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German Pages [100] Year 1971
HYPOMNEMATA HEFT 33
HYPOMNEMATA U N T E R S U C H U N G E N ZUR A N T I K E U N D ZU I H R E M
NACHLEBEN
Herausgegeben von Albrecht Dihle / Hartmut Erbse Christian Habicht / Günther Patzig / Bruno Snell
HEFT 53
IS
ISKSIH?
VANDENHOECK
& RUPRECHT
IN
GÖTTINGEN
ADALBERTO GIOVANNINI
Untersuchungen über die Natur und die Anfänge der bundesstaatlichen Sympolitie in Griechenland
VANDENHOECK & R U P R E C H T I N G Ö T T I N G E N
Gedruckt m i t U n t e r s t ü t z u n g der A l e x a n d e r - v o n - H u m b o l d t - S t i f t u n g u n d d e r Kommission f ü r Alte Geschichte u n d Epigraphik des D e u t s c h e n Archäologischen Instituts. © Vandenhoeck & R u p r e c h t in Göttingen 1971. — P r i n t e d in G e r m a n y . O h n e ausdrückliche G e n e h m i g u n g des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustom e c h a n i s c h e m W e g e zu vervielfältigen. G e s a m t h e r s t e l l u n g : H u b e r t & Co., G ö t t i n g e n
Vorwort Vorliegende Untersuchung ist hervorgegangen aus einer Dissertation, die 1965 unter dem Titel „Recherches sur les origines du federalisme en Grece" der Philosophischen Fakultät der Universität Fribourg/Schweiz vorgelegen hat. Während eines Aufenthaltes an der Universität Heidelberg, den mir ein Stipendium der Alexander-vonHumboldt-Stiftung ermöglichte, habe ich die Dissertation überarbeitet und erweitert. Meinen Lehrern, Frau Professor Dr. L. Kahil an der Universität Fribourg und Herrn Professor Dr. F. Gschnitzer an der Universität Heidelberg, die diese Arbeit angeregt und gefördert haben, möchte ich meinen aufrichtigen Dank aussprechen. Auch Herrn Professor Dr. Chr. Habicht und meinen Kollegen, Herrn Dr. G. Gottlieb und Herrn Dr. P. Kußmaul, bin ich f ü r ihre Unterstützung und manche Ratschläge zu Dank verpflichtet. Den Herausgebern der HYPOMNEMATA danke ich f ü r die Aufnahme der Arbeit in diese Reihe, der Alexander-von-Humboldt-Stiftung und der Kommission f ü r Alte Geschichte und Epigraphik für die Gewährung von Druckbeihilfen. Heidelberg
Adalberto Giovannini
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Inhalt Abkürzungen
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Einleitung
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I. Grundzüge und Aufbau der bundesstaatlichen Sympolitie . A. Terminologie B. Organe und Befugnisse der Zentralgewalt C. Die Mitgliedsgemeinden
II. Die ältere Geschichte der bekanntesten bundesstaatlichen Sympolitien
14 14 25 33
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Die Arkader Die Boioter Die Phoker Die Achäer Die Akarnanen Die Ätoler Die Thessaler Epeiros
43 46 50 53 55 60 63 67
III. Poleis und Ethne
71
Exkurs: Die Teilstämme der Molosser
04
i
Abkürzungen* A. Aymard, Les assemblies = A. Aymard, Les assemblies de la Confederation achaienne. fitude critique d'institutions et d'histoire, Bordeaux-Paris 1938. K . J . Beloch, GG 2 = K. J . Beloch, Griechische Geschichte, 2. Aufl., Straßburg und Berlin 1912 ff. H . Bengtson, GG 4 = H . Bengtson, Griechische Geschichte von den Anfängen bis in die römische Kaiserzeit = H a n d b u c h der Altertumswissenschaft I I I 4, 4. Aufl., München 1969. Bull. 6p. = J . et L. Robert, Bulletin epigraphique, in: Revue des fitudes Grecques. Busolt-Swoboda, Griechische Staatskunde = G. Busolt -H. Swoboda, Griechische Staatskunde = H a n d b u c h der Altertumswissenschaft I V 1,1, 2. Hälfte, 3 Aufl., München 1926. DA = Ch. D a r e m b e r g - E d m . Saglio, Dictionnaire des Antiquitis grecques et romaines, Paris 1877ff. Head, Historie Numorum 2 = B . Y . Head, Historia Numorum. Α Manual of Greek Numismatics, 2. Aufl., Oxford 1911. Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer = K . F . H e r m a n n - H . Swoboda, Lehrbuch der Griechischen Staatsaltertümer = K . F . Hermann, Lehrbuch der Griechischen Antiquitäten I 3, 6. Aufl., Tübingen 1913. IC = M. Guarducci, Inscriptiones Creticae, I V Bde, R o m a 1935 ff. IvM = O. Kern, Die Inschriften von Magnesia a m Maeander, Berlin 1900. IvMilet = G. K a w e r a u - A . Rehm, Das Delphinion in Milet = Th. Wiegand, Milet. Ergebnisse der Ausgrabungen u n d Untersuchungen seit dem J . 1899, H e f t I I I , Berlin 1914. I v O = W . Dittenberger - K . Purgold, Die Inschriften von Olympia = E . Curtius - Fr. Adler, Olympia. Die Ergebnisse der von dem Deutschen Reich veranstalteten Ausgrabung, Bd. V, Berlin 1896. B. Keil, Staatsaltertümer = B. Keil, Griechische Staatsaltertümer = AGerckeEd.Norden, Einleitung in dieAltertumswissenschaft I I I 3, Leipzig-Berlinl923. J . A. O.Larsen, Representative Government = J . A . O.Larsen, Representative Government in Greek a n d Roman History, Berkeley - Los Angeles 1955. Lexikon der Alten Welt = Das Lexikon der Alten Welt im Artemis Verlag, Z ü r i c h - S t u t t g a r t 1965. Schwyzer = Ed.Schwyzer, Dialectorum Graecarum exempla epigraphica potiora, Leipzig 1923. H . Swoboda, Rektoratsrede = H.Swoboda, Die griechischen Bünde u n d der moderne Bundesstaat. Rede gehalten bei der feierlichen Inauguration als Rektor der Deutschen Karl-Ferdinands-Universität in Prag a m 20. Oktober 1914, P r a g 1914. H . Swoboda, Zwei Kapitel = H . Swoboda, Zwei Kapitel aus dem griechischen Bundesrecht, SB Wien, phil.-hist. Kl. 199, 2. Abh., 1924. ΤΑΜ = Ε . K a i i n k a - R . H e b e r d e y , Tituli Asiae Minoris, 3 Bde., Wien 1901ff. Tod = M . N . T o d , A Selection of Greek Historical Inscriptions, 2 Bde., Oxford 1946-1948. * Die Abkürzungen von bekannten Zeitschriften u n d Inschriftensammlungen werden hier nicht angegeben.
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Einleitung Der Gedanke, durch bundesstaatliche Verfassungen eine dauerhafte und wirksame Kooperation der Poleis mit ihrem Streben nach Autonomie und Freiheit zu vereinbaren, scheint den Griechen der klassischen Zeit sehr ferngelegen zu haben. Es ist jedenfalls auffällig, daß die verschiedenen Bünde, die die Griechische Geschichte bis zur Zeit Alexanders des Großen bestimmten, immer wieder auf dem Prinzip der Symmachie aufgebaut worden sind, d.h. sie sind meist als Kampfgenossenschaften entstanden, die gegen einen bestimmten Feind gerichtet waren und im übrigen die Souveränität ihrer Mitglieder unberührt ließen. Zwar versuchte oft die führende Macht der Symmachie dieselbe zu befestigen, indem sie ihre Kompetenzen auf Kosten ihrer Verbündeten erweiterte. Aber es ist den Poleis, die an diesen Symmachien beteiligt waren, nicht gelungen, ihre grundsätzliche Abneigung gegen jegliche Einschränkung ihrer Souveränität zu überwinden und eine bessere Kooperation durch die Übertragung eines Teiles ihrer Hoheitsrechte an eine gemeinsame Zentralgewalt zu erwirken 1 . Um so bemerkenswerter ist das Aufblühen der bundesstaatlichen Sympolitie in der hellenistischen Zeit. Die politischen Verbände, die man in der modernen Literatur als bundesstaatliche Sympolitien 2 oder als Koina oder auch als Bünde zu bezeichnen pflegt, scheinen nämlich eine Art Zwischenstufe zwischen dem Staatenbund und dem Einheitsstaat dargestellt 3 und damit eine mit den modernen Bundesstaaten vergleichbare Organisation besessen zu haben: mit einem Staatenbund hatten die bundesstaatlichen Sympolitien gemeinsam, daß ihre Mitgliedsgemeinden „Poleis" hießen und daß diese Mitgliedsgemeinden ein eigenes Bürgerrecht und eine eigene Organisation hatten; auf der anderen Seite unterschieden sie sich von den Staatenbünden grundsätzlich dadurch, daß sie wie die Einheitsstaaten eine gemeinsame Zentralgewalt hatten, die befugt war, f ü r alle Angehörigen des Bundes verbindliche Beschlüsse zu fassen, und daß sie ein gemeinsames Bür1
Vgl. V. Martin, La vie internationale dans la Grece des cit£s (VIe-IVe s. av. J.-C.), Paris 1940, 126ff. und 241f. 2 Dieser Begriff ist von E. Szanto, Das griechische Bürgerrecht, Freiburg im Breisgau 1892, 104ff., geprägt worden. 3 Vgl. V. Ehrenberg, Der Staat der Griechen2 147f.
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gerrecht hatten. Das charakteristische Merkmal der bundesstaatlichen Sympolitien ist also das sog. „doppelte Bürgerrecht" ihrer Angehörigen, die das gemeinsame Bürgerrecht besaßen, indem sie Bürger einer der Mitgliedsgemeinden des Bundes waren 4 . Die bedeutendsten dieser bundesstaatlichen Sympolitien waren der achäische Bund, der sich im Laufe des 3. Jh.s durch die Aufnahme neuer Mitglieder allmählich ausbreitete, bis er am Anfang des 2. Jh.s die ganze Peloponnes umfaßte, und der ätolische Bund, der seine Blütezeit ebenfalls im 3. Jh. erlebte, wo er die Mehrzahl der Mitglieder der delphischen Amphiktyonie einverleibte und damit einen entscheidenden Einfluß auf diese Organisation ausüben konnte. Neben diesen beiden Bünden gab es aber noch mehrere bundesstaatliche Sympolitien, die in der hellenistischen Zeit ebenfalls eine gewisse Rolle gespielt haben: die Bünde der Akarnanen, der Boioter, der West- und Ost-Lokrer, der Phoker u.a. haben alle die Organisation gehabt, die man als bundesstaatliche Sympolitie bezeichnet. Man ist geneigt, die hellenistische Zeit als die Blütezeit der bundesstaatlichen Sympolitie zu betrachten, wie es die klassische Zeit f ü r die selbständige Polis gewesen war. Zugleich liegt die Vermutung nahe, daß das Aufblühen der bundesstaatlichen Sympolitie mit dem Niedergang der Polis in direktem Zusammenhang steht und erst durch diesen ermöglicht wurde. Deshalb wird auch in der Forschung vielfach die Ansicht vertreten, daß die bundesstaatliche Sympolitie eine letzte Entdeckung des politischen Genies der Griechen gewesen ist, durch welche das alte Problem des Partikularismus der Poleis endlich eine befriedigende Lösung fand 5 . "Le type rationnel de l ' E t a t federal", schreibt ein französischer Gelehrter, "avec tous ses rouages et sa Constitution creee de toutes pieces, est un produit theorique et relativement recent de l'experience et de la science politique des Grecs"®. 4 Vgl. Hermann - Swoboda, Staatsaltertümer 208f.: „Das Charakteristische für diese späteren Bünde ist, daß sie bundesstaatliche Sympolitien waren, d.h. daß es ein gemeinsames Bundesbürgerrecht gab, neben dem aber das Bürgerrecht der Städte fortdauerte." Vgl. ferner E. Szanto a.a.O. I l l ; G. Fougeres, DA Koinon (1899) 834; H. Swoboda, Rektoratsrede 9f. und Zwei Kapitel 3; W. Schwahn, R E Συμπολιτεία (1931) 1174 und 1182; V. Ehrenberg, Der Staat der Griechen 2 154ff. 5 Vgl. insbes. W. Vischer, Kl. Sehr. I 325ff. und 545; E. Szanto, Das griech. Bürgerrecht 106f.; G. Fougeres, DA Koinon (1899) 832ff.; B.Keil, Staatsaltertümer 322 f.; K. J. Beloch, GG IV 2 1, 607; W.Kolbe, Sav. Zeitschr. 49, 1929, 129; V. Ehrenberg, Der Staat der Griechen2 147f. und Polis und Imperium 3 6 ff. 6 G. Fougeres, a.a.O. 832.
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So einfach liegen die Dinge aber nicht: man wird zwar nicht bestreiten können, daß der achäische und der ätolische Bund ihre Ausbreitung und ihre politische Bedeutung dem Verfall der großen Poleis verdanken; aber es ist sehr bemerkenswert, daß die bundesstaatliche Sympolitie gar nicht in den Gegenden begegnet, wo die autonome und freie Polis in der klassischen Zeit als die ideale Staatsform gegolten hatte; die bundesstaatliche Sympolitie hat nicht die Poleis vereinigt, die sich durch ihren Partikularismus ausgezeichnet hatten. Durch bundesstaatliche Sympolitien sind Gemeinden vereinigt gewesen, die seit dem Beginn ihrer uns faßbaren Geschichte eng miteinander verbunden gewesen waren, indem sie territorial geschlossene Gemeinschaften bildeten, die von den Griechen ,,Ethne" genannt wurden, in der neueren Literatur als Stämme oder Stammbünde bezeichnet werden und deren Angehörige schon immer unter dem gemeinsamen Ethnikon umfaßt worden waren, das in der hellenistischen Zeit die Staatsangehörigen der vom Ethnos gebildeten bundesstaatlichen Sympolitie bezeichnete 7 . Deshalb darf die bundesstaatliche Sympolitie eigentlich nicht als der „Nachfolger" der Symmachie angesehen werden. Sie ist nicht die Frucht einer größeren Einsicht der Poleis, die in der klassischen Zeit ihren Partikularismus nicht hatten überwinden können. Die bundesstaatliche Sympolitie und die Symmachie gehören nicht so sehr anderen Zeiten an, als vielmehr verschiedenen Bereichen der griechischen Welt. Die Frage, warum die bundesstaatliche Sympolitie als die in der hellenistischen Zeit übliche Organisationsform der landschaftlich geschlossenen Stämme und nur dort erscheint, hat bisher keine befriedigende Antwort gefunden. Die Meinungen der Gelehrten, die sich mit diesem Problem näher befaßt haben, weichen weit voneinander ab und sind von der Vorstellung bestimmt, die man von der Entstehung der Ethne und von der ursprünglichen Natur ihrer Verbände hat. Nach W. Vischer 8 , K . J . Beloch 0 , G. Fougeres 10 und H. Francotte 1 1 ist das Ethnos zuerst ein religiöser Verband gewesen, der sich wie eine 7 Aus diesem Rahmen fällt anscheinend der Bund der Epeiroten: das Ethnikon 'Ηπειρώτης, das sich von Ήπειρος ableitet, ist ursprünglich wie 'Ήπειρος ein rein geographischer Begriff gewesen. Einen Stamm dieses Namens hatte es nie gegeben (vgl. dazu P. R. Franke, Alt-Epirus 3ff.). In Wirklichkeit ist aber der epeirotische Bund der direkte Nachfolger des vom Stamm der Molosser gebildeten Staates (vgl. Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 308ff.; BusoltSwoboda, Griechische Staatskunde 1470ff.), und es kann deshalb von diesem besonderen Fall abgesehen werden. 8 9 Kl. Sehr. I 310 und 325. Rh. Mus. 45, 1890, 557. 10 11 DA Koinon (1899) 832. La Polis grecque 101 und 150.
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Art Amphiktyonie um ein gemeinsames Heiligtum Zusammenschloß. Die regelmäßige Teilnahme an gemeinsamen Festen soll bei den Gemeinden, die zum Verband gehörten, ein nationales Bewußtsein und die Wahrnehmung gemeinsamer Interessen allmählich erweckt haben, die sie zuerst zur Bildung eines losen Stammbundes, später zur Verschmelzung in einen echten Bundesstaat führte. Andere vertreten dagegen die Ansicht, daß die Stammbünde von Anfang an die Verteidigung gemeinsamer Interessen, insbes. gegen militärische Angriffe, verfolgt haben, wobei die gemeinsamen Kulte nur ein Ausdruck der politischen Einheit des Stammes gewesen sein sollen. Es ist die bekannte Auffassung des „Stammstaates", die zuerst von Ed. Meyer formuliert 12 , dann von B. Keil 13 , H. Swoboda14, V. Ehrenberg 15 u.a. übernommen und von F. Gschnitzer näher begründet wurde 1β . Während aber F. Gschnitzer17, M. Sordi 18 und J.A. 0. Larsen 18 annehmen, daß sich der Übergang vom Stammstaat zum Bundesstaat durch eine ununterbrochene Entwicklung der Institutionen des Stammes vollzog, sind die meisten Anhänger der These des „Stammstaates" überzeugt, daß die ohnehin rudimentäre Organisation des Stammstaates durch die zunehmende Selbständigkeit der einzelnen Gemeinden allmählich aufgelöst wurde, bis eine Neugestaltung der Verfassung nach neuen Grundsätzen, und vor allem die Einführung eines gemeinsamen Bürgerrechts, den alten, immer loser gewordenen Stammstaat in eine bundesstaatliche Sympolitie verwandelte 20 . Diese Meinungsverschiedenheiten sind hauptsächlich darauf zurückzuführen, daß wir über die Organisation der Ethne vor der hellenistischen Zeit sehr schlecht unterrichtet sind. Zum Teil liegt es an den Quellen selbst, die bei den Griechen der klassischen Zeit einen allgemeinen Mangel an Interesse für die Verfassungen der Stämme verraten 21 , zum Teil aber auch daran, daß das spärliche Material, das 12
Geschichte des Altertums II, Stuttgart 1893, 323ff.; Forsch. II 514. 14 Staatsaltertümer 309 ff. Hermann - Swoboda, Staatsaltertümer 3 ff. 15 Der Staat der Griechen2 27 ff.; Polis und Imperium, Zürich und Stuttgart 1965, 109. 16 WS 68, 1955, 128ff.; vgl. auch Hermes 82, 1954, 451ff. 17 18 WS 68, 1955, 128ff. Acme 6, 1953, 426f. 19 Representative Government 22f.; weniger deutlich in Greek Federal States 3. 20 Vgl. vor allem B . K e i l , Staatsaltertümer 418f.; Hermann - Swoboda, Staatsaltertümer 5f. und 208f.; E. Kornemann, R E Κοινών, Suppl. 4 (1924) 918f.; W. Schwahn, R E Συμπολιτεία 1173; Η. Schaefer, Probleme der Alten Geschichte 305; V. Ehrenberg, Der Staat der Griechen2 147. 21 Eine Ausnahme war Aristoteles, der mehrere seiner πολιτεία! den Stämmen widmete. Leider sind davon nur kümmerliche Fragmente, meist nur der Titel, erhalten (vgl. Arist. Fgt. 472ff., Rose). 13
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uns die Quellen anbieten, noch nicht systematisch gesammelt und verwertet wurde. In der vorliegenden Arbeit wird der Versuch unternommen, aus diesen wenigen Angaben die wesentlichen Züge der institutionellen Entwicklung zu ermitteln, die die Stämme zur bundesstaatlichen Sympolitie führte. Es soll dabei nicht die Frage erörtert werden, wie die Stämme entstanden sind und ob die Einheit des Stammes ursprünglich rein sakral oder ob sie von Anfang an auf der Gemeinsamkeit politischer Interessen beruhte, weil hier grundsätzlich neue Ergebnisse kaum zu erwarten sind, sondern wir werden von der Zeit ausgehen, wo die Stämme uns zuerst in der Geschichte begegnen, und uns bemühen festzustellen, welcher Art damals die Verbindungen waren, die die Ethne zusammenhielten. Soweit diese Ethne von Anfang an politische Gemeinschaften gewesen sind, werden wir auch zu untersuchen haben, durch welchen Prozeß oder durch welche Umgestaltung ihrer Organisation sie in bundesstaatliche Sympolitien verwandelt wurden. Bevor wir uns aber mit diesen Fragen befassen, werden wir in einem ersten Kapitel versuchen müssen, ein möglichst klares und vollständiges Bild der Grundzüge der bundesstaatlichen Sympolitie zu gewinnen. Zwar ist die Verfassung der verschiedenen bundesstaatlichen Sympolitien von H. Swoboda 22 , W. Schwahn 23 , J . A . 0 . Larsen 24 u.a. ausführlich beschrieben worden. Aber es fehlt eine systematische Darstellung der Organisation der bundesstaatlichen Sympolitie im allgemeinen. Es ist insbes. kaum versucht worden, die Rechtsstellung der Mitgliedsgemeinden der bundesstaatlichen Sympolitien näher zu bestimmen. Es wird auch notwendig sein, die Begriffe, die von den Griechen auf die bundesstaatlichen Sympolitien angewendet wurden, so genau wie möglich zu definieren. In einem zweiten Kapitel werden wir dann zusammenstellen, was wir von der Organisation der einzelnen Ethne in vorhellenistischer Zeit direkt oder indirekt erfahren können. Im dritten und letzten Kapitel soll schließlich versucht werden, aus den Ergebnissen der beiden ersten Teile zu ermitteln, warum die bundesstaatliche Sympolitie in der hellenistischen Zeit als die normale Organisationsform der Ethne erscheint, während sie in den anderen Teilen der griechischen Welt nicht begegnet.
22 Hermann - Swoboda, Staatsaltertümer 208ff.; Busolt-Swoboda, Griechische Staatskunde 1395 ff. 23 R E Συμπολιτεία 1192ff. 24 Greek Federal States, Oxford 1968.
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I. Grundzüge und Aufbau der bundesstaatlichen Sympolitie A. T E R M I N O L O G I E Im griechischen Sprachgebrauch sind auf die bundesstaatlichen Sympolitien, soweit man nicht einfach den Volksnamen οί Αιτωλοί, οί Βοιωτοί, οΐ Αχαιοί usw. verwendet hat 1 , verschiedene Begriffe und Ausdrücke angewandt worden. Von diesen begegnen drei sowohl in den literarischen Quellen wie auch auf Inschriften besonders häufig und werden deshalb in der Forschung allgemein als spezifische Bezeichnungen der bundesstaatlichen Sympolitien im Gegensatz zu anderen Staatsformen angesehen: es sind die Begriffe έθνος, κοινόν und συμπολιτεία2. έθνος. —Wie in der Einleitung schon angedeutet wurde (o. S. 11), haben die Gemeinden, die in der hellenistischen Zeit in bundesstaatlichen Sympolitien vereinigt waren, schon in der klassischen Zeit geschlossene Gemeinschaften gebildet, die von den zeitgenössischen Quellen έθνη genannt wurden3. Derselbe Begriff ist auch auf die bundesstaatlichen Sympolitien selbst sehr häufig angewandt worden4. Nach übereinstimmender Auffassung der Gelehrten haben die Griechen mit dem Wort έθνος Völkerschaften bezeichnet, deren Angehörige durch das Bewußtsein einer gemeinsamen Herkunft, durch gemeinsame Kulte und gemeinsame Gebräuche miteinander ver1 Vgl. etwa Syll. 3 421, Z. l f . : συνθήκα και συμμαχία Αίτωλοϊς καΐ Άκαρνάνοις; Syll. 3 366, Ζ. 9f.: κατά τούς δρκους καί τάς συνθήκας τάς γεγενημένας [Βοιωτ]οϊς καΐ Αίτωλοΐς καί Φωκεϋσιν τοις μετ' Αιτωλών. 2 In den literarischen Quellen werden auch gelegentlich die Begriffe πολίτευμα (vgl. Pol. 2,41,6; 4,1,4; 23,12,8) und σύστημα (vgl. Pol. 2,38,6; 2,41,15; 4,60,10; Strab. 8,6,18, C 377; 9,3,15, C 423 und 14,2,25, C 660) auf die bundesstaatlichen Sympolitien angewandt. Der erstere war aber auf alle Staaten anwendbar (über die Bedeutung des Wortes πολίτευμα vgl.W. Ruppel, Philologus 82, 1927, 268ff. und 433ff.), und der letztere war kein staatsrechtlicher Begriff. — Über den Begriff πολιτεία, der auch öfters begegnet, s.u. 23f. 3 Vgl. z . B . Hdt. 7,130,3 (Thessaler); Hdt. 7,185,2 (Perrhäber, Ainianen, Magneten, Achäer der Phthiotis); Thuc. 3,94,4 (Ätoler); Hell.Ox. 16 (11) 4 (Boioter) ;Hell. Ox. 18 (13) 3 (Phoker und Lokrer); Dem. 9 (c. Phil.III) 26 (Phoker). 4 Vgl. etwa Pol. 9,34,6; 16,35,1; 22,3,5 (Achäer); Pol. 15,23,8; I G I X 2 1 , 4A, Z. 12 (Ätoler); Pol. 20,5,2 (Boioter); Pol. 20,3,1; IvM 32, Z. 42 (Epeiroten).
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bunden waren 5 . Die έθνη der klassischen Zeit wären „ethnische" Verbände, „Stammesbünde" gewesen und die Bezeichnung der bundesstaatlichen Sympolitien als έθνη wäre darauf zurückzuführen, daß sie aus Stämmen entstanden seien und diesen „ethnischen" Charakter nie ganz verloren hätten®. Allein das Wort έθνος bedeutet eigentlich nicht „Stamm", sondern es konnte allgemein auf die verschiedensten Gruppen von Menschen Anwendung finden, die durch irgendwelche Eigenschaft gekennzeichnet waren 7 : die homerischen Epen bezeichnen mit diesem Wort Scharen von Fußkämpfern (έθνεα πεζών)8, von Toten (έθνεα νεκρών)8 oder von Gefährten (έθνος έτάρων)10. Die Autoren der klassischen Zeit gebrauchen das Wort έθνος zur Bezeichnung von Klassen oder von Ständen wie z.B. der Klasse der Arbeiter (δημιουργικών έθνος)11, der Bauern 12 , der Penesten 13 , des Standes der Priester (ιερέων έθνος)14, der Kaufleute und der Geldwechsler15, έθνος kann auch das männliche und das weibliche Geschlecht bezeichnen 1β . Man begegnet dem έθνος der Buhlknaben (έρασταί)17, der Diebe 18 , der Rhapsoden 19 , der Herolde 20 usw. Seine breiteste Anwendung hat das Wort έθνος im Bereich des Staats- und Völkerrechts gefunden. Die Griechen haben die Gesamtheit der Staaten regelmäßig mit der Formel πόλεις και έθνη erfaßt 21 . 5 Über die herrschende Interpretation des Begriffs έθνος vgl. vor allem R. Weil, Aristote et l'histoire. Essai sur la "Politique", Paris 1960, 380ff. 6 Vgl. G. Fougeres, DA Koinon (1899) 833; Herman-Swoboda, Staatsaltertümer 4 m . Anm. β; E . K o m e m a n n , R E Κοινόν, Suppl. 4 (1924) 919; R. Weil, Aristote et l'histoire 401; J . A . O . Larsen, Representative Government 22f.; ders., Cl.Ph. 57, 1962, 250f.; ders., Greek Federal Staates 8ff. 7 Liddell Scott, s.v. έθνος setzt richtig die allgemeine Bedeutung „Gruppe", „ S c h a r " an erste Stelle, während der Thesaurus irrtümlich die Bedeutung natio, gens als die ursprüngliche betrachtet. 8 9 Vgl. Λ 724. κ 526, λ 34 u n d 632. 10 Γ 32; Λ 585; Ν 165, 533, 566, 596 und 648; Ξ 408; Π 817 usw. 11 12 Plat. Gorg. 455 b. Dem. 23 (c. Aristocr.) 146. 13 P l a t . Leg. 776 d. 14 Arist.Met. 1, 981b 25. Vgl. ferner Dem. 21 (c. Meid.) 131 (έθνος der Ritter). 15 Dem. 23 (c. Aristocr.) 146. 16 Vgl. Xen. Oec. 7,26: τό έθνος τό θηλυ ή τό άρρεν. Vgl. ferner P i n d . P y t h . 4, 252 (έθνος γυναικών). 17 Dem. 61 (Erotikos) 4. 18 Plat. Pol. 351c. 19 X e n . S y m p . 3,6. 20 Plat.Polit. 290b. 21 Vgl. etwa Xen.Anab. 3,1,2; Isocr. 4 (Paneg.) 70; Dem. 18 (de cor.) 271; Arist. Pol. 1284a 38; Diod. 16,29,1; 19,57,3; Pol. 5,90,5; 7,7,9; 9,1,4; 21,42,24; Syll. 3 590, Z. 11; Syll. 3 636, Z. 25; OGIS 229, Z . l l . F ü r andere Belege β. R . Weil, Aristote et l'histoire 376ff. Vgl. ferner M. Rostovtzeff, t h e Social and Economic History of t h e Hellenistic World I I I 1439 Anm. 277.
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Dementsprechend haben sie oft die Poleis den Ethne gegenübergestellt 22 . Damit war aber nicht beabsichtigt, den Poleis die Völkerschaften, den „politischen" Gemeinschaften die „ethnischen" Gemeinschaften entgegenzusetzen: die Griechen haben zur Bezeichnung der Staaten in ihrer Gesamtheit die Formel πόλεις και έθνη verwendet, weil sie kein Wort f ü r „Staat" hatten, πόλις bezeichnete eine besondere Form des politischen Gemeinwesens, den sog. „Stadtstaat", und war nur auf einen, wenn auch den größeren Teil der griechischen Staaten anwendbar 2 3 . So haben die Griechen unter dem Sammelbegriff έθνη alle politischen Gemeinschaften erfaßt, auf die die Bezeichnung πόλις nicht angewandt werden konnte. Manche dieser έθνη mögen in der Tat Völkerschaften, Stämme gewesen sein, aber andere werden rein politische Gemeinwesen gewesen sein: so hat z.B. der Bund der Epeiroten έθνος geheißen 24 , obwohl eine Völkerschaft dieses Namens nachweislich nie existiert hat 2 5 . Die bundesstaatlichen Sympolitien sind also nicht έθνη genannt worden, weil sie aus Stämmen entstanden wären und ihren „ethnischen" Charakter beibehalten hätten, sondern weil sie in die Kategorie von politischen Gemeinwesen fielen, auf die das Wort πόλις nicht angewandt werden konnte. Über die ursprüngliche Natur der Verbände, die in der hellenistischen Zeit die bundesstaatliche Sympolitie genannte Organisation besessen haben, läßt sich aus dem Wort έθνος allein nichts entnehmen. κοινόν. — Noch häufiger als έθνος ist auf die bundesstaatlichen Sympolitien das Wort κοινόν angewandt worden. I n der Forschung wird deshalb das Wort κοινόν fast allgemein als staats- und völkerrechtlicher Fachausdruck zur Bezeichnung der bundesstaatlichen 22 Vgl. den amphiktyonischen Eid bei Aesch. 3 (c. Ctes.) 110: et τις τάδε παραβαΐνοι ή πόλις ή ιδιώτης ή ϊθνος, εναγής έστω. Vgl. ferner Hdt. 5,2,2; 6,27,1; 7,8γ, 3; 8,108,3; Xen. Axiab. 7,1,33; Arist.Pol. 1261a27; 1285b 30; 1310b34f.; IG IV 2 1,68, Ζ. 78. 23 Vgl. J. Α. Ο. Larsen, CI. Ph. 57,1962, 250. 24 Vgl. Pol. 20,3,1; IvM 32, Ζ. 42; Bull.öp. 1967, 335. 25 Siehe oben 11 Anm. 7. — R. Weil, Aristote et l'histoire 376ff. hat in seiner ausführliehen Behandlung des Begriffes die eigentliche Bedeutung des Wortes als eines staats- und völkerrechtlichen Begriffes verkannt: daß sich ϊθνος nicht immer durch „Völkerschaft" oder „Stamm" übersetzen läßt, sondern sehr oft eine rein politische Bedeutung hat, liegt nicht, wie er S. 401 meint, an einer „confusion de langage" oder an der „usure de la langue", sondern daran, daß die Griechen, die keinen Sammelbegriff für „Staat" hatten, mit dem Wort alle politischen Gemeinwesen bezeichneten, auf die der Terminus πόλις nicht anwendbar war.
