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German Pages 342 Year 2014
Cornelia Schadler Vater, Mutter, Kind werden
Kulturen der Gesellschaft | Band 8
Cornelia Schadler (Dr.) forscht und lehrt am Institut für Soziologie der Universität Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Elternschaft, posthumanistische und neomaterialistische Theorien, Familienformen und onto-epistemologische Grundlagen der Familienforschung.
Cornelia Schadler
Vater, Mutter, Kind werden Eine posthumanistische Ethnographie der Schwangerschaft
Die Forschung, auf der dieses Buch basiert, wurde finanziert durch ein Forschungsstipendium der Universität Wien im Jahr 2008 und ein DOC-Stipendium der Österreichischen Akademie der Wissenschaften von 2009 bis 2011.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt
Vorwort und Danksagung | 7 Hinführung zum Untersuchungsgegenstand | 11
1 Einleitung | 13 2 Lebenskontexte: Der Übergang zur Elternschaft in postindustriellen Gesellschaften | 17 3 Transformationen am Übergang zur Elternschaft | 29 Wir sind nie Individuen gewesen: Der Übergang zur Elternschaft als gemeinsames Werden | 39
4 Die posthumanistische Welt und der posthumanistische Mensch | 41 5 Becoming With als Forschungsprogramm | 57 Empirie | 61
6 Empirische Forschungsfragen, Erhebungsmethoden, Auswertungsmethoden und Sampling | 6 3 Werdende Eltern werden | 71
7 Wissen erlangen: Informationspraktiken rund um die Schwangerschaft – Beschreibung des zusätzlichen Datenmaterials | 75 8 Basteln | 97 9 Herstellung von Evidenz über die Schwangerschaft | 115 10 Risiko Schwangerschaft: Figuration eines »normalen« oder »anormalen« Fötus und den dazugehörigen Eltern | 133 11 Der Prozess der »V ielleichtheit« der Schwangerschaft: Unsicher sein und Sicherheit erlangen | 147 12 Öffentlich und offiziell schwanger: Geheim (be)halten und Verkündung der Schwangerschaft | 163
Eltern werden | 177
13 Körperlich-geistig Eltern werden: Körperpflege, Ernährung, Schwangerschaftsbewusstsein | 179 14 Mädchen- oder Buben-Eltern werden: Sexing des Fötus | 201 15 Buben- und Mädchenwelten schaffen: die Einrichtung eines Kinderzimmers oder eines Bereichs für das Baby | 207 16 »In der Farbe mit diesen Rädern«: Die Auswahl des Kinderwagens | 215 17 Soziale Kontakte, Paarbeziehung und Kommunikation mit dem Fötus | 235 18 »Hier werden Sie nicht entbunden«: Vorbereitung der Geburt | 249 19 Die Geburt | 261 20 Elternwerden mit Bürokratie: Formulare, Finanzierung und Karenzierung | 275 Schlussfolgerungen und Fazit | 283
21 Die Praktiken und Partizipierenden am Übergang zur Elternschaft: sympoietische menschliche Reproduktion | 285 22 Den Übergang zum Übergang machen: Veränderungen ausführen durch die Figuration von Trennlinien | 287 23 Subjektwerdung durch die (De-)Figuration von Trennlinien | 299 24 Subjekttransformation: Der Stil(bruch) der Veränderung | 311 25 Heteromaterialität und der Stil der Retraditionalisierungsprozesse | 317 26 Schlussworte und Ausblick | 323 Literatur | 323
Vorwort und Danksagung
»To be one is always to become with many« (Haraway, 2008, 4).
Das Konzept des »becoming with« impliziert, dass Wissenschaft aus spezifischen Kontexten und Praktiken heraus entsteht, die auch in der Biographie der Forscherin verhaftet sind. Donna Haraway bezeichnet Forschungsthemen als »biographical accidents«, innerhalb derer die Forschung kontextualisiert werden muss. Biographische Angaben und die eigene Geschichte mit dem Forschungsthema müssen aus dieser Sicht offengelegt werden. Dieses Buch ist aus meiner Dissertation hervorgegangen, die ich bis 2011 an der Universität Wien verfasst habe. Sie ist aus einer Verknüpfung der Interessen innerhalb meiner Studienzeit mit einem thematischen Forschungsfeld in der Familienforschung entstanden. Im Studium galt mein Interesse den Theorien des 20. Jahrhunderts (insbesondere der Feministischen Theorie), der Stadtforschung, der Wissenschaftsforschung und den Cultural Studies. Im Jahr 2004 habe ich begonnen, am Wiener Institut für Soziologie als Tutorin für Feministische Theorie zu arbeiten. Die Stelle war befristet für ein Semester. Die Arbeit mit den Studierenden machte mir Freude und so nahm ich das Angebot, am Lehrstuhl von Rudolf Richter weiterzuarbeiten, an. An diesem Lehrstuhl war ich unter anderem mit einem Forschungsfeld betraut, das ich bisher vernachlässigt hatte: die Familiensoziologie und insbesondere die Väterforschung. Während meiner Zeit als Studienassistentin konnte ich an Projekten, die am Lehrstuhl durchgeführt oder geplant wurden, partizipieren. Mein Beitrag war es meist, den familiensoziologischen Forschungsstand zu den Themen aufzuarbeiten. Das Projekt einer mit dem Lehrstuhl assoziierten Forscherin, Claudia Höfner, über männliche Identität am Übergang zur Elternschaft, beeinflusste die Themenwahl hinsichtlich meiner Dissertation maßgeblich (siehe Höfner et. al, 2011).
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Nach dem Abschluss meines Studiums (im Herbst 2007) war ich bestens in die familiensoziologische Forschung zum Übergang zur Elternschaft eingearbeitet und der Großteil der Forschung, die in den hoch gerankten Familienforschungsjournals publiziert wurde, schaffte für mich mehr Fragen als Antworten. Die Publikationen zeigten maßgebliche Veränderungen für die Mütter und Väter in dieser Lebensphase, konnten aber nicht beantworten wie diese in den alltäglichen Prozessen am Übergang zur Elternschaft passieren. Die Studien waren üblicherweise an zwei Zeitpunkten durchgeführt, an denen Personen mittels Fragebögen zu verschiedenen Themen (Freizeit, Haushaltsführung, Zufriedenheit) befragt wurden. Die Prozesse zwischen diesen beiden Zeitpunkten begannen, mein Interesse zu wecken. Was passiert in dieser unerwähnten Blackbox? Was tun Eltern, wenn sie ihr erstes Kind bekommen? Und wie(so) verändern sie sich in diesem Prozess scheinbar anders als sonst? Ich konnte nun diese Fragen in ein Forschungsdesign kanalisieren, das die Prozesse des Elternwerdens aus der Sicht von feministischen Konzepten adressierte. Ein feministisch-ethnomethodologischer Ansatz schien mir der richtige Weg für eine Erforschung der Transition zur Erstelternschaft und darin enthaltene Retraditionalisierungsprozesse. Mit diesem Forschungskonzept erhielt ich das Forschungsstipendium der Universität Wien. Das Forschungsstipendium wird allerdings nur für ein Jahr vergeben. Innerhalb dieses Jahres habe ich also erste Probeinterviews durchgeführt und versucht, mein Konzept zu konkretisieren, um eine langfristigere Finanzierung zu erhalten. Im Herbst 2008 erhielt ich die Zusage für ein DOC-Stipendium der Österreichischen Akademie der Wissenschaften für weitere drei Jahre. Diese Umstände haben am wesentlichsten zu meiner Forschung beigetragen. Eine volle Finanzierung ermöglichte es mir, mich voll dem Wissenschafterinnensein zu widmen. Es ermöglichte mir eine umfangreiche Forschung, Auslandsaufenthalte und vor allem viel Zeit zum Nachdenken, Umdenken, Umstrukturieren und Feilen an Gedankengebäuden. Das Wissen, noch weitere drei Jahre finanziert zu sein, führte zuerst zu einer theoretischen Rekonzeptualisierung des Projekts. Die ersten Probeinterviews machten mir schnell klar: ich brauche andere theoretische Konzepte. Meine Suche führte mich nun über die Soziologie der sozialen Praktiken (Hörning, Reuter, Hirschauer, Reckwitz), über den Posthumanismus (Knorr-Cetina, Barad, Latour, Pickering) zu feministisch posthumanistischen und neomaterialistischen Konzepten. Ich holte meine Texte von Donna Haraway wieder hervor und entdeckte Rosi Braidotti, deren Konzept des »nomadischen Subjekts« wie geschaffen für mein Projekt schien. Diese Theoretikerinnen gaben mir ein Werkzeug, mit dem ich arbeiten und zu den Praktiken der Eltern vordringen konnte. Mit diesen Kon-
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zepten konnte ich meinen Untersuchungsgegenstand sichtbar und beschreibbar machen: Transformationsprozesse am Übergang zur Elternschaft, insbesondere jene der Subjekte. In Wien blieb ich an dem Lehrstuhl von Rudolf Richter, einer von nur sehr wenigen Lehrstühlen für qualitative Familienforschung in Europa, eingebunden. Die Räumlichkeiten dort teilte ich mit sieben Forscher*(inne)n, was einen regen sozialen und wissenschaftlichen Austausch ermöglichte. Meine Zimmerkolleg*(inn)en Doris Grass, Andrea Marhali, Eva-Maria Schmidt, Johannes Starkbaum und Ulrike Zartler, als auch die Kolleg*(inn)en Thomas Bendl und Daniele Lipp, die in anderen Räumlichkeiten am Institut untergebracht waren, versüßten mir den Büroalltag und die Pausenzeiten. Innerhalb meiner stipendiierten Zeit hatte ich die Freiheit, drei Auslandsaufenthalte zu absolvieren. Im Jahr 2008 konnte ich an der Temple University in Philadelphia an einem Projekt zu Risiko- und Resilienzfaktoren von Eltern und deren Auswirkung auf die Fähigkeiten von Kindern teilhaben (siehe Cabrera et. al., 2011). Projektleiter war Jay Fagan, der gerade auch ein Projekt zur pränatalen Involvierung von Vätern vorbereitete. Diese Zeit lenkte meinen Blick noch stärker auf die Zeit der Schwangerschaft und auf die Geschehnisse vor der Geburt. Ab März 2010 konnte ich sechs Wochen am Centre for the Humanities an der Universität Utrecht unter der Betreuung von Rosi Braidotti verbringen. Diese Zeit trug maßgeblich zur Festigung des theoretischen Fundaments meiner Dissertation bei. Im Jahr 2010, von April bis Juli, verbrachte ich ein Forschungssemester am Institut für Soziologie der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, unter der Betreuung von Stefan Hirschauer. Seine Forschungsgruppe führte zu diesem Zeitpunkt ein großes Projekt zu Schwangerschaft und Sozialität durch. Die Einbindung in die Kolleg*(inn)enschaft des Lehrstuhls war sozial und wissenschaftlich eine sehr wichtige Zeit für mich. Es machte mir große Freude in graduiert*(inn)enkollegförmigen Strukturen mit jungen Kolleg*(inn)en gemeinsam an spezifischen Themen zu arbeiten, oder nur die Pausen von der Arbeit mit interessanten Gesprächen zu verbringen. Ich habe sehr von den Gedanken und Diskussionen mit Tobias Boll, Birgit Heimerl, Anika Hoffmann, Peter Hofmann, Björn Krey, Michael Liegl, Robert Mitchell, Larissa Schindler und Annekathrin Stange profitiert. In dieser Zeit habe ich ernsthaft mit der Auswertung meiner Daten begonnen. Die Einbettung in ein Umfeld, das sich ebenso ethnographisch mit der Erforschung der Schwangerschaft widmet, war in dieser Zeit für meine Dissertation sehr wichtig. Im Jahr 2010 kam auch meine Zweitbetreuerin, Sigrid Schmitz, hinzu, die kurz zuvor nach Wien berufen wurde. Eines ihrer Seminare bestärkte mich darin,
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die Schriften von Karen Barad stärker einzubeziehen und den theoretischen Unterbau meiner Forschung mit deren Thesen anzureichern. Den allerwichtigsten Beitrag zu meiner Dissertation hat aber meine Dissertationsgruppe geleistet. Diese hat sich 2009 aus dem DOC-Stipendiaten Thomas Bendl, dem Assistenten in Ausbildung Michael Penkler und mir gebildet. Im Jahr 2010 kamen die Forschungsstipendiatin Ruth Müller und die Projektassistentin Kay Felder hinzu. Ziel des Kreises war es, sich gegenseitig zu unterstützen. In regelmäßigen Treffen und/oder Skypesitzungen haben wir einander unsere Konzepte, Interviewtranskripte, Auswertungstexte und Dissertationskapitel vorgestellt und uns gegenseitig blinde Flecken und Probleme in Argumentationslinien aufgezeigt. Hauptsächlich haben wir uns aber gegenseitig in unserer Arbeit bekräftigt und bestätigt. Diese Gruppe war vor allem im letzten Jahr der Dissertation die wichtigste Ressource dafür, dass ich meine Dissertation und in der Folge auch dieses Buch fertigstellen konnte. Nicht unerwähnt bleiben dürfen mein Partner Björn, meine besten Freunde Thomas und Thomas und meine Schwester Dagmar, die mir sozial beistanden, aber auch hinsichtlich meiner Forschungstätigkeit auf »kannst du das mal schnell lesen«-Aufforderungen fast immer reagiert haben. Ebenso hatten sie immer ein offenes Ohr für die Freuden und auch das Leid der Wissenschaft, für die Geschichten von Erfolgserlebnissen und Scheiternsprozessen und Zukunftsplänen und -ängsten. Im Jahr 2012 erhielt ich für meine Dissertation, auf der dieses Buch basiert, den »Award of Excellence« des österreichischen Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung, der für die besten Dissertationen aller Universitäten innerhalb Österreichs vergeben wird.
Hinführung zum Untersuchungsgegenstand
1 Einleitung
Der Übergang zur Elternschaft hat in gegenwärtigen postindustriellen Gesellschaften hohe Bedeutung. Er war in den letzten Jahrzehnten Fokus und Austragungsort vieler gesellschaftlicher Diskussionen und Transformationen. Die Ungleichheit zwischen Mann und Frau, die Konstitution dieser beiden Geschlechter, reproduktionstechnologische Entwicklungen, sich verändernde Erwerbsarbeitsstrukturen und sich verändernde Konzepte von Lebensverläufen manifestieren sich hier und sind anhand dieser Phase verhandelbar. Den Eltern werden tiefgreifende Veränderungen ihrer Persönlichkeit, Ziele, Interessen und Werte zugeschrieben und sie sollen diesen Übergang als die wichtigste Transitionsphase ihres Lebens bezeichnen. Wenn Menschen Eltern werden, erleben sie eine auf den ersten Blick selbstverständlich erscheinende Transformation von Frau oder Mann zu Mutter oder Vater. Es scheint als würde dieser Prozess automatisch vollzogen, nachdem ein körperlicher Reproduktionsprozess in Gang gebracht wurde. Ein genauerer Blick – der Ziel dieser Ethnographie ist – zeigt die Vielzahl von Tätigkeiten, an denen Frauen und Männer teilhaben, um Mütter und Väter zu werden. Frauen und Männer haben am Übergang zur Elternschaft an zahlreichen neuen Praktiken teil und werden in diesen körperlich, sozial und rechtlich zu Müttern und Vätern transformiert. Dieser Prozess umfasst allerdings nicht nur die Eltern. Mit diesem Übergang gehen auch Transformationen der sozialen Kontakte und der physischen Umwelt der Eltern einher. Verwandte werden u. a. zu Großeltern, Onkeln und Tanten transformiert und das Apartment der Eltern zum babysicheren Zuhause gemacht. Dies erhöht die soziale Bedeutung und Reichweite dieses Übergangs zusätzlich. Ein Ziel dieses Buches ist zu beschreiben wie Frauen und Männer Mütter und Väter werden. Innerhalb dieses Prozesses ergeben sich Probleme, die gegenwärtig hauptsächlich innerhalb der Familien- und Lebenslaufforschung verhandelt werden: Es werden nach dem Übergang zur Elternschaft Veränderungen der Persönlich-
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keit und Retraditionalisierungen der Geschlechterpositionen festgestellt. Menschen als Subjekte werden in diesem Prozess verändert und spezifischen Positionen zugeordnet, die sich häufig entlang traditioneller Zuordnungen von Aufgaben an ein spezifisches Geschlecht orientieren. Hinsichtlich der Beziehungsformen, in denen Kinder geboren werden, kommt hinzu, dass, zumindest in den statistischen Daten, die Verheißungen der Pluralisierungsthesen der 80er und 90er nicht wahr zu werden scheinen. Gegenwärtig wird das erste Kind zu einem sehr hohen Prozentsatz in eine heterosexuelle Paarbeziehung geboren, die romantische Liebe voraussetzt. Theoretisch und auch empirisch gibt es mehr Formationen, innerhalb deren Kinder geboren oder aufgezogen werden, doch kommen diese nur selten vor. Es zeigte sich hier ein »Schizoid Double Pull« (Braidotti, 2006a, 93). Neue Formationen von Menschen, die in Elternschaft münden, sind und werden lebbar, aber traditionelle Formationen werden gleichzeitig verfestigt. So ist es möglich geworden, offen in einigen alternativen Beziehungsformen Kinder zu bekommen oder sich für ein Kind ohne Partnerschaft zu entscheiden. Gleichzeitig besteht das Bild, dass Kinder am besten in einer nuklearen Familie aufgehoben sind, und auch Menschen, die nicht in solchen Formationen leben, orientieren sich an diesem Konzept (Zartler, 2012). Auch Zukunftsvorstellungen von Adoleszenten halten am Modell der nuklearen Familie fest, sie wünschen sich aber eine egalitäre Aufteilung der Haus- und Fürsorgearbeit (Deutsch, 2009). Aktuelle Daten weisen allerdings darauf hin, dass dies nicht der Lebensrealität der Partner nach dem Übergang der Elternschaft entspricht. Hinsichtlich der Aufgabenverteilung zwischen den Geschlechtern bleiben ebenfalls traditionelle Muster bestehen (Dribe und Stanfors, 2009; Geist, 2009; Heisig, 2011; Lothaller, 2009). Wie sich während des Übergangs zur Elternschaft traditionelle gesellschaftliche Formierungen von Geschlecht manifestieren soll mittels der ethnographischen Beschreibung von Praktiken in diesem Buch ebenfalls geklärt werden. Vater, Mutter und Kind werden wird in diesem Buch aus der Perspektive von posthumanistischen und neomaterialistischen theoretischen Ansätzen der feministischen Theorie und Geschlechterforschung (Barad, Braidotti, Haraway, Hirschauer) behandelt. Ziel ist es, den Übergang zur Elternschaft aus einem posthumanistischen Forschungsparadigma heraus zu betrachten und in Folge die Praktiken, an denen werdende Eltern teilhaben, und das Werden der Frauen und Männer zu Müttern und Vätern zu beschreiben. Die ethnographische Beschreibung dieses Werdens zeigt auch die Manifestation traditioneller Konzepte, die in dieser Phase ermöglicht und verstärkt werden. Die sich aus dieser Forschung ergebende Ethnographie über den Prozess des Übergangs zur Elternschaft habe ich in zwei Teile geteilt: Den Prozess des wer-
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dende Elternwerdens, der die gesamte erste Hälfte der Schwangerschaft dauern kann und den Prozess des Elternwerdens, der parallel dazu bis nach der Geburt verläuft. Der Prozess des Elternwerdens wird angestoßen durch einen Kinderwunsch, der langsam entsteht, meist gefolgt von Tätigkeiten, die einen Embryo herstellen sollen, oder durch die Entdeckung einer Schwangerschaft, gefolgt vom Beschluss diese weiter fort zu führen. Eine »Entdeckung« einer Schwangerschaft passiert allerdings selten plötzlich, sondern in einem Prozess von ca. fünf bis zwanzig Wochen, in der eine mögliche Schwangerschaft und Elternschaft langsam Form gewinnt. In dieser Zeit muss die Evidenz über die Schwangerschaft immer wieder neu hergestellt werden. Der Status »werdende Eltern« wird nach zahlreichen Bestätigungen über die Existenz eines Embryos oder Fötus durch eine öffentliche Verkündung der Schwangerschaft erlangt. Ihr offizieller Status erlaubt es den Eltern dann für ihr Baby einzukaufen, sich auf die Geburt vorzubereiten und die zukünftige physische Umgebung des Kindes zu gestalten. Die Veränderungen der Körper und deren Umgebungen werden von den Eltern dokumentiert, auch um sich selbst und anderen Transformation sichtbar zu machen. Obwohl für die Eltern die Schwangerschaft auf das Ereignis Geburt abzielt, können diese durch die Geburt allein nicht den Status der Elternschaft erlangen. Erst müssen bürokratische Wege gegangen und teilweise rechtliche Hürden überwunden werden, um tatsächlich auch vor dem Gesetz Eltern mit allen Rechten und Pflichten zu sein. Innerhalb der Übergangspraktiken werden Dualismen geschaffen, etwa privat (wenn die Schwangerschaft noch geheim gehalten wird) und öffentlich (der Phase nach dem Announcement), früher (Kinderlos) und jetzt (mit Kind), verantwortungslos (ohne Kind) und verantwortungsvoll (mit Kind), Kind (kinderlos) und Erwachsen (mit Kind), innen (im Bauch) und außen (nach der Geburt) oder Stillstand und Entwicklung. Die Dualismen werden jeweils in Opposition miteinander gesetzt und eine Seite wird der Zeit vor der Transition zugerechnet und eine der Zeit danach. In den Praktiken konstituieren sich dann Schwellen, die einen Übertritt von einer Seite zur anderen möglich machen, wenn etwa die Schwangerschaft auf eine spezifische Weise verkündet wird, wenn Eltern Sicherheit über die Schwangerschaft erlangen, wenn Eltern alte Gegenstände im Apartment durch neue ersetzen, wenn Körper auf verschiedene Weise getrennt werden und Zertifikate ausgestellt werden. Die Transformationen der Frauen und Männer zu Müttern und Vätern brauchen gleichzeitig Artefakte und Morphologien, die sie als ein bestimmtes Subjekt erkennbar bleiben lassen, damit keine vollständige Verwandlung vollzogen wird. Eine Retraditionalisierung, die Frauen und Männer in spezifische Positionen formt, ist dabei ab dem Kinderwunsch erkennbar. Ab diesem Zeitpunkt führen
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Frauen mehr Tätigkeiten aus, die das Ziel Elternschaft realisierbar machen sollen. Gleichzeitig nehmen diese Tätigkeiten Zeit für andere Interessen und schaffen einen Willen, der sich auf das Ziel konzentriert und andere Wünsche oder Möglichkeiten diesem unterordnet. Die konkreten Praktiken der Herstellung von Fruchtbarkeit und später eines Embryos formen für Frauen einen Fokus auf den eigenen Körper und den zukünftigen Körper des Kindes, der bis lange nach der Geburt bestehen bleibt. Männern wird weniger Fokus auf den eigenen Körper abverlangt und sie können an vielen Tätigkeiten noch teilhaben, von denen die meisten Frauen, ab einer gewünschten oder vermuteten Schwangerschaft ausgeschlossen sind. Die geringere Anzahl von Tätigkeiten erlaubt Männern mehr Zeit für Interessen oder andere Ziele, neben der Elternschaft. Diese Ungleichheit manifestiert sich auch in der physischen Umgebung der Eltern und wird durch diese wiederum hergestellt und verstärkt. Eine wichtige Rolle spielen hier Artefakte, die Frauen immer wieder zur Beschäftigung mit der Schwangerschaft einladen und Gegenstände, die die physische Umgebung der Eltern aufgrund der Schwangerschaft verlassen. So verschwinden z. B. oft Schreibtische und werden durch Babybetten und Wickeltische ersetzt. Die Umgebung ist in diesem Sinne nicht nur heteronormativ (Butler, 1990, 1991) durch Diskurse die sich in den Körpern und Umgebungen manifestieren und diese wiederum als Ursache der Diskurse erscheinen lassen, sondern auch heteromateriell, durch Manifestationen, die mit spezifischen körperlichen Subjekten geformt werden und diese als Ursache für diese Manifestationen erscheinen lassen.
2 Lebenskontexte Der Übergang zur Elternschaft in postindustriellen Gesellschaften
Konsens aller Forschungen zur Transition zur Elternschaft ist, dass sich der Übergang zur Elternschaft durch historische und kontextuelle Einflüsse in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Gegenwärtig wird dem Übergang zur Elternschaft zugeschrieben, eine Klammertransition für andere Transitionen zu sein (Oesterle et. al., 2010; Macmillan und Copher, 2005, 861). Es scheint so, als ob andere Transitionen wie Erwachsenwerden oder Ehe mit dem Übergang zur Elternschaft oder in Folge davon vorsichgehen, anstatt der Elternschaft voranzugehen, wie dies von Lebenslaufforschern zumindest bis in die 1990er postuliert wurde. Weltweit lässt sich in fast allen postindustriellen Gebieten ein demographischer Trend feststellen, der in Richtung verlängerte Ausbildungszeiten, geringere Geburtenzahlen, Hinausschieben der Erstgeburten, geringere Heiratsraten und höhere Trennungsraten geht (Lesthaeghe, 1983, 2010; Frejka und Sobotka, 2008). Diese Veränderungen werden in der Literatur als »Second Demographic Transition (STD)« (Lesthaeghe, 1983) bezeichnet. Die These war, dass die Industrialisierung, der medizinische Fortschritt und die in Folge sinkende Kindersterblichkeit und gestiegene Lebenserwartung grundsätzliche demographische Veränderungen nach sich ziehen würden (Lesthaeghe, 2010, 211). In den letzten 40 Jahren zeigte sich aber nicht nur eine einfache Verringerung der Geburtenrate, sondern eine Verringerung unter das Reproduktionsniveau, gemeinsam mit einer Ausdifferenzierung der Familien- und Lebensformen. Die Ehe verlor in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung als gesellschaftliche Institution und Ehe und Reproduktion wurden sozial und rechtlich entkoppelt. Im Folgenden werden die Kontexte skizziert innerhalb deren die (werdenden) Eltern dieser Studie leben. Für diese Studie ist vor allem interessant, dass
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sich das Erstgebäralter in den letzten 40 Jahren wesentlich nach hinten verschoben hat. In Österreich waren im Jahr 2010 Frauen bei der Geburt ihres ersten Kindes im Durchschnitt 29 Jahre alt (Statistik Austria, 2011). Die Berufsausbildung ist dann meist abgeschlossen und der Einstieg ins Berufsleben ist absolviert. Die Lebensläufe der Menschen sind trotz der Auflösung von Normbiographien in dieser Hinsicht genormt. Die Abfolge Ausbildung – Beruf – Kind ist erwünscht und erscheint jungen Erwachsenen als beste Lösung (Macmillan und Copher, 2005). Die Struktur der Ausbildungsinstitutionen und des Arbeitsmarktes lässt Menschen aber auch kaum Freiraum für andere Wünsche. Im Folgenden zeigt sich aber, dass Ausbildungen und Berufseinstieg lange dauern können und unsicher sind, was wiederum Auswirkungen auf den Übergang zur Elternschaft hat.
Z UGANG
ZU
R EPRODUKTIONSTECHNOLOGIEN
Einen wesentlichen Teil zu den demographischen Veränderungen hat die Einführung der Pille und die Verbreitung anderer Verhütungsmittel beigetragen (BeckGernsheim, 2006, 113f.). Diese wurden vorerst vor allem bei Frauen eingesetzt, die verheiratet waren und/oder bereits Kinder geboren hatten (Lesthaeghe, 2010, 216). Dies implizierte, dass es eine Anzahl von ungeplanten Schwangerschaften von Frauen in jüngeren Altern gab. In den 70ern und 80ern wurde es soziale Praxis, Verhütungsmittel auch an junge unverheiratete Mädchen zu vergeben (Lesthaeghe, 2010, 216). Technologisch und sozial war es nun möglich, die Elternschaft an einen späteren Punkt zu verschieben. In Österreich haben Frauen vollen Zugang zu Verhütungsmitteln und sie können diese theoretisch ab der Reproduktionsfähigkeit von einer/m Gynäkologin/en verschrieben bekommen. Notwendige Vor- und Kontrolluntersuchungen werden von den Krankenkassen übernommen, die Kosten der Verhütungsmittel aber nur teilweise bzw. nur bei medizinischer Notwendigkeit. Die Aufklärung über Verhütungstechnologien erfolgt über Schulen, Jugendinformationsseiten, Gynäkolog*(inn)en und Hausärztinnen. Alle Informant*(inn)en meiner Studie haben vor ihrer Schwangerschaft bereits Verhütungstechnologien verwendet und in der Regel vor ihrem 20. Lebensjahr mit der Verwendung dieser begonnen. Es gibt Hinweise darauf, dass sich die Anzahl der sexuell aktiven Personen historisch kaum verändert hat (Metz-Becker, 1997). Mittels Verhütungsmittel besteht allerdings die Möglichkeit, ungeplante Schwangerschaften zu vermeiden und Kinder gezielter zu planen. Ein freier Zugang zu Verhütungsmitteln ist ein möglicher Grund dafür, dass sich die Erstelternschaft in einen späteren Lebens-
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abschnitt verschieben lässt. Die im folgenden beschriebenen Lebensstile und Probleme führen in Verbindung mit Verhütungstechnologien dazu, dass Eltern ihr erstes Kind am häufigsten Ende Zwanzig oder Anfang Dreißig bekommen. Für die Teilnehmer*innen meiner Studie hatte der Zugang zu Verhütungstechnologie maßgeblichen Einfluss auf die Planung der Elternschaft und das Nachdenken über einen Kinderwunsch.
L ANGE A USBILDUNGSZEITEN Die Ausbildungszeiten haben sich in allen europäischen Ländern verlängert (Eurostat, 2011). In Europa (EU 27) befanden sich 2009 mit 18 Jahren 77,8 % noch in einer schulischen Ausbildung. In Schweden, dem Spitzenreiter, sind es 94,8 % und in Österreich 73,3 %. Die durchschnittlichen erwartbaren Ausbildungsjahre sind im EU-Durchschnitt (27) 17,2 Jahre. In Finnland sind es 20,4 Jahre (Spitzenwert) und in Österreich 16,8 Jahre. Zehn Jahre davor (1999) lagen in Finnland die durchschnittlich erwartbaren Ausbildungsjahre bei 18,2 Jahren und in Österreich bei 16 Jahren. Studien, die subjektive Voraussetzungsketten für Elternschaft erfragen oder berechnen, vermerken, dass Ausbildung und Elternschaft sich für junge Erwachsene widersprechen (Macmillan und Copher, 2005; Fokkema et. al., 2008; Frejka und Sobotka, 2008; Dorbritz, 2008). Eltern, die früh Kinder bekommen, erreichen aufgrund der Umstände einen geringeren Bildungsstatus, haben infolge weniger Einkommen, sind mehr gestresst und weniger zufrieden (Gillmore et. al., 2008; Mollborn, 2007, 2009). Der Wunsch der jungen Erwachsenen ist es, eine Ausbildung abgeschlossen zu haben und zumindest den Einstieg in den Beruf geschafft zu haben, bevor sie den Übergang zur Elternschaft antreten. Auch die Teilnehmer*innen an meiner Studie diskutieren Ausbildung in Zusammenhang mit der Entscheidung Eltern zu werden (siehe Kap. 8).
F RAUEN
ARBEITEN
Die zweite Frauenbewegung schaffte es, dass für einige Frauen ab den 70ern und für die Masse der Frauen ab den 80ern der Arbeitsmarkt und auch Karriereoptionen offenstanden. Studien der letzten Jahrzehnte versuchten nun immer wieder zu zeigen, dass mehr Egalität am Arbeitsmarkt mit geringeren Geburtenraten verbunden ist. Der Grund für eine spätere Elternschaft wird immer wieder in längeren Ausbildungszeiten von Frauen und deren stärkere Teilhabe am Ar-
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beitsmarkt gesucht (Liefenbroer, 2009). Daraus resultierende größere finanzielle Unabhängigkeit erlaubt es Frauen, ihren Lebensweg unabhängig zu gestalten und Heirat ist nicht mehr mit finanzieller Absicherung verbunden. Dies ist auch mit der immer wieder argumentierten Destabilisierung von Normen und dem geringeren Einfluss von traditionellen Institutionen wie Kirche, den Eltern oder anderen Autoritäten verbunden und mit einem Anwachsen an Auswahlmöglichkeiten (Liefbroer 2009, 324). Der Geburtenrückgang wird immer wieder »steigenden Opportunitätskosten« von Kindern für Frauen zugerechnet (Huinink, 2009, Blossfeld und Drobnic, 2009). Frauen verlieren finanzielle Mittel und Anerkennung aus dem Beruf bei der Geburt eines Kindes. Auch soll Individualität und Autonomie sowie Mobilität und Flexibilität im Beruf sich mit Beziehung oder Familie ausschließen (Huinink, 2009, 306). So zeigt eine Forschung (Schröder und Brüderl, 2008), dass in Vollzeit arbeitende Frauen später Kinder bekommen oder eher kinderlos bleiben. Die Ursache dafür wird nicht nur im Faktor Vollzeitarbeit, sondern auch in einem Lebensstil, in dem Karriere und Arbeit einen hohen Wert haben, gesucht (Schröder und Brüderl, 2008). Auch Santarelli (2011) sieht in Italien eine höhere Fertilität in Haushalten mit nur einem Einkommen (bereits vor der Schwangerschaft). Blossfeld und Drobnič (2009, 342) legen Argumente in eine ähnliche Richtung aus der Sicht der ökonomischen Theorie der Familie dar. Steigende Bildung und Einkommen für Frauen steigern die Opportunitätskosten einer Geburt enorm und eine traditionelle Arbeitsteilung ist für Frauen von wenig Vorteil, weswegen Heirat und Kinder für Frauen weniger Bedeutung hat. Mitbedacht werden in diesen Erklärungsmodellen selten, dass es auch Veränderungen in den Normlebensläufen von Männern gibt, dass in Arbeiterschichten oder in bäuerlichen Haushalten die klassische bürgerliche Arbeitsteilung selten eingehalten werden konnte und dass die Auslagerung von Hausarbeit und Fürsorgearbeit an (häufig migrantische) Arbeiter*innen oder öffentliche Institutionen steigt (Hochschild, 2003; Beck-Gernsheim, 2006). Helga Krüger und Claudia Born (2000) hinterfragen in einer qualitativen Studie, die die Nachkriegsgeneration und deren Kinder in Hinblick auf das Erwerbsleben untersucht, den viel zitierten Wandel der Erwerbsorientierung von Frauen. Tatsächlich teilten die Frauen der Nachkriegsgeneration ebenfalls mit, dass sie die Heirat so weit wie möglich hinausgeschoben haben, diese aber unvermeidlich war, um einen gesellschaftlichen Status zu erhalten. Die Ehe war unvermeidlich mit Hausfrauentum und Kindern verbunden (Krueger und Born 2000, 209). Danach unternahmen viele Frauen Versuche, doch wieder in das Erwerbsleben eintreten zu können oder durch Heim- oder Schwarzarbeit eigenes Geld zu verdienen. Bis 1976 war in Deutschland aber auch rechtlich die Erlaub-
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nis des Ehemanns dazu notwendig. In der Kindergeneration, der »BildungsBoom«-Generation der 70er, ist die Erwerbsorientierung immer noch vorhanden, neu ist jedoch die gesellschaftliche Anerkennung der Notwendigkeit der Bildung und Berufstätigkeit von Frauen (Krueger und Born 2000, 211). Verändert hat sich ebenfalls die Familienorientierung der Männer. Während diese in der Nachkriegsgeneration noch selbstverständlich nicht für Hausarbeit und Kinder zuständig waren, jedoch für Gartenarbeit oder Reparaturarbeiten am Haus, wird Letzteres in der Kindergeneration meist bereits ausgelagert, was theoretisch für den Mann Zeit für Hausarbeit und Kindererziehung freigespielt (Krueger und Born 2000, 214). Die Versorgung der Kinder und Familie verbleibt als notwendige Arbeit. Gleichzeitig steigt die Zeit, die für die Erziehung der Kinder verwendet werden muss. Während der Mann an der Kindererziehung oft aktiv beteiligt ist, berichten die Frauen eine zu geringe Involvierung bei der Hausarbeit (Krueger und Born 2000, 215) Forschungen aus den USA zeigen, dass, wenn es leistbar ist, Frauen diese Arbeiten ebenfalls beginnen auszulagern (Hochschild, 2003, 185f.) oder notwendigerweise eine zweite oder dritte Schicht einlegen (Hochschild, 2003a; Hochschild, 1997). Trotzdem scheinen Frauen während der Ausbildungszeit das Gefühl zu haben, sich zwischen Karriereorientierung oder Familienorientierung entscheiden zu müssen. Friedman und Weissbrod (2005) und auch Dorbritz (2008) stellen fest, dass sich innerhalb der Ausbildungszeit für Frauen ein Commitment zu Karriere oder Familie bildet, während Männer nicht das Gefühl haben, diese Entscheidung treffen zu müssen oder jetzt schon treffen zu müssen. Karriereorientierte Frauen entwickeln dann einen Lebensstil, in dem Familienplanung einen nachrangigen Wert hat (Dorbritz, 2008; Mulder, 2003, 294). Diese Frauen schieben die Elternschaft länger hinaus oder bekommen keine Kinder. Abele und Spurk (2011) zeigten in einer Langzeitstudie über zehn Jahre, dass für gutausgebildete Frauen Kinder einen Karriereknick nach sich ziehen. Am stärksten war dieser bei den Frauen ausgeprägt, die bereits kurz nach ihrer Ausbildung, beim Eintritt in den Arbeitsmarkt ein Kind bekamen. Klaus (2010) unterstützt mit ihren Daten diese These, indem sie darlegt, dass gut ausgebildete Frauen in Deutschland spät Kinder bekommen auf Grund hoher Opportunitätskosten, während die Kosten für den Partner nicht nachweisbar sind. Solange also Kind UND Arbeit/Karriere für Frauen nicht möglich sind, werden sich viele Frauen gegen Kinder entscheiden, wie (Dorbritz, 2008) in seiner Studie zeigt.
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A RBEIT
IST UNSICHER
Gegen die These »die Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt führt zu geringen Geburtenraten« kann aus ökonomischer und entscheidungstheoretischer Sicht gezeigt werden, dass auf Grund der gestiegenen Flexibilisierung und Unsicherheit am Arbeitsmarkt es eher von Vorteil sein kann, zwei einkommensfähige Personen im Haushalt zu haben (Blossfeld und Drobnic, 2009, 346). Cote und Bynner (2008) sehen diese Dynamiken ebenfalls verursacht durch veränderte Arbeitsverhältnisse. Auf Normbiographien mit durchgehender Vollzeitbeschäftigung für Männer können sich Frauen und Männer nicht mehr verlassen. Die Verbindung von mehr Erwerbsarbeit für Frauen und geringerer Heiratsrate wird durch dieses Argument geschwächt und Veränderungen in der männlichen Biographie kommen ebenfalls ins Blickfeld. Der Einstieg in das Berufsleben zeichnet sich häufig für beide Geschlechter nicht durch eine kontinuierliche Beschäftigung aus (Heinz, 2002, 232). Dies kann Paare dazu veranlassen, mit der Familiengründung zu warten, bis ein gewisser Grad an Sicherheit im Job erreicht ist. Hinsichtlich dessen, dass junge Erwachsene manchmal erst spät finanzielle Unabhängigkeit erreichen, scheint spätere Elternschaft ökonomisch sinnvoll zu sein (Mollborn, 2007). Eine längere Ausbildung und Arbeitserfahrung vor dem Übergang zur Elternschaft erleichtert die ökonomische Situation mit einem Kind. Ein Hinausschieben der Elternschaft wird zur Coping-Struktur, um Unsicherheit zu bewältigen (Cote, 2008). In Hinblick auf diese Ergebnisse scheint es sinnvoll, Kinder erst später zu bekommen. Bernardi et al. (2008) zeigen, dass es in dieser Situation darauf ankommt, welche Bedeutung Paare den Jobunsicherheiten zuschreiben. Sie zeigen, dass Paare in Westdeutschland einen fixen Job als Voraussetzung für Elternschaft sehen und versuchen, diesen Bereich zu stabilisieren, bevor sie Eltern werden, während Eltern in Ostdeutschland Elternschaft und Jobsicherheit gemeinsam und zeitgleich bewältigen wollen. Unsichere Arbeitsverhältnisse können folglich eine mögliche Ursache für spätere Elternschaften sein, wenn stabile Arbeitsverhältnisse für potenzielle Eltern hohe Bedeutung haben.
P OSTNATALE P HASE
UND
K ARENZ
In Österreich stehen Frauen zwei Monate vor dem errechneten Geburtstermin und zwei Monate danach unter »Mutterschutz«. Das bedeutet ein Arbeitsverbot für Mütter, bei gleichzeitigem Kündigungsschutz. Theoretisch könnten sie danach wieder in den Beruf zurückkehren. Die Auszeiten sind aber im Durchschnitt länger als zwei Monate. Dies fällt damit zusammen, dass es in Österreich,
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wie auch in vielen anderen europäischen Ländern, ein Elternurlaubsrecht gibt, das den Eltern eine Auszeit vom Job und eine teilweise Substitution des Einkommens gibt (siehe auch Kap. 19). Unterschiedliche Familienpolitiken haben nun unterschiedliche Praxen in der postnatalen Phase hervorgebracht. Die zentralen Fragen der Familienforschung sind die Einflüsse der Karenzierungsmodelle und der Familienpolitik auf die Fertilitätsraten (Day und Dowrick, 2010; Erosa et. al., 2010), die Geschlechtergerechtigkeit (De Henau et. al., 2010; Eydal und Rostgaard, 2011) und auch Wechselwirkungen dieser beiden Faktoren (Duvander, 2010; Olah und Bernhardt, 2008). Mit Karenzmodellen, die eine höhere Geschlechtergerechtigkeit ermöglichen, wird eine höhere Geburtenrate verbunden (Duvander et al., 2010; Olah und Bernhard, 2008). Österreich gibt viel Geld für Substitutionen des Einkommens und Steuererleichterungen aus, Kinderbetreuungseinrichtungen für Unterdreijährige sind aber vor allem im ländlichen Bereich kaum vorhanden oder in einem zu geringem Maße vorhanden (Prskawetz et. al., 2008). Dies wird als Ursache für niedrige Fertilitätsraten gesehen. Im Vergleich der EU-Länder sind öffentliche Kinderbetreuungsangebote ab 0 Jahren jene familienpolitischen Überlegungen, die den Frauen am ehesten einen ausgeglichenen Zugang zum Arbeitsmarkt erlauben (De Henau et. al., 2010, 64). Ein zweiter Aspekt der Geschlechtergerechtigkeit ist die Involvierung der Väter während der Karenz. Karenzzeiten, die spezifisch für Väter reserviert sind, erhöhen die Anzahl der Väter in Karenz, insbesondere, wenn die Substitutionen mehr als 50 % des Gehalts der Väter sind (O’Brien, 2009). Karenzurlaube der Väter werden zusätzlich begünstigt, wenn die Mütter über mehr Bildung verfügen oder älter sind (Geisler und Kreyenfeld, 2011) oder wenn Mütter gleich viel oder mehr verdienen (Lappegard, 2008). Männer in stabilen Arbeitsverhältnissen, z. B. im öffentlichen Sektor. gehen häufiger in Karenz (Geisler und Kreyenfeld, 2011, Mansdotter, 2010). Väter, die die Fürsorgerolle ablehnen oder Nachteile im Job befürchten, gehen selten in Karenz (Vogt, 2010). In Österreich wird der Elternurlaub zu einem Großteil von Frauen absolviert, auch wenn die Anzahl der Väter, die zumindest zwei Monate Karenz absolvieren, steigt. Im Jahr 2009 waren 4 % der Bezieher des Kinderbetreuungsgeldes männlich. In Wien, wo diese Forschung durchgeführt wird, waren es 7,4 % (Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend). Von Geschlechtergerechtigkeit, also 50 %, ist dies sehr weit entfernt. In meiner Studie wird sich später zeigen, wie sich in den Praktiken vor und während des Übergangs zur Elternschaft spezifische Figurationen von Geschlechterpositionen herausbilden, die obige Verteilung der Karenzzeiten wider-
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spiegeln. Die Betreuungssituation und Karenzmodelle sind gleichzeitig Teilhabende, mit denen Eltern gemeinsam werden.
H OHE A NSPRÜCHE
AN
B EZIEHUNGEN
Die normative Verbindung Ehe und Kinder hat sich gelockert. In den 90er Jahren war ein konkreter Kinderwunsch oder eine Schwangerschaft oft ein Grund für eine Heirat (Nave-Herz, 2004; Mulder, 2003, 295). In den 2000er Jahren erhöht eine Schwangerschaft zwar stark die Wahrscheinlichkeit von Zusammenleben oder der Gründung einer Lebensgemeinschaft, falls diese noch nicht besteht, die Heirat wird aber häufig, wenn überhaupt, erst später nachgeholt (Guzzo 2006, 402; Cherlin 2004, 855). Der Übergang in eine Lebensgemeinschaft ist inzwischen als eigenständige Transition zu betrachten, die teilweise die Heirat ablöst oder einige Schritte vor der Heirat liegt (Amato, 2008). Familienforscher*innen implizieren häufig, dass eine (gute) Beziehung Voraussetzung für Elternschaft ist. Die Anforderungen an (Liebes-)Beziehungen haben sich jedoch in den letzten Jahrzehnten verändert (Siebel, 2008; BeckGernsheim, 2006). Der Zwang, eine Beziehung zu haben, wurde kleiner, während sich eine Norm etabliert hat, dass eine Beziehung eine bestimmte Qualität aufweisen muss, damit diese geführt werden kann (Beck und Beck-Gernsheim, 2000). Dies kann die Anzahl der Partner und die Zeit, die mit der Partnersuche verbracht wird, erhöhen. Beck und Beck-Gernsheim (2000) nennen das »individualisierte Liebe«, Francesca M. Cancian (1987) nennt dies für die amerikanische Bevölkerung »individualisierte Ehe«. Den Unterschied zur Ehe vor den 60er Jahren erklärt Cherlin (2004, 852) in drei Punkten: Selbstentwicklung, Flexibilität und Aushandlungsprozesse. Der Anspruch ist es nun, dass jede Person ein unabhängiges »Ich« entwickelt. Die Unterordnung der eigenen Wünsche und Bedürfnisse unter jene des Partners soll es nicht mehr geben. Innerhalb von Beziehungen entstehen dann Aushandlungsprozesse, die fixe Rollenbilder auflösen. Beide Partner müssen Probleme offen und reflektiert kommunizieren können (ähnlich argumentieren Beck und Beck-Gernsheim, 2000; Cancian, 1987 und Siebel, 2008). Diese Anforderungen können zu einer Beendigung von Beziehungen führen, die nicht diesen Ansprüchen entsprechen. Der Partner, mit dem Kinder möglich sind, wird nach diesen Qualitätskriterien ausgewählt. Auch die Informant*(inn)en in meiner Studie hatten hohe Ansprüche an die Partnerschaft. Die Entwicklung der benötigten Fähigkeiten, die Beziehungen hoher Qualität ermöglichen, braucht aber Zeit. Reflexion und Aushandlungsprozesse müssen erst erlernt werden. Die »Emerging Adulthood« wur-
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de zu jener Phase, in der Reflexions- und Kommunikationsfähigkeiten erlernt und verbessert werden.
E INE
NEUE
L EBENSPHASE :
DIE
E MERGING A DULTHOOD
Mit den Prozessen der Second Demographic Transition ist eine neue Lebensphase, genannt »Emerging Adulthood« (Hayford und Furstenberg, 2008), entstanden. Dies ist nun die Phase, in der jene Beziehungsfähigkeiten, die oben beschrieben wurden, erlernt und geprobt werden. Verlängerte Ausbildungszeiten machen Platz für eine neue Lebensphase, die von Jeffrey Arnett (2000) »Emerging Adulthood« genannt wurde. Die Emerging Adulthood bezeichnet die Zeit zwischen dem 18. Lebensjahr, die vor allem in den USA mit dem Abschluss der Highschool zusammenfällt, und dem 25. Lebensjahr und darüber hinaus. Dies deckt sich im Wesentlichen mit dem Konzept, das im deutschsprachigen Raum »Postadoleszenz« genannt wird (Richter et. al., 1994). Arnett (2000) bezeichnet die Erwartungen an Individuen in dieser Phase in Anlehnung an Talcott Parsons als »roleless role«, weil die Individuen theoretisch eine große Anzahl von Lebensmöglichkeiten ausprobieren können. Nach dem ersten Schulabschluss entsteht eine Phase, in der es theoretisch keine festen Lebensvorschriften gibt, außer jener, sich zu bilden und eine Identität zu entwickeln. Ich halte dies für schwerwiegende Aufgaben für diese Zeit. Ich stimme aus diesem Grund nicht mit dem allgemeinen Diskurs um eine »Denormierung« oder »Destabilisierung« in dieser Zeit überein, der diesem Zeitraum eine »roleless role« zuschreibt. Die poststrukturalistische Forschung hat sehr gut gezeigt, dass in der Moderne und Spätmoderne ein starker Zwang zum Selbstmanagement, zur Selbstbeschreibung und -formung besteht (exemplarisch Foucault, 1993, 1979). Es ist daher eher davon auszugehen, dass eine Phase entstanden ist, die dafür da ist, diese Techniken zu erlernen, da diese für die weiteren Lebensphasen essentiell sind. Dieser Phase sind eine Selbstfokussierung und ein hohes (auch räumliches) Autonomiestreben, trotz häufiger finanzieller Abhängigkeit von den Eltern, zugeschrieben. Gleichzeitig wird den Emerging Adults attestiert, dass sie eine gewisse Instabilität der Persönlichkeit aushalten müssen und weder zu den Jugendlichen noch zu den Erwachsenen gehören (Arnett, 2000). Die betroffenen Individuen empfinden dies als Bereicherung und beschreiben die Identitätssuche als persönliches Wachstum (Gottlieb et. al., 2007; Lefkowitz, 2005; McAdams et. al. 2006; Watson und Humrichouse, 2006). Dieser Phase wird auch ein Anwachsen der (Selbst-)Zufriedenheit, des Wohlbefindens und der sozialen Kompetenz
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im Vergleich zur Adoleszenz zugeschrieben (Hawkins et. al., 2009). Die Frequenz der romantischen und sexuellen Beziehungen ist in dieser Zeit höher als in anderen Altersgruppen (Kaestle und Halpern, 2007). Begründet werden diese Möglichkeiten immer wieder mit einem »Defizit« an Normen und Kontrolle in dieser Phase (Lanz, 2007; Arnett, 2000). Russel Ravert (2009) dagegen sieht in dieser Phase die Möglichkeit, aber auch den Druck, Dinge zu tun, zu denen die jungen Erwachsenen nachher »nie wieder« die Möglichkeit haben, ob das nun Reisen, risikoreicher Sport, die Einnahme von Drogen, häufiger Beziehungswechsel, nicht zu arbeiten, eigenartige Jobs, modische Besonderheiten oder eigenartige Hobbys betrifft (Ravert, 2009, 384f). Zwei Drittel der Collegestudenten berichten, diese Dinge getan zu haben, weil als Erwachsener nicht mehr die Möglichkeit dazu besteht (»now or never«). Die Indikatoren, die eine Beendigung der Phase der Emerging Adulthood markieren, sind unterschiedlich für spätmoderne Gesellschaften. Mittel- und nordeuropäische Jugendliche beginnen diese Phase mit dem Auszug aus dem Elternhaus, (Fadjukoff, 2007). Die Gründung einer Familie erfolgt später und die Geburt eines Kindes ist Indikator für die Beendigung dieser Phase, gleichgesetzt mit einem Erwachsenwerden (Oesterle et. al., 2010). Jenen, die kein Kind bekommen, wird der Status als Erwachsener zwar auch zugeschrieben, wenn sie finanziell unabhängig leben, eine Karriere verfolgen oder in einer festen Lebensgemeinschaft wohnen, allerdings werden deren Lebensläufe nach dieser Phase häufiger als »unvollständig« beschrieben (Hagestad, 2007). Subjektiv verbinden Probanden mit Erwachsensein immer noch einen festen Job und Familie (Blatterer, 2007). Die Teilnehmer*innen meiner Studie etablierten in den Praktiken des Übergangs zur Elternschaft ebenfalls eine Schwelle zwischen Erwachsensein und nicht Erwachsensein, die überschritten werden musste (siehe Kap. 22). Ein Kind zu bekommen bedarf aber für viele Individuen Voraussetzungen wie eine stabile Identität und finanzielle Unabhängigkeit, sowie ein Set von Skills, die mit dem Erwachsensein verbunden sind (Johnson et. al., 2007, 257). Diese Skills werden in dieser Phase erlernt.
»S CHIZOID D OUBLE P ULL «: ALTE UND NEUE V ORSTELLUNGEN VON L EBENSFORMEN Den Prozessen der Second Demographic Transition wird eine Pluralisierung von Werten und Möglichkeiten zugeschrieben (Lesthaeghe, 2010; Arnett, 2000; Beck und Beck-Gernsheim, 2000). Zuweilen wurde sogar eine Auflösung der nuklearen Familie postuliert. Gleichzeitig zeigt sich in der Forschung aber das
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Festhalten an Werten wie stabile Partnerschaft oder sogar Ehe (Zartler, 2012; Sharp and Ganong, 2007; Hertz, 2006). Rosi Braidotti nennt dieses Paradoxon in Anlehnung an Deleuze einen »Schizoid Double Pull«. Einerseits ist eine Pluralisierung von Lebensformen und Lebensweisen möglich, anderseits verfestigen sich traditionelle und scheinbar überkommene Lebensformen und -weisen weiterhin (Braidotti, 2006a, 93). In Hinblick auf Fertilität ist es heute möglich, Kinder in verschiedensten Lebensformen großzuziehen und zu bekommen. Gleichzeitig ist die Formation Mutter-Vater-Kind beim ersten Kind scheinbar gut gefestigt. Um die 90 % (Statistik Austria, 2010) der Kinder in Österreich werden in eine heterosexuelle Partnerschaft geboren. Und selbst wenn einige Jahre nach der Geburt des ersten Kindes viele Beziehungen aufgelöst werden und die Familien als Einelternfamilien oder Patchworkfamilien weiterbestehen, das Bild der heterosexuellen Kleinfamilie bleibt fest in den mentalen Konzepten der Menschen verhaftet (Zartler, 2012). Andrea Marhali, Johannes Starkbaum und Ulrike Zartler haben in einer qualitativen Studie, in der Kinder und mindestens ein Elternteil interviewt wurden, gezeigt, dass das Konzept der Kleinfamilie in allen (120) Interviews wiedergegeben wurde. Einelternfamilien konstituierten sich als Mangelfamilie, Patchworkfamilien als wiedervereintes Ganzes. Nuklearfamilien schrieben sich eine Überlegenheit in Moral und Kompetenzen zu, mit der sie den Weiterbestand der Beziehung meisterten. Das Konzept der Kleinfamilie findet sich ebenso in den Narrationen von gleichgeschlechtlichen Paaren wieder (Miko, 2008). Dekker und Matthiesen (2004) zeigen, dass die Anzahl der festen Beziehungen innerhalb der Lebensverläufe steigen. Die Publikationen zeigen aber keine Abweichung von der Paarformation. Rosanna Hertz (2006) zeigt in ihrer ausführlichen ethnographischen Studie über Frauen, die gewollt alleine, ohne Partner*in, Kinder bekommen haben, wie schwierig es für die Frauen war, sich von dem klassischen Bild der funktionierenden Beziehung, in die ein Kind geboren wird, abzulösen (Hertz, 2006, 9ff.). Die romantische Liebe als Voraussetzung für Elternschaft saß sehr tief in den Köpfen der Frauen. Um sich zu einer Elternschaft, aber ohne Partner, zu entscheiden, mussten erst neue Vorstellungen von Familie, Elternschaft und Zusammenleben entwickelt werden (Hertz, 2006, 35ff.). Auch wenn die Familienstatistiken viele Lebensformen nicht erfassen, Familien, die aus zwei erwachsenen Parts, insbesondere einem männlichen und einem weiblichen, und Kindern bestehen, scheinen eine stabile Lebensform zu sein. Vorstellungen über alternative Wege, Kinder zu bekommen, scheinen nur in geringem Maße zu wachsen, bzw. können sich nicht vom Bild der nuklearen Familie ablösen. Mittels dieser Studie lässt sich zeigen, wie innerhalb der Praktiken
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spezifische Subjekte geformt werden, die Muster traditioneller Familienbildung wiederholen und verfestigen, an wenigen Punkten aber auch erodieren.
3 Transformationen am Übergang zur Elternschaft
S TANDARDISIERTE M AKROEMPIRISCHE F ORSCHUNG Am Übergang zur Elternschaft scheint sich, den Ergebnissen der nachfolgenden Literatur zufolge, das Leben der werdenden Eltern grundsätzlich zu ändern. Forscher*innen interessiert vor allem die Zufriedenheit mit der Paarbeziehung (Ahlborg et. al., 2009, Bronte-Tinkew et. al., 2009; Doss et. al., 2009; Claxton und Perry-Jenkins, 2008, Veränderungen der Aufteilung der Arbeit zwischen den Eltern (Dribe, 2009), Veränderung der Interessen der Eltern (Claxton und PerryJenkins, 2009; Nomaguchi und Bianchi, 2004), sowie geschlechtsspezifische Wahrnehmungen der Veränderungen oder Probleme (Doss et. al., 2009, Deave und Johnson, 2008). Starke Veränderungen hinsichtlich der Rollenaufteilung, der Qualität der Beziehung der Eltern zueinander und der Persönlichkeitsentwicklung von Mutter und Vater passieren vor allem beim ersten Kind, während diese Aspekte beim zweiten Kind relativ stabil bleiben (Krieg, 2007). Forschungen, die die Veränderung der Beziehung der Eltern zueinander im Blickwinkel haben, stellen, je nach Studie, bei 20 bis 60 % der Eltern eine Verschlechterung der Beziehung zueinander fest (Doss et. al., 2009, 602). Es scheint aber auch eine Anzahl von Eltern zu geben, die ihre Beziehung durch die Elternschaft verbessern (Doss et. al. 2009, 603), was allerdings seltener den Fokus der Forschung darstellt. Grundsätzlich verschlechtert sich auch die Beziehungsqualität von kinderlosen Paaren, allerdings graduell im Unterschied zur sprunghaften Verschlechterung am Übergang zur Elternschaft (Doss et. al., 2009, 615). Negativen Einfluss auf die Beziehungsqualität haben eine ungleiche Verteilung der Hausarbeit (Ahlborg et. al., 2009; Moller, 2008), eine als negativ erlebte Beziehung der eigenen Eltern (Doss et. al. 2009; Perren et. al., 2005; Curran et. al., 2006), eine schlechte sozioökonomische Situation der Eltern (Perry-Jenkins und Claxton, 2011; Fhtenakis et.
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al., 2002), unrealistische oder zu hohe Erwartungen an die Elternschaft (Lawrence et. al., 2007) und ein forderndes Temperament des Kindes (Fhtenakis et. al., 2002). Positive Einflüsse oder Resilienzfaktoren für die Beziehungsqualität sind weniger Arbeitsstunden der Väter (Nomaguchi, 2009; Perry-Jenkins et. al., 2007), eine Erfüllung der eigenen Erwartungen an die Elternrolle (Cast, 2004), überdurchschnittliche Reflexionsfähigkeiten (Curran et. al 2006; Matthey et. al, 2004), Kommunikations- und Problemlösungskompetenzen (Houts et. al, 2008) und Konfliktbewältigungskompetenzen (Kluwer und Johnson, 2007) der Eltern. Eltern unternehmen nach der Geburt signifikant weniger Freizeitaktivitäten mit dem Partner und Freunden (Claxton und Perry-Jenkins, 2008). Die gemeinsamen Aktivitäten steigen nach der Rückkehr der Frau in das Arbeitsleben wieder etwas an. Viel gemeinsam verbrachte Aktivitäten während der Schwangerschaft stand in positivem Zusammenhang mit der Beziehungsqualität ein Jahr nach der Geburt (Claxton und Perry-Jenkins, 2008, 39). Nach dem Übergang zur Elternschaft verringert sich die Zeit, die für Sport verwendet werden kann, um eine Stunde in zwei Wochen (Nomaguchi und Bianchi, 2004, 423). Auch sind die Stunden, die für Freizeit verwendet werden können, stark gesunken (Namaguchi, 2009, 24). Wichtig scheint auch zu sein, dass der sexuelle Kontakt der Paare bereits während der Schwangerschaft und dann noch einmal nach der Geburt sinkt (Ahlborg et. al., 2009; Bouchard et.al., 2006, 1525; Condon, et.al., 2004). Ein Jahr nach der Geburt bleibt die Frequenz des sexuellen Kontaktes auf diesem niedrigen Niveau (Condon et. al., 2004, 63). In den qualitativen Studien von Elliott und Umberson (2008, 400) stellen sich beide Partner als unterschiedlich begehrend dar und es wird gleichzeitig versucht, gezielt Sexualität zu forcieren, weil es als unabkömmlicher Teil einer Beziehung gilt. Funktioniert dies nicht, entstehen gelegentlich an traditionellen Mustern orientierte Austauschverhältnisse, wie etwa, dass der Mann mehr Haus- und Fürsorgearbeit übernimmt und im Gegenzug mehr Sex erhält (Elliott und Umberson, 2008, 401). Diese Austauschverhältnisse entstehen vor allem weil die Hausarbeit zwischen Frauen und Männern nach der Geburt ihres ersten Kindes ungleich verteilt wird. Eine Metaanalyse (Lachance-Grzela und Bouchard, 2010), die die große Anzahl der Veröffentlichungen der Jahre 2000 bis 2009 durchforstete, bestätigt, dass die Ungleichverteilung der Hausarbeit sich nur in sehr geringem Maß verändert. Ländervergleichende Studien anhand internationaler Surveys bestätigen die These von bestehender Ungleichheit bei geringen Verbesserungen über den Zeitverlauf (Geist, 2009; Heisig, 2011; Lothaller, 2009). Dribe und Stanfors (2009) haben für Schweden, dem Land mit der wenigsten Ungleichverteilung zwischen den Geschlechtern, mittels den Daten eines schwedischen Zeitverwen-
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dungssurveys von 1990/91 und 2000/01 gezeigt, dass generell die Zeit, die für Hausarbeit verwendet wird, gesunken ist. Eltern beiderlei Geschlechts mit Kindern unter 18 Monaten verwenden in beiden Perioden mehr Zeit für Haus- und Fürsorgearbeit als in anderen Lebensabschnitten (Dribe und Stanfors, 2009, 41). Frauen nehmen sich aber signifikant mehr Zeit für Hausarbeit und Kinder und arbeiten signifikant weniger Zeit als Männer (Dribe und Stanfors, 2009, 42). Einen wesentlichen Unterschied gibt es bei den Vätern von Kindern unter 18 Monaten, die in der Untersuchungsperiode von 2000/01 ebenfalls signifikant weniger arbeiten als andere Männer und mehr Tätigkeiten im Haushalt übernehmen. Auch bei der Fürsorge um Kinder gibt es eine Angleichung der aufgewendeten Zeit in der Untersuchungsperiode von 2000/01 (Dribe und Stanfors, 2009, 43). Eine abgeschwächte traditionelle Aufteilung der Hausarbeit zwischen Mutter und Vater nach dem Übergang zur Elternschaft bleibt im Vergleich zur Erhebungsperiode von 1990/01 allerdings bestehen. Studien in anderen europäischen Ländern bestätigen dieses Ergebnis (Bartakova, 2010; Lothaller et. al., 2009; Meester et. al., 2011, Sevilla-Sanz et. al., 2010a). Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern sinken etwas, wenn Frauen hohe Bildung haben und/oder hohes Einkommen vorweisen (Geisler und Kreyenfeld, 2011; Geist und Cohen, 2011; Heisig, 2011), oder früh in den Beruf zurückkehren (Meester et. al., 2011; Bartakova, 2010). Etwas weniger ungleich, aber häufig nicht egalitär, ist die Aufteilung der Arbeit bei lesbischen Paaren mit kleinen Kindern (Downing und Goldberg, 2011; Goldberg und Perry-Jenkins, 2007a; Patterson et. al., 2004). Es war durchgängig eine stärkere Involvierung der biologischen Mütter bemerkbar. Nonbiologische Mütter kehrten aus finanziellen Gründen schneller in den Job zurück als biologische Mütter und arbeiteten mehr Stunden. Egalitäre Aufteilung der Arbeit hat zwar einen hohen Wert, gleichzeitig ist die Aufteilung der Hausarbeit aber stark durch die berufliche und finanzielle Situation der Paare beeinflusst, was Ungleichheiten erzeugt (Heinz 2006, 255). Was die Daten der obigen Studien sehr gut zeigen können, ist, dass statistisch Individuen in der Zeit des Übergangs zur Elternschaft großen Transformationen unterliegen. Sowohl die Beziehung der Eltern zueinander, ihre Interessen und Freizeitaktivitäten miteinander und allein, als auch ihre Arbeitsaufteilung ändert sich im statistisch signifikanten Maße. Sehr häufig werden diese Veränderungen in der Form von Verschlechterungen beschrieben: weniger Beziehungsqualität, weniger Freizeit, weniger Sport, weniger Sex und ungleiche Aufteilung der Arbeit. Es gibt sozioökonomische Situationen, Fähigkeiten und Fertigkeiten der Eltern, die diese Veränderungen abschwächen, aber statistisch nicht abwenden können.
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Stärken und Schwächen der standardisierten und makroempirischen Familienforschung Obige Studien erklären sehr gut die Kontexte, innerhalb derer Individuen und Paare gegenwärtig Kinder bekommen. Die Forschung um die Second Demographic Transition zeigt, dass lange Ausbildungszeiten neue Lebensphasen schaffen, in denen Reflexions- und Kommunikationsfähigkeiten ausgebildet werden, die gehobene Ansprüche an Beziehung und Elternschaft ermöglichen. Trotz Pluralisierungstendenzen bleibt das Ideal zwei Elternteile + Kind = Familie durch alle Klassen und wahrscheinlich auch Lebensformen aufrecht. Familienpolitiken versuchen durch Geldleistungen, den Einbezug der Väter in diese Geldleistungen oder die Schaffung von Kinderbetreuungseinrichtungen die Fertilität zu erhöhen. Indirekt fördern sie damit auch egalitäre oder ungleiche Beziehungen der Eltern zueinander. Die Karenzsysteme formen aber die Zeit nach der Geburt für Eltern stark und auch ihr Verhältnis zur Arbeit. Trotz der Substitutionen und staatlichen Hilfen am Übergang zur Elternschaft scheint die Transition stressig und die Beziehungsqualität, die Interessen und die Arbeitsaufteilung der Eltern ändern sich, den statistischen Daten nach, drastisch. Alle Daten weisen darauf hin, dass Elternschaft vor allem Nachteile für Frauen, bzw. die biologischen Mütter, mit sich bringen kann und traditionelle Figurationen von Geschlecht fördert. Die größtenteils statistischen Ergebnisse können aber vor allem diese wichtigen Kontextfaktoren einfangen und weniger, wie die Transition zur Elternschaft von den Menschen im Alltag gelebt wird und sich Ungleichheiten oder Veränderungen Schritt für Schritt manifestieren. Kompliziertere statistische Verfahren können zwar durchaus die Wechselwirkung mehrerer Variablen testen, trotzdem bleibt der Blick auf einige Einzelfaktoren reduziert. Sind dies wichtige Faktoren, kann dies wertvolle Ergebnisse liefern. Was mit diesen Verfahren nicht möglich ist, ist die Untersuchung einer Vielzahl von Variablen, die zu Beginn einer Untersuchung noch gar nicht feststehen. Es ist wahrscheinlich, dass Eltern in ihren alltäglichen Praktiken mit einer Vielzahl von Menschen und Gegenständen in Berührung kommen, die miteinander in Wechselwirkung stehen und die ihre Entwicklung mitbestimmen. Diese können in diesen statistischen Verfahren nicht berücksichtigt werden. Es ist aus diesem Grund wichtig, dass die bereits vorgestellten Ergebnisse der statistischen Forschung in der Familien- und Lebenslaufforschung um prozessorientierte und ethnographische Ergebnisse ergänzt werden.
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P ROZESSORIENTIERTE F AMILIENFORSCHUNG : D AS S ELBST IN T RANSFORMATION AM Ü BERGANG ZUR E LTERNSCHAFT Prozessorientierte qualitative Familienforschung hat innerhalb des Feldes der Familien- und Lebenslaufforschung einerseits eine lange Tradition (z. B. Thomas und Znaniecki, 1958; Jahoda und Larzarsfeld, 1960; Kaufmann, 1994; Burkart, et.al. 1989; Walzer, 1998; Hertz, 2006), andererseits ist die Anzahl der Publikationen in diesem Feld weitaus geringer als im Feld der quantitativen Familienforschung. Prozessorientierte Studien sind meist aus interaktionistischer oder interpretativer Sichtweise verfasst. Fokus der Untersuchung sind Veränderungen im und am Subjekt und dessen Beziehungen zu Partner*in und Kind. Untersucht wurden Bedeutungen, die Handlungen zugeschrieben werden, und auch, wie diese Bedeutungszuschreibungen sich im Verlauf des Prozesses verändern. Während der Schwangerschaft haben Frauen vermehrt teil an neuen Praktiken wie Geburtsvorbereitungskurse und Baby-Yoga Klassen, während andere Aktivitäten zurück gestellt werden (Bailey, 1999, 343). Die Schwangerschaft verlangt viel Zeit von den werdenden Müttern und sie begeben sich auch gerne in die Situation ein die Phase der Schwangerschaft zu leben, indem intensiv recherchiert wird und die Schwangerschaft bei vielen Gelegenheiten thematisiert wird. Schwangerschaften werden zu einer Periode innerhalb der das Selbst, die eigene Biographie und ihre Konsequenzen wieder verarbeiten werden (Bailey, 1999, 340). Frauen in Lucy Bailey’s Studie glaubten sich im Prozess der Schwangerschaft so umfassend wie noch nie selbst wahrnehmen zu können. Die Aspekte der eigenen Persönlichkeit und Biographie würden viel stärker zu Tage treten als in anderen Lebensphasen. Gleichzeitig erscheinen viele verschiedene Seiten des eigenen Selbst, die sich nicht ergänzen oder überschneiden können. Lucy Bailey nennt dies ein »refracted self« (Bailey, 1999, 338f.). Vor, während und nach der Schwangerschaft steht gleichzeitig die Feminität der Frauen immer am Prüfstand (Bailey, 2001). Mutterschaft ist nicht gleichbedeutend mit einer vollkommenen Feminität, wenn erwartete Leistungen (Stillen, Fertilität) von der Mutter oder ihrem Körper nicht erbracht werden können. Jan Draper (2003) sieht gleichzeitig Männer am Übergang zur Elternschaft vor einem zentralen Problem stehen: einerseits existiert eine körperliche Ausgeschlossenheit vom Prozess der Schwangerschaft, andererseits ist Involvierung erwünscht, auch körperliche, z.B. in Form von Handauflegen (auf den Bauch) um indirektes Erleben an die Mutter zurück zu spielen. Dies präge und transformiere die (Geschlechts-)Identität innerhalb des Prozesses. Die Bestätigung der Schwangerschaft setzt für Draper (2003a, 75) einen Prozess in Gang der
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Schrittweise zur Vaterschaft führt. Der Ultraschall spielt dabei für die Identifikation mit der Vaterrolle aus der Sicht von Draper eine wichtige Rolle (Draper 2002, 2002a). Die Sichtbarkeit des Fötus ermöglicht eine Kontaktaufnahme mit dem Ungeborenen und Versetzt die Transition in die Vaterschaft in die Zeit der Schwangerschaft. Vor dieser Zeit hätten Väter auf die Geburt warten müssen, um dies zu erleben. Klarer wird die Transition in die Elternschaft innerhalb von Paarstudien der letzten Jahre nachgezeichnet. Bell, Goulet, Tribble, Paul, Boisclair und Tronick (2007) versuchten in einer systemisch orientierten Studie, durchgeführt in Montreal, Kanada, die Gewöhnungsprozesse eines Paares an ihr Baby nachzuzeichnen. Die Forscher*innen wählten hier drei Untersuchungstermine innerhalb eines kurzen Zeitraumes. Paare wurden eine Woche, sechs Wochen und 16 Wochen nach der Geburt getrennt voneinander interviewt und nach den Tätigkeiten der letzten Wochen befragt. Ziel war es, den Übergang von der Dyade in die Triade nachzuvollziehen. In der ersten Woche waren die Eltern mit Kennenlernen und Vergleichen beschäftigt (Bell et. al., 2007, 188). Ähnlichkeiten des Babys zu Mutter und Vater festzustellen, schien wichtig für die Gewöhnung an das Kind und für eine positive Beziehung zum Kind zu sein (Bell et. al., 2007, 188). Die Väter der Studie waren in der ersten Woche von der Arbeit beurlaubt und sehr involviert in das Kennenlernen des Kindes. Die Forscher*innen konnten innerhalb dieser ersten Woche wenige Unterschiede in den Erzählungen der Eltern feststellen. Die Zeit mit dem Kind und auch die Tätigkeiten mit dem Kind schienen ähnlich verteilt, auch wenn leichte Tendenzen geschlechtsspezifischer Aufgaben erkennbar waren (Bell et. al., 2007, 189). Die Interviews in der sechsten Woche zeigten ein sehr verändertes Bild. Die Väter waren wieder in den Beruf zurückgekehrt. Es wurden hohe Unterschiede in der Wahrnehmung und in der Praxis mit dem Kind zwischen Mutter und Vater berichtet (Bell et. al. 2007, 190). Die anfänglich entstehende Triade wandelte sich in mehrere dyadische Beziehungen um. Es hatten sich bereits Konventionen im Umgang mit dem neuen Kind etabliert. Eine geschlechtsspezifische Aufteilung der Aufgaben hatte sich verstärkt. Die Mutter-Kind-Beziehung wurde auf Grund der Schwangerschaft und der körperlichen Nähe zum Kind intensiver bewertet (Bell et. al., 2007, 192). Die Interviews in der 16 Woche nach der Geburt zeigten eine abgeschlossene Differenzierung der Aufgaben und Beziehungen (Bell et. al., 2007, 192). Die Väter nahmen sich in den spielerischen Aufgaben mit dem Kind wahr, während die Mütter sich für die Fürsorge verantwortlich fühlten. Dies wird mit dem Wunsch begründet, eine einzigartige Beziehung, abgrenzbar vom anderen Elternteil, zum Kind zu entwickeln (Bell et. al., 2007, 193). Die Studie zeigt, mit welchen Lebensumständen verbunden sich traditionelle Rollenbilder entwickeln
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und wie sich eine traditionelle Aufteilung der Erwerbsarbeit auf die Tätigkeiten und Selbstzuschreibungen in Verbindung mit dem Kind auswirken. Ein Fazit aus der Studie ist, dass die Triade mit der Rückkehr des Mannes in den Beruf in drei Dyaden zerfiel, die unterschiedlich intensiv und abgetrennt voneinander erlebt wurden. La Rossa und Sinha (2006) untersuchen in ihrer am Symbolischen Interaktionismus orientierten Studie Denk- und Handlungswelten am Übergang zur Elternschaft. Sie sahen Interpretationen, die am Übergang zur Elternschaft mit der sozialen Umgebung ausgehandelt werden, als handlungsleitend und wirklichkeitskonstituierend für die Eltern an (LaRossa und Sinha, 2006, 433). Individuen würden ständige Biographiearbeit leisten, um den Lebenslauf, inklusive bedeutsamer Übergänge, zu konstituieren. (LaRossa und Sinha, 2006, 434). Konkret untersuchten LaRossa und Sinha die Rolle institutionalisierter Rezepte, den Übergang zur Elternschaft zu meistern und deren Wirkung auf die Interpretationsprozesse der Individuen. Es gibt öffentliche Diskurse und Anleitungen darüber, wie das werdende Elternpaar sich während der Schwangerschaft und nach der Geburt verhalten soll (LaRossaund Sinha, 2006, 435). In Geburtsvorbereitungskursen, welche die Autoren begleitet haben, werden diese Diskurse eingebracht und mit den Eltern verhandelt. Die Lehrer*innen hatten vorgefertigte Lehrpläne, die in bürokratischen Prozessen ausverhandelt wurden und die Formeln über das Elternsein beinhalteten. Die untersuchten Paare nahmen an acht Klassen teil, die zwischen dem zweiten Trimester der Schwangerschaft und sechs Monate nach der Geburt abgehalten wurden (LaRossa und Sinha, 2006, 437). Gezeigt hat sich, dass Kursleiter und Eltern gemeinsam ein Vokabular entwickeln, das sich an Veränderung orientiert. Der Übergang wird als wichtigstes Ereignis im bisherigen Lebenslauf konstituiert und als ungewisser, hindernisreicher Weg, der erst beschritten werden muss (LaRossa und Sinha, 2006, 435). Das Vokabular der Veränderung arbeitet mit Klassifizierungen und Trennungen von Phasen. Sprachlich wurde stark zwischen vor und nach der Geburt getrennt. Kurz vor der Geburt wurden junge Eltern eingeladen, ihre Erfahrungen mitzuteilen. Dies wurde von den Autoren ebenfalls als Geste interpretiert, die Grenze zwischen Eltern und Nochnichteltern zu definieren. Die Klassen nach der Geburt waren von Vergleichen des Lebens vor und nach der Geburt geprägt. Reisemetaphern, bei denen es keinen Rückweg gibt, wurden in der Konversation immer wieder verwendet. Diese Metaphern rund um fortschreitende Zeit waren immer wieder mit einzigartigen Erfahrungen und Situationen verbunden, aus denen sich Entwicklung und Veränderung ableiten lassen. Grenzen wurden auch zwischen den Geschlechtern gezogen. Die Gespräche handelten immer wieder davon, was
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Männer und Frauen im Vergleich tun und können. Unterschiede zwischen dem Jetzt und dem Vorher wurden immer wieder betont, die klare Grenzen zwischen dem Verhalten der Eltern nach und vor der Geburt zogen. (LaRossa und Sinha, 2006, 440-444) LaRossa und Sinha sahen in ihren Ergebnissen ihre These der zunehmenden Institutionalisierung von Übergängen in formelhaften Rezepten bestätigt. Eltern haben die Diskurse der Lehrer*innen über einzigartige Veränderungen und Persönlichkeitsentwicklung angenommen und individuell weitergeführt. Bedeutungen, wie Zeuge der wichtigsten Veränderung des Lebens zu sein, wurden konstituiert und im Handeln und Sprechen der Eltern performiert. Bonnie Fox (2009) führte Gespräche mit Eltern nach der Geburt ihres ersten Kindes über das erste Jahr hindurch. Ihr Fokus lag auf Aushandlungsprozessen, Bedeutungskonstitutionen und Motivationen für die Praktiken der Eltern. Insbesondere die Konstitution von geschlechtsspezifischen Elterntypen, mit dazugehörigen Motiven und Denkmustern, waren das Interesse von Fox. Ihre ethnomethodologisch ethnographische Erzählung beginnt mit der Geburt und orientiert sich an den einzelnen Fällen. Die ersten Monate mit dem Kind waren für alle Eltern stressig. Für Fox war dies die Zeit, in der geschlechtsspezifische Praktiken ausgehandelt wurden. In allen Fällen waren Frauen in dieser Zeit Hauptverantwortliche für ihr Baby. Verbunden wurde dies in den Interviews mit der Materialität des weiblichen Körpers und Praktiken des Stillens (Fox, 2009, 126, siehe auch Höfner et. al., 2011). Väter mussten von vielen Frauen aktiv aufgefordert werden, sich mehr bei der Fürsorgearbeit, aber auch der Hausarbeit zu involvieren (Fox, 2009, 146,167). Frauen in Beziehungen mit sehr traditioneller Arbeitsaufteilung fühlten sich stärker alleingelassen mit dem Kind, was auch zu einer Verschlechterung der Beziehung der Eltern zueinander führte. Trotzdem war einfach dadurch, dass Frauen zuhause blieben und Männer weiter ihrer Arbeit nachgingen, eine Ungleichheit geschaffen, die sich in allen alltäglichen Praktiken widerspiegelte und in der Folge auch in den Konzepten von Elternschaft der Mütter und Väter (Fox, 2009, 155ff.). Sie zeigte auch, dass, wenn Umstände sich ändern, etwa wenn der Vater beurlaubt war oder weniger Stunden arbeitete, sich Ungleichheiten leicht abschwächten. Ihr Fazit ist somit auch, dass sich die Konzepte der Eltern mit den Tätigkeiten, in die sie gedrängt werden, entwickeln und dass Umstände wie extensive Väterkarenzen oder Kinderbetreuungseinrichtungen die Situation der Frauen verbessern könnten. Allerdings waren nicht alle geschlechtsspezifischen Unterschiede durch diese Umstände zu erklären, sondern waren in den Aushandlungsprozessen der Eltern miteinander und mit ihrer Umwelt zu suchen.
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E LTERNWERDEN
ALS
P ROZESS
Konsens der Familien- und Lebenslaufforschung ist, dass der Übergang zur Elternschaft eine Transition im Lebenslauf ist, also dass der Übergang zur Elternschaft zu jenen Lebensphasen gehört, in denen weitreichende Umstrukturierungen der Lebensweise und Lebenswelten der Menschen erfolgen. Die ethnographische und prozessorientierte Familienforschung lieferte Beschreibungen der Veränderungen der Menschen, der Transformation von Bedeutungen und der Konstitution von traditionellen Rollenbildern. Sie zeigen, wie Bedeutungen und Selbstkonzepte entstehen und die Zusammenhänge, in denen diese gebildet werden. Insbesondere LaRossa und Sinha (2006) erklärten, wie narrative Grenzziehungen zwischen früher und heute, alt und neu, die hohe Bedeutung des Überganges schaffen. Meine Forschung steht in der Tradition dieser Studien, die Veränderungen nicht in Zahlen messen, sondern in Worten beschreiben. Der mikroskopische Blick auf die werdenden Mütter und Väter und ihre Erzählungen und Tätigkeiten ermöglichen einen Blick, der anstatt den Grad der Veränderung das WIE der Veränderung zeigen kann und zusätzlich dazu, wie diese Veränderung gebaut und geformt wird. Der Blick auf das WIE der Veränderung erlaubt es außerdem, mitzuverfolgen, wie Subjekte sich in diesem Prozess konstituieren und verformen. Die hier vorgestellten prozessorientierten Forschungen der letzten Jahre richteten ihre ethnographischen Beschreibungen spezifisch auf die werdenden Eltern, ihre Denkprozesse und die narrativen Aushandlungsprozesse dieser Denkprozesse. In den nächsten Kapiteln präsentiere ich Theorieansätze, die einen offeneren und materialistischeren Subjektbegriff aufweisen, als die Theorien, die Grundlage der Lebenslauf- und Familienforschung sind. Die im nächsten Kapitel besprochenen posthumanistischen und neomaterialistischen Theorien eröffnen neue Formen der Beschreibung von Menschen als Subjekte, die in ein Forschungsprogramm münden, das die Subjektzentrierung der Erhebung und Analyse zum Teil aufgibt.
Wir sind nie Individuen gewesen: Der Übergang zur Elternschaft als gemeinsames Werden
4 Die posthumanistische Welt und der posthumanistische Mensch
Die Beschreibung der theoretischen Herangehensweise soll vor allem der Klärung der zentralen Begriffe dieses Buches dienen: Subjekte, Figurationen, Partizipierende, Transformationen, Assemblages und Praktiken. Diese Begriffe sind neomaterialistischen und posthumanistischen Theoriekonzepten entnommen. Die Begriffe und Konzepte lassen sich auch mit der Debatte um eine Soziologie der sozialen Praktiken, die im deutschsprachigen Raum geführt wird, verbinden. Zuerst gehe ich in diesem Kapitel auf grundlegende sozialtheoretische Konzepte einer posthumanistischen Welt ein. Karen Barads (2003) Begriff eines Welt-Körpers, der Phänomene ausdifferenziert und damit die Präexistenz von Einheiten negiert, liefert die Grundlage einer Weltkonzeption, in der posthumanistische Subjekte eingebettet und eingekörpert sind. Im darauf folgenden Abschnitt beziehe ich mich insbesondere auf die Texte von Rosi Braidotti und Donna Haraway. Letztere hat schon seit den 80er Jahren darauf hingewiesen, dass Natur innerhalb von alltäglichen und (techno-)wissenschaftlichen Praktiken geschaffen wird (Haraway, 1991, 1991a, 1992). Eine Trennung von Natur und Kultur kann aus diesem Grund nicht mehr aufrecht gehalten werden. Für eine Theoretisierung von Schwangerschaft, ein Prozess der im Alltag aber auch in wissenschaftlichen Arbeiten häufig als authentisch natürlicher Vorgang figuriert wird, sind ihre Konzepte besonders hilfreich. Im letzten Jahrzehnt hat Rosi Braidotti (Braidotti, 2002, 2003, 2006) ihre Thesen aufgenommen und diese mit ihrem eigenen deleuzianischen Feminismus verbunden. Ihre Figur des »Nomadischen Subjekts«, die gleichzeitig als feste Entität und sich immer Transformierendes gedacht werden muss, war zentral, um die Subjekttransformation von Männern und Frauen im Prozess des Elternwerdens zu beschreiben. In ihren neueren Arbeiten greift Donna Haraway (Haraway, 2008, forthcoming) wiederum auf die Konzepte von Rosi Braidotti und anderen deleuzianischen Feministinnen zurück, um ihre Begriffe des »Becoming
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With« und der »Sympoiesis« zu entwickeln, die Grundlage des Forschungsprogramms sein werden, das die ethnographische Beschreibung des gemeinsamen Werdens der Eltern mit ihrer sozio-materiellen Umgebung, und insbesondere dem Embryo und Fötus, anleitet. Mit den und durch die Begriffe(n) von Barad, Braidotti und Haraway werde ich die Begriffe der Soziologie der Sozialen Praktiken lesen und beschreiben. Karen Barad verwendet in ihren Publikationen immer wieder die theoretische Methode des »Reading Through«. Sie verwendet die theoretischen Konzepte und Begriffe einer Theorie als durchlässige Schablone, mit der sie eine andere Theorie liest und beschreibt. In diesem Fall versuche ich die Soziologie der sozialen Praktiken und insbesondere die Konzepte Stefan Hirschauers mit und durch Karen Barad und Rosi Braidotti (hindurch) zu lesen, um »Becoming With« als Alltagspraktiken, im Zusammenspiel von Partizipierenden, beschreiben können.
P OSTHUMANISMEN Die Begriffe des Posthumanismus der angesprochenen Autorinnen weisen in eine ähnliche Richtung, die Definitionen beginnen aber an unterschiedlichen Startpunkten. Karen Barad definiert Posthumanismus über die Praktik, Grenzen zwischen Menschen und anderen Lebewesen zu ziehen (Barad, 2007, 136). Diese Grenzen sind nicht naturgegeben, sondern in alltäglichen, technowissenschaftlichen, diskursiven, materiellen Prozessen etabliert. Posthumanismus nimmt diese Grenzziehungsprozesse ernst und integriert sie in die Theoriebildung und Forschung. Rosi Braidotti führt ihren Posthumanismus als Gegendefinition humanistischer Subjektivitätskonzepte ein und entwirft mit Deleuze ein anti-essentialistisches, multiples und transversales Subjekt (Braidotti, 2002, 260). Donna Haraways Posthumanismus verweist auf ihre Versuche, die Trennung von Natur und Kultur zu überwinden, die in techno-wissenschaftlichen Praktiken entstanden ist. Dem folge eine Artifizialität der Natur, der Organismen und ihrer Beziehungen zueinander. An deren Herstellungsprozessen haben eine Vielzahl von organischen und anorganischen Teilnehmer*innen partizipiert. Allen drei Konzepten ist gemeinsam, dass sie explizit Konzepte von präexistierenden Einheiten, ob in Form von Naturgesetzen, Körpern oder autonomen Subjekten, ablehnen. Die Konzepte sind anti-dualistisch, anti-essentialistisch und materialistisch. Grenzziehungen zwischen und innerhalb der Spezien werden in allen drei Konzepten kritisiert, mitbedacht und refiguriert. Trotzdem bedeutet Posthumanismus nicht nach-dem-Menschen und dass Grenzen zwischen Mensch und Tier oder Mensch und Technik verschwinden oder gar bereits verschwunden
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sind, sondern, dass Menschen täglich als Unterscheidbares und Abgetrenntes figuriert werden.
D IE POSTHUMANISTISCHE W ELT : K AREN B ARADS A GENTIAL R EALISM Karen Barad definiert »die Welt« als Welt-Körper (2003, 829), der eine unbestimmte Entität ist, dem ontologisch eine Intra-Aktion inhärent ist, durch die dieser sich erst ausdifferenziert (Barad, 2007, 139). Ihre Theorie fußt auf der Physik Niels Bohrs, den Konzepten der Performanz Judith Butlers und der Körpertheorie Michel Foucaults (Barad, 2007, 190ff). In diesem Prozess der Intra-Aktion entstehen einzelne Einheiten, genannt Komponenten, die zueinander in Beziehung stehen und sich gegenseitig (er)schaffen. Diese Beziehung zueinander wird gleichzeitig mit den Komponenten geschaffen. Einzelne Komponenten, die materiell-semiotischer Natur sind, existieren nicht vor der Intra-Aktion. Die durch Intra-Aktion entstehenden Gebilde sind Phänomene, die wiederum als »ontologically primitive relations - relations without preexisting relata« definiert sind (Barad, 2003, 815). Die Komponenten, die das Phänomen bilden, können nur in diesem Zusammenhang gedacht werden, sind aber gleichzeitig aus einer unbestimmten Entität in Intra-Aktivität erzeugt. Dies führt dazu, dass »Strictly speaking, there is only a single entity the phenomenon« (Barad, 2007, 348), was von Fall zu Fall der Welt-Körper oder eine spezifische Konstellation sein kann. Die Grenzen der Phänomene werden in den Prozessen der Intra-Aktion mitgeschaffen. Es gibt so immer spezifische Differenzierungen und Grenzziehungsprozesse, die das Phänomen auf eine bestimmte Weise formen. Die ontologische Abtrennung und epistemologische Kategorisierung der Komponenten erfolgt in diesen Aktivitäten. Mit Barads Theorie der Ausdifferenzierung sind alle Komponenten Teile des Phänomens, das inklusive seiner Historizität konstituiert wird. Diese Ausdifferenzierung ist kontingent und performativ. Karen Barad interessiert sich in ihren Schriften besonders für wissenschaftliche Praktiken. In diesen können Komponenten Objekte, Subjekte, Gegenstände oder auch Apparate sein. Die Trennbarkeit der Komponenten erzeugt die Möglichkeit, die Komponenten zueinander in Relation zu setzen und als Ursache dieser Relationen erscheinen zu lassen, auch wenn, theoretisch, Komponenten und Relationen gleichzeitig ausdifferenziert wurden. Der Apparat nimmt eine spezielle Position im Gebilde ein (Barad 2007:148). Der Apparat wird in wissenschaftlichen Praktiken zum Zwischenstück, der Objekt und Subjekt scheinbar
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trennt. Diese (Ab-)Trennung bezeichnet Barad als »Agential Cut«. Eine Komponente wird mit der Macht ausgeformt, in Intra-Aktionen Grenzziehungen innerhalb des Phänomens durchzuführen. Dadurch entsteht die Agential Separability: die Möglichkeit, dass ein Subjekt eine scheinbare Außenposition einnimmt und ein Objekt beschreiben kann und als Urheber einer Relation und einer Aktion gesehen werden kann (Barad, 2007, 140). Es entsteht eine beobachtende Komponente, die ein Objekt, oder mehrere Objekte in Beziehung zueinander, mittels eines Apparates untersucht und eine Wirkung feststellt: Es entsteht eine wissende Komponente und eine zu wissende Komponente. In diesem Vorgang entsteht das, was naturwissenschaftliche Konzepte mit Objektivität und Relation von Ursache und Wirkung beschreiben. In der wissenschaftlichen Praxis, in unserem Alltag und auch in diesem Buch sind so Aussagen eines Subjekts über ein Forschungsobjekt möglich. Entgegen einer Scheinobjektivität humanistischer philosophischer und sozialwissenschaftlicher Theorien, wo oberflächlich nur das menschliche Subjekt als Wissendes definiert wird, beschreibt Barad alle Komponenten als »Erkennende«. Praktiken sind möglich, weil im Prozess der Ausdifferenzierung alle Komponenten wiederum einander »erkennen« und wissen können. Dies ist deswegen der Fall, weil sie Beziehungen und die Komponenten gemeinsam geschaffen werden. Konzeptionell erreicht Barad dies mit einer Implosion von Ontologie und Epistemologie in eine Onto-epistem-ology. Von der Welt sein und von der Welt wissen ist in diesem Konzept nicht trennbar. There is an important sense in which practices of knowing cannot be fully claimed as human practices, not simply because we use nonhuman elements in our practices but because knowing is a matter of part of the world making itself intelligible to another part. Practices of knowing and being are not isolateable, but rather they are mutually implicated. We do not obtain knowledge by standing outside of the world; we know because “we” are of the world. We are part of the world in its differential becoming. The separation of epistemology from ontology is a reverberation of a metaphysics that assumes an inherent difference between human and nonhuman, subject and object, mind and body, matter and discourse. Onto-epistem-ology — the study of practices of knowing in being — is probably a better way to think about the kind of understandings that are needed to come to terms with how specific intra-actions matter. (Barad, 2003, 829)
Die Konsequenz sind korporeale Gebilde in Intra-Aktion, die Menschen beinhalten/ausdifferenzieren können, wobei diese in unterschiedlichen Intra-Aktionen verschieden herausgebildet werden können und nur mit den anderen Ausdifferenzierungen im Gebilde fassbar sind. Die scheinbar festen Einheiten bleiben
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dynamisch und können nicht als simples Endprodukt eines IntraAktionsprozesses gesehen werden (Barad, 2003, 827). Materiellsein ist und bleibt immer Sein im Werden. Die Welt/das Universum wird aus Intra-Aktionen gesponnen und Menschen sind Teil dieses sich strukturierenden Welt-Körpers. Die Einheiten einer Welt sind also im Prozess und zusammenhängend und können nicht als individuelle Entitäten gedacht werden, die miteinander interagieren und mit einer, den Entitäten inhärenten, Aktionsmacht die Welt konfigurieren. Einheiten sind Teil, aber nicht Voraussetzung oder Ergebnis der sich differenzierenden Welt.
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In dieser Welt sind nun Menschen herausgebildet, die spezifische Positionen einnehmen. In der Wissenschaftsforschung und auch in der Geschlechterforschung hat sich in den letzten Jahrzehnten eine Neudefinition des Menschseins vollzogen (Haraway, 1991, 1991a, 1992; Braidotti, 2002, 2006; Knorr-Cetina, 2001; Latour, 2007; Pickering, 2001). Der Mensch sollte nicht mehr durch körperliche oder geistige Eigenschaften, die Voraussetzung für seine Beziehungen zu anderen Menschen sind, bestimmt sein. Er wurde nun so definiert, dass Beziehungen und die Menschen mit ihren Eigenschaften in Prozessen miteinander geschaffen werden. Diese Neudefinition hinterfragte infolge auch die Grenzen zwischen Mensch und Tier und Mensch und Ding Es wurden nicht-menschlichen Organismen und Dingen eine Handlungsfähigkeit zugeschrieben, die bisher nur für Menschen definiert war (Callon, 1986; Law, 1991). Es kamen Objektbeziehungen zwischen Menschen und Gegenständen, innerhalb der Praktiken, in denen Wissen erzeugt wird, ins Blickfeld (Knorr-Cetina, 1981, 2001) und die Trennung von diesen »Objekten« wurde unklar (Haraway, 1991a). Autor*(inn)en begannen, geistige Attribute, die bisher für den Menschen reserviert waren, wie etwa Moral, auch Gegenständen zuzuschreiben (Latour, 1996, 2002). Die Co-Entwicklung von Mensch, Maschine, Tier und Umwelt wurde auf erkenntnistheoretischer Ebene diskutiert, indem Grenzen zwischen den Komponenten relativiert wurden und die Entstehung der Unterschiede zwischen diesen Einheiten materielldiskursiven Praktiken zugeschrieben wurden (Braidotti, 2002; Barad, 2007; Haraway, 2008). Dies führte auch zu einer Ausweitung des Subjektbegriffs, der zuvor für einige (nicht alle) Menschen reserviert war (Braidotti, 1994; Butler, 1990; Haraway, 1991a). Donna Haraways Figuren der Cyborgs und der Monster haben Sub-
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jektformen als historische Artefakte definiert, erzeugt von Menschen und NichtMenschen gemeinsam (Haraway, 1992, 11). Rosi Braidottis deleuzianische »nomadische Subjekte« sind Rhizome innerhalb von Rhizomen und von den Kräften innerhalb dieser Assemblages figuriert (Braidotti, 2006). Donna Haraways Monster Eine Grundlage von Donna Haraways frühen Arbeiten war eine Dekonstruktion des, in den feministischen und epistemologischen Theorien vorherrschenden, Dualismus von Natur und Kultur (Haraway, 1991, 1991a, 1992). In den klassischen Theorien seit Descartes werden diese beiden Einheiten getrennt. Natur wird dabei als Präexistierendes definiert, über das die Kultur aufgestülpt wird. Donna Haraway argumentiert dies u. a. mit der Figur der zwei Geburten, die in westlichen Theorien immer wieder auftauchen (Haraway, 2004, 70). Der Mensch werde zuerst in einem natürlich physischen Prozess geboren. Eine zweite Geburt erzeuge die Menschen als soziale Geschöpfe einer Gesellschaft. Diese zweite Geburt werde von der Kultur und der Gesellschaft geleitet. Das gesellschaftlich adäquate Subjekt ist somit vom Menschen (und seinem Geist bzw. in kognitiven Prozessen) erschaffen. Als Beispiel für eine solche Definition ziehe ich Talcott Parsons Definition des Menschen bzw. der Person heran. An der Differenz zwischen der Definition von Individuen/Personen/Subjekten von Parsons und Haraway lässt sich bereits erahnen, welche Verschiebungen für die Forschung Haraways Neudefinition mit sich bringt. The human personality is not 'born' but must be 'made' through the socialisation process that in the first instance families are necessary. They are factories which produce 'human personalities'. (Parsons und Bales, 1956, 16)
In dieser Sichtweise gibt es den präexistenten körperlichen Prozess, aber die wahre Geburt passiert in der Produktion von »Personen« durch die sozialkulturelle Sozialisation, die, in der Vorstellung Parsons, innerhalb der nuklearen Familie passiert. Die Beziehungen zu anderen Menschen im Kleinkindalter und im Erwachsenwerden machen den Menschen also zur Person. Diese Vorstellung beruht auf einer konzeptuellen Trennung von Körper und Geist, die Donna Haraway zu entkräften versucht. Sie identifiziert Natur und auch Kultur als etwas, das nicht nur allein vom Menschen, sondern auch von der materiellen Umgebung, von Artefakten, Wissen und Technik miterschaffen wird:
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First, it means that nature for us is made, as both fiction and fact. If organisms are natural objects, it is crucial to remember that organisms are not born; they are made in worldchanging technoscientific practices by particular collective actors in particular times and places (Haraway, 1992, 297).
