstanten p ¼ 3,14159 e ¼ 2,71828 ln 2 ¼ 0,693147 ln 10 ¼ 2,302585 Lo¨sung einer quadratischen Gleichung a  x2 þ b  x þ c ¼ 0 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi b  b2 4  a  c x1=2 ¼ 2a Reihenentwicklung nach Taylor1 f ðx0 þ xÞ ¼ f ðx0 Þ þ f 0 ðx0 Þ  x þ

f 00 ðx0 Þ 2  x þ ::: 2!

Beispiel 8.1-1 Transformation der Arrheniusgleichung: k ¼ k0  exp



Ea T R

1



durch Taylorentwicklung von T 1 2  T T0

T 1 ¼  ð2  T0 T02 T02

1

um eine Bezugstemperatur T0 : TÞ

in eine integrable Form:       2  Ea Ea  T / b  exp ða  TÞ  exp k ¼ ko  exp RT0 RT02

1) Brook Taylor, engl. Mathematiker (1685 – 1731).

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8 Anhang

Trigonometrie sinðaÞ ¼ sinða þ n  3608Þ cosðaÞ ¼ cosða þ n  3608Þ tanðaÞ ¼ tanða þ n  1808Þ cotðaÞ ¼ cotða þ n  1808Þ sinðaÞ ¼ sinð aÞ cosðaÞ ¼ cosð aÞ tanðaÞ ¼ tanð aÞ cotðaÞ ¼ cotð aÞ sin2 a þ cos2 a ¼ ðsin aÞ2 þ ðcos aÞ2 ¼ 1 sinðaÞ= cosðaÞ ¼ tanðaÞ Grafische Darstellung von y ¼ sinðxÞ (du¨nne Linie) und y ¼ cosðxÞ (dicke Linie)

Grafische Darstellung von y ¼ tanðxÞ (du¨nne Linie) und y ¼ cotðxÞ (dicke Linie)

Anhang 8.1 Mathematische Formeln

Inverse trigonometrische Funktionen y ¼ sinðxÞ; y ¼ cosðxÞ; y ¼ tanðxÞ; y ¼ cotðxÞ;

x ¼ arc x ¼ arc x ¼ arc x ¼ arc

sinðyÞ cosðyÞ tanðyÞ cotðyÞ

Hyperbelfunktionen sinh ðxÞ ¼

ex

e

2 ex þ e cosh ðxÞ ¼ 2 x e e tanh ðxÞ ¼ x e þe

x

x

x x

ðcosh ðxÞÞ2 ¼ 1 þ ðsinh ðxÞÞ2 Inverse Hyperbelfunktionen y ¼ sinh ðxÞ; y ¼ cosh ðxÞ; y ¼ tanh ðxÞ; y ¼ coth ðxÞ;

x ¼ arc x ¼ arc x ¼ arc x ¼ arc

sinh ðyÞ cosh ðyÞ tanh ðyÞ coth ðyÞ

Wichtige Reihenentwicklungen 1 €r x < 1  1  x fu 1x 1 1 €r x < a  2 ða  xÞ f u ax a pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi x 1þx 1þ 2

exp ðxÞ  1 þ x ln ð1 þ xÞ  x

x2 x3 þ 2 3

sinðxÞ  x

x3 x5 þ 3! 5!

:::

coxðxÞ  1

x2 x4 þ 2 4!

:::

tanðxÞ  x þ

x3 3

€r :::f u

1