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Sympolitien aufgefaßt 28 und verwendet. Es wird insbesondere regelmäßig der Plural κοινά als Sammelbegriff gebraucht 27 . Dabei wird von niemand bestritten, daß das Wort κοινόν, das sich vom Adjektiv κοινός „gemeinsam" ableitet und auf das hinweist, „was den Verband als solchen . . . im Gegensatz zu den einzelnen Mitgliedern betrifft" 28 , eigentlich auf jeden Verband, auf jede Vereinigung, auf jedes Gemeinwesen angewandt werden konnte 29 . Auf dem Gebiet des Vereinswesens insbes. hat der Terminus κοινόν eine sehr breite Anwendung gefunden 30 : ein religiöser Verband wie όργεώνες oder ·9·ιασώται hieß τό κοινόν των όργεωνών31 bzw. τό κοινόν των θιασωτών32. Ein Verein von έρανίσται oder von συγγενείς hieß τό κοινόν των έρανιστών33 bzw. τό κοινόν των συγγενών34. Aber man glaubt, daß auf dem Gebiet des Staats- und Völkerrechts das Wort κοινόν nur oder jedenfalls hauptsächlich auf die bundesstaatlichen Sympolitien angewandt worden sei, um diese von den anderen Staaten und Vereinigungen zu unterscheiden. Ein Überblick über den Gebrauch von κοινόν auf dem Gebiet des Staats- und Völkerrechts zeigt jedoch eindeutig, daß diese Über26
Vgl. G. Fougeres, D A Koinon 832: "Ce terme d&ignait dans Ie droit public des Grecs le systeme d l S t a t federatif qui prevalut en Grece et dans las pays hellönisös ä partir d u IV e s. a v a n t J . C . " Vgl. ferner M. Muttelsee, Zur Verfassungsgeschichte K r e t a s im Zeitalter des Hellenismus, Glückstadt u n d H a m burg 1925, 39; W . W . T a r n - G . T . Griffith, Hellenistic Civilization 3 76. 27 Vgl. W . Dittenberger, Hermes 32, 1897, 172; Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 440; B . K e i l , Staatsaltertümer 410; E . Kornemann, R E Κοινόν, Suppl. 4 (1924) 922; W . Kolbe, Sav. Zeitschr. 49, 1929, 152; W . Schwahn, R E Συμπολιτεία 1243; U. Kahrstedt, R E Συνέδριον (1932) 1337; A. Aymard, R E A 52, 1950, 128; W. W . T a m - G . T. Griffith, Hellenistic Civilization 3 77; V. Ehrenberg, Der Staat der Griechen 2 149f., 153 u n d 159; H . Schaefer, R E προστάτης, Suppl. 9 (1962) 1292; H . Bengtson, GG 4 296, 340 u n d 382. 28 So F . Gschnitzer, Lexikon der Alten Welt, s.v. Koinon. 29 Vgl. vor allem E . Kornemann, R E Κοινόν, Suppl. 4. Ferner E . Szanto, Das griechische Bürgerrecht 144; H . Francotte, La Polis grecque 217; M. Holleaux, R A 1917 I I , 344f.; H . Swoboda in: Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 208 Anm. 5 (vgl. 2 Kapitel 36 Anm. 5); G. Daux, Delphes 288 Anm. 1; F . H a m p l , Hermes 70, 1935, 195f.; M. Sordi, Acme 6, 1953, 423; J . A . O . Larsen, Representative Government 24 u n d 70; Greek Federal States 8; F . Gschnitzer, Lexikon der Alten Welt, s.v. Koinon. ao y g j F r . Poland, Geschichte des griechischen Vereinswesens, Leipzig 1909, 163ff.; E . Kornemann, R E Κοινόν, Suppl. 4 (1924). 31 Vgl. I G I I / I I I 2 1314, Z. 12; 1316, Z. 18; 1327, Z. 23. 32 Vgl. I G I I / I I I 2 1263, Z. 23f.; 1273, Z. 20f.; 2347, Z. ßf.; Syll. 3 1098, Z. 14f. u n d 38f. 33 Vgl. I G I I / I I I 2 1291, Z. 15f., 20 u n d 27; 1345, Z. 2; 2354, Ζ. 1; Syll. 3 1118, Z. 2. 34
Vgl. I G X I I 3, 330, Z.22f., 30f., 40 u n d 74; Ath.Mitt. 12, 1887, 245f., Nr. 1, Z. 5f. 17
zeugung falsch ist: auch in diesem Bereich ist der Terminus κοινόν auf jedes Gemeinwesen, auf jede Vereinigung anwendbar gewesen, sei es eine Phratrie 3 5 , eine Dorfgemeinde 36 , eine Polis 3 7 ,eineSymmachie 3 8 oder eine Vereinigung von Techniten 39 . Auch die delphische Amphiktyonie hat öfters κοινόν geheißen 40 . Besonders aufschlußreich ist der amphiktyonische Beschluß Syll. 3 613 aus dem J . 184. Dort kommt der Terminus κοινόν sechsmal vor: Z. 5f. bezieht er sich auf den thessalischen Bund, Z. 23 auf die Stadt Delphi und Z. 2,13f., 35 und 38 auf die delphische Amphiktyonie. Von einer Tendenz, das Wort κοινόν auf die bundesstaatlichen Sympolitien zu beschränken, kann also keine Rede sein. Und daß κοινόν auf die Poleis verhältnismäßig seltener angewandt worden ist als auf die bundesstaatlichen Sympolitien, die delphische Amphiktyonie oder die Vereinigungen von Techniten, liegt nur daran, daß dort der allgemeine Begriff κοινόν, der bei Herodot und Thukydides noch mehrmals auf Poleis bezogen wird, später durch den spezifischen Terminus δήμος verdrängt worden ist, der seit der klassischen Zeit als Fachausdruck zur Bezeichnung der Bürgergemeinschaft einer Polis und ihrer beschließenden Instanz gebraucht worden ist. M. a. W.: κοινόν ist nie Fachausdruck zur Bezeichnimg einer besonderen Staatsform gewesen, sondern es hat umgekehrt bei den Poleis der spezifische Begriff δήμος den allgemeinen Begriff κοινόν verdrängt. Daß κοινόν nicht als Fachausdruck zur Bezeichnung der bundesstaatlichen Sympolitien im Gegensatz zu anderen Staatsformen aufgefaßt werden darf, wird durch den Vergleich von κοινόν und έθνος in ihrer Anwendung auf die bundesstaatlichen Sympolitien bestätigt. In der Forschung sind beide Begriffe nicht differenziert und von mehreren Gelehrten ausdrücklich f ü r gleichbedeutend erklärt worden 41 . 35
Vgl. II/III 2 1241, Z. 3 und 8. Syll. 3 552 (Abae); SEG 3, 1927, 312 (Mykenai); Tituli Camirenses (Annuario della Scuola Archeologica di Atene X X V I I - X X I X , N.S. X I - X I I I [19491951] 141ff.) 235, Nr. 106, Z. 7f. und 239f.; Nr. 110, Z. 56 (Kamiros). 37 Vgl. Hdt. 6,50,2; 9,117; Thuc. 1,89,3; 1,90,5; Xen.Hell. 6,1,2; Syll. 3 306, Z. 62; 307, Z. 3, 327, Z. 19f.; 355, Z. 15; 493, Z. 28; 613, Z. 23; IG I X 2, 460, Z. 3 und 461, Z. 27; IvM 31, Z. 13f.; IC I, xvi, Nr. 2, Z. 4f. Dazu L. Robert, Monnaies antiques en Troade 89 f. 38 Vgl. Isocr. 4 (Paneg.) 131; 14 (Plat.) 21; Syll. 3 150, Z. 19. 39 Vgl. Syll. 3 457, Z. 44f.; 460, Z. 2; 489, Z. 8f.; 1093; IvM 89, Z. 3f., 10f., 21, 23f., 27f., 35f. und 39. 40 Vgl. Syll. 3 613, Z. 2f., 13f„ 35 und 38; Syll. 3 654A, 1; OGIS 234, Z. 11 und 23. 41 Vgl. E. Kornemann, R E Κοινόν 915: „έθνος und κοινόν wird vollständig gleichbedeutend nebeneinander gebraucht." Vgl. ferner B. Keil, Staatsalter36
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Die Anwendungsbereiche von κοινόν und έθ-νος decken sich indessen nicht. Zwar werden κοινόν und έθνος nebeneinander verwendet, wenn eine bundesstaatliche Sympolitie als Urheber oder Empfänger von Wohltaten oder Ehrungen auftritt 4 2 , oder im diplomatischen Verkehr, wenn Gesandtschaften von oder zu einer bundesstaatlichen Sympolitie geschickt werden 43 . Aber es wird nie der Plural κοινά zur Bezeichnung mehrerer bundesstaatlichen Sympolitien verwendet 44 : in den antiken Quellen wird eine Mehrzahl von bundesstaatlichen Sympolitien immer unter dem Begriff έθνη gefaßt 45 . Andererseits verwendet Polybios an den zahlreichen Stellen, wo er von der Auflösung einer bundesstaatlichen Sympolitie berichtet, nie das Wort κοινόν, wie in der neueren Literatur gelegentlich getan wird4®, sondern immer das Wort έθνος47. Auch als Partner eines völkerrechtlichen Vertrages tümer 414; W.W. Tarn, Antigonos Gonatas 53 und W. W. T a r n - G . T . Griffith, Hellenistic Civilization 3 68; W. Schwahn, R E Συμπολιτεία 1174; Μ. Sordi, Acme 6, 1953, 423; R.Weil, Aristote et l'histoire 401. Einen leichten Unterschiedmacht J . A. O. Larsen, Cl.Ph. 57, 1962, 250f., indem er έθνος mit „ n a t i o n " und κοινόν mit „commonwealth" wiedergibt. 4 2 F ü r den Gebrauch von κοινόν in diesem Zusammenhang vgl. etwa I G I X 2 1, 4 A , Z. 12ff.; 173, Z. 8 ; 588, Z. 14f. und 2 4 f . ; I v M 25, Z. 7; 31, Z. 41 f. B e i Weihungen bezeichnet sich eine bundesstaatliche Sympolitie oft als τό κοινόν των . . . (vgl. vor allem die Kassander-Inschrift Syll. 3 653; ferner F D I I I 1,47; I G I X 2 1,52; IvO 303 und 318). F ü r den Gebrauch von έθνος vgl. Pol. 2 , 5 8 , 5 ; 8 , 1 2 , 7 ; Syll. 3 629, Z. 3 ; Syll. 3 628, Z. 4 f . ; I G I X 2 1 , 4 A , Z. l l f . ; 179, Z. 3; 187, Z. 6. 4 3 Gesandtschaften προς τό κοινόν oder ύπό τοϋ κοινοϋ: vgl. Tod 137, Ζ. 16f.; Diod. 2 0 , 9 9 , 3 ; Pol. 9 , 3 2 , 3 ; I G 1 X 2 , 5 0 7 , Z. 8; I G I X 2 1, 178, Z. 6 ; I v M 34, Z. 5 ; 39, Z. 3f.; IvMilet 148, Z. 18. F ü r έθνος vgl. Pol. 2 , 1 2 , 4 ; 4 , 1 7 , 7 ; 2 2 , 7 , 1 ; 3 0 , 1 3 , 8 ; J H S 68, 1948, 46ff., Z. 18f., 31f., 51 und 58f. 4 4 τά κοινά kommt zwar sehr häufig vor, bezeichnet aber immer die gemeinsamen Angelegenheiten oder Besitztümer eines S t a a t e s : vgl. Dem. 24 (c.Timocr.) 97; Isocr. 15 (de permut.) 285; Pol. 5, 90,5; 6 , 8 , 3 ; 9 , 1 0 , 1 3 ; 2 2 , 8 , 4 ; I G 1 X 2 , 205, Z. 28. 4 5 Außer den zahllosen Belegen, wo unter dem Ausdruck πόλεις καΐ έθνη die Gesamtheit der griechischen Staaten einschließlich der bundesstaatlichen Sympolitien erfaßt ist (s. oben 15 Anm. 21), gibt es mehrere Stellen, wo unter dem Sammelbegriff έθνη nur bundesstaatliche Sympolitien gemeint sind: vgl. Pol. 2,12,5 und 18,1,4 (Achäer und Ätoler); 22,4,14 (Boioter und Achäer); An einigen Stellen verwendet Polybios zur Bezeichnung mehrerer bundesstaatlicher Sympolitien statt έθνος den Ausdruck έθνικαΐ συστάσεις (23, 1,3; 3 0 , 1 3 , 6 ; 32,4,2). 4 6 So z . B . W . K o l b e , Sav.-Zeitschr. 49, 1929, 152; W. Schwahn, R E Συμπολιτεία 1174 und 1243; L . Lerat, L e s Locriens de l'Ouest I I 100; P . Roesch, Thespies 42. 4 7 Vgl. Pol. 2 , 4 0 , 5 : κατά πόλιν διαλυθέντος τοΰ των 'Αχαιών έθνους; Pol. 27,2, 10: τό δέ των Βοιωτών έθνος . . . κατελύθη καΐ διεσκορπίσθη κατά πόλεις; Pol. 2,43, 10; 4 , 6 0 , 6 ; 9 , 3 4 , 6 ; 9 , 3 8 , 9 ; 2 7 , 2 , 7 ; 38,9,6. In seinem Bericht über die Auflösung der griechischen B ü n d e im J . 146 schreibt Paus. 7 , 1 6 , 9 : συνέδριά τε κατά έθνος τά έκάστων . . . κατελέλυτο. 19
oder eines zwischenstaatlichen Konfliktes heißt eine bundesstaatliche Sympolitie nie κοινόν, sondern immer έθνος48. Umgekehrt kommt regelmäßig κοινόν dort vor, wo ein Bund als Gesamtheit seinen einzelnen Mitgliedern oder seinen einzelnen Bürgern gegenübergesetzt wird49. Dieser Sprachgebrauch läßt eine deutliche Abgrenzung der Bedeutung von κοινόν und έθ-νος in ihrer Anwendung auf die bundesstaatlichen Sympolitien erkennen. Die Griechen haben nie das Wort κοινόν zur spezifischen Bezeichnung der bundesstaatlichen Sympolitien verwendet; sie haben nie die bundesstaatlichen Sympolitien unter dem Sammelbegriff κοινά erfaßt; sie haben nie den Poleis die „Koina" gegenübergestellt, wie gelegentlich in der Forschung getan wird50. Die griechische Terminologie kennt nur die Gliederung in Poleis und Ethne, wobei die bundesstaatlichen Sympolitien der Gruppe der Ethne angehören. Jede Polis, jedes Ethnos ist, wie die Symmachien, die Amphiktyonien und andere Vereinigungen auch, ein κοινόν, d.h. eine Gemeinschaft. Auf die bundesstaatlichen Sympolitien angewendet bezeichnet das Wort κοινόν, wie überall, die Gemeinschaft im Gegensatz zu ihren einzelnen Mitgliedern; das Wort έθνος bezeichnet den Staat als Subjekt der zwischenstaatlichen Beziehungen. Συμπολιτεία. — Dieser Begriff begegnet nicht vor der hellenistischen Zeit und ist auch dann, bis auf einige Inschriften, nur bei Polybios belegt51. Im Gegensatz zu έθνος und κοινόν ist συμπολιτεία in einem sehr engen Sinne verwendet worden, indem er nur auf politische Gemeinschaften bezogen worden ist, die aus mehreren πόλεις zusammengesetzt waren: 48 Vgl. Pol. 20,5,3: προσένειμαν (sc. die Boioter) Αίτωλοϊς τό ϊθνος; Pol. 22, 3,5: τήν προϋπάρχουσαν συμμαχίαν τ ω βασιλεΐ (sc. Ptolemaios) πρός τό ί&νος των 'Αχαιών; Pol. 23,16,6: μίαν £φη Μεσσηνίοις πρός τό έθνος (sc. die Achäer) είναι διάλυσιν; Pol. 2,51,2; 4,76,1; 22,4,14; 23,17,9. 49 Vgl. Pol. 2,70,5: Der K ö n i g Antigonos wird ύπό τε τοϋ κοινοϋ των 'Αχαιών και κατ' ιδίαν έκάστης τών πόλεων geehrt; Pol. 23,1,10: Die Thessaler schicken Gesandte κατά κοινόν καΐ κατ' Ιδίαν άφ' έκάστης πόλεως; I G V I I 248: "Αρχοντος έν κοινφ Βοιωτών . . . έπί δέ πόλεως . . . Vgl. ferner X e n . H e l l . 7,5,1; Pol. 8,12,7; Syll. 3 635, Ζ. 14f.; J H S 68, 1948, 46ff., Z. 57ff. Besonders aufschlußreich für die Bedeutung von κοινόν ist Pol. 4,4,4, wo Dorimachos aus Ätolien die Messenier ermahnt, daß seine Verhaftung nicht so sehr ihn selbst als das κοινόν der Ätoler beleidigen würde (εί Δωρίμαχον οϊονται νϋν προπηλακίζειν, άλλ' ού τό κοινόν τών Αιτωλών). 50 Vgl. Ε . Kornemann, B E Κοινόν 919: „ P o l i s und κοινόν sind die beiden Hauptverfassungstypen des griechischen Staatsrechts." Auch V . Ehrenberg, Der Staat der Griechen 2 153, unterscheidet zwischen „Poleis und K o i n a " . 51 Das Diodor-Fragment 29,18, wo συμπολιτεία auch vorkommt, geht auf Polybios zurück.
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die meisten Belege beziehen sich auf die bundesstaatlichen Sympolitien, die übrigen auf πόλεις, die selbst aus dem Zusammenschluß zweier oder mehrerer πόλεις entstanden waren oder auf πόλεις, die eine oder mehrere politische Gemeinschaften in ihre Bürgerschaft aufgenommen hatten52. Nach Auffassung der Gelehrten bezeichneten die Griechen mit dem terminus συμπολιτεία eine Form der Vereinigung mehrerer Staaten, die wie eine Symmachie durch einen völkerrechtlichen Vertrag entstanden sein und darin bestanden haben soll, daß die einzelnen Mitglieder der Vereinigung ihre Souveränität aufgaben, um gemeinsam einen Staat mit einem Bürgerrecht zu bilden53, wobei das Ergebnis des Zusammenschlusses entweder ein Einheitsstaat (synoikistische Sympolitie) oder ein Bundesstaat (bundesstaatliche Sympolitie) sein konnte54. M. a. W.: Ein Staat, auf den der Begriif συμπολιτεία bezogen wird, ist zu einem bestimmten Zeitpunkt entstanden, und die Gemeinden, die diesem Staat angehören, sind bis zum Zeitpunkt seiner Entstehung selbständige πόλεις mit einem eigenen Bürgerrecht gewesen 55. 52 Vgl. Pol. 18,2,4 (Byzanz und Perinthos; dazu L.Robert, Villes d'Asie Mineure 2 64 Anm. 2); Pol. 18,14,3 (Kydonia und Apollonia); IvMilet 149, Z. 48f. (Milet und Pidasa); Michel 458, Z. 4 (Keramos und Stratonikeia; vgl. L. Robert, a.a.O. 60f.); ΤΑΜ II 834 (axis Idebessos); IG XII 2,59, Z. 12 (aus Mytilene). 53 Schon bei J . Schweighäuser, Lexikon Polybianum, wird συμπολιτεία als populorum «ei universae gentis consociatio in unam rempublicam definiert. Vgl. ferner W. Feldmann, Analecta epigraphica ad historiam Synoecismorum et Sympolitiarum Graecorum, Diss. Argent. 1885, 7: Pagatim enim et vicatim . . . ei homines habitare pergebant, ita tarnen ut paitllatim . . . commune ius civitatis et communes leges inter eos constituerentur. Quam coniunctionis formam συμπολιτείαν Oraeci dicebant. E. Szanto, Das griechische Bürgerrecht 104: „Wenn zwei ursprünglich selbständige Staaten das Übereinkommen trafen, künftig nur einen einzigen bilden zu wollen, so hatte dies zu Folge, daß in dem neuen Staate einer Volksversammlung, einem Rat, einerlei Beamten die Gewalt zukam und ein Bürgerrecht bestand . . . Eine solche Staatenvereinigung heißt Sympolitie." Vgl. auch H. Francotte, La Polis grecque 150; Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 208f.; B.Keil, Staatsaltertümer 404f.; Busolt-Swoboda. Griechische Staatskunde 156 Anm. 1, 225 und 1314;W. Schwahn, RE Συμπολιτεία 1172f. 51 Für den Unterschied zwischen synöikistischer und bundesstaatlicher Sympolitie ist grundlegend E. Szanto, a.a.O. 104ff. 55 Vgl. H. Francotte, a.a.O. 105: "Avant la sympolitie, plusieurs souverainetös qui vont subsister, mais en se subordonnant ä une nouvelle souverainete predominant^." Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 208f.: „Das Charakteristische für diese späteren Bünde ist, daß sie bundesstaatliche Sympolitien waren, d.h. daß es ein gemeinsames Bundesbürgerrecht gab, neben dem aber das Bürgerrecht der Städte fortdauerte." Vgl. ferner B. Keil, Staatsaltertümer 404 der die συμπολιτεία zu den staatsbildenden Verträgen rechnet, und W. Schwahn' a.a.O. 1172 und 1174.
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Gegen diese Auffassung sprechen aber sowohl die Etymologie wie der Sprachgebrauch des Wortes συμπολιτεία. Es ist nicht berücksichtigt worden, daß συμπολιτεία nach dem Verbum συμπολιτεύειν (oder häufiger συμπολιτεύεσ&αι) gebildet ist, daß dieses Verbum wie πολιτεύειν oder πολιτεύεσθ-αι „am politischen Leben Anteil haben", „mit anderen das politische Leben gemeinsam haben" hieß und in dieser Bedeutung sowohl auf einzelne Personen wie auf Gruppen von Personen angewendet werden konnte. So lebte eine Zeitlang der Megarer Lamis als Bürger in Leontinoi τοις Χαλκιδεϋσιν ές Λεοντίνους ολίγον χρόνον ξυμπολιτεύσας86. Vom samischen Demos berichtet Thukydides, daß er den Oligarchen nach ihrem mißglückten Versuch, 411 die Macht zu ergreifen, erlaubte, ihre politischen Rechte in Samos weiterhin auszuüben: τοις δ' άλλοις ού μνησικακοϋντες (sc. οί των Σαμίων πλείονες) δημοκρατούμενοι τό λοιπόν ξυνεπολίτευον57. Isokrates verwendet oft den Ausdruck οί συμπολιτευόμενοι zur Bezeichnung der Mitbürger 58 . Wenn also Polybios häufig das Verbum συμπολιτεύειν69 neben πολιτεύειν60 auf πόλεις bezieht, die einem Bunde angehören oder in diesen aufgenommen werden, so t u t er das nicht, um diese Verbindung als bundesstaatlicher Natur zu charakterisieren, sondern er weist bloß auf die Tatsache hin, daß diese πόλεις am politischen Leben des Bundes beteiligt sind 61 . Ebensowenig darf das nach συμπολιτεύειν gebildete Substantivum συμπολιτεία als eine Form der Vereinigung mehrerer Staaten ausgelegt werden: das Wort bezeichnet weder einen Rechtsakt noch die aus einem Rechtsakt entstehende Verbindung zwischen zwei oder mehreren Rechtssubjekten, sondern es bezieht sich wie viele der Abstrakta auf-εία, die nach einem Verbum auf-εύω gebildet sind, auf eine Beschäftigung, der man sich über einen mehr oder weniger langen Zeitraum hingibt, eine Funktion, die man 56 Thuc. 6,4,1. Vgl. Plat.Ep. I 309a; Lys. 9,21; Aesch. 1 (c. Timarch.) 17; Arist.Pol. 1324a 15; IvMilet 143, Z. 23 und 146, Z. 31; IG I X 2, 234, Ζ. 1. 57 Thuc. 8,73,6. 58 Vgl. Isokr. 5 (Phil.) 20; 8 (De Pace) 143; 10 (Hei.) 35; 12 (Panath.) 29. Vgl. auch IvPriene 108, Z. 22. 59 Vgl. Pol. 2,43,1; 2,46,2; 4,3,6; 18,38,6; 22,8,9; 23,4,4; 23,18,1. 60 Vgl. Pol. 2,57,5; 20,6,8; 21,26,2; 23,4,14. 61 Deshalb hat H. Swoboda in Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 215 Anm. 4, Unrecht, wenn er aus der berühmten Stelle Xen. Hell. 5,2,12, wo berichtet wird von dem Versuch der Olynthier, sich die Nachbarstaaten έφ' φτε νόμοις τοις αύτοϊς χρήσθαι καΐ συμπολιτεύειν anzuschließen, den Schluß zieht, daß der dadurch entstandene Staat ein Bundesstaat war; aus dem Verbum συμπολιτεύειν geht das nicht hervor.
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ausübt u. ä. 62 . Die συμπολιτεία ist nicht etwas, das ins Leben gerufen oder aufgelöst werden kann, sondern es ist etwas, das bei einem bestehenden Staat vorhanden ist und woran einzelne Personen oder Gemeinschaften beteiligt werden können: συμπολιτεία umfaßt wie sein Synonym πολιτεία das, was das politische Leben eines Staates ausmacht. Deshalb ist von dem Abschluß einer „Sympolitie" nirgends die Rede: die für den Abschluß eines Symmachie-Vertrages charakteristische Formel συμμαχίαν ποιεΐσθ-αι ist für συμπολιτεία nicht belegt, sondern es heißt immer, daß πόλεις an der Sympolitie eines bestehenden Staates beteiligt oder in sie aufgenommen worden sind 63 , συμπολιτεία kommt vor allem in Zusammenhängen vor, die für den terminus πολιτεία charakteristisch sind, und es wird dann sehr häufig πολιτεία statt συμπολιτεία verwendet. Die Mitgliedschaft einer πόλις zu einem Bund wird von Polybios gewöhnlich mit der für συμμαχία äußerst seltenen Formel μετέχειν της συμπολιτείας 64 oder μετέχειν της πολιτείας65 wiedergegeben. Einen Bund verlassen heißt bei ihm entweder άφίστασ9·αι της των Άχαίων συμπολιτείαςββ oder άφίστασθαι της των 'Αχαιών πολιτείας67 oder auch έγκαταλιπεϊν την μετά των 'Αχαιών πολιτείαν88. Der Formel προσλαμβάνεσθαι εις την συμπολιτείαν69 und άποκαθίστασθ-αι 62 Vgl. P. Chantraine, La formation des noms en Grec ancien, Paris 1933, 90: "Ces abstraits expriment des notions diverses. P o u r t a n t leur rapport etroit avee les verbes en — εύω a eu pour consequence qu'ils concernent souvent une activite plus ou moins durable . . ., une fonction . . .; — quelques derives designent des qualit^s ou des defauts." 63 E s gibt allerdings einige Stellen, aus denen die genaue Bedeutung von συμπολιτεία nicht hervorgeht. So Pol. 2,41,12: διόπερ ούδέ στήλην ύπάρχειν συμβαίνει των πόλεων τούτων περί της συμπολιτείας; Pol. 21,30,4: πόλιν δέ μηδεμίαν έχειν (sc. τους Αιτωλούς) έν τη συμπολιτεία μηδέ μετά ταϋτα προσλαβέσθαι τούτων, οσας έάλωσαν ύπό 'Ρωμαίων; Pol. 28,14,3: ύπαρχούσης γαρ αύτοϊς (sc. den Kydoniaten) ού μόνον φιλίας, άλλα συμπολιτείας προς Άπολλωνίατας. Es läßt sich in diesen Fällen nicht entscheiden, ob συμπολιτεία ein Rechtsverhältnis zwischen zwei Staaten bezeichnet oder ob, wie wir nachzuweisen versuchen, das Wort nur auf die Tatsache hinweist, daß ein gemeinsames politisches Leben besteht. 64 Vgl. Pol. 2,41,13; 2,44,5; 23,17,2; 23,17,8 (Achäer); 4,25,7; 18,2,6 (Ätoler). — Die entsprechende Formel μετέχειν της συμμαχίας kenne ich nur aus Isokr. 8 (De Pace), 139. An dieser Stelle will aber der Redner eine Symmachie mit Athen eben nicht als ein Bündnis, das zwei gleichstehende Staaten abschließen, sondern als ein Privileg, das die Athener anderen Staaten gönnen, kennzeichnen. Vgl. in ähnlicher Bedeutung bei Aesch. 3 (c. Ctes.) 65, den Ausdruck μετεΐναι της συμμαχίας. 65 Vgl. Pol. 2,44,4 (Achäer); Pol. 2,2,6 (Ätoler). 86 Pol. 3,5,6. «' Pol. 23,9,14. 68 Pol. 2,57,1. 69 Pol. 23,17,6; J H S 68, 1948, 46ff., Z. 56f. und ö l l .
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εις τήν συμπολιτείαν70 stehen προσλαμβάνει εις την πολιτείαν71 und προσνέμειν oder προσάγειν προς τήν πολιτείαν72 gegenüber. Das Wort συμπολιτεία h a t also nicht die Bedeutung, die es nach Auffassung der Gelehrten gehabt haben soll. Es bezeichnet weder einen völkerrechtlichen Vertrag noch die daraus entstandene Verbindung; συμπολιτεία ist kein Begriff des Völkerrechts, sondern es ist wie πολιτεία ein rein staatsrechtlicher Begriff, συμπολιτεία und πολιτεία sind insofern nicht identisch, als πολιτεία auf jede politische Gemeinschaft, συμπολιτεία dagegen nur auf die politischen Gemeinschaften bezogen werden kann, an denen eine Mehrzahl von πόλεις beteiligt sind. Beide Begriffe haben aber denselben Inhalt, indem der eine wie der andere auf das hinweisen, was bei jeder politischen Gemeinschaft vorhanden ist, nämlich ein Bürgerrecht und die damit verbundenen Rechte und Verpflichtungen, eine Verfassung, die diese Rechte und Verpflichtungen abgrenzt und das gesamte politische Leben regelt usw. συμπολιτεία hat nie dazu gedient, die bundesstaatlichen Sympolitien von den anderen Staaten zu unterscheiden (sonst wäre überhaupt nicht zu verstehen, daß Polybios nebeneinander συμπολιτεία und πολιτεία auf die bundesstaatlichen Sympolitien bezogen hat). Aus dem Wort συμπολιτεία läßt sich weder entnehmen, daß die Staaten, auf die es bezogen wird, durch Zusammenschluß mehrerer bisher selbständiger πόλεις entstanden seien, noch läßt sich erschließen, in welchem Verhältnis die πόλεις, die einem solchen Staate angehören, zueinander stehen (deshalb kann συμπολιτεία sowohl auf Staaten bezogen werden, in denen mehrere πόλεις nebeneinanderstehen, wie auf πόλεις, die andere πόλεις aufgenommen haben). Aus diesem Begriff läßt sich nur und ausschließlich entnehmen, daß der Staat, auf den er bezogen wird, mehrere πόλεις umfaßt. Das Ergebnis der terminologischen Untersuchung ist also, daß keiner der Begriffe, die in der Forschung als Fachausdrücke zur Bezeichnung der bundesstaatlichen Sympolitien aufgefaßt worden sind, diese als eine bestimmte Staatsform im Gegensatz zu anderen charakterisieren will. In Wirklichkeit kennt die griechische Terminologie keine Einheitsstaaten und keine Bundesstaaten. Sie kennt (außer den Königen und Dynasten) nur zwei Kategorien von Staaten: die Poleis und die Ethne. Die Staaten, die in der modernen Literatur als bundesstaatliche Sympolitien, als „Koina" oder als Bünde bezeichnet werden, haben der Gruppe der Ethne angehört, indem sie Staaten waren, auf die der Begriff „Polis" nicht anwendbar war. 70
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Pol. 18,2,4.
" Pol. 2,60,5.
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Pol. 2,43,3; 2,43,4.