Der präexistierende natürliche Ablauf einer körperlichen Geburt wird hier entzaubert als hergestellter Prozess und dieser Prozess läuft gemeinsam mit nichtmenschlichen Komponenten ab. Die Produktion des menschlichen Körpers passiert nicht durch Menschenhand alleine, sondern auch Wissen, Technik, Artefakte und nicht-menschliche Organismen sind Teil des Vorgangs. Diese Prozesse schaffen den Körper als Artefakt (»fiction and fact«), das zu einem spezifischen Zeitpunkt an einem spezifischen Ort erschaffen wird. Der Personenkörper wird so figuriert, eingebettet in eine Umgebung, die andere Menschen, Organismen und Dinge beinhaltet, mit denen sich die Menschen entwickeln. Dies bedeutet, dass die von Parsons als einziges Produktionsmittel eingebrachte Erziehung eines Menschen nicht in einem leeren und zeitlosen Raum passiert. Menschen leben mit organischen und anorganischen Einheiten zusammen und entwickeln sich mit diesen in jeder Minute ihres Lebens. Donna Haraway zeigt insbesondere zwei Figurationsmechanismen von (intelligiblen) Menschen auf, die auf Co-Produktion von Menschen mit nichtmenschlichen Komponenten beruhen: die Produktion von Spezies innerhalb der Wissenschaften, insbesondere der Naturwissenschaften, und die technisierte Reproduktion (Haraway, 2004, 67). Donna Haraway nimmt an, dass die Natur nicht vorbestimmte Grenzen aufweist, die nur darauf warten, entdeckt zu werden. Im Labor werden in Praktiken die Menschen, organisches Material und Geräte beinhalten, die Grenzen zwischen den Spezies erschaffen. Die Spezies und insbesondere die Spezies Mensch existiert nicht vor ihrem Produktionsprozess, die die Kategorien erschaffen nach denen Figurationen formiert und sortiert werden. Genetik oder auch die Demographie messen und produzieren Menschen(gruppen) (Haraway, 2004a). Die Wissenschaften sind ebenso involviert in Vorstellungen, wie und wann im Lebenslauf von Menschen Kinder erzeugt werden sollen. Menschliche Reproduktion ist ebenfalls ein Ablauf, der nicht nur unter Menschen stattfindet (Haraway, 2004b): Extrembeispiele sind die Reproduktion von Menschen durch eine Fertilisation von Eizellen außerhalb des menschlichen Körpers im Reagenzglas und die Züchtung der daraus entstandenen Embryonen bis zum 6. Tag, um dann die »besten« für eine Implantation auszuwählen. Aber auch das, was im Alltag als eine »natürliche Empfängnis« bezeichnet wird, ist in
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Praktiken, die nicht-menschliche Komponenten beinhalten hergestellt. Im Kapitel »Basteln« werde ich dies anhand der empirischen Daten zeigen. Natur und Kultur sind in diesen Definitionen von Donna Haraway untrennbar verbunden als »naturecultures«. Die Verknotung der scheinbar individuellen Entitäten erodiert auch die Grenzen zwischen Menschen und ihrer Umgebung. Durch die Einbettung von Einzeleinheiten in ihre Umgebung, von der sie nicht trennbar sind, werden klare Definitionen von Mensch oder Subjekt schwierig. Durch die gegenseitige Co-Produktion endet ein Mensch nicht an seiner Haut, noch endet die Umwelt des Menschen an dieser Grenze (Haraway, 1991a). Durch diese ständige Verbindung der (menschlichen) Körper mit organischen Komponenten nicht-menschlicher Natur und nicht-organischen Komponenten sind organische Komponenten (= Menschen oder Tiere) Cyborgs oder Monster (Haraway, 1991a, Haraway, 1992). Der Cyborgbegriff lässt sich somit nicht nur auf Menschen übertragen, die z. B. in In-vitro-Fertilisations-Prozessen zur Welt gekommen sind, sondern umfasst alle Körper. In dieser Arbeit bedeutet dies, dass die Körper der Mütter, Väter, Embryonen und Föten in Praktiken, die organische und anorganische Materie beinhalten, erzeugt werden und niemals klar abgrenzbar sind, auch wenn sie als unabhängige Einheiten figuriert werden. Trotzdem Grenzen der Körper unklar sind und diese innerhalb von Praktiken erschaffen wurden und ständig wieder werden, sind Körper Figurationen, die reale Einheiten in unserer empirischen Welt sind, deren Grenzen meist klar definiert erscheinen. Rosi Braidotti hat die Verfestigung und Verflüssigung von Figurationen in Transformationsprozessen genauer beschrieben. Rosi Braidottis Nomadische Subjekte Rosi Braidottis neomaterialistische Theorie des Subjekts ist innerhalb den poststrukturalistischen Ansätzen zu verorten (Braidotti, 2002; 2003, 2006, 2006a, 2007, 2011). Mit ihren Thesen lassen sich epistemologische und ontologische Konzepte, die auch der Theorie Haraways implizit zugrundeliegen, gut darstellen. Braidottis Theorie baut auf drei philosophische Annahmen auf: radikale Immanenz, Uneinheitlichkeit (non-unitarism) und Posthumanismus. Dazu greift sie auf Deleuzes Theorie des nomadischen Selbst, Luce Irigarays Theorie der sexuellen Differenz und Donna Haraways Konzept der Co-Evolution mit Technik zurück. Das Konzept der radikalen Immanenz, das Braidotti mit Deleuze bestimmt, wehrt sich vor allem gegen Konzepte der Transzendenz und einer a-priori-Welt, wie sie sowohl durch die kantsche Philosophie idealtypisch ausgedrückt werden, als auch durch biologistische Konzepte (z. B. Braidotti, 2002, 63; 2006a, 258).
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Ihre Theorie ist geprägt durch einen Anti-Essentialismus, der Konzepte von präexistierenden Substanzen oder Ideen ablehnt. Immanenz ist trotzdem an einen Korporealismus gebunden, der aber einen biologischen Reduktionismus ablehnt. Der Mensch soll als eine Entität gedacht werden, die weder nur durch biologisch-körperliche noch nur durch kognitiv-geistige Prozesse angetrieben wird, sondern innerhalb von Kräfteverhältnissen geschaffen wird. Subjekthaftigkeit wird nicht mehr an innere a-priori-Eigenschaften, wie menschliche Vernunft, gebunden. Ein Subjekt wird in ihrer Theorie figuriert als »embedded and embodied«, das immer im Werden, in Transformation und trotzdem beständig und (wieder)erkennbar ist. In nomadic thought, a radically immanent intensive body is an assemblage of forces, or flows, intensities and passions that solidify in space, and consolidate in time, within the singular configuration commonly known as an 'individual' self. This intensive and dynamic entity does not coincide with the enumeration of inner rationalist laws, nor is it merely the unfolding of genetic data and information. It is rather a portion of forces that is stable enough to sustain and to undergo constant, though nondestructive, fluxes of transformation (Braidotti, 2006, 201)
Die Kräfteverhältnisse (»forces, flows, intensities and passions«) verfestigen sich zu Subjekten und Individuen, im Sinne von unterscheidbaren Einzeleinheiten, die durch ihre vielseitige Dynamik und Verbundenheit nicht auf ihre DNA oder rationale kognitive Prozesse reduziert werden können. Ein Subjekt ist folglich korporeal, aber nicht völlig gefestigt, sondern unterliegt ständigen Transformationsprozessen und Metamorphosen. Ebenso wie bei Donna Haraway beschrieben, entsteht ein eingebettetes Subjekt, das körperlich real ist, aber nicht aus sich selbst entsteht, sondern mit den Prozessen der Umgebung untrennbar verbunden ist und mit diesen geformt ist. In dialektischen Konzepten sind verschiedene Bereiche klar unterscheidbar und stehen miteinander in Interaktion und Wechselwirkung. Bei dem Konzept der transversalen Verbundenheit sind Grenzen unscharf und Interkonnektionen zwischen Komponenten werden als Aktivitäten innerhalb eines Ganzen definiert (Braidotti, 2002, 167ff). Ein Innen und ein Außen ist nicht mehr definierbar. In dieser Verbundenheit eingebettet (»embedded«) wird das Subjekt ständig neu figuriert und verkörperlicht (»embodied«). Obwohl ein Subjekt als Komponente in diesem Prozess realisiert wird, ist eine Einheitlichkeit von diesem nicht gegeben, sondern es besteht immer aus einer Vielheit von Kräften. Korporeale Subjekte fließen so durch beständige Transformationen und bleiben trotzdem für eine Zeit lang erhalten und (wieder)erkennbar und trotzdem nicht gleich: sie sind noma-
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disch. Dieses Immerimwerdensein macht eine Bestimmung von Subjekten schwierig. Was allerdings beschrieben werden kann, sind die sich realisierenden Komponenten, die mit dem gemeinsam auftreten, das Subjekt genannt wird. Deutlicher wird dies bei dem Konzept der Uneinheitlichkeit (Braidotti, 2006a, 111). Subjekte werden in Braidottis Theorie definiert als artifiziell im Gegensatz zu einem Essentialismus, als multipel im Gegensatz zu einem dualistischen Subjekt, das in Körper und Geist (unter)teilbar ist und als transversal im Gegensatz zu dialektisch. Das deleuzianische Konzept des Rhizoms vereint diese Definitionen. Ein Subjekt ist transversal verbunden, das heißt, die Grenzen zwischen Komponenten sind unklar und schwer definierbar. Das Subjekt, das korporeal ist, unterliegt einer ständigen Dynamik, wie auch alle Komponenten, mit denen es verbunden ist. Diese Dynamiken führen zu Verfestigungen und Auflösungen zur gleichen Zeit. Das Subjekt selbst wird durch verschiedene Kräfte (»forces«) figuriert und transformiert und ist in sich ein Rhizom und auch rhizomatisch mit seiner Umwelt verbunden, also Teil eines »größeren« Rhizoms. Obige Konzepte tangieren klassische Kategorien der humanistischen Philosophie. Wenn Menschen transversal verbunden sind und es kein essentielles Fixum gibt, das sie bestimmt, sondern lediglich ihr Eingebettetsein und ihre Korporealität (»embedded and embodied«) definierbar ist, verschwimmen auch die Unterschiede zwischen Menschengruppen, zwischen Menschen und Tieren und Menschen und anderen Komponenten (Braidotti, 2006a, 76ff.). Ein Telos oder eine Kategorie, die den Menschen spezifisch auszeichnet, geht den Transformationen nicht voraus. Subjektivität und Vernunft sind nicht eine Essenz des Menschseins, sondern ein Effekt von Kräfteverhältnissen, in (und mit) denen Menschen eingebettet sind. Die Konfiguration des Subjekts als rhizomatisch und der damit einhergehende Verlust essentieller menschlicher Eigenschaften, geht aber nicht mit einem politischen Relativismus einher. Politischer Relativismus ist ein häufiger Vorwurf an Poststrukturalist*(inn)en von Seiten universalistisch orientierter Philosoph*(inn)en. Die Argumentationslinie verläuft so, dass mit der Aufgabe eines Begriffs einer universellen, dem Menschen inhärenten Vernunft universelle Menschenrechte nicht mehr durchsetzbar wären und ohne diese Politik gegen Minderheiten philosophisch legitimiert wäre (Nussbaum, 1999). Braidottis Kritik am humanistischen Subjektkonzept wäre wiederum, dass genau jene universellen Kategorien feste Grenzen zwischen den Einen und den Anderen miterschaffen und begünstigen. (Braidotti, 2006a, 15f). Eine essentialistische Philosophie, die eine Unterteilung in die Einen/Gleichen und die Anderen (»same and others«) vollzieht, kann politisch, in Hinblick auf Differenzen zwischen Menschen(gruppen), nicht das leisten, was ein Begriff von radikaler Vielfalt und Un-
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reinheit (»impurity«) bewerkstelligen kann (Braidotti, 2006a, 21 und 44f). Aus dieser Sicht wird auch die Kategorie des Gleichen (»Sameness«) dekonstruiert. Das weiße, vernunftbegabte, fortschrittliche (und männliche) Wesen ist eine Figuration derselben Kräfte, die auch das Andere erscheinen lassen und ebenso multipel. Nichtsdestotrotz existieren in den Gesellschaften Subjekte, die in expliziten und impliziten Hierarchien zueinander stehen. Es gilt hier, mit den Einbettungen dieser Subjekte und ihren Beziehungen zu arbeiten, um zu zeigen wie vielfältig und verflochten diese Hierarchisierungen sind. Eine Sortierung der Subjekte in Eine und Andere greife hier zu kurz. Hierarchien sind situationsspezifisch vielfältig und verfestigen sich über zahlreiche Wiederholungen. Gleichzeitig kann ein Subjekt in verschiedenen Situationen, in verschiedenen Positionen von Hierarchien stehen. Hinsichtlich meines Projekts bedeutet dies, der mikrosozialen Einbettung einzelner, als Individuen figurierter Subjekte nachzugehen und so die Praktiken und Komponenten, in denen sich mikrohierarchisierende Beziehungen zeigen, zu beschreiben. Becoming With: Donna Haraways Companion Species und Rosi Braidottis Metamorphose Donna Haraway beginnt ihr neuestes Buch (2008) mit der Figur des menschlichen Körpers, der nur zu 10 % aus Materie besteht, die menschliche DNA beinhaltet. Weitere Materie des menschlichen Körpers sind Mikroorganismen, wie Bakterien oder Pilze. Diese Organismen gemeinsam bilden die scheinbare Einheit eines menschlichen oder tierischen Körpers. Und diese Organismen oder auch die möglichen Einheiten sind wiederum in Kontakt oder verbunden mit anderen Organismen oder möglichen Einheiten organisch-technischer Form (Haraway, 2008, 9). Ein scheinbar Einzelnes ist für sie nur innerhalb dieses Netzwerkes denkbar. »I am who I become with companion species« (Haraway, 2008, 19) ist ihre Definition eines Selbst oder Subjekts. Mit dem Entwicklungsbiologen und Embryologen Scott Gilbert erzählt Donna Haraway ihre Geschichte der Verwobenheit von Einheiten (Haraway, 2008, 32). Scott Gilbert sieht den Embryo als besonders gutes Beispiel dafür, dass wir »nie Individuen gewesen sind«1. Seine Entwicklung ist sichtbar abhängig von
1
Donna Haraway zitiert Gilbert hier aus einer E-Mail-Konversation mit ihm. Die Darstellung der Konversation befindet sich im Kapitel »We have never been human« und beide Zitate sind ein Verweis auf Latours Buch (1993) »We have never been modern«.
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einem Uterus, von Zellen und Gasaustausch mit anderen Organismen. Nach der Geburt ist aber die Symbiose einzelner Wesen mit ihrer Umwelt nicht aufgehoben. Gilberts Ansatz des Ecological Developmentalism sieht einzelne oder abgrenzbare Organismen nur in Verbindung mit mehreren anderen Symbionten (an)organischen Aufbaus (Gilbert, 2010, 1996, 2009). Diese Thesen werden gegen den systemtheoretischen Begriff der Autopoiesis ins Feld geführt, in dem Organismen sich aus sich selbst heraus schaffen und differenzieren. Donna Haraway führt in diesem Zusammenhang den Begriff der Sympoiesis entgegen dem Begriff der Autopoiesis ein (Haraway, forthcoming). Entwicklung einzelner Organismen, im Falle dieses Buches Menschen, sind nur innerhalb ihres gemeinsamen Werdens (»becoming with«) mit anderen Organismen, TechnoOrganismen, Kräften oder Materialien denkbar. Was genau eine Einheit ausmacht und welche Elemente genau an der Entwicklung beteiligt sind, wird dabei unscharf, auch wenn sie für uns Individuen erkennbar bleiben. Diese Definition rückt in die Nähe und ist teilweise beeinflusst durch eine deleuzianisch feministische Philosophie. Das rhizomatische Subjekt besteht innerhalb einer rhizomatisch organisierten Welt, die eine Fülle von (an)organischen Elementen und Kräften beinhaltet, die feste Komponenten erzeugen (Braidotti, 2003). Wichtig ist diesen Ansätzen die Abgrenzung von romantischen Ganzheitsphilosophien. Symbiotische Entwicklung bedeutet nicht ein Zusammenspiel einzelner Teile, die zu einem Telos hinführen oder ein einheitliches, gutes Ganzes erzeugen, sondern bezeichnet lediglich ein gemeinsames Werden (Braidotti, 2003, 225). Verwobenheit und Veränderung, gemeinsame Transformation, sind aber als Konstanten ontologisch gesetzt (Braidotti, 2006; 2003, 264). Transformation von scheinbaren Einheiten ist definiert als Metamorphose. Diese Metamorphosen stehen nicht still durch ihre immerwährende Verbundenheit, die Transformation erzeugt. Ein Subjekt ist somit nicht, sondern es wird (»it is becoming«). Another name for this process of transformation is: 'becoming'. Becoming is the actualization of the immanent encounter between subjects, entities and forces which are apt mutually to affect and exchange parts of each other in a creative and non-invidious manner. (Braidotti, 2003, 68)
Werden (becoming) ist also immer ein Werden mit (becoming with). Aus der Interkonnektion von Kräften in Transformation bilden sich Einheiten, die nur deswegen Einheiten sind, weil sie mit anderen geworden sind, die wiederum auch nur deswegen einheitlich sind. Menschen als diese Einheiten können in diesem Werden als Subjekte beschreibbar werden. Diese Subjekte sind fest und flüssig
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zugleich, festhaltbar in lokalen Zusammenhängen und trotzdem immer neu, aber, das ist das Wichtigste, nie allein. Transformation und Aktivität, Interkonnektivität, Unbestimmtheit, Uneinheitlichkeit und Korporealität sind nicht nur in Braidottis, sondern auch in allen anderen hier angesprochenen Konzepten, ontologisch und bestimmend für das Soziale und die Beschaffenheit der Welt. Innerhalb der letzten Seiten habe ich versucht, durch verschiedene posthumanistischen Perspektiven hindurch diese Grundkategorien einer Theorie zu beschreiben, mit der eine (un)spezifische Welt und (un)spezifische Subjektformen bestimmt werden können. Komponenten, Einheiten oder Subjekte sind keine Individuen, sie sind Companion-Species in einem sich ausdifferenzierenden Welt-Körper. Becoming With als Konzept, das dies alles beinhaltet, ist die onto-epestem-ologische Grundlage aller dieser Praktiken. Partizipierende in Aktivität: Soziologie der sozialen Praktiken Mit und durch diese in den letzten Abschnitten vorgestellten Konzepten möchte ich die Soziologie der sozialen Praktiken beschreiben, die in einigen Punkten Gemeinsamkeiten mit den posthumanistischen Theorien aufweist, und im Anschluss Definitionen von Praktiken vorstellen, die für den weiteren Forschungsverlauf und die folgende Ethnographie anleitend waren. Die Soziologie der sozialen Praktiken sieht nicht Menschen, kognitive Abläufe oder Systeme als Grundlage einer Theorie des Sozialen, sondern Praktiken (Reckwitz, 2003, 2004; Hirschauer, 2004; Horning, 2004). Den Praktiken inhärent ist eine ständige Aktivität der beteiligten Elemente, sowie eine Formung der beteiligten Elemente. Mit Haraway, Braidotti und Barad habe ich erklärt, wie Komponenten, Einheiten und Phänomene sich ausdifferenzieren und als unabhängige Entitäten erscheinen. In unserem Alltag leben wir in einer solchen Welt, die ausdifferenziert ist und u. a. von Menschen, Tieren, Pflanzen, Häusern, Einrichtungsgegenständen, Texten, Diskursen, Denkmustern, Geräuschen, Düften und Artefakten bevölkert ist. Aus der Sicht Barads sind es Intra-Aktionen, bei Haraway Interaktionen zwischen Companions und bei Braidotti Kräfteverhältnisse in Transformation, die diese Komponenten formieren. Die Soziologie der sozialen Praktiken definiert als Grundlage der Formation von unterscheidbaren Einheiten »Aktivität«, die in »arrays of activity« (Schatzki, 2001b, 2) zusammenlaufen, die analytisch als Tätigkeiten und Praktiken kategorisiert werden können. Empirisch wahrnehmbar, und somit bereits in materiell-semiotischen Prozessen figuriert, sind die von Stefan Hirschauer (2004) als Partizipanden benannten Teile der Prakti-
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ken, die mit und durch ihre Aktivitäten wahrgenommen werden können. Ich nenne die Wahrnehmbaren figurierten Teile der Praktiken infolge Partizipierende. Humanistische Richtungen dieser Theorien sehen vor allem Zusammenhänge von menschlicher Aktivität im Vordergrund (Schatzki, 1996; Horning und Reuter, 2004), während posthumanistische Ansätze der Soziologie der sozialen Praktiken diese als Assemblages von Aktivität, die Einheiten aller Art (in)korporieren, beschreiben (Hirschauer, 1999; Knorr-Cetina, 2001; Lynch, 2001). Diese Einheiten sind wiederum nur in den Praktiken zu denken und nicht von diesen zu trennen. Ebenso wie in den Konzepten Barads, Haraways oder Braidottis präexistieren die Einheiten nicht die Praktik, sondern Praktiken sind Zusammenhänge (Assemblages) von Einheiten mit unscharfen Grenzen in Aktivität. Prozesse der (De-)Formierung der Einheiten passieren innerhalb der Praktiken. Subjekte werden nicht als Menschenkörper definiert, die, etwa im Laufe ihrer Sozialisierung, bestimmte kulturelle Handlungsformen erlernen oder annehmen, sondern Subjekte, die Menschenkörper haben können, werden in den Praktiken als Partizipierende mit den Mitpartizipierenden geschaffen. Dies versucht eine, vielen soziologischen Klassikern eingeschriebene, Trennung von Natur und Kultur zu überschreiten, als auch die, vor allem für die Mikrosoziologie wichtige, Trennung von Innen und Außen (Reckwitz, 2003, 287ff). Es werden nicht präexistente menschliche Körper angenommen, die mit sozialen Regeln bedruckt werden, die infolgedessen Erwartungen an ihre Mitmenschen haben können (Parsons, 1978) und es wird kein innerer Sinn oder kognitiver Vorgang definiert, der das Handeln der Körper im Außen leitet (Schuetz, 1973). Ebenso wird die Welt schlicht nicht von den in ihr lebenden Menschen gesteuert, sondern in den Praktiken koexistieren Partizipierende, die als Menschen geformt sind, mit anderen Komponenten (sehr eindrucksvoll dargestellt in Hirschauers (1999) Studie einer Fahrstuhlfahrt). Die Trennung zwischen Ontologie und Epistemologie, die Barad klar ablehnt, wird auch in der Soziologie der sozialen Praktiken unklar. Den Partizipierenden der Praktiken ist ein Können inhärent, das in der Aktivität formiert wird. Die Begriffspaare von Sein und Wissen und Körper und Geist werden in den Theorien der sozialen Praktiken in ein Können aufgelöst (Reckwitz, 2003; Hirschauer, 2004; Horning und Reuter, 2004). (Implizites) Wissen und Morphologie sind nicht separierbar, da Ersteres inkorporiert und nicht genau lokalisierbar (etwa in kognitiven Prozessen) ist und Materialität und Formen auch Formwissen beinhalten. Partizipierende, ob menschlich oder nicht menschlich, sind somit spezifischem Know-how ausgestattet, das ausgeführt wird. Durch die ständige
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Dynamik der Materialitäten bleibt das Können von Partizipierenden, als auch deren Formung, offen. Es sind weder die Partizipierenden noch die Praktiken klar abgrenzbar. In Abgrenzung zur Systemtheorie, die klar abgrenzbare Systeme definieren möchte, können aus der Sicht einer Soziologie der sozialen Praktiken zwar analytisch durch den oder die Sozialwissenschafter*in Praktiken definiert werden, diese werden allerdings durch ihre ständige Transformation unscharf und lokal bleiben. Praktiken, als Assemblages von Aktivität und Zusammenhänge von Praktiken können so nur als Ganzes betrachtet werden, auch wenn einzelne Partizipierende darin von Interesse sind.
D ER Ü BERGANG ZUR E LTERNSCHAFT ALS U NTERSUCHUNGSGEGENSTAND EINER POSTHUMANISTISCHEN F ORSCHUNG Die Kräfteverhältnisse, in denen Menschen eingebettet sind, sind aus posthumanistischer Sicht kontingent, aber nicht purer Zufall (Braidotti, 2007, 67). Subjekte werden historisch-situativ spezifisch figuriert und leben mit den (realisierten) Gegebenheiten ihres Ortes und ihrer Zeit. Gegenwärtige Gesellschaften sind globalisiert und hochtechnisiert und dies prägt Morphologien, Körper und Denkmöglichkeiten in spezifischer Weise, je nach Situation. Schwangerschaft und Elternschaft von Menschen ist in den Studien, die im Einführungsteil dieses Buches vorgestellt wurden, als primär sozialer Prozess dargestellt, dem zwar ein körperlicher Prozess vorangeht, der aber wenig Betrachtung finden muss. Betrachtet wurden vor allem mentale Einstellungs- und Veränderungsprozesse, ohne dass Körper und andere Komponenten einbezogen wurden. Eine posthumanistische Erforschung der Elternschaft bettet Partizipierende in gegenwärtige Herstellungsmechanismen von Körpern ein und beschreibt einerseits Menschen auch mit ihren Körpern und andererseits auch die Körper der Companions der Menschen. Eine posthumanistische Definition der Welt als ausdifferenzierter WeltKörper, der, in Praktiken organisiert, temporäre Komponenten hervorbringt, kann das Phänomen Schwangerschaft und Elternschaft nicht ohne die Einbettung der Phänomene bzw. die Innendifferenzierung der Phänomene betrachten. Das Phänomen entsteht und existiert in Verbindung mit einer Vielzahl von Partizipierenden, die Teil des Phänomens und Teil der Praktiken von Schwangerschaft und Elternschaft sind. Werdende Eltern sind zu spezifischen Orten und zu spezifischen Zeitpunkten Teil eines Welt-Körpers, der eine spezifische Anzahl von Aktivitäten ermöglicht. Die (Re-)Produktion von Schwangerschaft und Eltern-
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schaft selbst ist figuriert innerhalb spezifischer Aktivitäten, die sich zu Praktiken formieren. Innerhalb der Familien- und Lebenslaufforschung ist der Übergang zur Elternschaft als Transitionsphase bestimmt, der Subjekte voraussetzt, die zuvor als Kinderlose eine spezifische Position in der Gesellschaft einnehmen, und nach der Geburt des Kindes, als Eltern, ebenso wieder eine spezifische Position in der Gesellschaft einnehmen. Zwischen diesen Positionen gibt es einen Veränderungsprozess, die Transition (zur Elternschaft), die Übergangsrituale beinhaltet und zur Vorbereitung auf die neue Position dient. Aus posthumanistischer und neomaterialistischer Sicht werden als Männer und Frauen figurierte Partizipierende Teil eines andauernden Transformationsprozesses. Im Zusammenspiel der Partizipierenden bilden sich am Übergang zur Elternschaft die Figuren Vater und Mutter, mit je spezifischen Eigenschaften und Aufgaben. Sie sind Teil zahlreicher Praktiken, die sie gesellschaftlich, z. B. rechtlich, mit neuen Attributen bemessen. Aber in diesem Prozess läuft weit mehr als nur eine Transformation von Subjekten ab, da sie theoretisch und empirisch nicht von ihren transversalen Verbundenheiten abgekoppelt werden können. Sichtbar wird dies an den Körpern, die sich verändern, dem Apartment, das transformiert wird, die Beziehungen der werdenden Eltern zueinander, zu anderen Personen, und von anderen Personen untereinander. Die Eltern werden Teil von neuen Orten und sind Teil von Praktiken mit Artefakten, die bisher nicht verwendet wurden. In der Zeit des Elternwerdens, wie zu jedem anderen Zeitpunkt eines Lebenslaufes, sind die Eltern mit einer Vielzahl von Partizipierenden verbunden, mit denen gemeinsam sie als Mutter und Vater figuriert werden.
5 Becoming With als Forschungsprogramm
An dieser Stelle möchte ich wichtige Begriffe, die die folgenden Kapitel durchziehen, noch einmal kurz und präzise definieren. Aktivitäten als Ausdifferenzierungs- und Grenzziehungsprozesse schaffen Partizipierende, die materiell oder immateriell, organisch oder anorganisch, menschlich oder nichtmenschlich sein können, die sich gemeinsam beschreiben und analytisch in Assemblages, Tätigkeiten und Praktiken, zusammenfassen lassen. Den Begriff Assemblages (Zusammenhänge) werde ich synonym für Tätigkeiten (Zusammenhänge von Partizipierenden) oder Praktiken (Zusammenhänge von Tätigkeiten) verwenden. Praktiken sind wiederum analytische Kategorien, die typisierte Zusammenhänge von Tätigkeiten beschreiben werden. Eine Tätigkeit umfasst Partizipierende in Aktivität. Ich möchte dies noch einmal durch ein kurzes Beispiel erläutern: Ein Mensch nimmt ein Glas auf dem Tisch, führt es zum Mund und trinkt daraus. Es handelt sich hier um eine spezifische Tätigkeit, die analytisch als Trinken definiert wird. Infolge beobachten wir verschiedene Personen dabei, wie sie aus Flaschen, verschiedenen Gläsern und Gefäßen mit verschiedensten Bewegungen trinken. Wir haben unterschiedlichste Tätigkeiten, die wir alle als Trinken definiert haben, beobachtet. Daraus definiere ich im Anschluss die Praktik des Trinkens, die z. B. die Partizipierenden Trinkgefäß, Subjekt, Flüssigkeit und das Aufnehmen der Flüssigkeit mit dem Mund/Maul beinhaltet. Diese Definition der Praktik des Trinkens versucht, allen zuvor beobachteten Tätigkeiten des Trinkens gerecht zu werden.1 Einzelne Praktiken können wiederum zu Partizipierenden anderer Praktiken werden. So kann das menschliche Subjekt als Praktik definiert werden, weil das
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Die Idee einer Typisierung ist ein bewährtes Konzept der qualitativen Empirie. Prominent in der Methodengeschichte sind Max Webers Konzept des Idealtypus und Jason Pierces Konzept der Prototypensemantik.
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Subjekt in eine Anzahl von Partizipierenden unterteilt werden kann (Körper, Organe, Kleidung, Mode, Gedanken), die im Zusammenhang idealtypisch ein menschliches Subjekt beschreiben. Jedes der Partizipierenden des Subjektes könnte wieder als Praktik definiert werden, das in kleinere idealtypische Partizipierende zerfällt. Wichtig ist es, an dieser Stelle noch einmal zu erwähnen, dass es aus posthumanistischer Sicht keine präexistierenden kleinsten Teile gibt, aus denen sich die Partizipierenden letztendlich zusammensetzen, sondern die Definitionen sind verbunden mit Agential Cuts (Barad, 2007;), die Grenzziehungen vollziehen. Die Grenzziehungen passieren in den Aktivitäten und in dem Fall der Forschung durch meine Forschungstätigkeit. Der Vollzug dieser Cuts ist aber nicht nur differenzierend, sondern auch produktiv. Der Cut macht eine Unterscheidbarkeit und eine Beschreibung erst möglich. Becoming With als ethnographisches Forschungsprogramm hat spezifische Konsequenzen für die Ausführung der Datenerhebung und Datenanalyse einer qualitativen Studie. Fokus der Forschung ist nicht ein Individuum, das mit Sinnwelten (Froschauer, 2009), Ethnomethoden (Garfinkel, 1967) oder Konversationen (Sacks, 1992) verbunden wird, sondern eine Praktik (ein Phänomen), das unscharfe »embedded and embodied« Partizipierende beinhaltet. Tritt eine dieser Partizipierenden in den Fokus, kann diese nur mit ihren Begleitkomponenten beschrieben werden. Die Foki können Menschen, aber auch alle identifizierbaren Partizipierenden sein. Werden, wie in der soziologischen Forschung häufig, Menschen zum Untersuchungsgegenstand der Forschung, so müssen die PartnerPartizipierenden, die Companions, die Organismen, Artefakte oder Gedanken sein können, mitdiskutiert werden. Alles, was als nicht-menschlich identifiziert wird, ist dabei für die Figuration eines Subjekts ebenso von Bedeutung wie die Beziehungen zwischen Einzelnen als Menschen. Posthumanistische Forschung verlangt in den Tätigkeiten des Analysierens eine Reflexivität der Grenzziehungsprozesse, die in den forscherischen Aktivitäten vollzogen werden. Folgend inkludiert Becoming With als Forschungsprogramm zwei wichtige Praktiken: a) Eine Reflexion der Forscher*innen als Teil des Phänomens und darauffolgend ein Mapping der Kontexte der Forscher*innen (siehe Vorwort). Forscher*innen können aus einem posthumanistischen Paradigma heraus nicht als abgetrennt vom Forschungsfeld definiert werden, sondern als Teil von Prozessen einer Agential Separability (Barad, 2007), die Beschreibungsbeziehungen möglich machen. Sozialwissenschaftliche Methoden, theoretische Ausrichtungen und auch Partizipierende aus dem Umfeld der Sozialwissenschafter*innen können Apparate werden, die spezifische Cuts setzen. Eine Forschungsleistung wird so vom gesamten Zusammenhang von Partizipierenden (inklusive den Informant*(inn)en und Daten) vollzogen und ist aus
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dieser Sicht nicht die alleinige Leistung einer Forscher*in oder eines Teams, sondern ein temporäres Ergebnis aus dem Zusammenspiel von Partizipierenden. Becoming With gilt auch für eine Forschung oder ein Buch. b) Sollten diese Prozesse in der Analysearbeit mitbedacht werden und die Position der Forscher*in im Assemblage und die Setzung von Cuts reflektiert werden. Reflexivität der Ergebnisse und der Herstellungskontexte der Ergebnisse hat innerhalb der qualitativen Forschung ebenso eine Tradition, vor allem fokussiert auf den Einfluss persönlicher Werte und biographischer Events auf die Konstruktion von Ergebnissen (Froschauer, 2009; Denzin, 1995; Winter, 2009). Eine Selbstbeobachtung der Forschungstätigkeiten ist Teil des Programms. Das posthumanistische Programm favorisiert keine spezifischen Erhebungsund Auswertungsmethoden, sondern kann bei entsprechender Reflexion der Herstellungskontexte alle Erhebungs- und Auswertungsformen integrieren. Der Fokus auf Partizipierende in Verbindung mit Co-Partizipierenden und Praktiken legt aber Verfahren nahe, bei denen viele Partizipierende in den Blick kommen und Tätigkeiten nachvollzogen werden können. Innerhalb der empirischen Sozialforschung sind es die qualitativen Methoden der Beobachtung und der Autoethnographie (Selbstbeobachtung), die prädestiniert für diese Aufgaben sind. Rekonstruierende Verfahren, die Partizipierende indirekt erheben, können aber ebenso angewandt werden. Ideal ist eine Kombination mehrerer Erhebungsmethoden, deren Möglichkeiten einander ergänzen.
Empirie
6 Empirische Forschungsfragen, Erhebungsmethoden, Auswertungsmethoden und Sampling
Ein posthumanistisches/neomaterialistisches Forschungsprogramm verlangt, den Blick auf die Praktiken/Assemblages und die darin figurierten Partizipierenden zu lenken. Daraus ergeben sich in Verbindung mit meinem Forschungsinteresse vier Hauptfragen, die Erhebung und Analyse anleiten: Teil welcher Praktiken sind Frauen und Männer am Übergang zur Elternschaft? Welche Partizipierenden sind innerhalb dieser Praktiken figuriert und was sind ihre Tätigkeiten? Wie werden spezifische Partizipierende innerhalb dieser Praktiken, die Frauen und Männer, als Mütter und Väter figuriert? Wie werden diese Partizipierenden manifestiert und transformiert? Um diese Fragestellungen zu beantworten, mussten empirisch die Praktiken und deren Partizipierende ethnographisch ermittelt werden. Dabei ergab sich ein wesentliches Problem: Der Prozess des Übergangs zur Elternschaft ist ein größtenteils privater Prozess, der der Beobachtung kaum zugänglich ist. Praktiken konnten in diesem Fall nicht direkt beobachtet werden, sondern mussten rekonstruiert werden. Zur Rekonstruktion der Praktiken und Partizipierenden habe ich drei Erhebungsmethoden angewandt: Qualitative Interviews mit Paaren, die Sammlung von Dokumenten und Artefakten und die Wiederholung von Tätigkeiten. Die Interviews waren Ausgangspunkt und Herzstück der Forschung, die um Dokumente und (Selbst-)Beobachtungsprotokolle ergänzt wurden. Erhebungs- und Auswertungsmethoden seien hier im Folgenden genauer vorgestellt.
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E RHEBUNG Am Beginn der Erhebungsphase standen, wie in der soziologischen empirischen Forschung üblich, Probephasen in denen einerseits die angedachte Erhebungsmethode getestet wird und andererseits explorativ Material gesammelt wird, die den Fokus der Forschung noch einmal schärfen oder auch erweitern können. Ich habe mich zur Testung für Interviews mit schwangeren Paaren entschieden, die dem Prinzip der problemzentrierten Interviews nach Witzel (2000) folgen sollten. Die Partner wurden getrennt voneinander interviewt. Bei einem von drei Interviews stand nur die werdende Mutter zur Verfügung. Die Probeinterviews wurden mit bekannten oder befreundeten Paaren durchgeführt. Die Informant*(inn)en waren darüber im Bilde, dass es sich um eine Probephase in der Erhebung handelt. In diesen ersten Interviews, die ich thematisch, trotz des Leitfadens, so offen wie möglich hielt, aber auf die Zeit (kurz) vor, während und kurz nach der Schwangerschaft konzentriert waren, bemerkte ich, dass die angesprochenen Themen sich stark ähneln und an manchen Stellen sogar ähnliche Wortfolgen verwendet wurden. Ich versuchte immer wieder, erzählgenerierende Fragen zu stellen, die nicht zu spezifischen Themen hinführten, indem ich nach Zeiträumen oder Zeitmarkern fragte, die angesprochen wurden, etwa »Kommen wir zurück zum zweiten Trimester, kannst du dich noch erinnern, wie dieses abgelaufen ist/wie dies begonnen hat/wie dies weitergegangen ist?« oder »Nach Ereignis X, wie sind die weiteren Wochen/Tage verlaufen?«. Eine oberflächliche Themenanalyse der ersten Probeinterviews ergab eine überraschend hohe Übereinstimmung von Sets von Tätigkeiten, die angesprochen wurden. Auch schienen bestimmte Webseiten und Foren wichtige Informations- und Austauschquellen für Eltern zu sein. Ein Überblick über diese Seiten und Forenthreads des letzten Jahres (2007 - 2008) ergab, dass ebenfalls dort zum Großteil bestimmtes Set von Themen immer wieder angesprochen wurde. Ergebnis dieser Probephase war eine Schärfung meines Leitfadens. Die angesprochenen Themen gingen in den Leitfaden ein und wurden manchmal am Ende der weiteren Interviews abgefragt, wenn diese nicht angesprochen wurden. Infolge wurden Interviews mit zehn Paaren durchgeführt, wobei Frauen und Männer getrennt voneinander Interviewt wurden. Sample und Rekrutierung der Teilnehmer*innen Der Ort der Erhebung war die Stadt Wien. Alle Informant*(inn)en der Studie lebten seit mindestens zwei Jahren in Wien. Die Informantinnen dreier Paare wa-
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ren auch in Wien geboren. Weitere vier Frauen wurden in anderen Bundesländern in Österreich geboren, zwei in anderen EU-Ländern und eine außerhalb der EU. Drei Männer wurden in anderen Bundesländern Österreichs geboren, drei Männer in anderen EU-Ländern und ein Mann in einem Nicht-EU-Staat. Wie in vielen qualitativen Studien waren Akademiker*innen überrepräsentiert. Bei fünf Paaren hatten beide Informant*(inn)en einen Hochschulabschluss einer Universität oder Fachhochschule oder waren gerade dabei, diese Ausbildung abzuschließen. Bei zwei Paaren hatten beide einen Maturaabschluss oder eine damit zu vergleichende Ausbildung. Bei einem Paar hatten beide eine Lehre abgeschlossen. Die Mutter eines Paares hatte eine Matura, ihr Partner einen Lehrabschluss. Die Mutter eines anderen Paares hatte die Pflichtschule abgeschlossen und ihr Partner hatte eine abgeschlossene Lehre. Vier Paare in meiner Studie waren bereits Eltern. Drei Paare waren im 3. Trimester schwanger und drei weitere Paare waren im 2. Trimester schwanger. Vier Paare dieser Stichprobe behaupteten »ungeplant« schwanger geworden zu sein.1 Die Rekrutierung der Teilnehmer*innen erfolgte erst über meinen Kolleginnen-, Freundes- und Bekanntenkreis. Die Anforderungen waren, dass das Paar schwanger sein oder vor höchstens einem Jahr ein Kind geboren haben müsse und dass beide Partner ein Interview geben müssen. Kolleg*(inn)en und Bekannte kamen auf mich zu, mit der Information, dass sie ein Paar, das gerade schwanger ist, kennen. Hier kam ich an mir unbekannte Paare, die ich durch eine mir bekannte Verbindungsperson vermittelt bekam. Andere verschickten eine EMail, die ich verfasst hatte, weiter. Nach einigen Wochen meldeten sich einige Paare bei mir. Die Kontaktpersonen waren mir hier nicht mehr bekannt. Die EMail muss durch mehrere Freundes- und Kollegenkreise geflossen sein, bevor sie bei diesen Paaren ankam. Diese beiden Rekrutierungsversuche enthielten einen Bildungsbias. Fast alle Paare, die interviewt werden wollten, hatten einen Matura- oder Hochschulabschluss. Um Paare anderer Bildungsmilieus zu erreichen, verfasste ich einen Aushang, den ich in den Mutter-Kind-Zentren der Stadt Wien platzierte. Niemand meldete sich vorerst auf diesen Aushang. Ich versuchte es dann noch einmal mit demselben Aushang und bot pro Paar 40 Euro Entschädigung für ihre Zeit an. In den folgenden Wochen erhielt ich vier Anfragen, aus denen sich auch zwei Interviews mit Paaren ergaben.
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Eltern definierten »ungeplant« aber sehr unterschiedlich (siehe Kap. 8) und zwei der von den Eltern als unintendiert bezeichneten Schwangerschaften sind aus meiner Sicht nicht ungeplant. Kapitel 9 wird mehr Aufschluss über diese Wahrnehmungsunterschiede geben.
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Geographische Herkunft, Bildung und Elternstatus der Paare (Frau/Mann) Paar A: EU - EU (Matura), 3. Trimester Paar B: Wien - Wien (Universität), Eltern Paar C: Wien - Wien (Matura), 2. Trimester Paar D: Bundesland - Bundesland (Universität), 2. Trimester Paar E: Bundesland - Bundesland (Universität), 2. Trimester Paar F: Wien - Wien (Universität), 3. Trimester Paar G: Bundesland - Bundesland (Universität), Eltern Paar H: EU - Nicht-EU (Pflichtschule, Lehre), Eltern Paar I: Nicht-EU - EU (Lehre), Eltern Paar J: Bundesland - EU (Matura, Lehre), 3. Trimester
Ablauf der Interviews Nachdem ein Interviewtermin vereinbart wurde, erschien ich am vereinbarten Ort, informierte die werdenden Eltern noch einmal über die Anonymität des Interviews und über die Verwendung ihrer Daten und bereitete mein Tonband für die Aufnahme vor. Zwei Paare wollten am Institut für Soziologie interviewt werden. Zu allen anderen Paaren kam ich nachhause in ihre Wohnungen. Die beiden Partner wurden hintereinander interviewt. Manchmal wartete ein(e) Partner*in in einem anderen Raum der Wohnung. Einige Paare hatten den Termin so getimed, dass das erste Interview durchgeführt wurde, während der/die Partner*in noch in der Arbeit war und dieser kurz nach Ende des Interviews nachhause kam. Interviews bei den Paaren zuhause gaben mir die Möglichkeit, Gegenstände, die die Eltern besaßen, selbst zu sehen und die Wohnungsgröße abzuschätzen. Auch konnte ich Wege in der Wohnung besser nachvollziehen. Bei meinen allerersten Probeinterviews mit werdenden Eltern aus meinem näheren Bekanntenkreis (Interviews, die nicht in den Datenpool eingegangen sind aber ähnliche Themenstrukturierung aufwiesen) führten mich die werdenden Eltern immer unaufgefordert in ihren Wohnungen herum und zeigten mir die Veränderungen, die geplant waren oder bereits passiert waren. Die Informant*(inn)en, die Teil meiner Studie wurden, die ich nie persönlich kannte, taten dies nicht und wirkten reflektiert in Hinsicht darauf, welche Bereiche der Wohnung mir sichtbar waren und welche nicht. Sie hatten auch immer schon einen
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Platz ausgesucht, der ihnen für das Interview gut passte (am häufigsten der Esstisch oder das Wohnzimmersofa). Die Einstiegsfrage aller Interviews war »Lassen Sie sich etwas Zeit und versuchen Sie sich zurückzuerinnern an den Zeitpunkt, an dem Sie zum ersten Mal vermutet haben, Sie (Ihre Partnerin) könnte(n) schwanger sein. Was haben Sie in diesem Moment und an diesem Tag gemacht? Was haben Sie weiterhin getan?« Auf diese Frage kam in einigen Fällen tatsächlich eine konkrete Antwort auf die Frage und in den meisten Fällen eine Erzählung der Vorgeschichte des Paares. Es wurde häufig dargestellt, wie sie überhaupt in die Situation kommen konnten, dass sie sich diese Frage stellten. Generell versuchte ich, trotz Leitfaden, die Gespräche offenzuhalten, was von Mal zu Mal besser oder schlechter gelungen ist. Einige Informantinnen redeten auf Anstöße oder Fragen fast 20 Minuten ohne Stopp durch und ich musste kaum Ansporne für Erzählungen liefern außer »und was ist in der folgenden Zeit passiert« oder »und was haben Sie in dieser Situation getan«. Andere wiederum redeten nicht gerne und viel und der Leitfaden war eine wichtige Stütze, da Themen stärker von mir angesprochen werden mussten und erst dann Erzählungen dazu auftauchten und sie von diesen Themen aus Verknüpfungen zu anderen Themen vorbereiteten. Ich hab dann versucht, Aspekte, die angesprochen wurden, zu wiederholen und forderte die Informant*(inn)en auf, diese zu vertiefen oder Verknüpfungen zu anderen Bereichen darzustellen. Ich habe nie alle Themen des Leitfadens bei allen Informant*(inn)en abgefragt. Manchmal wurden noch nicht erläuterte Themen noch am Ende kurz angesprochen. Ich habe Interviews mit der Frage beendet, was der/die Informant*in generell zum Thema Schwangerschaft und Übergang zur Elternschaft noch einfalle, das sie noch nicht erzählt habe. Einige Themen tauchten dann meist noch an diesem Punkt auf. Die Interviews mit den Frauen haben zwischen 90 und 130 Minuten gedauert. Die Interviews mit den Männern zwischen 70 und 100 Minuten. Sich genau zu erinnern und detailliert zu erzählen war sehr anstrengend für die Informant*(inn)en und nach einer Stunde machten sich bei vielen Ermüdungserscheinungen bemerkbar. Einige Interviews mit Schwangeren mussten durch Toilettengänge unterbrochen werden. Den Informant*(inn)en wurde am Beginn des Interviews auch immer mitgeteilt, dass sie das Interview immer unterbrechen konnten, falls dies notwendig werden würde. Bei drei Interviews mit Müttern war das Baby beim Interview mit anwesend, was sich auch durch Laute am Band bemerkbar macht. Die Mütter waren dann gelegentlich durch das Einwirken der drei bis 12 Monate alten Babys abgelenkt. Grundsätzlich verliefen diese Interviews aber sehr gut und ich war überrascht, wie wenig die Babys vom Interview
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ablenkten. In einem Fall kam während des Interviews der Partner kurz hinzu und nahm das Baby mit in einem anderen Raum. Zusätzliche Daten In den Interviews wurden Informationsquellen, Artefakte, Personen und Tätigkeiten genannt, mit denen die werdenden Eltern in Kontakt kamen. Ein wichtiger Teil der Studie war, diese Partizipierenden zu verfolgen und ebenfalls zu untersuchen. Dies führte zu Interviews mit zwei Hebammen und zwei Gynäkologinnen und der Erhebung von einer Reihe von Dokumenten, mit denen die Eltern in Berührung kamen. Dazu gehörten Internetforen, Überblicksportale zu Schwangerschaft, Bücher und spezifische Gegenstände. Einige Tätigkeiten, die von den Eltern ausgeführt wurden, wurden von mir wiederholt. Ich besuchte Infoabende und nahm an einer Führung durch einen Kreißsaal teil. Ich machte Babyshopping und ließ mich zu Kinderwagen oder Kindermöbeln beraten, nahm an Schwangerschaftsyogaklassen teil und machte Schwangerschaftstests. Die Dokumente und Beobachtungsprotokolle gingen in den Datenpool mit ein und wurden gemeinsam mit den Interviews ausgewertet. Eine genaue Beschreibung der Daten findet sich im Kapitel »Informationsbeschaffung« (7).
Kurzüberblick über den Datenpool • • • • • • •
20 (25) Interviews mit 10 (13) Paaren (10 (13 Frauen, 10 (12) Männer) 4 Interviews medizinischem Personal (mit 2 Hebammen und 2 Gynäkologinnen) Forenbeitrage (selektiv, wenn von den Eltern angesprochen) 2 Überblicksportale zu Schwangerschaft Webseiten von Produktherstellern und medizinischem Personal 5 Bücher Beobachtungsprotokolle (Krankenhaus, Infoabende, Yoga-Kurs, Produkteshopping, Schwangerschaftstestungen und Kinderwageneinkauf)
(genaue Beschreibungen der Dokumente und Daten im Kap. 7)
Die Interviews blieben bezüglich der meisten Themen die zentrale Datenquelle. Die Interviews mit dem medizinischen Personal und die Dokumente wurden nur teilweise ausgewertet. Es wurden jene Teile der Dokumente und Interviews her-
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an gezogen, die mit den Interviews der Eltern in Verbindung gebracht wurden. Wenn etwa Eltern über ein bestimmtes Buch sprachen oder sogar bestimmte Stellen daraus ansprachen oder über die Verwendung dessen sprachen, ging der Text des Buches in den Datenpool ein. Das Buch wurde aber nicht vollständig ausgewertet. Auswertung Der erste Schritt meiner Auswertungstätigkeiten war, die Interviews in Themenbereiche einzuteilen. In den Interviews besprochene Abläufe wurden zu Themen zusammengefasst, die entweder von den Informant*(inn)en direkt benannt wurden oder von mir mit zusammenfassenden Themennamen wie »Announcement der Schwangerschaft«, »Einkaufen« oder »Beziehung zum Partner« benannt wurden. Mit der Zeit ergab sich ein Set von wiederkehrenden Themen in den Interviews. Bei einigen Hauptthemen trat sehr schnell eine Sättigung ein, während sich auch Themen zeigten, die nur vereinzelt angesprochen wurden (z. .B. spezifische Schwangerschaftsbeschwerden oder Risiken in der Schwangerschaft). Die verschiedenen Bereiche wurden in den Transkripten als auch auf den Tonbändern markiert. Atlas.ti half, die verschiedenen Themenbereiche zu speichern und zu verwal2 ten. Besonders hilfreich war in meinem Fall, dass auch Tonbänder geschnitten und in Themenbereiche eingeteilt werden konnten. Es war möglich, bestimmten Abschnitten des Tonbandes z. B. den Themen »Announcement« oder »Beziehungen zum Partner« zuzuordnen. In der Auswertung der Daten konnte dann sehr gezielt auf Interviewstellen zurückgegriffen werden, ohne dass das komplette Tonband wieder abgehört werden musste. Ich konnte sofort die Interviewstelle aufrufen, die sich z. B. um die Verkündung der Schwangerschaft dreht, so wie ich auch, durch die Vergabe der gleichen Themen in den Transkripten, die Transkriptstellen mit der Themensuche wiederfinden konnte. Beim Lesen und Auswerten der Transkripte war das gleichzeitige Abhören der Tonbänder sehr wichtig für mich.
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Atlas.ti ist ein Daten- und Codeverwaltungsprogramm, welches qualitative und quantitative Text-, Ton- und Bildanalyse unterstützen soll. In meinem Projekt war das Programm äußerst hilfreich, da dort zentral Interviewtranskripte, Dokumentenscans, Bilder und Tonbänder gespeichert und verwaltet werden konnten. Daten zu einem Themenbereich konnten gruppiert und schnell aufgerufen werden.
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Innerhalb der Themenanalyse wurden Listen von angesprochenen Themen in den einzelnen Interviews erstellt. In einem zweiten Schritt wurden die Themen gruppiert und zu Analysegebieten zusammengefasst. Etwa wurden alle Themen gruppiert, die mit der Vorbereitung der Schwangerschaft verbunden waren. Später entstand daraus das Kapitel »Basteln«, siehe Kap. 8. Die angesprochenen Themen waren »Familienplanung« oder »Fertilität« oder konkrete Techniken, die eine Schwangerschaft schaffen sollten. Die Forendaten, Texte oder Gegenstände, die Eltern in diesen Textpassagen erwähnten, wurden nun ebenfalls zu dem Analysegebiet hinzugefügt. Ab diesem Zeitpunkt wurden die Daten im Kontext dieser Themengruppen analysiert und nur bei speziellen Tätigkeiten wurden die Einzelfälle (Paare) als Kontexte herangezogen. Es folgte ein offener, aber theoriegeleiteter Codierprozess der Interviewdaten und der anderen Dokumente. Die Partizipierenden und Tätigkeiten wurden identifiziert und als Codes im Verwaltungsprogramm abgespeichert. Die Analyse war interview- und paarübergreifend. Der Fall war je die spezifische Themengruppierung, wie etwa die Vorbereitung der Schwangerschaft oder die Verkündung der Schwangerschaft, nicht aber das einzelne Interview, oder das einzelne Paar. Für jeden Themenbereich wurde eine Liste von Partizipierenden und Tätigkeiten generiert. Die Partizipierenden und Tätigkeiten wurden zu Praktiken rekonstruiert (siehe auch Kap. 5), die zuerst in Memos und dann zu ethnographischen Erzählungen wurden, die dann zu den diesem Methodenteil folgenden Kapiteln wurden. Neben den erstellten Listen von Tätigkeiten, griff ich auch während des Schreibprozesses der ethnographischen Texte immer wieder auf Interviewtexte, Tonbänder und Dokumente zurück, wenn weitere oder genauere Informationen notwendig waren.
Werdende Eltern werden
Zu werdenden Eltern werden
Der Prozess, bis sich Eltern überzeugt »werdende Eltern« nennen konnten, war lang und dauerte bis zum Ende des ersten Trimesters oder in einigen Fällen bis zum Ende der ersten Hälfte der Schwangerschaft. Diese Zeit konnte geprägt sein von Unsicherheit, ob die Schwangerschaft überhaupt bis zum Ende ausgetragen werden kann. Gleichzeitig ist ein antizipiertes Kind aber schon vor der Schwangerschaft Partizipierendes der Praktiken der Eltern und ist auch in der ersten Hälfte der Schwangerschaft ständiger Begleiter. Der erste Teil der Ethnographie über den Übergang zur Elternschaft sei dem Prozess gewidmet, der bis zu dem Zeitpunkt reicht, zu dem sich werdende Eltern offiziell und öffentlich werdende Eltern nennen. Die folgenden Ethnographien der zentralen Praktiken am Übergang zur Elternschaft sollen die Praktiken, deren Partizipierenden und ihre gemeinsamen Ausführungen vorstellen. Der Übergang zur Elternschaft ist ein Zusammenhang aller dieser in den nächsten beiden Teilen »werdende Eltern werden« und »Eltern werden« vorgestellten Praktiken. Auch wenn hier, durch die sozialwissenschaftlich analytische Vorgehensweise, die Praktiken zwangsweise getrennt dargestellt sind, bilden sie einen gemeinsamen Zusammenhang, in dem sie nicht voneinander trennbar sind. Die Benennung der Praktiken, mit der eine analytische Trennung einhergehen kann, fußt in meinen Praktiken als Ethnographin und in der wissenschaftlichen Vorgangsweise, Vorgänge abzutrennen und zu benennen. Dies macht Vorgänge beschreibbar und konstituiert gleichzeitig materiellsemiotische Grenzen, die ein Phänomen mitformieren. Der Leser sei dazu aufgefordert, dies in der Durchsicht dieser Ethnographien mitzudenken.
7 Wissen erlangen Informationspraktiken rund um die Schwangerschaft – Beschreibung des zusätzlichen Datenmaterials
Wannabe-Eltern - das sind Menschen mit Kinderwunsch, die konkret planen, Mutter oder Vater zu werden - haben, wenn sie mit der Familienplanung beginnen, bereits Wissen über Schwangerschaft und Elternsein. Wannabe-Eltern sind aufgeklärt über die Praktiken, in denen Kinder hergestellt werden1 und sie haben mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in ihrem engeren oder weiteren Lebensumfeld Schwangere, Kinder und Eltern, die mit diesen umgehen, wahrgenommen. Aus persönlicher Erfahrung und Erzählungen von Personen und in Medien haben die Wannabe-Eltern und werdenden Eltern mentale Konzepte (Vorstellungen, Bilder, Deutungsmuster oder Denkstrukturen) entwickelt, wie Eltern und werdende Eltern sind oder sein sollen. In Gesprächen mit Partner*innen, Freund*(inn)en und Verwandten haben sie möglicherweise gemeinsam Konzepte entwickelt, wie Elternsein funktionieren kann oder wie sie sich Elternsein wünschen. Der Zeitpunkt, an dem die Praktiken des Übergangs zur Elternschaft beginnen, ist variabel. Auch die Praktiken, mit denen der Übergang zur Elternschaft begonnen wird, sind variabel. Zu den Praktiken des Übergangs zur Elternschaft können die Phantasien über die Familienplanung, die Einzelpersonen oder Paare gemeinsam haben, Konzepte in der Gesellschaft darüber, wann und wie Menschen Kinder bekommen sollen, oder Tätigkeiten, die Einzelne oder Menschen gemeinsam für zukünftige Kinder tun, gezählt werden. In dieser Studie wird der Beginn des Übergangs zur Elternschaft durch spezifische Praktiken definiert: Wenn Paare mit den Herstellungspraktiken beginnen (siehe Kap. 8) oder wenn Paare, falls die
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Sexualerziehung für Grundschüler ist im Lehrplan der Volksschulen in Österreich seit den 1970ern verankert. (Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur; Erlass von 1994)
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Herstellungspraktiken nicht mit mentalen Konzepten zur Familienplanung verbunden waren, ihre Schwangerschaft bewusst vermuten oder entdecken (siehe Kap. 9). In den Erzählungen einiger Eltern begann die Vorbereitung der Schwangerschaft mit Recherche- und Informierungstätigkeiten über Schwangerschaft und Elternschaft.2 Karin Knorr-Cetina (1981, 2008) und andere Sozialwissenschafter*innen (Bell, 1975; Stehr, 1994; Foucault, 1973, 1979) vertreten die These, dass gegenwärtige Gesellschaften Wissensgesellschaften sind, da Menschen Teil von Assemblages sind, in denen bestimmte Formen des Wissens hohen Wert haben und Menschen Zugang zu großen Mengen an unterschiedlichem Wissen gegeben ist (einen guten Überblick über die Diskussion bieten Engelhardt und Kajetzke, 2010). Mit dem (Über-)Angebot an Wissen kommen Zwänge für die Subjekte, an Informationstätigkeiten teilzuhaben und Wissen aufzunehmen und auf Grundlage dessen Entscheidungen zu treffen. Im Lebenslauf müssen wir erlernen, dieses Wissen zu finden und zu ordnen. Informationsprozesse, wie sie die werdenden Eltern schon in vielen anderen Bereichen ihres Lebens angewandt und erlernt haben, sind ein wichtiger Teil des Schwangerschaftsprozesses und der Elternschaft und sie sind ein essentieller Teil der verschiedenen Praktiken, die im Zuge des Elternwerdens durchschritten werden. In diesem Kapitel zeige ich, mit welchen spezifischen Medien die Informationssuche stattfindet und welche Informationsquellen beim Thema Schwangerschaft und Elternschaft hauptsächlich herangezogen werden. Die Eltern sind vor, während und nach der Schwangerschaft immer wieder Teil von Informationspraktiken, in denen sie Wissen über Schwangerschaft und Elternschaft erlangen. In den Gesprächen unterschieden die Eltern zwischen den verschiedenen Medien und Tätigkeiten, mit und in denen sie nach Informationen suchen: 1) das Internet, wo nach Personen, Institutionen, Erfahrungsberichten und medizinischen Berichten gesucht werden kann, 2) Bücher, in speziellen Sachbüchern und Ratgebern, 3) Besichtigungen, in Geschäften oder speziell dafür geschaffenen Info-
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»Die Vorbereitung auf die Schwangerschaft hat für mich schon viel viel früher irgendwie angefangen [...] das hat eigentlich schon vor einem Jahr so ca. angefangen, also im Frühling würd’ ich sagen, wo wir uns halt schon konkreter mit dem Gedanken beschäftigt haben, also das Thema ist ja schon länger im Raum gestanden [...] ja und da hab’ ich dann Erziehungsbücher gekauft, weil das was war, was mich total verunsichert hat [...] und hab’ ich eben Verschiedenes gelesen und das hat mir mehr Sicherheit gegeben. [...] Dann hab’ relativ bald begonnen, Folsäure einzunehmen [...] ich hab’ mich da schon vorher informiert, was man da eigentlich alles machen sollte, damit das dann gut passt.« (Fau E)
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abenden/-tagen und 4) Menschen, einerseits Fachleuten wie Gynäkolog*(inn)en und Hebammen und andererseits Freund*(inn)en, Kolleg*(inn)en, Bekannte und Verwandte. Die vier Bereiche sind gleichzeitig jene Ressourcen, aus denen ich zusätzlich Daten zusammengetragen habe. Das folgende Kapitel stellt somit nicht nur die Komponenten der Informationspraktiken der Eltern dar, sondern auch jene Bereiche, in denen ich, in Folge der Gespräche mit den Eltern, zusätzlich Daten erhoben habe. Diese zusätzlichen Daten sind Webseiten, Forendiskussionen, Bücher, Beobachtungen in Geschäften und an Infoabenden.
L ESEN I: I NFORMATIONSSUCHE
IM I NTERNET
Alle Eltern in meiner Studie haben zur Informationssuche das Internet benutzt, um Wissen über Schwangerwerden und Schwangersein generell, und über Ärzte und Ärztinnen, Hebammen oder Krankenhäuser zu sammeln, um Erfahrungsberichte zu lesen, oder um medizinisches Wissen zu bekommen. Gesurft wird zuhause oder am Arbeitsplatz.3 Alle Eltern meiner Studie verfügten über einen Internetanschluss in ihrer Wohnung. Informationen im Internet waren für sie zentralisiert und schnell zugänglich, ohne dass sie das Haus verlassen mussten. Der erste Weg bei einer Frage führte Eltern somit häufig an den Computer und zu einer Recherche in der Suchmaschine. Auf Basis der Gespräche mit (werdenden) Müttern und Vätern lassen sich vier Seitentypen zusammenfassen, die von den Eltern zum Thema Schwangerschaft und Elternschaft genutzt werden: a) Überblicksseiten zum Thema Schwangerschaft und Elternschaft, b) Elternforen, c) medizinische Literatur oder Ratgeberseiten und d) Internetauftritte von Firmen, Institutionen und Einzelpersonen. Die Komponenten und damit verbundenen Aktivitäten werde ich im Folgenden genauer vorstellen.
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In Wien hatten 2010 bereits 74 % der Haushalte einen Internetzugang und 96 % der 16- bis 24-Jährigen und 93 % der 24- bis 34-jährigen Personen, die in Österreich leben, sind Internetnutzer (Statistik Austria, 2010).
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a) »Alles über Schwangerschaft und Elternwerden« 4 - Überblicksseiten Gibt mensch das Wort »Schwangerschaft« in die bekannteste Suchmaschine ein, werden 5,8 Millionen Ergebnisse geliefert. Auf der ersten Seite tauchen mehrere Übersichtsseiten auf, die über eine Schwangerschaft, das Kleinkind und den Übergang zur Elternschaft informieren. Wird eine dieser Seiten angeklickt, zeigt sich eine Startseite, die zentral eine Reihe von Themen zur Schwangerschaft anzeigt. Themen der Überblicksseiten sind der Kinderwunsch, die Entwicklung der Schwangerschaft, Geburt, Ernährung, Körperpflege, Regeln während der Schwangerschaft, ärztliche Betreuung und rechtliche Informationen. Texte auf den Webseiten können Artikel zu Themen, Frage-und-Antwort-Texte, in denen Expert*(inn)en Antworten auf fiktive Fragen von Schwangeren oder WannabeSchwangeren antworten, Berechnungstools, die Termine oder Maßzahlen für das Kind errechnen, Videos über Bereiche der Schwangerschaft und Links zu Foren, in denen sich User austauschen können, sein. Die Seiten erwecken den Eindruck, umfassend über das Thema Schwangerschaft und Elternwerden zu informieren. Eltern können auf diesen Seiten »Schmökern und Stöbern«, also sich durch die Themen klicken und lesen, was sie interessiert, oder gezielt Informationen zu einem bestimmten Bereich aufsuchen. Die Informationen werden laufend aktualisiert und es werden regelmäßig neue Artikel online gestellt, so dass eine kontinuierliche Rückkehr der User*innen auf die Seite immer wieder neue Informationen erschließbar macht, während ältere Artikel über das Themenarchiv lange Zeit erreichbar sind. Die Überblicksseiten sind kommerzielle Seiten, die sich entweder mit Werbung finanzieren oder direkt von Herstellern von Babyprodukten betrieben werden. In meinen Datenpool gingen zwei Seiten ein, die von den Eltern in den Interviews als Informationsquelle benannt wurden. Übersichtsportal1 und Übersichtsportal2 befinden sich bei den Suchwörtern »schwanger«, »Schwangerschaft« und »Kinderwunsch« in der Liste der ersten zehn Hits der Suchmaschi-
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Bei »Alles über Schwangerschaft und Elternwerden« handelt es sich um einen Code, der in der Phase des Codierens vergeben wurde. Dies bedeutet, dass dieser Code, der ein In-Vivo-Code sein kann, mehrmals vergeben wurde, an Aussagen oder Texte, die explizit diese Worte oder ähnliche Worte, die unter diesen Inhalt subsumiert werden können, beinhalteten. Solche Codes werden in dieser Arbeit in Anführungszeichen (»«) ohne nachfolgende direkte Zitate geführt, da die Aussagen nicht einer bestimmten Aussage oder einer bestimmten Textstelle zugeordnet werden können, sondern mehreren ähnlichen Aussagen und Textstellen.
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ne.5 Beide Seiten entsprechen der obigen Beschreibung. Übersichtsportal1 wird von international agierenden Herstellern betrieben. Für vier Kontinente gibt es Seiten zugeschnitten auf die einzelnen Nationen. Ich habe die Übersichtsportal1.at-Seite für meine Forschung herangezogen. Übersichtsportal2 ist von einem nationalen Hersteller, der die Seite speziell und nur für Österreich betreibt. b)
Schwangerschafts- und Elternforen
Wie oben beschrieben, leiten Überblicksseiten User*innen auch in Foren weiter. Alle Personen in meiner Studie sind mit spezifischen thematischen Foren in Kontakt gekommen. Es gibt eine Reihe von Schwangerschafts- und Elternforen in unterschiedlichen Sprachen. (Wannabe- und werdende) Eltern landen bei der Durchforstung des Internets nach spezifischen Schwangerschafts- oder Elternthemen in einem Schwangerschafts- oder Elternforum. Die Suche nach einem Thema mittels einer Suchmaschine zeigt einen Forumsthread an, wo ein(e) User*in das Thema zur Diskussion gestellt hat. Gesucht wurde hier von den interviewten (werdenden) Eltern nach medizinischen Problemen bis hin zu Babyprodukten. Schwangerschafts- und Elternforen sind in den meisten Fällen geteilt in Metathemen wie etwa Kinderwunsch, Schwangerschaft, Beschwerden in der Schwangerschaft, Sternenkinder, Geburt, Kleinkind oder Elternschaft. Klickt mensch eins der Themen an, kann der/die User*in einzelne Threads durchlesen. Die meisten Foren haben zusätzlich eine interne Suchfunktion, die eine themenspezifische Suche nach Threads und Antworten erleichtert. Die Foren sind öffentlich zugänglich und für alle, die die Seite anwählen, lesbar. Alle, die registriert sind, können zusätzlich Beiträge verfassen. Einige Foren haben nichtöffentlich zugängliche Bereiche, etwa Threads zum Metathema Sternenkinder (das sind Kinder, die durch eine Fehlgeburt oder Totgeburt verloren wurden). Diese Threads werden nur angezeigt, wenn mensch als Benutzer der Seite registriert ist und in die Gruppe der Lese- und Schreibberechtigten aufgenommen wird. Die Registrierung für das Forum erfolgt mit der Angabe eines Usernamens, eines Passworts, des realen Namens, der Adresse und der Angabe einer gültigen E-Mailadresse. Mit dieser Anmeldung erhält mensch die Berechtigung, Beiträge zu verfassen, die sich innerhalb der Nutzungsbedingungen befinden. Diskutiert wird in den Foren über alles was (Wannabe- oder werdende) Eltern wollen, solange es den Regeln des Forums entspricht. Die Themen können reichen von körperlichen Problemen in der Schwangerschaft, bis zu Ängsten und
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Versuch am 07.01.2011.
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Hoffnungen, die »richtigen Methoden«, schwanger zu werden, Geburtsformen und verschiedene Krankenhäuser, Babyprodukte und die Beziehung zum Partner. Foren weisen einige typische Diskussionsstrukturen auf, die sich immer wieder, manchmal auch zum gleichen Thema, wiederholen. Die Fragen in den Foren lassen sich in folgende Kategorien subsummieren: »Ich bin in Situation X, was soll ich tun?«, »Ich bin in Situation Y, was bedeutet das und welche Konsequenzen kann das haben?« oder »Was haltet ihr von Person/Produkt/Institution/etc.?«. Darauf wird mit Vorschlägen oder Erfahrungsberichten geantwortet. Typische Antworten sind »Ich würde A tun«, »Ich habe B gemacht, mit folgenden Konsequenzen«, »C heißt oder ist ...«, »jemand, den ich kenne, hat D gemacht oder E gehabt, mit folgenden Konsequenzen« oder »eine Informationsquelle sagt, mensch soll F tun«. Eine Frage oder Bitte wird immer themenspezifisch beantwortet. Abschweifungen vom Thema gibt es wenig oder sie werden sanktioniert,6 wenn diese vorkommen. Zusätzlich gibt es Threads, die Gruppen mit ähnlichen Merkmalen zu Unterhaltungen um mehrere Themen zusammenfassen, etwa alle werdenden Eltern, die in einem bestimmten Monat entbinden werden oder alle Eltern, die eine Kaiserschnittgeburt hatten. Alle Informant*(inn)en haben in den Gesprächen davon erzählt, in Foren gelesen zu haben. Einige der Informant*(inn)en waren auch aktiv im Forum beteiligt und haben Beiträge verfasst. Die Bewertungen der (werdenden) Eltern gegenüber den Foren fielen allerdings unterschiedlich aus. Einerseits wurden sie als hilfreich beschrieben, was Erfahrungsberichte bezüglich Institutionen, Ärzt*(inn)en oder Produkte betrifft, andererseits wird, vor allem wenn es um medizinische Probleme geht, immer wieder darauf verwiesen, dass man sich in den Foren »gegenseitig verrückt macht«. Einige Informant*(inn)en haben im Laufe der Schwangerschaft beschlossen, die Foren nicht mehr als Informationsquelle heranzuziehen, während andere dort wiederum eine Community gefunden haben, mit der sie sich in Echtzeit über die Schwangerschaft und die folgende Elternschaft austauschen können. In meinen Datenpool habe ich ein Forum miteinbezogen, das alle (werdenden) Eltern, mit denen ich gesprochen habe, kannten und in dem einige Informant*(inn)en auch User*innen waren. Das Forum wird von einem Verband für medizinisches Personal betrieben und muss zwar ebenso wie die Überblickspor-
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Typisch sind in diesem Fall Kommentare, die eine User*in darauf hinweisen, dass diese Antwort nicht zum Thema passt und einer Bitte, einen themenspezifischen Thread aufzusuchen. In manchen Fällen sind Löschungen oder Verschiebungen von Threads in andere Metathemen durch die Administrator*(inn)en und Moderator*(inn)en möglich.
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tale kommerziell geführt werden, ist aber vorsichtig im Umgang mit Werbung. Die Recherche erfolgte themenspezifisch über die Suchfunktion des Betreibers. Haben die (werdenden) Eltern Themen angesprochen, die sie mit Diskussionen im Internet verbunden haben, habe ich in den Foren nach den direkt angesprochenen Diskussionen gesucht. Diese Diskussionen sind dann im Codierverfahren miteinbezogen worden. c)
Medizinische Literatur und medizinische Ratgeberseiten
Wie bereits unter b) angesprochen, zeigten sich in den Gesprächen mit den (werdenden) Eltern Unzufriedenheiten mit den Foren, was begleitet war von der Suche nach »besseren« Informationen. (Wannabe- und werdende) Eltern suchten dann nach Informationen und Hilfe auf Webseiten, die medizinische Literatur wiedergeben oder die Expert*(inn)enrat zu spezifischen Themen online stellen. Über Suchmaschinen konnten die Eltern die entsprechenden Seiten ausmachen oder sie fanden medizinische Bücher, von denen Teile online gelesen werden konnten. Medizinische Literatur, die von den interviewten (werdenden) Eltern angesprochen wurde, waren Online-Kurse oder Lehrliteratur für Medizinstudent*(inn)en. Kein Paar in meiner Studie hat sich mit konkreter wissenschaftlicher Forschung in Artikeln auseinandergesetzt. Lehrbücher für Medizinstudent*(inn)en, Hebammen oder anderes medizinisches Personal sind für den medizinischen Laien gut nachvollziehbar. Neben der medizinischen Literatur gibt es medizinische Ratgeberseiten, die Informationen von (manchmal fiktiven) Expert*(inn)en popularisiert darstellen. Die Texte sind in der Form Frage und Antwort konzipiert. Im Gegensatz zur medizinischen Literatur, die an Auszubildende im medizinischen Bereich gerichtet ist, werden Ratgeberseiten explizit für Medizinlaien verfasst. Der Unterschied beider Informationsseiten, der medizinischen Literatur und den medizinischen Ratgebern, zu Überblicksportalen und Foren ist, dass weder konkrete Ratschläge gegeben werden, noch Erfahrungsberichte wiedergegeben werden. Während Überblicksportale die Schwangere und den werdenden Vater in den Fokus nehmen, verschwinden die Personen auf Medizinseiten hinter dem biologischen Vorgang Schwangerschaft und die Darstellungen werden auf innere materielle Vorgänge reduziert. Die (werdenden) Eltern in meiner Studie erhofften sich auf Medizinseiten genauere Informationen über den Entwicklungsstand des Kindes oder über ein
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konkretes Problem.7 Eltern, die auf diese Informationen zurückgegriffen haben, bezeichneten die Überblicksportale, Schwangerschaftsratgeber in Buchform oder Erfahrungsberichte als zu oberflächlich. Besonders wenn spezifische Beschwerden oder ein Risiko vor oder in der Schwangerschaft auftrat, haben sich Wannabe- und werdende Eltern zu diesem Problem intensiv in medizinischer Literatur und in Ratgebern informiert. Beispiele, zu denen Informationen eingeholt wurden, waren Infektionen während der Schwangerschaft oder ein organisches Problem, das die Wahrscheinlichkeit einer Empfängnis verkleinerte. Die Eltern verbanden ihre Suche nach medizinischer Information in den Gesprächen damit, dass sie sich von der üblichen Literatur nicht angesprochen fühlten, weil sie die Leichtigkeit, mit der dort an Schwangerschaft herangegangen wird, nicht nachvollziehen konnten. Einige Paare ohne Probleme vor und in der Schwangerschaft griffen auf diese Literatur zurück, um die Entwicklungsschritte des Embryos und des Fötus besser zu kennen. Die Vorstellung der Eltern war, dass das Wissen aus medizinischer Literatur das differenzierteste Wissen zu einem Problem oder zur Schwangerschaft generell darstellt. Medizinische Seite 1, die Eingang in meinen Datenpool fand, ist ein von einer Universität zusammengestellter Kurs für Medizinstudent*(inn)en über Embryologie und Organogenese. Die Seite konzentriert sich auf die Entwicklung des Embryos, des Fötus, der Plazenta und der Nabelschnur und zeigt detailliert Ent-
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»Die richtigen Informationen sind immer die sozusagen medizinischen Seiten oder beziehungsweise irgendwelche Dokumente die man, die man finden konnte von irgendwelchen medizinischen Schulen oder etc., ähm die schlechten [...] die von den Foren, wo Leute darüber sprechen was mit anderen passiert und mit dem eigentlich vergleichen, was sie eigentlich halt durchgemacht haben. Das ist sicher ein wertvoller Vergleich für den Moment, aber es ist keine wertvolle Information im Grunde, weil das ist nur ein Vergleich, keine richtige wissenschaftliche Ermittlung [...] wir hatten so ein medizinisches Problem, das uns nicht unbedingt klar war, und ähm, und deswegen, es gab eigentlich schon, vergleichbare Situation in Foren, die eigentlich auch gut gelaufen sind, wo’s am Ende doch glücklich war und andere wo’s am Ende doch nicht glücklich war und etc., das hat uns manchmal auch nicht so unbedingt geholfen [...] wir haben nur ein paar Bücher, aber die sind auch so, wir haben so nach medizinischen Fakten gesucht und da geht’s halt um Harmonie und wie die Frau sich endlich entfalten soll in der Zeit der Schwangerschaft etc. und für uns war’s einfach nur äh Schrott, weil in unserer Situation, wo die Schwangere halt so ein bisschen im Stress war, vielleicht verliert sie das Kind, da kann man eigentlich nicht über Harmonie reden und ich glaub, da ist man fehl am Platz.« (Mann A)
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wicklungsschritte und Fehlentwicklungen auf. Die verschiedenen Themen werden mit Bildern unterstützt und mit benachbarten Themen verlinkt. Für Medizinlaien ist diese Seite zu einem Großteil verständlich geschrieben, so dass werdende Eltern hier Informationen bekommen können. d)
Internetauftritte von Einzelpersonen, Institutionen oder Produkten
Die (werdenden) Eltern in meiner Studie waren sehr oft in der Situation, dass aus mehreren Möglichkeiten, ob es sich nun um Personen, Institutionen oder Produkte handelte, eine ausgewählt werden musste. Beispiele sind die Suche nach einer neuen Gynäkologin oder einem neuen Gynäkologen, die Suche nach dem Krankenhaus für die Entbindung, die Wahl der Geburtsmethode oder die Auswahl eines Kinderwagens. Zu allen diesen Themen geben Überblicksportale, Personen in Gesprächen oder Erfahrungsberichte in Foren Informationen. Die Eltern lernen in diesem Prozess die Namen der Personen/Institutionen/Produkte kennen und auch, dass diese unterschiedliche Merkmale aufweisen, die von den Gesprächspartner*innen oder Forumsuser*innen unterschiedlich bewertet werden. Haben die werdenden Eltern einzelne Personen, Institutionen oder Produkte eingegrenzt, werden die Internetauftritte dieser aufgesucht um Informationen über die Person, die Institution oder das Produkt zu bekommen, und um sich ein genaueres Bild zu machen. In manchen Fällen leitet eine Suche in der Suchmaschine auch auf Einzelseiten weiter. Eltern übernehmen und entwickeln aus Gesprächen, Überblicksseiten und Foren Indikatoren, die sie bei der Auswahl einer Person, einer Institution oder eines Produkts beachten wollen. Die Einzelseiten werden dann konkret in Hinblick auf diese Indikatoren untersucht. Die (Wannabe- und werdenden) Eltern vergleichen die Informationen der Seiten und bewerten auf Grund dieser die Person, die Institution oder das Produkt. Der Vergleich und das Herausarbeiten von Unterschieden mit Hilfe der Einzelseiten ist ein wichtiger Schritt im Prozess der Auswahl einer Person, einer Institution oder eines Produkts. Einzelseiten sind so aufgebaut, dass sie eine Person oder Institution in verschiedenen Facetten darstellen. Bei Einzelpersonen handelte es sich in der Studie um Gynäkolog*(inn)en oder Hebammen. Auf diesen Seiten wird der Lebenslauf der Personen und ihre Kenntnisse und Zusatzausbildungen vorgestellt. Institutionen, etwa Informationsstellen oder Krankenhäuser, stellen die verschiedenen Abteilungen, ihre Spezialisierungen und die Personen vor, die in der Institution tätig sind. Die Texte sind unterstützt durch Bilder der Räumlichkeiten der Institution und den Mitarbeiter*innen. Hinzugefügt wird auf einigen Seiten noch ein
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Text über die Geschichte und die weltanschauliche Verortung der Institution. Seiten von Produkten stellen das Produkt und seine Vorteile genau vor. Verschiedene Ausführungen der Produkte werden gezeigt und häufig wird in Texten und Bildern der Gebrauch vorgezeigt. Es gibt Auflistungen über technische und ästhetische Details und manchmal eine Erzählung über die Firmenphilosophie. Internetauftritte von Einzelpersonen, Institutionen oder Produkten sind dann in meinen Datenpool eingegangen, wenn dies für die Eltern oder auch für mich in der Recherche unumgänglich war, zum Beispiel bei der Suche nach Krankenhäusern oder Kinderwagen. Zusammenfassung: Recherchieren im Internet Ein wesentlicher Teil der Informationspraktiken der (Wannabe- und werdenden) Eltern war das Recherchieren im Internet. Alle Eltern benutzten Desktops, Laptops oder Internettelefone, um an Informationen zu kommen. Mittels dieser Hardware konnten Webseiten sehr schnell und ohne zusätzliche Kosten abgerufen werden. Suchmaschinen schienen eine Vielzahl von möglichen Informationen anzubieten, mit deren Durchsicht die Eltern viel Zeit verbrachten. Das Durchstöbern der Webseiten bot den (Wannabe- und werdenden) Eltern einerseits die Möglichkeit, mehr über Schwangerschaft und Elternschaft aus verschiedenen Sichtweisen zu erfahren, andererseits konnten die Eltern durch die Recherche Zeit mit ihrer (bevorstehenden) Schwangerschaft oder Elternschaft verbringen. Letzteres gibt dem Prozess des Elternwerdens Bedeutung. Etwas, das viel Zeit kostet, ist wichtig. Das Thema Schwangerschaft und Elternschaft konnte Freude machen und das Recherchieren im Internet konnte ein Weg sein, die (Vor-)Freude an der Sache auszuführen, bzw. die Tätigkeiten des Recherchierens figurierten die werdenden Eltern mit Gefühlen der (Vor-)Freude (sofern wenig Probleme in Sicht waren). Die unterschiedlichen Textsorten, die hier nacheinander oder gleichzeitig ausgewählt werden konnten, gaben den Eltern Wissen aus verschiedenen Perspektiven weiter und erweckten dabei den Eindruck, dass differenziert Informationen ausgesucht wurden (wenn etwa einige Informationen angenommen wurden und andere nicht, oder wenn zwischen widersprüchlichen Informationen ausgewählt werden musste). Trotz dieses Reichtums an Wissen »im Internet« blieb dies für die Eltern nicht die einzige Informationsquelle: Bücher und Gespräche waren weitere Informationsquellen, die im Folgenden näher betrachtet werden.
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L ESEN II: B ÜCHER Während der Familienplanung oder nach dem Beginn der Schwangerschaft kaufen oder borgen Eltern Bücher, die sich auf das Thema Schwangerschaft oder Elternschaft beziehen. Die Bücher werden von den Eltern für einen Überblick ganz durchgelesen oder nach spezifischen Informationen durchforstet. In Gesprächen mit Freund*(inn)en, Verwandten und Kolleg*(inn)en bekamen Eltern Bücher empfohlen oder haben diese selbst weiterempfohlen. Die Bücher, die von den (werdenden) Eltern genannt wurden, lassen sich inhaltlich in drei Textsorten unterteilen a) Sachbücher, b) Ratgeber oder c) (semi-)fiktionale Bücher. Die Subjekt-und-Buch-Kombinationen in verschiedenen Praktiken waren aber nicht nur mit dem Inhalt des Buches, sondern auch mit seiner Morphologie verbunden. Die spezielle Morphologie der Bücher und ihr Agieren mit den Eltern möchte ich im Folgenden diskutieren. Danach werden die spezifischen Textsorten genauer dargestellt. Morphologie der Bücher und Integration in Informations- und Pseudoinformationspraktiken Die vorgestellten Internetseiten werden über eine Hardware abgerufen, sei es der Computer, ein Handy oder ein Pad. Die Morphologie der Hardware (neben dem Webdesign) bestimmt, wie die Aktivitäten des Abrufens von Seiten ausgeführt werden müssen. Bücher bringen eine feste Morphologie mit sich, die das Hantieren damit bestimmt. Sie nehmen, im Gegensatz zu Webseiten, Raum in der physikalischen Umwelt der (Wannabe- und werdenden) Eltern ein, ob nun in der Wohnung oder in einer Tasche. Bücher über Schwangerschaft und Elternschaft sind linear aufgebaute Texte, die auf Seiten gedruckt und gebunden werden. Durch die Bindung können die Seiten, eine nach der anderen, durchgeblättert werden. Ein kleines kompaktes Taschenbuch kann in die Tasche gesteckt werden und ist meist so leicht, dass es einfach getragen werden und mit dem Subjekt über weitere Strecken transportiert werden kann. Ein großes schweres Buch eignet sich dafür durch seine Länge, seine Breite und sein Gewicht schlechter und hat seinen Platz wahrscheinlicher im Regal und wird fürs Lesen herausgenommen. Kleine Bücher wurden von den (werdenden) Eltern manchmal mitgenommen und unterwegs in Transportmitteln, im Café oder beim Warten bei der Gynäkologin gelesen. Zuhause, so erzählten die Eltern, liest man ein Buch am Küchentisch, auf der Couch oder im Bett.
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In den Beschreibungen der Eltern dienten Bücher in den meisten Fällen der Information über Schwangerschafts-, Elternschafts- oder Erziehungsthemen. Zusätzlich können die Bücher für die (werdenden) Eltern und für andere sichtbar in Regalen platziert werden. Dort steht die konservierte Information dann, bis sie wieder hervorgeholt wird. Eltern haben mich in den Gesprächen häufig explizit auf ihr Regal verwiesen, wenn sie über Bücher oder Informationspraktiken gesprochen haben (»da stehen unsere Bücher«). Die Bücher werden in diesen Praktiken als Symbole figuriert, sowohl für die Eltern selbst, als auch für Außenstehende, dafür, sich umfassend informiert zu haben und sich Gedanken über die Schwangerschaft, die Elternschaft und die generelle Zukunft mit dem Kind gemacht zu haben.8 Die Morphologie der Bücher machte es wahrscheinlicher, dass sie Teil von Informationsritualen in der Schwangerschaft werden. Ein Paar meiner Studie hat sich wöchentlich am selben Tag auf der Couch mit einem verhältnismäßig dicken und schwerem Buch niedergelassen, um sich über die Entwicklung ihres Kindes in der folgenden Woche zu informieren. Im Buch, das vor ihnen auf dem Tisch lag, lasen beide Eltern gleichzeitig über die kommende Schwangerschaftswoche. Im Text gab es Informationen über die Entwicklungsschritte des Embryos und des Fötus in der folgenden Woche. Unterstützt wurde dieser Text durch Bilder des Embryos und des Fötus. Dieses Ritual diente oberflächlich dem Gewinn von Wissen, das sich das Paar aber auch in Gesprächen oder im Internet holte. Meine These ist es, dass für die werdenden Eltern beim wöchentlichen Ritual die Vorbereitung auf die Elternschaft und das gemeinsame Erleben der Schwangerschaft im Vordergrund stand. Das Buch war hier das Vehikel, der Schwangerschaft etwas Sakrales zu verleihen, das wöchentlich gemeinsam zelebriert werden kann. Diese Sakralität lässt sich möglicherweise weniger gut mit einem kleinen Büchlein oder einem Computer, an dem herumgeklickt wird, herstellen.9 Aus der Teilnahme an vorangegangenen Praktiken haben die werdenden Eltern große und schwere Bücher als Teil von Ritualen erlebt (etwa bei religiö-
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Eine Webseite konnte in den Praktiken diese symbolische Funktion nicht ausführen, auf Grund ihrer virtuellen Beschaffenheit. Ein Blick in die Liste der Bookmarks oder in den Verlauf mag zwar Aufschluss über die Informationsaktivitäten eines Subjekts geben, diese Daten sind aber meist nur für die User*in selbst sichtbar und können schwieriger für Außenstehende Informationstätigkeiten symbolisieren.
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Der Computer wurde allerdings integriert in andere Rituale, wie etwa das tägliche Notieren der Temperatur oder das regelmäßige Erstellen von Grafiken, die den Zyklus der Frau repräsentieren (siehe Kap. 8).
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sen Ritualen) und wiederholen diese Tätigkeit nun in Bezug auf ihre Schwangerschaft. Das Aufklappen eines schweren Buches, das Blättern auf die passende Seite und das gleichzeitige Lesen, Woche für Woche, erzeugt eine feierliche Tätigkeit, die das entstehende gemeinsame Kind entsprechend würdigt. Die werdenden Eltern wählten für ihr Ritual ein dickes Sachbuch über die Entwicklung des Kindes und die Schwangerschaft. Neben der Morphologie des Buches ist die Textform eine interessante Komponente, die im Folgenden genauer beleuchtet wird. a) Sachbücher Sachbücher sind als generelle Überblicksbücher zum Thema Schwangerschaft, Geburt und Kleinkind verfasst oder befassen sich mit einem Spezialthema innerhalb dieses Zeitraums. Diese Textform ist gekennzeichnet durch eine nüchterne Sprache, die erklärend Sachverhalte vorstellt. Die Informationen in den Büchern erscheinen sachlich und wissenschaftlich und treten als allgemeines Wissen und nicht als die Meinung der Autor*innen auf. Die angegebenen Autor*innen dieser Bücher sind Ärztinnen und Ärzte, Wissenschafter*innen oder Hebammen, die vorgeben, ihre Kenntnisse auf popularisierte Weise vorzustellen. Die Überblicksbücher, die von den (werdenden) Eltern genannt wurden oder die in den Regalen der (werdenden) Eltern standen, sind generell thematisch ähnlich gegliedert. Am Beginn gibt es Erklärungen zur Empfängnis, den ersten Tagen der Schwangerschaft und der Berechnung des Geburtstermins. Die Zeit der Schwangerschaft ist in Drittel geteilt und spezifisch zu jeder Phase werden passende Themen angesprochen. Die Entwicklung des Kindes wird in Wochen durch Texte und Bilder vorgestellt. Zusätzlich gibt es Informationen über Gesundheits- und Ernährungsthemen, Körperpflege, Beschwerden in der Schwangerschaft und über rechtliche Regelungen. Die Geburt, das Wochenbett und die ersten Monate mit dem Kind sind Themen, die gegen Ende des Buches abgehandelt werden. Auf den letzten Seiten der Bücher gibt es Listen von Institutionen und Organisationen, die mit den Themen Schwangerschaft, Geburt und Kleinkindern assoziiert werden. Andere Sachbücher sind, ähnlich den medizinischen Ratgebern im Internet, thematisch nach Frage-und-Antwort-Schema gegliedert und versuchen ebenfalls umfassend Fragen rund um das Thema Schwangerschaft, Geburt und Frühelternschaft zu beantworten. Spezifische Sachbücher beschäftigen sich mit einem Thema innerhalb des Übergangs zur Elternschaft und beschreiben dies detailliert. Ein Beispiel sind Bücher über mehrere oder eine bestimmte Geburtsform(en).
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Sachbuch 1, das Teil meines Datenpools wurde, hat 416 Seiten und ist ca. 25 x 20 cm lang und breit. Das Buch entspricht idealtypisch den obigen Beschreibungen und ist morphologisch und textlich dem Buch, das das Paar I für ihr wöchentliches Ritual verwendet hat, sehr ähnlich. Das Buch ist von einem Arzt und einer Geisteswissenschafterin gemeinsam verfasst. Sachbuch 2 und Sachbuch 3 sind zwei Bände einer Frage-und-Antwort Reihe zu Schwangerschaft, Geburt und Kleinkind. Beide Bücher sind von Ärzt*(inn)en und Hebammen gemeinsam verfasst. Sachbuch 2 beschäftigt sich mit Fragen zur Schwangerschaft, während Sachbuch3 Fragen zur Geburt behandelt. Sachbuch 2 und Sachbuch 3 sind jeweils 18x10 cm lang und breit und wurden in den Gesprächen zu jenen Büchern gezählt, die mitgenommen werden und unterwegs ausgepackt und gelesen. b) Ratgeber in Buchform Diese sind in weniger sachlicher Sprache verfasst als die Sachbücher und geben sichtbar die Meinung der Autor*innen wieder. Typische Themen sind Teilbereiche der Schwangerschaft wie richtige oder falsche Ernährung, eine favorisierte Geburtsform oder eine bestimmte Bewältigungsform der Schwangerschaft. Diese Bücher sind inhaltlich so gegliedert, dass die Sichtweise der Autor*innen als bester Weg beschrieben wird und andere Möglichkeiten abgewertet werden. Es wird etwa als Beispiel hinsichtlich der Geburtsformen die Hausgeburt favorisiert und die Geburt im Krankenhaus abgewertet oder eine bestimmte Ernährungsregel hervorgehoben und andere als problematisch thematisiert. Die Bücher sind so verfasst, dass sie sichtlich überzeugen wollen, dabei aber trotzdem sachlich bleiben. Diese Textformen sind häufig als leichte Taschenbücher erhältlich. Ratgeber 1, der bei der Auswertung als Datengrundlage miteinbezogen wurde, ist ein beliebtes Buch, das von mehreren Paaren in meiner Studie angesprochen wurde. Die Autorin, eine Hebamme, bietet eine alternativmedizinische Sichtweise auf Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Das Buch ist konkret so verfasst, dass schulmedizinische Verfahren zwar als notwendig besprochen werden, aber auch im Text immer wieder abgewertet werden. Positiv besprochen werden Alternativmedizin und Hausmittel, die Frauen und Männer in der Zeit der Schwangerschaft und danach unterstützen sollen. Komplementärmedizinisches Wissen war für fast alle Eltern in meiner Studie ein wichtiges Thema, über das Informationen gesammelt wurden. Dieses Buch ist in diesem Themenbereich ein Klassiker, der seit vielen Jahren immer wieder neu aufgelegt wird.
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c) (Semi-)fiktionale Bücher (Semi-)fiktionale Bücher sind Erzählungen von Müttern oder Schwangeren über ihre Situation, die gleichzeitig Informationscharakter haben. Die Bücher sind typisch als persönliche Geschichten verpackt und besprechen eine Situation oder eine Geschichte sehr genau. Sehr beliebt war das Buch der Ehefrau eines Fernsehkochs, das die Geschichte der Empfängnis, der Schwangerschaft und der Geburt, verfasst als sehr persönliche und »ehrliche« Erzählung, beinhaltet. Dieses Buch ging als fiktionalesBuch1 in meinen Datenpool ein. Das Buch wurde von mehreren Paaren genannt. Eine werdende Mutter verweist im Interview mehrmals auf dieses Buch mit den Worten »da stehen Dinge, die man sich nicht zu erzählen traut« (Frau A). Die Erzählung der Autorin bietet eine idealtypische Erzählung einer Schwangerschaft als verrückte Alltäglichkeit und spricht tatsächlich Themen an, die in der üblichen Literatur meist ausgespart werden, wie etwa den Rummel um den richtigen Zeitpunkt der Empfängnis. Die Zielgruppe dieses kleinen Taschenbuchs sind werdende Mütter, aber auch kinderlose Frauen oder Frauen, die bereits Kinder haben. Auch im Forum1 finden sich lebhafte Diskussionen über das Buch, in denen das Buch zum Vehikel für lebhafte Diskussionen über »richtige« Elternschaft wird. Zusammenfassung Bücher Bücher, mit den oben dargestellten Textformen und materiellen Beschaffenheiten, zu Schwangerschaft und Elternschaft sind ebenso wie die beschriebenen Internetseiten ein essentieller Bestandteil der elterlichen Informationspraktiken. In den späteren Kapiteln ist zu sehen, wie sich die verschiedenen Textformen von Büchern in spezifische Praktiken der (werdenden) Eltern integrieren. Bücher wurden an einer Vielzahl von Orten gelesen und boten den (werdenden) Eltern einen festen Bestand von Informationen, der sich, im Gegensatz zu den Webseiten, nicht veränderte. Wie oben dargestellt, haben Bücher auf Grund ihrer Morphologie, im Vergleich zu Webseiten, noch zusätzliche Funktionen als repräsentatives Symbol für Wissen und Information und als sakrales Element von Ritualen. Lesen in Webseiten und Büchern war aber nicht die einzige Aktivität, die der Informationsgewinnung zuträglich war. Wissen erlangen über ein Problem, eine Institution oder ein Produkt war ebenso häufig damit verbunden, dass (Wannabeund werdende) Eltern wichtige Orte einfach aufgesucht haben und vor Ort mit ihren Sinnesorganen und durch Gespräche mit Menschen Informationen gesammelt haben. Ich beschreibe nun, wie Eltern in Geschäfte gingen oder an Informa-
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tionsveranstaltungen teilgenommen haben, um sich zu spezifischen Themen zu informieren, und wie Eltern in Gesprächen mit Fachpersonal oder Freund*(inn)en, Kolleg*(inn)en oder Verwandten Wissen über Schwangerschaft und Elternschaft eingeholt habe .
»H INGEHEN «: I NFORMATIONSBESCHAFFUNG IN G ESCHÄFTEN , BEI I NFORMATIONSVERANSTALTUNGEN , K URSEN UND IN ÖFFENTLICHEN R ÄUMEN In der Stadt Wien gibt es mehrere Organisationen und Institutionen, die immer wieder a) Informationsveranstaltungen rund um das Thema Schwangerschaft durchführen. Zum Beispiel informieren Hebammenzentren über Geburt und Schwangerschaft und die Eltern-Kind-Zentren der Stadt Wien führen Veranstaltungen zu rechtlichen und finanziellen Themen durch. Der Besuch dieser Veranstaltungen ist offen für alle Eltern, die dies interessiert. Viele Eltern machen zusätzlich b) Geburtsvorbereitungskurse, wo sie speziell auf die Geburt und das Wochenbett vorbereitet werden. Diese Kurse finden in größeren Institutionen, wie im Krankenhaus, in dem sich das Paar angemeldet hat, oder in kleinerem Rahmen, etwa bei einer Hebamme, statt. Auch Geburtsvorbereitungskurse sind nicht verpflichtend, sie werden aber von einigen Krankenhäusern kostenlos für die angemeldeten Schwangeren und ihre Partner*innen angeboten. (Wannabe- und werdende) Eltern kommen im Laufe der Schwangerschaft und auch nach der Schwangerschaft immer wieder in Situationen, wo sie aus unterschiedlichen Möglichkeiten oder Wegen einen oder mehrere auswählen müssen oder wollen. Die Eltern können sich nur in einem Krankenhaus für die Geburt anmelden, die meisten werdenden Eltern wollen vorerst nur einen Kinderwagen kaufen oder sie müssen sich für eine oder mehrere Farben entscheiden, in der das Kinderzimmer gestrichen werden soll. Abgesehen von Erfahrungsberichten in Foren mit einer bestimmten Institution oder einem bestimmten Produkt und dem Besuch der Einzelseiten von Institutionen und Organisationen haben die Eltern häufig die Möglichkeit, die Dinge selbst mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Sinnen zu überprüfen. Im Falle von Produkten können die Eltern in ein c) Geschäft gehen und dieses ansehen und eventuell ausprobieren. Im Falle von Institutionen und Organisationen können die Eltern diese besuchen, um den Ort zu besichtigen.
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a) Informationsveranstaltungen Die Eltern meiner Studie waren Teil von öffentlichen Informationsveranstaltungen, die spezifisches Wissen für Schwangere und ihre Partner aufbereiten. Die Stadt Wien bietet in den Eltern-Kind-Zentren »Elternschulen« an. Dies sind wöchentliche Infoabende für Schwangere und Partner. In acht Zentren wird abwechselnd über die Themen Schwangerschaft, Frühelternschaft und Finanzielles und Rechtliches vorgetragen. Einige Zentren bieten Sondervorträge zu den Themen Umwelt und Schwangerschaft und Gesundheitsversorgung an. Die Vorträge sind offen und können ohne Voranmeldung besucht werden. Die Termine der Vorträge bezogen die werdenden Eltern von der Webseite der Eltern-KindZentren. Hebammenzentren bieten ebenfalls im großen Umfang Vorträge und Kurse zum Bereich Schwangerschaft, Geburt und Erziehung an. Eltern meiner Studie besuchten Informationsabende, die über Geburtsformen, die Möglichkeiten zur Einbeziehung einer Hebamme und über pränatale Diagnostik informieren. Im Laufe meiner Forschung habe ich an einer Informationsveranstaltung eines Hebammenzentrums teilgenommen. Ein Paar meiner Studie hatte diese Veranstaltung zuvor besucht. Die Veranstaltung fand in den städtisch gelegenen Räumlichkeiten des Zentrums statt. Der Inforaum war mit Stühlen ausgestattet, auf denen die meisten Besucher*innen Platz fanden. Die Überzahl der Teilnehmer*innen war zu zweit, mit dem/der Partner*in, einem/einer Freund*in oder einer Verwandten bei der Veranstaltung. Die Veranstaltung wurde von zwei Frauen geführt, von denen sich eine als Hebamme auswies. Die beiden Frauen trugen zu den oben genannten Themen vor. Es wurde auf die Geburtsmethoden und die von den Vortragenden bevorzugten Gebärhaltungen eingegangen. Es wurde den Teilnehmer*innen ebenfalls empfohlen, sich, wenn es finanziell möglich ist, von einer Hebamme betreuen zu lassen. Das letzte Drittel des Vortrags diente dem Thema Pränataldiagnostik. Die Zuhörer*innen schienen aufmerksam zuzuhören, manche machten sich Notizen auf mitgebrachten Blöcken oder in Notizbücher. In den Redepausen zeigten Personen auf und stellten Fragen, die von den Vortragenden beantwortet wurden. Die Fragen wurden fast durchgängig von Frauen gestellt, die dann Antworten erhielten. Die werdenden Mütter und Väter in meiner Studie besuchten Infoabende von verschiedenen Institutionen, die in ihren Erzählungen ähnlich abliefen. Einige machten Listen mit Fragen, die sie entweder dort vortrugen oder dann an ihre Hebamme oder Gynäkologin richteten. Informationsabende waren oft ein Anstoß weitere Informationen einzuholen. Neben ihrem Informationscharakter, waren diese Veranstaltungen gleichzeitig ein
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Ort an dem andere Menschen getroffen werden konnten, die in der gleichen Situation waren. b) Geburtsvorbereitungskurse Die Hebammenzentren bieten meist, neben den Informationsveranstaltungen, auch Geburtsvorbereitungskurse an. In diesen Kursen wird detailliert der Geburtsablauf und die erste Zeit mit dem Baby vorgestellt und mit den Teilnehmer*(inne)n des Kurses besprochen. Die Teilnehmer*innen lernen Atemübungen kennen und erlernen Techniken und Übungen, die die Geburt erleichtern sollen. Auch wird über die Zeit nach der Geburt aufgeklärt. Die Eltern in der Studie empfanden die Beratung als sehr hilfreich, auch wenn schon umfassendes Bücherwissen vorhanden war. Sich in Assemblages zu begeben, wo Wissen von Fachpersonen vermittelt wird, vermittelte den beteiligten werdenden Eltern ein Sicherheitsgefühl. Die Geburtsvorbereitungskurse werden üblicherweise von Personen durchgeführt, die selbst an Geburten teilnehmen, wie etwa Hebammen. Sie geben das praktische Wissen weiter, dass sie in der Wiederholung des Geburtsaktes über die Jahre erfahren haben. Die werdenden Eltern vermittelten in den Gesprächen, dass die Information durch solches Fachpersonal eine wichtige Ressource war (für eine genauere Beschreibung der Geburtsvorbereitungsaktivitäten siehe Kap. 18). c) Shopping : Besichtigungen in Geschäften Eltern mussten und wollten in der Zeit der Schwangerschaft Produkte für ihr Baby kaufen. Die Eltern kauften meist eine Erstausstattung zum Anziehen für das Baby, die Möblierung des Kinderzimmers oder ein Transportmittel (ein Kinderwagen oder ein Tragetuch) für das Baby. Der Großteil der Informationen wurde von den Eltern im Internet erhoben. Bei vielen Produkten war es den Eltern aber wichtig, die Produkte »in echt« zu sehen, sie anzufassen und ausprobieren zu können. Eltern fuhren aus diesem Grund meist in ein Geschäft, das Produkte, an denen die Eltern interessiert waren, ausstellte und zur Ansicht bereitstellte. Die Subjekte konnten dort die Produkte handhaben und kennen lernen. Besonders intensiv haben die Eltern in Bezug auf Kindermöbel von Ausstellungen in Geschäften Gebrauch gemacht. Eltern erzählten von langen Shoppingtouren und Samstagsausflügen zu Möbelhäusern. Besonders ausgedehnt wurden diese Touren, wenn verschiedene Geschäfte Waren anboten, die sich in Qualität und Design unterschieden. Die Eltern waren dann meist Teil von Erhebungsphasen, wo z. B. Kindermöbel besichtigt
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und bewertet wurden. Manche Eltern waren dann Teil von Überprüfungstätigkeiten, wo das Ersturteil über die Waren nochmal bestätigt oder verworfen wurde. Erst dann waren die Eltern Teil von Praktiken, wo die Waren tatsächlich gekauft wurden (Kap. 16 liefert eine genaue Beschreibung von Kaufvorgängen). In einigen Geschäften kamen die Eltern ins Gespräch mit Menschen, die entweder auch einkauften oder deren Beruf es war die Babyware zu verkaufen. Hier konnten Informationen ausgetauscht werden und Trends abgeschätzt werden. Eltern konnten Erfahrungen anderer Eltern direkt oder über Verkäuferinnen erlangen. Allerdings wurde das Wissen der Verkäuferinnen von den Eltern kritisch und von Verkaufsinteressen geleitet bewertet. Menschen als Informationsressourcen seien im nächsten Unterkapitel genauer vorgestellt.
