Urchristliche Briefe an die Gegenwart: Eine freihe Wiedergabe der Briefe des Neuen Testaments [Reprint 2021 ed.] 9783112487068, 9783112487051


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Urchristliche Briefe an die Gegenwart: Eine freihe Wiedergabe der Briefe des Neuen Testaments [Reprint 2021 ed.]
 9783112487068, 9783112487051

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Urchristliche Briefe an die Gegenwart Eine freie Wiedergabe der

Briefe des Neuen Testaments von

Achim Aerkert

Leipzig I. C. Hinrichs'sche Buchhandlung

Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, Vorbehalten. Copyright 1912 by I. C. Hinrichs'sche Buchhandlung, Leipzig.

«halt. Seite

Leitende Grundsätze..................................................................

V

I. Die Briefe des Paulus. Erstes Schreiben (1. und 2. Thessalonicherbrief) ....

1

Zweites Schreiben (Galaterbrief)............................................ 9 Drittes Schreiben (1. Corintherbrief)........................................ 19 Viertes Schreiben (2. Corintherbrief)........................................ 43 Fünftes Schreiben (Römerbrief)................................................... 61 Sechstes Schreiben (Colosserbrief)..............................................96

Siebentes Schreiben (Epheserbrief)........................................... 105 Achtes Schreiben (Philipperbrief)................................. - . . 114 Ein neuntes Schreiben an den Leiter einer Christengemeinde (1. u. 2. Timotheusbrief und Titusbrief)........................... 122

II. Die Briefe der übrigen Apostel. Das Schreiben des Jakobus.......................................................139 Das Schreiben des Pettus............................................................ 148 Ein zweites Schreiben des Petrus............................................157 Das Schreiben eines ungenannten Apostels (Hebräerbrief) . 163 Das Schreiben des Johannes (1. Johannesbrief) ... 180 Die Offenbarung an Johannes................................................. 190

Leitende Grundsätze. Immer größer wird die Zahl auch unter den Ge­

bildeten, welche die Bibel nicht mehr lesen.

Sind alle

Ursachen hierfür klargestellt und die Hindernisse zu be­

seitigen gesucht?

Nicht sowohl die zum Teil altertümlich

anmutende Sprache und gelegentliche Ungenauigkeiten der Lutherübersetzung (dem wäre ja durch eine neue Revision

abzuhelfen) sind hier zu nennen, als vielmehr der Grund­

text selbst. Dieser ist für unser heutiges Denken zu fremd­ artig, um ohne weiteres verstanden werden zu können.

Wenn Weizsäckers Ausgabe die von seinem Prin­ zip aus vollkommenste Wortübersetzung des griechischen

Textes genannt werden kann, wenn Stage und die ihm ähnlichen Übersetzer mit etwas größerer Freiheit im Wortlaut die einzelnen Sätze dem modernen Verstehen näher gebracht haben, so reicht doch eine an den Urtext gebundene Übersetzung von Satz zu Satz nicht aus, um

den Menschen der Gegenwart den Gedankengehalt und

-Zusammenhang zu erschließen und damit den Geist der

biblischen Schriftsteller werden zu lassen.

in

unserer

Sprache

lebendig

VI Von diesem Gesichtspunkt ausgehend hatte der Ver­

fasser schon vor längerer Zeit eine freie Wiedergabe des ganzen Neuen Testaments ausgearbeitet,

von

welcher

er jedoch auf Wunsch des Verlegers, der die Evangelien

bereits 1910 in einer Zusammenstellung von Professor Dr. jur. Carl Hilty gebracht hat, zunächst nur den die Briefe umfassenden Teil der Öffentlichkeit vorlegt. Und

es ist ja zweifellos, daß

gerade bei den apostolischen

Briefen die geschilderte Schwierigkeit am meisten zutage

tritt.

Mehr noch als ihr Wortlaut ist es die vielfach

hellenistische oder rabbinische Form ihrer Gedankengänge,

die uns das bleibend Wertvolle ihres Inhalts stellen­

weise eher verschleiert als enthüllt.

Dazu kommt ihr

Charakter als Gelegenheitsschreiben und infolgedessen

das Eingehen der Verfasser auf zeitgeschichtliche Ver­ hältnisse im Leben der einzelnen Gemeinden und Per­ sonen — alles für unser heutiges Geschlecht fremdartig

und

unverständlich,

wenn man nicht zu Erklärungs­

schriften greifen will;

und wie wenig

moderne Laien

haben dazu Zeit oder daran auch nur Geschmack! Wir brauchen außer Lutherbibel und wort- oder satzgetreuen Übersetzungen eine freie Wiedergabe zunächst

des Neuen Testaments, besonders seiner Briefe, welche die biblischen Schriften ihrer rein zeitgeschichtlichen Be­ standteile entkleidet und sie dadurch in allgemein christ­

licher Sprach- und Gedankenform zu jedem Denkenden unserer Tage reden läßt.

Wir müssen aus dem Munde

der Apostel in unserer Sprache

und Denkform das

hören, was ihre Briefe ihrer Zeit in deren Gewände

VII zu sagen hatten.

nicht mehr als

Natürlich will die vorliegende Arbeit ein Versuch

in dieser Richtung

sein.

Ihre beiden Hauptgrundsätze sind: Treue in der Be­

wahrung des biblischen Gehalts — Freiheit in der Gestaltung seiner Form.

Im einzelnen glaubte der Verfasser zur Erreichung seines Zwecks vornehmen zu müssen: 1. Auslassungen der für unsere heutige Zeit un­ fruchtbaren Partien, die das Lesen der Briefe beein­

trächtigen. heutigen

Dahin gehören

Verständnis

ohne

Bestandteile, welche fremd

weiteres

sind

dem und

fremd bleiben, wie der „Hagar"-Abschnitt Gal. 4, der

„Adam"-Vergleich Röm. 5, der Melchisedek-Vergleich im Hebräerbrief und die meisten Bilder aus der Offen­

barung des Johannes; oder Erörterungen, welche sich bloß auf die damalige Lage beziehen oder rein persön­

lichen Charakter haben, wie manche Abschnitte in den beiden

Corintherbriefen

der

und

2.

konnten

und

3.

u. a.

Der

Johannesbries uud

mußten

aus

solchen

haupt von unserer Wiedergabe

Philemonbrief, der

Judasbrief

Gründen

über­

ausgeschlossen werden.

Auch die uns mehr oder minder fremden Namen der Gemeinden und Personen wurden,

bis auf die aller­

bekanntesten, weggelassen und die ursprünglichen Adressaten der Briefe nur in Klammern unter den Überschriften angegeben, die Schriften selbst aber einfach nach ihren

Verfassern benannt und in der Reihenfolge ihrer mut-

VIII maßlichen Abfassungszeiten numeriert.

Die Personalien

der schreibenden Apostel selbst dagegen — vor allem des

Paulus — wurden soweit gewahrt, wie sie irgend zur

Charakteristik dieser für alle Zeiten bedeutsamen Per­ sönlichkeiten beitragen.

2. Umstellungen von Gedankengruppen, um durch

leichter verständliche Anordnung und durch Vereinigung äußerlich versprengter, aber innerlich zusammengehöriger

Bestandteile die Durchsichtigkeit des Gedankenganges zu

erhöhen, und um die durch Wegfall der

persönlichen

Grüße leicht abgerissen klingenden Briefabschlüsse wirkungs­

voller zu gestalten.

Bei den besonders nahe verwandten

Briefen an die Colosser und Epheser wurden in diesem

Interesse gelegentlich Briefs

(z. B. die

anklingende Gedanken des einen

sogenannte „Haustafel")

durch

die

entsprechenden Bestandteile des anderen Briefs erweitert

und ergänzt, die

dann an ihrer ursprünglichen Stelle

natürlich fortfallen mußten.

Um Wiederholungen und

Berührungen zu vermeiden, wurden endlich Briese, die unter sich so wenig Sonderart aufweisen wie die beiden

Thessalonicherbriefe oder die drei Briefe an Timotheus

und Titus zu je einem Briefe mit übergeordneten Ge­

dankengruppen zusammengezogen. 3. Übertragungen damaliger Fragen auf ent­ sprechende heutige Verhältnisse, wo irgend in der zeit­

geschichtlichen Schale ein bleibend wertvoller Kern steckt, wie z. B. die Übertragung des gesetzlichen Judaismus

im Galaterbrief auf Selbstgerechtigkeit und Tugendstolz aller Zeiten;

oder der naturphilosophischen Engellehre

IX im Colosserbrief auf die moderne Neigung zur Natur­ vergötterung; oder die Anwendung der Frage nach er­

laubtem oder verbotenem Genuß von Götzenopferfleisch

im 1. Corinther- und Römerbrief auf die bleibende Frage nach dem Genuß sittlich indifferenter Dinge. Eine gewiffe Übertragung liegt auch in der veränderten Anrede an die Leser: statt des ursprünglichen „liebe Brüder", welches

der antiken Einschätzung der Geschlechter ent­

„liebe Brüder und Schwestern", welches

sprach, das

mehr unserer heutigen Wertung der Frau gemäß ist. 4. Gewisse Milderungen dogmatisch umstrittener

Stellen wie Phil. 2, 6—8 oder Eph. 6, 12 u. a., wo

ein

Ausdruck gesucht

wurde,

welcher die

praktisch-

religiöse Bedeutung der Stelle heraushebt, ohne eine

unserm Denken schwierige dogmatisch-theologische An­

schauung zu betonen. Anfügung

5. Die

von

Gedankengängen

am

Schluß jedes Schreibens, welche der Numerierung der

Haupt-

und

Unterabschnitte im Text entsprechen und

die Durchsichtigkeit und Behältlichkeit der Hauptgedanken der Schriften fördern wollen.

Der Beginn der Schluß­

abschnitte ist jedesmal durch zwei Gedankenstriche im Text

angezeigt.

Die bei dieser Gelegenheit gegebenen Ab­

fassungszeiten entsprechen der sogen, „älteren Datierung",

wollen aber nur zur ungefähren Orientierung dienen,

ohne den Anspruch auf Maßgeblichkeit.

Vermutlich wird die Folgezeit immer deutlicher zwei Wege zeigen, um in das Verständnis der Bibel einzudringen.

Auf der einen Seite können die Wissenschaft und

die

wissenschaftlich interessierten Kreise unserer Gebildeten

nie auf den in

herausgestellten

kritisch

möglichst einwandfreier Weise

Grundtext

oder

wenigstens

auf

eine

wort- oder satzgetreue, historisch und philologisch möglichst genaue Übersetzung verzichten. Auf der anderen Seite

wird jedoch auch für alle religiös oder ästhetisch-literarisch Interessierten eine freie Wiedergabe der biblischen Bücher

Bedürfnis

bleiben, welcher es nur

darauf ankommt,

durch Sprengen der zeitgeschichtlichen Formen ihren ewig schönen Wahrheitsgehalt zu gewinnen.

Beiden Gruppen kann es aber nur erwünscht sein, daß daneben die Lutherbibel ihre einzigartige Geltung behält als das

klassische Denkmal der ersten grund­

legenden und in ihrer Weise allezeit wirksamen deutschen Übersetzung der Bibel.

Lochau bei Halle a. S., im Oktober 1912.

Achim Deckert, Pfarrer.

Die Driese des Paulus.

Erstes Schreiben des Paulus. (1. und 2. Thessalonicherbrief.)

Paulus sendet seinen Gruß der Gemeinde Gottes, des Vaters, und des Herrn Jesus Christus.

Die Gnade und der Friede Gottes, unsers Vaters, und des Herrn Jesus Christus geleite Euch. Ich danke Gott für Euer aller Christenstand, von Euch sprechen meine Gebete, unaufhörlich gedenke ich vor Gottes Angesicht der Tatkraft Eures Glaubens, der Ar­ beit Eurer Liebe, der Ausdauer Eurer Hoffnung. Und ich lege auch Fürbitte für Euch ein, daß Gott Euch die Würdigkeit, welche die von ihm Berufenen haben müssen, erreichen lasse und die Freudigkeit zu allem Guten sowie die Tatkraft des Glaubens bei Euch zur völligen Ent­ faltung bringe, auf daß Ihr zur Verherrlichung des Namens unseres Herrn Jesus Christus beitragt. I. Meine Botschaft an die Gemeinde ist nicht ent­ standen aus falschen Gedanken, unlauterer Gesinnung und trügerischer Absicht, sondern das ist die Vollmacht für mein Wort, daß mich Gott gewürdigt hat, mich mit der Ausbreitung des Evangeliums zu betrauen. Nicht aus Menschengefälligkeit rede ich, sondern um Gott zu gefallen, der mein Herz prüft. Mein Auftreten war Deckert, Briese des N. T.

2 darum frei von schmeichlerischem Gerede, wie die Gemeinde das weiß, frei von gewinnsüchtigen Nebenabsichten — Gott ist mein Zeuge —, frei vom Geizen nach Ehre bei den Leuten. Ich hätte wohl mit dem ganzen Gewicht einer Amtsbefugnis, wie sie dem Apostel Christi zusteht, kommen können; aber im Gegenteil, derart gelinde bin ich mit den Christen verfahren wie eine Mutter, die ihre Kinder nährt. So trieb mich meines Herzens Zug, weil Ihr mir lieb geworden wart, Euch zugleich mit dem göttlichen Evangelium mein ganzes Selbst hinzugeben. Die christlichen Brüder sollen die Mühen und Beschwerden, die ich mir gemacht, nicht vergessen, wie ich Tag und Nacht mit meiner Hände Arbeit mir meinen Lebens­ unterhalt verdient habe, um nur ja niemand beschwerlich zu fallen: in dieser selbstverleugnenden Weise habe ich das Evangelium Gottes gepredigt. Gott ist mir dafür Zeuge, wie gottesfürchtig, fromm und einwandfrei ich mich gegen die Gläubigen benommen habe. Jeden Ein­ zelnen habe ich wie ein Vater sein Kind ermahnt, er­ muntert, beschworen, so zu wandeln, wie es unsrer Be­ rufung zu Gottes Reich und Herrlichkeit würdig ist. Eben deswegen (wegen der persönlichen Liebe des Apostels zu der Gemeinde) danke ich auch Gott unaufhörlich, daß die Gemeinde das Wort Gottes, welches sie von mir zu hören bekam, nicht als Menschenwort ausgenommen hat, sondern eben als das, was es in Wahrheit ist, als Gotteswort, wie es sich ja auch in den Gläubigen wirk­ sam zeigt. II. Im Übrigen, liebe Brüder und Schwestern, bitte und ermahne ich Euch nm Jesu willen, daß Ihr Euren Lebenswandel so führt und fortsetzt, wie es nötig ist, um Gott zu gefallen. Ihr wißt ja, welche Verordnungen

3 ich Euch im Namen deS Herrn Jesus gegeben habe. — Ein heiliges (Gott wohlgefälliges) Leben, das ist Gottes Forderung an Euch. Enthaltet Euch der Unzucht. In Zucht und Ehren gewinne sich ein jeder sein Weib, nicht in der Leidenschaft der Begierde wie die Heiden, die von Gott nichts wissen wollen. — Jeder soll seine Ehre darin suchen, ein stilles (unauffälliges) Benehmen zu haben, nicht Dinge zu treiben, die ihn nichts angehen, und selbst eine Arbeit anzugreifen, damit Ihr vor denen, die nicht gläubig sind, mit Eurem Leben anständig und einwand­ frei dasteht. — Niemand nehme es sich heraus, in Geschäften seinen Mitmenschen zu Übervorteilen. Gott straft so etwas. Dazu hat er uns ja nicht berufen, daß wir bei solcher unlauteren Gesinnung verharren, sondern ein heiliges Leben will er von uns. — Wer von Euch diese meine Anordnungen verachtet, verachtet darum nicht nur menschliche Mahnung, sondern Gottes Willen. Besonders bitte ich Euch, Ihr Lieben, daß Ihr die Arbeit derer zu würdigen wißt, die Euch im Namen des Herrn vorgesetzt sind in der Leitung der Gemeinde. Haltet große Stücke auf sie und habt sie lieb um ihres Wirkens willen. Zum mindesten lebt im Frieden mit ihnen— Tröstet die Kleinmütigen, traget die Schwachen, habt Geduld mit allen. Seht zu, daß niemand Böses mit Bösem vergelte; seid vielmehr darauf aus, einander und überhaupt allen Gutes zu tun. Seid allezeit fröh­ lich, hört nicht mit Beten auf, seid dankbar für jede Schickung. Denn das verlangt Gott von Euch, sofern Ihr wirklich im Umgang mit Jesus Christus steht. Das Feuer heiligen Geistes dämpft nicht. Die in frommer Begeisterung Verzückten verachtet nicht. Prüfet alles

4 und das Gute behaltet. Jedoch meidet allen bösen Schein. Er aber, der Herr des Friedens, gebe Euch ständigen Frieden in jeder Lage. Der Herr sei mit Euch allen. III. Ferner, liebe Brüder und Schwestern, betet da­ für, daß das Wort des Herrn weiter seinen Lauf nehme und seine Herrlichkeit zeige und daß wir Christen von den Menschen erlöst werden, die ein ungehöriges und böses Wesen haben. Der Glaube ist eben nicht jeder­ manns Sache. Der Herr aber glaubt an seine Ge­ meinde und wird sie daher stark machen und vor dem Bösen bewahren. Und auch ich habe in Gemeinschaft mit dem Herrn zu Euch das Zutrauen, das Ihr tut und tun werdet, was ich Euch gebiete. Unbeschadet der göttlichen Liebe und der Geduld des Heilandes, welcher der Herr Euch nacharten lassen möge, bestimme ich doch, gerade im Namen unseres Herrn Jesus Christus, daß Ihr Euch von jedem christlichen Bruder zurückzieht, dessen Leben gegen die Ordnung verstößt und beit Grundsätzen, die Ihr von mir überkommen habt, nicht entspricht. Ihr wißt ja selbst, was Ihr an mir zum Vorbild neh­ men sollt, daß ich nämlich kein Leben in ungebundener Freiheit führe, auch niemals jemandes Brot aß, ohne es mir verdient zu haben, sondern unter Mühen und Beschwerden Tag und Nacht arbeitete, um niemand zur Last zu fallen. Nicht als ob ich nicht als Apostel ein Recht auf Lebensunterhalt bei den Gemeinden gehabt hätte. Aber ich wollte Euch ein gutes Beispiel geben, damit Ihr in meinen Spuren wandelt. So gebe ich denn unter Euch die Losung aus: „wenn einer nicht arbeiten will, dann soll er auch nicht essen". Es sind nämlich welche unter Euch, die zügellos dahinleben, keine wirkliche Arbeit tun, sondern nur so herumhantieren.

5 Solchen gebiete ich und befehle ich an Stelle des Herrn Jesus Christus, daß sie statt dessen ein schlichtes, unauf­ fälliges Leben führen in stiller Tätigkeit und durch eigne Arbeit den Lebensunterhalt, den sie genießen, zu einem verdienten machen. Ihr jedoch, meine Brüder und Schwestern, die Ihr Euch einer guten Führung befleißigt, fahrt so fort. Wer aber meiner Anordnung in diesem Schreiben nicht gehorsam ist, von dem rückt ab, damit er als ein Gezeichneter allein stehe und scham­ rot werde. Gleichwohl verfahrt mit ihm nicht, als wäre er ein Feind, sondern brüderlich sei die Zurechtweisung, die Ihr ihm angedeihen laßt. Und der Herr mache Eure Liebe zu einander und zu allen groß und reich, so wie ich Euch Christen liebe, damit Eure Herzen die Kraft empfangen, um in tadelloser Heiligkeit vor Gott, unserm Bater, zu bestehen bei der Wiederkunft unsres Herrn Jesus. IV. 1. Über die Zeit und Stunde seiner Wieder­ kunft aber Euch zu schreiben, ist nutzlos. Ihr wißt selbst ganz genau, daß der große Tag des Herrn so unver­ sehens wie ein Dieb in der Nacht kommt. Wenn die Menschen sich noch in Sicherheit und Frieden wiegen, — plötzlich wird sie das Verderben überfallen, wie die Wehen eine Schwangere, und sie können nicht ent­ rinnen. Für die Gläubigen aber ist das Leben nicht in Dunkelheit gehüllt, sodaß sie jener Tag wie ein Dieb überraschen könnte. Denn Kinder des Lichts sind sie und nicht der Finsternis; zum Tage gehören sie und nicht zur Nacht. So laßt uns nicht schlafen wie die anderen, sondern wachen und nüchtern sein. — Die der Nacht gehören, die schlafen den Schlaf der Finsternis oder sind berauscht vom Taumelgeist der Finsternis.

6 Aber wir Kinder des Tages wollen wach und klaren Sinnes sein, gewappnet mit der Rüstung des Glaubens und der Liebe und der Hoffnung. Denn nicht Gottes Zorn zu verfallen, ist unsere Bestimmung, sondern Gottes Heil zu erringen in der Kraft unseres Herrn Jesus Christus, der um unsertwillen gestorben ist, damit wir, mögen wir auch schon entschlafen sein, mit ihm leben sollen. Darum ermahnt einander und fördert einer den anderen, wie Ihr es ja zum Teil schon tut. 2. Aber auch darum muß ich bezüglich der Wieder­ kunft des Herrn Euch bitten, daß Ihr Euch nicht so schnell berücken oder verwirren laßt durch den Geist der Täuschung weder in Wort noch in Schrift, als stände der Tag des Herrn nahe bevor. Laßt Euch von nie­ mand in irgend welcher Weise betrügen. Denn erst muß der Abfall kommen und die Macht der Ungesetz­ lichkeit, der Geist des Verderbens offenbar werden, der Widersacher, der sich über alles erhebt, was Gott und Heiligtum heißt. Und schon ist der Frevel geheim­ nisvoll am Werke, nur daß er einstweilen noch nieder­ gehalten wird. Sein Auftreten besteht, wie eben der Satan nichts anderes vermag, in lauter Lug und Trug, womit er die ins Verderben führt, welche die Liebe zur Wahrheit nicht in sich ausgenommen haben. Wenn nun Gott über solche die Macht der Verführung kommen läßt, so geschieht es zu dem Zwecke, damit alle, die der Wahrheit nicht geglaubt, sondern an dem Unrecht Gefallen gehabt haben, ihr Gericht finden. Ist aber der Frevel in seiner ganzen Stärke hervorgetreten, dann wird der Herr Jesus ihn beseitigen mit dem Glanz seiner Wiederkunft und vernichten mit dem Hauch seines Mun­ des. Wie muß ich da Gott allezeit dankbar sein für

7 den Geist des Heils und der Heiligung und für den Glauben an die Wahrheit unter den von dem Herrn Geliebten, welche er durch meine Verkündigung des Evangeliums berufen hat, die Herrlichkeit Jesu Christi zu gewinnen. 3. Über die Entschlafenen jedoch will ich Euch nicht

im Unklaren lassen, liebe Brüder und Schwestern, da­ mit Ihr nicht trauert wie die anderen, die keine Hoff­ nung haben. Wenn nach unserem Glauben Jesus vom Tode auferstanden ist, so werden auch die Entschlafenen kraft seines Willens in seinem Gefolge sein. Ich berufe mich dabei auf des Herrn eigenes Wort. Das Erste bei seiner herrlichen Wiederkunft wird sein, daß die Toten, die in Christi Geist starben, auferstehen. Die Gläubigen aber, die dann noch am Leben sind, werden zugleich mit der Auferstehung jener entrückt werden, dem Herrn entgegen. Dann werden wir bei dem Herrn sein allezeit. Daher tröstet Euch untereinander mit diesen Worten. Und er, der Gott des Friedens, .heilige Euch durch und durch und gebe, daß Euer ganzes Leben nach Geist, Seele und Leib völlig unversehrt erhalten bleibt bis zur Erscheinung unseres Herrn Jesus Christus. Treu ist er, der Euch beruft; er wird es auch hinaus­ führen. — So steht nun fest in Eurem Christenstande, liebe Brüder und Schwestern, und haltet fest an meinen Lehren, die Euch brieflich überliefert sind. Er aber, Jesus Christus, unser Herr, sowie Gott unser Vater, der uns geliebt und ewigen Trost und gute Hoffnung in Gnaden ge­ geben hat, der schenke Euren Herzen Mut und Kraft zu allem Guten in Werk und Wort. — Nun noch mein, des Paulus, eigenhändiger Gruß, das Kennzeichen für alle meine

8 Briefe; so sieht meine Schrift aus. Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi behüte Euch alle. Amen.

Die beiden Thessalonicherbriefe, die ihrer vielfachen Berührungen und Wiederholungen wegen in vier Gedankengruppen zusammen­ gearbeitet sind, hat Paulus bei seinem etwa 1^2 jährigen Aufenthalt in Korinth, vermutlich zwischen den Jahren 51 und 53, an die auf derselben zweiten Missionsreise von ihm gegründete Gemeinde in Thessalonich geschrieben. Das Schreiben kann angesehen werden als grundlegende Wei­ sungen des Apostels für die christliche Gemeinde I. Über das apostolische Amtsansehen: es beruht, nach der

Seite Gottes betrachtet, auf der göttlichen Sendung; nach der Seite der Gemeinde betrachtet, auf der apostolischen Liebesarbeit. II. Über das allgemeine christliche Verhalten im Leben: Stellung

zum Weibe, zur Arbeit, zum geschäftlichen Verdienen, zu den Ge­

meindehäuptern und Gemeindegliedern. III. Über das Verhalten der Gemeinde zu unchristlich wandeln­ den Christen: sie in Liebe zurechtweisen, bei Mißerfolg sich von ihnen zurückziehen und dadurch sie ausscheiden. IV. Über die Wiederkunft des Herrn: hier gilt es 1. mit ihr zu rechnen als mit einem ganz bestimmt eintretenden Ereignis, auf welches man sein Leben einrichtet.

2.

sich fern zu halten von allen ungesunden Gedanken, besonders dem, als sei der Tag des Herrn (,jüngste Tag*) nahe bevor­ stehend.

3.

sich über das Hinscheiden seiner Lieben zu ttösten mit dem Wiedersehen der Frommen, welches die Wiederkunft Christi mit sich bringt.

Zweites Schreiben des Paulus. (Galaterbrief.)

Paulus, der Apostel, sendet den christlichen Gemeinden seinen Gruß.

Es geleite Euch die Gnade und der Friede des väterlichen Gottes und unseres Herrn Jesus Christus, welcher, um uns aus der gegenwärtigen bösen Welt zu erretten, sich selbst für uns, unserer Sünden wegen, aufgeopfert hat nach dem Willen Gottes, unsres Vaters. Sein sei die Ehre in alle Ewigkeit.

I. 1. Liebe Brüder und Schwestern, laßt Euch nicht verführen, ein Evangelium anzunehmen, welches mit dem von mir verkündigten nicht in Einklang steht, weil es überhaupt kein anderes Evangelium gibt als das Evangelium Christi und alles andere Irrlehre ist. Bin ich doch ein Apostel Gottes, ins Amt eingesetzt durch Jesus Christus, den vom Tode Auferweckten; ein Apostel in menschlichem Namen und Auftrag bin ich nicht. Darum ist meine Predigt nicht Menschendienerei, sondern Gottesdienst. Ich wäre Christi Diener nicht, wenn ich aus Menschengesälligkeit handelte. So gebe ich Euch die Versicherung, daß auch das von mir gepredigte Evangelium göttlich ist. Denn ich

10 habe es nicht von Menschen überkommen oder gelernt, sondern dadurch, daß Jesus Christus mir offenbart wurde. Ihr habt ja von meinem ehemaligen Wandel gehört, wie die Gemeinde Gottes in ganz hervorragendem Maße durch mich verfolgt und verstört wurde. Ich habe mich im Judentum unter vielen Genossen meines Standes hervorgetan, indem ich in außerordentlicher Weise um die väterlichen Überlieferungen eiferte. Als es aber dem, der mich zu seinem Werkzeug von Geburt an ausersehen und durch seine Gnade berufen hat, gefiel, seinen Sohn meinem Inneren zu offenbaren, — sofort brach ich da alle Beziehungen zu Menschen ab: ich ging zunächst nicht mehr nach Jerusalem, sondern fort in die Einsam­ keit Arabiens, später kehrte ich wieder nach Damaskus zurück. Erst nach 3 Jahren reiste ich nach Jerusalem, um Petrus kennen zu lernen,- und blieb bei ihm etwa 2 Wochen. Von den andern Aposteln sah ich nur noch Jakobus, den Bruder des Herrn. Den christlichen Gemeinden aber in Judäa blieb ich persönlich unbekannt. Allein durch Hörensagen wußten sie: „unser einstiger Verfolger ist jetzt ein Verkündiger des Glaubens gewor­ den", und dankten Gott für meine Bekehrung. 2. Bei meinem zweiten Besuch in Jerusalem, 14 Jahre darauf, nahm ich Barnabas als Begleiter mit. Es trieb mich eine innere Stimme hin, mich mit den Aposteln über das Evangelium, welches ich den Heiden predige, zu besprechen, besonders mit den Hauptaposteln, ob ich nicht vergeblich gewirkt hätte oder gar noch wirkte. Selbst diese Apostelhäupter aber — wie nahe sie auch früher dem Herrn gestanden haben, das gibt ihnen keinen Vorzug vor mir, denn bei Gott ist kein Personen­ ansehen, — konnten mir nichts anderes über das Evan-

11 gelium sagen, als was ich schon wußte; sondern sie sahen im Gegenteil ein, daß ich ebenso rechtmäßig mit dem Evangelium für die Heiden betraut sei, wie Petrus für die Juden. Denn derselbe, der Petrus ausgerüstet hat zum Apostelamt unter den Juden, der hat auch mich befähigt zum Apostelamt unter den Heiden. So er­ kannten denn Jakobus, Petrus und Johannes, die als Säulen der Gemeinde galten, die mir verliehene Gnaden­ gabe an und trafen mit mir und Barnabas durch Hand­ schlag das Übereinkommen, daß wir unter den Heiden

wirken sollten, jene aber unter den Juden. Nur in der Armenpflege sollten wir sie noch unterstützen, was zu be­ folgen ich mich auch bemüht habe. 3. Freilich den falschen Brüdern, die sich in die Gemeinde eingeschlichen und eingedrängt hatten, um unserer christlichen Freiheit aufzulauern und unseren Glauben unfrei zu machen, sind wir auch keinen Augen­ blick in falscher Unterwürfigkeit gewichen, damit Euch die Wahrheit des (freien) Evangeliums verbliebe. Wir haben nämlich erkannt, daß kein Mensch das Gottesheil erlangt durch gesetzliches Befolgen der Vorschriften von Tugend und Sittlichkeit, sondern allein durch gläubige Hingabe an Jesus Christus. Darum haben auch wir den Glau­ ben an Jesus Christus angenommen. — Mit meinem Leben steht es fortan so: nicht mehr mein Ich, sondern Christus lebt in mir. Denn, wenn mein natürliches Leben auch weiter besteht, so ist es doch ganz erfüllt vom Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich geopfert hat. Dieses Gnaden­ geschenk Gottes werfe ich nicht weg. Christus würde aber umsonst gestorben sein, wenn ich das Gottesheil durch Leistungen natürlicher Sittlichkeit erwerben könnte.

12 II. 1. Wie unverständig wäre es nun, wenn Ihr, denen Jesus Christus vor die Augen gemalt ist, als wäre er unter Euch gekreuzigt, Euch berücken ließet, Euch vor dieser Wahrheit nicht mehr zu beugen! Ich brauche Euch nur darauf hinzuweisen, daß Ihr den Geist der Gottgemeinschaft ja doch durch die Predigt vom Glauben empfangen habt und nicht durch irgend welche Tugend­ leistungen. Unverständig wäre es darum, wenn Ihr im natürlichen Wesen enden wollt, nachdem Ihr im geistlichen Wesen angefangen habt. Daß der, der Euch von seinem Geist mitgeteilt hat, so Großes nicht an Euch getan hat wegen irgend welcher gesetzlicher Leistungen, sondern weil Ihr der Predigt vom Glauben Gehör schenktet, könnt Ihr auch daraus sehen, daß es schon von Abraham heißt: Abraham glaubte Gott, deshalb ruhte Gottes Wohlgefallen auf ihm. Abrahams Glaube ist es, auf den dann Gott seinen Segen legte, wenn das Schriftwort spricht: mit dir zusammen sollen alle Völker gesegnet werden. Das heißt also: die dem Abraham im Glauben nacharten, denen wird der Gottessegen, welcher der Menschheit schon seit dem Glauben des Abraham zugesprochen war, vermittelt, aber eben allein unter der Voraussetzung des Glaubens. Dagegen liegt über dem anderen Wege, Gottes Heil erlangen zu wollen durch die Kraft eigener Tüchtigkeit und Vollkommenheit, ein Fluch, weil ja bei solcher Stel­ lung zu Gott jedes Nichterfüllen des unendlich viel for­ dernden Gotteswillens Unsegen bringen muß. Denn es ist klar, daß das Sittengesetz Gottes, welches ganz un­ abhängig vom Glauben dazu da ist, in allen Stücken erfüllt zu werden, niemand halten kann. Christus aber

13 hat uns erlöst von dem am Gesetz klebenden Fluch [, der darin besteht, daß wir es nie ganz zu erfüllen vermögens damals, als er wie ein Verfluchter am Holz des Kreuzes gehangen hat, damit jener auf Abraham und seinem Volk ruhende Segen, über alle Völker entschränkt, sich ausdehnen möchte in der Gemeinschaft mit Jesus Christus und so auch wir das längst verheißene Gottesheil auf einem anderen Wege als dem des Tuns empfangen könnten, mittelst des Glaubens. 2. Was soll dann aber die ganze Gesetzesosfenbarung bedeuten, die zwischen die Heilsverheißung Gottes zur Zeit Abrahams und deren Verwirklichung zur Zeit Christi nebenher eingedrungen ist? Das Sittengesetz Gottes kann doch nicht der ebenfalls von Gott herrührenden Segensverheißung hindernd in den Weg treten? Das gewiß nicht. Im Gegenteil war auch die Gesetzesoffen­ barung für die Menschheit segensreich dadurch, daß sie alles unter dem Verhängnis der Sünde festhielt, um nur einen Ausweg aus dem Verderben zu eröffnen, den Glauben an Jesus Christus. So ist das Gesetz geradezu unser Erzieher für Christus gewesen und hat uns auf den Glaubensweg getrieben. Nachdem wir nun aber zum Glauben gekommen sind, brauchen wir diese Erziehung durch das Gottesgesetz nicht mehr. Denn durch den Glauben an Jesus Christus sind wir alle schon Gottes Kinder, sofern wir nicht nur getauft sind, sondern auch Christus in uns ausgestaltet haben. Hier kommt nichts mehr darauf an, was einer vor dem Glau­ ben war, Jude oder Heide, gebildet oder ungebildet, arm oder reich; denn Ihr seid alle eins in dem Zusammen­ schluß mit dem Herrn Jesus Christus. Seid Ihr aber durch die Zugehörigkeit zu Christus Kinder Gottes, so

14 seid Ihr auch seine Erben, Erben des SegenS, welchen Gott schon zu Abrahams Zeit verheißen hat. Freilich ist der Erbe, so lange er unmündig ist, auch unfrei, obwohl er der Herr der Güter ist. Denn er ist unter dem Vormund und Waisenpfleger bis zur Zeit der Mündigkeit. So war's auch mit der Menschheit. Solange sie sich im Alter der Unmündigkeit befand, sah sie sich gefangen vom Geist der Knechtschaft, von Götzendienst und Buchstabenglauben. Als aber die Zeit gekommen war, sandte Gott seinen Sohn, ließ ihn vom Weibe geboren werden und stellte ihn hinein in die Gesetzesoffenbarung, damit er die, welche unter der Ge­ setzesoffenbarung unfrei waren, erlöste und ihnen die Gotteskindschaft brächte. Und zum Zeichen, daß auch Ihr Gottes Kinder seid, hat Gott weiter den Geist seines Sohnes in Eure Herzen gesandt, welcher ihn an­ ruft: Vater, lieber Vater. Also darf Euer Verhältnis zu Gott nicht mehr das der unfreien Knechtschaft, son­ dern nur das der freiwilligen Gotteskindschaft sein. Für die Freiheit hat uns Christus befreit. So steht nun fest und laßt Euch nicht wieder ins Joch der Knechtschaft bannen. Seht, ich Paulus sage Euch: wer anders als im Glauben zu Gott kommen will, dem kann auch Christus nichts helfen. Wenn Ihr mit Wohlan­ ständigkeit und sittlicher Pflichterfüllung das Heil Euch aneignen wollt, so habt Ihr Euch damit von Christus losgelöst und seid aus dem Stande der Begnadigung durch Gott herausgefallen. Freilich, auch wir bauen auf unsern Glauben die Hoffnung auf, daß wir dem Geiste nach fder grund­ sätzlichen Lebensrichtung nach^ Gott immer wohlgefälliger werden. Denn das Wesen des Christentums besteht

15 nicht in äußerlichen Unterschieden, sondern in dem Glau­ ben, welcher in der Liebe sich auswirkt. Laßt Euch nicht hindern, der Wahrheit zu folgen. Das Überreden

hierzu stammt nicht von dem, der den Glauben in Euch erweckt hat. Ein wenig Sauerteig versäuert den ganzen Teig. Ich habe zu Euch als Christ zu Christen das Vertrauen, daß Ihr nicht anderen Sinnes werdet. Wer aber Verwirrung in die Gemeinden trägt, den wird die Strafe treffen, wer er auch sei. 3. Seid Ihr demnach- zur Freiheit berufen, liebe Brüder und Schwestern, so ist es doch nicht die Frei­ heit, die den sämtlichen Begierden Tor und Tür öffnet, sondern in Liebe diene einer dem anderen. Wandelt im Wesen des Geistes, so werdet Ihr den Lüsten der Sinnlichkeit nicht nachgeben. Wohl hat die Sinnlich­ keit ein Gelüste gegen den Geist, und der Geist ebenso gegen die Sinnlichkeit. Dieselben sind gegeneinander, um Euch nicht tun zu lassen, wozu Euch die jeweilige Neigung treibt [fei es des Geistes oder der Sinnlichkeitj. Gebt Ihr aber erst einmal dem Geist die Herr­ schaft, so seid Ihr über das Verbot erhaben und über­ haupt über die gesetzliche Unfreiheit hinaus. Offenbar sind ja Unzucht, Hurerei, Ehebruch, — Eifersucht, Hader, Neid, — Zorn, Zank, Streit, — Aufruhr, Haß, Mord, — Aberglaube, Trunksucht und jede Art von Unmäßigkeit Auswirkungen des niederen Jch's, von denen ich Euch schon gesagt habe und immer wieder sage, daß Gottes Reich nicht erben kann, wer so etwas tut. Die Frucht aber des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, — Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, — Treue, Sanftmut, Keusch­ heit. Welche nun Jesus angehören, die kreuzigen ihr Fleisch samt dessen Lüsten und Leidenschaften. Ist ein-

16 mal Gottes Geist unser Lebenselement, so müssen auch Spuren solches Geistes sich in unserem Wandel zeigen. Lasset uns nicht eitel werden, kein herausforderndes Wesen haben, nicht neidisch auf einander sein. Wenn einmal einer von einem Fehler übereilt wird, so helft ihm geisterfüllt zurecht mit dem Geist der Sanft­ mut; und siehe Du nur auf Dich selbst, daß Du nicht ebenso in Versuchung gerätst. Einer trage des Anderen Last, so werdet Ihr das Gesetz Christi erfüllen. Wenn aber einer sich einbildet, er sei etwas, während er doch nichts ist, so ist das eben ein Selbstbetrug. Ein jeder prüfe nur immer sein Tun; dann wird er seinen Ruhm für sich behalten und den andern damit verschonen. Denn jeder wird an sich selbst eine Last zu tragen haben. Irrt Euch nicht: Gott läßt sich nicht verspotten. Was der Mensch sät, das wird er ernten: wer auf sein Fleisch sät, wird von dem Fleisch das Verderben ernten; wer aber auf. den Geist sät, wird von dem Geist ewiges Leben ernten. Laßt uns das Gute tun, ohne darin müde zu werden; denn zu seiner Zeit werden wir ernten, wenn wir nicht nachlassen. Da wir jetzt Zeit dazu haben, so lasset uns Gutes tun an jedermann, am meisten aber an den Glaubensgenossen. — — Seht diesen (diktierten) Brief an Euch habe ich mit meiner eigenhändigen Unterschrift versehen. — Die sich vor den Menschen angenehm machen wollen, die sagen Euch, daß der Glaube nicht nötig sei, damit das Kreuz Christi das bequeme Leben nicht stört. Selbst die, die immer von Rechtlichkeit und Ehrbarkeit reden, als ge­ nügten sie vor Gott» sind oft für ihre Person nicht ein­ mal rechtlich und ehrbar. Mit solchen Reden wollen sie Euch nur um den Glauben bringen, um sich hinter-

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her ihres Erfolges an Euch rühmen zu können. Mir aber soll es fernliegen, mich irgend einer Sache zu rühmen außer allein des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus, durch den die Weltlust mir abgestorben ist und ich der Weltlust. Denn für den Christen gilt nur noch das Eine: ein neuer Mensch zu werden. Und welche in diesem Sinne wandeln, über die komme der Friede und das Erbarmen Gottes, wie überhaupt über alles wahre Gottesvolk. — Die Achtung vor mir müßte es Euch unmöglich machen, meine Worte nicht zu beachten. Denn ich trage die Leidensmale des Herrn Jesus an meinem Leibe. Was brauchte ich aber Berfolgung zu leiden, wenn ich einen anderen Weg zum Heil predigte als den des Glaubens? Dann wäre das Ärgernis des Kreuzes beseitigt. Die Gnade unsres Herrn Jesus Christus behüte Euren Geist, liebe Brüder und Schwestern! Amen!

Den Brief an die Galater hat Paulus auf der dritten Missions­ reise während eines zweijährigen Aufenthaltes in Ephesus, vermut­ lich im Jahre 54 oder 55, verfaßt.

Das Schreiben stellt sich dar als eine Verteidigung der „Geistesfreiheit des christlichen Glaubens". Erörtert wird: I. wie der Apostel vorbildlich sich diese Freiheit gewahrt hat,

1. indem er seine Berufung ins Amt derjenigen der Urapostel als gleichwertig an die Seite stellt, 2. indem er seine heidenchristliche Missionsmethode als eine der judenchristlichen der anderen Apostel ebenbürtige anerkennen läßt, 3. indem er christlichen Gegnern, welche den freiheitlichen Geist paulinischer Mission durch Hineintragen eines gesetzlichen Zuges zu stören versuchten, mit ganzer Energie entgegentritt. Deckert, Briefe des N. T.

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II. wie die Gemeinde nacheifernd sich die christliche Freiheit wahren soll, 1. indem sie ihr Heil von nichts anderem abhängig sein läßt als von der in Jesus erschienenen Gnade Gottes, 2. indem sie jedes gesetzliche Verhalten und jedes Rechtsverhältnis Gott gegenüber, wie an Israel so an sich selbst, nur wertet als eine erzieherische Vorstufe zum Heil in einer Zeit religiöser Unmündigkeit, die uns aber völlig unfrei macht, wenn wir uns nicht höher entwickeln zu dem Gnadenstandpunkt, 3. indem sie die Freiheit des Glaubens an Gottes Gnade sich entfalten läßt zur Freiheit des sittlichen Lebens, einer Freiheit vom Bösen zum Guten.

Drittes Schreiben des Paulus. (1. Corintherbrief.)

Paulus, der durch den Willen Gottes berufene Apostel Jesu Christi, entbietet seinen Gruß allen, die aller Orten den Namen unseres Herrn Jesus Christus anrufen.

Die Gnade und der Friede Gottes, unseres Vaters, und des Herrn Jesus Christus geleite Euch. Ich danke meinen Gott allezeit für die Gnade Gottes, daß Ihr Christen geworden und in Eurem Innenleben aus jede Weise durch die Gemeinschaft mit Jesus be­ reichert seid, wie es ja nicht anders sein kann, da die Predigt von Christus eine feste Stätte bei Euch hat. Der wird auch bis zuletzt Euer Halt sein, sodaß Ihr unanfechtbar dasteht am Tage seiner Wiederkunft. Denn Gott ist treu, durch den Ihr ja eben in die Gemein­ schaft seines Sohnes, unsres Herrn, berufen wurdet.

I. 1. Ich ermahne Euch aber, liebe Brüder und Schwestern, bei dem Namen unsres Herrn Jesus Christus, daß Ihr die Glaubenseinigkeit wahrt und nicht religiöse Parteien unter Euch aufkonimen laßt. Was soll ich denken, wenn man zum Beispiel bei Euch sagte: ich bin mehr für Paulus, oder: ich bin mehr für Petrus? Wie? Ist denn solche Trennung in Parteien nicht mit dem i*

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Glauben an Christus gänzlich unvereinbar? Ist etwa Paulus für Euch gekreuzigt worden, oder seid Ihr auf den Namen des Petrus getauft? Christus hat mich nicht gesandt zu taufen, sondern das Evangelium zu predigen, und das nicht mit Reden ruhmvoller Weisheit, damit das Kreuz Christi nicht um seinen wahren Eindruck gebracht werde. Denn das Wort vom Kreuz wirkt auf die, welche sich nicht retten lassen wollen, doch stets als Torheit, auf uns aber, die Erlösten, wirkt es als Gotteskraft. Da nämlich Gottes Weisheit von der Weltweisheit nicht begriffen wurde, beschloß Gott, das Heil abhängig zu machen von dem Glauben an eine Verkündigung, die in den Augen der Welt Torheit ist. Darum predigen wir Christus als den gekreuzigten, was den einen ein Ärgernis, den andren eine Torheit scheint. Denen

aber, die dem göttlichen Rufe Folge geleistet haben, ist gerade der Gekreuzigte Gottes Kraft und Gottes Weis­ heit. Denn was vor der Welt für töricht gilt, aber von Gott stammt, ist weiser als die Menschen; und was schwach scheint, aber von Gott stammt, ist stärker als die Menschen. Seht doch Euren Christenstand an, liebe Brüder, nicht die Weisen im gewöhnlichen Sinn des Wortes, nicht die Hochgestellten, nicht die Vornehmen füllen die Reihen der Gläubigen. Vielmehr, was der Welt für töricht gilt, hat Gott erwählt, die Weisen zu beschämen; und was der Welt für schwach gilt, hat Gott erwählt, das Starke zu beschämen; und was der Welt für unedel gilt und verachtet wird — was nichts ist, das hat Gott erwählt, um zu nichte zu machen, was etwas ist: damit alles, was Mensch heißt, vor Gott seinen Ruhm ver­ liert. Von ihm rührt auch Eure Gemeinschaft mit

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Christus her, an welchem wir die aus Gott entsprungene Weisheit besitzen, die da weiß von des Menschen Be­ gnadigung (Rechtfertigung), Erneuerung (Heiligung) und Vollendung (Erlösung, als abschließende) durch Gott, da­ mit wir nicht auf unseren eigenen Ruhm aus sind, son­ dern nach dem Schriftwort handeln: wer sich rühmen will, der rühme sich des Herrn. So bin auch ich, so oft ich die Heilsbotschaft Gottes verkündigte, niemals als Meister des Wortes oder der Weisheit aufgetreten. Mein Entschluß stand fest, kein anderes Wissen zu verbreiten als Jesus Christus, und den gerade als den gekreuzigten. Und mein Wort und meine Predigt war nicht darauf eingerichtet, durch ge­ lehrte Erörterungen zu gewinnen, sondern Proben von Geist und Kraft abzulegen, damit Euer Glaube nicht ruhe auf Menschenweisheit, sondern auf Gotteskraft. 2. Was wir verkündigen, wird allerdings auch als „Weisheit" erkannt bei den Gereiften. Wenn nämlich un­ sere Predigt auch keine Weisheit dieser Welt oder ihrer Be­ rühmtheiten ist, die ja dahinschwinden, so enthält sie aber doch Gottes Weisheit, nur in geheimnisvoller Form und darum (für Uneingeweihte) verborgen, die Weisheit, die Gott vor aller Zeit bestimmt hat, unser Heil zu werden. Diese Weisheit hat kein einziger von den führenden Geistern dieser Welt zu erkennen vermocht. Denn hätten sie sie erkannt, so hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht ans Kreuz geschlagen. Sondern das Schriftwort sagt es schon: was Gott denen, die ihn lieben, bereitet hat, ist so erhaben, daß von sich aus kein Menschenauge es zu sehen, kein Menschenohr es zu hören, kein Men­ schenherz es in sich aufzunehmen imstande ist. Uns aber hat Gott es offenbart, und das durch den Geist.