Β. ORGANE U N D BEFUGNISSE D E R ZENTRALGEWALT
Am besten sind uns die Organe und Befugnisse der achäischen und, in einem geringeren Maße, der ätolischen Zentralgewalt bekannt. Es sind aber auch über die anderen Bünde relativ zahlreiche Informationen vorhanden, die erkennen lassen, daß in der hellenistischen Zeit die Institutionen der griechischen bundesstaatlichen Sympolitien in ihren wesentlichen Zügen nach demselben Muster gestaltet waren Die auffälligste Beobachtung, die sich aus der Untersuchung der Zentralorgane der verschiedenen Bünde ergibt, ist, daß sie in Aufbau und Verteilung der Kompetenzen der Verfassung der πόλεις ziemlich genau entsprechen 2 . Von Bedeutung ist vor allem, daß die beschließende Instanz dieser Bünde nicht, wie man bei Bundesstaaten erwarten könnte, aus Abgeordneten der Städte zusammengesetzt war, sondern wie in den πόλεις eine Primärversammlung war, an der alle wehrfähigen Bürger berechtigt waren, teilzunehmen, während der Rat, der in einzelnen Bünden aus Abgeordneten der Bundesglieder bestellt wurde 3 , die bei den πόλεις übliche beratende Funktion ausübte 4 . Es ist zwar immer umstritten gewesen, ob beim achäischen 1 Über die Verfassungen der griechischen Bünde sind grundlegend die Werke von H . Swoboda, in: Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 208ff. und BusoltSwoboda, Griechische Staatskunde 1395ff., ferner der RE-Artikel Συμπολιτεία von W . Schwahn und zuletzt das Buch von J . A. O. Larsen, Greek Federal States, Oxford 1968. Vgl. auch die zusammenfassenden Darstellungen von B. Keil, Staatsaltertümer 410ff.; E. Kornemann, R E Κοινόν 918ff.; K . J . Beloch, GG IV 2 1, 602ff.; V. Ehrenberg, Der Staat der Griechen 2 147ff. 2 Vgl. A. Aymard, Les assemblies 53f.; V. Ehrenberg, a . a . O . 154f. 3 Vgl. unten 37. 1 Bekanntlich h a t J . A . O . Larsen in seinen verschiedenen Untersuchungen über die griechischen bundesstaatlichen Sympolitien (vgl. insb. Cl.Ph. 40, 1945, 65ff.; Representative Government 86ff.) die These verfochten, daß bei den entwickelten Bünden die Souveränität von einer Abgeordnetenversammlung ausgeübt wurde. Allein dieses System ist nur bei Staaten bezeugt, die durch die römische Intervention u n d unter ihrem Einfluß ins Leben gerufen oder neugestaltet wurden, nämlich beim thessalischen Bund nach 196, bei dem lykischen Bund u n d in Makedonien nach dem Perseus-Krieg, so daß sich daraus nichts über die griechische bundesstaatliche Sympolitie entnehmen läßt. Auch seine Vermutung, daß bei den Achäern die Souveränität u m 217 von der Volksversammlung auf den R a t übertragen wurde (vgl. zuletzt Greek Federal States 223ff.), h a t sich als falsch erwiesen: vgl. folgende Anm.
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Bund, der allgemein als der am weitesten entwickelte Bundesstaat der griechischen Welt angesehen wird, die Souveränität von einer Primärversammlung oder von einer Abgeordnetenversammlung ausgeübt wurde; aber es kann nachgewiesen werden, daß man dort bei der üblichen Gliederung in R a t (βουλή) und Volksversammlung (έκκλησία) blieb 5 : viermal jährlich wurden R a t und Volksversammlung zu einer ordentlichen Tagung einberufen, der berühmten σύνοδος των 'Αχαιών. Zwischen den Synodoi konnte der Rat, wie es scheint, jederzeit, die Volksversammlung dagegen nur bei besonders gewichtigen Angelegenheiten einberufen werden. Dem Rat, dessen Mitglieder (βουλευταί bei Pol. 2,37,10) unter den Bürgern gewählt wurden, die das dreißigste Lebensjahr erreicht hatten, lag die Vorbereitung der Beschlüsse ob. Der Volksversammlung, an der alle Bürger im waffenfähigen Alter teilnehmen durften, war die Entscheidung vorbehalten. Dasselbe Schema weisen die Institutionen des ätolischen Bundes auf: die Volksversammlung (εκκλησία bei Pol. 28,4,1) war der Souverän. Der R a t (συνέδριον in Syll. 3 546B, Z. 32f.; βουλή in Syll. 3 563, Z. 13)', erfüllte wohl dieselbe beratende Funktion wie der achäische. Ordentliche Tagungen der Ätoler (σύνοδοι των Αιτωλών) 7 fanden nur zweimal im J a h r s t a t t ; es konnte aber die ätolische Volksversammlung, wie die achäische, zu außerordentlichen Tagungen einberufen werden 8 . Vom boiotischen Bund wissen wir, daß sein R a t (συνέδριον), dessen Existenz lange bezweifelt wurde, eine beratende Funktion hatte 9 , während die Beschlüsse von der Volksversammlung (έκκλησία bei Pol. 27,1,2; δαμος auf Inschriften) 1 0 gefaßt wurden. R a t und Volks5 Vgl. Mus.Helv. 26, 1969, Iff. Ich bin dort aufgrund einer neuen Interpretation von Pol. 29,24,5-6 zu dem Ergebnis gekommen, daß die Begriffe σύνοδος und σύγκλητος nicht zwei verschiedene Organe bezeichnen, wie bisher angenommen worden ist (Literatur dort S. 1 Anm. 3), sondern daß die Organe des achäischen Bundes βουλή und έκκλησία geheißen haben, während σύνοδος die ordentlichen Tagungen von βουλή und έκκλησία, σύγκλητος außerordentliche Versammlung jeder Art bezeichnet haben (vgl. allerdings F. W. Walbank, Mus.Helv. 27, 1970, 129-143, der gegen die hier vertretene Auffassung die Theorie von Larsen verficht). 6 Seine Mitglieder heißen dementsprechend σύνεδροι (vgl. z.B. Syll. 3 479, Z. 2; Syll. 3 554, Z. 17; Syll. 3 563, Z. 13) oder βουλευταί (vgl. Syll. 3 546B, Z. 18, 20 und 21). ' Vgl. Pol. 4,5,9; 4,26,6; 18,48,5. Zahl und Termine der ordentlichen Tagungen der Ätoler hat M. Holleaux, BCH 29, 1905, 362ff. = 'Etudes I 219ff., ermittelt. 8 Vgl. Liv. 31,32,4. 9 Vgl. P. Roesch, Thespies et la Confederation beotienne 126 ff. 10 Vgl. IG VII 280, Z. 3; 283, Ζ. 1; 290, Z. 3.
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Versammlung sind ferner beim akarnanischen Bund 1 1 und bei den Epeiroten nach dem Sturz der Aiakiden 12 bezeugt. An der Spitze des achäischen und des ätolischen Bundes sowie des akarnanischen Bundes nach seiner Neugründung um 230 13 , stand ein Stratege, dem bei den Achäern das zehnköpfige Gremium der Damiurgen, bei den Ätolern das Kollegium der Apokleten beistand. Bei den anderen Bünden bildeten die höchsten Magistrate ein Kollegium, dessen Mitglieder gemeinsam die Leitung der Politik wahrnahmen: das bekannteste Beispiel bieten die Boiotarchen des boiotischen Bundes 1 4 ; in Phokis stand an der Spitze des Staates ein Gremium von drei Phokarchen 1 5 ; in Akarnanien lag vor der Mitte des 3. Jh.s die Leitung der Exekutive bei einem Kollegium von sieben Strategen 16 . Stellung und Funktion der Bundesmagistrate scheinen überall die gleichen gewesen zu sein: sie wurden von der Volksversammlung auf ein J a h r gewählt und konnten von ihr jederzeit zur Rechenschaft gezogen werden. Ihnen wurden die in der Poleis üblichen Aufgaben der Exekutive übertragen, wie Empfang und Entsendung von Gesandtschaften, Einberufung von R a t und Volksversammlung und Leitung der Sitzungen, Aushebung und Führung der Truppen im Kriege usw. 17 . Wenn bei Achäern und Ätolern die Magistrate und insbes. der Stratege eine bei den Poleis ganz ungewöhnliche Selbständigkeit gewinnen und auf den ganzen Kurs der Politik einen entscheidenden Einfluß nehmen konnten, so lag das nur daran, daß es 11 Bei Diod. 19,67,4 und Pol. 28,5,1 heißt die Volksversammlung derAkarnanen έκκλησία; auf Inschriften heißt sie ot χίλιοι (IG IX 2 1,2,207 und 582, Z. 27) oder τό κοινόν (IG I X 2 1,2,208; Ζ. 7; 209, Ζ. 10 und 588, Ζ. 13). Der Rat wird sowohl βουλή (IG I X 2 1,2,208, Z. 6; 209, Z. 10; 582, Z. 26; 583, Z. 4 und 588, Z. 12) wie auch συνέδριον (IG IX 2 1,3 A, Z. 34; IG IX 2 1,2, 582, Z. 4) genannt. 12 Die έκκλησία ist bezeugt durch SGDI 1338, Z. 5f.; der Rat (συνέδριον) durch SGDI 1339, Z. 3 und IvM 32, Z. 39. 13 Vgl. Ch. Habicht, Hermes 85, 1957, l l l f . ; F. Gschnitzer, Hermes 92, 1964, 378 ff. 14 Vgl. P. Roesch, Thespies 100ff. P. Roesch hat überzeugend nachgewiesen (a.a.O. 112ff.), daß die Boioter keinen Strategen an ihrer Spitze hatten. Der eponyme Archon (vgl. Roesch, a.a.O. 75fF.) scheint eine untergeordneteRolle gespielt zu haben. 15 Vgl. IG I X 1, 97; 99; 101; IvM 34, Z. 35. 16 Vgl. IG IX 2 1, 3A, Z. 22ff. Dazu s. unten 37. 17 Vgl. vor allem die Ausführungen von A. Aymard, Les assemblies 176ff. über Stellung und Aufgaben der achäischen Magistrate. Über die ätolischen Beamten vgl. Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 361 ff.; über die boiotischen s. jetzt P. Roesch, Thespies 75ff.
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wegen der großen Ausdehnung dieser Bünde unmöglich war, die Volksversammlung allzuoft einzuberufen 18 . Von welchen Instanzen die Gerichtsbarkeit ausgeübt wurde, läßt sich nur bei einzelnen Bünden bestimmen. Bei den Achäern sind Richter (δικασταί)19, bei den Akarnanen ein Gerichtshof (δικαστήριον)20 bezeugt. Bei den Ätolern wurden Verfolgung und Bestrafung von Bürgern, die die Bundesbeschlüsse nicht beachteten, dem Rat aufgetragen 21 . Es ist aber durch mehrere Beispiele bezeugt, daß überall die Volksversammlung grundsätzlich befugt war, vor allem wenn es um die Sicherheit des Staates ging, die Justiz auszuüben 22 . Mit den Organen einer Polis ausgestattet, befaßte sich die Zentralgewalt einer bundesstaatlichen Sympolitie mit allen Angelegenheiten, die den Bund als Gesamtheit betrafen. Dabei war sie befugt, als höchste Instanz für alle Angehörigen des Bundes verbindliche Beschlüsse zu fassen und die notwendigen Maßnahmen zu ihrer Beachtung zu treffen 23 . Darin unterscheiden sich die bundesstaatlichen Sympolitien grundsätzlich von den Symmachien, bei denen die Beschlüsse, soweit sie nicht von der führenden Macht im Namen aller Verbündeten gefaßt wurden, von allen Mitgliedern der Symmachie ratifiziert werden mußten und nur mit ihrer Zustimmung für die einzelnen Bürger verbindlich wurden 24 . Nach außen vertrat die Zentralgewalt die Interessen des Ethnos, verkehrte mit den ausländischen Mächten, schloß mit ihnen Staats18
Vgl. A. Aymard, a.a.O. und 404; V. Ehrenberg, Der Staat der Griechen®
155. 19
Vgl. Pol. 2,37,10; 38,18,3. Vgl. IG I X 2 1, 2, 583, Z. 74f. 21 Vgl. z.B. Syll. 3 629, Z. 20f.; IG I X 2 1,1,4A, Z. 20ff. 22 Polybios berichtet von mehreren Prozessen, die vor der aehäischen Bundesversammlung stattgefunden haben (vgl. das Material bei A. Aymard, Les assemblees 182). Vgl. ferner Pol. 32,6,1-2 (Epeiros); Liv. 33,16,5-ll'(Akarnanien) und Liv. 42,43,8-9 (Boiotien). 23 Eine Ratifizierung der Bundesbeschlüsse durch die einzelnen Städte glaubte W. Kolbe, Sav.-Zeitschr. 49, 1929, 135 aus der akamanischen Asylieerklärung IG I X 2 1,2,582 im Vergleich mit dem Beschluß des Nesiotenbundes IG X I 4, 1038 erschließen zu können. Allein im akamanischen Beschluß bedeutet die Formel κατά τά αύτά δέ έψηφίσαντο (Ζ. 45) und die darauf folgende Liste von Städten keine Ratilizierung der Asylieerklärung, sondern sie beziehen sich auf den Beschluß dieser Städte, sich an den Festspielen durch eine eigene Theorie vertreten zu lassen (in diesem Bereich waren die Städte souverän; vgl. unten 39). Der Beschluß der Nesioten, der von den einzelnen Poleis bestätigt wurde, kann auch nicht angeführt werden, weil die Nesioten keine bundesstaatliche Sympolitie, sondern einen Staatenbund bildeten. 24 Vgl. die Kriegserklärung der hellenischen Symmachie an die Ätoler im J. 220 (Pol. 4,26,1 f.; dazu E. Szanto, Das griechische Bürgerrecht 120f.). 20
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und Rechtshilfeverträge25, erkannte die Asylie fremden Staaten oder Heiligtümern zu 26 und nahm neue Mitglieder auf27. Es stand ihr zu, Krieg zu erklären28 und verbündeten Mächten Hilfstruppen zu schicken29. Ausbildung des Heeres und Kriegsführung wurden von Bundesmagistraten (bei den Ätolern und den Achäern war es eine der Hauptaufgaben des Strategen) wahrgenommen30. Nach innen hatte die Bundesgewalt vor allem für die Aufrechterhaltung des Staates und den rechtmäßigen Ablauf des politischen Lebens zu sorgen. Magistrate, die ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen waren oder die Grenzen ihrer Kompetenzen überschritten hatten; Bürger, die sich an die Beschlüsse der Volksversammlung nicht gehalten oder sich des Hochverrats schuldig gemacht hatten, 25
Es ist allgemein bekannt und durch zahllose Belege bezeugt, daß die Zentralgewalt der bundesstaatlichen Sympolitien grundsätzlich befugt war, im Namen aller Mitglieder Staatsverträge mit fremden Mächten abzuschließen (vgl. etwa für die Achäer Pol. 21,3b und Liv. 32,19-23; für die Ätoler Pol. 5,103 und Liv. 26,24; für die Akarnanen Liv. 33,16 und 36,12,3; für die Boioter Liv. 33,2,1-6). Ihr lag aber auch die im alltäglichen Leben sehr wichtige Aufgabe ob, Besitz und Person der Angehörigen des Bundes durch den Abschluß von Rechtshilfeverträgen zu schützen: von den Achäern z.B. wissen wir, daß sie durch solche Abkommen mit den Boiotem (Pol. 22,4), mit den Athenern (Pol. 32,7,3-5) und mit den Teniern (IG X I I 5, 829) verbunden waren (vgl. auch bei Liv. 41,23ff. die Bemühungen des Königs Perseus im J . 174, das commercium mit den Achäern wiederherzustellen). 28 Vgl. vor allem die Sammlung der Asyliedekrete für Magnesia am Mäander (O. Kern, Die Inschriften von Magnesia am Mäander, Berlin 1900, Nr. L l V a und 18-87), die einen Beschluß der Ätoler (LIVa), der Akarnanen (31), der Epeiroten (32), der Phoker (34) und der Achäer (39) enthält. Auffällig ist weiter die relativ große Zahl der Asyliebeschlüsse des ätolischen Bundes: vgl. IG IX 2 1, 135 (für Lusioi); 169 (für Keos); 179 (Heiligtum der Athena in Pergamon); 189 (Mytilene); 191 (Tenos); 192 (Teos) und 195 (Chios). 27 Vgl. vor allem den Beschluß der achäischen Bundesversammlung über die Aufnahme von Sparta im J . 182 (Pol. 23,17,5-18,2). Vgl. ferner Pol. 24,2,3 und Liv. 36,35,7. 28 Vgl. z.B. den Beschluß der Achäer, der Akarnanen und der Epiroten, die Kriegserklärung des hellenischen Bundes gegen die Ätoler vom J . 220 zu ratifizieren (Pol. 4,26,7; 30,2 und 30,6). 29 Vgl. etwa Pol. 29,23-25; Pol. 33,16 (Achäer); Liv. 33,3,7 (Ätoler); Liv. 42,38,1 (Epeiroten). 30 Der Stratege der Achäer trug die ganze Verantwortung für die Ausbildung des Heeres, die Aushebung der Kontingente und die Kriegsführung (vgl. Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 406f.). In Ätolien wurden die militärischen Angelegenheiten vom Strategen in Zusammenarbeit mit den Apokleten geführt (vgl. Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 362ff.). In Boiotien waren die Städte durch ein Bundesgesetz verpflichtet, für die Ausbildung der jungen Soldaten zu sorgen (vgl. die von P. Roesch, Acta of the Fifth Epigraphic Congress 1967 [1971] 81ff. veröffentlichte Inschrift aus Thespiai). 29
wurden von der Zentralgewalt verfolgt und bestraft31. Abfallsversuche wurden mit den Waffen niedergeschlagen, und die Urheber des Abfalls wurden mit dem Tod oder der Verbannung verurteilt32. Es gehörte auch zu den Aufgaben der Bundesregierung, bei Konflikten, die zwischen zwei Städten oder innerhalb einer Stadt entstanden waren, einzugreifen und ihre Vermittlung notfalls mit Gewalt durchzusetzen33. Zusammenschlüsse zweier Städte durch einen sog. „Sympolitievertrag" wurden von ihr geregelt34. Die Kompetenz der Zentralgewalt war indessen nicht, wie behauptet worden ist, „auf das Minimum dessen beschränkt, was nötig war, wenn der Bund seinen Zweck, Schutz gegen äußere Feinde und Aufrechterhaltung der Ruhe im Innern, erfüllen sollte"35. Der Umstand, daß sie die Münzhoheit besaß und von den einzelnen Bürgern Steuern erheben konnte3e, vor allem aber ihre Befugnis, neben den üblichen Privilegien und Ehrungen wie Proxenie, Enktesis und Epigamie auch das Bürgerrecht sowohl an einzelne Personen wie auch an ganze 31
F ü r die zahlreichen Beispiele aus Achaia vgl. A. Aymard, Les assemblies 180 und 182. Die ätolischen Asyliebeschlüsse bestimmen regelmäßig die Maßnahmen, die die Zentralgewalt gegen eventuelle Nichtbeachter treffen soll (vgl. z.B. Syll. 3 522, Z. 5ff.; Syll. 3 554, Z. 15ff.). F ü r derartige Strafklauseln bei den Akarnanen vgl. I G I X 2 1,2,573, Z. 6ff. u n d 583, Z. 72ff. 32 Bekanntlieh sind mehrere πόλεις, insbesondere die Lakedaimonier u n d die Messenier, dem achäischen B u n d nur widerwillig beigetreten. Beide haben den Achäern die größten Schwierigkeiten bereitet, u n d es waren mehrere Feldzüge notwendig, insbesondere zur Zeit Philopoimens, u m ihren Abfall zu verhindern (vgl. zuletzt R.M. Errington, Philopoemen, Oxford 1969, lOOff.). 33 Konflikte zwischen zwei Städten: Syll. 3 933 (boiotischer Schiedsspruch zwischen Kopai u n d Akraiphia); Syll. 3 471 (Schiedsspruch der Megarer im Auftrag des achäischen Bundes zwischen Korinth u n d Bpidauros). Konflikte innerhalb einer S t a d t : Pol. 5,93 (in Megalopolis, von Aratos gemäß einem Beschluß des achäischen Bundes geregelt); Pol. 24,7 (Beseitigung von Mißständen in Sparta durch die achäische Regierung). 34 Vgl. Syll. 3 546B (Zusammenschluß der ätolischen Städte Meliteia u n d Pereia); Syll. 3 647 (Zusammenschluß der phokischen Städte Stiris undMedeon). 35 So K . J . Beloch, GG IV 2 l , 6 0 2 f . 36 I n der Literatur wird meistens nur von den Beiträgen der Städte an die Bundeskasse gesprochen (vgl. f ü r alle H . Swoboda, Klio 12, 1912, 31; K . J . Beloch, GG IV 2 1, 603; A. Aymard, Les assemblies 167; J . A . O . Larsen, Greek Federal States xxv f.). D a ß außerdem die Bundesregierung eigene Einkünfte, wohl in der F o r m von Zöllen, hatte, geht aber mit Sicherheit daraus hervor, daß sie einzelnen Personen die Befreiung von den Steuern (Atelie) erteilen konnte (vgl. z.B. Syll. 3 519, Z. 10 f ü r den achäischen Bund. Syll. 3 479, Z. 4; I G I X 2 1,1, 136, Z. 3 u n d 137, Z. 33 f ü r den ätolischen Bund. I G I X 2 1,2,209, Z. 21 und 393, Z. 5 f ü r den akarnanischen Bund. S G D I 1336 u n d 1339, Z. 11; Bull. 6p. 1967, 335 f ü r den epeirotischen Bund).
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Gemeinden zu verleihen 37 , wobei sich der Neubürger nach dem in den Poleis üblichen Verfahren in der Stadt seiner Wahl niederlassen konnte 38 , vermitteln vielmehr den Eindruck, daß die Zentralgewalt der bundesstaatlichen Sympolitien souverän war in allen Bereichen, die das politische Leben des griechischen Staates überhaupt darstellen. Soweit läßt sich also eine bundesstaatliche Sympolitie von einer Polis nicht unterscheiden. Es scheint, daß die schon erwähnte Aussage des Polybios auf alle bundesstaatlichen Sympolitien angewendet werden kann, „daß die Achäer dieselben Gesetze befolgen, sich der gleichen Gewichte, Maße und Münzen bedienten, ja sogar nur einen Rat, alle dieselben Beamten und Richter hatten, kurz, daß die ganze Peloponnes sich nur darin von einer einzigen Stadt unterschied, daß ihre Bewohner nicht von einer Mauer umschlossen waren, in allem übrigen aber, sowohl im ganzen wie in den einzelnen Städten, völlige Übereinstimmung bestand" 3 9 . Dem widerspricht aber augenscheinlich die Tatsache, daß die Mitgliedsgemeinden der bundesstaatlichen Sympolitien Poleis geheißen haben und mit den auswärtigen Staaten Beziehungen unterhalten haben, daß die Angehörigen der bundesstaatlichen Sympolitien ihrem Ethnikon regelmäßig die Angabe beigefügt haben, aus welcher Stadt sie kamen. Es scheint danach, daß die Zentralgewalt der bundes37 Privilegien und Ehrungen oder Bürgerrecht an einzelne: IG I X 2 1,5-50 (Ätoler); Syll. 3 519 und 653,10 (Achäer); IG I X 1,99-102 (Phoker); IG I X 2 1, 393, 582 und 588 (Akarnanen); S G D I 1338 und 1339 (Epeiroten). Verleihving des Bürgerrechts an ganze Gemeinden: IG I X 2 1,136 (Ätoler an die Bürger von Trikka); IG I X 2 1,173 (Ätoler an die Herakleoten); IG I X 1,97 (Phoker an die Tenier); Pol. 32,7,3 (Achäer an die Delier). Bemerkenswert ist, daß vom boiotischen Bund keine Bürgerrechtsverleihungen, sondern nur Proxeniedekrete erhalten sind. Ob das dem Zufall zugeschrieben oder auf eine Eigentümlichkeit der boiotischen Verfassung zurückgeführt werden muß, läßt sich nicht entscheiden (vgl. dazu H. Swoboda, Zwei Kapitel 31 ff.). 38 Vgl. I G I X 2 1,2,393, Z. 2ff.: πολιτείαν εΤ[ναι οώτώι της Ά]καρνανίας έν όποία[ι άν βούλητοα π]όλει; Bull. ep. 1967, 335: δπει κα χρήζ-f, τας 'Απείρου. In der Meinung, daß ein solcher Vorgang einen bedenklichen Eingriff in die Autonomie der Städte bedeutet hätte, hat H. Swoboda die Ansicht vertreten (vgl. Klio 12, 1912, 19 Anm. 3; Zwei Kapitel 24f.), daß der Neubürger nur mit Zustimmung der von ihm gewählten Stadt das Bürgerrecht derselben erhielt. Diese These, die auf keine Belege gestützt werden kann und von mehreren Urkunden widerlegt wird, hat W . K o l b e , Sav. Zeitschr. 49, 1929, 132ff. (abgedruckt in: F . Gschnitzer, Zur griechischen Staatskunde, Darmstadt 1969, 375ff.) mitRecht zurückgewiesen. 39 Pol. 2,37,10-11. Die Übersetzung ist übernommen von H. Drexler, Polybios, Geschichte, I. Bd., Zürich 1961, 148.
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staatlichen Sympolitien nicht die volle Souveränität besaß, sondern daß die Mitgliedsgemeinden eine gewisse Autonomie genossen und bestimmte Hoheitsrechte hatten, die der Zentralgewalt entzogen waren. Es scheint, daß uns Polybios aus Patriotismus ein einseitiges und unvollständiges Bild des achäischen Bundes bietet 40 . Wieweit sein Zeugnis berichtigt und ergänzt werden muß, wird sich aus der Untersuchung der Rechtsstellung der Mitgliedsgemeinden zeigen. 10 Vgl. W. Vischer, Kl. Sehr. I 379 Anm. 1; A. Aymard, Les Assemblies 113 Anm. 2 (Ende) und 169 Anm. 1.
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C. D I E
MITGLIEDSGEMEINDEN
Während wir über die Organisation und die Befugnisse der Zentralgewalt der bundesstaatlichen Sympolitien recht gut informiert sind, sind über die Rechtsstellung der Mitgliedsgemeinden keine direkten Nachrichten überliefert: Gesetze, die eine Abgrenzung der Befugnisse zwischen Zentralgewalt und Mitgliedsgemeinden festgesetzt hätten, sind uns nicht bekannt. Wir wissen auch nicht, ob die Verträge, durch welche eine bundesstaatliche Sympolitie neue Mitglieder aufnahm 1 , diesen bestimmte Hoheitsrechte zuerkannten oder nicht: die uns erhaltenen Bestimmungen solcher Verträge beinhalten keine grundsätzliche Regelung über das zukünftige Rechtsverhältnis zwischen dem neuen Mitglied und der Zentralgewalt, sondern sie beziehen sich auf besondere Mißstände, die bei der beigetretenen Stadt zum Zeitpunkt ihrer Eingliederung bestanden und von der Zentralgewalt oder unter ihrer Aufsicht beseitigt werden sollten 8 . Dieser Umstand erklärt, daß nur selten versucht worden ist, die Rechtsstellung der Mitgliedsgemeinden genauer zu erfassen. Hierher gehört vor allem eine eingehende Untersuchung von H. Swoboda über die Städte des achäischen Bundes, in der der beste Kenner der griechischen bundesstaatlichen Sympolitien auf eine weitgehende Souveränität der Städte bei internen Angelegenheiten geschlossen 1 Bei den Achäern erfolgte die Aufnahme eines neuen Mitgliedes durch den Abschluß eines Vertrages (ομολογία in Syll. 3 490, Z. 9), dessen Inhalt dann auf Stein aufbewahrt wurde (vgl. Pol. 2,41,12; 23,17,2; Liv. 39,37,16). 2 Vgl. den leider fragmentarisch erhaltenen Vertrag von Orchomenos (Syll. 3 490) mit dem achäischen Bund: der uns überlieferte Teil dieser Urkunde enthält eine Strafklausel gegen Personen, die über einen uns nicht bekannten Gegenstand einen Antrag stellen würden (Z. Iff.; vielleicht handelt es sich um die aus vielen Verträgen bekannte Klausel, die jeden Antrag auf Aufhebung des Vertrags verbietet); den Eid, der von beiden Parteien geleistet werden soll (Z. 5ff.); eine Klausel, die es den Eigentümern eines Grundstückes in Orchomenos verbietet, in den nächsten zwanzig Jahren ihr Grandstück zu veräußern (Z. 11 ff.; der Zweck dieser Bestimmung ist unklar); das Verbot, gegen einen gewissen Nearchos (wohl ein Tyrann der Stadt) und seine Söhne Klage zu führen (Z. 13ff.) und schließlich eine Bestimmung über die Rückerstattimg eines enteigneten Kultgegenstandes (Z. 17ff.). Ähnlicher Art sind die Bestimmungen über die Verbannten im Vertrag zwischen den Achäern und Sparta (Pol. 23,4,14; 23,18,2) und der Steuernachlaß, der von den Achäern den Messeniern bei ihrem Beitritt gewährt wurde (Pol. 24,2,3).