»R EDEN «: I NFORMATIONEN
VON
M ENSCHEN
Eine Übertragung von Wissen erfolgte nicht nur von Buch zu Subjekt oder von Webseite zu Subjekt, auch andere Subjekte gaben Informationen an (Wannabeund werdende) Eltern weiter. In den Erzählungen der Eltern fanden sich zwei verschiedene Gesprächsformen: a) Reden mit Personen, die Expert*(inn)en für ein Thema waren (z. B. Gynäkologin oder Hebamme) oder b) Reden mit Freund*(inn)en oder Bekannten. Ersteres zeichnete sich durch eine formelle Gesprächsführung aus, in denen die (werdenden) Eltern eine Fachmeinung einholten, jedoch keinen Einblick in das Privatleben ihrer Informantin bekamen. Zweiteres zeichnete sich genau durch dieses Wissen um die Kontexte, in denen das Gegenüber sich befand, aus. Gespräche mit Freund*(inn)en oder Verwandten sind informell, und die Informationen beinhalteten meistens Erfahrungen aus dem Leben der Informant*(inn)en. Sowohl die Orte als auch die Wortwahl unterschieden sich in den Informationspraktiken, die im Folgenden genauer erklärt werden. a) Wissende fragen: Information bei Fachleuten Auch wenn die werdenden Eltern in Büchern und auf Internetseiten viel Erfahrungen sammeln konnten, fehlte bei vielen Fragen eine Person, bei der nochmal genauer nachgefragt werden konnte oder die genau für eine Situation passendes Wissen zusammenfassen konnte. Solche Fragen stellten Eltern dann meist an Fachpersonen, mit denen sie während der Schwangerschaft oder danach in Kontakt kamen.
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Eine typische Informantin war z. B. der/die Gynäkologe/-in der werdenden Eltern. Diese wurde bei den regelmäßigen Besuchen der Eltern zu medizinischen Themen, aber auch zu Ernährungs- und Verhaltensregeln in der Schwangerschaft, befragt. Einige Eltern machten davon Gebrauch, ihre Gynäkolog*(inn)en oder Hebamme bei Problemen anzurufen und Antworten auf ganz spezifische Fragen zu bekommen. Andere in meiner Studie machten Listen mit Fragen, die bei jedem Besuch abgefragt wurden. In den Praktiken wurde der/die Informant*in durch eine spezifische Ausbildung als Wissende figuriert, die ein Subjekt beraten kann, die diese Ausbildung nicht hat. Die werdenden Eltern fragten nach diesem Fachwissen und glaubten, im Gespräch nicht die persönliche Meinung der Informantin zu hören, sondern eine fachspezifisch medizinische, alternativmedizinische oder psychologische Information, die sich die Informantin durch mehrjährige Erkenntnispraktiken angeeignet hatte. Die Information erfolgte typisch in einer für Laien verständlichen Fachsprache. Persönliche Erlebnisse im eigenen Leben (z. B. mit der eigenen Schwangerschaft oder mit den eigenen Kindern) wurden von den Fachleuten üblicherweise ausgespart. Die Gespräche fanden, sofern nicht am Telefon, in den Räumlichkeiten der Expert*(inn)en statt. Gynäkolog*(inn)en oder (Familien-)Therapeut*(inn)en haben meist fixe Orte, in denen sie ihre Klient*(inn)en empfangen und auch behandeln, falls dies notwendig ist. Hebammen und Doulas haben werdende Eltern auch gezielt zuhause besucht und vorbereitet, vor allem wenn eine Hausgeburt geplant war. Die werdenden Eltern konnten von diesen Personen immer spezifisch zugeschnittene Informationen erhalten, die ein Buch oder eine Informationsseite, mangels Reaktionsfähigkeit, nicht geben konnte. b) Tratschen: Informationen von Freund*(inn)en, Bekannten, Kolleg*(inn)en oder Verwandten Bei Freund*(inn)en, Bekannten, Kolleg*(inn)en und Verwandten war in den ersten Monaten vor allem das Naheverhältnis zu den Wannabe- oder werdenden Eltern wichtig. Die Subjekte im Umfeld der Wannabe- oder werdenden Eltern teile ich in Eingeweihte und Nicht-Eingeweihte. Eingeweihte waren enge Freunde oder Freundinnen, Verwandte oder Kolleg*(inn)en, die in den Erzählungen der Eltern sehr früh über Kinderwunsch oder die mögliche Schwangerschaft Bescheid wussten. Vor einem Großteil des Umfeldes hielten werdende Eltern die frohe Nachricht über den Nachwuchs bis zum zweiten Trimester zurück (siehe auch Kap. 12). Diese Menschen standen folgend bis zu diesem Zeitpunkt nicht als beratende Subjekte zur Verfügung. Eingeweihte hingegen waren oft schon
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beim Kinderwunsch in Evaluierungs- und Informationsgespräche eingegliedert (siehe auch Kap. 8 und 9). Mit diesen wurde der Kinderwunsch, der »Bastelprozess« oder die vermutete Schwangerschaft am Telefon, per Computer oder bei direkten Treffen besprochen. Das Thema tauchte häufig auf, wenn mensch sich »sowieso getroffen hat« oder wenn es Treffen zu eigentlich anderen Zwecken gab. Entschieden sich Wannabe-Eltern für eine konkrete Bastelphase, war das Thema für manche Wannabe-Eltern sehr bestimmend im Alltag. Eingeweihte waren wichtige Personen, mit denen das Thema immer wieder besprochen werden konnte. Eine besondere Form der Eingeweihten waren (semi-)anonyme User*innen in Internetforen. Einige Wannabe-Eltern haben ihren Kinderwunsch und die dazugehörigen Prozesse in Foren besprochen und dort viele Vorgänge dargelegt. Die ebenfalls in den Threads anwesenden anderen User*innen wurden zu Eingeweihten, die den Wannabe-Eltern nicht körperlich bekannt sind. In seltenen Fällen gibt es Treffen der User*innen, in den meisten Fällen bleibt es aber bei der gegenseitigen Unterstützung in den Internetthreads. Diese User*innen waren häufig ebenfalls über jeden Schritt informiert, ähnlich wie enge Freunde und Freundinnen und Verwandte der Wannabe-Eltern.
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FÜR UND ÜBER
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(Wannabe und werdende) Eltern holen umfassend Informationen von verschiedensten Quellen ein. Das vorangehende Kapitel konnte die wichtigsten Informationspraktiken vorstellen, an denen die Informant*(inn)en meiner Studie teilhatten. Neben den Menschen sind Texte, Computer, Bücher, Sprechzimmer und Wohnungen nur einige der physischen Teilhaber an den Praktiken. Die Informationsquellen wurden zu Wissen verarbeitet, dass folgend zum Partizipierenden der weiteren Tätigkeiten der Eltern wurde. Inhaltlich sind fast alle hier dargestellten erhältlichen Informationen explizit auf (heteronormative) Paare ausgerichtet. Ein Kind alleine oder in einer anderen Formation als einer Zweierbeziehung zu bekommen, taucht in allen oben genannten Texten nicht auf. In den Praktiken zeigten sich kaum Partizipierende, die mit anderen Formen der Elternschaft oder neuen Figurationen von Mutterschaft und Vaterschaft verbunden sind. Die Trias Vater-Mutter-Kind schien beim Übergang zum ersten Kind fest geformt zu sein. Zusätzlich waren in den Informationstexten und in den Foren spezifisch Frauen oder Männer angesprochen, auch wenn diese Texte auch vom anderen Geschlecht gelesen werden. Die Aufteilung erfolgt so, dass die allgemeinen Texte automatisch an Frauen gerich-
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tet sind und von Mutterschaft, Müttern, Geburt und Schwangerschaft sprechen, während es gesondert ausgewiesene Texte für Väter gibt. In den Texten wurde oberflächlich der Kinderwunsch als Frauensache spezifiziert. Diese Textartefakte waren Teil der Assemblages innerhalb derer ein weibliches Subjekt als Wannabe-Mutter und ein männliches Subjekt als Wannabe-Vater figuriert wurde. Wannabe-Eltern und werdende Eltern wurden als Teil der Informationspraktiken auf Partizipierende aufmerksam gemacht, die sie vor und während der Schwangerschaft beachten mussten oder konnten. In allen Informationsmedien zeigten sich Texte und konkrete Wortabfolgen, die immer wieder vorkamen und ähnliche Themen ansprachen. Die ersten offenen Interviews haben diese Themen ebenfalls wiedergegeben, die dann Einfluss auf meinen Interviewleitfaden für weitere Interviews hatten. Mein Interviewleitfaden und meine Forschung bewegt sich ganz klar auch in diesem Diskurs und reproduziert diesen auch innerhalb bestimmter Grenzen wieder. Dieses Buch will den Übergang zur Elternschaft als Phänomen beschreiben, kann dies aber nicht, ohne in der Beschreibung die Cuts, die andere setzen, innerhalb bestimmter Parameter wieder zu reproduzieren und in dieser Schrift manifest werden zu lassen.
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Teil von Praktiken zur Herstellung eines Kindes zu sein, wurde von den interviewten Frauen und Männern in meiner Studie, und auch von den Forenteilnehmer*innen, immer wieder mit der Bezeichnung »basteln« benannt. »Basteln« implizierte für die werdenden Eltern eine Aneinanderreihung von Aktivitäten, die von ihnen als im weitesten Sinne bewusst gesteuert erlebt wurden. Diese Aktivitäten konnten den Einsatz von Hilfsmitteln inkludieren, die entweder halfen, den richtigen Zeitpunkt für die Empfängnis zu finden, den Zyklus zu regulieren oder die Fruchtbarkeit zu erhöhen. Eine andere Taktik war, alle Hilfsmittel abzulehnen und es »einfach so zu probieren«. Der Bastelphase konnte eine Vorbereitungsphase vorausgehen. Jene Eltern, die den Übergang zur Elternschaft planten, unternahmen in dieser Phase Versuche, Lebensumstände zu stabilisieren oder an bestimmte Vorstellungen anzugleichen. Sie holten Informationen über Schwangerschaft und Elternschaft ein und versuchten sich selbst als Personen zu formen, die ihren Vorstellungen von Elternschaft entsprechen.
V ORBEREITEN
DER
S CHWANGERSCHAFT
Ein Teil der Informant*(inn)en meiner Studie behauptete, die Schwangerschaft geplant zu haben. Bevor sie mit der konkreten Herstellung einer Schwangerschaft begannen, waren die Informant*(inn)en in ihren Erzählungen Teil von Praktiken, die auf die Schwangerschaft oder die Elternschaft vorbereiteten. Die Praktiken inkludierten das Besprechen des konkreten Kinderwunsches mit dem Partner, mit Freund*(inn)en oder Verwandten, das Informieren über Schwangerschaft und Elternschaft im Internet oder in Büchern, das Nachdenken über Konzepte von Elternschaft und das Planen der Einbindung der Elternschaft in das Leben der Wannabe-Eltern. Der Kinderwunsch wurde gemeinsam mit und in-
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nerhalb von Praktiken verhandelt, die schon im Kapitel Informationspraktiken (Kap. 7) angesprochen wurden. Gesprächsthemen und Tätigkeiten umfassten Ausbildung, Beruf und finanzielle, erzieherische, weltanschauliche, psychische und körperliche Vorbereitung. Ein Subjekt mit (einem legitimen) Kinderwunsch werden Es war möglich, dass an einem Herstellungsprozess beteiligte Partner*innen »schon immer« Kinder wollten und bereits früh in der Partnerschaft begonnen hatten, über einen Kinderwunsch zu sprechen. Eine konkrete Entscheidung, mit der Herstellung einer Schwangerschaft zu beginnen, wurde aber erst nach einer Evaluierung der Situation, in der sich die Eltern biographisch befanden und nach einer Evaluierung der eigenen Wünsche und Fähigkeiten zur Elternschaft vollzogen. In Gesprächen wurde versucht, gemeinsam zu planen und Wünsche zu vergleichen. In Foren konnten Wannabe-Eltern andere User*innen mit ihren Fragen zum Kinderwunsch beobachten oder selbst aktiv werden und eigene Themen diskutieren. Auf Infoseiten konnten Wannabe-Eltern überblicksmäßig Informationen über Schwangerschaft und Elternwerden sammeln.1 Diese Seiten empfahlen ebenfalls wieder, neben Ernährungs- und Bewegungsregeln, vor einer Schwangerschaft finanzielle Aspekte und Beziehungsaspekte zu durchdenken. Frauenzeitschriften boten Tests an, die die Bereitschaft für ein Kind messen sollten. Diese explizit an ein weibliches Publikum gerichteten »Psychotests« stellten Fragen wie »Glauben Sie, es gibt für Sie einen idealen Zeitpunkt, um Kinder zu bekommen?« oder »Wie stabil ist Ihre Partnerschaft?«2 und errechneten dann eine Punkteanzahl, die mit einem vorgefertigten Feedback verbunden war. Ein Wort, das bei der Beschreibung dieser Evaluierungstätigkeiten in den Interviews immer wieder fiel, ist »Stabilität«. Dazu zählten werdende Eltern eine abgeschlossene Ausbildung, oder diese zumindest in Aussicht zu haben, eine berechenbare finanzielle Lage, ein passender Wohnort, eine funktionierende Beziehung, sowie die körperliche und geistige Einrichtung auf ein Kind.
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»Vorab sollten Sie sich bewusst machen, ob Sie wirklich bereit für eine Schwangerschaft sind. Ist der richtige Zeitpunkt gegeben? Sind Sie finanziell in der Lage? Was tun, wenn die Schwangerschaft nicht den erhofften Ausgang findet? Und vor allem: Was, wenn Ihr Partner nicht bereit für einen derartigen Schritt ist?« (Überblicksseite 2, 14.10.2010)
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Weder in den Informationsseiten, noch in Forum1 tauchten Formen von Elternschaft auf, die nicht eine heteronormative Zweierbeziehung implizieren. Alternative Formen von Elternschaft finden nur sehr selten in die Texte oder werden gar nicht erwähnt.
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Texte in Foren und auf Überblicksseiten, wie auch die Gespräche mit den (werdenden) Eltern, sprachen diese Themen immer wieder an. Gleichzeitig wurden die Wannabe-Eltern auf Veränderungen und Anstrengungen hingewiesen. Beruf und Kind müssten vereinbart werden, es würde wenig Freizeit geben und viele Dinge würden die Eltern sich auch nicht mehr leisten können. Noch dazu würden sich die sozialen Beziehungen verändern: Es würde neue Freunde geben und die Partnerschaft würde nie wieder dieselbe sein. Die Texte in Foren und auf Infoseiten sagten zwischen den Zeilen vor allem: sind Sie bereit für Belastungen, Veränderungen und weniger Selbstbestimmung? Ein Kind haben wurde hier in den Informationstätigkeiten als etwas Schwieriges figuriert, das gut überlegt werden muss und das den Wannabe-Eltern viel Kraft und Zeit abverlangen wird. Im Verhältnis wurde sehr wenig über Freude oder schöne Erlebnisse mit einem Kind berichtet. Mit diesen Partizipierenden formierten sich Subjekte, die den Anspruch hatten, sich einen Kinderwunsch langfristig und gut überlegt zu haben. Sich etwas gut überlegen war, neben Gesprächen, auch mit obigen Recherchetätigkeiten verbunden. Durch das Lesen von Informationen und das Besprechen der Aspekte eines Kinderwunsches konnten die Eltern das Thema von vielen Seiten beleuchten, aber auch mittragen und verwalten. Mit diesen Tätigkeiten, die das Phänomen Kinderwunsch umfasste, formierten sich Partizipierende wie das Informationsmaterial und besondere Partizipierende, die Subjekte, die Verantwortungsbewusstsein haben und diese Informationen verarbeiten können und daraus Konsequenzen ziehen. Dazu, ein verantwortungsvolles Subjekt zu sein, gehörte wiederum, Themen zu recherchieren und Informationen einzuholen. Von den werdenden Eltern wurde ein optimaler Zeitraum angegeben, der nachgedacht und recherchiert werden kann. Die Tests, Foren und Informationsseiten boten werdenden Müttern und Vätern eine Plattform, sich mit ihrem Wunsch zu beschäftigen und Zeit mit einem Kinderwunsch zu verbringen. Dabei kam es nur begrenzt auf die tatsächlichen Inhalte dieser Seiten an (keine werdende Mutter machte ihren Kinderwunsch von dem Ergebnis eines Psychotests einer Frauenzeitschrift abhängig), sondern auch darauf, sich einen angemessenen Zeitraum mit dem Thema und den scheinbar dazugehörigen Aspekten zu beschäftigen. Zu kurze und zu lange Nachdenk- und Planungsprozesse galten dabei als problematisch. Eine Informantin erzählte etwa von Freund*(inn)en, die gleichzeitig mit ihr und ihrem Partner begonnen hatten, sich mit einem Kinderwunsch auseinanderzusetzen. Fast ein Jahr nach der Geburt ihres Kindes, rätselte das befreundete Paar immer noch, ob sie sich bereit für ein Kind fühlten. Die Informantin beurteilt dies als ineffizient.
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Dieses Beispiel gab ebenfalls einen Hinweis darauf, dass Wannabe-Eltern innerhalb von Vorbereitungspraktiken verharren konnten und Vorbereitungstätigkeiten eventuell auch Wannabe-Mütter oder Wannabe-Väter figurieren, die einen »Vielleicht-Kinderwunsch« herausbilden, der nicht in Herstellungspraktiken übergeht. Sich für ein Kind entscheiden In den Recherchepraktiken bildeten sich Voraussetzungen für Elternschaft heraus, von denen die Eltern dachten, diese erfüllt zu haben, bevor sie den Weg zur Elternschaft beschreiten. Gleichzeitig hatten aber einige Eltern in meiner Studie nicht alle dieser genannten »Meilensteine« erreicht. So konnten die Eltern, sofern sie nicht aus wohlhabenden Familienverhältnissen stammten, schwer dafür garantieren, dass sie in den nächsten 20 Jahren finanziell versorgt sein würden und auch nicht dafür, dass sich nicht während oder nach der Schwangerschaft psychische Probleme oder Beziehungsschwierigkeiten ergeben würden, die nicht intendiert und unbedacht waren. Wannabe-Eltern erreichten aber irgendwann einen Punkt, wo genug Absicherung da zu sein schien, wo genug Zeit mit der Information und Vorbereitung verbracht wurde oder wo nicht mehr weiter gewartet werden konnte. Innerhalb des Phänomens Kinderwunsch wurden nun also Subjekte herausgebildet, die einen festen und legitimen (da durchdachten) Kinderwunsch in sich tragen. War eine konkrete Entscheidung für ein Kind gefallen, wurde diese Entscheidung zum Partizipierenden in vielen weiteren Praktiken, in die die Eltern involviert waren.3 Die konkrete Entscheidung, mit den Herstellungsprozessen für
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»Naja, da muss ich dazu sagen, dass es ja eigentlich nicht so überraschend war, sondern das Ganze ja geplant war. Also wir haben im Mai geheiratet und davor schon besprochen, dass wir eine Familie gründen wollen und Kinder haben wollen. Ich habe mich auf Grund meines Studiums sehr viel mit Erziehung und mit Bindung auseinandergesetzt und wollte das selbst auch erleben, wie das ist, wenn man ein Kind erzieht. Insofern war das ein bewusster Schritt und jetzt nicht unmittelbar. Also ich hab’ jetzt nicht unmittelbar, nachdem ich gewusst habe, dass die Frau E schwanger ist, mein Denken verändert, sondern das war schon vorher. Also wir haben uns wie gesagt sehr bewusst dafür entschieden und wir haben auch sehr bewusst geplant, was wir verändern wollen und auch verändern werden. Nämlich zum Beispiel, dass wir nicht in Wien wohnen wollen, wenn wir ein Kind aufziehen, sondern irgendwo am Land, weil wir auch selber so aufgewachsen sind. [...] Wir schauen, dass wir unsere finanzielle Situation so weit im Griff haben, dass wir dem Kind eine gute Grundlage, mehr oder
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ein Kind zu beginnen, involvierte notwendige Voraussetzungen, zu verhandeln, festzulegen und, falls notwendig, Veränderungen in die Wege zu leiten. Für manche Wannabe-Eltern war dies, den finanziellen Untersatz zusammenzutragen oder eine Ausbildung abzuschließen, für andere, sich in der Arbeit zurückzunehmen. Auch wurde bei Jobwechseln und Umzügen schon konkret das Kind miteingeplant. Vier Paare in meiner Studie beschlossen, zu heiraten. Mögliche spätere Lebensformen außerhalb der Stadt wurden ebenso in dieser Phase festgelegt, wie Arbeitsformen, die mit einer Familie vereinbar sind. Informant*(inn)en stellten zusätzlich zu ihren Körpern (Rauchen aufhören, Ernährung umstellen) in der Selbstbeschreibung auch ihre »Psyche« auf die Situation ein, ein Kind zu bekommen. Dies konnte bewerkstelligt werden, indem Probleme, die in der Beziehung bestehen konnten, ausdiskutiert wurden und persönliche Probleme und Ängste aufgearbeitet wurden, besonders wenn diese die Elternschaft betreffen. Werdende Eltern erzählten hier von Therapien, denen sie sich wegen eines Kinderwunsches unterzogen und von Beratungsgesprächen und Ratgebermaterial, das hinsichtlich eines konkreten Problems konsultiert wurde. Für alle Bereiche schien zu gelten, psychische Probleme, finanzielle Probleme oder Gesundheitsprobleme sollen VOR der Empfängnis aus dem Weg geschafft werden, um die Bahn für das Kind frei zu machen. Eltern sahen diese Stabilität explizit und implizit als Notwendigkeit für adäquates Elternsein. Probleme und Instabilitäten, die nach der Geburt eines Kindes trotz aller Vorsorge auftreten könnten wurden dann ebenso nicht mehr bedacht und »aus dem weg« geschoben. Diese Probleme wurden zu möglichen Teilhabern an zukünftigen Praktiken, die nicht durch Aktivitäten in der Gegenwart verändert, antizipiert oder gelöst werden konnten. Sie wurden zum nicht kalkulierbaren Restrisiko, zum Abenteuer, das mensch mit dem Entschluss für ein Kind eingeht. Ebenso beschrieben einige Informant*(inn)en einen Punkt, manchmal verbunden mit einem spezifischen Erlebnis, wo sie nicht mehr sondieren wollten und wo sie nicht mehr auf den richtigen Zeitpunkt warten wollten. Es wurde dann in Kauf genommen, wenn eine der obigen Voraussetzungen nicht erreicht war (etwa der Abschluss der Ausbildung, das Erreichen eines Karriereziels). Die Kompensation der nicht erreichten Meilensteine war aber konkret durchdacht
weniger, eine sichere Umgebung bieten können. Wir haben uns erst neulich ein Auto gekauft, und da war es auch schon Thema, weil wir gesagt haben, in ein zu kleines Auto, da können wir keinen Kinderwagen reintun, und wir fahren ja immer wieder zu unseren Eltern [...]. Insofern wor’n des die Punkte, die ma versucht haben zu verändern, beziehungsweise zu stabilisieren [...]. Das war Mitte 2008 oder so. 2009 haben wir geheiratet, 2010 wird unser Kind auf die Welt kommen [lacht].« (Mann E)
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(etwa das Fertigstellen der Ausbildung in der Karenz). Zwei Paare erzählten etwa von lebensgefährlichen oder als lebensgefährlich empfundenen Situationen, die sie die Sondierungsphase abschließen ließen, einem Paar verhalf die erfolglose Herstellungsphase eines befreundeten Paares zu einer Beendigung der Abklärung des Kinderwunsches. Die Praktiken zur Etablierung eines konkreten Kinderwunsches implizierten Subjekte, die sich auf ein Kind »einstellen« und Platz und Zeit für etwas schaffen, das erst in frühestens einem Jahr tatsächlich da sein wird. Zuerst waren die Eltern Teil von Prozessen, die die Situation der Eltern evaluierten und ihre Elternschaftsfähigkeit bewerteten. Danach wurden die Eltern Teil von Assemblages, in denen sie als Subjekte erschienen, die konkrete Handlungen setzten, um ihr Leben auf ein Kind einzurichten. »Basteln« planen Wurde der Kinderwunsch konkret, erfolgte eine Planung des Herstellungsprozesses. Der Zeithorizont, der ab nun konkret geplant wurde, war kürzer, als der, mit dem die Eltern während der Etablierung ihres Kinderwunsches zu tun hatten. Entwickelten Wannabe-Eltern einen konkreten Kinderwunsch, versuchten sie eventuell, Jahre vorauszublicken und Elternschaft und das, was für sie dazugehört, zu planen und bereitzustellen. Die Vorbereitung der konkreten Bastelphase betraf nun die Gegenwart und die nächsten Monate der Wannabe-Eltern. Dazu gehört der richtige Zeitpunkt für die Umstellung oder das Absetzen der Verhütungsmittel, die Planung der Herstellungstechniken und eine körperliche und mentale Einrichtung auf eine Schwangerschaft und auf Elternschaft. Die Wannabe-Mütter und die Wannabe-Väter begannen dies meist damit, einen als gesünder erachteten Lebensstil auszuführen. Diese Tätigkeiten wurden in den Interviews kausal mit Informationen aus dem Internet und aus Büchern verbunden, die eine bessere Fruchtbarkeit und eine einfachere Schwangerschaft versprachen, wenn bestimmte Regeln hinsichtlich Ernährung, Bewegung und Gesundheit eingehalten werden würden.4 Mit ausreichend Sport sollte am besten
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»Ein gutes, ausgewogenes Sportprogramm bringt Ihnen drei wichtige Vorteile: Ausdauer, Kraft, Beweglichkeit. Diese drei Dinge werden Ihnen helfen: Ihr Baby zu heben und zu tragen, Ihrem Kleinkind hinterherzulaufen und mit dem täglichen Stress einer Mutter fertig zu werden. Außerdem wird es Ihnen - vorausgesetzt Sie kommen mindestens drei Monate vor der Empfängnis in Form - dabei helfen, in der Schwangerschaft aktiv zu bleiben und die neun Monate zu genießen. Und vergessen Sie nicht, dass Ihnen das auch während der Wehen nützlich sein wird! Wenn Sie jetzt Ihre Mus-
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noch vor dem Absetzen der Verhütungsmittel begonnen werden und es sollte das Gewicht sollte kontrolliert werden. Die Ernährung sollte laut den in verschiedenen Quellen wiederkehrenden Angaben »ausgewogen« sein, was mit Obst, Gemüse und Getreide, Fisch und wenig Fleisch, Fett und Zucker verbunden wurde. Rauchen als auch Alkohol und Kaffee sollte auf ein Minimum reduziert werden, bei beiden Partnern, da dies, wie auch die anderen aufgezählten Komponenten, die Fruchtbarkeit für die Frau als auch die Spermienqualität erhöhen soll. Waren die Voraussetzungen für den Beginn der Herstellungsphase geregelt, begannen die Wannabe-Eltern, Teil von verschiedenen Praktiken zu werden, die eine Schwangerschaft herstellen sollten. Die nächsten Abschnitte beschäftigen sich mit zwei dieser Strategien.
» EINFACH
SO PROBIEREN «
Die Praktik des »Einfachsoprobierens« war charakterisiert durch die Tätigkeit des Absetzens der Verhütungsmittel: Die Pille oder Hormonspritze wurde abgesetzt, eine Spirale, ein Pflaster oder ein Verhütungsstäbchen entfernt, oder das Kondom wurde weggelassen. Nach dem Unterlassen der Verhütung hatten die Wannabe-Eltern den Anspruch, »weiter wie bisher« zu leben. Ziel war es, dass der Kinderwunsch im Alltag und vor allem beim Geschlechtsverkehr nicht allgegenwärtig war. Der Geschlechtsverkehr sollte weiter der Lust (»just for fun sex«, »Sex nach Lust und Laune«) dienen und nicht nur zum Zwecke der Kindererzeugung ausgeführt werden. Elemente dieser Praktik schienen ein gelassener Gemütszustand des Subjekts zu sein und ein entspannter Körperzustand, verbunden mit der Alltagstheorie, dass »nicht dran denken« eine Schwangerschaft erzeugen kann. Nach dem Absetzen der Verhütungsmittel tauchte in den Gesprächen, in Foren, im Infomaterial und in Gesprächen mit Gynäkolog*(inn)en immer wieder ein Zeitraum von ca. einem Jahr auf, innerhalb dem eine Schwangerschaft eintreten kann und soll. Eltern, die (sehr) schnell nach der Vernachlässigung der Verhütung schwanger wurden, waren davon häufig überrascht. Informant*(inn)en
keln kräftigen, dann wird es später nicht so sehr im Lendenwirbelbereich schmerzen. Ein Aerobic-Programm kann Ihre Laune und Ihren Energie-Level heben und quasi nebenbei erreichen Sie ein gesundes Vor-Schwangerschaftsgewicht. Sie werden auch weniger anfällig auf die Hormonschübe reagieren, die Schwangere aggressiv und reizbar machen und damit Freunde und Familie in die Flucht schlagen.« (Überblicksseite 1, 14.10.2010)
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sprachen in den Interviews davon, dass es »schneller als erwartet« ging und sie nicht damit rechneten, dass innerhalb der ersten Monate nach dem Absetzen der Verhütung eine Schwangerschaft eintreten kann. Die Eltern kamen mit normativen Vorgaben in Berührung, die sie annehmen ließen, »das kann auch ein Jahr dauern«. Gleichzeitig erwarteten Wannabe-Eltern ab dem Zeitpunkt des Absetzens der Verhütungstechnologie eine mögliche Schwangerschaft und achteten auf mögliche Anzeichen (siehe Kap. 9). War die Praktik »einfach so probieren« aber über einen Zeitraum von acht bis zwölf Monaten nicht erfolgreich, begannen auch diese Eltern Hilfsmittel einzusetzen.
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MIT
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Wannabe-Eltern konnten in der Bastelphase mit Partizipierenden wie Artefakte, Lebensmittel, Heilmittel, körperliche und geistige Übungen verbunden sein, um die Fruchtbarkeit zu unterstützen oder zu messen. Es gab Eltern, die bereits von Beginn an Teil dieser Praktiken waren und welche, die zu diesen Praktiken übergingen, wenn die Praktik des »Einfachsoprobierens« nicht funktionierte. Die Partizipierenden, die hier ins Spiel kamen, lassen sich in Mittel zur Bestimmung der fruchtbaren Tage und Mittel zur Unterstützung der Fruchtbarkeit teilen. Bei Ersten ging es darum, messbare Körper zu schaffen und einen unsichtbaren Zyklus sichtbar werden zu lassen und damit die Wahrscheinlichkeit einer Empfängnis zu erhöhen, bei Letzteren, auf diesen Zyklus einzugreifen und diesen zu regulieren und zu normieren. Innerhalb der Praktiken des Bastelns wurde als Partizipierender ein Normzyklus figuriert, der gemessen und reguliert werden konnte. Damit verbunden war eine Alltagstheorie, dass innerhalb eines Normzyklus die Wahrscheinlichkeit einer Empfängnis höher ist. Mittel zur Messung des Zyklus und Mittel zur Kontrolle des Zyklus konnten gemeinsam eingesetzt werden. Körper fruchtbar machen: Unterstützung der Fruchtbarkeit, Regulierung des Zyklus Die Unterstützung der Fruchtbarkeit, oder den Körper auf die Fruchtbarkeit oder die Schwangerschaft vorzubereiten, beinhaltet eine Reihe von Tätigkeiten, die den Körper, die Hormone, den Geist, oder alles zusammen adressieren. Zusätzlich gibt es Tätigkeiten, die übernatürliche Kräfte anrufen, wie etwa Beten, zuhause oder an einem bestimmten Ort.
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Körper fruchtbar trainieren Hormon-Yoga, Fruchtbarkeitsmassagen, Shiatsu oder Luna-Yoga waren Praktiken, die den Körper adressieren sollten, um »Blockaden«, die Fruchtbarkeit verhinderten, zu lösen und den Zyklus zu regulieren. Die Wannabe-Mütter mussten dabei eine bestimmte Abfolge von Übungen regelmäßig wiederholen oder wurden, im Falle von Massagen oder Shiatsu, regelmäßig einer spezifischen Fremdbewegung des Körpers ausgesetzt. Die Wannabe-Mütter führten diese Übungen zuhause oder in Kursen, gemeinsam mit anderen Menschen, aus. Diese Methoden sollten die Materialität des Körpers auf Fruchtbarkeit ausrichten, aber gleichzeitig auch den Geist beruhigen und mögliche Ängste nehmen. Einige Informant*(inn)en und Forenteilnehmer*innen schlugen schlicht regelmäßigen Sport als unterstützende Maßnahme vor. Diese Bewegung war entweder bereits routinemäßig in die alltäglichen Praktiken eingebunden, oder die WannabeMütter und auch -Väter begannen am Beginn des Kinderwunsches gezielt mit der Bewegung, um Gesundheit und darauf folgend die Fruchtbarkeit anzukurbeln. Innerhalb dieser Praktiken wurden fruchtbare Subjekte geformt, dadurch, dass die Wannabe-Mütter mit einem Willen figuriert wurden, Bewegungsabläufen zu folgen, die ihre innere von diesem Willen trennbare Materialität, ihre Fortpflanzungsorgane, beeinflussen sollten. Die mentalen Konzepte, die mit diesen Praktiken verbunden waren, beinhalteten den festen Glauben, dass durch diese Tätigkeiten eine Empfängnis wahrscheinlicher werde und die Schwangerschaft einfacher verlaufen könne. Der im Subjekt figurierte Wille hatte aber nicht die Fähigkeit, den Eierstöcken zu befehlen, zu einem gewollten Zeitpunkt zu ovulieren. Die Wannabe-Mütter machten die Übungen im Glauben, dass dadurch ein regelmäßiger Zyklus eintritt, der die Ovulation zumindest erwartbar und somit wiederum teilweise steuerbar macht. Fruchtbare Subjekte wurden als solche figuriert, die ihre Fertilität durch diese Trennung von Denken und inneren und äußeren Körperwelten gezielt regulieren, aber nicht vollständig kontrollieren konnten. Dadurch wurden die Wannabe-Mütter als Subjekte figuriert, die für ihre Schwangerschaft »arbeiten« und ihren Körpern Bewegungen und Regeln unterziehen mussten. Körper fruchtbar essen Zur Transformierung zum fruchtbaren Subjekt gehörte auch die Zuführung von Nahrung oder anderen Genussmitteln. Informant*(inn)en gaben das Rauchen schon während des Bastelns auf und achteten mehr auf ihre Ernährung. Dies galt
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für Wannabe-Mütter und auch für Wannabe-Väter. Lebensmittel, die laut der Alltagstheorie der Eltern, die durch das Lesen von Informationsmaterial und Gespräche zustande kam, einer Empfängnis entgegenwirkten, wurden von manchen Wannabe-Eltern vom Speiseplan gestrichen. Hauptsächlich wurde versucht, weniger Fett und Zucker zuzuführen und dafür vitamin- und ballaststoffreiche Kost stärker einzubinden. In Überblicksportalen, Büchern und Foren wurde besonders an die WannabeMütter appelliert, vor der Empfängnis auf die eigene Gesundheit zu achten. Die Rede war hier von körperlichem Speichern an Vitaminen und Spurenelementen, die durch Diäten, ungenügende Ernährung oder Stress geleert sein könnten. Die Eltern sollten nun durch richtiges Verhalten diese wieder befüllen, um gut auf die Schwangerschaft vorbereitet zu sein und um »gesund und fruchtbar« zu werden. Wannabe-Väter waren dazu aufgefordert, auf ihre Ernährung und auf die Rücknahme von Genussmitteln zu achten, um ihre Spermienqualität zu erhöhen. In den Gesprächen und in den Foren zeigten sich Theorien darüber, dass Alkohol und Zigaretten der Spermienanzahl und ihrer Qualität abträglich sind. WannabeVäter werden in den Überblicksportalen und Broschüren aber seltener explizit angesprochen und erzählten auch seltener davon, sich über diese Themen informiert zu haben. Die Wannabe-Eltern und im Speziellen Wannabe-Mütter wurden hier als selbstverantwortliche Subjekte angerufen, die ihre Fertilität selbst in der Hand haben (müssen). Fruchtbarkeit zum Einnehmen Wannabe-Mütter setzten unterstützend Naturheilmittel wie Himbeerblättertee, Kindlein-Komm-Tee, Frauenmanteltee, Mönchspfeffer oder Nahrungsergänzungsmittel wie Folsäure ein. Die Heilmittel wurden täglich eingenommen und waren mit den Behauptungen verbunden, dass diese Mittel den Zyklus regelmäßiger machen würden, einen regelmäßigen Eisprung begünstigen würden und die Gebärmutterschleimhaut positiv beeinflussen würden. Allen Mitteln wurde eine regulierende Kraft bezüglich des Hormonhaushalts zugeschrieben. Ein besonders wichtiger Partizipierender schien Folsäure zu sein. Folsäure ist ein essentielles Vitamin, das die Fruchtbarkeit erhöhen sollte und in der Frühschwangerschaft auf den Embryo einwirken soll. Auch Gynäkolog*(inn)en empfahlen das Einnehmen von Folsäure bereits vor der Schwangerschaft, um einen Mangel an Folsäure, der sich in manchen Fällen schädigend auf den Embryo auswirken könne, zu verhindern. Es blieb aber meist unklar, ob eine ausgewogene Ernährung den Tagesbedarf an Folsäure nicht auch ohne Nahrungsergänzungsmittel decke. Die Texte, mit denen die Wannabe-Eltern hier in Kontakt
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kamen, vermittelten, dass eine Nichteinnahme von Folsäure eine Behinderung beim Kind nach sich ziehen könne. Innerhalb der Praktiken, die körperliches Training oder bestimmte Nahrungsmittel und Nahrungsergänzungsmittel als Partizipierende hatten, wurden im Speziellen Wannabe-Mütter, aber auch Wannabe-Väter, als jene figuriert, die schon vor der Empfängnis für ihre eigene Gesundheit und die Gesundheit ihres Nachwuchses vorsorgen müssen. Die Bewegung des Körpers auf eine bestimmte Art und Weise erzeugte eine spezifische Muskulatur. Gute Ernährung und die Einnahme der richtigen Nahrungsergänzungsmittel sollte eine gesunde und fruchtbare Mutter und ein gesundes Kind erzeugen. Es wurden Subjekte figuriert, die mentale Konzepte haben, in denen sich Wannabe-Eltern umfassende Verantwortung zuschrieben. Auch die Verantwortung, sich zu informieren und sich Wissen zu suchen, auf Grund dessen dann gehandelt werden sollte. So war es möglich, die Verantwortung für einige als medizinisch konstituierte Probleme zu übernehmen und zur Verhinderung dieser vorzusorgen. Die in den Praktiken figurierten Subjekte waren der Auffassung, Folgepraktiken zu kontrollieren und verantwortlich für diese zu sein. Diese Kontrolle war möglich, indem die Subjekte, wie im vorigen Punkt bereits beschrieben, in einen körperlichen und einen mentalen Teil getrennt wurden. In den Beschreibungen erlebten sich die Informantinnen als Bewusstseine mit Willen, die Körper haben, und die Behandlung dieser Körper führen zum Handlungsziel. Implantierte Fruchtbarkeit Es gab Wannabe-Mütter, die alle diese Regeln einhielten und sich im Sinne der Alltagstheorien über Fruchtbarkeit verhielten. Dennoch figurierte sich kein fruchtbares Subjekt, sie wurden nicht schwanger. Obige Herstellungspraktiken waren also aus der Sicht der Wannabe-Eltern nicht immer erfolgreich und sie erzeugten nicht immer schwangere Frauen. Tritt eine Schwangerschaft auch in Verbindung mit Mitteln, die die fruchtbaren Tage bestimmen konnten, nicht ein, unterzogen sich die Wannabe-Eltern meist medizinischen Tests. War ein medizinisches Problem identifiziert, wurde bei den Wannabe-Müttern mit Clomifen oder Gonadotropinen nachgeholfen. Die medizinischen Mittel sind synthetische Hormone, die entweder das Heranreifen einer Eizelle oder den Eisprung begünstigen. Clomifen ist ein Medikament, das in Tablettenform im ersten Drittel des Zyklus eingenommen wird. Gonadotropine müssen täglich gespritzt werden. Entsprach das Spermiogramm des Mannes nicht der Norm, konnte mit der Gabe von Profertil versucht werden, die Beweglichkeit und die Anzahl der Spermien zu erhöhen.
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Halfen diese Medikamente und Spritzen bei den Wannabe-Müttern und Vätern nicht, dann konnte noch auf die Reproduktionstechnologie zurückgegriffen werden. Die Eltern konnten hier Teil von Praktiken werden, in denen entnommener und aufbereiteter Samen direkt in die Gebärmutter gespritzt wurde (Intrazytoplasmatische morphologisch selektierte Spermien-Injektion), eine Eizelle im Reagenzglas befruchtet wurde und die fertilisierten Eizellen dann implantiert wurden (In-vitro-Fertilisation) oder in denen die Eizellen mit spezifisch ausgewählten Spermien fertilisiert wurden, um dann in die Gebärmutter eingesetzt zu werden (Intrazytoplasmatische Spermieninjektion). Diese Verfahren wurden in Foren und Gesprächen mit Freund*(inn)en, Verwandten und Fachpersonal intensiv durchdiskutiert. Die Verfahren waren häufig langwierig, mit aufwändigen Hormontherapien und sehr viel Stress bei den Wannabe-Eltern verbunden.5 Fruchtbarkeit von oben Alle in diesem Abschnitt beschriebenen Praktiken können von Tätigkeiten begleitet werden, die übernatürliche Kräfte aller Art anrufen. Das kann zu einem Gott beten, die gedankliche Fokussierung auf den Kinderwunsch an einem bestimmten »geweihten« Ort, ein Wunsch ans Universum oder der Einsatz von gezielten Gedanken sein, die helfen sollen, dass eine Schwangerschaft eintritt.6 Diesen Praktiken war gemeinsam, dass die Wannabe-Eltern sich »in sich zurückziehen«, einen geistig entspannten Zustand erlangten und ihre Denktätigkeiten auf ein Gebet, einen Gedanken oder einen Wunsch fixierten. Dies kann zuhause, an einem spezifisch vorbereiteten Ort oder auch in Verbindung mit Bewegungstätigkeiten (Yoga-Übungen) geschehen. Gebete an geweihten Orten wurden in den Geschichten der Informant*(inn)en und Forumsteilnehmer*(inne)n nur einmal durchgeführt, während andere Gebete, Wünsche und
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Keine der Interviewpartner*innen in meiner Studie musste auf eines dieser Verfahren zurückgreifen. Ich werde deswegen auf diese Verfahren in dieser Arbeit nicht weiter eingehen. Es gibt sehr umfangreiche Forschung zum Thema. Einen guten Überblick bietet das Special Issue des Journals »Culture, Medicine and Psychiatry« Vol 30/4, 2006 zu dem Thema.
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»Wir haben also eine Inselrundfahrt gemacht und da haben wir dann einen Demetertempel besichtigt. Und nachdem das ja so die Fruchtbarkeitsgöttin ist, und das war auch total schön von der Landschaft her und so, und da hab’ ich mir gedacht, wenn das schon mal so ein geweihter Ort war praktisch, könnten wir doch eigentlich mal drum beten, dass das so funktioniert [lacht], wie wir uns das vorstellen.« (Frau E)
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Gedanken in das Alltagsleben integriert waren und routinemäßig immer wieder wiederholt wurden. Andere glaubten an die Übertragung von Schwangerschaftsviren (eine Schwangere steckt andere mit der Schwangerschaft an) oder das Trinken von Quellen, die Fruchtbarkeit versprechen. Viele dieser Tätigkeiten wurden in den Gesprächen als halbernste Tätigkeiten beschrieben, die nach dem Prinzip »hilft’s nix, schad’s nix« verfahren. Trotzdem wurden diese Tätigkeiten, wenn damit begonnen wurde, regelmäßig verfolgt. Alles unter Kontrolle Es wurden hier wiederum Subjekte figuriert, die sich selbst und damit die Geschehnisse lenken können, sei es durch ein Gebet oder die Wiederholung von spezifischen Gedanken. Es wurde hier zwar eine übernatürliche Kraft aufgerufen, in den Gesprächen beschrieben sich die Wannabe-Eltern aber selbst als jene, die eine Wirkung erzielten, dadurch, dass sie den Schritt zum Gebet oder zum Wunsch gesetzt haben. Übernatürliche Kräfte erschienen in diesen Konzepten kontrollierbar und beeinflussbar. Auch innerhalb dieser Praktiken wurden die Wannabe-Eltern als Subjekte figuriert, die ihre Fruchtbarkeit in den eigenen Händen (und Körpern) hatten. Sie produzierten folglich auch eine Fehlleistung, wenn eine Fruchtbarkeit nicht eintrifft. Dies wurde dann implizit als persönliche Unfähigkeit beschrieben. Unter all den obigen Praktiken wurden in den Subjekten mentale Konzepte hervorgebracht, die die volle Verantwortung auf das Individuum legten, nach dem Motto »wenn ich/wir alles richtig mache(n), dann werde(n) ich/wir bestimmt schwanger«. Und wenn nicht, dann müssen wir einfach herausfinden, was wir falsch machen oder was mit unseren Körpern nicht stimmt. Es zeigte sich hier wieder die Trennung zwischen einem intentionalen Willen und Körpern, mit denen die Subjekte figuriert wurden. Probleme, die der Körper machen konnte, erschienen als reparabel und durch Willenskraft in Verbindung mit Wissen, Medizin oder Technik beeinflussbar. In den Praktiken wurden klar Subjekte figuriert, deren mentale Konzepte das Tun anleiteten. Subjekte dachten, dass sie, durch das was sie wollen und glauben, ihre Zukunft beeinflussen. Die anderen Partizipierenden der Praktiken, die das Phänomen Fruchtbarkeit bilden, erschienen diesem mentalen Willen untergeordnet. Dies zeigte sich ebenso darin, dass Diskurse, wie etwa um eine biologische Uhr, die die Fruchtbarkeit und den Kinderwunsch antreiben könnten, in den Interviews gar nicht vorkamen. In der Trennung des Subjektes in einen Willen und einen Körper mit einer klaren Hierarchie, war es für die Eltern schwer denkbar, dass dieser von ihren Geistern kontrollierte Körper ihnen Gedanken in den Kopf setzt.
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An der Kontrolle der Fruchtbarkeit partizipierten aber nicht nur die Selbstbehandlungen der Eltern, sondern auch Mittel zur Messung des Zyklus, die mit den Tätigkeiten zur Herstellung von fruchtbaren Körpern verwendet werden konnten. Den Zyklus messen: Mittel zur Bestimmung der fruchtbaren Tage Obige Praktiken zur Regulierung des Zyklus und zur Erhöhung der Fruchtbarkeit wurden manchmal begleitet von Tätigkeiten, die Fruchtbarkeit messen. Um den richtigen Zeitpunkt für Geschlechtsverkehr zu bestimmen, verwendeten Wannabe-Eltern Ovulationsteste und Temperaturmessungen. Meist waren die Wannabe-Mütter, an deren Körper die Methode angewandt wurde, die Expertinnen für diese Methoden. Bei der Temperaturmessmethode musste täglich morgens zum selben Zeitpunkt, noch vor dem Aufstehen, die Temperatur gemessen werden. Die Temperatur wurde in eine Tabelle oder mit Hilfe von Computeranwendungen in eine Kurve eingetragen. Für die Methode musste ein Thermometer gekauft werden, das kleine Temperaturunterschiede messen kann. Minimale Schwankungen der Temperatur zeigten dann an, ob ein Eisprung erfolgt ist. Zur Unterstützung verwenden die Anwenderinnen häufig Ovulationsteste. Ovulationsteste konnten die fruchtbaren Tage mittels eines Anstiegs des luteinisierenden Hormons (LH) im Urin nachweisen.7 Zeigt der Test einen Anstieg an, ist ein Eisprung in den nächsten 24 bis 48 Stunden möglich. Der richtige Zeitpunkt für Geschlechtsverkehr ist nun also gekommen. Manche Anwenderinnen verfolgten die Alltagstheorie, dass es hauptsächlich auf den richtigen Zeitpunkt ankomme. Manche Wannabe-Mütter sprachen auch davon, dass die richtige Menge an Sex gefunden werden muss. Zu viel Sex senke die Spermienqualität oder erhöhe die Säure in der Scheide und verringere die Chance auf Empfängnis. Auch lasen Informant*(inn)en im Internet Artikel darüber, dass gewisse Stellun-
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Medizinische Diskurse behaupten, dass das luteinisierende Hormon von der Adenohypophyse freigesetzt wird (Schulze 2006, 5). Diese wird wiederum von ReleasingHormonen aus dem Hypothalamus stimuliert. Die Adenohypophyse setzt das luteinisierende Hormon und das Follikel-stimulierende Hormon (FSH) frei. Letzteres fördert das Heranwachsen eines Follikels, während das LH für die Reifung der Oozyte (Eizelle), auch nach der Ovulation, zuständig ist.
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gen die Empfängnis begünstigen konnten und dass die Auswahl eines bestimmten Tages das Geschlecht des Kindes beeinflussen könnte.8 In den mentalen Konzepten, die in den Interviews und in den Forenthreads hervortreten, zeigte sich, dass der Einfluss des Willens und der Koordinationsfähigkeit der Wannabe-Eltern auf den Erfolg sehr groß ist. Es müsse nur richtig gemacht werden und es müssen nur die richtigen Hilfsmittel eingesetzt werden. Nichtsdestotrotz gab es werdende Eltern, bei denen die Herstellung, ganz ohne bewusste Konzepte und Leitung dessen, stattgefunden hat.
H ERSTELLUNGSTÄTIGKEITEN
OHNE MENTALES
K ONZEPT
Jene Eltern, die tatsächlich »ungeplant« schwanger wurden, waren Teil von ähnlichen Herstellungspraktiken wie Subjekte, die Teil an den Praktiken »einfach so probieren« waren, ohne jedoch ein bewusstes mentales Konzept dafür auszubilden, dass dies gewollt oder möglich sei. Eine Informantin meiner Studie erhielt
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In der medizinischen-biologischen Forschung gelten die fruchtbaren Tage als nicht genau bestimmbar. Der richtungsweisende Artikel von Wilcox, Weinberg and Baird (1995) ist immer noch Forschungsgrundlage in der Medizin (e.g. Jarvelä et. al., 2010). Bis zu diesem Zeitpunkt beliefen sich die Schätzungen auf zwei bis zehn fruchtbare Tage im Zyklus (Wilcox et.al., 1995, 1517). Weiters ist auch unbekannt, welche Frequenz von Geschlechtsverkehr die Chancen einer Befruchtung maximieren. In der Studie von Wilcox et. al. entstanden aus 708 weiblichen Zyklen 199 Schwangerschaften, die per Test des hCG-Hormons nachgewiesen werden konnten, von denen aber 48 innerhalb der ersten sechs Schwangerschaftswochen abgingen (Wilcox et.al., 1995, 1518). Danach war die Schwangerschaft klinisch feststellbar. Weitere 15 Embryos gingen innerhalb der ersten 24 Wochen ab. Wilcox et. al. stellten eine Periode von ca. 6 Tagen vor der Ovulation fest, die als fruchtbare Tage gelten können. Geschlechtsverkehr 6 Tage vor dem Eisprung führt den Berechnungen von Wilcox et. al. in 10 % der Fälle zum Erfolg. Geschlechtsverkehr am Tag der Ovulation in 33 % der Fälle. Für täglichen Sex haben die Forscher*innen eine Schwangerschaftschance von 37 % pro Zyklus errechnet, vorausgesetzt, es gibt keine körperlichen Hindernisse für Fertilität (Wilcox et.al., 1995, 1519). Es besteht keine Evidenz, dass die Frequenz des Geschlechtsverkehrs Auswirkungen auf die Fertilität hat und auch nicht dafür, dass das Geschlecht durch Sex an einem bestimmten Zeitpunkt beeinflusst werden kann (Wilcox et. al, 1995, 1520). Ovulationsteste messen meist den Zeitpunkt 24 bis 48 Stunden vor der Ovulation. Zu diesem Zeitpunkt wären aus medizinischer Sicht bereits vier bis fünf fruchtbare Tage überschritten.
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eine Unfruchtbarkeitsdiagnose, die ein Ablassen von Verhütungsmitteln nach sich zog. Prompt stellte sich eine Schwangerschaft im ersten Zyklus ein. Bei zwei weiteren Informantinnen versagte die Verhütungstechnologie, wobei ein Paar eine Methode mit einem vergleichsweise hohen Pearl-Index benutzte und sich dessen Risiko bewusst war und ein Paar nicht verhütete. Eine Informantin bemerkte ihre Schwangerschaft erst nach dem Ende des ersten Trimesters. In allen vier Fällen hatte aber innerhalb der Beziehungen schon die Ausbildung des Kinderwunsches stattgefunden. Die Empfängnis war dann nur etwas früher als geplant oder an einem nicht geplanten Zeitpunkt. In diesen Praktiken waren die Subjekte nicht als autonome entscheidende Subjekte figuriert. Diese Position konnten sie eventuell wieder in Praktiken annehmen, in denen Evidenz über eine Schwangerschaft hergestellt wird und die Eltern als jene geformt werden, die dies bewusst verhandeln (siehe Kap. 9). In diesem Falle war Schwangerschaft und somit auch die Fruchtbarkeit, für die sich andere so abmühten, einfach passiert, ohne das Zutun eines Willens, der den eigenen Körper konkret zurechtrichtete. Subjekte wurden in diesen Praktiken figuriert als inhärent fruchtbar. Die Trennung von Geist und Körper innerhalb des Subjekts, die in den Praktiken zur bewussten Herstellung von Fruchtbarkeit so prävalent war, konnte aber auch hier in Vorwürfen wieder auftauchen, diese inhärente Fruchtbarkeit nicht beachtet oder willentlich kontrolliert zu haben.
K ONSEQUENZEN DER B ASTELPHASE : D ER S CHRITT IN DIE R ETRADITIONALISIERUNG
ERSTE
Die Entwicklung eines Kinderwunsches und die Herstellung eines Embryos waren mit Figurationen von Subjekten verbunden, die selbstverantwortlich diese Vorgänge und vor allem ihre eigenen Körper anleiteten. Der Kinderwunsch war wohlüberlegt und über einen angemessenen Zeitraum durchdacht, die Herstellungspraktiken werden gezielt gewählt. Als Voraussetzung für einen Kinderwunsch erscheint eine heterosexuelle Paarbeziehung, die die Komponente romantische Liebe inkludiert. Andere Formen von Beziehungen und Lebensformen, in denen Kinder entstehen können, tauchten in den Partizipierenden, mit denen die Subjekte gemeinsam geformt werden, sehr selten auf. Ein Paar, das einen Kinderwunsch haben sollte, bestand in den Beschreibungen der Eltern aus in sich gefestigten Individuen, die Probleme und Krisen meistern und miteinander verhandeln können. Sie verfügen über eine abgeschlossene Ausbildung und die finanziellen Mittel, die eine Elternschaft mit sich bringt. Waren diese Voraussetzungen vorhanden, konnte mit dem Basteln begonnen werden. Die Wan-
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nabe-Eltern können dann Teil der Praktiken werden, die Fruchtbarkeit herstellen und Artefakte zur Messung der Fruchtbarkeit heranziehen oder sie exkludierten einfach die Verhütungsmittel und hofften, »einfach so« schwanger zu werden. Konzipiert werden sie als Subjekte, die den Prozess der Herstellung eines Embryos bewusst anleiten und verantwortlich sind für das Ergebnis, das erschaffen wird. Gleichzeitig zeigten die Daten, dass diese Praktiken häufig nicht zum Erfolg führen und sich keine Schwangerschaft einstellt. Die Wannabe-Eltern wurden auch in diesen Praktiken als Subjekte figuriert, die dies selbst zu verantworten haben und falsche Tätigkeiten durchgeführt haben oder ungenügende Körper aufweisen. Unbewusst hergestellte Embryonen zeigten wiederum, dass die mentale Verantwortlichkeit und Anleitung des Herstellungsprozesses nicht notwendig sind, um eine Schwangerschaft herzustellen. In den obigen Praktiken figurierten sich insbesonders weibliche Subjekte, die mit besonders vielen Regelungen zur Erlangung einer Schwangerschaft belegt sind. Richtig trainieren, richtig essen, richtig trinken, Nahrungsergänzungsmittel einnehmen, die Gedanken fokussieren, nicht rauchen, nicht trinken, »natürlich« keine Drogen nehmen, kein Fett und keinen Zucker essen. Und wer dann nicht schwanger wurde, der war selbst schuld, dessen Körper hatte ein Problem oder mensch hat sich nicht gut genug an die Regeln gehalten. Forschung zur Retraditionalisierung der Geschlechterrollen beginnen nach der Geburt und zeigen meist auf, dass die Zeitverwendung der Partner ungleich ist (z. B. (Dribe und Stanfors, 2009). An den obigen Praktiken ist zu sehen, dass diese Ungleichheit schon viel früher beginnt. Frauen wurden hier als Subjekte figuriert, die viel Verantwortung für ihre Fruchtbarkeit und für den Embryo, der entstehen soll, übernehmen. Die Praktiken, an denen viele Frauen teilhatten, sind zeitaufwändig und fokussieren und figurieren die Frau auf ihre Funktion als Schwangere und Mutter. Mögliche Fehlentwicklungen des Embryos wurden in den Texten konkret mit einem Fehlverhalten der Mutter (keine Folsäure eingenommen, schlechte Ernährung) verbunden. Die Entscheidung für ein Kind war somit der erste Schritt in eine traditionelle Figuration der Frau als Mutter und Verantwortliche für ein Kind. Väter wurden zwar auch als Subjekte konfiguriert, die durch gesundes Verhalten ihre Spermienqualität erhöhen sollen, doch schlechtes Spermium wurde selten als Begründung für Probleme herangezogen, die während der Schwangerschaft in Verbindung mit dem Embryo auftraten. Auch galten die Väter nicht verantwortlich dafür, dass die Mütter körperliche Tätigkeiten oder Mittel einnehmen, die die Fruchtbarkeit erhöhen. Sie mussten nicht täglich morgens ihre Temperatur abmessen und den eigenen Zyklus kontrollieren. Sie werden als Subjekte figu-
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riert, die bereit sind, sobald der weibliche Körper es ist. Als weiblich figurierte Subjekte mussten hingegen unter Umständen viel Arbeit am und mit dem eigenen Körper und Geist unternehmen, um richtig schwanger zu werden. Dies war Zeit, die ab nun für andere Tätigkeiten fehlte. Es entstand ein Ungleichgewicht hinsichtlich der Aufwendungen für eine Schwangerschaft, die Konsequenzen für alle anderen Lebensbereiche hatte.
9 Herstellung von Evidenz über die Schwangerschaft
Eine Schwangerschaft, die nach Prozessen des Bastelns möglich ist oder vermutet wird, muss nun festgestellt oder evident gemacht werden. Wannabe-Eltern müssen Teil von Praktiken werden, die die Schwangerschaft »real« oder »echt« machen. Der menschliche Körper verfügt über kein sicheres Informationssystem innerhalb des Körpers, der einer Frau mitteilt, ob sich ein fertilisiertes Ei in die Gebärmutter eingenistet hat. In der Frühschwangerschaft erzeugt dieses weder einen Babybauch, noch gibt es schon die Möglichkeit, Kindsbewegungen oder Ähnliches zu erspüren. Wenn es körperliche Anzeichen für eine Schwangerschaft gibt, können diese durch andere Einflüsse, wie etwa den bloßen Wunsch zu einer Schwangerschaft, entstanden sein. Die Wannabe-Eltern waren nun Teil von Praktiken mit Artefakten, die eine Erzählung über die innere Materialität des Mutterkörpers leisteten. Vorrangige Erzählmittel zur Erzeugung von Evidenz waren Intra-Analysen, Schwangerschaftsteste und Sonographien. Dieser Prozess, mit seinen Praktiken und dazugehörenden Entitäten, folgte direkt auf die Praktiken des Bastelns und die Praktiken des Bastelns wirkten sich auf die Praktiken in diesem Prozess aus. Ab dem Zeitpunkt eines möglichen Eisprungs, vor allem falls die Eltern diesen mittels Temperaturmessmethode oder Ovulationsteste meinten genau feststellen zu können, begannen Praktiken, die eine mögliche Schwangerschaft anzeigen sollten. Dies begann damit, dass Wannabe-Mütter ihren Körper einer wiederkehrenden Intra-Analyse unterzogen, die Veränderungen im Körper feststellen sollte. Diese Veränderungen wurden mit einem Katalog von Anzeichen verbunden, die eine Schwangerschaft anzeigen könnten. Partner und in den Bastelprozess eingeweihte Personen konnten den Körper der Mutter ebenfalls einer Beobachtung unterziehen. Anzeichen für eine Schwangerschaft, die sich in den Analysepraktiken zeigen konnten, waren aber nur zu einem geringen Maße als evidenzherstellendes Mittel geeignet. Die Wannabe-Eltern mussten abwarten, bis die vermutete Entwicklung der Zygote zur
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Blastozyste vollzogen war und diese sich einnistete. Kurz nach der Einnistung der Blastozyste war eine Testung mit einem Schwangerschaftsfrühtest möglich. Ab dem 10. Tag der Fertilisation war ein Standardtest möglich, der mit hoher Sicherheit eine bestehende Schwangerschaft anzeigen konnte. Ein positiver Schwangerschaftstest gab den Wannabe-Eltern meiner Studie aber nicht genug Sicherheit darüber, dass die Schwangerschaft »echt« ist. Ein Termin bei dem/der Gynäkologen/-in, der eine Ultraschalldiagnostik der Schwangerschaft beinhaltete, konnte mehr Sicherheit geben. Auf diesen in der Hierarchie der evidenzherstellenden Mittel am höchsten stehenden Schwangerschaftstest mussten die Wannabe-Eltern aber warten. Wartezeiten waren gefüllt mit Gefühlen der Gewissheit und der Vorfreude, vermischt mit Praktiken der Unsicherheit (genauer Kap. 11), denn auch bei einer nachweisbaren Schwangerschaft sind die Wannabe-Eltern mit Diskursen um eine erhöhte Wahrscheinlichkeit eines spontanen Aborts in den ersten 10-12 Wochen in Kontakt. Die wichtigsten Partizipierenden im Prozess der Herstellung von Evidenz über die Schwangerschaft waren die Zygote, die sich zu Blastozyste und Embryo entwickelt, Wannabe-Mütter und Wannabe-Väter, die sich zu werdenden Müttern und Vätern entwickeln, Anzeichenbeschreibungen, Schwangerschaftsteste, Gynäkolog*(inn)en und Ultraschallgeräte. Im Folgenden werden die wichtigsten Praktiken (die IntraAnalysen, Vermutungen besprechen, Teste machen, warten, Termine machen, Gynäkolog[inn]enbesuche) dieses Prozesses beschrieben.
H IBBELZEITEN : I NTRA -A NALYSEN DES K ÖRPERS W ARTEN AUF DIE S CHWANGERSCHAFT
UND
Werdende Eltern berichteten in den Interviews von körperlichen und psychischen Anzeichen, die auf eine Schwangerschaft hinweisen können. Diese Anzeichen lasen Wannabe-Eltern auf Überblicksseiten, in Büchern und in Foren, sie hatten Szenen aus dem Fernsehen in Erinnerung oder bestimmte Anzeichen wurden in Gesprächen an die Eltern herangetragen (Informationsmaterialien der Eltern siehe Kapitel 7). Eltern entwickelten aus aktuellen oder früheren Rechercheprozessen einen Katalog an körperlichen und psychischen Anzeichen für eine Schwangerschaft. Die am häufigsten erwähnten körperlichen Anzeichen waren Brustschmerzen, Ziehen der Mutterbänder, Schwindel, Müdigkeit und Übelkeit. Wannabe-Eltern berichteten auch von verändertem Appetit, Heißhunger und Abneigung gegen gewohnte Lebensmittel, wie etwa Kaffee. Eine Überempfindlichkeit gegenüber bestimmten Gerüchen befand sich ebenfalls auf manchen Li-
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sten. Manche werdenden Mütter beschrieben sich als psychisch labiler, was mit Gereiztheit oder einer Neigung zum Weinen verbunden war.1 Die Liste von Anzeichen waren in der Praktik mit wiederholten Beobachtungen des Körpers verbunden. Einige Wannabe-Eltern glaubten, den Zeitpunkt des Eisprungs genau bestimmt zu haben, andere Wannabe-Eltern hatten ein mentales Konzept von der Möglichkeit, innerhalb eines bestimmten Zeitraums zwischen zwei Monatsblutungen schwanger werden zu können. Kurz nach diesen vermuteten fruchtbaren Perioden begannen Wannabe-Eltern, Teil von Intra-AnalyseTätigkeiten zu werden. Ab dann wurde der Körper der Mutter sowohl beständig von der Wannabe-Mutter selbst als auch in manchen Fällen von ihrem Partner begutachtet. Frauen unterzogen ihre Körper in vielen Alltagssituationen einer Suche nach Veränderungen. Vor allem nach Veränderungen auf der Liste der möglichen Anzeichen wurde gesucht. »Verändern sich meine Brüste? Verändert sich mein Geschmack?« sind Untersuchungsfragen, die die Wannabe-Mütter an sich selbst stellten. Etwaige neue Gelüste oder veränderte Reaktionen auf Situationen wurden genau registriert und abgewogen, ob diese mit dem Katalog an Anzeichen für eine Schwangerschaft zusammenstimmten.2
1
»Wir haben halt beschlossen, dass wir ein Kind haben möchten und dass wir eben auf Verhütung verzichten werden und dann, ja, hätte es natürlich jedes Monat sein können, dass ich schwanger bin und von da her war’s immer so ein bisschen eine Erwartungshaltung, vielleicht jetzt ist es so weit oder so [...] aber in diesem Monat, da hab’ ich gemerkt, da war ich irgendwie schnell erschöpft und da war ich grad’ im Ferienlager und da hab ich mir gedacht, ha, vielleicht ist das ein Indiz, dass ich schwanger bin und ich hab’ so Indizien gesucht dafür, dass ich schwanger sein könnte, war’s dann aber gar nicht. [...] Wie ma dann eben in Urlaub waren, hab’ ich Oliven gegessen und ich ess’ sonst nie Oliven und ich hab’ voll Gusto gehabt auf Oliven und dann wieder so, ha, vielleicht bin ich schwanger, schon wieder so ein Indiz, aber, da war ich dann wirklich schwanger, aber ich hab dann zuhause mir gleich ein Glas Oliven gekauft, dass ich auch bis jetzt nicht angerührt hab, also ich glaub, das hat eher mit Urlaub zu tun [lacht] als mit der Schwangerschaft, aber ich hab da auch wieder jedes Indiz irgendwie, dass ich schwanger sein könnte, als vielleicht ist es so weit interpretiert. Und ja, weil’s dann halt schon relativ lang war, dass ich die Regel nicht bekommen hab’, [...] wir haben’s dann einfach nimmer ausgehalten und haben uns gedacht, wir wollen jetzt einen Schwangerschaftstest machen.« (Frau C)
2
»Ich habe das irgendwie schon ziemlich bald halt vermutet. Ja, man merkt das als Frau, ja, man kennt den Körper einfach viel besser als der Mann und hat da mehr Gespür dafür, dass da jetzt was sein könnte. Und nachdem wir’s ja geplant haben, war’s ja sowieso [lacht] irgendwie logisch, dass man sich ab dem nächsten Tag damit be-
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Einige werdende Mütter berichteten in den Interviews davon, dass sie sich bereits kurz nach der möglichen Empfängnis einer Schwangerschaft sicher waren, durch empfundene körperliche Veränderungen (siehe Frau E). Manche werdende Mütter erzählten von Anzeichen, die mit ihrer Liste übereinstimmten. Allerdings wurde der bloße Wunsch zu einer Schwangerschaft auch als Auslöser für solche Anzeichen gesehen. Dementsprechend wurden Anzeichen auch erspürt, wenn keine Schwangerschaft vorhanden war (siehe Frau C). Einige Informantinnen haben überhaupt keine Anzeichen vernommen, trotzdem sie von einer möglichen Schwangerschaft wussten. Einige Partner in meiner Studie berichteten von blasser Gesichtsfarbe und Verhaltensveränderungen, die sie beobachtet haben. Der Partner einer Frau, die ihre Schwangerschaft erst in der 15. Woche bemerkte, sprach von Gereiztheit und vor allem davon, dass er bemerkte, dass seine Freundin ihre Tampons nicht benutzt. Daraufhin verstärkte er die Analyse ihres Verhaltens und von außen sichtbaren körperlichen Veränderungen. Er traute sich aber nicht, seine Vermutung mit seiner Freundin zu teilen. Alle anderen Paare in meiner Studie kommunizierten mögliche Indizien für eine Schwangerschaft und diskutierten deren Stärke und deren Bedeutung. Die Vermutungen wurden von einigen freudig begrüßt und sie weckten Neugierde auf mehr Veränderungen und auf eine möglicherweise bevorstehende Schwangerschaft. Bei Eltern, die bereits länger einen Kinderwunsch hegten, schafften Anzeichen einerseits Erleichterung, andererseits auch Unbehagen und Versagensängste. Die Sicherheit über eine mögliche Schwangerschaft stieg mit einer Häufung von Anzeichen; dennoch, da Mütter auch davon berichteten, Anzeichen erspürt zu haben, wenn keine Schwangerschaft vorhanden war, waren Anzeichen immer unsicher. Die Intra-Analyse in Verbindung mit einer Anzeichenliste kann keine sichere Evidenz über die innere Materialität des Körpers der Mutter herstellen. Das Erfühlen und Bemerken von Anzeichen fiel allerdings in jenen Zeitabschnitt, in dem werdende Mütter oder Paare darauf warteten, einen Schwangerschaftstest durchführen zu können. Evidenz für eine Schwangerschaft konnte noch nicht mit Hilfe eines Artefakts (Tests, Ultraschall) ermittelt werden. Bis dahin mussten sich die werdenden Eltern mit der Interpretation des Mutterkörpers auseinandersetzen.
schäftigt, dass man schwanger sein könnte. Ja, und ich hab’ das halt gleich ein paar Tage nach der Empfängnis sozusagen gemerkt, weil sich halt im Körper schon Veränderungen ergeben haben. [...] Ich habe das meinem Mann schon mitgeteilt, woran ich das festmache, aber er hat’s halt nicht so wirklich glauben können. Und dann nach zwei Wochen Wartezeit haben wir den Test gemacht.« (Frau E)
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Ein Test ist sinnvoll ab dem Tag, an dem die Menstruation eintreten sollte. Die Zeit bis dahin wurde in Informant(inn)en und Forenteilnehmer*innen häufig als »Hibbeln« bezeichnet. Der Tag, an dem die Menstruation eintreten sollte, wurde freudig-ängstlich erwartet: die Hoffnung auf eine mögliche Schwangerschaft bestand. Anzeichen für und gegen eine Schwangerschaft wurden aufmerksam aufgenommen und wenn möglich mit dem Partner besprochen. Das Sprechen über die Anzeichen war verbunden mit nervös-freudig-ängstlicher Aufgeregtheit. Gleichzeitig waren die werdenden Eltern Teil von Tätigkeiten, die eine Ablenkung erbringen sollten (»versuchen, nicht zu viel drüber nachzudenken«). Informant*(inn)en versuchten, dem Alltag »wie immer« zu folgen und die Gedanken an eine mögliche Schwangerschaft wegzudrängen, bis der Zeitpunkt für einen Test gekommen war. Das vorrangige Anzeichen für eine Schwangerschaft, wenn nicht schon ein Frühtest durchgeführt wurde, war letztendlich das Ausbleiben der Menstruation. Blieb diese einen oder mehr als einen Tag aus, galt dies als Zeichen, einen Schwangerschaftstest durchzuführen. Bis der Test durchgeführt werden konnte, waren die Wannabe-Eltern zur Evidenzherstellung darauf angewiesen, Teil der Tätigkeiten der Intra-Analysen des Körpers zu sein. Warum können die Wannabe-Eltern nicht sofort Teil von Praktiken sein, die ihnen einen sicheren Schwangerschaftstest erlauben? Die medizinischen Mittel der Herstellung von Evidenz einer Schwangerschaft bedienen sich eines medizinischen Stufenschemas, das die Entwicklung des Embryos in 23 Stufen einteilt: die Carnegie Stages (O’Rahilly und Müller, 1987). In Stufe fünf dieses Schemas nistet sich die Blastozyste in die Gebärmutter ein und erst ab diesem Zeitpunkt wird medizinisch von einer Schwangerschaft gesprochen (Schulze, 2006, 57). Wannabe-Eltern bezeichneten sich ab einer vermuteten Fertilisation der Eizelle als schwanger. Die Alltagsdefinition von Schwangerschaft hing für die Informant*(inn)en in meiner Studie nicht von der Implantation ab. Die Apparate, die Wannabe-Eltern aber zu einer Bestimmung ihrer möglichen Schwangerschaft benutzten, basieren auf Vorgängen, die in den Carnegie-Stufen beschrieben werden, wie die Implantation (Schwangerschaftstest) oder die Entwicklung eines Blutkreislaufes (Ultraschalltest). Die Apparate waren somit an die Zeitlichkeiten gebunden, die durch dieses Entwicklungsschema dargestellt werden.
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Die Carnegie-Stages: Von der Zygote zum Embryo Mediziner*innen beschreiben die Entwicklung des fertilisierten Eis innerhalb von den Carnegie Stages (O’Rahilly und Müller, 1987). Dieses in den 80ern entwickelte Stufenschema beschreibt die durchschnittliche Entwicklung des Embryos in Tagen. Schwangerschaftsteste und Ultraschallteste beruhen auf Erwartungen an eine bestimmte Entwicklungsphase, wie sie in den Carnegie Stages angegeben werden. Wird eine Eizelle fertilisiert, entwickelt sich diese in den ersten Tagen von der Zygote (erste Zelle), zur Morula (ab dem 16-Zell-Stadium) und zur Blastozyste (Bildung von Plazentazellen und Embryozellen) (Schulze, 2006, 34). Während dieser fortdauernden Zellteilung wandert die Frucht über die Eileiter in die Gebärmutter. Mediziner*innen schätzen, dass 50 % der fertilisierten Eizellen sich am 6. oder 7. Tag nach der Befruchtung in der Uteruswand implantieren. Die anderen 50 % gehen verloren. Mediziner*innen vermuten hinter diesen Spontanaborten Fehlbildungen der Zygote oder Chromosomanomalien. Andere Probleme, die in dieser Phase auftauchen können, sind eine Implantation der Eizelle im Eileiter, im Eierstock oder der Bauchhöhle. Die Blastozyste besteht zum Zeitpunkt der Einnistung aus zwei Bereichen: der Embryoblast (Embryozellen) und der Trophoblast (Plazentazellen). Die Plazentazellen verbinden sich mit der Uteruswand und es entwickeln sich Zotten, die sich mit den Blutgefäßen des Mutterkörpers verbinden. Um den 19. Tag herum verbinden sich die Zotten mit dem Blutkreislauf des Embryos (ca. Tag 19). Die sich entwickelnde Plazenta verbindet sich später mit dem Blutkreislauf des Mutterkörpers. Die Embryozellen lagern sich vorerst in der Mitte zwischen Aminohöhle und Dottersack. Der Embryo ist zu diesem Zeitpunkt eine Keimscheibe, die bis zum 16. Tag den Haftstiel und erste Blutgefäße bildet. Der Haftstiel entwickelt sich später gemeinsam mit dem Dottersack und dem Darmrohr zur Nabelschnur. Die Keimscheibe besteht nun aus drei Keimblättern, die jeweils für die Entwicklung bestimmter Organe zuständig sind. Das Entoderm ist für Verdauungs- und Atmungsorgane zuständig, das Ektoderm für Haut, Nerven und Sinnesorgane und das Mesoderm für die Ausscheidungsorgane, die Muskulatur, das Bindegewebe und das Blut. Das Ektoterm entwickelt ab ca. dem 18. Tag nach der Konzeption das Neuralrohr, die erste Nervenbahn des Embryos. Dies gibt dem Embryo nun eine längliche Form. Ab dem 20. Tag werden nun auch Herzanlagen gebildet und ab dem 22. Tag können erste Herzkontraktionen bemerkt werden. Ab dem 24. Tag beginnen sich Augen und Ohren zu entwickeln, am 26. Tag bilden sich Armknospen und darauffolgend Beinknospen. Am 32. Tag hat der Embryo einen ersten Blutkreislauf. Er ist nun 5-7 Millimeter groß.
Ein/e Gynäkolog/-in kann beim Ultraschall Fruchthöhle und Dottersack
feststellen und die Keimscheibe vermessen. Ab ca. dem 32. Tag sollte der Herzschlag sichtbar sein. (Schulze, 2006, 34-53)
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D ER S CHWANGERSCHAFTSTEST Gab es eine Reihe von Anzeichen für eine Schwangerschaft oder blieb die Menstruation aus, war dies ein Grund, einen Schwangerschaftstest durchzuführen. Die Anzeichen, die die Wannabe-Mutter glaubte verspürt zu haben, mussten nun durch einen Dritten, den Test, als »echt« bestätigt werden. Der Schwangerschaftstest maß mittels chemischer Übersetzungsprozesse die Konzentration eines Hormons im Urin und teilte den Eltern über diesen Weg die innere Materialität des Körpers der Mutter mit. Beide Eltern, auch die Wannabe-Mutter als Träger des Embryos, waren auf diese Erzählung angewiesen. Ab dem 6. bis 7. Tag innerhalb der Carnegie Stages soll die Einnistung der Blastozyste (Implantation) stattfinden. Dann kann aus medizinischer Sicht von einer Schwangerschaft gesprochen werden (Schulze, 2006, 35). Es bildet sich nun eine Vorform der Plazenta. Dieser Vorgang erzeugt den Anstieg des humanen Choriongonadotropin (hCG), ein Hormon, das im Urin nachgewiesen werden kann (Schulze, 2006, 43). Schwangerschaftsteste sind Agglutinationsteste: Sie bestehen aus Antikörpern, die auf Bestandteile des Hormons reagieren. Ein durchschnittlicher Schwangerschaftstest konnte ab dem 14. Tag nach der Befruchtung mit hoher Sicherheit eine Schwangerschaft anzeigen. Frühteste behaupteten in ihren Beipackzetteln eine Nachweisbarkeit der Schwangerschaft ab Tag acht nach der Fertilisation. Sie galten aber als weniger sicher. Frühtests mussten mit dem Morgenurin in Kontakt kommen, während Standardteste zu jeder Tageszeit durchgeführt werden konnten. Die Wartezeit auf das Ergebnis konnte zwischen wenigen Sekunden und mehreren Minuten schwanken. Die Schwangerschaftstests waren in Drogerien, Apotheken, manchmal auch in Supermärkten und über zahlreiche Internetseiten erhältlich. Wannabe-Eltern, die mit Ovulationstesten arbeiteten, hatten mit diesen meist auch schon eine Packung Schwangerschaftsteste mitgekauft. Die Teste sind für alle WannabeEltern sehr einfach zugänglich und DAS Artefakt zur Herstellung einer ersten Evidenz über die Schwangerschaft. Die materielle Voraussetzung für einen positiven Nachweis des humanen Choriongonadotropin ist eine beginnende Einnistung der Blastozyste. Eltern waren Teil von zwei Strategien, um mit Anzeichen oder der einfachen Möglichkeit einer Einnistung umzugehen: so früh wie möglich testen, mittels Frühtesten, oder zuwarten, bis ein Standardtest möglich ist, der eine höhere Sicherheit aufweist. Letztere Strategie war mit einem Zuwarten auf weitere körperliche Anzeichen verbunden, im Speziellen dem Eintreten oder Ausbleiben der Menstruation. Frühe Teste waren in den Beschreibungen mit einer Erleichterung des Erwartungsdruckes verbunden (»ich hab es nicht mehr ausgehalten«). Andere Eltern
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ließen sich doch noch ein paar zusätzliche Tage Zeit (»ich hab dann doch noch gewartet, kommt noch was«). Dies schien verbunden mit der Angst, durch einen verfrühten Test ein falsches Ergebnis zu erhalten oder die Enttäuschung eines negativen Testes erleben zu müssen.3 Der Test wurde von fast allen Informantinnen gemeinsam mit dem Partner durchgeführt. Eine Informantin hat den Test morgens alleine durchgeführt und dies dann dem Partner mitgeteilt. Manche Wannabe-Eltern, die gemeinsam getestet hatten, hatten sich über den richtigen Zeitpunkt abgesprochen, um dann den gemeinsamen Test zu zelebrieren. Die Eltern meiner Studie hatten sich für Standardteste entschieden. Als die Monatsblutung ausblieb, wurde ein Zeitpunkt für einen Test ausgewählt. Die Wannabe-Mutter gab Urin in ein Gefäß ab oder urinierte direkt auf den Test. Die Durchführung des Schwangerschaftstests wurde von den Informant*(inn)en intensiv beschrieben.4 In den Interviewsituationen war auch nachträglich die hohe Bedeutung dieses Moments beobachtbar. Die Interviewten haben mit besonderem Lächeln oder mit glasigen Augen von der Situation erzählt und haben entweder schneller oder langsamer, manchmal auch lauter zu sprechen begonnen. In der Situation war die Schwangerschaft in den Schwanger-
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»Wir hatten uns irgendwie einen Zeitpunkt gesetzt. Am Freitag Morgen machen wir dann den Test, dann ist es wirklich zu lang. Und als dann Freitag Morgen war, haben wir das dann gemacht. [Nachfrage Interviewerin: Der Test war schon zuhause?] Ja, der, ach ja [lacht], mengenweise [lacht] im Doppelpack. Wir haben glaub’ ich auch zwei oder drei gemacht, nur um sicherzugehen, dass es auch stimmt.« (Frau A)
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»Wir haben uns gedacht, wenn es nicht schwanger anzeigt, dann kann man immer noch sagen, vielleicht bin ich trotzdem schwanger und es war einfach nicht genug von dem Hormon drinnen, aber vielleicht stimmt’s ja dann doch und wenn’s aber schwanger anzeigt, dann bin ich dann aber vielleicht wirklich schwanger, also da haben wir uns schon gedacht, wenn es schwanger anzeigt dann gehe ich nächste Woche zur Frauenärztin und dann hat’s schwanger angezeigt weil das war, das war der ärgste Moment, weil das so ein Moment, wo ich wirklich von einem Moment sprechen kann, vorher waren immer nur Indizien und so und vielleicht, ja, das war total schön und das war, also wir sind da, also das war ein digitaler, wo einfach nur das Wort erscheint also ob’s jetzt schwanger ist, da muss ma jetzt keine Stricherl lesen, also wir haben dann gwartet, was es anzeigt und dann ist da gstandn schwanger und der Peter hat gesagt SCHWANGER [lacht] und ja, dann haben wir uns umarmt und dann haben wir auch ein bissl gweint und dann haben wir uns ur gefreut und dann hab ich mir schon dacht, ach, vielleicht stimmt’s ja nicht, vielleicht stimmt’s ja nicht, aber wir haben uns mal ur gefreut.« (Frau C)
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schaftstest übersetzt und beide Partner*innen müssen gleichermaßen auf dessen Anzeige warten und vertrauen. Die Wannabe-Mutter hatte hier keinen Wissensvorteil gegenüber dem Partner. Gerade jene Informantin, die in der Erzählung von sehr frühen körperlichen Anzeichen berichtete, mochte dann beim Test »gar nicht hinschauen«. Dies konnte ein Hinweis sein auf Ängste, körperliche Zustände nur falsch oder dem Wunsch gemäß interpretiert zu haben. Dieses Verhalten unterstrich die Stresssituation, in denen sich die Eltern in diesem Moment befanden. Informantinnen, die »Indizien« für eine Schwangerschaft bereits verspürten, als sie noch gar nicht schwanger waren, gingen mit großer Spannung an den Test heran. Ein Ausbleiben der Menstruation konnte ein Hinweis sein, war aber weiterhin ein sehr unsicheres Anzeichen für eine Schwangerschaft. Der Schwangerschaftstest entschied schließlich in dieser Situation, ob das Wannabe-Elternpaar zurück an den Start musste, um den nächsten Versuch zu starten, oder ob es weiterziehen konnte, um Partizipierende an den Praktiken der Schwangerschaft zu werden. In dieser Situation des Wartens verminderten sich Grenzen zwischen den Partnern. Die Frage »sind WIR schwanger« stand im Vordergrund und keiner der beiden hatte einen Wissensvorsprung. Für den Moment, an dem die Anzeige des Testes »schwanger« anzeigte, oder ein Strich an der richtigen Stelle auftauchte, berichteten die werdenden Mütter und Väter von großen Freudengefühlen, Schockzuständen, Verwirrtheit und Unsicherheit. Das Gefühl im Moment der ersten Evidenz konnte von den werdenden Eltern und jungen Eltern schwer nacherzählt werden. In dieser Situation wurde im Interview viel mit Gestik gearbeitet, um die Gefühlsregungen in der Situation zu beschreiben. Trotz eines positiven Tests, den die Eltern dann in Händen hielten, währte die Freude und die Sicherheit nur kurz.5 Die Erzählung, dass eine Schwangerschaft »da« war, musste in der Folge immer wieder, mit verschiedenen Mitteln, wiederholt werden. Erkennbar war in den Berichten über den Test bereits die bleibende Unsicherheit trotz erster Evidenz, was sich durch Wiederholungen des Tests und durch zahlreiche »Vielleichts« in den Erzählungen zeigte. Wenn der Test richtig ist, dann bin ich »vielleicht wirklich schwanger« aber »vielleicht stimmt’s ja nicht«. Ein starker Hinweis auf die Unsicherheit der Evidenz war, dass einige Eltern sofort oder am nächsten Tag einen oder mehrere weitere Tests durchgeführt haben.
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»Dann freut man sich mal den ganzen Tag und macht einen Termin mit dem Arzt aus, um sicherzugehen. Und eben, wir haben immer, weil wir schon so schlechte Erfahrungen gemacht haben, gesagt, wir freuen uns erst richtig, wenn wir’s auf dem Ultraschall gesehen haben, vorher halten wir uns bedeckt.« (Frau A)
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Ein positiver Test stand in der Hierarchie der evidenzerzeugenden Mittel zwar höher als die Interpretation körperlicher Anzeichen, er schaffte es aber nicht, die Frau mit Sicherheit zur werdenden Mutter zu machen. Es besteht eine Schwangerschaft, die »vielleicht« ist. Die Wannabe-/werdenden Eltern waren in dieser Zeit mit Diskursen über die Unsicherheit von Schwangerschaftstesten in Kontakt, die sie in Foren oder Zeitschriften lasen oder von Verwandten, Freund*(inn)en oder Fachpersonal an sie herangetragen wurden.6 Eine Informantin meiner Studie wurde von der Sprechstundenhilfe ihrer Gynäkologin darauf hingewiesen, dass Tests falsch sein können. Andere Frauen und Männer meiner Studie lasen in Foren über Fälle, bei denen Schwangerschaftstests positiv waren, bei einem Gynäkolog*(inn)enbesuch aber kein Embryo feststellbar war. Hinzu kam eine Angst der Eltern vor einem Abgang des Embryos, falls er überhaupt »da« war. Die Eltern wurden erst einmal in ein Zwischenstadium zwischen Wannabeund werdenden Eltern gehoben, in dem sie erst einmal verharren mussten. Ein Schwangerschaftstest konnte die Schwangerschaft nicht endgültig feststellen. Er konnte zu diesem Zeitpunkt nur ein weiteres Indiz für eine im Moment des Tests bestehende Schwangerschaft sein, aber keine Sicherheit geben. Frau konnte nun aber meist nur als schwanger oder nicht schwanger klassifiziert werden. Die Kategorie »ein bisschen schwanger« konnte nicht attribuiert werden. Den Vielleicht-Schwangeren schien zu diesem Zeitpunkt unklar zu sein, ob sie noch zu den Personen mit Kinderwunsch gehörten, oder bereits zu den Schwangeren. Dies war auch gut im von den Eltern angesprochenen Forum zu erkennen. Die Zeitpunkte, an denen werdende Mütter oder Väter vom Unterforum »Kinderwunsch« zum Unterforum »Vor der Geburt« wechselten, waren höchst unterschiedlich. Eltern, die an Foren teilnahmen fragten sich, wann sie wechseln könnten oder dürften. Ein Schwangerschaftstest war für den Wechsel auf jeden Fall notwendig. Für einige werdende Mütter war aber die Bestätigung durch eine weitere Instanz nötig, um sich »wirklich« als schwanger zu definieren. Die Schwangerschaft blieb vorerst trotzdem ein »Vielleicht«, ein instabiles Gebilde, das weiterer Beweise bedurfte. Um mehr Sicherheit über die Situation zu erlangen, war der nächste Schritt nun der Kontakt zu einem/einer Gynäkologen/-in.
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»Dann hab ich meinen Arzt angerufen [...] das werde ich auch nie vergessen, weil diese Sprechstundenhilfe zu mir gesagt hat: ›Na wer weiß, diese Tests sind nie richtig, warten’s noch a bisserl«. (Frau B)
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D ER U LTRASCHALLTEST Die werdenden Mütter vereinbarten im Anschluss an den Schwangerschaftstest einen Termin bei der Gynäkologin. Je nach Arbeitsweise der Gynäkologin entstanden aber verschieden lange Wartezeiten zwischen Schwangerschaftstest und Arzttermin. Interviewte Gynäkologinnen schlugen eine Wartezeit bis zur 7. Woche (5 Wochen nach der Fertilisation) vor, um einen Herzschlag diagnostizieren zu können. Die Herztätigkeit galt als Beweis, dass das Kind Vitalfunktionen hat und sich weiter entwickelt. Einige Informantinnen meiner Studie hatten aber bereits ab der 4. Woche (zwei Wochen nach der Fertilisation) die erste Ultraschalldiagnostik durchgeführt, auch wenn noch nichts erkennbar war. Frühschwangere konnten häufig nicht bis zur 7. Woche warten, weil der Wissen-wollen-Druck zu groß war. Hatten die Gynäkologinnen gute Ultraschallgeräte, konnten diese die Einnistung des Embryos bestätigen und schlugen einen weiteren Termin nach der 7. Woche vor. Eine Informantin hatte durch häufige Blutungen ab der 3. Woche häufige Ultraschalluntersuchungen in Ambulanzen und bei der Gynäkologin. 7 Bei jedem Besuch wurde ihr die Einnistung des Embryos bestätigt und auch, dass diese noch besteht. Der Informantin wurde ein genauer Termin genannt, ab dem die Gynäkologin Herzkontraktionen wahrnehmen sollte. Die Mediziner*innen erwarten eine Entwicklung entlang der Carnegie Stages und sagten mit diesen Entwicklungsziele zu bestimmten Zeitpunkten voraus. Die meisten Paare meiner Studie wurden aber aufgefordert, bis zur 7. Schwangerschaftswoche zu warten. Denn auch, wenn das Ultraschallgerät eine
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»Jetzt schau ich wieder kurz [...] das sind die Ultraschallbilder und die hab ich mit Datum versehen deswegen weiß ich wenn ich immer war, eiso beim ersten Termin hat sie ein zwei Millimeter großes Pünktchen gesehen, da hab ich aber noch kein Bild mit nach Hause bekommen, das war am DATUM, und dann am DATUM, das war wo wir das erste mal das Herz schlagen gesehen haben, da wars 3,5mm groß, ähm und ja und dann war ich, mhm, genau dann war ich am DATUM noch einmal dort, vier Tage später gleich, weil da wieder ein wenig eine stärkere Blutung war und sie hat gesagt, ja, sie schiebt mich ein und da wars schon 6,5mm groß, und man hat auch schon den Dottersack sehr deutlich gesehen auf dem Bild, und dann war ich erst wieder am DATUM, schon wieder am DATUM, ich weiß gar nicht warum ich da so knapp danach nocheinmal war [lacht], und dann war ich am DATUM, da wars schon 15mm groß, und das war halt immer so, ich war da eben in den ersten Woche sehr oft bei der Frauenärztin und hab in sehr kurzen Abständen und hab in sehr kurzen Abständenimmer gesehen wie das Kind wächst und und war jedes mal erstaunt und baff was wieder alles passiert ist.« (Frau C)
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Einnistung des Embryos feststellen konnte, konnte eine Entwicklung oft nicht genau nachvollzogen werden.8 Mit Hilfe der Ultraschallgeräte konnten Gynäkologinnen meist nicht erkennen, ob sich ein 1 bis 3 mm großer Embryo den durch die Carnegie Stages vorgegebenen Entwicklungsstufen entsprechend entwickelt. Die Feststellung der Einnistung musste wiederholt werden, da spontane Aborte in den ersten Wochen der Schwangerschaft wahrscheinlich sind. Gynäkologinnen konnten meist nicht feststellen, ob sich ein erkennbarer Embryo weiterentwickelt. Als Lebens- und Entwicklungszeichen galt der Herzschlag des Embryos, der ab dem 32. Tag nach der Fertilisation feststellbar sein sollte. Gynäkologinnen mussten ihre Patientinnen immer wieder auf diesen Termin vertrösten und zum Warten auffordern. Auch wenn mit mehreren Mitteln eine medizinische Schwangerschaft festgestellt werden konnte, konnte »Leben« erst mit dem Herzschlag angezeigt werden. In der Wartezeit auf den nächsten evidenzherstellenden Event wurde manchmal der Test, als zu diesem Zeitpunkt bestes Erzählmittel über die inneren Verhältnisse des Körpers der Mutter, aufgehoben und wieder hervorgeholt.9 Falls nicht bald nach dem Schwangerschaftstest weggeworfen, wurden die Teste in Schatullen oder Kartons aufbewahrt und bei Gelegenheit wieder ausgepackt und angesehen. Bei manchen Tests erlischt die Anzeige wieder und die positive Nachricht war nur über einen bestimmten Zeitraum ablesbar. Manche Eltern wiederholten dann den Test. Andere Tests zeigten dauerhafte Verfärbungen und
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»Naja, am liebsten täten sie drei Tage nach’m Verkehr kommen. Also und dann muss die Ordinationshilfe, also die fragt dann nach der letzten Regel, weil es hat keinen Sinn, in der sechsten Woche sehe ich noch nicht mal am Ultraschall was g’scheit’s, nicht, also wir schauen, dass sie doch, am besten so achte Woche, weil dann kann ich sicher sein, dass ich ein Kind mit Herzaktion hab, selbst wenn’s um eine Woche kleiner ist, hab’ ich’s dann meistens schon, aber so muss ich sie dann nochmal bestellen und nochmal, eiso dass ist dann eigentlich mühsam für beide Seiten, es sei denn sie hat eine Geschichte mit drei Fehlgeburten oder was, aber sonst, wenn das eine normale Schwangerschaft ist, schau ich, dass sie bis zur achten Woche warten [...] weil, wenn ich noch nix seh, kann ich nix bestätigen, das sagt dann auch die Ordinationshilfe am Telefon, dass ich in der sechsten Woche noch nichts sehen kann.« (Gynäkologin A)
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»Wir haben den Test dann auch mitgenommen, weil da 24h drauf gestanden ist ›schwanger‹, und ich hab mich einfach so gefreut und habe das immer wieder angesehen« (Mann E) »Wir haben den Test immer noch in so einem Kisterl, den werden wir wohl immer aufheben und vielleicht unserem Kind auch mal zeigen.« (Mann H)
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die kleine Evidenz über die Schwangerschaft konnte langfristig immer wieder nachgesehen werden. Die Zeit bis zum ersten oder nächsten Termin bei der Gynäkologin wurde mit Warten und Unsicherheit verbracht. Gleichzeitig mussten sich die werdenden Eltern auch an den Zustand gewöhnen, »vielleicht« Eltern zu werden. Und dieses »Vielleicht« war ab dem Zeitpunkt des Testes etwas »realer« geworden. Die werdenden Eltern sind sich gleichzeitig bewusst, dass die Wahrscheinlichkeit, »wirklich schwanger« zu sein, nach einem positiven Test hoch ist. Die Eltern, vor allem die werdenden Mütter, begannen sich spätestens jetzt über den Entwicklungsstand des Embryos und eventuelle Risiken im Internet oder in Büchern zu informieren. Es begannen erste Gespräche über die Zukunft und die Organisation der konkreten Schwangerschaft. Den interviewten werdenden Eltern war es wichtig, die Schwangerschaft die ersten zehn bis zwölf Wochen noch geheimzuhalten. Auch dem Arbeitgeber wurde die Schwangerschaft zu diesem Zeitpunkt noch nicht mitgeteilt. Jedoch gab es eingeweihte Personen, die um den Kinderwunsch der Eltern wussten und über Anzeichen und den Test informiert wurden. In den Fällen dieser Studie waren dies häufig enge Verwandte oder enge Freunde und Freundinnen der Mutter oder des Vaters. In einem Fall eine Arbeitskollegin. Waren werdende Eltern Forumsuser, kam eine Forumscommunity hinzu, mit der die vage Schwangerschaft eventuell diskutiert wurde. Eingeweihte waren eingebunden in Informationspraktiken. Sie standen ratgebend zur Seite oder unterstützten Mütter oder Väter, falls diese schwangerschaftsbedingte Hilfeleistungen brauchten. In den ersten Wochen waren diese Menschen wichtige Bezugspersonen und Teil der Praktiken rund um die »Vielleichtheit« der Schwangerschaft (Kap. 11). Etwa übernahmen sie Transporte zu Untersuchungen und waren Begleitpersonen, wenn der Partner verhindert war. Sie stehen telefonisch zur Verfügung, wenn akute Probleme auftauchen. Wünsche und Ängste konnten von werdenden Müttern und Vätern besprochen werden. Abgesehen von einer oder wenigen eingeweihten Personen, die verständigt wurden, wurde aber erst einmal Stillschweigen nach außen vereinbart. War dann der Tag des Termins bei der Gynäkologin gekommen, was einige Tage oder einige Wochen nach dem Test sein konnte, stieg die Aufgeregtheit. Die (werdenden) Mütter und Väter beschrieben ihr Befinden an diesem Tag als »angespannt«, »aufgeregt«, »nervös« und mit »freudiger Erwartung«. Ein In-
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formant hat dieses Gefühl mit dem Warten auf die Päckchen vor Weihnachten verglichen.10 Die Termine bei der Gynäkologin begannen üblicherweise mit einer Anamnese. Die Frau wurde von der Gynäkologin zu ihrer Situation befragt und zu körperlichen Befindlichkeiten in den letzten Wochen. Der erste Tag der letzten Menstruationsblutung wurde aufgenommen und die bisherigen Anzeichen und Evidenzen für eine Schwangerschaft wurden diskutiert. Danach wurde der Ultraschalltest durchgeführt. Die Frau entkleidete hierfür ihren Unterleib und begab sich auf die gynäkologische Liege. Mittels Vaginalultraschall wurde die Gebärmutter am Bildschirm sichtbar gemacht.