22 Denn der Geist erforscht alle Dinge, selbst die Tiefen der Gottheit. Das sieht man schon am Menschen. Keiner kennt mein eigentliches Wesen außer mein eigner Geist. Ebenso kann auch niemand das eigentliche Wesen Gottes kennen außer der göttliche Geist. Wir aber haben eben den aus Gott stammenden Geist uiib nicht den Geist der Welt empfangen, damit wir verstehen können, was uns von Gott geschenkt ist. Darum brauchen wir denn auch nicht in gelehrten Worten menschlicher Weis­ heit zu reden, sondern wir reden in solchen Worten, wie sie der Geist lehrt, also für geistliche Dinge brauchen wir auch geistliche Ausdrucksformen. Freilich, der natür­ liche Mensch, welcher noch nicht von Gott erleuchtet ist, vernimmt nichts vom Geiste Gottes; das Geistliche ist ihm Torheit, er kann es nicht verstehen, weil es geistlich beurteilt sein will. Aber der vom Gottesgeist erfüllte Mensch hat über alles das rechte Urteil, obwohl er selbst von keinem anderen völlig beurteilt werden kann. Denn wer hätte Gottes Sinn erkannt, wer wollte ihn meistern? Wir aber haben Christi und damit Gottes Sinn. 3. Mit den christlichen Brüdern konnte ich allerdings oft nicht wie mit Geisterfüllten reden, weil sie noch so unmündig waren in ihrem Christenstande. Leichte Nah­ rung nur durfte ich ihnen bieten, nicht schwere Kost. Denn sie vertrugen sie nicht, ja vertragen sie zum Teil auch heute noch nicht. Denn ungeistliches Wesen ist das, wenn Eifersucht und Streit unter Euch walten. Spräche z. B. der eine: ich bin Anhänger des Paulus, der andre: ich bin von der Partei des Petrus, ist das nicht allzu­ menschliche Schwäche? Wer ist denn Paulus? Wer ist Petrus? Jesu Gehülfen sind sie, durch deren Vermitte­ lung Ihr zum Glauben gelangt seid; und zwar jeder

23 in dem Maße, wie der Herr ihn dazu mit Gaben aus­ gerüstet hat. Ich und meine Mitapostel haben nur gepflanzt und begossen. Das Wachstum aber hat Gott gegeben. Auf den Pflanzenden und Begießenden kommt es doch nun nicht entfernt so an wie auf den, der es wachsen läßt, das ist Gott. Die aber pflanzen und be­ gießen, sind einander gleich. Nur nach der Eigenart seiner Arbeit wird ein jeder seinen besonderen Lohn emp­ fangen. Denn wir sind Mitarbeiter Gottes und Ihr seid Gottes Acker, an dem wir arbeiten, oder auch Gottes Bau. Nach der mir verliehenen Gnade Gottes habe ich wie ein umsichtiger Baumeister den Grund gelegt. Einen andren Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist; das ist Jesus Christus. Andere bauen nun darauf. Ein jeder aber sehe sich vor, was er darauf baut. Denn was das wert ist, was auf diesen Grund aufgebaut wurde, ob es nun Gold, Silber, Edelgestein, Holz, Heu, Stroh an Wert gleichkommt, wird alles offenbar machen der große Tag des Herrn mit seinem Läuterungsgericht, welches das Lebenswerk eines jeden auf seine Beschaffen­ heit hin erprobt. Wenn nun das Lebenswerk, das einer auf dem Grunde „Jesus" errichtet hat, sich als ein bleibendes bewährt, so wird man (eben dies Fortdauern als) Lohn empfangen. Wessen Lebenswerk jedoch durch das Läuterungsgericht vernichtet wird, der wird (durch diesen Verlust) Strafe erleiden, wenn er selbst auch, — freilich nur wie ein Brand aus dem Feuer, — gerettet wird. — Wisset Ihr nicht, daß Ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in Euch wohnt? Wer nun den Tempel Gottes zerstört, den wird Gott vernichten; denn der Tempel Gottes, das ist die Gemeinde, soll unantastbar sein.

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Niemand betrüge sich selbst. Wenn auch einer in der Welt für weise gilt, der muß doch, um wirklich weise zu sein, die scheinbare Torheit des Christenglaubens sich an­ eignen, weil denn die Weisheit dieser Welt wieder in Gottes Augen Torheit ist. Darum prahle keiner mit Menschen. Alles dürft Ihr wahrlich für Euch in An­ spruch nehmen, es sei Paulus oder Petrus oder ein andrer Apostel, es sei Gegenwart oder Zukunft oder die ganze Welt, — alles ist Euer, Ihr aber gehört Christus und damit Gott. Ihr seid teuer erkauft; werdet uichk Menschen-Knechte. 4. Die rechte Wertschätzung der Apostel, deren ein jeder sich befleißigen müßte, ist aber die, daß man sie achte als Christi Diener und Verwalter der göttlichen Geheimnisse. So verlange man denn von den Verwaltern auch nicht mehr, als daß sie treu erfunden werden. Mir wäre es ja nun ein Geringes, mich vor einem irdischen Gerichte zu verantworten. Auch brauche ich mich selbst nicht zur Verantwortung zu ziehen. Denn ich bin mir nichts bewußt. Doch stehe ich deshalb noch nicht gerecht­ fertigt da. Der Herr wird auch von mir Rechenschaft fordern. Daher richtet nicht vor der Zeit, ehe der Herr kommt, welcher auch, was im Finstern verborgen ist, ans Licht bringen und die Herzens-Gedanken offenbaren wird. Dann wird das Lob von Gott erteilt werden. Ich habe das von Eurer geistlichen Parteilichkeit beispielsweise auf mich und meine Mitapostel bezogen um Euretwillen, liebe Brüder, daß Ihr an uns das beschei­ dene Auftreten lernt und nicht den einen gegen den an­ deren ausspielt, was immer ein Zeichen von Aufgeblasen­ heit ist. Was gibt Dir denn eigentlich einen Vorzug? Was hast Du, das Du nicht empfangen hast? Hast Du

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es aber selbst erst empfangen, was rühmst Du dich dann, als hättest Du es aus eigner Kraft? Ihr macht bereits einen satten Eindruck, Ihr dünkt Euch schon reich genug und meint, es auch ohne uns weit genug gebracht zu haben. Uns Apostel dagegen hat Gott, wie mir scheint, zu den Geringsten aller Menschen gemacht. Als wären wir zum Tode bestimmt, sind wir für aste Menschen ein Schauspiel geworden. Wir wurden Toren um des Herrn Christus willen, Ihr bringt es fertig, auch in Eurem Christenstande die klugen Leute zu sein. Wir wurden als Christen schwach, Ihr stark, — wir verachtet, Ihr berühmt. Bis zu dieser Stunde leiden wir Hunger und Durst, äußeren Mangel, Mißhandlung und Obdachlosig­ keit. Man schmäht uns — wir segnen; man verfolgt uns — wir bleiben geduldig; man verleumdet uns — wir trösten. Gradezu zum Abschaum der Welt, zum allgemeinen Auswurf hat man uns gemacht bis heute. Nicht Euch zu beschämen, schreibe ich das, sondern Euch zu ermahnen als meine geliebten Kinder. Wenn Ihr auch tausend geistliche Führer hättet, so habt Ihr doch nur einen geistlichen Vater. Denn ich habe Euer Christen­ tum erzeugt durch das Evangelium. Darum ermahne ich Euch: werdet meine Nachfolger. Wenn aber etliche unter Euch sind, die großsprecherisches Wesen mit ihrem Glauben zu vereinigen wissen, die mögen sich sagen lassen: das Reich Gottes besteht nicht in Worten, sondern in Kraft. II. Nun, Ihr seid begnadigt, Ihr seid sittlich ge­ reinigt und erneuert, vorausgesetzt, daß Ihr den Namen des Herrn Jesus Christus im Glauben anruft und vom Geist unseres Gottes Euch erfüllen laßt. Aber wißt Ihr nicht, daß auch schon ein wenig Sauerteig den

26 ganzen Teig versauert? Darum fegt den alten Sauer­ teig aus, damit Ihr nicht mehr verfüttert seid, was Euch Gott ja durch die Dahingabe des Herrn Jesus Christus ermöglicht hat. Denn auch wir haben ein Osterlamm, das ist Christus, der sich für uns opferte. So feiert denn Eure Feste nicht mit altem Sauerteig, dem Wesen der Bosheit und Schlechtigkeit, sondern mit unversäuertem Teig, dem Wesen der Lauterkeit und der Wahr­ heit. Irrt Euch nicht. Weder Unzüchtige noch Ehe­ brecher, weder Räuber noch Geizige, weder Trunkenbolde noch Lästerer werden das Reich Gottes ererben. Besonders aber mahne ich Euch noch: flieht die Hurerei. Alle andere Sünde, die der Mensch tut, bleibt außerhalb des Leibes; wer aber Hurerei treibt, der zieht den eigenen Leib mit in die Sünde hinein. Wißt Ihr denn nicht, daß Euer Leib ein Tempel des heiligen Geistes ist, der in Euch wohnt? Ihr habt ihn von Gott, sodaß Ihr keine freie Verfügung über ihn besitzt. Wißt Ihr nicht, daß Eure Leiber Glieder des Herrn Christus sind? Sollte ich nun die Glieder des Herrn nehmen und zu Gliedern der Hure machen? Das weisen wir doch weit von uns. Oder ist es nicht so, daß, wer sich der Hure hingibt, mit ihr ein Leib wird? Wir sollen aber, indem wir dem Herrn anhangen, mit ihm ein Geist werden. Ihr seid teuer erkauft. Darum verherr­ licht Gott nicht nur mit Eurem Geiste, sondern auch mit Eurem Leibe, welche beide sind Gottes Eigentum. In der Ehe aber gewähre der Mann seiner Frau den ehelichen Umgang, und ebenso das Weib seinem Mann. Denn der Leib des Weibes ist zur vollen Auswirkung auf die Ergänzung durch den Mann angewiesen, und ebenso ist der Leib des Mannes auf die Ergänzung

27 durch das Weib angelegt. So verweigere denn nicht einer dem anderen die Erfüllung der ehelichen Pflicht; es sei denn, daß beide überein gekommen sind, eine Zeit lang sich einander nicht hinzugeben. Im übrigen sage ich, liebe Brüder und Schwestern: die Zeit ist kostbar. Darum: wer in der Ehe lebt, lasse sich nicht von der Ehe gefangen nehmen; und wer traurig ist, lasse sich nicht von der Trauer, — und wer sich freut, lasse sich nicht von der Freude ganz hinnehmen; und wir alle, die wir mit der Welt verkehren, sollen uns nicht vom Weltleben gefangen nehmen lassen. Es ist mir alles erlaubt, aber es ist nicht alles zuträglich. Es ist mir alles erlaubt, aber es soll nichts über mich Gewalt bekominen. III. Wir wissen, daß es viele sittlich bedeutungslose Gebiete gibt, in denen der Christ völlige Freiheit hat zu tun und zu lassen, was er will. Diese Freiheitser­ kenntnis macht aber leicht hochmütig, wenn sie nicht be­ gleitet ist von der Liebe, die auf den anderen Rücksicht nimmt. Manchen dünkt dies Recht auf Freiheit die höchste Weisheit. In Wahrheit weiß ein solcher nichts in der rechten Weise. Erst wenn man sich von der Liebe zu Gott leiten läßt, hat man den Anfang der Weisheit. Es gibt also Dinge, die in sittlicher Be­ ziehung ganz gleichgültig sind. Tun wir sie, so sind wir darum nicht besser; tun wir sie nicht, so sind wir darum nicht schlechter. Es haben aber nicht alle diese freie Auffassung. Denn einige machen sich noch aus solchen Nebensächlichkeiten ein Gewissen. Seht darum zu, daß Eure Freiheit nicht diesen sittlich Schwachen ein Anstoß zur Sünde werde. Wenn Du nämlich mit Deiner besse­ ren Erkenntnis, daß der Christ in Äußerlichkeiten nach freiem Belieben handeln darf, vor den Augen eines in

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sittlicher Beziehung Schwachen etwas tust, was dieser noch für Sünde hält, wird er nicht dadurch verleitet, dasselbe zu tun, was für ihn dann aber gegen das Ge­ wissen ist? So kann Dein freier Standpunkt den sitt­ lich Unfreien in Gefahr bringen, daß er ins Verderben stürzt, und es ist doch Dein Bruder, um dessenwillen Christus gestorben ist. Wenn Ihr so an den Mit­ christen sündigt und ihr schwaches Gewissen verletzt, so sündigt Ihr geradezu an Christus. Darum, wenn irgend etwas, was ich vor Gott ruhig tun dürfte, meinen Nächsten im Gewissen beschweren würde, so wollte ich lieber auf mein Recht, in sittlich erlaubten Dingen mir volle Freiheit zu gewähren, mein Leben lang verzichten, als meinem christlichen Bruder ein Ärgernis geben.

Dürfte ich mir nicht auch Freiheiten herausnehmen? Ich bin doch ein Apostel und habe unseren Herrn Jesus gesehen. Hätte ich da z. B. nicht ebenso wie die anderen Apostel ein Anrecht darauf, mir meinen Lebensunterhalt von den Gemeinden aufbringen zu lassen, damit ich frei wäre von der äußeren Arbeit des Broterwerbes? Hat doch schon der Herr angeordnet, daß die, welche an der Verkündigung des Evangeliums arbeiten, auch vom Evan­ gelium leben dürfen. Und ist es denn nicht auch nur ge­ recht, daß, wenn wir Euch in geistlicher Beziehung Gut ausgeteilt haben, wir in leiblicher Beziehung nun auch von Euch Gut einnehmen sollen? Ich aber habe von diesem Recht, mich von Euch unterhalten zu lassen, keinen Gebrauch gemacht; vielmehr leiste ich in dieser Beziehung in jeder Weise Verzicht, um nur nicht dem Evangelium des Herrn Christus ein Hindernis zu be­ reiten. Es ist mir eine Ehre, daß ich das Evangelium ganz ohne Entgelt darbiete, ohne jemand dadurch Kosten

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zu verursachen. Also die Freiheit, die ich mir als Apostel und Prediger Euch gegenüber herausnehmen dürfte, be­ nutze ich nicht. Ja, wiewohl ich von jedermann frei sein könnte, habe ich mich von jedermann abhängig ge­ macht, um nur recht viele Seelen zu gewinnen. Bei den gesetzeskundigen Juden habe ich mich auf den ge­ setzeskundigen Standpunkt gestellt, um die zu gewinnen, die auf das Gesetzliche Wert legen. Bei den gesetzes­ freien Heiden habe ich mich auf den gesetzesfreien Stand­ punkt gestellt, um die zu gewinnen, die auf das Ge­ setzliche keinen Wert zu legen brauchen. So habe ich mich auch den sittlich Schwachen gegenüber immer zu ihrem Standpunkt sittlicher Schwachheit ''herabgelassen, nm diese Unfreien ebenfalls zu gewinnen. Ich bin allen alles geworden, um von jeder Art einige für Gott zu retten. Das aber tue ich um des Evangeliums willen, nm an seinem Heil teil zu haben. Wißt Ihr nicht, daß von denen, die in der Rennbahn beim Wettlauf rennen, nur einer den Siegespreis erlangt? Als solchen Wettlauf seht Euer Leben an, in welchem jeder der erste am Ziel sein möchte Wer aber Wettkämpfer sein will, der übt Enthaltsamkeit in jeder Beziehung, und alles nur* um den Siegeskranz zu erringen, der doch verwelkt. Wie viel mehr müssen wir der Entsagung fähig sein, wo uns eine unvergängliche Krone erwartet. Ich wenig­ stens will bei meinem Lebenslauf unverwandt auf das Ziel schauen, und meinen Glaubenskampf lasse ich nicht zum Spiel werden; sondern ich nehme alle Kraft zusammen, daß ich, der ich andern predige, nicht selbst verworfen werde. Mit der christlichen Freiheit halten wir es also folgendermaßen: es ist alles erlaubt, aber es ist nicht alles zuträglich; es ist alles erlaubt, aber es ist nicht

30 alles segensreich. Jeder stelle darum das Wohl des an­ deren über seinen eigenen Vorteil. An sich ist ja keine Sache böse und darum verboten. Denn von Gott ist unsere Erde und all ihr Reichtum. Wenn aber jemand durch mein Handeln in seinem Gewissen angefochten wird, so muß ich auf mein Recht verzichten können aus Rück­ sicht auf das Gewissen des anderen. — Nicht daß ich selbst wieder unfrei werden soll. Ich brauche meine freie Stellung nicht von anderer Engherzigkeit aburteilen zu lassen. Denn solange ich noch etwas mit Dank gegen Gott genieße, warum soll ich mich deswegen als unfromm verlästern lassen? So tut nun alles, was Ihr tut, zur Ehre Gottes. Aber gebt auch niemand ein Ärgernis,

vor allem nicht der Gemeinde Gottes, gleichwie auch ich keinem Menschen in irgend welcher Beziehung zum Un­ segen werden möchte und darum nicht das tue, was mirgefällt, sondern was zum Heil der Brüder dient. Werdet meine Nachfolger, wie ich der Nachfolger des Herrn Christus bin. IV. Was die Feier des Herrnmahles angeht, so lege ich Wert darauf, festzustellen, daß, was ich Euch darüber mitteile, auf einer Überlieferung beruht, die unmittelbar auf

den Herrn zurückgeht. Nämlich: der Herr Jesus Christus nahm in der Nacht, da er verraten ward, das Brot, — dankte, brach es und sprach: „Das ist mein Leib, der für Euch gebrochen wird. Das tut zu meinem Gedächt­ nis". Desgleichen nahm er auch den Weinkelch nach dem Mahle und sprach: „Dieser Kelch ist der durch mein Blut gestiftete neue Gottesbund. Das trinkt zu meinem Gedächtnis". — So oft Ihr demnach dieses Brot eßt und diesen Wein trinkt, bekennt Ihr Euch damit zum Tode des Herrn, bis er wiederkommt.

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Der geweihte Kelch, den wir weihen, gibt der uns nicht Gemeinschaft mit dem Blute Christi? Das Brot, das wir brechen, gibt uns das nicht Gemeinschaft mit dem Leibe Christi? Weil es ein und dasselbe Brot der Weihe ist, so schließt es alle, die es genießen, zu einem Leibe zusammen. Ihr könnt nicht am Tisch des Herrn teil­ haben und zugleich am Tisch der Gottlosigkeit sitzen. Oder wollen wir dem Herrn Trotz bieten? Sind wir stärker als er? Welcher nun unwürdig von diesem Brote ißt oder von diesem Kelch trinkt, der vergeht sich am Leibe und Blute des Herrn. Jeder Mensch prüfe sich darum erst, bevor er von diesem Brote ißt und von diesem Kelche trinkt. Denn welcher unwürdig ißt und trinkt, ohne dies Mahl von anderen Mahlzeiten zu unterscheiden, wo es sich um den Genuß des Herrn handelt, der ißt und trinkt sich selbst zum inneren Gericht. Wenn wir uns selbst richten, so werden wir nicht gerichtet. Des Herrn Ge­ richte sollen uns aber zur Erziehung dienen, damit wir nicht mit den Ungläubigen verdammt werden. Vergeßt nicht, liebe Brüder, daß die Israeliten alle unter der Gnadenführung Gottes gestanden haben und alle durch ihn aus der Gefangenschaft erlöst wurden; wie jedoch Gott an der Mehrzahl von ihnen kein Wohl­ gefallen hatte, sodaß sie umkommen mußten in der Wüste. Das ist aber für uns zur Warnung geschehen, daß wir nicht Böses begehren wie jene. Seid nicht gottlos wie sie, von denen es heißt: das Volk hatte nur Sinn für Essen, Trinken und Tanzen. Noch laßt uns Unzucht treiben wie einige unter jenen, die deshalb umkamen. Noch laßt uns Gott versuchen wie einige von jenen, die deshalb umkamen. Noch laßt uns wider Gott murren wie einige von ihnen, die deshalb umkamen. Diese Geschehnisse

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sind bis auf unsre Zeit uns zur Warnung überliefert. Darum, wer sich dünkt, er stehe, der sehe zu, daß er nicht falle. Nie ist übermenschlich schwere Versuchung an Euch herange­ treten. Gott ist getreu, der wird Euch nicht versuchen lassen über Eure Kraft, sondern, wenn er die Versuchung zuläßt, den Ausgang so wenden, daß Ihr sie ertragen könnt. V. Auch über die Wirkungen des heiligen Geistes möchte ich Euch, liebe Brüder und Schwestern, Auf­ klärung geben. Schon die Heiden zieht ein blinder Geistes­ drang zu den stummen Götzen hin. Darum, wenn jemand Jesus seinen Herrn nennt, so kann er das nur in der Kraft des Geistes Gottes, wie auch derselbe heilige Geist es unmöglich macht zu sagen: verflucht sei Jesus. Nun gibt es verschiedene Gnadengaben, aber nur einen Geist, — verschiedene Dienstleistungen, aber nur einen Herrn, — verschiedene Kraftwirkungen, aber nur einen Gott, der in allen alles wirkt. Jedem wird die Gabe des Geistes verliehen, für die er sich eignet. So wird dem einen durch den Geist gegeben die Gabe des Wissens; einem anderen die Gabe der Belehrung durch denselben Geist; wieder einem die Gabe außergewöhnlicher Glaubensstärke durch denselben Geist; einem anderen die Gabe, auf den Körper heilenden Einfluß zu üben, durch denselben Geist; einem anderen die Gabe, erstaunliche Gottestaten zu verrichten;- einem anderen die Gabe, in begeisterter Rede für Gott zu zeu­ gen; einem anderen die Gabe, in religiöser Verzückung schwärmerische Laute auszustoßen. Das alles wirkt ein und derselbe Geist, einem jeden aber gibt er seine besondere Begabung. Wie der Leib eine Einheit ist und doch viele Glieder hat und all die vielen einzelnen Glieder wieder zusammen

33 den Leib in seiner Einheit bilden, so ist es auch mit dem einen Geist und dessen vielen Geistesgaben, welche die Gemeinde Christi besitzt. Wenn der Fuß spräche: weil ich nicht Hand bin, bin ich kein Glied des Leibes, wäre das richtig? Wenn das Ohre spräche: ich bin kein Auge und darum kein Glied des Leibes, wäre das nicht töricht? Wenn der ganze Leib nur Auge wäre, wo bliebe das Gehör? Wenn er ganz Gehör wäre, wo bliebe der Geruch? Wo bliebe überhaupt der Leib, wenn es nur ein Glied gäbe? Doch erst dadurch, daß viele Glieder da sind, kommt der Leib zustande, der trotz­ dem eine Einheit ist. Darum darf das Auge nicht zur Hand sagen: ich bedarf deiner nicht, oder der Kopf zu den Füßen: ich brauche euch nicht. Vielmehr auch die scheinbar nebensächlichen Glieder am Leibe sind grade notwendig. Gott hat den Leib so zusammengesetzt, daß die Glieder einträchtig für einander sorgen. Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit; und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit. Ihr aber seid der Leib des Herrn Christus und zugleich dessen Glieder je nach der dem einzelnen vom Geist Gottes verliehenen Begabung. So hat denn Gott auch in der Gemeinde die einen angestellt als Apostel, andere als Prediger, andere als Lehrer, andere als Helden der Tat, andere als Wohltäter des Leibes, andere als Meister barmherziger Liebe, andere als Größen in der Verwaltung. Alle können nicht Apostel sein, oder alle Prediger, oder alle Lehrer, oder alle Helden der Tat, oder alle Wohltäter des Leibes. Unter allen Geistesgaben aber sollt Ihr am meisten nach der trachten, geistesmächtige Gotteszeugen zu sein, waS nicht etwa mit dem unklaren Stammeln schwärmeDeckert, Briefe des N. T.

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rischer Glaubensverzückung zu verwechseln ist. Denn wer aus religiöser Verzückung heraus in stammelnden Lauten das Heilige preist, den mag wohl Gott verstehen; aber kein Mensch versteht ihn, weil er mit seinem Geiste entrückt nur Geheimnisvolles herauSbringt. Was aber der geweihte Zeuge Gottes redet, das hat auch für die Zuhörer einen Zweck und heilsamen Wert — sei es Er­ mahnung, sei es Tröstung: immer dient es zur Erbau­ ung der Anwesenden. Was einer in schwärmerischer Verzückung stammelt, mag für ihn selbst recht erbaulich sein. Es kommt aber auf die Erbauung der Gemeinde an, die nur der geistesmächtige Gotteszeuge fertig bringt. Also, sowie ein Schwärmer nicht mehr imstande ist, klare Gedanken zu geben, so redet er über die Köpfe weg in die Luft, aber nicht hinein in die Gewissen. Hat einer nun die Anlage zur religiösen Schwärmerei, so bete er wenigstens um die Fähigkeit, daß er auch erklären kann, was er mit seinen verzückten Worten gemeint hat. Denn wie soll sonst, wenn ein im Geist Verzückter z. B. in einer Versammlung ein Gebet spricht, der, welchem diese schwärmerische Eigenart etwas durchaus fremdes ist, das Amen der Zustimmung zu solchem Gebet sagen? Jenes Gebet kann wohl aus der Tiefe gekommen sein, aber die andern haben keine Erbauung davon. Ich danke meinem Gott, daß ich im stillen Gespräch mit ihm auch die heilige Verzückung kenne, wohl mehr als Ihr. Aber im Dienst an der Gemeinde will ich lieber drei Sätze sprechen, die jeder versteht und mit denen ich andere auch unterweisen kann, als hundert Sätze in einer Schwärmerei, die den Hörern unverständlich ist. Liebe Brüder und Schwestern, seid doch mit Eurem Verstände keine Kinder; an Herzenseinfalt müßt Ihr

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den Kindern gleichen; aber Euer Verständnis soll immer reifer werden. Gesetzt den Fall, die ganze Gemeinde bestände bei Euch aus verzückt stammelnden Schwärmern, müßte da nicht jeder, der als Fremder oder Ungläu­ biger Eure Versammlungen besucht, sagen, Ihr wäret von Sinnen? Dagegen, wenn alle geistesmächtige Gottes­ zeugen wären und dann käme ein Fremder oder Un­ gläubiger in Euren Kreis, so würde ihn das seiner eignen Gottesferne überführen und ihm den geheimen Zustand seines Herzens offenbar machen; und so würde er sich vor Gott beugen und bekennen, daß Gott wirk­ lich in Eurer Mitte ist. Bricht jedoch die schwärmerische Verzückung während einer Zusammenkunft so stark hervor, daß sie verlangt, sich Ausdruck zu verschaffen, so gestatte man nur zweien oder höchstens dreien dieser Art das Wort, der Reihe nach, sodaß sie nicht durcheinander­ reden, und zwar bloß unter der Bedingung, daß einer in der Versammlung ist, der zu ihren nicht allgemein verständlichen Gedanken die Auslegung geben kann. Ist dazu keiner imstande, so haben jene in der Gemeinde zu schweigen; man verwehre ihnen jedoch nicht, still vor sich hin mit Gott zu sprechen. Auch von denen, welche die Gabe haben, in klarer Begeisterung mit machtvollem Zeugnis für das göttliche Leben einzutreten, soll man nicht mehr als zwei oder drei in einer Versammlung sprechen lassen; lieber lasse man nach diesen Reden eine allgegemeine Erörterung des Gesagten folgen. Wird nun bei dieser Aussprache, während schon einer spricht, be­ merkt, daß einem anderen, der noch sitzt, etwas wie eine Erleuchtung von oben gekommen ist, so soll er alsbald das Wort haben. Der andre muß dann schweigen können, denn der heilige Zeugengeist muß auch den Gotteszeugen a*

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untertan sein. Nur wenn Ihr Macht über Euch habt, alle einzeln, nicht wirr durcheinander Worte heiligen Be­ kennens zu sprechen, kann die Gesamtheit lernen und ermahnt werden. Wer sich nun dünkt, ein mit des Herrn Geist Begnadigter zu sein, der erkenne, daß das, was ich schreibe, nicht minder „Geist des Herrn" ist. Will er es aber nicht einsehen, so lasse er es bleiben. Also, meine lieben Brüder und Schwestern, Euer ganzer Eifer muß darauf gerichtet sein, daß Ihr geist­ erfüllte Gotteszeugen werdet. Nebenbei soll man das Stammeln religiöser Verzückung nicht hindern, nur daß nichts dabei geschehe, was gegen die feine Sitte oder gegen die Selbstzucht verstößt. Denn Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens. Doch ich will Euch noch einen anderen Weg zu Gott zeigen, der hoch über alle geistliche Begabung hinausgeht. Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönen­ des Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich alle Erkenntnisse wüßte und hätte allen Glauben, also, daß ich Berge versetzte, — und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib brennen und hätte der Liebe nicht, so wäre es mir nichts nütze. Die Liebe ist langmütig und freundlich. Die Liebe ist nicht eifersüchtig und launisch. Die Liebe Prahlt nicht und das Zartgefühl verletzt sie nie. Sie sucht nicht das Ihre. Sie wird nie gereizt und trägt nichts nach. Sie freut sich nicht der Fehler des anderen, sondern er­ kennt gern auch am Gegner das Gute. Sie verträgt alles; sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.

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So hört denn auch die Liebe niemals auf, wäh­ rend doch sonst alle Geisteskräfte dahinschwinden. Denn unser Wissen ist Stückwerk und unser Reden ist Stück­ werk. Alles Unvollkommene aber ist vergänglich, weil es von dem Vollkommenen abgelöst wird. So war es mit Kindheit und Mannesalter: als ich noch Kind war, sprach ich wie ein Kind, empfand wie ein Kind, dachte wie ein Kind; als ich ein Mann geworden, war mir die Welt der Kindheit versunken. So auch sehen wir jetzt (im Diesseits) alles nur dunkel gleichsam wie im Spiegel, einst werden wir die Dinge selbst schauen; hier ist mein Erkennen ein stückweises, dort wird es die Kraft haben, mit der ich schon auf Erden von Gott erkannt bin. — Nun, es bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größeste unter ihnen. Dieser Liebe gelte Euer Streben vor allen anderen Geistesgaben! VI. Schließlich möchte ich Euch noch darüber volle Gewißheit geben, was ich als eine zuverlässige Überliefe­

rung nur bestätigen kann, daß Christus, welcher um unserer Sünde willen starb und tot im Grabe lag, am dritten Tage vom Tode auferweckt worden ist. Zuerst erschien er als der Auferstandene dem Petrus, dann allen 12 Jüngern, dann mehr als 500 Brüdern auf ein­ mal, von denen die meisten noch leben. Hernach erschien er wieder dem Jakobus allein, dann den sämtlichen Aposteln. Zuletzt von allen erschien er auch mir, der ich mich wie einen Nachgeborenen unter den übrigen Aposteln an­ sehen muß. Denn ich bin der Geringste der Apostel, nicht einmal wert, ein Apostel zu heißen, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe. Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin, und seine Gnade gegen mich ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe mehr

38 gearbeitet als sie alle, — doch nicht ich, sondern die Gnade Gottes, die mit mir ist. Ob nun jene oder ich die Auferstehung Christi predigen, jedenfalls ist sie ein­ stimmige apostolische Verkündigung, welcher die christ­ lichen Gemeinden mit Recht Glauben geschenkt haben. Wenn nun aber die Predigt von Christus doch dar­ auf hinausläuft, daß er von den Toten auferweckt ward, wie kann dann immer noch unter Euch der Zweifel auf­ tauchen, als ob es keine Auferstehung der Toten gebe? Ist ein Auferstehen der Toten überhaupt unmöglich, so wäre natürlich auch Christus nicht auferstanden. Wäre aber Christus nicht auferstanden, so wäre unsere Predigt umsonst, so wäre auch Euer Glaube umsonst, so wäre es nichts mit Eurer Erlösung, so wären verloren, die im Glauben an Christus bisher entschliefen; und wir, die wir noch in diesem Leben auf Christus hoffen, ohne daß dieser Hoffnung irgend welche Verwirklichung folgen könnte, wären die beklagenswertesten unter allen Menschen; und wir Apostel wären dann sogar gegen Gott als falsche Zeugen aufgetreten: haben wir doch — und das wäre gegen Gottes Willen gewesen — Zeugnis abgelegt, daß er Christus auferweckt hat, während er ihn in Wahrheit garnicht auferweckt hätte, wenn es ja doch überhaupt keine Auferstehung der Toten geben soll. Warum setzen wir (wir Apostel) uns dann aber noch beständiger Lebens­ gefahr aus? Täglich drohte mir der Tod, so wahr ich der Heidenapostel bin. Alles dies um einer Unwahrheit willen auf sich zu nehmen, wie unsinnig wäre das! Nein, ist's mit dem Leben nach dem Tode nichts, so sind das die rechten Prediger, die da verkünden: nur gut gegessen und gut getrunken, denn morgen sind vielleicht auch wir schon tot.

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Nun ist aber Christus wirklich von den Toten auf­ erweckt. Als erster Auferstandener hat er eine ganze Schar hinter sich, für welche ebenfalls der Tod sich in Schlaf verwandelt Hal. Denn wie ein Glied der Mensch­ heit verursachte, daß der Tod Verhängnis wurde, so ist auch ein Mensch wieder der Vermittler der Über­ windung des Todes. Wie nämlich wegen des Zusammen­ hangs mit Adam alle sterben, so werden auch in der Glaubensgemeinschaft mit Christus alle wieder lebendig gemacht werden. Dieses Ewigkeitsleben wird aber nicht auf einmal, sondern in einer geordneten Aufeinanderfolge in Wirksamkeit treten. Der Anbruch der Ewigkeit war bereits, als Christus auferweckt wurde. Eine weitere Entfaltung ewigen Lebens wird es sein, wenn bei der Wiederkunft des Herrn Jesus Christus alle Gläubigen vor ihm erscheinen. Die eigentliche Vollendung kommt aber erst, wenn Christus, der dann alle seine Feinde bis auf den letzten, den Tod, überwältigt hat, seine ganze Vollmacht als Sohn, der sich freiwillig unterordnet, in des himmlischen Vaters Hände zurücklegt, damit Gott in allen alles sei. Laßt Euch nicht um den Glauben an die Auferstehung des Herrn bringen. Schlechter Um­ gang verdirbt gute Sitten. Es fehlt Euch an der reli­ giösen Nüchternheit, wenn Ihr Euch von Leuten berücken laßt, die den Gott des Lebens garnicht kennen; das muß ich Euch zur Schande sagen. Aber, möchte man einwenden: „wie soll man sich denn die Auferstehung der Toten vorstellen? Ihr Leichnam kann doch nicht wieder auferstehen." Narr, der Du bist: der Mensch muß grade sterben, nm wieder lebendig zu werden. Was Du beim Säen in die Erde legst, ist ja auch nicht das Gebilde, was daraus später hervorgehen

40 soll, sondern nur das Samenkorn. Gott aber versteht es, aus dem Samen Dinge von ganz andrer Gestalt werden zu lassen, und zwar in der mannigfaltigsten Weise, je nach der Verschiedenheit der Samen. Es gibt eben verschiedene Stoffe und Gestaltungen in Gottes Reichtum. Und doch ist jeder Körper, der neu aus dem Acker aufsteht, der Art dessen, aus dem er geworden ist, aus das Feinste nachgebildet und entsprechend. So ist es nun auch mit der Auferstehung der Toten. Es wird gesät verweslich, es wird auferstehen unverweslich. Es wird gesät in Unschönheit, es wird auferstehen in Herrlich­ keit. Es wird gesät in Schwachheit, es wird auferstehen in Kraft. Mit einem Wort: es stirbt nur der sterbliche Körper, statt dessen wird aber auferstehen ein unsterblicher Körper. So gut es unsern gewöhnlichen Leib gibt, so gut kann es auch eine verklärte Leiblichkeit geben. Wenn nun die Schrift sagt: Der erste Adam wurde zur lebendigen Seele, so kann man von dem letzten Adam (Christus) sagen: er wurde zum lebendig machenden Geist. Aber nicht dies geistliche (unvergängliche) Leben ist das erste, sondern das niedere vergängliche. Dann erst kommt das unvergäng­ liche. Der erste Adam stammt von der Erde, der zweite Adam stammt vom Himmel. Wie der erste Adam ist, so sind die Menschen des irdischen Lebens; und wie der zweite Adam ist, so sind die Menschen des ewigen Lebens. Wie nun unser Leben das Ebenbild Adams war, so wird es auch das Ebenbild Christi werden. So sage ich denn: unser gegenwärtiger vergänglicher Körper kann natürlich nicht der Erbe der ewigen Vollendung sein, so wenig wie Verwesung und Unverwesbarkeit sich vereinigen lassen. Sondern das Verwesbare muß erst verwandelt werden in Unverwesbarkeit und das Sterbliche in Un-

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sterblichkeit. Seht, ich will Euch jetzt etwas andeuten, was auch für mich noch etwas Geheimnisvolles ist: nicht alle Menschen werden im Tode entschlafen, sondern: die beim Erscheinen des jüngsten Tages noch leben, werden in einem Augenblick jene Verwandlung erfahren, alle Toten aber werden in unverwesbarem Zustande aufer­ stehen. Wenn dann, was an uns verwesbar war, un­ verwesbar und auch der sterbliche Teil von uns unsterblich geworden ist, dann können wir jubeln: der Tod ist über­ wunden im Sieg. Tod, wo ist dein Stachel? — der Tod hat nämlich einen Stachel, der ihn so schmerzlich macht, das ist das Bewußtsein der Schuld: „ich habe ihn verdient" — Todesverdammnis, wo ist dein Sieg? Gott aber sei Dank, der uns den Sieg, selbst über den Tod, gegeben hat durch unsern Herrn Jesus Christus. — — Darum, liebe Brüder und Schwestern, werdet fest und unerschütterlich und arbeitet immer fleißiger für den Herrn. Ihr wißt ja, daß keine Mühe im Namen unsers Herrn vergeblich ist. Bezüglich einer Kirchensteuer möchte ich Euch noch den Vorschlag machen, daß an jedem Feiertag jeder von Euch etwas dafür zurücklegt, je nach seiner Einnahme. Dann brauchte man nicht erst zu sammeln, wenn für kirchliche Zwecke Geld nötig ist. Vor allen Dingen aber: wachet, steht fest tat Glauben, seid männlich, und seid stark, und laßt alles bei Euch in Liebe zugehen. Einen persönlichen Gruß an Euch schreibe ich, Paulus, noch mit eigener Hand hinzu. Wer den Herrn Jesus Christus nicht lieb hat, der ist ausgestoßen vom Heil. Die Gnade des Herrn Jesus Christus behüte Euch!

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Meine Liebe gehört allen, die mit ihm Gemeinschaft haben. Amen.

Den ersten Corintherbrief hat Paulus am (Silbe seines zwei­ jährigen Aufenthalts in Ephesus auf der dritten Missionsreise, etwa zwei Jahre nach dem Galaterbrief, also vermutlich im Jahre 56 oder 57, geschrieben. Der Brief enthält eine lose Aneinanderreihung von Erörterungen über sechs verschiedene Gebiete, die man etwa zusammenfasien könnte als: „Unveräußerliche Werte eines christlichen Gemeinwesens". I. Die rechte Wertschätzung des Gottesworts und seiner Diener. II. III. IV. V. VI.

Die sittliche Reinheit. Die christliche Freiheit. Die Würdigung des heiligen Abendmahls. Die Pflege der religiösen Geistesgaben. Das Festhalten am Auferstehungsglauben.

Viertes Schreiben des Paulus. (2. Corintherbrief.)

Paulus, durch Gottes Willen ein Apostel des Herrn Jesus, sendet den christlichen Gemeinden seinen Gruß.

Die Gnade und der Friede Gottes, unsers Balers, und des Herrn Jesus Christus geleite Euch. Gelobt sei Gott, der Vater unsers Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott alles Trostes, gelobt sei er dafür, daß er uns in all' unserer Trübsal tröstet, sodaß auch wir nun alle, die in Trüb­ sal geraten, mit dem gleichen Trost trösten können, der uns von Gott zu teil wurde. Es ist der Trost, der uns durch Christus vermittelt wird. Wie nämlich seine Leiden sich reichlich an uns wiederholen, so erfahren wir durch ihn auch eine reiche Fülle von Trost. Aller Trost aber wie alle Trübsal, die uns Aposteln widerfährt, soll unseren Gemeinden zugute kommen. Nur dieser Gedanke, daß Ihr an unserem Trost ebenso teil habt, wie an unserer Trübsal, läßt mich im Blick auf Euch guter Zuversicht sein. Denn was sollte ich es Euch verschweigen, liebe Brüder und Schwestern, daß die Trübsal in solchem Übermaß über mich herein­

brach, daß ich am Leben verzagte.