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hat 3 . Diese Auffassung, die H. Swoboda seinen verschiedenen Arbeiten über die bundesstaatlichenSympolitien zugrundegelegt hat 4 , wird in der Literatur überall angenommen, wenn auch Swoboda gelegentlich vorgeworfen worden ist, die Eingriffe der Zentralgewalt in die Autonomie der Städte zu wenig berücksichtigt zu haben 5 . Was wir von der Stellung der Mitgliedsgemeinden tatsächlich wissen, ist zuerst, daß sie eigene beschließende Organe und eigene Magistrate hatten. Am besten ist uns durch zahlreiche Inschriften die Organisation der boiotischen Städte bekannt 6 . Sie war im wesentlichen nach einem einheitlichen Muster gestaltet: man begegnet bei allen Mitgliedsgemeinden des boiotischen Bundes dem R a t (βουλά) und der Volksversammlung (δαμος). Die höchsten Magistrate waren der eponyme Archon, die drei Polemarchen und ihr Sekretär. Diese Organisation begegnet nicht nur bei den alten boiotischen Städten, sondern auch bei den Gemeinden, die wie Megara, Aigosthenai und Oropos nur vorübergehend dem boiotischen Bund angehört haben. Nur die untergeordneten Ämter, die sehr zahlreich sein konnten (in Thespiae sind über fünfzig Ämter b e z e u g t ) s i n d von Stadt zu Stadt verschieden. Auch bei den Ätolern scheinen die Mitgliedsgemeinden weitgehend dieselbe Organisation gehabt zu haben: jedenfalls sind in mehreren ätolischen Städten Archonten bezeugt 8 . Bei den Phokern sind die Beschlüsse der Mitgliedsgemeinden immer nach einem Archon datiert 9 . Die beschließenden Organe der Mitgliedsgemeinden 3
Klio 12, 1912, 17ff. Vgl. außer den. oben 25 Anm. 1 zitierten Werken seine Rektoratsrede „Die griechischen Bünde und der moderne Bundesstaat", Prag 1914, und seine Abhandlung „Zwei Kapitel aus dem griechischen Bundesrecht", in: SB Wien, phil.-hist. Kl. 199,2, 1924, 3ff. 5 Vgl. z.B. W. Vischer, Kl. Sehr. I 380f.; H. Francotte, La Polis grecque 150ff.; K . J . Beloch, GG IV 2 1, 602ff.; W. Schwahn, R E Συμπολιτεία 1174 und 1182; V. Ehrenberg, Der Staat der Griechen2 154, 156f.; W.W. Tarn-G.T. Griffith, Hellenistic Civilization 3 , 73, — Ε. Szanto, Das griechische Bürgerrecht 119, war hingegen der Meinung, daß die Autonomie der Städte nicht mehr war als das Ergebnis „praktischer Konzessionen" seitens der Zentralgewalt, daß die Ethne also rechtlich keine Bundes-, sondern Einheitsstaaten waren. In diesem Punkt hat jedoch Szanto keinen Anhang gefunden. 6 Vgl. Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 282ff.; Busolt-Swoboda, Griechische Staatskunde 1438f.; P. Roesch, Thespies et la Confederation beotienne, Paris 1965, 153ff. 7 Vgl. die Liste bei P. Roesch, a.a.O. 22ff. 8 Vgl. IG I X 2,60 und 61 (Lamia); IG I X 2 1,97 (Phystion); Syll. 3 546B, Z. 24 (Perea). Vgl. ferner Syll. 3 629, Z. 25, wo allgemein von den Archonten der ätolischen Städte die Rede ist. 9 Vgl. IG I X 1,1-3 (Antikyra); 11-12 (Ambryssos); 63-66 (Daulis); 86 (Hyampolis); 100 und 104 (Elateia). In Stiris sind mehrere άρχοντες bezeugt 4
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scheinen bei allen Bünden der Rat und die Volksversammlung gewesen zu sein, wenn sie auch nur in wenigen Städten direkt belegt sind: der R a t ist in den achäischen Städten Dyme und Sikyon 10 , in den phokischen Städten Antikyra, Daulis und Elateia 1 1 , in der ätolischen Stadt Lamia und der akarnanischen Stadt Stratos bezeugt 12 ; die Volksversammlung kennen wir in den phokischen Städten Antikyra, Ambryssos, Elateia und Stiris und in der achäischen Stadt Sikyon 13 . Wie die selbständigen Poleis hatten die Mitgliedsgemeinden der bundesstaatlichen Sympolitien ein eigenes Gebiet, eigenen Besitz und eigene Finanzen 14 . Das reichste Material bieten wieder die Städte des boiotischen Bundes 1 5 : sie hatten verschiedene Magistrate, die die Finanzen der Gemeinde verwalteten, sie verpachteten Grundstücke, die ihnen gehörten, sie erhoben Steuern und Zölle, sie machten Schulden bei anderen Städten oder sie gewährten Darlehen. Die akarnanische Stadt Anaktorion hatte bis gegen Ende des 3. Jh.s die ausschließliche Verfügungsgewalt über das Heiligtum des Apollon, das in ihrem Gebiet lag 16 . Alle Schätze und Weihgeschenke, die sich im Heiligtum befanden, standen unter der Aufsicht der Stadt. Sie erhob von den Besuchern des Heiligtums verschiedene Gebühren und Zölle, die sie nach ihrem Gutdünken verwaltete. Zu erwähnen ist auch der Sympolitievertrag zwischen den ätolischen Städten Meliteia und Perea, aus dem hervorgeht, daß letztere Gemeinde Grundstücke besaß (δαμοσία χώρα), die sie verpachtete 1 7 . In mehreren Städten verschiedener Bünde sind ferner Schatzmeister bezeugt 18 . (Syll. 3 647, Z. 23). Dieselbe Inschrift von Stiris erwähnt ferner ξενοδίκαι, πρακτηρες, δαμιούργοι, ιερείς und ιεραρχαί. 10 Syll. 3 531, Ζ. 10 und 14 (Dyme); IvM 41, Ζ. 17 (Sikyon). Aus Liv. 32,19,9 geht aber hervor, daß alle achäischen Städte einen Rat hatten. 11 IG I X 1,1 und 2 (Antikyra); IG I X 1,64 (Daulis); IG I X 1,104 (Elateia). 12 IG I X 2,61 (Lamia); IG I X 2 1,391 (Stratos). 13 IG I X 1,1 (Antikyra); IG I X 1,11 (Ambryssos); IG I X 1,104 (Elateia); Syll. 3 647, Z. 13 (Stiris); IvM 41, Z. 9 (Sikyon). 14 Vgl. Syll. 3 647 (Sympolitievertrag zwischen den phokischen Städten Stiris und Medeon), Z. 6ff.: συ[νε]πολίτευσαν Στείριοι κα[1 Μ]εδεώνιοι, έχοντες ίερά, πό[λι]ν, χώραν, λιμένας, πάντα [έ]λεύθερα (d.h. schuldenfrei). 15 Vgl. P. Roesch, Thespies et la Confederation beotienne 207 ff. 18 Vgl. den von Chr. Habicht, Hermes 85, 1957, 86ff. veröffentlichten Vertrag zwischen dem akarnanischen Bund und seiner Mitgliedsgemeinde Anaktorion bezüglich der Übernahme des Heiligtums durch den Bund ( = IG IX 2 1,583). 17 Syll. 3 546Β, Z. 12ff. 18 Z.B. in Dyme (SGDI 1615, Z. 4); in einer unbekannten achäischen Stadt (IvM 40, Z. 18); in Trichonion (IG I X 2 1,126); in Medeon (Syll. 3 647, Z. 38).
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Die Mitgliedsgemeinden hatten ein eigenes Bürgerrecht: man war Staatsangehöriger einer bundesstaatlichen Sympolitie, indem man das Bürgerrecht einer ihrer Mitgliedsgemeinden besaß. Dies erkennt man daran, daß den Namen von Angehörigen der bundesstaatlichen Sympolitien die Angabe der Heimatstadt sowohl in den literarischen Quellen wie auch auf Inschriften regelmäßig beigefügt wird. Im Inland wurde die Herkunft in der Form der adjektivischen Ableitung vom Ortsnamen angegeben: auf einer ätolischen Urkunde wird ein ätolischer Magistrat als Τριχονιεύς, als Καλλιεύς, als Ναυπάκτιος19, auf einer achäischen Urkunde ein achäischer Magistrat als Βούριος, als Πατρεύς oder als 'Ωλένιος20 gekennzeichnet. Im Ausland wurde das sog. „doppelte Bürgerrecht" gewöhnlich in der Form Αίπωλός έκ Ναυπάκτου, 'Αχαιός έξ Αίγίρας, Βοι,ωτίος έξ Ώρωποϋ oder Άκαρνάν έκ Στράτου21 wiedergegeben. Die Mitgliedsgemeinden hatten die Befugnis, ihr Bürgerrecht nebst anderen Privilegien zu erteilen22. Allerdings waren sie nur für die Verleihung an einzelne Auswärtige zuständig: die Verleihung des Bürgerrechts an ganze Gemeinden war der Zentralgewalt vorbehalten23. Die Städte hatten auch eigene Gesetze24 und eine eigene Gerichtsbarkeit25. 18
Vgl. etwa I G I X 2 1,3A, Z. 16ff. Vgl. Syll. 3 519, Z. 13f. u n d B C H 78, 1954, 402, Nr. 18. 21 Syll. 3 380; I G X I I 9,1187, Z. 34; I G I X 1,100; F D I I I 1,106. Es k o m m t allerdings nicht selten vor, daß die H e i m a t s t a d t weggelassen wird; vgl. I G V 2, 10; I G X I I 9,1187, Z. 21; Syll. 3 515 (Αιτωλός); I G X I I 9,1187, Z. 14 (Φωκεύς) u n d Z. 22 (Λοκρός). Gelegentlich wird auch im Ausland die H e i m a t s t a d t in der F o r m der adjektivischen Ableitung angegeben; vgl. I G I X 2 1,13, Z. 31 (Θεσσαλός Φαλωριαστής); Syll. 3 254B (Θεσσαλός Κραννώνιος); F D I I I 1,422 (Αιτωλός Καλλιεύς). Sehr selten — jedenfalls vor der römischen Zeit ·— ist die Angabe der H e i m a t s t a d t mit der Präposition άπό s t a t t έκ. Vgl. etwa (die Belege sind mir freundlicherweise von J . Roy mitgeteilt worden) I G V I I 287: Αιτωλός άπό Μελιτείας (3. J h . ) ; I G I I 2 2314, Z. 17: Αχαιός άπ' "Αργούς (frühes 2. J h . ) ; I G I I 2 2316, Z. 6: 'Αχαιός άπό Σικυώνος (ca. 166/165). 22 Vgl. etwa f ü r Boiotien I G V I I , 504-524 (Tanagra); 1721-1726 (Thespiae); 2707-2709 (Akraiphia) u . a . F ü r Phokis: I G I X 1,1-3 (Antikyra); 10-11 (Ambryssos); 222-223 (Tithronion). F ü r Ätolien: I G I X 2,61-62 (Lamia); I G X I I Suppl., 249 (Stratos); Syll. 3 522 (Naupaktos). F ü r Achaia: S G D I 1612 u n d 1614 (Dyme). F ü r Akarnanien: I G I X 2 1,390-392 (Stratos). 23 Vgl. W . Schwahn, Hermes 66, 1931, 114ff. Wie dieser Gelehrte mit Recht hervorhebt, wurde der Beschluß der Naupaktier f ü r die Keier (Syll. 3 522) im Einverständnis mit der ätolischen Zentralgewalt gefaßt u n d stellt deshalb einen besonderen Fall dar. 24 Πολιτικός νόμος im Sympolitievertrag zwischen Stiris u n d Medeon (Syll. 8 647, Z. 22 u n d 46), wobei zu bemerken ist, daß diese Gesetze sich nur auf sakrale Angelegenheiten beziehen. I n der Stadt Kalydon sind νόμοι u n d νομόγραφοι bezeugt (IvM 28). Vgl. ferner den Beschluß der S t a d t Dyme, der die Bedingungen f ü r die A u f n a h m e neuer Bürger festsetzte (SGDI 1614). 25 Vgl. Syll. 3 647, Z. 15f.: δικά[ζε]ιν τάς δίκας τάς έπΐ πόλι[ο]ς; ferner Ζ. 29ff. F ü r D y m e : S G D I 1613, 1614 u n d 1615. 20
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Es ist in einigen Bünden bezeugt, daß die Mitgliedsgemeinden bei der Zentralgewalt durch Abgeordnete vertreten waren. In Ätolien wurden die Mitglieder des Rates von den Städten bestellt, wobei die Zahl der Sitze einer Stadt nach ihren Abgaben an die Bundeskasse bestimmt wurde26. In Arkadien waren die Städte bei der Zentralgewalt durch je fünf Damiorgoi vertreten außer Megalopolis, das zehn Sitze hatte, und Lepreon und Mainalia, die nur über zwei bzw. drei Sitze verfügten27. Das Synedrion des boiotischen Bundes setzte sich, wie P. Roesch nachgewiesen hat, ebenfalls aus Abgeordneten der Städte zusammen2S. Eine Art der Vertretung der Städte läßt sich auch in der Zusammensetzung der Magistratskollegien manchmal feststellen : im siebenköpfigen Gremium der Boiotarchen waren die Städte Theben, Thespiae, Orchomenos, Plataia und Tanagra dauernd durch einen ihrer Bürger vertreten, während den übrigen Städten nach einem bestimmten Turnus ein Sitz zugeteilt wurde29. Im Kollegium der sieben Strategen, die den akarnanischen Bund vor seiner Auflösung um die Mitte des 3. Jh.s leiteten, waren die Städte mit je einem Strategen vertreten und führten im Turnus den Vorsitz30. Die herrschende Ansicht, daß in der Volksversammlung nach Städten abgestimmt wurde, und mithin jede Stadt wie in Rom die Centurien und die Tribus eine Stimme hatte, ist dagegen wahrscheinlich irrig31. 29 Vgl. I G I X 2 1,188, Z. 20f. Dazu W . Dittenberger, Hermes 32, 1897, 171; Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 360; J . A . O . Larsen, Representative Government 203 Anm. 22 u n d Greek Federal States 199. 27 28 Siehe unten 45f. Vgl. P. Roesch, Thespies 126ff. 29 Vgl. die Boiotarchenliste in SEG 15, 1958, 282 u n d die Aphedriatenlisten bei Schwyzer 446, 447 u n d 448. Die Frage, ob die Boiotarchen mit den Aphedriaten identisch waren oder nicht (vgl. zuletzt P. Roesch, Thespies 135 ff.), braucht hier nicht erörtert zu werden, weil das Prinzip der Zusammensetzung eindeutig dasselbe war. 30 Vgl. I G I X 2 1,3A, Z. 22ff. Dazu F . Gschnitzer, Hermes 92, 1964, 378ff. D a wir nur eine Liste besitzen, können wir nicht bestimmen, ob im Kollegium der Strategen alle Städte permanent vertreten waren, oder ob wie in Boiotien nur die größeren Städte einen festen Sitz hatten, während die kleineren im Turnus einen Strategen stellten. 31 Bekanntlich wird allgemein angenommen, daß bei den Achäern die Abstimmving in der Volksversammlung nach Städten erfolgte (vgl. W . Vischer, Kl. Sehr. I 377 Anm. 1 u n d 570; E . Szanto, Das griechische Bürgerrecht 122f.; Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 398; K . J . Beloch, GG IV 2 2,234; BusoltSwoboda, Griechische Staatskunde 1558; A. Aymard, Les assemblies 377ff.; J . A . O . Larsen, Greek Federal States 230). Dabei beruft m a n sich auf folgende Zeugnisse: in seiner Darstellung der Sitzung der achäischen Bundesversammlung des J . 198, auf der die Achäer beschlossen, sich den Römern gegen Philipp V. anzuschließen, berichtet Livius, daß die Rede des Aristainos von allen anwesenden popvli schweigend angehört wurde (Liv. 32,20,7: ne fremitum quidem auf murmur contionis tantae ex tot populis congregatae movit), daß aber
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nach dem Schluß derselben ganze populi anfingen, miteinander zu streiten (32,22,2: et iam non singuli tantum sed populi universi inter se altercabantur). Wie es zur Abstimmung kam, erklärten sich die meisten populi mit dem Antrag einverstanden außer den Dymäern, den Megalopolitanern u n d einem Teil der Argiver, die vor der Beschlußfassung die Sitzung verließen (32,22,8: omnibus fere populis haud dubie approbantibus relationem ac prae se ferentibus, quid deereturi essent, Dymaei ac Megalopolitani et quidam Argivorum, prvusquam decretum fieret, consurrexerunt ac reliquerunt concilium). Die anderen beschlossen den Vertrag (32,23,1: ceteri populi Achaeorum, cum sententias perrogarentur, societatem . . . confirmarunt). Ferner teilt Liv. 38,32,1 mit, daß der Beschluß des J . 189, den Lakedaimoniern den Krieg zu erklären, mit dem Einverständnis aller civitates des Bundes gefaßt wurde (omnium civitatium, quae eius concilii erant, consensu bellum Lacedaimoniis indictum est). Von diesen fünf Stellen können die ersten beiden beiseite bleiben, weil es dort gar nicht u m eine Abstimmung geht. Die drei anderen können die Bedeutimg haben, die m a n ihnen zumißt, aber diese Interpretation ist keineswegs zwingend: Selbst bei einer Abstimmung nach Köpfen konnte es vorkommen — wie es eben das Verhalten der Dymaeer und der Megalopolitaner im J . 198 zeigt —, daß die Bürger einer Stadt geschlossen u n d ostentativ ihre Mißbilligung eines Beschlusses zum Ausdruck brachten. E s ist sogar mehrmals vorgekommen, daß eine Stadt sich geweigert h a t , einen Bundesbeschluß zu befolgen u n d aus dem Bund ausgetreten ist. So h a t Polybios, Livius' Quelle, mit der Mitteilung, daß nach dem Abgang der Dymaeer, der Megalopolitaner und eines Teiles der Argiver die übrigen das Bündnis mit R o m beschlossen, möglicherweise nur sagen wollen, daß im Gegensatz zu jenen die Bürger keiner anderen Stadt in so geschlossener und auffälliger Weise das Bündnis ablehnten. Auch der Bericht, daß alle Städte den Krieg gegen Sparta befürworteten, k a n n so verstanden werden. Die Annahme einer Abstimmung nach Städten stößt auch auf erhebliche Bedenken: einerseits war die Abstimmung nach Köpfen, soweit wir wissen, ein allgemein geltender Grundsatz der griechischen Demokratie, u n d es ist nicht einzusehen, w a r u m die Achäer von diesem Grundsatz abgegangen sein sollten. Vor allem k a n n m a n in den zahlreichen u n d zum Teil sehr ausführlichen Berichten über achäische Bundesversammlungen bei Polybios u n d Livius nicht das geringste Anzeichen eines solchen Abstimmungsverfahrens entdecken. Eine Abstimmung nach Städten wäre, wie A. Aymard a . a . O . selbst zugibt, ein sehr komplizierter Vorgang gewesen u n d h ä t t e auf jeden Fall viel Zeit beansprucht, während die Darstellungen bei Polybios u n d Livius im Gegenteil den Eindruck erwecken, daß die Beschlüsse durch einfache χειροτονία von der Gesamtheit der Anwesenden als Einheit gefaßt wurden. Es wird auch nirgends gesagt, daß die Mehrheit der Städte einen Beschluß angenommen oder abgelehnt h ä t t e ; m a n erfährt nirgends, welche Städte für und welche Städte gegen einen Antrag gestimmt h ä t t e n — d a ß die Dymäer u n d Megalopolitaner mit dem Bündnis mit R o m nicht einverstanden waren, wissen wir nicht, weil sie dagegen abgestimmt hätten, sondern weil sie die Sitzung vor der Beschlußfassung verließen —, sondern es heißt immer, daß das πλήθος, die πολλοί oder die'Αχαιοί einen Antrag gebilligt oder — manchmal durch lauten Protest wie im J . 183 (Pol. 22,8,13) — abgelehnt haben. •— Aus denselben Gründen m u ß die Ansicht, daß auch bei den Boiotern nach Städten abgestimmt worden sei (vgl. Busolt-Swoboda, Griechische Staatskunde 1435; P . Roesch, Thespies 126), wohl auch zurückgewiesen werden. Denn die einzige Stelle, auf die sich diese Ansicht stützen k a n n (Liv. 33,2,6: rogatio . . . de societate cum Romanis iungenda . . . omnium Boeotiae civitatium sujfragiis accipitur iubeturque), ist ebensowenig eindeutig wie die eben behandelten Stellen über das Abstimmungsverfahren bei den Achäem.
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Die Mitgliedsgemeinden haben zu auswärtigen Staaten Beziehungen unterhalten. Außenpolitik durften sie allerdings nicht betreiben: sie konnten keine völkerrechtlichen Verträge abschließen, sie durften keine Beschlüsse fassen, die wie etwa die Anerkennung der Asylie einer Stadt völkerrechtliche Folgen gehabt hätten 3 2 . Es war ihnen verboten, diplomatische Beziehungen im eigentlichen Sinne anzuknüpfen 3 3 . Ihre Bewegungsfreiheit beschränkte sich wesentlich auf die Beteiligung an panhellenischen Festen 3 4 und die Erteilung von Ehrungen 3 5 . Sie konnten auch mit Genehmigung der Zentralgewalt oder auf ihre Aufforderung Grenzstreitigkeiten mit Nachbarstädten selbst regeln 36 . Zu erwähnen ist noch eine interessante Inschrift aus Xanthos, aus der hervorgeht, daß die ätolische Gemeinde Kytenion mit Genehmigung und Unterstützung der ätolischen Zentralgewalt bei befreundeten Städten und Herrschern sammelte, um den Wiederaufbau ihrer zerstörten Ringmauer zu finanzieren37. Im ganzen ist also festzustellen, daß die Mitgliedsgemeinden der bundesstaatlichen Sympolitien im Besitz einer gewissen internen Autonomie waren, die unter Umständen ziemlich weit gehen konnte. Dabei ist allerdings zu beachten, daß die Autonomie der Mitgliedsgemeinden sich auf Bereiche erstreckte, f ü r die die Zentralgewalt 32 D e r Asyliebeschluß der achäischen S t a d t Aigeira f ü r d a s AsklepiosH e i l i g t u m in K o s ( R . H e r z o g - G . K l a f f e n b a c h , A s y l i e u r k u n d e n a u s K o s , A b h . D t s c h . A k . Berl. 1952, 1, N r . 4, Z. 41 ff.) ist n u r scheinbar eine A u s n a h m e : d e n n die Aigiraten verweisen in i h r e m Beschluß auf ein Gesetz d e r a c h ä i s c h e n Z e n t r a l g e w a l t , w o n a c h alle H e i l i g t ü m e r asyl sein sollen (Z. 47 f.: [κα]θώς καί [δόγ]μα εστί ται τε πόλει καί τοις [Ά]χαιοΐς ά[συ]λα είμεν τά ιερά), d . h . : die Aigiraten w a r e n wie die a n d e r e n A c h ä e r d u r c h ein Bundesgesetz verpflichtet, die Asylie aller H e i l i g t ü m e r zu respektieren, so d a ß ihr B e s c h l u ß in Wirklichk e i t eine rechtlich b e d e u t u n g s l o s e W i e d e r h o l u n g eines f ü r sie o h n e h i n v e r b i n d lichen Bundesgesetzes darstellt. — Ü b e r den Beschluß der N a u p a k t i e r f ü r K e o s s. oben 36 A n m . 23. 33 Vgl. P a u s . 7 , 9 , 4 u n d 7,12,5. 34 Vgl. e t w a I v M 28; I v M 31; I v M 40 u n d 41. 35 Siehe oben 36 A n m . 22. 36 So w u r d e i m S y m m a c h i e v e r t r a g zwischen den Ä t o l e r n u n d den A k a r n a n e n (IG I X 2 1,3A) v e r e i n b a r t (Z. 8ff.), d a ß die a k a r n a n i s c h e S t a d t S t r a t o s u n d die ätolische S t a d t Agrinion ihren Grenzstreit selbst regeln sollten u n d d a ß die Z e n t r a l g e w a l t e n beider B ü n d e erst eingreifen w ü r d e n , w e n n die b e t r o f f e n e n S t ä d t e sich n i c h t einigen k ö n n t e n . Vgl. ferner die Schiedssprüche zwischen der a c h ä i s c h e n S t a d t P a g a i u n d der boiotischen S t a d t Aigosthenai (IG V I I 188 u n d 189; d a z u d e n K o m m e n t a r v o n L. R o b e r t , R P h 65, 1939, 97ff. = L. R o b e r t , Opera Minora Selecta I I , 1250-1275) u u d zwischen d e r p e r r h ä b i s c h e n S t a d t Azoros u n d der thessalischen S t a d t M o n d a i a (IG I X 1,689). 37 Die I n s c h r i f t ist n o c h n i c h t veröffentlicht. Vgl. den vorläufigen B e r i c h t in R e v . a r c h . 1966, 108.
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ebenfalls kompetent war: weder die Erteilung des Bürgerrechts noch die Gesetzgebung und die Rechtssprechung waren den Städten vorbehalten, sondern sie standen der Zentralgewalt ebenfalls zu, so daß wir nicht bestimmen können, inwieweit die Autonomie der Städte wirklich eine „bundesgewaltfreie Sphäre" 38 gewesen ist. Wir müssen mit der Möglichkeit rechnen, daß in der Ausübung ihrer Befugnisse die Städte der Aufsicht der Zentralgewalt unterstellt waren 39 . Es ist möglich, daß Beschlüsse oder Gesetze, die anscheinend von der Stadt ausgingen, in Wirklichkeit durch einen Beschluß der Zentralgewalt veranlaßt worden waren 40 oder sogar eine rechtlich bedeutungslose Wiederholung eines für die Angehörigen des Bundes ohnehin verbindlichen Beschlusses der Zentralgewalt darstellten 41 . Deshalb können wir nicht ermitteln, inwiefern die Verfassung der bundesstaatlichen Sympolitien „eine genaue Scheidung der Kompetenzen des Bundes und der Städte" 4 2 festsetzte. Wir stellen fest, daß die Städte im Genuß einer gewissen Autonomie gewesen sind, aber wir wissen nicht, ob diese Autonomie durch die Verfassung vor Eingriffen der Zentralgewalt geschützt war. 38
So H. Swoboda, Rektoratsrede 8. Eine derartige Aufsieht der Zentralgewalt wird von B. Keil, Staatsaltertümer 420, bei der Erteilung des Bürgerrechts vermutet, weil diese das Bundesbürgerreeht mit sich brachte. 40 So wird von der ätolischen Regierung beschlossen, daß die Städte Thearodoken für die Verkünder der Nikephoria von Pergamon bestimmen sollten (Syll. 3 629, Z. 23f.; vgl. auch IvM 31, Z. 31ff.). 41 Vgl. den schon erwähnten Asyliebeschluß der achäischen Stadt Aigeira für Kos (39 Anm. 32). 42 So H. Swoboda, Klio 12, 1912, 23. 39
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II. Die ältere Geschichte der bekanntesten bundesstaatlichen Sympolitien In diesem Kapitel soll untersucht werden, ob und in welcher Weise die griechischen Ethne schon in der klassischen Zeit organisierte Verbände gebildet haben und, soweit sich eine Entwicklung ihrer Verfassung feststellen läßt, auf welchem Weg und unter welchen Umständen sie die Organisation übernommen haben, die man als die bundesstaatliche Sympolitie bezeichnet. Die Untersuchung wird auf die bekanntesten Ethne beschränkt. Zwar sind uns über die ältere Organisation des einen oder des anderen der kleineren Ethne, wie z.B. der Malier und der hypoknemidischen Lokrer1, sehr wertvolle Nachrichten erhalten, aber wir wissen über diese kleineren Ethne sonst zu wenig, um ihre verfassungshistorische Entwicklung bis in die hellenistische Zeit hinein einigermaßen verfolgen zu können. Wir werden ebenfalls manche Bünde beiseite lassen, die in die Handbücher über die bundesstaatlichen Sympolitien gelegentlich aufgenommen worden sind, von denen es aber sehr fraglich ist, ob sie wirklich bundesstaatliche Sympolitien gewesen sind: so beruht die herrschende Meinung, der chalkidische Bund sei eine bundesstaatliche Sympolitie gewesen, auf einer falschen Interpretation der Begriffe συμπολιτεύειν 1 Bei den Maliern setzte sich die beschließende Versammlung, wie wir aus Arist.Pol. 1297b 14ff. erfahren, aus den Bürgern zusammen, die ihren Dienst im Heer absolviert hatten, während die Magistrate unter den waffenfähigen Männern gewählt wurden. Es h a t also bei den Maliern schon vor der hellenistischen Zeit ein gemeinsames Bürgerrecht gegeben. — Ein reiches Material über die Organisation der hypoknemidischen Lokrer (zur Gliederung der OstLokrer in epiknemidische u n d hypoknemidische Lokrer ist grundlegend G. Klaffenbach, Klio 20, 1926, 66ff.) vor der Mitte des 5. J h . s bietet uns das sog. Kolonistengesetz von Naupaktos (Syll. 3 47; vgl. F . Gschnitzer, Abhängige Orte im griechischen Altertum, München 1958, 56ff.): wir erfahren, daß damals die hypoknemidischen Lokrer einen Staat bildeten, der wie die bundesstaatlichen Sympolitien gemeinsame Gesetze, gemeinsame Finanzen u n d ein gemeinsames Bürgerrecht hatte. Wie in den bundesstaatlichen Sympolitien h a t t e n die Städte ein eigenes Bürgerrecht, eigene Gesetze und eine eigene Organisation. Von einer bundesstaatlichen Sympolitie unterschied sich aber der Staat der hypoknemidischen Lokrer wesentlich darin, daß die Mitgliedsgemeinden nicht gleichberechtigt an der Regierung beteiligt waren, sondern unter der Herrschaft der H a u p t s t a d t Opus standen, deren Versammlung die Politik des ganzen E t h n o s bestimmte u n d die Rechtsprechung ausübte. Es war also ein Staat, der eine gewisse Ähnlichkeit mit dem lakedaimonischen aufwies.
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und κοινόν2. Der euböische Bund der vor-römischen Zeit 3 und der kretaische Bund4 sind allem Anschein nach keine bundesstaatlichen Sympolitien, sondern Staatenbünde gewesen. Der Bund, den die Ionier in der älteren Zeit (zur Zeit Herodots bestand er nicht mehr) und dann wieder seit dem 4. Jh. bildeten 5 , gehört auch nicht hierher: denn es handelte sich um einen losen Städtebund, in dem die Städte ihre Souveränität behielten und in der Regel ihren eigenen Weg gingen 6 . Direkte Zeugnisse über die ältere Verfassungsgeschichte der Ethne sind leider, wie schon angedeutet wurde, äußerst spärlich. Deshalb werden wir in den meisten Fällen auf indirekte Zeugnisse zurückgreifen müssen. Es wird vor allem aus dem Verhalten der Ethne in ihren Beziehungen mit anderen Mächten entnommen werden müssen, ob die herrschende Ansicht richtig ist, wonach die Ethne ursprünglich mehr oder weniger lose Staftimverbände gewesen sind, in denen die Städte weitgehend selbständig handelten, oder ob sie von Anfang an einer mit staatlicher Hoheit versehenen Zentralgewalt untergeordnet gewesen sind. Die griechischen Ethne begegnen uns zuerst bei Homer. Die Liste der Teilnehmer am trojanischen Krieg, der sog. Schiffskatalog der Ilias (B 494ff.), verzeichnet die meisten von ihnen und zählt jeweils die ihnen zugehörigen Städte auf. Daraus erfahren wir, daß im späten 7. oder frühen 6. J h . 7 diese Ethne schon im Besitz ihres historischen Wohnsitzes standen und daß die uns aus der späteren Zeit vertraute Abgrenzung ihrer Gebiete damals im wesentlichen schon festgelegt war 8 . Aber es läßt sich weder aus dem Schiffskatalog noch 2
Siehe oben 22 Anm. 61 und F. Hampl, Hermes 70, 1935, 177ff. Vgl. zuletzt J.A.O. Larsen, Greek Federal States 97ff. 4 Vgl. M. Mijnsbrugge, The Cretan Koinon, New York 1931; H. van Effenterre, La Crete et le monde grec de Piaton ä Polybe, Paris 1948, 132ff. 5 Vgl. M.O.B. Caspari, JHS 35, 1915, 173ff.; A. Momigliano, Atti del III Congresso nazionale di Studi romani I, Bologna 1934, 429ff.; C. Roebuck, ClPh 50, 1955, 26ff.; H.T. Wade-Gery, The Poet of the Iliad, Cambridge 1952, 4f.; J.A.O. Larsen, Representative Government 2 7 ff.; J.M.Cook, CAH II 2 , ch. xxxviii, 30f. 6 Der ionische Bund hat auch, anders als die bundesstaatlichen Sympolitien, nicht ϊθνος, sondern immer nur τό κοινόν των 'Ιώνωνgeheißen (vgl. z.B. Hdt. 5, 109,3; Syll. 3 368, Ζ. 1; Strab. 14,1,31, C 644). 7 Ich habe in meiner Abhandlung "iStude historique sur les origines du Catalogue des Vaisseaux", Bern 1969, den Nachweis zu erbringen versucht, daß der Schiffskatalog kein Dokument aus der mykenischen Zeit ist, wie oft angenommen wird, sondern die Geographie Griechenlands in der archaischen Zeit widerspiegelt. 8 Vgl. die in der vor. Anm. zitierte Arbeit 23ff. 3
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aus anderen Stellen der homerischen Epen entnehmen, ob die dort genannten E t h n e in der archaischen Zeit politische Verbände bildeten und eine Zentralgewalt an ihrer Spitze h a t t e n : denn wir müssen mit der Möglichkeit rechnen, daß in einzelnen Fällen der Verfasser des Schiffskatalogs seinen Helden E t h n e geschlossen folgen ließ, die in Wirklichkeit in mehrere selbständige Gemeinwesen zerfielen. Deshalb wird jeweils von den homerischen Gedichten im folgenden abgesehen werden müssen.
Die
Arkader1
Die Arkader haben sich immer als ein Volk e m p f u n d e n 2 : sie sprachen einen eigenen Dialekt; sie hatten gemeinsame Gebräuche 3 und gemeinsame Kulte 4 . Auf dem Lykaion-Gebirge stand ein Heiligt u m des Zeus Lykaios 5 , wo sich die Arkader seit uralter Zeit versammelten, um die Λύκαια genannten panarkadischen Spiele zu feiern e . Nach der antiken Überlieferung haben in der frühen Zeit die Arkader unter Königen gestanden. Noch zur Zeit des 2. messenischen Krieges sollen sie unter der Führung des Königs von Orchomenos, Aristokrates, mit den Messeniern gegen die Spartaner gekämpft haben 7 . Es wird erzählt, daß dieser König, den die Arkader zu ihrem Strategen gewählt hatten, von den Spartanern bestochen und deshalb von den Arkadern gesteinigt wurde. Den Messeniern soll nach ihrer Niederlage in Arkadien das Bürgerrecht und das Eherecht verliehen worden sein. Man zeigte sogar auf dem Lykaion eine Inschrift, die diese Ereignisse verewigen sollte 8 . 1
Literatur·. Hiller v. Gaertringen, R E Arkadia (1895); Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 219ff.; Busolt-Swoboda, Griechische Staatskunde 1395ff.; Ch. Callmer, Studien zur Geschichte Arkadiens bis zur Gründung des arkadischen Bundes, Lund 1943; W . P . W a l l a c e , J H S 74, 1954, 32-35; R . T . Williams, The Confederate Coinage of the Arcadians in the Fifth Century B.C., New York 1965; J . A . O . Larsen, Greek Federal States 180ff. 2 3 Vgl. z . B . Xen.Hell. 7,1,23. Vgl. Pol. 4,20. 4 Vgl. W. Immerwahr, Die Kulte und Mythen Arkadiens, Leipzig 1891. 5 Vgl. Thuc. 5,16,3; Pol. 4,33; die Ergebnisse der Grabungen bei IC. Kouroniotis, Eph.Arch. 1904, 153ff. und Πρακτικά 1909, 185ff. 6 D e m Zeus Lykaios wurde schon von Alkman ein Hymnos gewidmet (vgl. Himer.Or. 5,3,476). Über die Spiele vgl. Pind.Ol. 9,96; 13,107; Nem. 10, 48; Xen.Anab. 1,2,10; IG V 2,549-550. 7 Vgl. Pol. 4,33; Strab. 8,4,10, C362; Paus. 4,22. 8 Diese Inschrift, die von Polybios 4,33,3 und von Paus. 4,22,7 mit geringen Abweichungen im Wortlaut wiedergegeben wird, stand schon zur Zeit Alexanders des Großen, da sie Kallisthenes schon bekannt war (vgl. Pol. a.a.O.).