Das Ultraschallgerät arbeitet mit piezoelektrischen Effekten (Barad, 2007, 190; Wintermantel/Ha, 2008, 866). Die zentrale Komponente des Geräts sind polykristalline Materialien, die elektrische Impulse in mechanische Schallimpulse umwandeln können und umgekehrt. Der Schall wird ausgesendet und unterschiedliche Materialitäten, auf die die Schallwellen treffen, erzeugen ein spezifisches Echo das zurück an den Schallkopf geleitet wird, der diese Schallwellen wieder in elektrische Impulse und diese dann in Grauwerte und infolge in ein Bild umwandelt, das von dem/der Gynäkologen/-in entziffert werden kann (Wintermantel/Ha 2008: 868). Die Gynäkologin ist trainiert dieses Bild zu lesen und einen Embryo, der hier von seiner Umgebung getrennt und darstellbar wird, zu erkennen..
Der Ultraschall lag in der Hierarchie der Evidenzmittel an erster Stelle. Mit ihm konnten die werdenden Eltern und die Gynäkolog*(inn)en feststellen, ob das Kind tatsächlich »da« ist, ob sich in der Gebärmutter des Mutterkörpers tatsächlich die Blastozyste eingenistet hatte und ob sich in Folge dessen ein Embryo mit Herztätigkeit entwickelte. Zu der Ultraschalluntersuchung wurden die Wannabe-/werdenden Väter meist hinzugeholt, damit sie den ersten Blick auf den Embryo miterleben konnten. Auf dem Bildschirm pixelig einen möglichen Embryo gezeigt zu bekommen
10 »Man ist in so einer feierlichen Stimmung, so in einer feierlichen Erwartung, so, wie man es immer ist, wenn was Großes bevorsteht, wie vor Weihnachten, wenn die Packerl noch nicht ausgepackt sind. Es ist genau dasselbe Gefühl, hach, ich weiß nicht genau, was drinnen ist, weil ich das Packerl noch nicht ausgepackt hab. Das macht irrsinnige Freude und Spannung, da gehen wir zur Frauenärztin, da werden wir sehen, was passiert.« (Mann G)
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und dann noch den Herzschlag am Bildschirm blinken zu sehen oder sogar zu hören, wenn die Gynäkologin über diese Apparate verfügte, wurde in den Erzählungen der Eltern als besonderer Moment beschrieben.11 Auf dem Bildschirm war jenes Leben zu sehen, das sie in den Wochen davor vermutet, bezweifelt und sich gewünscht hatten. Und in diesem Moment war es »da« vor ihren Augen am Bildschirm. Einige Informantinnen meinten in den Interviews, dass sie erst ab diesem Zeitpunkt wirklich glauben konnten, schwanger zu sein. Für die werdenden Eltern, und scheinbar mehr für die Väter, war es in den ersten Wochen schwierig, die Existenz der Schwangerschaft zu glauben. Ein Test konnte etwas mehr Sicherheit geben als Anzeichen für eine Schwangerschaft, aber eine Ultraschalluntersuchung brachte mehr Sicherheit für die Eltern als ein Schwangerschaftstest. Zusätzlich wurde die errechnete Einsicht in die innere Materialität des Körpers der Mutter ab dem Zeitpunkt des ersten Ultraschalls immer wieder wiederholt. Beim nächsten Termin bei der Gynäkologin konnten sich die werdenden Eltern wieder versichern: »Wir sind schwanger«. Diese weiteren Bestätigungen brauchten einige Eltern dringend, denn das Wissen aus Gesprächen, Blogs, Zeitschriften und Büchern, dass in den ersten zwölf Wochen eine Schwangerschaft von alleine abgehen kann, ließ die werdenden Eltern unsicher bleiben.12
11 »Sie hat vorher eine Anamnese gemacht und dann haben wir Ultraschall gemacht, und man weiß halt von den anderen Kontrolluntersuchungen, wie der Bildschirm sonst aussieht, ist halt schwarz da überall und dann sieht man auf einmal, dass da was drinnen ist, also das war irgendwie [lacht] ein total schöner Moment. Und man hat eben schon das Herz schlagen sehen, also so ein Blinken am Bildschirm. Und das war irgendwie so das Wesentlichste, so dass ich mir denke, vielleicht kann man’s erst dann richtig glauben, also für mich war das vielleicht nicht so stark, aber für den E sicher, weil ich halt die körperlichen Veränderungen so gespürt habe, also ich hab’ gemerkt, ich bin schwanger, und er hat es irgendwie noch nicht so richtig gemerkt.« (Frau E) »Das war sehr aufregend, weil man das erste Mal gesehen hat, dass da wirklich was ist, weil man’s ja vorher nicht glaubt, also net glaubt, aber sich nicht sicher ist, weil man eben auch nichts sieht oder weil man nicht weiß, ich meine, da hat man noch keinen Bauch nach einen Monat oder nach ein paar Wochen und insofern war’s dann mehr oder weniger eine Sicherheit, das stimmt jetzt wirklich und der Schwangerschatstest hat sich nicht geirrt und dann hat eh das Schlechtsein angefangen, da war’s dann eh eindeutig, aber bis dahin war ich halt so im Wiggl-Woggl weil ich nicht gewusst habe, ist es jetzt wirklich so und man sieht eigentlich nicht wirklich was.« (Mann E) 12 »Aber letztes Mal wie ich dort war, hab’ ich’s dann auch schon bewegen gesehen und dann bin ich mir wieder einen Schritt bewusster geworden, dass da echt ein Baby in
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Weitere Entwicklungen des Embryos und Fötus, die mittels des Ultraschalls dargestellt werden konnten, zeigten den werdenden Eltern immer wieder, dass die Schwangerschaft weiter bestand. Mit Informationen über Risiken sind die werdenden Eltern in den ersten 10 Wochen immer wieder konfrontiert. Vor allem am Beginn der Schwangerschaft sprechen die Eltern für sich selbst oder Personen aus dem Umfeld, in Foren oder Büchern Warnungen aus, sich nicht zu früh zu freuen.13 Ist der Test positiv, entsteht meist ein kurzer Moment der Freude, der dann einer Unsicherheit weicht. Aus diesen Risiken folgerten die werdenden Eltern häufig eine Verschiebung verschiedener Praktiken (sich freuen, die Bekanntgabe der Schwangerschaft, Babysachen kaufen) auf einen späteren Zeitpunkt (siehe Kap. 11). Die Ultraschalldiagnose selbst wurde von den werdenden Eltern niemals angezweifelt. Ein Embryo, der am Bildschirm visualisiert wurde, war »sicher da«. Einige Eltern nahmen mögliche Risiken ernster, andere hatten die Schwangerschaft mit der Visualisierung eines lebenden Embryos akzeptiert und waren überzeugt, dass nun nichts mehr passieren konnte. Nahmen werdende Eltern das Risiko eines Aborts oder einer Beeinträchtigung der Gesundheit des Embryos sehr ernst, wurde Schwangerschaft erst einmal weiterhin durch ihre andauernde »Vielleichtheit« charakterisiert. Der Zeitpunkt, an dem die Schwangerschaft als bestehend und »sicher« angenommen wurde war pro Paar variabel und wurde innerhalb des Paares und mit allen anderen Partizipierenden innerhalb der Praktiken, an denen die Eltern teilhatten, ausgehandelt.
H ERSTELLUNG
VON
E VIDENZ : S CHRITT
FÜR
S CHRITT
Eine mögliche Schwangerschaft tauchte in den Praktiken zuerst in Form von Anzeichen auf. Kreislaufbeschwerden, Spannen in den Brüsten und das Ausblei-
meinem Bauch ist. Also jetzt ist es auch schon, wenn ich mich nackt vor den Spiegel stell’, dass ich ein kleines Bäuchlein hab, aber es ist sehr klein und eher noch zu erahnen und irgendwie passt’s, und dass ich das Kind bewegen gesehen hab, und Schritt für Schritt macht es mir das auch immer mehr bewusst, dass das wirklich ein Baby in meinem Bauch ist.« (Frau C) 13 Medizinische Publikationen rechnen damit, dass etwa 15% der bereits erkannten Schwangerschaften spontan abgehen (Schulze, 2006; Philipp et. al., 2003). Ca. 80 % dieser spontanen Aborte treten in den ersten 9-10 Wochen, der Embryonalphase, auf. Philipp, et. al. (2003, 1730) glauben, dass ein Großteil dieser Abgänge genetische Defekte und Fehlentwicklungen aufweist, nicht lebensfähig ist und deswegen abgeht.
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ben der Menstruation konnten Anzeichen sein, die den Körper der WannabeMutter betrafen. Diese Anzeichen konnten aber auch auftreten, wenn die bloße Hoffnung auf eine Schwangerschaft bestand, aber keine tatsächliche Fertilisation und Einnistung eingetreten war. Es folgten eine Reihe von weiteren Praktiken, die Evidenz über Schwangerschaft (immer wieder) herstellten. Eine besondere Rolle kam hier den Schwangerschaftstesten und der Sonographie zu. Schwangerschaftsteste indizierten eine Schwangerschaft und machten diese für die Wannabe-Eltern realer, allerdings gaben sie keine Sicherheit. Werdende Eltern haben wenig Vertrauen in die Validität der Teste und führen weitere Teste durch. Ein positiver Test kann außerdem nicht eine positive Entwicklung des Embryos bestätigen. Ein Termin bei der Gynäkologin war für die Eltern der nächste Schritt. Diese konnte den Embryo entweder sofort visualisieren oder sie wartete auf das erste sichere Lebenszeichen des Embryos: den Herzschlag. Erste Kontraktionen sollten ab dem 22. Tag nach der Fertilisation feststellbar sein und ein wahrnehmbarer Blutkreislauf ab dem 32. Tag. Hatte die Gynäkologin dann einen Embryo mit Herzschlag auf ihrem Bildschirm, war die Frau schwanger mit einem lebenden, sich entwickelnden Embryo. Was die Gynäkologin zu diesem Zeitpunkt nicht garantieren konnte, war, dass der Embryo sich nicht doch noch aus der Gebärmutter löst und dass der Embryo gesund sein würde. Eltern, die dieses Risiko als wichtig erachteten, blieben unsicher über den Status der Schwangerschaft, meist bis zur 12. Woche oder bis nach dem Ersttrimester- oder Organscreening in der 18. bis 20. Woche. Die Grenzziehung zwischen schwanger/nicht-schwanger war in diesem Prozess unklar und musste immer wieder mit der Hilfe von Apparaten gezogen werden. In den Praktiken konnte diese Grenze aber nicht genau definiert werden. Stattdessen wurden Subjekte figuriert, die in einem Zwischenstadium verweilen und vorerst undefinierbar oder nur kurzweilig definierbar sind. Wannabe-Mütter wollten bei der Vermutung zu einer Schwangerschaft in eine dieser beiden Kategorien eingeordnet werden. Intra-Analysen, Schwangerschaftsteste und Ultraschallteste gaben schrittweise Auskunft darüber, welcher Kategorie frau angehört. Die Klassifikation blieb aber in allen Schritten unsicher, auch wenn letztere Methode, der Ultraschalltest, in seiner Evidenzfindung von den Informantinnen nie angezweifelt wurde. Der Schwangerschaftstest kann die Klassifikation schwanger/nicht-schwanger momenthaft vornehmen, seine Richtigkeit und auch die Beständigkeit wird aber innerhalb anderer Praktiken angezweifelt. Das Assemblage positiver Test und Wannabe-Mutter, das die Frau als schwanger klassifiziert, wird in der Teilhabe an weiteren Assemblages, im Speziellen der Kontakt mit Diskursen, die Schwangerschaftsteste als unsicher erklären und Aborte besprechen, wieder relativiert. Die Schwangerschaft bleibt erstmal »vielleicht«. Bis
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sich Eltern mit Sicherheit als »werdende Eltern« bezeichnen konnten, mussten die meisten Eltern noch einige Unklarheiten beseitigen.
10 Risiko Schwangerschaft Figuration eines »normalen« oder »anomalen« Fötus und den dazugehörigen Eltern
In der Schwangerschaft gab es mehrere Untersuchungen, die den Fötus vermaßen, kontrollierten und einordneten. Neben der Unsicherheit, ob die Schwangerschaft bestehen bleibt, entstand die Angst der Eltern, dass der Embryo sich nicht wie gewünscht entwickelt. Vor allem wenn es sicherer wurde, dass der Embryo »bleibt«, trat die Frage nach der »Normalität« stärker in den Vordergrund. Zu »ist er noch da« kam »ist er auch normal« hinzu. Mit »normal« schienen die Eltern zu meinen, dass sich der Embryo ohne körperliche oder geistige Beeinträchtigungen, entsprechend bestimmter Normen, entwickelte. Neben den üblichen Ultraschalluntersuchungen, die meist ab der 7. Woche der Schwangerschaft regelmäßig durchgeführt wurden, werde ich hier vor allem auf zwei pränataldiagnostische Untersuchungen eingehen: das Ersttrimesterscreening und das Organscreening. Die Ultraschalle bei den Kontrolluntersuchungen konnten abschätzen, ob sich der Embryo und dann Fötus zeitgerecht entwickelte hinsichtlich seiner Größe und Form. Feinultraschalle, die in Spezialpraxen oder im Krankenhaus durchgeführt wurden, lieferten ein genaueres Ultraschallbild, auf dem spezifische Anomalien erkennbar sein sollten.
B ESUCHE
BEI DER
G YNÄKOLOGIN
Generell gingen die Informantinnen in meiner Studie gern zu ihren Gynäkolog*(inn)en, wenn diese jemanden gefunden hatten, der ihnen zusagte. Der Besuch bedeutete eine Bestätigung, dass alles in Ordnung war, vorerst, und die werdenden Eltern fühlten sich versorgt. Es gab die Möglichkeit, Fragen zu stellen und die Möglichkeit, das Ungeborene wieder am Bildschirm zu sehen. Ei-
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nige Mütter in meiner Studie und auch viele werdende Mütter in Forum1 wechselten ihre/n Gynäkologen/-in, wenn es zu einer Schwangerschaft kam.1 Die Ansprüche an die Ärztin oder den Arzt stiegen plötzlich. In den Gesprächen tauchten Themen auf wie, dass Zusatzausbildungen für Alternativmedizin fehlten, oder dass es einfach auf persönlicher Ebene mit der Gynäkologin nicht klappte. Einigen Ärztinnen wurde von den Informantinnen die Kompetenz im fachlichen Bereich abgesprochen. Auch eine interviewte Gynäkologin hatte immer wieder mit Schwangeren zu tun, die im ersten Trimester oder kurz danach zu ihr wechselten. Sie führte an, dass ihre Zusatzausbildungen Interesse weckten. Viele Informantinnen schienen aber davor jahrelang bei einer Gynäkologin zu sein, die nun plötzlich nicht mehr den Ansprüchen genügte. Nach einem missglückten Wechsel kehrten aber manche wieder zur schon bekannten Gynäkologin zurück. Spannend ist, dass hier während der Schwangerschaft in den Assemblages Ansprüche als Partizipierende auftauchen, die vorher bei den Routineuntersuchungen nicht auftauchten. Es wurde wichtig, dass mensch mit der Gynäkologin »gut reden kann«, dass Fragen kompetent beantwortet wurden und dass Ängste ernst genommen wurden. Bei Problemen sollte die Ärztin die Möglichkeit haben, alternativ zu behandeln. Die Gynäkologin als Partizipierende wurde neu figuriert und mit sehr viel Macht ausgestattet. Sie hätte Dinge erkennen oder übersehen können, sie könnte anders behandeln und sie war verantwortlich für Risikoeinstufungen und dafür, diese richtig einzuschätzen und den werdenden Eltern zu kommunizieren. Die werdenden Eltern wurden im Gegenzug als jene figuriert, die die Person, die diese Behandlungsmacht erhält, gut auswählen mussten. Es lag in der Verantwortung der Eltern, ihrem Ungeborenen die beste Versorgung zu bieten. Gab es keine Risiken und Probleme, liefen die Untersuchungen für die Eltern sehr angenehm ab. In einem kurzen Anamnesegespräch klärte die Gynäkologin wichtige Veränderungen, Probleme und Fragen ab. Die nächsten Schritte, etwa anstehende Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen, wurden besprochen. Manche Gynäkologinnen gaben Tipps zu Ernährung und Bewegungsverhalten. Dann folgte eine gynäkologische Untersuchung, bei der Fragen gestellt werden konn2 ten. In sehr vielen Fällen kamen die Partner nach Möglichkeit mit. Alle Partne-
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»Die eine ist eine Wahlärztin gewesen und zu der wollte sie erst nicht mehr hingehen, weil die nicht so diese Besonderheiten hatte, die sie sich vorgestellt hat und deshalb haben wir eine andere gesucht, aber in Wirklichkeit war sie eh die bessere und war dann eine sehr nette und einfühlsame Frau, was die andere nicht so war.« (Mann E)
2
»Wir machen uns immer eine Liste mit Fragen, die wir so haben, auch wegen, wie ich mich jetzt noch schonen muss oder wie die Größe vom Baby ist oder ob man sich jetzt
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rinnen in meiner Studie versicherten, dass sie bei der Gynäkologin immer dabei waren, wenn es terminlich möglich war. Diese wurden dann nach der gynäkologischen Untersuchung für den Ultraschall und zur Beratung hereingeholt. Die Größe des Kindes wurde mitgeteilt und es wurde über den Fortschritt der Schwangerschaft und Bedürfnisse und Ängste der werdenden Eltern gesprochen. Wichtig war den werdenden Eltern, dass ihnen Zeit zur Verfügung stand, wo Fragen und Probleme ruhig besprochen werden konnten. Die Gynäkologin war vor allem während der Schwangerschaft eine wichtige Ansprechpartnerin. Ihre Verantwortung war es gleichzeitig, der werdenden Mutter wichtige Informationen mitzuteilen und eine Risikoabschätzung durchzuführen. Wie der nächste Abschnitt zeigen wird, gab es eine Reihe von Befunden, die von der Gynäkologin in Auftrag gegeben und ausgewertet werden mussten.
R ISIKEN
BESTIMMEN
Die werdende Mutter und das heranwachsende Ungeborene wurden während der Schwangerschaft häufigen Kontrollen unterzogen. Diese waren zum Teil staatlich gelenkt durch den Mutter-Kind-Pass, der eine Reihe nicht-invasiver Untersuchungen während der Schwangerschaft vorsah. Im Rahmen der Kontrollen wurden in den meisten Fällen auch Ultraschalle durchgeführt. Werdende Eltern und Gynäkologinnen gingen davon aus, dass der Embryo und Fötus beständig wächst. Eine Einstellung des Wachstums wurde mit einem Absterben des Embryos oder des Fötus gleichgesetzt. Bei jedem Besuch bei der Gynäkologin galt nun, festzustellen, wie der Embryo und dann Fötus gewachsen ist und wie sich dessen Form verändert hat. Um Anomalien festzustellen, die das Ungeborene betreffen, waren die Eltern Teil von Spezialultraschallen und in seltenen Fällen von invasiver Pränataldiagnostik. Während die Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen während der Schwangerschaft auf Anomalien des Mutterkörpers gerichtet sind, ist der Zweck dieses Screenings, den Fötus so genau wie möglich zu durchleuchten.
Stützstrümpfe kaufen soll, was ich halt so lese oder was sowieso und dann halt von mir, wegen meinen Komplikationen [...] immer wenn mir was einfällt, schreib ich es auf die Liste, oder wenn A sagt, du musst unbedingt fragen, dann schreib’ ich’s drauf.« (Frau A)
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Nicht-bildgebende-Diagnostik: Der Mutter-Kind-Pass Im ersten Trimester bekamen die werdenden Eltern von ihrer Gynäkologin den Mutter-Kind-Pass ausgehändigt. Dieser umfasst fünf verpflichtende Untersuchungen während der Schwangerschaft und fünf Untersuchungen am Kind, nach der Geburt. Diese Untersuchungen mussten durchgeführt werden, damit die Eltern das Kinderbetreuungsgeld nach der Geburt erhalten können. Zusätzlich gab es im Pass Vorschläge für weitere nicht-obligatorische Untersuchungen. Die erste Mutter-Kind-Pass-Untersuchung sollte bis zum Ende der 16. Woche durchgeführt werden. Sie beinhaltete einen Blutbefund von der Mutter, eine Anamnese, eine gynäkologische Untersuchung und im Zuge der Auswertung der Daten der Anamnese und der Blutuntersuchung eine erste Bestimmung von möglichen Risiken, die mit der Schwangerschaft verbunden sind. Die folgenden Untersuchungen in der 17. bis 20., der 25. bis 28., der 30. bis 34. und der 36. bis 38. Woche liefen ähnlich ab. Die Kopf-Rumpf-Länge des Kindes und die genaue Schwangerschaftswoche werden häufig mit dem Ultraschall festgestellt, diese können aber auch mit einem Tastbefund ermittelt werden. Die Gynäkologin ertastet bei dieser Methode den Fötus durch die Bauchdecke. Probleme, die sich bei dieser ersten Untersuchung ergeben konnten, waren ein problematischer Rhesusfaktor oder eine Toxoplasmoseinfektion. Bei späteren Untersuchungen waren es Schwangerschaftsdiabetes, Schilddrüsenunterfunktionen oder eine Reihe von möglichen Infektionen. Das Alter der werdenden Mutter spielte ebenfalls eine Rolle. Ab 35 wurde ihr eine erhöhte Wahrscheinlichkeit attestiert, teil einer Risikoschwangerschaftsgruppe zu werden, auch wenn sich in den Untersuchungen keine Auffälligkeiten ergaben. Der Embryo und Fötus wurde in diesen Untersuchungen als unabhängige Entität figuriert, der durch den Körper der Mutter, der möglicherweise eine Infektion oder Krankheit in sich trägt, oder einen anderen Rhesusfaktor aufweist, geschädigt werden könnte und vor diesem beschützt werden muss. Den Paaren meiner Studie gaben die Untersuchungen vorrangig Sicherheit. Sie erhielten das Gefühl, dass sehr viele mögliche Probleme abgetestet und antizipiert werden, ohne, dass sie selbst recherchieren mussten. Manche sahen dies als Erleichterung, wenn ein System sich kümmerte und sie zumindest in einigen Bereichen Verantwortung abgeben konnten.
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Abbildung 1: Mutter-Kind-Pass
www.help-gv.at, 01.04.2010
Bildgebende Diagnostik I: Ultraschalle bei dem/der Gynäkologen/-in - »Wie groß ist es denn schon?« Alle Paare in meiner Studie waren Teil von Ultraschalluntersuchungen. Die Ultraschalle wurden, wie bereits beschrieben, zur Evidenzherstellung über die Existenz eines Embryos durchgeführt, und dann zumindest innerhalb der Routinekontrollen für den Mutter-Kind-Pass, die von den Sozialversicherungsträgern vorgeschrieben waren. Der Mutter-Kind-Pass sieht allerdings selbst keine Ultraschalluntersuchungen verpflichtend vor, empfiehlt diese aber. Eine interviewte Gynäkologin erinnerte sich konkret nur an einen Jahre zurückliegenden Fall, als die Ultraschallgeräte Einzug in die gynäkologischen Praxen hielten, bei dem der Ultraschall generell verweigert wurde. Die Feinultraschalle, die in den nächsten Kapiteln näher dargestellt werden, wurden allerdings häufiger abgelehnt. Die Häufigkeit der Schalle war bei den Eltern unterschiedlich. Es gab Berichte über wöchentliche Ultraschalle. Andere Paare wollten die Ultraschalle
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eher auf wenige Male reduzieren und bevorzugten Tastbefunde bei den Routinekontrollen. Durch Internetrecherche, in Büchern und in Foren, informierten sich werdende Eltern manchmal darüber, ob der Ultraschall Auswirkungen auf das Ungeborene hat. Es kursieren Theorien, dass der Schall für den Fötus zu hören ist und für diesen unangenehm ist und dass der Schall das Fruchtwasser erwärmen könnte. Es gab Diskurse darüber, dass häufige Ultraschalle das »Bauchgefühl« der werdenden Mutter schmälern und die interne Kommunikation durch die ständige Beobachtung von außen verschlechtert wird. Wurden diese Konzepte zu Partizipierenden der werdenden Eltern, dann schraubten diese die Anzahl der Ultraschalluntersuchungen zurück. Zusätzlich kamen die Kosten für eine Ultraschalluntersuchung hinzu. Die meisten Krankenkassen übernehmen nur zwei Ultraschalluntersuchungen während der Schwangerschaft. Hatten die Eltern keine Zusatzversicherung, hatten sie die Möglichkeit, pro Ultraschall, je nach Praxis, zwischen 20 und 50 Euro pro Untersuchung zu zahlen. Manche Gynäkolog*(inn)en boten Pauschalen für einen ganzen Schwangerschaftsverlauf an, was 80 bis 150 Euro kostete. Die Bildschirme der Gynäkologinnen waren meist pixelig, aber mit zunehmender Größe des Fötus konnten werdende Eltern immer mehr erkennen. Am Bildschirm konnten sie manchmal bekannte Morphologien wiedererkennen (die Hand, der Kopf) und ab einem bestimmten Zeitpunkt Bewegungen nachvollziehen. Die Eltern bekamen bei jeder Untersuchung ein Bild mit nach Hause. Die Gynäkolog*(inn)en untersuchen den Herzschlag und vermaßen den Embryo oder Fötus. Sie kontrollierten dessen Lage und die Lage der Plazenta. Es konnte die Entwicklung nachvollzogen werden, auch wenn viele Anomalien nur mit einem Feinultraschall sichtbar gemacht werden konnten. Laut den Carnegie Stages entwickeln sich in der Embryonalperiode die Gliedmaßen und die kindliche Morphologie (O’Rahilly und Müller, 1987; Schulze, 2006). In der Fetalperiode erfolgt eine Ausreifung der Organe. Mittels Ultraschall wurde überprüft, ob der Embryo und Fötus sich zeitgerecht entwickelte und bestimmte Marker, wie den Herzschlag oder eine spezifische KopfRumpf-Länge, innerhalb der erwarteten Zeitspanne auftreten. Chromosomale Anomalien oder Fehlbildungen der Gliedmaßen oder Organe können aber meist erst mit einem Feinultraschall erkannt werden. Bildgebende Diagnostik II: Feinultraschalle Die Entwicklung aller Embryos ist zwar nicht völlig zeitgleich (O’Rahilly und Müller, 1987), dennoch wurden anhand der Entwicklungsstufen Marker entwickelt, die die Normalität des Embryos anzeigen sollten. Bei den Feinultraschallen
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geht es um »Fehlentwicklungen« der Gliedmaßen oder Organe und um Indikatoren für mögliche Chromosomenstörungen, die auf den Standardgeräten nicht visualisiert werden können. Die Ultraschallgeräte der Gynäkolog*(inn)en produzierten andere Bilder als die Feinultraschalle, sie konnten aber feststellen, ob der Herzschlag früh genug auftritt und ob der Embryo dem medizinischen Diskurs entsprechend wächst. Die Feinultraschalle fanden deswegen in Krankenhäusern oder in privaten Praxen statt, die besser auflösende Geräte besaßen. Einige Krankenhäuser boten das Ersttrimesterscreening und das Organscreening kostenlos an, wenn werdende Mütter sich vor dem Ersttrimesterscreening dort für die Geburt anmeldeten. Paare, die sich so früh nicht entscheiden wollten, sich in keinem Krankenhaus angemeldet hatten oder deren Krankenhaus dieses Angebot nicht führte, mussten auf private Praxen zurückgreifen, wo eine Ultraschalluntersuchung zwischen 120 und 250 Euro kostete. Die Krankenhäuser und privaten Praxen boten das Ersttrimesterscreening zwischen der 10. und 14. Woche an. Die werdenden Eltern hatten die Möglichkeit, zwischen der einfachen Bestimmung der Nackenfaltendichte und dem Combined Test, wo zusätzlich eine Blutabnahme erfolgte, zu wählen. Von den Institutionen wurde bei der Anmeldung bzw. Terminanfrage Letzteres empfohlen und dies wurde auch von den Eltern in meiner Studie gewählt, falls dieser Test durchgeführt wurde. Für jene Eltern meiner Studie und die Forumsteilnehmerinnen, die hier gute Werte bekamen, wirkte die Untersuchung sehr beruhigend. In den Interviews wurde über die Feinultraschalle intensiv geredet.3 Das verbesserte Ultraschall-
3
»Es ist immer faszinierend und total schön, dass man eben auch schon in einer frühen Schwangerschaft, man hat noch keinen Bauch, schon Finger, Zehen usw., also ich kann mich erinnern an die eine Untersuchung da im Krankenhaus, wo ein besseres Ultraschallgerät auch verwendet wurde, wir zum ersten Mal wirklich alles gesehen haben, die Gliedmaßen, die kleinen Händchen und so, das war total faszinierend. Weil dann glaubt man auch gar nicht, dass das im eigenen Bauch ist. Das ist fast irreal, das musst du verknüpfen mit dem, was man spürt und sieht.« (Frau F) »So gesehen fand ich das eigentlich toll, weil das schon voll interessant war, weil man kann alles so im Detail sehen, man sieht eben das Herzchen und die - eiso man siehts so im Detail viel besser als beim normalen Frauenarzt und so ist es halt ganz beruhigend, wenn man sieht, dass Zehen dran sind und so [lacht] alle wesentlichen Teile [...] im Nachhinein war’s dann sehr beruhigend, weil die wirklich alles anschauen, alles, was man sehen kann schon in dem Stadium, schauen die sich auch an, also wir sind dann auch später noch mal für dieses Organscreening dort gewesen. Da haben die vermessen und man kann auch die Herztöne hören und so.« (Frau H)
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bild hatte Wirkung auf die werdenden Eltern. Sie konnten ihr Ungeborenes zum ersten Mal sehr deutlich sehen. Viele Eltern waren verwundert über die Qualität des Bildes, dass bereits Finger erkennbar sind und die Morphologie des Fötus bereits einem Menschen ähnelt.
Combined Test Bei dem Test wurde die Dichte der Nackenfalte, die Kopf-Rumpf-Länge und das Nasenbein gemessen. Eine Blutuntersuchung bestimmte die Konzentration von hCG (Human Chorionic Genadotropin) und PAPP-A (Pregnancy Associated Plasma Protein - A) im mütterlichen Blut. Die Ergebnisse der Teste wurden in einen Algorithmus eingefügt, der ein bestimmtes Risiko kalkulierte. Das höchste Risiko ist 1:10, das niedrigste 1: 10000 (Borrell et. al., 2004). Der Algorithmus arbeitete mit spezifischen Spannweiten, die als »normal« betrachtet wurden. Abweichungen davon erhöhen das Risiko. Die durchschnittliche Nackenfalte misst z. B. 2 bis 2,5 Millimeter (Borrell et. al., 2004). Ein höherer Diameter vergrößerte das Risiko, genauso wie erhöhte Level von hCG oder verringerte PAPP-A-Werte. Medizinische Diskurse behaupteten, mit dieser Methode 60 (Tercanli und Holzgreve, 2000) bis 88 % (Borrell et. al., 2004) der chromosomalen Anomalien erkennen zu können, mit einer Rate von 3 bis 5 % falsch-positiven Befunden. Die am häufigsten erkannten Anomalien sind Trisomie 21, 18 und 13. Es wird erwartet, dass 1 bis 5 % der Föten eine dieser Anomalien aufweist (Borrell et. al., 2004).
Drei Eltern in meiner Studie haben diese Untersuchung sehr bewusst verweigert. Eine werdende Mutter hat erst nach der 14. Woche erfahren, dass sie schwanger ist und diese Untersuchung übersprungen. Die aktive Verweigerung geschah vor allem mit einem Rekurs auf Diskurse der Auslese von »ungenügenden Föten« und mit der Infragestellung der Methode. Für diese Eltern war die Frage nach der Normalität ihres Kindes nicht wichtig. Sie betonten beide, dass eine Behinderung des Kindes nichts ändern würde und deswegen diese Untersuchung überflüssig sei und womöglich nur unnötig Aufregung bringe. Bei mehreren werdenden Eltern waren Statements zu finden, wo diese Methode als »unwissenschaftlich«, »ungenau« oder »undurchsichtig« bezeichnet wurde. In den Foren und in Gesprächen mit Eingeweihten wurde über Fälle diskutiert, für die ein hohes Risiko für eine Chromosomenstörung kalkuliert wurde, die Kinder aber gesund und
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ohne Beeinträchtigungen zur Welt kamen.4 Gleichzeitig, konstatierten (werdende) Eltern, »kann immer etwas sein«, das nicht erkannt wird, oder bei der Geburt passiert. Beide werdenden Elternpaare, die das Ersttrimesterscreening ablehnten, meinten überzeugt, dass die Entscheidungsfindung bei diesem Thema ungewöhnlich schnell vonstatten ging. Die Partizipierenden der Eltern waren hier ethische Diskurse um die Wertigkeit von Leben, das nicht der Norm entspricht, und Diskurse, die die Glaubhaftigkeit der Methode diskutierten. Diese nivellierten die Untersuchung, die in diesem Lichte unnötig erschien. Interessant bleibt, dass sich werdende Eltern an diesem Punkt damit auseinandersetzen mussten, dass das Kind nicht gesund oder nicht wie gewollt zur Welt kommen könnte. Allein die Option einer Untersuchung figurierte werdende Eltern, die diese Möglichkeit einkalkulieren müssen. Einigen Eltern war eine Wahrscheinlichkeit, die das Risiko einer Chromosomenstörung kalkulierte, daher sehr wichtig. Jene Eltern, denen eine niedrige Wahrscheinlichkeit attestiert wurde, schienen fest daran zu glauben, dass ihnen jetzt nichts mehr passieren konnte. Das positive Testergebnis als Partizipierender figurierte hier sicherere und entspanntere werdende Eltern mit. Die zweite wichtige bildgebende Diagnostik, das Organscreening, wurde meist in der 20. bis 23. Woche durchgeführt. Bei dieser Untersuchung ging es darum, die Ausbildung der Organe zu überprüfen. Die Organe wurden einzeln geschallt und vermessen. Fehlbildungen der Organe, etwa Herzfehler, des Gesichts oder der Gliedmaßen hätten festgestellt werden können. Die medizinische Literatur stellt Normgrößen für spezifische Organe in dieser Entwicklungsperiode und Teile davon bereit (Schulze, 2006). Abweichungen davon konnten als Risiko eingestuft werden. Abweichungen konnten aber nicht immer mit Sicherheit festgestellt werden. Bei einem Paar in meiner Studie gab es den schwachen Verdacht auf eine vergrößerte Blase (Megablase), was ein Hinweis für eine Trisomie 18 sein könnte. Einige Wochen später wurde dieser Verdacht wieder zurückgenommen.
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»Die Gynäkologin hat uns gesagt, das kommt auf euch zu und da gibt es dann, das und das und das und da könnt ihr euch dann entscheiden und dann sind wir halt da raus und haben nur gesagt, was ist dein Gefühl, mein Gefühl, die waren eh ungefähr gleich und dann haben wir mit EINGEWEIHTE geredet, und die hat sehr viel Wissen dazu gehabt und die sehr viel verschiedene Meinungen, ja da haben wir das super abgleichen können und wir haben unser erstes Gefühl auch bestätigt und mehr haben wir dann gar nicht drüber geredet. Es war nur so, ok, passt. Bei anderen Entscheidungen haben wir oft viel mehr Leute miteinbezogen und noch gefragt.« (Mann C)
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Diese Untersuchung wurde aber von den Teilnehmer*(inne)n an meiner Studie mit weniger Skepsis wahrgenommen als das Ersttrimesterscreening. Es wurde weniger als eine Untersuchung wahrgenommen, bei der eine Auslese getroffen wird, sondern als eine Hilfe, falls es ein Problem gibt und Vorkehrungen für die Geburt getroffen werden müssen. Auch eine Informantin, die das Ersttrimesterscreening strikt abgelehnt hatte, hat diese Untersuchung durchgeführt. Sowohl die Gynäkolog*inn(en) als auch die Hebammen nahmen diese Untersuchung sehr wichtig.5 Bei den Paaren meiner Studie wurden keine gröberen Probleme festgestellt, das Organscreening wurde somit als schöne Untersuchung beschrieben, wo das Kind bereits zu groß für eine Vollansicht geworden war. Sie waren begeistert über die Ansicht der Extremitäten und des Gesichtes des Ungeborenen. Wie
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»Vor allem bei einer Hausgeburt, schon sehr gerne hab ich das Organscreening in der 21. bis 22. Woche, einfach damit man weiß, es ist organisch alles ok, weil es ist mehr als unangenehm, wenn das Kind einen Herzfehler hat, der zwar im Bauch keine Konsequenz hat, aber das Kind dann auf die Welt kommt und ganz blau wird und ich weiß das nicht, ist das eher unangenehm, und deswegen sag ich, also grundsätzlich organisch, dass alles in Ordnung ist, hätte ich einfach gerne gewusst bei einer Hausgeburt.« (Hebamme A) »Also der wichtigste Ultraschall ist sicher das Organscreening, also das kann man schon sagen [...] da sieht man, ob die Organe gesund sind und letzten Endes auch noch eine Trisonomie 21. [...] und bei den Organen, das sag ich halt dann immer dazu [...] schauen Sie, das Kind könnte auch eine offene Bauchdecke haben, weil das gibt es schon immer wieder, es kommt halt vor, dass sich die Bauchdecke nicht verschließt und der Darm halt frei im Fruchtwasser, das sieht man im Ultraschall eigentlich, bei so einer Untersuchung [...] ich kann dann sagen, ich bin jetzt nicht in einem kleinen Spital, sondern sie müssen unbedingt ins AKH gehen, wo der Kinderchirurg das Kind übernimmt und die Bauchdecke geschlossen wird, noch bevor eine Infektion passiert.« (Gynäkologin A) »Das einzige, das wir halt machen, ist das Organscreening, obwohl irgendwie nicht so, als ich reihe es jetzt für mich nicht unter Pränataldiagnostik ein, sondern so wie eine halt ausführliche Ultraschalluntersuchung, und ich würde da jetzt nicht, wenn irgendwas rauskommt, keine Konsequenzen draus ziehen jetzt, also sehe ich das nicht so tragisch. Das finde ich deswegen interessant, auch in Hinblick auf die Hausgeburt, weil ich ja sehen möchte, ob irgendwas ist und vielleicht würde das meine Entscheidung beeinflussen, wenn ich erfahre, es hat irgendwie, es gibt ein gröberes Problem, weil ich mir dann denke, vielleicht will ich lieber in einem Krankenhaus entbinden, wo’s dann eine Neonatologie gibt oder so.« (Frau E)
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schon beim Ersttrimesterscreening erzählten die Eltern von einer beruhigenden Wirkung des Screenings, abgesehen von den »schönen Bildern«. Es verlieh den Eltern eine Sicherheit, dass es nun sehr unwahrscheinlich wäre, dass in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft noch etwas passieren könnte. Es gibt weitere Tests, die von den Eltern in meiner Studie nicht durchgeführt wurden. Private Praxen bieten einen Triple Test an, in der 16. bis zur 18. Schwangerschaftswoche, wo ähnlich wie beim Ersttrimesterscreening aus Ultraschalldiagnostik und Blutbild mittels eines Algorithmus ein Risikowert errechnet wird. Dieser kann bei einer Entscheidung zu einer Chorinzottenbiopsie oder Amniozentese (siehe nächster Abschnitt) als Zusatz hilfreich sein. Der Wellbeingschall gegen Ende der Schwangerschaft kann zur Überprüfung, ob der Fötus sich im letzten Drittel wie erwartet entwickelt, verwendet werden. Zusätzlich wird die Plazenta überprüft. Anbieter der Schalle konstatieren, dass diese im letzten Drittel oft die Versorgung des Fötus nicht mehr ausreichend gewährleisten kann (Private Praxis 1). Eine mögliche Insuffizienz der Plazenta kann mit dem Wellbeingschall festgestellt werden. Die werdenden Eltern meiner Studie haben diese Untersuchung nie erwähnt. Eine Unterversorgung könnte aber auch bei den Kontrollen bei der Gynäkologin oder im Krankenhaus vor der Geburt festgestellt werden. Invasive Diagnostik: Chorinzottenbiopsie und Amniozentese Diese Untersuchungen wurden sehr selten, nur bei besonderer Indikation für ein Risiko, durchgeführt. Einige Eltern hatten diese Untersuchungen in den Interviews diskutiert und abgelehnt. Diese Eltern hatten aber auch nie konkrete Gründe, diese Untersuchungen durchführen zu lassen, da ihre Feinultraschalle auf keine Abweichungen hinwiesen. In meiner Studie hat nur eine werdende Mutter eine invasive Diagnostik durchgeführt. Sie hatte sich kurz vor der Empfängnis mit Toxoplasmose infiziert. Bei der ersten Blutuntersuchung wurde dies festgestellt. Eine Toxoplasmoseinfektion kann den Embryo oder Fötus stark beeinträchtigen und Fehlbildun6 gen am Gehirn nach sich ziehen (Schulze, 2006, 70). Bei dem Ersttrimesters-
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»Dann screenen sie dich sehr engmaschig, weil es kann ja sein, dass das Kind entweder abgeht oder [...] grobe geistige Schäden haben, es kann wirklich voll behindert sein, ja, also nicht gehen können, nicht denken können, nicht reden können, also wirklich komplett mit einer Lebenserwartung von ein paar Jahren und deswegen screenen sie dich sehr engmaschig und in der 16. Woche machen sie dann so eine Fruchtwasser-
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creening wurde trotz gutem Schallergebnis ein hoher Risikowert errechnet. Die Informantin entschied sich für eine Amniozentese, eine Fruchtwasserpunktion. Werdende Mütter, die in einer hohen Risikostufe auf Grund einer Infektion oder auch nur auf Grund hohen Alters eingeordnet wurden, hatten die Möglichkeit, zwei invasive Untersuchungen durchführen zu lassen: die Chorinzottenbiopsie und die Amniozentese. Bei der Chorinzottenbiopsie werden vaginal oder durch die Bauchdecke Eihäute entnommen, bei der Amniozentese wird Fruchtwasser über die Bauchdecke entnommen (Schulze, 2006, 61). In beiden Fällen werden im Labor die entnommenen Zellen weiter gezüchtet und beurteilt. Diese Verfahren sollen 100 % der Chromosomenanomalien feststellen können. Die betroffene Informantin bekam nach einigen Tagen das Ergebnis, dass in den fötalen Zellen keine Anomalien feststellbar sind. Sie war erleichtert, trotzdem blieb sie bis nach der Geburt unsicher, ob es nicht doch eine Beeinträchtigung gegeben hatte. Das Gefühl von Sicherheit, von dem die anderen Paare berichteten, stellte sich bei dieser Informantin, trotz der medizinischen Bestätigung, nicht ein.
G ESUNDE ,
UNGEFÄHRLICHE UND NORMALE
U NGEBORENE
Während es bei den oben beschriebenen Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen vor allem darum ging, dass Infektionen oder Unverträglichkeiten mütterlicherseits auf das Kind übergehen oder ihm schaden könnten, ging es bei den Ultraschallen und noch mehr bei den Feinultraschallen darum, festzustellen, ob umgekehrt das Ungeborene sich wie erwartet entwickelt und ob es in dieser Form für die Mutter Schaden bedeuten könnte. Der Embryo und Fötus wird als unabhängige Einheit figuriert, der der Gefahr ausgesetzt ist, in besonders spezifischer Weise durch den Körper der Mutter beeinträchtigt zu werden oder der selbst zur Gefahr für seine Trägerin werden kann. Es gibt in den Diskursen Idealvorstellungen vom gemeinsamen Werden, das bestimmte gefährliche Partizipierende, etwa Toxoplasmoseviren, nicht beinhaltet. Andere gefährliche Partizipierenden, die nun figuriert werden, sind das mütterliche Blut, Chromosomen oder Gene, die von den Müttern und Vätern mitgegeben wurden. In den Praktiken der Kontrolle wird versucht, schädigende Partizipierende der Assemblages zu kontrollieren oder zu eliminieren.
punktion ja, und dann sagen sie dir ganz einfach wie’s ausschaut ja, ob’s g’sund ist oder nicht.« (Frau B)
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Das Blut der Mutter ist jenes Objekt, an dem dies vorerst festgestellt wurde. In den bildgebenden Verfahren konnte dann ein Risiko definiert werden, ob eine Beeinträchtigung durch den Körper der Mutter stattgefunden hatte oder durch eine Chromosomenstörung oder genetische Vererbung bereits bestanden hatte. Kann es ausgeschlossen werden, dass gefährliche Partizipierenden im Spiel sind, gilt die Schwangerschaft als risikoarm und der Fötus als sich »normal« entwickelnd. Im Anschluss werden die Eltern in diesem Prozess ebenso als normale zukünftige Eltern figuriert. In den Praktiken wurden Fötus und Mutter voneinander abgegrenzt, getrennt voneinander untersucht und beide konnten als Einheiten ein Risiko für den jeweils anderen darstellen. Wurden Risiken verschiedener Schwere errechnet, konnte dies Konsequenzen für die Bestimmung des Ungeborenen oder der Eltern haben. Es gab eine Reihe von Risiken und Anomalien, die es Eltern rechtlich erlaubten, den Fötus aus dem Uterus der werdenden Mutter wieder zu entfernen. Die Entscheidung dafür lag bei den werdenden Eltern, im Speziellen bei den werdenden Müttern. Entscheiden sich werdende Eltern für einen Fötus mit Risikowahrscheinlichkeit oder festgestellter Anomalie, kann dies Konsequenzen für die weiteren Praktiken der Eltern haben. Das Risiko oder die Anomalie wird nun zum Partizipierenden, der die folgenden Praktiken mitverändert. Eltern müssen dann zum Beispiel ein spezifisches Krankenhaus für die Geburt wählen oder Vorkehrungen für die Zeit nach der Geburt treffen. Über den Fötus werden die Eltern mitklassifiziert als Risikoschwangere und Eltern mit Risiko. In der Zeit nach der Geburt kann es passieren, dass sie über ihr Kind immer als »spezielle Eltern« figuriert werden, mit einem Alltag, der von einer definierten Norm abweicht. Die Föten der interviewten Eltern meiner Studie wurden letztendlich alle als unauffällig und risikoarm klassifiziert. Ein »gesundes Kind« als Partizipierendes figurierte mit anderen Begleitern Eltern, die sich erst einmal entspannt freuen und sich anderen Aufgaben in der Schwangerschaft widmen können: Produkte einkaufen, das Kinderzimmer einrichten, die Geburt und die Elternschaft vorbereiten.
11 Der Prozess der »Vielleichtheit« der Schwangerschaft Unsicher sein und Sicherheit erlangen
Wurde innerhalb der Praktiken zur Herstellung von Evidenz eine Schwangerschaft angezeigt, blieb, wie in den vorigen Kapiteln ausführlich gezeigt wurde, die Schwangerschaft oft unstabil, weil werdende Eltern sich gleichzeitig in Assemblages befinden, mit deren Partizipierenden sie mentale Konzepte für das Risiko eines spontanen Aborts oder die Möglichkeit, dass mit dem Embryo nicht »alles in Ordnung« oder »alles normal« sein könnte, ausbildeten. Erstere Unsicherheit war durch das Warten auf den Zeitpunkt charakterisiert, ab dem sich dieses Risiko verringerte. Zeit wurde in diesen Praktiken ein wichtiger Begleiter der werdenden Eltern. Zweitere Unsicherheit wurde durch das Abwarten der diagnostischen Feinultraschalle, die das Ungeborene vermessen und etwaige Anomalien feststellen, aufgelöst oder bestätigt. Werdende Eltern gingen Verbindungen mit Medizintechnik ein, die den Embryo visualisierbar, vom Körper der Mutter abtrennbar und als getrennte Einheit untersuchbar machten. Bis dorthin konnten die Eltern nicht sicher sein, ob der Embryo »bleibt« und ob er sich wie erwartet entwickelt. In den Praktiken wurden Subjekte figuriert, die sich, wie bereits in den vorigen Kapiteln beschrieben, in einer Zwischenposition zwischen schwanger, nicht-schwanger, Wannabe-Eltern und werdenden Eltern befanden. Kategorisierungen und Klassifikationen konnten in bestimmten Praktiken (die Durchführung von Schwangerschafts- und Ultraschalltests) hergestellt werden, deren Eindeutigkeit in anderen Praktiken wiederum relativiert wurden. Das erste Trimester war geprägt von dieser Unsicherheit, ob die Schwangerschaft tatsächlich vorhanden ist und wenn, ob diese tatsächlich bis zum Ende ausgetragen werde. Schwangerschaft blieb »vielleicht«. Die Erzählungen der werdenden Eltern und Eltern über diese Zeit waren häufig geprägt von Formulierungen wie »vielleicht schwanger sein«, »vielleicht Eltern werden«, »vielleicht stimmt es«
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oder »vielleicht stimmt es nicht«. Aus dieser überdurchschnittlich häufigen Verwendung des Wortes »vielleicht« habe ich die etwas ungewöhnlich klingende Kategorie der »Vielleichtheit« der Schwangerschaft entwickelt. Sie soll den Formulierungen der Eltern gerecht werden und gleichzeitig abstrahierend für die schwer zu definierenden Subjektivierungsprozesse der Wannabe-/werdenden Eltern stehen. Die Vielleichtheit der Schwangerschaft war charakterisiert durch Praktiken, die immer wieder Evidenz über die Existenz des Embryos und später Evidenz über die Normalität oder zeitgerechte Entwicklung des Embryos herstellten und durch Praktiken, die diese Evidenz relativierten, unklar machten und festhielten. Während ich mich in den letzten beiden Kapiteln auf die Praktiken fokussiert habe, die eindeutige Klassifikationen erzeugen wollen, möchte ich mich in diesem Kapitel stärker auf die Praktiken konzentrieren, in denen die durch die Tests erzeugten Bestätigungen festgehalten, in Zweifel gezogen oder zum Anlass für Tätigkeiten werden. Das Warten auf die nächste Bestätigung und das Befüllen der Zeit, die diese Praktiken mit sich bringen, sollen im folgenden Kapitel im Fokus stehen. Wichtige Partizipierende innerhalb dieser Praktiken waren, neben den werdenden Müttern und Vätern, die sich in einem Zwischenstadium zwischen Wannabe-Eltern und werdenden Eltern befinden, in den Prozess eingeweihte Freunde oder Verwandte, Gynäkologinnen, Ultraschalle, Feinultraschalle, Schwangerschaftsteste und Noch-nicht-Dinge/Noch-nicht-Tätigkeiten. Letzteres waren Gegenstände und Ausführungen, die bereits innerhalb von Gesprächen oder Recherchen antizipiert wurden, aber noch nicht gekauft oder getan werden konnten, auf Grund der Unsicherheit des Schwangerschaftsfortschritts. Die Unsicherheit über den Bestand und Fortbestand der Schwangerschaft zog in den Fällen meiner Studie nach sich, dass Praktiken, wie das Announcement der Schwangerschaft oder die Anschaffung von Dingen für das Baby zu einem Zeitpunkt verschoben wurden, an dem mehr Sicherheit bestand.
D IE
UNSICHERE Z EIT ABWARTEN : VIELLEICHT SCHWANGER SEIN Bereits vor einem positiven Schwangerschaftstest begann die zukünftige Schwangerschaft und Elternschaft eine spezifische Partizipierende der werdenden Eltern zu werden. Einerseits wurden in Gedanken und Gesprächen zur Elternschaft gehörige Tätigkeiten geplant und antizipiert, andererseits konnten diese Planungen nicht realisiert werden, wenn es zu einem spontanen Abort kom-
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men würde. Die Eltern beschlossen dann meist, erst einmal abzuwarten und zwar zu antizipieren, konkrete Tätigkeiten aber vorerst nur kurzfristig zu planen. In Gesprächen teilten Eltern Tätigkeiten ein, die im ersten Trimester erledigt werden mussten und machten Terminpläne und Aufgabenverteilungen. Es wurden Informationen sowohl über den Stand der Schwangerschaft eingeholt, als auch über Risiken und mögliche Anomalien (siehe Kap. 10). Der Alltag der werdenden Mütter und Väter ging, wenn keine beeinträchtigenden körperlichen Beschwerden bestanden, erst einmal weiter »wie immer«. Der Beruf wurde weiterhin ausgeübt und im sozialen Umfeld versuchten beide sich wie noch ein paar Wochen oder Monate davor zu benehmen, außer die Wannabe-/werdenden Eltern hatten es mit eingeweihten Personen zu tun. Traten in der Frühschwangerschaft körperliche Beschwerden auf, wurde dieses »sich nichts ankennen lassen« häufig zur schwierigen Übung (mehr dazu siehe Kap. 12).1 Neben diesen Tätigkeiten, die darauf abzielten, den Alltag möglichst »normal« zu bewältigen, entstanden Praktiken, die durch die Unsicherheit der Schwangerschaft geprägt waren. Neben der in den vorigen Kapiteln bereits dargestellten wiederholten Herstellung von Evidenz über die Existenz eines Embryos, führten Paare Gespräche darüber, dass der Test nicht stimmen könne, oder dass es zu einem Abbruch der Schwangerschaft kommen könne. Aus Angst vor einer Fehlgeburt oder einer Fehlinformation durch den Schwangerschaftstest kamen manche Paare zum Entschluss, »erst einmal abzuwarten«. Die Warte- und Unsicherheitssituation, sich vielleicht freuen zu können, aber, dass gleichzeitig, im Falle einer Fehlgeburt, eine mögliche schmerzliche Erfahrung bevorbestand, erzeugte bei den Paaren eine Anspannung, die schwer auflösbar war. Hielten die Wannabe-Eltern einen positiven Schwangerschaftstest in den Händen, dann berichteten sie erst von großer Freude, die sich aber relativ schnell mit Zweifeln und Ängsten verbinden sollte. Wie in Kapitel 9 bereits beschrieben, kann ein Schwangerschaftstest anzeigen, dass jetzt im Moment mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Schwangerschaft besteht, er kann jedoch nicht garantieren, dass
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»Na, fein ist es nicht. Auf der einen Seite geht’s einem schon einmal nicht gut, mir war halt schon ein bisschen schlecht und müde ist man und fertig. Auf der anderen Seite, wenn man’s niemanden gesagt hat, ist es auch wieder schwierig, weil man muss ja nachher trotzdem praktisch so tun, als wäre nichts. Das ist nicht fein. Und dann ist es natürlich schon, wenn man so liest und hört, dass die Wahrscheinlichkeit doch recht hoch ist, dass noch nirgendetwas ist, das ist natürlich nicht fein. Also ich hab’ mir schon gedacht, ma hoffentlich ist nichts. Und ich war dann schon froh, wie auch die Zeit vorbei war.«
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diese morgen oder in zwei Wochen noch besteht. Das so geschaffene mentale Konzept, dass es einen spontanen Abort geben könnte, wurde zu einem wichtigen Partizipierenden in den Assemblages, an denen die Eltern teilhatten. Teil dieses Konzepts war, dass das Risiko nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt, der zwölften Woche, besteht. Weitere wichtige Teilhaber waren Gefühle von Unsicherheit und dem Abwarten eines Zeitpunkts, an dem es mehr Sicherheit gibt. Bis zu dem Zeitpunkt der Auflösung dieser Ängstlichkeit musste die Mutter und der Partner oder das Umfeld der Eingeweihten an Praktiken partizipieren, die mit diesem Problem umgehen, es aber erst nicht auflösen können.2 Besonders Wannabe-Eltern, die bereits selbst eine Fehlgeburt erlebt hatten oder nahe Freundinnen oder Verwandte hatten, die dies durchmachten, beschrie-
2
»A: Sie hat so Probleme gehabt, wo es einfach danach nicht mehr so klar war, ob sie tatsächlich irgendwie weiter schwanger sein wird oder ob sie das Kind verlieren wird, deswegen haben wir so eine Zeitspanne von drei Monaten, wo es einfach eher unsicher war, und wo man sich, also wie ich mich erinnern kann, wo, dieses Gefühl der Freude war einfach ein bisschen zwiespältig, es war eben wirklich nicht nur Freude, sondern eigentlich auch ein bisschen Angst und so ein bisschen Bitterkeit, weil da, man darf sich eigentlich nicht so schnell freuen und darf man sich eigentlich doch etwas freuen, deswegen, der Moment, wo wir erfahren haben sie ist schwanger, war eine große Freude auf jeden Fall, aber es war eben ein bisschen kompliziert, wir versuchen eigentlich seit ewigen Zeiten dieses Kind zu bekommen und wir hatten schon zwei misslungene Versuche und deswegen war es auch in diesem Fall ein bisschen so, ist es tatsächlich was wir erwarten oder ist es nicht auch - ein bisschen so kompliziert, also Freude, Freude schon, aber ein bisschen so, darf ich mich überhaupt freuen oder soll ich doch vielleicht noch ein bisschen warten [...]« I: »Wie war so ein normaler Tagesablauf in der Zeit, in dieser Zeit ?« A: »Der Tagesablauf im Grunde war ganz normal, also aufstehen, zur Arbeit gehen und etc. Es war ein bisschen angespannt, besonders wenn ich Anrufe bekommen hab’, weil dann hab’ ich eigentlich immer Angst gehabt, dass doch die schlechte Nachricht kommt oder besonders die Anrufe von meiner Freundin, die direkten Anrufe von meiner Freundin waren halt die, es hat sicher auch bis zum dritten oder vierten Monat gedauert bis ich endlich mal irgendwie von ihr angerufen werden konnte ohne gleich zu fragen, ›was, was ist‹, wo die Panik eigentlich schon da war. So war der Tagesablauf ganz normal, bis auf die ständige Angst, dass wenn ein Anruf kommt, der nicht erwartet wird oder vielleicht doch erwartet wird. Sonst war halt immer wieder der Zweifel, dass es vielleicht doch nicht passieren wird und dann schaut man ein bisschen ins Internet, bei irgendwelchen Seiten, versucht man ein bisschen klarer zu sein, wie und warum und was raus kommen kann.« (Mann A)
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ben eine erhöhte Ängstlichkeit. Eine sehr wahrscheinliche Bedrohung war hier Teil der Praktiken, an denen die Eltern teilhatten. Sehr eindrücklich beschrieb Mann A die Situation, wo die Angst um einen Abort bei jedem Anruf der Freundin sein erster Gedanke zu sein schien. Frau A hatte bereits Fehlgeburten erlebt und es wurde in der bestehenden Schwangerschaft ein erhöhtes Risiko für einen Abort attestiert. Die Aufgabe von medizinischer Seite, die an die Wannabe/werdenden Eltern gestellt wurde, war, die Zeit bis zum vierten Monat abzuwarten. Sie informierten sich ausführlich über die Risiken und die Wahrscheinlichkeiten, dass die Schwangerschaft weiter besteht. Hinzu kam, dass beim Ersttrimesterscreening ein geringes Risiko für eine Anomalie festgestellt wurde. Diese Diagnose wurde zwei Wochen später, bei einer Nachuntersuchung, wieder verworfen. Unsicherheit und Angst, vor einem weiteren unerwünschten Abbruch, waren für dieses Paar anfangs ein ständiger sehr präsenter Begleiter ihrer Praktiken. Das Paar wurde Teil von Praktiken, in denen sie mit Angst und Unklarheit im Alltag zurechtkommen mussten. Die erste Zeit der Schwangerschaft wurde wenig als schön und harmonisch bezeichnet, sondern als belastende Zeit. Auch wenn Freude über eine bestehende Schwangerschaft spürbar war, jeden Moment hätte sich die Situation ändern können und der Status werdende Mutter und werdender Vater wäre verlorengegangen. Beruhigende und verängstigende Tätigkeiten Die Eltern waren nun sowohl Teil von Tätigkeiten, die beruhigend wirkten, als auch von Tätigkeiten, die das Gegenteil bewirkten. Zusätzlich konnte ein und dieselbe Tätigkeit, z. B. das Einholen von Informationen, beruhigend und beängstigend wirken. Ein Mittel, mit der Unsicherheit umzugehen, war, zu recherchieren, auf Webseiten, in Büchern und in Foren. »Fakten« und Geschichten über die Vorgänge im Körper der Mutter wurden mit dem Ziel der Beruhigung durch mehr Wissen eingeholt. Dieses Wissen konnte die Unsicherheit aber auch verstärken. Beruhigung verschaffte auch ein weiterer Test oder das Betrachten des Schwangerschaftstestes oder eines Ultraschallbildes. Gespräche mit Eingeweihten über Unsicherheiten, darüber, dass es »vielleicht nicht stimmt« oder bald nicht mehr stimmen wird, und dem Umgang mit dieser Situation konnten ebenfalls erleichternd wirken. Recherchetätigkeiten konnten den Eltern aber auch Risiken eröffnen, an welche sie noch gar nicht gedacht hatten. Horrorgeschichten in Foren und aus dem persönlichen Bekanntenkreis lösten bei den Eltern Unbehagen und Angst aus. Auch Gespräche, in denen Eingeweihte den Eltern rieten, mal abzuwarten und sich noch nicht zu freuen, wirkten verunsichernd auf die Eltern. Andere Men-
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schen schienen sehr negative Erlebnisse gehabt zu haben und für die Eltern bestand die klare Chance, dass diese negativen Dinge auch ihnen selbst passieren konnten. In gemeinsamen Gesprächen machten viele Eltern verhaltene Zukunftsvorstellungen und schwankten zwischen Hoffnung und Angst und zwischen Freude und Panik oder allen Gefühlen gleichzeitig. Einige Eltern meiner Studie waren noch dabei, eine Ausbildung oder ein Projekt fertigzuführen. Ihr Alltag war gefüllt mit Tätigkeiten, die dringend erledigt werden mussten und die Aufgaben lenkten stark von Gedanken an die Schwangerschaft ab. Vor allem für werdende Mütter war dies eine Erleichterung und eine Möglichkeit, die Zeit des Wartens auf einen etwas unbestimmten Zeitpunkt einfacher zu machen. Eine wichtige Komponente hierfür war auch, dass das erste Trimester der Schwangerschaft körperlich einigermaßen problemlos verlief. Eine Informantin meiner Studie beendete neben ihrem Vollzeitjob noch eine Ausbildung, die sie in der ersten Hälfte ihrer Schwangerschaft wie geplant abschloss. Ihr blieb weniger Zeit, um über die Risiken einer Schwangerschaft nachzudenken, weniger Zeit für die Recherche über Risiken und weniger Zeit, um mit Eingeweihten über Risiken zu sprechen. Die Informantin verarbeitete zwar Ängste und Hoffnungen, ebenso wie andere Paare, in Gesprächen mit dem Partner und im Einholen von Informationen über die Schwangerschaft und sie verhaftete ebenso wie die anderen Paaren in einem Vielleicht, das Verwalten der Unsicherheit war aber in ihrer Beschreibung von anderen dringenden Aufgaben etwas verdrängt. Teil von Assemblages zu sein, die wichtige Aufgaben oder Projekte beinhalteten, die wenig mit der Schwangerschaft zu tun hatten, führten dazu, dass Partizipierende wie Unsicherheit und Angst um die Schwangerschaft weniger Platz bekamen. Ähnlich schien dies für manche Eltern mit der Verrichtung von Routinetätigkeiten zu sein, wenn etwa der Beruf weitergeführt werden konnte oder Interessen und Hobbys in ähnlichem Ausmaß wie vor der Schwangerschaft weiter ausgeführt werden konnten.3 Angst um einen spontanen Abort verhinderte aber häufig
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»Es war net viel anders als sonst. Ich habe zum Beispiel gemerkt, wenn ich früh aufstehe, dass es mir besser geht, also wenn ich länger geschlaften habe, dann war mir mehr schlecht, und es ist mir einfach immer schlecht geworden, wenn ich lange nichts gegessen habe. Und dadurch war’s irgendwie super, dass ich früh aufgestanden bin und gleich frühgestückt habe. Dann, ich fahr immer mit dem Rad ins Büro, das hat mir auch gut getan, ein wenig Bewegung und so, und man war ja arbeiten und dann hab’ ich oft am Abend noch gelernt, wenn es irgendwie gegangen ist, von der Müdigkeit her und so. Ein bisschen weniger unternommen hab’ ich schon, also man merkt schon, dass man müde ist, aber viel anders war’s nicht, nein [...] Ich bin mir sicher,
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sowohl die Weiterführung des Berufs in der gewohnten Weise, als auch die Weiterführung von Freizeittätigkeiten (etwa bestimmten Sportarten wie Klettern). Die frei werdende Zeit wurde in manchen Fällen für die Beschäftigung mit der Schwangerschaft genutzt, was die Verunsicherung und Ängstlichkeit in den ersten Monaten verstärkte. Bei einigen Frauen in meiner Studie begannen Schwangerschaftsbeschwerden kurz nach den ersten Vermutungen über eine Schwangerschaft oder nach den ersten Wochen. Die Frauen wurden früh von ihrem Beruf »freigestellt«4 und lebten ab diesem Zeitpunkt viel stärker in einer Welt, die von der Schwangerschaft geprägt ist. Zwei der Informantinnen konnten für einen Zeitraum ihre Wohnung nicht verlassen, da ihnen körperliche Schonung verordnet wurde. Für Frau C dauerte diese Periode nur wenige Tage, sie konnte aber einige Wochen lang ihrem Beruf nicht nachgehen. Frau A erzählt davon, dass sie zuerst weiter zur Arbeit ging und sich mit Freund*(inn)en traf. Eine stärkere Blutung führte aber dann zu einem Krankenhausaufenthalt und dann zu einer mehrmonatigen Periode, in der sie ihre Wohnung kaum verlassen konnte. Diese extreme Einschränkung des Bewegungsradius war verbunden mit einer Reduktion der Frauen auf ihre Schwangerschaft und die damit verbundene Problematik. Dies verstärkte die Angst um den Verlust. Eine Woche lang im Krankenhaus war Frau A zu absoluter Bettruhe gezwungen, was sie als sehr unangenehm beschrieb. In der Zeit im Apartment war es ihr möglich, sich Aufgaben zu setzen, die sie im Alltagsablauf ablenkten. Ihrer Aussage nach hat sie »alles erledigt, was sie schon
dass ich mich mehr beschäftigt hätte mit der Schwangerschaft, wenn ich das nicht gehabt hätte, aber ich muss auch dazu sagen, dass ich glaube, das war nicht so schlimm, weil ich glaube, dass man da total dazu neigt, dass man sich Sorgen macht [lacht], und ich glaub’, dass ich wahrscheinlich im Endeffekt mir viel Sorgen erspart habe, also man freut sich ja genauso und man überlegt sich jetzt nicht wegen jeder Sache, ob das jetzt schlecht ist oder nicht. Also ich glaube, in der Hinsicht war das gar nicht so schlecht, wenn man ein wenig abgelenkt war. Und ich kann mir schon vorstellen, dass Leute, die von Anfang an zuhause bleiben müssen, dass das schon eine Zeit ist, wo du dir total viele Sorgen machst, weil man kann schon sich da extrem reinsteigern.« (Frau D) 4
Den betroffenen Frauen wurde von einem/einer Amtsarzt/-ärztin eine temporäre Berufsunfähigkeit auf Grund ihrer Schwangerschaft attestiert. Die Frauen wurden von diesem Zeitpunkt an bei vollen Bezügen beurlaubt. Es bestand die Möglichkeit und auch der Zwang, wenn sich die Beschwerden etwa im 2. Trimester verringern, wieder in den Beruf zurückzukehren. In meiner Studie wurden drei Frauen frühzeitig beurlaubt, wobei eine Frau nach wenigen Wochen wieder in den Beruf zurückkehrte.
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immer erledigen wollte«. Das Aussortieren alter Dinge und Entrümpeln der Wohnung, soweit es ihr möglich war, wirkte beruhigend auf sie. Der Versuch, sich nicht ablenken zu lassen und nicht zu sehr an die Schwangerschaft zu denken, wurde aber bei allen gleichzeitig immer wieder von dieser durchkreuzt. Schließlich beschlossen alle weiblichen Informantinnen meiner Studie, nachdem sie die Schwangerschaft vermuteten, Alkohol zu meiden und vorsichtig im Umgang mit ihren Körpern zu sein. Übelkeit beeinflusste Tagesabläufe und wenn sie es nicht mit Eingeweihten zu tun hatten, mussten sie lügen. All das machte die Situation unangenehm. Ängste vor einem Abort verhinderten aber einen offenen Umgang mit der Schwangerschaft und eine lockerere Haltung in verschiedenen Situationen. Das Ziel war in den Erzählungen immer wieder, den Zeitpunkt, ab dem Sicherheit besteht, abzuwarten. Bis dahin waren die Eltern Teil von Praktiken, die von Warten, Beruhigen und Ängsteschüren geprägt waren. Dieser Zeitpunkt, ob es nun das Ende der Zwölf-Wochen-Frist, das Ersttrimesterscreening oder das Organscreening war, wurde sehnsüchtig herbeigewartet. Die Zwölf-Wochen-Frist ist aber gleichzeitig jene Frist, innerhalb derer die Schwangerschaft noch von Seiten der Eltern abgebrochen werden könnte.
K ALTE F ÜSSE : Ü BERLEGUNGEN
ÜBER EINEN
A BBRUCH
Mit den ersten Planungen der Schwangerschaft und Elternschaft stellten sich bei manchen Eltern Zweifel ein, ob es der richtige Zeitpunkt für ein Kind sei. War sich die werdende Mutter oder das Paar unsicher, ob die Schwangerschaft oder die Elternschaft bewältigt werden kann, wurden in dieser Zeit Überlegungen über einen Abbruch der Schwangerschaft gemacht. Die betroffenen Mütter oder Paare berichten von wiederholten Gesprächen miteinander oder mit eingeweihten Personen, in denen diese Themen von mehreren Seiten beleuchtet wurden und Handlungsstrategien angedacht wurden. Im Nachhinein bezeichneten die werdenden Eltern diese Phase als eine, in der ihnen die bevorstehende Elternschaft über den Kopf wuchs. Die erste Phase der Schwangerschaft war stressiger und unsicherer als erwartet. Die Vielleichtheit der Schwangerschaft konnte an Kräften und Nerven der werdenden Eltern zehren. Auch körperliche Beschwerden konnten die werdenden Eltern unerwartet, oder stärker als erwartet, treffen. In den Praktiken können hier Subjekte figuriert werden, die wenig Auswege aus ihrer Situation sehen. Der vorgezeichnete Weg bliebt Abwarten bis nach der Zwölf-Wochen-Frist. Was davor passiert, konnte nicht immer von den Eltern kontrolliert werden. Gerade aber in der Bastelphase wurden viele Eltern als Subjekte figuriert, die ihre Fruchtbarkeit und die Planung eines Kindes in den eige-
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nen Händen haben. Im ersten Trimester stellte sich nun heraus, dass diese scheinbare Übermacht über die Prozesse zur Ohnmacht werden kann, in der die werdenden Eltern nur abwarten können oder eben selbst eingreifen, mit einem Abbruch. Zwei Paare in meiner Studie haben ganz konkret von diesen Nachdenkprozessen erzählt. Eine Frau war zum Zeitpunkt, zu dem sie ihre (geplante) Schwangerschaft entdeckt hatte, gerade in einer beruflich sehr erfolgreichen Phase. Trotzdem ließ sich das Paar die Möglichkeit einer Schwangerschaft offen (in Form der Exkludierung der Verhütung). Nach dem ersten Besuch bei der Gynäkologin kamen Zweifel bezüglich der Schwangerschaft auf. Die Evidenz am Bildschirm produzierte Panik vor dem Kommenden und vor einem Verlust des Kindes. Die laufende Unsicherheit darüber, ob das Kind überhaupt »da« ist und ob dies auch »gesund« sein würde, zehrte an den Nerven der Informantin. Der Gedanke an den Abbruch brachte zumindest im Geiste eine Kontrollmöglichkeit über die Situation zurück. Ein weiteres Paar meiner Studie war Anfang 20 und in einer schlechten sozio-ökonomischen Situation. In diesem Fall wurden die Gedanken an einen Abbruch von einer Vertrauensperson und einem Arzt an die werdende Mutter herangetragen. Das Paar nahm diesen Gedanken für eine kurze Zeit auf und entschied sich aber dann sehr bestimmt gegen diesen Vorschlag. Beide Eltern in meiner Studie sahen dies im Nachhinein als eine Phase, in der sie kalte Füße bekommen hatten, aber nie ernsthaft einen Abbruch durchgeführt hätten. Dies zumindest andenken zu können, schien aber wichtig und beruhigend. In der Literatur konnte ich keine Hinweise darauf finden, ob und wie viele werdende Mütter oder Paare sich in dieser Situation tatsächlich für einen Abbruch entscheiden.
V ERSCHIEBUNG VON T ÄTIGKEITEN : N OCH - NICHT -T ÄTIGKEITEN In der Zeit der gleichzeitigen Sicherheit und Unsicherheit der Schwangerschaft, in der die Evidenz der intakten Schwangerschaft immer wieder hergestellt wurde und die Gefahr der Fehlgeburt trotzdem ein ständiger Begleiter war, wurden viele Tätigkeiten antizipiert, die das Kind betreffen, die aber nach hinten verschoben wurden. Adressiert wurden in den Gesprächen Tätigkeiten, die Gefühle beinhalten, wie Freude über die Schwangerschaft oder Bindungsgefühle zum Ungeborenen und spezifische Gegenstände für das Kind, die noch nicht ins Haus geholt oder verändert wurden.
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Sich noch nicht freuen Werdende Eltern wollten oft aus Unsicherheit heraus noch keine emotionale Bindung mit der Schwangerschaft eingehen, was aber gleichzeitig schwer möglich war, weil die ständige Angst um den Abort gleichzeitig eine sehr starke Bindung an den Embryo oder Fötus schaffte. Vor allem werdende Eltern, die schon selbst eine Fehlgeburt erlebt hatten oder die eine Fehlgeburt bei nahen Freundinnen oder Verwandten miterlebt hatten, zeigten sich sehr ängstlich in den ersten Monaten.5 Angst hatten Eltern vor allem davor »sich zu früh zu freuen«, was in der Vorstellung der werdenden Eltern das schmerzliche Erlebnis einer Fehlgeburt verstärken würde. Vielen Eltern war der Umgang mit dem Risiko einer Fehlgeburt leichter, wenn diese Möglichkeit bewusst einkalkuliert wurde und gezielt versucht wurde, die emotionale Bindung zum Ungeborenen nicht zu stark werden zu lassen. Abwarten, das war die Devise, bis Sicherheit über die Schwangerschaft eintritt. Und auf den Zeitraum nach dem Erlangen der Sicherheit wollten viele werdende Eltern das Gefühl der Freude verschieben. Bis zu diesem Punkt wurde zu viel Freude von manchen Eltern sogar als gefährlich empfunden. Erst mussten Eltern warten auf den Zeitpunkt, an dem sie sich wirklich freuen dürfen. Gefühle von aufkommender Freude wurden in den Beschreibungen als selbstverständlich und gut, aber auch als Problem identifiziert. Mittels Ablenkung und Verdrängung dieser Gefühle und Gedanken wurde versucht, sich nicht zu sehr an den Gedanken Schwangerschaft zu gewöhnen. Gleichzeitig waren die Eltern, auf Grund der diagnostizierten Schwangerschaft, aber Teil von Praktiken, die immer wieder auf die Schwangerschaft hinwiesen: Die Eltern machten Teste, hatten Besuche bei Gynäkolog*(inn)en, die werdenden Mütter verbargen ihre Schwangerschaft und hielten sich gleichzeitig an Ernährungs- und Verhaltensregeln. Es war also unmöglich, die Schwangerschaft zu verdrängen, aber auch nicht möglich, sich ihrer sicher zu sein. Tätigkeiten wie der Aufschub der Freude half, mit diesem Zwiespalt umzugehen. Es wurde einerseits akzeptiert, dass eine Schwangerschaft vorhanden war und diese war erhofft und sie wurde mit verhaltener Freude begrüßt. War die erste unsichere Pha-
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»Die Mama von der Frau C hat zweimal ein Kind verloren und deswegen war so, ja wir sollen uns freuen, aber man soll sich nicht zu viel freuen, weil sonst ist die Enttäuschung so groß, wenn es weg ist und nach der 12. Woche ist es erst fix und vorher kann’s immer noch abgehen und dann haben wir gesagt, ok wir freuen uns drauf, aber nicht zu viel, weil was ist, wenn was passiert und das war eine komische Zeit.« (Mann C)
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se durchgestanden, konnten die werdenden Eltern sich als Bonus »so richtig freuen«. Diese Praktiken müssen wieder vor dem Hintergrund betrachtet werden, dass die Eltern noch in der Bastelphase als klar verantwortliche und kontrollierende Subjekte figuriert wurden. In diesen Praktiken wurden sie nun mit Gefühlen von Ängstlichkeit und Unsicherheit ausgestattet und sie konnten kaum etwas tun oder kontrollieren, sondern es wurde eine Zwischenphase geschaffen, die überstanden werden musste. Den Eltern wurde kein Willen figuriert, der den Körper steuern oder etwas Ungewolltem entgegensteuern konnte, wie sie das aus anderen Tätigkeiten in ihrem Leben in Erinnerung hatten. Die Subjekte hatten keine Macht über ihre Selbstdefinition und ihre Situation. Sich über das Elternwerden freuen, wenn der Status der werdenden Eltern noch nicht klar abgegrenzt erreicht ist, wird dann unmöglich. Eltern konnten aber antizipieren, wie sie sich freuen werden, wenn alles sicher ist. Noch nicht sagen Um sich nicht die Blöße geben zu müssen, eine Schwangerschaft wieder zurücknehmen zu müssen, verzichteten die Paare meiner Studie vorerst auf die Verkündung der Schwangerschaft in einem größeren Kreis. Ausgenommen davon waren die Eingeweihten, die aber ebenfalls gegenüber Dritten zum Stillschweigen verpflichtet waren. Der Arbeitgeber, der Großteil des Freundeskreises und auch die eigenen Eltern wurden von fast allen Paaren meiner Studie erst nach der Zwölf-Wochen-Frist, bzw. nach dem Ersttrimesterscreening, benachrichtigt. Bis dahin musste die Schwangerschaft geschickt verborgen werden. Offensichtliche Beschwerden wurden meist hinter anderen Krankheiten (Blasenentzündung, Erkältung, Magenprobleme) versteckt. Diese Tarnung war nicht immer erfolgreich und manche Informantinnen wurden von Kolleginnen, Verwandten oder Freund*(inn)en gezielt auf die Schwangerschaft angesprochen. In diesem Fall wurde diese Person meist in den Kreis der Eingeweihten geführt, mit dem Auftrag, Stillschweigen zu bewahren. Diese Tätigkeit war mit der Angst, eine bereits verkündete Schwangerschaft auf Grund eines Abortes oder, noch schlimmer, auf Grund einer Abtreibung, falls das Ersttrimesterscreening eine Chromosomenanomalie indiziert, zurücknehmen zu müssen, verbunden. Die erste Zeit wollten die Eltern diese möglichen Probleme im Falle des Falles bevorzugt in einem kleinen Kreis von Wissenden verhandeln. Zusätzlich beschrieben die werdenden Eltern es als einen größeren Schmerz, eine Ankündigung bei vielen Personen wieder zurücknehmen zu müssen. Eine werdende Mutter sprach über einen geheimen Aberglauben, dass ein
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Announcement vor der Zwölf-Wochen-Frist Unglück bringen könnte. Die Verschiebung der Verkündung gab hier ein klein wenig Sicherheit. Gleichzeitig bezeichneten die Eltern das Announcement der Schwangerschaft als etwas, auf das sie sich freuten. Im ersten Trimester war dies ein Ziel, das die werdenden Eltern erreichen wollten: es endlich allen sagen können. Voraussetzung dafür war, Sicherheit über die Schwangerschaft zu erlangen. In den Antizipationen der werdenden Eltern war dies der Zeitpunkt, an dem »alles gut« war und endlich weitergedacht werden konnte. Noch nicht kaufen Wenn die Schwangerschaft sicher sein würde, würden die Eltern endlich Dinge für ihr Baby kaufen können. In der unsicheren Zeit antizipierten Eltern, was sie für ihr Kind kaufen könnten oder wollten, wenn es bleibt. Der tatsächliche Einkauf von Babymöbeln und Utensilien für das Baby wurde aber über die Zeit der Unsicherheit hinaus verschoben. Man wollte noch nichts »Unnötiges« kaufen. Manche werdenden Eltern wollten auch die Geschlechtsbestimmung abwarten, bevor Sachen für das Baby eingekauft wurden. Die Eltern wollten nicht, falls »etwas schiefgeht« mit Babymöbeln und Babysachen dasitzen, die sie dann für immer an den spontanen Abort erinnern. Zusätzlich wäre es eigenartig, wenn dann ein anderes, folgendes Kind diese Sachen übernehmen würde, falls es mit diesem nicht klappt. Im zweiten Trimester wäre schließlich noch genug Zeit, alles einzukaufen. Ebenso wurde die Gestaltung der Wohnung und die Einrichtung eines Zimmers oder eines Bereichs für das Baby in das zweite Trimester der Schwangerschaft verschoben. Erst dann wurden Arbeitsräume in Kinderzimmer umgewandelt oder spezifische Bereiche für das Baby gestaltet (siehe Kap. 15). Andere Eltern berichteten von dem Aberglauben, dass im ersten Trimester noch nichts gekauft werden dürfe. Eine Informantin und einige Forumsuserinnern erzählten von Aberglauben, die es generell verbieten, dass vor der Geburt Dinge für das Baby in der Wohnung der Eltern verstaut werden. In diesen Fällen wurden Babyutensilien bis zum Ende des ersten Trimesters oder bis zur Geburt in Wohnungen von Verwandten untergebracht. Bezüglich der Schwangeren selbst war es erlaubt, Bücher über die Schwangerschaft und Utensilien für die Schwangere zu kaufen. Tees gegen die Übelkeit oder Pflegeprodukte für einen sich verändernden Körper konnten gekauft werden. Nicht angeschafft wurden in der frühen Phase jedoch Umstandsmode für die spätere Schwangerschaft.
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Noch-nicht-Tätigkeiten In allen Fällen wurden Tätigkeiten antizipiert, die noch nicht getan wurden, aber bereits zu Partizipierenden wurden, als zukünftige Erledigungen. Trotzdem die Eltern noch nicht so richtig an die Zukunft denken wollten, da alles unsicher war, wussten die werdenden Eltern schon genau, was an der Tagesordnung war, wenn Sicherheit eintritt: ob es nun einfach Freude und Kontaktaufnahme mit dem Kind waren, die Verkündung der Schwangerschaft oder das »Babysachenshopping«. Die Antizipation dieser Tätigkeiten figurierte die Eltern einerseits mit einer Sehnsucht nach einem klaren Status als werdende Eltern, andererseits wurde in diesen Praktiken erst dieser Unterschied zwischen einem festen Status, der gelebt werden darf, und einem unklaren Status, in dem wartend verharrt werden sollte, geschaffen. Die Eltern hofften, in diese zukünftige Phase eintreten zu können.
S ICHERHEIT
ERREICHEN : WIR SIND JETZT SCHWANGER
Sicherheit über die Schwangerschaft erlangen markiert das »Ende« des ersten Trimesters und der Phase der Vielleichtheit der Schwangerschaft. In meiner Studie sind Eltern Teil von vier Praktiken, die den Fötus endgültig als »real« figurieren: die Überschreitung eines Zeitpunktes, die gedankliche Fixierung, körperliche Veränderungen und die Zuschreibung eines/einer Mediziners/-in.6 Durch
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I: »Wann ist der Punkt, wo man sich wirklich freuen durfte?« A: »Ich muss mich erinnern, der Punkt war glaub’ ich, als der Arzt gesagt hat, es besteht kein Risiko mehr. Da ist man frei endlich, da kann man sich schon freuen. Man kann sich schon vorher freuen, aber ab dem Moment kann man sich dann freuen ohne nachdenken zu müssen, was doch vielleicht passieren könnte oder etc. Allerdings kann es immer so passieren, dass es doch nicht so läuft, wie es geplant war, aber wenn der Arzt dir sagt, es ist jetzt, es kann eigentlich nichts mehr passieren, also wenn es normal läuft, kann es nicht mehr passieren, da kann man sich schon grenzenlos freuen.« (Mann A) »aber so und dann haben wir entschieden, wir freuen uns jetzt ur, denn wenn wir uns freuen, dann gehts nicht ab und wir freuen uns, wir wollen’s und es ist ja auch gleich gekommen und wir wollen das ja und wir glauben auch ur viel, dass man mit Gedanken auch viel beeinflussen kann und so [...] und beim Kind waren wir uns auch sicher, wenn wirs wollen dann, ja passts und dann haben wir entschieden wir wollen das Kind und es ist leiwand und wir haben ja extra drauf gewartet und wir denken jetzt nicht
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die Teilhabe an einer dieser Praktiken wurde der Fötus erfolgreich hergestellt: er war nun real, echt und da und eine Einheit, die zwar im Bauch der werdenden Mutter lebt, aber von dieser separierbar und vor allem separat vorstellbar war. Eine Einheit, die sich eigenständig, ohne das Zutun der Eltern, entwickelte und bald ein menschliches Baby sein würde. Sicherheit wurde erlangt, indem einerseits einfach der Zeitpunkt abgewartet wurde, ab dem die Schwangerschaft scheinbar sicher war. Partizipierende wie Gynäkolog*(inn)en, Hebammen, Bücher, das soziale Umfeld und Berichte im Internet legten diesen Termin immer auf das Ende des dritten Monats, die zwölfte Woche, fest. War dieser Zeitraum überschritten, was auch mit anderen medizinischen Abklärungen (Ersttrimesterscreening) und ersten körperlichen Veränderungen zusammenfiel, war die Schwangerschaft sicher. Die Eltern gingen dann meist davon aus, dass jetzt nichts mehr passieren konnte. Ein Paar meiner Studie hatte in Gesprächen entschieden, dass es sich ab nun freut und dass sie das Risiko eines Aborts nicht mehr ernst nehmen. Dies war verbunden mit dem mentalen Konzept, dass Sicherheit in Gedanken auch einen bleibenden Embryo oder Fötus bedeutet. In einem gemeinsamen Gespräch entschlossen sie sich zu einer gedanklichen Fixierung auf Freude und auf Sicherheit. Ab nun würden sie die negativen Gedanken an Abort wegschieben und die Schwangerschaft genießen. Die Ohnmacht, die Eltern in der Noch-nicht-tunPhase charakterisiert, wurde in diesem Fall aufgelöst durch einen mentalen Willen zum Kind, der das Kind festhalten kann. Der Glauben daran reichte für dieses Paar aus, um sicherzugehen. Sie hatten die (scheinbare) Macht eines Willens über den Körper, wie sie in den Praktiken des Bastelns beschrieben wurde (Kap. 8) wiedererlangt. Die Subjekte waren nun wieder figuriert als ein vom Körper trennbarer Wille, der, mit in diesem Falle gedanklicher Disziplin, den Körper in der Hand hat. In allen anderen Fällen blieben die Eltern dem Warten ausgeliefert. Das sichere äußerlich sichtbare Zeichen für eine Schwangerschaft, das am Beginn der Schwangerschaft vermisst wird, beginnt sich am Ende des ersten Trimesters in Form einer Gewichtszunahme, bzw. eines wachsenden Bauches, zu manifestieren. Viele werdende Eltern warten auf diese sichtbaren Veränderungen. Selbst wenn sie noch so geringfügig sind, dass andere diese noch kaum bemerken, war es für einige werdende Eltern eine Möglichkeit, den Fötus als
mehr was passiert, wenn es abgeht, weil wenn es ist so und so schlimm wenn es abgeht, egal ob man sich jetzt vorbereitet oder. [...] Nach ein paar Wochen haben wir uns dann erst richtig drüber freuen können und dann haben wir gesagt, ja jetzt scheiß ma auf dieses Abgehen und so und dann haben wir’s auch erst erzählt.« (Mann C)
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vorhanden anzuerkennen. Dieses Gefühl wird sich später noch verstärken, wenn werdende Mütter erste Bewegungen merken. Die Realität und Echtheit der Schwangerschaft war in diesen Tätigkeiten verbunden mit der körperlichen Verformung der Mutter, die zum Beweis für die innere Beschaffenheit ihres Körpers wurde. Einige Informantinnen erlangten Sicherheit durch das Ersttrimesterscreening, das in der 10. bis 14. Woche stattfand (Kap. 10). War bei dieser Untersuchung alles in Ordnung, konnte von den Eltern die Schwangerschaft als sicher angenommen werden.7 Der oder die ausführende Gynäkologe/-in bestätigte den Eltern, dass die Entwicklung des Fötus innerhalb der erwarteten Entwicklung liegt. Bestanden spezifische Risiken, warteten Eltern auf die Bestätigung eines/einer Mediziners/-in, die das Risiko negierte, auch wenn die Zwölf-Wochen-Frist bereits überschritten war oder der Bauch bereits wuchs. Eine Informantin, bei der das Risiko für Anomalien des Fötus erhöht war, wartete das Organscreening (20. Woche) ab. Innerhalb der Praktiken war die Aussage der Medizinerin, dass das Risiko für einen Abort oder eine Anomalie nicht mehr besteht, mit dem Gefühl von Sicherheit bei den Eltern verbunden.
V IELLEICHTHEIT UND V ERFESTIGUNG DER S CHWANGERSCHAFT : VON W ANNABE -E LTERN WERDENDEN E LTERN
ZU
Die Zeit des Wartens auf die nächste Bestätigung der Schwangerschaft und/oder der Bestätigung der Gesundheit des Embryos wurde von den Eltern mit antizipieren und planen und Informationen einholen gefüllt. Eltern versuchten so weiterzuleben wie bisher und auch die Freude über das Baby, den Einkauf von Produkten und das Announcement nach hinten zu verschieben. Alle diese Praktiken gemeinsam erzeugen eine Vielleichtheit der Schwangerschaft. Sie ist da, aber in
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»Da git es ja diese Untersuchung, die auch etwas fragwürdig ist, aber wo sozusagen viele Faktoren zusammengenommen werden, Blutbild etc., wo man dann schon mit großer, mit einer Wahrscheinlichkeitsrechnung sagen kann, dass das Kind gesund zur Welt kommen wird, mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit [...] da kriegst’ eine Wahrscheinlichkeit auf den Tisch, und da musst du dann selber entscheiden, wie du da damit umgehst und da war aber alles hervorragend, da bewertet man das Alter der Mutter und lauter Parameter, und das hat einen sehr guten Wert ergeben, da kommt letztendlich eine Ziffer raus [...] und ab da haben wir gewusst, jetzt können wir’s allen sagen.« (Mann G)
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den Praktiken der Eltern auch noch nicht da und nach hinten verschoben. Sie muss noch immer wieder von Neuem bewiesen werden. Diese Unsicherheit figuriert den Embryo und Fötus als schwer definierbare Einheit, die da ist, aber auch ganz leicht wieder verschwinden kann. Erst in Assemblages, die Zeitrechnungen integrieren, die überschritten werden, die Gedanken spezifisch fixieren, körperliche Veränderungen bemerkbar machen oder Aussagen von Mediziner*(inne)n enthalten, die den Eltern die Existenz eines »normalen« Fötus vermitteln, werden die Eltern als tatsächlich werdende Eltern und der Fötus als sich entwickelndes Kind figuriert. Innerhalb dieser Praktiken werden die Eltern zu real werdenden Eltern. Der Status der Wannabe-Elternschaft ist dann endgültig überwunden und die werdende Mutter und der werdende Vater bekommen ein Kind. Die Trias von Mutter, Vater und Kind erreicht an diesem Punkt, innerhalb dieser Assemblages zum ersten Mal Festigkeit. Bis ein separater Fötus im Körper der Mutter figuriert werden kann, vergehen mehrere Monate, unter Umständen sogar die erste Hälfte der Schwangerschaft. Auch wenn aus medizinischer Sicht eine Schwangerschaft 38 Wochen ab der Empfängnis dauert und mit der Implantation beginnt, beginnt sie für die Eltern zu einem unbestimmten Zeitpunkt. Und auch wenn sich die Eltern bereits ab der Fertilisation des Eis mit der Schwangerschaft beschäftigen, bleibt sie noch über lange Zeit unbestimmt, gleichzeitig da und nicht da, unsicher und vielleicht. Der Übergang von Wannabe-Eltern zu werdenden Eltern nimmt einen sehr großen Teil der Schwangerschaft ein. Zu jedem Zeitpunkt, wo Eltern in diesem geschaffenen Zwischenstadium verharrten, konnte es passieren, dass sie wieder zum Status Wannabe-Eltern zurückmussten. Die Errichtung von (Sicherheits-) Grenzen in den Praktiken figurierte hoffende Eltern, die den Status der werdenden Eltern antizipieren und begehren, aber noch nicht haben können. Die Grenzziehungen schufen gleichzeitig Punkte, die überschritten werden konnten und die den Eltern nach dem Durchwandern einen Status zuschrieb: werdende Eltern.
12 Öffentlich und offiziell schwanger Geheim (be)halten und Verkündung der Schwangerschaft
Die interviewten Paare warteten mit der Verkündung der Schwangerschaft im größeren Verwandten- und Bekanntenkreis bis zu einem Zeitpunkt, zu dem die Praktiken der Herstellung von Evidenz über die Schwangerschaft (siehe Kap. 9) abgeschlossen waren, die Praktiken zur Herstellung eines »normalen« Embryos (siehe Kap. 10) begonnen hatten und Praktiken, die die Subjekte als Unsichere figurierten (siehe Kap. 11) weniger wurden. Damit die Eltern die Schwangerschaft offiziell verkünden konnten, musste sie aber erst einmal für einen spezifischen Zeitraum geheim gehalten werden. Außer vor gezielt eingeweihten Subjekten wurde die Schwangerschaft verborgen, bis zu dem Tag, ab dem es alle wissen durften. Dieses Kapitel soll die Praktiken, an denen die Eltern bei der Verkündung teilhaben, beschreiben und damit den Vorgang, wie das beteiligte Paar als werdende Mutter und werdender Vater vorgestellt werden und die damit verbundenen Figurationen von Mutter und Vater, die entworfen werden. In den Praktiken der Verkündung werden die Eltern offiziell für eine Öffentlichkeit zu werdenden Eltern.
G EHEIM ( BE ) HALTEN Eltern in meiner Studie wollten ihre Schwangerschaft vor der Familie und den meisten Freund*(inn)en und Kolleg*(inn)en erst einmal geheim halten. Trafen die Eltern die Familie nicht regelmäßig, weil diese in einem anderen Land oder Bundesland wohnte, ließ sich eine Schwangerschaft gut verheimlichen. Schwieriger war es bei Menschen, die frau regelmäßig, eventuell sogar täglich, in der Arbeit traf. Vor allem wenn sich Anzeichen für eine Schwangerschaft, wie
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Übelkeit, zeigten, schöpften andere schnell Verdacht. Ein anderes Problem waren Ausgehabende mit Freund*(inn)en, wo üblicherweise Alkohol und Nikotin konsumiert wurden. Die werdenden Eltern erfanden dann Geschichten, warum frau nicht trinken durfte oder mit Übelkeit zu kämpfen hatte. Magenprobleme oder eine Blasenentzündung waren Ablenkungsmanöver, die Eltern in den Interviews mehrmals erwähnten.1 Diese Probleme wurden häufig mit der Vorgabe, frau würde Antibiotika einnehmen müssen, verbunden. Die werdenden Mütter erhofften sich von diesen Geschichten, dass die anderen Menschen nicht weiter nachfragten. Dies funktionierte in den meisten Fällen: die Umgebung bekam eine Erklärung für ein mögliches verändertes Verhalten der werdenden Mutter. Krankheiten, die keine ernste Bedrohung darstellten, aber doch medikamentöse Behandlung brauchten, wurden zu einem fiktionalen Partizipierenden in diesen Praktiken, die eine Schwangerschaft verstecken konnten. Auch einen zu wachsen beginnenden Bauch (am Ende des ersten Trimesters) kaschierende T-Shirts, Blusen, Hosen und andere Kleidung wurde von den Eltern als Begleiter genannt, mit dem die Schwangerschaft verborgen wurde. Das Verbergen vor der Außenwelt figuriert die werdenden Eltern als Subjekte, denen ein Raum als Paar eröffnet wird, in dem die Schwangerschaft gemeinsam gelebt werden kann.2 Die Eltern waren im ersten Trimester Teil von Unsicherheitspraktiken und manche verschoben das »sich freuen« oder das Zelebrieren der Schwangerschaft auf eine Zeit nach der zwölften Woche. Diese Paare führen gemeinsam Praktiken aus, die die Unsicherheit und Unklarheit der Schwangerschaft bewältigen. In einigen Momenten blieb den Eltern aber durch die Geheimhaltung Raum für ein gemeinsames Zelebrieren der Schwangerschaft. Ein Geheimnis, dass sie gemeinsam hatten, wurde hier zur verbindenden Komponente und die werdenden Eltern genossen bei aller Unsicherheit manchmal auch den kleinen Zeitraum, in dem kaum jemand wusste, dass sich etwas verän-
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»Ich wollt’s [in der Arbeit, anm. CS] halt bewusst nicht sagen bis Ende zwölfte Woche und ich war irre müde, es war wirklich so, dass ich mich durch den Tag geschleppt habe und zuhause sofort schlafen gegangen bin, und auch übel, also hab’ Probleme mit dem Magen gehabt und hab ständig Tees getrunken und da hab’ ich überlegt, ob das den Kollegen auffällt, weil ich mich plötzlich anders ernähre und anders verhalte, ah das war eine sehr unangenehme Zeit.« [Interviewerin: »Ist den Kollegen was aufgefallen?«] »Nein, nicht, also die hätten’s mir gesagt. Aber ich hab’ ganz gut gelogen, ich hab’ Magenprobleme usw.« (Frau F)
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»Am Abend in die Wohnung fahren war dann irgendwie anders in dieser Zeit, auch wenn sie komisch war, auch gut. Wir haben dann viel geredet immer, immer über die gleichen Themen. Das war dann schon anders als sonst, so geheimnisvoll.« (Mann H)
V ERKÜNDUNG
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dern würde. Die werdenden Eltern wurden als eng verbundene Subjekte figuriert, die eine Schwangerschaft in der Paarformation verarbeiteten, bevor sie damit an eine definierte Öffentlichkeit gingen. Zu dieser Verarbeitung gehörten Geheimnisse, das gemeinsame Leben dieses Geheimnisses in Gesprächen und Beschäftigung mit der Zukunft und Babythemen. Es wurde ein privater (Zeit-) Raum für die Eltern geschaffen, in dem sie sich mit den ersten Erfordernissen des ersten Trimesters auseinandersetzen konnten, mit der Unsicherheit der Schwangerschaft, aber auch mit der Möglichkeit eines Abortes, oder mit der Unsicherheit, ob das Kind »gesund« oder »normal« sei. Aber auch mit Konzepten rund um die Elternschaft und der späteren Lebensform konfrontierten sich werdende Eltern nun. Verängstigte, aber auch schöne Gefühle wurden von den Eltern als begleitende Partizipierende beschrieben. Ein Informant beschrieb es als ein »anderes Nachhausekommen« nach der Arbeit für beide, wo sie sich dann abends in der Wohnung trafen und das gemeinsame Geheimnis allgegenwärtig war. Die Vielleicht-Schwangerschaft bedeutete für das Paar einen Rückzugsort in eine Zweisamkeit, die gleichzeitig als unangenehm, wegen den notwendig erscheinenden Lügen, als angstgeprägt, wegen der Unsicherheit, und als schön beschrieben wurde, ob der gemeinsamen guten Hoffnung, die zu diesem Zeitpunkt »nur uns gehört«. Einige Paare in der Studie erzählten von einem Urlaub oder einer kleinen Reise, die dann noch unternommen wurde. Um diese Phase zu figurieren, musste in den Praktiken eine Schwelle geschaffen werden zwischen Privatheit und Öffentlichkeit, verbunden zusätzlich mit einem Zeitfortschritt, ab dem diese Schwelle überschritten werden konnte oder musste. Verbunden mit den Praktiken um eine Vielleichtheit der Schwangerschaft, wurden private Subjekte, die sich in einem Zwischenstadium befinden, figuriert, die darauf warten, über eine Schwelle hinaus in die Öffentlichkeit treten zu können.
A BSCHIEDE VON DER P AARFORMATION : »Z UM LETZTEN M AL ZU ZWEIT « Zu den Tätigkeiten des Abschieds von der Paarformation gehörte, dass in den Praktiken noch einmal klarer eine Grenze zwischen Paarformation und Elternschaft geschaffen wurde. Eltern erzählten immer wieder von Tätigkeiten, die sie bewusst »zum letzten Mal zu zweit« tun würden. Diese Tätigkeiten begannen in der Bastelphase. Ein letztes Mal groß feiern oder ein letztes Mal zu zweit weg fahren waren sehr häufig genannte Tätigkeiten. Während der Schwangerschaft waren dies gemeinsame Ausflüge, Reisen, gut essen gehen und die Möglichkeit,
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unabhängig den Tag zu gestalten.3 Das erste Trimester, noch von der Vielleichtheit der Schwangerschaft geprägt, wurde von den Interviewten, soweit dies möglich war, gerne für Aktivitäten, Ausflüge und Reisen zu zweit genutzt, die »nicht so kindertauglich« sind. Männliche Subjekte, denen das Trinken von Alkohol oder der Konsum von Nikotin außerhalb des Hauses noch erlaubt war, erzählten davon, nochmals lange auf Partys zu gehen, bevor dies durch die Verantwortung für ein Kind nicht mehr möglich sein würde. Die Eltern wurden als Subjekte figuriert, die Gerade-noch-Freiheiten haben. Trotz einiger Verbote, die die Schwangerschaft mit sich brachte, konnten die Paare nun, bevor sie ihr Leben scheinbar auf das Kind ausrichten mussten, dieses noch einmal mit Aktivitäten bestücken, die nach der Geburt ihres Kindes nicht mehr möglich sein würden. Der heranwachsende Fötus wird als ein Partizipierender figuriert, der das Leben der Eltern zwar bezüglich bestimmter Verhaltensregeln bestimmen konnte, aber Städtereisen und ein ausgedehntes gemeinsames Abendessen in einem guten Restaurant konnte das Ungeborene den Eltern erst nach der Geburt streitig machen. Die werdenden Eltern antizipierten die Zeit nach der Geburt als eine, die große Einschränkungen mit sich bringt. Mit dieser Antizipation waren Aktivitäten verbunden, die während der Schwangerschaft zum letzten Mal für eine unbestimmte Zeit ausgeführt werden konnten, bevor alle davon wissen und, im Falle der werdenden Mütter, bevor ein Babybauch eine Reihe von Tätigkeiten verhindert oder unangenehmer machen würde.