Auf alle Fragen

44 des Herzens hatte ich nur die Antwort: das ist dein Tod. So mußte es kommen, damit ich mein Vertrauen nicht auf mich setzen sollte, sondern auf Gott, der ins Leben ruft, was schon im Tode war. Er hat mich von furchtbarem Tode errettet; ihm vertraue ich, daß er mich auch ferner erlösen wird. Für meine Errettung solltet auch Ihr Gott danken, damit der Dank von mög­ lichst Vielen abgestattet wird. I. Es ist meine Ehre — und mein Gewissen bezeugt es mir —, daß ich schlicht und lauter vor aller Welt, besonders aber vor meinen Gemeinden als ein solcher mich gezeigt habe, der nichts gibt aus menschliche Weis­ heit, sondern allen Wert legt auf die Gnade Gottes. Zumal dafür, was ich den Gemeinden geschrieben habe, trete ich mit meiner ganzen Person ein. Und ich hoffe, Ihr werdet mich schließlich völlig verstehen, wie Ihr schon angefangen habt, mich zu verstehen. Oder bin ich denn etwa unaufrichtig und in meinem Reden unzuver­ lässig, sodaß man mir zutrauen dürfte, daß ein „Ja" von mir so viel wie ein „Nein" ist? Gott ist Bürge: mein Wort ist nicht „Ja" und „Nein" zugleich; so gut wie auch der Sohn Gottes, Jesus Christus, der Euch durch mich gepredigt ist, nicht Worte kannte, die „Ja" und „Nein" bedeuten. Ist er doch, Gott sei Dank, zu allen Verheißungen Gottes das göttliche Ja und und Amen in Person. Gott aber ist es, der nicht minder als Euch auch uns Apostel als Christi Angehörige bestätigt, charakterfest macht und zur Vergewisserung unserer Zugehörigkeit zu Jesus mit dem Geist der Wahr­ heit ausgerüstet hat. Wo nun der Predigt des Evangeliums von Christus sich Eure Türen aufgetan haben, wollen wir Apostel

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nicht die Herren sein über Euren Glauben, sondern nur Eure Mitarbeiter in der Auswirkung Eurer Christen­ freude; Ihr steht ja im Glauben. Der Dank gebührt Gott, der allezeit Christus zum Siege führt und den Duft seiner Erkenntnis durch uns an allen Orten offen­ bar werden läßt. Freilich, diese Christusluft, welche von uns ausgeht, wirkt nicht auf alle in gleicher Weise. Den einen ist sie ein Totengeruch, daß sie daran sterben und verderben; den anderen ist sie ein Lebenshauch, an dem sie genesen und selig werden. Und dazu, der Bringer solcher Entscheidung zu werden, — wann, nur bin ich dazu fähig? Wiederum nur, wenn ich das Wort Gottes in lauterer Gesinnung predige: nicht wie viele, die aus der Verkündigung des Evangeliums ein Gewerbe machen; sondern einzig um Christi willen wie einer, der vor Gott steht und in seinem Auftrag kommt. II. 1. Wenn ich aber dies sage und noch hinzufüge, daß ich für Euch eine Ehre bin und Ihr unser Ruhm seid, fange ich dann etwa an, mich selbst zu rühmen? Als ob ich überhaupt eines Empfehlungsbriefes an Euch bedürfte! Ihr selbst mit Eurem Christenstande seid ja mein Beglaubigungsschreiben als Apostel, von aller Welt gelesen und gekannt, das nicht mit Tinte auf Papier, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes in Euer Herz geschrieben ist. Solches Vertrauen darf ich wohl zu Gott haben um Christi willen. Aber nicht, als wäre meine Tüchtigkeit mein Verdienst und das Werk meiner Gedanken; sondern Gott hat sie mir geschenkt. Wozu er mich wie die übrigen Apostel befähigt hat, das ist jedoch das Amt eines Gottesdieners beim neuen Gottesbunde, im Gottesdienst des Geistes (Christi) und nicht mehr des Buchstabens (des Gesetzes). Und dieser

46 neue Gottesdienst ist entschieden besser als der im alten Gottesbunde. Denn der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig. Wenn nun schon dem alten Gottesdienst, der, nach dem Gesetzesbuchstaben vollzogen, nur tötlich wirken konnte, eine solche Herrlichkeit inne wohnte, daß sich auf dem Gesicht des Moses ein Abglanz derselben spiegelte, dessen Anblick die Kinder Israel, obwohl er vorüberging, nicht zu ertragen vermochten: von wieviel größerer Herrlichkeit ist dann der Gottesdienst des Gei­ stes! Und wenn das gottesdienstliche Amt, das Gesetz und Verderben zu predigen hatte, herrlich war, was für eine überschwängliche Herrlichkeit muß erst das Amt des neuen Gottesdienstes besitzen, welches Gnade und Heil predigt! Bor ihrem überwältigenden Glanze verbleicht gradezu der Glanz jener Herrlichkeit. Da wir nun bei solch großartigem Gottesdienst an­ gestellt sind, so dürfen wir allerdings mit Recht stolz auftreten und brauchen uns nicht mit dem Schleier des Geheimnisvollen zu umgeben wie Moses, der das Schwin­ den jenes Glanzes auf seinem Angesicht zu verbergen hatte, — woraus die Kinder Israel, wenn ihre Ge­ danken nicht verstockt gewesen wären, schon hätten ent­ nehmen können, daß es mit der Herrlichkeit des alten Gottesbundes bald zu Ende sein mußte. Ja, noch heu­ tigen Tages liegt in der alten Gottesoffenbarung eine Hülle auf der Herrlichkeit Gottes. Erst wenn man sich dem Herrn Christus zukehrt, so fällt diese Hülle. Denn der Herr ist der Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit (Befreiung von allen gesetzlichen Schranken der Gottesoffenbarung, welche uns ihr Bild nur verdecken). Wir nun schauen des Herrn Herrlich­ keit in unverhülltem Glanze, und von diesem strahlenden

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Bild, das sich in UNS spiegelt, geht eine Verklärung auf uns über, die uns immer mehr in seines Bildes Herr­ lichkeit hineinzieht; wie eS nicht anders sein kann, da sie ausstrahlt von dem Herrn, der Geist ist. Das ist doch ein köstliches Amt, mit dem uns Gott in Gnaden betraut hat. Und darum fort mit aller Schüchternheit. Ich habe nichts, was ich verheimlichen oder dessen ich mich schämen müßte. Feind aller Be­ trügerei, fälsche ich Gottes Wort nicht, sondern ich bin ein Zeuge der Wahrheit und stelle mich vor Gottes An­ gesicht jedem Menschen, der gewissenhaft urteilt. Solche, denen die Schönheit des Evangeliums verborgen bleibt, das können nur Ungläubige sein, welchen der Fürst der Finsternis den Sinn geblendet hat, daß kein Strahl von dem hellen Glanz der Herrlichkeit Christi, des Eben­ bildes Gottes, zu ihnen dringt. Denn Jesus Christus predigen wir, daß er sei der Herr; nicht uns selbst, die wir ja nur Eure Diener sein wollen um Jesu willen. Und der, der bei der Schöpfung sprach „es werde Licht", der hat es auch in unseren Herzen dadurch hell werden lassen, daß er uns auf dem Antlitz Christi die Herr­ lichkeit Gottes erkennen ließ. 2. Aber solchen Schatz haben wir in irdenen Ge­ fäßen, damit wir immer wieder die Erfahrung machen, daß die gewaltige Kraft in uns Gottes Kraft ist und nicht unsere eigene. Wir haben allenthalben Trübsal, aber wir ängstigen uns nicht. Ist uns jedoch bange, so verzagen wir nicht. Wir leiden Verfolgung, sind aber nicht verlassen. Wir werden unterdrückt und kom­ men doch nicht um. So tragen wir die Spuren des Sterbens Jesu stets an uns, doch nur dazu, daß auch das Leben Jesu sich an uns offenbare. Immer sind wir

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Apostel mitten im Leben dem „Tod für Jesus" ausge­ setzt, damit das Auferstehungsleben des Herrn schon Menschen des Diesseits ergreife, derart, daß, während der Tod an uns arbeitet, sein Leben an Euch (unseren Gemeinden) sich auswirkt. Denn da wir denselben Glaubensgeist haben, von dem geschrieben steht „ich glaube, darum rede ich", so wird unser Glaube zur Predigt, in dem Bewußtsein, daß, der den Herrn Jesus auferweckt hat, ebenso sicher, wie er uns auf­ erwecken wird, auch Euch, meine Gemeinden, mit uns vollenden muß. Es geschieht also alles um Euret­ willen, damit die göttliche Gnade, indem sie immer mehr Menschen dankbar macht, ihren Reichtum zeige zur Ehre Gottes. Darum werden wir nicht mutlos. Wenn auch unser äußerer Mensch sich aufreibt, so wächst doch der innere Tag für Tag. Und unsere Trübsal, welche zeitlich und leicht ist, bringt so eine ewige und über alle Maßen wertvolle Herrlichkeit hervor, wenn man wie wir nicht auf das Sichtbare blickt, sondern auf das Unsichtbare. Das Sichtbare ist vergänglich, das Unsichtbare ist ewig. Wir wissen nämlich, daß, wenn unsere irdische Leibes­ hülle der Auflösung verfällt, unserer Seele von Gott in der himmlischen Welt eine andere Behausung gestellt wird, die nicht mehr menschliches Erzeugnis ist, sondern Ewigkeitsart hat. Dabei entringt sich uns wohl der Seufzer der Sehnsucht: wir hätten gern, daß unser in­ nerer Mensch mit dieser verklärten Leiblichkeit gleich überkleidet würde (ohne den langen Prozeß des allmäh­ lichen Sterbens des äußeren Menschen in Verbindung mit den vielen sittlichen Kämpfen), wenn man nur nicht, mit ihr schon in diesem Leben angetan, dadurch erst

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recht in seiner sittlichen Blöße offenbar würde*. Ja freilich, solange unser Ich noch im irdischen Leibe wohnt, werden wir es nicht lassen können, unter dem inneren Druck zu seufzen: wir möchten nicht entkleidet, sondern überkleidet werden, das sterbliche Teil müßte einfach mit im ewigen Leben aufgehen. Gott hat es aber nun ein­ mal so geordnet (anders als wir es wünschten) und, da­ mit wir trotzdem an unserer Vollendung nicht zweifeln, hat er uns schon hier seinen Geist zum Pfande gegeben. So wollen wir denn aber auch uns immer wieder be­ ruhigen bei der Erkenntnis, daß wir, solange wir in diesem Leibe wohnen, als Christen ja in der Fremde pilgern, da wir nicht int Schauen wandeln, sondern nur im Glauben. Wir sind ruhig und geben uns damit zu­ frieden, daß wir vom Leibe scheiden müssen, um nach Hause zu kommen zu unserm Herrn. Darum, ihm zu gefallen, darein setzen wir unsere Ehre — gleichviel ob schon in der Heimat oder noch in der Fremde. Denn wir müssen alle vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden, auf daß ein jeder den Lohn empfange für das, was er im irdischen Leben getan hat, — es sei gut oder böse. Unsere Arbeit an den Seelen tun wir also in der Furcht des Herrn (nicht in unlauterer Gesinnung); Gott ist das an uns bekannt. Ich hoffe aber, daß auch Euer

*) Insofern als dann ohne solches leidensvolle Absterben, bezw. Abtöten des alten Menschen der innere Mensch fich nicht ausgestaltet hätte; hier ist eine Verschiebung des Gedankens: als „Kleid" war anfangs die irdische, beziehungsweise himmlische Leiblichkeit gedacht, während am Schluß des Satzes das „Kleid" vielmehr das sittliche Wesen des Menschen vorstellt, welches die Seele erst schmücken und zieren muß, damit fie sich sehen lassen kann, ohne sich ihrer Mängel zu schämen.

Deckert, Briefe bei N. T.

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50 sittliches Empfinden mir dieses Zeugnis nicht verweigern wird. Ich kann es durchaus nicht als Selbstempfehlung und Eigenlob gelten lassen, wenn ich von der christlichen Gemeinde erwarte, daß Ihr gegenüber den vielen gegne­ rischen Weltbeglückern, die so großsprecherisch auftreten, ohne innerlich etwas wert zu sein, mit dem stolzen Rühmen Eurer Apostel nicht zurückhaltet. HI. Überhaupt lebe ich nur noch für Gott und für

Euch. Für Gott — daher die Begeisterung, die mich fortreißt. Für Euch — das gibt mir bei alledem die maßvolle Nüchternheit. Denn die Liebe zum Heiland drängt mich dazu, nichts mehr zu meinen Gunsten zu tun. Ich verstehe das „Einer ist für alle gestorben" so, daß folglich alle gestorben sind. Das heißt: er ist für alle gestorben, damit diese in ihrem Leben, das ihnen bleibt, ihrem Selbst und Eigenwillen absterben und nur noch dem leben, der für sie gestorben und auferweckt ist. Darum sollen wir aber als Christen auch niemand mehr der gewöhnlichen Beurteilung unterziehen, nach dem äußeren Augenschein; wie selbst von Christus mir das nicht die rechte Kenntnis gegeben hat, daß ich seine leib­ liche Erscheinung gekannt habe. Also: ist jemand in Christus, so ist er ein neuer Mensch; das Alte ist ver­ gangen, siehe, es ist alles neu geworden. Das alles aber geschieht von Gott, der uns mit sich durch Jesus Christus versöhnt und uns das Amt gegeben hat, das die Versöhnung predigt. Gott war es, der in der Per­ son Christi die Welt mit sich selbst aussöhnte, indem er ihnen ihre Sünden nicht anrechnete, und unter uns aufgerichtet hat das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott ermahnt durch uns; wir bitten demnach an Christi Statt:

51 laßt Euch versöhnen mit Gott. Denn den, der von keiner Sünde wußte, hat Gott für uns zum Opfer der Sünde werden lassen, damit wir durch ihn die Frömmigkeit erlangten, die vor Gott gilt. IV. Wir ermahnen Euch aber auch als Eure Mit­ arbeiter, daß Ihr die Gnade Gottes nicht vergebens Euch geschenkt sein laßt. Wenn es heißt „Zur rechten Zeit habe ich Dich erhört; ein Tag des Heils, an dem ich Dir geholfen", so seht: jetzt ist die rechte Zeit, heute ist der Tag des Heils. Laßt uns niemand ein Ärger­ nis geben, damit unser Christenstand nicht zu Spott werde. Vielmehr auf jede Art wollen wir uns als Diener Gottes erweisen: in Trübsal, in Not, in Angst; in Gefangenschaft, in Aufruhr, unter Mißhandlung; in Mühsal, schlaflosen Nächten und Entbehrung; durch große Geduld und Langmut, durch Herzenseinfalt und Gottvertrauen, durch Freundlichkeit und lautere Liebe; mit heiligem Geist und dem Wort der Wahrheit, mit der Kraft Gottes und den Waffen des Glaubens zum Angriff und zur Verteidigung; bei Ehre und Schande, bei böser wie guter Nachrede; als die angeblichen Ver­ führer und doch wahrhaften Führer, als die Unbekann­ ten und doch Bekannten; als die Mißhandelten und doch nicht Getöteten, als die Sterbenden und siehe: wir leben; als die Traurigen und trotzdem allezeit Fröhlichen, als die Armen und die doch viele reich machen, als die nichts haben und doch alles haben. O Ihr Christen, mein Herz hat sich Euch weit auf­ getan. Ich bin nicht verschlossen gegen Euch, seid Jhr's auch nicht gegen mich. Laßt mich zu Euch sprechen wie zu meinen Kindern: „Zieht nicht am selben Joch mit den Ungläubigen". Denn was hat das Recht mit dem

52 Unrecht gemein oder das Licht mit der Finsternis oder Gott mit den Götzen? Ihr aber seid der Tempel des lebendigen Gottes, da ja Gott gesagt hat: „Ich will unter ihnen wohnen und unter ihnen wandeln, ich will ihr Gott sein und sie sollen mein Volk sein. Aber Ihr müßt auch die Gottlosen meiden und Euch von ihnen scheiden und dürft keine Berührung haben mit dem Unglauben; nur so kann ich Euch zu Söhnen und Töchtern annehmen und Euer Vater sein, spricht der Herr, der Allherrscher" Da wir nun solche Verheißungen haben, Ihr Lieben, so laßt uns von aller Befleckung des Fleisches und Geistes uns reinigen und fortfahren, uns dem Herrn zu weihen voll Gottesfurcht. Verschließt meinen Worten Eure Herzen nicht. Ich rede nicht, um zu verurteilen. Habe ich es ja doch schon gesagt, daß ich meinen Ge­ meinden herzlich ergeben bin auf Tod und Leben. Ich habe großes Vertrauen zu ihnen. Und daher habe ich Trost die Fülle, Freude im Überfluß trotz aller meiner

Trübsal. Wenn ich so durch die Länder zog, wie wenig fand ich doch Ruhe, aber wieviel Aufregung. Draußen Kampf, im Innern Furcht. Aber Gott, der gerade die Gedrückten gern tröstet, der tröstete auch mich. Als er mich nämlich sehen ließ das Verlangen, die Reue, den Eifer mancher Gemeinden, da konnte ich mich nur noch freuen. — Wenn ich nun auch mal eine Gemeinde be­ trüben mußte, so reut mich das nicht. Gewiß tat es mir an sich leid, daß sie betrübt war; aber als sie durch ihre Betrübnis zur Reue kam, da mußte ich mich freuen. Das war ja die göttliche Traurigkeit, sodaß ich mir nicht den Vorwurf machen mußte, ihr irgend welchen Schaden zugefügt zu haben. Denn die göttliche

53 Traurigkeit wirkt eine Reue zum Heil, die niemand reut; die Traurigkeit der Welt aber wirkt den Tod. V. Was nun die christliche Gemeindesteuer betrifft, so ist diese nicht geradezu als ein Auftrag gemeint. Wohl aber gebe ich Euch den Rat, im allgemeinen Wett­ eifer des Schenkens Eure Liebe zu erproben, ob sie rechter Art fei. Denn Ihr wißt von der Gnade unsers Herrn Jesus Christus, daß, ob er wohl reich war, er doch arm ward um Euretwillen, damit Ihr durch seine Armut reich würdet. Ihr sollt keineswegs etwa Euch selbst in drückende Verhältnisse bringen, um anderen abzugeben, sondern es soll nur in der Weise ein Aus­ tausch der Gaben stattfinden, daß Ihr von dem, was Ihr jetzt über das Nötige hinaus besitzt, dem Mangel anderer aufhelft, und wiederum der Überfluß anderer

Euch zu Hilfe komme, wenn Euch etwas fehlt. Es soll nur ein Ausgleich zwischen Arm und Reich her­ gestellt werden durch die Liebe. Über seine Verhältnisse ist keiner zu geben verpflichtet. Auf den guten Willen kommt es nur an. Im übrigen ist jede Gabe will­ kommen. Es wird nicht mehr verlangt, als was einer entbehren kann. Doch merkt Euch: wer kärglich sät, wird auch kärg­ lich ernten; und wer reichlich sät, wird auch reichlich ernten. Immerhin, jeder gebe so, wie es das Herz ihm eingibt; nur nicht mit Unlust oder aus Zwang; denn einen fröhlichen Geber hat Gott lieb. Der aber dem Sämann den Samen schenkt und das Brot zur Speise, der wird auch Euch Euer Saatgut (die Mittel zur Liebes­ tätigkeit) geben und es wachsen lassen zu Früchten der Frömmigkeit. Wenn nun Gott feinen Segen im reichen Maße über Euch ausschüttet, daß Ihr nicht nur stets

54 in jeder Hinsicht vollständig genug habt, sondern auch noch etwas übrig behaltet, so werdet Ihr auch reichlich die Mittel haben zu jeder Art von christlicher Liebes­ tätigkeit, welche nicht nur den mancherlei Notständen in den Gemeinden abzuhelfen bestimmt ist, sondern auch zur Verherrlichung Gottes dient als der Beweis, daß das Bekenntnis zum Evangelium nicht ohne mildtätige Liebe sein kann. Gott aber sei Dank für seine unaus­ sprechliche Gabe. VI. Mein Eifer um Euch ist heiliger Eifer. Denn dazu habe ich die Gemeinden dem Herrn Jesus zuge­ führt, damit sie in lauterer Treue sein Eigentum bleiben. Ich fürchte aber, da ja seit alters die Verführung in der Welt herrscht, daß Euer Herz leicht verdorben werden kann und abzubringen ist von dem einfältigen Glauben an Christus. Ihr könnt es ruhig ertragen, wenn da irgend einer herkommt und Euch Jesus als einen ganz anderen predigt, als ich ihn gepredigt habe; Ihr laßt Euch mit einem Geiste erfüllen, der dem Geist meiner Worte fremd ist; Ihr lauscht dem Evangelium der Aller­ weltsapostel, das doch so anders ist als das Evangelium Christi. Das alles laßt Ihr Euch bieten. Nun denn: da ich meine, es mit diesen „hervorragenden" Aposteln noch aufnehmen zu können und an Erkenntnis, von der ich Euch ja Proben abgelegt habe, nicht hinter ihnen zurückzustehen, so könnt Ihr Euch auch einmal gefallen lassen, was ich zu sagen habe. Habe ich Fehler gemacht? Es müßte denn das ein Fehler sein, daß ich mir das Leben erschwerte, um es den Gemeinden leicht zu machen, in­ sofern ich das Evangelium Gottes ohne Gegenleistung verkündigt habe, ohne daß man für meinen Lebensunter­ halt zu sorgen brauchte. Jene aber sind Lügenapostel,

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Diener des Truges, die nur so tun, als wären sie rechte Apostel. Kein Wunder, nimmt doch selbst der Satan die Gestalt eines Engels des Lichtes an! Drum ist es auch nicht sonderbar, wenn seine Diener sich verstellen, als seien sie Diener der Wahrheit. Aber ihr Ende wird ihren Werken gleichen. Es ist zwar Torheit, sich seiner selbst zu rühmen. Wer sich rühmen will, der rühme sich des Herrn. Denn darum ist einer noch nicht tüchtig, wenn er sich selbst empfiehlt, sondern nur dann, wenn ihn der Herr emp­ fiehlt. Aber gleichwohl, wenn es einmal darauf an­ käme, sich äußerlicher Vorzüge zu rühmen, so könnte ich das auch, wohl mit mehr Recht als andere. Ich bin stolz auf meine Abstammung, daß ich zum auserwählten Gottesvolk gehöre, — stolz, ein Nachkomme Abrahams zu sein. Und, was noch mehr bedeutet: ich bin Christi Diener. Als solcher habe ich mehr gearbeitet und mehr gelitten als die meisten. Oft war ich in Todesnot, oft in Gefangenschaft, oft ein Mißhandelter. Fünfmal bin ich vor der jüdischen Obrigkeit gegeißelt, dreimal von der römischen Behörde. Einmal bin ich sogar gesteinigt, dreimal erlitt ich Schiffbruch; einen Tag und eine Nacht trieb ich in der See. Dazu alle Gefahren, die ich sonst noch auf meinen vielen Reisen zu bestehen hatte: in Stadt und Land, auf dem Meer und in der Wüste, unter Heiden und Juden und auch unter falschen christ­ lichen Brüdern. Dazu vielfach Mühen und Beschwerden, durchwachte Nächte, Hunger und Durst, Frost und Ent­ behrung. Dazu die Arbeitslast: ganz abgesehen davon, was sich sonst noch Außerordentliches zuträgt, werde ich täglich von Ansprüchen an meine Person geradezu über­ laufen, trage ich täglich die Sorge um sämtliche Ge-

56 meinten. Wo wäre einer glaubensschwach und es täte mir nicht weh? Wo würde jemandem ein Ärgernis ge­

geben und ich geriete nicht in die heftigste Aufregung? Der Gott und Vater unsers Herrn Jesus, welcher in Ewigkeit gepriesen fei, weiß, daß ich nicht lüge. Schließ­ lich sind das aber doch alles Lagen, in denen mir gerade die Unzulänglichkeit meiner Kraft bewußt wurde. Wenn ich also etwas au meiner eignen Person rühmen wollte, so würde das immer auf das Rühmen der eignen Ohn­ macht hinauslaufen. Hier müßte ich nun auch auf die Verzückungen zu sprechen kommen, in denen sich der Herr mir offenbarte, — wenn ich mich denn einmal rühmen soll, obwohl das ja nichts taugt. Ich kenne einen Menschen, einen Christen, vor 14 Jahren: der wurde — ob mit dem Leibe oder nur im Geist, ich weiß es nicht, Gott weiß es — in den Himmel entrückt. Bon dem selben Menschen weiß ich, daß er — ob mit oder ohne Leib, ich weiß es nicht, Gott weiß es — in das Paradies entrückt wurde und unaussprechliche Worte hörte, die auch nur zu wieder­ holen Sterbliche überhaupt nicht imstande sind. Diese göttlichen Offenbarungen sind in der Tat rühmenswert. Aber gerade dabei fühlte ich mich so über mein Sein hinausgehoben, daß es mir war, als wäre ich gar nicht mehr Ich. Sollte ich also an der eigenen Person etwas rühmen, so könnte es höchstens wieder meine Schwach­ heit sein. Davon könnte ich noch mehr sagen, und es entspräche der Wahrheit. Aber ich halte an mich, da­ mit mich niemand überschätzt. Und damit ich auch selbst auf die hohen Offenbarungen nicht zu stolz werde, steckt mir ein Dorn im Fleisch; Satans Engel schlägt mich mit Fäusten, damit ich mich nicht überhebe. Dreimal

57 habe ich seinetwegen den Herrn angefleht, daß er von mir weichen möchte. Aber er hat zu mir gesagt: „Laß Dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig". Meiner Schwachheit rühme ich mich darum mehr als gern, damit Christi Kraft ihre Wohnung in mir aufschlage. Ich' fühle mich wohl in solcher Schwachheit, unter Schmach, Not, Verfolgung, Angst: und das um Christi willen. Denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark. So bin ich denn auch ein Narr geworden mit meiner Rühmerei. Ihr zwingt einen ja dazu. Denn bei Euch Christen müßte das Wort Eures Apostels einfach mehr Anerkennung finden. Ich bin nicht weniger als die „hohen" Apostel des Unglau­ bens, wiewohl ich vor Gott nichts bin. — — Da habt Ihr eine Probe davon bekommen, daß der, welcher in mir redet, Christus, nicht schwächlich, sondern kräftig gegen Euch auftritt. Als er gekreuzigt wurde, da war er freilich schwach. Nun aber lebt er und in ihm die Kraft Gottes. So werden wir uns vor ihm zunächst immer gerade unserer Schwachheit bewußt; wen­ den wir uns dann aber Euch Gemeinden zu, so geht Gottes Kraft auf uns über aus der Gemeinschaft mit seinem Leben. Erprobt Euch nun selbst, ob Ihr im Glauben steht. Prüft Euch selbst; erkennt Ihr denn nicht an Euch, ob Jesus Christus in Euch lebt? Das wäre doch nur möglich, wenn Ihr gänzlich unbewährt wäret. Hoffentlich stehe ich wenigstens in Euren Augen nicht unbewährt da. Nun, wie es auch sei, ich bitte Gott, daß Ihr nichts tun möget, was zum Verderben führt. Mir ist es bei meinen Worten wirklich nicht darum zu tun, mit meiner Erprobtheit als Christ mich sehen zu lassen. Es wäre mir

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viel lieber, wenn Ihr das Gute von selbst ohne uns tätet, viel lieber, wenn Ihr in Eurem Christenstande so tüchtig würdet, daß wir dagegen als Untüchtige gelten müßten. Denn wir können ja nichts als Gegner der Wahrheit, sondern alles nur auf Seiten der Wahrheit. Darum habe ich auch, wenn ich zu einer Gemeinde kam, darüber nie einen Zweifel gelassen: ich suche nicht das Eure, sondern Euch. Sollen ja doch nicht die Kinder für die Eltern aufkommen, sondern die Eltern für die Kinder. Und so rede ich auch das, was ich Euch geschrieben habe, als Christ und vor Gott; es geschieht alles, meine Lieben, nur zu Eurer Erbauung. Ja, es freut mich, wenn ich schwach sein darf (meine Schwäche in allerlei Berufsleiden fühlen muß), damit Ihr stark werdet. Eure Vollendung im Glauben, das ist's, was ich Euch wünsche. Also, liebe Brüder und Schwestern, laßt Euch be­ lehren und ermahnen und bleibt dabei fröhlich. Pflegt die Eintracht, haltet Frieden, und der Gott der Liebe und des Friedens wird mit Euch sein. Die Gnade unsers Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes behüte Euch alle. Amen.

Den zweiten Corintherbries hat Paulus etwa ein halbes Jahr nach dem ersten, auf der dritten Miffionsreise von Macedonien aus im Jahre 56 oder 57 geschrieben, nachdem der Apostel aus Ephesus hatte fliehen müssen. Das Schreiben ist ein zart empfundener Herzenserguß über das zwischen dem Apostel Christi und der christlichen Gemeinde

59 wünschenswerte Vertrauensverhältnis, als dessen Hauptgedanke das apostolische Verlangen hervoriritt: „die völlige Hingabe des Apostels an die Gemeinde sollte auch die aufrichtige Ergebenheit der Ge­ meinde gegenüber dem Apostel zur Folge haben" — und diese müßte fich zeigen: I. im unerschütterlichen Vertrauen zu den lauteren Absichten der apostolischen Tätigkeit. II. im berechtigten Stolz aus

1. die Herrlichkeit des neutestamentlichen Gottesdienstes und den Wert der apostolischen Amtsttäger, wenngleich 2. beide jetzt noch verdunkelt werden durch die Unvollkommen-heiten des irdischen Lebens und erst in der Ewigkeit zur vollen Geltung kommen werden.

III. in der den Stolz (s. o. II) begründenten und die Lauterkeit (s. u. IV) bedingenden Nachahmung des Apostels auf dem Gebiete der Umänderung unseres Urteils aus dem falschen Urteilen nach dem äußeren Schein in das richüge nach dem inneren Wert, den wir vor Gott haben; und zwar diese Umwandlung unsers Urteils als Folge der dem Christen geschenkten Erneuerung seines ganzen Wesens. IV. in der Lauterkeit des christlichen Wandels, auch werm ste uns wie dem Apostel ein äußerlich weniger günstiges Los einbringen sollte als eine unlautere Gesinnung.

V. in der tatkräftigen, hülfsbereiten, opferwilligen Nächsten­ liebe, welche einem fröhlichen, aufrichtigen und sich innerlich reich fühlenden Herzen entspringen muß. VI. in der Überwindung der anmaßenden Ansprüche der Irr­ geister und Lügenpropheten durch die unbeirrte Herzenshingabe an die wahren Apostel, welche, jenen an Geist und Gaben und Uneigen­ nützigkeit weit überlegen, dennoch ihre Stärke darin sehen, daß sie von Gottes Gnade sind, was sie sind, und mit ihrem Eifer und ihrer Aufopferung für die Gemeinde es mehr als jene um uns ver­ dient haben, daß wir, verttauensvoll uns ihrer Autorität beugend, in Treue zu ihnen stehen. —



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Das dritte Paulusschreiben (1. Cor.) hat mit dem vierten (2. Cor.) eine gewisse Ähnlichkeit. In beiden liegt der Schwerpunkt auf der rechten Gestaltung des Gemeindelebens. Das 3. Schreiben gibt aber die darauf bezüglichen Wünsche mehr unter dem objektiven Gesichtspunkt, was vom Standpunkt des gesunden Christentums nötig ist; das 4. Schreiben dagegen stellt sich mehr auf einen sub­ jektiven Standpunkt und erwartet das, was uns zu tun bleibt, unter dem Gesichtspunkt der rechten Treue gegen den Apostel.

Fünftes Schreiben des Paulus. (Römerbrief.)

Ich, Paulus, ein Diener Jesu Christi, bin ein be­ rufener Apostel und ausersehen, das Evangelium Gottes zu verkündigen, welches er durch die Propheten in hei­ ligen Schriften längst verheißen hat. Ich meine das Evangelium von seinem Sohne, welcher seiner leiblichen Herkunft nach dem Geschlecht Davids entstammt, durch seine Auferstehung aber als machtvoller Gottessohn er­ wiesen ist, wie das der heiligen Art seines Geistes ent­ sprach, — das Evangelium von Jesus Christus, unserm Herrn, durch den ich die Gnade des Apostelamts emp­ fangen habe, um den Gehorsam des Glaubens in seinem Namen unter alle Völker zu bringen. Unter ihnen seid auch Ihr von Jesus Christus zum Heil berufen; so gilt auch Euch allen mein Gruß, Euch den Geliebten Gottes, den berufenen Christen: die Gnade und der Friede Got­ tes, unsers Vaters, und des Herrn Jesus Christus ge­ leite Euch. Vor allem danke ich meinem Gott durch Jesus Chri­ stus dafür, daß der christliche Glaube in der ganzen Welt bekannt ist. Gott, dem ich mit meinem Geist diene in der Verkündigung des Evangeliums seines Sohnes, ist

62 mein Zeuge, wie ich ohne Unterlaß allezeit in meinen Gebeten der christlichen Gemeinden gedenke. Ich fühle mich beiden verpflichtet, der gebildeten und ungebildeten Welt. Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; ist es doch eine Kraft Gottes zur Rettung für jeden, der glaubt, — für das Judentum zunächst, ebenso aber auch für die Heidenwelt. Es wird nämlich in ihm offenbart, wie man nur vor Gott bestehen kann auf dem Wege des Glaubens, wie schon geschrieben steht: „Der Fromme wird durch Glauben zum Leben kommen". I. 1. a) Eine Zornesoffenbarung Gottes ergeht ja schon längst vom Himmel über alle Gottlosigkeit und Un­ sittlichkeit der Menschen, weil sie sich gegen die Wahrheit auf­ lehnen. Denn was überhaupt von Gott erkennbar ist, ist bei ihnen bekannt; Gott hat es ihnen kundgetan. Ist doch sein unsichtbares Wesen: seine ewige Kraft und Gottheit seit der Schöpfung der Welt mit den Augen des Ver­ standes an dem Geschaffenen wahrzunehmen, sodaß sie keine Entschuldigung haben; denn trotz ihrer natürlichen Gotteserkenntnis haben sie nicht, wie es Gott zukommt, ihm die Ehre und den Dank dargebracht, sondern sie sind in ihren Gedanken töricht geworden und ihr unverstän­ diges Herz hat sich der Erleuchtung verschlossen. Sie, die sich so weise dünkten, sind solche Narren geworden, daß sie die Majestät des unvergänglichen Gottes durch Nachbildungen in Gestalt vergänglicher Menschen und Tiere entwürdigen. Darum hat sie Gott mit den Lüsten ihrer Herzen der Unzucht überlassen, daß sie selbst, aus eigenem Triebe, ihre Leiber der Schande preis­ geben. ---------Und nicht genug, sie haben auch noch die Wahrheit Gottes in Lüge verkehrt, indem sie Anbetung und Verehrung dem Geschöpf darbrachten statt dem

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Schöpfer — gelobt sei er in Ewigkeit. Darum hat sie Gott so schamlosen Leidenschaften verfallen lassen, daß die Weiber den natürlichen Geschlechtsumgang in den widernatürlichen verkehrten und ebenso die Männer den natürlichen Geschlechtsverkehr mit dem Weibe ließen und an einander, Mann an Mann, in heißer Begierde ent­ brannten — ein scheußliches Treiben. So haben sie den gebührenden Lohn ihrer Verirrung an sich selbst davongetragen.--------- Überhaupt hielten sie es nicht für

nötig, Gotteserkenntnis zu haben. Darum hat sie Gott hingehen lassen in ihrem nichtswürdigen Sinn, der nur darauf aus ist, das Ungehörige zu tun: sie sind erfüllt mit jeder Art von Unrecht, Schlechtigkeit, Bosheit, Hab­ gier, voll von Neid, Mord, Streit, Lug und Trug, sie sind verleumderische Ohrenbläser, gotthassende Frevler, stolze Prahler, Erfinder von Übeltaten, Verächter der

Eltern, sind unverständig und unbeständig, gefühllos und ohne Herz. Obwohl sie Gottes Urteil kennen, daß die, welche derartiges verüben, des Todes schuldig sind, tun sie es nicht nur, sondern empfinden sogar Freude, wenn andere es begehen. 1. d) So ist die Heidenwelt vor Gott ohne Ent­ schuldigung. Aber, ist vielleicht das Judentum von jener Zornesosfenbarung Gottes ausgenommen, weil es mit seiner fortgeschrittenen sittlichen Erkenntnis solche heid­ nischen Sünden selbstverständlich verurteilt? Nein, son­ dern mit seinem Aburteilen über andere richtet es gerade sich selbst, da es dasselbe, was es verdammt, ebenfalls be­ geht. Von ihm gilt es erst recht: es kennt den Willen Gottes, jedoch es übertritt ihn. Das bedeutet aber bei ihm in anbetracht dessen, daß es auf den Besitz des Gottesgesetzes stolz sein kann, geradezu eine Beleidigung

64 Gottes, wie denn von allen, die auf dem gesetzlichen Standpunkt des Judentums stehen, das Schriftwort sagt: „Daß der Name Gottes unter den Heiden gelästert wird, daran seid Ihr schuld". Darum kann auch der Mensch des Judentums sich nicht entschuldigen. Wir wissen ja, daß für Gottes Richterurteil, ganz der Wahrheit ent­ sprechend, einzig und allein das tatsächliche Handeln in be­ tracht kommt (abgesehen von der christlichen Begnadigung). Und da meinst Du Menschenkind, der Du das Böse an anderen verurteilst, selbst aber ganz dasselbe tust, Du würdest dem Zorngericht Gottes entrinnen? Oder verachtest Du gar den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmut? Merkst Du nicht, daß Dich Gottes Güte zur Besserung drängt? Mit Deinem Starrsinn und unbußfertigen Herzen häufst Du Dir ein übervolles Maß des Zorns, das an dem Tage über Dich herein­ brechen wird, der Gottes gerechtes Zorngericht enthüllt. Dann wird er einem jeden vergelten nach seinen Werken. Trübsal und Angst wird über jede Menschenseele kommen, die das Böse tut, über die Juden in erster Linie, aber ebenso auch über die Heiden; Herrlichkeit und Friede wird jedem zuteil, der das Gute tut, dem Juden und auch dem Heiden. Gilt doch bei Gott kein Ansehen der Person. Welche in dem Besitz des mosaischen Gesetzes waren und sün­ digten, werden durch das Gesetz verurteilt werden; denn nicht schon die Hörer des Gesetzes gelten vor Gott als Gerechte, sondern nur die Täter des Gesetzes werden als Gerechte anerkannt. Ebenso werden die, welche ohne den Besitz des mosaischen Gesetzes waren und sündigten, ohne das Gesetz verloren gehen. Das ist nicht unge­ recht. Wenn nämlich die Heiden, obwohl sie keine Ge-

65 setzesschrift haben, doch von Natur nach den Vorschriften des Sittengesetzes sich richten, so haben sie selbst ohne den Besitz einer gesetzlichen Urkunde dennoch ein Gesetz; sie bezeugen ja durch ihr natürlich-sittliches Han­ deln, daß der Gesetzesinhalt in ihren Herzen geschrieben steht, wofür (außer ihrem tatsächlichen Rechttun) auch ihr Gewissen als solches ein Zeugnis ist, sowie der Widerstreit ihrer Gedanken, welche sich unter einander verklagen und entschuldigen. Das wird sich schon zeigen an jenem großen Tage, wenn Gott richten wird, indem er alle im Menschen verborgenen Gedanken offenbar macht, und das — wie ich immer gepredigt habe — durch Jesus Christus. Hat denn aber, wenn es so steht, das Judentum als das Gott geweihte Bundesvolk vor den anderen Völkern noch irgend etwas voraus? Sehr viel, in jeder Beziehung; denn ihm sind die Offenbarungen Gottes anvertraut. An dieser Tatsache des Vorzugs Israels ändert seine Untreue Gott gegenüber garnichts. Gottes Bundestreue wird durch sie keineswegs aufgehoben; viel­ mehr wird wieder einmal deutlich: Gott hält, was er gelobt, auch wenn alle Menschen ihr Wort brechen. Und — wie das Schriftwort sagt: „Er ist im Recht mit seinem Urteil und sein Gericht ist über alle menschlichen Einwürfe erhaben". Wenn wir aber fragen: hilft dem Judentum sein Vorzug irgend etwas?, so müssen wir antworten: durchaus nichts. Haben wir ja doch oben schon klagen müssen, daß die Juden nicht weniger als die Heiden unter der Macht der Sünde stehen. Es ist wirklich, wie das Schriftwort sagt: „Niemand ist so, wie er sein soll, auch kein einziger; niemand ist so vernünftig, daß er nach Gott fragt; alle sind vom Recht abgewichen, alle sind Deckert, Briefe des N. T.

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untüchtig geworden; keiner tut Gutes, auch kein einziger. Unheil und Herzeleid, das sind ihre Wege; aber der Weg des Friedens ist ihnen fremd, und Gottesfurcht haben sie nicht vor Augen". Es ist klar, wenn die Schrift der Gesetzesosfenbarung so spricht, will sie damit gerade denen, die aus die Gesetzesoffenbarung Wert legen, etwas sagen. Auch dem Judentum soll der Mund gestopft werden, daß es keine Entschuldigung hat; und das ist die Mei­ nung: die ganze Welt ist vor Gott strafwürdig. Was die Gesetzesoffenbarung vermag, ist dies: sie wirkt Sün­ denerkenntnis. Aber noch kein einziger Mensch hat durch gesetzliche Leistungen Gottes Wohlgefallen errungen. 2. a) Nun aber hat Gott ganz ohne Verbindung mit der Gesetzesoffenbarung uns offenbart, wie wir vor ihm bestehen können. Es ist schon im „Gesetz und den Propheten" angedeutet; wir können vor Gott bestehen durch den Glauben an Jesus Christus; für alle gibt es nur den gleichen Weg des Glaubens. Denn es ist kein Unterschied unter den Menschen. Sie sind alle Sünder und es fehlt ihnen der Adel der Gottähnlichkeit, den sie haben sollten. Wenn sie nun trotzdem Gottes Wohl­ gefallen finden, so wird ihnen dieses ohne ihr Verdienst geschenkt; aus Gnaden wird es ihnen zu teil durch das Mittel der von Jesus Christus vollbrachten Erlösung. Den hat Gott vor aller Welt hingestellt als Sühnopfer für die, welche an die sühnende Kraft seines Lebens glauben; in welcher Absicht? nm einmal klar zu machen, wie man Gottes Wohlgefallen finden kann; aus welchem Grunde? weil er die früher geschehenen Sünden langmütig hatte hingehen lassen mit Rücksicht darauf, daß er erst in der durch Christus bestimmten Zeit Stellung zur Sünde nehmen wollte: das sollte seine Gerechtigkeit gegen den

67 Sünder sein, daß er ihn frei spricht, sofern er auf dem Boden des Glaubens an Jesus steht. Bei solcher Sachlage ist denn freilich jede Verdienstlichkeit ausgeschlossen. Muß doch hiernach die christliche Losung lauten: der Mensch erlangt Gottes Wohlgefallen ohne irgend welche gesetzliche Leistungen allein durch den Glauben. Sonst wäre Gott nur ein Gott der Juden. Er ist aber der Gott aller Menschen, wenn anders es nur einen Gott gibt. So wird er denn auch beide Teile der Menschheit, Juden­ tum und Heidenwelt, auf die gleiche Weise sein Wohl­ gefallen finden lassen, nämlich auf dem Wege des Glaubens. Oder stürzen wir etwa durch die Betonung des Glaubens eine alte Gottesordnung um? Im Gegen­ teil, wir verschaffen vielmehr einer alten Gottesordnung gerade Geltung: schon von „Vater Abraham" heißt es nämlich: „Wegen seines Glaubens fand Abraham Gnade vor Gott". Dürfen wir denn aber die dem Abraham gewährte Gotteshuld auch wirklich auf alle Menschen ausdehnen? Oder beschränkt sie sich nicht vielmehr allein auf Israel? Nun, wenn doch zur Zeit von Abrahams Auszeichnung durch Gottes Wohlgefallen als hierfür völlig bedeutungslos ganz verschwiegen ist, daß er der Stammvater Israels werden sollte, dagegen aller Wert darauf gelegt wird, daß er auf Grund seines Glaubens der Träger göttlichen Segens wurde: so geht daraus als Gottes Absicht klar hervor, wie Abraham zum Stammvater aller Gläubigen bestimmt war — und „glauben" kann man auch, wenn man durch das Hei­ dentum hindurchgegangen ist —, und wie solche gläubig gewordenen Heiden dann ebenso wie Abraham Gottes Wohlgefallen erlangen sollen; ja man muß so weit gehen,

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68 selbst von den Juden zu sagen: nicht schon ihre Zuge­ hörigkeit zu Israel, sondern erst ihr Wandeln in den Spuren Abrahams macht sie zu Abrahams Kindern. Auch nur so, wenn die Weiterwirkung des dem Abra­ ham verliehenen Segens nicht durch die Gesetzesoffen­ barung hindurchbraucht, kann ferner die jenem bezüglich seiner Nachkommenschaft gegebene Verheißung: „Mit Dir zusammen sollen alle Völker gesegnet werden" in Er­ füllung gehen. Denn die Gesetzesoffenbarung wird not­ wendigerweise zur Zornesoffenbarung wegen der Ge­ setzesübertretung und hebt die Segensverheißung geradezu auf. Aus diesen Gründen gilt die dem Abra­ ham geschenkte und seinen Nachkommen verheißene Gottes­ gnade der Gesamtheit derer, die desselben Glaubens sind wie Abraham, unser aller — der Gläubigen — Vater. Und so dürfen wir alles, was von Abrahams Glauben und Gottes Segen über ihn in der heiligen Schrift steht, auch auf uns beziehen. Wie auf ihm, soll auch auf uns Gottes Wohlgefallen ruhen, wenn wir glauben an den, der unsern Herrn Jesus vom Tode erweckt hat, — an den, der Jesus unsrer Sünden wegen preisgab, und ihn dann auferstehen ließ, um uns unserer Begnadigung gewiß zu machen. Dagegen, wer zu Gott im Rechtsverhältnis stehen will, kann auf Gnade nicht rechnen, sondern nach Verdienst wird er behandelt. Man muß den gesetzlichen Standpunkt ganz verlassen und sich glaubend dem anvertrauen, der den Gottlosen frei spricht, dann findet man in seinem Glauben die Selig­ keit, die schon David preist: „Selig sind, welchen die Sünde vergeben ist, denen Gott die Schuld nicht anrechnet". b) Nachdem wir nun also auf Grund des Glau­ bens begnadigt worden sind, so haben wir Frieden mit

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Gott durch unsern Herrn Jesus Christus, welchem wir die durch Glauben erlangte Zugehörigkeit zum Stande der Begnadigung verdanken; und wir sind stolz auf die göttliche Herrlichkeit, die wir erhoffen. Aber nicht allein das, sondern wir sind selbst auf die Leidenswege stolz, weil wir wissen: das Leiden bewirkt Standhaftigkeit, die Standhaftigkeit bewirkt Erfahrenheit im Leiden, die Erfahrenheit bewirkt die Hoffnung auf Überwindung des Leidens. Und diese Hoffnung läßt uns

nicht zuschanden werden, weil Gottes Liebe zu uns unser Herz erfüllt, deren wir bewußt werden durch den uns ver­ liehenen heiligen Geist. Gottes Liebe bürgt uns dafür, sage ich. Ist doch Christus für die Menschen gestorben, als sie den Zeitverhältnissen nach noch zu schwach waren, um vor Gott zu bestehen; also zugunsten Gottloser ist er ge­ storben. Sonst würde kaum einer für jemand, der sittlich einwandfrei ist, sein Leben hingeben; höchstens für eine gute Sache würde vielleicht einer es fertig bringen, in den Tod zu gehen. Gott dagegen hat die Größe seiner Liebe zu uns dadurch bewiesen, daß er Christus uns Menschen zugute sterben ließ, als wir noch unbegnadigte Sünder und mithin seine Feinde w-ren. Wievielmehr wird also Gottes Liebe im jetzigen Zustande, wo sein Wohlgefallen auf uns ruht, uns vor dem Zorngericht bewahren. Aber auch damit nicht genug, daß wir stolz sind auf ein Heil, das wir erst von der Zukunft erhoffen; auch schon der durch den Glauben neu gewonnene Zustand des Christen in der Gegenwart läßt uns frohlocken: Gott ist unser; er hat uns mit sich ausgesöhnt durch seines Sohnes Tod, in dessen Leben wir schon jetzt unser Heil finden. Also: wo die Sünde mächtig geworden ist, da ist die Gnade noch mächtiger geworden.

70 II. 1. Welche Folgerungen für unser Leben gilt es nun aus diesem göttlichen Gnadenratschluß zu ziehen? Vor allen Dingen dürfen wir nicht in mutwilligem Ver­ laß auf Gottes Gnade meinen: bleiben wir ruhig bei der Sünde, damit die Gnade zeigen kann, daß sie noch mehr vermag. Das wäre ja, als ob wir sagen wollten: „laßt uns Böses tun, damit Gutes daraus werde". Wer so denkt, ist mit Recht gerichtet. Im Gegenteil, es muß uns nicht menschenmöglich sein, noch unter der Herrschaft der Sünde zu leben! Wir müssen für alles, was ins Reich der Sünde gehört, so gut wie tot sein! Oder wißt Ihr nicht, die Ihr durch die Taufe mit Jesus Christus in Gemeinschaft getreten seid, daß Ihr dadurch in Beziehung gesetzt seid zu seinem Tode? Ja, so ist es: wir sind infolge unsrer Taufe, die in gewisser Hin­ sicht wegen ihrer Beziehung zu dem getöteten Christus eine „Todestaufe" genannt werden kann, mit ihm zu­ sammen dem alten Leben entnommen — freilich nur zu dem Zwecke, daß, gleichwie Christus durch die herrliche Macht seines Vaters vom Tode erweckt wurde, so auch wir ein neues Leben führen sollen. So wie wir nämlich mit der Eigenart seines Todes verwachsen sind, so sind wir auch verwachsen mit der Eigenart seiner Auferstehung. Die Ähnlichkeit mit der Eigenart seines Todes liegt in dem Bewußtsein: „unser alter Mensch, in welchem die Sünde die Übermacht hat, ist samt ihm gekreuzigt, damit das von der Sünde be­ herrschte Wesen vernichtet wird, sodaß uns die Sünde nicht mehr knechten kann; denn im Tode wird man frei von der Macht der Sünde." Hierzu kommt nun der Glaube, daß wir als Genossen des Todes Christi auch sein Auferstehungs­ leben ebenfalls in seiner Eigentümlichkeit teilen dürfen.