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Wieweit diese Tradition einen historischen Kern zur Grundlage hat, läßt sich nicht mehr bestimmen®. Im 6. und im 5. Jh. war die politische Einheit Arkadiens jedenfalls dahin. Damals zerfiel Arkadien in eine Reihe von Städten und Gauen, die nur vorübergehend unter der Führung des vertriebenen Königs von Sparta Kleomenes 10 und im Krieg gegen Xerxes 1 1 eine ephemere Eintracht erzielten. Im übrigen ist die Geschichte Arkadiens während dieser Zeit durch die Gegensätze zwischen Mantineia, Tegea und Orchomenos beherrscht, und wir erfahren von keinem Versuch der Arkader, sich in einem Bund zusammenzuschließen 12 . Eine politische Vereinigung Arkadiens kam erst nach der spartanischen Niederlage bei Leuktra zustande. Von Mantineia und Tegea ging eine nationale und zugleich antispartanische Bewegung aus, die danach strebte, ganz Arkadien einer gemeinsamen Regierung, deren Beschlüsse für alle Angehörigen des Bundes verbindlich sein sollten, zu unterstellen 13 . Nach und nach traten die meisten arkadischen Städte dem neuen Bund bei. Um dessen Autonomie gegen die Eingriffe Spartas zu schützen und auch mit der Absicht, Konflikten zwischen den großen arkadischen Städten vorzubeugen, gründeten die Arkader an der Hochebene des oberen Alpheios eine Hauptstadt, der der Name Megalopolis gegeben wurde. 9 E s wird meistens angenommen, daß Aristokrates eine historische Figur gewesen ist und vielleicht von Tyrtaios genannt wurde (so z . B . E . Kuhn, Über die Entstehung der Städte der Alten 24; Hiller v. Gaertringen, R E Aristokrates 938; L. Moretti, Ricerche sulle leghe greche, R o m a 1962,49. Dagegen Chr. Callmer, Studien zur Geschichte Arkadiens 63f.). E s ist jedenfalls sehr wahrscheinlich, daß die von Polybios und Pausamas zitierte Inschrift erst nach der Befreiung Messeniens von der spartanischen Herrschaft im J . 370 aufgestellt wurde (so Hiller v. Gaertringen a . a . O . K . J . Beloch, GG I 2 1,334 Anm. 3 hält sie für echt). 10 Hdt. 6,74,1; vgl. W.P. Wallace, J H S 74, 1954, 32ff. 11 Hdt. 8,72. 12 E s wird von einigen Gelehrten angenommen, daß die im 5. J h . mit der Aufschrift Α Ρ Κ Α Δ Ι Κ Ο Ν geprägten Münzen das Bestehen eines arkadischen Bundes zur Voraussetzung hat (vgl. Busolt-Swoboda, Griechische Staatskunde 1398f.; G. Glotz, L a Cite grecque 338; W.P.Wallace, a . a . O . ; B.T.Williams, The confederate Coinage of the Arcadians in the Fifth Century B.C., New York 1965). Allein diese Deutung läßt sich kaum vereinbaren mit dem, was wir sonst von der arkadischen Geschichte im 5. J h . wissen, und es ist eher anzunehmen, daß diese Münzen in Zusammenhang mit dem panarkadischen Kult a m Lykaion geprägt wurden (so Head, Historia Numorum 2 444 und 447f.; Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 219f.; Ch. Callmer, a . a . O . 88f.; J . A . O . Larsen, Greek Federal States 181). 13 Vgl. Xen.Hell. 6,5,6: Των δέ Τεγεατών οί μέν περί τον Καλλίβιον καΐ Πρόξενον ένήγον έπί, τό συνιέναι τε παν τό Αρκαδικόν, και δ τι νικωη έν τφ κοινφ, τοϋτο κύριον είναι καί των πόλεων.
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Über die Verfassung des Bundes bieten uns die Quellen nur sehr dürftige Nachrichten. Es scheint jedoch, daß der arkadische Bund nicht anders geartet war als die bundesstaatlichen Sympolitien der hellenistischen Zeit. Dem nur aus einer Inschrift bezeugten Rat (βουλή)14 fiel wohl die übliche probouleumatische Funktion zu, während das beschließende Organ eine primäre Versammlung war, deren ungewöhnliche Bezeichnung „die Zehntausend" (οι μύριοι)15 kaum als abgerundete Zahl ihrer Mitglieder zu verstehen ist, sondern eher die Verfassung als eine gemäßigte Demokratie erkennen läßt i e . Die Zehntausend sind augenscheinlich für alle Angelegenheiten der Außen- und Innenpolitik zuständig gewesen, soweit es um die Interessen des Bundes ging: sie entschieden über Krieg und Frieden17 und verliehen Ehrungen und Privilegien18; sie wählten die Bundesmagistrate und konnten sie zur Rechenschaft ziehen19; sie bestimmten die Höhe der Beiträge, die von den Städten zur Erhaltung des Bundesheeres geleistet werden mußten, und entschieden über ihre Verwendung20. Die Bundesgewalt hatte auch bei Konflikten zwischen Bundesgliedern zu vermitteln21. Die Exekutive wurde von einem Magistrats-Kollegium ausgeübt, das bei Xenophon als οί άρχοντες bezeichnet wird22 und wohl mit dem durch die Phylarchos-Inschrift bezeugten Gremium der fünfzig Damiurgen identisch ist 23 . An der Spitze des Bundes stand ein Stratege, dem die Führung des Heeres im Krieg und die Leitung der gesamten Politik zustand24. Wir wissen sehr wenig über die Rechtsstellung der Städte im arkadischen Bund. Wir erfahren aus der schon erwähnten PhylarchosInschrift (Syll.3 183), daß sie bei der Zentralgewalt wie die Städte des ätolischen und des böotischen Bundes25 im Verhältnis ihrer Bedeutung vertreten waren: das Kollegium der Damiurgen setzte sich aus Abgeordneten der Städte zusammen, und zwar in der Weise, daß 14
Syll.3 183, Z. 2. Vgl. z . B . X e n . H e l l . 7 , 4 , 2 ; 7 , 4 , 3 3 und 3 4 ; Syll. 3 183, Z. 3 f . ; E . K u n z e . V I I . Bericht über die Ausgrabungen in Olympia, Berlin 1961, 212, a Ζ. 1. 16 Vgl. Η . Sohaefer, Probleme der Alten Geschichte, Göttingen 1963, 4 2 3 ; J . A . O . Larsen, a . a . O . 194f. 17 Vgl. X e n . H e l l . 7 , 4 , 2 und 7 , 4 , 3 5 ; Diod. 1 6 , 5 9 , 1 . 18 Syll. 3 183. 19 X e n . H e l l . 7 , 1 , 2 4 ; 7 , 4 , 3 4 . 20 X e n . H e l l . 7 , 4 , 3 4 . 21 Vgl. A. Plassart, B C H 39, 1915, 53ff. 22 X e n . H e l l . 7 , 1 , 2 4 ; 7 , 4 , 3 3 , 3 4 und 36. 23 Syll. 3 183; vgl. J . A . O . Larsen, a . a . O . 187. 24 Vgl. X e n . H e l l . 7 , 1 , 2 4 ; 7 , 3 , 1 ; Diod. 1 5 , 6 2 , 2 ; 1 5 , 6 7 , 2 . 25 Siehe oben 37. 15
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jede Stadt fünf Abgeordnete sandte außer Megalopolis, das über zehn Sitze verfügte und Lepreon und Mainalia, die zwei bzw. drei Sitze hatten. Daraus läßt sich vielleicht entnehmen, daß der arkadische Bund nach dem Muster des böotischen Bundes im 5. Jh. in zehn Bezirke geteilt wurde, die an den Lasten und Rechten des Bundes gleichen Anteil haben sollten 26 . Die Städte hatten weiterhin ihre eigene Verwaltung, ihre eigenen Organe und eigenen Behörden. Der arkadische Bund bestand keine zehn Jahre. Schon zur Zeit der Schlacht bei Mantineia (362) hatte er sich in zwei Bünde gespalten, die Mantineia bzw. Megalopolis zum Mittelpunkt hatten. Im J . 324 wurden beide Bünde aufgelöst, und seither gab es bis zur Kaiserzeit keinen arkadischen Bund mehr 27 .
Die
Boioter1
Im Gegensatz zu den Ioniern und den Arkadern haben die Boioter in historischer Zeit bis auf eine kurze Unterbrechung nach dem Antalkidas-Frieden immer einen politischen Verband gebildet. Wie wir aus den ältesten Nachrichten über die Boioter bei Herodot und aus der Prägung der boiotischen Städte im 6. Jh., die durch den boiotischen Schild auf der Rückseite charakterisiert ist 2 , erfahren, sind die Boioter schon in der archaischen Zeit in einem Bund unter der Hegemonie Thebens vereinigt gewesen außer den Platäern, die immer wieder versuchten, ihre Selbständigkeit gegen die Thebaner zu behaupten, und den Orchomeniern, die im Schiffskatalog nicht zu den Boiotern gerechnet werden (B 51 Iff.) und deren Münzen nicht den Schild, sondern eine Ähre aufweisen 3 . Zeit und Umstände der Entstehung dieses Bundes sind ganz unbekannt: meistens wird von der Forschung angenommen, daß die politische Vereinigung Boiotiens das Werk der Thebaner gewesen ist 4 . Von der Verfassung des Bundes 26
Vgl. P.Salmon, REA 58, 1956, 66f.; unten 48 f. Vgl. Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 226 f. 1 Literatur: F. Cauer, RE Boiotia (1897); Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 249ff.; Busolt-Swoboda, Griechische Staatskunde 1409ff.; P. Roesch, Thespies et la Confederation beotienne, Paris 1965; J. A.O. Larsen, Greek Federal States 26ff. und 175ff. 2 Head, Historia Humorum 2 343ff. 3 Head, Historia Numorum 2 346; vgl. P. Roesch, Thespies et la Confederation beotienne 36. 4 Vgl. Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 250; K.J. Beloch, GG I 2 1,209; V.Martin, La vie internationale 41; P.Salmon, REA 58, 1956, 59. J.A.O. 27
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wissen wir nur, daß sie oligarchisch war 5 und daß an seiner Spitze wie in der späteren Zeit ein Kollegium von Boiotarchen stand, das die Exekutive und die Führung im Krieg innehatte e . Ob und inwieweit dieser Bund mit den bundesstaatlichen Sympolitien der hellenistischen Zeit gemeinsame Züge hatte, läßt sich im übrigen nicht feststellen 7 . Weil sie sich 480 auf die Seite der Perser gestellt hatten, wurden die Thebaner nach dem Krieg von den Hellenen ihrer Hegemonie in Boiotien beraubt 8 . Der Bund scheint indessen weiter bestanden zu haben 9 . 457 stellten die Lakedaimonier, die im Krieg gegen die Athener standen und sich dabei die Unterstützung der Boioter sichern wollten, die Hegemonie der Thebaner wieder her, indem sie ihr Stadtgebiet beträchtlich erweiterten und die boiotischen Städte zwangen, sich Theben zu unterwerfen 10 . Im selben J a h r aber wurden die Boioter bei Oinophyta von den Athenern besiegt und mußten mit ihnen ein Bündnis abschließen 11 . Zehn Jahre später mußten die Athener, nachdem sie bei Koroneia eine entscheidende Niederlage erlitten hatten, ganz Boiotien räumen 1 2 . Die Boioter wurden wieder autonom, die von den Athenern verbannten Oligarchen kamen zurück und brachen die demokratischen Bewegungen, die sich während der athenischen Herrschaft entfaltet hatten. Larsen, Representative Government 22, zieht die Boioter als Beispiel eines Ethnos heran, dessen ursprüngliche Einheit durch die Entwicklung der Städte nie ganz aufgelöst wurde. 5 Vgl. Thuc. 3,62,3-4 über die Verhältnisse in Theben zur Zeit der Perserkriege. 6 Hdt. 9,15,1; Paus. 10,20,3. ' G. Fougeres, D A Koinon 835 hält diesen Bund für eine echte bundesstaatliche Sympolitie. Dagegen spricht G. Glotz, La Cite grecque 339, von einem "embryon de confederation". Auch Busolt-Swoboda, Griechische Staatskunde 1411 und V. Martin, La vie internationale 41 halten diesen Bund für einen Städtebund. 8 Diod. 11,81,2; Just. 3,6,10. 9 Die von den meisten Gelehrten vertretene Ansicht, daß 479 der boiotische Bund aufgelöst wurde (vgl. Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 254; BusoltSwoboda, Griechische Staatskunde 1413; J.A.O. Larsen, Greek Federal States 32), findet in den Quellen keine Stütze und ist mit Recht von B. Keil, Staatsaltertümer 411 und M. Sordi, Atene e Roma 13, 1968, 66 zurückgewiesen worden. 10 Diod. 11,81,2-3; Just. a.a.O. 11 Thuc. 1,108,3; vgl. 1,111,1. Auch hier besteht kein Anlaß anzunehmen, daß der Bund von den Athenern aufgelöst worden sei. Vgl. B. Keil a.a.O. 12 Thuc. 1,113. 47
Die Organisation des boiotischen Bundes, wie sie nach 447 gestaltet war, wird von den Hellenika Oxyrhynchia sehr genau beschrieben 13 . In allen Städten galt dieselbe Verfassung. Sie war oligarchisch: einen Anteil an der Regierung hatten nur diejenigen, die einen bestimmten Zensus erreichten. Diese berechtigten Bürger gliederten sich in vier Räte (βουλαί), die die lokalen Geschäfte handhabten. Diese Räte fungierten im Turnus als probouleumatisches Organ und legten ihre Beschlüsse den drei anderen Räten vor. Ein Beschluß wurde rechtskräftig, wenn alle vier Räte ihn gebilligt hatten. Nach demselben Muster war auch die Zentralgewalt des Bundes, die in Theben ihren Sitz hatte, eingerichtet: auch dort gab es vier Räte (βουλαί), die zusammen die Souveränität ausübten 14 . An der Spitze des Bundes stand ein Gremium von elf Boiotarchen, die für die Durchführung der Beschlüsse, die Führung im Krieg und die Leitung der gesamten Politik verantwortlich waren 1S . Es gab auch ein Bundesgericht und eine Bundeskasse. Um die Städte im Verhältnis zu ihrer Bevölkerungszahl an den Rechten und Pflichten des Bundes zu beteiligen, wurde das Bundesgebiet in elf Bezirke (μέρη) gegliedert16. Jeder Bezirk schickte einen Boiotarchen und sechzig Bouleuten und mußte ein Aufgebot von 1000 Hopliten und 100 Reitern dem Bund zur Verfügung stellen. In gleicher Weise wurden die Abgaben (είσφοραί) an die Bundeskasse festgelegt. So haben z.B. die Thebaner, die bis 427 über zwei und danach über vier Bezirke verfügten, zwei Boiotarchen und 120 Bouleuten, bzw. vier Boiotarchen und 240 Bouleuten geschickt. Akraiphia, Kopai und Chaironeia, die zusammen einen Bezirk bildeten, sandten turnusmäßig 13
Hell.Ox. (ed. Bartoletti) Kap. 16. Diese Verfassung ist an vielen Stellen ausführlich behandelt worden. Vgl. insbes. G. Glotz, BCH 32, 1908, 27Iff.; Ed. Meyer, Theopomps Hellenika, Halle 1909, 92ff.; H. Swoboda, Klio 10, 1910, 315ff.; J.A.O. Larsen, Representative Government 31ff.; I . A . F . Bruce, An Historical Commentary on the "Hellenika Oxyrhynchia", Cambridge 1967, 157ff. 14 Vgl. Thuc. 5,38,2: (αί τέσσαρες βουλαί) α'ίπερ άπαν το κϋρος ϊχουσι. Daß diese Räte im Turnus als beratendes Organ fungierten, wird nicht ausdrücklich belegt, läßt sich aber aus dem Vergleich mit der Verfassung der Städte mit Sicherheit erschließen. 15 Vgl. Thuc. 4,91; 5,38. 16 P. Roesch, Thespies et la Confederation beotienne 33ff. hat die Bedeutung dieser Bezirke mißverstanden, indem er angenommen hat, daß "la base de 1'organisation föderale n'est plus la cite mais le μέρος, le district". Wie von den meisten Gelehrten angenommen worden ist, sind die Städte die eigentlichen Mitglieder des Bundes, während die Bezirke den Zweck hatten, den Städten einen verhältnismäßigen Anteil an der Regierang zu geben. Siehe meine Besprechung im Gnomon 1967, 91.
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einen Boiotarchen und verfügten über je zwanzig Sitze in der Bundesversammlung 17. Das Bemerkenswerteste an dieser Verfassung ist, daß das beschließende Organ der Bundesgewalt nicht, wie bei den bundesstaatlichen Sympolitien der hellenistischen Zeit, eine Primärversammlung war, sondern sich aus Abgeordneten der Städte zusammensetzte. Daraus hat H. Schaefer den Schluß gezogen, daß diesem Bund ein gemeinsames Bürgerrecht fehlte und daß man ihn daher nicht zu den Bundesstaaten, sondern zu den Staatenbünden rechnen sollte 18 . Diese Auffassung ist aber nicht richtig, und sie hat keine Anhänger gefunden: die Besonderheit der Verfassung dieses Bundes fällt vielmehr mit ihrem oligarchischen Gepräge zusammen. Im übrigen hat die Bundesgewalt des Bundes dieselben Befugnisse besessen und dieselben Aufgaben erfüllt, wie es bei den griechischen Staaten überhaupt der Fall war. Die einheitliche Verfassung der Städte, die Teilung des Bundesgebietes in elf Bezirke, vermitteln vielmehr den Eindruck eines straff zentralisierten Staates, in dem die Autonomie der Städte über die Selbstverwaltung einer Kommunalgemeinde kaum hinausging. Dieser Bund wurde nach dem Antalkidas-Frieden aufgelöst, als die Thebaner, die ihr Übergewicht ausgenutzt hatten, um den boiotischen Bund abermals in eine thebanische Herrschaft zu verwandeln, gezwungen wurden, den boiotischen Städten die Autonomie zu geben 19 . 382 fiel Boiotien unter die spartanische Herrschaft: Theben und die wichtigsten Städte Boiotiens mußten spartanische Besatzungen aufnehmen 20 , und es wurde überall ein strenges oligarchisches Regime eingesetzt 21 . Dieser Zustand dauerte bis 379, als in Theben das oligarchische Regime vom Volk und von den nach Theben geflüchteten Demokraten umgestürzt wurde. Der spartanische Befehlshaber wurde ermordet, die Besatzung mußte flüchten 22 . Sogleich unternahm der thebanische Demos die Wiederherstellung des boiotischen Bundes: er wählte die vier Boiotarchen, die Theben nach der alten Bundesverfassung zukamen 23 , und zog unter ihrer Führung gegen die von 17 Im J. 395 war die Gliederung des Bundesgebietes in Bezirke die folgende: Theben hatte vier Bezirke; Orchomenos und Thespiae je zwei; Tanagra einen; Koroneia und Lebadeia mit Haliartos zusammen einen, Akraiphia, Kopai und Chaironeia ebenfalls zusammen einen. 18 H. Schaefer, Staatsform und Politik 91. Eine ähnliche Auffassung vertritt B. Keil, Staatsaltertümer 413. 19 20 Xen.Hell. 5,1,32ff. Xen.Hell. 5,2,25ff.; vgl. 5,4,10. 21 22 Xen.Hell. 5,4,46. Xen.Hell. 5,4,1-12; Diod. 15,25; Plut.Pel. 12. 23 Plut.Pel. 13,1; vgl. P. Roesch, Thespies et la Confederation böotienne 44; J. A.O. Larsen, Greek Federal States 176.
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Sparta eingesetzten Oligarchen. Nach und nach wurden die boiotischen Städte von der spartanischen Herrschaft befreit und in den Bund aufgenommen 24 . Damals erhielt der boiotische Bund die Verfassimg, die wir aus der hellenistischen Zeit kennen. Anstelle der vier aus Abgeordneten der Städte zusammengesetzten Räte trat als beschließendes Organ der Zentralgewalt eine Primärversammlung ein, die offiziell 6 δαμος hieß 2S . Die Zahl der Boiotarchen wurde von elf auf sieben reduziert 2e . An die Spitze des Bundes wurde als eponymer Magistrat ein Archon gesetzt 27 , der im übrigen keine große Bedeutung hatte. Das Übergewicht Thebens, das im Gremium der Boiotarchen vier Sitze hatte und, da die Bundesversammlung in Theben tagte, auch dort einen entscheidenden Einfluß ausübte, war allerdings so stark, daß die zeitgenössischen Quellen den boiotischen Bund mit der Stadt Theben weitgehend identifizierten 28 . Eine Gleichberechtigung der Städte im Bund, wie wir sie aus der hellenistischen Zeit kennen 29 , kam erst zustande, als die thebanische Macht durch die Niederlage bei Chaironeia im J. 338 und die Zerstörung der Stadt durch Alexander im J. 335 endgültig gebrochen wurde. Die
Phoker1
Es ist in der Forschung manchmal behauptet worden, daß bis zum dritten heiligen Krieg (356-346) die Phoker keinen richtigen Staat, 24
Vgl. Xen.Hell. 5,4,63 und 6,1,1. Vgl. die Übergangsformel von Syll. 3 179 (bald nach 364/3). 26 Vgl. Syll. 3 179, Z. 12ff.; IG VII 2408, Z. 12ff. ; Diod. 15,52,1. Die Reduzierung der Mitgliederzahl des Boiotarchenkollegiums liegt daran, daß Orchomenos und Thespiae, die im alten Bund je zwei Boiotarchen bestellt hatten, aufhörten, selbständige Mitglieder des Bundes zu sein. Vgl. Busolt-Swoboda, Griechische Staatskunde 1429; P. Roesch, a.a.O. 46. 27 Vgl. Syll. 3 179, Z. l f . 28 Vgl. z.B. Dem. 18,213; Aesch. 2,105; Diod. 15,52,1; 15,54,1. Dies hat einige Gelehrte zur Ansicht veranlaßt, daß der 379 von den Thebanern gegründete Staat kein boiotischer Bund, sondern ein thebanischer Einheitsstaat war (so insbes. A. Schaefer, Demosthenes I 2 69; W. Vischer, Kl. Sehr. I 556f.; Ed. Meyer, Geschichte des Altertums V 4 , Darmstadt 1958, 380). Diese Auffassung ist sicher falsch und wurde mit Recht zurückgewiesen. Vgl. E. Szanto, Das griechische Bürgerrecht 156ff.; K . J . Beloch, GG III 2 1,160 Anm. 4; BusoltSwoboda, Griechische Staatskunde 1426. 29 Vgl. oben 37. 1 Literatur·. Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 316ff.; Fr. Schober, Phokis, Diss. Jena 1924, 56 ff.; Busolt-Swoboda, Griechische Staatskunde 1447ff.; Fr. Schober, R E Phokis (1941); J.A.O. Larsen, Greek Federal States 40 ff. und 300ff. 25
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sondern nur einen ziemlich losen Stammesverband gebildet haben2. Diese Ansicht findet in der Geschichte des phokischen Volkes keine Stütze. Die Phoker haben, soweit unsere Nachrichten überhaupt hinaufreichen, seit der archaischen Zeit bis zum dritten Jh. ununterbrochen einen geschlossenen Verband gebildet, dessen Zentralgewalt die Gesamtheit der Phoker nach außen vertrat und für die gesamte Außenpolitik zuständig war. Anders als in Boiotien haben die phokischen Städte außer Delphi nie eine selbständige Politik betrieben und haben auch nie versucht, sich vom Bund zu lösen3. Nach außen haben die Phoker nur gemeinsam gehandelt. Ihr Verband muß schon sehr früh bestanden haben, denn die Phoker waren Mitglieder der delphischen Amphiktyonie, die spätestens im 7. Jh. entstanden ist. Im 6. Jh. haben sie Münzen mit der Aufschrift ΦΟ oder ΦΟΚΙ geprägt4. Im 6. Jh. muß ten sie wiederholt ihre Heimat gegen die Thessaler verteidigen, wobei sie immer geschlossen kämpften5. 480 weigerten sich die Phoker einmütig, mit Xerxes gegen die Hellenen zu kämpfen und schlossen sich ihm erst an, als die Eroberung und die Zerstörung ihres Landes durch die Perser sie dazu zwangen6. Auch in der folgenden Zeit haben die Phoker immer geschlossen an der großen Auseinandersetzung zwischen Athen und Sparta teilgenommen. Zuerst waren sie mit den Athenern verbündet7. Sie fielen in die Einflußsphäre der Lakedaimonier nach der athenischen Niederlage bei Koroneia im J. 447 und blieben ihre Verbündeten bis zur Schlacht 2 Vgl. G. Glotz, La Cite grecque 434: "Les Phocidiens . . . coururent aux armes (356) et reconstituerent une confederation qui avait une vague existence depuis au moins deux siecles". Siehe ferner Fr. Schober, Phokis 56 und R E Phokis480; Busolt-Swoboda, Griechische Staatskunde 1447. 3 Dies hängt wohl damit zusammen, daß bei den Phokem keine Stadt die Hegemonie im Bund anstreben konnte. Ihre Hauptstadt Elateia hat nie eine mit der Stellung Thebens im boiotischen Bund vergleichbare Rolle gespielt (vgl. W . Yischer, Kl. Sehr. I 330f.). 4 Head, Historie Numorum2 338. 6 Vgl. Hdt. 8,27f.; Plut. Mor. 244 = De mul. virt. 2; Paus. 10,1,3-11. Die Chronologie dieser Kriege ist sehr schwer zu bestimmen. Sicher ist nur, daß wenige Jahre vor dem Feldzug des Xerxes die Thessaler versuchten, die Phoker zu unterwerfen und dabei schwere Niederlagen erlitten. In der Forschung werden gewöhnlich die bei Plutarch überlieferte Erhebung der Phoker gegen die thessalische Herrschaft und die darauf folgende Schlacht bei Hyampolis vor oder um die Mitte des 6. Jh.s angesetzt (s. insbes. K . J . Beloch, G G I 2 1,339f.; I 2 2,205f.; Fr. Schober, Phokis 60f.; Busolt-Swoboda, Griechische Staatskunde 1447). Die von M. Sordi, Riv.Fil. 31, 1953, 235ff. und La lega tessala fino ad Alessandro Magno, Roma 1958, 7 7 ff. und 85 ff. vorgebrachte These, die Phoker seien erst nach 514 von den Thessalern unterworfen worden, hat J.A.O. Larsen, ClPh. 55, 1960, 231 ff. wohl mit Recht zurückgewiesen. 6 Vgl. Hdt. 8,30; 8,32-34; 9,17,1 9,31,5. 7 Vgl. Thuc. 1,111,1; 1,112,5.
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bei Leuktra 8 . Sie fielen bald danach unter die Herrschaft der Thebaner und mußten mit ihnen ein Defensivbündnis abschließen 9 . 356 erklärte die Amphiktyonie von Delphi den Phokern den heiligen Krieg, der bekanntlich nach zehnjährigen Kämpfen mit der vollkommenen Niederlage der Phoker endete. Die Phoker wurden sehr hart bestraft, ihr Verband wurde aber auch jetzt nicht aufgelöst 10 . Er bestand weiter, bis um 235 die Ätoler, die schon vorher einen Teil von Phokis zeitweise eingezogen hatten 11 , das ganze phokische Gebiet zu ihrem Bund schlugen12. Die früheste Nachricht, die über die phokische Verfassung überliefert ist, ist ein Fragment eines athenischen Volksbeschlusses aus dem frühen 4. Jh., aus dem hervorgeht, daß die Phoker drei Athenern das Bürgerrecht verliehen hatten 13 . Es gab also schon im frühen 4. Jh. ein phokisches Bürgerrecht, und es hat zu dieser Zeit eine Bundesversammlung gegeben, die befugt war, dieses Bürgerrecht zu erteilen. Im übrigen wissen wir nicht, wie und wann sich die Phoker die Verfassung gegeben haben, die wir aus der hellenistischen Zeit kennen. H. Swoboda hält für wahrscheinlich, daß der von ihm „Stammstaat" genannte Verband, den die Phoker in der älteren Zeit bildeten, zur Zeit der Freundschaft mit Athen um die Mitte des 5. Jh.s durch eine Neugestaltung der Verfassung in einen Bundesstaat verwandelt wurde 14 . G. Glotz bringt die Neugestaltung des phokischen Bundes mit dem Ausbruch des Heiligen Krieges in Zusammenhang 15 . Sicher ist nur, daß im J. 356, als dieser Krieg begann, die beschließende Gewalt wie in der hellenistischen Zeit bei einer Bundesversammlung (εκκλησία) lag, von der Philomelos zum bevollmächtigten Strategen (στρατηγός αυτοκράτωρ) gewählt wurde 16 . Nach Kriegsende wurde das Amt des Strategen abgeschafft. An seine Stelle trat ein Kollegium von vier Archonten 17 . Wann dieses Kollegium durch das uns aus der 8
Vgl. Thuc. 2,9,2; 5,64,4; 8,3,2; Xen.Hell. 3,5,3-4; Hell.Ox. (ed. Bartoletti) 18,4; Xen.Hell. 4,3,15; Diod. 15,31,2. 9 Vgl. Xen.Hell. 6,5,23; 7,5,4. 10 Vgl. Busolt-Swoboda, Griechische Staatskunde 1448 m. Anm. 5 gegen Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 319. 11 Vgl. R. Flaceliere, Les Aitoliens ä Delphes, Paris 1937, 54ff. und 286ff. 12 R. Flaceliere, a.a.O. 247. 13 IG II 2 70 mit den entscheidenden Verbesserungen von G. Klaffenbach, Mus.Helv. 6, 1949, 224f. 14 Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 316f. 16 Siehe oben 51 Anm. 2. 16 Vgl. Diod. 16,23,4-24,1; 16,27,2-4; 16,56,3. 17 Syll. 3 232, Z. 3ff. In Syll. 3 231, Z. 3f. wird nur ein Archon genannt, wohl der Vorsitzende des Kollegiums (vgl. Busolt-Swoboda, Griechische Staatskunde 1448 Anm. 5).
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hellenistischen Zeit bekannte Kollegium der drei Phokarchen 18 ersetzt -wurde, wissen wir nicht.