V ORBEREITUNG
DES ADÄQUATEN
Z EITPUNKTES
Die Phase der Geheimhaltung sollte dann zu einem gewählten Zeitpunkt einen Abschluss finden. Die Eltern in der Studie bezeichneten es als »schlimm« oder »unangenehm«, wenn eine Schwangerschaft verkündet würde und diese dann z. B. auf Grund eines spontanen Aborts oder, noch schlimmer, auf Grund einer Abtreibung wegen einer medizinischen Indikation zurückgenommen werden müsste. Diese Eventualitäten und die Praktiken, in denen Sicherheit erlangt wurde, waren wichtige Partizipierende bei der Bestimmung des Zeitpunktes der Verkündung. Eltern berichteten von Gesprächen, in denen der Zeitpunkt, ab dem die Schwangerschaft verkündet werden dürfe, und die Reihenfolgen, in denen die Verkündigung stattfindet, bestimmt wurden.
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»wir haben das bewusst wahrgenommen als unsere letzte Reise zu zweit [...] man genießt es ein wenig mehr, freut sich mehr und es war halt Städteurlaub, das ist halt nicht so kindertauglich wahrscheinlich.« (Frau F)
V ERKÜNDUNG
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Schon vor der Schwangerschaft, und innerhalb der Praktiken zur Herstellung von Evidenz, gab es Eingeweihte, die von Anfang an über die Situation der Wannabe- oder werdenden Eltern Bescheid wussten. Diese Subjekte waren in die Schwangerschaft der Eltern bereits integriert. Eine zusätzliche Anzahl von Personen musste informiert werden, und dies zu einem Zeitpunkt, wo es für die werdenden Eltern als wahrscheinlich galt, dass die Schwangerschaft bestehen blieb und bis zum Ende ausgetragen würde. Eingeweihte waren manchmal in die Bestimmung dieses Zeitpunktes involviert. Die werdenden Eltern führten mehrere Gespräche zuhause und berieten den Zeitpunkt der Verkündung bzw. bestimmten, dass noch Geheimhaltung gewahrt werden musste. Die Eingeweihten wurden um Rat gefragt oder es wurde ihnen Geheimhaltung aufgetragen und die Strategien zur Geheimhaltung wurden besprochen. Mit diesen Tätigkeiten ging die Bestimmung eines Zeitpunkts einher, an dem die Geheimhaltung aufgehoben werden konnte und auch Eingeweihte über die Schwangerschaft sprechen durften. In den Gesprächen, so berichteten die werdenden Eltern in den Interviews, sind Themen wie ein möglicher spontaner Abort oder eine Behinderung des Kindes am stärksten diskutiert. Die Eltern diskutierten darüber, wie sie verfahren wollten, falls nach dem Ersttrimesterscreening eine Behinderung des Kindes vermutet wird oder in manchen Fällen auch, wie eine Abtreibung verheimlicht werden könnte. Letztendlich erlangten doch alle Paare eine bestimmte Sicherheit über die Schwangerschaft und die werdenden Eltern entschieden sich für eine Verkündung. Es gab explizit und implizit Reihenfolgen dazu, wer es, wenn die Verkün4 dung ansteht, als Erstes erfahren sollte. Diese Reihenfolge wurde in Gesprächen festgelegt. In einigen Erzählungen war sie auch schlicht von Zufällen, wie etwa anstehende Besuche der Eltern, von Verwandten oder Familienfeiern, die eigentlich zu einem anderen Thema stattfanden, abhängig. Falls die eigenen Eltern noch nicht eingeweiht waren, begannen die Verkündigungstätigkeiten aber in fast allen Fällen mit engen Freund*(inn)en oder den Eltern der werdenden Eltern.
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»Ein sehr guter Freund von mir hat’s als Erster erfahren [...] der hat gemeint, he cool, und dann hatten wir noch Freunde [...] mit denen waren wir dann mal am Neusiedlersee und da haben wir gesagt, he wir müssen euch was sagen und hahaha ihr seids schwanger und der andere Freundeskreis und die Familie hat’s dann erst irgendwann erfahren, also das war dann wirklich deutlich später erst.« (Mann F)
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V ERKÜNDEN Eltern in meiner Studie war es ein Bedürfnis, die Verkündigung zum Übergang zur Elternschaft, insbesondere für Verwandte, gezielt zu inszenieren. Die werdenden Eltern waren Teil von Tätigkeiten, in denen Artefakte und Situationen spezifisch arrangiert wurden, um die Nachricht ins Licht zu rücken. Andere Eltern tätigten schlicht einen Anruf, um Eltern und Verwandte zu informieren. Letzteres war vor allem bei jenen werdenden Eltern der Fall, bei denen es keine regelmäßigen Treffen mit den Eltern gab, entweder weil diese zu weit weg wohnten oder weil der Kontakt zu den Eltern generell nur auf einer niedrigen Frequenz verlief. Die Verkündigung an Freunde und Freundinnen, sofern diese nicht eingeweiht waren, entferntere Verwandte und Bekannte erfolgte über direkten persönlichen Kontakt, durch eine Dissemination der Nachricht über elektronische Wege oder über andere Subjekte, die als Sprachrohr fungierten. Verkündigung unter Anwesenden Wenn nahe Verwandte oder enge Freunde und Freundinnen, die nicht eingeweiht waren, physisch erreichbar waren, haben werdende Eltern die Verkündung der Schwangerschaft immer unter der Anwesenheit der Subjekte durchgeführt. Besonders für die Eltern der werdenden Eltern wurde, sofern zu diesen ein zumindest durchschnittlich gutes Verhältnis bestand, die Verkündung spezifisch inszeniert. Diese Verkündung wurde vorher von den werdenden Eltern gemeinsam geplant. Eine Dramaturgie der Inszenierung und der Zeitpunkt der Verkündung wurde genau festgelegt. Wichtig war den werdenden Eltern, dass die werdenden Großeltern keinen Verdacht schöpften. Ort und Zeit mussten deswegen gut ausgewählt werden. In manchen Fällen gelang den werdenden Eltern die Inszenierung, in manchen Fällen haben die werdenden Großeltern schon eine Schwangerschaft vermutet. Die Inszenierungen fanden immer bei den werdenden Eltern oder bei den werdenden Großeltern zuhause statt. Der Zeitpunkt der Ankunft, die Sitzpositionen der Personen und die Anordnung und der Einsatz von verschiedenen Artefakten wurden geplant. Am häufigsten verwendetes Artefakt war das Ultraschallbild, das aus der Tasche gezogen, in ein Geschenk verpackt oder »zufällig« platziert wurde, so dass die werdenden Großeltern es sehen oder finden. Aber auch Babyutensilien wie Strampler, Rasseln oder Babyschuhe wurden übergeben
V ERKÜNDUNG
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oder in Settings platziert. Ein Paar ließ die werdenden Großeltern in einen Spiegel sehen, in dem sie ihre zukünftige Großelternschaft erkennen sollten.5 Verkündungen unter nicht Anwesenden Grundsätzlich zeigte sich in den Interviews, dass die Verkündung einer Schwangerschaft etwas war, das die werdenden Eltern gerne, zumindest bei ihnen nahestehenden Personen, in einem Gespräch vermittelten, bei dem die anderen Subjekte physisch anwesend waren. Hatten die werdenden Eltern nahe Verwandte oder enge Freunde, die in unüberwindbaren Distanzen wohnhaft waren, musste zu anderen Mitteln gegriffen werden.6 Hier wurde telefoniert oder videofoniert. Ansonsten gab es zwei Gruppen, bei denen das Telefon oder eine Nachricht per Mail oder Chat die richtige Methode war: In den Bastelprozess eingeweihte Personen, die es schnell erfahren sollten, und Bekannte und Verwandte, die nicht zum engeren Kreis der werdenden Eltern gehörten.
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»da haben wir uns genau überlegt, wie wir das machen, da haben wir beide Eltern nach Wien eingeladen zu uns, das war eh schon so ein Ritual schon, ja und dann haben wir uns was Lustiges überlegt, das tun wir gerne, da haben wir uns Folgendes ausgedacht, dass wir, da haben wir einen Spiegel gekauft und da haben wir einen Zettel drauf gepickt, wo draufsteht, so sehen werdende Großeltern aus. [...] und dann haben wir sie gebeten, sich hinzusetzen und wir haben gesagt, wir haben einen Spiegel gekauft, wo man dann ganz anders ausschaut wie vorher, und die haben halt beide ’glaubt, das ist irgendwie so ein Zerrspiegel, wo man dann älter oder dicker oder so ähnlich ausschaut und dann haben’s die Augen zugemacht und wir haben den Spiegel vorgehalten und dann haben wir sie gebeten, die Augen zu öffnen und dann und es hat halt ein bisschen gedauert, bis sie das gecheckt haben [lacht], mein Papa hat als erstes gesagt ›schau i ja aus wie vorher‹ und meine Mama hat irgendwie gleich irgendwie so einen verblüfften und überraschten Gesichtsausdruck gehabt, sie hat’s als Erstes begriffen dann eigentlich, mein Papa dann eh auch. Mit Mann E seine Eltern haben wir das dann am nächsten Tag genauso gemacht.« (Frau E)
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»Also der Familie haben wir es gesagt, wie wir gewusst haben, dass wir Weihnachten nicht nach Hause fahren können, also Mitte Dezember, weiß nicht 10. oder 11. Woche, und wirklich allen irgendwann im Jänner, als ich dann meinen Patienten dann absagen musste, aber ich wollte es auf jeden Fall so lange wie möglich rauszögern, falls es irgendwie nix wird.« (Frau A) »Ich mit dem Vater telefoniert und ihm gesagt, dass ich heirate. Er hat sich nicht so gefreut und gemeint, er hätte lieber ein Enkelkind. Da hab’ ich es aber noch nicht gesagt, dann hab ich aber bald noch mal angerufen.« (Frau I)
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Eingeweihte, die bereits von der Planung des Kindes wussten, wurden laut den Erzählungen häufig kurz nach einer neuen Evidenz oder einem Ereignis angerufen. Es war den werdenden Eltern hier wichtig, dass das neu erworbene Wissen schnell kommuniziert werden konnte. Subjekte, die den werdenden Eltern nicht nahe standen, wurden häufig ebenfalls über den telefonischen oder elektronischen Weg informiert. Es wurden E-Mails »an alle« oder FacebookStatusupdates aufgesetzt, die die frohe Botschaft verbreiteten. Manche verließen sich auf die »Buschtrommeln« im familiären oder sozialen Netzwerk und erwarteten, dass sich die Neuigkeit einfach herumspricht.
F REUDE , Ü BERRASCHUNG , N EID UND A BLEHNUNG : R EAKTIONEN AUF DIE V ERKÜNDUNG Die Adressaten des Announcements der Eltern reagierten mit Antworten oder Gefühlsausbrüchen, die sich in mehrere Antwortgruppen teilen lassen. Die Gruppe der werdenden Großeltern oder werdenden Tanten und Onkel reagierten in den Erzählungen der Eltern mit Freude, die nicht nur den Eltern, sondern auch ihnen selbst galt. Sie konnten nun in den Status der Großmutter oder des Großvaters übergehen. Viele sprachen davon, dass sich Freunde und Freundinnen, Kolleg*(inn)en oder Verwandte »einfach freuen«. Gleichzeitig erzählten Eltern aber auch von Feedback wie »freu dich nicht zu früh«, oder »wer weiß, was da noch passieren kann«, oder »oh, das wird anstrengend«. Diese Reaktionen waren meist mit Hinweisen auf mögliche Probleme in und nach der Schwangerschaft verbunden. Viele Eltern erzählten von sozialen Kontakten, die mit Traurigkeit oder Neid reagieren, wenn diese selbst einen unerfüllten Kinderwunsch hatten. »Endlich ein Enkelkind« Sofern die werdenden Eltern in meiner Studie selbst (noch) Eltern hatten, wurde die Reaktion derer stets intensiv beschrieben. Für diese war die Verkündung oft inszeniert und dementsprechend impulsiv und gefühlsüberladen war deren Reaktion. Große Freude wurde mit Tätigkeiten wie Schreien vor Glück, Umarmungen, Aufspringen und Jubeln und Freudentränen beschrieben. Vor allem werdende Großeltern, die ihr ebenfalls erstes Enkelkind erwarteten, reagierten innerhalb dieses Schemas. Viele der werdenden Großeltern schienen laut den Erzählungen der werdenden Eltern schon sehnsüchtig auf ein Enkelkind gewartet zu haben und bei der Verkündung der Schwangerschaft wurde diesen vor allem ein persönlicher Wunsch erfüllt. Die Freude galt also nicht nur dem Paar, son-
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dern der eigenen Person, die nun endlich in den gewünschten Status der z. B. Großmutter oder des Großvaters übertritt. »Einfach freuen« Die häufigste Antwort die Eltern auf die Frage, wie andere auf das Announcement reagiert haben, war: Sie haben sich »einfach gefreut«. Mit diesem Freuen waren Tätigkeiten wie Gratulieren oder Umarmen verbunden. Im Anschluss wurden Fragen zur Schwangerschaft gestellt: »Wann kommt das Baby?«, »war das geplant?« und »freust du dich schon?« waren immer wieder genannte Sätze, die Adressaten dann aussprachen. Vereinzelt reagierten Freunde und Freundinnen, Verwandte oder Bekannte auch geschockt oder verwirrt, um dann wiederum ihre Freude auszudrücken. »Freu dich nicht zu früh« Weitere Aussagen, mit denen werdende Eltern beim Announcement häufig konfrontiert wurden, waren solche, die die Schwangerschaft relativierten, vor allem, wenn die Verkündung noch während des ersten Trimesters stattfand.7 »Wart ab, ob es bleibt« oder »Freu dich nicht zu früh« waren Worte, die Eltern häufig vernahmen. Adressaten wissen, dass spontane Aborte passieren können und treten als jene Partizipierenden auf, die die Angst davor oder das Bedenken dieser Gefahr einfordern. Sie sanktionierten aus ihrer Sicht verfrühte Announcements. Im ersten Trimester waren dies häufig Gespräche, die Unsicherheit vergrößerten. »Ich will das auch« Ebenso wie der Wunsch nach einem langersehnten Enkelkind die Reaktion aus persönlichen Gründen jener, an die die Nachricht verkündet wurde, sehr positiv ausfallen ließ, kann aus einem persönlichen Unzufriedenheitsgefühl der Adressaten eine negative Reaktion entstehen.8 Das Announcement an Freunde und
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»Wir sind dann nach Salzburg gefahren [...] das war ein Geburtstagsgeschenk an einen Freund von mir und denen haben wir das auch erzählt und da hat sich gleich aber so eine nähere Diskussionrunde ergeben von so ja wart ma mal ab, was da jetzt wirklich ist usw., ja gut, hab’s eh recht.« (Mann F)
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»Ja wie gesagt, bei zwei Freundinnen, die haben sich zwar gefreut, aber die haben gesagt, ich soll mich nicht zu viel freuen und schau lieber mal und steiger’ dich nicht so rein und so, was mich eher irgendwie runter’zogen hat, ich war eh schon so ein biss-
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Freundinnen, Verwandte und Bekannte, die selbst einen unerfüllten Kinderwunsch hegten, erwies sich für die werdenden Eltern als belastet. Die Subjekte reagierten hier in einigen Fällen offen mit Neid oder Missgunst auf Grund der persönlichen Situation. Manchmal löste die Nachricht beim Gegenüber auch große Traurigkeit aus. Die Adressaten drückten dann ihren unerfüllten Wunsch aus und beschrieben ihre Unglückssituation. Manche teilten mit, dass sie sich nicht freuen könnten, weil ihnen selbst dieses Glück verwehrt ist. Einige drückten aus, dass sie gerne das Leben der werdenden Eltern hätten und dieses Glück auch erleben wollten. Diese Reaktionen lösten bei den werdenden Eltern Unbehagen und Schuldbewusstsein aus. »Das ist keine gute Idee« Einige Freunde und Freundinnen, seltener Verwandte, zeigten unverblümt ihre Abneigung gegen die Schwangerschaft.9 Vor allem wenn die Adressierten generell eine negative Einstellung gegenüber Kindern und Kinderkriegen hatten. Einige Eltern beschrieben dies mit der Situation, in der diese selbst aufgewachsen seien, andere mit dem Lebensstil der Freunde und Freundinnen. Etwas subtiler erlebten viele Eltern eine Ablehnung von Freund*(inn)en, die noch keine Kinder hatten. Durch die Schwangerschaft konnten sie nun bei bestimmten Gelegenheiten nicht mehr dabei sein, oder sie hatten beim Ausgehen Sonderwünsche, wie ein rauchfreies Lokal oder Restaurant. Freunde zeigten hier nicht immer Verständnis, was die Eltern als Zurückweisung der Schwangerschaft verstanden. Manche Freunde und Freundinnen von werdenden Eltern fürchteten um die Freundschaft, die sich nun auf Grund der Mutterschaft oder Vaterschaft verändern würde. Es wurde antizipiert, dass mensch sich dann nicht mehr so häufig
chen verzweifelt und voller Angst und so und ich hätt’ mich irgendwie gerne gefreut, aber das hat mich noch mehr gehindert daran mich zu freuen irgendwie [...] andere Freundinnen haben sich ur g’freut, die haben’s gar nicht dazaht, die haben sich ur gefreut und ah, ah ja, Freude, es war einfach Freude [...] eine hat das gleich auch so mitschwingen lassen, dass sie auch schon so gerne an Mann hätt’ oder an Frend oder auch schon so gerne eine Famile und so [...] die erzählt mir so oft, dass sie so gern ein Leben hätte wie ich, da hab ich mich dann gleich ein bissl: ja ich kann ja nix dafür, dass es bei dir noch nicht so ist.« (Frau C) 9
»Einige Freunde von mir haben sich nicht gefreut. Die haben gemeint, wir sind deppat, und viel zu jung und so, die haben das überhaupt nicht verstanden [...] Die sehen das so, dass man sich das Leben zerstört, wenn man so jung ein Kind bekommt.« (Mann I)
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treffen kann und manche Aktivitäten nicht mehr möglich sein werden. Es war hier eine Traurigkeit zu verspüren, dass sich Dinge notwendigerweise verändern würden. Vielen Eltern war bewusst, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sich Freundschaften nun veränderten, sehr hoch war. Viele Beziehungen würden nicht mehr so sein wie vorher. Öffentlich und offiziell schwanger Die werdenden Eltern erhielten in den meisten Fällen einen Mix aus den eben beschriebenen Reaktionen. Diese konnten zu Partizipierenden werden, die Unsicherheit oder Freude verstärkten, oder zum Nachdenken brachten. Im Vordergrund stand in den Erzählungen dann aber das gemeinsame Erleben der Schwangerschaft mit der Öffentlichkeit und allen gesagt zu haben, dass das Paar bald eine Triade sein würde. Es wurde nun offiziell der Abschied von der alten Lebensform als Paar verkündet und die werdenden Eltern waren nun für alle schwanger und wurden als werdende Eltern adressiert. Es änderte ihren Status sofort auch in der Öffentlichkeit und der Übergang zum Status der werdenden Eltern war damit abgeschlossen. Die Beziehungen zu allen Freund*(inn)en, Verwandten und Bekannten veränderten sich ab der Verkündung, da die Schwangerschaft nun Begleiter der Treffen, Gespräche und gemeinsamen Tätigkeiten war. An diesem Punkt waren die Eltern »wirklich schwanger« und »wirklich werdende Eltern«. Alle wussten es nun, und es gab kein Zurück mehr in den Status des Paares. Schwangersein war nun öffentlich und offiziell.
E NDGÜLTIG
SCHWANGER – WERDENDE E LTERN WERDEN Bevor die Schwangerschaft offiziell nach außen getragen werden konnte, verbrachten die Eltern einige Monate im Zwischenstadium zwischen Wannabe- und werdenden Eltern, zwischen schwanger oder nicht schwanger. In diesem Kapitel lag vorerst der Fokus auf der Konstitution einer Schwelle zwischen privat und öffentlich und Dyade und Trias, verbunden mit den Praktiken der Geheimhaltung und wie diese die Schwangerschaft in der Zweisamkeit figurierten. Nur im kleinen Kreis mit Eingeweihten wurde vorerst die so wichtige Veränderung diskutiert. Die Bastelphase und das erste Trimester wurde dann häufig noch für Tätigkeiten genutzt, die, in der Vorstellung der Eltern, zum letzten Mal für eine lange Zeit ausgeführt wurden. Es war ein Abschiedsritual von der Kinderlosigkeit und des Lebens als Paar.
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Diese Zum-letzten-Mal-Tätigkeiten figurieren gleichzeitig Subjekte, die ihre Zweisamkeit als Vergangenes zelebrieren. Es ist ein Abschied vom Zuzweitsein, der feierlich in ein Zudrittsein überleitete. Die Eltern wurden hier noch immer in einem Zwischenstadium festgehalten, in der die Trias von Vater, Mutter und Kind bereits da war und nicht da war. Vor allem in der Öffentlichkeit war es ein Nichtsein und für das Paar ein Sein, das die Schwangerschaft geschickt verbirgt. Der Fötus änderte den Körper der Mutter bereits und auch die Eltern waren durch die Praktiken der Herstellung von Evidenz schon zu Vielleicht-Eltern geformt. Die Geheimhaltung war verbunden mit einer Gemeinsamkeit, die die Trias zu einem Unabgrenzbaren zusammenfließen lässt und gleichzeitig die Eltern als Paar figurierte und das Kind als etwas figurierte, das erst dazukommen wird. Es lassen sich also Aktivitäten feststellen, die Eltern als Einheit mit dem Kind figurieren und Aktivitäten, die diese vom Kind trennen. Beide Aktivitäten wurden zur selben Zeit in den Praktiken ausgeführt. Die Transformation der Eltern ins Dazwischen-Sein, wie auch schon in den vorangegangenen Kapiteln beschrieben, verfestigte die Eltern als etwas, was sie noch nicht waren, was aber bereits ihre Materialität, ihr Denken, ihre Bedeutungszuschreibungen im Alltag und ihr Tun begründete. Die mentalen Konzepte der werdenden Eltern begründeten die Tätigkeiten, von denen die Eltern Teil waren mit dem, was kommen würde. Dieses Zukünftige wirkte als Partizipierender auf die gegenwärtige Situation zurück, auch wenn in diesem Stadium die Schwangerschaft noch ein Vielleicht war. In den Praktiken etablierte sich in der ersten Phase der Schwangerschaft eine Grenze zwischen Privatheit und Öffentlichkeit, die Partizipierender aller Assemblages war. Die Wannabe-/werdenden Eltern waren als jene figuriert, die diese Grenze überschreiten mussten und die bestimmen wollten, wann Grenzen zwischen Privat und Öffentlich überschritten werden konnten. Der Kreis der Eingeweihten wurde ins private Feld geholt. Sie mussten Stillschweigen vor einer für sie definierten Öffentlichkeit bewahren. Schwierig wurde es, wenn in den Praktiken andere Partizipierende die Grenze unscharf machten, wenn etwa körperliche Beschwerden die Schwangerschaft (fast) enthüllten oder Personen von außen direkt mit der Vermutung an die werdende Mutter herantraten. Notlügen halfen, die Grenze aufrechtzuerhalten. Die genaue Planung wie und wann die öffentliche Verkündung stattfand und vonstattengehen würde, wurde ebenfalls immer mit dieser Grenzziehung geplant. Hatte das Paar dann an den Tätigkeiten der offiziellen Verkündung teil, war es schon Teilhaber an Tätigkeiten, in denen es Sicherheit über die Schwangerschaft erlangt hatte. Die Transition von dem Status als kinderloses Paar zu einer Phase, in der sich das Paar in einem Zwischenstadium befindet, zu werdenden
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Eltern, hatte sich für das Paar schon vollzogen und diese Nachricht wird jetzt über die Grenze an die Öffentlichkeit gebracht. Das Announcement steht am Ende der Phase des Schwangerwerdens, die mit diesen Praktiken abgeschlossen ist. Selbst wenn die Schwangerschaft danach noch einmal zurückgenommen werden müsste, war in den Assemblages dann die Schwangerschaft schon klar figuriert, während in den Unsicherheitspraktiken des ersten Trimesters diese immer ein Stück unklar blieb. Die Verkündung war also die letzte Praktik, die wichtig war, um die Frau als schwangere und werdende Mutter und den Mann als werdenden Vater zu figurieren. Von nun an wurden sie von ihrer Umgebung auch als diese zukünftige Trias adressiert. Der letzte Schritt des »werdende Eltern Werdens« war nun vollzogen.
Eltern werden
13 Körperlich-geistig Eltern werden Körperpflege, Ernährung, Schwangerschaftsbewusstsein
In den vorangehenden Kapiteln habe ich in ausführlichen Beschreibungen aufgezeigt, dass der Prozess des Schwangerwerdens unter Umständen bis zur 20. Woche einer Schwangerschaft dauern kann. In dem hier folgenden Kapitel werde ich hingegen zeigen, dass bei manchen Paaren Schwangerschaft in den Praktiken schon sichtbar war, als noch keine Empfängnis stattgefunden hatte. In den Praktiken der Herstellung eines Embryos ist dies ebenfalls erkennbar (siehe Kap. 9). In Tätigkeiten, die Ernährung oder Körperpflege im weitesten Sinn betreffen, ist die Schwangerschaft schon sehr früh antizipiert. In den Praktiken des »Bastelns« habe ich bereits die Tätigkeiten beschrieben, die die Fruchtbarkeit erhöhen sollten und die besten Voraussetzungen für den kommenden Embryo schaffen sollten. In diesem Kapitel sollen jene Tätigkeiten in den Fokus genommen werden, wie während der Schwangerschaft Ernährungs-, Pflege- und Bewegungsregeln aufrechtbleiben, oder auch modifiziert werden, um sowohl die elterlichen Körper, als auch den Körper des Embryos und Fötus zu figurieren. In den Assemblages werden Regelauflistungen zu Ernährung, Pflege und Bewegung, Gespräche über Regeln, Lebensmittel, Pflegemittel, Kursorte und Trainer*(inne)n zu zentralen Partizipierenden der Praktiken. Die Tätigkeiten, die Ernährung und Körperpflege betreffen, waren bei den Eltern mit mentalen Konzepten verbunden, das einige Eltern als »Bewusstsein für die Schwangerschaft« bezeichnet haben. Die Unsicherheit, die die mentalen Konzepte der Eltern im vorangehenden Teil bestimmt hat, ist in diesen Tätigkeiten fast vollständig aufgehoben, stattdessen wird in den Praktiken die Schwangerschaft zelebriert und »bewusst« gelebt.
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S CHWANGERSCHAFT
ESSEN
Schwangerseinwollen war bei einigen Wannabe-Eltern bereits mit einer Veränderung der Ernährungsgewohnheiten verbunden (siehe Kap. 9). Es wurden der Fertilität zuträgliche Speisen bevorzugt. Während der Schwangerschaft war es fast allen werdenden Eltern in meiner Studie wichtig, Lebensmittel, die als gefährlich für den Embryo oder Fötus gelten, nicht zu essen. Die Informationen über diese Lebensmittel erhalten die werdenden Eltern spätestens beim ersten Besuch bei der Gynäkologin. Die meisten hatten sich aber bereits davor im Internet, in Broschüren, Gesprächen oder in Büchern informiert. Die Eltern waren nun auch Teil von Tätigkeiten, in denen für den Fötus gesunde Lebensmittel ausgewählt wurden. Keine der Informantinnen kam aber ohne Abweichungen von der selbsterstellten Liste von guten Lebensmitteln aus. Vor allem Süßes wurde gegessen, obwohl als nicht gesund bezeichnet. Andere Probleme hatten Eltern, denen das Essen in der Schwangerschaft generell schwerfiel. Eltern mussten in diesen Fällen Lebensmittel finden, die verträglich waren. Du sollst nicht essen I: alles, was »roh« ist Ernährungsregeln, die sich auf Übersichtsportalen, in Foren, Broschüren und Büchern fanden, fokussierten vor allem »rohe«, also unverarbeitete, Lebensmittel von Tieren. Zu dieser Gruppe wurden Rohmilchkäse, Rohfisch, rohes oder halbgares Fleisch und rohe Eier gezählt. In diesen Lebensmitteln könnten sich Salmonellen, Listerien oder Toxoplasmoseparasiten befinden, sagten die Informationen für die Eltern (Z. B. Überblicksportal 1). Listerien und Toxoplasmoseparasiten könnten Embryo und Fötus schaden und die Entwicklung des Gehirns und der Augen beeinträchtigen (Schulze, 2006, 71). Einer schwangeren Frau wurde ebenfalls eine generelle Immunschwäche attestiert, weswegen sie für die Gefahren empfänglicher wäre. Hatten Informant*(inn)en nach Ernährung und Schwangerschaft gegoogelt, fanden sie dort Listen mit Ernährungsregeln und unerlaubten Lebensmitteln. Neben tierischen Rohprodukten fanden sich auf diesen auch ungewaschenes Obst und Gemüse sowie Gewürze undeklarierter Herkunft. Die werdenden Eltern werden außerdem ermahnt, dass in vielen Produkten rohe Eier (Tiramisu) oder rohe Obstbreie (Eis) enthalten sein könnten. Die Eltern nahmen diese Aufforderungen, mit denen sie in Kontakt kamen, aber verschieden ernst. Eine Informantin berichtete, sie hatte bereits eine Toxoplasmoseinfektion und Antikörper entwickelt, weswegen sie sich weniger um das Verbot von rohem Fleisch, sehr wohl aber um das Verbot von rohem Käse,
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der Listerien enthalten könnte, kümmerte. Andere nahmen die Regeln, auf rohe Tierprodukte zu verzichten, sehr ernst und befolgten diese so gut wie möglich. Regeln hinsichtlich roher Obst- und Gemüsebreie wurden in den Interviews kaum erwähnt. Generell aber war erhöhte Vorsicht an der Tagesordnung. Informantinnen meinten, »aufzupassen«, was gegessen würde, und die Bestandteile der Nahrung genauer zu prüfen. Die Informationen aus Überblicksportalen, Foren und Gesprächen waren allerdings uneindeutig bis widersprüchlich. So sahen einige Eltern z. B. Salami als potenzielle Gefahr für eine Toxoplasmoseinfektion, andere Eltern wiederum nicht. Beide Gruppen beziehen sich dabei auf Mediziner*innen und Erfahrungswerte als Argumentationsgrundlage.1 Die werdenden Eltern sind als jene figuriert, die aus den verfügbaren Informationen einen Standpunkt formen müssen, welchem sie folgen, oder den sie mit schlechtem Gewissen nicht einhalten. Meist hatten sich die werdenden Eltern eine Liste von Lebensmitteln zurechtgelegt, die strikt verboten waren, und eine Liste von Lebensmitteln, die ab und zu erlaubt waren. So erzählten einige werdende Eltern, dass sie sich doch ab und zu Sushi gönnten, auch wenn roher Fisch auf der Liste der verbotenen Lebensmittel steht. Die werdenden Mütter rechneten mit einer sinkenden Wahrscheinlichkeit einer Infektion bei einer verringerten Aufnahme der gefährlichen Produkte. Wenige Eltern berichteten davon, dass sie ausnahmslos strikt ihre Verbotsregeln befolgt haben. Gleichzeitig erzählten viele werdende Mütter von Lebensmitteln, nach denen sie sich während der Schwangerschaft sehnten, diese aber verboten waren. Die werdenden Mütter waren nun als jene Partizipierenden figuriert, die die Abstinenz trotz Lust und ständiger Verführung aushalten mussten. Sie mussten Willensstärke beweisen - oder wurden zu Sünderinnen, die ihre Föten gefährden, ob ihrer eigenen Gelüste. Du sollst nicht essen II: alles, was »ungesund« ist Generell erklärten viele Informant*(inn)en, dass die bloße Planung einer Schwangerschaft die Ernährung stärker in den Fokus gebracht hatte. »Ungesun-
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»Z.b. hatte meine erste Ärztin gegen Salami in der Schwangerschaft gar nichts einzuwenden, während ich von anderen Leuten hörte, dass diese eher zu meiden sei. Meine erste Ärztin meinte ich solle nur auf rohes Fleisch (wie Roastbeef) verzichten, alles andere ist erlaubt. Auch Weichkäse erlaubte sie mir...In meinem Umfeld höre ich aber auch so Sachen, dass man Salat (vor allem in Weckerln, Restaurant..wo man nicht sicher gehen kann, dass der gut gewaschen ist) nicht essen sollte.« (Forumstext, 04.10.2007)
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de« Lebensmittel wurden verstärkt von den Einkaufslisten gestrichen. Gemüse und Obst wurden immer wieder als gesunde Lebensmittel bezeichnet, die dann verstärkt gegessen wurden. Fettes, Frittiertes oder stark Zuckerhaltiges sollte vom Speiseplan so weit wie möglich verbannt und stattdessen leicht und zuckerarm gegessen werden. Es herrschte dabei die Vorstellung, schlechtes Essen könne den Fötus zwar nicht direkt Schaden zufügen, es könne diesen oder die Plazenta jedoch beeinflussen, da wichtige Stoffe fehlten oder schlechte Stoffe durch den mütterlichen Blutkreislauf zur Plazenta und zum Fötus transportiert würden. So lasen Eltern in Foren Geschichten über verkalkte Plazenten auf Grund falscher Ernährung oder Problemen mit Schwangerschaftsdiabetes. Die Definitionen von »ungesund« unterschieden sich aber bei vielen Informant*(inn)en. Milchprodukte werden z. B. von einigen Eltern als ungesund bezeichnet, während sie von anderen in den Speiseplan aufgenommen wurden. Ein Informant meiner Studie hat jene Lebensmittel für ungesund erklärt, die unmittelbar krank machen würden, weil sie z. B verdorben sind.2 Er hat in seiner Kindheit Lebensmittel sehr schlechter Qualität erlebt. Die Lebensmittel, die es in Wien zu kaufen gibt, bezeichnete er als gut und nicht ungesund, weil diese nicht direkt krank machen könnten. Ungesunde, also z. B. verdorbene oder verunreinigte Lebensmittel, würde er von der Liste der Lebensmittel für Schwangere streichen, bei allem anderen solle man sich nicht zu viele Gedanken machen. Eine andere Informantin bezeichnete ihr Essverhalten nach der Schwangerschaft als sehr ungesund, welches sie sich mit einem erhöhten Kalorienbedarf beim Stillen erklärte.3 Die Notwendigkeit, viele Kalorien aufzunehmen, relativierte die ungesunde Konnotation von Süßigkeiten. Im Allgemeinen sind »ungesunde« Lebensmittel in den Interviews und in den Foren als Genussmittel definiert. Es handelt sich um Lebensmittel, die gut schmecken und die mensch essen möchte, die aber nicht überlebensnotwendig sind und nicht die gewünschte Menge an »guten« Nährstoffen, dafür aber viele
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»Ich hab’ da eine andere Sichtweise auf gesund. Gesund ist so eine Sache. Wenn etwas nicht verdorben ist und essbar ist, dann ist es gesund. Wir leben an einem Ort, wo Lebensmittel gut sind und man nicht krank vom Essen wird. Deswegen gehe ich auch zu BURGERFRANCHISER oder trinke jeden Tag Cola.« (Mann I)
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»Also ich muss sagen, ich ernähre mich derzeit echt nicht so, wie’s wünschenswert wäre und das hat den Grund glaub’ ich, weil das Stillen extrem zehrt und ich esse extrem viel Süßes, das hab’ ich früher nicht gemacht, hab’ ich auch in der Schwangerschaft nicht gemacht [...] jetzt hab’ ich schon ziemlich alles abgenommen und bin jetzt bei dem Gewicht von vorher und wenn ich jetzt zum Beispiel nicht so viel naschen würd’, würd’ ich vom Fleisch fallen, glaub ich.« (Frau G)
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Kalorien, Zucker oder Fette, enthalten. Einige werdende Mütter fühlten sich durch ihre Schwangerschaft noch mehr zu diesen Lebensmitteln hingezogen. Es kursieren Geschichten von Vegetarierinnen, die plötzlich lieber Leberkäsesemmeln essen und Schokoladenkuchen, die unwiderstehlich sind. Falls die Lebensmittel nicht auf der absoluten Verbotsliste stehen, wird hier vor allem die Menge zum Problem. Die tägliche Lust auf Süßigkeiten, auf fettes Fleisch, Pizza oder Burger wird zum Problem, dem die Schwangere widerstehen muss. Werdende Mütter mit höherem Ausgangsgewicht sahen sich besonders oft in Situationen, die das eigene Essverhalten problematisierten. Ihnen wurde von außen oft ein bestehender ungesunder Lebensstil zugeschrieben, den sie während der Schwangerschaft nicht aufrechterhalten sollten. Das thematisierte Körpergewicht war hier sehr häufig mit Tätigkeiten verbunden, bei denen der erhobene Zeigefinger von anderen Personen zum Partizipierenden wurde. Generell reagierte vor allem medizinisches Personal auf höheres Ausgangsgewicht und auf eine überdurchschnittliche Gewichtszunahme während der Schwangerschaft mit der Aufforderung, sich doch gesünder zu ernähren, und mit dem Rat, eine Liste von als ungesund geltenden Lebensmitteln auszulassen. Als Folgen ungesunder Ernährung wurden große Föten genannt, die bei der Geburt schwerer zu bewältigen seien. Es wurde ein zukünftiges Kind beschrieben, das sich ebenfalls ungesund ernähren werde und ein erhöhtes Risiko für Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben würde. Oder es wurde für die werdenden Eltern ein zukünftiges Kind antizipiert, das dick wird und seinen Heißhunger auf Süßes ebenfalls nicht regulieren kann. Das Weglassen der ungesunden Nahrung ist somit eine indirekte Förderung des zukünftigen Sprösslings, die in der Hand der werdenden Mutter liegt. Die werdende Mutter wurde in diesen Tätigkeiten als jene figuriert, die im »Schlaraffenland«, umgeben von Süßigkeiten und gutem, aber ungesundem Essen, Haltung bewahren musste. Sie trägt die Verantwortung negativer Folgen durch zu hohes Gewicht oder einer Unterversorgung mit Vitaminen oder bestimmten Spurenelementen. Du sollst nicht trinken Eine besondere Rolle in der Liste der ungesunden Lebensmittel nimmt der Alkohol ein. Er wurde am häufigsten als verbotenes Lebensmittel genannt, da er die Entwicklung des Embryos oder Fötus stark beeinträchtigen könne. Gynäkolog*(inn)en, Freund*innen, Verwandte, Forenteilnehmer*innen und Bekannte weisen darauf hin, dass Trinken in der Schwangerschaft schädlich für das Kind sein kann. Zur Sicherheit solle schon in den Zeiten einer möglichen Empfängnis wenig getrunken werden, da dies die Fruchtbarkeit erhöhe und eine fertilisierte
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Eizelle und ein entstehender Embryo nicht durch Alkohol beschädigt oder zu einer Fehlgeburt gebracht werden solle. Trotzdem berichten einige Informantinnen in meiner Studie und einige Forumsteilnehmer*innen von Ausnahmen von dieser Regel (siehe nächster Punkt). Andere behaupteten dagegen strikt, niemals Alkohol getrunken zu haben. Zusätzlich gibt es eine relativ große Anzahl von Frauen, deren Schwangerschaft, wie für vier Teilnehmer*innen in meiner Studie, ungeplant kommt. Eine Informantin, die ihre Schwangerschaft erst in der 15. Woche entdeckte, machte sich Sorgen, dass ein moderater Alkoholkonsum im ersten Trimester das Kind beeinträchtigt haben könnte, auch wenn die Scans bisher gut ausgefallen seien. Als Folgen von Alkoholkonsum während der Schwangerschaft wurden Kinder antizipiert, die hyperaktiv sind und kognitive Schwierigkeiten haben. Sie würden vielleicht einmal schwieriger lernen oder generell kognitive Beeinträchtigungen haben. Ob ein Gläschen Wein einmal pro Woche oder sogar täglich tatsächlich Auswirkungen auf den Fötus hat, ist aus Sicht der medizinischen Forschung nicht geklärt.4 Du darfst: Kleine Sünden Alle Informantinnen berichteten von Abweichungen von ihren Ernährungsregeln, ob es sich nun um das Gläschen Wein, das doch ab und zu getrunken wurde, oder die Schokolade, die häufiger als gewünscht gegessen wurde, handelte.5 Von dem einen Zug von einer Zigarette, weil sie so fehlte, oder dem Käse, von dem frau sich doch einmal ein Rad gönnte, weil frau ihn so vermisste, wurde erzählt. Es schien Assemblages zu geben, in denen diese Tätigkeiten erlaubt wa-
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Alkohol als Problem während der Schwangerschaft entsprang einem medizinischen Diskurs, der Ende der 70er Jahre begann (Jones and Smith,1973; Jones et. al., 1976). Das »fetal alcohol syndrome« kann medizinisch aber nur bei Alkoholabhängigen bestimmt werden, ebenso wie die Symptome des »fetal alcohol spectrum syndrome«. (Riley et. al, 2011).
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»also Alkohol trink’ ich nicht, bzw. ganz ganz selten mal ein Glaserl Sekt oder zu Weihnachten ein Glaserl Wein.« (Frau D) »Während dem Stillen sollte man eigentlich keinen Alkohol trinken, aber am Abend so ein halbes Glas manchmal, tu’ ich schon.« (Frau G) »da haben wir dann recherchiert im Internet, welchen Käse man jetzt eigentlich essen darf und welchen nicht, aber so ganz klar ist es nicht [...] Listerien-Bakterien können da drin sein, was wahnsinnig schlecht ist für Babys [...] ich hab’ auch schon jetzt mal welchen gegessen, aber jetzt nur einmal.« (Frau H)
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ren. Zu Silvester durfte auch die Schwangere ein Schlückchen vom Sekt nehmen und zu Weihnachten durfte sie auch bei der Schokolade etwas mehr zugreifen, als sie sich sonst erlauben wollte. Die kleinen Unterbrechungen halfen dann, die Abstinenzen weiterzuführen. Denn immer noch waren die Frauen als jene figuriert, die bestimmen konnten, wie sehr sie sich in spezifischen Momenten etwas erlauben konnten und wie viel dem Fötus schaden könnte. Es gab Frauen, die von übermäßigem Heißhunger berichteten, einem Kaloriendurst nach Süßem und Fettigem, der ab und zu gestillt werden musste, damit dieser zur Seite gedrängt werden konnte. Gleichzeitig war es nicht möglich, immer Kontrolle auszuüben oder die Herkunft der Lebensmittel zu bestimmen. Im Restaurant oder Imbiss ließ sich nicht immer bestimmen, ob der Salat gut genug gewaschen wurde oder ob unter den Zutaten nicht doch ein verbotenes Lebensmittel versteckt war. Der Wein in der Soße (auch wenn der Alkohol verkocht), oder der Liqueur oder die rohen Eier im Dessert wurden gelegentlich aus Versehen gegessen und erst im Nachhinein wurden die Ingredienzien erkannt. Im Gegensatz zu anderen Themen finden sich in den von den Eltern gelesenen Foren und auf Überblicksseiten wenige Horrorgeschichten über Mütter, die durch eine kleine Sünde eine Schädigung ihres Kindes ausgelöst hatten. Verbindungen zu Allergien oder Krankheiten wurden bei diesem Thema kaum gemacht. Zu Ausnahmen, in einem gewissen Rahmen, wurde eher ermuntert. Die Frau wurde hier nicht als jene figuriert, die mit einem Fehler ihr Kind massiv schädigen kann, wie es bei vielen anderen Themen der Fall war. Der Fötus wurde in diesen Assemblages stärker abgetrennt vom Körper der Mutter und weniger beeinflussbar durch ihr Verhalten. Exkurs: nicht essen können - Übelkeit und Abneigung vor Lebensmitteln War es für einige Frauen ein Problem, Lust auf Lebensmittel zu haben, die ihren Ernährungsregeln widersprachen, konnten andere Frauen gar nicht essen, oder nur wenig bei sich behalten.6 Schwangerschaftsübelkeit trat im ersten Trimester
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»Ich hab’ zwar sehr viel Hunger, aber gar keinen Appetit [...] ja, das Essen geht mir schwer auf die Nerven und das fängt gleich in der Früh’ an und ich kann mir nicht vorstellen, wie ich früher mit Genuss dreimal am Tag was gegessen habe, weil ich ich find’ das nervig, das Essen, ich hab’ mir das niemals vorstellen können, vorher, das ist wirklich, das muss mit der Schwangerschaft zusammenhängen, weil ich hab’ immer gerne gegessen und es geht mir nur auf die Nerven [...] wenn ich nicht so viel Hunger hätte, würd’ ich noch weniger essen [...] meistens ist es halt so, dass ich mich dann
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bei einigen Schwangeren auf und eine Abneigung gegen Lebensmittel zog sich bei manchen noch über die zweite Hälfte der Schwangerschaft durch. Die werdenden Eltern erzählten dann von mühsamen Momenten, in denen gegessen werden musste. Die Frauen versuchten sich manchmal mit Lieblingsspeisen zum Essen zu bringen, doch auch das half manchmal nichts. In Trial-and-ErrorProzessen wurden häufig Lebensmittel gefunden, die vertragen wurden und mit wenig(er) Widerwillen gegessen werden konnten. Bestimmte Tees halfen bei einigen Frauen, die Nahrungsaufnahme zu vereinfachen oder die Übelkeit zu verringern. Trotzdem wurde meist zu wenig Nahrung aufgenommen und eine Gewichtsabnahme war die Folge. Ging die Übelkeit und die Abneigung nicht zurück und die Gewichtsabnahme war zu stark, konnte dies sogar Krankenhausaufenthalte nach sich ziehen, wenn etwa zusätzlich noch eine Dehydrierung hinzukam. Hier sind die werdenden Mütter als jene figuriert, die im Assemblage ihr Essverhalten nicht kontrollieren können. Die Lust am Essen und die Verarbeitung der Nahrung lag nicht in ihrer Kontrolle, abgesehen von Versuchen, verträgliche Lebensmittel zu finden. Aufnehmbar war hier, was der Körper zuließ. Dieser erschien unkontrollierbar und völlig abgetrennt von einem Willen, zu essen. Regeln zu gesundem und ungesundem Essen waren bei vielen außer Kraft gesetzt, denn gegessen wurde, was möglich war. In den Erzählungen stand das Körperbefinden der Schwangeren im Vordergrund. Diskurse zur optimalen Versorgung des Embryos oder Fötus wurden hier kaum aufgenommen. Du sollst: Gesunde Lebensmittel In Zusammenhang mit den Themen Schwangerschaft und Essen stehen der Schwangeren sehr viele Informationsquellen zur Verfügung. Von Artikeln auf Überblicksportalen über Diskussionen in Foren bis zu eigens zugeschnittenen Kochbüchern für schwangere Frauen. Die Diskurse darüber, was gut für die schwangere Frau ist, schlossen einerseits an allgemeine Gesundheitsdiskurse an (wenig Fett, viel Gemüse) und stellten andererseits die Schwangere als Frau mit spezifischen Bedürfnissen an Vitaminen und Spurenelementen dar. Von einem erhöhtem Bedarf an Folsäure, Jod und Vitamin A war die Rede. Überblicksportale boten Ernährungspläne spezifisch auf Schwangerschaftswochen zugerichtet, mit Rezepten und Einkaufslisten für Lebensmittel. Auf diesen wurden für die jeweiligen Wochen spezifische Vitamine und Spurenelemente empfohlen.
halt zwing’, zu essen [...] oder ich ess halt erst, wenn ich so einen Hunger hab, dass ich es nicht mehr aushalte.« (Frau C)
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Während der Schwangerschaft wollten werdende Mütter ihren Föten die beste Versorgung bieten. Für sie hieß dies, dass sie sich genügend und vor allem mit genügend guten Lebensmitteln versorgten. Vitamine und Spurenelemente waren hier Partizipierende, die immer wieder erwähnt wurden.7 Diese würden den Körper der werdenden Mutter und im Zuge dessen auch den Körper des Fötus optimal versorgen. Hinzu kam meist die Einnahme von Ergänzungspräparaten, die zusätzlich Folsäure und Schwangerschaftsvitamine zuführten. Die werdenden Mütter hatten teil an zwei widersprüchlichen Praktiken, die eine spezifische Nahrungsaufnahme beinhalteten und mit zwei spezifischen mentalen Konzepten verbunden waren: a) Der Körper braucht nun ganz besonders gesunde Versorgung mit bestimmten Lebensmitteln, b) der Körper weiß, was er braucht, und teilt der Frau dies in Intra-Kommunikation durch Bedürfnisse mit. Für die optimale Nahrungsversorgung für sich selbst und den Fötus fügten die werdenden Mütter Vitamine und Folsäure durch Nahrungsergänzungsmittel hinzu und achteten auf vitaminreiche Kost, die genug gute Fette, Eiweiße und Kohlehydrate beinhaltete. Innerhalb dieser Praktiken wird eine bestmögliche Versorgung figuriert, die es zu erreichen gilt. Bei Nichterlangung dieser Versorgung wird eine Unterversorgung des Fötus mit einem wichtigen Element suggeriert. Die werdenden Mütter waren als Optimiererinnen figuriert, die bereits an diesem Punkt für die beste Ausstattung des Kindes sorgten. Andere werdende Mütter nahmen an, dass ihr Körper im Falle einer Unterversorgung mittels geschmacklichen Begehrens um die richtigen Lebensmittel bitten würde. Der Körper wurde hier als abgetrennte Einheit figuriert, der Män8 gel erkennt und diese innerhalb des Körpers kommuniziert. Diese Signale sind
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»Optimieren Sie jetzt Ihre Essgewohnheiten. Selbst wenn Sie sich bereits gesund ernähren, ist jede Verbesserung gut für Sie und das Baby. Als werdende Mutter ist es wichtig, auf die Einnahme und richtige Dosierung bestimmter Vitamine, Mineralien (zum Beispiel Folsäure und Eisen) und Kalorien zu achten. Insbesondere Folsäure (600 µg / Tag) und Jod (230 µg/Tag - in Österreich auch im jodierten Salz enthalten) sollte jede Frau mit Kinderwunsch und in der Schwangerschaft einnehmen.« (Überblicksportal 1, 15.12.2010)
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Ich Hab aber sowohl in Schwangerschaft als auch in der Stillzeit kaum Obst und Gemüse gegessen (ok, stimmt nicht ganz - Erdbeeren hab ich geliebt). Das musste sein Mäcki, Tiefkühlzeugs (Chicken Nuggets, etc.), Lasagne, Chili con Carne, Schokolade, halt alles was eine Kalorienbombe ist. Wenn mir wer mit Gemüse oder ähnlichem angekommen wär, dann wärs demjenigen wahrscheinlich um die Ohren geflogen Mein Tipp: Iss und trink auf was du Guster hast! Dein Körper meldet schon was er braucht!! (Forumstext, 04.05.2009)
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dann von der Ratio des Subjekts interpretierbar und dieses greift in der Interpretation der körperlichen Begehren zu den richtigen Nahrungsmitteln. Die werdende Mutter orientierte sich nicht an aufgelisteten Regeln von gesund oder ungesund, sondern gesund war das, was der Körper verlangte, auch wenn dies als ungesund konnotierte Lebensmittel waren. Lust auf Leberkäse oder viel Fleisch hieß für die werdenden Eltern, dass der Körper oder der Fötus Eiweiß brauchen würde. Es war den Frauen wichtig, diese Gelüste nicht zu unterbinden. Kalorienreiche Nahrungsmittel wurden mit dem Verweis auf den erhöhten Kalorienverbrauch gegessen und Cola sei gut für den Kreislauf bei wenig Blutdruck. Solange die Gewichtszunahme im Rahmen verlief, was als Barometer für zu viel oder zu wenig Essen galt, konnten Eltern Teil dieser Ernährungspraktiken sein. Es gab aber auch Fälle, wo diese Kommunikation als anleitende Kraft für die Nahrungsauswahl relativiert wurde: etwa, wenn große Lust nach strengstens verbotenen Nahrungsmitteln, etwa einem Bier oder dem Tiramisu, bestand. Besonders im Falle von Alkohol war in den Assemblages die Liste der Verbote wichtiger als körperliche Gelüste. In diesen Fällen wurden die Gelüste umgelenkt auf andere Speisen oder z. B auf ein alkoholfreies Bier. Essen für Männer Die Einhaltung von Ernährungsregeln galt nicht nur für die Schwangere. Einige Männer in meiner Studie erklärten ebenfalls, dass sie nun gesünder essen würden. 9 Ein Mann war mit seiner Frau solidarisch und verzichtete auf Käse während der Schwangerschaft. Einige erklärten, dass eine Veränderung der Ernährung bei der Schwangeren automatisch zu mehr Bewusstsein geführt hätte, da
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»dadurch, dass die FREUNDIN schaut, was isst sie, was isst sie nicht, wie geht’s ihr, überträgt sich das schon auch ein bisschen auf mich [...] wir haben vorher auch schon viel geschaut, ja wir kriegen das Biokistl schon seit Ewigkeiten und schauen, dass wir biologisch essen und essen viel biologisches Fleisch [...] da sind wir schon bewusst, aber zwischendurch ess ich trotzdem ein Kebab beim Heimfahren [lacht], weiß nicht, das gönn’ ich mir halt und jetzt vielleicht ein bisschen weniger.« (Mann C) »Wir versuchen grundsätzlich uns biologisch gesund zu ernähren, und soweit richtig ernähren, das haben wir auch vorher gemacht, das war auch vor der Empfängnis notwendig, ich soll nicht rauchen oder so [...] da hab ich schon an mein Kind gedacht, ich bring die besten, ich möchte die besten Voraussetzungen, auch von meiner Warte, für mein Kind einbringen [...] und ja, das ist dann schon auch immer Thema, weil die FRAU auch immer sehr viel Wert darauf legt und ich durch sie auch da beeinflusst werde.« (Mann E)
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nun öfter über das Thema gesprochen wurde, oder einfach andere Lebensmittel vermehrt zuhause wären. Andere Männer behaupteten, dass sie ihren Ernährungsstil beibehalten hätten, unabhängig davon, wie dieser gestaltet war. Gesunde Ernährung war bei manchen damit begründet, dass man nun gesund leben wolle, da man bald viel Energie fürs Vatersein brauchen würde. Auch erfahre der eigene Körper eine Aufwertung, wenn es bald jemanden gäbe, der eine Abhängigkeit von den werdenden Vätern haben würde. Diese werdenden Väter legten sich selbst ebenfalls Regeln auf, sich ihren Vorstellungen entsprechend gesund zu ernähren. Während die Frauen als jene figuriert waren, die mit der Ernährung direkt Zugriff auf den Fötus haben könnten, verlief dies bei den Männern über die Antizipation von zukünftigen Tätigkeiten mit dem Kind. Sie wollten fit für Tätigkeiten mit dem Kind sein. Verantwortung liegt in diesem Fall in der Zukunft, sie hat als Partizipierender aber bereits bei manchen Männern Einfluss auf die Ernährungsweise. Schwangerschaft essen Ernährungsformen und Nahrungsmittel waren wichtige Themen in der Schwangerschaft. Die Fragen drehten sich darum, was gesund ist und was nicht, was verboten ist und wie richtig gegessen werden kann. Eine Reihe von Regeln und Listen im Internet und in Broschüren wurden zu Partizipierenden, mit denen gemeinsam sich das Essverhalten der werdenden Eltern, insbesondere der werdenden Mütter, entwickelte. Zu gesundem Essen wurde immer wieder geraten, dies hieß aber für die verschiedenen werdenden Mütter Unterschiedliches, je nach den anderen Partizipierenden in den Assemblages. Waren bestimmte Vitamine, Aminosäuren oder Spurenelemente wichtige Teilnehmerinnen an den Praktiken, wurden Nahrungsmittel aufgenommen, die dies enthielten. Waren vergangene Erlebnisse mit schlechter Nahrung Teil der Tätigkeiten, waren viele Lebensmittel als gut und ausreichend bestimmt. In einigen Assemblages waren Auflistungen von guten Nahrungsmitteln sehr wichtig, in anderen war der Körper als Teilhaber, der der werdenden Mutter mitteilt, was er essen möchte, ein wichtiger und bestimmender Partizipierender. Die werdende Mutter ist in allen Praktiken mehr oder weniger stark als jene figuriert, die Kontrolle über ihr Essverhalten und damit über ihren Körper und Begehren des Körpers ausüben muss. Ob es nun um die Ablehnung von verbotenen Nahrungsmitteln geht (Rohschinken oder Alkohol) oder um die Auslassung »ungesunder« Nahrungsmittel (Fettes und Süßes). Sie ist als jene figuriert, die das Wohl des Fötus und die kognitiven und körperlichen Fähigkeiten des zukünftigen Kindes durch ihre Nahrungsaufnahme in der Schwangerschaft beein-
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flussen kann. Nahrungsaufnahme konnte aber auch Zuwendung und Lust für den Körper bedeuten, wenn etwas Gesundes oder geschmacklich Gutes gegessen wurde. Neben der Nahrungsaufnahme, waren auch die Pflege der Körpers und spezifische Bewegungsmuster, diesem Zweck zugeordnet.
S CHWANGERSCHAFT
PFLEGEN
Für die meisten Schwangeren gehörte, zumindest sobald der Bauch zu wachsen begann, auch eine spezifische Körperpflege zur Schwangerschaft. Argumentiert wurde dies einerseits mit der Vermeidung von Schwangerschaftsstreifen, andererseits mit der Möglichkeit, »sich etwas Gutes zu tun«. Im Handel konnten werdende Mütter eine große Anzahl von Pflegeprodukten kaufen, die für Schwangere bestimmt sind und Kosmetiker*innen und Spas bieten spezielle Behandlungen mit Pflege und Massage für Schwangere an. Pflege für transformierende Körper Eine Schwangerschaft dehnt die Haut der werdenden Mutter, deren Bauch wächst und an vielen Körperstellen werden Reserven eingelagert. Eine Gewichtszunahme von zehn bis 25 Kilo wurde als üblich genannt. Damit die Haut, die verhältnismäßig schnell gedehnt wurde, nicht reißt, und das hinterlässt, was werdende Mütter Schwangerschaftsstreifen nannten, wurde geölt und gecremt.10 Die Pflegeprodukte versprechen, bei regelmäßiger Verwendung Streifen verhindern zu können oder zumindest zu vermindern. Die werdenden Mütter machten ein gutes oder schlechtes Bindegewebe dafür verantwortlich, ob am Ende tatsächlich Streifen entstanden oder nicht. Einige Eltern schworen auf bestimmte Marken, die besonders gut gegen die Streifen sein sollten. In den Foren gab es eine rege Diskussion um Inhaltsstoffe
10 »Es hat sich nicht viel geändert, weil mir das immer schon wichtig war, weil das so ein Genussbereich für mich war, also dass ich Zeit hab’ dafür und dass ich das ausführlich machen kann, das gibt mir recht viel und das hab ich auch so weiter praktiziert, nur verwende ich jetzt halt andere Produkte [lacht] und schmier mich halt zwei mal am Tag ein, statt einmal. [...] so Schwangerschaftsöle und -cremen, ich denke das ist das Wesentlichste, ich hab gemerkt, dass ich eine trockenere Haut habe als früher und wenn irgendwelche Hormone hochgehen, merkt man das auch, aber das Wesentlichste ist schon, ist die Vorbeugung von Schwangerschaftsstreifen glaub’ ich, bei jeder Frau [lacht].« (Frau E)
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in Cremen, die in Interviews wiedergegeben wurden. Einige werdende Mütter bevorzugten Cremes und Öle ohne Mineralöle und lasen Tests der wichtigsten Konsumentenvereine, um ein gutes Produkt auszuwählen. Wenige Mütter besuchten regelmäßig Kosmetikerinnen, um sich einer Ganzkörperbehandlung zu unterziehen, die Streifen vorbeugen soll. Das Cremen und Um-sich-selbst-Kümmern waren Teile der angenehmen Dinge der Schwangerschaft. Manche Partner cremten den werdenden Müttern täglich abends den Bauch ein, als gemeinsames Ritual für das entstehende Baby. Dabei wurde mit dem Baby oder über das Baby kommuniziert. Waren trotz Cremen und Behandlungen Streifen im Entstehen, konnte dies zum Unwohlsein der werdenden Mutter beitragen. Dies wurde zwar damit erklärt, dass frau es nicht ändern könne, wenn das Bindegewebe schwach wäre, aber trotzdem sahen manche der werdenden Mütter einen Kontrollverlust über ihren Körper. Sie konnten nicht bestimmen, wie sich dieser entwickelte. Ähnlich erging es manchen werdenden Mütter mit ihrer Gesichtshaut. Die meisten Mütter bemerkten, dass sich mit der Schwangerschaft die Haut veränderte. Meist wurde sie als fettiger oder trockener beschrieben. Einige Mütter hatten mit Akne zu kämpfen, was als Problem beschrieben wurde. Die Haut musste nun anders gepflegt werden. Einige suchten Kosmetikerinnen auf, die mit diesem Problem umgehen sollten. Andere vertrauten auf Homöopathie und Naturheilmittel. Es schien allerdings bei wenigen Kontrolle über die Haut möglich zu sein. Hier wurden in Interviewstellen gelegentlich Referenzen zur Pubertät gemacht. In dieser Zeit erlebten werdende Mütter eine ähnliche Kontrolllosigkeit über Veränderungen ihres Körpers. Sind Hautprobleme nicht im Vordergrund, kann Eincremen und Behandeln, ähnlich wie bei der Pflege der Körperhaut, Freude bereiten und eine Zeit für sich selbst bedeuten. Die Veränderung der Haut wurde freudig entgegengenommen und mit Wässerchen und Lotions gepflegt. Freude über die Schwangerschaft war hier verbunden mit Freude über den eigenen Körper und mit Veränderungen dessen. Einige Schwangere hatten mit Krampfadern zu kämpfen, die ebenfalls mit Cremen und Ölen behandelt werden wollten. Krampfadern befanden sich meist auf den Waden, konnten aber auch im Vaginalbereich sitzen. Am Markt gab es spezifisch für dieses Problem zugeschnittene Pflegecremen. Stärkere Probleme wurden mit, von der Gynäkologin oder dem Hausarzt verschriebenen, Cremen und Gelen behandelt. Stützstrümpfe und spezielle Stützkorsette erleichterten zusätzlich den Alltag. Abgesehen davon, dass die Frauen die Krampfadern als hässlich beschrieben, konnten diese mit Schmerzen und verminderter Bewegungsfähigkeit verbunden sein, da Frauen immer wieder die Füße hochlegen
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mussten. Die Bewegungsfreiheit der Frauen konnte hier stark eingeschränkt werden, vor allem mit zunehmendem Fortschritt der Schwangerschaft. Sehr gute Stützstrümpfe, ab dem ersten Trimester getragen, konnten bei manchen Abhilfe schaffen. Andere wiederum konnten kein Mittel finden, dass die Probleme verminderte und diese fühlten sich ihren Beinen ausgeliefert. Dieses Gefühl des Ausgeliefertseins verstärkte sich, wenn Wasseransammlungen in den Füßen oder anderen Körperstellen oder Hämorriden hinzukamen. Zusätzlich zum gewachsenen Bauch und zum gewöhnlichen Cremen gegen Schwangerschaftsstreifen kamen in diesen Fällen viele Stellen hinzu, die Aufmerksamkeit verlangten. Die Pflege des Körpers beanspruchte dann viel Zeit und Stehen, Sitzen und Gehen waren bei manchen kürzer als üblich möglich. In diesen Fällen war Schwangerschaft mit Beschwerden und Einschränkungen verbunden. Die werdenden Mütter konnten sich nicht mehr so bewegen wie vorher und einigen gewohnten Wegen oder Interessen nicht mehr nachgehen. Die werdenden Mütter deuteten dies wieder mit einem Kontrollverlust über den Körper, indem dieser innerhalb des Subjektes als abgetrennt, aber unentfliehbar figuriert wurde. Im letzten Trimester nahm die Dammmassage für einige Frauen einen wichtigen Stellenwert in der Selbstpflege ein. Mit einem speziellen Öl oder einer Salbe wird der Damm einer wöchentlichen bis täglichen Massage unterworfen, damit dieser weicher und elastischer wird und Risse während der vermieden oder vermindert werden können. Viele Hebammen sind von dieser Massage überzeugt. Ein Paar hatte diese mit einer genauen Anleitung von ihrer Hebamme empfohlen bekommen und auch das passende Öl dazu. Andere Informantinnen lasen in Foren oder Überblicksportalen über die Methode und einige entschieden sich, diese anzuwenden mit der Hoffnung auf eine einfachere Geburt, weniger Geburtsschmerz und vor allem eine schnellere Heilung nach der Geburt. Sich verändernde Körper Die Behandlungen fanden meist im privaten Badezimmer statt. Sie waren Teil einer spezifischen Zeitspanne, die die Schwangere mit sich und ihrem Körper verbrachte und diesen auch zelebrierte. Vor allem jene Informantinnen, die früh von ihren Berufen freigestellt wurden und nun mehr Zeit hatten, fanden in der Körperpflege eine Möglichkeit, die eigene Schwangerschaft täglich zu feiern. Als der Geburtstermin näher rückte, waren einige Frauen mit voranschreitender Unbeweglichkeit konfrontiert. Der Körper verlangte mehr Aufmerksamkeit. Körperpflege wurde dann immer weniger ein Genuss, als vielmehr zu etwas Notwendigem, um Schmerzen oder Verletzungen des Körpers zu vermeiden. In
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den Gesprächen rund um die Körperpflege trat bei den Informantinnen im letzten Trimester die schwierige Seite der Schwangerschaft stärker hervor. Schwangere waren durch die Größe des Fötus und durch die Schwangerschaft innerhalb weniger Monate großen Veränderungen ihrer körperlichen Materialität ausgesetzt. Eine so veränderte Körperform und Masse wurde als belastend für Skelett und Muskeln betrachtet. Die Fortbewegung wurde schwieriger und in manchen Fällen schmerzhaft. Gegen Ende der Schwangerschaft wurden diese Veränderungen für viele werdenden Mütter zu einem wichtigen Partizipierenden, der sie als Subjekte figurierte und der sie in ihren Möglichkeiten formte. Schwangerschaft trainieren Einige werdende Mütter in meiner Studie begannen in der Schwangerschaft mit Yoga, langen Spaziergängen, Radfahren oder Schwangerschaftsgymnastik ihren Körper für die Geburt, aber auch für das letzte Drittel der Schwangerschaft zu stärken. Ziel dieser Methoden war es, den Körper spezifisch zu bewegen und durch Kontraktionen und Entspannung der Muskeln diese aufzubauen und gleichzeitig zu lockern. In den Diskursen der werdenden Eltern wurde eine starke Tiefenmuskulatur als wichtiges Mittel bezeichnet, wenn der Bauch größer wurde, die Schwerpunkte sich veränderten und/oder der Fötus an verschiedenen Stellen des Körpers presste und der Körper mehr Gewicht tragen musste. Ein starker Rücken und Beckenboden könnten, so die Erzählungen der werdenden Mütter und Hebammen, die Schwangerschaft und die Geburt besser bewältigbar machen. Viele werdende Mütter wurden nun Teile von Praktiken, die gezielt bestimmte Muskeln kräftigten. Diese Tätigkeiten wurden entweder zuhause oder in Räumen außerhalb, wo mehrere Schwangere zusammen kamen, ausgeführt. Wenn die Teilhabe an diesen Assemblages Muskeln nicht gestärkt und gelockert hatten, waren sie zumindest mit mentalen Konzepten verbunden, sie würden den Müttern helfen und zur Entspannung beitragen. Die werdenden Mütter wurden hier so figuriert, dass sie Kontrolle über ihre Kraft ausüben konnten. Mehr Übungen oder spazieren war verbunden mit mehr Kraft und Ausdauer bei der Geburt. Den werdenden Müttern wurde hier die Teilhabe an Tätigkeiten eröffnet, die ihnen Kontrolle über ihre Körper versprachen, indem sie mit diesen Körpern Bewegungsabfolgen ausführten. Jene werdende Mütter, die auf Grund ihres körperlichen Zustands sehr bewegungseingeschränkt waren, berichteten von Muskelübungen, die sie auch im Bett oder am Sofa ausführen konnten. Wenn etwa langes Gehen nicht mehr möglich war, konnten werdende Mütter zuhause Übungen im Liegen oder Sitzen durchführen. Ziel war es auch hier, zumindest minimal Kontrolle über den Kör-
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per ausüben zu können. Wenn die Schwangerschaft die körperliche Bewegungsfähigkeit einschränkte, war es den werdenden Müttern wichtig den Körper trotzdem zu trainieren und somit auf die kommende Geburt vorzubereiten. Eine Mutter etwa übte kreisende Bewegungen ihrer Hüften im Sitzen, aber auch im Stehen. Ihr Ziel war es, dass diese Übung dann bei der Geburt ihre Wehen erleichtern würden. Die werdenden Mütter wollten optimal auf die Geburt vorbereitet sein und andererseits Kontrolle über diesen unvorhersehbaren Vorgang erlangen, indem sie in der Gegenwart Bewegungen ausführten, die ein Ereignis in der Zukunft einfacher bewältigbar machen sollte. Die werdenden Mütter waren, wie in so vielen anderen Praktiken, als jene figuriert, die einen Prozess antizipieren können und diesen bereits beeinflussen können durch eine Anzahl von ausgeführten Tätigkeiten, die in diesem Falle auf den eigenen Körper gerichtet waren.
S CHWANGERSCHAFT
FÜHLEN
Schwangerschaft war für die werdenden Mütter auf verschiedenen Ebenen spürbar. Einerseits waren äußerliche Veränderungen zu erfühlen und es war zu beobachten, dass der Körper mit anderen gewohnten Partizipierenden, wie der gewohnten Kleidung oder gewohnten Gegenständen und Möbelstücken, nicht mehr so zusammenpasste wie vorher. Ab einem bestimmten Zeitpunkt war der Fötus nicht nur durch Übelkeit auch innerlich spürbar: Werdende Mütter konnten dann die Bewegungen ihres Kindes nicht nur am Bildschirm der Gynäkologin sehen, sondern auch fühlen. Eine Veränderung der Morphologie war für manche Informantinnen ab dem zweiten Monat zu bemerken, für andere erst ab dem vierten. Die ersten Veränderungen wurden meist damit beschrieben, dass Kleidungsstücke nicht mehr passten. Die Hose wurde plötzlich enger oder der Büstenhalter zu klein.11 Oder auch
11 »Mit dem Thema war ich eh schon bald mal konfrontiert weil da war ich sechs Wochen schwanger, da hab ich mir einen Schwangerschafts-BH kaufen müssen, um eine Körbchengröße mehr, und da hab ich überhaupt nicht damit gerechnet, dass das so schnell geht, weil da ist man grade noch mit dem Gedanken warm geworden, dass man jetzt schwanger ist [...] und jetzt wachsen sie noch immer und ich denk mir schon, wie weit geht das noch, aber das ist auch zwischen Mann E und mir so ein Thema wo wir Scherze drüber machen, das hilft mir, dass wir da Witze machen können, nicht so, dass man das Problem hat damit, wie sich das verändert, aber das hat man, außer sonst in der Pubertät, nicht eigentlich, vielleicht wenn man alt wird und Falten kriegt, aber dass da was vorgeht im Körper, das man nicht beeinflussen kann,
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umgekehrt, falls eine Schwangerschaftsübelkeit stark ausgeprägt war. Dann wurden Kleidungsstücke erst einmal weiter, bis sie dann an manchen Stellen zu »zwicken« begannen. Der wachsende Bauch verlangte immer wieder nach neuen Kleidungsstücken, in die er hineinpassen wollte. Aber auch enge Ecken in der Wohnung oder Möbelstücke wurden für einige Informantinnen zum Problem. Durch ihre Morphologie waren diese plötzlich zu klein, zu eng oder nicht mehr passierbar. Auf flachen Möbelstücken, wie etwa dem Bett, konnten manche werdenden Mütter jetzt nicht mehr so liegen wie zuvor. Der Bauch war im Weg. Die Schwangerschaft wurde in diesen Praktiken durch den Kontakt mit anderen Partizipierenden fühlbar. Die anderen Partizipierenden wurden als jene figuriert, die »gleich bleiben« und der Körper der Frau wurde dadurch als jener figuriert, der sich verändert, nicht mehr passt und nach neuen Partizipierenden und Umgebungen verlangt. Mit voranschreitender Schwangerschaft wurden Tritte und Kindsbewegungen verstärkt wahrnehmbar. Manche wollten ab der 15. Schwangerschaftswoche leichte Bewegungen wahrgenommen haben, andere erst in der 20. Woche. Die Informantinnen erklärten aber, dass am Anfang Kindsbewegungen und andere Regungen des Körpers schwer zu trennen seien und sie oft nicht sicher waren »ist das nun das Kind oder der Darm?«12. Später wurden Tritte heftiger und unverwechselbar. Gegen Ende der Schwangerschaft waren sowohl viele Bewegungen als auch Drehungen des Kindes spürbar. Viele werdende Mütter meinten, dass dies die Verbindung zum Fötus stärkte und die Schwangerschaft nocheinmal bewusster wurde. Die Eltern erlebten Bewegungen als direkten Kontakt zum Kind. Das wachsende Kind konnte sich nun bemerkbar machen und war nicht nur durch Symptome wie Übelkeit oder einen verändernden Körper indiziert, sondern direkt spürbar. Doch was am Beginn sehr schön sein kann, konnte im letzten Drittel der Schwangerschaft zur Schwierigkeit werden, wenn Bewegun-
dass da alles Mögliche wächst und sich verändert und man kann gar nichts dagegen machen, also ich denke, es ist eh besser, man akzeptiert das. Mit dem Bauch, da hab’ ich zwischendurch schon ein paar mal so Phasen gehabt, da, wo ich mir gedacht hab mah, also da war da Bauch eigentlich noch klein [...], wo man sich dann so aufgedunsen vorkommt und wenn man dann merkt, die Hosen passen nicht mehr und die Leiberl werden immer zu kurz, das ist schon frustrierend und wo man dann so ein wenig in ein Loch fällt, wo ich mir denk, das wird jetzt sicher noch viel viel mehr und das verunsichert einem dann. Und natürlich kommt dann die Frage, wie nimmt der Partner das wahr, findet der das dann schön oder schirch oder wie halt immer.« (Frau E) 12 »Am Anfang glaubst’ noch, das ist der Darm oder so und der Frauenarzt sagt dann, nana, das ist schon das Kind [lacht].« (Frau J)
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gen des Kindes den Schlaf der Mutter verhinderten oder diese am Tag in ihrer Bewegungsfreiheit einschränkten. Während für die werdenden Väter die Veränderungen der Morphologie stärker sichtbar als fühlbar waren (siehe nächsten Abschnitt), waren Kindsbewegungen etwas, was ihnen durch Handauflegen haptisch vermittelbar war. Kindsbewegungen waren in den Erzählungen für die werdenden Väter einerseits ein Grund, sich noch mehr von der Schwangerschaft ausgeschlossen oder entfremdet zu fühlen, da diese nicht ständig für sie spürbar waren, andererseits gleichzeitig eine Möglichkeit, das Kind mittels ihres Tastsinns wahrzunehmen. Die Tritte waren in der späten Schwangerschaft auch sichtbar (siehe nächsten Abschnitt). Einige Väter berichteten davon, dass sie bei dem Kind Reaktionen auf den Handkontakt spürten und auf diese Weise mit dem Kind kommunizierten.
S CHWANGERSCHAFT » ANSCHAUEN « Im zweiten Trimester beginnt der Bauch zu wachsen und körperliche Veränderungen werden von außen stärker sichtbar. Für viele werdenden Eltern war dies eine notwendige Evidenz dafür, dass tatsächlich eine Schwangerschaft besteht (siehe Kap. 11). Der tägliche Blick in den Spiegel, für den Bauchvergleich und um andere Veränderungen festzustellen, wurde vor allem für werdende Mütter sehr wichtig. Werdende Väter betrachteten mit Interesse, Freude, aber auch Unwohlsein die Veränderungen am Körper der Partnerin. Einige Väter wollten auch am eigenen Körper Veränderungen verspürt haben. Um die Veränderungen festzuhalten, wurden diese häufig elektronisch dokumentiert. Die Veränderung sehen Die Begutachtung des Körpers fiel zusammen mit der Körperpflege und wurde nach dem Aufstehen oder beim Ankleiden durchgeführt. Die Frauen stellten sich seitlich vor dem Spiegel auf und betrachteten Bauch, Brüste und andere Körperformen, die sich der Meinung der werdenden Mutter nach veränderten.13 Sie ent-
13 »Also jetzt ist es auch schon, wenn ich mich nackt vor dem Spiegel stell’, dass ich ein kleines Bäuchlein hab’, aber es ist sehr klein und eher noch zu erahnen und irgendwie passt’s, und dass ich das Kind bewegen gesehen hab’, und Schritt für Schritt macht es mir das auch immer mehr bewusst, dass das wirklich ein Baby in meinem Bauch ist.« (Frau C)
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deckten einen vorhandenen und wachsenden Bauch, wachsende Brüste und Körperteile, die ihre Form veränderten, etwa Arme, Oberschenkel und Hinterteile, die Fettpolster ansammelten. Schwellungen an den Füßen oder Krampfadern veränderten das Aussehen der Beine zusätzlich. Betrachtet wurde nicht nur die Form, sondern auch Veränderungen der Oberfläche. Einige Informantinnen erzählten von verändertem Haarwuchs (Haarwuchs auf Bauch, Brust oder Gesicht) und neu entdeckten Körperstellen (Flecken, Hautschuppungen), die nun anderer Struktur oder Farbe waren als ein paar Monate zuvor. Manche Frauen erlebten so, dass sich nach und nach ein völlig anderer, auch als fremd erlebter Körper ausbildete, der gleichzeitig trotzdem noch als derselbe Körper wie vor einem halben Jahr erkennbar war. Die Frauen sind figuriert als sich Ändernde, die trotzdem die gleiche Person bleiben und als diese weiter erkennbar bleiben, trotz großer Veränderungen der Morphologie. Die exklusive Stellung des Körpers, als Zusammenhang von Formen und Oberflächen, als Teil des Subjekts, wurde in diesen Tätigkeiten wieder deutlich figuriert. Die Veränderungen wurden nicht nur von der Frau selbst gesehen, sondern auch von deren Partnern und anderen Personen aus dem sozialen Umfeld. Diese machten Kommentare über den sich verändernden Körper. Die Veränderungen wurden positiv oder negativ konnotiert. »Du siehst so gut aus« oder »Die Schwangerschaft steht dir so gut« waren Aussprüche, mit denen hochschwangere Informantinnen immer wieder konfrontiert waren. Zu hören waren auch Sprüche wie »du hast ordentlich zugenommen« oder »deine Brüste sind jetzt x-mal so groß« und Witzeleien über ihre zunehmende Behäbigkeit, die affirmativ aber auch bösartig ausfallen konnten. Im letzten Trimester der Schwangerschaft, selten schon früher, werden Kindsbewegungen nicht nur fühlbar, sondern auch von außen sichtbar. Der Bauch verformt sich bei heftigen Tritten des Fötus. Dies ist für die werdende Mutter, aber vor allem den Partner und das Umfeld, ein interessantes bis unheimliches Erlebnis. Ein Informant schilderte, dass es gruselig sein kann, wenn der Bauch sich bewegt und dass ihm der hochschwangere Bauch gespenstisch vorkam. Eine andere Informantin erzählte lebhaft über Fremde in der Straßenbahn, die ihren Bauch sahen, betrachteten, beurteilten und erschrocken über sichtbare Tritte waren. Es wird nun von außen sichtbar, dass sich im Bauch der Frau Leben befindet, das sich mitunter lebhaft bewegt. Die Evidenz für das Dasein des Fötus ist nicht nur spürbar, sondern täglich sichtbar.
»Ich schau dann öfter morgens im Spiegel und oft merk’ ich nix und dann merk’ ich oft gleich volle Veränderung. Dann is’ alles gewachsen.« (Frau H)
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Die Veränderungen dokumentieren Um diese körperlichen Veränderungen zu dokumentieren, fotografierten viele werdende Eltern ab dem 2. Trimester den Frauenkörper regelmäßig in der gleichen Position. Veränderungen wurden dadurch stärker sichtbar, da die Bilder nebeneinander am Laptop oder ausgedruckt betrachtet werden konnten. Bilder des vergangenen Körpers konnten mit dem aktuellen Körperbild verglichen werden. Die bildlichen Beweise einer Veränderung dienten einerseits dazu, die körperlichen Metamorphosen genau zu dokumentieren und andererseits diese erinnerbar und wiedererfahrbar zu machen, auch für das zukünftige Kind, das diese Bilder vielleicht einmal betrachten wird. Die Fotos wurden mit Datum und Schwangerschaftswoche versehen und enden mit der Schwangerschaft oder mit den ersten Babyfotos. Eventuelle Veränderungen des Männerkörpers in dieser Zeit wurden in keinem Fall dokumentiert.
F IGURATIONEN VON V ATER , M UTTER UND K IND IN DEN ERNÄHRUNGS - UND KÖRPERZENTRIERTEN P RAKTIKEN Die Praktiken, an denen die werdenden Mütter teilhatten, beinhalteten Ernährungsregeln mit Verboten bestimmter Lebensmittel (Rohes und Alkohol) und Anleitungen zum »richtigen« Essen in der Schwangerschaft (viel Gemüse, Eiweiß und gute Fette). Werdende Mütter waren ebenfalls konfrontiert mit Bewegungsempfehlungen und Angeboten, den Körper der Schwangerschaft entsprechend zu trainieren. Die werdenden Mütter waren Teil von Assemblages, die ihnen eine Reihe von Produkten zur Pflege des schwangeren Körpers anboten, um diesen gesund und schön zu erhalten. Der im Körper der Mutter neu heranwachsende Körper, der zunehmend größer wird, veränderte vor allem ab dem zweiten Trimester die Morphologie des mütterlichen Körpers. Der Bauch, Brüste und andere Stellen des Körpers wuchsen und Venen und Muskeln des Körpers reagierten auf diese Veränderungen, bei manchen auch mit spürbaren Schmerzen. Das Kind konnte ab dem zweiten Trimester von der Mutter erspürt und von außen ertastet werden. Kindsbewegungen wurden nun klarer erkennbar und im dritten Trimester sehr intensiv erlebt. Der Vater konnte ab Ende des zweiten Trimesters auch von außen Kindsbewegungen wahrnehmen oder dieses ertasten. Den Eltern war es möglich, mit Hilfe von Spiegeln diese Veränderungen zu sehen und diese mit elektronischen Mitteln zu dokumentieren.
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Mit dem Wachsen des Bauches und körperlichen Veränderungen und Beschwerden, die nun auch für andere sichtbar wurden und durch das Wissen anderer Personen über die Schwangerschaft mehr Aufmerksamkeit erhielten, wurde die werdende Mutter mehr auf ihre Funktion als werdende Mutter zentriert. Berufliche Funktionen und private Interessen traten in den Hintergrund, der Bauch und der Körper spürbar und sichtbar in den Vordergrund. Die werdenden Mütter bezeichneten diese Zeit als bewusstere Schwangerschaft, da Unsicherheiten als Partizipierende der Praktiken zurücktraten. Nun durften Mann und Frau schwanger sein und dies zelebrieren. Das Pflegen und Spüren des Körpers, sowie Ernährungsregeln, waren in diesen Assemblages Möglichkeiten, die Schwangerschaft im Alltag zu leben und auch durch diese zu leben. Ernährungsregeln und Regeln des körperlichen Trainings setzten schon früh in der Schwangerschaft ein, häufig schon vor der Schwangerschaft in der Bastelphase. In den Praktiken um Ernährung und körperlichem Training ist Schwangerschaft schon früher ein Partizipierender als in anderen Praktiken. Während in den Praktiken zur Herstellung von Evidenz die Schwangerschaft ständig als unklar und unsicher figuriert wird, manifestiert sich eine Schwangerschaft in den Praktiken rund um Essen und Körperwahrnehmung möglicherweise schon, bevor eine Schwangerschaft überhaupt besteht. In den Zeiten der noch unsicheren Schwangerschaft tranken die Informantinnen in dieser Studie keinen Alkohol und hielten sich an Ernährungsregeln. Hier finden wir also Tätigkeiten, die die Schwangerschaft als Partizipierenden manifestieren, auch wenn sie materiell noch nicht vorhanden war oder unklar war, während sie in den Praktiken zur Herstellung von Evidenz materiell zwar vorhanden ist, in den Assemblages aber häufig relativiert und demanifestiert wurde. Die werdenden Eltern in meiner Studie erzählten die Schwangerschaft als körperlich anspruchsvollste Zeit, auch wenn sie körperintensiveren Berufen nachgingen. Eine körperliche Veränderung in dieser Geschwindigkeit mitzuerleben, war eine einmalige und völlig neuartige Erfahrung, die am ehesten noch mit körperlichen Veränderungen in der Pubertät verglichen werden konnte. Die werdenden Mütter wurden als jene figuriert, die diesen Veränderungen einerseits ausgeliefert waren und andererseits mit Hilfe bestimmter Ernährung und Pflege in bestimmten Bereichen Kontrolle ausüben konnten. Bezüglich Veränderungen und Schmerzen berichteten die werdenden Mütter immer wieder von Gefühlen der Kontrolllosigkeit. Spezifische Ernährungsregeln und akribische Pflege des Körpers, um etwa Schwangerschaftsstreifen zu vermeiden, figurierten die werdenden Mütter als jene, die die zukünftigen Fähigkeiten des Kindes und die Schönheit des eigenen Körpers in der Hand hatten.
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Der Babybauch der werdenden Mütter war klar mit Feminität verbunden. Zugleich entdeckten die werdenden Frauen gerade zu dieser Zeit, als ihr Körper »die femininste Figur überhaupt« aufweisen sollte, zahlreiche männlich konnotierte Veränderungen an ihrem Körper. Es wuchsen manchen Frauen Haare an Bauch, Brust oder Gesicht, die Füße wuchsen, die Haut verdickte sich an manchen Stellen und einige Frauen hatten mit Akne zu kämpfen. Diese Körperphänomene mussten für einige Frauen korrigiert werden (durch Rasur oder Behandlung), um einen Körper mit glatter, schöner und zarter Haut zu modellieren. In den Assemblages wurden Merkmale, die Grenzen zwischen Frauen- und Männerkörpern unklarer machten, beseitigt. Andere Frauen konnten diese »Schönheitsfehler« zulassen und ließen dem Körper ungewollte Auswüchse. Ein Bild der schönen Schwangeren, das auf Überblicksseiten und in Büchern zu sehen ist, sowie gesellschaftliche generelle Schönheitsregeln, waren Partizipierende in diesen Praktiken und leisteten Abgrenzungsarbeit, um weibliche und männliche Körper voneinander zu trennen. Die werdenden Väter wurden als jene figuriert, die ihre Gesundheit in der Hand haben und als Unterstützer der Mütter und des zukünftigen Kindes körperlich und geistig fit sein müssen. Sie übernahmen in den Praktiken Positionen, die auf die Schwangere gerichtet waren und dokumentieren Bäuche und ertasten Tritte ihres Kindes. Die Figuration des Fötus in den Praktiken um Ernährung, Spüren und Betrachten des Körpers manifestierte auch die Trias von Vater, Mutter und Kind als zusammengehörigen Bund. Frau und Kind sind materiell verbunden und die werdende Mutter ist so figuriert, dass sie mit ihren Tätigkeiten mit Fähigkeiten ausgestattet ist, auch das Kind zu figurieren. Der werdende Kindsvater kann nun in den Praktiken durch den Körper der Frau hindurch das Kind spüren. Er hat das Privileg, diese Tätigkeiten immer wieder durchführen zu dürfen. Seine Verbindung zu dem Kind manifestiert sich in diesen Tätigkeiten.
14 Mädchen- oder Buben-Eltern werden Sexing des Fötus
Der Fötus, der im zweiten Trimester als sicher figuriert wurde und im Bauch der Mutter wuchs, bekam zwischen der 15. und der 21. Woche in den meisten Fällen ein Geschlecht zugeschrieben. Während der Ultraschalluntersuchungen wurde dies von der Gynäkologin bestimmt und mitgeteilt. War es in den regelmäßigen Ultraschalluntersuchungen nicht möglich, das Geschlecht zu bestimmen, dann konnte es in fast allen Fällen beim Organscreening festgestellt werden. Vielen werdenden Eltern war es sehr wichtig, das Geschlecht des Kindes zu wissen, um den Fötus richtig adressieren zu können und um über passende Namen nachzudenken oder passende Produkte für diesen zu kaufen. Eine schwierigere Aufgabe als das Feststellen des Geschlechts war es, die Feststellung zu verweigern. Eltern, die das Geschlecht ihres Kindes noch nicht wissen wollten, mussten aktiv daran arbeiten, dass das Geschlecht nicht aus Versehen mitgeteilt oder »entdeckt« wurde.
G ESCHLECHTSBESTIMMUNG Die Geschlechtsbestimmung wurde bei den Paaren in meiner Studie meist um die 20. Woche durchgeführt. In den meisten Fällen wurde den werdenden Eltern das Geschlecht bei einem Termin zum Ultraschall mitgeteilt.1 Bei zwei Infor-
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»Mein Frauenarzt hat jetzt gesagt, er kann noch nicht feststellen, was es ist. Das war mir egal, mir war nur wichtig, es ist gesund [...] und der Arzt schaut halt dann so [beim Organscreening, Anm. CS] da ist das und da ist das, übrigens, es wird ein Mädchen. Und ich hab’ da immer noch auf diesen Bildschirm geschaut und er so: ›haben Sie jetzt grad gemerkt, was ich gesagt habe‹. ›Na wos‹. ›Na, ein Mädchen‹. ›A, ok
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mantinnen war das Geschlecht bei den regulären Ultraschalluntersuchungen noch nicht zuordenbar. Beim Organscreening wurde ein höher auflösender Ultraschall verwendet, der auch die Geschlechtsteile des Kindes besser darstellen kann. Nur in seltenen Fällen, wenn kein gutes Bild möglich war oder der Fötus sehr ungünstig lag, konnte bei dieser Untersuchung das Geschlecht nicht festgestellt werden. Die Gynäkologin kann mit diesen hochauflösenden Ultraschallgeräten mit hoher Wahrscheinlichkeit das Geschlecht richtig bestimmen. Erste Bestimmungen im Laufe der Ultraschalldiagnostik konnten sich aber noch ändern. Einem Paar wurde bei der ersten Bestimmung des Geschlechtes bei der Gynäkologin ein anderes Geschlecht mitgeteilt als später beim Organscreening oder bei späteren Ultraschalldiagnosen. Die meisten werdenden Eltern zeigten aber keine Unsicherheit bezüglich des genannten Geschlechtes. Wenn ein Mädchen oder Junge prognostiziert wurde, gingen diese auch davon aus, dies zu bekommen. Nur ein Paar wehrte sich ganz gegen die Bestimmung des Geschlechts, weil sie den Möglichkeiten der Gynäkolog*(inn)en nicht trauten. Aus Angst vor einer Fehlbestimmung und falscher Aufregung verweigerten sie die Bestimmung des Geschlechtes. Ein anderes Paar in meiner Studie wollte sich überraschen lassen. Das Paar erklärte, dass es ihnen nicht wichtig war, welches Geschlecht das Kind haben werde und dass sie mit dieser Information bis zur Geburt warten wollten. Die Informantinnen berichteten, dass sie den Moment der Bestimmung schon mit Spannung erwartet haben. Einige hatten schon bei Untersuchungen vor der Bestimmung bei der Gynäkologin ungeduldig nachgefragt, ab wann die Bestimmung möglich sei. Die werdenden Eltern berichteten von großer Neugierde, ob es nun ein Bub oder ein Mädchen werden würde. Es war diesen Eltern wichtig, dies so früh wie möglich zu wissen, mit der Begründung, dass sie das Kind ansprechen wollten.2 Bei der innerlichen Kommunikation wollten sie schon das
cool und sonst‹ und er ›na normalerweise tun die Frauen immer so joooo oder naaaa i wolt an buam‹. Mir war das ja wurst, mir war das ja schon immer egal [...] ich hab’ nur gehört, dass alles ok ist und alles andere hab’ ich schon ausgeblendet.« (Frau J) 2
F: »Das war so in er 20., in der 21. Woche [...] Also ich hab’ von Anfang an gesagt, dass ich glaub’, dass es ein Mädchen wird, das war irgendwie Gefühlssache. [...] Mein Freund hat aber glaub’ ich geglaubt, es wird ein Junge. Und dann hat die Gynäkologin gefragt, ob ich, ob wir es wissen wollen. Ja klar, und dann ja, dass es ein Mädchen wird.« I:« Hat es was verändert, dass man das weiß?« F: »Ja, man bekommt mehr Bezug zu dem Kind weil es noch konkreter wird und man setzt sich mit einem Mädchen auseinander. Mein Freund war kurz enttäuscht. Es ist so, Männer wünschen sich oft Jungs, er hat sich aber eh gleich angefreundet mit der
G ESCHLECHTSBESTIMMUNG
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richtige Geschlecht verwenden und einige wollten auch Namen und Produkte bereits dem Geschlecht entsprechend aussuchen. Die Einrichtung des zukünftigen Zimmers und Babyspielsachen konnten mit dem Wissen um ein Geschlecht passend nach Geschlechtstypus eingekauft werden (siehe Kap. 15). Auch werdende Großeltern, Freunde und Verwandte warteten häufig bereits auf die Bestimmung des Geschlechts und fragten bei den werdenden Eltern wiederholt nach. Die Bestimmung des Geschlechtes hat in den Erzählungen einiger Eltern stark zu der Verbindung zum Fötus beigetragen. Zu dem werdenden Kind konnte nun »so richtig« eine Beziehung aufgenommen werden. Das Geschlecht verlieh dem Fötus etwas »richtig Menschliches«. Es wurde zu Er oder Sie und zu dem zukünftigen Mädchen oder Buben. Die Bestimmung förderte das Bewusstsein für die bevorstehende Elternschaft und für die bestehende Schwangerschaft. Die Eltern berichteten, dass sich am Geschlecht dann die Vorstellungen mit dem zukünftigen Kind ausrichteten. Das Kind wäre durch die Geschlechtsbestimmung in ihren Gedanken realer geworden. Nachdem das Baby im Ultraschall begann, menschlich auszusehen, bekam es nun die ersten menschlichen Attribute. Es wurde als Mädchen oder Bub figuriert mit erwarteten zukünftigen Eigenschaften.
V ERWEIGERUNG
DER
G ESCHLECHTSBESTIMMUNG
Weitaus schwieriger verlief es für die werdenden Eltern in meiner Studie, die die Geschlechtsbestimmung verweigerten. Am Beginn der Ultraschalluntersuchungen wurde den Gynäkologinnen mitgeteilt, dass sie keine Bestimmung möchten und dass sie den Fötus nicht aus Versehen mit sie oder ihn ansprechen oder besprechen soll. Dies wurde am Beginn jeder Ultraschalldiagnostik verlautbart. Vor allem wenn die Ärztinnen und Ärzte wechselten, weil zusätzliche Ultraschalldiagnostiken im Krankenhaus oder privaten Praxen durchgeführt wurden. Bei den Paaren in meiner Studie funktionierte bis zum Zeitpunkt des Interviews diese Verweigerung. Auch wenn Verwandte, Freunde und Bekannte immer wieder fragten, was es denn nun werde, und in Geschäften und bei der Gestaltung
Situation. Aber ja, man kann halt auch ein Mädchen als Kleine oder so ansprechen, es ist und man kann halt beginnen, einen Namen zu suchen.« (Frau F) »Ich hab’s gewusst ab der 18. Woche [...] Ich wollte immer wissen, was es wird, weil ich wollte es richtig ansprechen im Bauch. Wenn sie zum Beispiel gestrampelt hat, konnte ich sagen, was strampelst denn so, oder reg’ dich nicht so auf, oder bist ja mein Mädl.« (Frau B)
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der Räumlichkeiten des Babys immer wieder nach dem Geschlecht gefragt wurde oder es nur Produkte gab, die spezifisch auf ein Geschlecht verwiesen. Die werdenden Eltern mussten immer Rechenschaft darüber ablegen, dass sie das Geschlecht noch nicht wissen wollten. Eltern lasen in Foren von andern Eltern, denen das Geschlecht aus Versehen mitgeteilt wurde, als der oder die Gynäkologe/-in sich versprochen hatte oder vergessen hatte, dass er oder sie das Geschlecht nicht nennen soll. Solche Informationen können dann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Einige Frauen erzählten in Forum 1 davon, dass sie das Geschlecht am Ultraschallbild beim Organscreening selbst erkannt hätten, als die Gynäkologin die Genitalien schallte. Sich vor dieser Information zu verschließen war also schwierig und mühsam für die werdenden Eltern. Das Geschlecht des Kindes wird ab der 15. Woche herum zu einem wichtigen Partizipierenden, dem die Eltern sich schwer verschließen konnten. Dies zu tun war in den Praktiken mit Rechtfertigungen und wiederholten Hinweisen auf den Wunsch, sich der Information zu entziehen, verbunden. Die werdenden Eltern wurden als solche figuriert, die mit einem ungewöhnlichen Wunsch ausgestattet sind. In der Ausführung vieler Tätigkeiten wurden sie darauf hingewiesen und mussten beharrlich sein oder Widerstand leisten. Einige Eltern waren mit dieser Beharrlichkeit erfolgreich und konnten die Klassifizierung des Ungeborenen als Mädchen oder Bub verhindern. Die Eltern entkamen der Klassifizierung ihres Kindes auf lange Sicht aber nicht. Das wollten die werdenden Eltern auch nicht. Das Geschlecht wurde von einigen Eltern in meiner Studie zwar in Ansätzen relativiert, Zweigeschlechtlichkeit an sich wurde aber von keiner Informant*in in meiner Studie in Frage gestellt. Auch in den Forenbeiträgen, in Büchern, Broschüren und in der Überblicksliteratur ist kaum die Rede von einer Hinterfragung der Einteilung des Menschen in Frau und Mann. Lediglich in der medizinischen Literatur fanden sich Hinweise auf Abweichung von der Norm in Verbindung mit genetischen Anomalien. Werdende Eltern, die eine vorgeburtliche Bestimmung verweigerten, wollten eine Verschiebung der Kategorisierung erreichen, auch, um ein Denken in Mädchen- und Bubenwelten bereits vor der Geburt zu vermeiden. Wenn bei der Geburt dann das Geschlecht bestimmt wurde, war die Umgebung noch nicht vollständig auf ein bestimmtes Geschlecht vorbereitet, was den Unterschied machte, dass das Kind noch nicht in einer bereits vorbereiteten Mädchen- oder Bubenwelt ankam, sondern diese erst nach der Geburt um sie oder ihn herum aufgebaut wurde.
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M ÄDCHEN -
ODER
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WERDEN
Die Klassifikation des Kindes in eines von zwei Geschlechtern macht die werdenden Eltern zu einem von zwei möglichen Elternpaaren (abgesehen von Mehrlingseltern). Die Eltern werden bei der Bestimmung zu zukünftigen Buben- oder Mädchen-Eltern gemacht. Als diese wurden sie ab nun adressiert, sofern Dritte von der Klassifikation wussten. Bei vielen Gelegenheiten, ob nun in Gesprächen mit Verwandten oder Freunden oder auch beim Einkaufen von Produkten, wurden sie nach dem Geschlecht ihres Kindes gefragt und daraufhin spezifisch behandelt. Auch die Eigenschaften, die den werdenden Eltern zugeschrieben wurden, hingen davon ab.3 Bei einem zukünftigen Mädchen wurde den Eltern manchmal eine rosa Welt vorgemalt, in der sie sich bald befinden würden. Bei Jungs spekulierten vor allem männliche Familienmitglieder bereits mit zukünftigen gemeinsamen sportlichen Betätigungen. »Dann werde ich mal mit dem Kind Fußball spielen« ist eine beliebte Vorstellung von Onkeln und Großvätern, wenn sie erfahren, dass ein Junge zur Welt kommen soll. Bei werdenden Mädchen taucht dieses Bild seltener auf. Hier wurden Themen wie Mode und adrette Äußerlichkeit angesprochen. Den werdenden Eltern wurden jede Menge Geschichten über Buben- und Mädchenkinder aufgetischt. Klischees wie Mädchen sind braver oder sauberer und Jungs sind schlimm, aber praktisch zu handhaben, wurden häufig an die werdenden Eltern herangetragen. Es wurden den Eltern zukünftige Möglichkeiten eröffnet über spätere Lebensweisen mit dem Kind. Ob Junge oder Mädchen, so schien es, würde die zukünftigen Praktiken stark beeinflussen. Was den werdenden Eltern bevorstand, war, in einer zukünftigen Mädchen- oder Bubenwelt leben zu müssen. Dies würde das Leben der Eltern stark beeinflussen. Es wurde hier in den Praktiken eine klare Grenze figuriert, die einen Scheideweg erzeugte, an dem mensch vorerst nur einen Weg gehen kann. Es wurde hier kaum darauf eingegangen, dass viele Tätigkeiten gleich sein könnten, oder dass gleiche Aktivitäten mit Mädchen oder Jungen durchgeführt werden könnten. Bei anderen
3
»Mädels kann man schön herrichten. Wenn man sich die Jungenssachen, die es zu kaufen gibt, anschaut, ja, das ist nix, weil die sehen in 20 Jahren immer noch so aus wie im Geschäft, aber bei Mädels da ändert sich doch immer viel [...] wir haben uns eigentlich geschworen, nicht unbedingt was Pink-Rosanes, eher so Großmutter und Eltern erschrecken mit Gothic-Klamotten [...] das, was wir uns selber schon zugelegt haben, ist schon in Richtung rosa [...] Ein Mädchen ist mir recht. Man sagt immer so, die Männer sind stolz, dann können sie mit den Jungen Fußball spielen und ist mir wurst, ich mag Fußball nicht.« (Mann J)
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Themen, etwa bei Vorstellungen über spätere Erziehungsmaßnahmen, war dies durchaus möglich. Hier schien sich aber ein klarer Unterschied herauszukristallisieren, der zwei Typen von Eltern figurierte: Mädchen- und Buben-Eltern. Und diese beiden Eltern würden in Zukunft in völlig unterschiedlichen Welten leben, bevölkert mit unterschiedlichen Partizipierenden.