71 Diese besteht darin, daß der auferstandene Christus nicht mehr stirbt, überhaupt nie mehr der Herrschaft des Todes ausgesetzt ist. Wie der Tod auch bei ihm ein Tribut an die Sünde war und er doch, dem Wesen des Todes entsprechend, nur einmal sterben konnte, — wie ferner sein Leben Hingabe an Gott war und im Begriff des Lebens, besonders dieses dem ewigen Gott geweihten Lebens die unaufhörliche Dauer liegt: so sollt Ihr das auch von Euch gelten lassen, daß Ihr für die Sünde ein für allemal tot seid, um nun dauernd für Gott zu leben in der Gemeinschaft mit Jesus Christus. Diese Eure Einsicht werde zur Tat! Die Sünde darf nicht mehr in Euch Herr sein, Ihr dürft Euch nicht mehr dazu hergeben, der Sünde Waffen zu liefern im Kampf für das Böse; Ihr, die Ihr vom geistlichen (religiös­ sittlichen) Tode ins Leben gerufen seid, habt vielmehr Gott zur Verfügung zu stehen und Euch ihm zu weihen als Waffen in seinem Kampf für das Gute. Das müßt Ihr, weil Jhr's könnt. Denn die Vor­ aussetzungen Eures Lebens als Christen sind ganz andere geworden, Ihr steht nicht mehr auf dem Boden der Gesetzesosfenbarung, sondern auf dem Boden der Gnaden­ offenbarung. Und darum werdet Ihr erfahren, daß über Euch die Sünde die Übermacht verloren hat. Freilich

gilt es, nur nicht die Gnade auf Mutwillen zu ziehen, nur nicht sich selbst wieder freiwillig unter die Herrschaft der Sünde zurückzubegeben! Wißt Ihr denn nicht, daß, ebenso wie Gott von seinen Gläubigen, gerade auch die Gott­ losigkeit von ihren Anhängern unbedingten Gehorsam ver­ langt, sodaß es völlige Unabhängigkeit überhaupt nicht gibt, sondern Ihr nur darin die Wahl habt, wem Ihr Euch zu eigen geben wollt — der Knechtschaft der Sünde

72 oder dem Dienst Gottes! Gott sei gedankt, wenn die Sklaverei der Sünde bei Euch zur Vergangenheit gehört und Ihr in aufrichtigem Gehorsam Euch der Heilslehre in der durch mich Euch übermittelten Form der Gnaden­ lehre ergeben habt; wenn Ihr, wo Euch jetzt die Mög­ lichkeit geboten ist, von der Sünde befreit zu sein, in den Dienst der Frömmigkeit getreten seid! „Dienst der Frömmigkeit" — das ist ja nun ein von menschlichen Verhältnissen aufs Göttliche übertragener, aber nicht ganz entsprechender Ausdruck. Wegen der unserer Natur an­ haftenden sittlichen Schwäche empfinden wir nämlich die Hingabe an Gott als unfreien Dienst, dagegen das Los­ sein von Gott als Freiheit. Und doch ist Sündendienst die wahre Knechtschaft und Gottesdienst die wahre Frei­ heit. Denn was sind das für Früchte, die auf dem Boden der Sündenknechtschaft erwachsen? Solche, deren Ihr Euch schämen müßt; aus ihnen entwickelt sich der Tod. Aber die Frucht, die Ihr auf dem Boden des Gottesdienstes nach Eurer Befreiung von der Übermacht der Sünde hervorbringen könnt, ist sittliche Besserung, welche auf ein Leben von Ewigkeitswert hinausläuft. Die Sünde kann nur mit dem Tode zahlen; die Gabe aber, mit der Gott lohnt, ist „ewiges Leben", wie wir es finden in unserm Herrn Jesus Christus. Darum noch einmal: wie Ihr sonst Eure Kräfte der Unsittlichkeit und Rechts­ widrigkeit zu sklavischer Abhängigkeit ausgeliefert habt, so­ daß Ihr immer tiefer in das verstrickt wurdet, was Gott zuwider ist, so sollt Ihr nun Eure Kräfte von der Frömmig­ keit abhängig machen und sie in ihrer Hand zu Werk­ zeugen werden lassen, welche die gottgemäße Durchbildung Eurer Persönlichkeit erarbeiten. 2. Allerdings dieses Befreitsein von der uns knech-

73 tenden Übermacht der Sünde wird nur dadurch möglich,

daß wir unser Leben nicht mehr unter den Gesichts­ punkt göttlichen Rechtes, sondern unter den Gesichtspunkt göttlicher Gnade stellen. Wißt Ihr denn noch nicht, liebe Brüder und Schwestern, was eigentlich selbstver­ ständlich ist, daß jedes Gesetz seine zwingende Macht über den einzelnen verliert, sobald dieser stirbt? Ihr seid ja aber durch Eure Taufzusammengehörigkeit mit Christus gleichsam gestorben hinsichtlich aller Lebensver­ hältnisse, die keinen Zusammenhang mit ihm haben, wie auch Jesus durch seinen Tod dem ganzen äußeren Leibes­ leben entnommen wurde. Nun laßt mich einen bildlichen Vergleich mit der Ehe auf Euer Verhältnis zur Gesetzesoffenbarung anwenden. So lange der Ehemann lebt, darf dessen Frau keinem anderen sich zu eigen geben, weil sie an ihren Mann gebunden ist; sonst heißt sie mit Recht „Ehebrecherin". Ist aber ihr Mann gestorben, so ist sie frei und darf, ohne eine Ehebrecherin zu sein, einem anderen angehören. Geradeso steht es mit Euch und dem Gesetz: das Gesetz ist für Euch tot und hat für Euch seine Rechtsgültigkeit verloren. Das aber nur zu dem Zweck, daß Ihr Euch einer anderen Macht, nämlich der des vom Tode Auf­ erweckten ergebt, um nun nicht mehr im alten Zustande gesetzlichen Zwanges und Buchstabendienstes dem Tode entgegenzureifen, sondern im neuen Zustande geistiger Freiheit für einen gesegneten Gottesdienst reif zu werden. Wie sollen wir denn aber das verstehen, daß wir, um von der Knechtschaft der Sünde frei zu werden, auch von der Unfreiheit des gesetzlichen Standpunktes loskommen müssen? Das Gesetz ist doch nicht dasselbe wie „Sünde"? Das natürlich keineswegs; aber doch

74 besteht insofern eine Verbindung zwischen beiden, als das Sündenbewußtsein in mir durch das Gesetz Gottes hervorgerufen wird. Ich wüßte garnicht, was Neigung zum Bösen wäre, wenn nicht Gott das Böse ver­ boten hätte. So gewann das Böse durch das Ver­ bot also erst die Möglichkeit, Eingang bei mir zu finden, weil die Kenntnis des Bösen die Lust zum Bösen rege machte. Ohne göttliche Gesetzesbestimmung kann die Sünde nicht lebendig werden. Nun gibt es für den Menschen ein „Einst", wo er, ohne Gottes Willen zu kennen, dahinlebt. Als mir aber das sittliche Bewußt­ sein von Gut und Böse kam, da erwachte die Sünde zum Leben, und im selben Maße starb mein eigentliches Ich ab. Das Ergebnis war: das heilige Gottesrecht, welches auf mein Leben abzielte, das gerade schlug mir zum Tode aus, aber nur deshalb, weil die Sünde die ihr durch das Gebot gegebene Angrisfsmöglichkeit wahrnahm und mich betrog, indem sie es benutzte, um statt des mir zugedachten göttlichen Lebens mir den Tod zu bringen. Daher darf man sich trotz des engen Zusammenhangs zwischen Gesetz und Sünde doch das klare, die beiden grundsätzlich von einander scheidende Urteil nicht trüben lassen: Gottes Wille ist heilig, seine Gesetze sind heilig, gerecht und gut. Dieses Gottesgut war es auch nicht, das mir den Tod verursachte, sondern die Sünde. Das durfte sie, um ihr wahres Wesen zu enthüllen. Und wenn es ihr gestattet war, das Gottesrecht zu benutzen, um tätlich zu wirken, so war dabei die Absicht, daß durch das Gesetz die Sünde in ihrer ganzen Scheuß­ lichkeit und Unnatur entlarvt werden sollte. Woran liegt es aber, daß die Sünde auf der Grund­ lage des Gesetzes so leicht bei mir Eingang findet?

75 Daran liegt es, daß das göttliche Leben in mir zu schwach ist, um den Angriffen der Sünde Widerstand zu leisten. Verglichen mit dem Gesetz, von dem ich weiß, daß es göttlich ist, bin ich selbst ungöttlich, wie ver­ kauft unter die Sünde. Ich verstehe mich selbst nicht mehr. Mein Wollen und Handeln sind im Widerspruch mit einander. Das Gute, das ich will, tue ich nicht; sondern gerade das Böse, das ich verabscheue, tue ich. Wenn ich aber doch das Böse, das ich tue, nicht will, so befindet sich mein Wille ja in Übereinstimmung mit

dem guten Gotteswillen, und so zeige ich, daß es mein eigentliches Ich garnicht ist, welches das Böse verübt, sondern die Sünde. Freilich sie wohnt in mir und so stark, daß ich weiß: in mir, das heißt in meinem von der Sinnlichkeit beherrschten Ich, wohnt nichts Gutes. Der gute Wille ist da, aber die Ausführung des Guten bleibt aus. Ich finde in mir den Vorgang, der sich wie mit gesetzmäßiger Notwendigkeit immer von neuem wiederholt, daß nämlich, obwohl ich das Gute will, dennoch, so oft es auf die Tat ankommt, mir das Böse unterläuft. Mein inwendiger Mensch stimmt dem Willen Gottes mit Freuden zu. Ich sehe aber eine andere Macht in meinem niederen Ich, welche gegen den Willen des höheren Ichs streitet und mich zum Gefangenen des sündigen Willens macht, der in meinem niederen Ich herrscht. Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von diesem mein besseres Selbst immer mehr vernichten­ den Widerstreit meines Doppelichs? Jesus Christus, unser Herr, — Gott sei gedankt — gibt meinem höheren Ich die überlegene Kraft, daß, wenn auch mein niederes Ich dem Willen der Sünde unterworfen ist, das, was meine Persönlichkeit ausmacht, dennoch dem Willen Gottes

76 ient. Daher gibt es für die, welche Jesus Christus angehören, keine Verdammnis. Denn die Macht des Lebensgeistes, wie er in Jesus Christus ist, macht mich zum Herrn über die Todesmacht der Sünde. Was der Gesetzesoffenbarung unmöglich war, — worin sie sich als zu schwach erwies wegen der sinnlichen Seite unseres Lebens mit ihrer übermäßig großen Versuchlichkeit —, das ist Gott auf einem anderen Wege doch gelungen, indem er seinen Sohn zu uns sandte, und zwar um der Sünde willen eben in der unserem Leben gleichen Gestalt eines von der Sünde angefochtenen sinnlichen Daseins: die Sünde ist durch ihn gerichtet und in ihrer Macht überwunden gerade auf dem Boden der mensch­ lichen zur Sünde neigenden Sinnlichkeit. Zugleich sollte auf diese Weise das Recht der Gesetzesoffenbarung doch schließlich zur Ausführung kommen, nämlich in uns Christen, für deren Wandel nicht mehr die sinnliche, sondern die geistliche Seite unseres Wesens maßgebend sein muß. 3. So kommt es denn auf die grundsätzliche Stellung unseres Inneren an, ob in uns das sinnliche oder das geistliche Leben die Vorherrschaft hat. Entsprechend dieser Grundrichtung des Herzens wird dann unser Sinnen und Denken entweder der sinnlichen Welt des Stoffes gehören oder der übersinnlichen Welt des Geistes. Ver­ sunkensein in die sinnliche Welt des Stoffes ist Tod, das Aufgehen in der übersinnlichen Welt des Geistes ist Leben. Außerdem auch Friede; denn das Streben des niederen Ichs ist Feindschaft gegen Gott, da es sich dem Gesetz Gottes nicht unterordnet. Darum meint nur nicht, Ihr Lieben, daß Ihr der sinnlichen Seite Eures Wesens es schuldig wäret, Euch auch nach dieser Seite hin auszu-

77 • — leben. Wenn Ihr das sinnliche Leben in Euch ausge­ staltet, richtet Ihr Euch vielmehr zugrunde. Wir müssen die Triebe der Sinnlichkeit durch Geist abtöten, um zu erfahren, was „leben" heißt. Die noch im nie­ deren Ich gefangen sind, können Gott nicht gefallen. Das Merkmal aber dafür, daß nicht das niedere, sondern das höhere Ich in Euch herrscht, ist dies, ob Gottes Geist in Euch wohnt. Wer diesen göttlichen Geist Christi nicht hat, der ist überhaupt kein Christ. Lebt dagegen Christus in Euch, so wird der Leib zwar auch sterben müssen wegen der Sünde, der Geist aber bleibt lebendig, weil er Gottes Wohlgefallen hat. Wenn nun der Geist dessen, der Jesus von den Toten erweckt hat, in Euch wohnt, so wird der, der Jesus Christus von den Toten erweckt hat, auch Eure sterbliche Leiblichkeit lebendig machen, eben mittelst seines in Euch wohnenden Geistes. Denn so viele vom Geist Gottes sich bestimmen lassen, die sind Gottes Kinder. Ihr habt nicht den Geist der Knechtschaft und Furcht empfangen, sondern den Geist der Gotteskindschaft und des Gott­ vertrauens, durch welchen wir zu Gott rufen dürfen: „Vater, lieber Vater". Eben dieser Geist des Vertrauens zu Gott bestätigt es uns, daß wir Gottes Kinder sind. Kinder sind aber auch Erben. Sind wir also Kinder Gottes, so sind wir auch Gottes Erben und Miterben Christi, daß wir gleich ihm zur göttlichen Herrlichkeit er­ hoben werden sollen, wenn anders wir an seinem Leiden teilgenommen haben. Ja, wenn ich's recht bedenke: die künftige Herrlichkeit, die sich an uns offenbaren soll, muß so unermeßlich groß sein, daß im Vergleich mit ihr all die Leiden, die das gegenwärtige Leben mit sich bringt, überhaupt nicht mehr in betracht koinmen. Jst's doch,

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als ob selbst die Natur sehnsüchtig auf die Verherrlichung der Kinder Gottes wartete. Sie ist ja auch der Ver­ gänglichkeit unterworfen; ganz ohne ihr Zutun ist dieses nun einmal nach Gottes Willen so geschehen. Aber Gott hat ihr die Hoffnung gelassen, daß auch sie, die Natur, von dem Bann der Vergänglichkeit frei werden wird, um dann teilzunehmen an der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Wie sollten wir es nicht wissen, daß alle Geschöpfe bis heute mit einander seufzen und angst­ voll stöhnen. Bor allen Dingen müssen freilich auch die, welche im göttlichen Geiste das Unterpfand der zukünf­ tigen Herrlichkeit habeil, — selbst wir noch mit inner­ lichem Seufzen nach dem Empfang unseres Erbes uns sehnen und auf unseres Leibes Erlösung warten. Unser Heil ist eben an die Hoffnung geknüpft. Diese Hoffnung aber hat es mit unsichtbaren überweltlichen Dingen zu tun. Denn was ich in dieser Welt sehe, was brauche ich darauf noch zu hoffen? Wenn wir aber ein ewiges Leben, von dem jetzt noch nichts zu sehen ist, erhoffen dürfen, so kann ja unser gegenwärtiger Christenstand nichts anderes sein als ein geduldiges Warten. Steht es aber so, so fehlt es uns doch auch nicht an Hilfe, sondern der Geist Gottes nimmt sich unserer Schwachheit an. Und wenn wir nicht mehr wissen, was wir beten sollen, dann tritt eben dieser Geist für uns ein und bringt unser unausgesprochenes Seufzen vor Gott. Der aber die Herzen erforscht, der weiß, was der Geist damit meint, weil dieser ganz in Gottes Sinn handelt, wenn er für Gottes Kinder eintritt. So wissen wir denn, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum besten dienen, weil sie nach Gottes Ratschluß er­ wählt sind, das Heil zu erben. Denn welche er im

79 ewigen Ratschluß dazu ausersehen hat, denen hat er schon längst im voraus die Bestimmung gegeben, daß sie dem Bilde seines Sohnes gleichgeartet sein sollten, damit er der erstgeborene Bruder unter vielen Gottes­ kindern wäre; welchen er aber diese ewige Bestimmung gegeben hat, die hat er auch zum Heil berufen; und welche er berufen hat, die hat er auch begnadigt; welchen er aber die Begnadigung geschenkt hat, denen hat er auch die Herrlichkeit zugedacht. Was bleibt uns da noch zu sagen? Ist Gott für uns, wer kann gegen uns sein? Welcher seines eigenen Sohnes nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben: wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? Wer will die Auserwählten Gottes beschul­ digen? Gott ist hier und begnadigt! Wer will ver­ dammen? Christus ist hier, der Gestorbene oder vielmehr Auferstandene: der ist zur Rechten Gottes und tritt für uns ein. Und wollte dennoch einmal uns etwas trennen von Gottes Liebe, — etwa Trübsal oder Angst oder Ver­ folgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Gewalttat —, so überwinden wir doch das alles durch den, dessen Liebe wir erfahren haben. So bin ich denn gewiß, daß weder das Leben noch der Tod, weder Gegen­ wärtiges noch Zukünftiges, weder Höhen noch Tiefen des Daseins, noch sonst irgend welche Mächte und Gewalten, — daß eben überhaupt nichts uns zu scheiden vermag von der Liebe Gottes, wie sie uns entgegentritt in unserem Herrn Jesus Christus. III. 1. Um Israel aber ist es mir sehr leid und gräme ich mich unaufhörlich, daß es den Weg zum Heil nicht gegangen ist. So gewiß ich an Christus glaube,

80 das ist wahr! Mein durch den heiligen Geist geläu­ tertes Gewissen bezeugt es mir, daß ich nicht lüge. — Ich möchte ja lieber selbst von der Gemeinschaft mit Christus ausgeschlossen sein, wenn das denen zugute käme, die meine stammverwandten Brüder sind. Ist es doch Israel, welches ursprünglich das Recht der Gottes­ sohnschaft, die Herrlichkeit der Gegenwart Gottes, die Bundesbestätigungen, die Gesetzgebung, den Dienst am Heiligtum und die göttlichen Verheißungen sein eigen nannte; Israel mit solchen Vätern, Israel — Gott der Allerhöchste sei ewig dafür gepriesen — mit dem Christus, der ja seiner leiblichen Herkunft nach ebenfalls ihm entsprossen ist. Und dies Volk doch nun ohne Heil! Nicht als ob Gottes Wort, das ihm das Heil zu­ sprach, hinfällig geworden wäre. Denn das Israel, dem die Verheißung gilt, beschränkt sich nicht auf das Volk Israel im nationalen Sinn; ebenso wie Abrahams Nachkommen nicht schon als solche „Abrahams Kinder" sind, sondern bloß, wenn sie gleich ihm der Ver­ heißung der göttlichen Gnade Glauben schenken. Gott läßt sich eben nicht vorschreiben, wem er gnädig sein soll; sondern nach dem freien Entschluß seiner Gnade läßt er sein Erbarmen zuteil werden, wem er will. So liegt es nun nicht am Wollen oder Laufen des Menschen, sondern an Gottes Erbarmen, wenn jemand das Heil erlangt. Du Menschenkind aber, wer bist Du denn überhaupt, daß Du deswegen mit Gott rechten willst? Spricht wohl das Werk zu seinem Meister: was hast Du mich so ge­ macht? Oder kann nicht der Töpfer mit seinem Ton gerade so verfahren, wie es ihm gut scheint? Was haben wir also daran auszusetzen, wenn Gott die, denen er

81 seinen Zorn zeigen und so seinen überlegenen Willen zum Bewußtsein bringen mußte, doch mit großer Lang­ mut ertrug und überdies das seine Absicht war, an denen, die er begnadigen konnte — das sind wir Christen, welche er aus der Zahl der Juden, aber auch der Heiden be­ rufen hat —, den Reichtum seiner Herrlichkeit zu offen­ baren? Wir müssen uns nun einmal damit abfinden, daß Heiden, welche auf „Rechtbeschaffenheit vor Gott" niemals aus gewesen sind, Gottes Wohlgefallen gefunden haben, weil es auf Grund des Glaubens möglich ist, vor Gott zu bestehen; daß dagegen Israel, welches von jeher dem Ziel, in Gottes Augen gerecht dazustehen, nachjagte, dies Ziel nie erreicht hat, weil sie gleichsam von ihren Leistungen ausgingen und nicht auf den Boden des Glaubens sich stellen wollten. Das war der Stein des Anstoßes, an dem sie zu schänden wurden. 2. Meine Lieben, Israels Heil ist ein Herzenswunsch von mir und mein Gebet zu Gott. Ich kann ihnen be­ zeugen, daß sie Gottes-Eifer haben, aber in unverständiger Weise. Sie verkennen nämlich vollständig die einzig mögliche Weise, wie man vor Gott zu bestehen vermag, wenn sie in eigener Kraft ihre Rechtbeschaffenheit zustande zu bringen suchen und der Heilsordnung, nach der Gottes Wohlgefallen nur aus Gnaden verliehen wird, sich nicht fügen. Ist doch mit Christus für jede Art von recht­ licher Stellung Gott gegenüber das Ende gekommen. Ein Verhältnis zu Gott, in dem wir sein Wohlgefallen besitzen, soll es nur noch geben auf der viel breiteren Grundlage des Glaubens. Die Zeiten des Moses sind vorüber, welcher schrieb: der Mensch muß das vom Ge­ setz Geforderte leisten, wenn er vor Gott bestehen will. Heute aus dem Boden des Glaubens heißt es: Du Decker t, Briefe deS N. T.

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82 brauchst garnichts zu leisten. Tu doch nicht so, als müßte erst einer Christus vom Himmel herunter oder aus dem Reich der Toten heraufholen. Nichts ist mehr nötig als nur zu glauben. Und wie leicht ist uns der Glaube gemacht! Die göttliche Botschaft, die es zu glauben gilt, ist Dir ja so nahe gelegt; Deinem Munde ist sie geläufig, Deinem Herzen vertraut. Es ist das Evangelium, das wir predigen. Ein offenes Bekennt­ nis zu Jesus als dem Herrn, dazu der Herzensglaube, daß Gott ihn von den Toten auferweckt hat: so erlangst Du das Heil. Und zwar gilt dieser Weg des Heils für alle ohne Ausnahme, mögen sie nun Juden oder Heiden sein. Denn alle haben in Christus eben denselben Herrn, er ist auch reich genug, um allen Heil zu bringen, die ihn anrufen, — nach dem Sinne des Schristwortes: „Wer auch immer des Herrn Namen anruft, der wird Rettung finden". Sollen sie aber anrufen, so müssen sie zum Glauben gekommen sein. Sollen sie aber zum Glauben kommen, so müssen sie das Wort Gottes gehört haben. Sollen sie aber das Wort Gottes hören, so müssen Prediger des Evangeliums da sein. Sollen aber Prediger des Evangeliums zu ihnen kommen, so müssen sie eben hin­ gesandt werden, damit das Wort sich erfülle: Wie schön ist das Kommen derer, die „frohe Botschaft" verkündigen. Aber nicht alle waren dem Evangelium gehorsam. Schon Jesajas spricht das aus mit dem Seufzer: „Herr, wer schenkt unserer Predigt Glauben?" Der Glaube soll also die Folge der Predigt sein, so wie die Predigt sich herleitet von der Verkündigung Christi. Ich frage: haben sie denn nichts gehört? Sicherlich. Ist doch auf die Verbreitung der Christuspredigt die Psalmstelle an-

83 wendbar: „In alle Lande dringt ihre Stimme, bis ans Ende der Erde ihre Kunde". Ich frage wieder: haben sie sie etwa nicht verstanden? Durch Andeutungen des Moses und der Propheten hätten sie schon für die in Christus erscheinende Gottesosfenbarung vorgebildet werden können. Aber Gott selbst muß ja Israel den Borwurf machen: „Den ganzen Tag halte ich meine Hände nach einem Volke ausgestreckt, das sich nichts sagen läßt und wider­ spricht". 3. Hat denn nun Gott sein Volk verworfen? Nim­ mermehr! Ich selbst bin ja der beste Beweis dafür, der ich doch auch Israelit bin, aus Abrahams Geschlecht, aus Benjamins Stamm. Gott hat sein Volk, das seine Vorsehung sich erkoren hat, nicht verworfen. Wißt ihr nicht, was die heilige Schrift von Elias sagt, wie dieser vor Gott gegen Israel klagt: „Herr, Deine Propheten haben sie getötet, Deine Altäre gestürzt, ich allein bin übrig geblieben, und auch mir trachten sie nach dem Leben"? Aber wie lautete die göttliche Antwort? „Sie­ ben Tausend sind noch da, die ihre Knie vor Baal nicht gebeugt haben". Gerade so wie damals ist auch in der Jetztzeit ein Rest nach dem Ratschluß der Gnade von dem verstockten Israel gesondert geblieben und zum Glauben gekommen. Aber wohlbemerkt: das „aus Gna­ den" schließt hierbei jedes Eigenwerk vollständig aus; sonst wäre „Gnade" keine „Gnade" mehr. Demnach steht es so: Israel hat zwar das Gottesheil, welches es suchte, nicht gefunden. Hat auch eine kleine Auslese es erlangt, die überwiegende Mehrzahl des Volkes hat es in seiner Verstocktheit trotzdem verfehlt. Aber falsch wäre es zu sagen: es sollte an Gottes Gnadenratschluß An­ stoß nehmen, um zu Grunde zu gehen. Dagegen spricht 6*

84 schon das eine, daß Gott ihr Verfehlen werden ließ zum Anlaß für die Erlösung der Heiden, als wollte er in Israel eine heilige Eifersucht auf diese erwecken. Und hat bereits Israels Verfehlung die Welt so reich gemacht, hat der Verlust, den das Gottesreich an ihnen erlitt, diesem gleichwohl den ganzen Reichtum der Heidenvölker eingetragen: ein wieviel größerer Segen müßte dann erst davon ausgehen, wenn es in seiner Gesamtheit als Volk in das Christentum einginge. Ich muß es Euch Heidenchristen gegenüber offen aus­ sprechen: gerade wo ich Heidenapostel bin, halte ich das für das Herrlichste an meinem Amt, wenn es mir ge­ länge, Angehörige meines Volkes zu einem Wetteifer mit den Heidenchristen zu reizen und so einige von jenen zu retten. Ist der Gottesbaum Israel in seiner Wurzel (das alte Israel) heilig, so ist er es auch in seinen Zweigen (das junge Israel). Daran ändert das gar nichts, daß einige von seinen Zweigen ausgebrochen sind; auch das nicht, daß das Heidentum als ein wildes Reis auf diesen Edelstamm aufgepfropft ist und an Kraft und Saft seiner Wurzel teil bekommen hat. Deshalb dürft Ihr veredelten Zweige — Ihr Heidenchristen — noch lange nicht auf die ursprünglichen Zweige herabsehen, als wäret Ihr die eigentlichen Träger des Baumes, während Ihr doch vielmehr vom Baume getragen werdet. Und möchtest du einwenden: es sind aber doch von den früheren Zweigen welche ausgebrochen, um mir Platz zu machen, der ich nun aufgepfropft bin, — ganz recht. Aber der Unglaube war's, der jene aus dem edlen Gottesbaum herausbrach, nur der Glaube ist's, der Dich auf ihm hält. Schon die Scheu, Deinen eignen Platz zu verlieren, müßte Dich vor solchen hochmütigen

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Gedanken bewahren. Denn wenn Gott die Zweige, die von Natur auf seinem Edelstamm wuchsen, nicht ver­ schont hat, so wird er auch Dich nicht verschonen. Darum schaue Dir nur recht an die Güte und die Strenge Gottes. Die Strenge an denen, die gefallen sind; die Güte an Dir, so lange Du so bleibst, daß Dir Güte widerfahren kann; sonst wirst Du ebenfalls ab­ geschlagen werden. Jene dagegen, sofern sie nur ihren Unglauben aufgeben, werden Gottes Baum wieder ein­ verleibt werden. Denn Gott hat die Macht, sie von neuem wieder aufzupfropfen. Hat er doch sogar die, welche von Natur auf dem wilden Baum des Heiden­ tums standen, dort losgelöst und mit der Kunst seiner Liebe auf den guten Baum des Gottesvolkes verpflanzt; wievielmehr werden diese, die ihrer ganzen Geschichte nach mit der göttlichen Offenbarung verwachsen sind, auf den Platz wieder gesetzt werden, auf den sie von Hause aus gehören. So will ich es Euch denn nicht verhehlen, was gleichwohl etwas Geheimnisvolles bleibt, nämlich: die Verstockung, die über einen Teil Israels gekommen ist, wird nur so lange dauern, bis die Fülle der Heiden in das Gottesreich eingegangen sein wird; dann wird auch Israel das Heil erlangen. Nach dem zeitgeschichtlichen Gang des Evangeliums sind sie zwar Gottes Gegner, nach dem ewigen Ratschluß aber seine Freunde; denn seine Gaben und seinen Ruf nimmt Gott niemals zu­ rück. Wie nun schon die Gottwidrigkeit jener das Werk­ zeug wurde, aus Eurer einstigen Gottwidrigkeit Eure Begnadigung hervorgehen zu lassen, so muß doch erst recht Eure Begnadigung das Mittel sein können, um die jetzige Gottwidrigkeit jener auch für sie in Begnadigung

86 zu verwandeln. Bedeutete aber Israels Verwerfung die Versöhnung der Welt, was kann mit seiner Annahme bei Gott anders eintreten als der Anbruch des Ewig­ keitslebens nach diesem Todeszustande! So hat Gott die menschliche Gesamtheit unter dem Verhängnis der Widergöttlichkeit zusammengeschlossen, um alle Menschen auf ein und demselben Wege des Erbarmens zu retten. O welch eine Tiefe des Reichtums an göttlicher Weis­ heit und Erkenntnis! Wie unbegreiflich sind seine Ge­ richte, wie unerforschlich seine Wege! Wer hätte denn je des Herrn Sinn ermessen? Wer wäre sein Ratgeber gewesen? Wer hätte ihm etwas vorgestreckt, das er her­ nach zurückverlangen könnte? Gott ist ja doch von allem der Ursprung und die Kraft und das Ziel. Sein sei auch die Ehre in Ewigkeit. TV. 1. Nun ermahne ich Euch noch, liebe Brüder und Schwestern, bei Gottes Barmherzigkeit: bringt als ein lebendiges Opfer Gott Euer Leben dar, daß es ihm geweiht und wohlgefällig sei. Das wäre ein vernünftiger Gottesdienst. Euer Leben darf nicht dem der sündigen Welt gleichen, sondern muß dadurch anders gestaltet werden, daß Ihr Euren Sinn ändert und zu unter­ scheiden lernt, was Gottes Wille ist, — nämlich das Gute, das Wohlgefällige, das Vollkommene. Besonders verlange ich kraft der Gnade, die mir verliehen ist, von einem jeden Christen: niemand soll höher von sich denken als man darf, vielmehr sei jeder darauf bedacht, sich maßvoll einzuschätzen — nach dem Maß des Glaubens, welches Gott ihm zugeteilt hat. Ebenso nämlich, wie wir an ein und demselben Leibe viele Glieder besitzen, alle Glieder aber verschiedene Tätigkeit haben, so bilden wir alle zusammen eine Körperschaft in christlicher Beziehung,

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im einzelnen aber verhalten wir uns zu einander wie Glieder eines Ganzen, welche je nach der Begabung, mit der sie beschenkt sind, verschiedene, jeder seine ihm eigen­ tümliche, Gaben haben. Da haben welche die Gabe reli­ giöser Rede: die sollen sie nur soweit anwenden, wie es ihrem eignen Glaubensmaß entspricht (d. h. keine leeren religiösen Redensarten machen). Oder es hat jemand die besondere Gabe dienender Liebe. Der suche seine Gabe nicht auf anderen Gebieten. Wer Lehrbegabung hat oder die Gabe des Erziehers, der suche eben in diesem seinem Fach seine Begabung auszubilden. Die Gabe des Mitteilens hat, wer es in Herzenseinfalt tut. Eine^besondere Begabung, Barmherzigkeit zu üben, be­ sitzt, wem es eine wahre Lust ist. Und wessen Fähigkeit darin liegt, die Stellung eines Vorgesetzten auszufüllen, dem sei das an seinem Eifer anzumerken. 2. Jedermann sei aber auch der obrigkeitlichen Ge­ walt untertan. Denn es gibt keine Obrigkeit, die nicht von Gott wäre; wo sie ist, ist sie von Gott eingesetzt. Wer sich also der Obrigkeit widersetzt, der lehnt sich auf wider Gottes Ordnung. Widersetzlichkeit wird sich ihre göttliche Verurteilung zuziehen. Die Obrigkeit ist für den, der Gutes tut, kein Schrecken, sondern nur für den, der Böses tut. Willst Du also ohne Furcht vor der Obrigkeit sein, so tue, was recht ist; dann wirst Du noch Anerkennung bei ihr finden. Ist sie doch Gottes Dienerin, die Dir zum Guten helfen soll. Begehst Du aber Böses, so fürchte Dich nur; sie trägt das Schwert nicht umsonst; sie ist Gottes Dienerin auch in der Hinsicht, daß sie sein Gericht vollstrecken soll an dem, der Böses verübt. Deshalb müßt Ihr Euch ihr unterordnen, aber nicht aus Furcht vor Strafe, sondern um des Gewissens willen.

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Auch Steuern darf die Obrigkeit Euch auflegen, auch mit diesem Dienst ist sie von Gott betraut, sie tut damit nur, was ihre Pflicht ist. So gebt, was Ihr schuldig seid: Steuer, dem Steuer gebührt; Zoll, dem Zoll gebührt; und Ehrfurcht, dem Ehrfurcht gebührt. Bleibt niemand etwas schuldig. Nur mit dem Abtragen der Liebesschuld wird keiner je fertig. Wer das würde, würde ja mit der Erfüllung des Gesetzes fertig. Denn Liebe ist Erfüllung des Gesetzes Gottes. Oder was wäre das göttliche Sittengesetz denn anderes als Gebote der Liebe! Weil sie nur Gutes tut, ist die Liebe Gesetzeserfüllung. 3. So nehmt Euch auch des im Glauben Schwachen an; aber nicht um seine Gewissensbedenken zu verurteilen. Es ist einmal so, daß der eine es mit seinem Glauben vereinigen kann, bei äußeren, an sich nicht unsittlichen Genüssen alles für erlaubt zu halten, während der andere so schwach ist, daß er davon vieles als verboten ansieht. Der Freie soll den Unfreien nicht verachten, aber auch der Unfreie soll sich nicht dem Freien gegen­ über als Richter aufspielen. Gott hat ja schon geurteilt, wenn er auch den Freien in die Glaubensgemeinschaft aufnahm. Du aber, wie kannst Du Dich unterstehen, jemand herrisch zu richten, der Dein Diener überhaupt garnicht ist? Seinem Herrn, der über ihn zu richten hat, steht oder fällt er mit dem, was er tut. Mit seiner Freiheit wird er aber schon vor Gott bestehen; denn der Herr hat. die Kraft, ihn stark zu machen (daß seine Frei­ heit ihn nicht zu Fall bringt). Darum wird es wohl so bleiben, daß in den Äußerlichkeiten, die eigentlich für das

sittliche Urteil als viel zu nebensächlich garnicht in betracht kommen, der eine allerlei Unterschiede von Recht und Unrecht macht, der andere aber alles für berechtigt hält.

89 Jeder mag das halten, wie er will, wenn er nur eine feste Überzeugung hat. Ob wir aber nun einen freieren

oder einen weniger freien Standpunkt vertreten, stets müssen wir zu dieser unserer Stellung um des Herrn willen gekommen sein und unser Tun und Lassen muß im Aufblick zu Gott geschehen. Denn keiner von uns gehört sich selbst, weder mit seinem Leben, noch mit seinem Sterben. Sondern lebend und sterbend gehören wir dem Herrn. Sein sind wir tot und lebendig. Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig gewor­ den, daß er über uns im Tod und Leben Herr sei. Du aber (mit der unfreien Lebensauffassung), warum richtest Du Deinen christlichen Bruder? Oder Du (mit der freien Lebensauffassung), weshalb verachtest Du Deinen christlichen Bruder? Werden wir doch alle vor Gottes Richterstuhl gestellt werden. Und da wird feder über sich selbst und nicht über andere Gott Rechenschaft geben müssen. Darum laßt uns einander nicht mehr verurteilen. Das vielmehr sollten wir verurteilen, unseren christlichen Brüdern Ärgernis zu geben. Ich weiß es und bin gerade durch meine Gemeinschaft mit dem Herrn Jesus fest davon überzeugt worden, daß kein Ding an sich schlecht ist. Aber dem, der es für schlecht hält, wird es zu etwas Schlechtem. Wenn nun wegen einer Äußerlichkeit Dein Mitchrist durch Dein freies Benehmen verletzt wird, so wandelst Du nicht mehr der Liebe gemäß. Werde doch nicht mit irgend einer Freiheit, die Du Dir herausniinmst, zum Verderben für den, um dessen willen Christus gestorben ist. Laßt den Vorzug größerer Freiheit nicht verlästert werden, in­ dem Ihr ohne Rücksicht auf der anderen Schwächen die Freiheit durchsetzt. Die Zugehörigkeit zum Reiche Gottes

90 besteht nicht im Tun und Lassen von äußeren Dingen, sondern in der inneren Aneignung von Frömmigkeit, Frieden und heiliger Freude. Wer hiermit Christus dient, der ist Gott wohlgefällig und auch den Menschen wert. So laßt uns denn dem nachstreben, was zum Frieden und zu gegenseitiger Förderung dient. Um eines flüchtigen Genusses willen willst Du doch nicht niederreißen, was Gott aufgebaut hat. Es ist zwar alles rein. Trotzdem wird es schlecht für den Menschen, wel­ cher es mit Gewissensbedenken genießt. Besser verzichtest Du dann auf alle erlaubten Genüsse, als daß Dein Glaubensbruder daran Anstoß nimmt. Hast Du einen freien Glauben, so behalte Deine Freiheit für Dich und genieße sie vor Gott. Ein Glück ist es fürwahr, wenn wir in den Dingen, in denen wir ganz nach Belieben handeln dürfen, über die Gewissensbedenken hinaus sind. Wer jedoch bei dem Genuß, dem er sich hingibt, in Zweifel gerät, der ist damit gerichtet, weil sein Tun nicht aus dem Glauben kam. Und alles, was nicht aus dem Glauben heraus getan wird, das ist Sünde. Die aber, welche einen starken Glauben haben, haben geradezu die Pflicht, die Schwächen derer zu tragen, die im Glauben schwach sind. Wir sollen nicht nach unserm Gefallen leben, sondern jeder suche dem andern in dem Sinne zu gefallen, daß er ihm zum Heil und Segen wird. Hat doch auch Christus nicht nach seinem Gefallen gelebt. Darum nehmt Euch der anderen an, wie Christus sich Eurer Schwachheit angenommen hat. 4. So sei denn die Liebe von Christ zu Christ brü­ derlich herzlich und ehrerbietig zuvorkommend. Im christ­ lichen Eifer werdet nicht träge, sondern seid feurigen Geistes und dient Eurer Zeit. Freut Euch der Hoffnung,

91 seid geduldig in Trübsal, haltet fest am Gebet. Be­ kümmert Euch um die Notstände in der Christenheit. Die allgemeine Liebe von Mensch zu Mensch sei ohne Falsch; verabscheut das Böse, hängt dem Guten an. Pflegt die Gastfreundschaft. Freut Euch mit den Fröh­ lichen und weint mit den Weinenden. Lebt in Eintracht mit einander. Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern zu den unter Euch Stehenden ziehe es Euch hin; haltet Euch nicht selbst für klug. Laßt Euch allen Menschen gegenüber nur von edlen Absichten leiten. Ist es möglich, so viel an Euch liegt, so haltet mit allen Menschen Frieden. Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Segnet, die Euch verfolgen; segnet, aber flucht nicht. Rächt Euch nicht, Ihr Lieben, sondern überlaßt das Gericht dem Zorne Gottes. „Mein ist die Rache, Ich will vergelten", spricht der Herr! Gib vielmehr Deinem Feind zu essen, wenn er hungrig ist, — zu trinken, wenn er durstig ist. Wenn Du das tust, so wirst Du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln. Laß Dich nicht das Böse überwinden, sondern überwinde Du das Böse mit Gutem. Die Nacht ist vergangen, der Tag ist herbeigekommen! Und weil es höchste Zeit ist, daß Ihr vom Schlaf aufwacht, zumal uns das Heil jetzt schon näher ist als im Anfang unsers Glaubens, so laßt uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts. Im Bewußtsein, daß es Tag ist, laßt uns einen anstän­ digen Lebenswandel führen. Den Leib dürfen wir zwar pflegen, wenn auch nicht derart, daß er überreizt wird und böse Begierden daraus hervorgehen. Aber nichts mehr von Fressen und Saufen, nichts mehr von Unzucht und Aus­ schweifung, nichts mehr von Streit und Eifersucht! Kleidet

92 Euch vielmehr in das Wesen unsers Herrn Jesus Christus!--------Der Gott der Hoffnung und des Friedens aber er­ fülle Euer Glaubensleben mit Frieden und hoher Freude und lasse Euch in Kraft heiligen Geistes auch an Hoff­ nung reich werden. Ich bin überzeugt, liebe Brüder und Schwestern, daß Ihr den besten Willen habt und es Euch auch an der Er­ kenntnis keineswegs fehlt,. sodaß Ihr wohl imstande seid, Euch selbst unter einander zurechtzuweisen. Wenn ich gleichwohl in meinem Schreiben Euch einige Erinnerungen habe zuteil werden lassen, so glaube ich mir das heraus­ nehmen zu dürfen in Vollmacht der mir von Gott ver­ liehenen Gnade, die mich zum Diener Jesu Christi unter den Heiden bestimmt hat zu dem Zwecke, daß ich den Dienst des Evangeliums verrichtend die Heiden Gott zu­ führe als eine ihm wohlgefällige und durch heiligen Geist geweihte (Opfer-)Gabe. Dabei habe ich es für meine Ehrenpflicht gehalten, das Evangelium nicht dort zu predigen, wo der Christus-Name schon bekannt gemacht war, um nicht auf einem fremden Grunde, den ein anderer gelegt hat, weiter zu bauen; sondern ich wollte das Wort wahr machen: „Denen noch nichts von ihm verkündigt ist, die sollen ihn sehen, und die noch nichts von ihm gehört haben, sollen ihn verstehen". Ja, ich habe den Ruhm, den mir mein Wirken für Jesus Christus in Gottes Sache gibt. Den darf ich für mich wohl in Anspruch nehmen, weil ich es nie wagen werde, etwas anderes zu rühmen, als was Christus durch mich in Wort und Werk, mit der Kraft des Geistes Gottes ausgerichtet hat, um ihm die Heiden gehorsam zu machen. Ich ermahne Euch, liebe Brüder und Schwestern,

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daß Ihr Euch vor denen in acht nehmt, welche Spaltung und Ärgernis in die Gemeinde tragen, indem sie sich

in Gegensatz setzen zu der Glaubenslehre, wie Ihr sie gelernt habt; von solchen wendet Euch ab. Denn sie dienen nicht unserm Herrn Christus, sondern sich selbst und ihrem Wohlleben und verführen mit süßen Worten und schönen Reden arglose Herzen. An Euch habe ich ja nun meine Freude. Ich möchte aber auch das gern, daß Ihr die rechte Weisheit hättet, das Gute zu tun, sowie unverfälschte Lauterkeit, um das Böse zu meiden. Die Gnade unsers Herrn Jesus Christus sei mit Euch allen. Dem ewigen Gott aber, der Euch im Glauben zu stärken vermag, wie ich Euch das stets gepredigt habe, — ihm, dessen Gnadenratschluß durch Weltalter hindurch geheimnisvoll verschwiegen war, jetzt aber auf seinen Be­ fehl für alle Völker kund getan ist, um sie dem Glauben gehorsam zu machen, — ihm, dem großen Gott von einziger Weisheit, der uns durch Jesus Christus offenbar ist, gebührt die Ehre in alle Ewigkeit. Amen.

Den Römerbrief hat Paulus während seines Aufenthalts in Corinth auf der 3. Missionsreise, vermutlich Ende 57 oder Anfang 58, an die in Rom entstandene Christengemeinde geschrieben, um ihr grundlegend vor seinem erhofften eignen Dorthinkommen die Art seiner Glaubenspredigt zu übermitteln. Er untersucht in diesem Schreiben:

„Die Wahrheit des Christusglaubens"

und erweist:

94 I. als seine religiöse Grundlage — Gottes Gnade. 1. Die Gnadenoffenbarung braucht die Menschheit, a) weil ohne sie sowohl über der Heidenwelt, b) als auch erst recht über dem Volk Israel die Ge­ setzes- oder Zornesoffenbarung waltet. 2. Diesem menschlichen Bedürfnis kommt das in der Er­ lösung durch Christus wirkende Gnadengeschenk Gottes entgegen, welches a) im Lichte vorchristlicher Heilsverheißung, b) im Lichte christlicher Heilserfüllung bewachtet wird. II. als seine sittliche Folgerung — Bruch der Übermacht der Sünde. Der Erfahrung der Gnade muß die Überwindung der Sünde

folgen: 1. Das ist eine selbstverständliche, unerläßliche Notwendig­ keit, weil Sünde die Gnade ausschließt, wie Tod das Leben und Knechtschaft die Freiheit.

2. Das ist trotzdem vollständig unmöglich, wenn man die Trennung von der Sünde im buchstäblichen, gesetzlichen Sinn bis ins einzelne hinein fordert. 3. Es ist aber möglich und wird zur herrlichen Wirklichkeit, mit schönster Aussicht auf dereinstige Vollendung, wenn man die Lösung von Sünde im steten Sinn der Gnade geistig und grundsätzlich wertet als Bruch der Über­ macht der Sünde. III. als seine geschichtliche Rechtfertigung Heil beruht auf ihm.

—- auch Israels

Daß der zwischen Christen und Heiden stehende jüdische Teil der Menschheit am Christusglauben zuschanden geworden ist, ist kein Vorwurf für Gottes Gnadenwege, denn

1. Gott hat ja Anfang und Mittelpunkt seinerWnadenveranstaltung in Israel hinein verlegt. Wie er von da aus seine Pläne der Heilsvollendung entwickelt, unterliegt nicht unserer, sondern einzig seiner Entscheidung. 2. Daß Israel sich dem Christusglauben verschloffen hat, ist Israels Schuld.



3.

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Gerade der Weg der Gnade macht es auch dem Juden­ tum noch möglich, das Heil durch Glauben zu finden, was ohne diese göttliche Weisheit ausgeschloffen wäre.

IV. als seine praktische Betätigung — demütige Unterordnung und helfende Liebe.

Die sittliche Betätigung des christlichen Lebens muß stch zeigen 1. im Kreise der Glaubensverwandten,

2. dem Staate gegenüber, 3. den Glaubensschwachen gegenüber,

4. in ihrer Zusammenfaffung: als Christ, als Mensch, als Feind, als Begnadigter.