Die Achäer1 Der achäische Bund, der in der Literatur als der vollkommenste Bundesstaat der griechischen Welt angesehen wird, ist erst in der hellenistischen Zeit entstanden: er wurde 280 gegründet von vier achäischen Städten, Patrai, Dyme, Tritaia und Pharai, denen sich bald Aigion, Bura und Keryneia anschlossen 2 . Dieser Bund war jedoch keine Neuschöpfung. Die zwölf Städte Achaias waren schon früher in einem Bund (κοινδν πολίτευμα bei Pol. 2,41,6) vereinigt gewesen, der wie der Bund der hellenistischen Zeit seinen Mittelpunkt im Heiligtum des Zeus Hamarios bei Aigion 3 hatte und um 300 aufgelöst wurde 4 . Es ist sehr wahrscheinlich, daß der achäische Bund der hellenistischen Zeit seine Institutionen von dem ersten Bund übernommen hat, d.h. daß zur Zeit seiner Auflösung dieser ältere achäische Bund im wesentlichen nach dem Muster der bundesstaatlichen Sympolitien der hellenistischen Zeit gestaltet war 5 . In einzelnen Punkten ist die Kontinuität zwischen beiden Bünden auch belegt: wir erfahren nämlich aus einer neulich gefundenen Inschrift des 4. Jh.s, daß der Rat (βουλή) und das Kollegium der Damiurgen damals schon bestanden®. 18 Vgl. oben 27. Aus der Inschrift IG I X 1,98 geht hervor, daß eine Zeitlang ein Kollegium von Strategen an der Spitze des phokischen Bundes gestanden hat. Da wir aber diese Inschrift nicht datieren können (vgl. P. Roesch, Thespies et la Confödiration beotienne 106 Anm. 1), läßt sich dieses Kollegium chronologisch nicht einordnen. 1 Literatur·. J.Brandis, R E Achaia (1894); Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 370fif.; Busolt-Swoboda, Griechische Staatskunde 1531 ff.; J.A.O. Larsen, The Early Achaean League, Studies Robinson II, Saint Louis 1953, 797ff. und Greek Federal States 80ff. und 215ff. 2 Pol. 2,41,11-15. 3 Aus Pol. 2,39,6 geht hervor, daß dieses Heiligtum schon im 5. Jh. Bundesheiligtum der Achäer gewesen ist. Vgl. darüber A. Aymard, Melanges Cumont, Bruxelles 1936, Iff. und Les assemblies 277ff. A. Aymard, Les assemblies 284ff. vermutet wohl mit Recht, daß das Heiligtum ursprünglich im Stadtgebiet von Helike gelegen hat und nach der Zerstörung dieser Stadt im J. 373 an Aigion übergeben wurde. 4 Pol. 2,41,6-10. Der Bund bestand noch im J. 302/301: vgl. A. Aymard, REA 39, 1937, 5ff. 5 Vgl. A. Aymard, Les assemblies 152 und J.A.O. Larsen, Greek Federal States 84. « J. Bingen, BCH 78, 1954, 402ff., Nr. 18.
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Über die Entstehung und Verfassungsgeschichte des achäischen Bundes der klassischen Zeit bietet uns Polybios die einzige nennenswerte Quelle. Was er uns aber darüber zu sagen hat, ist sehr summarisch und zum Teil sicher nicht richtig. Er schreibt nämlich, daß nach dem Sturz der Monarchie die Achäer die Demokratie einführten und seither immer bemüht waren, die demokratische Ordnung aufrechtzuerhalten 7 . Wir wissen aber aus anderen Quellen, daß am Ende des 5. Jh.s und noch im J. 367 Achaia oligarchisch regiert war 8 , so daß die demokratische Verfassung, die wir aus der hellenistischen Zeit kennen, frühestens um die Mitte des 4. Jh.s eingeführt worden sein kann. In der Frage, wie und wann der erste achäische Bund entstanden ist, wird von der Forschung eine grundsätzliche Bedeutung der Tatsache beigemessen, daß einige Zeit vor 389 die Achäer den Kalydoniern das achäische Bürgerrecht verliehen haben 9 . Daraus wird entnommen, daß gegen Ende des 5. Jh.s die Achäer ihrem Verband eine festere Organisation gegeben haben, indem sie ihn durch die Schaffung eines gemeinsamen Bürgerrechts in einen Bundesstaat verwandelten 10 . M. a.W.: in der älteren Zeit hätten die Achäer keinen Staat gebildet, sondern sie wären in eine Mehrzahl von selbständigen Stadtstaaten zerfallen, die ihr eigenes Bürgerrecht besaßen. Erst nach der Neugestaltung ihres Verbandes durch die Einführung eines gemeinsamen Bürgerrechts wären sie zu einem Staat geworden. Bedenklich ist aber, daß Polybios von einer solchen Neugestaltung offensichtlich nichts wußte: aus seiner Darstellung geht eindeutig hervor, daß für ihn der achäische Bund in historischer Zeit immer ein Staat gewesen ist und nicht, wie die Forschung annimmt, zu einem bestimmten Zeitpunkt aus einem Staatenbund in einen Bundesstaat verwandelt wurde. Sein Zeugnis wird dadurch bekräftigt, daß die Achäer seit ihrem Eintritt in die Geschichte um die Mitte des 5. Jh.s immer geschlossen gehandelt haben: sie beteiligten sich 453 als Verbündete der Athener an der Be' Pol. 2,41,4-6; vgl. 4,1,4-5. Thuc. 5,82,1 berichtet, daß im J. 417 die Lakedaimonier in die inneren Verhältnisse Achaias eingriffen, um einem möglichen Abfall der Achäer vorzubeugen. Damals wurde wahrscheinlich das oligarchische Regime eingeführt, das 367 von den Boiotern für kurze Zeit beseitigt wurde (Xen.Hell. 7,1,43). 9 Xen.Hell. 4,6,1: πολίτας πεποιημένοι τούς Καλυδωνίους. 10 Vgl. insbes. Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 372; Busolt-Swoboda, Griechische Staatskunde 1534; G. Glotz, La Cite grecque 423; W. Schwahn, R E Συμπολιτεία 1245; A. Aymard, Melanges Cumont 6 mit Anm. 2; J.A.O. Larsen, Studies Robinson II 809 und Greek Federal States 85. 8
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lagerung von Oiniadai 1 1 und blieben ihre Bundesgenossen bis 446/45, als der dreißigjährige Frieden die Selbständigkeit der Achäer sanktionierte 12. Beim Ausbruch des Peloponnesischen Krieges waren sie mit beiden Gegnern befreundet u n d blieben deshalb zuerst neutral 1 3 . Sie fielen aber bald in die Einflußsphäre Spartas, ohne jedoch am Krieg einen großen Anteil zu haben 1 4 . Nach dem Ende des Krieges sind sie mit den Lakedaimoniern, in deren Symmachie sie den f ü n f t e n Heereskreis bildeten, weiter verbündet gewesen 15 . F ü r die Auffassung, daß der achäische Bund im 5. J h . nicht so straff organisiert war wie in der späteren Zeit, könnte allenfalls geltend gemacht werden, daß beim Ausbruch des Peloponnesischen Krieges die Stadt Pellene ihren eigenen Weg ging, indem sie sich gleich auf die Seite der Lakedaimonier stellte1®. Man könnte ebenfalls darauf hinweisen, daß 419 P a t r a i auf kurze Zeit mit den Athenern befreundet gewesen ist 1 7 . Derartige Vorgänge sind aber bei den bundesstaatlichen Sympolitien der hellenistischen Zeit u n d besonders beim achäischen Bund so häufig 1 8 , daß man daraus keinen Schluß ziehen kann. I n Wirklichkeit ist die Annahme, daß der achäische Bund am Anfang ein loser Stammesverband war u n d erst gegen Ende des 5. J h . s in einen Staat verwandelt wurde, nur eine Vermutung, die die Frage nach der Entstehung dieses Bundes ganz offenläßt.
Die
Akarnanen1
Die ältere Geschichte der Akarnanen läßt deutlich erkennen, daß sie bis zur Aufteilung ihres Gebietes kurz vor der Mitte des 3. J h . s ununterbrochen einen geschlossenen Verband gebildet haben, dessen Zentralgewalt befugt war, nach außen hin die Gesamtheit der Akarna11
12 Thuc. 1,111,3. Thuc. 1,115,1. Thuc. 2,9,2. Nur Pellene hat gleich mit den Lakedaimoniern gekämpft. 14 Wir erfahren nur von ihrer Beteiligung an der Schlacht bei Naupaktos im J. 413 (vgl. Thuc. 7,34,2). 15 Diod. 15,31,2; vgl. Xen.Hell. 3,2,25f.; 4,2,18. 19 Vgl. die Anm. 13. " Thuc. 5,52,2. 18 Man denke nur an den Abfall der Spartaner und der Messenier vom achäischen Bund am Anfang des 2. Jh.s (vgl. zuletzt J.A.O. Larsen, Greek Federal States 448ff.) oder an den Abfall der Megarer vom boiotischen Bund im J. 192 (Pol. 20,6,7ff.). 1 Literatur·. E. Oberhummer, Altarnanien, Ambrakia, Amphilochien, Leukas im Altertum, München 1887; W. Judeich, R E Akarnania (1894); Hermann Swoboda, Staatsaltertümer 294ff.; Busolt-Swoboda, Griechische Staatskunde 146Iff.; G. Klaffenbach, IG I X 2 1, Fase. 2, I X f f . ; J.A.O. Larsen, Greek Federal States 89 ff. und 264ff. 13
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nen zu vertreten und sie durch den Abschluß völkerrechtlicher Verträge zu verpflichten. Beim Ausbruch des Peloponnesischen Krieges, wo uns die Akarnanen zuerst begegnen 2 , waren sie durch einen einige Jahre zuvor abgeschlossenen Vertrag mit den Athenern verbündet 3 . 428 sandten die Akarnanen eine Gesandtschaft mit der Bitte, ihnen einen Verwandten des Phormion als Oberbefehlshaber zu schicken 4 . Sie bekamen den Sohn des Phormion, Asopios, der mit dem ganzen Aufgebot der Akarnanen gegen Oiniadai zog5. Zwei Jahre später belagerten die Akarnanen mit Hilfe der Athener die Stadt Leukas®. Bald danach erreichte der athenische Stratege Demosthenes, der Naupaktos gegen die Ätoler zu verteidigen bemüht war, daß ihm die Akarnanen ein Kontingent zu Hilfe schickten 7 . Als die Akarnanen noch im gleichen Jahr gegen die Ambrakioten, die das amphilochische Argos angegriffen hatten, ins Feld zogen, ließen sie Demosthenes bitten, die Hegemonie ihres Heeres zu übernehmen, was er auch tat 8 . Unter seiner Führung schlugen sie die Ambrakioten mit schweren Verlusten zurück und schlossen mit ihnen ein hundertjähriges Bündnis ab unter der Bedingung, daß weder die Akarnanen gegen die Athener noch die Ambrakioten gegen die Peloponnesier würden ziehen müssen 9 . 425 eroberten die Akarnanen zusammen mit den Athenern die ihnen seit alters her feindlich gesinnte Stadt Anaktorion, vertrieben die dort ansässigen Korinthier und verteilten akarnanischen Kolonisten das Stadtgebiet 10 . Wir erfahren dann von den Akarnanen nichts mehr bis zur Zeit des korinthischen Krieges, in dem sie der antilakedaimonischen Koalition angehörten 11 . 389 brach Agesilaos mit einem spartanischen Kontingent in Akarnanien ein und forderte die Akarnanen auf, die Koalition zu verlassen und sich den Lakedaimoniern anzuschließen12. Die Akarnanen wiesen zuerst die Aufforderimg zurück, 2
Nach Paus. 4,25 sollen im J. 453 die Akarnanen die Stadt Oiniadai erobert haben. Wieweit dieser Bericht des Pausanias auf eine zuverlässige Quelle zurückgeht, läßt sich jedoch nicht bestimmen. 3 Thuc. 2,68,8. Bei Thuc. 2,9,4 werden unter den Bundesgenossen der Athener Άκαρνάνων οί πλείους angeführt. Mit dieser Formulierung bringt Thukydides zum Ausdruck, daß einige Städte Akarnaniens, die an der Küste lagen und zum Teil von den Korinthiern besiedelt worden waren, am Beginn des Krieges eine athenfeindliche Politik einschlugen. Vgl. unten Anm. 10 und 26. 4 5 Thuc. 3,7,1. Thuc. 3,7,3. « Thuc. 3,94,1. ' Thuc. 3,102,3. 8 9 Thuc. 3,105,3; 3,107,2. Thuc. 3,114,3. 10 Thuc. 4,49. Im nächsten Jahr wurde auch Oiniadai von den Akarnanen erobert und in ihren Bund aufgenommen (Thuc. 4,77,2). 11 12 Xen.Hell. 4,2,17. Xen.Hell. 4,6,4.
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mußten aber im nächsten Jahr, nachdem ihr Land unter den Verwüstungen der Spartaner schwer gelitten hatte, mit diesen einen Friedensvertrag abschließen und dem lakedaimonischen Bund, in dem sie dann den achten Heereskreis bildeten, beitreten 13 . Sie fielen aber schon 377 von den Lakedaimoniern wieder ab, indem sie Mitglieder des 2. attischen Seebundes wurden 14 . Im J. 349/48 wurden die Akarnanen als Gesamtheit vom athenischen Volk geehrt 15 . 340 schlossen sie sich der antimakedonischen Koalition an 1β , wandten sich aber bald dem König von Makedonien zu, als sie einsahen, daß nur Makedonien sie gegen die Angriffe der Ätoler unterstützen könnte 17 . Im J. 314 bemühte sich Kassandros um die Freundschaft der Akarnanen. Er zog mit einem kleinen Kontingent nach Akarnanien und veranlaßte dort, vielleicht in Stratos, eine Volksversammlung der Akarnanen18. Er überzeugte sie, damit sie sich gegen die Eingriffe der Ätoler mit Erfolg wehren könnten, ihre offenen Dörfer zu verlassen und sich in wenige, gut befestigte Städte zusammenzuziehen. In den achtziger Jahren des 3. Jh.s schlossen sie mit Pyrrhos von Epirus einen Bündnisvertrag ab 19 und waren noch zur Zeit seines Nachfolgers Alexandras mit Epirus befreundet 20 . Um 262 schlossen sie mit den Ätolern einen Bündnis- und Isopolitievertrag ab 21 , was jedoch die Ätoler nicht hinderte, bald danach sich mit dem König Alexandros über die Aufteilung Akarnaniens zu verständigen 22 . Nach dem Sturz der Aiakiden von Epirus um 230 befreite sich der westliche Teil Akarnaniens und bildete einen Bund, der in den nächsten Jahrzehnten mit vieler Mühe seine Selbständigkeit gegen die Ätoler behaupten konnte. Aber obwohl die Akarnanen nach außen von Anfang an als ein geschlossener Verband aufgetreten sind, wird in der Forschung fast 13 14
Xen.Hell. 4,7,1; vgl. Diod. 15,31,2. Syll. 3 150; Syll. s 147, Z. b 106. Vgl. J.A.O. Larsen, Studies Robinson II
812. 15
IG II/III 2 208. " Aesch. 3 (e. Ctes.) 97f.; 256. 17 Daß sich die Akarnanen bald nach 340 mit Makedonien verbündeten, geht daraus hervor, daß nach dem Tod Philipps die Ätoler versuchten, die aus Akarnanien vertriebenen Gegner Makedoniens in ihre Heimat zurückzubringen (Diod. 17,3,3). 18 19 Diod. 19,67,3 f. IG I X 2 1,207. 20 Als Alexandros von seinem Thron vertrieben Avurde (265), flüchtete er nach Akarnanien und gewann von dort aus seinen Thron zurück (Just. 26,3,1). 21 IG I X 2 1,3A. Über die Umstände und die Datierung des Vertrages vgl. H. Swoboda, Klio 10, 1910, 397ff.; G.Klaffenbach, Klio 24, 1931, 223ff. und Historie 4, 1955, 46 ff. 22 Pol. 2,45,1; 9,34,7.
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tibereinstimmend angenommen, daß im 5. J h . die Akarnanen keinen Staat, sondern einen losen Stammesverband, einen Staatenbund, gebildet haben 2 3 . Daraus, daß im J . 389 Agesilaos eine Gesandtschaft προς το κοινον των Άκαρνάνων schickte 24 , wird entnommen, daß nach den Erfahrungen des Peloponnesischen Krieges die Akarnanen ihrem Verband eine festere Organisation verliehen. Dieser akarnanische Bund in neuer Gestalt soll aber auch nicht sehr straff organisiert gewesen sein. Die Verfassung, die der akarnanische Bund in der hellenistischen Zeit vor seiner Auflösimg besessen hat, soll erst 314 eingeführt worden sein, als Kassandros die Akarnanen dazu bewog, sich in wenige befestigte Städte zusammenzuziehen 25 . Diese Auffassung wird vor allem damit begründet, daß im 5. und noch im 4. Jh. mehrere Städte Akarnaniens ihren eigenen Weg gingen und oft mit den übrigen Akarnanen verfeindet gewesen sind 2e . Man stützt sich auch auf die Tatsache, daß die Akarnanen zu Hause blieben, als ihre Hauptstadt Stratos 429 von den Lakedaimoniern und ihren Verbündeten angegriffen wurde 27 . Man hebt noch hervor, daß das akarnanische Heer aus den Kontingenten der einzelnen Städte zusammengesetzt war 2 8 und schließt daraus, daß die von Thukydides erwähnten Strategen der Akarnanen 2 9 keine Bundesmagistrate waren, sondern von den Städten bestellt wurden. Diese Fakten sind aber eindeutig mißverstanden worden. Die Städte, die eine selbständige Politik einschlugen, lagen alle an der Küste und waren mit den Korinthiern eng verbunden. Ihr Verhalten 23
Vgl. insbes. E. Oberhummer, Akarnanien 215f.; W. Judeich, R E Akarnania 1156; Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 295ff.; Busolt-Swoboda, Griechische Staatskunde 1463 ff. 21 Xen.Hell. 4,6,4; vgl. oben 56. 25 Diod. 19,67,3f.; vgl. oben 57. 26 Über Anaktorion und Oiniadai vgl. oben 56. Astakos stand am Beginn des Peloponnesischen Krieges unter einem Tyrannen, der mit Korinth in Verbindung stand (Thuc. 2,30,1; 2,33,1). Auch Sollion war den Akarnanen feindlich gesinnt und mußte 431 von den Athenern erobert werden (Thuc. 2, 30,1). Zur Zeit des 2. attischen Seebundes war Thyrreion im Gegensatz zu den übrigen Akarnanen mit Athen verfeindet (Xen. Hell. 6,2,37). Am lamischen Krieg hat Alyzia als einzige akarnanische Stadt teilgenommen (Diod. 18,11,1).— Falsch ist die Ansicht, daß Anaktorion und Alyzia beim dritten heiligen Krieg dem mittelgriechischen Bund Thebens angehörten (so z.B. E. Oberhummer, Akarnanien 216; Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 297; Busolt-Swoboda, Griechische Staatskunde 1464; W. Schwahn, R E Συμπολιτεία 1195). Diese Städte haben in der Tat für den Krieg nur Geld gespendet (Syll. 3 201) und die Tatsache, daß unter den Spendern ein Privatmann aus Tenedos erscheint (Z. 14f.), zeigt, daß diese Spenden nicht als „Sonderbündnisse" ausgelegt werden können. 27 28 Thuc. 2,81. Thuc. 3,107,4. 29 Thuc. 3,107,2; 3,109,1-2; 3,111,3.
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zeigt, daß sie dem akarnanischen Bund nicht angehören wollten. Über die Struktur des akarnanischen Bundes selbst beweist es überhaupt nichts 30 . Auch die Passivität der Akarnanen bei der Belagerung von Stratos im J. 429 ist nicht richtig ausgelegt worden: Thukydides sagt ausdrücklich, daß die Akarnanen nicht zu Hilfe kamen, weil sie ihre eigenen Städte schützen mußten, daß sie aber zugleich Phormion um Beistand baten 3 1 und daß man in Stratos damit rechnete, daß die übrigen Akarnanen bald ankommen würden 32 . Ebensowenig kann schließlich die Tatsache, daß das Heer der Akarnanen aus den Kontingenten der Städte zusammengesetzt war, als Zeichen einer losen Organisation verstanden werden: in der Schlacht bei Delion 424 haben die Boioter, dessen Bund damals sehr zentralistisch gestaltet war 3 3 , ebenfalls κατά πόλεις gekämpft 3 4 . Auch im achäischen Bund der hellenistischen Zeit haben die Städte ihre eigenen Kontigente gestellt 35 , um von den Athenern zu schweigen, die auf dem Schlachtfeld nach Phylen gegliedert waren 38 . Es besteht in Wirklichkeit kein Anlaß zur Annahme, die Akarnanen hätten am Anfang einen losen Stammesverband gebildet und hätten erst gegen Ende des 5. Jh.s oder später durch eine grundsätzliche Neugestaltung ihres Verbandes denselben in eine blindesstaatliche Sympolitie verwandelt. Es läßt sich weder aus dem Begriff κοινόν bei Xen.Hell. 4,6,4 auf eine derartige Neugestaltung schließen 37 , noch können die strategischen Maßnahmen, die von den Akarnanen 314 auf den R a t von Kassandros getroffen wurden, f ü r eine Reorganisation des akarnanischen Bundes nach neuen Grundsätzen gehalten werden. Es ist vielmehr ganz sicher, daß die στρατηγοί των Άκαρνάνων, die Thukydides erwähnt, mit dem Strategenkollegium, das an der Spitze des akarnanischen Bundes kurz vor seiner Auflösung um die Mitte des 3. Jh.s gestanden hat 3 8 , identisch sind. Von Bedeutung ist vor allem, daß schon im 5. J h . die Akarnanen ein Bundesgericht und Bundesgesetze gehabt haben: Thukydides berichtet nämlich, daß in der Vergangenheit die Akarnanen die kleine befestigte Ortschaft 30
Im übrigen sind Abfälle auch bei den bundesstaatlichen Sympolitien der hellenistischen Zeit gang und gäbe gewesen. Vgl. oben 55 m. Anm. 18. 31 32 Thuc. 2,81,1. Thuc. 2,81,8; 2,82. 33 34 Vgl. oben 48 f. Thuc. 4,93,4. 35 Pol. 16,36; vgl. 38,15,3-4. 36 Vgl. z.B. Hdt. 6,111,1; Thuc. 6,98,4; 6,101,5; 8,92,4. 37 Über die Bedeutung des Wortes κοινόν vgl. oben 16ff. 38 Syll. 3 421, Z. 22ff. Vgl. Ch. Habicht, Hermes 85, 1957, 112; F. Gschnitzer, Hermes 92, 1964, 381 m. Anm. 1; J. A. O. Larsen, Greek Federal States 93f.
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Olpai als gemeinsame Dingstätte benutzt hatten 3 9 . Deshalb müssen wir mit der Wahrscheinlichkeit rechnen, daß im 5. J h . der akarnanische Bund ein S t a a t gewesen ist, dessen Verfassung im wesentlichen nicht anders gestaltet war als in der ersten Hälfte des 3. Jh.s.
Die Ätoler1 Man h a t lange geglaubt, daß der ätolische Bund, wie wir ihn in der hellenistischen Zeit kennen, erst zur Zeit Alexanders des Großen gegründet wurde 2 . Dies entnahm man daraus, daß die Bezeichnung des Verbandes der Ätoler als κοινόν in der literarischen Überlieferving erst f ü r das J . 3 1 4 bezeugt ist 3 , während bisher die Ätoler immer nur als οί Αιτωλοί oder als έθ-νος των Α ι τ ω λ ώ ν bezeichnet worden waren 4 . Man setzte diesen Sprachgebrauch in Zusammenhang mit der Tatsache, daß im 5. J h . die Ätoler aus drei Teilstämmen bestanden und noch im J . 335, als sie nach der Zerstörung Thebens durch Alexander den König um Verzeihung bitten wollten, ihm Gesandte κατά έθνη schickten, weil man meinte, diese Zusammensetzung der Gesandtschaft zeige 39 Thuc. 3,105,1: τείχος έττί λόφου ίσχυρόν πρός τη θαλάσση, 6 ποτε Άκαρνάνες τειχισάμενοι κοινφ δικαστηρίω έχρώντο. — Zur Zeit des Peloponnesischen Krieges gehörte Olpai nicht mehr zu Akarnanien, so daß die Akarnanen die Justiz nicht mehr dort ausüben konnten. Es ist sehr wahrscheinlich, daß sie ihre Dingstätte nach Stratos verlegt hatten, das in der klassischen Zeit Hauptstadt und zugleich Fluchtburg der Akarnanen gewesen ist (vgl. Thuc. 3,106,1; Xen. Hell. 4,6,4; Diod. 19,67,4). Dort ist der Bundesbeschluß IG IX 2 1,393 (Anfang 3. Jh.s) gefunden worden. Die sehr stattliche Ringmauer der Stadt (vgl. Thuc. 2, 80,8 und die Ausgrabungen von F. Courby und Ch. Picard, Recherches archeologiques ä Stratos d'Acarnanie, Paris 1924) kann schwerlich von den Stratiern allein gebaut worden sein: sie ist sehr wahrscheinlich wie die Befestigving von Olpai durch ein gemeinsames Unternehmen der Akarnanen entstanden. 1 Literatur·. U. Wilcken, RE Aitolia (1894); W. Hohmann, Aetolien und die Aetoler bis zum lamischen Kriege, Diss. Halle, 1908; H. Swoboda, Wiener Studien 34, 1912, 37ff.; Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 325ff.; BusoltSwoboda, Griechische Staatskunde 1507ff.; G.Klaffenbach, I G I X 2 1 , Fase. l,ixff.; R . Flaceliere, Les Aitoliens ä Delphes, Paris 1937, 40ff.; M. Sordi, Acme 6, 1953, 419ff. (abgedruckt in: F. Gschnitzer, Zur griechischen Staatskunde 343ff.); J . A . O . Larsen, Greek Federal States 78ff. und 195ff. 2 Vgl. W. Vischer, Kl. Sehr. I 373, nach dem der ätolische Bund im 4. J h . ein „loser Verband" ist, „der kaum den Namen eines Bundes verdient". Ferner U. Wilcken, R E Aitolia 1117 f.; W. Hohmann, Aitolien 36; Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 328f.; Busolt-Swoboda, Griechische Staatskunde 1509f.; G. Klaffenbach, IG IX 2 1, Fase. 1, xiii; R . Flaceliere, Les Aitoliens ä Delphes 42. 3 Diod. 19,66,2; vgl. 20,20,3; 20,99,3. 4 ot Αιτωλοί: Thuc. 3,94,3; 3,95,1-3; 3,96,3 u . a . ; Xen.Hell. 3,6,14; Dem. 9 (c. Phil. III) 34; Diod. 15,57,1; 17,3,3. τό ϊθνος των Αιτωλών: Thuc. 3,94,4.
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ganz eindeutig, daß damals die Ätoler noch nicht nach den Grundsätzen der bundesstaatlichen Sympolitie organisiert waren. Man vermutete, daß die Erfahrungen des lamischen Krieges (323/22) die Ätoler von der Notwendigkeit überzeugten, die Einheit ihres Verbandes durch die Umgestaltung seiner Verfassung in eine bundesstaatliche Sympolitie zu befestigen 5 . Zu welchen falschen Schlüssen die irrtümliche Interpretation des Worte κοινόν führen kann 4 und wie wenig der Sprachgebrauch der Quellen dabei zu verwerten ist, hat eine vor dreißig Jahren entdeckte Inschrift aus Athen deutlich genug erwiesen. Diese Inschrift 7 enthält einen athenischen Volksbeschluß aus dem J . 367, durch den die Athener dem κοινόν der Ätoler eine Gesandtschaft schickten, um die Befreiung von zwei Spondophoren von Eleusis zu fordern, die in der ätolischen Stadt Trichonion gefangen worden waren, obwohl das κοινόν der Ätoler den Waffenstillstand (σπονδαί) von Eleusis ausdrücklich anerkannt hatte. In seinem Kommentar der Inschrift hat jedoch der Herausgeber E. Schweigert den Fehler seiner Vorgänger wiederholt: er hat den Begriff κοινόν ebenfalls als Fachausdruck zur Bezeichnung der bundesstaatlichen Sympolitien aufgefaßt und daraus den Schluß gezogen, daß der ätolische Bund nicht, wie früher angenommen, einige Jahre vor 314, sondern einige Jahre vor 367 gegründet worden sein muß. Er hat nach einem Ansatzpunkt gesucht und ist zur Überzeugung gelangt, daß der ätolische Bund 370 oder bald danach auf die Initiative von Epameinondas entstanden ist 8 . In der Tat gibt uns das Wort κοινόν über die Natur des ätolischen Verbandes keine Auskunft: wäre er ein rein sakraler Verband gewesen, hätte er wie die delphische Amphiktyonie im 2. J h . 9 ebensogut κοινόν heißen können. Die Bedeutung dieser Inschrift liegt vielmehr in dem, was sie über die Kompetenzen der ätolischen Zentralgewalt im frühen 4. Jh., wo sich die Ätoler noch in Teilstämme gliederten, aussagt 1 0 . Denn daraus, daß das κοινόν der Ätoler vor 367 die σπονδαί von Eleusis 5 Abweichend haben G. Klaffenbach, IG I X 2 1, Fase. 1, xiii und nach ihm R. Flaceliere, Les Aitoliens ä Delphes 42 aus einer athenischen Ehrenurkunde des J. 327/326, die einem ätolischen Bularchen gilt (IG II/III 2 358), den Schluß gezogen, daß damals die Ätoler die Verwandlung ihres Verbandes in eine bundesstaatliche Sympolitie schon durchgeführt hatten. 6 Vgl. oben 16ff. ' Veröffentlicht von E. Schweigert, Hesperia 8, 1939, 5ff. = Tod II 137. 8 Seiner These sind G. Klaffenbach, Klio 32, 1939, 191 f. und Μ. N. Tod in seinem Kommentar der Inschrift gefolgt. 9 Vgl. oben 18 m. Anm. 40. 10 Richtig hervorgehoben von J.A.O. Larsen, Greek Federal States 196.
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anerkannt hatte und die Athener sich an das κοινό ν der Ätoler wandten, als Leute aus Trichonion diese σπονδαί verletzten, geht hervor, daß damals die ätolische Kegierung befugt war, die Gesamtheit der Ätoler durch einen völkerrechtlichen Vertrag zu verpflichten und zugleich in der Lage war, ihren Beschlüssen Nachachtung zu schaffen. Dies bedeutet, daß sie im frühen 4. Jh. im Grundsätzlichen die Befugnisse besessen und die Aufgaben erfüllt hat, die ihr in der hellenistischen Zeit zukamen. Die Inschrift sagt uns nicht, wann die Athener von den Ätolern die Anerkennung der σπονδαί von Eleusis erwirkten. Da diese σπονδαί um die Mitte des 5. Jh.s in der griechischen Welt weitgehend anerkannt waren 11 , ist es nicht ausgeschlossen, daß auch die Ätoler sie noch im 5. Jh. anerkannt haben 12 . Was wir von der Geschichte der Ätoler im 5. Jh. wissen, läßt jedoch deutlich erkennen, daß seit ihrem Eintritt in die Geschichte ihre Zentralgewalt wie im 4. Jh. und später f ü r die gesamte Außenpolitik zuständig gewesen ist. Dies zeigt ihr Verhalten beim Einbruch eines athenischen Kontingentes unter Demosthenes in Ätolien im J . 426, wo alle Ätoler, auch diejenigen, die am weitesten vom Schauplatz entfernt lebten, zu den Waffen griffen, um die Eindringlinge zurückzutreiben 13 , und es wird durch die Entsendung einer Gesandtschaft nach Sparta im gleichen Jahr bestätigt 14 . Die Auffassung, die uns aus der hellenistischen Zeit bekannte ätolische Verfassung sei zu einem bestimmten Zeitpunkt durch die Verwandlung eines ursprünglichen losen Stammesverbandes in eine bundesstaatliche Sympolitie eingeführt worden, erweist sich damit als eine reine Hypothese. Mancher archaische Zug der ätolischen Verfassung spricht vielmehr dafür, daß die Ätoler ihre ältere Organisation in historischer Zeit ohne wesentliche Änderung behielten 15 . Dies gilt insbesondere für das Kollegium der Apokleten, das sonst in der griechi11
Vgl. Syll. 3 42. Die Behauptung von E. Schweigert, a.a.O. 8, die Ätoler hätten die σπονδαί im J. 367/66 anerkannt, ist ein Mißverständnis: aus der Inschrift erfahren wir nur, daß die Leute von Trichonion die σπονδαί in diesem Jahre oder kurz vorher verletzten; daß die Ätoler die σπονδαί gerade in diesem Jahre anerkannt hätten, sagt der Text nicht. 13 Thuc. 3,94ff. 14 Thuc. 3,100,1. Daß diese Gesandtschaft aus je einem Vertreter der drei Teilstämme zusammengesetzt war, ist, wie die entsprechende Zusammensetzung der Gesandtschaft an Alexander im J. 335 zeigt, in diesem Zusammenhang irrelevant. 15 Vgl. M. Sordi, Acme 6, 1953, 436ff. 12
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sehen Welt nicht belegt ist 18 . Auch die Herbsttagung der ätolischen Bundesversammlung in Thermos, die von einer religiösen Feier und einem Jahrmarkt begleitet wurde 17 , scheint eine sehr alte Tradition hinter sich zu haben. Der ätolische Bund hat wohl von allen bisher untersuchten Ethne am wenigsten unter dem Einfluß weiter entwickelter Staaten gestanden und verdient daher in der Frage nach der Entstehung der bundesstaatlichen Sympolitie eine besondere Beachtung.