15 Buben- und Mädchenwelten schaffen Die Einrichtung eines Kinderzimmers oder eines Bereichs für das Baby
Alle werdenden Eltern waren Teil von Praktiken, in denen durch die bevorstehende Elternschaft der private Wohnbereich umgestaltet wurde. Fünf Paare in meiner Studie zogen auf Grund der Schwangerschaft um. Ein Paar plante den Umzug für ein Jahr nach der Geburt ein. Die anderen Paare beschlossen signifikante Veränderungen ihrer Wohnung, um Platz für das Baby zu machen. In allen Fällen, in denen nicht durch einen Umzug mehr Raum geschaffen wurde, wurde ein Arbeitszimmer oder eine Rumpelkammer zu einem Kinderzimmer umfunktioniert. Für zwei Eltern war das Kind ein Grund, noch während der Schwangerschaft oder nach der Geburt in eine kleinere Stadt oder aufs Land zu ziehen. Die Bereiche und Räume, die für die zukünftigen Babys geschaffen wurden, wurden bevölkert mit Dingen für das Baby, meist einem Bett, einem Wickeltisch und einem kleinen Stauraum für die Kleidung des Neugeborenen. Kleider und Spielzeug, das die Eltern schon während der Schwangerschaft kauften oder geschenkt bekamen, wurden hier verstaut.
E IN K IND
BRAUCHT
P LATZ
In den Erzählungen der Eltern wurde erkennbar, dass es notwendig war, dass das Baby einen eigenen Platz, in Form eines Bereichs oder eines Zimmers, bekam. Selbst wenn viele Eltern erwarteten, dass das Baby z. B. ein eigenes Zimmer im ersten Jahr wenig nutzen würde, da es bei den Eltern schläft, war dieses Zimmer oder der Bereich ein Ort, wo des Babys Habseligkeiten aufbewahrt wurden bzw. werden sollten. Babys brauchten Kleidung und Spielsachen und diese mussten im bestehenden Apartment oder in einer neuen Wohnung untergebracht werden.
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Wohnungen begrenzten den möglichen Platz, der den werdenden Eltern zur Verfügung stand. War die Wohnung bereits vollgeräumt mit Möbeln und Dingen, musste eine Entscheidung getroffen werden, welche Dinge die Wohnung verlassen mussten, um Raum für die Gegenstände des Babys zu schaffen. Falls sich die werdenden Eltern nicht bereits auf Grund einer langfristigen Planung einer Familie um eine Wohnung mit einem extra Zimmer umgesehen hatten, wurde nun die bestehende Wohnung zu klein. Die Schwangerschaft oder auch schon die Planung eines Kindes war dann ein Grund, um über einen Umzug nachzudenken. In drei Fällen wurde ein Arbeitszimmer zu einem Kinderzimmer umfunktioniert und in einem Fall ein vorher als Abstellkammer genutztes Kabinett.1 Ein Paar schaffte einen Bereich für das Baby im Wohnzimmer. Vier Paare hatten vor, noch während der Schwangerschaft oder kurz danach von Zwei-ZimmerWohnungen in ein Apartment, das ein Kinderzimmer beinhaltete, umzuziehen. Ein Paar zog von einer Ein-Zimmer-Wohnung in eine Zwei-Zimmer-Wohnung mit einem Bereich für das Baby im Schlafzimmer. Im zweiten Trimester war für die werdenden Eltern die Zeit gekommen, den Umzug zu planen oder diesen Raum einzurichten. Die Eltern gingen nun von einer sicheren Schwangerschaft aus und begannen, des zukünftigen Babys Platz zu gestalten. Für einige Eltern war es wichtig, das Geschlecht zu wissen, bevor mit der Gestaltung des Platzes begonnen werden konnte. Die Minimalausstattung an Möbeln, die ein Baby brauchte, war für die Eltern ein Bettchen. Die meisten Eltern entschieden sich aber auch noch für Wickelkommoden oder Wickelauflagen und für Stauräume für die Kleidung des Babys. Dann mussten Plätze für Spielsachen des Kindes eingeplant werden und Orte definiert werden, an denen das Kind nach der Geburt Zeit verbringen könnte. Fra-
1
»Im Prinzip war halt so dieses ganze Organisieren, wie bauen wir die Wohnung um. Also platzmäßig geht es sich in unserer Wohnung aus, wir haben dreieinhalb Zimmer und aus dem ehemaligen Arbeitszimmer ist das Arbeits- und Schlafzimmer geworden und dafür ist das Zimmer als Kinderzimmer frei geworden, das wir jetzt wahrscheinlich im ersten Jahr sowieso nicht brauchen, oder im ersten halben Jahr, je nachdem, weil das Kind in so einem kleinen Anbaubettchen schlafen wird. [...] Ja so ein bisschen die Nestbauphase, die meine Freundin, die hat eine neue Couch gekauft, weil die alte wollte sie eh schon lange rausschmeißen und halt lauter so Sachen, und wir haben dann halt ein bisschen mehr an der Wohnung gemacht, damit das alles nett und schön ist, weil ansonsten hamma, weiß nicht, Wohnung ist halt zum Schlafen da und sonst ist mal eigentlich eh relativ oft unterwegs, dementsprechend lieblos waren einzelne Details vielleicht gestaltet, aber wie gesagt, das haben wir jetzt eigentlich alles schön hingebogen.« (Mann F)
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gen wie »Brauchen wir einen Stubenwagen?«, »Braucht das Kind eine Spielecke in einem oder mehreren Zimmern?«, »Ab wann brauchen wir einen Hochstuhl?« tauchten auf. Die werdenden Eltern diskutierten diese Fragen gemeinsam, begannen Orte zu vermessen oder Pläne zukünftiger Apartments zu studieren oder den benötigten Raum der zukünftigen Wohnung zu planen. Die Größe von Möbeln wurde eruiert und die Qualität der Gegenstände überprüft.2 Schließlich wurde beschlossen, umzuziehen, umzugestalten und einzurichten. Diese Vorgänge sollen nun etwas näher beschrieben werden.
»W IR BRAUCHEN EINE GRÖSSERE W OHNUNG «: F AMILIENWOHNUNGEN BEZIEHEN Paare hatten schon während der Familienplanung oder dann während der Schwangerschaft beschlossen, dass sie umziehen müssen. Die Platzansprüche, die dem neuen Baby zugesprochen wurden und Sicherheitsansprüche, die Wohnung betreffend, führten dazu, dass die alte Wohnung nicht mehr genügte. Zwei Paare in meiner Studie wollten aufs Land ziehen und hatten dort bereits Wohnraum gemietet bzw. reserviert. Ein weiteres Paar hatte einen Umzug in eine größere Wohnung an das andere Ende von Wien noch während der Schwangerschaft geplant. Ein Paar war ebenfalls während der Schwangerschaft innerhalb von Wien umgezogen und ein Paar plante in eine neue Wohnung zu ziehen, wenn das Kind ca. ein Jahr alt sein würde. Der Umzug war in allen Fällen eine finanzielle Belastung, die mit der Familiengründung in Zusammenhang gebracht wurde. Dafür hatten die werdenden Eltern bereits Geld zur Seite gelegt oder die Eltern der werdenden Eltern halfen aus. Die alte Wohnung der Paare war in den Interviews meist verbunden mit dem »alten Leben« der werdenden Eltern als Paar und als kinderlose Individuen. Mit den Wohnungen waren spezifische Geschichten des Paares verbunden. Der Umzug symbolisierte für die Eltern auch, dass diese Zeit nun ein Ende hatte. Die neuen Wohnungen oder Häuser wurden mit einer langfristigen Perspektive bezogen und halfen dabei, den Lebensstil der werdenden Eltern zu ändern. Mehr Platz hieß mehr Miete und die Verantwortung zu übernehmen, diese aufzutreiben. Es hieß für einige, die alten Möbel zurückzulassen und den Raum völlig neu und familiengerecht zu gestalten.
2
Ich werde hier nicht weiter auf die Auswahl und Kaufvorgänge während der Schwangerschaft eingehen. Sie ähneln in ihren Tätigkeiten jenen der Praktiken der Auswahl eines Kinderwagens, welche im Kapitel 16 genau beschrieben sind.
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»Wir müssen raus aus der Stadt« Ein Ortswechsel in eine kleinere Stadt oder in eine dörfliche Struktur hieß für die Eltern, auf Infrastruktur der Stadt zu verzichten und dies gegen einen Garten oder mehr »Ruhe« auszutauschen. Die Leben in der Stadt waren, in den Fällen der Eltern, die aus Wien wegzogen, verbunden mit der Postadoleszenz, wo sie die Ausbildung absolvierten, eventuell den ersten Jobs nachgingen und die kulturellen Möglichkeiten der Stadt nutzten. Die Ausbildungen der werdenden Eltern waren nun (fast) abgeschlossen und die kulturellen Möglichkeiten wurden als etwas beschrieben, das mit Kindern nicht mehr im selben Ausmaß notwendig und nutzbar war. Zwei Elternpaare behaupteten, dass der Rückzug aufs Land immer bereits vereinbart war, wenn Kinder entstehen würden.3 Die Kinder sollten so aufwachsen, wie die Eltern selbst auch aufgewachsen waren. Die Stadt wurde von diesen Eltern als kein geeigneter Platz für die Kindererziehung beschrieben. Es gäbe enge Spielplätze, keinen Freiraum, keine Wiesen und generell wenig Platz für Kinder. In beiden Fällen lebte mindestens ein Großelternpaar in der Nähe des neuen Hauses oder der Wohnung. Ein Kind bekommen hieß für diese werdenden Eltern, noch stärker eine komplette Veränderung der Assemblages, in denen sich die Eltern bewegten. Es wurde eine ganz neue (alte) Umgebung bezogen, in denen anderer gebauter Raum, andere Menschen und andere Alltagsformen auf sie warteten. Das Leben als Paar in der Stadt wurde in diesen Praktiken quasi ausgelöscht und die Transformation zur Trias Vater, Mutter und Kind mit einer umfassenden Neuschaffung der alltäglichen Assemblages verbunden.
3
»Wir haben das schon sehr bewusst geplant, nämlich, dass wir nicht in Wien wohnen wollen, wenn wir ein Kind aufziehen, sondern irgendwo am Land, weil wir selber so aufgewachsen sind [...] wir haben jetzt ein kleines Häuschen am Land, das wir ein bisschen umbauen werden im April. Wir haben dort wieder ein abgetrenntes Kinderzimmer und ein abgetrenntes Arbeitszimmer, so wie wir’s jetzt auch haben, [...] das ist ein bisschen abgeschieden in der Dachmansarde und da haben wir auch gesagt, falls wir dort länger sind, dass wir das dem Kind einmal als Kinderzimmer, da können wir das einmal tauschen.« (Mann E)
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A RBEITSZIMMER ZU K INDERZIMMER : B EREICHE UMWIDMEN Aber auch jene Eltern, die in ihrer Wohnung blieben, waren Teil von Tätigkeiten des Umstrukturierens und Umbauens des Wohnraumes. Um Platz für ein Baby zu schaffen, mussten Dinge der Eltern aus dem Weg geräumt werden. Die Dinge, die sich in diesen Zimmern oder Teilbereichen von Zimmern befanden mussten an anderen Orten aufgeteilt werden oder wurden aus der Wohnung geschafft.4 Arbeitszimmer oder Arbeitsbereiche der werdenden Eltern wurden zu Kinderzimmern und Kinderbereichen umfunktioniert. Die Schreibtische oder Werkzeuge wurden an anderen Orten in der Wohnung untergebracht, in den Keller gebracht oder entsorgt. Die werdenden Eltern nutzten den Zeitpunkt, um ihre Wohnungen zu entrümpeln und um Mappen, Ordner und Möbel durchzugehen und zu entsorgen, was sie nicht mehr benötigten. Mit diesen Tätigkeiten wurde Platz geschaffen, der dann mit Babymöbeln aufgefüllt wurde. Die Zimmer wurden erst gestrichen und dann mit Betten, Kommoden und Kästen ausgestattet. In langen Überlegungen wurden die passenden Möbel ausgesucht, dann zusammengebaut und ihr spezifischer Standort geplant. Farbe und Form der Zimmerwände und Möbel wurden in manchen Fällen auf das Geschlecht des Kindes zugeschnitten. Andere Eltern wählten bewusst neutrale Farben für die Möblierung. In das Zimmer kamen Babys erste Spielsachen und Babys erste Garnituren an Kleidung, die werdende Eltern bereits gekauft hatten oder von Verwandten und Freunden geschenkt bekamen.5 Die restliche Wohnung wurde, wenn es not-
4
»Ich hab viel weggeschmissen oder umverteilt woanders in der Wohnung. Weil das Kinderzimmer war früher unser Büro und die Sachen müssen jetzt alle woanders hin [...] das war so viel, was dort gelagert war, dass das Wochen gedauert hat, auszusortieren [...] eine Wickelkommode haben wir gekauft und ein Maxi-Cosi, die sind da drin jetzt erst mal, mehr haben wir noch nicht.« (Frau A)
5
»Da kommt rein ein Gitterbettchen, lustigerweise haben meine Eltern das aufgehoben, wo ich drin groß geworden bin und das werden wir verwenden, weil das ist super noch in Schuss und dann werden wir uns noch eine Wickelkommode kaufen und einen Kasten [...] das gibts beim MÖBELHAUS1, weil lustigerweise die irrsinnig gut abschneiden, obwohl sie mit Abstand die günstigsten sind. Ich hab mir z. B. nie gedacht, dass Vollholzmöbel gefährliche Inhaltsstoffe enthalten können, wenn ich schon was mit Vollholz mache, dann lackier’ ich das nicht mit irgendwelchem giftigen Zeug, wenn das für ein Kinderzimmer ist, aber man lernt nie aus und ja dementsprechend oft waren wir beim MÖBELHAUS1 inzwischen [...] sicher sechs-, siebenmal oder sowas.« (Mann F)
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wendig war, babysicherer gestaltet. Manche Steckdosen bekamen Sicherungen und manche Treppen und Fenster bekamen Sicherheitsbarrieren.
E LTERNWERDEN MIT DEM G ESTALTEN VON M ÄDCHEN - UND B UBENWELTEN Binnen weniger Wochen oder Monate wurden so die Apartments innerlich transformiert und von Paarwohnungen zu einer Wohnung junger Eltern transformiert. In Praktiken wurden die alltäglichen Partizipierenden innerhalb der Wohnung gewandelt und mit Arbeitsdingen bevölkerte Räume mit Babysachen besiedelt. Die Eltern erledigten dies selbst oder bekamen Hilfe von engen Verwandten oder Freunden. Mit jeder Tätigkeit und mit jedem neuen Gegenstand wurde die Wohnung in ein Babyzuhause transformiert. In diesen Praktiken wurden die werdenden Eltern innerhalb einer Wohnung zukünftiger Eltern platziert. Assemblages, in denen die werdenden Eltern Teile ihres Privatlebens verbrachten, waren nun verändert und figurierten die werdenden Eltern abermals nicht mehr als Paar, sondern als Trias, von Vater, Mutter und Kind. In den Tätigkeiten, an denen die werdenden Eltern teilhatten, konnten sie die Schwangerschaft und die baldige Elternschaft zelebrieren und leben und von einem alten Leben als Paar konnte Veränderungsschritt für Veränderungsschritt abgelassen werden. In allen Praktiken der Veränderung von Wohnraum, ob es sich nun um die Schaffung eines neuen Bereichs, oder um einen Umzug handelte, tauchten neue Gegenstände und Formationen des Wohnraums auf, die mit dem Baby verknüpft waren. Diese kamen zusätzlich hinzu oder wurden gegen andere getauscht. Eine alte Formation wurde festgehalten6 und in den Tätigkeiten wurden die Wohnungen der Paare symbolisch als Paarwohnungen konstituiert, die für ihre Leben als Kinderlose standen. Die Tätigkeiten der Veränderungen brachten die werdenden
»Bei Kindermöbel ist alles so schirch und verschandelt, da gibt’s ja nur Walt Disney World, da gibt es so diese, so bunt so, man glaubt das gar nicht, ich müsste jetzt die Kataloge herholen, wie furchtbare Kinderzimmer es gibt, es war eigentlich das Kriterium, gibt es überhaupt ein Möbelstück, dass diese Wohnung betreten darf. Da gab es natürlich von MÖBELHAUS1 was ganz Passables, vom Aussehen her, da ist aber die Qualität so schlecht, das ist gar nicht mehr Holz, sondern das sind Pappendeckel die Türen. Dann hab ich durch Zufall ein Möbelprogramm entdeckt und auch im Web gefunden und das haben wir uns dann zuschicken lassen.« (Mann G) 6
Einige Eltern berichteten von Fotos, die von der alten Formation gemacht wurden, zur Erinnerung, wie es war, vor der Veränderung.
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Eltern Schritt für Schritt dem näher, das für sie Elternschaft symbolisierte, ein (babysicheres) Zuhause für das noch ungeborene Kind. Dieses Kind war bereits Partizipierender in allen diesen Tätigkeiten der werdenden Eltern und es würde bald separiert von der Mutter in seinen Bereich »einziehen«. Das Geschlecht des werdenden Kindes war Partizipierender, um die Gestaltung des Zimmers oder des Bereiches mitzubestimmen. Möbel für Mädchen oder Buben und Spielsachen, die zum Geschlecht passen, wurden ausgesucht. Selbst wenn die werdenden Eltern das Zimmer oder den Bereich bewusst neutral einrichteten, gab es Geschenke von Verwandten, Freunden und Bekannten, die auf das Geschlecht des Kindes abzielten. Viele Verwandte ließen sich die rosa oder blauen Strampler und Spielsachen nicht nehmen. Es war den Eltern fast unmöglich, keine geschlechtsspezifischen Gegenstände zuhause zu haben. Am Ende der Umgestaltungsprozesse war zu erkennen, ob es ein Mädchen- oder Bubenzimmer sein wird. Die Möbel, Kleidungsstücke und Spielsachen warteten nun mit den Eltern auf das kleine Mädchen oder den kleinen Bub. Mit einem fertig gestalteten Bereich waren die Männer und Frauen bereit, Mädchen- oder Buben-Eltern zu werden.
16 »In der Farbe mit diesen Rädern« Die Auswahl des Kinderwagens
Der Kinderwagen nimmt, neben der Einrichtung des Kinderzimmers, in den Beschreibungen der Eltern einen besonderen Stellewert ein. Die Ausführungen in den Gesprächen sind länger und intensiver und der Kinderwagenkauf war mit Worten wie »das Wichtigste war erst mal« und »essentiell« umschrieben. Das Wissen darüber, dass der Kinderwagen sehr wichtig sei, hatten die Eltern einerseits davon, dass sie in der Umwelt Eltern mit Kinderwagen beobachten konnten, durch Gespräche mit Freunden, Verwandten und Bekannten und durch Checklisten im Internet, die über notwendige Ausstattungen informierten. Auf Checklisten rund um Mobilität mit dem Kind steht der Kinderwagen stets als Erstes auf der Liste. In Foren und Webseiten können die werdenden Eltern über Kinderwagen lesen und darüber, wann und warum ein Kinderwagen wichtig ist und wann andere Transportmittel (Tragetuch, Maxi-Cosi) notwendig sind. Dieses Kapitel stellt gleichzeitig die Tätigkeiten, an denen werdende Eltern bei der Auswahl eines Produktes teilhaben, exemplarisch vor. Tätigkeiten des Auswählens, Dokumentierens und Abwägens wurden bei anderen Produkten ähnlich durchgeführt (Kap. ). Die werdenden Eltern kauften in der Schwangerschaft eine Vielzahl von Dingen für das Baby. Mit dem Kinderwagen beschäftigten sich einige besonders intensiv.
1
Unter den werdenden Eltern und Eltern gibt es heftige Diskussionen, ob der Kinderwagen, das Tragegestell oder das Tragetuch das beste Transportmittel für Babys sei. Alle Eltern bezogen sich bei diesem Punkt auf diese Diskussion. Die meisten Eltern haben am Ende zumindest zwei der Transportmittel (oder alle drei). Auf die Diskussion wird hier nicht weiter eingegangen, wie bei allen Einkäufen wird bei diesen aber so vorgegangen, wie es hier am Kinderwagen exemplarisch aufgezeigt wird.
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K RITERIEN
DER
A USWAHL
Der Kauf von Neuwagen konnte mit Wartezeiten von acht Wochen bis hin zu vier Monaten verbunden sein. Die Auswahl musste rechtzeitig geschehen, denn der Wagen musste, wie die Eltern mitteilten, vor der Geburt geliefert werden, damit er dann nach der Geburt sofort einsetzbar war. Das zweite Trimester eignete sich aus diesem Grund, einen Kinderwagen einzukaufen. Die Auswahl eines Kinderwagens beinhaltete Informationsbeschaffung und eine Variation von Recherchen (z. B. abmessen, Tests lesen, Marken kennen lernen) die von den Eltern als »aufwendig« und »Wissenschaft für sich« beschrieben wurden. Auch wenn es in den Berichten der Eltern grundsätzlich die Phantasie eines wenig zeitaufwendigen Wegs gab, nämlich mensch geht in ein Geschäft und »nimmt den, der da steht« oder mensch bekommt einen Wagen, der sich bereits bewährt hat, von Verwandten, Freunden oder Bekannten geschenkt oder geborgt, zahlten die Eltern eine Reihe von Aktivitäten auf, die zum Kinderwagenkauf dazugehörten. Der Zusammenhang von Tätigkeiten wurde von den (werdenden) Eltern als »schon schwere Entscheidung« beschrieben, zu der Recherchefähigkeiten und viel Zeit notwendig waren, um sich den Status einer »Expertin« zu erarbeiten. Es gab »wahnsinnig viele Kriterien«, die berücksichtigt werden wollten und eine Reihe von Komponenten, die in diesem Prozess zu wichtigen Partizipierenden wurden.
2
Was ist ein Kinderwagen? Der Kinderwagen taucht in den Diskussionen und Gesprächen als Transportmittel für Babys auf. In den ersten sechs Monaten wird ein Wagen benötigt, der waagrecht ist und in dem das Baby liegen kann (das Baby kann noch nicht sitzen). Diese Wagen haben eine waagrechte Wanne aus festem Kunststoff (Schale) oder eine etwas weichere Konstruktion mit Stoffüberzug (Tasche). Spätestens sobald das Baby sitzen kann, benötigen Eltern einen Sportwagen. Dieser hat zwei Knicke von ca. 90° und eine Halterung für die Füße. An Wanne und Sitz können jeweils verschiedene Schirme befestigt werden. Kinderwagen gibt es als Wannenwagen, als Sitzwagen (Buggy), als Laufwagen mit nur drei Rädern (Jogger) oder als Kombiwagen, wo ein Gestell mit einer Wanne und einem Sitz gemeinsam verkauft werden. Wannenwagen werden nur noch selten hergestellt und so wurden Kombiwagen von den interviewten Eltern gekauft.
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Es gibt Eltern, die die Auswahl eines eigenen Kinderwagens nicht durchführen und auf die angesprochene Weise zu einem Kindergefährt kommen. Die Informant*(inn)en in meiner Studie haben, bis auf ein Paar, alle einen Neuwagen oder gebrauchten Wagen erworben. Das Material aus Forum1 weist darauf hin, dass ein sehr großer Teil der werdenden Eltern einen passenden Kinderwagen sucht und kauft.
K INDERWAGEN
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Zuerst trafen die werdenden Eltern im Internet auf Checklisten, die Tipps für Einkäufe gaben. Checklisten boten schon vorgefertigte Narrative über spätere Verwendungen an und wiesen auf erste wichtige Partizipierende beim Kinderwagenkauf hin, wie Testzertifikate, Zusatzausstattung und Beschaffenheit des Wagens. Nachdenken über die Tätigkeiten, die mit dem Kinderwagen erledigt wurden, und Recherchieren im Internet, bei Freunden oder Verwandten enthüllten weitere Kriterien, die bei der Auswahl wichtig wurden. In Checklisten wurden die werdenden Eltern darauf hingewiesen, wie ein Tagesablauf aussehen könnte und welche Transportmittel dabei variiert werden könnten: Das Tragetuch für den schnellen Einkauf, der Kinderwagen für längere Wege und im Auto benötigt das Baby ebenfalls einen eigenen Sitz. Der Kinderwagen stand als erster Punkt auf der vorgeschlagenen Einkaufsliste mit weiteren Tipps, was zu beachten wäre: das Gewicht, die Sicherheit des Wagens, Packmaße und die Beschaffenheit der Räder. Hier wurde ersichtlich, dass es eine Vielzahl von zu beachtenden Partizipierenden gibt, die bei der Auswahl des Wagens eine Rolle spielten. Unterscheiden lernen Im Handel waren eine Reihe von Kinderwagenmodellen von unterschiedlichen Herstellern erhältlich. Die werdenden Eltern gingen nun in Geschäfte, auf Webseiten von Herstellern, in Internetforen und/oder zu Freunden, Verwandten oder Bekannten, um sich über verschiedene Modelle zu informieren und/oder um diese zu testen. Im Zuge dieser Tätigkeiten wurden die Namen der Modelle erhoben und die Eigenschaften dieser. Die werdenden Eltern nahmen wahr, dass die Wagen Unterschiede hatten, die herausgearbeitet wurden. Die Informations- und Dokumentationstätigkeiten der Eltern erhoben und schufen Unterschiede zwischen den einzelnen Kinderwagenmodellen. Gespräche, Diskussionen und Beschreibungen von Herstellern gaben ein Set von Eigenschaften vor, nach denen unterschieden werden konnte. Kinderwagen hatten unterschiedliche Maße, Gestelle, Räder und Bezüge. Sie wiesen damit verbunden Unterschiede in der Handhabung und Wartung auf. Sie unterschieden sich im Design und waren in verschiedenen Farben erhältlich und schließlich hatten sie auch unterschiedliche Preise. Spezifische Sets von Eigenschaften wurden innerhalb der Aktivitäten zur Informationsbeschaffung und -gewichtung in den Beschreibungen der Eltern und Forumsteilnehmenden als Kriterien benannt. Kriterien entstanden in der Wechselwirkung mit dem Eruieren von Unterschieden. Bereits vorgefertigte Kriterien erzeugten gezielt Cuts, die spezifische Unterschiede zwischen den Wagen aufzeigten und schufen. Tätigkeiten des Vergleichens machten neue zusätzliche Un-
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terschiede erkennbar, die in der Folge zu Kriterien werden konnten. Diese Kriterien wurden in Folge Teil der Auswahlpraktiken, indem sie Spalten- oder Zeilenüberschriften in Tabellendokumenten wurden oder Themenüberschriften in der Dokumentation auf Papier. Kriterien sortierten dann die Kinderwagenmodelle nach Eigenschaftengruppen. Es lassen sich vier Kriterienbereiche zusammenfassen, die für den Kauf berücksichtigt wurden. a) Kriterien, die die Materialität des Kinderwagens und der Umwelt betrafen. Dazu gehörten Maße und Beschaffenheit von Verkehrsmitteln, Wohnungen, Straßen und des Materials, aus dem das Gestell, die Räder oder die Innenbezüge des Kinderwagens bestanden. Damit verbunden waren b) Phantasien/Gedanken über die spätere Nutzung und daraus abgeleitete notwendige Eigenschaften, wie z. B. dass viel mit öffentlichen Verkehrsmitteln gefahren würde oder mehrere Kinder den Wagen benutzen werden. Für Eltern zählten auch c) ästhetische Kriterien, wie die Farben und das Design des Wagens. In den Blickpunkt kamen ebenfalls d) ökonomische Kriterien, die die Kosten des Wagens und der Zusatzmaterialien betrafen. In Dokumenten, Gesprächen und Nachdenkprozessen wurden diese Kriterien beachtet und gewichtet und schließlich wurde ein Modell ausgewählt. a)
Die Materialität des Kinderwagens und der Umwelt vermessen und testen
Kinderwagen haben spezifische Materialitäten mit einer spezifischen räumlichen Ausdehnung. Diese lernten die Eltern im Zuge ihrer Informationspraktiken kennen. Wissen über die Materialität von Kinderwagen entstand hier durch das Lesen von Bewertungen, Tests und Diskussionen über verschiedene Modelle, über Gespräche mit Verkäufer*(inne)n im Geschäft oder in Gesprächen mit Freunden, Verwandten und Bekannten über verschiedene Kinderwagenmodelle. Webseiten und Broschüren der Hersteller gaben Auskunft über die Beschaffenheit ihrer Wagen. Die Kombination aus Mensch und Kinderwagen, die den Transport des Kindes im Alltag gewährleisten sollte, musste physisch in die Alltagsumgebung passen. Besonders wichtige Partizipierende waren hier Straßenbahnen, Aufzüge im eigenen Haus oder in den Häusern von Verwandten oder Ärzten und Ärztinnen, Eingangstüren und Kofferräume. Notwendiges Artefakt zur Herstellung von Unterschieden und Vergleichbarkeit war das Maßband, mit dem die räumliche Ausdehnung der Umwelt und der eines Kinderwagenmodells erhoben werden konnte. Das Maßband gab die millimetergenaue Breite und Länge an, die von den
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Subjekten mit freiem Auge nicht erkennbar waren. Die Umwelt wurde vermessen und die Länge und Breite verschiedener Partizipierenden wurde dokumentiert. Dazu bewegten sich die werdenden Eltern erst einmal in ihre gewohnten sozialen Räume und in jene Räume, die in ihrer Phantasie nach der Geburt mit einem Kinderwagen genutzt werden würden und vermaßen diese. Die Dokumentation geschah mit dem Mobiltelefon, mit Stift und Papier und/oder mit dem Computer in einer Tabellendatei. In Geschäften und auf den Webseiten der Kinderwagenfirmen fanden die werdenden Eltern Maße wie die Spurbreite, das Packmaß im zusammengelegten Zustand mit und ohne Räder, die Größe im ausgeklappten Zustand und Längen und Breiten der verschiedenen Aufsätze des Kinderwagens. Der Kinderwagen musste die Eigenschaft haben, in kleine Räume, wie den Aufzug, oder zusammengelegt in den Kofferraum, zu passen oder durch enge Durchgänge hindurchzupassen, etwa bei der Straßenbahn oder bei Eingangstüren. Einige Informationen konnten über das Internet abgerufen werden Die Webseite der Wiener Linien beantwortete in ihren FAQs auch die Frage der notwendigen Breite von Kinderwagen. Standard-DIN-Normen von Türen und Aufzügen konnten ebenfalls im Internet herausgesucht werden. Verglichen die werdenden Eltern die erhobenen Daten mit den Maßen der Kinderwagen, konnten die Eltern Wissen darüber erlangen, ob der Kinderwagen mit seiner Morphologie in die Umgebung (hindurch)passte.4
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»Alleine beim Kinderwagen, das ist auch in diesem Excel drin, gab’s ja wahnsinnig viele Kriterien die da total sachlicher Natur sind, also ich hab’, ich bin mit der Straßenbahn in Wien gefahren, mit dem Maßband und hab ausgemessen die Türbreite bei der alten und bei der neuen Straßenbahn und bei der alten beträgt sie glaub’ ich so 58 cm ist der Einstieg breit. Und nachdem wir vorhatten, beide viel mit Öffies zu fahren, war das ein Kriterium. Dann hab’ ich meinen Kofferraum ausgemessen, dass der Kinderwagen zusammengelegt, es gibt also bei einem Kinderwagen mehrere Packmaße, es gibt das Packmaß zusammengelegt (klackt zweimal mit der Zunge) ein ganz anderes Maß, dann ist er gleich länger und schmäler, dann was ist das Volumen eines Kinderwagens, wenn er auseinandgebaut ist, der muss nämlich bei uns in den Aufzug reinpassen, das ist ein ganz spezielles Problem, wir haben in diesem Altbau einen wahnsinnig kleinen Aufzug und ich hab’ gesagt, der muss reinpassen. Dann gibt’s eine weitere Engstelle, das ist unsere Eingangstür, es ist eine Doppelflügeltür, die ist 56,5cm, das weiß ich noch ganz genau, ah, da muss er durchpassen. Und wenn man diese ganzen sachlichen Kriterien anlegt, kommen gar nicht mehr so viel Kinderwagen in Frage.« (Mann G) »Meine Eltern wohnen in einem alten Haus, wo so ein uralter Aufzug noch drinnen ist und der passt da durch und wir wohnen auch in einem Altbau, wo auch Türe relativ
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Besonders in den Tätigkeiten jener Eltern, die in den Innenbezirken der Stadt wohnten, war das Vermessen sehr wichtig. Waren die notwendigen Maße eingeholt, blieben möglicherweise nur wenige Modelle übrig, die dann nach weiteren Kriterien unterschieden wurden. Informant*(inn)en, die bereits einen Umzug an den Stadtrand oder aufs Land geplant hatten, mussten einerseits die Maße der dortigen Umgebung eruieren, hatten aber nicht das Problem, dass ein Kinderwagen zu groß für Aufzüge oder Straßenbahnen sein könnte. Hier war allerdings wichtig, dass der Wagen gut im Kofferraum eines Autos verstaubar ist und einfach zusammenzuklappen ist und dass der Kinderwagen gut mit unwegsamem Gelände umgehen kann. Begutachtende Partizipierende War die Auswahl auf jene Modelle eingeschränkt, die den gewünschten Maßen entsprachen, kamen andere materielle Faktoren ins Spiel. Die materielle Beschaffenheit des Gestells, der Räder und der Stoffe des Kinderwagens wurden dann begutachtet und verglichen. Für einige Eltern waren Wendigkeit und der praktische Gebrauch sehr wichtig. Hierzu fanden sie Erfahrungsberichte in Foren, auf Kaufseiten und in Bewertungsseiten. Ein weiterer Weg war, sich bei Freund*(inn)en, Kolleg*(inn)en und Verwandten zu informieren: »Wer hat mit diesem oder jenem Kinderwagen gute oder schlechte Erfahrungen gemacht?« »Welche Aspekte müssen überhaupt noch zusätzlich beachtet werden?« Kinderwagen sind teuer und die Eltern konnten diese kaum oder gar nicht ausprobieren vor dem Gebrauch. Werdende Eltern waren auf Berichte von anderen Menschen und Testinstitutionen angewiesen. Wichtige Partizipierende, mit denen gemeinsam die Kinderwagensuche bewältigt wurde, waren Tests von offiziellen Konsumentenverbänden wie Stiftung Warentest oder Ökotest. Sie stellten mittels standardisierten Tests Unterschiede zwischen den Wagen vor. Getestet wurden die Schadstoffbelastung, Sicherheit
schmal ist und auch da passt der, also da wäre der Wagen1 auch noch durchgegangen aber das mit dem Aufzug wäre sich nicht ausgegangen und nachdem wir die Großeltern dann vorhaben da aktiv einzubinden, ist das wichtigste Kriterium, dass der da in den Aufzug passt [lacht], weil sonst gibt’s keine Besuche und wie gesagt, wie bei uns, in den 4. Stock schleppen, wir haben leider keinen Aufzug. Der Wagen2 ist nicht unbedingt klein, er passt in mein absolut nicht familientaugliches Auto ähm auch nur knapp rein, da wäre der Wagen1 wahrscheinlich besser gewesen, aber im Endeffekt [...].« (Mann F)
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und Haltbarkeit, Handhabung und die kindergerechte Gestaltung der beliebtesten Wagenmodelle (Stiftung Warentest, 2009). Die Noten, die für die Kinderwagen vergeben wurden, sind unterdurchschnittlich. »Die Karre ist total verfahren, Mobilität ist für Eltern mit Kleinkindern wichtig. Doch in einigen Kindersportwagen sitzen die Kleinen unbequem. Fast alle stecken zudem voller Schadstoffe. Nur eine Kinderkarre hat mit ›gut‹ abgeschnitten.« (Ökotest, 2004) und »Die Branche schläft: Ein paar Hundert Euro kosten Kinderwagen heute. Und dennoch ist kein einziger im Test ›gut‹, kein einziger ohne Schadstoffe. 10 der 14 Wagen schneiden sogar ›mangelhaft‹ ab.« (Stiftung Warentest, 2009) titelten und urteilten die Testinstitutionen. Kinderwagen wurden in diesen Tests als unbequem und teilweise gefährlich für Kinder, schlecht handhabbar im Alltag und schadstoffbelastet beschrieben. Die Institutionen rieten zu waschbaren Bezügen und genauer Auswahl der Gestelle. Die werdenden Eltern waren beunruhigt über diese Ergebnisse und wurden Teil mehrerer Aktivitäten, um mit diesen Tests umzugehen. Kein Paar meiner Studie kaufte auf Grund dieser Tests vorerst keinen Kinderwagen. Eine Aktivität war, sich von konventionellen Kinderwagenherstellern abzuwenden: Ein Paar meiner Studie wählte, nachdem es diese Tests gelesen hatte, einen Ökokinderwagen eines Herstellers aus, der seine Wagen aus Kork, Holz, Kokos und Schafschurwolle herstellt.5 Eine weitere Tätigkeit war, das »geringere Übel« zu wählen. Hier wird der Test genau durchgesehen und die Eltern versuchen, ein Modell zu wählen, das zumindest besser als andere Wagen abschneidet. Andere Eltern entwickelten eine kritische Haltung gegenüber den Testinstitutionen und verließen sich lieber auf Erfahrungsberichte von anderen Eltern. Dass die Testinstitution behauptete, dass ein Wagen schlecht lenkbar oder unbequem sei, musste
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»Ja, da hab’ ich halt so geschaut und das war für mich halt irgendwie wichtig, so ökologische Kriterien, gesundheitliche Sachen, das war jetzt beim Kinderwagen ein Thema, weil ich gar nicht damit gerechnet habe, dass man sich da damit beschäftigen muss, weil, da gab’s voriges Jahr irgendwie so einen Ökotest mit Kinderwagen und die dann festgestellt haben, dass in allen getesteten Kinderwagen gesundheitsschädliche Stoffe drinnen sind. Da hab’ ich mir gedacht, super, irgendwie geht man davon aus [lacht], dass grad da eben nichts ist, dann haben wir eine Weile geschaut ob es irgendwie einen Ökokinderwagen gibt und es gibt einen, genau eine Firma, die das macht und des ist es mir wirklich wert, dass ich den eben dort bekomme. Also vom Preis her ist er eben nicht recht viel teurer wie andere Sachen, da kann man ja wahnsinnig viel Geld ausgeben für Kinderwagen. Ich denk’ mir, das Baby wird da oft drinnenliegen und man hat selber ständig die Griffe in der Hand und wann da irgendwas über geht, also das fände ich nicht so toll.« (Frau E)
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nicht heißen, dass andere Eltern nicht genau gegenteilige Erfahrungen gemacht hätten. Diese Eltern gingen in den Erzählungen davon aus, dass solche Institutionen die Nutzung im Alltag nicht nachvollziehen könnten und vertrauten somit eher auf Erfahrungsberichte im Internet oder von Freunden und Bekannten. Eine weitere Aktivität war, die Schadstoffe in den Kinderwagen zu relativieren. Diese Eltern besprachen Schadstoffe als Partizipierende, die überall in der Umwelt zu finden seien und es unvermeidbar sein würde, dass ihr Kind damit in Kontakt komme. Es hätte dann wenig Sinn, bei einem Kinderwagen ein großes Aufsehen darum zu machen. Diese Eltern verwiesen in den Auswahlaktivitäten darauf, dass Kinder »relativ viel aushalten« und es unvermeidbar sein werde, dass sie in einer Umgebung mit Schadstoffen leben und dass bereits viele Eltern diese Kinderwagen benutzt hätten, ohne dass die Kinder davon beeinträchtigt wurden. Die werdenden Eltern könnten Teil der Aktivitäten einer oder mehrerer dieser Tätigkeiten sein und diese in ihren anderen Aktivitäten zur Auswahl eines Kinderwagens einweben. b) Phantasien über die Nutzung Alle weiteren materiellen Eigenschaften des Wagens standen stark in Verbindung mit Phantasien über die spätere Nutzung des Wagens. Die Kriterien, die Eltern ansetzten, ob es nun ein schmaler Kinderwagen oder ein großer, schwerer, der auch unwegsames Gelände bewältigen kann, sein musste, wurden von den Vorstellungen über Aktivitäten mit dem Kind als Eltern abgeleitet. Die Eltern machten sich Bilder über sich selbst mit dem Kinderwagen in der Stadt oder in der Natur. Sie machten sich Gedanken darüber, wie der Alltag mit Kind und Kinderwagen sein werde und welchen Aktivitäten sie nachgehen müssen und wollen. In den Gesprächen und in Forenbeiträgen erzählten Eltern Phantasien über die Nutzung des Kinderwagens in der Zukunft. Diese Phantasien waren eng verbunden mit dem vorgestellten Lebensort der Eltern (Stadtmitte, Stadtrand oder ländliche Gegenden) und mit den Aktivitäten, die Eltern mit ihren Kindern durchführen wollten. In den Erzählungen tauchten alltägliche Erledigungen in der Stadt (Einkaufen, Arztbesuche), städtische Kinderaktivitäten (Spielplatz, Kinderkrippe, Babykurse) und Ausflüge ins Umland oder sogar ein Leben am Land auf. Die Formation Subjekt(e)+Kinderwagen musste in diese Umgebungen hineinpassen, um die Mobilität der Eltern mit dem Kind zu gewähren. Die Vorstellung der Eltern, mit dem Wagen durch die Großstadt zu fahren, brachte mit sich, dass der Wagen Eigenschaften aufweisen musste, die dies unterstützen. Eltern besprachen daraufhin, dass der Wagen schmal und wendig sein sollte, um die Hindernisse der Umgebung zu überwinden. In den Erzählungen
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musste der Wagen mit Pflaster und auch mit Kopfsteinpflaster, mit steilen Gehsteigkanten, engen Durchgängen und öffentlichen Verkehrsmitteln zurechtkommen können. Die Eltern sahen hier die gute Lenkbarkeit des Wagens als eine Eigenschaft, die den Alltag auf den Straßen erleichterte. Wien hat innerstädtisch viele kleine Parks und Spielplätze, die, im Vergleich zu Spielplätzen am Land, mit wenig Platz auskommen müssen. Wagen, die wenig Platz brauchten und wendig sind, sollten die Zeit am Spielplatz erleichtern. In den Beiträgen der Eltern sind auch Häuser ohne Lift Thema. Gesprochen wurde über »Altbauten« in Wien, die über keinen Lift verfügen oder deren Lift nicht im Halbstock stehen bleibt. Ein leichter Kinderwagen könnte hier einige oder mehrere Stufen getragen werden. Der Wagen sollte überallhin mitgenommen werden. Freuten werdende Eltern sich schon auf Kaffeehausbesuche in der Stadt, wurde die Sitzhöhe des Kindes im Kinderwagen zum Partizipierenden. Hohe Wagen könnten dann direkt an den Tisch gestellt werden, ohne auf einen Hochstuhl zu wechseln. Wollten die werdenden Eltern mit dem Wagen in der Umgebung Einkäufe erledigen, sprachen sie von einem notwendigen großen Korb für Einkäufe. Das zusätzliche Gewicht, das der Wagen tragen kann, wurde dann auch zur diskutierten Eigenschaft. Kaufe mensch lokal nur »Brot und Milch«, reichten kleine Einkaufskörbe und eine geringere Belastungsfähigkeit des Wagens aus. Belastbare Wagen waren größer und in kleinen Supermärkten schwerer zu lenken. Kleine, wendige Wagen beschrieben Eltern als gute Wagen für den kleinen Stadtsupermarkt, den sie zwischendurch besuchen. Planten Eltern häufige Ausflüge ins Umland von Wien oder wurde sogar ein Umzug hinaus aus Wien in Erwägung gezogen, wurden Wald- und Kieswege zu Partizipierenden, denen Beachtung geschenkt wurde. Der Wagen sollte dann mit Rädern und einem Fahrgestell ausgestattet sein, der für diese Bodenbeschaffenheit günstig war, oder die sowohl für Beton als auch für den Waldweg geeignet waren. In den Besprechungen wurden kleine wendige Räder als stadt- und betonfreundlich bezeichnet, während konstatiert wurde, dass größere Räder sich für unebene Wege besser eignen würden. Erstere sind Schwenkräder, das heißt die Räder können nach links und rechts ausweichen. Eltern in Gesprächen und Forum1 sehen diese Räder als besonders stadttauglich an. Große festgestellte Räder wiederum waren gut für Wald und Wiese. Einige Kinderwagenhersteller boten Gestelle an, die wahlweise mit Schwenk- oder Festrädern ausgestattet werden können. Vor dem Ausflug in den Wald könnten die Räder ummontiert werden. Aus den Diskussionen der Gesprächsteilnehmer*innen geht ebenfalls hervor, dass die Bereifung des Wagens eine Rolle spielte. Hersteller boten hier schaumoder luftgefüllte Reifen oder feste Räder aus Gummi oder Kunststoff an. Die Auswahl der Räder ist von den Phantasien über die spätere Nutzung abhängig.
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Räder mit Luftfüllung sind in den Diskursen Eigenschaften, wenn es um unebene Bodenbeschaffenheiten geht. Das kleine Gummi- oder Plastikrad wird als stadttauglicher Untersatz bezeichnet. Stadtkinderwagen haben vier kleine Räder oder eine Kombination aus zwei großen luftgefüllten Rädern und zwei kleinen Rädern. Für die interviewten Paare sollte ein Kinderwagen auf allen Wegen dabei sein können und mit jeglichem Untergrund zurechtkommen können. Mehrere Wagen zu kaufen, kam für die Informant*(inn)en meiner Studie nicht in Frage. Einigen Paaren war es wichtig, dass der Wagen »net nur ein Kind aushält jetzt, sondern dass man den auch eventuell bei späteren noch gut einsetzen kann« (Mann D). Der Wagen sollte den Bedürfnissen des Kindes in den nächsten Jahren entsprechen und darüber hinaus danach für weitere Kinder verwendbar sein. In Verbindung mit weiteren Kindern wurde von Robustheit und Stabilität des Kinderwagens gesprochen. Das Gestell, die Räder und die Verkleidung sollten länger als drei Jahre halten und in fünf oder zehn Jahren noch funktionieren. Die phantasierte oder getestete Haltbarkeit eines Wagens wurde zu einer weiteren Eigenschaft, die in den Diskussionen mitberücksichtigt wurde. Der Kinderwagen als Symbol für das zukünftige Leben als Eltern In den Informationspraktiken über ein Transportmittel für das zukünftige Kind kamen die Eltern mit vorgefertigten Konzepten darüber, wie das Elternsein ist, in Kontakt. Man sah auf Bildern Väter und Mütter mit Kinderwagen bei bestimmten Aktivitäten abgebildet oder konnte in Promotionvideos fiktiven Eltern dabei zusehen, wie diese sich mit Kind und Kinderwagen in Räumen bewegten und sich auf spezifische Weise in diese Assemblages und ihre Partizipierenden integrierten. Es wurden Möglichkeiten aufgezeigt, wie Eltern Teil späterer Praktiken sein könnten. Die Tätigkeiten des Auswählens in Hinblick auf zukünftige Aktivitäten hatten reflexive und antizipative Subjekte, die abschätzen konnten, wie der Gegenstand Kinderwagen gebraucht werden würde. Die Auswahl des »richtigen« Kinderwagens erzwang eine Abschätzung der zukünftigen Aktivitäten: Was werden wir mit dem Kind tun? Wie wird es sein? Wie wird mein Tagesablauf mit Kind sein? Wer wird den Kinderwagen durch die Stadt schieben? In den Gesprächen zeigten sich beim Thema Kinderwagen Verbindungen mit Themen wie Großeltern, die regelmäßig auf das Kind aufpassen, die Arbeitsteilung zwischen den Partnern, die externe Kinderbetreuung und die Rückkehr an den Arbeitsplatz. Einfluss hatten hier Konzepte darüber, wie sich werdende Eltern als Eltern vorstellen und designen möchten. Damit ich diese Mutter oder dieser Vater sein
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kann, muss eventuell das Artefakt Kinderwagen diesen Vorstellungen entsprechen. Selbst wenn die mentalen Konzepte der Eltern nicht sich selbst beinhalteten, so beinhalteten sie trotzdem das Kind, das vom Kindermädchen oder den Großeltern transportiert wird. Die Verantwortung, den Transport des Kindes durch andere zu konzipieren, lag bei den Eltern. Die Auswahl des Kinderwagens produzierte Subjekte, die verantwortungsvoll zukünftige Situationen und Probleme antizipieren können und diese auch Kontrollieren durch den Kauf eines spezifisch zugeschnittenen Produkts. Alle diese Phantasien über die Zukunft wurden im Prozess der Auswahl eines Kinderwagens gesammelt und wie gezeigt mit Teilen des Kinderwagens verbunden. Die Informationspraktiken, die die Eltern in Kontakt mit sprachlichen oder materiellen Bildern über den Gebrauch brachten, erzeugten bei den Eltern mentale Konzepte darüber, wie sie als Eltern mit dem Kind tun wollen und welche Aktivitäten möglich wären. Die oben vorgestellten phantasierten Aktivitäten manifestierten sich in Broschüren, in Foren, auf den Webseiten der Hersteller und in Gesprächen und wurden von den Eltern spezifisch modifiziert wieder weitergetragen und in Aktivitäten materialisiert. Der Kinderwagen wurde innerhalb dieser Aktivitäten zum Vehikel, über das zukünftige Elternsein nachzudenken und eine spezifische Vorstellung von Elternschaft als Partizipierenden zu schaffen und diesen an der Auswahl des Kinderwagens teilhaben zu lassen. Der Kinderwagen wurde so zum Symbol für eine bestimmte zukünftige Lebensweise figuriert: urbane Stadteltern oder Landeltern mit viel Platz. Mit diesen Vorstellungen wurden die werdenden Eltern mit spezifischen Eigenschaften bedacht und als Stadt- oder Landeltern figuriert, die sich in Assemblages bewegen werden, die die Eltern auf bestimmte Weise figurieren. c) Ästhetische Kriterien Trotz all der Anforderungen an einen Kinderwagen war den werdenden Eltern zusätzlich noch wichtig, dass der Wagen »nicht schirch« ist. Er musste neben praktischen Eigenschaften auch ästhetische Vorzüge aufweisen, zumindest im Vergleich mit ähnlichen Wagen. Ein praktisches Modell, das den Anforderungen entspricht, konnte dann aus diesem Grund abgelehnt werden, bzw. Nachteile konnten für einen schöneren Wagen in Kauf genommen werden. Am besten wäre aber doch, der Wagen wäre »schick wie ein Alpha und solide wie ein VW« (Mann G). Zu Partizipierenden wurden hier Feinheiten des Designs, Farben und Formen des Wagens. Hatten Eltern die Auswahl eingeschränkt, da der Wagen bestimmte Maße aufweisen musste oder keine Schadstoffe enthalten sollte, wurde am Ende immer noch eine Auswahl zwischen mehreren Farben notwendig,
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denn jedes Modell war zumindest in unterschiedlichen Farben erhältlich. Manche Anbieter hatten Baukastensysteme, wo jeder Bauteil in verschiedenen Farben ausgewählt werden konnte: Mochten die Eltern die Räder in silber oder in schwarz kaufen? Sollte das Gestell schwarz oder färbig sein? Sollte das Dach des Kinderwagens in der gleichen Farbe wie die Wanne sein oder sollen kontrastierende Farben ausgewählt werden? Gab es mehrere Wagen, die hinsichtlich ihrer Materialität als gleich gut geeignet erschienen, tauchte die Frage auf: »Welcher Wagen ist schöner?« »Welcher Wagen gefällt uns besser?« Was ist ein schöner Kinderwagen? In den letzten zehn Jahren haben sich einige kleinere Designermarken mit ihren Kinderwagen am Markt etabliert. Der Kinderwagen der Marke1 (Wagen1) wurde einstimmig als »schöner« oder »schicker« Kinderwagen bezeichnet. Die Wagen von Marke2 (Wagen2) bekamen ebenfalls immer wieder gute Noten für schickes Design und distinktives Design.6 Der Kinderwagen konnte zur Abgrenzung von anderen Paaren benutzt werden. Eltern wollten einen Wagen, »den nicht jeder hat« und der durch sein Design auffallen kann. Bei einer begrenzten Anzahl von Modellen war dies nicht immer so einfach. In Reviews über den Wagen2 lesen Eltern Kommentare wie »more people will comment on your stroller than your baby«. Schönheit entsteht hier durch auffälliges und modernes Design, das sich von anderen Wagen abhebt. Wagen1 und Wagen2 sind mit dem Red Dot Design Award (2004, Wagen2 und Wagen1 2010) für Produktdesign ausgezeichnet worden. Ein niederländische Produktdesigner begann in den 90ern einen großstadttauglichen Kinderwagen zu designen und begann 1999 mit der Massenproduktion von Wagen1. Der Durchbruch geschah 2002, als der Wagen1 einen Auftritt in der HBO-Serie »Sex and the City« als Kinderwagen von Miranda Hobbes hatte. Marke2 produzieren seit 1932 in Norwegen ergonomische Möbel und seit 2006 nur noch Artikel für Kinder/Babys. Wagen2 gibt es seit 2003. Der Wagen wurde im Speziellen für urbane Eltern geplant, als auch in Hinblick auf den größtmöglichen Aussichtsund Bewegungsradius des Kindes. Wanne und Sitz waren höher als bei anderen
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»also für uns gab’s eigentlich eh nur zwei Fragen, entweder den Wagen1 oder den Wagen2 und es ist dann der Wagen2 geworden. Und nach diversen Testberichten und Für und Wider und abgesehen davon haben Freunde den Wagen2 auch und sind auch sehr zufrieden damit und ja so ist es der dann geworden [...] außerdem den sieht man, die [Wagen 1], an jeder Straßenecke und da will, mein Wagen2 mittlerweile eh auch, aber es ist bei weitem nicht so verbreitet wie der Wagen1. Ja , waren so die Gründe.«
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Wagen, das soll die Kommunikation mit dem Kind verbessern und zusätzlich rückenschonend für die Eltern sein. Beide Wagen eigneten sich durch ihre Maße als Stadtwagen. Designpreise und Lob in den Feuilletons für die Wagen berührten aber nicht alle Eltern, auch wenn diese Wagen viel diskutiert wurden. In den Diskussionen und Gesprächen tauchten Eltern auf, die andere ästhetische Geschmäcker hatten. Diese fanden obige Wagen unpassend oder hässlich und favorisierten andere Wagen. Sie finden die Wagen der Traditionsmarken (z. B. Wagen8, Abb. 10) schöner und bunter und distinguierten sich von den Subjekten mit Designerwagen, indem sie die Entscheidung zu einem Wagen1 oder Wagen2 als Modephänomen einordneten, an dem sie selbst nicht teilhaben wollten. d)
Kosten - Neuwagen, Gebrauchtwagen und Wiederverkaufswerte
Beide Designerwagen, Wagen1 und Wagen2, befanden sich im oberen Preissegment. Rund um die 1000 Euro (exklusive Zusatzgegenstände) kosteten diese Wagen. Bei allen Wagen kamen meist noch die Kosten von zusätzlichen Schirmen, Windeltaschen, Autositzadaptern, Innenfutter oder Fußsäcken oder Becherhaltern dazu. Das konnten und wollten sich nicht alle Paare leisten. Es gab Eltern, für die der Preis des Wagen nachrangig war und andere Kriterien erfüllt werden mussten (Schadstofffreiheit oder Praktikabilität). Für manche Eltern übernahmen Verwandte (die werdenden Großeltern oder Urgroßeltern) die Kosten für den Wagen. Ökonomische Kriterien waren, neben dem Listenpreis, die Kosten von Zusatzmaterialien, temporäre Preisreduktionen und der Wiederverkaufswert des Wagens. Die Diskussionen in Forum1 und die Gespräche mit den Eltern zeigten, dass es mehrere Strategien gab, mit den Kosten umzugehen, falls diese nicht ausgelagert werden konnten. Die beiden Enden des Kontinuums von Strategien waren, auf Ersparnisse zurückzugreifen, um die Erstausstattung für das Kind zu kaufen, oder auf gebrauchte und geborgte Artikel zurückzugreifen.7 Erstere El-
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Exemplarische Forumsdiskussion: Userin: Waren heute Kinderwagen anschauen und zuvor wollten wir den Wagen3. Mein Partner hat sich aber in den Wagen1 in Grün und Rot verschaut. Kosten für alles sind 900 Euro. Das ist viel finde ich. Userin: Ich find kein Kinderwagen ist 900 Euro wert. Wir haben einen Wagen9, der kann alles was ich brauche und kostet 300 Euro. Um den Preis von oben kann ich mir also 3 kaufen.
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tern wollten »akzeptieren, dass Kinder teuer sind« und die bestmögliche Ausstattung für ihr Kind kaufen. Bestmöglich hieß für diese Eltern teure Neuwaren, wobei dies mit der Vorstellung verbunden war, dass diese Waren auch qualitativ hochwertiger und praktischer waren. Die gegenteilige Strategie war, mit einem gebrauchten Kinderwagen, zugeborgtem Material und der Suche nach Angeboten so günstig wie möglich davonzukommen. Verbunden war dies mit der Vorstellung, dass ältere Wagen oder billigere Modelle »auch gut« sind und für den Alltagsgebrauch völlig ausreichen. Teure Waren waren in diesen Argumenten für jene gedacht, die »was Besseres« seien oder sich dafür halten. Zuerst mussten Eltern Wissen darüber erlangen, wie viel verschiedene Modelle von Kinderwagen kosten. Die Eltern verglichen entweder die Preise von verschiedenen Modellen oder sie verglichen die Preisangaben für ein Modell von verschiedenen Anbietern. Die Eltern gingen dazu in mehrere Geschäfte und durchsuchten das Internet nach Anbietern. Sonder- und Zusatzangebote helfen den Eltern bei der Auswahl des Anbieters. Partizipierende, die Aufmerksamkeit auf sich zogen, waren stark vergünstigte Modelle und Zusatzangebote, die zum Kauf von Gesamtpaketen anregen sollten. Preisreduktionen für Kinderwagen oder Zusatzprodukte sind meist temporär beschränkt und sollen zum schnell(er)en Kauf führen.8 Für ein Paar, das bereits einen Umzug in eine kleinere Stadt plante, spielten Aufzüge, schmale Eingänge oder Straßenbahnen eine untergeordnete Rolle bei der Auswahl. Wichtig war diesen Eltern die Robustheit des Wagens und eine angenehme Lenkbarkeit bei längeren Spaziergängen im unwegsamen Gelände. Eine Vergünstigung um 45 % bei einem Internetanbieter
Userin: Der Wagen ist jeden Cent wert, wenn man in der Stadt wohnt, wo man ständig mit Straßenbahnen, engen Liften und engen Straßen zu tun hat. Mein Wagen1 ist jetzt seit zwei Jahren fast täglich im Gebrauch und danach werde ich ihn weiter verkaufen. Auf FLOHMARKTSEITE kannst du sehen wie viel du noch für die alten Modelle bekommst. Wenn du das mitberechnest, kostet es nicht mehr so viel. (Forum 1, 10.01.2009) 8
»da hinten steht schon unser Kinderwagen [lacht], den hamma schon gekauft, da simma ganz froh drum, da hamma gschaut in Internetanbieter1, des war eine sehr gute Aktion, minus 45 % war der, ganz gute Bewertungen ’kriegt, da hamma uns den gleich gekauft. Des war amal sehr wichtig, des braucht ma auf jeden Fall und andere Sachen hamma jetzt amal nur amal in an Möbelhaus gschaut wos ma so zulegen könnten [...] eiso des Wichtigste für uns war halt mal der Kinderwagen, weil’s eben da geheißen hat, mitunter muss man eben da lang warten, bis die g’liefert werden und dadurch, dass sich das eben so gut ergeben hat mit der Aktion, haben wir uns da glei entschlossen für den.« (Mann D)
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half in diesem Fall bei der Auswahl des Modells und beschleunigte den Kauf. Die Durchsicht von Erfahrungsberichten führte zu einem positiven Bild über das Gefährt, es schien den Ansprüchen zu genügen. Zusammen mit dem günstigen Preis konnten andere Modelle im Vergleich nicht bestehen. Eine Auswahlstrategie mancher Paare war es, mit Preisobergrenzen zu operieren. Diese Obergrenze war erst einmal fix in einem gemeinsamen Gespräch festgesetzt. Die Recherche von Kinderwagen führte manchmal dazu, dass diese Grenze nach oben hin verschoben wurde, wenn den Eltern klar wurde, dass zum Kinderwagen auch noch eine große Menge an Zusatzmaterialien hinzukamen. War der Preis festgesetzt, konnten Eltern wählen zwischen einem gebrauchten, ursprünglich teuren Modell oder einem neuen, billigeren Modell. Die Teste von Stiftung Warentest und Ökotest, die von den Eltern häufig gelesen wurden, stellten preisgünstigere Wagen hinsichtlich ihrer Robustheit als gleichwertig mit teureren Wagen dar. Viele Eltern weigerten sich hier für ein Artefakt, das mensch »dann nie wieder braucht«, viel Geld auszugeben, wenn billigere Modelle Ähnliches können (siehe exemplarische Forumsdiskussion). Entpuppt sich der preisgünstige Wagen als unpraktisch, könne bei einem weiteren Kind ein neuer angeschafft werden, ohne dass ein zu großer Schaden entstanden sei. Andere Eltern waren Teil von ökonomischen Strategien, bei denen mit dem Wiederverkaufswert des Wagens gerechnet wurde (siehe ebenfalls die Auszüge aus einem exemplarischen Forumsthread). Ein teures Modell wurde in den Diskussionen als leichter wiederverkäuflich, auch wenn es einige Jahre auf dem Buckel hatte, gesehen. Diese Väter oder Mütter kalkulierten damit, einen Teil ihres Einsatzes zu einem späteren Zeitpunkt wiederzubekommen, denn es war wahrscheinlich, dass der Wagen nach einem ersten Kind noch so gut in Stand sein würde, dass weitere Kinder mit diesem transportiert werden könnten. Erfahrungsberichte im Internet, das Surfen auf Gebrauchtwarenseiten oder Berichte von Freunden, Verwandten und Bekannten gaben hier für die verschiedenen Modelle die Möglichkeit, das Risiko und den Wiederverkaufswert abzuschätzen. Gebrauchte Wagen gab es ab ca. 30 Euro zu kaufen. Für Eltern in einer sehr schlechten ökonomischen Situation gab es Stellen, wo Kinderwagen für noch weniger oder sogar kostenlos erhältlich waren. Die Eltern gingen in die SecondHand-Läden oder schauten in den Elternforen in der passenden Rubrik, ob und welche Kinderwagen angeboten wurden. Auch surften die Eltern spezielle Gebrauchtwarenseiten im Web an. Alle diese Seiten haben eine Extrakategorie für Babywaren und eine Unterkategorie für Kinderwagen. Eltern konnten hier ebenfalls wieder zwischen einer Vielzahl von Modellen wählen, denn fast alle Modelle, die es neu zu haben gab, fanden sich auch am Gebrauchtwarenmarkt wieder. Hinzu kam ein Markt für ausgelaufene Modelle. Die Auswahlpraktiken un-
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terschieden sich in diesen Fällen nicht, der Wagen wurde lediglich aus zweiter Hand gekauft. In den Forendaten tauchten sehr selten Eltern auf, die einen Wagen von Geschwistern oder Verwandten übernommen oder geborgt bekamen und somit keinen Wagen kaufen mussten. In diesen Fällen fiel der Auswahl- und Konsumprozess weg. Manche besprachen die Geschenkannahme so, dass die Möglichkeit, einen anderen Wagen zu kaufen, immer noch bestehe, aber wenn sie schon einen gratis bekämen, können sie auch probieren, wie dieser Wagen funktioniere und bei Problemen sich einen besseren suchen. Diese Eltern sahen es als Erleichterung an, sich erst einmal um diese Sache nicht kümmern zu müssen. Wichtig ist es an dieser Stelle, zu erwähnen, dass es Eltern gibt, deren finanzielle Situation so eng ist, dass sie keine andere Wahl hatten, als den Wagen anzunehmen, der sich ihnen bietet. Es gibt in Wien Orte, an denen Wagen für einen symbolischen Betrag oder entgeltlos gekauft/übernommen werden können. Ein Paar in meiner Studie holte ihren Kinderwagen dort. Entgegen den anderen Eltern betonte dieses Paar, dass Elternwerden erst einmal nichts koste, solange die Kinder klein seien, da die Unterstützungsleistungen gut seien. Für den Transport des Kindes bevorzugten die Eltern allerdings das Tragegestell, da der zur Verfügung gestellte Kinderwagen als unpraktisch bezeichnet wurde. Der Kinderwagen sei zu schwer und zu wenig wendig für Wege in der Stadt und wurde eher für lange Spaziergänge verwendet. Diese werdenden Eltern mussten sich nicht mit dem Auswahlstress auseinandersetzen, sie konnten sich aber auch nicht einen auf ihre Situation zugeschnittenen Wagen holen und es entfielen auch die symbolischen Aufladungen der Waren mit Phantasien über das zukünftige Elternsein.
E INKAUFEN : P RAKTIKEN DER A USWAHL DES K INDERWAGENS Die hier dargestellten Tätigkeiten waren Teil von Praktiken, die auch in Verbindung mit anderen Themen (z. B. Auswahl des Krankenhauses) durchgeführt wurden. Eltern recherchierten und benutzten dazu den Computer und das Internet, sie gingen in Geschäfte und begutachteten Kinderwagenmodelle, sie befragten Freund*innen, Kolleg*(inn)en, Bekannte und Verwandte und sahen Kataloge und Broschüren durch. Die gesammelte Information wurde mittels Papier und Stift oder mit Hilfe des Computers dokumentiert und auch als vernetztes Wissen im Gehirn und im Körper der Subjekte abgespeichert. Dadurch, dass die Eltern Teil dieser Informationspraktiken waren, erlangten sie Wissen darüber, was bei der Auswahl eines Kinderwagens notwendig war, welche Unterschiede Kinder-
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wagen aufwiesen und wie der Kinderwagen nach der Geburt gebraucht werden konnte. In Verbindung dieser Informationen mit dem Lebensstil und der Lebenswelt der Eltern entwickelten sich verschiedene Anforderungen an einen Kinderwagen. Diese Anforderungen bildeten Kriterien heraus, die in den Erzählungen zu Grundlagen der Entscheidung für ein Modell gemacht wurden. Die vier Kriterienbereiche Materialität des Kinderwagens, Phantasien über die spätere Nutzung, Ästhetik und Kosten wurden oben detailliert vorgestellt. Das Herausarbeiten der Kriterien und die Ausführung der Auswahl anhand der Kriterien benötigte Aktivitäten wie Messen, Informieren, Dokumentieren, Vergleichen, Kriterien gewichten und die Besprechung der Komponenten. Teil der Praktiken der Auswahl war es, aus einem Zusammenspiel aller Aktivitäten rund um Kriterien und Auswahl zu einem Ergebnis zu kommen und eine Entscheidung für ein Modell durchzuführen. Dann wurde der Kauf des Produkts vollzogen. Der Wagen wurde in einem Geschäft oder mit Hilfe des Internets bei einem Anbieter neu oder gebraucht gekauft. Bei Neuwagen erfolgte eine Bestellung und der Wagen wurde nach den Wünschen der Eltern (Zusammensetzung von Rädern, Gestell und Bezügen in der gewünschten Farbe) produziert. Die Eltern sprachen von einer durchschnittlichen Wartezeit von zwei Monaten. Gebrauchtwagen konnten beim Vorbesitzer abgeholt oder in einem Second-Hand-Geschäft gleich mitgenommen werden. Ein Neuwagen wurde nach Hause geliefert oder musste im Laden abgeholt werden. Bis zur Geburt wurde der Kinderwagen dann in der eigenen Wohnung oder in der Wohnung von Verwandten verstaut.
F IGURATION
VON
SPEZIFISCHEN
M ÜTTERN
UND
V ÄTERN
MIT
A UFGABEN
Mit den Phantasien über die Zukunft und den konkreten Umgang mit Gegenständen und dem Baby verbinden sich spezifische Bilder von Müttern und Vätern. Von den Herstellern der Produkte werden einerseits Umgangsformen vorgeschlagen, und diese werden in den Broschüren und Promotionvideos von Frauen und Männern ausgeführt, und andererseits teilen die werdenden Eltern die Fürsorgearbeit nach der Geburt in der Antizipation dieser Aufgaben auf. Die Eltern machten sich klarer, wer welche Gegenstände dann häufiger benutzt. Das Informationsmaterial zeigte hauptsächlich Frauen bei alltäglichen Tätigkeiten mit Babys und Männer bei Ausflügen und mit größeren Kindern. In den Gesprächen rekurrierten Frauen häufiger auf Alltagstätigkeiten mit dem Kind wie Einkaufen oder Arztbesuche. Frauen erinnerten sich daran, dass sie im ersten Jahr mit dem Baby zuhause sein würden und die meisten Fürsorgeaufgaben erledigen
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müssen. Männer erinnerten sich daran, dass sie das Kind eher am Wochenende herumkutschieren können. Die Assemblages, in denen sich die werdenden Eltern während des Kinderwagenkaufes befinden, halfen also, traditionelle Figurationen von Geschlecht mit traditionellen Aufgabenverteilungen zu unterstützen. Bilder, die in Forum1, Broschüren oder Gesprächen nicht vorkommen, müssten oder mussten von den Eltern selbst entwickelt werden, es gab kein Angebot einer Zusammenstellung von Partizipierenden, die Männer beim Einkauf mit dem Kinderwagen zeigt oder beim Füttern des Kindes unterwegs.
E LTERNWERDEN UND DURCH DEN
F IGURATIONEN
MIT DEM K INDERWAGEN VON P RODUKTEN :
K AUF
ELTERLICHER
S UBJEKTE
Viele Artefakte kamen in dem Prozess des Elternwerdens neu hinzu, andere Partizipierende waren bereits auf die eine oder andere Weise Teil der alltäglichen Prozesse der werdenden Eltern und wurden nun auf neue Weise integriert. So war die Straßenbahn ein Partizipierender des alltäglichen Lebens, die routinemäßig benutzt wurde. Kam zur alltäglichen Fortbewegung der Kinderwagen als Begleiter hinzu, wurden die Straßenbahn und auch die Eltern in ein neues Assemblage integriert und neu definiert. Der Kinderwagen musste durch die Tür der Straßenbahn passen. Einsteigen und Aussteigen war durch die Kombination Mutter/Vater + Kinderwagen erschwert. Dass Mutter/Vater, Kind und Kinderwagen/Transportmittel zu einem festen Assemblage verschmelzen und in der Stadt Teil von anderen Assemblages werden, bewirkt eine Neuintegration dieser Partizipierenden. Worin sich das Assemblage Mutter/Vater, Kind und Kinderwagen/Transportmittel integrieren lässt, hängt von der Morphologie der Umgebung, die aus zahlreichen vergangenen Praktiken geformt wurde, ab. Etwa hängt die Beschaffenheit der Straßenbahn von dem Baujahr der Straßenbahn und von den technischen und produktdesignerischen Vorstellungen und Möglichkeiten der Herstellungsfirma zum Zeitpunkt der Herstellung ab. Wie lange eine Garnitur im Einsatz bleibt, ist abhängig von den politischen und ökonomischen Möglichkeiten einer Stadt. Dies alles hat Einfluss auf die Materialität der städtischen Umgebung und somit auch auf die Kinderwagenauswahl und somit auf die Figuration der Eltern. Die Eltern wurden durch ihre Aktivitäten in dieser Stadt geformt, in ihrer Morphologie, mit den spezifischen Muskeln und kognitiven Fertigkeiten und Bedeutungszuschreibungen, die sie ausbildeten, um sich in der Umgebung zu bewegen und mit den Konzepten, die diese Umwelt transportierte, die sich mit schon vorhandenen mentalen Konzepten zu Neuem verbanden.
K INDERWAGEN
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Die Eltern erhielten im Prozess der Auswahl eines Kinderwagens ein Konzept davon, dass sie in Zukunft mit einer anderen heranwachsenden Entität eng verbunden sein werden und mit dieser den Alltag in der Stadt verbringen würden. Damit das heranwachsende Kind, das erst noch nicht gehen kann und später nur langsamer vorankommt, transportiert werden kann, braucht es das Transportmittel. Die Eltern sind also in der ersten Zeit immer zumindest +1, also mit Kindertransportmittel, unterwegs. Elternsein hieß, sich in der Umwelt diesen Platz nehmen zu müssen. Es hieß auch, bei Wegen, an denen das Kind beteiligt ist, den zusätzlichen Platzverbrauch einzurechnen und Hindernisse mitzubedenken. Das Kümmernmüssen um einen heranwachsenden Menschen wirkte sich auf die alltäglichen Praktiken außer Haus so aus, dass das Assemblage Elternteil, Kind, Transportmittel und notwendiges Babyzubehör fest miteinander verschmolz und sich einerseits nur bewegen kann, wo die Stadt physisch genug Raum für dieses Assemblage hat und sich, andererseits auf allen Wegen mehr Raum als als Einzelperson nehmen muss. Die Metapher, bald »zu dritt« zu sein, erhält an diesem Punkt eine neue Bedeutung. Die Kinderwagenauswahl und der Kinderwagenkauf konnte Eltern auf diese Phase vorbereiten; indem in den Informationspraktiken die Eltern Wissen erhielten, wie und wo andere Eltern sich nach der Geburt bewegen, entwickelten sie Vorstellungen über den Alltag mit Kind außerhalb der Wohnung und was dabei beachtet werden müsse. Die Eltern wurden auf Schwierigkeiten vorbereitet und gleichzeitig mit Strategien versorgt, diese möglicherweise zu umgehen. Die Auseinandersetzung mit Artefakten, die nach der Geburt gebraucht werden, war verbunden mit Phantasien über zukünftige Aktivitäten. Dies waren mentale Konzepte, bestehend aus Bildern über sich selbst, die den eigenen Körper im Raum in Verbindung mit Gegenständen als Eltern entwerfen. Eltern malten mentale Bilder von sich selbst mit Kinderwagen und einem Kind darin, das sie in der gewohnten Umgebung herumschieben. Die Frühelternschaft, die eine 24-Stunden-Betreuung des Säuglings beinhaltet, wurde hier in mentalen Konzepten vorweggenommen und es geschieht gleichzeitig eine Vorbereitung auf die Zustände nach der Geburt und eine Figuration des Selbst als Vater oder Mutter. Exemplarisch wurde hier am Kinderwagen gezeigt, wie viel Mühe und Arbeit der Kauf einzelner Produkte für das Kind oder für die Elternschaft brauchten. Diese Tätigkeiten fanden sich auch in anderen Einkaufstätigkeiten für andere Produkte wieder. Es handelte sich um Abläufe, die in der Schwangerschaft immer wiederholt wurden und die werdenden Eltern als reflexive vorausblickende und wählende Subjekte figurierten. Das Kaufen und intensive Auswählen von Produkten ermöglichte den werdenden Eltern aber sehr konkrete mentale Bilder über Tätigkeiten mit dem Baby nach der Geburt. Eine Wickelkommode machte
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vorstellbar, wie das Kind hineingelegt und gewickelt werden muss. Windeln machten die werdenden Eltern bereits darauf aufmerksam, dass das Baby diese häufig wechseln muss und eben der Kinderwagen machte es den Eltern möglich, klare Vorstellungen vom Transport des Kindes zu bekommen, aber auch davon, wie hilflos dieses Baby am Beginn seines Lebens sein wird. Im Lauf der Beschäftigung mit den Produkten wurde den Eltern klar, wie sie diese Dinge ausführen wollten und in welcher physischen Umwelt dies passieren würde. In diesem Prozess wurden die Produkte mit diesen Bildern aufgeladen und entwickelten sich zu Gegenständen, die für spezifische Tätigkeiten und für spezifische Formen von Elternschaft standen. Verbunden mit den Formen und dem Design des Kinderwagens, über deren Unterschiede die werdenden Eltern im Prozess lernten, entwickelten sich Bilder über Elternschaftsstile, die mit einem dieser speziell designten Produkte verbunden waren. Ein spezifisches Kinderwagenmodell, oder ein spezifisches Kinderspielzeug, begann dann für die Form der Elternschaft zu stehen, die die werdenden Eltern vertreten wollten oder in die die werdenden Eltern gedrängt wurden. Waren sie stylische urbane Eltern, die einen Wagen1 oder Wagen2 fuhren, geradlinige Kindermöbel in gedämpften Farben besaßen und schönes Spielzeug im Spezialgeschäft kauften. Waren sie Ökoeltern, die bei Möbeln, Kinderwagen und Spielsachen darauf achteten, eine schadstofffreie Umwelt für ihr Kind zu produzieren. Waren sie Stadteltern, die mit einem kleinen wendigen Wagen die zahlreichen Angebote und Möglichkeiten der Stadt nutzten oder waren sie Landeltern, die den Wagen in frischer Luft herumschoben und Wald und Wiesen genossen. Als Buben- oder Mädcheneltern suchten sie passende Farben und Motive auf Kinderwagen, Möbeln und Spielzeug aus. Ökonomische Verhältnisse figurierten gleichzeitig Eltern, die an diesen Warenwelten auf bestimmte Weise teilhaben konnten. Neuwagen bestimmter Marken waren sehr teuer, aber für die Hälfte oder weniger gebraucht zu haben. Karitative Vereinigungen vergaben Kinderwagen, Kindermöbel oder Babyspielzeug an Eltern, die sich auch die Preise von Gebrauchtwaren nicht leisten konnten. Die Tätigkeiten des Auswählens dieser Eltern wurden stark begrenzt. Diese (werdenden) Eltern wurden als jene figuriert, die sich keinen Elternstil leisten können und »zusammengestückelt« Dinge übernehmen mussten. Die Gegenstände können in diesen Assemblages Symbole für Armut werden.
17 Soziale Kontakte, Paarbeziehung und Kommunikation mit dem Fötus
Die Welten der werdenden Eltern sind nicht nur mit Kindermöbeln und Kinderwagen bevölkert, sondern auch mit anderen Menschen, mit denen gemeinsam sie ein soziales Leben teilen. Die werdenden Eltern figurierten sich in vielen Situationen nach außen hin als Paar, das als gemeinsame, verwachsene Formation auftritt. Nach innen konstituierten sich zwei Menschen, die miteinander interagieren und deren Paarbeziehung sich nun, durch das Auftauchen eines Dritten, verändern wird. Die Kommunikation mit diesem Dritten startete ebenfalls im zweiten Drittel der Schwangerschaft. Die Gestaltung der sozialen Kontakte war einerseits stark beeinflusst vom Verlauf der Schwangerschaft und dem Alltag der Schwangeren, andererseits von der Persönlichkeit der Eltern und den sozialen Kontakten der Eltern. Die Einstellung von Freunden und Verwandten zu der Schwangerschaft beeinflusste die Frequenz der sozialen Kontakte. Freunde und Verwandte, die der Schwangerschaft negativ gegenüberstanden, wurden seltener getroffen. Gleichzeitig mussten die werdenden Eltern aber Fremde, Freund*innen und Verwandte abwehren, die zu viel Zeit beanspruchten oder auf verschiedene Arten in das Leben des Paares eingreifen wollten.
S CHWANGERSCHAFTSALLTAGE
IM
M UTTERSCHUTZ
Vier Frauen der Studie gingen verfrüht auf Grund von Beschwerden oder Unvereinbarkeiten mit dem Beruf in den Mutterschutz. Für diese änderte die Schwangerschaft schon recht früh den Alltag und damit auch die sozialen Kontakte, die mit dem Arbeitsleben verbunden waren. Die anderen Frauen blieben in ihren Jobs bis zum Beginn des Mutterschutzes zwei Monate vor der Geburt. Einigen
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Müttern fiel die Umstellung von Arbeitsleben auf Mutterschutz schwer, andere Frauen waren sehr glücklich damit.1 Während der Arbeitszeit war der Alltag stark um diese herum organisiert. Für Arzttermine konnte eventuell freigenommen werden, ansonsten war die Beschäftigung mit der Schwangerschaft vor allem nach der Arbeit ein Thema. Der Wechsel in den Mutterschutz war dann verbunden mit einem Anstieg an Zeit, die Schwangere für sich selbst zur Verfügung hatten. Je nach Bewegungsfähigkeit mussten diese sich den Alltag neu organisieren und mit anderen Tätigkeiten füllen. Die Arbeit gab nun erst einmal nicht den Zeitpunkt des Aufstehens vor (dafür aber in manchen Fällen der Job des Partners). Am Morgen etwas länger schlafen war eine Tätigkeit, von der die Frauen berichteten. Geburtsvorbereitungskurse, Schwangerschaftsyoga oder -gymnastik, Akupunktur und Besuche bei der Gynäkologin konnten einen Teil der neu gewonnenen Zeit füllen. Die Wohnungen wurden gestaltet und zwei Paare zogen am Beginn des Mutterschutzes um. Viele werdende Mütter erzählten von Listen mit Dingen, die sie noch erledigen wollten, bevor die Schwangerschaft zu Ende sei. Einige Frauen taten sich mit der Umstellung und Veränderungen durch den Mutterschutz schwer, weil Arbeit eine Strukturierung des Alltags bedeutete und soziale Kontakte mit der Arbeit verbunden waren.2 »Freigelassen« von der Ar-
1
»Ja dann bin ich mit dem Mann G aufgestanden, bzw. hab noch nachgeschlafen bis halb acht oder acht, weil ich mir gedacht hab, das gönne ich mir jetzt weil nachher is’ es dann aus mit dem Ausschlafen [...] ich bin dann aufgestanden und hab’ mir einen Kaffee
gemacht
und
bin
zum
Computer
gegangen
und
bin
auf
ZEITUNGSWEBSEITEN gegangen. Ich hatte bis zu dem Zeitpunkt vier Tageszeitungen täglich und das ist mir dann ziemlich abgegangen und ich hab dann überlegt, welche Tageszeitung abonnier’ ich jetzt und wie mach ich das jetzt, damit ich nicht verblöde und hab mir dann ZEITUNGEN bestellt [...] das ist ganz wichtig [...] ich bin ganz oft in die Städtische Bücherei gegangen und hab mir Bücher ausgeborgt, ich hab ganz viele Bücher gelesen, die ich schon längst lesen wollte, also sicher 10, in den zwei Monaten. Und dann hat’ ich schon ein paar so Termine, zur Akupunktur bin ich einmal in der Woche gegangen und dann war ich immer beim Schwangerschaftsyoga [...] dann war ich schwimmen [...] ich hab geschaut, dass ich genug Bewegung bekomme, dass ich auch was Gscheites ess, das kostet auch schon relativ viel Zeit, dann hatte ich wieder Zeit, dass ich meine Freundinnen treffen [...] weil die auch Tagesfreizeit haben. Also zusammenfassend, mehr Zeit für mich mit Lesen, soziale Kontakte pflege, und natürlich rund um die Geburt, Schwangerschaft, Vorbereitung.« (Frau G) 2
»der erste Tag war der schlimmste und, weiß ich nicht, du wachst ganz normal auf, wie ein normaler Arbeitstag und dann darf ich nimmer zur Arbeit gehen. Auf einmal
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beit war es für einige schwierig, in einen neuen Alltag zu finden, in dem es keine vorgefertigten Aufgaben gab. Der Geburtsvorbereitungskurs war dann eine willkommene Beschäftigung und auch Termine, die wegen der Schwangerschaft erledigt werden mussten. Sich um den eigenen Körper kümmern und Dinge für das Baby kaufen und organisieren konnten dann eine gute Abwechslung sein. Die Lösung war für diese Eltern, sich Arbeit zuhause zu suchen. Recherchieren, die Wohnung auf Vordermann bringen und alles für die Zeit nach der Geburt vorbereiten waren Tätigkeiten, mit denen der Tag nun gefüllt werden konnte. Die Freizeit war, abgesehen von diesen Tätigkeiten, davon geprägt, Interessen nachzugehen und sich mit Freund*innen und Verwandten zu treffen. In den meisten Fällen hatten die Frauen Tageszeit für sich allein, die sie gestalten konnten. In drei Fällen waren die Männer wegen einer Selbstständigkeit oder wegen Arbeitslosigkeit bzw. Jobübergang ebenfalls viel zu Hause. In diesen Fällen gab es mehr Zeit für gemeinsame Aktivitäten als Paar. Mit dem Partner und Freund*innen konnte noch Zeit zu zweit verbracht werden. Soziale Kontakte pflegen war für die Eltern in dieser Phase ein willkommener Zeitvertreib. In den Erzählungen war diese Zeit aber auch beschrieben als Zeit der Entspannung mit Zeit für sich, die Schwangerschaft und eigenen Interessen. Freunde konnten zuhause oder außerhalb getroffen werden und, wenn möglich, konnten Spaziergänge und Bewegung den Tag gestalten. Aber auch Faulenzen stand am Programm.3 Einige werdende Mütter wussten die freie Zeiteinteilung und vor allem die vermehrten Zeitressourcen sehr zu schätzen. Dinge konnten langsamer erledigt und intensiver durchdacht werden. Es konnten mehr Pausen eingelegt und Aktivitäten, für die keine Ressourcen bestanden, hinzugefügt werden. Die
vermisst du das. Die andern sagen, ja da kannst du ausschlafen und entspannen, aber was tu ich jetzt [...] da bin ich aufgestanden und fertiggemacht so wie immer und dann so, Mist, du darfst ja gar nicht arbeiten gehen, das war ja gestern und nicht heute [...] da hab’ ich mal Badezimmerspiegel geputzt und das Kästchen abgewischt und die Bücher im Bücherregal anders geordnet, dann wieder anders geordnet nach Größe und abgestaubt und abgewaschen und staubgesaugt und dann war’s aber immer erst eineinhalb Stunden später [...] mein Freund hat sich dann ein Herz gefasst und mich abgelenkt.« (Frau J) 3
»auch weil ich so viel Zeit hab’ ganz in Ruhe, alles was ich machen will, ich kann ganz in Ruhe meine E-Mails schreiben, oder was lesen oder ich kann auch den ganzen Tag fernsehen und ich kann auch ein paar Sachen erledigen, das ist sehr angenehm, weil sonst beim Arbeiten ist immer nur Stress und dann müde [...] und jetzt bin ich ganz entspannt, durch die Tatsache, dass ich nicht arbeiten muss.« (Frau A)
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werdenden Mütter hatten nun Zeit, die Schwangerschaft zu genießen und diese mit anderen Schwangeren und Nichtschwangeren gemeinsam zu zelebrieren.
G EMEINSAM
MIT ANDEREN
Die werdenden Eltern traten im letzten Trimester, durch den Bauch der Schwangeren, sichtbar als werdende Eltern auf. Gemeinsame Aktivitäten mit Freunden veränderten sich durch die Schwangerschaft, da ab nun andere Orte aufgesucht werden mussten oder Freunde zu anderen Zeiten getroffen wurden. Verknüpft wurde das mit Verboten in der Schwangerschaft und körperlichen Möglichkeiten oder Einschränkungen, die der Schwangeren auferlegt waren. Verrauchte Bars oder Restaurants wurden von den Schwangeren nun nicht mehr aufgesucht. Treffen mit Freunden mussten an anderen Orten stattfinden.4 Die Eltern suchten rauchfreie Lokale oder Restaurants mit gut abgetrennten Nichtraucherbereichen auf oder luden Freunde nach Hause ein. Die Kontakte verlagerten sich zeitlich etwas nach vorne, was in den Erzählungen verknüpft war mit mehr Müdigkeit während der Schwangerschaft. Viele werdenden Eltern berichteten von Freunden, die sich auf die neue Situation und die Verschiebungen von Ort und Zeit nicht einlassen wollten oder konnten. Die Kontaktfrequenz zu diesen Freunden verringerte sich zwangsweise. Einige Eltern berichteten gleichzeitig von vermehrtem Kontakt zu Freunden, die bereits Kinder haben oder ebenso welche planen. Das Treffen von Personen »in derselben Situation« wurde einigen Paaren wichtiger bzw. dies ergab sich von alleine, da diese Paare nun ebenfalls zu den veränderten Zeiten und Orten erreichbar waren. Alle Eltern erzählten von sozialen Kontakten, die gemeinsam als Paar wahrgenommen wurden. Es gab soziale Kontakte, die vor allem in dieser Formation durchgeführt wurden. Keiner der beiden Partner wäre alleine zu den sozialen Angelegenheiten oder Treffen gegangen. Gleichzeitig berichteten alle Informant*(inn)en von Personen, die bevorzugt oder immer alleine getroffen wurden. Bei den Treffen als Paar war es unausgesprochene Regel, dass das Paar gemeinsam zum Treffen oder zu der sozialen Situation erschien und diese auch wieder gemeinsam verließ. Gesprochen wurde bei allen Treffen über Belange des Alltags und in den meisten Fällen auch über die Schwangerschaft.
4
»Wir versuchen halt sich mit Freunden früher zu treffen, damit das ok ist, wenn man sich um zehn, elf wieder trennt. Ja man kann natürlich nicht mehr in irgendwelche Bars gehen und Diskotheken und auch in viele Restaurants nicht, weil dort geraucht wird und wir gehen dann mehr ins Kino oder so.« (Frau F)
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Enge Familienmitglieder wurden ab der Schwangerschaft ebenso als Paar besucht oder getroffen. Ein Essen bei den werdenden Großeltern oder Treffen in der Stadt waren typische von den Eltern genannte soziale Situationen. Für viele werdende Eltern schien die Zusammengehörigkeit des Paares für Familienmitglieder mit der Schwangerschaft größer zu werden. Einige Eltern berichteten, dass sich gezielte gemeinsame Einladungen ab der Schwangerschaft häuften. In diesen Assemblages wird das Paar als gemeinsame, miteinander verwachsene Form figuriert, die als Einzelnes in diesen Zusammenhängen kaum denkbar ist. Es wäre für manche Eltern nicht vorstellbar gewesen, die eigenen Eltern ausschließlich alleine zu besuchen. Der Partner gehörte nun bei solchen Gelegenheiten dazu. Bis hin dazu, dass manche werdenden Großeltern ihre Kinder kaum mehr ohne Partner zu Gesicht bekamen und dies vielleicht auch gar nicht intendierten. Die Grenzen zwischen den beiden Partnern verschwommen und sie wurden zum schwangeren Paar. Auch wenn die Binnendifferenzierung in Mann und Frau aufrechterhalten blieb, war die Verbindung eine sehr enge und eine Abkopplung (z. B. alleine nach Hause gehen) kam kaum vor. Die Tätigkeiten beider Eltern waren in diesen sozialen Situationen stark miteinander verflossen und von dem Fötus bestimmt, insofern, als dass dieser die Definition des Paares als schwangeres Paar bestimmte. Dieser Fötus verlangte ebenso eine rauchfreie Umgebung und frühere Ausgehzeiten, welchem die werdenden Eltern fürsorglich nachkamen.
A LLEINE MIT ANDEREN : GETRENNTE W EGE WÄHREND DER S CHWANGERSCHAFT Trotz des verstärkten Auftretens des Paares als Formation pflegten beide Elternteile auch getrennt voneinander soziale Kontakte, die den Eltern wichtig waren. In den Erzählungen der werdenden Eltern tauchen hier zwei Gruppen auf: Jene Freunde, die selbst keine Kinder hatten und sich wenig um die Schwangerschaft kümmerten oder diese einfach zur Kenntnis nahmen und kaum weiter besprachen, und jene Freunde, die häufig auch Kinder hatten oder ebenfalls schwanger waren, mit denen Themen rund um die Schwangerschaft und das Kind intensiver besprochen werden konnten. 5 Vor allem in den Erzählungen der Frauen wurde
5
»Es ist gleich gewesen, dass man dann mit Leuten Kontakt hat, die selber Kinder haben. [...] Es ist zwar ab und zu angenehm, auch wenn man sich mit Freunden trifft, für die das überhaupt kein Thema ist, aber da merk’ ich dann schon, die fragen dann nicht mal, wie’s mir geht und sagen so gar nix [...] wobei ich jetzt schon denjenigen den
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dieser Unterschied stärker diskutiert. Sie schienen sich stärker an Gesprächen über die zukünftige Elternschaft und Themen, die damit verbunden sind, zu beteiligen. In den Schilderungen tauchte bei vielen Eltern aber auch der Wunsch auf, abseits vom Schwangerschafts- oder Kinderthema wahrgenommen zu werden, was schwieriger wurde, wenn man in die Welt der Kinderhabenden eingetreten war. Einerseits, weil die Schwangerschaft und Elternschaft Zeit für soziale Kontakte nahm, und andererseits, weil Kontakte, die mit der Schwangerschaft oder den Kindern zu tun hatten, dazukamen. In Interessensgruppen zu bleiben oder kinderlose Freundeskreise viel zu treffen wurde dann schwieriger, weil neue Assemblages, an denen die Eltern teilnahmen, die Zeitressourcen für »alte« Zusammenhänge verringerten. Die werdenden Eltern trafen diese sozialen Kontakte gezielt in Kaffeehäusern, bei sich zu Hause oder in anderen Wohnungen, beim Sport, der schwangerschaftsbezogenen Bewegung oder beim Verfolgen von persönlichen Interessen. Bei der Ausführung von Interessen und Tätigkeiten, die mit der Schwangerschaft nicht verknüpft waren, war es wahrscheinlicher, auf Personen zu treffen, mit denen nicht über die Schwangerschaft kommuniziert wurde. Von den einen wurde dies als Entlastung gesehen, von anderen eher problematisch. Einige werdenden Väter und Mütter insistierten in den Interviews darauf, dass sie auch abgekoppelt von Schwangerschaft und Elternschaft als Persönlichkeit mit Interessen und Zielen wahrgenommen werden wollen. Sie fühlten sich von ihrer Umgebung stark reduziert auf die kommende oder bestehende Elternschaft.6 Über andere Themen zu reden wurde schwerer möglich bzw. es wurde abgeblockt oder sogar sanktioniert. Während der Schwangerschaft über ein neues Projekt oder die zukünftige Karriere reden? Sich über Bücher oder Platten unterhalten? Werdende Eltern waren dann manchmal mit verwunderten Freund*(inn)en, Verwandten oder anderen Schwangeren konfrontiert, die ihnen ein »damit beschäftigst du dich noch?« entgegenwarfen.
Vorzug geben würd, die da mehr damit anfangen können, es verändert sich, ich hab’ jetzt sowieso weniger Lust, dass ich mich mit irgendwem treffe und da möchte ich mehr drauf schauen, wenn ich mich mit wem treffe, was ich da bereden kann und was nicht, was einem da auch gut tut.« (Frau E) 6
»man wird halt mehr beachtet als sonst und das ist auch ein wenig komisch [...] sie sind einfach besonders nett und müssen immer sagen ›du siehst so gut aus‹, das hab’ ich jetzt schon ungefähr 2000 Mal gehört, das sagt irgendwie jeder, den man trifft [...] irgendwie ist man ein bisschen, gehört man nicht ganz so dazu mehr [...] gar nicht negativ, man hat so eine Sonderrolle.« (Frau A)
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Gleichzeitig konnte es bei den werdenden Eltern Unbehagen auslösen, wenn Freundeskreise die Schwangerschaft konsequent wenig beachteten.7 Die werdenden Eltern wollten in diesen Situationen darüber sprechen und ihre Vorstellungen abseits der Schwangerschaftskreise darlegen, konnten aber nicht, auf Grund des geringen Interesses, das von Freund*(inn)en vermittelt wurde. Von einem Gefühl, nicht mehr dazuzugehören, egal ob die Schwangerschaft viel oder wenig beachtet wurde, berichteten diese werdenden Eltern. Der Fötus war in den Assemblages als etwas figuriert, das den werdenden Eltern einen Sonderstatus zuschrieb oder einer anderen Gruppe zuordnete. Sie konnten nicht mehr, und wollten in vielen Fällen auch nicht mehr, wie vorher adressiert werden. Es fanden sich aber für einige nur schwierig Wege für einen guten Umgang mit der Schwangerschaft innerhalb von sozialen Situationen. Die gewünschte Balance zwischen Kommunikation über Schwangerschaft und andere Themen konnte nicht erreicht werden. Vor allem die werdenden Mütter wurden durch die Schwangerschaft in Kreise integriert, die andere Schwangere oder junge Mütter integrierten. Sie trafen mit diesen anderen Schwangeren in Yogakursen oder Geburtsvorbereitungskursen zusammen oder sie stärkten den Kontakt mit Freunden oder Verwandten, die Kinder haben oder ebenso werdende Mütter sind. In diesen Kreisen wurden Schwangerschafts-, Geburts- und Babythemen intensiv besprochen. Schwangere holten sich Tipps und Informationen. Diese waren aber häufig widersprüchlich und die werdenden Mütter mussten gut abwägen, welchem Rat sie folgten. In den Gesprächen ging es aber schließlich darum, die Schwangerschaft gemeinsam zu besprechen, zu teilen und Befindlichkeiten, Freude und Ängste auszutauschen. Man war gemeinsam schwanger oder gemeinsam im Kreise der (werdenden) Mütter, die auf gemeinsam oder ähnlich erlebte Erfahrungen zurückgreifen und diese austauschen konnten. Werdende Väter waren als Nichtaustragende in der Schwangerschaft, wenn sie alleine waren, von den Schwangerschaftsverboten befreit. Sie konnten ab und zu noch ausgehen und mit Freunden trinken und rauchen. Auch waren sie körperlich nicht eingeengt und konnten noch ungehindert sporteln und z. B. mit Freunden Fußball spielen. Trotzdem erzählten die Väter, dass die Schwanger-
7
»Wenn ich mit meinen Brüdern bin, ist das überhaupt kein Thema und teilweise beim Kicken bei der Burschenpartie, ich bring’s nicht genau rein das Thema und von ihnen kommt’s auch nicht [...] und bei anderen Partien ist es halt echt so, oft so wenn mehrere Mädels dabei sind [...] da ist es eh schon Thema, weil wenn mich wer fragt, wie geht’s mir, dann ist einfach das Thema, das damit zu tun hat, wie es mir geht.« (Mann C)
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schaft auch für sie hieß, dass sie diese Aktivitäten etwas zurückschrauben mussten. Mann wollte doch eher nicht die ganze Nacht auf der Party bleiben, weil es in der Wohnung noch Umbauarbeit gab am Wochenende und die körperliche Einschränkung der werdenden Mutter brachte für einige Männer mehr Aufgaben im Haushalt und in der Planung mit sich. Auch ohne Verbote und Einschränkungen hatten sie nun weniger Zeit, sich mit Freunden zu treffen, um ihren Interessen nachzugehen. Die Männer berichteten infolgedessen von einem mehr oder weniger großen Rückzug aus Interessensgruppen und bestimmten Freundeskreisen.