Sechstes Schreiben des Paulus. (Colofferbrief.)

Paulus, durch Gottes Willen ein Apostel des Herrn Jesus, sendet den gläubigen Christen seinen Gruß.

Die Gnade und der Friede unsers väterlichen Gottes geleite Euch! Allezeit danke ich Gott für Euren Glauben an Jesus Christus und für Eure Liebe zu den Brüdern und für Eure Hoffnung, welche die Euch verkündigte Wahrheit des Evangeliums in Euch erweckt hat. Ich höre aber auch nicht auf, Fürbitte für Euch zu tun, daß Ihr mit Gotteserkenntnis und geistlicher Ein­ sicht erfüllt werdet, um einen des Herrn würdigen Wandel zu führen und die Früchte aller guten Werke zu bringen und durch die Stärke der herrlichen Gotteskraft zu jedem Grad von Geduld und Ausdauer fähig zu sein. I. Bringt auch Ihr dem himmlischen Vater, der Euch zur Teilnahme an dem lichten Lose der Gläubigen tüchtig machte, freudigen Dank dafür, daß er Euch aus der Macht der Finsternis befreit und in das Reich seines geliebten Sohnes versetzt hat. Durch ihn erst haben wir die Erlösung — die Vergebung der Sünden —, weil er das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erste

97 aller Geschöpfe ist. Denn auf ihn zielt ab die ganze Schöpfung, der sichtbaren und der unsichtbaren Welt, alles dessen, was es nur irgend an Mächten und Ge­ walten gibt. Alles ist auf ihn hin geschaffen, er geht allem anderen vor, alles hat in ihm seinen Angelpunkt. Und er ist nun das Haupt der Christengemeinde, sie bildet seinen Leib. Und auf daß er in allem vorangehe, stellt er auch dar den Beginn des Ewigkeitslebens in der Welt als der Erste, der vom Tode erweckt ist. So hat Gottes Ratschluß die ganze Fülle des Lebens in ihm wohnen lassen, um dadurch, daß er ihn als das alle ver­ bindende Ziel hinstellte, eine allumfassende Weltaussöh­ nung zustande zu bringen und durch seinen Kreuzestod einen allgemeinen Frieden herzustellen. Auch Euch, die Ihr ihm einst entfremdet und feindlich gegenüberstandet in böser Gesinnung, hat Gott jetzt durch den Tod seines Sohnes mit sich versöhnt, um Euch heilig, untadelig und unanfechtbar vor sich hinzustellen, sofern Ihr festgegründet im Glauben verharrt und unerschütterlich dabei bleibt, alles zu erhoffen von dem Evangelium, welches ich, Paulus, verkündigt habe. Ich freue mich, daß ich meine Leiden für Euch er­ dulde und so gleichsam an meinem Teil fortführen darf das Leiden Christi für seinen Leib, das heißt für seine Gemeinde. Deren Diener bin ich geworden, nachdem mir Gott das Amt übertragen hat, den göttlichen Rat­ schluß zur Erfüllung zu bringen und das seit dem Be­ stehen der Welt dem menschlichen Bewußtsein verhüllte Geheimnis der Gnade den Gläubigen zu offenbaren, daß Gott nämlich den Reichtum dieses herrlichen Geheimnisses unter den Heiden kund machen wollte, wie auch für sie die Hoffnung aus ewiges Heil allein auf Christus ruht. Deckert, Briefe des N. T.

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Ihn verkündigen wir und wollen dabei mit unsrer Er­ mahnung und Belehrung alle Menschen erreichen, damit durch Christus jeder Mensch zur Vollendung gelange; ja für dieses Ziel mühe ich mich so sehr, daß meine Arbeit zum Kampf wird, weil Christi Kraft mich gewaltig an­ treibt. Ich möchte aber, daß alle, die mich von Angesicht nicht kennen, von diesem meinem Kampf für Gottes Ge­ meinde hören, damit sie, in Liebe vereinigt, sich gemein­ sam anspornen lassen, volles Verständnis zu bekommen für das Gottesgeheimnis „Christus", in welchem alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis verborgen liegen. Das sage ich, damit Euch niemand mit Überredungs­ künsten täusche. Wie Ihr den Herrn Jesus Christus über­ kommen habt, so bleibe er der Mittelpunkt Eures Lebens. Seid fest gewurzelt und fest gegründet in ihm und werdet in dem Glauben, wie Ihr gelehrt seid, immer gewisser und dankbarer. Seht Euch vor, daß nicht eine falsche Wissen­ schaft, welche die Naturkräfte über Christus stellt, einen Raub an Eurem Glauben begehe. Derartige Betrach­ tungen sind nutzlos und kommen auf bloße Menschen­ meinungen hinaus, der überragenden Bedeutung Christi aber werden sie in keiner Weise gerecht. Denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit in einheitlicher Zu­ sammenfassung. Und an ihm habt Ihr genug, alles, was Ihr braucht, um Gottes Wesensfülle in Euch auszu­ gestalten; an ihm, der ja alle Naturkräfte geistig über­ ragt. Eine Vergötterung der Naturgewalten ist Rückfall ins Heidentum. Dem seid Ihr doch entnommen dadurch, daß Euch — ähnlich dem Begräbnis des Herrn — die nicht durch ihn bestimmte alte Welt gleichsam im Wasser der Taufe versank und — ähnlich seiner Auferstehung — ein ganz neues Weltbild vor Euch auftauchte durch den

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Glauben an den, der jenen vom Tode erweckt hat. Da Ihr tot wart vor Sünde, hat Gott Euch dadurch neu belebt, daß er Euch, wie uns, alle Schuld schenkte: den uns verklagenden Schuldschein hat er durchstrichen, aus dem Wege geräumt und sozusagen ans Kreuz geheftet. Dort am Kreuz hat er Euch aus der Abhängigkeit aller Mächte befreit und Jesus über sie triumphieren lassen, insofern er ihm das alleinige Anrecht an Euch gab. Laßt Euch also in Eurem christlichen Bewußtsein nicht durch eine Weltanschauung verwirren, welche den Wert der Naturphilosophie überschätzt. Sie hat es höchstens mit dem Schatten des Göttlichen zu tun. Das Wesenhafte an ihm faßt sich in Christus zusammen. II. 1. Darum soll Euer Verlangen, Ihr mit Christus auferstandenen Christen, aufwärts gerichtet sein, dahin, wo Christus thront, zur Rechten Gottes. Euer Streben ziehe Euch nach oben, und nicht irdisch sei Euer Sinn. Euer neues Leben ist freilich jetzt noch mit Christus zu­ sammen in Gott verborgen. Es kommt aber die Zeit, wo Christus, der Euer Leben ist, in voller Öffentlichkeit

erscheinen wird. Dann werdet auch Ihr mit ihm herr­ lich dastehen. So legt nun von Euch ab (Bild des Kleider­ ablegens) den alten Menschen, welcher in heidnischem Wandel durch trügerische Lüste sich selbst verzehrt: Legt die Lüge ab und redet die Wahrheit, ein jeder mit seinem Mitmenschen, zumal wir unter einander die Glieder eines Ganzen bilden. — Wenn Ihr zürnt, so versündigt Euch dabei nicht! Nie darf die Sonne untergehen, ohne daß Ihr Euch wieder versöhnt habt. — Leiht auch Euer Ohr nicht dem Verleumder. — Wer gestohlen hat, stehle nicht mehr, sondern erwerbe sich mit seiner Hände Arbeit einen Besitz; dann wird er auch so viel haben, daß er selbst

100 dem Dürftigen noch geben kann. — Kein sittlich-faules Wort darf Euch über die Lippen kommen; aber wenn einer etwas Tüchtiges weiß, was dem Bedürfnis entgegen­ kommt und die Sachlage fördert, der sage es, damit er den Hörern den Nutzen auch wirklich zuteil werden läßt. — Alle Bitterkeit und alles aufgeregte Wesen, alles leiden­ schaftliche Schreien und gar Schimpfen müßte Euch un­ möglich sein. Betrübt doch nicht mit solchem Wesen Gottes heiligen Geist in Euch, welcher das Siegel unter Eure Erlösung ist, zur Bestätigung Eures Heils für den Tag seiner Vollendung. Erneuert vielmehr durch christusähnlichen Geist Euern Sinn und legt den neuen Menschen an, der nach Gott als sein Ebenbild geschaffen ist und besteht in wahrhafter Frömmigkeit und Sittlichkeit. Legt als Gottes geliebte Auserkorene an: Demut, Sanftmut, Langmut. Seid gegen einander herzlich und barmherzig. Tragt einander, und sollte einer Grund zum Tadel haben, so vergebt auch einander, weil Gott Euch ver­ geben hat um Christi willen. 2. Das alles aber tut in der Liebe. Erst wenn sie wie ein Band das ganze Leben umschlingt, kommt es zur Vollkommenheit. Darum, Ihr Männer, habt Eure Frauen lieb mit solch hingebender Liebe, wie Christus sich für die Ge­ meinde geopfert hat. Seine Liebe hat sie gereinigt durch das Bad der Taufe und ihr kraft des darin wirkenden göttlichen Wortes die Weihe gegeben, damit sie herrlich vor ihm stände, ohne Makel und ohne Fehl. In solcher aufopfernden Weise ihre Frauen zu lieben, ist Pflicht der Männer. — Sind sie ja doch wie ein Stück ihrer selbst. Wer sein Weib lieb hat, liebt damit zugleich sich selbst. Und sein eigenes Ich hat doch noch niemand jemals lieb-

101 los behandelt; vielmehr hegt und pflegt er es. In diesem Sinne steht ja auch geschrieben: der Mensch wird Vater und Mutter verlassen, um seinem Weibe anzugehören, und die beiden werden eins sein. Auch mit dieser Ver­ einigung gleicht die Ehe wieder dem Verhältnis des Herrn zur Gemeinde, dessen geistigen Leib wir als seine Glieder bilden. Es ist etwas Geheimnisvolles um die Vergleichung der Ehe mit der Vereinigung zwischen Christus und der Gemeinde. Doch das ist klar: Ihr Männer, liebet Eure Frauen wie Euch selbst; verletzt sie nicht durch Bitterkeit. Ihr Frauen aber tretet bescheiden neben Euren Männern zurück und ordnet Euch ihnen unter; das ge­ ziemt sich besonders für die, die dem Herrn angehören wollen. Denn wie Christus das Haupt der Gemeinde ist, so ist der Mann des Weibes Haupt. Christus ist freilich das Haupt ohnegleichen, sofern er der Heiland der Gemeinde ist. Aber trotzdem bleibt die Ähnlichkeit

zwischen der Stellung der Ehefrau zu ihrem Mann und dem Verhältnis der Gemeinde zum Herrn bestehen, daß die Frauen in allen Stücken ihren Männern ebenso sich unterordnen müssen, wie die Gemeinde Christus untertan zu sein hat. Ihr Kinder, seid gehorsam Euren Eltern. Das ist die sittliche Pflicht, die sich gerade für Euch aus Eurem Christenstande ergibt. Ehre Vater und Mutter: das ist das einzige Gebot, dem eine Verheißung göttlichen Segens ausdrücklich beigefügt ist. — Und Ihr Väter seid nicht durch herrisches Wesen die Ursache, daß Eure Kinder scheu oder verbittert werden, sondern erzieht sie zu christlichen Per­ sönlichkeiten. Ihr Dienstboten, dient Euren irdischen Herren mit peinlicher Gewissenhaftigkeit. Seht Euren Dienst als

102 einen solchen an, den Ihr Christus erweist, und übt ihn deshalb in lauterer Gesinnung aus. Seid nicht bloß vor den Augen dienstfertig, nur um die Menschen zufrieden zu stellen, sondern von Herzensgrund als Dienstleute Christi, die den Willen Gottes erfüllen wollen, und habt das Beste Eurer Herrschaft im Auge; — nur so wird Euer Dienen ein christliches sein und nicht nur das ge­ wöhnliche, wie es sonst unter den Menschen üblich ist. Zu­ dem wissen wir, daß jede gute Tat ihren Lohn empfangen wird, und dabei macht es nichts aus, ob einer im Dienst­ verhältnis oder in unabhängiger Stellung ist. Unrechtes Tun wird aber auch nicht ohne Folgen bleiben. Aber auch Ihr Herrschaften kommt in ebensolcher christlichen Gesinnung Euren Pflichten gegen die Dienst­ boten nach. Behandelt sie gerecht und kehrt den Standes­ unterschied nicht hervor. Laßt das Schimpfen und denkt daran, daß auch Ihr einen über Euch habt — den im Himmel, der genau so Euer Herr ist wie über jene; und daß der keinen Unterschied der Person gelten läßt. Kurz, jeder Christ sei zuvorkommend gegen den anderen aus Ehrfurcht vor Christus.--------Sein Friede soll das Bestimmende für Euer Innen­ leben sein. Zum Frieden seid Ihr schon deshalb berufen, weil Ihr Glieder seid an ein und demselben Leibe. Mit denen aber, die noch außerhalb des Glaubens stehen, ver­ kehrt in Weisheit, indem Ihr jede Gelegenheit wahr­ nehmt, sie für Christus zu gewinnen. Eure Worte seien stets getragen vom Bewußtsein der Gottesgnade; diese Weihe wird ihnen Kraft und Würze geben und Euch be­ fähigen, für jeden einzelnen Fall gerade die rechte Form der Antwort zu finden. Laßt das Wort Christi in reichem Maße unter Euch wohnen, belehrt und ermahnt Euch

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selbst voll Weisheit, auch in der Art, daß Ihr mit Psalmen, Hymnen und anderen geistlichen Liedern Gott im Herzen dankbar verherrlicht. Pflegt das dauernde Gebetsleben, dann werdet Ihr auch als solche, die Gott Dank wissen, wachsam sein über Eurem Christenstande. Und legt zugleich für mich Fürbitte ein, daß Gott mir wieder eine Möglichkeit eröffnet, meine Aposteltätig­ keit auszuüben. Wie gerne möchte ich das in Christus beschlossene Geheimnis der Gottesgnade wieder kund tun, wenn ja auch meine Gefangenschaft ein Dienst für das Evangelium ist! Ach, daß ich es so enthüllen möchte, wie es meine Pflicht ist. Und alles, was Ihr tut in Wort und Werk, das tut im Namen des Herrn Jesus. Das sei der Dank, den Ihr Gott, dem Vater, darbringt. Nun noch mein, des Paulus, eigenhändiger Gruß. Gedenket meiner in meiner Gefangenschaft. Die Gnade des Herrn behüte Euch. Amen.

Das sechste und siebente Paulusschreiben sind nahe verwandt, indem beide eine eigenartige Erweiterung des christlichen Ver­ söhnungsgedankens bringen, an die sich jedesmal praktische Folge­ rungen anschließen. Wo die letzteren sich berühren und wiederholen, sind sie in der vorliegenden Wiedergabe zusammengearbeitet und jedesmal nur bei einem Schreiben gebracht. Beide Schreiben stehen auch zeitlich einander nahe: Geschrieben während des Paulus Ge­ fangenschaft in Cäsarea, vermutlich zwischen den Jahren 58 und 60. Im sechsten Schreiben (Colosserbrief) finden wir

„die Ausdehnung der christlichen Erlösung auf eine allumfassende Weltaussöhnung" I. theoretisch ausgeführt mit der Spitze gegen die Neigung zur Naturvergötterung, weil die Naturkräfte die göttliche Offen»

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barung nur bruchstückweise wiedergeben und darum von den Christen nicht überschätzt werden dürfen, während die volle Heilsoffenbarung allein in Christus ist;

II. praktisch angewandt auf das sittlich-religiöse Streben, das sich auf Christus allein zu richten hat, nämlich:

1. in allgemeiner Erneuerung des inneren Menschen nach Christi Bild, und 2. in spezieller Gestaltung des Zusammenlebens der Geschlechter, Lebensalter und Stände nach Christi Geist.

Siebentes Schreiben des Paulus. (Epheserbrief.) Paulus, em Apostel des Herrn Jesus Christus durch den Willen Gottes, grüßt alle, die an Christus glauben.

Die Gnade und der Friede unsers väterlichen Gottes und des Herrn Jesus Christus geleite Euch. Gelobt sei Gott, der Vater unsers Herrn Jesus, der uns gesegnet hat mit geistlichem Segen, durch ewige Güter. • So hat er schon vor der Schöpfung im ewigen Rat­ schluß die Menschheit dazu ausersehen, daß sie heilig und ohne Sünde unter seinen Augen lebe. Aus Liebe wollte er durch die Vermittlung des Herrn Jesus uns zu sich in das Verhältnis von Gotteskindern bringen, wie sein Wille das beschlossen hatte, um seine Gnade an uns zu verherrlichen, mit der er uns nun begnadigt hat durch den Zusammenschluß mit dem Sohn seiner Liebe. Durch sein Leben und Sterben haben wir die Erlösung, nämlich die Vergebung der Sünden. I. Welch ein Reichtum an Gnade aber über uns ausgeschüttet ist, hat uns erst die Offenbarung des gött­ lichen Geheimnisses recht gezeigt, wie nämlich Gottes Wille sich vorgenommen hatte, in der Person Christi

106 die ganze Menschheit unter einem Haupte zusammen­ zufassen, um so die Zeit der Heilsverwirklichung an­ brechen zu lassen. In dieser Heilsveranstaltung, deren Mittelpunkt Jesus ist, haben auch wir einen Platz er­ halten; es wurde unsere Bestimmung nach dem Rat­ schluß des allwirkenden Gottes, ein Lobpreis seiner Herr­ lichkeit zu sein, die wir als Judenchristen vor Euch unsere Hoffnung auf Christus gesetzt hatten. Aber auch Ihr Heidenchristen empfingt in der Gemeinschaft mit ihm, nachdem Ihr das Wort der Wahrheit, das Evangelium vom Heil, gehört und gläubig angenommen habt, zur Bestätigung Eures Heils den verheißenen heiligen Geist, welcher das Unterpfand ist, daß Ihr dereinst auch die vollendete Erlösung, die Euch zum ausschließlichen Eigen­ tum Gottes macht, erben, werdet, ebenfalls zum Preise seiner Herrlichkeit. Darum höre ich nicht auf, da ich von Eurem Glau­ ben an den Herrn Jesus und von Eurer Liebe zu den christlichen Brüdern gehört habe, Euretwegen Gott zu danken. Ebenso lege ich fort und fort Fürbitte für Euch ein in meinen Gebeten, daß der Gott unsers Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit, Euch gebe einen Geist der Weisheit und geoffenbarter Gotteserkenntnis; dazu helle Augen des Verständnisses für die Hoffnung, welche sich an Eure Berufung in den Christenstand knüpft, für den Reichtum der Gnade, dem das den Gläubigen ver­ machte Erbe entstammt, und für die alles weit über­ ragende Größe der Gotteskraft, die sich an Euch und Eurem Glauben in denselben Wirkungen von Kraft und Stärke beweisen wird, mit denen sie sich an Christus bewährt hat. Hat er ihn doch vom Tode auferweckt, ihn sitzen lassen zu seiner Rechten in der himmlischen

107 Welt und so ihn erhöht über alle Kräfte, Mächte und Ge­ walten, über alle hohen Namen in diesem gegenwärtigen und dem zukünftigen Leben; schlechthin alles hat Gott ihm untergeordnet und so ihn zum alles überragenden Haupte der Gemeinde gemacht, welche ihrerseits wiederum seinen Leib bildet und als solcher die Vollentfaltung dessen ist, der alle seine Glieder in allen Stücken aus seiner Fülle versieht. Auch Ihr wart tot durch Fehltritte und Sünden, da Ihr in weltlicher Gesinnung lebtet und dem Zeitgeist folgtet, der noch jetzt die Ungläubigen bestimmt; gleich­ wie auch wir einst alle in den Lüsten sinnlicher Begierden wandelten und darum samt den anderen von Natur Kinder des Zorns waren. Aber Gott, der da reich ist an Erbarmen, hat um seiner großen Liebe willen, mit der er uns, selbst noch die durch Sünde Toten, geliebt hat, uns gleich Christus lebendig gemacht und mit ihm in das himmlische Wesen versetzt, um in den unsrer (der Judenchristen) Be­ kehrung folgenden Zeiten den überschwänglichen Reich­ tum seiner in Jesus geoffenbarten Gnade an der Heiden­ welt zu zeigen. Denn aus Gnaden, durch Glauben, werdet Ihr selig. Dieser Glaube ist aber nicht Euer Verdienst, sondern Gottes Geschenk. Nicht infolge Eurer Werke werdet Ihr selig, damit sich nicht jemand rühme. Nämlich nicht nur unsere geistliche Neuschöpfung als Christen ist sein Werk, sondern auch die einzelnen guten Werke, die unser Christenwandel hervorbringen soll, sind im letzten Grunde von Gott gewirkt. Darum vergeßt es nicht: würdet Ihr noch Heiden sein, so fehlte Euch die Zugehörigkeit zum Gottesvolk, so wäret Ihr ausgeschlossen von den Verheißungen des Gottesbundes und ohne Hoffnung, ohne Gott in der

108 Welt. Nun aber, da Ihr Christen geworden, seid Ihr Gott nicht mehr fern, sondern dnrch den Tod des Hei­ landes dem Heil nahe gerückt. Denn er ist unser Friede (Friedensstifter), welcher die Völker einigt und die tren­ nende Scheidewand ihrer Feindschaft niederreißt, insofern er in seinem Tod für alle Menschen in gleicher Weise die Abhängigkeit allein von Gottes Gnade festgestellt hat. So will er alle Völker in der Verbindung mit sich zu der Einheit einer neuen Menschheit umgestalten, deren Eigenart darin besteht, daß sie als sein einheitlicher Leib durch sein Kreuz mit Gott ausgesöhnt ist. So zum Friedensstifter bestimmt, war Christi ganze irdische Er­ scheinung eine frohe Botschaft des Friedens für die Gott-Fernen wie auch des Friedens für die Gott-Nahen. Denn durch ihn haben wir alle in einem Geiste Zu­ gang zum Vater. Ihr seid also nicht Fremde und Gäste in Gottes Reich, sondern Mitbürger, ja sogar Gottes Hausgenossen. Erbaut auf dem Grunde der Apostel und Propheten, mit Jesus als dem Grundstein, bildet Ihr einen lebendigen Bau, welcher, durch den Herrn fest zusammengefügt, zu einem heiligen Tempel sich aus­ wächst, sodaß auch Ihr mit hineingebaut seid in dies Gotteshaus des Geistes. Nun habe ich Paulus, der wegen der „Predigt von Christus bei den Heiden" Gefangene, die Offenbarung des Geheimnisses erhalten, welches ich oben kurz beschrie­ ben habe, — jenes in früheren Zeiten den Menschen nicht kund getanen Geheimnisses, daß nämlich die Heiden samt dem auserwählten Volk Miterben des ewigen Heils sind und als Teilnehmer der göttlichen Verheißung Jesus Christus einverleibt werden sollen durch das Evangelium, dessen Herold ich geworden bin, um der machtvoll in

109 mir wirkenden Gnadengabe Gottes zu entsprechen. Mir, dem allergeringsten unter allen Christen ward diese Gnade zu teil, den Heiden den unergründlichen Reichtum Christi zu verkünden. So war es Gottes weisheitsvoller Plan von Ewigkeit her; aber ausgesührt hat er ihn durch Jesus Christus, unsern Herrn, durch welchen wir, wenn wir an ihn glauben, vertrauensvolle Zuversicht und Zugang zu Gott haben. Darum ist das meine Bitte: laßt Euch nicht dadurch entmutigen, daß auch mich so viel Trübsal getroffen hat. Für Euch ja habe ich sie gelitten, Euch sollte sie darum eine Ehre sein. Und so beuge ich meine Knie vor dem Vater unsers Herrn Jesu Christi, von dem alles, was sonst „Vater" heißt (als schwaches Abbild von seinem Ur­ bild her) seinen Namen hat: möge er Euch die Kraft geben, durch seinen Geist am inwendigen Menschen stark zu werden und durch den Glauben Christus in Euren Herzen wohnen zu lassen und in der Liebe zu den Brü­ dern fest gewurzelt und fest gegründet zu werden; das alles aber zu dem Zweck, damit Ihr fähig werdet, den ganzen Umfang des göttlichen Heilsrates zu begreifen und vor allem auch die alle Erkenntnis an Wert über­ treffende Liebe Christi zu uns zu ermessen; so sollt Ihr mit einer Lebensfülle erfüllt werden, die an den Voll­ gehalt des Wesens Gottes heranreicht. II. 1. Auf Grund des Gesagten ermahne ich Euch, — ich, der um des Herrn willen Gefangene —, einen Eures Christenstandes würdigen Lebenswandel zu führen. Seid demütig und sanftmütig; übt Geduld; tragt ein­ ander in Liebe; seid bestrebt, die Einheit des Geistes zu bewahren durch das Band des Friedens. Sind wir Christen doch alle ein Leib und ein Geist; haben wir

110 doch alle einen Herrn, eine Taufe; einen Glauben, eine Hoffnung; einen „Gott und Vater", welcher wirkt über allen und durch alle und in allen. Jedem einzelnen von uns ist die Gnade geschenkt, aber freilich in verschiedener Gestalt je nach dem Maße seiner christ­ lichen Begabung. So hat Gott der Christenheit Apostel, Prediger des Evangeliums, Leiter und Erzieher geschenkt, um die einzelnen zum Werk des Christusdienstes tüchtig zu machen; das Ziel dabei aber ist der Ausbau der Ge­ samtgemeinde als des Leibes Christi, bis wir alle zu der Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes gekommen sind, — zur Vollreife des geistlichen Mannesalter, welche erreicht ist, wenn Christi Vollkom­ menheit in uns Gestalt gewonnen hat. Wir sollen nicht mehr unmündige Kinder sein, sollen uns nicht von jeder Strömung der Lehre hin und her schaukeln und treiben lassen, ein Spielball arglistiger Menschen, die uns planmäßig auf den Irrweg führen; laßt uns vielmehr an der Wahrheit festhalten und durch Liebe in allen Stücken so wachsen, daß Christus unser werde, er, das Haupt der Gemeinde. Nur von ihm aus kann sie, sein Leib, als ein in seinen Teilen an einander gegliedertes und fest gefügtes Ganze ihr Wachstum vollziehen, wenn jedes Glied nach dem Maße seiner ihm zugeteilten Kraft seinen Dienst tut. Und durch Liebe auf ihm sich aufzubauen, muß ihr Ziel sein. 2. So beschwöre ich Euch denn bei dem Herrn: laßt Euern Wandel nicht dem der Heiden gleichen; nichtig ist ihr Denken, verfinstert ihr Sinn; dem göttlichen Leben sind sie entfremdet wegen der Unwissenheit, wegen der Verstocktheit ihres Herzens; ja ihr sittliches Empfinden

111 ist so abgestumpft, daß sie sich selbst der Ausschweifung überliefert haben, um Unzucht in jeder Form als ihr Ge­ werbe auszuüben. Das habt Ihr nicht an Christus ge­ lernt, vorausgesetzt, daß Ihr überhaupt über Jesus in einer der Wahrheit entsprechenden Weise unterrichtet seid. Hurerei und jede Art von Unzucht, auch in ihrer Ver­ bindung mit Gewinnsucht, sollte man daher bei Euch, wie sich das für Christen von selbst versteht, nicht einmal dem Namen nach kennen; ebensowenig gemeine Worte, Narrenpossen oder unschickliche Scherze; statt dessen viel­ mehr Danksagung. Denn das sollt Ihr wissen, daß kein Hurer oder Unzüchtiger oder Gewinnsüchtiger — Götzendiener sind es ja — int Reiche Christi und Gottes ein Erbteil hat. Laßt Euch nicht verführen von nichts­ nutzigen Worten, denn der Zorn Gottes kommt des­ wegen über die Kinder der Gottlosigkeit; darum werdet nicht ihre Genossen. Ihr sollt nicht mehr Finsternis sein, Ihr sollt Licht sein in der Gemeinschaft mit dem Herrn. Wandelt wie „Kinder des Lichts"; die Frucht des lichtgleichen "Wandels besteht in allerlei Güte, Gerechtig­ keit und Wahrheit. So prüft denn, was dein Herrn wohlgefällig ist, und beteiligt Euch nicht an den unfrucht­ baren Werken der Finsternis; denn, was heimlich von jenen getan wird, davon auch nur zu reden ist schänd­ lich. Wohl aber sprecht ihnen ein Urteil, welches sie überführt. Alles Böse, was so beim rechten Namen genannt wird, macht man dann zwar auch bekannt, je­ doch im Dienst des Guten. Denn alles, was in seiner wahren Gestalt entlarvt und erkannt wird, das tritt da­ mit ins Reich der Wahrheit über; wie dies ähnlich auch der Sinn des Wortes ist: „Wach nur erst auf vom

112 Schlaf, steh nur erst auf vom Tod; und Christus wird vor Dir aufleuchten". So seht nun genau zu, wie Ihr wandelt: nicht wie Unweise, sondern wie Weise; nutzt die Zeit aus, denn für den Christen ist die Lage schwer. Darum werdet nicht töricht, sondern lernt den Willen des Herrn verstehen. Und treibt nicht Völlerei — heil­ los ist das —, sondern werdet voll Geistes. Als Gottes geliebte Kinder folgt seinem Vorbild nach und wandelt in Liebe, wie auch Christus Euch geliebt und sich selbst für uns als Opfer hingegeben hat, um Gott wohlzuge­ fallen. Und seid Gott, dem Vater, allezeit für alles dankbar im Namen unsers Herrn Jesu Christi. Schließlich, liebe Brüder und Schwestern, noch das eine: werdet stark in dem Herrn, in der Stärke seiner Kraft. Legt die göttliche Rüstung an, damit Ihr den listigen Angriffen des Teufels standhalten könnt. Denn unsere eigentlichen Gegner, mit denen wir zu kämpfen haben, sind nicht äußere Feinde von Fleisch und Blut, sondern die finsteren Mächte und Gewalten in uns. Darum nehmt die göttliche Rüstung, damit Ihr in schwerer Stunde Widerstand leisten könnt und wohl vor­ bereitet das Feld behaltet. So stellt Euch zum Kampf, geschützt vom Panzer der Wahrheit, gedeckt durch den Helm des Heils. Dazu ergreift den Schild des Glau­ bens, mit welchem Ihr alle feurigen Pfeile des Bösen auslöschen könnt, und nehmt das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes.--------Betet — in jeder Form von Gebet, zu allen Zeiten, voll Geistes; und seid.dabei dauernd wachsam; auch in der Fürbitte: wie für alle Christen, so auch für mich, daß mir Gott wieder das Wort gibt und ich mit kühnem Auftun meines Mundes das Geheimnis der Gottesgnade

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kund machen darf. Für das Evangelium leiste ich Bot­ schafterdienst auch in meiner Gefangenschaft; daß ich da­ bei mutig austrete, wie es meine Pflicht ist! Dem aber, welcher unendlich viel mehr tun kann als alles, was wir erbitten oder in Gedanken zu fassen vermögen, nach seiner in uns wirkenden Kraft, — ihm gehöre der Lobpreis der mit Jesus Christus verbundenen Gemeinde für alle Zeit und Ewigkeit. Amen.

Im siebenten Paulusschreiben (Epheserbrief) finden wir (vergl. oben S. 103) „Die Ausdehnung der christlichen Erlösung auf eine allumfassende Weltaussöhnung"

I. theoretisch ausgeführt nach der Seite des durch Christi Er­ lösung hergestellten Völkerfriedens, namentlich zwischen den beiden nun in der christlichen Gemeinde zur neuen Menschheit geeinten Bölkergruppen: Israel und Heidenwelt;

II. praktisch angewandt auf das sittlich-religiöse Leben der Ge­ meinde, die sich als Christi einheitlichen Leib fühlen und darum führen soll: 1. in Einheit des Geistes ein Leben der Liebe, 2. in Abkehr von heidnischem Wandel ein Leben des Lichts.

Deck er t, Briefe deS N. T.

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Achtes Schreiben des Paulus. (Philipperbrief.)

Paulus, Jesu Christi Diener, sendet allen Christgläubigen samt den Vorstehern und Gehilfen der Gemeinde seinen Gruß.

Die Gnade und der Friede Gottes, unsers Vaters, und des Herrn Jesus Christus geleite Euch. Ich danke meinem Gott, so ost ich der christlichen Gemeinde gedenke. Allezeit, wenn ich bete, bete ich für sie und freue mich ihrer evangelischen Gemeinschaft. Ich bin dabei der guten Zuversicht, daß, der in Euch das gute Werk angefangen hat, es auch vollenden wird bis zum Tage der Wiederkunft des Herrn. Wie könnte es auch anders sein, als daß meine Gedanken an Euch zu Für­ bitten werden, da ich ja Euch Christen, meine Mitgenossen der Gottesgnade, im Herzen trage, mag ich nun jetzt ge­ fangen sein oder wie sonst das Evangelium verteidigen und bezeugen. Gott ist mein Zeuge, wie ich mich nach Euch allen mit der Innigkeit des Heilandes sehne. Und darum bete ich, daß Euer Christentum mehr und mehr an Heilserkenntnis und zartem sittlichen Empfinden zu­ nehme, um prüfen zu können, worauf es ankommt, damit Ihr lauter und unanstößig beim Erscheinen Christi da-

115 steht, erfüllt zu Gottes Preis und Ehre mit echter Christen­ frömmigkeit. I. Mein Wunsch ist, liebe Brüder und Schwestern, daß Ihr erfahrt, wie meine Gefangenschaft zur Förde­ rung des Evangeliums ausgeschlagen ist: allgemein wurde es bekannt, daß sie mit meinem Christusglauben in Zu­ sammenhang steht, und im Vertrauen auf diesen Ein­ druck meiner Haft wurde die Mehrzahl der christlichen Brüder kühner und wagte es, das Wort Gottes ohne Scheu zu verkündigen. Freilich nicht alle verkündigen Christus in guter Ge­ sinnung, sondern einige auch aus Neid und Eifersucht auf mich. Andre zwar treibt dazu die Liebe zu mir, weil sie wissen, daß auch meine Kerkerhaft der Ausbreitung des Evangeliums dienen soll; jene Selbstsüchtigen dagegen tun es doch aus dem unlauteren Grunde, weil sie meinen, das würde mich wegen meines Gefangenseins kränken. Was kommt denn aber anderes dabei heraus, als daß auf jede Weise — ob nun mit Hintergedanken oder in lauterer Absicht — Christus gepredigt wird, und darüber freue ich mich. Ja, auch in Zukunft werde ich mich freuen; weiß ich doch, daß mein jetziges Geschick, wenn Christus mir mit seinem Geist hilft, mir noch zum Heil werden wird, weil ich voll gespannter Erwartung hoffe, daß ich in keinem Punkte mich werde schämen müssen, sondern daß Christus wie allezeit, so auch jetzt durch das, was meinem Leibe widerfährt, vor aller Welt verherrlicht werden wird — sei es nun durch mein Leben oder durch meinen Tod. Denn für mich bedeutet „am Leben bleiben": Christus (ihm dienen), und „sterben": Gewinn (für Christi Sache). Wenn aber das irdische Weiterleben meiner Arbeit noch 8*

116 Früchte bringen wird, ja, was ich dann mehr wünschen soll, — ich weiß es nicht. Von beiden Seiten reizt es mich: ich habe Lust abzuscheiden und bei Christus zu sein, was für mich das Beste wäre; Euretwegen aber mag es nötiger sein, daß ich noch leben bleibe. n. Was aber auch mein Los sein wird, führt Ihr nur Euer Gemeindeleben so, wie es des Evangeliums Christi würdig ist: daß Ihr, weit entfernt, Euch von den Gegnern einschüchtern zu lassen, vielmehr auf der gleichen Grundlage christlichen Geistes einmütig kämpft für den Glauben an das Evangelium, der jenen ein Zeichen des Verderbens, Euch ein Zeichen des Heils ist. Gilt bei Euch noch christliche Ermahnung, liebevoller Zuspruch, Ge­ meinschaft des Geistes (mit mir) und herzliche Liebe, so macht mir die Freude, daß Ihr, ein Herz und ein Sinn, einträchtig das eine gleiche Ziel verfolgt. Fort mit Selbst­ sucht und Eingebildetheit; vielmehr in Demut sollt Ihr Euch gegenseitig einander unterordnen; nicht habe jeder nur das eigene Interesse im Auge, sondern auch das des anderen. Jeder von Euch sei so gesinnt wie Jesus Christus: welcher — so ähnlich er Gott auch war — doch das „Gott gleich sein" nicht eigenmächtig wie einen Raub an sich zu bringen suchte, sondern auf seine Ehre ver­ zichtete und in größter Dürftigkeit auftrat; selbst dem geringsten Menschen in jeder Weise gleich, erniedrigte er sich in seinem Gehorsam gegen Gott sogar bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott er­ höht und ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist, damit in dem Namen Jesu alle Knie sich beugen sollen und Gott dem Vater zur Ehre alle Zungen be­ kennen sollen: Jesus Christus ist Herrscher. Also, meine geliebten Brüder und Schwestern, Ihr

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seid ja meinen Worten schon gefolgt: mit Furcht und Zittern arbeitet an Euerm Heil; denn Gott ist es, der in Euch am Werke ist — sowohl unser Wollen als auch unser Vollbringen, soweit es uns ihm wohlgefällig macht, ist ja doch seine Wirkung. Tut alles, was ich Euch sage, ohne Widerrede und langes Deuteln, damit Ihr ohne Tadel und ohne Falsch und, eben in solcher Unanstößig­ keit mitten in einem verkehrten und verdrehten Geschlecht, Gotteskinder werdet, welche als Träger des Lebenswortes wie Sonnen strahlen auf dem dunklen Grunde der Welt. Hl. 1. Das sei mein Ruhm am Tage der Wieder­ kunft Christi. Denn nicht umsonst war mein Lebenslauf und nicht vergeblich meine Lebensarbeit; sondern wenn ich auch mein Blut vergießen müßte, so erfreue ich mich doch Eures Glaubens, der dann wie ein von mir dar­ gebrachtes Gottesopfer ist. Wie ich mich Eures Christen­ standes freue, der auch Euch allen eine Freude ist, ebenso sollt aber auch Ihr es nicht betrauern, wenn ich für Christus mein Leben lassen darf, sondern an meiner Freude teilnehmen. Wir wollen die sein, welche Gott im Geist anbeten und sich des Herrn Jesus Christus rühmen. Auf natür­ liche Vorzüge wollen wir uns nicht verlassen, wiewohl ich für meine Person auch im Besitz dessen bin, was einem ein natürliches Selbstgefühl gibt. Meint da irgend ein anderer, auf Äußerlichkeiten stolz sein zu dürfen: ich könnte es noch mehr. Am achten Tage meines Lebens bin ich in die Gemeinde des alten Gottesbundes ausge­ nommen; ich gehöre zum Volke Israel, dem von Gott erkorenen unter den Völkern; in meiner Stellung zum Gesetz war ich ein Pharisäer, in meinem Eifer um der Väter Glauben stand ich da als der Verfolger der Christen-

118 gemeinde, in der Gerechtigkeit, die im Gesetz verlangt ist, bin ich untadelig gewesen. Was so, natürlich betrachtet, Vorteile für mich waren, das habe ich aber um Christi willen für Nachteil erachtet. Ja, ich halte sogar alles auch jetzt noch geradezu für Schaden, weil die Erkenntnis Jesu Christi, meines Herrn, etwas ist, was das alles weit übertrifft, wie ich ja seinetwegen alles tatsächlich verloren habe; und ich erachte das alles als Unrat, weil ich Christus gewinnen will. In seiner Gemeinschaft möchte ich finden das Wohlgefallen Gottes, das er nicht gesetzlichen Leistungen, sondern dem Glauben schenkt, möchte erfahren die Kraft des Auferstandenen, ja möchte selbst teilhaben an seinem Leiden und Sterben, weil ich so hoffen darf, auch zur Auferstehung von den Toten hinzugelangen. Nicht daß ich das Ziel schon erreicht habe oder schon vollkommen bin: ich jage ihm aber nach, ob ich es er­ greifen möchte, nachdem ich von Jesus Christus ergriffen bin. Mir liegt es wahrhaftig fern, liebe Brüder und Schwestern, meine Person so zu überschätzen, als sei ich schon am Ziel. Eins aber darf ich sagen: was hinter mir liegt, vergesse ich; was vor mir liegt, danach strecke ich mich; und so jage ich auf das Ziel los, hin zum Siegespreis der göttlichen Annahme droben, die uns durch Jesus Christus vermittelt wird. 2. So viele nun unter uns „vollkommen" zu sein meinen: laßt uns das beherzigen; und wenn Ihr in et­ was anders denkt, so wird Gott auch darin Euch Klar­ heit geben. Was aber schon als christlicher Grundsatz feststeht, das laßt uns auch befolgen. Eifert mir nach, Brüder und Schwestern, und richtet Euch nach denen, die nach unserm Vorbilde wandeln.

119 Denn vieler Lebenswandel ist derartig, daß ich oft schon Euch sagte — jetzt aber sage ich es unter Tränen—: sie sind Feinde des Kreuzes Christi, deren Ende das Verderben sein muß, weil der Bauch ihr Gott ist und sie sich noch brüsten mit dem, dessen sie sich schämen müßten — Menschen, die in irdische Gesinnung versunken sind. Unsere Heimat aber ist im Himmel, von wo wir auch den Heiland erwarten, den Herrn Jesus Christus, wel­ cher in der Kraft seiner über alles sich erstreckenden Herrschermacht unsere irdisch-niedrige Leiblichkeit seinem verklärten Leibe gleichgestalten wird. Darum geliebte und teure Gemeinde, Ihr meine Freude und Krone: steht fest im Christenstande, so wie ich es Euch gezeigt habe. IV. Im übrigen, Ihr Lieben: alles Wahre und Edle, alles was gut und rein ist, alles Schöne und was einen guten Klang hat, was nur irgend tüchtig und lobens­ wert ist, laßt Euch befohlen sein; so wird der Gott des Friedens mit Euch sein. Was Ihr auch von mir überkommen und gehört habt, das tut. Ich habe gelernt, in jeder Lage zufrieden zu sein. Ich weiß ebenso in dürftigen Verhältnissen wie im Überfluß zu leben; ich bin in allem und jedem er­ fahren, im Sattsein und Hungern, im Überfluß und Mangel. Ich vermag alles durch den, der mir Kraft gibt, Christus. Alle Eure Bedürfnisse aber wird mein Gott nach seinem Reichtum herrlich befriedigen durch Jesus Christus.--------Endlich, liebe Brüder und Schwestern: Freuet Euch in dem Herrn! Dieselben Worte Euch mehrmals zu schreiben, soll mich nicht verdrießen, Euch aber wird es dadurch gewiß. Freut Euch in dem Herrn allezeit, und noch einmal will ich es sagen: freut Euch! Eure Lin-

120 bigfett laßt kund werden allen Menschen. Der Herr ist nahe. Sorgt Euch um nichts, sondern laßt alle Eure Anliegen mit Gebet und Flehen vor Gott kund werden; vergeßt auch den Dank nicht. Und der Friede Gottes, welcher mehr ausrichtet als atV unser Sorgen und Sinnen, bewahre Eure Herzen und Gedanken in Jesus Christus. Dem Gott aber, der unser Vater ist, gebührt der Lobpreis in alle Ewigkeit. Amen.

Das achte Paulus-Schreiben ist während der römischen Gefangen­ schaft, vermutlich zwischen 61 und 63 n. Chr., abgefaßt. Es ist das letzte der fast allgemein als echt anerkannten paulinischen Schriftstücke. Das Schreiben führt auf die Höhe eines besonders zarten persön­ lichen Innenlebens. Schon im Ausdruck ein ergreifender Ton weicher Innigkeit bei dem mannhaften Apostel. Mit der nüchternen Klarheit über Leiden und Tod verbindet sich eine lichtvolle, sonnige Auffassung der Lage und Dinge im Glauben an Gott und geist­ verwandte Menschen, an gesegnete Gegenwart und selige Zukunft. Heilerer Gottesfriede verklärt des Apostels Abschiedsgruß an seine Gemeinden. Des Schreibens Inhalt kann zusammengezogen werden in den Gedanken:

„Geistesgemeinschaft zwischen Apostel und Gemeinde".

Paulus spricht in diesem Sinne: I. von seinem eigenen Verhältnis zu Christus, welches ttotz der ungünstigsten äußeren Lage des Apostels (Gefangenschaft und persönliche Gegner) doch segensreich für die Gemeinde wird und so die äußere Trennung von Apostel und Gemeinde überbrückt; II. von der inneren Stellung der Gemeinde zu Christus, welche nach dem Vorbild der herabsteigenden Jesusliebe sie nötigen soll, sich dem Apostel gehorsam unterzuordnen und so die Gemein­ schaft mit ihm ihrerseits auftecht zu erhalten;



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III. von dem (durch I und II begründeten) wechselseitigen Verhältnis zwischen Apostel und Gemeinde auf dem Grunde der gemeinsamen Hingabe an Christus:

1. in dem Hochgefühl, stch seine Gemeinde durch Opferwilligkeil erworben zu haben (wovor alles natürliche Selbstgefühl in den Staub finkt), einem Hochgefühl, welches bei aller Unzu­ länglichkeit in der Gegenwart doch die Gewißheit des AnSzielgelangens in fich trägt; 2. in dem Wunsche, daß die Gemeinde durch Erhebung über Diesseitigkeitsgefinnung fich mit ihm verbinden möchte zu der Hoffnung, sich mit ihm wiederzufinden in der ewigen Heimat;

IV. (ergänzend:) von der zu fordernden Vereinigung mit dem Apostel auch in sittlicher Beziehung: in dem „Streben nach allem Guten" im allgemeinen und in dem „Zufriedensein mit jeder Lebenslage" im besonderen.

Gin neuntes Schreiben des Paulus* an den Leiter einer Christengemeinde. (1. u. 2. Timotheusbrief und Titusbrief.)

Paulus, nach dem Willen Gottes, unsers Heilandes, und im Auftrage Jesu, der unsere Hoffnung ist, ein Knecht Gottes und Apostel Jesu Christi, sendet seinen Gruß seinem lieben geistigen Sohne, seinem im Glauben echten Kinde.

Die Gnade und die Barmherzigkeit und der Friede des väterlichen Gottes und unsers Herrn Jesu Christi geleite Dich! Ich danke unserm Herrn Jesus Christus, in dessen Kraft ich wirke, daß er mich für treu genug hielt, um mich in seinen Dienst zu nehmen, trotzdem ich früher ein Lästerer und Verfolger und Frevler war. Aber mir ist Erbarmung widerfahren, weil ich es unwissend getan habe, im Unglauben. Da hat sich die Gnade unsers Herrn meiner angenommen und mich so reich gemacht mit dem Glauben und der Liebe, die ich jetzt Jesus Chri­ stus darbringe. Das ist gewiß und wahr und ein allge­ meiner Annahme wertes Wort, daß Jesus Christus in die Welt gekommen ist, um Sündern das Heil zu bringen, unter welchen ich ein ganz besondrer bin. Doch selbst *) Zur paulinischen Verfasserschaft siehe Seite 134.