Die
Thessaler1
Im 6. und im 5. Jh. haben die Thessaler einen politischen Verband gebildet, dessen Institutionen z.T. auf die Zeit der Eroberung zurückzugehen scheinen. Staatsoberhaupt war der Tagos2, ein Wahlkönig, der auf Lebenszeit gewählt wurde 3 und in erster Linie für die Heeresorganisation und die Führung im Krieg zuständig war 4 . Im übrigen 19
I n einer Inschrift aus der ersten Hälfte des 5. Jh.s, die in West-Lokris oder in Atolien gefunden wurde, wird ein άποκλεσία genanntes Kollegium erwähnt (veröffentlicht von N. G. Pappadakis, Arch. Eph. 1924, 119ff. = R. Meiggs-D. Lewis, A Selection of Greek Historical Inscriptions, Oxford 1969, Nr. 13, Z. 11): es scheint, daß die Apokleten eine altertümliche, dieser Gegend eigentümliche Einrichtung gewesen sind. Nach F . Gschnitzer, Sav.Zeitschr. 80, 1963, 404 Anm, 4 setzte sich die άποκλεσία der west-lokrischen Inschrift aus Vertretern des Stammes zusammen. 17 Vgl. Pol. 5,8,5. Die Ausgrabungen in Thermos haben erwiesen, daß das Bundesheiligtum der Ätoler im 6. J h . auf der Stelle eines älteren Tempels geb a u t wurde (vgl. G. Sotiriadis, Eph. Arch. 1900,161ff. und 1903, 71ff.). 1 Literatur: Ed. Meyer, Theopomps Hellenika, Halle 1909, 199ff.; Hermann Swoboda, Staatsaltertümer 227 ff.; Busolt-Swoboda, Griechische Staatskunde 1478ff.; F . Hiller v. Gaertringen, R E Thessalia (1936); M. Sordi, La lega tessala fino ad Alessandro Magno, Roma 1958; J . A . O . Larsen, ClPh 55, 1960, 229ff. und Greek Federal States 12 ff. 2 Der offizielle Titel ταγός begegnet in der literarischen Überlieferung zuerst bei Xenophon (vgl. Hell. 6,1,8; 6,1,18; 6,4,28 u.a.), während in den Quellen des 5. Jh.s der Wahlkönig der Thessaler βασιλεύς heißt (vgl. P i n d . P y t h . X, 3; H d t . 5,63,3 und 7,6,2; Thuc. 1,111,1). Auf thessalischen Inschriften begegnen hingegen ταγοί sehr häufig als städtische Magistrate. 3 Daß der Tagos gewählt wurde, erfahren wir daraus, daß die uns bekannten Träger dieser Würde aus verschiedenen Häusern stammen (vgl. Ed. Meyer, Theopomps Hellenika 237ff.; K . J . Beloch, GG I 2 2, 200ff.). — Über die umstrittene Frage, ob das Tagosamt permanent oder nur in Kriegszeiten besetzt worden ist, vgl. zuletzt M. Sordi, La lega tessala 334ff.; C.B.Welles, AJA 64, 1960, 105; J . A . O . Larsen, ClPh 55, 1960, 239. 4 Direkte Zeugnisse über die Befugnisse des Tagos sind für diese Zeit k a u m vorhanden (s. jedoch H d t . 5,63,3 über den Tagos als Feldherrn). Was wir über den Tagos wissen, bezieht sich hauptsächlich auf die Zeit, als Jason von Pherae diese Würde bekleidete (s. unten 65).
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wurden die gemeinsamen Interessen der Thessaler von einer V e r s a m m lung, die wahrscheinlich aus den freien Thessalern zusammengesetzt war, wahrgenommen 5 . Zu Militär- u n d Verwaltungszwecken war d a s thessalische Gebiet in vier Bezirke, die Tetraden, geteilt, denen je ein Tetrarch vorstand®. Zugleich zerfiel es in eine Anzahl v o n L o s e n (κλήροι), von denen jedes 40 Reiter und 80 Hopliten zu stellen h a t t e 7 . Diese straffe Organisation, der die Thessaler ihre B e d e u t u n g in der Geschichte der archaischen Zeit verdankten, löste sich im L a u f e des 5. J h . s allmählich a u f 8 . Auf K o s t e n der legalen Organe der Zentralgewalt gewannen die führenden Adelsgeschlechter die Oberhand: der L a n d t a g wurde ü b e r g a n g e n 9 , d a s T a g o s a m t verlor jede B e d e u t u n g 1 0 . Die S t ä d t e , die schon im frühen 5. J h . eigene Münzen g e p r ä g t 5 Vgl. vor allem Thuc. 4,78,3: eine Gruppe von Thessalern versuchte im J . 424, dem spartanischen Feldherrn Brasidas den Weg durch Thessalien zu versperren, weil er ohne Genehmigung des Landtags (ίίνευ τοϋ πάντων κοινοϋ) durchmarschierte. Vgl. ferner Hdt. 5,63,3; 7,172 f. Dieser Versammlung lag wohl die Wahl des Tagos ob. —· Daß dieses Organ eine Primärversammlung aller freien Thessaler war, ist nicht direkt bezeugt, wird aber wegen des Sprachgebrauchs bei Herodot und Thukydides in der Literatur allgemein angenommen (dies wird m. W. nur von M. Sordi, La lega tessala 330f. bestritten). 6 Über das Wesen der thessalischen Tetraden ist grundlegend F. Gschnitzer, Hermes 82, 1954, 45Iff. Dort hat er gezeigt, daß diese Tetraden, deren Einrichtung Arist.Fgt. 497 (Rose) dem halbmythischen Ahnherren der Aleuaden, Aleuas dem Roten, zuschreibt, keine natürlich erwachsenen Gebilde, sondern zu Verwaltungszwecken künstlich geschaffene Distrikte sind. Weil sie das verkannt haben, halten K . J . Beloch, GGI 2 , 197 und H. Bengtson, GG4 85 den archaischen Verband der Thessaler sicher zu Unrecht für einen Bundesstaat. 7 Arist.Fgt. 498 (Rose). Nach Aristoteles wurde die Aufteilung des Landes in κλήροι ebenfalls von Aleuas vorgenommen. Es ist eher anzunehmen, daß diese κλήροι ursprünglich die nach der Eroberung verteilten Gutsbezirke darstellen und daß die Aleuas zugeschriebene Aufteilung, wann sie auch erfolgt sein mag, der Notwendigkeit einer strengeren und genaueren Organisation des Aufgebotes entsprach (so zuletzt J . A . O . Larsen, ClPh. 55, 1960, 238 und Greek Federal Staates 15f. gegen M. Sordi, La lega tessala 319f.). 8 Vgl. Ed. Meyer, Theopomps Hellenika 235f. — Ein Zeugnis für das Fortbestehen des thessalischen Bundes im 5. Jh. bietet vielleicht ein von Ν. I. Giannopoulos, Ath. Mitt. 29, 1914, 316-319 veröffentlichter Helm mit der Inschrift Ποπίλος Θεσσαλδν. Denn der Plural Θεσσαλδν weist, wie der Herausgeber a.a.O. 319 angenommen hat, darauf hin, daß dieser Ποπίλος diese Weihung im Namen aller Thessaler machte oder ein Stratege der Thessaler gewesen ist. 9 Vgl. Thuc. 4,78,3, der den oben Anm. 5 erwähnten Durchzug des Brasidas damit erklärte, daß die Thessaler δυναστεία μάλλον ή ισονομία έχρώντο τό Ιγχώριον. 10 In der 2. Hälfte des 5. Jh.s war dieses Amt so unbedeutend geworden, daß Daochos I., der zur Zeit des Peloponnesischen Krieges 27 Jahre Tagos der Thessaler war, in der literarischen Überlieferung nirgends erwähnt wird und uns nur durch eine Inschrift bekannt ist (Syll.3 274 VI). Ob die Verbannung von Orestes, Sohn des Tagos Echekratidas II., im J . 457 (Thuc. 1,111,1) mit dem Verfall des Tagosamtes zusammenhängt, ist ungewiß.
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hatten 11 , traten immer selbständiger in den Vordergrund12. Diese Zustände brachten den Verband in eine schwere Krise und führten die Thessaler am Ende des 5. Jh.s zum offenen Bürgerkrieg. Die Wirren scheinen dann bis 375 gedauert zu haben, als Jason von Pherae nach harten Kämpfen seine Herrschaft über ganz Thessalien auszudehnen vermochte. Er ließ sich von allen thessalischen Städten zum Tagos wählen; er setzte fest, wie viele Reiter und wie viele Hopliten die Städte zu stellen hatten, und zwang den Periöken den Tribut, den sie früher den Thessalern hatten entrichten müssen, wieder auf 13 . Nach seiner Ermordung im J. 370 ging der innere Friede, den die Thessaler unter seiner Herrschaft gehabt hatten, zu Ende: die Thessaler standen gegen seinen Nachfolger und Neffen Alexandres von Pherae auf und nach langwierigen Kämpfen zwangen sie ihn mit der Hilfe der Thebaner im J. 364, Thessalien freizugeben. Wir wissen nicht, ob nach dem Ausbruch der Bürgerkriege der thessalische Staat formell weiter bestand oder nicht 14 . Wir wissen auch nicht, ob Jason selbst an der alten Verfassung etwas änderte. Über die Verfassung Thessaliens nach seiner Befreiung von der Herrschaft des Alexandres im J. 364 hingegen bieten uns zwei athenische Inschriften 15 einige Auskunft. Sie ist in manchem Zug der alten gleich: an der Spitze des Staates steht wie früher ein auf Lebenszeit gewähltes Staatsoberhaupt 18 , Thessalien zerfällt nach wie vor in vier Tetraden, 11
Head, Historia Numorum 2 290ff. Vgl. etwa die Erteilung vonAsylie undAtelie an einen Korinthier durch die Stadt Thetonion u m die Mitte des 5. Jh.s (Syll. 3 55); ferner Arist.Pol. 1275b 26ff. u n d 1305b 27f. über das politische Leben in Larissa a m Ende des 5. Jh.s. Vgl. a u c h Thuc. 2,22,3: das thessalische Aufgebot, das im J . 431 den Athenern zu Hilfe kam, setzte sich aus Kontigenten der einzelnen Städte, die ihre eigenen άρχοντες hatten, zusammen. Das Material über die Entstehung der thessalischen S t ä d t e ist sehr ausführlich behandelt von U. Kahrstedt, Grundherrschaft, Freistadt u n d Staat in Thessalien, Gött. Nachr. 1924, 128 ff. — Die von M. Sordi, La lega tessala 313ff. vertretene Ansicht, die thessalischen Städte seien schon a m Ende des 7. J h . s Poleis im Rechtssirm mit eigenen Gesetzen u n d eigenem Bürgerrecht gewesen, kann, da wir über diese Städte keine Nachrichten vor dem 5. J h . besitzen, nicht berücksichtigt werden (vgl. gegen M. Sordi J . A . O . Larsen, ClPh 55, 1960, 238). 13 Xen.Hell. 6,1,18f. 14 F ü r das Fortbestehen des thessalischen Staates in dieser Zeit spricht allerdings, daß Jason von Pherae sich darauf berufen konnte, verfassungsgemäß gewählt worden zusein(Xen. Hell. 6,4,28: διάτότφνόμωΘεσσαλών ταγός καθεστάναι). 15 Syll. 3 184 aus dem J . 361/60 u n d I G I I 2 175 (vor 353/52). 16 Syll. 3 184, Z. 18, 23 u n d 34f. Daß er auf Lebenszeit oder zumindest auf längere Zeit gewählt wurde, hat der Herausgeber U. Koehler, A t h . M i t t . 2, 1877, 203 aus der Ausdrucksweise der Z. 18 δν είλοντο Θεσσαλοί (statt δν äv ελωνται) erschlossen. 12
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denen je ein Magistrat vorsteht 17 , und es gibt wie im 5. Jh. eine Versammlung der Thessaler (κοινόν), die mit dem Staatsoberhaupt zusammen über die Außenpolitik zu entscheiden hat 18 . Vielleicht haben auch die Ritter (ιππείς) und die Hipparchen in der alten Verfassung schon existiert 19 . Die neue Verfassung unterscheidet sich aber von der alten darin, daß in den Urkunden die wichtigsten Magistrate anders heißen: das Staatsoberhaupt heißt nicht mehr Tagos, sondern Archon 20 ; den Tetraden stehen nicht mehr Tetrarchen, sondern Polemarchen vor 21 . Daraus wird in der Forschimg entnommen, daß nach dem Tod Jasons (denn dieser Machthaber hat noch Tagos geheißen) die thessalische Verfassung eine grundsätzliche Neugestaltung erfahren habe, indem der alte Stammstaat unter dem Einfluß der Thebaner in einen Bundesstaat verwandelt worden sei 22 . Allein der Wechsel in der Ämterbezeichnung kann sehr verschiedene Ursachen haben 23 , und da die neue thessalische Verfassung, soweit sie uns bekannt ist, außerdem nichts enthält, das sie von der alten grundsätzlich unterscheidet, können wir die Bedeutung der Änderungen in der Titulatur der Magistrate nicht erfassen24. 17
18 I G I I 2 175, Z. 6ff. Syll. 3 184, Z. 32ff. 20 Syll. 3 184, Z. 15f. u n d 24. Syll. 3 184, Z. 18, 23 und 34f. 21 2 3 I G I I 175, Z. 6; Syll. 184, Z. 23. 22 Vgl. Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 232f.; Busolt-Swoboda, Griechische Staatskunde 1486; W . Schwahn, R E Συμπολιτεία 1228; J . A . O . L a r s e n , Greek Federal States 24f. — M.Sordi, L a lega tessala 109ff. u n d 313ff. h a t dagegen den Nachweis zu erbringen versucht, d a ß die Umgestaltung des thessalischen Staates schon u m die Mitte des 5. J h . s erfolgte. Dabei s t ü t z t sie sich auf eine vor einigen J a h r e n von G. Daux, B C H 82, 1958, 329ff. veröffentlichte Weihung der Thessaler in Delphi, die aus jener Zeit s t a m m t u n d auf der sieben Polemarchen genannt sind, u n d entnimmt aus dieser Urkunde, daß die Ersetzung der Tetrarchen durch die Polemarchen viel früher erfolgte, als m a n bisher angenommen h a t . Doch ist die Identifizierung dieser Polemarchen, d a sie sieben an der Zahl waren, mit den Polemarchen, die im 4. J h . an der Spitze der vier Tetraden standen, sehr problematisch. Nicht weniger bedenklich ist ihr Versuch, diese vermeintliche Neugestaltung des thessalischen Staates mit der Verbannung von Orestes, Sohn des Tagos Echekratidas I I . (Thuc. 1, 111, 1) in Zusammenhang zu bringen: wir wissen von der thessalischen Geschichte dieser Zeit so gut wie nichts, so d a ß Ursachen u n d Folgen dieser Verbannung f ü r uns ganz im dunkeln liegen. Es ist daher ganz unmöglich zu behaupten, wie M. Sordi (S. 109) es t u t , daß diese Verbannung das Ende der dynastischen Tagie bedeutet habe. 23 Was die Umbenennung des Tagosamtes angeht, so ist es sehr wahrscheinlich, daß die Thessaler sie vornahmen, weil bei ihnen der N a m e Tagos wegen des schlechten Verhaltens der Nachfolger von Jason v e r h a ß t geworden war. Die Umbenennung der Tetrarchen k a n n ähnliche Gründe haben. 24 Wie wenig die vermeintliche Verwandlung des alten Stammstaates in einen Bundesstaat aus dem vorhandenen Material hervorgeht, zeigt schon der Umstand, daß, während nach J . A . O . Larsen, Greek Federal Staates 24f. der neu19
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Von einer Neugestaltung der thessalischen Verfassung ist uns für die folgende Zeit bis zur römischen Intervention im J. 197 nichts bekannt. Als Philipp II. von Makedonien 344 die Thessaler unterwarf, benutzte er augenscheinlich die bestehenden Institutionen, um seine Herrschaft zu befestigen. Er bekleidete selbst das Archontat, das nach seinem Tod von Alexander dem Großen übernommen wurde 25 . Die Tetrarchien wurden Parteigängern des makedonischen Königshauses übergeben 26 . Die Einkünfte der Staatskasse kamen dem makedonischen König zugute 27 . Dabei blieb jedoch Thessalien formell selbständig 28 , und die thessalische Versammlung bestand weiter 29 . Mehr wissen wir von der thessalischen Verfassung unter der makedonischen Herrschaft nicht. Epeiros1 Die Entstehungsgeschichte des epeirotischen Bundes stellt einen Sonderfall dar: bis zur Mitte des 4. Jh.s hat es überhaupt keine Gemeinschaft der Epeiroten weder politischer noch sakraler Art gegeben. Das Wort Epeiros war nicht mehr als ein geographische Begriff, der ein Gebiet bezeichnete, wo eine Anzahl von Stämmen nebeneinander gestaltete B u n d sich aus πόλεις zusammensetzte, Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 233 und W . Schwahn, R E Συμπολιτεία 1228 die vier Tetraden f ü r die eigentlichen Bundesglieder halten. I n diesem Falle wäre aber nicht einzusehen, worin sich der neue Verband von dem alten, der ebenfalls in vier Tetraden gegliedert war, unterschied ( K . J . Beloch, GG I I I 2 1, 183, der wie H . Swoboda u n d W . Schwahn die Tetraden für die Bundesglieder des neuen Verbandes hält, zieht konsequent den Schluß, daß dieser neue Bund im wesentlichen dieselbe S t r u k t u r h a t t e wie der alte). 25 Diod. 17,4,1; J u s t . 11,3,2. 26 Dem. 9 (Phil. I I I ) 26; Theopomp FGrHist. 116F 208. 27 Dem. 1 (Ol. I) 22; J u s t . 11,3,2. 28 Pol. 4,76,2. 29 Vgl. Aesch. 3 (c. Ctes.) 161; Dem. 18 (de cor.) 147. Es ist uns ein thessalischer Ehrenbeschluß aus dem 4. J h . inschriftlich erhalten (Ath.Mitt. 59, 1934, 57, Nr. 15). 1 Literatur·. J . Kaerst, R E Epeiros (1905); M . P . Nilsson, Studien zur Geschichte des alten Epeiros, Lund 1909; C. Klotzsch, Epirotische Geschichte bis zum J a h r e 280 v.Chr., Berlin 1911; Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 308ff.; H . Treidler, Epirus im Altertum, Studien zur historischen Geographie, Diss. Leipzig 1917, in: Archiv f. Anthropologie, N F 17, 1919; Busolt-Swoboda, Griechische Staatskunde 1470ff.; G. N. Cross, Epirus. Α Study in Greek Constitutional Development, Cambridge 1932; B. Lenk, R E Molossi (1933); P . R . F r a n k e , Alt-Epirus u n d das Königtum der Molosser, Diss. Erlangen, Kallmünz 1955; P. Löveque, Pyrrhos, Paris 1957; P . R . Franke, Die antiken Münzen von Epirus, Wiesbaden 1961; E t t . Lepore, Ricerche sull antico Epiro, Napoli 1962; N . G . L . H a m m o n d , Epirus, Oxford 1967; J . A . O . Larsen, Greek Federal States 273ff.
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lebte und selbständige Gemeinwesen bildete2. Nach Theopomp3 gab es dort im 4. Jh. vierzehn Stämme, von denen die Chaoner und die Molosser die bedeutendsten waren. Erst im letzten Drittel des 4. Jh.s kam eine Vereinigung der Epeiroten in der Form einer Symmachie unter der Hegemonie der Molosser zustande4. Diese Symmachie, die wohl ein mit dem korinthischen Bund vergleichbarer Staatenbund war5, wurde dann nach dem Sturz der Aiakiden um 230 in den uns als έθνος των 'Ηπειρωτών® bekannten Staat verwandelt. Dennoch ist das Ethnos der Epeiroten keine Neuschöpfung im eigentlichen Sinne. Die wesentlichen Züge seiner Verfassimg, insbes. das eponyme Amt des Prostates7, die Volksversammlung8 und die Gliederung des Staates nach Teilstämmen9, sind übernommen von der 2 Über das Wort „Epeiros" und die Entwicklung seiner Bedeutung s. zuletzt P . R . F r a n k e , Alt-Epirus 3ff. 3 Theopomp FGrHist 115F 382 = Strab. 7,7,5, C 323. 4 Vgl. S G D I 1336: die σύμμαχοι των Άπειρωταν verleihen einem Atintanen die Atelie έν Άπείρωι. Die führende Stellung der Molosser k o m m t in der Datierung der Urkunde nach dem προστάτης Μολοσσών u n d dem König Alexandras, Sohn des Neoptolemos aus dem molossischen Königshaus der Aiakiden, zum Ausdruck. •— Die Gründimg der Symmachie, die in der Forschung zwischen etwa 330 u n d 300 gesetzt wird (vgl. zuletzt P . Lävöque, R E G 70, 1957, 488f.; P . R . Franke, Die antiken Münzen von Epirus 249f.), m u ß vor oder während der Regierung der Königin Kleopatra (336-325) fallen, weil diese auf der Thearodokenliste von Argos als Vertreterin von Epeiros verzeichnet wird (P. Charneux, BCH 90, 1966, 157, Z. 11 mit dem K o m m e n t a r S. 177f.). 5 Da wir außer der in der vorigen Anm. erwähnten Inschrift über die Organisation der Symmachie keine Nachricht haben, sind die Meinungen über die N a t u r dieses Verbandes in der Forschung sehr geteilt. Gewöhnlich wird angenommen (so kürzlich P . Löveque, Pyrrhos 205ff. u n d R E G 70, 1957, 491ff.; J . A . O . Larsen, Greek Federal States 277f.), daß die Symmachie ein Bundess t a a t war u n d daß die Aiakiden, die bisher Könige der Molosser gewesen waren, zu Königen der Epeiroten ernannt wurden. Dementsprechend wäre der προστάτης Μολοσσών, nach dem die Urkunde datiert wird, trotz seiner Bezeichnung ein von der epeirotischen Bundesversammlung gewählter Bundesmagistrat. Die hier vertretene Ansicht, daß die Aiakiden nie Könige von Epeiros geheißen haben, daß wir das Wort „Symmachie" in seinem üblichen Sinne aufzufassen haben und im damit bezeichneten Verband einen Staatenbund sehen müssen, h a t P . R . Franke, Alt-Epirus 47ff. u n d Die antiken Münzen von Epirus 249ff. sehr eingehend u n d m . E . voll überzeugend begründet (zustimmend F . W . Walb a n k , CR 71, 1957, 59f.; E d . Will, Rev.Phil. 31, 1957, 271f. u n d 33, 1959,113f.). 6 Vgl. Pol. 20,3,1; IvM 32, Z. 42; Bull-έρ. 1967, 335. Zur Chronologie vgl. K . J . Beloch, GG IV 2 2, 152f. ' SGDI 1350, Z. 3. 8 έκκλησία in SGDI 1338, Z. 5 f. 9 Daß der epeirotische B u n d nach Teilstämmen u n d nicht nach Poleis gegliedert war, geht hervor aus der Tatsache, d a ß die E t h n i k a , die auf den Inschriften den Amtsträgern beigefügt werden, keine Ableitungen von Ortsnamen, sondern primitive Volksnamen sind (so z.B. die E t h n i k a Καρωπός in S G D I 1350 u n d Ύγχεστός in SGDI 1349). Vgl. unten, S. 94.
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Verfassung, die im 4. und im 3. Jh. bei den Molossern galt, so daß das neue Gemeinwesen als der Nachfolger des molossischen Staates angesehen werden muß. Denn wir wissen aus relativ zahlreichen Inschriften, daß schon im frühen 4. Jh. der Stamm der Molosser, obwohl er unter der Herrschaft der Aiakiden stand, eine Verfassung hatte, die mit den bundesstaatlichen Sympolitien der hellenistischen Zeit eine große Ähnlichkeit aufweist und in der Forschung gewöhnlich zu den bundesstaatlichen Sympolitien gezählt wird 10 . Ihr Staat setzte sich nicht aus Poleis, sondern aus Teilstämmen zusammen, die bei der Zentralgewalt mit je einem Abgeordneten vertreten waren 11 . Diese Abgeordneten, die in den Urkunden unterschiedlich Damiorgoi, Synarchonten oder Hieromnemonen heißen, bildeten ein Kollegium, in dem alle Teilstämme im Turnus den Vorsitz auf ein Jahr hatten. Die Zahl der Teilstämme ist nicht immer dieselbe geblieben: wie die bundesstaatlichen Sympolitien nahmen die Molosser neue Mitglieder auf und gaben ihnen einen Sitz im Kollegium der Abgeordneten. So waren um 370 zehn, um die Mitte des 4. Jh.s fünfzehn Teilstämme Mitglieder des molossischen Staates. Aus dem Teilstamm, der im Kollegium der Abgeordneten den Vorsitz hatte, wurden der Prostates und der Sekretär gewählt. Der Prostates war der eponyme Magistrat der Molosser. Über seine Befugnisse liegen keine direkten Zeugnisse vor, aber es läßt sich aus dem Namen und aus Zeugnissen über dieses Amt in anderen griechischen Staaten entnehmen, daß ihm der Vorsitz in der molossischen Versammlung und wohl auch die Ausführung ihrer Beschlüsse oblag 12 . Das Prostates-Amt, das auch bei den benachbarten Chaonern und anderen epeirotischen Stämmen begegnet 13 , wird wohl bei den Molossern einer dem Ephorat in Sparta vergleichbaren Ein10
Vgl. Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 309; Busolt-Swoboda, Griechische Staatskunde 1473; J. A. O. Larsen, Greek Federal Staates 274. 11 Über die Teilstämme der Molosser s. den Exkurs 94ff. 12 Über den Prostates im allgemeinen s. vor allem H. Schaefer, R E προστάτης, Suppl. 9 (1962) 1287ff. Der Prostates als Vorstand eines Organs begegnet sehr häufig (z.B. in Tegea der προστάτας τοϋ δάμου [Syll. 3 501]; in Orchomenos der προστάτας άλιαίας [BCH 38, 1914, 461]; bei den Aetolern die προστάται τοϋ συνεδρίου [IG I X 2 1, 188, Ζ. 33]). 13 Chaoner: Thuc. 2,80,5 und U. Ugolini, Albania antica III, Roma 1942, 115; Prasaiboi (ein sonst unbekannter Stamm von Epeiros): U. Ugolini, a.a.O. 117 und 206; Thesproter: dort ist der Prostates durch eine unveröffentlichte Inschrift aus dem 4. Jh. bezeugt (vgl. den Bericht von S.I. Dakares, BCH 85, 1961, 733; Herr Dakares hat mir freundlicherweise eine Kopie dieser Inschrift zur Verfügung gestellt).
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schränkung der königlichen Gewalt gedient haben 14 . Die Versammlung der Molosser (έκκλησία) war für die Verleihung des Bürgerrechts und anderer Ehrungen zuständig 15 . Ihr gegenüber verpflichteten sich die Könige, den Gesetzen gehorchend zu regieren, wofür die Versammlung ihrerseits versprach, der Monarchie treu zu bleiben 16 . Wahrscheinlich war die Ekklesie der Molosser auch in anderen Bereichen das beschließende Organ. Es muß sehr überraschen, daß wir bei den Molossern den als „modern" angesehenen Grundsätzen der bundesstaatlichen Sympolitie begegnen. Denn der molossische Staat ist nicht erst in klassischer Zeit aus der Verwandlung eines sehr lockeren Stammesverbandes in ein „Koinon" entstanden 17 , die ursprüngliche Einheit des molossischen Stammes ist nicht durch die Entwicklung der Städte gesprengt worden. Die Molosser waren seit uralter Zeit unter den Aiakiden vereinigt gewesen 18 , und das städtische Leben war dort so wenig fortgeschritten, daß die alte Gliederung nach Teilstämmen nie durch eine Gliederung nach Poleis ersetzt wurde19. Ihr Gemeinwesen ist ein „Stammstaat", dessen ursprüngliche Verfassung allenfalls unter dem Einfluß weiter entwickelter Staaten, sei es durch eine einmalige Reform 20 oder durch eine langsame Entwicklung, „modernisiert" wurde. 14 Vgl. Hermann-Swoboda, Staatealtertümer 310; G . N . Cross, Epirus 18; P . R . F r a n k e , Alt-Epirus 71. 15 Vgl. S G D I 1335, Z.Sf.: [£δ]οξε τ[α]ι έκλησίαι των [Μολοσσών]. Die Ergänzung [Άπειρωταν] bei der SGDI m u ß im Hinblick auf den molossischen Beschluß S G D I 1334 aus demselben J a h r in [Μολοσσών] geändert werden (so richtig E. Szanto, Das griechische Bürgerrecht 145; M . P . Nilsson, Studien zur Geschichte des alten Epeiros 60 Anm. 3 u.a.). Auf anderen Inschriften heißt die molossische Versammlung τό κοινό ν τών Μολοσσών ('Ελληνικά 15, 1957, 249, Ζ. 15 = Bull. έρ. 1963, 125; SGDI 1334, Ζ. 10f.) oder einfach οί Μολοσσοί (Syll. 3 942, Ζ. 6f.; Epeirotika Chronika 10, 1935, 245, Nr. 1, Z. 2). 16 Plut., Pyrrh. 5,5; vgl. Arist.Pol. 1313a 18ff. 17 So P . R . Franke, Alt-Epirus 79. 18 I m Altertum glaubte man, daß das Geschlecht der Aiakiden auf den Führer der Molosser bei der Einwanderung zurückging. Vgl. Arist.Pol. 1310b 34ff. 19 Die Amtsträger der Molosser haben immer das Ethnikon ihres Teilstammes getragen (s. Belege unten 94 Anm. 1). Die Bezeichnung nach der Ortschaft begegnet nur auf Freilassungsurkunden bei Privatpersonen (Belege unten a.a.O.). 20 Nach J u s t . 17,3,12 war der König Tharyps (letztes Drittel des 5. Jh.s) der erste, der Gesetze gab u n d einen R a t u n d jährliche Magistrate einrichtete. D a dieser König in Athen erzogen wurde u n d das athenische Bürgerrecht erhielt (Syll. 3 228), mag diese Nachricht sehr wohl einen historischen Kern haben.
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III. Poleis und Ethne Nachdem im ersten Kapitel die Grundzüge der bundesstaatlichen Sympolitie und im zweiten die Vorgeschichte der einzelnen bundesstaatlichen Sympolitien dargelegt worden sind, können wir jetzt die systematische Auswertung des gesammelten Materials unternehmen. Überblickt man die Vorgeschichte der Ethne, die in der hellenistischen Zeit die Merkmale der bundesstaatlichen Sympolitie aufweisen, so stellt man fest, daß außer den Arkadern, die erst nach 370 und nur für kurze Zeit in einem Staat vereinigt wurden (S. 43ff.), alle diese Ethne von Anfang an politische Verbände gebildet haben und von außen als Einheiten gefaßt worden sind. Die meisten von ihnen haben auch bis zur Zeit der römischen Herrschaft ununterbrochen bestanden: ob ein Feind vom eigenen Gebiet verdrängt werden mußte oder ein Feldzug gegen andere Mächte unternommen wurde, bei der Entsendung von Gesandtschaften wie auch beim Abschluß von Bündnisverträgen haben die Ätoler (S. 60ff.), die Phoker (S. 50ff.), die Molosser (S. 68ff.), die Perrhäber 1 , die Ainianen 2 , die Doloper 3 und andere kleinere Ethne in historischer Zeit immer geschlossen gehandelt. Einige sind im Lauf der Zeit aufgelöst worden; aber die politische Zersplitterung war überall von kurzer Dauer und konnte bald wieder überwunden werden. So haben die Boioter (S. 46ff.) seit dem Augenblick, wo sie uns zuerst begegnen, einen Verband gebildet, der bis zum Anfang des 4. Jh.s bestand; nach dem Antalkidas-Frieden wurde dieser Verband von den Spartanern aufgelöst, wurde aber weniger als zehn Jahre später von den Thebanern wiederhergestellt. Dasselbe Schicksal traf die Achäer (S. 53ff.): ihr Verband ging am Ende des 4. Jh.s unter dem Einfluß der makedonischen Könige auseinander; er wurde 280 von vier achäischen Städten neu gegründet. Akarnanien (S. 55ff.) wurde um 260 zwischen den Ätolern und dem König der Molosser geteilt und hatte bis etwa 230 keine eigene Existenz mehr. Ob der Bürgerkrieg, der gegen Ende des 5. Jh.s bei den Thessalern (S. 63ff.) ausbrach, die Auflösung ihres Verbandes zur Folge hatte, läßt sich nicht 1 Vgl. B. Lenk, R E Perrhaebi (1937); G. Kip, Thessalische Studien, Halle 1910, l l l f f . 2 O. Hirschfeld, R E Ainianes (1894); G. Kip, Thessalische Studien 2Iff. 3 J.Miller, R E Dolopes (1903); G. Kip, Thessalische Studien 126ff.