B INNENKOMMUNIKATION Die werdenden Eltern berichteten alle, dass die Zeit der Schwangerschaft eine Zeit des Rückzuges war. Auch wenn sich gleichzeitig während der Schwangerschaft jede Menge neue soziale Kontakte ergaben und sich bestimmte freundschaftliche und verwandtschaftliche Kontakte stärkten. Die werdenden Eltern gingen weniger aus und konnten bestimmte soziale Events nicht mehr wahrnehmen wie vorher. Die Schwangerschaft war schließlich auch etwas Gemeinsames, das gemeinsam erlebt werden wollte. Von gemeinsamen Abenden, mit Gesprächen über die Zukunft oder das Baby oder mit einfachem gemeinsamem Zeitvertreib wurde berichtet. Die werdenden Eltern wussten, dass sie nun nicht mehr lange zu zweit waren, bzw. es auch schon nicht mehr so richtig waren, und wollten die »ruhige Zeit« noch etwas gemeinsam genießen.8 Die werdenden Eltern malten sich kommende Zeiten aus, in denen sie wenig Zeit füreinander haben würden und wo es diese gemeinsamen Abende sehr lange nicht mehr »einfach so« geben würde. Während der gemeinsamen Abende zuhause besprachen die Eltern Erziehungskonzepte, blätterten in Büchern, suchten Namen für das Kind aus oder saßen einfach nur gemeinsam vor dem Fernseher. Einige Eltern nutzten diese
8
»Mir ist das jetzt schon ein paar Mal aufgefallen in Gesprächen mit anderen gewordenen Eltern, dass viele Leute das unterschätzen, was das für Auswirkungen haben kann, oft wird das eben nur so positiv dargestellt [...] das ist schon was, wo wir drüber reden, wie wir da vorbeugen können [...] wenn man da nicht drauf aufpasst und schon während der Schwangerschaft sich was ausmacht, dass es dann gefährlich sein kann [...] wie wir das machen können, dass wir Zeiten für uns haben nur als Paar.« (Mann C)
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gemeinsame Zeit, um Details der Wohnung zu gestalten oder um gemeinsam im Internet nach Gegenständen zu suchen. Die werdenden Eltern besprachen an diesen gemeinsamen Abenden aber nicht nur die angenehmen Themen. Wichtig war es manchen werdenden Eltern, sich mit Strategien auf die kommende, als schwierig erwartete Zeit vorzubereiten. Von Freund*innen und in Foren haben sie über Probleme in der Partnerschaft nach der Schwangerschaft gehört und gelesen. Die werdenden Eltern berichteten, dass sie dem entgegenwirken wollten. Strategien waren Gespräche und Auszeiten für die werdenden Eltern nach der Geburt. Die werdenden Eltern fürchteten mögliche Verschlechterungen der Beziehungsqualität nach der Geburt und überlegten Notfallpläne für den Eintritt dieser Befürchtungen. All diese Gespräche führten aber vorerst zu einer Vertiefung der Beziehung während der Schwangerschaft. Der Rückzug aus spezifischen sozialen Kontakten auf Grund der Schwangerschaft und das gemeinsame Planen und Besprechen brachte die werdenden Eltern erst einmal einander näher. Einige erzählten davon, dass gemeinsame Zeit, die als Alltag bezeichnet wurde, die von Arbeit und abends fernsehen oder Freunde treffen bestimmt war, die eventuell zwar gemeinsam, aber nebeneinander ablief, durch intensiver verbrachte gemeinsame Zeit abgelöst wurde. In der Schwangerschaft war nun wieder Zeit für längere gemeinsame Gespräche und Reflexion der Beziehung und der eigenen Biographien. Gemeinsames Einkaufen, Dekorieren und gemeinsam Termine wahrnehmen schaffte eine ganz spezifische Zusammengehörigkeit. Die werdenden Eltern in der Studie zeigten alle hohe Ansprüche an eine funktionierende Beziehung und die Beziehung zueinander nach der Geburt. Auch wenn sie Probleme bereits voraussahen und »gegensteuern« wollten, äußerten die werdenden Eltern den Wunsch, eine ähnliche romantische Beziehung aufrechtzuerhalten, zu der zusätzlich ein Kind hinzukommt. Den werdenden Eltern war gleichzeitig bewusst, dass sich diese Ansprüche daran, wie sie mit dem Kind sein möchten und wie sie ihre Beziehung führen möchten, nicht vereinbaren ließen. Theoretisch möglich wäre eine Vernachlässigung des Kindes nach der Geburt und die Versorgung dessen mit dem Notwendigsten und eine Konzentration der Eltern auf die Zweierbeziehung. Wichtiger ist den werdenden Eltern aber ein spezifisches Erziehungsideal, die Tätigkeiten intensiver Fürsorge beinhalten.
K OMMUNIKATION
MIT DEM
B ABY
Zur gemeinsamen Zeit zu zweit gehörte in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft auch die Kommunikation mit dem Bauch bzw. mit dem Fötus. Die wer-
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denden Eltern hatten verschiedene Wege, mit diesem zu sprechen, zu spielen und dieses zu stimulieren. Die werdenden Eltern spielten den Föten Musik vor, die für diese kognitiv fördernd sein soll, lasen ihnen Geschichten vor, sprachen mit dem Baby und sangen ihm Lieder vor. Werdende Väter rieben der Mutter den Bauch oder pflegten diesen mit Öl oder Cremes und drückten den Bauch an verschiedenen Stellen und warteten auf Reaktion des Fötus. Die werdenden Mütter erzählten, dass sie häufig laut und manchmal auch in Gedanken mit dem Fötus sprachen. Sie sprachen diesen mit dem Geschlecht oder schon mit einem Namen an und kommentierten dessen Bewegungen oder sponnen Geschichten in Verbindung mit dem Verhalten des Fötus. Die werdenden Väter begannen ebenfalls, die Tätigkeiten des Fötus zu bewerten.9 Schlafzeiten und heftige Bewegungen wurden wahrgenommen und eingeteilt. Föten wurden so zu Langschläfern, Zicken, die sich schon richtig wehren können und zu Liebhabern spezifischer Musikstile. Tritte wurden von manchen Eltern als »das mag es nicht« und in anderen Momenten als »das findet es gut« bewertet. Die werdenden Eltern verknüpften Tätigkeiten des Kindes auf jeden Fall mit eigenen Tätigkeiten und bewerteten diese als Reaktionen auf ihr Verhalten. Es entstand also Kommunikation mit dem Baby, indem der Fötus auf die Reize von außen reagierte. In den Erzählungen der werdenden Eltern wurden diese Reaktionen humanisiert. Der Fötus hatte sich in den Geschichten der werdenden Eltern bereits eine Meinung über einige Dinge gebildet. Er/Sie wusste bereits, was er/sie mochte und nicht mochte und konnte dieses auch mitteilen. Die werdenden Eltern hörten darauf und versuchten ab und zu, ihr Verhalten darauf abzustimmen. Der Fötus wurde in diesen Assemblages schon als kleine Persönlichkeit figuriert, die ihre Befindlichkeiten ausdrücken kann. Die werdenden Eltern können diesen »Befehlen« des Fötus manchmal bereits folgen und ihre Tätigkeiten
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»Durch Klavierspielen einerseits, wir haben zuhause ein Piano stehen und ich kann ein wenig Klavier spielen und da spiele ich ihr [der ungeborenen Tochter, Anm. CS] ab und zu ein Paar Sachen vor oder tu’ was vorsingen oder einfach dadurch, dass ich den Bauch streichle und Berühren und bestimmte Sachen, ob halt auch irgendeine Art von Berührung, eine Gegenreaktion erfolgt. Ich hab’ auch in einem Buch gelesen, dass wenn man mit beiden Händen auf den Bauch und an einer Stelle mehr drückt als auf der anderen, wenn man das lange genug macht, dann wird das Kind den Bewegungen folgen, weil es merkt, dass man mit ihm spielt, aber das geht noch nicht. Aber scheinbar merkt sie, wenn man den Bauch streichelt und sie merkt auch, wenn das meine Hand ist und nicht die von meiner Freundin. Weil wenn das ihre Hand ist, da wird dann munter rumgeturnt und wenn das meine Hand ist, also vor mir scheint sie noch Respekt zu haben [lacht], so auf die Art.« (Mann F)
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als Antworten auf den Fötus sehen. Die Trias von Vater, Mutter und Kind war in diesen Praktiken bereits vollständig, auch wenn das Kind noch im Bauch ist, ist es schon Baby und ein kleiner reagierender Mensch.
E INDRINGLINGE
UND
H ELFERLEINS
Diese Zusammengehörigkeit der Trias und auch individuelle Grenzen galt es häufig auch gegen Angriffe von außen zu verteidigen. Freund*innen und Verwandte, aber auch Fremde, die den Kontakt mit der werdenden Mutter oder dem werdenden Vater suchten und sich negativ auf diese Formation auswirkten, mussten abgewehrt werden. Bei Fremden oder Bekannten handelte es sich häufig um Personen, die einfach den Bauch der werdenden Mutter anfassen wollten.10 In der Arbeit, aber auch in öffentlichen Verkehrsmitteln, fühlten sich Kolleg*(inn)en und sogar Fremde von Schwangerschaftsbäuchen angezogen »wie ein Magnet«, die sie anfassen wollten. Kolleg*(inn)en und Bekannte wollten mit dem Bauch sprechen oder den Fötus spüren, wie er strampelt. Darauf, ob die werdende Mutter dies möchte oder nicht, wurde häufig nicht geachtet. Diese fühlte sich auf den Bauch reduziert und exponiert und in manchen Situationen wehrlos gegenüber solchen Übergriffen. Grenzüberschreitungen einer anderen Art waren Erzählungen von schrecklichen Geburten oder Krankheiten der Kinder. Vor allem Verwandte erzählten solche Geschichten unverblümt, egal ob die Schwangere oder der werdende Vater dies hören wollten. Hinzu kommen Tipps über die richtige Erziehung und Warnungen vor »falschen« Tätigkeiten. Verwandte erzählten Geschichten von ihren eigenen beschwerlichen Geburten oder beschwerlichen Zeiten nach der Geburt mit Anmerkungen, wie leicht es die heutigen Mütter hätten.11 Gleichzeitig fühlten manche werdende Mütter eine geheime Schadenfreude der Verwand-
10 »Ich kann auch nicht einfach wo hingehen und wen antatschen [...] aber wennst schwanger bist, glauben alle, sie können das machen. So waaaahahahaha. So als wäre ich ein Magnet oder so.« (Frau J) 11 »da muss man schon recht aufpassen, was man sich anhört und was nicht, also ich hab’ eine Freundin, die hat ein Kind mit einem Jahr, mit der kann ich mich da gut austauschen, die ist auch vorsichtig mit dem, was sie erzählt [...] und dann sitzt man irgendwie, das fällt mir auf bei Müttern und Tanten, die dann so unüberlegt mit Geschichten auffahren, die man als Schwangere eigentlich nicht hören will und die gar nicht überlegen, was das macht mit einem [...] und das ärgert mich auch, wenn dann irgendwelche Tipps schon kommen über die Erziehung und so.« (Frau E)
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ten, dass sie eine schmerzhafte Geburt und eine beschwerliche Stillzeit noch vor sich hatten. Die werdenden Mütter hatten oft das Gefühl, sich diesen verbalen Übergriffen nicht oder nur durch Kontaktrücknahme entziehen zu können. Aushandlungsversuche, die bestimmte Themen verboten, waren häufig nicht möglich oder werdende Großmütter, Tanten und Großtanten hielten sich nicht an die Wünsche der werdenden Eltern. Waren soziale Kontakte hauptsächlich auf diese Weise geprägt, verschlechterten sich diese und/oder wurden ganz abgebrochen. Ein weiteres Problem mancher Paare waren enge Verwandte, in einigen Fällen, Mütter und Schwiegermütter, die versuchten, in die Paarbeziehung einzugreifen oder einzudringen. In den Fällen der Eltern meiner Studie waren dies werdende Großmütter, die versuchten, die Paarbeziehung der Eltern nach ihrem Willen zu lenken, indem sie manchmal viele Gegenstände für das Baby kauften und sich Gegenleistungen erwarteten oder einfach nur zu häufig zu unangemeldeten Besuchen erschienen.12 Für ein Paar in meiner Studie war es vor allem nach der Geburt sehr schwer, die frischgebackene Großmutter in ihre Grenzen zu verweisen und eine Besuchsregelung zu finden, die den gerade erst gewordenen Eltern mehr Platz gab. Noch schwieriger wurde die Situation, wenn die Eltern auf finanzielle Zuschüsse der Großeltern angewiesen waren. Bei den Paaren in meiner Studie waren Versuche von Eingriffen da, diese waren aber verhältnismäßig moderat. Vor allem wussten die Eltern sich zu wehren und schafften es, Besuchsregelungen und Gesprächsformen auszuhandeln, die für beide Seiten annehmbar waren. In den von den Eltern konsultierten Elternforen gibt es aber Hinweise auf massive Ein- und Übergriffe von Großeltern auf ihre Kinder und Enkelkinder, die sich zu verstärken schienen, wenn eine finanzielle Abhängigkeit, die Abhängigkeit von Hilfe oder sogar die Abhängigkeit vom Wohnraum der Großeltern bestand. Personen, die in die Privaträume der werdenden Eltern eindrangen, waren aber nicht immer ein Problem, sondern in vielen Fällen eine notwendige Hilfe. Waren Schwangere in ihrer Bewegung sehr eingeschränkt, brauchten sie Hilfe von Freund*(inn)en oder Verwandten, wenn der Partner nicht da sein konnte. Mütter und Schwiegermütter standen hier den werdenden Eltern im positiven Sinne zur Seite. Sie erledigten Wege für die Eltern oder pflegten die Schwangere, das Neugeborene und die Wohnung der werdenden Eltern. Viele Väter konn-
12 »Die sieht das Baby, eher so, jetzt schon als ihres an. Das ist dann schon etwas suspekt, da kriegt man schon weiche Knie, wenn nicht sogar Angstzustände [lacht]. Also ist schon etwas eigenartig, wenn die zukünftige Oma das Baby jetzt schon für sich beansprucht. Diesbezüglich heißt es dann vorsichtig sein und kühlen Kopf bewahren. Dass sie die Kleine alleine bekommt, muss am Anfang noch nicht sein.« (Mann J)
S OZIALE K ONTAKTE
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ten rund um die Geburt Urlaub nehmen und die ersten Wochen nach der Geburt mit den Müttern zuhause sein und sich um diese kümmern. In einem Fall war dies nicht möglich und die Mutter der werdenden Mutter pflegte die Mutter kurz vor der Geburt und im ersten Monat nach der Geburt. Dies waren wichtige und notwendige Hilfen für werdende Mütter. Soziale Kontakte zu engen Verwandten wurden in diesen Fällen als große Unterstützung erlebt und die Verbindung zwischen den Familienmitgliedern wurde durch die Hilfetätigkeiten gestärkt.
D IE D YADE
UND DIE
T RIAS
FORMIEREN
In den Beschreibungen der sozialen Kontakte der Eltern und den Tätigkeiten, in denen diese integriert waren, ließ sich sehr gut erkennen, wie das Paar in Praktiken integriert war, die es noch intensiver als Paar figurierten. Die Schwangerschaft erzeugte Rückzug in die Paarformation und gleichzeitig wurden mehr soziale Kontakte gemeinsam wahrgenommen. Die Kommunikation mit dem Fötus verstärkt eine Formation als Trias. Gegenüber Freund*(inn)en und Verwandten mussten sich die Paare oft abgrenzen und in den Praktiken wurden klare Grenzen zwischen dem Paar bzw. der Trias und der Außenwelt hergestellt. Kontakte der Eltern, die diese Zwei- oder Dreisamkeit zu stören drohten, indem sie die Eltern von dieser Formation wegziehen oder in diese eindringen wollten, wurden abgewehrt. Die nukleare Familie, die nur aus dem Paar und dessen biologischem Nachwuchs besteht, wird durch diese Abgrenzungen formiert.
18 »Hier werden Sie nicht entbunden« Vorbereitung der Geburt
Spätestens ab der zweiten Hälfte der Schwangerschaft begannen sich die werdenden Eltern mit der Geburt auseinanderzusetzen. Wurde eine Geburt in einem Krankenhaus gewünscht, mussten werdende Eltern schnell handeln. Viele beliebte kleine Krankenhäuser nahmen Anmeldungen nur bis zur 12. oder 13. Woche an. Etwa die Hälfte der Paare in meiner Studie meldeten sich am Ende oder kurz nach dem Ende des ersten Trimesters in einem Krankenhaus zur Geburt an. Eine werdende Mutter meldete sich später wieder ab (wegen eines Umzugs). Die andere Hälfte werdender Eltern suchte Krankenhäuser aus, in denen sie sich bis Ende der 20. Woche oder sogar bis kurz vor der Geburt anmelden konnten. Eine werdende Mutter entschied sich für eine Hausgeburt und kontaktierte bereits im ersten Trimester eine Hebamme, von der sie die gesamte Schwangerschaft hindurch betreut wurde. Ein Paar beauftragte eine Wahlhebamme für eine ambulante Geburt in einem Krankenhaus. Die selbst gewählten Hebammen, das Personal des Krankenhauses oder Hebammen der Stadt Wien bereiteten die werdenden Eltern auf die Geburt vor. Zusätzlich zu den Kursen waren werdende Eltern Teil von Maßnahmen zur Geburtserleichterung wie Akupunktur oder homöopathische Behandlungen. Einige Eltern hatten bereits vor der Geburt eine präferierte Geburtsmethode (Wassergeburt, Gebärhocker, Kaiserschnitt). Die vielen Möglichkeiten, die werdende Eltern hatten, bot den Eltern eine Personalisierung der Geburt, die vor allem im letzten Trimester geplant wurde. Es bestand der Anschein und auch der Anspruch, dass alle Eltern ihre individuelle Geburt durchführen konnten. Jedoch regulierten viele Partizipierenden die Ausführungsformen der werdenden Eltern gleichzeitig, sodass einige Sets von Tätigkeiten sehr häufig vorkamen. Die Auswahlprozesse als die Durchführungsmöglichkeiten von Vorbereitung und Geburt seien im Folgenden ausführlich dargestellt.
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K RANKENHAUS , W AHLHEBAMME
ODER
H AUSGEBURT ?
Hatten die werdenden Eltern einen Schwangerschaftstest gemacht und zeigte sich auch nach dem Ultraschalltest eine Schwangerschaft, wurden sie häufig von Freund*(inn)en, in Foren oder von ihrer Ärztin informiert, dass in Wien Anmeldungen für die Geburt in manchen Krankenhäusern noch im ersten Trimester erledigt werden müssten. Die werdenden Eltern haben, solange sie nicht in eine Risikogruppe eingeordnet werden (siehe Kap.10), Wahlfreiheit über den Ort einer Geburt. Um die Suche einzuschränken, mussten die werdenden Eltern zuerst zwei grundsätzliche Entscheidungen treffen: Die Eltern konnten zwischen einer Geburt zuhause oder im Krankenhaus wählen und wenn die Geburt in einem Krankenhaus stattfinden sollte, konnten Eltern eine ambulante Geburt mit einer eigenen Hebamme wählen. Für die meisten werdenden Eltern in meiner Studie war eine Hausgeburt keine Option. Es war von vornherein klar, dass die Geburt in einem Krankenhaus stattfinden sollte. Werdende Eltern konnten dann aus allen Krankenhäusern Wiens mit Geburtsstation und aus einigen in Niederösterreich wählen.1 Wie im Kapitel Kinderwagen (16) ausführlich vorgestellt, waren Auswahlprozesse der werdenden Eltern für eine Institution oder für ein Produkt immer wieder sehr intensiv. Die Tätigkeiten der Eltern sind hier nur kurz umrissen, konnten aber bei einigen Eltern im Umfang ebenso intensiv sein, wie in Kapitel 16 dargestellt. Für eine werdende Mutter war bereits vor der Empfängnis klar, dass sie eine Hausgeburt möchte. Schlechte Erfahrungen von engen Verwandten und eine hebammenorientierte Geburtsphilosophie machten die Hausgeburt für diese Mutter attraktiver als eine Geburt in einem Krankenhaus.2 Ihr war wichtig, die Geburt
1
Im Jahr 2009 kammen von 17.154 Lebendgeborenen 16.931 im Krankenhaus, 210 in der Wohnung der Mutter, 1 in einem Entbindungsheim, 1 in der Wohnung einer Hebamme, 1 am Transport und 10 an einem sonstigen Ort zur Welt. (Statistik Austria, 2010, 203)
2
»Ja nachdem ich mich schon vor der Schwangerschaft mit der Schwangerschaft beschäftigt habe und mich auch mit der Geburt auseinandergesetzt hatte, ja, ich glaub, dass das eh das größte Thema ist in der Schwangerschaft, weil das für viele Frauen angstbesetzt ist einfach, das war für mich auch so, muss ich ehrlich sagen, auch einfach wegen dem Bild, das man überall mitkriegt und den Schilderungen und da hab ich auch nachgelesen und bin drauf gekommen, dass es nicht so sein muss. Also wenn mir z. B. meine Mama über meine Geburt erzählt hat, also so stelle ich mir das nicht vor, dass ich 30 Stunden in den Wehen liege und dreimal Hebammenschichtwechsel
G EBURTSVORBEREITUNG
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selbstbestimmt durchführen zu können, mit der Hilfe einer Expertin, die die Geburt einfühlsam leitet. Ein Paar spielte kurz mit dem Gedanken, das Krankenhaus vermittelte dann aber mehr Sicherheit. Für die anderen Paare war eher die Frage nach der Präferenz eines großen oder kleinen Krankenhauses im Vordergrund. Mit einer Geburt im eigenen Heim sahen sich diese Paare überfordert. Die werdenden Eltern erklärten, dass eine Geburt in einem kleinen Krankenhaus, mit einer entsprechenden Geburtsphilosophie, ebenso selbstbestimmt und »natürlich« ablaufen könnte, wie bei einer Hebammengeburt zuhause. Paare, die große Krankenhäuser favorisierten, da diese aus ihrer Sicht eine gute medizinische Versorgung boten und Notfälle schneller versorgen konnten, lehnten Hausgeburten und kleine Krankenhäuser mit dieser Begründung ab. Auch der Wunsch nach Schmerzmitteln und der den Hebammen zugeschriebenen Skepsis vor diesen schreckte werdende Mütter von einer Hausgeburt ab. Ähnlich erklärte dies auch die interviewte Hebamme. Sie konstatierte, dass häufiger Frauen ab der zweiten Geburt für eine Hausgeburt zu ihr kämen und bei der ersten Geburt das Krankenhaus bevorzugt werde. Mehrere Paare sprachen davon, dass sie gerne eine Wahlhebamme gehabt hätten, aber nur ein Paar hat sich diese auch geleistet und ein Krankenhaus ausgesucht, wo es diese mitbringen kann. Waren Paare nicht zusatzversichert, kostete der Hinzuzug einer Wahlhebamme ca. 900 bis 1500 Euro. Einigen Eltern war dies zu viel Geld, auch wenn es ihnen wichtig gewesen wäre, dass sie ihre Hebamme schon vorher kennen. Grundsätzlich überwog dann aber das Vertrauen in das Krankenhauspersonal. Manche werdenden Mütter zeigten Angst davor, an eine unsympathische Hebamme oder zwischen zwei Hebammenschichten zu geraten. Hebammen in Krankenhäusern wechseln alle 12 Stunden ihre Schicht. Dauert eine Geburt länger als 12 Stunden oder überschreitet die Geburt eine bestimmte Zeitgrenze, dann gibt es während der Geburt einen Hebammenwechsel.
und irgendwer der einem sagt, der einem das Gefühl gibt, dass man das nicht gut genug macht und das deswegen nichts weitergeht bei der Geburt und dass man Wehenmittel gespritzt bekommt und noch viel ärgere Schmerzen kriegt und diese ganzen Geschichten halt. [...] bei meinen Recherchen bin ich dann bald auf das Thema Hausgeburt gestoßen und hab’ mir ’dacht ja, das ist das, was eher mir entspricht und dann hab ich mich eh bald einmal auf die Suche nach einer Hebamme gemacht, die das anbietet. Bei der waren wir dann auch schon, bevor wir das erste Mal beim Frauenarzt waren. [...] Ich glaub’, wenn man in irgendein Krankenhaus geht, kann es leicht passieren, dass einem das Heft aus der Hand genommen wird und man nicht mehr entscheiden kann, was man möchte und in welchen Tempo man das möchte.« (Frau E)
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Manche Frauen drückten Angst davor aus, dass dieser Wechsel die Geburt beeinflussen und verlangsamen oder schwerer erträglich machen könnte. In Foren lasen Eltern Horrorgeschichten über Krankenhäuser, in denen eine Hebamme für mehrere Geburten gleichzeitig verantwortlich ist und die kreißende Mutter alleine lässt. Diese Geschichten schafften den werdenden Eltern Angst und eine selbstausgesuchte eigene Hebamme erscheint in diesem Lichte sehr attraktiv. Das Paar in meiner Studie, welches eine solche hinzuzog, fand diese in der Tat sehr hilfreich. Das Paar absolvierte bei der Hebamme mehrere Untersuchungstermine und einen Vorbereitungskurs. Vor allem kurz vor der Geburt war die Betreuung sehr intensiv. Auch für den Partner war der Kontakt zu der Hebamme sehr wichtig. Er entwickelte das Gefühl, dass er mit der Hebamme gemeinsam das Kind geboren hatte. In seiner Erzählung zeigte sich viel stärker das Gefühl, mitgewirkt zu haben, als bei den anderen gewordenen Vätern. Die Geburt wurde von den gewordenen Eltern als gemeinsame Leistung erzählt, in der jede Person einen Part spielte. Dies ist ein Hinweis darauf, dass die Integration einer Wahlhebamme als Partizipierende hilft, Väter in das Geburtserlebnis positiv zu integrieren und Väter als Mitwirkende zu figurieren. Die Grundentscheidung für eine Wahlhebamme, für ein großes oder kleines Krankenhaus, leitete die weitere Suche nach dem richtigen Krankenhaus.
E IN K RANKENHAUS
AUSWÄHLEN
Der erste Schritt für die werdenden Eltern bestand darin, eine Liste der Geburtsstationen zu machen, die Webseiten dieser aufzurufen und dann die Suche auf interessante Krankenhäuser einzuengen. Manche Gynäkolog*(inn)en der werdenden Eltern gaben Empfehlungen für Krankenhäuser ab, mit denen sie zusammenarbeiteten. Erfahrungsberichte in Foren, von Freund*(inn)en und Bekannten halfen, die Institutionen zu bewerten. Allerdings hörten die werdenden Eltern sehr viele widersprüchliche Informationen. Der nächste Schritt war, dass sich die Eltern selbst ein Bild machten und an Infoabenden oder Führungen durch die Geburtsstation teilnahmen.3
3
»Das war sehr schwierig, weil du auch alle Schauergeschichten hörst von allen: ›geh ja nicht dorthin, dort war’s super‹, also wir hatten von allen Spitälern Schauergeschichten und Nichtschauergeschichten [...] im Prinzip haben wir es so gemacht, dass wir die Kliniken angeschaut haben, da gibt’s Besuchstermine, darf man hingehen, da sind wir gemeinsam hingegangen.« (Mann G)
G EBURTSVORBEREITUNG
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Ich habe selbst an einer Führung durch eine Geburtsstation in einem kleinen Krankenhaus teilgenommen, das von einem Paar in meiner Studie als Geburtskrankenhaus ausgewählt wurde. Die Infoabende begannen meist mit einer Informationsrede einer Hebamme und/oder einer/m Arzt oder Ärztin. Eltern erhielten Wissen über die Leistungen des Krankenhauses während der Schwangerschaft und zur Geburt: Themen wie Pränataldiagnostik, Wahlhebammen, Geburtsformen und Schmerzmittel wurden angesprochen. Daraufhin folgt meist eine Besichtigung der Geburtsstation und der Kreissäle, falls diese frei sind. Bei der während der Forschung durchgeführten Besichtigung wurden wir in den größeren Saal geführt und bekamen alle Geräte von der Hebamme erklärt. Die Hebamme ging auf verschiedene Geburtssituationen ein und erklärte diese mit den Gegenständen im Raum, etwa wie eine Geburt am Gebärhocker vorangeht und welche Aufgaben die kreißende Mutter, der/die Partner*in und die Hebamme im Raum haben. Eine Wanne, Sprossenwände und ein Gebärbett, das in unzählige Positionen gebracht werden konnte, wurden genauer erklärt. In die Erklärungen wurden verschiedene Geburtsphilosophien und die Rollen anderer Menschen im Raum eingebunden. Die Hebamme ging auch darauf ein, was passiert, sollten sich Probleme während der Geburt ergeben. Schließlich endete die Hebamme damit, dass sie sich erwarte, dass die werdenden Eltern sich mit diesen verschiedenen Geburtsmöglichkeiten auseinandersetzen, wenn sie dieses Krankenhaus wählen möchten, denn: »Sie werden hier nicht entbunden, hier helfen wir Ihnen bei Ihrer individuellen Geburt« (Hebamme2). Jedes Krankenhaus nützt diese Infoabende die eigene Geburtsstation einerseits in ein gutes Licht zu rücken, andererseits aber auch den Eltern die Geburtsphilosophie des Krankenhauses näher zu bringen. In anderen Krankenhäusern haben werdende Eltern Philosophien vernommen, die obigem Zitat der Hebamme eher widersprechen. Die Infoabende waren dazu da sich aufgrund dieser Aussagen ein Bild von dem Krankenhaus, der Geburtsstation und dem Personal zu machen und dieses mit eigenen Vorstellungen, Wünschen und Wertvorstellungen zu vergleichen. Diese Vergleiche zwischen eigenen Wünschen und den Realitäten, die die Krankenhäuser darboten, zwischen den verschiedenen Krankenhäusern und zwischen den Vorstellungen der werdenden Eltern selbst halfen dabei, die eigenen Präferenzen zu erkennen, benennbar zu machen und zwischen diesen zu Unterschieden und auszuwählen. Nach einer intensiven Recherche entschieden sich die Paare für ein Krankenhaus und meldeten sich dort an. Die Bewertungskriterien für ein gutes Krankenhaus waren die Freundlichkeit des Personals, die Ausstattung der Kreißsäle und die Geburtsphilosophie der Station. Die Bewertung und Auswahl erfolgte ähnlich wie im Kapitel Kinderwagen (16) beschrieben. Eine genaue Beschrei-
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bung dieses Auswahlvorganges würde die verschiedenen Geburtsphilosophien, wie Eltern bei der Bewertung des Personals vorgehen und wie Eltern wichtige Gegenstände, die sich im Kreißsaal befinden, erfassen und bewerten, darstellen. Ein Paar wählte ein Krankenhaus aus, weil es bereits Personal auf der Geburtsstation kannte. Die Möglichkeiten, pränataldiagnostische Ultraschalle kostenlos zu bekommen, trug bei einigen Eltern ebenfalls positiv zur Entscheidung bei. Anderen Eltern war die medizintechnologische Ausstattung eines Krankenhauses wichtig. Die Anmeldung für ein Krankenhaus konnte nach der Entscheidung im Krankenhaus und bei vielen Krankenhäusern auch online erfolgen. Die Krankenhäuser informierten dann mit Broschüren, Informationsmaterial und Listen über ihre weiteren Leistungen. Untersuchungstermine kurz vor der Geburt wurden den Eltern sofort oder per Post oder Telefon bekanntgegeben. Einige werdende Eltern kehrten während der Schwangerschaft mehrmals in das Krankenhaus zurück, um das Ersttrimesterscreening, das Organscreening oder einen Geburtsvorbereitungskurs dort durchzuführen. Andere werdende Eltern hielten bis zu einem Untersuchungstermin kurz vor der Geburt keinen Kontakt mit dem Krankenhaus. Bei ambulanten Geburten und Hausgeburten war kein Kontakt mit dem gewählten Geburtskrankenhaus oder Notfallkrankenhaus (das auch bei einer Hausgeburt in Reichweite sein muss) notwendig.
D EN G EIST UND K ÖRPER VORBEREITEN : G EBURTSVORBEREITUNGSKURSE UND G EBURTSVORBEREITUNGSMASSNAHMEN Auf die Geburt vorbereitet wurden die werdenden Eltern von Hebammen im ausgewählten Krankenhaus, von einer Hebamme, von der die Eltern betreut wurden oder von den Familienhebammen der Stadt Wien. Alle Paare in meiner Studie haben einen Vorbereitungskurs durchgeführt oder planten diesen. Die Eltern sind aber nicht zu einem Kurs verpflichtet. Mit der Empfehlung, auf alle Fälle einen Kurs zu machen, waren die werdenden Eltern immer wieder konfrontiert. Das Angebot in Wien ist sehr groß und reicht von kostenpflichtigen Kursen im Krankenhaus, in Hebammenzentren und bei privaten Hebammen bis zu kostenlosen Kursen der Familienhebammen der Stadt Wien. Zu den kostenlosen Kursen der Stadt Wien sind Partner nicht zugelassen. Wollten die Paare den Kurs gemeinsam absolvieren, mussten sie dies bei einem kostenpflichtigen Kurs im Krankenhaus oder bei einer Hebamme tun. Einige Hebammenzentren boten verminderte Tarife für finanziell schwache Paare an. Acht Paare meiner Studie besuchten gemeinsam einen Kurs und zwei werdende
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Mütter besuchten den Kurs der Familienhebammen, wo Partner nicht erlaubt sind. Die werdenden Eltern kamen beim Kurs in eine kleine Gruppe, die aus wenigen Paaren bis hin zu ca. 20 Frauen bestand. Alle werdenden Eltern freuten sich über den Kontakt zu anderen Frauen oder Paaren, die zu einem ähnlichen Termin gebären würden und sich in derselben Situation befanden. Die Kursteilnehmer*innen und Kursleiter*innen wurden von den werdenden Eltern durchwegs als sympathisch beschrieben und die werdenden Eltern fühlten sich in der Gruppe wohl. Der Geburtsvorbereitungskurs war im letzten Drittel der Schwangerschaft für einige eine willkommene Tätigkeit, die im Mutterschutz Zeit einnahm und die direkt das bevorstehende Ereignis adressierte. In den Kursen wurden die werdenden Eltern mit Einzelheiten zur Geburt vertraut gemacht. Der genaue Ablauf der Geburt, die verschiedenen Wehenphasen, mögliche Komplikationen, Schmerzmittel und Geburtspositionen wurden den werdenden Eltern erklärt.4 Einige werdende Eltern sahen Filme über Geburten. Die Kursbesucher übten das Veratmen von Wehen und manche konnten verschiedene Gebärpositionen testen und üben. Falls die Partner am Kurs teilnehmen durften, wurde ihre Rolle während der Geburt besprochen und es gab bei den einzelnen Geburtspositionen direkte Vorschläge, in welcher Position und wie der Partner mithelfen kann. Besprochen wurden auch die Wochenbettphase, das Stillen und erste Handgriffe mit dem Baby. Die Kurse gaben den Eltern Zeit und Raum, über Ängste, Überforderungen und Veränderungen zu sprechen. Neben dieser Vermittlung von Know-how wurden in einigen Kursen gezielt die Körper trainiert oder Übungen und Massagegriffe gezeigt, die Eltern zuhause ausführen können, wie die Dammmassage oder Übungen, die den Beckenboden und andere Muskeln kräftigen, dehnen und entspannen, was eine Geburt erleichtern kann. Einige werdende Eltern lernten Bewegungen, die am Beginn der Wehen und während der Geburt zur Erleichterung der Schmerzen und zur Förderung des Geburtsvorganges ausgeführt werden konnten. In einigen Kursen war
4
»Der hat übrigens irrsinnig Spaß gemacht, da war so eine gute Atmosphäre, und diese freudige Erwartung, und die waren irrsinnig nett die Hebammen auch [...] und das war nicht so wie früher, ich hab’ mir schon gedacht, wir müssen da stundenlang Atemübungen machen, das geht mir auf die Nerven, sondern nein, es war relativ tough, das und das kann bei der Geburt sein, wenn das passiert, ist das und das und da hab’ ich mich gut vorbereitet gefühlt und da hab’ ich mir gedacht jetzt bin ich schon auf vieles drauf eingestellt und jetzt hab’ ich es auch verstanden. Die haben uns dann mit einer Puppe gezeigt, wie das Baby sich hinausdreht und das war sehr lehrreich und das hat uns auch geholfen, das alles gewusst zu haben.« (Mann G)
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Akupunktur oder Akupressur inkludiert. Das Punktieren spezifischer Körperstellen mit Nadeln oder Druck sollte ebenfalls die Muskeln kräftigen und entspannen und für die Geburt locker und dehnbar machen. Einigen Eltern wurden Übungen für die Zeit nach der Geburt, zur Rückbildung, mitgegeben. Die Kurse wurden von den Eltern generell positiv besprochen. Genaue Information, die Möglichkeit, Fragen zu stellen, und sich mit anderen Kursteilnehmer*(inne)n auszutauschen, war ihnen sehr wichtig. Die Geburt rückte näher und war ein mit Angst behaftetes Thema. Wissen und das Üben von Positionen beruhigte die werdenden Mütter und auch die meisten werdenden Väter. Die Kurse entschleierten den mystischen Event Geburt, auf den alles zusteuert, etwas und informierten über genaue Abläufe und über mögliche Komplikationen. Die Eltern beschrieben es dabei als beruhigend, zu wissen, was schiefgehen kann und was dann passiert. Die werdenden Eltern erhielten in den Kursen etwas Kontrolle über den Geburtsvorgang, sei es durch Übungen mit denen sie vielleicht die Geburt erleichtern können oder mit Wissen, welche Schritte bei der Geburt nacheinander passieren. Betreuung und Vorbereitung durch eine Hebamme Zwei Paare in meiner Studie wurden von einer Hebamme betreut, weil sie eine ambulante Geburt mit einer Wahlhebamme oder eine Hausgeburt gewählt hatten. Alle vier Informant*(inn)en berichteten von einem sehr guten Verhältnis zur Hebamme, die sie regelmäßig trafen und die für alle Fragen zur Verfügung stand.5 Bei einem dieser Paare, das eine Hausgeburt plante, übernahm die He-
5
»Man kann sich daheim genau die Bedingungen machen, damit man entspannt ist und hab’ halt auch meine Vorstellungen, wie ich mir das wünsche. [...] Wobei mich schon wichtig ist, die Hebamme würd’ auch ins Krankenhaus mitkommen [wenn bei der Geburt etwas schief geht, Anm. CS], da weiß ich, da ist jemand, der ist da, die geht nicht weg und wenn man sich für eine Hausgeburt entscheidet, sieht man die Hebamme relativ oft, schon während der Schwangerschaft, kann sich gut kennen lernen und ich denk’ mir dann, die kennt mich dann auch, weiß, wo meine Grenzen vielleicht sind und was ich brauch’ und so und das ist irgendwie angenehm zu wissen.« (Frau E) »die kommt zu uns heim, das ist sehr angenehm und mit der plaudern wir zwei Stunden lang und die fragt wie geht’s dir, also hauptsächlich jetzt die FrauE natürlich und die zeit uns auch, wie tastet man ein Kind [...] da darf ich dann selber auch oft tasten und schauen, wo ist die Gebärmutter jetzt und ist sie schon gewachsen und letztens haben wir gesagt, jetzt schauen wir mal, wo der Kopf ist, und dann haben wir gesagt
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bamme auch einen Teil der Schwangerschaftsbetreuung. Der werdenden Mutter war es sehr wichtig, bei der Geburt eine Hebamme um sich zu haben, die sie bereits kannte und die auch sie und ihre Eigenschaften und Eigenheiten kannte. Beim Geburtsvorgang wollte sie nicht mit fremdem Personal konfrontiert sein. Der Geburtsvorgang und Wünsche des Paares, wie dieser ablaufen sollte, konnten so schon vorher durchgespielt werden. Die Hebamme wusste Bescheid, was die werdende Mutter wollte und auch, wenn dann bei der Geburt etwas anders als erwartet laufen sollte, war sie sich sicher, dass die Hebamme ihren Vorstellungen und Wünschen entsprechend handeln würde und ihre Selbstbestimmtheit bei der Geburt gewahrt bleiben würde. Der werdende Vater war von Beginn an in die Betreuung eingebunden, lernte das Abtasten des Kindes im Bauch und konnte Unterstützungspositionen während der Geburt üben. Die Geburt schien als etwas, das zu dritt geplant wurde und das gemäß den Vorstellungen der werdenden Mutter und für diese so angenehm wie möglich gestaltet wird. Ein anderes Paar nahm mit ihrer Hebamme ca. in der Hälfte der Schwangerschaft Kontakt auf. Sie trafen ihre Hebamme dann wieder bei der Geburtsvorbereitung und gegen Ende der Schwangerschaft, im Mutterschutz, intensiver. Die werdenden Eltern fühlten sich durch die Beratungen der Hebamme umfassend informiert und auch beruhigt, dass die Geburt schon von alleine laufen werde und dass sie einen Profi an ihrer Seite hatten, »die das schon macht«.6 Die bevorstehende Geburt erschien diesem Paar durch den Kontakt mit der Hebamme als weniger schwierig und weniger kompliziert und bewältigbarer als erwartet. Sie hatten in ihren Beschreibungen dann weniger Angst, als sie zuvor dachten. Das Gefühl, ohne Schmerzmittel wäre eine Geburt unmöglich, wich einer zuversicht-
na da ist es ein bisschen härter, das müsste der Kopf sein und ja, das ist auch ein Erlebnis irgendwo und das ist auch schön.« (Mann E) 6
»da hab ich mir gedacht, ja, die weiß, wie’s geht, die hat zig Kinder zur Welt gebracht, die ist ein Profi und ich werd’ mir nicht überlegen, was ich glaub’ für eine Situation, die ich überhaupt nicht vorher sehen kann, weil ich nie in meinem Leben Wehen hatte, weil ich nicht weiß, wie sich das anfühlt, ich hab’ mir gedacht, es wäre eigentlich dumm, sich schon irgendwelche fixen Vorstellungen zu machen, das bringt einfach nix, [...] deswegen hab’ ich mir gedacht, ich werd’ mich da leiten lassen und hab’ jetzt nicht unbedingt Wassergeburt oder unbedingt PDA. Und am Anfang, bevor wir bei der Hebamme waren, hab’ ich mir gedacht, ich muss unbedingt diese Schmerztherapie kriegen, diesen Kreuzstich, weil das überleb’ ich ja sonst nicht und warum soll man sich das antun, und die Hebammen, die ja dafür bekannt sind, nicht unbedingt und naja nur wenns nötig ist [...] nach dem Geburtsvorbereitungskurs hab’ ich mir das aber auch gedacht.« (Frau G)
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lichen Haltung. Dadurch, dass ihr Baby in diesem Fall nach dem errechneten Geburtstermin kam, war die werdende Mutter am Ende der Schwangerschaft oft bei der Hebamme. Auch dieses Warten wurde durch den Kontakt zur Hebamme leichter gemacht. Das Paar war überhäuft mit Anfragen und Anrufen von Verwandten, Freund*(inn)en und Kolleg*(inn)en, wann denn nun das Baby kommt. Zusätzlich hatten die Eltern im Hinterkopf, dass die Geburt eingeleitet werden müsse, wenn die Wehen nicht einsetzen würden. Die Hebamme konnte in dieser Situation immer kontaktiert werden und stand beruhigend zur Seite. Das Paar fühlte sich sehr gut versorgt und vorbereitet. In beiden Situationen waren die werdenden Mütter sehr entspannt und die werdenden Väter in das Geschehen integriert. Die Geburt war als eine Leistung von drei Personen gemeinsam figuriert, die sich bereits gegenseitig vorbereiteten. Die Hebamme war als jene figuriert, die das professionelle Wissen besitzt und in jeder Situation weiß, was zu tun ist. Auf sie konnte mensch sich verlassen. Auch darauf, dass sie auf die werdenden Eltern im Prozess einging und sie, etwa im Krankenhaus, schützte. Sie wurde figuriert als jene, die die Interessen der Gebärenden im Krankenhaus wahrt und für die Mutter ungünstige Behandlungen abwehrt. Gemeinsam waren sie als fester Kreis figuriert, der sich auch nicht durch Komplikationen aufbrechen ließ. Dies sorgte für Gelassenheit und Ruhe und so für eine einfachere Geburt. Die werdenden Eltern empfanden dies als gemeinsam erbrachte Leistung.
I CH
PACKE MEINEN
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Waren die wichtigen Dinge wie Krankenhaus, Hebamme und Geburtsvorbereitungskurs geklärt, hatten Eltern noch viele Kleinigkeiten zur Vorbereitung auf die Geburt zu erledigen. Eine Maßnahme für die werdenden Eltern war der Koffer, der für die Geburt gepackt wurde. Die Tasche wurde von den meisten im Mutterschutz gepackt. Das Krankenhaus empfiehlt eindringlich, eine solche Tasche zu packen, die dann, wenn die Wehen einsetzen, nur noch genommen werden muss. Wenn zu diesem Zeitpunkt erst gepackt werden muss, haben die werdenden Eltern nicht mehr den Kopf dafür. Deswegen musste die Tasche oder der Koffer im Vorhinein gepackt werden. Im Geburtsvorbereitungskurs, in Foren oder von Freunden erfuhren die Eltern, was in den Koffer sollte. Sie machten sich lange Listen von Dingen, die in den Koffer müssen. Manche werdenden Eltern zeigten sich in den Interviews überrascht, an was mensch alles denken muss, wenn mensch ins Krankenhaus geht. Die werdenden Eltern kauften die Dinge auf den Listen oder suchten diese zu-
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hause zusammen. Sie wählten eine Tasche aus, in die die Dinge platziert wurden. Kleidung für das Krankenhaus und die Entlassung, Toiletteartikel, eine Babyerstausstattung und wichtige Dokumente wurden von den werdenden Eltern am häufigsten erwähnt. Ein Fotoapparat für nach der Geburt und etwas zu essen für den Partner wurde auch häufig kurz vor der Geburt in die Tasche getan. Empfohlen wurde von den Hebammen im Krankenhaus, das ich besichtigt habe, auch, Lieblingsmusik und Lieblingsdüfte mitzubringen, die mensch dann bei der Geburt einsetzen kann. Das Packen machte den Eltern bewusst, dass die Geburt nun unmittelbar bevorstand und alle Vorbereitungen getroffen werden müssen. Damit dann keine zusätzlichen Wege gemacht werden müssen, sollten jetzt alle notwendigen Gegenstände antizipiert und gepackt werden. Die Eltern wurden wie in so vielen anderen Praktiken als verantwortungsvolle Individuen figuriert, die vorausdenken können und sich auf Situationen vorbereiten. Die Listen und Anforderungen führten gleichzeitig dazu, mit diesen noch einmal die Geburt und die darauffolgenden Tage durchzudenken.
I NDIVIDUELLE G EBURTEN
VORBEREITEN
Bei der Auswahl des Krankenhauses, die meist in der ersten Hälfte der Schwangerschaft stattfand, setzten sich Eltern bereits mit Geburtsformen und Geburtsphilosophien auseinander. Im zweiten Trimester traten dann andere Tätigkeiten in den Vordergrund. Die Schwangerschaft verlangte den Eltern viele Erledigungen, das Umbauen oder -räumen der Wohnungen und eine Auswahl vieler Gegenstände ab. Zusätzlich arbeiteten viele Frauen im zweiten Trimester noch. Im letzten Drittel der Schwangerschaft rückte die Geburt näher und die Gedanken der werdenden Eltern fokussierten sich zunehmend darauf. Der Geburtsvorbereitungskurs und andere Vorbereitungstätigkeiten halfen dabei. In den Kursen lernten die Eltern die konkrete Situation kennen. In der Einzelbetreuung wurden sie gezielt auf das Ereignis vorbereitet. Dabei wurden die werdenden Eltern als jene figuriert, die wählen können und müssen, zwischen Krankenhäusern, zwischen Haus- und Spitalsgeburten, zwischen Wahlhebammen und Gebärpositionen. Im Assembling dieser Partizipierenden konnten sie das Ereignis minimal steuern und kontrollieren. Abgesehen von einem Wunschkaiserschnitt war die Situation Geburt nicht vorhersehbar. Die Phase der Geburtsvorbereitung diente den Eltern dazu, dies zu akzeptieren und gleichzeitig durch Übungen oder Akupunktur dort Einfluss zu nehmen, wo sie die Vorstellung bekamen, etwas tun zu können. Der tatsächliche Ablauf der Geburt war aber unkontrollierbar.
19 Die Geburt
Die werdenden Eltern waren in der bisherigen Schwangerschaft Teil von Praktiken, in denen die Rahmenbedingungen der Geburt figuriert wurden: Es wurde das Krankenhaus ausgesucht und mit dem Krankenhaus eine spezifische Geburtsphilosophie oder die Option für eine spezifische Geburtsform (z. B. Wassergeburt). Die Bestimmung von Risikofaktoren in den Mutter-Kind-PassUntersuchungen, dem Ersttrimester- und dem Organscreening wurden zu Partizipierenden figuriert, die die Wahl des Krankenhauses, aber auch die Geburtsform mitbestimmten, in dem die werdenden Mütter etwa nur Krankenhäuser mit angeschlossener Neonatologie wählen konnten, oder von vornherein auf eine Geburt per Kaiserschnitt festgelegt wurden. Im spezifischen Prozess der Geburt werden Anordnung und Ausstattung des Krankenhauses, Hebammen, Ärzte, wehenfördernde oder -hemmende Medikamente, Schmerzmittel, Kardiotokographiegeräte, Badewannen, Geburtspools, Gebärbetten und -hocker, Seile und Sprossenwände zu wichtigen Partizipierenden der Praktiken der werdenden Eltern. Gemeinsam mit diesen Partizipierenden passiert die Trennung des Körpers der Mutter vom Körper des Kindes, der mit der Austreibung aus dem Mutterkörper zu einer Entität mit eigenständiger Begrenzung wird, wenn auch zu einer, die rund um die Uhr versorgt werden muss. Auf die Frage danach, wann für sie die Geburt beginne, antworteten die werdenden Eltern mit dem Einsatz der Wehen oder mit einem Sprung der Fruchtblase. Dies passierte in den meisten Fällen nicht im Geburtskrankenhaus, sondern bei den Eltern zuhause oder wenn diese in der Stadt unterwegs waren. Der Beginn der Geburten war von den werdenden Eltern in meiner Studie nicht an einem Zeitpunkt festzumachen. Der Einsatz der Wehen oder Ereignisse, die die Geburt eröffneten, wurde als fließendes Ereignis erzählt, das an mehreren Punkten begann. Es begann mit kleinen Kontraktionen, die aber im letzten Monat der Schwangerschaft gelegentlich auftauchen können und wieder gingen, körperli-
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chen Erscheinungen wie Übelkeit oder Durchfall, oder eben mit einem Blasensprung. Diese Tätigkeiten des Körpers leiteten dann in die Geburt über.
W EHEN Ein Großteil des Geburtsprozesses der werdenden Eltern war von Wehen begleitet. Das sind Kontraktionen der Gebärmutter, die das Kind aus dem Körper der werdenden Mutter bewegen. Sie wurden in allen Informationsquellen als etwas beschrieben, das nicht gezielt durch die werdende Mutter kontrolliert werden konnte. Es konnten allerdings Mittel eingesetzt werden, die Wehen hervorbrachten oder veränderten. Manche werdenden Eltern waren Teil von Tätigkeiten, in denen ihnen Naturheilmittel oder alternativmedizinische Mittel, um Wehen hervorzurufen, verabreicht wurden. Es gab Medikamente, mit denen gemeinsam die Wehenfrequenz und -stärke verändert werden konnte. Hebammen und Gynäkologinnen teilten die Geburtswehen in vier Phasen, die Eröffnungswehen, die Übergangswehen, die Austreibungswehen und die Nachwehen (Husslein et.al., 2009, 114), ein. In den medizinischen Diskursen sind die Übergangswehen eine aktive Phase der Eröffnungswehen (Schneider, 2000; Schulze, 2006, 17). Über die Phasen wurden die werdenden Eltern im Geburtsvorbereitungskurs informiert. Die Hebammen oder das Krankenhauspersonal bei den Vorbereitungskursen vermittelten den werdenden Müttern, dass ein Sprung der Fruchtblase oder das Einsetzen von Wehen, die alle fünf Minuten kommen, ein Grund sind, ins Krankenhaus zu fahren. Bücher und Infoseiten verlautbarten dieselben Marker. In den Geburtsvorbereitungskursen lernten die werdenden Eltern, wie sie die Abstände der Wehen provisorisch messen können.1 Beide Marker müssen aber nicht klar erkennbar sein und waren von Erstgebärenden oft schwer einschätzbar. Die Fruchtblase kann bei einem minimalen Riss nur so wenig Fruchtwasser verlieren, dass es kaum bemerkbar ist und auch Vorwehen waren häufig schwer von »richtigen« Wehen zu unterscheiden. Einige Mütter konnten Vorwehen und Eröffnungswehen erst nicht unterscheiden. Wenn sich bei den werdenden Müttern nun Kontraktionen einstellten, so konnten diese auch Vorwehen sein. Die werdenden Eltern warteten zu, ob die Wehen stärker wurden. Eltern erzählten von einsetzenden Wehen, die wieder zurückgehen konnten, um dann am selben Tag
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I: Wann sollte man losfahren? A: wenn die Wehen alle 5 Minuten kommen in regelmäßigen Abständen oder wenn die Fruchtblase platzt. (Frau A)
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oder Tage später wieder aufzutauchen. Ein Paar war bereits im 8. Monat mit Vorwehen im Krankenhaus. Die werdende Mutter war überzeugt, dass das Kind nun oder in den nächsten Tagen kommen würde. Es ließ dann aber doch noch einen Monat auf sich warten. Bei Kontraktionen, die »anders als bisher« waren oder die stärker wurden, bereiteten sich die werdenden Eltern auf den Weg ins Krankenhaus vor oder riefen die Hebamme. Die werdenden Mütter riefen den Partner an, falls die werdende Mutter an einem anderen Ort als der werdende Vater war, und manchmal noch enge Verwandte oder Freunde. Werdende Mütter und Väter versuchten die Zeit zwischen den wiederkehrenden Wehen zu messen, mit einer Uhr oder der Stoppuhrfunktion am Mobiltelefon. Die Paare fuhren mit dem Auto, dem Taxi oder öffentlich ins Krankenhaus. Im Krankenhaus erfolgte die Anmeldung mit einigen bürokratischen Tätigkeiten, die die werdenden Mütter in der Eröffnungsphase noch problemlos selbst erledigen konnten. Andernfalls wurden diese Formalitäten vom Partner oder einer engen Verwandten erledigt. Die werdenden Mütter lernten zu diesem Zeitpunkt die Hebamme kennen, die vorerst für sie zuständig war. Mit ihr konnten manche erste Wünsche für die Geburt besprechen. Den werdenden Eltern wurde dann ein Zimmer oder ein Bett zugewiesen, wo sie erst einmal verbleiben konnten, oder sie wurden gleich in den Kreißsaal verwiesen. Ein Wehenschreiber wurde angelegt und der Muttermund wurde überprüft. Für das Krankenhauspersonal war dann wichtig, wie weit dieser bereits geöffnet war. In Verbindung mit der Wehenfrequenz und -stärke bekamen manche Eltern dann Prognosen über den weiteren Verlauf der Geburt. Einige Eltern erzählten von Rundgängen im Krankenhaus, um die Schmerzen leichter zu ertragen und um die Schwerkraft für die Wehen zu nutzen. Andere verharrten weiter in einer liegenden oder sitzenden Position. Aus medizinischer Sicht wird durch die Wehentätigkeit der Muttermund gelockert und erweitert (Schulze, 2006, 17). Im Idealfall liegt das Baby mit dem Kopf nach unten in der Gebärmutter. Dieses muss durch den Muttermund, das Becken und die Vagina hindurch. Die Kontraktionen der Wehen ziehen den Muttermund auseinander, sodass das Baby durchbewegt werden kann. Am Ende der Eröffnungsphase oder am Beginn der Übergangsphase wurden die Frauen dann in den Kreißsaal verlegt, wenn sie nicht von Anfang an dort waren. Der Partner war in den Fällen meiner Studie immer in der Nähe der Frau und bei der Geburt dabei. In den Foren gab es Hinweise darauf, dass es Partner gab, die bei der Geburt nicht dabei sein mochten. Die werdende Großmutter, Geschwister oder die beste Freundin wurden dann als Begleiterinnen zur Geburt genannt. Eröffnungswehen und die Übergangsphase wurden als schmerzhaft erlebt, falls keine Schmerzmittel eingesetzt wurden. Manche Frauen beschrieben
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einen Anstieg der Schmerzen mit dem Voranschreiten der Geburt. Frauen, die bereits vorher eine Periduralanästhesie bekamen, spürten ein Zerren und Ziehen mit wenigen oder gar keinen Schmerzen. Im Kreißsaal positionierten sich die Frauen dann in der Gebärwanne, auf dem Hocker oder im Gebärbett. Die Positionen wurden von manchen auch gewechselt. In der Austreibungsphase hatten die Frauen Presswehen, mit denen sie das Kind aus ihrem Körper schoben. Diese Wehen machten sich durch einen Druck nach unten bemerkbar, dem nachgegeben werden musste. Die Hebammen kontrollierten die Wehen, den Muttermund und wie sich das Baby aus der Gebärmutter herausbewegte. Ihre Position war in der Nähe des Bauches und der Vagina. Die werdenden Väter übernahmen stützende Funktionen, hielten den Frauen die Hände oder versorgten sie mit Wasser oder Traubenzucker. In Forum1 gibt es Hinweise darauf, dass manche Väter in diesen Geburtsphasen nur zusahen, wie Hebamme und Mutter vorankamen oder auf Grund von Übelkeit oder Überforderung mit der Situation den Raum verlassen mussten. Ärzte und Ärztinnen nahmen in den Erzählungen an der Geburt teil, indem sie im Kreißsaal auftauchten und bei einer gut verlaufenden Geburt auch wieder gingen. Sie legten Zugänge für Schmerzmittel und kamen bei Komplikationen wieder hinzu. Die verschiedenen Wehenphasen konnten von einigen Minuten bis einigen Stunden dauern und waren je individuell verschieden. Nachdem das Kind den Körper verlassen hatte, stellten sich bei den Frauen noch Nachwehen ein, die die Plazenta aus der Gebärmutter bewegten. Erst dann war die Geburt vorbei und die Geburtsverletzungen der Mütter wurden versorgt. Wehenmittel und Schmerzmittel In der Geburtsmedizin kommen verschiedene Mittel zum Einsatz, die Wehen fördern oder hemmen können und die den Wehenschmerz lindern. Die werdenden Eltern wurden über diese Mittel im Geburtsvorbereitungskurs unterrichtet. Bei der Geburt kamen am häufigsten Wehenförderungsmittel und Schmerzmittel zum Einsatz. Als Wehenförderungsmittel wurden Oxytocin und Prostaglandin verwendet. Beide Stoffe werden auch vom Körper gebildet. Die medizinische Literatur beschreibt ein Ungleichgewicht von Östrogen und Progesteron im Körper, welches veranlasst, Oxytocin zu disseminieren (Schulze, 2006, 16). Dieser Stoff bewirkt eine Kontraktion spezifischer Muskeln der Gebärmutter. Die intravenöse oder lokale Zufuhr von Oxytocin und Prostaglandin wurde bei Informantinnen eingesetzt, wenn die Geburt langsam voranging oder sich der Muttermund kaum öffnete. In den Berichten der Eltern finden sich kaum positive Erzählungen über Wehenmittel. Die Geburten verlaufen nach der Verabreichung schnel-
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ler oder Frauen bekommen Wehen, wenn sie den Geburtstermin länger überschritten haben und die Wehen nicht einsetzen. Die Wehen wurden von den Frauen aber als sehr schmerzhaft und künstlich empfunden. Gefühle von Kontrolllosigkeit verstärkten sich. Die Frauen hatten das Gefühl, für die Geburt nicht die Zeit zu bekommen, die sie brauchen würden. Die interviewten Hebammen standen den Wehenmitteln ebenso kritisch gegenüber, es wurden aber auch Fälle geschildert in denen solche Mittel notwendig würden. Den Frauen würde aber nicht der eigene körperliche Rhythmus, den sie für die Geburt bräuchten, überlassen. Ein Schmerzmittel, das alle Eltern einsetzten, war das Veratmen der Wehen. Im Geburtsvorbereitungskurs wurde dieses erlernt und es sollte die Schmerzen erträglicher machen und Verkrampfungen vermeiden. Das warme Wasser in der Gebärwanne wurde von Eltern und in Ratgebern als beschrieben. Eltern erzählten, dass manche Frauen in den ersten Wehenphasen Opiate gespritzt bekamen, die die Schmerzen etwas linderten, die sie aber zugleich benommener machten. Diese wurden eingesetzt, wenn die Schwangere zusätzlich zur Schmerzlinderung auch Beruhigung brauchte. Ein wichtiger Schmerzstiller während der Geburt war die Periduralanästhesie (PDA), welche von Anästhesist*(inn)en ausgeführt wurde. Die werdenden Mütter wurden am Rücken lokal betäubt und eine Nadel wurde in das Rückenmarksgewebe eingeführt. Diese betäubten jene Nerven, die für die Schmerzen verantwortlich waren, ohne die Kontraktionen zu unterbinden. Medizinische Wehenmittel und Schmerzmittel figurieren Ärztinnen als jene, die den Körper der werdenden Mutter steuern können, während dieser sonst ungeschützt Schmerzen oder langedauernden Geburten ausgesetzt ist. Den Müttern können Schmerzmittel Erleichterung bringen und ihnen helfen, die Geburt durchzuführen. In anderen Fällen können sie eventuell zu einer Verlangsamung der Geburt oder einer Schwächung der Mutter führen. Die Wirkung der Schmerzmittel schien schwer vorherzusagen zu sein, weswegen viele Hebammen sie ungern verwenden. Die Verheißung einer schmerzfreien Geburt konnte in den Fällen meiner Studie nicht bestätigt werden. Wehenmittel und Schmerzmittel sind folglich instabile Partizipierende, die von Hebammen wenn möglich gemieden und von den Müttern in der Geburtsphase manchmal herbeigewünscht und -zitiert wurden. Komplikationslose Geburten schienen sehr häufig ohne Schmerzmittel zu verlaufen. Einige werdende Mütter meiner Studie informierten sich vor der Geburt gut über mögliche Mittel. Im Geburtsvorbereitungskurs wurden sie ebenfalls über die Mittel aufgeklärt. Schauergeschichten in Foren oder von Freund*(inn)en oder Kolleg*(inn)en brachten einige werdende Mütter dazu, sich Situationen zu suchen, in denen der Umgang mit Wehenmitteln und Schmerzmitteln wohl durchdacht war. Bei einer
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Hausgeburt ist die Verwendung medizinischer Wehenmittel und Schmerzmittel ausgeschlossen und die werdende Mutter kann sich mit ihren Wehen Zeit lassen. Bei der Auswahl des Krankenhauses war für viele Eltern die Position des Krankenhauses gegenüber dem Einsatz von Wehen- und Schmerzmitteln sehr wichtig. Die werdenden Mütter wollten nicht an einen Arzt geraten, der sie, wenn die Geburt mal etwas langsamer vorangeht, an den Wehentropf zwingt. Krankenhäuser und Geburtsstationen, von denen sie solche Geschichten lasen oder hörten, vermieden diese Mütter. Diese Vorauswahlen bestimmen dann häufig, wie viele dieser Mittel dann während der Geburt zum Einsatz kommen. In der Situation der Geburt, in der manchmal »alles schnell« geht und Frauen das Gefühl bekommen, dass sie weniger mitbestimmen können, was ihnen verabreicht wird, sind dann die Geburtsphilosophie des Krankenhauses und damit der Einsatz der Mittel ein wichtiger Partizipierender. Werden die Mittel verwendet, scheinen sie mächtige Partizipierende zu sein, die Wirkung zeigten. Mütter und Ärztinnen konnten aber nur Teile der Wirkung voraussehen oder kontrollieren. An diesem Thema zeigt sich sehr gut, dass Geburtsverläufe stark von den Assemblages, in denen die Eltern figuriert wurden, abhängen. Es kann der Frau eine lange Wehenzeit erlaubt werden oder es kann ihr passieren, dass sie von einem Arzt an den Wehentropf gehängt wird, »damit es schneller geht«. In der Geburtssituation sind Frauen zum ersten Mal in ihrem Leben mit starken und schmerzhaften Wehen konfrontiert, was ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber unerwünschten Behandlungen oder Geburtspositionen schwächen kann. Vor der Geburt können die Eltern aber Teil von Assemblages werden, die diese Situationen antizipieren und vermeidbar machen. Selbstbestimmung war einigen werdenden Müttern extrem wichtig, sie waren als jene figuriert, die die Kontrolle bewahren müssen und wollen, denn sie mussten die Geburt und die Mittel dann ja auch »am eigenen Leib spüren«. Gebärhaltungen und -formen Die Kreißsäle, die die werdenden Eltern bereits während der Schwangerschaft besichtigten, bieten den werdenden Eltern eine Reihe von Positionen an, in de2 nen sie gebären können. In wenigen Fällen ist durch eine Risikoschwanger-
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I: Haben Sie Positionen, die sie favorisieren? H: Ja, alles was aufrecht ist. Das ist sehr sehr effektiv, vor allem gegen Ende ist es die tiefe Hocke, also jetzt gar nicht unbedingt am Hocker sitzen sondern einfach selber tief in die Hocke gehen, wie wenn man im Wald sozusagen pinkelt [lacht], das ist oft sehr effektiv am Ende und ansonsten, möglichst viel Bewegungsfreiheit der Frau lassen, die soll selber entscheiden, sie soll
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schaft eine Geburt per Kaiserschnitt vorherbestimmt. In allen anderen Fällen konnten sich Frauen über mögliche Gebärhaltungen vorab informieren. In den Geburtsvorbereitungskursen wurden die werdenden Mütter und, wenn dabei, ihre Partner*innen über mögliche und zuträgliche Positionen bei der Geburt informiert. Die gängige Meinung der Hebammen und der Informationsmaterialien war, dass während der Wehen und bei der Austreibung des Kindes aufrechte und nach vorne gelagerte Positionen besonders förderlich sind. Hebammen beschrieben erste Geburten mit einer Dauer zwischen zehn und zwanzig Stunden, wovon die meiste Zeit mit dem Veratmen von Wehen und den langsamen Bewegungen des Kindes nach unten verbracht werden. Dabei wechselten die Frauen ihre Position jeweils so, wie es am besten erträglich war, wenn ihnen dies möglich war. In Foren lasen Eltern in Berichten darüber, dass Frauen von Ärztinnen und Ärzten, aber auch von Hebammen in Positionen zitiert werden, die ihnen unangenehm sind. In den Fällen meiner Studie konnten die Frauen aber die Gebärhaltungen immer wieder wechseln oder mit der Hebamme eine gewünschte Position vereinbaren. Begann die Austreibungsphase, begab sich die werdende Mutter in eine Position, die für das Herauspressen des Kindes günstig war. Zwei werdende Mütter in meiner Studie hatten mit ihrer Hebamme bereits vorab eine Wassergeburt vereinbart. Andere Mütter behaupteten, dass sie sich nicht auf eine Position festlegen wollten, da sie die Situation nicht voraussehen konnten. Der Vorteil einer Wassergeburt, bei der das Kind in einer Gebärbadewanne zur Welt kommt, sei, dass das warme Wasser die Schmerzen lindere und das Wasser das Gewebe weich und locker mache und somit Geburtsverletzungen vorbeuge. Andere Eltern gebaren in hockender, in sitzend/liegender Position oder im Stehen. Eine Hocke kann während der Geburt frei eingenommen werden, oder die werdende Mutter bekommt Unterstützung vom Gebärhocker. Einige werdende Mütter konnten diesen Hocker bereits im Geburtsvorbereitungskurs testen. Die Partner stützten in dieser Position häufig den Rücken der Kreißenden. In Gebärbetten, die häufig auf beliebige Höhen und Tiefen eingestellt werden können, konnten Frauen auch in halbaufrechter Position gebären. Stehenden Frauen gaben Seile, Sprossenwände oder auch der Partner Unterstützung. Bei einer Geburt im Vierfüßlerstand oder in der Seitenlage hatte der Oberkörper der Mutter eine stärkere Neigung nach vorne, was die Vorwärtsbewegung des Babys während der Geburt unterstützen sollte.
sich auch einmal niederlegen dürfen, also ich halt’ gar nichts davon, wenn sich die Frauen mühsamst auf den Beinen halten [...] im Grunde soll’s die Frau ja selber entscheiden können. (Hebamme A)
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Während der Wehen halfen den Frauen das Seil oder die Sprossenwände, aufrecht zu bleiben. Eine Mutter sprach von kreisenden Bewegungen der Hüften, die ihr beim Voranschreiten der Wehen Erleichterung brachten. Das Kreisen hatte sie im Geburtsvorbereitungskurs gelernt und bereits vorher zuhause geübt. Die Babys in meiner Studie kamen letztendlich in den unterschiedlichsten Positionen zur Welt, was der Forderung der Hebammen, den Frauen zu individuellen Geburten zu verhelfen, entsprach. Nicht alle Mütter waren mit dem Vorgang und mit der letztendlichen Geburtsposition zufrieden. Vor allem konnten Komplikationen auftreten, von denen die meisten Mütter zwar schon im Geburtsvorbereitungskurs gehört hatten, aber hofften, dass sie die Informationen nicht brauchen würden. Komplikationen Geburten konnten in einigen Fällen zwar sehr schmerzhaft oder schwierig, aber erfolgreich verlaufen. In wenigen Fällen kam es zu Komplikationen, bei denen während einer Geburt Mutter oder Kind in Gefahr gerieten. Ich möchte an dieser Stelle nur kurz auf mögliche Probleme eingehen, die in meiner Studie von Eltern besprochen wurden. Bei nur einer interviewten Mutter gab es während der Geburt Komplikationen, die zu einem Kaiserschnitt führten. Komplikationen wurden von den interviewten Eltern als Situationen beschrieben, die ihnen vor der Geburt Angst machten. Werdende Eltern drückten in den Interviews die Hoffnung aus, dass einzelne Probleme und Problemlösungen, wie etwa ein Kaiserschnitt, nicht auftreten würden. Probleme konnten in allen Stadien der Geburt auftreten, bzw. zu den Komplikationen zählte auch, wenn die Geburt nicht zu einer angemessenen Zeit begann. Am Beginn der Schwangerschaft errechnete die Gynäkologin einen Geburtstermin, der in den seltensten Fällen auch der Geburtstag des Kindes war. Rund um diesen Termin stellten sich die werdenden Eltern aber auf die Geburt ein. Babys, die zwischen der 28. und 38. Woche zur Welt kommen, werden Frühgeburten genannt (Schulze, 2006, 18). Ab der 38. Woche (nach der letzten Menstruation) galt eine Geburt vor dem errechneten Termin als komplikationslos. Setzten bis 14 Tage nach dem errechneten Termin keine Wehen ein, wurden Geburten eingeleitet. Das zu lange Verbleiben des Fötus in der Gebärmutter kann zu einer Unterversorgung des Kindes und zu weiteren Geburtskomplikationen durch die Größe des Kindes führen. Bei der Geburt musste durch Wehen der Muttermund geöffnet werden und das Baby drehte sich idealerweise dann durch das Becken hindurch aus der Vagina der Mutter heraus. Bei allen diesen Schritten konnten Komplikationen auf-
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treten. Die Wehen konnten nicht kräftig genug sein, um den Muttermund zu öffnen oder die Öffnung des Muttermundes konnte aus Sicht von Ärzten oder Hebammen zu langsam vorangehen. Hier wurde in manchen Fällen mit Oxytocin oder Prostaglandin nachgeholfen. Der Kopf des Kindes und das Becken der Mutter konnten aus verschiedenen Gründen nicht gut genug zusammenarbeiten. Der Kopf konnte nicht durch das Becken hindurchpassen, oder Drehungen, die durch die Wehen in Kombination mit der Anatomie des Kindes verursacht wurden, konnten ungünstig erfolgen und das Hindurchrutschen durch das Becken eher behindern statt fördern. Die Wehen konnten in diesen letzten Phasen auch nicht kräftig genug sein, um das Kind herauszupressen. Erschöpfungszustände der Mutter konnten diesen Zustand fördern. Geburtszangen und Saugglocken werden (gegenwärtig nur noch sehr selten) dazu benutzt, Kinder dann aus dem Becken herauszuziehen. In diesen Situationen wurde dann häufig ein Kaiserschnitt entschieden. Im Idealfall lag das Kind während der Eröffnungswehen mit dem Gesicht zur Seite und drehte sich in der Übergangsphase in das Becken, mit dem Gesicht nach unten. In der Austreibungsphase kann sich das Kind auch wieder zur Seite hin drehen. Hebammen berichteten aber von vielen Lagen, aus denen sich das Kind aus dem Uterus bewegen kann. Es konnte sich nach oben hin drehen, oder eben auch mit den Füßen voran aus der Gebärmutter kommen. Letztere Position, genannt Beckenendlage, wurde bereits vor der Geburt erkannt und zu den Komplikationen gezählt. Idealerweise drehten sich Föten im letzten Stadium der Schwangerschaft mit dem Kopf nach unten. Es konnte aber passieren, dass sich Kinder nicht drehen oder schräg oder seitlich in der Gebärmutter liegen, wenn die Geburt beginnt. Solche Geburten sind vaginal möglich, benötigten aber mit bestimmten Geburtsmethoden erfahrene Hebammen und Ärztinnen. Diese schienen selten zu sein. Die werdenden Mütter waren meist zu einem Kaiserschnitt gezwungen. In Wien gab es zum Zeitpunkt meiner Studie noch ein Krankenhaus, in dem Kinder bei einer Beckenendlage, »natürlich« zur Welt gebracht werden können. Während der Geburt wurde in fast allen Fällen der Mutter einmal ein Kardiotokographiegerät (CTG) angelegt, das die Herztöne des Kindes überwacht. Die Werte wurden von Hebammen oder Ärztinnen überprüft und problematische Werte, die auf eine Gefährdung des Kindes durch die Geburt hinwiesen, konnten ebenfalls in einen Kaiserschnitt überleiten. Aus diesen Beschreibungen wird deutlich, dass es vor allem eine Lösung für auftretende Probleme während der Geburt gibt: Den Kaiserschnitt. Eine Mutter in meiner Studie hat per Kaiserschnitt entbunden, nachdem während der Geburt Komplikationen auftraten. Kein Paar in meiner Studie hat einen Kaiserschnitt
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auf Wunsch durchführen lassen. Rund 30 % der Geburten wurden in Wien in den letzten Jahren per Kaiserschnitt durchgeführt. Es gibt keine statistischen Daten darüber, wie viele dieser Kaiserschnitte geplant oder auf Grund von Komplikationen durchgeführt werden mussten. Leider endeten in den Jahren meiner Studie rund 0,4 % der Geburten mit einer Totgeburt.
D IE P LAZENTA UND NACH DER G EBURT
DIE
N ACHBEHANDLUNG
Der größte Teil der Geburten endete mit der körperlichen Trennung von Mutter und Kind ohne bleibende Schäden für beide. Jene Paare in meiner Studie, die bereits geboren hatten, hatten von dem Erlebnis intensiv erzählt, soweit sie sich noch erinnern konnten. Nicht alle Paare in meiner Studie hatten eine gute und komplikationslose Geburt und manche kreißenden Mütter verloren bei der Geburt ihr Zeitgefühl und konnten sich an Teile der Geburt nicht mehr erinnern. Die körperliche Trennung von Mutter und Kind passierte mit der Abnabelung nach der Austreibung. Die Nabelschnur, die noch in den Uterus zur Plazenta führte, wurde durchtrennt. Dieser Vorgang wurde von der Hebamme, dem anwesenden Partner oder von der Mutter selbst durchgeführt. Nach dieser Abtrennung ist das Kind völlig vom Körper der Mutter abgelöst. Versorgt wird es nicht mehr über die Plazenta, durch die Nabelschnur, sondern über den eigenen Magen und die eigenen Lungen. Nach der Geburt wurde das Baby häufig erst abgetrocknet und dann der Mutter an die Brust oder auf den Bauch gelegt. Manchmal konnte der Partner das Baby an sich nehmen. Je nach Krankenhaus und Geburtsort ist es unterschiedlich, ob die Mütter bestimmen können, ob das Baby nun bei den Eltern bleiben kann oder ob es nach der Geburt gewaschen und/oder angezogen wird. Mit der körperlichen Trennung von Mutter und Baby war der Geburtsvorgang aber noch nicht zu Ende. Die Plazenta musste erst noch geboren werden. Mit einigen weiteren Wehen, die für die Mütter schmerzhaft sein konnten, wurde diese aus dem Uterus befördert. Hier konnten Komplikationen entstehen, wenn sich die Plazenta nicht löste oder wenn die Wunde nach der Ablösung zu stark blutete. Nach der Ablösung der Plazenta wurde diese auf Vollständigkeit untersucht. Verbleibende Teile der Plazenta im Uterus könnten Infektionen auslösen, die für die Mutter gefährlich werden könnten. Aus diesem Grund wurde darauf geachtet, dass diese vollständig den Körper der Frau verlässt. Dies konnte bedeuten, dass Hebammen diese zusammensetzen mussten, wenn sie in Teile zerfallen war, um sicherzuge-
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hen, dass auch kein Puzzleteil fehlt. Verblieben Reste der Plazenta im Uterus, musste im schlimmsten Fall eine Ausschabung dieser erfolgen. Nach der Geburt der Plazenta werden die Geburtsverletzungen der Mutter, sofern welche vorhanden sind, versorgt. Scheidenrisse, Dammrisse oder Darmrisse können Folgen einer Geburt sein. Die Mutter wurde dann lokal betäubt und genäht. Erst dann war für die Mutter die Geburt zu Ende und sie konnte mit dem Partner und dem Baby im Kreißsaal verbleiben oder wurde in ein Zimmer verlegt. Die Prozesse der körperlichen Separierung waren damit beendet.
W ER
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Die Hebammen versuchten entweder, die Vorstellungen und Interessen der Mutter zu wahren, in Übereinstimmung mit ihrer geburtspraktischen Ausbildung, oder waren jene, die der Mutter eine bestimmte Geburtstätigkeit auferlegen wollten. Gegenüber den Ärztinnen und Ärzten müssen sie sich als jene mit praktischem Wissen abgrenzen und um ihre Position in der Hierarchie im Raum kämpfen. Ärztinnen und Ärzte traten meist so auf, dass ihnen die Bestimmungsmacht, durch ihr medizinisches Wissen, im Kreißsaal zusteht, wenn sie anwesend sind. In anderen Situationen wurden sie als jene erzählt, die im Hintergrund die Situation mitbeobachteten oder ab und zu nach dem Rechten sahen. In diesen Situationen war die Hebamme klar die Leiterin des Vorgangs. Die Geburt kann als Situation gesehen werden, die einen Kampfplatz um Selbstbestimmung einzelner Subjekte darstellt. Wer darf bestimmen, wie eine Geburt abzulaufen hat? Die Mutter als medizinische Laiin, die Hebammen mit ihrem umfangreichen praktischen Wissen oder die Ärztinnen und Ärzte, die über medizinisches Wissen verfügen. In vielen kleinen Geburtskrankenhäusern in meiner Studie herrschte die Philosophie, dass den Hebammen die Bestimmung über die Geburten gebührt. Ärztinnen und Ärzte wurden in Notfällen oder bei medizinischen Komplikationen hinzugezogen. In den Fällen, wo Wahlhebammen oder Hebammen für eine Hausgeburt hinzugezogen wurden, hatten die Mütter oder beide Eltern stärkere Bestimmungsgewalt. Im Idealfall gibt es eine demokratische Zusammenarbeit der Kräfte, in denen alle Subjekte ihr Know-how und Wissen zeitgerecht einbringen. Diese idealtypische Vorstellung kann aber in der Dynamik des Ablaufes leicht durcheinandergeraten und einzelne Subjekte übernehmen die Bestimmungsmacht über den Vorgang.
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G EBURT , GEMEINSAM ODER ALLEIN : F IGURATION VON S UBJEKTEN WÄHREND DES G EBURTSVORGANGES Die Trennung der Körper von Mutter und Fötus wurde einerseits als etwas dargestellt, durch das die Mutter allein hindurchmusste. Es war ihr Körper, in dem der Fötus platziert war und sie konnte die Geburt nicht an eine andere Person abgeben. Sie war es, die die Geburtsschmerzen ertragen und mit möglichen nachfolgenden kleinen oder größeren Verletzungen ihres Körpers umgehen musste. Auch wenn ein Wunschkaiserschnitt durchgeführt wurde, bei dem Großteile des Körpers der Mutter betäubt sind und das Baby von Ärzten aus dem Bauch herausgeholt wurde, war es ihr Körper, der die Narben des Eingriffes weiterhin trug und die post-operativen Schmerzen ertragen musste. Andererseits wurde von einigen Eltern die Geburt als gemeinsames Projekt figuriert, in das das Paar, eine Hebamme, aber auch Räume und Gerätschaft, wie etwa das eigene Zuhause oder ein Geburtspool, integriert wurden. Die Geburt wurde hier im Vorhinein im Ablauf mit allen beteiligten Partizipierenden durchgesprochen und durchgeplant. Mögliche Risiken wurden besprochen und einkalkuliert. Auch in diesen Tätigkeiten wird die Mutter zwar als jene figuriert, die das Kind gebiert und Schmerzen und Verletzungen tragen muss, die Grenzen zwischen ihrem Körper und den Körpern der anderen Partizipierenden werden aber klar undeutlicher figuriert. Gleichzeitig tritt in diesem Fall die Mutter als jene auf, die selbstbestimmt die Partizipierenden, die der Geburt beiwohnen, zusammenstellt. In jenen Fällen, wo Mütter während der Geburt aus ihrer Sicht die Kontrolle verloren und Ärzte oder Hebammen Vorgänge bestimmt hatten, mit welchen die Mütter nicht einverstanden waren, fand sich ebenfalls eine Auflösung der Grenzen des weiblichen Subjektes. Obwohl sie die Schmerzen und körperlichen Vorgänge zu tragen hatten, bestimmten andere, wie dieser Geburtsvorgang ablaufen sollte. Die Mutter war den teilhabenden Partizipierenden und deren Bestimmungen ausgeliefert. Beschloss etwa ein Arzt, dass die Geburt zu langsam vorangehe und nun ein Wehenmittel gebraucht werde, was bei den Müttern häufig stärkere Schmerzen nach sich zog, hatten Frauen im Nachhinein oft das Gefühl, dass sie sich in der Situation nicht wehren konnten und ohnmächtig gegenüber dem waren, was mit ihnen in der Geburtssituation geschah. Gleichzeitig gab es aber keine Möglichkeit, dem Körper zu entfliehen und die Schmerzen waren nicht auf andere Körper übertragbar, weswegen die Materialität des Körpers hier eine Begrenzung lieferte. Ebenso waren die Partner*innen entweder gut in den Vorgang integriert und hatten ihre klaren Aufgaben, oder sie waren als jene figuriert, die einfach zusa-
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hen oder sogar im Weg herumstanden. In letzteren Fällen waren die Geburtserlebnisse für die Männer schwierig, weil eine Überforderung und Ohnmächtigkeit mit der Situation empfunden wurde. Sie konnten der Mutter die Schmerzen nicht abnehmen, sie konnten die Schmerzen auch nicht erleichtern. In einigen Fällen konnten sie sich auch nicht gegen ungewünschte Behandlungen der Mutter von Ärzten wehren und waren figuriert als wehrlose Beobachter des Geburtsvorganges. Die Körper dieser Männer waren klar abgegrenzt als jene, die mit diesem Vorgang nichts zu tun hatten. Jene Männer, die bereits in der Schwangerschaft intensiv in den zukünftigen Geburtsvorgang integriert waren, die eventuell mit der Hebamme gemeinsam bereits besprochen hatten, wie die Geburt ablaufen werde und was ihre Rolle bei der Geburt sein könne, wenn etwa die Hebamme ihnen Stützpositionen zeigte oder sie für bestimmte Aufgaben reservierte, waren klar als Teil des Geburtsprozesses figuriert. Sie waren unersetzliche Partizipierende, die ihren klaren Part ausübten. Jene Männer fühlten sich in der Erzählung klar als Teil des Prozesses, die die Geburt zwar nicht erledigen konnten, aber mithelfen konnten und in einigen Situationen schmerzerleichternd oder beruhigend der Mutter zur Seite stehen.
20 Elternwerden mit Bürokratie Formulare, Finanzierung und Karenzierung
Kurz nach der Geburt begann die bürokratische Administration des Neugeborenen. Es musste für das Baby eine Geburtsurkunde ausgestellt werden und das Baby musste ins Melderegister und in die Sozialversicherungsdatenbank eingetragen werden. Nach der Trennung vom Körper der Mutter wird das Baby als Individuum betrachtet, das entsprechend in den Registern und Datenbanken verschiedener staatlicher und administrativer Einrichtungen vermerkt werden muss. Die Eltern, die den Fötus während der Schwangerschaft begleitet haben, erreichen nun auch rechtlich den Status »Eltern«. Damit gehen Verpflichtungen einher, aber auch Rechte und Ansprüche, wie etwa jener auf Kinderbeihilfe, Wochengeld und Kinderbetreuungsgeld. Die Abwicklung dieser bürokratischen Praktiken, deren Partizipierende und die Figurationen von Eltern und Kind, seien im Folgenden näher dargestellt.
D IE G EBURTSURKUNDE Binnen einer Woche muss gesetzlich die Geburt eines Kindes beim Standesamt des Geburtsortes gemeldet werden. Für Eltern, die ihr Kind in einem Krankenhaus zur Welt gebracht haben, erledigte das Krankenhauspersonal die Anzeige der Geburt, manchmal gemeinsam mit den Eltern. Kurz darauf müssen die Eltern dann die Ausstellung der Geburtsurkunde beantragen. In großen Krankenhäusern gibt es kleine Anlaufstellen der Ämter, genannt »Baby Point«, die Geburtsurkunde, Meldung und andere Formalitäten erledigen. Die Eltern konnten in diesen Fällen noch während ihres Krankenhausaufenthaltes alle bürokratischen Formalitäten erledigen und erhielten sofort die daraus resultierenden Zertifikate. Eltern, die in kleinen Krankenhäusern geboren haben, die ambulante Geburten oder
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Hausgeburten hatten, mussten an den verschiedenen Ämtern ihres Bezirks die Formulare einreichen, abholen oder eine Zusendung beantragen. Um die Beurkundung durchzuführen, mussten die Eltern ihre eigenen Geburtsurkunden, ihre Heiratsurkunde (falls das Paar verheiratet war), einen Nachweis ihrer Staatsangehörigkeit, eine Erklärung über die Vornamensgebung (wenn sie sich schon für einen Vornamen entschieden hatten) und manchmal ein Formular »Anzeige der Geburt«, falls eine Hausgeburt durchgeführt wurde, vorlegen (siehe auch help.gv.at, 2011). Waren einige dieser Unterlagen nicht in deutscher Sprache vorhanden, mussten die Eltern beglaubigte Übersetzungen anfertigen, sofern sie nicht von den Ländern ihrer Staatsangehörigkeit international gültige Dokumente erhielten. Bei der Beurkundung machte es einen Unterschied, ob die Eltern verheiratet sind oder in einer gemeinsamen nicht zertifizierten Partnerschaft leben. Bei verheirateten Eltern wurde der Ehemann automatisch als Vater des Kindes eingetragen, außer die Mutter des Kindes leistet eine gegenteilige Erklärung, und der Ehemann hatte auch das Recht, die Geburtsurkunde zu beantragen. Bei unverheirateten Eltern musste die Mutter die Formulare beantragen und sie hatte die Wahl, ob sie einen Vater angeben möchte. Der Partner und die Mutter mussten dann der Anerkennung der Vaterschaft zustimmen, damit diese in die Geburtsurkunde eingetragen werden kann. Der Partnerschaftsstatus der Eltern hatte fürsorgerechtliche Folgen. Verheiratete Eltern erhielten automatisch die »gemeinsame Obsorge« für das Kind. Bei unverheirateten Paaren war die Mutter für das Kind verantwortlich. Die Paare konnten aber kurz nach der Geburt beim Bezirksgericht die gemeinsame Obsorge beantragen, wenn die Vaterschaft des Partners anerkannt war. Dann war die Verantwortung für das Kind auch rechtlich auf beide Partner aufgeteilt. Wird keine gemeinsame Obsorge beantragt, dann hat die Mutter Recht auf Unterhaltszahlung für das Kind. Die Eltern hatten in Wien die Möglichkeit, sich eine Geburtsurkunde auf Deutsch oder eine internationale Geburtsurkunde, die zehnsprachig verfasst ist, ausstellen zu lassen. Die Geburtsurkunde umfasst die Namen der Eltern und den Namen des Kindes, sowie dessen Geburtsort und -zeit. Manche Eltern konnten sich so kurz nach der Geburt noch nicht fix für einen Vornamen entscheiden. Die Eltern haben dann noch einen zusätzlichen Monat Zeit, diesen nachzutragen. Die Geburtsurkunde wurde im Anschluss benötigt, um das Kind ins Melderegister einzutragen. Am Wohnort wurde am zuständigen Bezirksmagistrat ein Meldezettel für das Kind ausgefüllt. Gemeinsam mit den Meldezetteln der Eltern und der Geburtsurkunde, als Beweis für die Existenz des Kindes, konnte dann eine Eintragung des Kindes an einem Wohnort erfolgen. Bei der Anzeige der Geburt erfolgte bei den meisten Eltern eine automatische Weiterleitung der Daten an den Sozialversicherungsträger.
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Das Baby bekam dann seine eigene Versicherungskarte (E-Card) zugesandt, die bei den weiteren Untersuchungen des Kindes gebraucht wird. Die Eltern bezeichneten diese Prozesse als mühsam. Die Geburt ist erschöpfend, noch dazu waren die Eltern nach der Geburt mit Anfragen von Verwandten und Freund*(inn)en überhäuft, die das Baby sehen wollten und nun mussten sie auch noch eine Menge Formulare ausfüllen, Zusendungen beantragen oder Dokumente bringen und abholen. Einerseits waren manche Eltern an dieser Stelle genervt, andererseits waren dies für einige Eltern Wege, die sie rituell in die Elternschaft einführten. Ein Paar beschrieb sehr lebhaft die erste gemeinsame Ausfahrt mit Baby und Kinderwagen, die sie aufs Magistrat führte, um eine Meldung des Babys durchzuführen. Für die Eltern bedeuteten die Wege und Dokumente auch, dass die Familie, die sie nun waren, auch offiziell registriert wurde. Bei einem anderen Paar trug die Geburtszertifizierung stark zu der Realisierung der Elternschaft bei. Beim Ausfüllen der Formulare wurde klar, dass die Elternschaft nun »wirklich war« und sie ein Kind hatten, das seine eigene Geburtsurkunde, ECard und seinen Staatsbürgerschaftsnachweis hatte. Die Dokumente wurden in Mappen abgelegt, die nun den Dokumenten des Babys gewidmet waren. Bisher hatten die Eltern den Mutter-Kind-Pass, der ihnen offiziell die Schwangerschaft bestätigte. Eine Geburtsurkunde machte den Eltern nun klarer, »wir haben ein Kind«. Die Mütter und Väter waren zu diesem Zeitpunkt meist schon heftig mit Stillen, Füttern, Windelnwechseln und anderen Versorgungen des Babys beschäftigt. Die Welt der Elternschaft wurde also bereits betreten, trotzdem konnten offizielle Dokumente eine nochmalige Bestätigung bringen. Legal werden die Eltern mit diesen Schritten zu Eltern, mit der Verpflichtung, für ein Kind zu sorgen, das vorerst rund um die Uhr Betreuung braucht. Das Kind wird zum realen Individuum, das in den Registern und Datenbanken mit seinem eigenen Datensatz registriert ist. Bis zur Geburt war es noch Teil der Datensätze der Mutter. Ab nun werden die Versicherungsleistungen für das Kind getrennt verbucht und die Bevölkerungsstatistik erhält eine/n Bewohner/in hinzu. Nach der Separierung der Körper ist das Kind für die Statistik ein individueller Mensch, über den Aufzeichnungen gemacht werden können, auch wenn dieses vorerst völlig von weiteren Menschen abhängig ist. Durch seinen legalen Status hat das Kind nun Rechte, wie etwa das auf ausreichende Versorgung durch die Eltern, und im Moment noch keine Pflichten.
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F AMILIENBEIHILFE , W OCHENGELD K INDERBETREUUNGSGELD
UND
Für die meisten Eltern war ihre finanzielle Lage bereits vor der Empfängnis Thema in gemeinsamen Gesprächen und die finanziellen Kosten der Elternschaft wurden abgeschätzt und mit der ökonomischen Situation der Eltern verglichen. Wichtig schien hauptsächlich nicht die gegenwärtige finanzielle Situation zu sein, sondern die Aussicht auf zukünftige Einnahmen. Einige Paare haben ihre Kinder noch während der Ausbildung, in Arbeitslosigkeit oder während des Präsenzdienstes bekommen, hatten aber einen Plan, was nach dieser Zeit passieren sollte und wie viel finanzielle Mittel sie durch ihre Tätigkeit nach der Ausbildung, der Arbeitslosigkeit oder dem Präsenzdienst bekommen würden. Was noch hinzukam, war, dass der Mutter in der Zeit des Mutterschutzes (zwei Monate vor und nach der Geburt) Wochengeld zustand. Dieses Wochengeld errechnete sich nach ihrem bisherigen Einkommen und der bisherigen Einkommensoder Beschäftigungsform. Bei fest Angestellten betrug das Wochengeld die gleiche Summe wie das bisherige Gehalt. Bei neuen Selbständigen oder freien Dienstnehmerinnen wurde ein Durchschnittswert errechnet. Ab der Geburt hatten die Eltern Anspruch auf Familienbeihilfe und Kinderbetreuungsgeld. Die Familienbeihilfe betrug 105,40 Euro und erhöhte sich, wenn das Kind drei, sieben, zehn und 19 Jahre alt ist. Zahlt der/die Bezieher/in Steu1 ern, wurde ein Absetzbetrag von 58,40 zusätzlich ausbezahlt (help.gv.at, 2011a ) . Die Familienbeihilfe musste nach der Geburt beim Finanzamt beantragt werden. Falls die Eltern eine Identifikationsnummer des Onlinedienstes des Finanzamts hatten, füllten die Eltern online ein Formular aus. Andere druckten ein Formular der Webseite des Bundesministeriums aus und schickten es an das zuständige Finanzamt. Manche Krankenhäuser und Beratungsstellen verfügten ebenfalls über das Antragsformular. Eltern konnten dieses dort beziehen und es an das Finanzamt schicken oder persönlich vorbeibringen. Wer anspruchsberechtigt war, Familienbeihilfe zu bekommen,2 hatte auch Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld, das beim Sozialversicherungsträger, ebenfalls
1
Die hier zitierte Internetseite war eine beliebte Informationsressource für Eltern, wenn es um Beihilfen und bürokratische Angelegenheiten ging. Es handelt sich hier um eine Webseite der Stadt Wien, die den Eltern helfen soll, sich über die notwendigen Behördengänge und Ansprüche zu informieren.
2
Das waren alle Eltern, wo zumindest ein Elternteil legal in Österreich niedergelassen war und seinen Lebensmittelpunkt in Österreich hatte (Kinderbetreuungsgeldgesetz § 2, Bundeskanzleramt, 2011).
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nach der Geburt, beantragt wurde. Dieses Geld ist als Ersatz für den Ausfall des Einkommens der Betreuenden gedacht. Aber auch Mütter und Väter ohne bisheriges Einkommen sind anspruchsberechtigt. Die Eltern mussten sich für eine von fünf Varianten entscheiden: es gibt ein einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld und vier Formen eines pauschalen Kinderbetreuungsgeldes. Alle Varianten können um zwei, drei, vier oder sechs Monate verlängert werden, wenn auch der Partner Karenzzeit nimmt. Die Eltern hatten die Wahl zwischen: • 30 plus sechs Monate lang 14.53 Euro pro Tag, • 20 plus vier Monate lang 20,80 Euro pro Tag, • 15 plus drei Monate lang 26.60 Euro pro Tag, • zwölf plus zwei Monate lang 33 Euro pro Tag, oder • zwölf plus zwei Monate 80 % der Letzteinkünfte, aber höchstens 66 Euro pro Tag (Kinderbetreuungsgeldgesetz § 5a-c und § 24 bis § 24c, Bundeskanzleramt, 2011). Einkommensschwache Eltern konnten zusätzlich über einen Zeitraum von zwölf Monaten einen Betrag von 6,06 Euro pro Tag beziehen. Die Zuverdienstgrenze zum Kinderbetreuungsgeld ist für den Beziehenden 60 % der Letzteinkünfte oder mindestens 16200 Euro (hepl.gv.at, 2011c). Die Beziehenden konnten zwei Mal in der Laufzeit gewechselt werden. So konnte von der Mutter auf den Vater und wieder zurück auf die Mutter gewechselt werden oder umgekehrt. Während des Wechsels hatten beide Partner die Möglichkeit, einen Monat lang gemeinsam in Karenz zu sein. Allerdings wurde in diesem Monat das Karenzgeld nicht doppelt ausgezahlt. Väterkarenz ja oder nein? Eine Variante auswählen Meist haben sich die Eltern schon während der Schwangerschaft die Varianten durchgerechnet, um die Variante zu wählen, die im Gesamtzeitraum das meiste Geld bietet. Die Eltern waren hier Partizipierende von Praktiken, wie sie im Kapitel Auswahl des Kinderwagens genau beschrieben wurden (Kap. 16). Es wurden bei diesem Thema ebenfalls Exceltabellen und Listen angefertigt mit den Positiva und Negativa der einzelnen Modelle. Im Zuge der Auswahl wurden Zukunftsperspektiven besprochen und zwangsweise mussten die Eltern das Thema Väterkarenz durchdiskutieren. Die Konzeption der Karenzmodelle drängte das Thema auf, auch wenn für den Vater oder das Paar eine Karenz nicht in Frage kam. Mitbedacht wurden aber auch Pläne über die Rückkehr in den Job. Mehr als 15 oder 20 Monate Karenz (ohne Vollzeitjob) konnten sich viele nicht vor-
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stellen, auch wenn insgesamt bei der 30-plus-sechs-monatigen Variante am meisten ausgezahlt wird. Die werdenden Eltern in meiner Studie dachten selten an eine gleiche Aufteilung der Zeit. Drei Paare hatten eine 50:50-Aufteilung der Karenzzeit überlegt und überlegten länger laufende Modelle.3 Frauen mit hohem Verdienst wählten die einkommensabhängige Variante. Fast alle Paare erwogen, dass der Mann den Mindestzeitraum von zwei Monaten in Karenz gehen könnte. Die Väter drückten häufig den Wunsch aus, eine Zeit für ihre Kinder die primäre Fürsorgeperson zu sein. Gleichzeitig wurde aber immer das finanzielle Risiko einer solchen Situation ins Spiel gebracht. Das finanzielle Risiko wurde aber auch besprochen, wenn der Vater noch in Ausbildung oder arbeitslos war, also das Einkommen noch nicht bestimmt werden konnte. Trotzdem argumentierten fast alle Väter mit einem Einkommensausfall, wenn es um ihre Karenzzeit ging. Mütter argumentierten dagegen nie mit dem Partizipierenden Einkommensverlust. Auch wenn reell der Übergang in die Karenz einen großen finanziellen Verlust vermuten ließ, wurde diese Verknüpfung von den werdenden Müttern oder jungen Müttern nicht vorgebracht. Beide Elternteile knüpften hier also an traditionelle Bedeutungsstrukturen an, in denen den Frauen ihre Rolle als Fürsorgende völlig selbstverständlich erschien und die Männer mit einer Selbstverständlichkeit an ihre Ernährerrolle dachten. Das Karenzsystem selbst, in dem nur ein Partner von der Arbeit beurlaubt werden kann und das keine längeren gemeinsamen Karenzzeiten erlaubt, bestimmt, dass nur ein Partner die primäre Fürsorge übernehmen kann. Auch Aufteilungen, die beide Partner in Teilzeitjobs sehen, werden nicht intendiert. Die Mutter könnte theoretisch auch nach dem Ende des Mutterschutzes wieder in den Beruf zurückkehren. Für die tägliche ganztägige Betreuung eines Babys gibt es aber in Wien geringe Ressourcen. Somit wird an dieser Stelle das Paar auseinanderdividiert in zwei einzelne Individuen, von denen sich eines dazu entscheiden muss, das Kind zu versorgen, während das andere einem Beruf nachgeht. Traditionell bleibt die Frau beim Kind und die Männer behalten ihren Beruf. In meiner Studie war von diesem Modell keine Abweichung zu erkennen. Die Trias, die während der Schwangerschaft immer wieder figuriert wurde, zerfällt hier in
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Ich konnte nicht überprüfen, ob diese Vorstellungen erfüllt werden konnten, da die Karenzzeiten bis zum Abschluss dieser Studie noch liefen. Eine Studie von Claudia Höfner (Höfner et. al., 2011) zeigte, dass die Wünsche bezüglich Väterkarenz vor der Geburt nur sehr selten eingehalten werden können. In dieser Studie hatten während der Schwangerschaft alle Väter den festen Plan, in Karenz zu gehen (sie wurden spezifisch ausgesucht), es schaffte dann aber nur einer der interviewten Väter.
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drei Dyaden, was Folgen für die Figuration der Subjekte, der Beziehung der Individuen zueinander und für das Kind hat.
V ON E LTERNWERDEN
ZU
E LTERNSEIN
Die Geburt als der Prozess, der die Körper der Mutter und des Kindes separierte, markierte in den Erzählungen der Eltern jenen Tag, an dem sie Eltern wurden. Die materielle Trennung der Körper war eine Voraussetzung, den offiziellen Status der Elternschaft zu erhalten. Rechtlich reicht dieser Prozess aber nicht aus, um zwei biologische Erzeuger eines Individuums zu Eltern zu machen und es gibt, selten, Fälle, in denen den biologischen Eltern der Status der Elternschaft abgesprochen werden kann. Erst eine Reihe von bürokratischen Prozessen, das Ausstellen eines Geburtszertifikats, die Registrierung des Kindes als wohnhaft im Apartment der Eltern, die Beantragung von Familienbeihilfe und Kinderbetreuungsgeld und die Anerkennung der Vaterschaft, falls dies notwendig war, machten Eltern auch legal, als Personen, die gesetzlich verantwortlich für ein spezifisches Individuum sind, zu Eltern. Der Prozess des Elternwerdens kann an diesem Punkt als vorerst abgeschlossen bezeichnet werden. Der Übergang von Elternwerden zu Elternsein ist vollzogen. Die Grenze zwischen Elternwerden und Elternsein wurde in den Praktiken an mehreren Punkten gezogen. An der materiellen Grenze zwischen Innen und Außen, im Speziellen zwischen dem Wachstum des Fötus im Inneren des Körpers der Mutter und dem Wachstum des Kindes außerhalb des Körpers der Mutter. Der Geburtsvorgang markiert die Praktiken, die diese zwei Phasen für das Baby trennen. Vor dieser Geburt wird der Fötus vom Körper der Mutter versorgt, die Mutter sorgt wiederum für ihren Körper und so indirekt auch für den Körper des Kindes. Nach der Geburt mussten die Eltern das Neugeborene aktiv stillen, füttern, baden und wickeln. Alle diese Aufgaben wurden zuvor automatisch vom Körper der Mutter erledigt, nun brauchte es bewusstes Bemühen der Eltern, diese Tätigkeiten durchzuführen. Eine weitere Grenze, die in den Praktiken etabliert wurde, war im Anschluss daran jene zwischen der automatischen und manuellen Versorgung des Kindes. Das Bemühen oder die Verantwortungsfähigkeit, die Eltern mit der manuellen Versorgung ihres Kindes verbanden, musste den Eltern aber zugesprochen werden. Dies passiert in Wien zurzeit auf rechtlichem Weg. Die Registrierung des Kindes und der Eltern als obsorgeberechtigte Individuen stellten die letzte Schwelle dar, die Subjekte überschreiten mussten, um Vater, Mutter und Kind zu sein.