123 meiner hat sich Jesus erbarmt, an mir wollte er ein erstes Beispiel seiner großen Barmherzigkeit denen geben, welche in Zukunft an ihn glauben, um ewiges Leben zu erlangen. Dafür sei dem König der Ewigkeit, dem un­ vergänglichen, unsichtbaren, all einen Gotte Preis und Ehre ewiglich dargebracht. Allezeit gedenke ich aber auch Deiner in meinen Gebeten; und Deinen unverfälschten Glauben, wie er schon in Deiner Mutter und Großmutter wohnte, ver­ gesse ich nicht. Darum bitte ich Dich, das Feuer Deines Glaubens, das Deine Dir besonders von Gott verliehene Gabe ist, anzufachen. I. Du mußt den guten Kampf des Glaubens kämp­ fen mit reinem Gewissen; welche das als unnötig von sich wiesen, die haben mit ihrem Glauben Schiffbruch gelitten. Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Zucht. Darum schäme Dich nicht, für unsern Herrn zu zeugen, sondern nimm nach der Kraft, die Dir gegeben ist, Deinen Anteil an dem Leiden, das wir um des Evangeliums willen tragen müssen, auf Dich. Hat uns doch Gott gerettet, indem er uns mit heiligem Rufe zum Heil be­ rief, nicht im Hinblick auf unsere Werke, sondern auf seinen eigenen Ratschluß. Und seine an Jesus Christus gebundene Gnade hat er uns zwar von Ewigkeit zuge­ dacht, aber jetzt erst offenbar werden lassen durch die Er­ scheinung unsers Heilandes, welcher dem Tode die Macht genommen und Leben und unvergängliches Wesen durch das Evangelium ans Licht gebracht hat. Weil ich dessen Herold, Apostel und Lehrer bin, leide ich dies, daß ich gefangen bin. Aber ich schäme mich dessen nicht; denn ich weiß, an wen ich glaube, und bin überzeugt, daß er

124 das, was er mir schenkte, mir auch bis zu jenem großen (jüngsten) Tage zu erhalten vermag. So werde auch Du stark, mein Sohn, durch die Gnade, die uns in Jesus Christus geschenkt ist. Und was Du von mir und vielen Zeugen gehört hast, das lege treuen Menschen ans Herz, die tüchtig sind, auch andere zu lehren. Tritt in die Leidensgefolgschaft ein als ein rechter Streiter Jesu Christi. Wenn einer aber auch kämpft, er wird doch nicht gekrönt, falls er nicht recht kämpft. So darf niemand, der in den Kampf zieht, sich in die Geschäfte des Lebensunterhaltes verwickeln lassen, damit er ganz dem Willen dessen zur Verfügung steht, der ihn in Dienst gestellt hat. Wenn doch der Land­ mann, der mit seiner Arbeit sich um die Früchte müht, auch am ehesten ein Recht darauf hat, sie zu genießen, so ziehe Du für Dein Amt die Folgerungen daraus. Der Herr wird Dir schon in allem Verständnis geben. Pflege das Gedächtnis Jesu Christi als des Auferstan­ denen. Des Evangeliums wegen leide ich, ja so weit ist es gekommen, daß ich wie ein Verbrecher gefesselt bin; aber das Wort Gottes ist nicht gefesselt. Darum um der von Gott Erwählten willen halte ich alles aus, da­ mit auch sie gleich uns das Heil erlangen, das in Jesus Christus ruht und in ewige Herrlichkeit ausläuft. Der Grundsatz ist zuverlässig: teilen wir sein Sterben, so teilen wir auch sein Leben; und nach dem Leiden die Erhöhung in seiner Gemeinschaft. Verleugnen wir aber, so wird auch er uns verleugnen. Er bleibt sich treu und kann sich nicht verleugnen, wenn wir untreu werden, n. Befleißige Dich, Gott in Deiner Person einen bewährten Arbeiter zu stellen, der sich nicht scheut, das Wort der Wahrheit in durchgreifender Weise zu vertreten.

125 Erinnere die Gemeinden, ja beschwöre sie bei Gott, daß sie nicht um Worte streiten, was ja zu nichts führt als zur Verwirrung der Hörer. Übergehe stillschweigend das verwerfliche, nichtssagende Geschwätz der Irrlehre. Sie werden es schon noch weit bringen in der Gottlosigkeit, und ihr Wort wird um sich fressen wie ein Krebsschaden. Worauf die göttliche Forderung abzielt, das ist Liebe, die geboren ist aus reinem Herzen, reinem Gewissen und reinem Glauben. DaS haben einige nicht im Auge behalten und sind daher in öde Schwätzerei hineingeraten. Doch aller Irrlehre gegenüber steht das von Gott gelegte Fundament fest und dessen Gepräge ist: „es kennt der Herr die Seinen" und „es breche mit der Sünde, wer des Herrn Namen bekennt". So fliehe auch Du vor den Lüsten der Jugend und suche in Glauben, Liebe, Frieden das rechte Verhält­ nis zu Gott zu gewinnen im Verein mit denen, welche reinen Herzens den Herrn anrufen. Aber mit den Untersuchungen törichter und unreifer Leute verschone Dich, weil Du weißt, daß sie Streitereien erzeugen; und ein Knecht des Herrn darf sich ja nicht herumstreiten, sondern freundlich soll er sein zu allen, mit Sanftmut soll er die Widerstrebenden erziehen; Gott könnte ihnen ja Reue schenken zur Erkenntnis der Wahr­ heit, daß sie wieder nüchtern werden und der Schlinge des Teufels entkommen, mit der er sie gefangen hält. — Ausdrücklich heißt es, daß in Zukunft ein Abfall vom Glauben eintreten wird. Man wird sich auf Grund des heuchlerischen Gebührens von lügnerischen Rednern, deren Gewissen gebrandmarkt ist, verführerischen Geistern zuwenden, welche lehren, daß alle möglichen Dinge ver­ boten seien, welche Gott geschaffen hat, damit wir sie dankbar genießen. Und doch ist alles, was Gott ge-

126 schaffen hat, gut; überhaupt ist nichts verwerflich, was man mit Dank gegen Gott genießen kann. Wohl ist es nötig, sich in der Gottseligkeit zu üben. Denn die Gott­ seligkeit hat den allergrößten Wert; ihr ist der Segen verheißen für dieses und das zukünftige Leben. Doch auf die äußerliche Weise leiblicher Enthaltsamkeit sich in der Gottseligkeit üben zu wollen, hat nur wenig Wert. Wenn Du das den christlichen Brüdern und Schwestern vorstellst, so wirst Du ein rechter Gehilfe Jesu Christi sein, der sich nährt von den Worten des Glaubens und der rechten Lehre. Dafür arbeiten und kämpfen wir, daß wir unsre Hoffnung auf den lebendigen Gott gesetzt haben, welcher ein Heiland aller Menschen, insbesondere der Gläubigen ist. So sei denn ein Vorbild in Wort und Wandel, in Liebe und Glauben, in Keuschheit. Deine Person sei ein Muster von Lauterkeit und Würde, Deine Rede sei gesund und unantastbar, damit der Gegner beschämt werde, wenn er uns nichts Schlechtes nachsagen kann. Fahre fort mit Schriftverlesung, Er­ mahnung, Lehre. Achte auf Dich und die Lehre, unab­ lässig ! Denn, wenn Du das tust, wird Dir und Deinen Hörern Heil zuteil werden. Das aber wisse, daß in den letzten Tagen schwere Zeiten eintreten werden. Da werden die Leute selbst­ süchtig sein, geldgierig, prahlerisch, übermütig, voll Läste­ rung gegen das Heilige, ungehorsam gegen die Eltern, undankbar, gottlos, lieblos, treulos, verleumderisch, un­ mäßig, unfreundlich, allem Guten abhold, verräterisch, verwegen, aufgeblasen, mit einem Zuge mehr zum Ver­ gnügen als zu Gott; kurz, wenn sie auch den Schein der Frömmigkeit haben: ihre Kraft verleugnen sie! So widerstehen sie der Wahrheit, verkommene Leute, ohne

127 Bewährung im Glauben. Solchen frechen, nichtsnutzigen Schwätzern und Verführern muß man den Mund stopfen; ganze Häuser verwirren sie ja mit ihren ungehörigen Lehren. Wie den Reinen alles rein ist, so ist den Un­ reinen nichts rein. Sie behaupten, Gott zu kennen, doch mit der Tat verleugnen sie ihn; abscheulich sind sie, ungehorsam und zu allem Guten untauglich. Aber sie werden es nicht weit bringen; denn ihre Torheit wird allen bekannt werden. Mancher Menschen Sünden sind eben schon, ehe Gott sie richtet, offenbar, ebenso wie auch die guten Werke, selbst wenn sie nicht von vornherein be­ kannt sind, auf die Dauer nicht verborgen bleiben können. Du aber hast Dir ein Beispiel genommen an meiner Lehre und Lebensführung, wenigstens an meinen guten Vorsätzen dazu, an meinem Glauben, meiner Langmut, meiner Liebe und Geduld, bist eingetreten in die Spuren der Verfolgungen und Leiden, die mir widerfahren sind. Ja gewiß, der Verfolgung werden sie nicht entgehen, alle, welche den festen Willen haben, fromm in Jesu Christi Geist zu leben. Doch was bedeutet das im Ver­ gleich mit dem Lose der schlechten Menschen und Schein­ christen, mit denen es abwärts einem schlimmen Ende zugeht: erst Betrüger, sind sie auch Betrogene. Du aber bleibe bei dem, was Du gelernt hast und was Dir zur Überzeugung geworden ist; Du weißt ja, woher Dein Wissen stammt, daß Du nämlich von kindauf die heilige Schrift kennst, die Dich unterweisen kann zum Heil durch den Glauben an Jesus Christus. Ist doch jede von Gott eingegebene Schrift nützlich zur Lehre, zur Strafe, zur Zurechtweisung, zur Erziehung in der Frömmigkeit, damit der Gottesmensch vollkommen sei, zu jedem guten Werk bereit.

128 III. 1. So ermahne ich nun vor allen Dingen zum Gebet — zum Bittgebet und zur Danksagung ebensosehr tote zur Fürbitte für alle Menschen — auch für Könige und Obrigkeit —, daß wir ein stilles und ruhiges Leben führen mögen in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit. Das ist gut und genehm vor Gott, unserm Heiland, welcher will, daß allen Menschen geholfen werde durch die Erkenntnis der Wahrheit, daß es nämlich nur einen Gott gibt und nur einen Mittler zwischen Gott und den Menschen, den Menschen Jesus Christus, der sich für die Erlösung aller aufgeopfert hat, als das Zeugnis göttlicher Liebe zur rechten Zeit, zu dessen Herold und Botschafter ich eingesetzt bin, ein Lehrer der Heiden im Glauben und in der Wahrheit. 2. Ich will an allen Orten betende Männer haben, die ihre Hände nicht zum Unheiligen aufheben im Zorne und Streit. Sie sollen nüchtern sein, ehrbar, züchtig, gesund im Glauben, in der Liebe, in der Geduld. Des­ gleichen sollen die Frauen in sittsamem Gewand sich schamhaft und züchtig schmücken. Des Weibes eigentlicher Schmuck ist nicht kunstvolle Haartracht, Gold- und Perlen­ schmuck oder kostbare Kleider, sondern Frömmigkeit und guter Wandel. Auch sollen sie weder verleumderisch noch dem Trünke ergeben sein, sondern ihre Männer und Kinder lieb haben; sie sollen züchtig, keusch, häuslich, gütig sein und ihren Männern sich unterordnen, das alles, damit das Wort Gottes nicht gelästert werde. Welche aber ein ausschweifendes Leben führt, die ist lebendig tot. Tadel­ los müssen sie sein, das sage ihnen. Die Kinder aber und Kindeskinder sollen vor allem lernen, der eigenen Familie, aus der sie hervorgegangen stnd, ehrerbietig zu dienen und den Eltern und Großeltern

129 ihre Liebe mit Gleichem zu vergelten; denn das ist Gott wohlgefällig. Wer dagegen für seine eigenen Angehörigen nicht sorgt, noch dazu, wenn sie seine Hausgenossen sind, der hat den Glauben verleugnet und ist schlimmer als ein Heide. 3. Du nun verfahre mit älteren Männern wie mit Vätern, mit jüngeren Männern wie mit Brüdern, mit älteren Frauen wie mit Müttern, mit jüngeren Frauen wie mit Schwestern in aller Sittsamkeit. Wer nach dem Amt eines Geistlichen trachtet, der be­ gehrt ein edles Amt. Darum muß der Geistliche tadellos sein, nüchtern, maßvoll, ehrenhaft, gastfrei, lehrtüchtig, dabei kein Wortfechter, sondern sanft, ohne Streitsucht und kein Geldjäger. Er muß seinem eigenen Hause wohl vorsteheu und seine Kinder in Gehorsam halten, daß sie in allen Stücken ehrbar werden. Denn wenn einer seinem eigenen Hause nicht vorzustehen weiß, wie soll der Gottes Gemeinde versorgen? Er muß aber auch einen guten Ruf bei denen haben, die dem Glauben fernstehen, damit er nicht der Schmach und schließlich dem Strick des Teufels verfällt. Als Gottes Hausverwalter muß der Geistliche eben unbescholten sein, nicht eigenmächtig, nicht jähzornig, vielmehr dem Guten aufgeschlossen, besonnen, gerecht und fromm; und er muß an dem lehrmäßig bewährten Wort festhalten, damit er ebensowohl im stände sei, in der ge­ sunden Lehre zu unterrichten, wie auch die Widersprechen­ den ihres Unrechts zu überführen. Desgleichen sollen die Gemeindehelfer ehrbar sein, ohne Doppelzüngigkeit und das Geheimnis des Glaubens in reinem Gewissen bewahren. Auch sie sollen ihre Kinder recht erziehen und den eigenen Häusern wohl vor­ stehen. Die aber gute Gemeindehelfer gewesen sind, die Deckert, Briefe des N. T.

130 haben sich eine hohe Achtung in der Gemeinde erworben und können um so freudiger in ihrem Glauben an Jesus sein. Und auch die Ältesten der christlichen Gemeinde sollen unbescholten sein, Väter gläubiger Kinder, denen der Bor­ wurf heillosen, aufsässigen Wesens nicht gemacht werden kann. Die Ältesten aber, die in der Leitung der christ­

lichen Gemeinde tüchtig gewesen sind, die halte man doppelter Ehre für wert, zumal die, welche mit Predigt und Lehre arbeiten. Denn die Schrift sagt: „der Arbeiter ist seines Lohnes wert". Das schreibe ich Dir, damit Du weißt, wie man wandeln muß in der Gemeinde des lebendigen Gottes, welche Gottes Haus ist sowie Träger und Grundfeste der Wahrheit. Und das anerkannt erhabene Geheimnis der Gottseligkeit, das ihr anvertraut ist, ist dieses: der den Menschen göttliche Offenbarung war, dessen Geist seine göttliche Sendung rechtfertigte, der unter den Heiden ge­ predigt ist und Glauben fand in der Welt: der ist er­ hoben zur Herrlichkeit. 4. Weiter erinnere die Christen, daß sie der obrig­ keitlichen Gewalt untertan und gehorsam seien, zu allem guten Werk bereit, und niemand verleumderisch beschimpfen, daß sie — weit entfernt, Händel zu suchen — vielmehr nachgiebig seien und allen Menschen mit sanftem Geiste

begegnen. So sollen auch die Dienstboten ihren Herrschaften ge­ horchen und in allen Stücken zu gefallen suchen, sollen nicht widersprechen, nichts veruntreuen, sondern volle lau­ tere Treue zeigen, damit sie der Lehre Gottes, unsers Heilandes, in jeder Beziehung zur Zierde gereichen. — Wo aber christliche Dienstboten bei unchristlichen Herr-

131 schäften sind, sollen sie ihre Herren gleichwohl aller Ehre für wert halten, damit der Name Gottes und die christ­ liche Lehre nicht gelästert werde. Die aber christliche Herrschaften haben, sollen sich ihnen nicht gleichstellen, weil jene christliche Geschwister sind, sondern um so lieber ihnen dienen, weil jene Gläubige und von Gott Geliebte sind, die sich des Rechttuns befleißigen. Endlich gebiete den Reichen in dieser Welt: sie sollen nicht hochmütig sein, auch ihre Hoffnung nicht auf den ungewissen Reichtum setzen, sondern auf Gott, der uns alles reichlich zum Genuß darreicht; sie sollen Gutes tun, reich werden an guten Werken, freigebig, mitteilsam sein, damit sie sich auf diese Weise eine gute Grundlage und einen Schatz für die Zukunft sichern und das wahrhaftige Leben erlangen. — Es gibt Leute, die glauben, das Frommsein müßte sich doch auch bezahlt machen. Aber die Frömmigkeit trägt nur etwas ein — dann allerdings großen Gewinn —, wenn man, was irdischen Besitz an­ langt, genügsam ist. Denn: nichts mit auf die Welt ge­ bracht zu haben und nichts mit aus ihr fortnehmen zu können, das ist dem Menschen so nun einmal von Gott bestimmt. Darum, wenn wir nur Nahrung und Kleidung haben, so laßt uns das genug sein. Die aber reich sein wollen, die fallen in Versuchung und die Schlinge vieler törichter und schädlicher Lüste, welche den Menschen in Verderben und Untergang hinein versenken. Denn das „Mehr-Geld-haben-wollen" ist eine Wurzel alles Bösen; im Begehren danach sind schon manche vom Glauben ab­ geirrt und haben sich in großes Weh verstrickt. Du aber, o Gottesmensch, fliehe das; strebe vielmehr nach Recht­ schaffenheit, Frömmigkeit, Glauben, Liebe, Geduld, Sanft­ mut!

132 5. Denn es ist erschienen die allen Menschen heil­ same Gottesgnade, uns zu erziehen, daß wir das ungött­ liche Wesen und die sündigen Lüste verleugnen und maß­ voll, rechtschaffen und fromm in dieser Welt leben, voll selig hoffender Erwartung, daß des großen Gottes Herr­ lichkeit erscheine und die Herrlichkeit unsers Heilandes Jesus Christus, der sich für uns geopfert hat, um uns von allem Frevel zu erlösen und so ein Volk zu reinigen sich selbst zum Eigentum, das in guten Werken eifrig wäre. — Wir waren ja auch einmal unverständig, un­ gehorsam, in der Irre, wir fröhnten manchen Begierden und Lüsten, in Bosheit und Neid brachten wir unsere Tage hin, voll Haß gegen einander und selbst verabscheut. Da aber strahlte uns auf die Freundlichkeit und Leut­ seligkeit Gottes, unsers Heilandes, und rettete uns — aus Erbarmen, unsere Werke hatten es nicht verdient: in heiliger Geistesflut, die er durch unsern Heiland Jesus Christus sich reichlich über uns ergießen ließ, badete er uns gleichsam, daß wir wie neu geboren daraus hervor­ gingen, um nun, durch jenes Gnade in das rechte Ver­ hältnis zu Gott versetzt, ewiges Leben zu ererben, wie wir das hoffen. IV. Das ist gewiß und wahr; und ich wünsche, daß Du davon entschiedenes Zeugnis ablegst, damit die, welche zum Glauben an Gott gekommen sind, sich befleißigen, gute Werke zu treiben, wie das den Menschen gut und nützlich ist. Wer aber anders lehrt und sich nicht hält an die gesunden Worte unsers Herrn Jesus Christus und an die Lehre, die der Frömmigkeit entspricht, der ist aufgeblasen; nichts weiß er, sondern er ist krank an Grübeleien und Wortstreitereien, bei welchen nichts her­ auskommt als Neid, Hader, Beschimpfungen, böser Arg-

133 wohn — ein ewiges Gezänke von Leuten, die den Ver­ stand verloren haben und von der Wahrheit verlassen sind. O mein Sohn, meide das glaubenswidrige, seichte Geschwätz und die gegen den Glauben gerichteten Streit­ sätze einer falschen sogenannten Wissenschaft. Das sind nutzlose und bedeutungslose Sachen. Einen Menschen, der sich vom Glauben getrennt hat, warne ein, zwei Mal; dann zieh Dich von ihm zurück und wisse, daß die Ver­ kehrtheit auf seiner Seite ist, dazu auch Schuld, wie er denn ja sich selbst gerichtet hat. Und wahre Dir, was Dir mitgegeben ist. Predige des Herrn Wort, tritt dafür ein, ganz gleich, ob es an­ genehm empfunden wird oder nicht. Strafe, drohe, er­ mahne; nimm alle Geduld zusammen und lehre aus aller Kraft. Es wird nämlich die Zeit kommen, wo man die gesunde Lehre nicht mehr erträgt, sondern nach eigenen Lüsten sich Lehrer herbeizieht, wie einem gerade die Ohren jucken; wo man von der Wahrheit sich abwendet und Fabeln sich zukehrt. Du aber sei nüchtern in jeder Be­ ziehung, gehe dem Leiden nicht aus dem Wege und leiste den Dienst eines Evangeliumträgers und richte Dein Amt völlig aus. Denn i ch falle bereits als Opfer, und die Zeit meines Heimgangs ist da. Den guten Kampf habe ich gekämpft, den Lauf vollendet, die Treue gehalten; nun winkt mir die Krone des Lebens, welche mir und allen, die seine Erscheinung lieb haben, der Herr, der gerechte Richter, geben wird „an jenem Tage". Niemand stand mir bei während meiner Verteidi­ gung im ersten Gerichtsverfahren, alle hatten mich ver­ lassen. Aber der Herr stand bei mir und gab mir Kraft; da ward ich aus des Löwen Nachen erlöst. Der Herr

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Wird mich auch jetzt von allem Übel erlösen und mich

hineinretten in sein himmlisches Reich!--------So kämpfe denn auch Du den guten Kampf des Glaubens, ergreife das ewige Leben, zu dem Du berufen bist und Dich bekannt hast mit gutem Bekenntnis vor­ vielen Zeugen. Ich gebiete Dir im Angesichte Gottes, von dem das All das Leben hat, und Jesu Christi, dem wir das bekannte gute Bekenntnis vor Pontius Pilatus verdanken: befolge meine Anordnung ganz genau, — bis dann unser Herr Jesus Christus erscheint, den uns der Selige und Allgewaltige seinerzeit zeigen wird. Ihm, dem König der Könige und Herrn der Herren, — dem Einzigen, der unsterblich ist, der in einem unzugänglichen Licht wohnt, — welchen kein Mensch gesehen hat, noch sehen kann: ihm die Ehre und ewige Herrschaft. Amen.

Die paulinische Verfasserschaft dieses aus den beiden Briefen an Timotheus und dem an Titus wegen ihrer mannigfachen Be­ ziehungen und Wiederholungen zusammengezogenen Schreibens ist fraglich. Soll Paulus der Verfasser sein, so muß eine Befreiung des Apostels aus seiner römischen Gefangenschaft und danach eine zweite Gefangennahme angenommen werden, da die Briefe Ver­ hältnisse voraussetzen, die in dem uns geschichtlich bekannten Paulus­ leben keinen Raum haben. Aber auch wenn ein späterer Paulus­ schüler, um seinen Worten größeres Gewicht zu verschaffen, unter dem Namen des Paulus geschrieben hätte — was damals nicht als literarisch-unzulässig galt—, so ist das Schreiben auch dann für uns bedeutsam und wertvoll wegen des christlichen Gehaltes seiner Gedanken.

Das Schreiben schildert „Unser Leben als Glaubenskampf",

welcher geführt werden muß:

135 I. in Anlehnung an das Vorbild starker, besonders apostolischer Gottesstreiter; II. in der Ablehnung aller verführerischen Versuche von Irr­ geistern;

und durch welchen erzielt werden muß:

III. ebensowohl zeitliche Erfolge,

nämlich christliche Zustande: 1. im öffentlichen Leben,

2. im Familienleben, 3. im kirchlichen Leben,

4. im sozialen (gesellschaftlichen und Standes-) Leben, 5. im persönlichen Innenleben;

IV. wie auch ewiger Sieg.

II. Die Driese der übrigen Apostel.

1.

Das Schreiben des Jakobus. Jakobus, ein Knecht Gottes und des Herrn Jesus Christus, sendet dem Gottesvolk, das hin und her über die Erde zerstreut ist, seinen Gruß.

I. Meine lieben Brüder und Schwestern, Ihr solltet Euch freuen, wenn Ihr in mancherlei Anfechtungen ge­ ratet, in der Erkenntnis, daß das göttliche Prüfungen sind, die Eure christliche Geduld bewähren. Ja solche Glaubensproben müssen sich immer von neuem wieder­ holen, weil unbedingte, zuverlässige, vollkommene Stand­ haftigkeit im Christenstande das Ziel sein muß, das Ihr erstreben sollt. Wem aber diese Weisheit noch fehlt, die in die Leidenswege geduldig sich schickend aus scheinbarem Ver­ lust wahren Gewinn zieht, der erbitte sie von Gott, welcher sie ihm, ohne ihn mit langen Vorhaltungen hin­ zuziehen, geben wird. Nur bete er gläubig, ohne zu zweifeln; denn wer zweifelt, der gleicht der Meereswoge, die vom Winde getrieben und gepeitscht wird. Der denke nicht, daß er etwas vom Herrn empfangen werde, solch ein Mensch mit zwei Seelen, der unbeständig ist in allen seinen Wegen.

140 Selig also der Mensch, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er sich bewährt hat, wird er die Krone des Lebens empfangen, welche Gott verheißen hat denen,

die ihn lieb haben. II. Niemand freilich sage, wenn er zum Bösen versucht wird, daß er von Gott versucht werde. Denn Gott ist vom Bösen unversuchbar und versucht darum auch niemand zum Bösen. Vielmehr ein jeder wird versucht, wenn er von seiner eigenen Lust gereizt und gelockt wird. Wenn dann die böse Lust ihren Willen bekommen hat, bringt sie die Sünde hervor; die Frucht der Sünde aber, wenn sie zur vollen Entwicklung ge­ langt ist, ist der Tod. Dagegen nur gute Gabe, nichts als vollkommene Gabe kommt von oben herab, vom Vater des Lichts, der kein veränderliches und wechselndes Wesen kennt. So hat ja auch sein Wille uns neues Leben zu­ teil werden lassen durch das Wort der Wahrheit, damit wir vor allen anderen Geschöpfen ihm geweiht seien. Darum, Ihr Lieben, sei jeder Mensch schnell zum Hören (von Gottes Wort), langsam aber zum Reden (gegen Gottes Wege) und besonders zum zornigen Reden; denn des Menschen Zorn tut nicht, was vor Gott recht ist. Statt Euch der Unlauterkeit und Bosheit zu überlassen (indem man Gott die Schuld gibt), nehmt das Wort an mit Sanftmut, das in Euch gepflanzt ist, welches kann Eure Seelen selig machen. Seid aber auch Täter des Worts und nicht allein Hörer, weil ihr Euch sonst selbst betrügt. Denn wenn jemand bloß Hörer des Wortes ist und nicht Täter, der gleicht einem Manne, welcher sein Gesicht im Spiegel betrachtet und dann beim Fortgehen vergißt, wie er im

141 Spiegel aussah. Wer aber in den Spiegel des gött­ lichen Wortes so lange hineinsieht, bis er in ihm das befreiende und darum vollkommene Gesetz seines Lebens erkannt hat, der kann nicht mehr nur ein vergeßlicher Hörer sein, sondern er muß ein wirklicher Täter werden und wird selig sein in seinem Tun. Ein reiner und vollkommener Gottesdienst ist nun zum Beispiel das: sich der Verlassenen und Traurigen anzunehmen und sich vom Schmutz der sündigen Welt nicht beflecken zu lassen. III. Wer dagegen meint, Gott zu dienen, hält aber seine Zunge nicht im Zaum, der betrügt sich selbst; sein Gottesdienst ist eitel. So unterfangt Euch denn auch nicht, andere meistern zu wollen, da Ihr dadurch um so mehr Verantwortung auf Euch ladet. Wir verfehlen uns ja schon alle mannigfaltig. Geradezu Vollkommen­ heit aber gehört dazu, selbst mit dem Worte , niemals zu fehlen. — Seht die Pferde an, wir legen ihnen den Zaum ins Maul, damit sie uns gehorchen, und können so die großen Tiere lenken. Seht die Schiffe an, ob­ wohl sie so groß sind und oft noch von starken Winden getrieben werden, werden sie doch von einem kleinen Steuerruder gelenkt, wohin der Steuermann will. Ebenso würde, wer seine Zunge zügelte, seine ganze Person im Zaum halten können. Demnach kann die Zunge, trotzdem sie nur ein kleines Glied am Körper ist, doch Großes ausrichten. Siehe, ein kleines Feuer, welch einen Wald zündet es an! Und die Zunge ist auch ein Feuer. Eine Welt voll Ungerechtigkeit — steht sie da unter den Gliedern, den ganzen Kreislauf des Lebens bringt sie in Brand, wenn sie an der Hölle sich entzündet hat. Alle Tiere werden von der menschlichen Natur gezähmt. Aber die Zunge

142 kann kein Mensch zügeln, dies unruhige Übel voll töt»

lichen Gifts. Mit ihr preisen wir Gott, den Vater; mit ihr fluchen wir dem Menschen, Gottes Ebenbilde. Aus ein und demselben Munde kommt Lobpreis und Fluch. So sollte es, liebe Brüder und Schwestern, nicht sein. Gibt denn die Quelle zugleich salziges und süßes Wasser? Oder kann der Weinstock Feigen tragen? — Wenn Ihr nun bitteren Neid und Hader in Euerm Herzen habt, so rühmt Euch wenigstens nicht Eurer ver­ meintlichen Weisheit. Damit lügt Ihr und versündigt Euch an der Wahrheit. Das ist nicht die wahre, von Gott stammende Weisheit, sondern eine irdische, mensch­ liche, ja teuflische Weisheit. Denn wo Neid und Hader ist, da ist lauter schlechtes Wesen; die Weisheit aber von oben ist friedfertig, milde, läßt sich etwas sagen, hat ein warmes, liebreiches Herz, ist unparteiisch, lauter und auf­ richtig, kurz sie zeitigt Früchte, die nur im Frieden und bei Friedfertigen gedeihen. IV. Wer darum unter Euch weise und verständig sein will, der zeige seine Weisheit mit Werken, an einem Wandel in Sanftmut. Besonders meint ja nicht, daß unser Glaube an Jesus Christus, den Herrn der Herrlichkeit, vereinbar sei mit parteiischen Menschenrücksichten. Würdet Ihr zum Bei­ spiel in Euern Versammlungen einen Mann mit goldenen Ringen und in reicher Kleidung mit den Worten be­ grüßen: nimm hier vorn Platz und mach Dir's bequem; zu einem armen aber im dürftigen Rock sprächt Ihr: Du kannst dort hinten stehen oder auch Dich hier auf die Stufen zu Füßen meines Platzes setzen: hättet Ihr da nicht das Wesen des Glaubens verleugnet, indem Ihr solch lieblosen Personen-Unterschied macht? Sollen nicht

143 nach Gottes Ratschluß auch die Armen auf dieser Welt reich fein, reich im Glauben und Erben des Gottesreiches, welches er verheißen hat denen, die ihn lieb haben? Ihr aber hättet dem Armen einen Schimpf angetan! Ihr sollt das königliche Gesetz erfüllen: liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst. Recht so, wenn Jhr's tut! Wenn Ihr aber solche parteiischen Menschenrücksichten walten laßt, so tut Ihr Sünde und müßt Euch vom Gesetz als Über­ treter strafen lassen. Denn wenn jemand auch nur in einem einzigen Stück sich gegen das Gesetz verfehlt — mag er es sonst auch in jeder Beziehung gehalten haben —, der wird doch vom Gesetz im vollen Maße schuldig gesprochen. Bei all Eurem Tun und Reden vergeßt also nicht, daß auch Eure christliche Freiheit dem Gericht des ins Herz geschriebenen Gottesgesetzes unterworfen ist. Nur die Barmherzigkeit darf über das Gericht triumphieren. Darum wird aber auch ein unbarmherziges Gericht über den ergehen, welcher nicht Barmherzigkeit geübt hat. Was hilft es überhaupt, liebe Brüder und Schwestern, wenn jemand behauptet, Glauben zu haben und hat doch keine Werke? Kann denn der Glaube allein ihn selig machen? Gesetzt den Fall: einer Eurer Mitmenschen hätte die notwendigste Kleidung und Nahrung nicht und Ihr sprächt zu ihm „Gott helfe Dir, daß Du Dich warm kleiden und satt essen kannst", Ihr gäbt ihm aber nicht, was der Leib braucht: was hilft ihm das? So ist auch der Glaube ohne Werke in sich selbst tot. Denke, es sagte jemand zu Dir: „Wenn Du den Glauben betonst, so lege ich den Nachdruck auf die Werke. Ich will Dir gerade an meinen Werken zeigen, daß ich Glauben habe. Aber zeige Du mir auch einmal Deinen Glauben, der meint, ohne Werke bestehen zu

144 können. Also, Du glaubst, daß es nur einen Gott gibt? Du tust recht daran; aber das ist ein Glaube, den auch die Teufel haben, die trotzdem zittern"! Willst Du aber, Du leichtsinniger Mensch, ein Bei­ spiel dafür, daß der Glaube ohne Werke tot ist? Hat „Vater Abraham" nicht eben deshalb Gottes Wohlge­ fallen gefunden, weil er ihm seinen Sohn Isaak auf dem Altar opfern wollte? Da siehst Du, daß der Glaube sich in Werken betätigte und so infolge der Werke über­ haupt erst ein wirklicher Glaube geworden ist. Da erst bekam das Schriftwort seinen vollen Sinn: „Abraham glaubte Gott. Darum ruhte Gottes Wohlgefallen auf ihm, daß er ein Freund Gottes heißen durfte". Ihr seht also, daß der Mensch nur mit dem werktätigen Glauben vor Gott bestehen kann und nicht allein mit dem Glauben, ohne Werke. Denn wie der Leib ohne Geist tot ist, so ist auch der Glaube ohne Werke tot. V. Und doch ist so viel Streit und Krieg unter Euch? Kommt es nicht daher, daß Ihr Euch von den Lüsten der Selbstsucht beherrschen laßt? Ihr seid immerfort im Begehren und erlangt nichts; Ihr beneidet und hasset und erreicht damit nichts, Ihr streitet und kämpft und habt doch nichts, — weil Ihr nicht betet. Oder ja: Ihr betet; aber Ihr empfangt nichts; denn Ihr betet mit schlechter Gesinnung, nur um im Wohl­ leben genießen zu können. Ihr von Gott Abgefallenen und Treulosen, wißt Ihr nicht, daß Freundschaft mit der Welt Feindschaft gegen Gott ist? Wer der Welt Freund sein will, macht sich zu Gottes Feind. Denn mit heiligem Eifer wacht Gottes Liebe darüber, daß wir ungeteilt ihm angehören. Dafür schenkt er aber auch denen, die ihm treu bleiben, desto reichere Gnade.

145 Drum also, redet nicht Böses wider einander, meine Lieben, und werft Euch nicht zum Richter auf über die Brüder.

Wer das tut, der wendet sich damit gegen das

Gesetz der Nächstenliebe, ja er stellt sich sogar über das Gesetz.

Wenn Du Dich aber über das Gesetz stellst, so

ein Täter des Gesetzes zu sein, und machst Dich zum Gesetzgeber. Es gibt aber nur einen

hörst Du auf,

Gesetzgeber, der als Richter freisprechen und verurteilen darf. Du aber, wer bist Du, daß Du den Nächsten

richten willst?

Und Ihr, die Ihr so

viel Pläne macht: morgen

wollen wir dies tun, über's Jahr haben wir jenes vor.

Ihr wißt ja garnicht, was morgen sein wird. Denn was ist Euer Leben? Ein Dampf ist es, der eine kleine Zeit da ist, dann aber verschwindet.

Vielmehr solltet Ihr

sagen: wenn Gott uns gesund erhält, wollen wir dies oder das tun. Sonst ist all Euer Planen selbstvermessene All' solche Rühmerei ist aber böse. — Statt daß Ihr so viel schwört, sollte Euer Ja auch

Ruhmredigkeit.

wirklich

Ja

und

Euer

Nein

in

Wahrheit ein

Nein

sein. — Leidet jemand unter Euch, der bete; ebenso wie der, dem es gut geht, den Dank nicht vergessen soll.

Wer

krank ist, der lasse ein frommes Glied der Gemeinde zu sich kommen und für sich beten.

Das Gebet des Glau­

bens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn

aufrichten. — Bekenne einer dem andern seine Sünden und betet

für einander, daß Ihr auch in dieser Beziehung gesund werdet.

Des Frommen Gebet vermag viel, wenn es

ernstlich ist.

Wenn einer von der Wahrheit abirrt und

jemand bringt ihn wieder auf den rechten Weg, so wißt: Deckert, Briefe des N. T.

146 wer einen Sünder von seinem Irrweg abbringt, der wird dessen Seele vom Tode retten und damit eine Menge von Sünden (des anderen) zudecken. — Wer da weiß Gutes zu tun und tut es nicht, dem ist es Sünde. VI. So seid nun geduldig, liebe Brüder und Schwestern, bis zur Wiederkunft des Herrn. Seht, der Ackersmann wartet auf die köstliche Frucht der Erde; er wartet geduldig, bis sie den Frühlingsregen und Herbst­ regen empfängt. Seid Ihr auch geduldig und macht Eure Herzen stark; denn die Wiederkunft des Herrn ist nahe. Murrt nicht wider einander, damit Ihr nicht dem Gericht verfallt. Seht, der Richter ist vor der Tür. Ihr Mammonsknechte aber solltet weinen und weh­ klagen über das Elend, welches über Euch hereinbrechen wird. Euer Reichtum wird vermodern, Euer Gold und Silber verrosten. Seht, der Arbeiter Lohn, den Ihr herabgedrückt habt, schreit zum Himmel, und das Rufen der von Euch Betrogenen ist vor die Ohren des Herrn Zebaoth gekommen. Und dabei konntet Ihr in Wohl­ leben und Wollust schwelgen! Um so furchtbarer wird der Tag der Vergeltung über Euch kommen. Ihr aber, meine lieben Brüder und Schwestern, nehmt Euch im Leiden und Dulden die zum Vorbild, die dem Namen des Herrn gedient haben. Seht, wir preisen selig, die geduldig ausgeharrt haben. Von Hiobs Geduld habt Ihr gehört, und Ihr kennt auch das Ende, das der Herr seinem Leiden gab. Denn der Herr ist voll Mitleid und ein Erbarmer. Den Hoffärtigen widersteht Gott, aber den Demütigen gibt er Gnade. Darum seid Gott untertänig.

147 Nahet Euch Gott, so naht er sich Euch. Widersteht dem Bösen, so flieht es von Euch. Demütigt Euch vor Gott, so wird er Euch erhöhen. Amen.

Als Verfasser des Schreibens ist Jakobus, der „Bruder des Herrn", anzusehen. Es dürste die älteste Schrift des Neuen Testa­ ments, vermutlich vor dem Jahre 50 abgefaßt, sein, wozu auch der schlichte ursprüngliche Ton des aus ihr redenden Christentums stimmt.

Das Schreiben preist

„die in aller Not zufrieden aushaltende christliche Geduld", I. welche im Leiden nötige und fördernde Glaubensprüfungen sieht oder wenigstens gern erkennen möchte;

II. welche bei Versuchungen zum Bösen nicht Gott die Schuld gibt, sondern dem eignen Willen, und welche besonders die Ver­ suchung, unzufrieden zu reden, überwindet mit der Willigkeit, das Göttliche zu hören und zu tun; III. welche in der göttlichen Weisheit, die Zunge zu meistern, sich übt;

IV. welche, statt in schmeichlerischer Unterwürfigkeit auf die an Glücksgütern Reichen nach oben zu schielen, in barncherziger Liebe nach unten schaut, wie denen, die noch elender sind als man selbst, Hülfe zu bringen ist, in dem Bewußtsein, daß der Glaube ohne Werke tot ist; V. welche den Grund für allen in der Welt herrschenden Zank und Unfrieden darin sieht, daß man mehr irdisches Wohlleben be­ gehrt als um göttliches Wohlgefallen betet, mehr richtet als rechttut, lieber eigene Pläne schmiedet als Freud und Leid Gott zu befehlen;

VI. welche sich tröstet mit dem schließlichen Ausgleich aller, auch der sozialen Ungerechtigkeit, aber das Gericht über die dem Mammonsgeist Verfallenen Gott überläßt und immer wieder sich vor Augen stellt, daß nur ausharrende Unterordnung unter Gottes Willen zur endlichen Erhebung über alle Not führen wird.

2.

Das (erste) Schreiben des Petrus. Petrus, ein Apostel Jesu Christi, sendet den Don der göttlichen Vorsehung erwählten Pilgern in aller Welt seinen Gruß.

Gott gebe Euch viel Gnade und Frieden! I. 1. Gelobt sei Gott, der Vater unsers Herrn Jesu Christi, daß er in seiner großen Barmherzigkeit durch die Auferstehung Christi uns neu geboren hat zu einem Leben der Hoffnung auf ein unvergängliches Erb­ teil von ewiger Schönheit und Frische, welches für uns im Himmel aufgehoben wird; führt uns ja doch Gottes Kraft mittelst des Glaubens einem Heil entgegen, das schon bereitliegt, um in der Endzeit offenbar zu werden. Dann freut Ihr Euch, wenn Ihr auch jetzt eine kleine Zeit lang Trübsal habt durch mancherlei Anfechtungen; sie sind nötig, damit noch viel köstlicher geläutert als das vergängliche Gold, das doch auch schon im Feuer geläutert werden muß, Euer Glaube hervorgehe, dem wiederkehrenden Jesus zu Lob, Preis und Ehren, welchen Ihr, ohne ihn gesehen zu haben, lieb habt. Aber schon von Eurem jetzigen Glauben an ihn, ob­ wohl Ihr ihn noch nicht seht, müßtet Ihr mit unaus­ sprechlich herrlicher Freude erfüllt werden als solche, die

149 auch des Glaubens Ziel, der Seelen Seligkeit, er­ reichen. Denn dieses Heil der Seelen ist ein so herrliches, daß nach ihm bereits die Propheten gesucht und geforscht haben, welche von der Euch zuteil gewordenen Gottes­ gnade weissagten. Sie selbst hatten von ihren Offen­ barungen nicht viel, aber Euch haben sie damit einen Dienst geleistet, denen nunmehr durch des Evangeliums Boten kraft des gottgesandten heiligen Geistes Dinge kund wurden, welche sogar für Engel begehrenswert sind. 2. Darum umgürtet Euren Sinn mit Nüchternheit, daß Ihr Eure Hoffnung ganz auf die Gnade setzt, die Euch bei der Offenbarung Jesu Christi (am jüngsten Tage) zuteil wird. Als gehorsame Kinder Gottes ge­ staltet Euer Leben nicht nach den Lüsten derer, die vom Glauben noch nichts wissen; sondern im Blick darauf, daß, der Euch berufen hat, heilig ist, werdet auch Ihr mit Eurem ganzen Wandel heilig, — wie er ja spricht: „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig". Und wenn Ihr den als Vater anruft, der ohne Ansehen der Person einen jeden nach seinem Tun richtet, so führt Euer Leben in heiliger Scheu, solange Ihr hier pilgert. Denkt daran, daß Ihr nicht mit vergänglichen Werten, Silber oder Gold, von Eurem überkommenen wertlosen Lebenswandel erlöst seid, sondern mit dem kostbaren Blute Christi als des makellosen und fehllosen Gotteslamms; schon vor Beginn der Welt dazu ersehen, ist er doch jetzt erst ge­ offenbart, damit Euer Glaube an den, der ihn vom Tode erweckt und in Herrlichkeit versetzt hat, den Stempel der Hoffnung trüge, die sich auf Gott verläßt. 3. Im Gehorsam gegen die Wahrheit laßt Euer Herz Euch läutern zu aufrichtiger geschwisterlicher Liebe; habt einander herzlich lieb mit fester Treue, als die neues

150 Leben empfangen haben — nicht wieder aus vergäng­ licher, sondern aus unvergänglicher Lebenskraft, durch das lebendige und beständige Wort Gottes. Alles Irdische ist ja wie Gras, und alle seine Herrlichkeit nur wie die Blumen im Gras; wie bald ist das Gras verdorrt und die Blume abgefallen. Das Wort des Herrn dagegen bleibt in Ewigkeit. Solches Gotteswort ist aber das Euch verkündigte Evangelium. Darum legt ab alle Bosheit und allen Trug, die Heucheleien und Neidereien und alle Verleumdungen und habt als zu wahrem Leben geborene Kinder auch Verlangen nach der unverfälschten wahren Milch des Wortes Gottes, damit Ihr dadurch zunehmt im inneren Wachstum, das Euch zum Heil gereicht, — vorausgesetzt, daß Ihr geschmeckt habt, wie freundlich der Herr ist. 4. Ihm, dem von Menschen verworfenen, von Gott aber erwählten und kostbaren „lebendigen Steine" an­ gefügt, baut auch Ihr als „lebendige Steine" Euch auf zu dem Geistestempel einer heiligen Priesterschaft, um Opfer des Geistes darzubringen, die durch Jesus Christus Gott wohlgefällig sind. Steht doch in der Schrift: „ich lege einen erlesenen, wertvollen Grundstein; wer darauf baut, wird nicht zuschanden werden". Freilich nur denen, die darauf bauen, ist er wertvoll; aber denen, die ihm mißtrauen, ist der zwar von den Bauleuten verworfene, doch trotzdem zum Grundstein gewordene Stein ein Stein des Anstoßes und Fels des Ärgernisses; die seinem Worte

nicht glauben, stoßen sich eben an ihm, als müßte das so sein. Ihr aber sollt sein ein erlesenes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, ein heiliges Volk, das Gott sich zum Eigentum erkor, damit Ihr — einst nicht Gottes Volk, nun aber sein Volk, einst nicht in Gnaden, nun aber in

151 Gnaden — die Tugenden dessen verkündigt, der Euch aus Finsternis hineinberufen hat in sein wundervolles Licht. II. 1. Geliebte Brüder und Schwestern, als die hier fern der Heimat Pilgernden ermahne ich Euch: enthaltet Euch der sündigen Lüste, die wider die Seele streiten; und führt einen guten Wandel in der Welt, damit die noch nicht Gläubigen gerade auf dem Gebiete, wo Euch Böses nachgesagt wird, durch Euer Rechttun zur Gotteserkenntnis kommen und dafür noch einmal Gott preisen am Tage des Gerichts. Seid untertan aller menschlichen Ordnung um Christi willen: dem König als dem Oberherrn, wie auch der Obrigkeit, die von ihm bestellt ist zur Bestrafung derer, die Böses tun, und zur Belohnung derer, die Gutes tun. Ehrt den König, ehrt überhaupt jedermann, habt die Brüder lieb, fürchtet Gott. Denn so ist es Gottes Wille, daß Ihr durch Rechttun den törichten, unwissenden Menschen den Mund stopft. Tretet auf als freie Men­ schen und doch Gottes Diener, welche ihre Freiheit nicht zum Deckmantel der Bosheit mißbrauchen. 2. Ihr in dienender Stellung, ordnet in Ehrfurcht Euren Herren Euch unter in allen Verhältnissen, nicht nur den gütigen und gerechten, sondern auch den schwie­ rigen. Das ist Gott wohlgefällig, wenn einer im Aufblick zu ihm Trübes geduldig auf sich nimmt, selbst wo er zu Unrecht leidet. Denn was ist das für ein Ruhm, wenn Ihr unter den Folgen der eigenen Sünde zu leiden habt und das aushaltet?! Aber wenn man für sein Gutes­ tun noch leiden muß und das ruhig erträgt, das heißt: bei Gott in Gnaden stehen. Dazu muß es der bringen, der ein Christ sein will. Hat doch auch Christus an der Sünde anderer sogar sterben müssen, er der Heilige für die Gottlosen, um uns für Gott zu gewinnen.

152 3. Desgleichen sollt Ihr Frauen Euch Euren Män­ nern unterordnen. Allein schon durch den Wandel ihrer Ehefrauen ohne Worte müßten die, welche etwa dem Evangelium noch nicht Glauben schenken, dafür eingenom­ men werden, wenn sie Euer gottesfürchtiges, reines Leben sehen. Nicht in äußerem Schmuck der Haartracht, goldener Gehänge oder der Kleider liegt Euer Wert, sondern in dem verborgenen Schmuck des inneren Menschen mit der unvergänglichen Zier des sanften und stillen Geistes, der auch vor Gott etwas Kostbares ist. — Ebenso sollen aber auch die Männer in der Ehe auf den weiblichen Teil als den schwächeren Rücksicht nehmen und die Frauen ehren als Miterben der Gnade des Lebens; sonst bringt Ihr Euch um die Wirkung Eurer Gebete. 4. Endlich aber seid alle eines Sinnes in teil­ nehmender, barmherziger, demütiger Geschwisterliebe. Ver­ geltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Schelt­ wort, sondern im Gegenteil redet Segensreiches. Das ist der gewiesene Weg, um den Segen zu ererben, zu dem ihr berufen seid. Heißt es doch: „wer Freude am Leben haben will und gute Tage sehen, der hüte seine Zunge vor dem Bösesreden, seine Lippen vor betrügerischem Lügen, er wende sich vom Bösen und tue Gutes, er suche Frieden und trachte ihm nach. Denn die Augen des Herrn sind bei den Frommen und seine Ohren bei ihrem Gebet; aber denen, die Böses tun, ist des Herrn An­ gesicht entgegen". Wer sollte Euch auch Schaden zufügen können, wenn Ihr dem Guten nacheifert? Doch selbst wenn Ihr um des Guten willen leiden müßtet — wohl Euch! Fürchtet Euch nicht vor Menschen und laßt Euch nicht beunruhigen, haltet nur den Herrn Christus heilig in Euren Herzen

153 und seid stets bereit, Euren Glauben zu vertreten vor jedem, der Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die Euch erfüllt. Aber tut das mit Sanftmut und Gottes­ furcht, und haltet auf ein gutes Gewissen, damit, wo man Euch verleumdet, jene beschämt werden, die Euren guten christlichen Wandel beschimpfen. Wenn es Gottes Wille wäre, daß wir leiden sollen, so geschieht es besser für gute Taten als für böse. Auch Christus hat ja für uns gelitten und uns damit ein Vorbild hinterlassen, wie wir seinen Spuren nach­ folgen sollen. Er hat gelitten als einer, der keine Sünde getan hat, in dessen Munde kein Trug sich fand. Als er geschmäht wurde, schmähte er nicht wieder, — als er litt, drohte er nicht, sondern er stellte es dem anheim, der gerecht richtet. So hat er unsre Sünden gewisser­ maßen am eigenen Leibe in den Kreuzestod hinein mit fortgenommen, damit wir, der Sünde ledig, für Gott leben. — In Christi Wunden liegt unser Heil, denn Ihr seid wie verirrte Schafe, wenn Ihr Euch dem nicht zukehrt, der Eurer Seelen Hirte und Heiland ist. III. 1. Schon sind wir dem Ende näher gekommen. Darum gilt es, besonnen und klar zum Gebet zu sein. Vor allem habt eine starke Liebe, die festhält; denn Liebe bedeckt eine Menge von Sünden. — Seid gastfrei gegen einander ohne Murren. — Dienet einander — jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, — als gute Verwalter der mannigfaltigen Gottesgnade. Geschieht es mit dem Wort, dann so, als ob Gott durch Euch spräche; geschieht es mit der Tat, dann wie mit einer Kraft, die von Gott stammt. In allen Stücken soll Gott die Ehre haben von Eurer Verbindung mit Jesus Christus, dessen die Herrlichkeit und die Herrschaft ist für alle Ewigkeit.

154

2. Ihr Lieben, laßt Euch durch das Feuer des Lei­ dens, das zu Eurer Erprobung über Euch kommt, nicht befremden, als widerführe Euch etwas „garnicht zu Be­ greifendes"; im Gegenteil freut Euch in demselben Maß, wie Ihr mit Christus in Leidensgemeinschaft steht, damit Ihr auch bei der Offenbarung seiner Herrlichkeit jubeln und frohlocken könnt. Wenn Ihr Schmach leidet um des Christennamens willen, wie glücklich seid Ihr; dann ruht ja der Geist der Herrlichkeit, der Geist Gottes auf Euch. Nur leide niemand von Euch durch eigene Schuld, wohl gar als Mörder oder Dieb oder sonstiger Übeltäter, oder auch nur als solcher, der sich in andrer Leute Dinge mischt. Leidet er aber, weil er ein Christ ist, so braucht er sich nicht zu schämen. Er mache Gott Ehre mit seinem Namen. Denn es ist Zeit, daß das Gericht anfängt am Hause Gottes (bei den Christgläubigen); wenn es aber da schon anfängt, was soll erst das Ende derer sein, die Gottes Heilsbotschaft ungehorsam sind? Darum Ihr, die Ihr nach Gottes Willen leidet: befehlt Eure Seelen dem treuen Schöpfer und denkt daran, daß eben dieselben Leiden all' Euren christlichen Geschwistern in der ganzen Welt mit Euch gemeinsam sind. 3. Die Gemeinde-Ältesten ermahne ich als der Mit­

älteste und als Zeuge der Leiden Christi, allerdings auch als Genosse der Herrlichkeit, die noch offenbar werden soll: weidet Gottes Herde, die Euch befohlen ist; doch nicht gezwungen, sondern aus keiner anderen Nötigung als um Gottes willen; erst recht nicht um irgend welchen Gewinnes willen — schändlich wäre das —, sondern aus Herzenslust; auch nicht als solche, die herrschen wollen über Gottes Volk und Erbe, sondern, indem Ihr ihr Vorbild werdet, sollt Ihr die Herde weiden. Dann wird

155

Euch beim Erscheinen dessen, der das Urbild des guten Hirten ist, der unverwelkliche Kranz der himmlischen Herr­ lichkeit krönen. 4. Desgleichen sage ich aber auch allen Gliedern der Gemeinde: seid den Ältesten untertan. Überhaupt helft

Euch einander alle in die Demut hinein; denn Gott widersteht den Hoffärtigen, aber den Demütigen gibt er Gnade. So demütigt Euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er Euch erhöhe zu seiner Zeit. Alle Eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für Euch (ihm liegt an Euch).--------Aber der Gott aller Gnade, der Euch in Eurem Christentum zu seiner • ewigen Herrlichkeit berufen hat, der wird Euch nach kurzem Leiden auch die Vollendung erreichen lassen. Sein ist die Herrschaft ewiglich. Amen.

Das Schreiben wird frühestens in der Mitte der 50er, späte­ stens im Anfang der 60er Jahre anzusetzen sein.

Es zeichnet

„Das Christenleben unter dem besonderen Gesichtspunkt der Hoffnung" und diese Hoffnung wieder: I. in ihrer religiösen Begründung: Gott hat unser Leben mit Ewigkeitshofsnung verklärt, indem er 1. uns ein neues Glaubensleben schenkte, 2. ihm Kraft gab durch unsere Verbindung mit dem Erlöser, 3. sowie durch das geistliche Nährmittel des Wortes Gottes,

4. nicht minder durch unsere Eingliederung in die Gemeinde Gottes;



156



II. in ihrer sittlichen Betätigung: die Hoffnung auf zukünftige Erhöhung fordert von uns vor allem 1. Unterordnnng in allen gottgewollten Verhältnissen, und zwar ganz besonders noch: 2. in dienender Stellung,

3. im Verhältnis der Ehegatten zu einander, 4. in leidensvollen Lagen; III. in ihrem Ausblick auf die Vollendung: die auf das Ende blickende Hoffnung

1. breitet über unser Leben eine göttliche Weihe,

2. tröstet uns über die Leiden dieser Zeit, 3. schärst im besonderen antwortungsgefühl,

den Gemeindehäuptern das Ver­

4. aber entsprechend auch den Gemeindegliedern.

3.

Ein Weites Schreiben des Petrus.* Simon Petrus, ein Diener und Apostel Jesu Christi, sendet denen, welche denselben kostbaren Glauben wie wir emp­ fangen haben, seinen Gruß.

Mit Gnade und Frieden erfülle Euch die Erkenntnis Gottes und unsers Herrn Jesus. I. Hat uns nicht Christi göttliche Kraft alles, was zum Leben und zur Frömmigkeit gehört, geschenkt durch die Erkenntnis dessen (Gottes), der uns in seiner Herr­ lichkeit und Tugend berufen hat?! Sind uns nicht damit zugleich die wertvollsten und größten Verheißungen ge­ geben, und zwar zu dem Zweck, daß wir dadurch des göttlichen Wesens teilhaftig werden, entronnen dem in Begierde bestehenden weltlichen Verderben?! So wendet aber auch allen Fleiß daran, daß der Glaube nicht die Tugend vermissen läßt und wieder die Tugend nicht die religiöse Erkenntnis; daß die Erkenntnis jedoch die rechte Nüchternheit habe und diese Euch zum geduldigen Ausharren helfe; mit solcher Standhaftigkeit beweist Eure Frömmigkeit, eine Frömmigkeit, die es auch nicht an der *) Zur petrimschen Verfasserschaft siehe S. 161.

158 Liebe zu den christlichen Brüdern und zu allen Menschen fehlen läßt. Wenn Ihr alles dies in wachsendem Maße Euch aneignet, so kann das nicht wirkungslos und ergebnislos sein für die Erkenntnis unseres Herrn Jesus Christus. Wem dies aber fremd ist, der ist blind in jener Kurz­ sichtigkeit, die der Reinigung von früheren Sünden ver­ gessen kann. Darum, liebe Brüder und Schwestern, be­ fleißigt Euch, Euer Verhältnis zu Gott sicher zu stellen. Tut Ihr das, dann werdet Ihr nimmer zu Fall kommen, vielmehr in vollem Maße wird Euch gewährt werden der Eingang in das ewige Reich unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi. II. Darum will ich Euch immer wieder an diese Dinge erinnern, wenn Ihr sie auch schon wißt und in der Wahrheit fest gegründet seid. Ich halte es aber für Pflicht, solange ich am Leben bin. Euch durch mein Erinnern dies lebendig zu erhalten, gerade weil mir wohl bewußt ist, daß ich bald mein Leben lassen muß, wie es mir auch unser Herr Jesus Christus eröffnet hat. Ja, ich will mich bemühen, daß Ihr auch nach meinem Hin­ scheiden allezeit in der Lage seid, im Gedächtnis zu behalten, wie wir Euch unseres Herrn Jesu Christi Macht und Wiederkunft kund getan haben. Denn wir sind mit unserer Verkündigung nicht Nacherzähler ersonnener Mär­ chen, sondern Augenzeugen der Majestät dessen, der von Gott, dem Vater, Ehre und Glanz empfing: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe" hörten wir wie eine himmlische Stimme der hocherhabenen Herrlichkeit (Gottes), als wir bei ihm auf dem heiligen Berge waren. Seitdem ist uns das Wort prophetischer Weissagung noch gewisser, und Ihr tut gut, Euch daran

159 zu halten als an ein Licht, welches am finsteren Orte scheint, bis des Tages Strahl durchbricht und lichtflutend in Euren Herzen aufgeht; nur muß Euch das vor allem klar sein, daß man keiner prophetischen Weissagung der heiligen Schrift gerecht wird, wenn man ihre Erklärung nur in ihrer menschlich-buchstäblichen Form und nicht in einem tieferen göttlichen Sinn sucht. Denn durch menschliche Willenskraft ist noch niemals göttliche Weis­ sagung zustande gekommen, sondern stets war es so, daß vom heiligen Geist hingerissen Menschen redeten, ihres Gottes voll. III. Wie aber früher falsche Propheten unter dem Volk auftraten, so wird es auch unter Euch falsche Führer des Volkes geben, welche verderbliche Irrlehren einführen, und sogar den Erlöser als Herrn leugnen. Viele werden ihnen nachlaufen, und der Weg der Wahrheit wird ihretwegen gelästert werden. Aber ihr Gericht wartet schon längst auf sie, und ihr Verderben ruht nicht. Hat doch Gott schon die alte Welt nicht geschont, außer Noah, den Herold der Frömmigkeit, welchen er mit den Seinen vor dem Untergang bewahrte, als er die Flut über die gottlose Welt kommen ließ; hat er doch die Städte Sodom und Gomorrha gerichtet und in Asche ge­ legt, als warnendes Beispiel für zukünftige Gottlosigkeit, und nur den frommen Lot rettete er, welcher unter dem ausschweifenden Wandel der zuchtlosen Menschen Pein litt; daß dieser Fromme unter ihnen wohnen und Tag für Tag ihr frevlerisches Treiben sehen und hören mußte, das quälte seine fromme Seele. So weiß der Herr die Frommen aus Anfechtungen zu erlösen, die Gottlosen dagegen müssen den Tag des Strafgerichts fürchten. Doch jene, unvernünftig wie die Tiere, spotten über

160 das, wovon sie nichts verstehen; aber sie werden schon den Lohn der Schlechtigkeit noch empfangen und in ihrer Verkommenheit verkommen. Tägliches Genußleben ist ihre Lust, ihre Blicke sind voll von Unreinheit, unersättlich in Sünde ist ihr Sinn; sie fangen ungefestigte Seelen, durchtrieben in Selbstsucht, ruchlose Leute, die den graden Weg verlassen haben: Quellen ohne Wasser sind das, Wolken vom Sturm getrieben. Die Nacht der Finsternis wartet auf sie; denn mit ihrem hochtrabenden inhalts­ leeren Getöne verführen sie zu ausschweifenden Fleisches­ lüsten, besonders solche, die knapp den Kreisen der falschen Lebensrichtung entrannen, indem sie ihnen Freiheit ver­ heißen, während sie doch selbst Sklaven ihrer eignen Ver­ kommenheit sind; denn wem einer unterlegen ist, dessen Sklave ist er geworden. Ja, wenn selbst die, welche in Erkenntnis unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi sich von sündigem Schmutz fern gehalten haben, wiederum unterliegen, so ist für solche das letzte schlimmer als das erste. Besser noch wäre es: sie hätten den Weg des Heils nie kennen gelernt, als daß sie ihn erkannt und gleichwohl von der ihnen übermittelten heiligen Botschaft sich abgewandt haben. IV. Vor allem aber bedenkt, daß Spötter, die ihren Lüsten stöhnen, mit ihrem Spott über das Ende der Welt herziehen und behaupten werden: „mit der ver­ heißenen Wiederkunft des Herrn ist es nichts; es bleibt alles beim alten, wie es immer war". Dann macht Euch klar, Ihr Lieben, daß für den Herrn ein Tag so viel ist wie tausend Jahre, und tausend Jahre wie ein Tag. Wenn der Herr sein Erscheinen hinzögert, so ist das noch nicht, wie einige meinen, ein Unerfülltlassen seiner Verheißungen, sondern es liegt daran, daß er unsert-

161 wegen langmütig darauf wartet, daß alle bußfertig um­ kehren, weil er nicht will, daß jemand verloren gehe. Er wird schon kommen, der Tag des Herrn, so un­ versehens wie ein Dieb. Dann werden Himmel und Erde im Feuer zusammenkrachen. Geht nun diese Welt ihrer Auflösung entgegen, wie müssen doch auf heiligen und frommen Wandel die halten, welche den Anbruch des Gottestages erharren und ersehnen. Wir warten aber nach seiner Verheißung eines neuen Himmels und einer neuen Erde, auf welchen Gerechtigkeit wohnt. Deshalb, in solcher Erwartung, eifert dafür, daß Ihr sonder Fehl und Tadel vor ihm erfunden werdet, voll Frieden; und merkt Euch: daß der Herr Geduld mit uns hat, das ist unsre Rettung.--------Dies ist das andre Schreiben, meine Lieben, welches ich an Euch richte, um Euch in Eurem Gedächtnis durch mein Erinnern wachzuhalten den reinen Sinn der von den heiligen Propheten im voraus gesprochenen Worte und des von den Aposteln verkündigten Willens unseres Herrn und Heilandes. Ihr wißt es nun; nehmt Euch in acht, daß Ihr Euch nicht vom zuchtlosen Jrrgeist mit fortreißen und um den festen Halt bringen laßt. Wachset vielmehr immer tiefer hinein in die Gnade und Erkenntnis unsres Herrn und Heilandes Jesu Christi. Sein ist die Herrlichkeit, jetzt wie beim Anbruch der Ewigkeit. Amen.

Die petrinische Verfasserschaft dieses Schreibens ist fraglich. Über die damalige literarische Zulässigkeit des Verfahrens, im Namen

älterer und größerer Persönlichkeiten zu schreiben, siehe die Be­ merkung unter dem neunten Paulusschreiben. Auch dieses „zweite Petrusschreiben" ist in jedem Falle bedeutsam und wertvoll wegen des christlichen Gehaltes seiner Gedanken.

Deckert, Briefe des N. T.

11

162 Es kann gewertet werden als

„Ein Zeugnis von der Herrlichkeit des Christusglaubens", wie sie sich zeigt: I. in dem Bilde der Herrlichkeit deS Christen, dessen mensch­ liche Natur immer mehr vergöttlicht wird bis zu ihrer vollen Ver­ ewigung (sie zu erringen, mahnt der Apostel die Gemeinde); II. in dem Vorbilde der Herrlichkeit des irdischen Jesus, die ihm besonders auf dem Verklärungsberge zuteil wurde (sie gesehen zu haben, damit rechtfertigt der Apostel sein Amtsansehen); III. in dem Gegenbilde der Volksverführer und Verführten, welche die christliche Lebensrichtung verhöhnend immer tiefer ins sinnliche und tierische Wesen versinken (ihnen zu verfallen, davor warnt der Apostel);

IV. in dem Zukunftsbilde der Herrlichkeit der neuen Ewig­ keitswelt, an deren Erscheinen man sich durch ihr langes Ausbleiben nicht irre machen lassen darf (für die Wahrheit dieser Vollendungs­ hoffnung verbürgt sich der Apostel).

4.

Das Schreiben eines ungenannten Apostels. (Hebräerbrief.)

1. 1. Nachdem Gott vorzeiten in mancherlei Weise den Vätern sich geoffenbart hat durch die Propheten, hat er zuletzt uns sich geoffenbart durch seinen Sohn. Er — der Abglanz seiner Herrlichkeit, das Ebenbild seines Wesens, welcher unsere Erlösung vollbracht hat und nun thront zur Rechten der Majestät in der Höhe, — ist selbst den Engeln* an Macht weit überlegen, wie das schon der Name, den er empfangen hat, anzeigt. Denn zu welchem Engel hätte Gott jemals gesagt: „Du bist mein Sohn, heute habe ich Dich gezeugt"? oder: „Ich will sein Vater sein, und er soll mein Sohn sein"? Sind sie nicht alle dienstbare Geister, zum Dienst ausgesandt um derer willen, die die Seligkeit ererben sollen? Aber zu dem Sohne spricht Gott: „Setze Dich zu meiner Rechten, bis ich Deine Feinde Dir zu Füßen lege!" 2. Darum müssen wir aber auch umsomehr an die durch den Sohn Gottes uns zuteil gewordene Offen­ barung uns halten, damit wir das Heil nicht verscherzen. *) Der Vergleich Jesu mit den Engeln geschieht deshalb, weil die Engel als die Mittler der alten Gesetzesofsenbarung angesehen wurden, denen Jesus als der Träger einer neuen Offenbarung gegenübergestellt oder vielmehr übergeordnet werden soll.

li*

164 Denn wenn schon die durch die Engel vermittelte Gesetzes­ offenbarung Gültigkeit hatte, so daß jede Übertretung,

jeden Ungehorsam die gerechte Strafe traf, wie würde es uns erst gehen, wenn wir gegen dies große Heil gleich­ gültig wären. Freilich sehen wir, daß Jesus eine kleine Zeit lang doch einen niedrigeren Stand gehabt hat als die Engel, insofern er erst dann mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt wurde, nachdem er das Leiden des Todes durchkostet hatte, weil Gottes Gnade seinen Tod uns allen zugute kommen lassen wollte. So war es Gott angemessen, um dessen willen und durch den alles ist: wenn er seine Kinder in seine Herrlichkeit aufnehmen wollte, mußte er auch ihren Führer zum Heil durch Leiden vollenden. Denn die gleiche Herkunft des Heiligenden (Jesus) und der Geheiligten (der Christen) von dem Einen, von Gott, schließt Jesus mit uns zu gleichem Geschick zusammen. Darum schämt er sich auch nicht, uns Brüder zu nennen. Da nun die Kinder Gottes aus Fleisch und Blut be­ stehen, mußte er ihnen auch hierin gleich werden, damit er durch seinen Tod die Gewalt des Todes vernichte und die erlöste, welche ihr ganzes Leben hindurch Sklaven der Todesfurcht sein mußten. Denn nur wenn er selbst durch Versuchung gelitten hat, kann er denen, die versucht werden, helfen. So mußte er in allen Stücken seinen Brüdern ähnlich werden, um ein barmherziger und treuer Hoherpriester Gottes zu werden zur Sühnung der Sünden des Volkes. II. 1. So macht Euch denn, meine christlichen Brüder und Schwestern, die Ihr samt uns von Gott zu ewigem Heil berufen seid, diesen Hohenpriester Jesus zunutze, welcher, ebenso treu in Gottes Sache wie Moses, dennoch

165 an Würde auch diesem übergeordnet ist, da er der Be­ gründer eines neuen Gottesreichs ist, während Moses nur ein Glied deS alten war. Und überdies war die Treue des Moses nur die eines „Dieners im göttlichen Haus­ halt", dagegen die Treue Jesu ist die deS Sohnes im Vaterhause. Das von ihm begründete Reich bilden aber wir Christen, vorausgesetzt, daß wir die gläubige Zuversicht und Hoffnung bis ans Ende festhalten. Deshalb laßt Euch durch den Ausspruch Gottes warnen: „Heute, wenn Ihr seine (hier: Jesu) Stimme hört, so verhärtet Eure Herzen nicht, wie die Kinder Israel es taten auf der Wüstenwanderung, obwohl sie doch vierzig Jahre lang mein Walten geschaut hatten, sodaß ich zürnen mußte über solch Geschlecht, dessen Sinn immerfort auf Irrwegen geht, und sie nicht zu der ihnen zugedachten Ruhe kommen ließ. 2. Seht nun zu, daß nicht auch unter Euch jemand ein arges, ungläubiges Herz habe, das von dem leben­ digen Gott abfällt; ermahnt Euch dauernd, solange jenes „heute" gilt, daß nur nicht einer zur Verstockung gebracht wird durch die betrügerische Sünde. Wir sehen ja, daß alle, die noch aus Ägypten unter Führung des Moses von Gott errettet wurden, wegen ihrer Sünde auf der Wüstenwanderung umkamen und wegen ihres Unglaubens nicht zu der ihnen bestimmten Ruhe gelangten. So laßt uns geradezu eine Furcht davor haben, daß keiner von uns zurückbleibe, wo es sich darum handelt, zu Gottes Ruhe einzugehen. Denn gleich wie jenen gilt auch uns diese Verheißung. Aber wie jenen die Botschaft nichts geholfen hat, weil ihnen der Glaube fehlte, so gelangen auch wir nur zu Gottes Ruhe, wenn wir glauben. Es ist also noch eine Ruhe vorhanden für Gottes Volk. Wir müssen uns aber auch ernstlich bemühen, zu dieser Gottes-

166 ruhe zu kommen. Sonst könnte sich das Geschick jener, die ihres Unglaubens wegen von der Ruhe ausgeschlossen wurden, leicht auch an uns erfüllen. Denn das Wort Gottes, voll Kraft und Leben, wie es ist, ist schärfer und schneidiger als ein Schwert; es dringt ein in das Innerste unseres Wesens und legt die Gedanken und Gesinnungen des Herzens bloß, sodaß nichts vor Gott verborgen bleibt; dem haben wir Rede zu stehen. Nun haben wir einen erhabenen, ewigen Hohenpriester, Jesus, Gottes Sohn. Darum wollen wir festhalten an dem Bekenntnis zu ihm. Wir haben ja nicht einen Hohenpriester, der nicht vermöchte, mit unserer Schwach­ heit Mitleid zu haben, sondern einen, der in allen Lagen versucht ist, ganz in derselben Weise wie wir, nur ohne Sünde. So laßt uns denn mit Freudigkeit hintreten zum Thron der Gnade, um Barmherzigkeit zu empfangen und Gnade zu finden zur rechten Zeit, so oft wir Hülfe brauchen. III. 1. Jeder Hohepriester ist aber gewissermaßen ein von Gott anerkannter Anwalt der Menschen bei Gott, der ihr durch die Sünden gestörtes Verhältnis zu Gott wieder in Ordnung zu bringen hat. Darum kann keiner sich in diese Würde selbst einsetzen, sondern alle sind von Gott ins Hohepriestertum berufen. So hat auch Christus nicht selbst die Ehre, Hoherpriester zu sein, sich angeeignet, sondern Gott hat sie ihm gegeben.—Weiter soll ein Hoher­ priester auch Mitgefühl haben können mit den Unwissen­ den und Irrenden, zumal er ja selbst mit Schwachheit behaftet ist und infolgedessen nicht nur um der Sünden des Volks, sondern auch um der eigenen Sünde willen opfern muß. Darum hat auch Christus in den Tagen seines irdischen Lebens erst unter Seufzen und Tränen

167 im flehentlichen Gebet vor dem, der ihn aus dem Tode retten konnte, ringen müssen, ehe er die Erhörung fand, daß er aus seiner Todesangst erlöst wurde. Und, ob­ wohl er Gottes Sohn war, hat er dennoch an seinem Leiden Gehorsam lernen müssen. So nur kam er zur sittlichen Vollendung und wurde allen denen, die ihm gehorsam sind, der Urheber ewigen Heils. — Nun aber sollten wir einen solchen Hohenpriester haben, welcher wäre heilig, unschuldig, ohne Fehl und von der Sünde um Himmelshöhe entfernt, der darum nicht wie die anderen Hohenpriester nötig hätte, immer von neuem Opfer dar­ zubringen, weil sie außer für des Volkes Sünde auch für die eigenen Sünden opfern mußten. Für des Volkes Sünde aber brauchte er nur einmal zu opfern, wenn er sich selbst darbrachte. So ist Jesus der Hersteller einer besseren Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen geworden. Das sehen wir auch daran, daß jene Hohen­ priester wechselten, weil sie der Tod am Bleiben ver­ hinderte. Jesus aber, der ewiges Leben hat, verliert sein Hohepriestertum nie. Daher bleibt er der Retter für alle, die durch seine Vermittlung zu Gott kommen, weil er sein ewiges Leben dazu benutzt, mit seiner Fürbitte allezeit für die Seinen einzutreten. Das ist also der Hauptpunkt, um den es sich handelt: wir haben einen erhabenen Hohenpriester, welcher thront zur Rechten der Majestät im Himmel als ein Pfleger des vollkommenen überweltlichen Heiligtums, welches nicht wie jene irdischen Heiligtümer Menschenhand, sondern Gott selbst er­ richtet hat. 2. Welchen Wert aber das Opfer dieses Hohenpriesters hat, erkennen wir, wenn wir es mit den Opfern der übrigen Priester vergleichen. Das irdische Heiligtum näm-

168 lief), an welchem diese Diener sind, ist ja nur das schatten­ hafte Abbild des ewigen, urbildlichen Heiligtums. Wäre nun die Gottesgemeinschaft, welcher das irdische Heilig­ tum dienen sollte, untadelig gewesen und hätte ihre Be­ stimmung erfüllt, so hätte Gott nicht sie zu tadeln und eine Zeit für einen besseren Gottesbund auszuersehen brauchen. Aber es heißt doch: „Siehe es kommt die Zeit, — spricht der Herr — da werde ich mit den Kin­ dern Israel einen neuen Bund schließen, nicht wie den Bund, den ich mit ihren Vätern schloß, als ich sie aus Ägypten errettete. Denn diesem Bund sind sie nicht treu geblieben, sodaß auch ich ihn nicht mehr aufrechterhalten konnte. Vielmehr in der Weise will ich mit ihnen, wenn die Zeit dazu sich erfüllt hat, einen neuen Bund schließen: meine Gesetze will ich ihnen in den Sinn legen und ins Herz schreiben, sodaß sie dann wirklich mein Volk sein sollen, sowie ich ihr Gott sein will. Es wird keiner mehr den anderen zu lehren brauchen, wie er den Herrn erkennen soll, — sondern sie alle, klein und groß, werden mich kennen. Denn ich werde gnädig sein ihrer Schuld und ihre Sünden vergeben". Mit den Worten „einen neuen Bund will ich schließen" hat er den ersten für ver­ altet erklärt. Was aber veraltet, das ist unzulänglich und wert, daß es ein Ende nimmt. Zwar hatte auch der Gottesdienst am irdischen Heilig­ tum seine Ordnungen und heiligen Handlungen. Da war das „Heilige" und in ihm der siebenarmige Leuchter und der Schaubrottisch. Hinter dem Vorhang aber be­ gann das „Allerheiligste"; das enthielt außer dem goldnen Räucheraltar die ganz mit Gold überzogene Bundeslade, in welcher die Gesetzestafeln des Bundes lagen und auf welcher zwei Cherube aus Gold mit ausgebreiteten Flügeln

169 gleichsam die Wacht hielten bei der heiligen Stätte der Sühne. In dies „Allerheiligste" durfte allein der Hohe­ priester und auch er nur jedes Jahr einmal eintreten, um das Blut von Tieren als Opfer für die eigenen und des Volkes Sünde darznbringen. Das ist doch wie eine göttliche Weissagung, daß auch der Zugang zum wirklichen „Allerheiligsten" so lange nicht wahrhaftig offen ist, als vor dem ewigen Heiligtum als sein irdisches Abbild noch ein zeitliches Heiligtum steht, in welchem Opfer dargebracht werden, welche die Gewissen nicht ent­ lasten können, sondern nur als sinnbildliche Formen der wahren Erlösung bis zu dem Zeitpunkt nötig sind, wo diese selbst eintritt. Wie nun aber Christus als der Hohepriester jenes besseren, auf höheren Verheißungen beruhenden Bundes auftrat, da hat er eine ewige Erlösung vollbracht, weil er Gott nicht Tierblut darbrachte, sondern kraft seines eigenen Blutes, welches er nur einmal opfern konnte, in das Allerheiligste eingetreten ist. Denn wenn schon von dem Tierblut eine sinnbildlich reinigende Wirkung auf die sittlich Befleckten ausgeht, wie viel mehr wird das Blut Christi, welcher sich selbst mit seiner vom ewigen Geist erfüllten Persönlichkeit als ein fehlloses Opfer Gott dargebracht hat, unser Gewissen von der Befleckung der Sünde reinigen und uns weihen zum Dienst des lebendigen Gottes! Ist er ja doch nicht eingegangen in von Menschen­ hand gefertigte Heiligtümer, die nur die Nachbildungen des wahrhaften Heiligtums sein können, sondern in den Himmel selbst, um uns vor Gottes Angesicht zu vertreten. Und auch darin ist sein Opfer dem des irdischen Hohen­ priesters überlegen, daß er es nicht wie dieser oftmals, nämlich alljährlich zu wiederholen brauchte. Denn seit

170 Schöpfung der Welt ist er nicht oftmals als der Leidende aufgetreten, sondern nur einmal ist er in der Fülle der Zeit erschienen, um durch seine Selbstaufopferung die Sünde zu tilgen. Wie nämlich den Menschen bestimmt ist, nur ein­ mal zu sterben und dann das Gericht, so ist auch Christus nur einmal als Opfer getötet, um vieler Sünden zu be­ seitigen; danach aber, bei seiner Wiederkunft braucht er nicht mehr das Opfer der Sünde zu sein, sondern wird denen, die seiner harren, als Retter erscheinen. Also so steht es, daß die Gesetzesoffenbarung nur ein schwaches Abbild des ewigen Gottesheils vorstellt; das Heil selbst aber kann sie nicht vermitteln. Mit all den Opfern, die alljährlich in gleicher Weise immer wieder dargebracht werden, kann sie die Gläubigen nicht inner­ lich vollenden. Oder würde man sonst nicht mit Opfern aufgehört haben, wenn die Frommen durch die Opfer auch nur einmal im Gewissen gereinigt wären und in­ folgedessen kein Schuldbewußtsein mehr gehabt hätten? Statt dessen wurden sie gerade durch die Opfer alle Jahre fortwährend an ihre Sünden erinnert. Denn daß das Opfern von Tieren die Sünden tilgt, ist einfach unmög­ lich. Darum heißt es ja auch von Gott: „Opfer und äußere Gaben gefallen Dir nicht; vielmehr dazu hast Du mich bereitet, Deinen Willen zu tun". Diese Worte machen den Eindruck, als ob Christus aus ihnen zu uns spricht und mit dem Satze „Opfer und Gaben gefallen Dir nicht" die Opfer für abgeschafft erklärt, während er mit dem anderen „Deinen Willen zu tun, hast Du mich bereitet" den Gehorsam gegen Gott als verbindlich auf­ rechterhält. Beides jedoch hat er durch eine und die­ selbe Handlung zur Tat werden lassen, indem er das dingliche Opfer untergehen ließ in der persönlichen Auf-

171 Opferung seines gehorsamen Lebens, wodurch es allein möglich ist, daß durch seinen Gehorsam auch wir ein für allemal geheiligt sein können. Auf dasselbe läuft auch jenes Wort vom „neuen Bunde" hinaus. Denn nachdem Gott gesagt hat „dies ist der Bund, welchen ich seinerzeit mit ihnen schließen werde", fährt er fort: „meine Gesetze will ich ihnen ins Herz legen und in den Sinn schreiben" und: „ihre Sünden und Frevel will ich vergeben". Wo aber Vergebung der Sünde ist, da ist kein Platz mehr für das Sündopfer. Der Gehorsam gegen Gott muß an seine Stelle treten. So hat Christus also mit einem einzigen Opfer ein für allemal alle, die sich durch ihn heiligen lassen, innerlich vollendet. Nachdem er aber um der Sünde willen ein einziges für immer gültiges Opfer dar­ gebracht hat, thront er nun zur Rechten Gottes, bis seine Feinde ihm unterworfen sind. — IV. Liebe Brüder und Schwestern, demnach können wir uns darauf verlassen, daß wir Zutritt zu Gott haben, um Jesu willen, welcher uns durch sein Opfer einen neuen lebensvollen Weg dahin gebahnt hat; wir haben den Hohenpriester des ewigen Heiligtums für uns: so laßt uns nun auch an dieses Heil herantreten in Herzens«infalt und Glaubensgewißheit, um vom Druck des bösen Gewissens erlöst, von der Befleckung der Schuld befreit zu sein, wie wir ja zum Zeichen dieser sittlichen Reinigung unseren Leib haben besprengen lassen mit dem Wasser der Taufe. Und laßt uns sesthalten an der Hoff­ nung auf unsere Vollendung, unerschütterlich fest, — denn treu ist, der sie verheißen hat. Und laßt uns ein­ ander besonders dazu befohlen sein, uns zur Liebe und zu guten Werken anzuspornen; und nicht wegbleiben von unseren gottesdienstlichen Versammlungen, wie manche sich

172 das angewöhnt haben, vielmehr uns gegenseitig zu ihrem Besuch anhalten, und das um so mehr, da Ihr seht, wie schnell die Zeit dahingeht. — 1. Denn, wenn wir mutwillig sündigen, nachdem wir bereits zur Erkenntnis der Wahrheit gelangt waren, so tritt dann kein Opfer mehr für uns ein, das unsere Sünde wieder gut macht; sondern eö gibt für uns dann nur noch ein furchtbares Drohen des göttlichen Gerichtes und Feuereifers, der die ihm Widerwärtigen verzehren wird. Es ist ja unmöglich, daß die, die einmal von der göttlichen Wahrheit erleuchtet sind und die himmlische Gnade geschmeckt haben und des heiligen Geistes teil­ haftig geworden sind und das gute Wort Gottes und die Kräfte der ewigen Welt gekostet haben, — und dann von Gott abgefallen sind, nochmals zur Bekehrung gebracht werden können, wenn sie sich den Sohn Gottes doch wieder kreuzigen und zum Gespött machen. Wenn schon, auf gewisse Übertretungen des von Moses übermittelten. Gesetzes Todesstrafe stand, was meint Ihr: wieviel schlim­ mere Strafe hat der verdient, der den Sohn Gottes mit Füßen tritt, das Opfer des neuen Gottesbundes, das auch ihn einst weihte, verachtet und den Geist der gött­ lichen Gnade beschimpft. Wir kennen ja den, der gesagt hat: „Die Rache ist mein, ich will vergelten" und weiter: „Ich werde mein Volk richten". Schrecklich ist es, in die Hände des richtenden Gottes zu fallen. — Trotzdem werft Euer Gottvertrauen nicht weg, es wird sich reich belohnt machen. Nur geduldige Ausdauer ist nötig, damit Ihr den Willen Gottes erfüllt und die Vollendung erlangt, die er verheißen hat. Bloß noch eine kleine Weile, so wird kommen, der kommen soll, und nicht länger warten lassen. Dann wird der Fromme

173 auf Grund seines Glaubens ewiges Leben finden; die Abtrünnigen aber trifft Gottes Mißfallen. Wir nun wollen nicht zu denen gehören, die von Gott abfallen und verloren gehen, sondern zu denen, die ihre Seele retten durch Glauben. 2. Es ist aber der Glaube ein zuversichtliches Ver­ trauen auf das, was man hofft, eine zweifellose Gewiß­ heit über Dinge, die man nicht sieht. Der Glaube läßt uns erkennen, daß die Welten durch Gottes Willen her­ gestellt sind, so daß für uns hinter dem Sichtbaren der unsichtbare Gott als wirkende Ursache steht. Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen. Wer zu Gott kommen will, muß glauben, daß er lebt und von denen, die ihn suchen, sich finden läßt. Von dem Glauben haben die Alten des auserwählten Volkes ihren Ruf bekommen. Abel hat Gott ein besseres Opfer gebracht als Kain wegen seines Glaubens. Noah konnte vor dem Verderben, das noch nicht zu sehen war, sondern erst kommen sollte, gewarnt werden, und zur Rettung seines Hauses die Arche bauen infolge seines Glaubens. Im Glauben gehorchte Abraham, als der Ruf Gottes an ihn erging, daß er aus seiner Heimat aus­ ziehen sollte in ein Land, welches der Herr ihm zeigen wollte: er zog in die Fremde, ohne zu wissen, wohin er kam, und siedelte sich im fernen Lande an mit Isaak und Jakob, die gleich ihm die Verheißung göttlichen Segens bekommen sollten. Im Glauben wollte Abraham in der Stunde der Versuchung Isaak Gott zum Opfer bringen; seinen einzigen Sohn gab er preis, an den die Erfüllung der göttlichen Verheißung geknüpft schien: „Deine Nachkommen sollen so zahlreich werden wie die Sterne am Himmel und wie der Sand am Meer". Diese alle

174 sind gestorben, ohne die Erfüllung der Verheißung er­ langt zu haben, sondern nur von fern haben sie sie ge­ schaut und gegrüßt und haben bekannt, daß sie auf Erden Gäste und Fremdlinge waren. So hielten sie dennoch am Glauben fest, denn mit solchem Bekenntnis bezeugten sie, daß sie sich nach der Heimat sehnten. Hätten sie nun diejenige gemeint, die sie verlassen hatten, so hatten sie ja Zeit, dahin zurückzukehren. Nein, sie sehnten sich nach einer besseren, nach der ewigen Heimat. Darum schämt sich auch Gott ihrer nicht; er will ihr Vater heißen, und auch das Vaterland hält er für sie bereit. Wegen seines Glaubens hat Moses, als er groß wurde, sich geweigert, ein Sohn der Pharaostochter zu heißen; lieber wollte er mit dem Volke Gottes Ungemach leiden, als von der Verleugnung seines Glaubens einen zeitlichen Vorteil haben; und die Schmach um Gottes willen hielt er für größeren Reichtum als alle Schätze Ägyptens, sah er doch schon das Gericht über die Bedrücker voraus. Im Glauben verließ er Ägypten, ohne Furcht

vor dem Zorn des Königs; denn er hielt sich an den Un­ sichtbaren, als sähe er ihn. Im Glauben ging Israel durch das Rote Meer wie durch trockenes Land, worin dann die Ägypter ertranken, als sie auch den Versuch machten. Und wieviel könnte ich noch sagen von Gideon und Simson, von Samuel und David und den Propheten! welche herr­ lichen Taten haben alle durch den Glauben vollbracht! Andere freilich haben auch Spott und Geißelung, Fesseln und Gefängnis erduldet; sie wurden gesteinigt, gefoltert, zerteilt, enthauptet; sie irrten in Schafsfellen und Ziegenhäuten umher, verlassen, bedrängt, mißhandelt, — und hielten sich auf in Wüsten und Bergen, in Klüften und Höhlen: sie, deren die Welt nicht wert war.

175 Trotzdem haben sie, die sich doch alle durch ihren Glauben einen Namen gemacht haben, die Erfüllung der göttlichen Verheißungen nicht erlebt, weil Gott noch größeres vorhatte: sie sollten nicht ohne uns zur Vollendung gelangen. 3. Darum wollen wir aber auch, weil wir eine solche Menge von Glaubenszeugen um uns haben, die Sünde, die uns immer anklebt und uns träge macht, ab­ legen und mit standhafter Geduld den Kampf kämpfen, der uns bestimmt ist. Laßt uns aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, welcher, ob­ wohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete, ohne der Schande zu achten, nun aber zur Rechten der Majestät Gottes thront. Denkt doch an den, der solches Widersprechen von den Sündern sich gefallen ließ, damit Eure Seele nicht müde und matt wird. Denn noch habt Ihr im Kämpfen wider die Sünde nicht bis aufs Blut widerstanden. Ihr habt auch bereits den Zuspruch vergessen, der zu Euch wie zu Kindern Gottes redet: „mein Kind, achte die Züchtigung des Herrn nicht gering und verzage nicht, wenn Du von ihm gestraft wirst; denn welchen der Herr lieb hat, den erzieht er". Haltet aus in seiner Zucht! Gott stellt sich zu Euch wie zu seinen Kindern. Wo ist aber ein Kind, das der Vater nie züchtigte? Verschonte Euch Gott mit Züchtigung, die alle seine Kinder erfahren haben, so wäret Ihr keine rechten Gottes­ kinder. Bedenkt auch das: der Zucht der leiblichen Väter, die uns erzogen, haben wir uns gefügt; sollten wir uns nicht vielmehr dem Vater des Geistes unterordnen? Zu­ mal da wir sehen, daß jene uns für die kurze Zeit des irdischen Lebens, so wie es ihnen gut schien, erzogen

176 haben, dieser aber uns für die Ewigkeit zu unserem wahren Heil erzieht, um uns an seinem heiligen Leben teilnehmen zu lassen! Jede Züchtigung zwar bereitet uns, solange sie anhält, keine Freude, sondern macht uns traurig; nachdem sie aber vorüber ist, läßt sie zurück die Frucht des Friedens und der Rechtschaffenheit, freilich nur denen, die sich durch sie erziehen lassen. Darum sollen die lässigen Hände und die müden Knie wieder Spannkraft bekommen und die Füße auf gerader Bahn schreiten, damit, wer lahm war, nicht mehr strauchle, sondern vielmehr geheilt werde. Trachtet nach Frieden mit allen und nach der Heiligung, ohne welche niemand den Herrn sehen wird; und hütet Euch, daß nicht jemand Gottes Gnade versäume oder auch das Kraut der Bitterkeit unter Euch aufwachse und Unfrieden anrichte, sofern durch sie viele angesteckt werden. Ihr seid ja nicht in den Alten Bund der Gesetzesoffenbarung eingetreten, welche das Volk Israel oft mit ihrem furchtbaren Ernste abschreckte, sondern in den Neuen Bund der Gnaden­ offenbarung und seid zugesellt worden der Gemeinde derer, deren Namen im Himmel angeschrieben sind, wie auch den Geistern der vollendeten Frommen, und seid anvertraut dem Mittler des Neuen Bundes, Jesus, dessen Blut besser redet als das Blut Abels. So seht Euch denn vor, daß Ihr Gottes Offenbarung nicht verschmäht. Wenn schon Israel dem Gericht nicht entrann, als es dem auswich, der in irdischen Bildern sich ihnen offenbarte, wieviel weniger wir, zu welchen er aus der Ewigkeit redet. Darum, weil wir zu einem ewigen Reich gehören, laßt uns dankbar fein und Gott dienen, wie es ihm wohlgefällt, mit heiliger Scheu und Ehrfurcht. Denn unser Gott ist ein verzehrendes Feuer.