Schlussfolgerungen und Fazit
21 Die Praktiken und Partizipierenden am Übergang zur Elternschaft sympoietische menschliche Reproduktion
Die in den Teilen »werdende Eltern werden« und »Eltern werden« verfassten Ethnographien über die Praktiken von werdenden Eltern, die aus Interviews, Dokumenten, Artefakten, Beobachtungen und Enactments rekonstruiert wurden, bilden ein erstes Ergebnis meiner Forschung. Ziel war es, die Praktiken der Eltern, also die Assemblages aus Partizipierenden in Aktivität, an denen die Eltern teilhatten, zu beschreiben. Diese Beschreibungen sind für sich bereits ein wichtiges Ergebnis, da innerhalb der Familienforschung eine solche detaillierte Beschreibung der Assemblages bisher fehlt. Zumindest für den Raum Wien der letzten Jahre konnten die Fragen »Was tun werdende Eltern?« und »An welchen Praktiken haben werdende Eltern teil?« beantwortet werden. Die Eltern hatten teil an Praktiken der Herstellung einer Schwangerschaft und anschließend an Praktiken, die eine Schwangerschaft vermuten und Evidenzen dafür herstellen. Ist der Embryo oder Fötus innerhalb der Assemblages als real und da fixiert, waren die Eltern Teil von Praktiken, die die Normalität der Eltern und des Fötus feststellen. Praktiken der Verkündung machten die Schwangerschaft öffentlich. Ernährungs- und Körperpflegepraktiken im weitesten Sinn waren vor, während und nach der Schwangerschaft prägend. Im zweiten Trimester begannen die werdenden Eltern mit Shoppingpraktiken, in denen sie Produkte für sich und das Ungeborene auswählten. Die Geschlechtsbestimmung des Ungeborenen konnte sowohl die Auswahl der Produkte beeinflussen, als auch die Umbauten und Umstrukturierungen des physischen Raumes, in denen die werdenden Eltern lebten, indem spezifische Gegenstände in verschiedenen Ausführungen für Mädchen und Buben zu erwerben waren. Soziale Kommunikationen und Beziehungen wurden die ganze Schwangerschaft über geführt und verändert. Hinzu kam die Kommunikation mit und die Stimulation des Fö-
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tus. Spätestens im dritten Trimester waren die werdenden Eltern Teil von Praktiken, die sie geistig und körperlich auf die Geburt vorbereiteten. Der Tag der Geburt, der Separierung des Fötus von der Mutter, kam schließlich für alle Paare. Nach der Geburt musste die Elternschaft bürokratisch und rechtlich festgemacht werden. All diese Praktiken beinhalteten eine Vielzahl von Partizipierenden, die sich mit den Eltern gemeinsam transformierten und in den Ethnographien beschrieben wurden. Die Form, der Fokus und die Schreibweise der Ethnographie war geprägt von den theoretischen Konzepten eines posthumanistischen Forschungsparadigmas (siehe Kap. 5). Den Konzepten des rhizomatischen Werdens, des nomadischen Subjekts, des Becoming With, der Sympoiesis und der Intra-Aktion von Donna Haraway, Karen Barad und Rosi Braidotti zu folgen, hieß, dass der Übergang zur Elternschaft figuriert wird aus allen darin sich manifestierenden und ausgeführten Partizipierenden. In ständiger Intra-Aktion entwickeln diese transversalen Partizipierenden materiellsemiotische Unterscheidungsmöglichkeiten und Grenzen voneinander, die wiederum im Prozess der Ethnographie von mir als sozialwissenschaftlicher Forscherin zugleich erkannt und mitgeschaffen wurden. Die möglichst detaillierten Beschreibungen der Praktiken und Partizipierenden, die sich manifestieren, darunter die menschlichen Subjekte, sind Ergebnisse, die nicht auf einige analytische Thesen oder Ergebnisse reduziert werden können. Die Transformationsprozesse der Subjekte, die in ihrem Werden mit allen Partizipierenden der Praktiken immer neu figuriert werden und trotzdem fest und wiedererkennbar bleiben, können nur in dieser Ausführlichkeit beschrieben werden. In den Beschreibungen zeigten sich aber immer wieder Konsequenzen der Praktiken, die über deren Beschreibung hinausgehen, aber auf diesen basierend dargestellt werden können. Im Folgenden zeige ich spezifisch, wie in den Praktiken durch die Figuration von Trennlinien a) der Übergang zur Elternschaft geformt wurde, b) Subjekte figuriert und c) transformiert wurden und d) geschlechtliche Wesen figuriert wurden, die in spezifischer Position zueinander stehen.
22 Den Übergang zum Übergang machen Veränderung ausführen durch die Figuration von Trennlinien
Die posthumanistischen/neomaterialistischen Theorien, die eingangs beschrieben wurden, definierten Subjekte und andere Partizipierende als sich ständig Transformierende durch ihre konstante Aktivität mit anderen Partizipierenden. Die Partizipierenden werden in den Praktiken durch Agential Cuts voneinander getrennt und erscheinen als einzelne unabhängige Partizipierende. Ein(e) als einzeln erscheinende(r) Teilhaber*in kann somit nur gemeinsam mit den anderen scheinbaren Einzelnen beschrieben werden, mit denen diese(r) verbunden auftritt. Und alle diese Partizipierenden manifestieren sich in diesen Praktiken neu durch ihre ständige Aktivität miteinander. Daraus folgte der Anspruch, nicht nur die Menschen und ihre Denkprozesse zu beschreiben, sondern auch die Partizipierenden der Assemblages. Diese waren Lebensumgebungen, Wohnungen, Gegenstände, andere Menschen oder Tiere. In den Praktiken wurden eine Reihe von Trennlinien figuriert, die Unterscheidungen möglich machten, zwischen und innerhalb von Partizipierenden, zwischen Zeitpunkten und zwischen Lebensbereichen. Besonders deutlich wurde dies in den Praktiken der Umgestaltung der physischen Umgebung der Eltern, den Beziehungspraktiken der Eltern, den Körperpraktiken der Eltern und den Praktiken der legalen Legitimation des Kindes.
T RANSFORMATIONEN
DER PHYSISCHEN
U MGEBUNG
Alle Eltern hatten einen Ort zur Verfügung, den sie als »eigene Wohnung« bezeichneten. Diese Orte, die üblicherweise in Zimmer untergliedert waren, beherbergten Möbel und Gegenstände, die den Eltern gehörten.
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Die Eltern sind in Zusammenhang mit ihren Wohnungen als jene figuriert, die ihre Apartments wechseln oder verändern können, denen ein Angebot aus verschiedenen Gegenständen zur Verfügung steht, die vorausblickend agieren können und die die Gegenstände, die in diese Räume kommen sollen, gut auswählen können. Diese Fähigkeit des Antizipierens, Auswählens und Vergleichens wurde im Kap. 16 am Beispiel von Kinderwagen genau vorgestellt. Die Eltern erfahren im Prozess ein nach ihren ökonomischen Möglichkeiten spezifisches Angebot an Gegenständen, die in die nähere Umgebung integriert werden können. Da es dabei mehrere Gegenstände derselben Kategorie gibt (z. B mehrere Betten), sind die Eltern als jene figuriert, die einen Gegenstand auswählen müssen, falls sich nicht ein ganz bestimmter aufdrängt (etwa das alte Bettchen, das noch bei den Großeltern im Keller steht). Aus den zur Verfügung stehenden Gegenständen ergibt sich eine hohe Anzahl von Kombinationsmöglichkeiten, die von den Eltern arrangiert werden können. Sortiert sind die Gegenstände manchmal nach Merkmalen, die einem Geschlecht des Kindes zugeordnet sind, nach Qualitätsmerkmalen oder nach ästhetischen Kategorien. Im Grunde brauchen Babys nicht mehr als ein Fleckchen, auf dem sie liegen können. Ein eigenes Zimmer für ein Baby könnte auch nach der Schwangerschaft eingerichtet werden oder wenn das Kind älter wird. Die Eltern schienen aber in den Praktiken während der Schwangerschaft mit einem Bedürfnis ausgestattet zu werden, einen Bereich oder ein Zimmer für das Baby einzurichten oder mehr Platz durch eine größere Wohnung zu schaffen. Mit dem Bedürfnis, den Wohnraum mit Gegenständen für das Baby zu bevölkern, wurden die Eltern in Informationspraktiken figuriert, die Eltern beschreiben oder zeigen, die Dinge kaufen und Wohnungen einrichten, und die den Eltern jene Angebote an Gegenständen und auch Vorschläge für Kombinationsmöglichkeiten unterbreiten. Mit diesen Informationspraktiken kommen auch mentale Konzepte, die eine Unterlassung dieser Tätigkeiten mit einer Vernachlässigung des ungeborenen Kindes oder mit einer Überforderung der Eltern verbinden, die den Eltern die Fähigkeit, sich um ein Kind zu kümmern, entziehen würde. Die Eltern wurden in diesen Assemblages figuriert als verantwortungsvolle Individuen, die ein Set von Gegenständen antizipieren können, die ihr Ungeborenes brauchen wird. Eltern, die dies nicht konnten, konnte auch die Verantwortungsfähigkeit für ein Kind abgesprochen werden. In der Rekonstruktion der Praktiken konnte sehr gut beschrieben werden, wie die Räume umgebaut bzw. umstrukturiert und mit neuen Gegenständen für das Kind bestückt wurden (siehe Kap. 15). Einige Paare gaben ihre bestehende Wohnung auf und zogen in ein größeres Apartment oder ein Haus am Land um. Mit der Schwangerschaft war in diesen Fällen also sogar eine weitreichende
Ü BERGANG | 289
Veränderung der physischen Umgebung verbunden. Die alten Apartments wurden von neuen Besitzern bevölkert und die werdenden Eltern besiedelten neue Räume, die angepasst an ein Leben mit Kind waren. Die Apartments der werdenden Eltern wurden während der Schwangerschaft umgestaltet und in ein Babyzuhause, in manchen Fällen explizit in ein Mädchen- oder Jungenzuhause, verwandelt. Die Auswahl und Arrangierung benötigte Zeit, die Subjekte aufwenden mussten. Mit diesem hohen notwendigen Zeitaufwand war eine hohe Bedeutung des Umstrukturierungsprozesses verbunden. Die Teilhabe an den Praktiken des aktiven Veränderns, die eine hohe Anzahl an Gegenständen, die zur Verfügung stehen, und schier unendliche Kombinationsmöglichkeiten beinhalten, aus denen Eltern die passenden auswählten, führen zu werdenden Eltern, für die Elternwerden aufwendige und arbeitsintensive Tätigkeiten integriert, was der Elternschaft hohe Bedeutung und den Status von etwas Besonderem zuschrieb. In den Praktiken wurden Gegenstände in Räumen durch andere unterscheidbare Gegenstände oder Räume durch andere unterscheidbare Räume ersetzt. Die Tätigkeiten des Umbauens, Umziehens und Umstrukturierens von Wohnungen, mit denen gemeinsam die Paare zu Eltern wurden, bewirkten in Folge eine Trennung des neuen und des alten Raumes. Mit dieser Trennung war in den mentalen Konzepten der Eltern eine Trennung von vorher und nachher verbunden. Die noch nicht umstrukturierten Wohnungen, also Wohnungen ohne platzierte Babygegenstände oder noch nicht verlassene Apartments, wurden mit dem Leben als kinderloses Paar und den damit konnotierten Möglichkeiten verbunden. Diese Räume wurden nun verändert, teilweise oder ganz verlassen. Die neu hergestellten Räume, mit spezifisch angeordneten Dingen für das Baby, wurden nun mit der Elternschaft und mit der Zeit als junge Eltern verbunden. Durch die Teilhabe an den Praktiken des Umbauens, gemeinsam mit den Partizipierenden, konnten Vorher- und Nachherwelten geschaffen werden, die eine Veränderung markieren und klar sichtbar machen. Die Möglichkeit, ein Apartment mit neuen Dingen zu bestücken, trägt es in sich, Veränderung zu konstituieren für Subjekte und Dinge gleichzeitig. Damit Veränderung nachvollziehbar wird, muss es ein Vorher und ein Nachher geben, welches in diesem Falle an Assemblages von Gegenständen gebunden war, die zu Symbolen für das alte oder das neue Leben wurden. In Folge wird Veränderung manifestiert und klar erkennbar, für die Eltern, aber auch für andere Subjekte. Ähnlich wie in der Studie von LaRossa und Sinha (2007) wurden in den Praktiken, in die das Paar integriert war, Grenzlinien geschaffen, die ein Davor und Danach markieren und zwar nicht nur in ihren Erzählungen, sondern auch physisch sichtbar in ihrer engeren Wohnumgebung. Die Praktiken, an denen die
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Eltern teilhatten, erzeugten sichtbare Veränderungen, die auch ein Zeichen für die Veränderungen des Übergangs zur Elternschaft waren.
T RANSFORMATIONEN
DER SOZIALEN
K ONTAKTE
Werdende Eltern hatten in den meisten Fällen auch selbst Eltern und in vielen Fällen auch Geschwister und andere Familienmitglieder. Auch waren die Eltern in Netzwerke aus Menschen eingebunden, die sie als Freundeskreise, Kollegschaften oder Bekanntschaften bezeichneten. Die entstehende Elternschaft eines Paares griff in die Leben von Verwandten, Freund*(inn)en und Bekannten ein, indem sich durch die Schwangerschaft Kontakte veränderten, intensivierten oder verringerten (siehe Kap. 12 und 17). Die Verkündung der Schwangerschaft an Familienmitglieder, Freund*innen, Kolleg*(inn)en und Bekannte bedeutete für diese in vielen Fällen auch eine Transformation zu Großeltern, Onkeln, Tanten oder Paten. Für Kolleg*(inn)en bedeutete die Verkündung einen Ausfall der Kollegin für einen spezifischen Zeitraum oder sogar ein Abschied von der Kollegin, falls dieser plante, nicht mehr in den Job zurückzukehren. Für Freund*innen bedeutete die bevorstehende Elternschaft eine Veränderung der gemeinsamen Tätigkeiten. Für die Großeltern, Onkeln und Tanten bedeutete ein Kind erst einmal ein weiteres Familienmitglied. Je nach Distanz des Wohnortes zu den Großeltern konnte ein Kind in weiterer Hinsicht für Großeltern und Tanten auch Betreuungspflichten und eine Verringerung der eigenen Ressourcen bedeuten, wenn die Kinder und Enkelkinder ab nun finanziell unterstützt wurden oder eigene Aktivitäten für die Unterstützung bei der Betreuung zurückgestellt oder aufgegeben werden mussten. Während es in der Studie Hinweise darauf gab, dass sich bei einigen Familien der Kontakt der Eltern zu den eigenen Eltern nicht intensivierte, kam es bei anderen Eltern zu häufigeren Besuchen schon während der Schwangerschaft und die werdenden Großeltern, Onkeln oder Tanten wurden bereits für die zeitweise Betreuung der Kinder eingeplant. In Bezug auf die Freund*innen der Paare zeigten sich in den Erzählungen Hinweise auf signifikante Transformationen. Einige Paare sprachen von einer Intensivierung der Kontakte mit Freund*(inn)en, die bereits Kinder haben oder auch schwanger sind und eine Reduktion der Kontakte zu kinderlosen Freund*(inn)en. Manche Paare und im Speziellen werdende Mütter wurden in eine Welt gezogen, in der sich sehr viel um die Schwangerschaft und bevorstehende Elternschaft drehte. Kinderlose Freund*innen verstanden die Fokussierung auf dieses Thema in einigen Fällen nicht und konnten auch mit Verhaltens-
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änderungen von schwangeren Paaren (z. B. nicht mehr lange ausgehen) nicht umgehen. Die körperlichen Umstände einer Schwangerschaft erlaubte es werdenden Müttern nicht mehr, einige Orte aufzusuchen (z. B. stark verrauchte Lokale) und durch die Schwangerschaft verursachte Müdigkeit verhinderte manchmal auch Abendaktivitäten. In einigen Fällen wurden die Kontaktzeiten mit Freund*(inn)en dann vorverlegt in frühere Abendstunden oder den Nachmittag. Waren Freunde hier nicht einsichtig hinsichtlich der veränderten Umstände, wurde von einer Verringerung der Kontaktfrequenz erzählt. Für die Freund*innen selbst bedeutete dies den Verlust von Kontakten, durch unvereinbare Lebensstile und zeitliche Gewohnheiten auf Grund einer Schwangerschaft. Es zeigt sich in den Daten sehr gut, wie eine Schwangerschaft, ein Embryo oder Fötus Einfluss auf das soziale Leben vieler anderer Personen hat. Ein entstehender Mensch verändert das Leben einer ganzen Reihe von anderen Menschen, für manche mehr, für manche weniger. Grundsätzlich wäre es möglich, dass die Eltern zwar neue Menschen kennenlernen, aber das Verhältnis zu den bereits bekannten Menschen sich kaum verändert. In den Praktiken waren aber klare Trennlinien zwischen Menschen mit Kindern und ohne Kinder etabliert. Einige Eltern berichteten, dass ihre soziale Umgebung sich nun anders verhalte. Mensch gehöre nun entweder in den Kreis der Menschen mit Kindern oder ohne Kinder und werde auch entsprechend behandelt. Manche Eltern zogen auch in den Gesprächen eine Linie zwischen den Freunden, die sind, wie sie selbst einmal waren, als sie noch keine Kinder hatten und den Freunden, die in einer ähnlichen Situation mit Kindern seien. Kinderlose Freunde wurden in Umgebungen und mit Tätigkeiten thematisiert, an denen Eltern »früher« auch teilhatten. Diese Orte und Tätigkeiten konnten durch die Schwangerschaft oder das Kind nicht mehr aufgesucht oder ausgeführt werden. Es schienen sich voneinander abgetrennte Welten zu etablieren, die andere Orte, Zeitpunkte, Gegenstände und Tätigkeiten darin und damit beinhalteten. So kam es dazu, dass Paare zu Freundeskreisen, die in der anderen Welt lebten, während des Übergangs zur Elternschaft, den Kontakt verloren oder nur schwer aufrechterhalten konnten. Es mussten für eine Weiterführung des Kontaktes Orte, Zeitpunkte und Tätigkeiten gefunden werden die in beiden Welten existierten. Gleichzeitig brachte die Elternwelt Kontakt mit neuen Menschen und oft auch eine Intensivierung des Kontakts mit den eigenen Eltern, die seit jeher in einer Elternwelt lebten. Kinderlosigkeit und die Zeit im Freundeskreis ohne Kinder wurde wiederum mit einem Früher oder Vorher verbunden, während das Jetzt oder Nachher Kinder und teilweise andere Menschen impliziert. Einige Eltern bezeichneten dies
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als »die Seite wechseln«, was ein klarer Hinweis für eine Schwelle ist, die überschritten wurde. Die Etablierung einer Grenze zwischen diesen Lebensformen, mit Kind und ohne Kind und die Verbindung dieser beiden Lebensweisen mit spezifischen, sich einander ausschließenden Bedeutungen, Orten, Zeitpunkten und Tätigkeiten, ermöglicht es wiederum, dass von Veränderung gesprochen werden kann. Die Eltern gehören nun einer neuen Gruppe und Welt an, zu der auch die eigenen Eltern gehören, während andere Gleichaltrige ohne Kind dieser Umgebung nicht anzugehören scheinen. Mit den eigenen Eltern auf einer Stufe zu stehen verbanden die Eltern mit Erwachsensein, während die kinderlosen Freunde eventuell noch im Kindstadium verhaftet blieben mit den dazugehörigen Tätigkeiten und Möglichkeiten. Die Trennung zwischen den Gruppen mit Kindern oder ohne Kinder werden in den Zuschreibungen mit einer bereits bestehenden gesellschaftlichen Opposition, jene zwischen Kindern und Erwachsenen, verbunden, die die Bedeutung der Veränderung verstärkt. Die Verbindung von Lebensformen mit Kind und ohne Kind mit einem Erwachsenen- oder Kindstatus erzeugt eine massive Transformation der Eltern am Übergang zur Elternschaft, wechseln sie doch die Seite vom Kind zum Erwachsenen. Dieser Wechsel vollzieht sich nicht nur in den Vorstellungen der Eltern, sondern auch in ihren Tätigkeiten, indem sie zu anderen Zeiten an andern Orten andere Dinge tun. An diesen anderen Plätzen scheinen sie seltener auf Kinderlose zu treffen.
S CHWANGERSCHAFT T RANSFORMATION
UND
G EBURT
ALS KÖRPERLICHE
Dadurch, dass das Baby im Uterus der Mutter von einer Morula zum selbständig lebensfähigen Baby heranwächst, wird der Uterus durch diesen Wachstumsvorgang gedehnt, die darum herum liegenden Organe verdrängt und auch der Bauch gedehnt. Zusätzlich lagert der Körper Fett ein für die Stillphase und die Brüste bereiten sich auf die Milchproduktion vor. Für viele werdende Mütter war das die massivste und schnellste Veränderung ihres Körpers seit ihrer Pubertät. Nach der Trennung der Körper des Babys und der Mutter und nach dem Abstillen kann sich der Körper wieder hin zu einem Zustand ähnlich dem vor der Schwangerschaft entwickeln. Als Erinnerung blieben manchen Müttern Schwangerschaftsstreifen, einige Fettpolster und bei größeren Geburtsverletzungen blieben auch Narben oder sogar organische Schäden.
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Die Materialität des mütterlichen Körpers wird ebenso geformt durch spezifische Ernährung, die werdende Mütter für gut während der Schwangerschaft sehen, durch Körperpflegeprodukte, die auf den Körper aufgetragen werden und durch Bewegungen und Übungen, die werdende Mütter während ihrer Schwangerschaft tun (siehe Kap. 13). Eine Überwachung der Schwangerschaft mittels des Mutter-Kind-Passes und regelmäßigen Ultraschallen reduzieren ebenso das Risiko von Beschwerden während der Schwangerschaft und bei der Geburt (siehe Kap. 10). Die schwangeren Körper der Frauen in Wien sind durch diese historisch kontingenten Praktiken spezifisch figuriert. Die körperliche Verformung war aber in den ersten Monaten der Schwangerschaft kaum äußerlich sichtbar. Diese Unsichtbarkeit der Schwangerschaft fiel mit jener Phase der Schwangerschaft zusammen, in der die Schwangerschaft noch unsicher und in einem Vielleichtheitsstadium ist (siehe Kap. 11). Gleichzeitig ließ sich dadurch die Schwangerschaft auch vor anderen Menschen verheimlichen (siehe Kap. 12). In den ersten Monaten war die Schwangerschaft hauptsächlich in Form von Übelkeit körperlich spürbar. Im vierten Monat der Schwangerschaft wurden körperliche Veränderungen für die Eltern von außen sichtbar und spürbar. In den sechs Monaten bis zur Geburt verändert sich der Frauenkörper nun, im Vergleich zum Körper des Partners, massiv und der Prozess endet mit der Separierung des Kinds- und Frauenkörpers voneinander. Im Uterus der Mutter vollzieht der Embryo einen Wachstumsprozess von einem Zellhaufen zu einem Körper, der ohne den Körper der Mutter überleben kann. Vor der Geburt muss in den Praktiken Trennbarkeit erreicht oder hergestellt werden. Die Frauen sind es dann auch, die an der Geburt teilhaben müssen. Historisch war eine Geburt einmal ein Risiko für das Leben der Frau. Innerhalb der (techno-)wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Assemblages, in denen die Frauen meiner Studie geboren haben, liegt die Sterblichkeitsrate von Müttern bei oder nach der Geburt durch die moderne Medizin inzwischen unter dem Promillebereich. Jede Geburt birgt für die werdende Mutter aber ein Verletzungsrisiko. Dieses Risiko ist Partizipierender der werdenden Eltern, in den meisten Fällen schon vor der Schwangerschaft, und in den Praktiken wird dieses kalkuliert, abgewogen und eingegangen. Der Schwangerschaft wurde in den mentalen Konzepten der Eltern eine weitreichende Transformation ihrer Körper zugerechnet, sie bedeutet aber keine Gefahr für das Leben der werdenden Mutter mehr, sondern wird zur besonderen Körpererfahrung, die nur für einen Teil der Menschen erlebbar ist. Werdende Mütter hatten nicht Angst davor, bei der Geburt zu sterben, sondern Angst vor traumatischen und sehr schmerzhaften Geburtserlebnissen und davor, dass ihre Körper danach unförmig und verletzt bleiben wür-
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den. Die werdenden Mütter konnten an Tätigkeiten teilhaben, die Letzterem entgegenwirken können, eine Kontrolle über den Geburtsvorgang war aber in den seltensten Fällen möglich. Auch wenn das Baby nach der Geburt zwar selbständig atmen kann und seinen Kreislauf selbständig aufrechterhalten kann, kann es sich nicht selbst füttern oder pflegen und ist auf die Betreuung durch andere Menschen angewiesen. Die Mutter müsste nun nicht mehr die primäre Betreuerin sein. Sie ist nun körperlich vom Baby getrennt und kann es stillen und versorgen, wenn sie möchte, das Baby ist aber auch ohne die Mutter lebensfähig. Die automatische Versorgung durch einen Körper wird durch eine manuelle Versorgung, die von Subjekten bewusst ausgeführt werden muss, ersetzt. In den Tätigkeiten der Geburt entsteht ein Unterschied zwischen gemeinsam/verbunden und getrennt und innen und außen, der die Position des Babys in den Assemblages ändert. Es kann sich nach der Geburt per Hautkontakt körperlich mit anderen Menschen und Gegenständen verbinden. Fruchtblase und Uterus haben dies zuvor verhindert. Der Körper der Mutter kann sich von der Geburt erholen und die Organe rückbilden. Auch der Kontakt der Mutter zum Kind erfolgt nun über die Haut und nicht durch die Nabelschnur. Teil dieser Körpererfahrung war die Dokumentation der körperlichen Veränderung. Wöchentliche Fotos des Bauches oder die zu klein werdenden Kleider waren Partizipierende, die die körperliche Veränderung linear und messbar machten. Ähnlich wie in den in Kap. 3 vorgestellten statistischen Studien wird Veränderung dann evident, wenn an spezifischen Zeitpunkten der Körper wiederholend dokumentiert wird und diese Dokumentationen verglichen werden, weil sie den Körper stillstellen. Dabei wird ein Partizipierender figuriert, der scheinbar immer gleich bleibt (der Vorgang des Fotografierens oder der Fragebogen in den statistischen Forschungssettings), während der andere als jener figuriert wird, der sich drastisch ändert. In einigen Fällen war es der Männerkörper, der in den Tätigkeiten als Stabiles, Gleichbleibendes figuriert wurde, während der weibliche Körper jener war, der Dynamik und Transformation unterworfen war. In diesem Prozess werden Veränderungen sichtbar, weil andere Partizipierende gleich bleiben. Bleibt körperliche Transformation am Beginn der Schwangerschaft scheinbar oft unsichtbar, da noch keine Ausdehnung des Körpers der Mutter erfolgt, geht sie rund um das Ende des dritten Monats in ein von außen sichtbares Stadium über. Die körperliche Transformation wird damit wahrnehmbar indem einerseits Teilhaber*innen an den Praktiken als unveränderte figuriert werden, die Veränderungen an anderen Teilhaber*innen anzeigen können. Damit werden sich verändernde und sich nicht verändernde Partizipierende erzeugt. Die Figuration die-
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ser Trennlinie schafft die Transformation eines Teils der Assemblages, in diesem Fall der Verbindung Ungeborenes und Mutterkörper. Mit der Separierung der Körper der Mutter und des Kindes, des Transports des Babys von innen nach außen, werden automatische Versorgungswege für das Kind gekappt und es müssen gezielt Versorgungstätigkeiten für das Baby ausgeführt werden. Da die Mutter diese manuellen Versorgungstätigkeiten, die das Überleben des Kindes sichern, häufig übernimmt, bleibt die klare Trennung von Mutter und Kind in diesen Praktiken unscharf. Trotzdem können nun auch andere Menschen das Kind pflegen und versorgen. An den Trennlinien unsichtbar und sichtbar, gleichbleibend und sich entwickelnd, automatisch und manuell und Innen und Außen verläuft eine Schwellenbildung, die Veränderung erzeugt.
L EGAL E LTERN Legal haben die Eltern, solange die Körper von Frau und Baby noch verbunden sind, keinen Elternstatus. Nach der Separierung der Körper wird das Kind als eigenständiges Individuum zertifiziert und registriert (siehe Kap. 21) und die Eltern mit Pflichten und Rechten ausgestattet, die ihre Beziehung zum Kind und zueinander definieren. Sofern die Eltern das Kind nun nicht zur Adoption freigeben (und damit ihren Elternstatus verlieren), sind die Eltern nun rechtlich verpflichtet, für das Kind zu sorgen. Die körperlichen Transformationen wurden an diesem Punkt durch ein rechtliches System legitimiert. Allein die körperlichen Prozesse zu durchschreiten reichte nicht aus, um Eltern zu werden. Die Elternschaft musste rechtlich anerkannt werden. Die Geburtsurkunde definiert eine Dreierbeziehung, die in Verbindung mit rechtlichen Regelungen die Position der Eltern miteinander, zueinander und zum Kind formt. Aus einer rechtlichen Einzelposition oder Dyade (wenn Eltern bereits verheiratet sind) wird eine Trias, die rein rechtlich bestehen bleibt, bis das Kind für sich selbst finanziell sorgen kann. Von einem legal ungebundenen Status gibt es einen Übertritt in einen legal gebundenen Status. Die Individualisierung des Babys, mit seiner Registrierung als Einzelperson, geht mit einer rechtlichen Deindividualisierung der Eltern einher. Sie sind dazu verpflichtet, ihr Kind zu versorgen und werden figuriert als Subjekte mit Verantwortung für einen anderen Menschen. Die Schwellenbildung erfolgt an dieser Stelle an den Trennlinien ungebunden und gebunden, die konträr zur körperlichen Transformation verlaufen. Während Körper von Kind und Mutter aneinander gebunden sind, ist das Kind rechtlich kein Individuum und die Mutter und vor allem der Vater haben keine spezifischen Pflichten und Rechte an das Kind. Wird das Kind von der Mutter entbunden, folgt eine rechtliche
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Bindung an das Kind. Das Kind kann nun zum Individuum werden, dadurch, dass Eltern diesen Status teilweise aufgeben müssen, um ein Kind zu versorgen, dass diese zum Überleben braucht.
D EN Ü BERGANG ZUM Ü BERGANG O PPOSITIONEN MANIFESTIEREN
MACHEN :
Damit der Übergang zu einem Übergang wird, benötigt es Lebensphasen oder Statuszuschreibungen, die verändert werden können. Diese Lebensphasen müssen wiederum Praktiken inkludieren, die Praktiken der anderen Lebensphase möglichst gut ausschließen. In den Praktiken manifestieren sich Trennlinien, an denen bestimmte Tätigkeiten aufhören (sollen oder müssen) und neue beginnen. Soll dieser Übergang eine dramatische, starke oder bedeutende Veränderung sein, können die Praktiken der ersten Lebensphase sogar in direkter Opposition zu den Praktiken der zweiten Lebensphase stehen. In dieser Studie manifestierten sich Dualismen, die in den Praktiken der Eltern manifestiert wurden. Diese Dualismen verbanden sich in den meisten Fällen mit der entstandenen Opposition keine Kinder oder Kinder. Die Opposition zeigte sich in den Praktiken des Umbauens, des sozialen Lebens, der Verkündung, der Körperentwicklung und der Geburt. In den Tätigkeiten und Figurationen der Partizipierenden wurden Oppositionen zwischen alt und neu, vorher und nachher, jung und alt, jugendlich und erwachsen, unsicher und sicher, privat und öffentlich, innen und außen, automatischer und manueller Versorgung, stabil und dynamisch, Stillstand und Entwicklung oder verbunden und getrennt geschaffen. Zwischen allen diesen Oppositionen entstanden Grenzbereiche, die von Abgrenzungs- und Umstrukturierungstätigkeiten geprägt waren. Diese Tätigkeiten markierten Schwellen, die die Opposition und die Einordnung in das Eine oder das Andere vollzogen. So markierte der Umzug oder das Umbauen die Schwelle zwischen neuem und altem Leben, zwischen dem Leben als junger ungebundener Mensch und alterndem Menschen mit Verantwortung. Der Rückzug aus bestimmten sozialen Kontakten und das Knüpfen neuer Kontakte in der Schwangerschaft markieren ebenfalls die Veränderungen zwischen Jungsein und den Tätigkeiten und Menschen, die dazugehören, und verantwortungsvollen erwachsenen Eltern, die sich auch mit solchen Menschen umgeben. Die Praktiken der Verkündung schaffen eine Schwelle zwischen privatem Wissen um die Schwangerschaft, dem Geheimnis, und der Öffentlichkeit der Schwangerschaft. Dokumentationspraktiken, der Vergleich innerhalb der Paare oder der Selbstvergleich der Paare mit anderen Paaren, die
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noch keine Kinder haben, erzeugt einen Unterschied zwischen stabil und dynamisch und auch zwischen jenen, die im Stillstand verharren (die noch immer überlegen, aber sich nicht zum Kind entscheiden) und jenen, die sich entwickeln (Kinder bekommen). Eine sehr wichtige Schwelle am Übergang zur Elternschaft waren die Praktiken, die Sicherheit über die Schwangerschaft herstellten. Dieser Dualismus war in jenen Praktiken mit all den anderen erwähnten Dualismen verbunden und zusätzlich mit dem Dualismus von wahr oder nicht wahr und von Leben oder Tod des Embryos oder Fötus. Einen Embryo oder Fötus zu verlieren hätte nicht nur Tod bedeutet, sondern auch eine Verwehrung des Erwachsenenstatus, des Status als sich Entwickelndes, des Status des Verantwortungsvollen, der in der Bildung der Oppositionen aufgebaut wurde. Auf der einen Seite zu bleiben trifft mit der Zuschreibung eines Kindstatus zusammen, der ein Subjekt markiert, das sich nicht entwickelt und im Vorher verharren muss. Zusätzlich zur Trauer, die ein Abort auslöst, waren die Eltern bereits in Praktiken figuriert, die ihnen dann einen bestimmten Status zuschreiben.1 Dies macht die Anspannung der Eltern, die Partizipierende der Subjekte im ersten Trimester waren, verständlich. In allen anderen Praktiken figurierten sich Trennlinien zwischen zwei oppositionellen Welten, die Schwellen erzeugten, die überschritten werden konnten. Jeweils eine Seite war immer wieder mit der Bedeutung Elternschaft versehen und inkludierte andere Orte, Zeitpunkte und Tätigkeiten. Schon während der Schwangerschaft verläuft so ein ständiges Übergehen zur Elternschaft in dem Schwellen überschritten werden. Die Praktiken der körperlichen Trennung schicken ein Baby nach draußen und schaffen neue Aufgaben für die Eltern. Die Eltern bekommen einen anderen legalen Status. Der körperlichen Trennung folgt eine legale Bindung an das Kind. Das Baby wird in diesem Prozess Individuum und die Eltern Verantwortungsträger für ein anderes Lebewesen ihrer Spezies. Die körperliche Geburt reicht nicht aus um Eltern zu schaffen. In den Praktiken wurden weitere Trennlinien etabliert, die für die Eltern Schwellen bildeten, die es zu überschreiten galt. Ohne alle diese Oppositionen und die materiellen, narrativen und symbolischen Schwellen, die Übergänge schaffen und einen Prozess für die Eltern wahrnehmbar machen, wäre die Transition keine Transition. Es würde keine solch dramatische Veränderung stattfinden, sondern es würde sich lediglich eine Klei-
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Dies heißt nicht, dass sich alle kinderlosen Menschen oder Paare in Wien in den Kindstatus verdrängt fühlen. Die Oppositionen figurieren solche Menschen erst, wenn sie an den Praktiken des Übergangs zur Elternschaft teilhaben. Menschen, die mit diesen Assemblages nicht in Kontakt kommen, sind mit anderen Partizipierenden figuriert.
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nigkeit verändern. Die Intensität und Anzahl der Übergänge und die folgende Trennung der materiell-diskursiven Welten in Vorher und Nachher, die hier beschrieben wurden zeigen das hohe Ausmaß an Arbeit, dass notwendig ist für bedeutsame Veränderungen.
W IR
SIND
Ü BERGANG
Das posthumanistische Forschungsparadigma erlaubte einen Blick auf die vielen beteiligten Partizipierenden, die diesen Übergang erzeugen. Die Subjekte sind in diesem bloß als jene figuriert, die diese Veränderung tragen. Die ethnographischen Kapitel nannten einen Teil der Companions der werdenden Eltern, mit denen sie gemeinsam werden und dessen Teil sie sind. Dies geht weit über die in Kap. 3 vorgestellten Studien zur Transformation der Interessen, Werte oder Zufriedenheiten der Eltern hinaus. Gezeigt wurde, wie in materiellkulturellen Praktiken materiellkulturelle Partizipierende sich transformieren und wie die Veränderungen entstehen. Auch sind die Übergänge und Schwellen nicht nur ein Erzeugnis narrativer Aushandlungsprozesse oder institutionalisierter Rezepte, wie La Rossa und Sinha (2006) dies in ihrer wegweisenden Studie gezeigt haben. Übergänge sind Ergebnis zahlreicher Produktionen von Schwellen in den Praktiken, an denen unzählbare Partizipierende teilhaben. Die Veränderungen auf ein oder zwei Partizipierende zurückzuführen übersieht die mit Teilhabenden überladenen Assemblages der Praktiken, in denen sich Eltern in Wien heute bewegen. Auch kann nicht eine Schwelle oder eine Übergangsphase in diesem Prozess, etwa die Geburt, als der Übergang zur Elternschaft bezeichnet werden oder allein als bestimmend für die Transition gesehen werden. Ein prozessorientiertes posthumanistisches Forschungsprogramm macht die zahlreichen Cuts, Grenzziehungen und -erhaltungen und Schwellen sichtbar, die gemeinsam einen Übergang schaffen, der durch diese vielen kleinen Übergänge auch die hohe Bedeutung verliehen bekommt, die der Übergang zur Elternschaft im Lebenslauf gegenwärtig hat.
23 Subjektwerdung durch die (De-)Figuration von Trennlinien
W AS /W IE
IST EIN MENSCHLICHES
S UBJEKT ?
Ziel dieses Buches ist es, die Transformation und Figuration von menschlichen Subjekten im Übergang zur Elternschaft zu beschreiben. Das Subjekt verstehe ich in Anschluss an Braidotti und Haraway als multipel, transversal und sich im Zusammenspiel von heterogenen Kräften verfestigend (siehe Kap. 4). In technowissenschaftlichen Praktiken der gegenwärtigen Gesellschaften werden Grenzen zwischen den Spezies produziert und neue (menschliche) Partizipierende entstehen in alltäglichen oder technologischen Praktiken, die Menschen und NichtMenschen beinhalten. Diese Thesen bestätigten sich in meinen Daten. Zusätzlich zeigte sich, wie Subjekte im Übergang formiert werden. In den Theorien Barads entstehen mit den Intra-Aktionen die Partizipierenden, die infolge so erscheinen, als würden sie unabhängig voneinander sein und einander beeinflussen (siehe Kap. 4). Es entsteht z. B. im Kontext wissenschaftlicher Praktiken ein Subjekt, das ein Objekt beobachtet oder bearbeitet, um dann Ergebnisse zu erhalten. Alle Partizipierenden gemeinsam ergeben das Phänomen. Die einzelnen Partizipierenden sind wiederum für sich Phänomene im Phänomen. In der empirischen sozialwissenschaftlichen Arbeit werden diese Phänomene als Praktiken erkennbar (siehe Kap. 5), die aus Partizipierenden bestehen, die wiederum selbst Praktiken sein können. In den Praktiken des Übergangs zur Elternschaft entstehen die werdenden Eltern als Subjekte, die mit anderen Menschen und Objekten gemeinsam agieren. Das Subjekt kann wiederum bei genauerer Betrachtung zur Praktik in der Praktik werden. Die einzelnen Partizipierenden, die sich wiederum in kleinere Teile auflösen können und Praktiken in den Praktiken ergeben, dessen Teile mit Teilen der anderen Praktiken agieren, ergeben die rhizomatische Struktur des Subjekts und der Praktiken, die von Rosi Braidotti beschrieben wird. Die Teile sind in diesem Konzept transversal, ver-
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bunden und gleichzeitig manifest getrennt. Es passieren also Grenzziehungen, die Einheiten erzeugen und abgetrennt erscheinen lassen, auch wenn sie nicht ohne ihre Verbindungen beschrieben werden können und gemeinsam mit diesen gesehen werden müssen.
D IE
ALLTÄGLICHEN
S UBJEKTE
DES
Ü BERGANGS
Durch die sozialwissenschaftliche Analyse der Interviews, Beobachtungen und Dokumente wurden in dieser Studie Tätigkeiten der Eltern und deren Partizipierende rekonstruiert. Eine Analyse der Subjekte als Praktiken ergab eine Vielzahl von Partizipierenden, aus denen Menschen als Subjekte figuriert waren. Das alltägliche Subjekt des Übergangs zur Elternschaft wurde in den Daten figuriert als aus unter anderem einem Geist, einem Körper, aus Kleidung und Mode, aus Wünschen und Werten und Gefühlen zusammengesetzt. In der Analyse zeigten sich insbesondere vier Partizipierende, die in den Interviews, Beobachtungen, Dokumenten und rekonstruierten Tätigkeiten des Übergangs zur Elternschaft als Teile des Subjekts figuriert wurden: Wille, Wissen, Körper und Gefühle.1 Diese vier Partizipierenden als wichtigste Teile eines Subjekts wurden in den Tätigkeiten und Praktiken voneinander abgetrennt, definiert und zu einem menschlichen Subjekt zusammengesetzt. Der Wille umfasste Intentionen, Begehren und Elemente der Moral, das Wissen umfasste kognitive Daten, die Eltern im Prozess aufnehmen. Willen und Wissen gemeinsam ergaben die Ratio, das rationalintentionale Denken, mit denen Eltern in den Praktiken ausgestattet wurden. Körper war eine diffuse materielle Entität, die vorerst undefiniert (hinsichtlich Geschlecht oder Alter) war und Gefühle umfassten Emotionen und Zustände wie Angst, Unsicherheit, Schmerz, Hoffnung oder Liebe. Diese Figurationen des
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Die Begriffe Wille, Wissen, Körper und Gefühle kommen aus den Daten. Informant*(inn)en unterschieden Sachverhalte, die sie »wollen« oder »wissen«. Sie unterschieden »Gefühle« von »Wissen« oder »Zielen« und »Körper« von dem, was sie »wollen« oder ihren als geistig definierten »Zielen«. In den Interviews und Dokumenten wurden immer wieder Trennlinien gezogen zwischen dem, was der Körper tut, und was die Intention eines Willens war, zwischen geistigen Wünschen oder erlebten Normen und dem Körper oder dem Wissen über Dinge. In den Enactments war in den Selbstbeobachtungen die Aufteilung eines Selbsts in Körper, Gefühltes, Gewusstes und Gewolltes erkennbar. In allen Datenformen wurden immer wieder Unterschiede zwischen diesen Partizipierenden gemacht und Aufgaben zwischen diesen Partizipierenden verteilt.
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Subjekts aus diesen spezifischen Partizipierenden wurden in den Praktiken am Übergang zur Elternschaft geformt. In den Daten waren die Abtrennungen dieser Bereiche innerhalb des Subjekts sehr gut erkennbar. Innerhalb der Daten meiner Studie schaffte die Abtrennung dieser Partizipierenden eine Unterscheidbarkeit des menschlichen Subjekts von anderen nichtmenschlichen Partizipierenden. Es konnten mit diesem Schema Cuts zwischen verschiedenen Entitäten gezogen werden. Im Alltag der Eltern konnten so implizit alle Partizipierenden mit diesem Schema klassifiziert werden. In den Praktiken wurde mit der Figurierung des Subjekts aus Willen, Wissen, Körper und Gefühlen eine Differenzierung von andern Partizipierenden möglich. Es gab Gegenstände, die nur Körper waren und nicht fühlen, wissen oder etwas wollen konnten, wie Kinderwagen, Wohnungen oder tote Materie. Diese Gegenstände fühlen z. B. keinen Schmerz und können nicht den Wunsch nach Veränderung entwickeln. Es gab Lebewesen, die als mit keinem oder wenig Wissen ausgestattet definiert wurden und denen infolge auch wenig Ratio zugeschrieben wurde, wie etwa der Fötus, das Baby oder Tiere. Diese können fühlen und auch etwas wollen, sie können sich aber weniger merken und es wurde ihnen nicht die gleiche Rationalität wie erwachsenen Menschen zugeschrieben. Die Eltern als Subjekte und erwachsene Menschen erschienen somit als das komplizierteste Gebilde, das innerhalb der Praktiken figuriert wurde. Im Alltag am Übergang zur Elternschaft waren durch dieses Schema implizit alle Partizipierenden klassifizierbar und in Gegenstände, Tiere, werdende Menschen und Menschen einteilbar. Zur Unterscheidbarkeit von anderen Partizipierenden kam die Unterscheidbarkeit zwischen den Menschen (den Eltern) hinzu. Das obige Schema konnte in diesen Tätigkeiten von den Eltern und in den Dokumenten nur begrenzt angewandt werden. Es waren weitere Partizipierende figuriert, die eine Unterscheidung zwischen den Menschen ermöglichten. Diese wurde figuriert als Stil.2 Unter Stil subsumiere ich eine Reihe von Partizipierenden wie den sozioökonomischen und soziokulturellen Status (Klasse, Schicht, Religion), Zertifizierungen
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Der Begriff Stil etablierte sich in der Bearbeitung von Daten, in denen Eltern sich von anderen Eltern unterschieden oder in denen Dokumente oder Eltern Menschen voneinander unterschieden. Dies passierte über einen »Stil«, in Form eines bestimmten Designs von Gegenständen, der Kleidung, der Wohnung und bestimmten Ausführungen von Tätigkeiten im Alltag. Aber auch über verschiedene Körper und Körperformen, Bildungsgrade und Werte, die ich im Anschluss ebenfalls als Stil codiert habe. Die Definition von Unterscheidungsmerkmalen zwischen Menschen als Stil, auch jener Merkmale, die für Eltern als »natürlich« gelten, wie etwa das Geschlecht, markiert die Figuration dieser Unterschiede in Grenzziehungspraktiken.
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und Auszeichnungen (Name, Ausbildungsgrad, Versicherungsnummer), Zeit und Ort, an dem sich das Subjekt befindet, Körperform (Aussehen, Alter, das Geschlecht und der schwangere oder nicht schwangere Körper), Kleidung, Werte, Interessen oder Geschmack. In Verbindung der Grundassemblierung (Wille, Wissen, Körper und Gefühle) mit diesen Stilelementen wurde das Subjekt am Übergang zur Elternschaft zu einem spezifischen Menschen: Mann, Frau, jung, alt, arm, reich, mit bestimmten Vorlieben, Werten, Interessen und Geschmäckern ausgestattet. Diese Vielzahl von Partizipierenden figurierten den spezifischen, wiedererkennbaren und von anderen Menschen klar unterscheidbaren Menschen, der sich im Prozess des Übergangs zur Elternschaft befindet. Die Definitionen und Trennungen von Körper, Gefühl, Willen und Wissen lassen sich nicht in ein herkömmliches Schema von Natur und Kultur einordnen. Körper und Geist erscheinen getrennt, beide sind aber figuriert in denselben materiellkulturellen Praktiken und damit »naturecultures« (Haraway). Der lebende Körper ist figuriert als Ort, in dem die Partizipierenden vereint sind. Die Trennungen von Körper und Geist sind philosophische Kategorien, die sich in den Trennungen der Partizipierenden in den alltäglichen Praktiken nicht so konkret wiederfinden. Der Wille ist ebenso materialisiert in den Aktivitäten, wie die Gefühle und Körper. Alle Partizipierenden nur durch ihre ständige Transformation (Intra-Aktion) separierbar, geformt und analytisch erkennbar werden. Die Trennung dieser Bereiche, innerhalb des (menschlichen) Subjekts, produzierte Teile, die aufeinander wirken konnten, wie ich das in den nächsten Abschnitten beschreiben werde.
R ATIONAL
STEUERNDE
S UBJEKTE : K ONTROLLE
Der Fokus dieses Buches war diesen so angeordneten menschlichen Subjekten und ihrem Elternwerden gewidmet. Menschen, als Subjekte, waren Teil von allen beschriebenen Praktiken und sie waren jene Partizipierenden, die mit dem größten Handlungsspielraum ausgestattet waren. Sie waren als jene figuriert, die Entscheidungen treffen, zwischen Dingen auswählen, Vorstellungen als Partizipierende zurückweisen oder annehmen konnten. Sie wurden als rational Denkende figuriert, die Bewegungsräume und Sets von Tätigkeiten wählen und bestimmen können. Dies war mit Denktätigkeiten verbunden, die Situation unter Kontrolle zu haben oder unter Kontrolle haben zu können. Subjekte glaubten, dass sie Wissen und Gegenstände spezifisch anordnen könnten, um damit antizipierte Ergebnisse zu erzielen.
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Die Subjekte, die dem posthumanistischen Forschungsparadigma zufolge selbst Praktiken sind, sind so figuriert, einen Willen und einen davon abgetrennten Körper zu haben. Das Wissen um Fruchtbarkeit und Elternschaft, das die Subjekte gesammelt haben, kommt als Partizipierender hinzu. Als weitere Partizipierende des Stils des Subjekts dieser Praktiken können u. a. der Frauenkörper, der Männerkörper und der Zyklus identifiziert werden. In den Intra-Aktionen wurde der Willen als jener figuriert, der nun die anderen figurierten Teile der Praktik erkennt/definiert und beeinflussen möchte. Sehr deutlich wurde dies in den Praktiken des Bastelns (Kap. 8), wo Wannabe-Eltern, im speziellen Wannabe-Mütter, davon ausgingen, dass die Anwendung von Wissen durch die Kombination von Tätigkeiten, die bestimmte Gegenstände inkludierten (Temperaturmessungskalender, Thermometer) oder exkludierten (Verhütungsmittel), zu einem bestimmten Ziel (eine Schwangerschaft) führen würde. Der eigene Körper, den die Subjekte in diesen Momenten transzendierten, wurde zum Gegenstand, der spezifisch figuriert werden sollte, indem dieser fruchtbar gemacht werden und infolge schwanger gemacht werden sollte. Auch in allen folgenden Praktiken wurden die Subjekte immer wieder als von ihren Körpern abgetrennte Willen figuriert, die Wissen gezielt sortieren können, um im Anschluss ihre Körper zu formen und zu steuern. Zu dieser Steuerung benötigen die Subjekte ihre Körper, die die erwünschten Tätigkeiten ausführen, sei es, den Körper mit Pflegemitteln einzucremen um Schwangerschaftsstreifen am Körper zu vermeiden oder sei es, die Ausführung bestimmter Übungen, um den Beckenboden zu trainieren, was die Geburt erleichtern kann (siehe Kap. 13 und 18). Mit Willenskraft kann der Körper dazu gebracht werden, sich selbst zu behandeln. Zu dem Einflussbereich eines Willens konnte auch der Körper anderer Subjekte gehören, die gleichzeitig so figuriert sind, mit einem »eigenen« Willen ausgestattet zu sein. Dies kann gezeigt werden am Beispiel der Partner von Wannabe-Müttern. Einige Wannabe-Mütter versuchten das Gesundheitsverhalten ihrer Partner zu beeinflussen oder ihre Partner zu den richtigen Zeitpunkten zum Geschlechtsverkehr aufzufordern. Das Ziel des Willens, die Schwangerschaft, inkludierte andere Subjekte als Partizipierende, deren Verhalten beeinflusst werden sollte. Dabei geschieht gleichzeitig eine Grenzziehung und Entgrenzung zwischen den als weiblich und männlich figurierten Subjekten. In den Praktiken waren es die Willen der Frauen, die die Fruchtbarkeit planten, der männliche Körper und auch der Wille des Mannes war an dieser Stelle teilweise in das Assemblage, das vom Willen der Frau kontrolliert wurde, zugeordnet. In den Praktiken der Fruchtbarkeit wird eine Frau mit diesem Willen figuriert und der Wille wird als eine Kontrollfähigkeit und Zielstrebigkeit im Subjekt figuriert,
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die Kontrolle über andere Partizipierende ausübt, inklusive dem männlichen Körper. Diese Kontrolle drückt sich in dem Wunsch zur Schwangerschaft und in der Fürsorge für den eigenen Körper, den Körper des Partners und des ungeborenen Kindes aus. Zu dem Willen zur Schwangerschaft gehörte sehr häufig auch der Willen, die besten Voraussetzungen für das Kind zu schaffen. Damit verbunden war für die Wannabe-Mütter eine Kontrolle des eigenen Körpers und des Körpers des Partners. Die Verantwortung dafür, dass die Praktiken zur Herstellung einer Schwangerschaft erfolgreich sind, wurden ebenso dem Willen im weiblichen Subjekt zugeschrieben. Dies schafft eine Auflösung der Grenze zwischen dem weiblichen und männlichen Körper, der Teil des Assemblages und in die Tätigkeiten eingepasst wird, der vom Willen kontrolliert ist, der dem weiblichen Subjekt zugerechnet wird. Gleichzeitig werden in den Praktiken der Herstellung einer Schwangerschaft auch klar zwei Körper figuriert, die komplementär sind und zwei unterschiedlichen Subjekten zugeordnet sind, die diese Körper und ihre Willen vereinen müssen, um das Ziel Schwangerschaft zu erreichen. Die figurierten Körper können wiederum widerständig sein und z. B. unfruchtbar bleiben, obwohl der Wille Wissen und Gegenstände anordnete und versuchte, den Körper fruchtbar zu formen. Die Subjekte waren dann Teil von Praktiken, in denen sie noch mehr Wissen aufnahmen und ordneten und weitere Gegenstände zur Kontrolle des Körpers hinzufügten (z. B. Ovulationsteste oder Reproduktionstechnologie). Die Grenze zwischen Willen, Wissen und Körper schien in diesen Praktiken immer tiefer gezogen zu werden. Der Körper war dann Gegenstand akribischer Kontrolle und Observation, er wurde durchleuchtet und der Zyklus verschriftlicht, um ihn noch besser behandelbar zu machen. Die Eltern hatten an mehr Praktiken der Selbstobjektivierung teil, in denen der Körper genau beobachtet wurde und mit Wissen über körperliche Vorgänge verbunden wurde. Verbunden war dies mit dem Glauben, dass genauere Kontrolle schneller oder sicherer zum Ziel führen würde. Wurde das etablierte Wissen über den Körper richtig angewandt, konnte der Willen die Fruchtbarkeit oder die Form des Körpers (mit)bestimmen und seine Intention mit dem, durch den und am Körper verwirklichen.
O HNMÄCHTIGE S UBJEKTE : K ONTROLLLOSIGKEIT Während z. B. in den Praktiken des Bastelns (Kap. 8) oder in den Praktiken der Überwachung des Körpers der Mutter und des Fötus (Kap. 10) der Wille oder die Ratio als in Kontrolle figuriert wurde, gab es auch andere Praktiken, z. B. die Praktiken der Herstellung von Evidenz (Kap. 9) oder die Transformationen des
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Körpers (Kap. 13), in denen der Wille nicht mit derselben Kontrollfähigkeit ausgestattet war. Der Körper wurde in diesen Praktiken als Partizipierender figuriert, dem der Willen nichts anhaben kann und der die Wege und das Sein des Subjekts bestimmt. In den Interviews, Beobachtungen, Dokumenten und rekonstruierten Tätigkeiten zeigten sich dann Körper, denen ein gewisses »Schicksal« zugeschrieben wurde. Es gab z. B. Frauen, die trotz der Nutzung aller zur Verfügung stehenden Technologien nicht schwanger wurden. Zu einer geglückten Schwangerschaft gehörten auch unerwartete Schwangerschaftsübelkeit oder der Bauch, der gegen Ende der Schwangerschaft liegen oder sitzen erschwerte. Diese körperlichen Transformationen konnten von den Wünschen der Eltern oder durch geistige Übungen schwer konkret beeinflusst werden. In den Praktiken der Herstellung von Evidenz zeigte sich, dass der Körper so figuriert ist, dass der Körper nicht unvermittelt kommunizieren kann, ob er schwanger ist oder nicht. Es konnte in der Wahrnehmung der Eltern kein sicheres körperliches Zeichen etabliert werden, das die Schwangerschaft sicher anzeigt (siehe Kap. 9). Die Eltern waren Teil von einer Reihe von Praktiken, die Artefakte und Technologien beinhalteten, die zwischen Körper und Ratio vermittelten. Die Beschreibung des Körpers als schwanger oder nicht-schwanger passiert über Listen mit Symptomen, Schwangerschaftsteste und Ultraschallteste. Verbunden mit der Unsicherheit als Gefühlspartizipierenden, sind die werdenden Eltern, in ihren Beschreibungen, keineswegs als jene figuriert, die die Dinge in der Hand haben. Die Eltern schienen wenig Kontrolle darüber zu haben, ob nach einem positiven Schwangerschaftstest ein positiver Ultraschalltest folgt. In dieser Phase sind sie figuriert als Wartende, was Subjekten, die in anderen Assemblages als Personen mit viel Handlungsmacht figuriert sind, besonders schwerfällt. Die Intention der Eltern, den Körper als sicher schwanger zu definieren, scheiterte immer wieder. Der Körper, der in diesen Praktiken ebenfalls stark vom Willen und dem Wissen abgegrenzt wird, ist in diesen Praktiken als unzugänglich und unkontrollierbar figuriert, der im besten Fall durch Technik beobachtet werden kann. Die Ratio, die im Körper ist und sich mit und über diesen Körper definiert, kann nicht um die Beschaffenheit des Körpers wissen. Aus der Sicht der Eltern war diese Unwissenheit und Kontrolllosigkeit unfair und wurde als Ohnmacht gedeutet. Der Körper wurde als jener figuriert, der die Kontrolle über die weiteren Tätigkeiten der Eltern hatte, indem sich innerhalb der IntraAktionen im Körper der Frau ein Embryo bildete und einnistete oder indem die Gebärmutter diesen Embryo abstieß und die Schwangerschaft beendete. Der Wille zur Schwangerschaft der Eltern war so figuriert, dass er an diesen Vorgängen nichts verändern konnte.
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Später, wenn die Schwangerschaft sicher war und sprichwörtlich Formen annahm, wurde immer wieder die Pubertät als Vergleich herbeizitiert (siehe Kap. 13). Spiegel, Kameras und Textilien waren Partizipierende, die den werdenden Müttern verrieten: »du hast dich verformt«. Der Körper ändert sich an allen Ecken und Enden und wiederum kann der Wille nur gemeinsam mit Artefakten und Technologie beobachten und Wissen über die Veränderungen sammeln, aber er ist nur im geringen Maße mit einer Kontrollfähigkeit figuriert, den Körper zu formen. Der Bauch, die Brüste und eventuell auch andere Teile des Körpers wachsen ohne das Zutun oder Intention des Willens der werdenden Mutter zum Zeitpunkt der Transformation. Der Körper verändert sich und die Schwangere kann oberflächlich mit Cremen oder Übungen korrigieren und formen. Eine umfassende Kontrolle mittels Gedanken oder Wünschen scheint aber unmöglich. Die Veränderungen des Körpers können mit Wissen über diese Veränderungen verbunden werden und infolgedessen können vom Willen weitere Veränderungen antizipiert werden. So war der Geburtsvorgang, und wie der Körper mit diesem umgehen wird, nicht vorauszusehen oder zu kontrollieren. Die werdenden Mütter konnten aber vorbereitende Übungen absolvieren und etwa mittels Akupunktur die Muskeln lockern. Hier konnte der Willen des Subjekts wieder etwas Kontrolle über den Körper erlangen. Trotzdem war es nicht vorauszusehen, ob die bevorstehende Geburt leicht oder schwierig, erträglich oder traumatisierend werden wird. In den Interviews waren diese Ungewissheiten angstbesetzt. Der Wille war in vielen Tätigkeiten ohnmächtig. Er konnte bloß einer Transformation zusehen. Gleichzeitig waren die Subjekte aber mit einer Ratio figuriert, die die Transformation des Körpers antizipieren konnte und die um Veränderungen wusste und diese Transformationen mit dem Willen, schwanger zu werden, bewusst in Kauf nahm und angestoßen hatte. Auch wenn die Verformungen, wenn sie passierten, nur begrenzt beeinflusst werden konnten, der Zustand der Schwangerschaft war als von den Subjekten intendiert figuriert. Über dieses Vehikel war den Willen der Subjekte, auch in den Praktiken in denen Eltern, und insbesondere Mütter, Kontrolllosigkeit erlebten, indirekt wieder Kontrolle zugeschrieben, da sie gleichzeitig als Verursacher der Praktiken, in denen Kontrolllosigkeit erlebt wurde, gedacht wurden.
D IE E LTERN : A LLMÄCHTIG
ODER OHNMÄCHTIG ?
Das Kontinuum, innerhalb dessen die Wannabe-Eltern, werdenden Eltern und Eltern figuriert sind, reicht von völliger Handlungsmacht, indem Eltern die ko-
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gnitiven Fähigkeiten, die Gesundheit und das Sozialverhalten ihres Kindes bereits vor der Empfängnis und auch während der Schwangerschaft bereits durch ihr Antizipationsvermögen und mit ihren Tätigkeiten beeinflussen können, zu einer spezifischen Ausgeliefertheit, indem Eltern den Werdegang der Schwangerschaft, der Geburt und die Entwicklung und Beschaffenheit ihres Kindes nur wahrnehmen können und die Konsequenzen tragen müssen. Im Prozess des Elternwerdens sind Eltern in verschiedenen graduellen Intensitäten gleichzeitig als allmächtig über der Situation stehend und ohnmächtig in der Situation verharrend geschaffen. Einzelne Praktiken können in der Wahrnehmung der Eltern stärker von Kontrollmöglichkeiten oder Ausgeliefertheiten geprägt sein oder sie können Elemente der Kontrolle und der Ohnmacht gleichzeitig integrieren. Eltern konnten Veränderungen observieren und aktiv verarbeiten, eventuell auch unerwünschten Auswüchsen gegensteuern. Dabei konnten sie immer wieder über Teile ihres Körpers oder Teile von Prozessen Kontrolle erlangen. Diese Teilkontrollen konnten gleichzeitig eine Kontrolllosigkeit über andere Prozesse implizieren oder eine geringe Wahrscheinlichkeit mittragen, Kontrolle ausüben zu können. Diese Unterschiede sind aber keineswegs in einen klassischen Aktiv-PassivDualismus einzuordnen. Die Partizipierenden, die das Subjekt bilden, sind in aktiven Prozessen gestaltet, in denen Cuts gesetzt werden und spezifische Figurationen entstehen. Die Trennung und die Ausstattung einzelner Partizipierender mit Kontrolle über andere sind alle Teil des Prozesses der Separierung, der je nach Praktik unterschiedlich ausfallen kann. Die Partizipierenden können nicht ohne einander gedacht werden und sind transversal verbunden, auch wenn ein Partizipierender als jener figuriert wird, der andere Partizipierende beeinflussen kann. Die Subjekte, die an dieser Studie teilhatten und die in den Interviews, Dokumenten, Beobachtungen und Enactments figuriert wurden, hatten einen starken Willen zur Kontrolle, der in der Wahrnehmung der Eltern in einigen Tätigkeiten erfolgreicher war, in anderen Tätigkeiten weniger erfolgreich. Ein Wille, den eigenen Körper, Gegenstände und eventuell sogar andere Subjekte zu kontrollieren, war aber in sehr vielen Tätigkeiten und Praktiken figuriert und in einem Subjekt platziert. Subjekte in meiner Studie nahmen sich als solche wahr, die zielgerichtet handeln und diese Ziele auch vor Augen behalten, wenn zielgerichtetes Handeln nicht möglich war. Die Eltern wurden figuriert als solche, die diese Ziele mit Wissen verbinden können und geschickt mit diesem versuchen, Kontrolle zu erlangen. Gefühle wurden von den Eltern häufig nur dann besprochen, wenn diese Kontrolle schwierig war. Dann wurde von Angst, Unbehagen und Unsicherheit gesprochen. Ein Gefühl, das Eltern als schlecht erlebten und
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eventuell als Zeichen für und Folge von Kontrolllosigkeit wahrnahmen. Zielerreichungen konnten mit Freude verbunden sein, die Eltern als ein schönes Gefühl beschrieben. Freude und Glück wurden hier mit der Erreichung von Zielen und Kontrollfähigkeit verbunden. Die Figuration von Teilen des Subjekts, die einen Willen von Wissen, Gefühlen und Körper abtrennen, schuf ein Subjekt, das Handlungsfähigkeit und Kontrollmöglichkeit erlebt und in der Kontrolle und Behandlung des eigenen Körpers handeln kann und infolge auch Steuermöglichkeit für Folgeprozesse erhält. Die Figuration eines Willens schuf eine Zielgerichtetheit des Subjekts. Die Figuration von Wissen schuf im Gehirn und Körper abgespeicherte Daten, aus denen gewählt werden konnte und die bewusst und unbewusst abgerufen werden konnten. Der Körper war Ziel der Behandlungen und gleichzeitig jener Teil, der die Handlungen ausführte und die Gefühle waren für Belohnung (mit Freude und Glück) zuständig, falls Ziele erreicht wurden und für Unbehagen (Angst, Unsicherheit), falls die Ziele nicht erreicht wurden oder Unklarheit über deren Erreichen herrschte. Ein so figuriertes Subjekt kann in den Praktiken des Übergangs zur Elternschaft als jenes positioniert werden, das Prozesse anstößt, Wege wählt und wahrnehmbare Veränderungen an seiner Umwelt und an sich selbst durchführt.
D EFIGURATION DER P ARTIZIPIERENDEN UND D ESUBJEKTIVIERUNG : S CHMERZ UND G EBURT Es gab eine Situation in meiner Studie, in der die Separierung der Partizipierenden innerhalb des Subjekts nicht klar zuzuordnen war: die Geburt und im Speziellen das Geburtstrauma. Die Geburt war für die Mütter und Väter meiner Studie ein bezeichnendes Erlebnis, das in ihrer Wahrnehmung kaum mit einem anderen Erlebnis in ihren bisherigen Leben vergleichbar war. Die Eltern waren einer extremen Stresssituation ausgesetzt. In dieser Stresssituation implodierte das Subjekt in eine Inseparabilität, indem, in diesen Beschreibungen, die Trennungen von Willen oder Körpern, Gefühlen oder Wissen kaum auftauchten. Diese Stresssituation betraf nicht den gesamten Prozess der Geburt, sondern schmerzhafte und kognitiv nicht zuordenbare Tätigkeiten. Gedächtnislücken weisen auf Figurationen von Subjekten ohne eine Definition von Wissen und Willen hin. Das Zeitgefühl beider Eltern konnte verloren gehen, als auch Definitionen von Vergangenheit und Zukunft. Es war »jetzt«. Trauma, Schock und starker Schmerz erlauben keine Reflexion im Moment. Definitionen von Körper, Ge-
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fühl, Willen oder Wissen verschwinden und das Subjekt ist nicht separierbar innerhalb der Praktik. Im Nachhinein konnte der Prozess reflektiert und aufgearbeitet werden, es fehlten in den Erzählungen von Geburten häufig aber signifikante Teile der Geburt. Einige Frauen beschrieben, dass sie erst nach der Geburt viele Dinge im Raum wahrgenommen hätten, oder dass sie erst nach der Geburt Prozesse während der Geburt bewusst verarbeiten konnten. In der Situation, die beide Eltern als Extremsituation bezeichneten, schien alles aufgelöst. Für die Mütter auch die Grenze des eigenen Körpers. Wie und wo andere Menschen am eigenen Körper stützen, behandeln oder tun, konnte im Prozess in manchen Momenten nicht reflektiert werden. Einige Mütter beschrieben dies mit einem Selbstverlust in der Situation der Geburt. In dieser Situation konnten die Grenzziehungsprozesse, die in den anderen Praktiken reflexive und handlungs- und kontrollfähige Subjekte schaffen, nicht greifen. Die Figuration der Partizipierenden im Subjekt ist im Prozess der Geburt in Momenten nicht möglich. Dies ist ein Hinweis dafür, dass die Partizipierenden, die innerhalb des Subjekts figuriert sind und aus denen das Subjekt figuriert ist, nicht stabil sind, dass sie immer wieder von neuem geschaffen werden müssen und dass Subjekte fragile Gebilde sein können, die in den Transformationen und Wiederholungen immer wieder materiellkulturell hergestellt werden müssen.
24 Subjekttransformation Der Stil(bruch) der Veränderung
Wie oben bereits beschrieben, müssen Veränderungen so hergestellt werden, dass eine Grenze gezogen wird, die mit Konzepten wie früher - heute, vorher nachher, alt - neu etc. verbunden werden kann. In Verbindung mit einer linearen Konzeption von Zeit wird Vergangenes vom Gegenwärtigen abgetrennt und dabei mit den dualistischen Attributen versehen. So konstituiert sich ein Übergang, produziert aus einer Vielzahl von Partizipierenden, innerhalb dessen die menschlichen Subjekte in dieser Studie eine besondere Aufmerksamkeit bekamen. Als Praktik in der Praktik war ihre Transformation ein analytischer Fokus. An diesem Punkt werden die Partizipierenden, die den Stil des Subjekts prägen, für die Definition der Veränderung wichtiger.
K ONTINUITÄT In Kap. 4 wurde mit Rosi Braidotti das Subjekt als »nomadisch« und sich immer Transformierendes definiert. In der Sympoiesis mit anderen Companions (Haraway), die ununterbrochen passiert, passiert eine ständige gegenseitige (Um-)formung der Partizipierenden. Aktivität und Transformation ist somit der Subjektwerdung inhärent. Neben diesen immerwährenden Transformationen verläuft die Figuration von Wandel innerhalb der Lebensläufe und die Figuration von Persönlichkeitsveränderungen innerhalb von als kontinuierlich definierten Subjekten. Damit ein figuriertes Subjekt sich verändern kann, muss es wiedererkennbar bleiben, also Partizipierende mittragen, die kontinuierlich erscheinen und höchstens geringfügige Transformationen (altern, dicker werden) ausgesetzt sind. Gesellschaftliche Praktiken der Datenspeicherung, Zertifizierung und Auszeichnung von Individuen bereiteten eine erste Grundlage für Kontinuität: Geburtsdaten, Staatsbürgerschaften, Identifikationsnummern (z. B. Sozialversicherungs-
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nummer), Namen (falls keine Heirat stattfand) und die Verwandtschaftsbeziehungen zu der eigenen Familie blieben beständig. Ebenfalls werden Attribute der (äußeren) Morphologie als kontinuierlich figuriert. Formen des Körpers, etwa das Gesicht oder Größe (im ausgewachsenen Zustand) bleiben wiedererkennbar.1 Auch behielten die Subjekte Attribute wie Berufe, Ausbildungszertifikate oder spezifisches Know-how.2 Eltern hatten Gewohnheiten, Interessen und Vorlieben, die sie als beständig bezeichneten. Es gab Kleidungstücke und Möbel, die die Eltern behielten und weiterhin getragen oder benutzt wurden. Würde es diese Kontinuitäten nicht geben, würden sich Subjekte zu komplett neuen Subjekten entwickeln, also vollständige Metamorphosen vollziehen. Es würde sich dann nicht mehr um eine Transformation, sondern um eine Verwandlung handeln. Am Übergang zur Elternschaft bleiben die Subjekte als Personen durchgängig bestehen, gleichzeitig werden dieser Zeit aber massive Persönlichkeitsveränderungen zugeschrieben.
V ERÄNDERUNG Zu den Partizipierenden, denen Kontinuität zugeschrieben war, kamen solche hinzu, die im Prozess wegfielen, hinzukamen oder Brüche erfuhren. Besonders gut beschrieben kann dies anhand dreier Bereiche werden: a) die Fürsorgepraktiken für das Baby, b) die Assoziation mit dualistischen Eigenschaftspaaren und c) die sozialen Kontakte und Beziehungen der Eltern. Die Transformation der Tätigkeiten und Interessen hing mit der Figuration des Fötus und des Babys zusammen. Das Baby kann nicht für sich selbst sorgen und auch noch nicht für sich selbst denken. Dies müssen die Fürsorgebeauftrag-
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Anthropologische Studien konnten zeigen, dass es Praktiken gibt, in denen Körper nicht mit dieser kontinuierlichen Wiedererkennbarkeit ausgestattet sind (z.B. Barley, 1983) und Studien im Feld der Wissenschaftsforschung konnten erklären, wie morphologischen Kontinuitäten zentrale Kategorien der Klassifizierung und Überwachung von Menschen wurden (z.B. Cole, 2001; Bowker und Star, 1999).
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In den 50er bis 70er Jahren hieß eine Schwangerschaft für Frauen in vielen Fällen, dass ihre berufliche Karriere zu Ende war. Ihre Position war fortan die der Mutter und Hausfrau. Ein Weg zurück in den Beruf war häufig nicht mehr möglich (z. B. Küger, 2000). Auch wenn die Schwangerschaft für die Mütter in meiner Studie eine Pause vom Beruf bedeutete, die mit einem Karrierenachteil verbunden sein konnte, war für alle Mütter klar, dass sie nach der Babypause in das Arbeitsleben zurückkehren werden.
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ten für das Baby übernehmen. Das Attribut der Elternschaft brachte legal und sozial-moralisch Verantwortung für ein anderes Individuum mit sich. Dies bedeutete, eigene Interessen oder Bedürfnisse für die Bedürfnisse eines anderen Lebewesens zurückzustellen. Es beinhaltete auch Zeit nicht nur für das eigene Wohlergehen, sondern auch für die Fürsorge für einen anderen Menschen aufzuwenden. Da Menschen an Praktiken teilhaben, innerhalb deren die Ressource Zeit begrenzt ist, mussten Eltern andere Tätigkeiten, die auch Zeit benötigten, aufgeben, um diese Verantwortung zu übernehmen. Tätigkeiten der direkten (Füttern, Wickeln) und indirekten (z. B. die Einnahme von Folsäure für das Wohlergehen des Embryos, Geldverdienen) Fürsorge kamen ab den Praktiken zur Herstellung eines Embryos hinzu und Tätigkeiten, die die persönliche Weiterentwicklung, Interessen oder Ziele betrafen, mussten reduziert oder weggelassen werden. Die Assemblages, an denen Eltern teilhatten, änderten sich signifikant und das antizipierte, ungeborene oder neugeborene Kind und die Partizipierenden, die mit diesem verbunden waren, bekamen einen wichtigen Platz in den Tätigkeiten der Eltern. Die Eltern waren außerdem integriert in jene Praktiken, die am Übergang zur Elternschaft Schwellen schafften, die wiederum mit dualistischen Konzepten verbunden waren (siehe Kap. 22). Der Willen der Eltern war mit dem Begehren figuriert, erwachsen, verantwortungsvoll und entwickelt zu werden. Die Attribute, die mit diesen Konzepten in Opposition figuriert wurden, Kind, Unabhängigkeit und Stillstand, wollten die Eltern durch das Übertreten der Schwellen hinter sich lassen. Partizipierende des Vorher-Stils, wie nächtelange Partys, Alkohol und Zigaretten, Städtereisen, Spontanität, gefährliche Sportarten, Ausbildungen, unsichere Jobs, eventuell Karriereorientiertheit (bei weiblichen Subjekten) verschwanden aus den Figurationen der Subjekte und Partizipierende des NachherStils, etwa Abende zuhause, Spaziergänge, sichere Jobs, Karriereorientiertheit (bei männlichen Subjekten), gesunder Lebensstil oder Reflexionsvermögen kamen hinzu. Hinsichtlich einiger Werte und Interessen erzeugte der Übertritt der Schwellen klare Brüche. Eigenschaften und Tätigkeiten, die mit der einen und der anderen Lebensphase verbunden waren, widersprachen sich. Einige Eltern erklärten sehr gut, wie das Interesse, wo die nächste Party stattfindet, dem Interesse für Bücher über die Erziehung des Kindes wich, wie das Interesse für die eigene Karriere dem Interesse für die Entwicklung des Kindes in den ersten Jahren wich oder wie das Interesse, sich selbst einzukleiden, dem Interesse für Babykleidung, Kinderwagen und Kindermöbel wich. Andere Themen, Menschen und Gegenstände werden Partizipierende der Eltern und Eltern haben teil an anderen Tätigkeiten. Dies verändert auch einige der Stilpartizipierdenden, die das Subjekt mitfigurieren. Der Übergang zum erwachsenen, verantwortungsvollen
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und entwickelten Subjekt inkludiert eine andere Körperform, insbesondere für die Mütter, durch die Schwangerschaft, andere Ernährung oder Bewegungsmuster, Interessen, die sich am Baby orientieren, anstatt an der eigenen Weiterentwicklung, und Werte, die mit Verantwortung verbunden werden konnten. Gleichzeitig war es allen Eltern wichtig, bestimmte Interessen, die es auch schon vor der Schwangerschaft gab, aufrechtzuerhalten und weiterzuführen. Eine völlige Neufiguration von Interessen und Werten wurde von den Eltern mit einer Selbstaufgabe gleichgesetzt. Sich durch die Schwangerschaft und Elternschaft nicht zu verändern und gar keine Interessen, Vorlieben und Gewohnheiten aufzugeben, wäre für die Eltern gleichzeitig eine Vernachlässigung des (antizipierten oder ungeborenen) Kindes gewesen. Es kam in dieser Phase somit zu einem Austausch bestimmter Partizipierender, die mit den jeweiligen dualistischen Eigenschaftspaaren assoziiert wurden. Elternschaft impliziert auch die Erweiterung des Beziehungsgeflechts der Eltern um ein Individuum, ihr Kind. Liebesbeziehungen waren in den Daten definiert als wichtigste Beziehung, die ein Mensch haben kann. Zu dieser Beziehung kam nun ein weiterer kleiner Mensch hinzu. Die Elternbeziehung wurde nun ebenfalls als wichtigste Beziehung, die ein Mensch haben kann, definiert. Liebesbeziehung und Elternbeziehung standen dann in einem Konkurrenzverhältnis um den ersten Rang in der Hierarchie der Bedeutung für die Eltern. Die Liebesbeziehung wollten die Eltern für die Elternbeziehung nicht aufgeben. Es wurden von Eltern häufig Zeiten definiert, in denen die Liebesbeziehung die wichtigste Beziehung bleiben konnte, etwa gemeinsame Abende, nachdem das Baby schläft oder gemeinsame Aktivitäten, wo das Kind einem Babysitter überlassen wurde. Zum Erwachsenwerden, in Verbindung mit einem Kind, gehörte aber auch, in der restlichen Zeit die Beziehung zurückzustellen und damit die Wichtigkeit der Eltern-Kind-Beziehung mit hoher Bedeutung auszustatten (indem etwas mit hoher Bedeutung dafür zurückgestellt wurde) und dieser Beziehung den Vorrang zu geben. Ähnlich verlief es mit wichtigen Freundschaftsbeziehungen, die für Eltern hohe Bedeutung hatten. Einigen Eltern war es wichtig, Freiräume für diese Freundschaften zu schaffen. Die Zeit für diese Freiräume war aber häufig begrenzt und die Anzahl der Personen, die in nicht Kind-bezogenen Aktivitäten getroffen werden konnten, war eingeschränkt. Die Zurückstellung von Freundschaften figurierte wiederum die hohe Bedeutung des Kindes, das zum wichtigsten Bezugspunkt der Eltern wurde. Der Übergang zur Elternschaft lenkte die Beziehungsorientierung der Eltern von der Selbstbeziehung, der Beziehung zum Partner und den Beziehungen zu Freunden auf die Beziehung zum Kind als ranghöchste und ressourcenreichste Beziehung.
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Am Übergang zur Elternschaft werden Eltern in Tätigkeiten integriert, die Interessen, Werte, Beziehungen oder Aktivitäten, die den Eltern vor dieser Phase wichtig waren, exkludieren, reduzieren oder entwerten. Diese Veränderungen machen den Übergang zu einer Veränderung für Subjekte und zu einer bedeutsamen Veränderung, für die viel aufgegeben, modifiziert und umstrukturiert werden musste. Die Veränderungen sind gesellschaftlich und historisch spezifisch und sind in dieser Form nicht zwingend. Die Eltern wurden in meiner Studie aber mit einem Willen figuriert, Teil dieser Veränderungen zu sein und einige Partizipierende aufzugeben und neue Partizipierende anzunehmen. Subjekte erhalten neue Partizipierende, die den Stil des Subjekts prägen und dies impliziert eine Veränderung des Subjekts, während andere Partizipierende dafür sorgen, dass das Subjekt erkennbar die gleiche Person bleibt.
25 Heteromaterialität und der Stil der Retraditionalisierungsprozesse
Unter Kap.23 habe ich argumentiert, dass innerhalb des Übergangs zur Elternschaft Menschen mittels vier Partizipierenden definiert wurden: Willen, Wissen, Körper und Gefühl. Alle anderen figurierten Einheiten in den Praktiken wiesen zumindest eine dieser vier Partizipierenden nicht auf. Um Unterscheidungen zwischen Menschen zu treffen, kommen Partizipierende des Stils hinzu. Einer dieser Partizipierenden ist das Geschlecht, mit dem Menschen figuriert sind.
F RAU
UND
M ANN
WOLLEN EIN
K IND
In den Praktiken des Übergangs zur Elternschaft tauchen vor allem zwei Geschlechter auf, die miteinander ein Kind erzeugen können. Jedes Geschlecht besitzt einen spezifischen Anteil an der Reproduktionsfähigkeit und die Vereinigung dieser Fähigkeiten kann ein Kind erzeugen. Überblicksseiten, Bücher und Foren gaben Anleitungen und Tipps, wie sich die beiden Geschlechter aufeinander beziehen können, um zu ihrem Ziel, Elternschaft, zu gelangen. Elternschaften von Menschen gleichen Geschlechts kamen in diesen Informationsmaterialien nicht vor. Menschen, die eine Vereinigung mit Reproduktionsziel planen, sind so figuriert, dass ihr Begehren aufeinander gerichtet ist und sich Gefühle füreinander entwickelt haben. Eine Voraussetzung für Elternschaft war in den Vorstellungen der Informant*(inn)en meiner Studie, dass die Eltern sich lieben und planen, zumindest bis die Kinder selbst erwachsen sind, ein Paar zu bleiben. Die Paare antizipierten eine gemeinsame Zukunft, in die Kinder platziert wurden. Eine spezifische reproduktionstechnische Ausstattung ihrer Körper erlaubte es den Eltern in der Folge, auf »natürlichem Wege« schwanger zu werden. Sie folgten ihrem Wissen, wie Kinder erzeugt werden, und waren damit erfolgreich. Es ent-
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stand eine Schwangerschaft, die von einem der Partner, dem als Frau figurierten Subjekt, ausgetragen wurde. Die Figuration von Subjekten, die zwei Geschlechter haben, obige Ziele und Normen in sich tragen und mit einem Willen, einen Mann oder eine Frau zu finden, figuriert sind und das daraus entstandene Paar dann beschließt, »aus Liebe« Kinder zu bekommen, führt zu einer Verfestigung dieser dyadischen auf geschlechtlichen Gegensätzen beruhenden Struktur. Die Subjekte, die in dieser Studie figuriert wurden, könnten sich keine anderen Formationen der Elternschaft vorstellen. Die Grenzziehungspraktiken, die Subjekte so figurieren, schaffen wenig Bewegungsraum für andere Formen von Elternschaft und andere Formationen, in denen Kinder geboren werden können.
F RAU UND M ANN MÜSSEN A UFGABEN ERFÜLLEN
UND WOLLEN VERSCHIEDENE
Mit der Schwangerschaft sind für beide Partner Einschränkungen und Privilegien verbunden. Dass nur einer der beiden Partner das Kind in sich tragen kann oder muss, ist unauflösbar unfair, für beide Partner. Es wurde als unfair erlebt, dass Väter das Heranwachsen des Kindes nicht im eigenen Körper spüren können und dass werdende Mütter durch die Schwangerschaft Einschränkungen in ihrer Bewegungsfreiheit, im Privatleben und im Beruf hinnehmen müssen. Väter wurden von den Frauen beneidet, weil sie die Bürde des Bauches nicht tragen mussten. Gleichzeitig machte es werdende Mütter glücklich, das Kind in sich zu spüren. Mütter wurden von den Vätern beneidet, weil sie die Tritte des Kindes spüren konnten, dass sie die Arbeit reduzieren konnten, um sich der Schwangerschaft zu widmen und dass sie die Verbindung zum Kind haben konnten, die das Austragen im eigenen Körper schaffe. Gleichzeitig waren Väter auch froh, dass sie während der Schwangerschaft noch Freiheiten hatten, die ihre Partnerin nicht mehr hatte. Die Schwangere oder der Partner zu sein war also im positiven und negativen Sinn unfair. Und da nur (manche) Frauen so figuriert sind, dass sie ein Kind austragen können und der Bauch nicht gewechselt werden konnte, blieb diese Situation unausgeglichen, in allen Praktiken. In den Praktiken werden Vorgänge etabliert, die nur einer der beiden Menschen spüren kann oder tun kann, die aber bedeutsam sind und mit dem anderen geteilt werden können und für diese beim nicht ausführenden Partner ebenfalls ein Begehren nach diesem Vorgang oder sogar gleichzeitig ein Begehren und eine Abneigung geweckt wird. Dies erzeugt eine Ungleichheit zwischen den zwei Menschen, die gleichzeitig gemeinsam den Weg des Übergangs gehen.
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Dieser als natürlich figurierten Trennung der Körper in einen, der die Schwangerschaft austragen kann und einen, der dies nicht kann, folgt im Moment eine ökonomische Benachteiligung des Subjektes, das das Kind austrägt und eine Benachteiligung hinsichtlich der Bindung zum Kind bei jenem Subjekt, das das Kind nicht austrägt. Dies war Ergebnis aller familienforscherischen Studien für alle Paarformationen (siehe Kap. 3) und war auch in den Praktiken der Eltern dieser Studie erkennbar. Dass dies so zustande kommt, hat mit der Verbindung von Körpern mit verschiedenen Welten zu tun, in denen diese sich bewegen können. In den Praktiken, an denen die Eltern teilhatten, wurde eine klare Grenze zwischen Familien- und Arbeitsleben geschaffen. Das Arbeitsleben war definiert durch finanzielle Sicherheit und berufliche Entwicklung, das Familienleben durch die Bindung der Familienmitglieder füreinander und Fürsorge. Gesetzlich darf die Mutter zwei Monate vor und zwei Monate nach der Geburt nicht arbeiten. Das Kinderbetreuungsgeld inkludiert die Karenzierung an der Arbeitsstelle für den Bezieher. Das Kinderbetreuungsgeld als Gehaltssubstitution darf aber nur von einem der Partner bezogen werden. Die Substitution des Gehalts ist, außer bei dem einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeld, gering. Es kommt zu einer Zuweisung von Plätzen, die den betreuenden Partner von der ökonomischen Selbstversorgung abkoppeln. Dies verstärkt die Bindung dieses Partners an die Familie und die Bindung des anderen Partners an die ökonomische Versorgung, die Arbeit. Für die werdenden Eltern in meiner Studie zeigten sich keine Angebote, diese Trennung von Familien- und Arbeitsleben zu überwinden. Zusätzlich gab es auch keine Angebote, sich die Zeiträume, die in diesen Bereichen verbracht werden, zu gleichen Teilen aufzuteilen. Die Trennung zwischen Familien- und Arbeitsbereichen zeigte sich auch in der Figuration der Wohnung der Eltern. Eltern meiner Studie widmeten in einigen Fällen Arbeitsbereiche in Kinderbereiche um. Das zusätzliche Zimmer, neben Wohn- und Schlafzimmer, hatte meist als Arbeitsraum gedient. Schreibtische und Arbeitsgeräte mussten nun Platz machen für Babysachen. Die Grenzen zwischen Familien- und Arbeitsleben wurden gestärkt. Elternschaft und Arbeit ließen sich schlecht vereinbaren, es konnte keine Arbeits-Kinderzimmer geben. Das Zimmer konnte nur für die Arbeit oder für das Kind gestaltet werden. Damit erhielt die Wohnung ebenfalls physisch und symbolisch eine Transformation von der Paar- zur Elternwohnung. Das Thema Arbeit wurde nun für das Baby zurückgedrängt. Bezeichnend war hier, dass einige Männer ihre Schreibtische oder Arbeitsgeräte in andere Räume transportieren konnten, die Schreibtische oder Geräte der Frauen bei einigen in den Keller wanderten oder entsorgt wurden. Neben der Kindzentrierung der Wohnung werden hier auch in der Raumstruktur
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traditionelle Strukturen sichtbar, in denen Männer etwas mehr Arbeitsleben behalten konnten. In den Praktiken am Übergang zur Elternschaft wurden die Eltern aber auch mit einem Willen figuriert, der sich eine spezifische Position wünschte. Es waren die Frauen, die nach der Geburt eine Auszeit vom Beruf nahmen und sich der Fürsorge des Babys widmeten. Sie waren dazu nicht nur gezwungen, die werdenden Mütter waren auch mit einem Willen figuriert, der intentional diese Position wählte. Dieser Willen beginnt sich bereits vor der Schwangerschaft zu entwickeln. Grundsätzlich sind beide Menschen, werdende Mütter und werdende Väter, bereits in eine Anzahl von Assemblages eingebunden, wenn konkrete Praktiken des Übergangs zur Elternschaft beginnen. Ab den Praktiken des Bastelns nahmen sich einige Frauen mehr Zeit für die indirekte Fürsorge ihres antizipierten Kindes als ihre Partner.1 Sie verbrachten mehr Zeit mit Recherche über Fruchtbarkeit, mit der Kontrolle ihrer Fruchtbarkeit und mit der Information über und die Einnahme von Mitteln, die die optimalen Bedingungen für den Embryo schufen. Mehr Frauen als Männer veränderten bereits in dieser Phase ihre bisherige Zeitverwendung und unterließen andere Tätigkeiten für diese Tätigkeiten. Fruchtbarkeit konnte verbunden sein mit anders essen, anders trinken, sich anders bewegen, früher schlafen gehen und Stress in der Arbeit reduzieren. Auch Männer konnten an einigen dieser Praktiken teilhaben, um ihre Fertilität zu erhöhen. Die Anzahl der als sinnvoll erachteten Tätigkeiten war aber kleiner. In diesen Praktiken kam es zu einer ersten klaren Zuteilung von Aufgabenbereichen, die eine klare Verbindung von Frau und Fürsorge figurierten. Durch eine Grenzziehung in den Praktiken zwischen Familien- und Arbeitsleben und der Zuteilung der Subjekte zu einem dieser Bereiche entstehen zwei Subjekte mit verschiedenen Aufgaben und Tätigkeitsbereichen. Erwerbsorientierte Gesellschaften, in denen die existentielle Sicherheit von der Erwerbsarbeit abhängig ist, implizieren eine Aufteilung des Alltags in Arbeit und Familie und eine Zuteilung der Subjekte in diese Bereiche. Vor den Praktiken des Bastelns waren in den Fällen meiner Studie beide Partner meist erwerbstätig oder in Vorbereitung auf das Erwerbsleben. Die Vorbereitung und Durchführung der
1
Ein Ergebnis der Ethnographie war, dass das Kind in den Praktiken der Eltern bereits vorhanden ist, bevor die Schwangerschaft eintritt. Es gibt bereits Praktiken, die sich auf das Kind beziehen und in denen auch für das Kind gesorgt wird, indem z. B. der eigene Körper gut versorgt wird, um beste Voraussetzungen für den Embryo zu schaffen, oder indem Erziehungsbücher gelesen werden, um später eine gute Mutter oder ein guter Vater zu sein.
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Schwangerschaft implizierte dann, dass einer der Partner sich ein Stück weit aus dem Erwerbsleben zurückziehen musste. Durch die Platzierung des Embryos in ihrem Bauch waren die Frauen teilweise zu einem Rückzug aus der Erwerbsarbeit gezwungen. Zusätzlich wurden sie aber mit einem Willen zur Fürsorgearbeit figuriert, die einen weiteren freiwilligen Rückzug bewirkte. Männer dagegen entwickelten einen Willen zur Versorgung, der in den meisten Fällen eine stärkere Integration in das Erwerbsleben nach sich zog. Allerdings erschien die Trennung der Bereiche und Aufgabenteilung auch weniger streng, als die Informant*(inn)en meiner Studie dies bei ihren eigenen Eltern erlebt hatten. Einige Männer sahen, am Morgen vor der Arbeit oder am Abend nach der Arbeit, die Fürsorge für das Baby (an manchen Tagen oder immer) als ihre Aufgabe an, während sich die Frauen dann ihren Interessen widmen konnten und sich von der Fürsorgearbeit ausruhten. Ein Paar hatte eine Regelung, dass die Fürsorgearbeit an Samstagen immer vom Mann erledigt wurde und die Frau an diesem Tag Zeit für Freund*innen, Interessen und eigene Projekte hatte. Viele Frauen hielten in der Karenz ihre Kontakte zum Arbeitsleben und versuchten, während der Karenz bereits wieder ihren Berufseinstieg und ihre Karriere nach diesem zu planen. Einigen Eltern war die Retraditionalisierung, die mit der Elternschaft einherging, sehr bewusst und sie versuchten, gegenzusteuern (mit begrenztem Erfolg). Diese Praktiken konnten aber nicht die, als uneinreißbar wahrgenommenen, Grenzen zwischen dem Erwerbs- und dem Familienleben und den damit einhergehenden Ungleichverteilungen verschwinden lassen. In meiner Studie zeigt sich, dass die Trennung zweier Geschlechter, des Arbeits- und Familienlebens und der Aufgaben, die den Geschlechtern zugeschrieben werden, verbunden sind und in zahlreichen Praktiken wiederholt und figuriert werden. Im Übergang zur Elternschaft kommen diese gesellschaftlichen Grenzziehungen noch stärker zum Vorschein und diese sind nicht nur in Werten und Wünschen der Eltern zu erkennen, sondern auch in der Struktur der Wohnungen der Eltern und in den Tätigkeiten und Wegen, die Eltern wahrnehmen. Die Etablierung zweier Geschlechterpositionen war in diesem Sinne nicht nur heteronormativ, sondern auch heteromateriell. Es manifestierten sich klare Grenzen und Positionen in den Praktiken, deren materialisierten Produkte in weiteren Praktiken diese Grenzen und Positionen verstärkten. Studien, die die Retraditionalisierung am Übergang zur Elternschaft und die Heteromaterialisierung von Elternschaft untersuchen wollen, müssen einen breiteren Blick entwickeln, der die zahlreichen materiellkulturellen Partizipierenden mitdenkt. Gesellschaftliche Veränderungen, die mehr Egalität und neue Formen der Elternschaft möglich machen sollen und wollen, müssen an diesen zahlrei-
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chen Partizipierenden ansetzen. Auch die Daten der familiensoziologischen Studien in Kap 2 und 3 zeigen, dass Zweigeschlechtlichkeit und traditionelle Familienformen, auch für jene, die andere Vorstellungen entwickeln können, schwer zu überwinden sind. Diese Figurationen sind in vielen Praktiken und in den Formen vieler Partizipierenden erkennbar und werden von diesen weitergetragen. Den Ergebnissen dieser Studie folgend müsste an vielen Grenzziehungspraktiken gleichzeitig gearbeitet werden, um Transformationen in Richtung Egalität und Diversität möglich zu machen.
26 Schlussworte und Ausblick
Die ethnographischen Erzählungen in Kapitel 7 bis 19 zeigen die Kontakte, das »Becoming With« der werdenden Eltern, mit anderen Partizipierenden, die die Eltern figurieren und von den Eltern figuriert werden. Sie sind untrennbar von diesen. Die Transformation zur Elternschaft kann nicht ohne die Partizipierenden, die den Eltern eine Schwangerschaft andeuten, nicht ohne die technologischen Mittel, die den Eltern den Embryo oder den Fötus visualisieren, nicht ohne die Produkte, mit denen werdende Eltern in Kontakt kommen und die diese kaufen, nicht ohne die rechtlichen Regelungen, denen Eltern folgen müssen, nicht ohne die anderen Menschen, die durch die Schwangerschaft ebenfalls mitfiguriert werden und die wiederum verändert auf die Eltern zurückwirken, nicht ohne die nähere physische Umgebung der werdenden Eltern, in der sie wohnen und sich von einem Punkt zum anderen bewegen, nicht ohne die Vorbereitungskurse und -mittel, Krankenhäuser, Hebammen und Gynäkologinnen, die bei der Geburt helfen und nicht ohne Formulare, die in allen Teilen der Schwangerschaft ausgefüllt werden müssen, beschrieben werden. Die Partizipierenden der Eltern sind weitaus zahlreicher, als in den vielen Seiten Ethnographie beschrieben werden konnte. Die wichtigsten Mitteilnehmer an den Praktiken des Elternwerdens wurden aber gezeigt und benannt. Dies war das erklärte empirische Ziel dieser Arbeit. Die Beschreibungen können Grundlage für eine Reihe von weiteren Studien zu Schwangerschaft, Elternschaft und Transformationen auf mikrosozialer Ebene werden. Ein weiteres Ziel dieses Buches war es, ein posthumanistisches Forschungsparadigma für die Familien- und Lebenslaufforschung fruchtbar zu machen. Gezeigt werden konnte, dass ein Blick aus diesem Paradigma heraus den Übergang zur Elternschaft figuriert aus einer Anzahl von Praktiken erscheinen lassen, innerhalb derer Grenzen gezogen werden, die sich mit dualistischen Begriffspaaren verbinden und damit Schwellen erschaffen, die von den Subjekten überschritten werden. Die Eltern werden vor und nach dem Übertritt über diese
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Schwellen mit jeweils einem der sich oppositionell ausschließenden Begriffspaare assoziiert. Mit dem Übertreten der zahlreichen eingerichteten Schwellen gehen Veränderungen des Subjekts einher. Die hohe Anzahl der Schwellen, die am Übergang zur Elternschaft figuriert werden, erzeugt jene tiefgehenden Veränderungen der Subjekte und ihrer Beziehungen zueinander, die in familiensoziologischen Studien immer wieder beobachtet werden. Auch die Etablierung von klaren Geschlechterpositionen, die mit spezifischen Aufgaben versehen werden und schließlich in eine Hierarchie eingeordnet werden, kann nachvollzogen werden. Diese bereits häufig beobachtete Retraditionalisierung passiert nicht plötzlich nach der Geburt, sondern sie wird bereits in den Praktiken am Übergang zur Elternschaft in zahlreichen Tätigkeiten geformt. Ich empfehle die Erforschung anderer Transitionen im Lebenslauf, etwa Transitionen von der Ausbildung in den Beruf, Umzüge in eine andere Stadt oder den Auszug aus dem Elternhaus ebenfalls aus posthumanistischer Sichtweise zu beforschen. Menschen leben gegenwärtig in hochtechnisierten und höchst ausdifferenzierten Gesellschaften. Als (Familien-)Soziolog*(inn)en, als die wir mittels unserer Profession soziale Zusammenhänge beschreiben und erklären, müssen wir dieser Komplexität gerecht werden. Forschungsparadigmen, die mehr als nur wenige Variablen in den Blick nehmen können und die komplizierte Assemblages, in denen Menschen leben, betrachten können, werden und müssen in der soziologischen Forschung an Wichtigkeit gewinnen. Posthumanistische und neomaterialistische feministische Theorien und die Soziologie der sozialen Praktiken liefern ein begriffliches Werkzeug, um diesen Umständen gerecht zu werden und um Beschreibungen zu generieren, die Menschen als im Werden mit ihrer Umgebung und als untrennbar von dieser Umgebung erscheinen lassen. Diese Form der Beschreibung bietet neue Möglichkeiten der Betrachtung und ermöglicht neue Ergebnisse, die bisherige Erklärungen in Frage stellen. Es ermöglicht den Blick auf einen Prozess, an dem zahlreiche Partizipierende teilhaben und generiert werden, in denen Grenzen zwischen den Teilen geschaffen werden und Beziehungen der Teile zueinander etabliert werden. Den Blick auf die Prozesse zu legen ermöglicht es, die Figuration von Subjekten oder Partizipierenden in einem bestimmten Zeitraum mitzuverfolgen. Wenn die Familienund Lebenslaufforschung die Lebensverläufe von Menschen in ihrer Komplexität erforschen möchte, müssen posthumanistische prozessorientierte qualitative Forschungen an Relevanz gewinnen.
Literatur
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Sylka Scholz, Karl Lenz, Sabine Dressler (Hg.) In Liebe verbunden Zweierbeziehungen und Elternschaft in populären Ratgebern von den 1950ern bis heute Juni 2013, ca. 270 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2319-2
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