177 V. Bleibt treu in der Bruderliebe. Vergeßt auch nicht gastfrei zu sein; einige haben dadurch ohne ihr Wissen Gottesboten beherbergt. — Gedenkt auch der Ge­ fangenen und derer, denen es schlecht ergeht, und versetzt Euch in ihre Lage als solche, die das Leibliche nicht unterschätzen. — In der Ehe soll es ehrenhaft und an­ ständig zugehen; die Unkeuschen und Ehebrecher aber wird Gott richten. — Fern liege Euch der Geiz, laßt Euch genügen an dem, was Ihr habt. Denn Gott selbst hat gesagt: „Ich will Dich nicht verlassen noch versäumen." So können wir getrost sprechen: „Der Herr ist mein Helfer, ich will mich nicht fürchten; was sollte mir ein Mensch tun?" — Gedenkt Eurer Seelsorger, die Euch das Wort Gottes verkündigt haben; ihren Heimgang stellt Euch vor Augen und eifert ihrem Glauben nach. Gehorcht aber Euren Predigern auch schon zu deren Lebzeiten und folgt denen, die über Eure Seelen wachen, als die Rechen­ schaft darüber geben sollen —, damit sie das Wachen mit Freuden tun und nicht mit Seufzen; sonst hilft es Euch nicht. Laßt Euch nicht von mancherlei Irrlehren hinnehmen. Eure Losung sei: „Jesus Christus gestern und heute der­ selbe und so auch in Ewigkeit". Es ist köstlich, daß das Herz in solchem Glauben fest werde, was nur geschieht durch Erfahrung der Gnade. Wenn aber Jesus, als er sein Volk durch sein Selbstopfer heiligen wollte, aus Jeru­ salem ausgestoßen wurde und das Todesleiden draußen vor den Toren der Stadt erduldete, so sei uns das ein mahnen­ des Sinnbild, daß auch wir zu ihm hinaustreten aus dem Bereich alles unchristlichen Wesens, um seine Schmach zu tragen. Denn hier haben wir keine bleibende Stätte, wohl aber finden wir sie in der zukünftigen Welt. So laßt uns Deck er t, Briefe des N. T.

178

NUN in Jesu Namen allezeit Gott das Lobopfer unserer Lippen darbringen, indem wir nicht aufhören, uns zu ihm zu bekennen. Auch wohlzutun und mitzuteilen ver­ geßt nicht, denn solche Opfer gefallen Gott wohl. Der Gott des Friedens aber, der aus dem Tode heraus­ geführt hat den erhabenen Hirten der Gemeinde, unsern Herrn Jesus, den Mittler des ewigen Gottesbundes, der mache Euch fertig in allem Guten, daß Ihr seinen Willen tut, und wirke in Euch, was ihm wohlgefällig ist, durch Jesus Christus. Sein sei die Ehre in Ewig­

keit !

Amen. —

Das vorliegende Schreiben eines unbekannten Apostels — höchstwahrscheinlich noch vor dem Jahre 70 geschrieben — will uns den Blick schärfen für „die uns verpflichtende Vollkommenheit der durch Christus ver­ mittelten Heilsveranstaltung Gottes". Zu dem Zweck läßt es als wichttg hervortreten I. in einem Vergleich des Offenbarungsmittlers Jesu mit den Engeln als den göttlichen Mittlern der israelitischen Gesetzesoffen­ barung 1. die Überlegenheit Jesu als des Sohnes Gottes gegenüber

den Engeln als Gottes Dienern;

2. die Verpflichtung der christlichen Gemeinde, das durch ihn gebotene bessere Heil um so weniger zu versäumen; II. in einem Vergleich des Offenbarungsmittlers Jesu mit Moses als dem menschlichen Mittler der israelittschen Gesetzes­ offenbarung 1. die Überlegenheit Jesu als des Sohnes Gottes gegenüber

Moses als Diener im göttlichen Reichshaushalt; 2. die Verpflichtung der christlichen Gemeinde, sich durch das Beispiel derer, die sich zeitlicher Gottesverheißungen unwert zeigten, warnen zu lassen, das durch Christus vermittelte ewige Gottesheil zu verscherzen;

179 III. in einem Vergleich des Offenbarungsträgers Jesu mit den Hohenpriestern als den vor ihm höchsten Trägern der israelitischen Gesetzesoffenbarung

1. die Überlegenheit Jesu als des einzigen sündlosen und ewigen Hohenpriesters im himmlischen Heiligtum gegenüber den vielen sündlichen und vergänglichen Hohenpriestern im irdischen Heiligtum;

2. die Überlegenheit seines Opfers als des einmaligen ausreichen­

den Selbstopfers in sittlicher Gehorsamsleistung gegenüber den immer wiederholten und doch unzureichenden unpersönlichen Tieropfern;

IV. die Verpflichtung der christlichen Gemeinde (auf Grund des Ergebnisses von III: der erste gesetzliche Gottesbund nur ein zu Jesus weisendes Abbild des neuen vollkommenen Gnadenbundes), dieser von Christus getragenen Heilsoffenbarung treu zu bleiben:

1. aus Furcht vor dem Abfall vom wahren Glauben, 2. im Blick auf zahlreiche Vorbilder starken Glaubensmutes,

3. mit der Willigkeit, im Glaubenskampf, Jesus nach, sich auch den Leiden als heilsamen Erziehungsmitteln Gottes standhaft zu unterziehen; V. verschiedene aus diesem religiösen Grundsatz sich ergebende Pflichten auf sittlichem Gebiete.

5.

Das Schreiben des Johannes. (1. Johannesbrief.)

Das Uranfängliche — wir haben es gehört, haben es mit eigenen Augen gesehen und mit unsern Händen betastet: es ist das als „Wort Gottes" in der Mensch­ heit erschienene göttliche Leben. Und dies ewige Leben, das ursprünglich nur in Gott war, dann aber unter uns erschienen ist, verkündigen wir nun Euch; haben wir es ja doch gesehen und gehört. Und wir verkündigen es Euch zu dem Zweck, daß Ihr eintretet in die Art Gemeinschaft, wie wir sie bereits haben; das Eigentüm­ liche unserer Gemeinschaft ist aber, daß sie eine Gemein­ schaft mit dem Vater im Himmel und seinem Sohne Jesus Christus ist. Auch diesen Brief schreiben wir Euch, um Eure Freude an Eurem Christenstande größer zu machen.

I. Der Grundgedanke der Botschaft, die wir ver­ nommen und Euch verkündigen, hat den Inhalt: Gott ist Licht, in ihm wohnt nicht ein Schatten von Finsternis. 1. So dürfen wir denn nicht in der Finsternis wandeln, wenn wir mit ihm Gemeinschaft haben wollen. Sonst lügen wir und halten uns nicht an die Wahrheit.

181 Vielmehr im Lichte müssen wir wandeln, wie er im Lichte ist; dann haben wir nicht nur mit ihm Gemein­ schaft, sondern auch Gemeinschaft unter einander, eine Gemeinschaft, in welcher das Leben seines Sohnes Jesus uns von aller Sünde reinigt. Zwar werden wir nie ganz frei von Sünde. Das zu behaupten wäre Selbstbetrug und Unwahrhaftigkeit. Aber er vergibt uns die Sünden, die wir ihm bekennen, — treu und gerecht, wie er ist — und reinigt uns so von aller Untugend. Dagegen machen wir ihn geradezu zum Lügner, wenn wir vorgeben, keine Sünde zu haben. Sein Wort kann uns dann nichts helfen. Also, liebe Kinder, das ist die Absicht meines Briefes: ich möchte, daß Ihr von der Sünde loskämt. Und wenn jemand sündigt, so denkt daran: wir haben einen Fürsprecher bei dem himmlischen Vater, Jesus Christus den Sündlosen. Dieser ist geradezu die Sühne (Tilgungsmittel) für unsere Sünden; und nicht nur für unsere, sondern auch für die der ganzen Welt. 2. Das Merkmal aber dafür, daß wir zu ihm (Jesus) ein Verhältnis gewonnen haben, ist dies: wir müssen seine Gebote halten. Man kann sagen: ich habe Ge­ meinschaft mit ihm, ohne seine Gebote zu halten; dann ist man aber ein Lügner und von der Wahrheit ver­ lassen. Erst in dem, der sein Wort befolgt, kann die Liebe zu Gott zur wahren Vollendung gelangen. Kurzum, wir müssen ebenso wandeln, wie Jesu Wandel war, um sagen zu können, daß wir mit Gott Gemeinschaft haben. Ihr Lieben, es handelt sich hier ja um kein neues Gebot, sondern um das alte, welches Ihr von Anfang an gehört habt. Wiederum ist es doch insofern ein neues, als es durch Jesus erst seinen wahren Sinn

182 empfängt und in Euch auch nur darum Wahrheit werden kann, weil die Finsternis (vor der Bekanntschaft mit Jesus) vergangen ist und das wahre Licht (die Erkenntnis Jesu) bereits scheint. Ich meine: wir dürfen, wenn wir im Licht wandeln wollen, nicht lieblos sein gegen unsere Mitmenschen, die unsre Brüder sind. Sonst leben wir bis heute noch in Finsternis. Sondern seinen Bruder muß jeder lieb haben. Dann erst bleibt er im Licht und nichts Ärgerniserregendes ist an ihm. Wer aber

gegen seinen Bruder lieblos ist, der ist in Finsternis und wandelt in Finsternis und weiß nicht, wo er hin­ kommt, weil die Finsternis seine Augen geblendet hat. Die Voraussetzung für diese Ermahnungen, meine Kinder, bleibt freilich immer die, daß Euch die Sünden ver­ geben sind um seines Namens willen. Und damit setze ich ebenso bei Euch Erwachsenen voraus, daß Ihr den Ewigen kennt, wie ich bei Euch Heranwachsenden voraus­ setze, daß Ihr schon Erfahrungen habt in der Über­ windung des Bösen. 3. Wenn es aber so ist, liebe Kinder, daß Ihr Er­ wachsenen den himmlischen Vater erkannt und Ihr Heranwachsenden durch die Kraft des Wortes Gottes Proben in der Überwindung des Bösen abgelegt habt,

so möchte ich Euch nun weiter ermahnt haben: habt nicht lieb die Welt (soweit sie gottwidrig ist), noch was mit ihr zusammenhängt. Wer die gottwidrige Welt lieb hat, in dem kann keine Liebe zum himmlischen Vater sein. Denn sinnliche Leidenschaft, zur Be­ gierde aufreizende Schaustellungen, prahlerischer Luxus, und, was sonst noch an derartigem in der Welt auf uns einstürmt, das trägt ja den Stempel seiner wider­ göttlichen Herkunft an sich, entstammt also einer gott-

183

entfremdeten Welt. Und die Welt vergeht mit ihrer Lust; wer aber den Willen Gottes tut, der bleibt in Ewigkeit. Ihr habt wohl gehört, daß der Widerchrist kommen soll. Ich sage Euch: es sind bereits viele Widerchristen aufgetaucht. Sie sind von uns ausgegangen; aber sie gehörten nicht zu uns; denn wenn sie zu uns gehört hätten, so wären sie unter uns geblieben. Ich schreibe Euch dies nicht, als hättet Ihr keine Einsicht in die christliche Wahrheit. Ihr habt ja den heiligen Geist empfangen und habt demnach sämtlich geistliche Erkenntnis. So wißt Ihr denn auch, daß Lüge nicht aus Wahrheit hervorgeht. Wer wäre aber noch ein Lügner, wenn nicht der, welcher leugnet, daß Jesus der Gottgesandte sei? Das ist der Widerchrist, und er leugnet ebenso wie den Sohn auch den Vater. Denn wer den Sohn leugnet, hat auch den Vater nicht. Man hat den Vater nur durch das Bekenntnis zur Gottessohnschaft Jesu. Wir, die wir mit unsern Augen alles geschaut haben, bezeugen, daß der Vater den Sohn gesandt hat als Heiland der Welt. Wenn Ihr Euch nun zu Jesus als dem Sohne Gottes bekennt, so bleibt Gott in Euch und Ihr in Gott. Das habt Ihr von Anbeginn vernommen, das bleibe auch der Inhalt Eures Lebens. Dann bleibt Ihr in der Gemeinschaft des Sohnes und des Vaters und habt, was er verheißen hat: das ewige Leben. Meine Kinder, bleibt mit Jesus verbunden, damit, wenn er zum Gericht erscheint, wir mit Freudig­ keit vor ihn treten und nicht bei seiner Wiederkunft zuschanden werden. II. So wißt Ihr aber auch, daß, weil nur Gott gut ist, man von Gott geboren sein muß (d. h. sein inneres,

184 geistliches Leben empfangen haben muß), um überhaupt gut (in Gottes Sinn) sein zu können. 1. Und seht, welch eine Liebe hat uns der Vater im Himmel erzeigt, daß wir Gottes Kinder heißen dürfen. Kein Wunder, daß die nur weltlich Gesinnten nichts mit Euch zu tun haben wollen, weil sie keine Ahnung von Gott haben. Gleichwohl sind wir bereits Gottes Kinder. Es ist uns zwar noch verhüllt, wie wir als solche im Zustande der Vollendung sein werden. Wir wissen nur, daß, wenn Jesus dereinst erscheint, wir ihm ähnlich sein werden, weil es uns ihm ähnlich machen muß, wenn wir ihn in seinem wahren Wesen schauen, wie er ist. Doch das können wir uns jetzt schon sagen: jeder, der so herrliche, auf ihn sich gründende Hoffnung in sich trägt, muß sich reinigen, weil jener rein ist. Wer nun Sünde tut, der lädt Schuld auf sich, die Sünde ist eben die Schuld. Denn Ihr wißt, daß jener erschienen ist, um die Sünden sortzuschasfen und daß in ihm selbst keine Sünde ist. Solange man mit ihm verbunden bleibt, sündigt man darum auch nicht; und wer noch sündigt, der hat eben noch nicht die rechte An­ schauung und Kenntnis von ihm Kinder, laßt Euch nicht täuschen: wer Gutes tut, der stammt von ihm ab, der selber das Gute in Person ist. Dagegen wer Böses tut, stammt vom Teufel, denn der ist die Verkörperung der Sünde. Dazu aber ist der Sohn Gottes erschienen, daß er die Werke des Teufels zerstöre. Daran wird es offenbar, welches die Kinder Gottes und welches die Kinder des Teufels sind: soweit man von Gott ge­ boren ist, tut man nicht Sünde, weil die Art seines Lebens sich nicht verleugnen kann; man kann geradezu sagen: soweit einer von Gott geboren ist, kann er gar-

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nicht sündigen. Wer dagegen Böses tut, der ist nicht von Gott, — besonders der nicht, welcher seinen Bruder nicht lieb hat. 2. Ist doch von Anfang an uns die Botschaft ge­ worden, daß wir einander lieben sollen. Die gottentfremdete Welt kann nicht anders als hassen, wo sie Gotteskindern gegenübertritt; das ist nicht seltsam. Wir aber sollen damit, daß wir brüderlich lieben, beweisen, daß wir aus dem Tode ins Leben hinein versetzt sind. Denn im Tode ist und bleibt, wer nicht lieben kann. Und wer gar seinen Bruder haßt, der ist ein Totschläger, und Ihr könnt Euch denken, daß ein Totschläger ewiges Leben nicht in Besitz hat. Drum laßt uns einander lieb haben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren. Wer niemand lieb hat, der kennt nicht Gottes Wesen; denn Gott ist Liebe. Und seine Liebe zu uns hat Gott in der Weise offenbart, daß er seinen (in der Art) einzigen Sohn in die Welt sandte, damit wir durch ihn das Leben be­ kämen. Daher nicht an unsrer Liebe zu Gott ist das Wesen der Liebe zu ermessen, sondern an Gottes Liebe zu uns, an der Liebe, daß er seinen Sohn als Sühne für unsere Sünden sandte. Hat uns Gott nun also geliebt, so sollen wir aber einander auch lieben. Niemand hat Gott jemals gesehen. Und doch haben wir eine Möglichkeit, wie seine Gemeinschaft und seine Liebe in immer vollerem Maße uns zuteil werden kann: wenn wir einander lieben. So kommt denn alles darauf an, die Liebe, die Gott zu uns hat, zu erkeunen und zu glauben. Gott ist Liebe; wenn Ihr in der Liebe bleibt, so bleibt Ihr in Gott und Gott in Euch. Das Höchste an der Liebe

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ist aber dies, daß sie uns selbst für den Tag des Gerichts eine fröhliche Zuversicht schenkt, weil es ja sein Wesen (eben Gottes Liebeswesen) ist, das wir bereits in dieser Welt an uns tragen. Furcht kennt die Liebe nicht; die wahre Liebe wenigstens vertreibt die Furcht. Die Furcht denkt ja immer an Strafe. Und wer sich so vor Strafe fürchtet, der hat die Liebe nur in un­ vollkommener Weise. Wir aber lieben, — freilich nachdem er uns zuerst geliebt hat. Wenn jedoch jemand spricht: „ich liebe Gott" und haßt seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht: wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht? Dies Gebot haben wir nun einmal von Gott: wer Gott liebt, muß auch seinen Bruder lieben. Wie stark aber unsere Bruderliebe sein soll, haben wir daran erkannt, daß Jesus sein Leben für uns ge­ lassen hat. So sollen auch wir bereit sein, für die Brüder sogar das Leben zu opfern. Wenn dagegen jemand, selbst im Überfluß, seinen Bruder darben sieht

und sein Herz ihm verschließt, kann denn in solchem Herzen Liebe zu Gott sein? Meine Kinder, laßt uns nicht lieben mit Worten, sondern mit der Tat, — nicht bloß mit Gefühlen, sondern in Wahrheit. An der Liebe erkennt man, wer wahrhaftig ist. Damit, daß wir Liebe haben, können wir unser Herz beschwichtigen, wenn es uns verdammt, weil Gott größer ist als unser Herz und alles weiß. Unser Herz braucht uns also nicht mehr zu verdammen, und wir können Gott zuversichtlich entgegentreten; denn wir halten sein Gebot und tun, was ihm wohlgefällig ist. Sein Gebot ist, daß wir glauben an den Namen seines Sohnes Jesus Christus und

187 einander lieben nach dem Beispiel, das er uns gegeben hat. Wer so Gottes Gebot hält, der hat Gemeinschaft mit ihm. 3. Das Merkmal aber dafür, daß Gott in uns wohnt, ist der Geist, den er uns gegeben hat. Ihr Lieben, glaubt nicht jedem Geist, sondern Prüft die Geister, ob sie von Gott sind; denn es sind viele falsche Propheten in die Welt ausgezogen. Woran nun soll man den Geist aus Gott erkennen? Jeder Geist, welcher bekennt, daß Jesus gerade als wahrer Mensch doch der Gottgesandte ist, der ist von Gott. Und jeder Geist, welcher leugnet, daß in Jesus die Offenbarung Gottes als menschliche Persönlichkeit in die Welt eingetreten ist, stammt nicht von Gott. Das ist der Geist des Wider­ christs, von welchem Ihr gehört habt, daß er kommt, und der schon jetzt in der Welt ist. Liebe Kinder, Ihr seid von Gott und habt jene überwunden, weil der in Euch größer ist als der in der Welt. Sie sind von einer ungöttlichen Welt; darum reden sie Ungöttliches, und die ungöttliche Welt hört auf sie. Wir sind von Gott; wer Gott erkennt, hört auf uns; wer nicht von Gott ist, hört nicht auf uns. Daran erkennen wir den Geist der Wahrheit und den Geist des Truges. Wer also glaubt, daß Jesus sei der Gottgesandte, der ist von Gott geboren. Und wer Gott liebt, der wird auch Gottes Kinder lieben. Ja, Gottes Kinder kann man (wahrhaft) nur lieben, wenn man Gott liebt. Das aber ist die Liebe zu Gott, daß wir seine Gebote halten. Und seine Gebote sind nicht schwer; denn alles, was von Gott geboren ist, überwindet die Welt; unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. Wer sonst könnte die Welt überwinden, als der da glaubt, daß Jesus der Sohn Gottes ist? Als solchen

188 hat ihn ausgewiesen seine Taufe und sein Tod; nicht bloß seine Taufe, sondern gerade auch sein Tod. Außer­ dem ist es auch sein in uns lebender Geist, der seine göttliche Sendung bestätigt. Denn es ist der Geist der Wahrheit. So sind es denn drei Zeugen: sein Geist, seine Taufe und sein Tod; und alle drei bezeugen ein und dasselbe. Wenn wir schon auf das Zeugnis von Menschen etwas geben, so ist das Zeugnis Gottes doch noch wertvoller, mit welchem er für seinen Sohn eingetreten ist. Glaube an den Sohn Gottes, so empfängst Du durch ihn die Bestätigung für die Wahrheit deines Glaubens. Wer dagegen Gott nicht glaubt, hat ihn zum Lügner gemacht, eben weil er dem Zeugnis nicht glaubte, das er für seinen Sohn abgelegt hat. Die Kraft des Zeugnisses liegt aber darin, daß Gott durch seinen Sohn ewiges Leben gibt. Wer den Sohn Gottes hat, der hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht.--------So möge Euch denn dieses Schreiben gewiß machen, daß Ihr ewiges Leben habt, wenn Ihr an den Namen, des Sohnes Gottes glaubt. Uns ist es gewiß, daß der Sohn Gottes gekommen ist und uns ein Herz gegeben hat, welches den Wahrhaftigen erkennt. Ja, wir leben durch seinen Sohn Jesus Christus in dem wahrhaftigen Gott und ewigen Leben. Meine Kinder, hütet Euch vor dem Unglauben. Amen. Das Schreiben des Johannes, welches etwa auf das Jahr 90 anzusetzen sein dürfte, ist „ein Denkmal der christlich bestimmten Liebe — sowohl der durch Christus geofseubarten, zum Menschen herniedersteigenden Liebe Gottes, als auch der durch Christus gewirften, zu Gott fich er­ hebenden Liebe des Menschen".

189 Diese Gemeinschaft der Liebe zwischen Gott und Mensch durch Christi Geist wird vom Apostel gezeichnet:

I. unter dem Bilde des Lichts —

oder in ihren Forderungen, welche als etwas zunächst Fremdes von außen an den Menschen herantreten und von ihm in eigner Kraft nicht erfüllt werden können. Als „Wandel im Licht" verlangt nämlich die Gemeinschaft mit Gott von uns 1. ein sündenreines Leben, das will sagen: 2. ein Leben der Liebe, welches sich den von Gott geliebten Mit­ menschen als Brüdern hingibt, 3. ein Leben der Liebe, welches (trotz 2) mit der gottwidrigen Welt nicht liebäugelt, sondern von ihrem Geist der Christus­ feindschaft entschieden sich lossagt; II. unter dem Bilde des Lebens —

oder in ihren Wirkungen, welche, im Innern des Menschen durch Gottes Kraft hervorgemfen, ihn nun befähigen, seine Aufgaben (unter I) zu lösen. Als „von Gott geboren sein" schenkt uns nämlich die Gemein­ schaft mit Gott tatsächlich die Fähigkeit zu

1. einem (wenigstens grundsätzlich) sündlosen Leben, das will sagen: 2. einem Leben der Liebe, welches sich den von Gott geliebten Mitmenschen als Brüdern hingibt, 3. einem Leben der Liebe, welches (trotz 2) die gottwidrige Welt mit ihrem Christus leugnenden Geist überwindet.

sSchlußbemerkung: Der in II 3, letzter Absatz, aus II 2 schein­ bar abgeirrte Gedanke von der Bruderliebe kann hier unter dem Gesichtspunkt gewertet werden, daß die Überwindung der Welt immer im Geist der Liebe zu geschehen hat.^

6.

Die Offenbarung an Johannes.

1. Johannes entbietet den sieben Gemeinden* seinen Gruß.

Gnade und Friede komme über Euch von dem, der war, ist und sein wird, — und von Jesus Christus, dem treuen Zeugen, dem Ersten aller vom Tode Auf­ erstandenen, dem König der Könige, welcher uns liebt, durch seinen Tod uns von unserer Sünde erlöst hat und uns machte zu einem Königtum von Priestern Gottes. Siehe, er kommt in den Wolken; aller Augen werden ihn sehen, auch die, welche ihn durchstochen haben, und es werden wehklagen alle Kinder dieser Welt. Das ist Wahrheit. Amen.

2. Diese Wiederkunft des Herrn Jesus Christus zum Gericht hat Gott im Bilde seinem Knecht Johannes gezeigt, welcher war ein Prediger des Wortes Gottes und ein Augenzeuge des Heilandes. Selig, der vorliest, — selig, die hören das Wort dieser prophetischen Weis­ sagung, — und selig, die ihren Inhalt behalten. Ich bin der Anfang und das Ende, spricht Gott der Herr, *) Die Siebenzahl kann als eine poetische Bezeichnung für die Gesamtzahl der Gemeinden angesehen werden.

191 welcher war, ist und sein wird, der Allmächtige. Sein ist die Macht und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen. 1. 1. Ich, Johannes, Euer Bruder und Mitgenosse in der Trübsal und in der Herrlichkeit, wurde am Tage des Herrn im Geist entrückt und hörte hinter mir eine mächtige Stimme wie Posaunenton: Was Du siehst, schreibe in ein Buch und sende es an die sieben Ge­ meinden. Und ich wandte mich um, zu sehen, wer mit mir redete; und wie ich mich umkehrte, sah ich 7 goldene Leuchter, und mitten unter den Leuchtern den Menschen­ sohn (Christus). Der war angetan mit einem langen Gewand und an der Brust umgürtet mit goldenem Gürtel. Sein Antlitz leuchtete wie die helle Sonne, sein Haar war weiß wie Schnee und seine Augen glichen Feuerflammen. Seine Stimme war wie das Rauschen großer Wasser, und die Worte kamen aus seinem Munde wie ein scharfes zweischneidiges Schwert. Und als ich ihn sah, fiel ich wie tot zu seinen Füßen nieder. Er aber legte seine Rechte mir auf's Haupt und sprach: Fürchte Dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte, der Lebendige. Ich war tot; aber siehe, nun bin ich lebendig in Ewigkeit. Und ich habe die Schlüssel des Todes und der Hölle. — Schreibe, was Du gesehen, was Du siehst und was Du sehen wirst: es ist das Geheimnis des Schicksals der 7 goldenen Leuchter. Die 7 Leuchter aber sind die 7 Gemeinden. 2. Der ersten Gemeinde schreibe: So spricht der Erste und der Letzte, der da tot war und ist lebendig geworden: Ich kenne Deine Werke und Deine Bedrängnis und Armut. Fürchte Dich nicht vor

192

den Leiden, die Dir bevorstehen. Sei getreu bis zum Tode, so will ich Dir die Krone des Lebens geben. Wer überwindet, dem soll der ewige Tod kein Leid antun. Wer Ohren hat, der höre, was Gottes Geist den Gemeinden sagt! Der zweiten Gemeinde schreibe: So spricht der Heilige und Wahrhaftige, der den Schlüssel hat zum Öffnen, daß niemand wieder schließen,

und zum Schließen, daß niemand wieder öffnen kann: Ich kenne Deine Werke. Du hast eine kleine Kraft, doch Du hast mein Wort bewahrt und meinen Namen nicht verleugnet. So will ich Dich auch bewahren in der Stunde des Gerichts, welches über den ganzen Erd­ kreis kommen wird, zu richten die Bewohner der Erde. Siehe, ich komme bald; halte, was Du hast, daß niemand Deine Krone nehme. Wer Ohren hat, der höre, was Gottes Geist den Gemeinden sagt! Der dritten Gemeinde schreibe: So spricht, der da wandelt mitten unter den goldenen Leuchtern: Ich kenne Deine Werke, Deine Mühe und Geduld, daß Du Heuchler nicht unter Dir haben willst, sondern standhaft um meines Namens Willen ausgehalten hast und bist nicht müde geworden. Aber ich habe wider Dich, daß Du Deine erste Liebe nicht mehr besitzt. So denke denn daran, was Du aufgegeben hast; kehre um und tue wieder die ersten Werke. Sonst, wenn Du nicht umkehrst, so komme ich über Dich und stoße Deinen Leuchter von seiner Stelle. Wer überwindet, dem will ich zu essen geben vom Baum des Lebens, der im Paradiese steht.

193 Wer Ohren hat, der höre, was Gottes Geist den Gemeinden sagt! Der vierten Gemeinde schreibe: So spricht, dessen Wort wie ein scharfes zwei­ schneidiges Schwert ist: Ich kenne Deine Werke, daß Du ttotz Deiner versuchungsreichen Lage an meinem Namen festhältst und den Glauben an mich in schweren Tagen nicht verleugnet hast. Aber ich habe wider Dich, daß auch solche zu Dir gehören, welche den echten Söhnen der Gottesgemeinde durch ihr abgöttisches Wesen Ärgernis

bereiten. Kehre um, daß ich nicht plötzlich über Dich komme und mit dem Schwerte meines Wortes gegen Dich streite. Wer Ohren hat, der höre, was Gottes Geist den Gemeinden sagt! Der fünften Gemeinde schreibe: So spricht der Sohn Gottes, der Augen hat wie Feuerflammen: Ich kenne Deine Werke, — Deinen Glauben, Deine Liebe, Deine Geduld, und daß Du je länger desto mehr ausrichtest. Aber ich habe wider Dich, daß Du die gewähren läßt, welche meine Kinder verführen, der Unzucht zu fröhnen. Ich habe ihnen Zeit gegeben zur Buße, aber sie wollen sich nicht bekehren von ihrer Unzucht. Siehe, ihr Lager der Wollust verwandle ich ins Krankenbett des Siechtums, wenn sie nicht Buße tun. Alle Gemeinden sollen erkennen, daß ich es bin, der Herzen und Gewissen erforscht; und ich werde einem jeden geben nach seinen Werken. Wer aber überwindet, dessen Namen werde ich aus dem Buch des Lebens nicht streichen, sondern seinen Namen werde ich vor meinem Vater bekennen. Wer Ohren hat, der höre, was Gottes Geist den Gemeinden sagt! Deckert, Briefe des N. T.

194 Der sechsten Gemeinde schreibe: So spricht, welcher den siebenfachen Geist Gottes (den Geist in seiner ganzen Fülle) hat: Ich kenne Deine Werke, daß Du einen Namen hast, als lebtest Du; in Wirklichkeit aber bist Du tot. Wach auf und stärke die, die am Sterben sind. Denn ich habe Deine Werke noch zu leicht vor meinem Gott befunden. Kehre um; denke daran, was Du empfangen und gehört hast, das halte fest. Wenn Du aber nicht aufwachst, so werde ich so jäh über Dich kommen, daß Du von meinem Kommen einen Schrecken haben sollst. Wer Ohren hat, der höre, was Gottes Geist den Gemeinden sagt! Und der siebenten Gemeinde schreibe: So spricht das Amen Gottes, der treue und wahrbaftige Zeuge: Ich kenne Deine Werke, daß Du weder kalt noch warm bist. Wärest Du doch kalt oder warm! Weil Du aber lau bist, werde ich Dich ausstoßen aus meiner Gemeinschaft. Du meinst „ich bin reich, habe genug und brauche nichts" und weißt nicht einmal, wie unglücklich, elend und arm Du bist. Ich rate Dir, daß Du Dir von mir Reichtum, Schönheit und Heilung schenken läßt. Wenn ich strafe und züchtige, so ist das Liebe. Darum eile Dich und kehre um. Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an; wer meine Stimme hört und mir die Tür auftut, zu dem werde ich kommen und Gemeinschaft mit ihm halten und er mit mir. Wer überwindet, dem will ich Anteil geben an meiner Herr­ lichkeit, gleichwie ich überwunden und teilgenommen habe an der Herrlichkeit meines Vaters. Wer Ohren hat, der höre, was Gottes Geist den Gemeinden sagt!

195 II. 1. A. Hierauf sah ich, wie der Himmel sich auftat; und die vorige Stimme, die zu mir redete wie Posaunenton, hörte ich sagen: Steige empor, so will ich Dir zeigen, was am Ende geschehen soll. Und alsbald ward ich noch mehr verzückt. Da stand im Himmel ein Thron von Edelstein, mitten im Glanz des siebenfarbigen Gnadenbogens Gottes (Regenbogen), der sich strahlend rings um ihn wölbte. An den vier Ecken des Thrones wachten vier Engel. Auf dem Thron aber saß einer, dessen Aussehen war wie der Blitz und dessen Stimme wie der Donner. Sieben feurige Fackeln lohten vor seinem Thron, die Zeichen des siebenfachen Geistes Gottes. Und vor dem Thron war etwas wie ein gläsernes Meer (das Völkermeer), durchsichtig wie Krystall. Im weiten Kreise aber umher waren vor dem Throne 24 Sitze, ans diesen Sitzen saßen die zweimal zwölf Häupter der je zwölf Stämme des alten und neuen Gottesbundes, angetan mit weißen Gewändern und mit goldenen Kronen gekrönt. Da stimmten die vier Engel den Lobgesang an: Heilig, heilig, heilig ist Gott der Herr, der Allmächtige, welcher war, ist und sein wird in alle Ewigkeit. Als nun die Engel dem, der auf dem Thron saß, Anbetung darbrachten, fielen auch die 24 Häupter der Gemeinde Gottes nieder, verneigten sich tief vor dem, der in Ewig­ keit lebt, legten ihre Kronen ab an den Stufen des Thrones und beteten: Herr, unser Gott, würdig bist Du zu empfangen Lob, Preis und Ehre; denn Du hast alle Dinge geschaffen, durch Deinen Willen wurden sie und sind sie geschaffen! B. Und ich sah in der rechten Hand dessen, der auf dem Thron saß, ein Buch; das war mit sieben Siegeln

13*

196 versiegelt. Ein gewaltiger Engel aber verkündete: Wer ist würdig, die Siegel zu brechen und das Buch zu öffnen? Und niemand war im Himmel und aus Erden, der fähig gewesen wäre, das Buch aufzuschlagen und hineinzusehen. Da ward ich traurig, daß niemand für würdig befunden sein sollte, das Buch zu lesen. Jedoch einer von den Vertretern des Gottesvolkes sprach zu mir: trauere nicht. Siehe, es hat gesiegt der Löwe vom Geschlecht Juda, das Reis aus dem Stamme David. Der wird das Buch mit den sieben Siegeln öffnen. Und wie ich hinsah, da stand mitten zwischen dem Thron mit den vier Engeln und den Vertretern der Gemeinden der wie ein Lamm geschlachtete Heiland, in seiner ganzen Majestät, mit Augen, aus denen der siebenfache Geist Gottes leuchtete; der trat herzu und empfing das Buch aus der Rechten dessen, der auf dem Thron saß. Als er aber das Buch nahm, fielen die vier Engel und die 24 Führer des Volkes vor ihm nieder und sangen ein neues Lied, also: Du bist würdig, das Buch zu nehmen und seine Siegel zu lösen; denn Du hast Dich töten lassen, um durch Deinen Tod Gott dem Herrn ein Volk zu erwerben aus allerlei Stämmen, Geschlechtern und Nationen, und hast aus ihnen ein priesterliches Königreich gebildet, in dem die Gottesherr­ schaft auf Erden sich entfalten soll. Siehe, da erschienen rings um den Thron zahl­ reiche Engel, Tausende und Millionen an Zahl, die er­ hoben alle mit Macht ihre Stimme und brachen in den Huldigungsruf aus: Das Lamm Gottes, das erwürgt ist, ist würdig zu empfangen Lob, Preis und Ehre, — Macht, Herrschaft und Gewalt. Und alle Geschöpfe im

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Himmel und auf Erden fielen ein: Ja dem, der auf dem Thron sitzt, und dem Gotteslamm gebührt Lob, Preis und Ehre und die Herrschaft für alle Ewigkeit. Die vier Engel und die 24 Gemeindehäupter aber sprachen: Amen. So beteten sie den an, welcher lebt von Ewig­ keit zu Ewigkeit. 2. A. Als nun das Gotteslamm die sieben Siegel geöffnet hatte, sah ich einen Engel mitten durch den Himmel fliegen, der eine Botschaft aus der Ewigkeit denen auf Erden auszurichten hatte und mit gewaltiger Stimme verkündete: fürchtet Gott und gebt ihm die Ehre; denn die Stunde seines Gerichts ist gekommen; so betet an den Schöpfer des Himmels und der Erde. Und siehe, da war eine lichte Wolke, und auf der Wolke saß der Menschensohn; der hatte eine goldene Krone aus seinem Haupte und in seiner Hand eine scharfe Sichel. Und ein anderer Engel ries dem, der auf der Wolke saß, laut zu: laß die Sichel ausgehen und ernte; ist doch die Zeit zu ernten gekommen, denn die Ernte der Erde ist dürr geworden. Und der auf der Wolke saß, warf die Sichel über die Erde; da ging die Ernte über die Erde. — Und ich hörte eine Stimme vom Himmel: Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben. Sie sollen ruhen von ihrer Mühsal; denn ihre Werke folgen ihnen nach. B. Es drang aber ein lautes Rufen durch den Himmel: Jetzt sind die Reiche der Welt unserm Gott und seinem Gesalbten zugefallen, und er wird regieren in Ewigkeit. Und die 24 Führer des Volks, die vor Gott auf ihren Thronen saßen, sielen vor Gott an­ betend nieder und sprachen: Wir danken Dir, Herr

198 Gott, Allmächtiger, der Du bist und warst und sein wirst, daß Du die Gewalt an Dich genommen und die Herrschaft angetreten hast. Die Völker lehnten sich auf; da kam Dein Zorn und der Tag des Gerichts über die Toten, zu lohnen denen, die Deinen Namen fürchten, den Kleinen und Großen, — und zu vernichten, die die Erde verderben. Und ich sah den Himmel offen; da ritt auf weißem Pferde ein Reiter heraus zu streiten für gerechtes Gericht. Seine Augen wie Feuerflammen, sein Gewand wie in Blut getaucht, sein Name „das Wort Gottes". In seiner Hand hält er ein scharfes Schwert, daß er seine Feinde schlage. Und auf seinem Gewand steht ge­ schrieben: „König der Könige, Herr der Herren". Ihm nach aber zogen auf weißen Rossen die himmlischen Heer­ scharen, in leuchtendes Weiß gehüllt. Und ich sah einen Engel vom Himmel herabfahren, der griff den Drachen, die alte Schlange, das ist der Teufel und Satan, und warf ihn in den feurigen und schwefligen Pfuhl. C. Da sprach eine Stimme aus der Nähe des Thrones: lobt unsern Gott, alle seine Knechte, die Ihr ihn fürchtet, Ihr Kleinen und Großen! Und wie das Rauschen großer Wasser und wie das Tosen starker Donner hörte ich's erschallen: Halleluja, Gott der Herr, der Allmächtige, hat das Reich eingenommen. Laßt uns jauchzen und fröhlich sein und ihm Anbetung darbringen. Nun sah ich wieder den strahlend hellen, erhabenen Thron und den, der darauf saß. Vor seinem Antlitz verging Erde und Himmel, und keine Stätte fand sich mehr für sie. Und ich sah die Toten, Groß und Klein, vor Gott stehen, und die Bücher wurden aufgetan. Und die Toten wurden gerichtet nach ihren Werken, die in

199 -en Büchern ausgezeichnet waren. Dann wurde ein andres Buch geöffnet: das Buch des Lebens. Und wer nicht stand im Buch des Lebens, der wurde in den feurigen Pfuhl geworfen. a) Darauf sah ich vor dem Throne und dem Gottes­ lamm eine große Schar stehen, die niemand zählen konnte, aus allen Völkern, Stämmen und Geschlechtern. Mit weißen Kleidern angetan und mit Palmen in ihren Händen riefen sie mit lauter Stimme: Heil dem, der auf dem Thron sitzt, und dem Gotteslamm. Und alle Engel rings um den Thron und die Häupter der Ge­ meinde knieten vor dem Thron nieder, und anbetend sprachen sie: Amen, Lob, Preis und Ehre und Dank sei unserm Gott gebracht in alle Ewigkeit, Amen. — Einer aber von den Vertretern des Gottesvolks fragte mich: weißt Du, wer die in den weißen Ge­ wändern sind und wie sie hierherkamen? Und ich antwortete: ich weiß es nicht, sage es mir! Und er sprach: es sind die, die aus großer Trübsal kamen, sich aber haben läutern lassen vom Leben des Heilandes. Darum dürfen sie nun vor dem Thron Gottes sein Tag und Nacht und ihm dienen. Sie werden nicht mehr Hunger und Durst haben; auch wird sie nicht mehr drücken irgend welche Hitze. Denn das Lamm Gottes vor dem Thron wird sie weiden und zu den Wasserquellen des Lebens führen, und Gott wird alle Tränen von ihren Augen abwischen. b) Und eine Stimme sprach: Selig, die zur Gemein­ schaft des Gotteslammes berufen sind! Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der vorige Himmel und die vorige Erde waren vergangen. Und ich, Johannes, sah die heilige Stadt, das neue

200 Jerusalem, und hörte eine laute Stimme: Siehe, das ist Gottes Wohnung bei den Menschen; denn er wird bei ihnen wohnen, sie werden sein Volk sein und er, Gott selbst, wird mit ihnen sein. Und Gott wird alle Tränen von ihren Augen abwischen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Klage, noch Schmerz wird mehr sein; denn die erste Welt ist vergangen. Da kam ein Engel zu mir und zeigte mir die große Stadt, das heilige Jerusalem. Das hatte große und hohe Mauern und zwölf Tore. Und die zwölf Tore waren zwölf Perlen, und jedes Tor bestand aus einer einzigen Perle. Und die Straßen der Stadt waren lauteres Gold, dabei durchsichtig wie Glas. Aber keinen Tempel sah ich in ihr, denn Gott der Herr, der All­ mächtige, ist ihr Tempel und das Gotteslamm. Und die Stadt bedarf nicht der Sonne noch des Mondes, daß sie ihr scheinen; denn die Herrlichkeit Gottes er­ leuchtet sie, und das Lamm ist ihre Leuchte. Ihre Tore werden nie geschlossen, denn es gibt dort keine Nacht. Und die Völker werden in ihrem Licht wandeln. Aber keine Sünde wird jemals hineinkommen, sondern nur die, welche eingetragen sind ins Buch des Lebens. — Weiter wurde mir vom Engel gezeigt ein Strom von Lebenswasser, klar wie Krystall; seine Quelle war am Throne Gottes, und er floß mitten durch die Straßen. Auf beiden Seiten des Stromes aber standen Lebens­ bäume. Und der Thron Gottes sowie des Gorteslammes wird in der Stadt sein, und seine Knechte werden ihm dienen und sein Angesicht sehen. Es wird keine Nacht mehr geben, und sie brauchen keinen Leuchter und kein Sonnen­ licht; denn Gott der Herr wird über ihnen scheinen, und sie werden teilhaben an seiner Herrschaft ewiglich.

201 Und ich Johannes, der dieses sah und hörte, kniete anbetend vor dem Engel nieder, der es mir zeigte. Aber er sagte zu mir: tue es nicht, ich bin Dein und Deiner Brüder Mitknecht; bete Gott an. c) Da sprach der auf dem Throne: „Siehe, ich mache alles neu. Das ist die Vollendung. Ich bin der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen von der Quelle des Lebenswassers geben umsonst. Wer überwindet, der wird das alles ererben. Ich will sein Gott sein, und er soll mein Kind sein." Und lautes Frohlocken antwortete, wie von großen Scharen, die jubelten im Himmel: Halleluja. Heil unserm Gott; Lob, Preis und Ehre sei ihm gebracht. Denn wahrhaftig und gerecht sind seine Gerichte. — Und abermals erschallte der Lobpreis: Halleluja. Ja wahrlich, Herr Gott, Allmächtiger, Deine Gerichte sind gerecht und wahrhaftig. — Und die 24 Häupter der Gemeinde und die vier Engel am Thron fielen nieder, beteten Gott an, der auf dem Thron saß, und sprachen: Halleluja. Amen.--------1. Und ich hörte die erste Stimme, die zu mir redete wie Posaunenton: „Siehe, ich komme bald. Selig, der die Worte der Weissagung dieses Buches behält. Wer böse ist, der sei nur immer böse; und wer gottlos ist, der fahre nur so fort. Aber wer fromm ist, der bleibe fromm; und wer gläubig ist, der bleibe gläubig. Siehe, ich komme bald und habe meinen Lohn bei mir, zu ver­ gelten jedem, was er getan hat. Ich bin der Anfang und das Ende, der Erste und der Letzte. Selig sind, die das Recht erhalten, zu den Toren der Stadt ein­ zugehen. Draußen aber bleibt alles, was gottlos ist und der Unwahrheit anhängt. Ich — Jesus — habe

202

meinen Boten (wohl Johannes) gesandt, um den Ge­ meinden solches zu bezeugen. Ich bin das Reis aus Davids Stamm, der Helle Morgenstern (d. h. der Ver­ kündiger und Anbruch einer neuen Weltzeit)."

2. Und die vom Geist erfüllte Gemeinde spricht: willkommen! Und wer es hört, der stimme ein: ja, komm, Herr Jesus! Wer durstig ist, soll kommen; und wer Verlangen hat, soll Lebenswasser umsonst empfangen. Der uns dies (die Worte dieser Schrift) bezeugt hat, verbürgt es: „Ja, ich komme bald!" So komm denn, Herr Jesus. Amen. — Die Gnade unsers Herrn Jesus Christus Euch allen! Amen. —

sei mit

Über den Verfasser und das Jahr der Niederschrift dieses Schreibens gehen die Meinungen sehr auseinander; gute Gründe sind auch dafür beizubringen, daß der Apostel Johannes tatsächlich der Verfasser ist und die Schrift vor dem Jahre 70 geschrieben hat.

In diesem letzten Schreiben kann man niedergelegt finden „die Offenbarung des Endes der Weltgeschichte". Ihr Gedankengang läßt sich folgendermaßen gliedern:

Einleitung: 1. Persönlicher Eingangsgruß (Prolog auf Erden). 2. Sachliche Einführung (Prolog im Himmel). I. Das Vorspiel: Die letzte Botschaft des Weltheilandes an feine Gemeinden. 1. Die einleitende Erscheinung (die Erscheinung Jesu). 2. Die 7 Schreiben an die Gemeinden.

203

II. Die Haupthandlung:

Das Kommen des Weltendes. 1. Die einleitende Erscheinung (die Erscheinung Gottes). A. Die Anbetung Gottes. B. Die Eröffnung des Schicksalsbuches. 2. Das Weltgericht.

A. Der I. Akt: Das Sterben der Menschen. B. Der 2. Akt: Die Vernichtung des Bösen. C. Der 3. Akt: Der doppelte Gerichtsausgang,

dessen zweite Hälfte ausführlich stehen bleibt bei der Schilderung:

a) der Seligen, b) der neuen Gotteswelt, c) der ewigen Liebe. Schluß: 1. Sachlicher Abschluß der Vifion (bringt „Jesu Gruß an seine Gemeinde"). 2. Persönliches Schlußwort des Apostels (verlangt „der Gemeinde Gegengruß an den Herrn").

Berichtigung. Seite

15, Zeile 12 lies „sinnlichen" statt „sämtlichen",

Seite 19, Zeile 8

lies „meinem" statt „meinen",

Seite 72, Zeile 1

lies „Gottes?" statt „Gottes!",

Seite 76, Zeile 1

lies „dient" statt „ient",

Seite 90, Zeile 8

lies „hat?" statt „hat.",

Seite'135, Zeile 6

lies „zeitlicher Erfolg" statt „zeitliche Erfolge".