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mit Bestimmtheit ermitteln; unter Jason von Pherae bestand er jedenfalls wieder. Wir kennen etwas näher die Organisation des einen oder anderen dieser Verbände. Wir finden in den Hellenika von Oxyrhynchos eine vorzügliche Darstellung der boiotischen Verfassung in der zweiten Hälfte des 5. Jh.s (S. 48f.). Sehr wertvolle Angaben über die Organisation der hypoknemidischen Lokrer um die Mitte des 5. Jh.s sind im bekannten Kolonistengesetz von Naupaktos enthalten 4 . Wir kennen auch ziemlich gut die Verfassung, die bei den Molossern in der ersten Hälfte des 4. Jh.s galt. Allen diesen Verfassungen ist gemeinsam, daß die Autonomie der Gemeinden, soweit sie uns bekannt ist, auf die internen Angelegenheiten beschränkt war, während alles, was die Gesamtheit des Ethnos anging von der Zentralgewalt als höchster Instanz beraten und beschlossen wurde. In Boiotien lag die Souveränität bei den vier Räten (βουλαί), die aus Abgeordneten der Städte zusammengesetzt war; es gab eine Bundeskasse und ein Bundesgericht; das Gebiet war in elf Verwaltungsbezirke geteilt, nach denen der Anteil der Mitglieder an den Rechten und Pflichten bestimmt war. Bei den hypoknemidischen Lokrern wurde die höchste Gewalt von den Tausend in Opus ausgeübt; ebenfalls in Opus saß das Bundesgericht; es gab ein lokrisches Bürgerrecht, mit dem steuerliche Verpflichtungen verbunden waren. Bei den Molossern war die Ekklesie f ü r die Erteilung des molossischen Bürgerrechts zuständig; die Außenpolitik und die Führung im Krieg scheinen dagegen dem König vorbehalten gewesen zu sein. Leider sind wir nicht immer so gut unterrichtet. In der Regel müssen wir uns mit vereinzelten Angaben begnügen, aus denen sich kein klares Bild des Ganzen gewinnen läßt. Die Organe der Zentralgewalt und ihre Befugnisse werden nur beiläufig erwähnt: so erfahren wir aus Herodot, daß die Boioter schon im frühen 5. Jh. Boiotarchen an ihrer Spitze hatten; Thukydides nennt mehrmals die Strategen der Akarnanen; verschiedene Quellen berichten vom Tagos der Thessaler und verraten einiges von seinen Befugnissen. Aber das ist fast alles. Sonst hegen nur sehr vage Nachrichten vor, wie z.B. daß im frühen 4. J h . das in Stratos sitzende κοινόν der Akarnanen eine spartanische Gesandtschaft empfing (S. 56) oder daß die Θεσσαλοί den Peisistratiden κοινή γνώμη χρεώμενοι Hilfstruppen zur Verfügung stellten 5 . Welche Instanz mit dem Ausdruck τό κοινον των Άκαρνάνων gemeint ist, wie das Organ, das im Namen aller Thessaler die Hilfstruppen 4 5
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Siehe oben 41 Anm. 1. Hdt. 5,63,3.
schickte, ausgesehen hat, erfahren wir dabei nicht. Noch dürftiger sind die Auskünfte über die Stellung der Gemeinden und ihr Verhältnis zur Zentralgewalt. Wir haben ein Bürgerrechtsdiplom der akarnanischen Stadt Stratos aus dem frühen 4. J h . ; wir besitzen Münzen der boiotischen Städte mit dem boiotischen Schild aus dem 6. J h . ; wir entnehmen aus Thukydides und aus Inschriften (s. oben, S. 65 Anm. 12) daß die thessalischen Städte eigene Magistrate hatten. Aber solche Angaben sind nicht sehr aufschlußreich, zumal diese Erscheinungen bei den Mitgliedern der bundesstaatlichen Sympolitien der hellenistischen Zeit auch begegnen. Und in den meisten Fällen läßt sich über die Rechtsstellung der Gemeinden vor der hellenistischen Zeit überhaupt nichts sagen: die Gemeinden der Ätoler, der Achäer, der Phoker, der Perrhäber, der Magneten u.a. haben weder Beschlüsse noch Gesetze aus dieser Zeit hinterlassen; von ihrer Organisation wissen wir nichts; sie haben nicht einmal eigene Münzen geprägt. Fest steht schließlich nur, daß die Zentralgewalt der Ethne überall f ü r die gesamte Außenpolitik allein zuständig war und daß in diesem Bereich die Gemeinden grundsätzlich der Zentralgewalt untergeordnet waren. Diese vertrat das Ethnos nach außen; sie entsandte und empfing Gesandtschaften; sie war befugt, durch den Abschluß von Bündnisverträgen, die Anerkennung der Spondai eines panhellenischen Festes oder die Gewährung des freien Durchmarsches im eigenen Gebiet die Gesamtheit anderen Mächten gegenüber zu verpflichten. Auf der anderen Seite war sie f ü r das Verhalten der Angehörigen des Ethnos verantwortlich, und die anderen Mächte erwarteten von ihr Strafmaßnahmen gegen diejenigen, die sich an die Verträge nicht hielten: nachdem im J . 367 Leute aus der ätolischen Stadt Trichonion die Spondophoren von Eleusis gefangengenommen hatten, wandten sich die Athener nicht an die Stadt selbst, sondern an die ätolische Regierung, weil diese die Spondai von Eleusis anerkannt hatte und daher dafür zu sorgen hatte, daß ihr Beschluß von den Angehörigen des Ethnos beachtet werde®. Es ist allgemein festzustellen, daß die ausländischen Mächte nicht mit den einzelnen Gemeinden der Ethne verhandelten (es sei denn, sie wollten diese zum Abfall vom Ethnos bringen, was auf einem anderen Blatt steht), sondern immer und allein mit der Zentralgewalt. Wieweit im übrigen diese in die internen Angelegenheiten der Gemeinden eingreifen durfte, ob und inwiefern andererseits die Gemeinden vor Eingriffen der Zentralgewalt durch die Verfassung geschützt waren, wissen wir nicht. « Siehe oben 61 f.
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Den Tatbestand kann man so zusammenfassen, daß die Ethne nicht erst in der hellenistischen Zeit, sondern seit dem Augenblick, wo sie uns zuerst begegnen, politische Verbände gebildet haben. Diese Verbände weisen Merkmale auf, denen man sonst nur bei Staaten begegnet : in ihren Beziehungen mit den anderen Mächten verhalten sie sich, wie es normalerweise Staaten t u n ; die Organisation und die Befugnisse ihrer Zentralgewalt sind, soweit sie uns bekannt sind, die Organisation und die Befugnisse, welche die Regierung eines Staates charakterisieren. Dessen ungeachtet wird in der Forschung immer wieder behauptet, daß in der ältesten Zeit die Ethne nicht mehr als lose Stammesverbände gewesen seien und erst im Laufe des 4. Jh.s durch eine mit der Einführung eines gemeinsamen Bürgerrechts verknüpfte Neugestaltung ihres Verbandes die straffe Organisation erhielten, die sie in der hellenistischen Zeit besessen haben. Dabei wird allen Fakten, die diese Ansicht zu bestätigen scheinen, die größte Bedeutung beigemessen, während umgekehrt die Tatsache, daß diese Ethne nach außen immer geschlossen handeln, systematisch und nicht selten willkürlich unterbewertet wird. So hat man ζ. B. immer geglaubt, daß die Ätoler (S. 60fF.); obwohl sie von Anfang an geschlossen gehandelt hatten, erst gegen Ende des 4. Jh.s eine feste Organisation erhielten. Man stützte sich dabei auf die Tatsache, daß im J . 335 die Ätoler zu König Alexander eine Gesandtschaft κατά έθνη entsandten. Als dann die Entdeckung einer athenischen Inschrift den eindeutigen Nachweis erbrachte, daß die Ätoler diese „feste Organisation" schon im J . 367 besessen haben und daß man aus der Zusammensetzung der ätolischen Gesandtschaft falsche Schlüsse gezogen hatte, nahm man einfach an, daß die Neugestaltung des ätolischen Verbandes früher stattgefunden haben müsse als bisher vermutet worden war, und man versuchte, diese Neugestaltung nun mit den hegemonialen Bestrebungen Thebens in Zusammenhang zu bringen 7 . Und die Vorgeschichte der anderen Ethne wird nicht anders behandelt: Es ist durch die Quellen reichlich belegt, daß die Achäer, seit sie zum erstenmal in den Quellen erwähnt werden, bis zum Ende des 4. Jh.s einen Verband gebildet haben, der nach außen immer geschlossen handelte (S. 53ff.). Dennoch wird behauptet, daß am Ende des 5. Jh.s dieser Verband „keineswegs straff organisiert w a r " 8 und daß es wohl der Peloponnesische Krieg gewesen sei, „der den Achäern die Notwendig7 8
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Vgl. oben 61. Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 371.
keit einer Zusammenfassung ihrer K r ä f t e nahelegte" 9 . Das Argument, worauf m a n sich dabei stützt, ist die Tatsache, daß im J . 419 die S t a d t P a t r a i f ü r kurze Zeit im Besitz der Athener war. Liest m a n bei Thukydides, daß die Akarnanen nicht zu Hilfe kamen, als im J . 429 ihre H a u p t s t a d t Stratos von den Lakedaimoniern angegriffen wurde, so versteht m a n diese Nachricht als Beweis d a f ü r , daß „der Zusammenhalt in der akarnanischen Föderation noch immer nicht stark w a r " 1 0 u n d übersieht, d a ß nach außen die Akarnanen sonst immer geschlossen handeln u n d daß in diesem besonderen Falle die Intervention der Akarnanen nach Thukydides' ausdrücklichem Zeugnis n u r aus strategischen Gründen unterblieb, von den Akarnanen aber beabsichtigt war (sie ließen den athenischen Feldherrn Phormion u m Hilfe bitten). W e n n derselbe Thukydides in seinem Bericht über die militärische Hilfe, welche die Thessaler auf Grund eines alten Vertrages mit Athen im J . 431 den Athenern leisteten, die N a m e n der beteiligten Städte a n f ü h r t u n d hinzufügt, daß die einzelnen S t ä d t e eigene F ü h r e r h a t t e n 1 1 , e n t n i m m t m a n aus diesem Bericht, daß die Hilfssendung zwar „gemäß der alten Bündnisse zwischen den Athenern und den Thessalern", aber dennoch „nicht auf gemeinsamen Beschluß des S t a m m b u n d e s " 1 2 erfolgte. Sogar vom boiotischen B u n d des 5. Jh.s, welcher doch einen Grad a n Organisation u n d Zentralisierung erreicht h a t t e , den viele Staaten dieser Zeit beneiden konnten, wird b e h a u p t e t , er sei kein Staat, sondern ein S t a a t e n b u n d gewesen, u n d zwar mit dem ganz unbegründeten Argument, daß ihm ein gemeinsames Bürgerrecht gefehlt habe 1 3 . Man k a n n sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die herrschende Meinung über die E n t s t e h u n g der bundesstaatlichen Sympolitien weniger auf einer sachlichen Analyse der Quellen begründet ist als auf der festen Überzeugimg, d a ß es nicht anders gewesen sein kann. U n d es ist nicht schwer zu erraten, wo diese Überzeugung wurzelt: Die Forschung geht offenkundig von der Tatsache aus, daß die Mitglieder der bundesstaatlichen Sympolitien Poleis hießen, daß sie ein eigenes Bürgerrecht h a t t e n und eine gewisse Autonomie genossen. Aus diesen Eigenschaften e n t n i m m t sie, daß die Mitglieder der bundesstaatlichen Sympolitien f r ü h e r einmal selbständige Gemeinwesen ge9 10 11 12 13
Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 372. Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 297. Thuc. 2,22,3; vgl. oben 65 Anm. 12. Busolt-Swoboda, Griechische Staatskunde 1480. Vgl. oben 49.
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wesen sein müssen, die vom berühmten Partikularismus der griechischen Poleis auch angesteckt wurden und jeder Einschränkung ihrer Autonomie durch die Zentralgewalt des Ethnos nach Möglichkeit widerstrebten, bis die dauernden Kriege des 5. und des 4. Jh.s sie die Notwendigkeit eines Zusammenschlusses erkennen ließen. Es gilt als selbstverständliche Voraussetzung, daß der Name „Polis" und die damit verbundenen Merkmale nur als Überbleibsel der ehemaligen Souveränität verstanden werden können. Daher betrachtet man die bundesstaatlichen Sympolitien als Bundesstaaten im vollen Sinne des Wortes, d.h. als Staaten, die aus dem Zusammenschluß einer Mehrzahl von Staaten entstanden sind. Daher will man um jeden Preis die Ethne der älteren Zeit als lose Stammesverbände sehen. Ist nun diese Auffassung der bundesstaatlichen Sympolitie richtig? Ist der Status ihrer Mitglieder mit der Rechtsstellung der Gliedstaaten eines Bundesstaates wirklich vergleichbar? Diese Frage ist noch nie gestellt worden; aber nachdem wir im ersten Kapitel festgestellt haben, daß die Begriffe κοινόν und συμπολιτεία nicht die spezifische Bedeutung haben, die man ihnen zugeschrieben hatte, nachdem sich ferner erwiesen hat, daß die Vorgeschichte der einzelnen bundesstaatlichen Sympolitien der herrschenden Ansicht über ihre Entstehung eindeutig widerspricht, sind gewisse Zweifel nicht ganz unberechtigt. Die Untersuchung f ü h r t uns zu dem Punkt, wo man hätte anfangen sollen, nämlich: Was ist eigentlich die bundesstaatliche Sympolitie? Zunächst ist noch nie berücksichtigt worden, daß die Städte Makedoniens in der hellenistischen Zeit die Eigenschaften, die die Mitglieder der bundesstaatlichen Sympolitien charakterisieren, ebenfalls aufweisen 14 . Wie wir aus den Inschriften erfahren, haben sie offiziell auch Poleis geheißen 15 ; sie hatten eigene Magistrate 16 und eigene beschließende Organe 17 . Sie konnten wie die Mitglieder der 31 Diese Ähnlichkeit ist zwar K. J. Beloch, GG IV 2 1, 397 und F.W. Walbank, Philip V 7 Anm. 4 aufgefallen, aber sie haben daraus keine Konsequenzen gezogen. 15 Vgl. IG X I 4,1053, Ζ. 1 (Thessalonike); R. Herzog-G. Klaffenbach, Asylieurkunden aus Kos, Abh. d. Dtsch. Ak. Berl. 1952, Abh. 1, Nr. 6, Ζ. 5 (Kassandreia); Asylieurkunden aus Kos, Nr. 6, Z. 27 (Amphipolis); Nr. 6, Z. 41 (Philippi); Nr. 7, Z. 9 (Pella). 16 Strategoi, Nomophylakes und Tamias in Kassandreia (Asylieurkunden aus Kos, Nr. 6, Z. 2 und 16); Priester und Archonten in Amphipolis (a.a.O. Z. 20 und 32); Strategoi, Archon und Tamias in Philippi (a.a.O. Z. 49 und 51 ff.); Priester und Tamiai in Pella (Asylieurkunden aus Kos, Nr. 7, Z. 2 und 14). 17 βουλή und έκκλησία sind bezeugt in Thessaloniki (IG X I 4,1053, Z. 5 f. und 25); in Kassandreia ist nur die βουλή (Asylieurkunden aus Kos, Nr. 6, Z. 8), in Amphipolis und Philippi nur die έκκλησία bezeugt (a.a.O. Z. 22f. und36).
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bundesstaatlichen Sympolitien Ehrungen erteilen 18 und sich an den panhellenischen Spielen beteiligen1β. Dementsprechend war es üblich, bei den Makedonen wie bei den Angehörigen der bundesstaatlichen Sympolitien dem Ethnikon die Angabe der Heimatstadt beizufügen 20 . Von außen läßt sich damit die Rechtsstellung einer makedonischen Stadt von dem Status der Mitglieder einer bundesstaatlichen Sympolitie nicht unterscheiden. Makedonien war aber keine bundesstaatliche Sympolitie. Die Makedonen standen in historischer Zeit bis zu ihrer Unterwerfung durch die Römer im J. 168 unter Königen, deren Herrschaft gerade in der hellenistischen Zeit, unter den Antigoniden, fast uneingeschränkt gewesen zu sein scheint. Zwar war der König der Makedonen, anders als die Könige von Syrien und Ägypten, kein orientalischer Dynast, der über eine unterjochte Bevölkerung mit Hilfe von Söldnertruppen gebot: denn es waren die Makedonen selbst, die ihm im Krieg folgten und die Grundlage seiner Macht bildeten 21 . Daher mußte der makedonische König die Anliegen seiner Untertanen anhören und ihre Wünsche berücksichtigen 22 . Aber die Staatsgewalt lag beim König allein, und die Makedonen hatten keine legalen Mittel, ihm Weisungen zu geben oder ihn zur Rechenschaft zu ziehen. Selbst das Recht, beim Thronwechsel den neuen König zu wählen oder jedenfalls zu bestätigen und die gerichtliche Hoheit bei Prozessen um Leben und Tod, die nach übereinstimmender Auffassung der Forschung von alters her der makedonischen Heeresversammlung zustanden 23 , 18 Vgl. die Inschrift IG X I 4,1053, die einen Ehrenbeschluß der Stadt Thessaloniki für die Delier enthält. Daß die Stadt damals makedonisch war, geht daraus hervor, daß der Antrag v o m Hypepistates und von den Dikastai gestellt worden ist. Diese sind nämlich keine städtischen Magistrate, sondern v o m König eingesetzte Funktionäre (vgl. unten 79). 19 Vgl. die Anerkennung der Asklepieia von Kos durch die makedonischen Städte Kassandreia, Amphipolis, Philippi und Pella (Asylieurkunden aus Kos, Nr. 6 und 7; aus dem Sommer 242). Vgl. ferner die Reihe von makedonischen Städten in der Thearodokenliste von Delphi aus dem Ende des 3. Jh.s (BCH 45, 1921, 4ff., col. III, Z. 51ff.). 20 Vgl. z . B . IG I X 2 1,17, Z. 71: Μακεδών έκ Πέλλης; IG IV 2 1,97, Ζ. 29: Μακεδών έξ Άμφιπόλεως; IG X I I 9,1187, Ζ. 30; Μακεδών έξ Αίγέων. 21 Mit Recht hervorgehoben von Η. Bengtson, Die Strategie in der hellenistischen Zeit I I 321 f. 22 Vgl. bei Plut. Dem. 4 2 , 7 - 8 die Anekdote der alten Frau, die vom König Demetrios abgewiesen wurde; s. femer Pol. 5,27,6, der auf die Ισηγορία, die die Makedonen ihren Königen gegenüber genossen, hinweist. 23 Das Material über die makedonische Heeresversammlung ist zusammengestellt bei F. Granier, Die makedonische Heeresversammlung. Ein Beitrag zum antiken Staatsrecht, München 1931. Granier verficht in dieser Arbeit die in der Forschung allgemein angenommene Ansicht, daß die Versammlung des
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wurden in der hellenistischen Zeit kaum noch beachtet: faktisch war die makedonische Monarchie ein Erbkönigtum geworden, das die gesamte Staatsgewalt ausübte, ohne daß die Makedonen irgendwie eingreifen konnten24. Es war der König, der über Krieg und Frieden beschloß, die besiegten Völker und Städte nach seinem Belieben behandelte und die gewonnene Beute verteilte25. Er erhob Steuern und Zölle26, deren Erträge neben anderen Einkünften in die königliche Kasse flössen. Diese verwaltete er wie seine Privatkasse. Seine Erlasse hatten Gesetzeskraft, und er war die gerichtliche Instanz, die über Nichtachter zu befinden hatte27. M. a. W.: alle Entscheidungen, die in den bundesstaatlichen Sympolitien und den souveränen Poleis der Volksversammlung und den von ihr gewählten Magistraten oblagen, wurden in Makedonien vom König oder von seinen Funktionären getroffen. makedonischen Heeres die grundsätzliche Befugnis hatte, den König zu wählen oder jedenfalls den Thronnachfolger durch Akklamation zu bestätigen u n d daß sie bei Hochverratsprozessen als höchste Instanz zu entscheiden h a t t e (vgl. W . W . Tarn, Antigonos Gonatas, Oxford 1913, 189 und CAH Y I I 201; H . Berve, Das Alexanderreich auf prosopographischer Grundlage I, München 1926, 208ff.; K . J . Beloch, GG IV 2 1, 379ff.; F . W . Walbank, Philip V 2; A. Aymard, R E A 52, 1950, 115ff. = S t ü d e s d'histoire ancienne, Paris 1967, 143ff.; V. Ehrenberg, Der S t a a t der Griechen 2 191 f.). 24 Es wird in der Forschimg nicht bestritten, daß in der hellenistischen Zeit die Gewalt der Könige tatsächlich uneingeschränkt gewesen zu sein scheint. Vgl. W . W . Tarn, Antigonos Gonatas 189ff.; K . J . Beloch, GG IV 2 1, 382f.; F . Geyer, R E Macedonia (1928) 769f.; V. Ehrenberg, Der Staat der Griechen 2 195f. 25 Vgl. das Material (hauptsächlich aus der Zeit Philipps II.) bei F . Hampl, Der König der Makedonen, Diss. Leipzig 1934. Falsch ist aber die Folgerung von Hampl, daß der König nicht als Staatsoberhaupt der Makedonen, sondern als außerordentlich mächtiger P r i v a t m a n n die Außenpolitik betrieb: seine absolute Gewalt nach außen war das Gegenstück seiner Stellung nach innen. (Diese These ist in der Forschung auch mit vollem R e c h t abgelehnt worden. Vgl. W . S . Ferguson, Gnomon 11, 1935, 518ff.; A. Momigliano, Athenaeum 13, 1935, 3ff.; F . Wüst, Gnomon 14, 1938, 376ff.; V. Ehrenberg, Von den Grundformen griechischer Staatsordnung, Sitz. Ber. d. Heid. Ak. d. Wiss., phil-hist. Kl. 1963, Abh. 3, 28f. = Polis u n d Imperium 122f.; A. Aymard, Etudes d'histoire ancienne 100 Anm. 1 [anders allerdings F . Gschnitzer, Gemeinde u n d Herrschaft 19ff.].) 26 Vgl. Liv. 45,18,7. Siehe ferner den Erlaß des Königs Kassandros Syll. 3 332, wodurch einem gewissen Perdikkas neben anderen Rechten die Atelie, d . h . die Steuerfreiheit gewährt wird. Als Perseus seinem Vater Philipp V. auf den Thron folgte, tilgte er alle Schulden a n die königliche Kasse (Pol. 25,3,3). 27 Vgl. z . B . das in Chalkis entdeckte Diagramma des Königs Philipp V. (IG X I I Suppl. 644), in dem bestimmt wird, daß die Nichtachter des Diagramma die Strafe erhalten sollen, die der König bestimmt (Z. 32f.: έλεγχ-9-έντες παθέτωσαν, δτι αν αυτών 6 βασιλεύς καταγνώι). 78
Dementsprechend war die Stellung der makedonischen Städte. Sie standen unter einem königlichen Statthalter, dem επιστάτης28, der zusammen mit den königlichen Richtern (δικασταί)29 das gesamte politische Leben beaufsichtigte. Der Epistates überreichte der ihm unterstehenden Stadt die Weisungen des Königs (διαγράμματα); er hatte für ihre Beachtung zu sorgen; er kontrollierte die Verwaltung der städtischen Finanzen und versicherte sich, daß die Stadt keine unzulässige Beschlüsse faßte 30 . Durch den Epistates und die Dikastai hing die makedonische Stadt vollkommen vom König ab und hatte nur so viel Autonomie, wie es dem König paßte. Man fragt sich, wie die Bezeichnung der makedonischen Städte als Poleis und ihre Beteiligung an den panhellenischen Spielen sich mit 28 Die zahlreichen Belege über die makedonischen Epistatai sind gesammelt bei M. Holleaux, E t u d e s I I I 216ff. und H . Bengtson, Die Strategie in der hellenistischen Zeit I I 324 ff. 29 Vgl. den von S. Pelekides, 'Από τήν Πολιτεία και τήν Κοινωνία της αρχαίας Θεσσαλονίκης, Thessaloniki 1934, 5ff. veröffentlichten Brief des Epistates Andronikos an die S t a d t Thessaloniki (auch bei C.B. Welles, A J A 42, 1938, 249f. abgedruckt) Z. 23f., wo Epistates u n d Dikastai nebeneinander erwähnt werden. I n I G X I 4,1053, Z. 10 m u ß danach s t a t t Α[ΡΜΟ]ΣΤΑΙ Δ[ΙΚΑ]ΣΤΑΙ gelesen werden (so richtig S. Pelekides, a . a . O . 17). 30 Die Rechtsstellung der makedonischen Städte erhellt a m deutlichsten aus dem schon erwähnten Brief des Andronikos (vgl. vorige Anm.). I n diesem Brief bringt Andronikos der Stadt Thessaloniki einen Ausschnitt aus einem Erlaß (διάγραμμα) des Königs Philipp V. zur Kenntnis, in dem die Tempelschätze des Sarapis für unantastbar erklärt werden (Z. 11 ff.). Es wird verboten, ein ψήφισμα zur Entwendimg dieser Schätze vorzuschlagen (μηδέ γραφέτω περί τούτων ψήφισμα μηθείς), und wer sich an dieses Verbot nicht hält, m u ß bestraft werden. Die Kasse des Heiligtums darf nur in Anwesenheit des επιστάτης u n d der δικασταί geöffnet werden, u n d die dort befindlichen Gelder sollen nur mit ihrer Zustimmung (μετά της τούτων γνώμης) ausgegeben werden. — Ebenso deutlich k o m m t das Abhängigkeitsverhältnis der makedonischen Städte im Ehrendekret der Stadt Thessaloniki f ü r die Delier zum Ausdruck (IG X I 4 , 1 0 5 3 ) : der Antrag wird nämlich vom königlichen ύπεπιστάτης u n d von den δικασταί gestellt (vgl. dazu die Bemerkungen von M. Holleaux, Etudes I 269). — Man darf sich auch nicht von den Asyliedekreten der makedonischen Städte Kassandreia, Amphipolis, Philippi und Pella f ü r Kos (Asylieurkunden aus Kos, Nr. 6 u n d 7) täuschen lassen: wie sich Aigeira auf achäische Gesetze beruft, die alle Achäer ohnehin verpflichten, das koische Heiligtum zu respektieren (s. oben 39 Anm. 32), weisen die makedonischen Städte auf eine ausdrückliche Willensäußerung des Königs Antigonos hin, wonach das Asklepios-Heiligtum in Kos unantastbar sein soll (vgl. Nr. 6, Z. 9f.: είναι το ιερόν τοϋ 'Ασκληπιού όίσυλον κατά την τοϋ βασιλέως βούλησιν; Nr. 6, Ζ. 30f.: είναι δέ και τό ιερόν όίσυλον, καθάπερ καΐ ό βασιλεύς 'Αντίγονος προαιρείται; letztere Formel begegnet auch in Nr. 6, Z. 47f.). D . h . : der König Antigonos h a t t e den Koern die Asylie ihres Heiligtums gewährt. U n d dies bedeutet, daß die makedonischen Städte ohnehin zur Nachachtung dieser Entscheidung des Königs verpflichtet waren (dies haben H . Bengtson, Historia 3, 1955, 462f. u n d A. Heuß, Stadt und Herrscher des Hellenismus, Nachdruck 1963, 280f. verkannt).
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ihrem Abhängigkeitsverhältnis zum König vertragen können. Auf dieses Rätsel weiß die Forschung keine befriedigende Antwort zu geben. Zwar wird wohl mit Recht angenommen, daß das makedonische Reich in eine Anzahl von Verwaltungsbezirken geteilt war und daß die Städte Mittelpunkt dieser Bezirke waren 31 . Man wird nicht irregehen in der Vermutung, daß in der hellenistischen Zeit das makedonische Land allmählich hellenisiert wurde und daß diese Hellenisierung eine Entwicklung der makedonischen Städte und eine Anpassung ihrer Organisationsformen mit sich brachte 32 . Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Bezirk Voraussetzung für den Besitz des makedonischen Bürgerrechts gewesen ist 33 . Alle diese Hypothesen ändern aber nichts an der Tatsache, daß die Autonomie der Städte Makedoniens prekär war, daß der König sie nach seinem freien Ermessen erweitern oder einschränken konnte. Die makedonischen Städte waren keine gleichberechtigten Mitglieder eines bundesstaatlich organisierten Staates, sondern die Subjekte des Königs. Sie waren keine Gliedstaaten: sie waren unselbständige Kommunen 34 . Etwas stimmt also nicht: Daß die makedonischen Städte die Merkmale der bundesstaatlichen Sympolitie aufweisen, obwohl ihre Rechtsstellung mit dem Status der Mitglieder eines Bundesstaates unter keinen Umständen vergleichbar ist, zeigt ganz eindeutig, daß man das Wesen der bundesstaatlichen Sympolitie nicht richtig erfaßt hat. Man hat den Fehler begangen, alles, was über die Mitglieder der bundesstaatlichen Sympolitien, über ihre Organisation, über ihre Autonomie, über ihr Verhältnis zur Zentralgewalt des Ethnos und ihre Beziehung zu der Außenwelt bekannt ist, einfach zusammenzustellen, ohne sich zu fragen, inwieweit die festgestellten Erscheinungen wirklich den Mitgliedern von bundesstaatlich organisierten Staaten eigentümlich sind. Man hat keinen Unterschied gemacht zwischen den Merkmalen, die nur bei den Mitgliedern der bundesstaatlichen Sympolitien begegnen und denjenigen, die auch bei den Dorfgemeinden einer Polis vor31 Vgl. K . J . Beloch, GG IV 2 1, 397; F. Geyer, Makedonien bis zur Thronbesteigung Philipps II., München und Berlin 1930, 101 ff.; H. Bengtson, Die Strategie II 322 ff. 32 Vgl. W.W. Tarn, Antigonos Gonatas 183; A. Heuß, Stadt und Herrscher des Hellenismus, Nachdruck 1963, 280. 33 So K . J . Beloch, GG IV 2 1, 397. 34 Vgl. F. Hampl, Der König der Makedonen 78 ff.; H. Bengtson, Historie 3, 1955, 462f. A. Heuß a.a.O. beurteilt den makedonischen Staat ganz richtig als „stadtfeindlich".
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handen sind. Aus diesem Grund ist übersehen worden, daß es keineswegs ein Privileg der Mitglieder von bundesstaatlichen Sympolitien war, eine kommunale Organisation zu besitzen und selbständig über die internen Angelegenheiten der Gemeinde beschließen zu können. Wir wissen nämlich, daß die attischen Demen in dieser Hinsicht den achäischen oder ätolischen Städten nicht nachstanden 3 5 . Sie hatten eine Volksversammlung, die als höchste Instanz über die Angelegenheiten des Demos entschied und seine Beamten wählte. Sie hatten ein eigenes Gebiet und eigene Einkünfte. Sie erhoben Steuern und Grundsteuern. Sie verwalteten ihr Geld nach ihrem Belieben, verwendeten es f ü r Feste (sie hatten eigene Festkalender), f ü r Opfer oder f ü r Ehrungen. Sie hatten eigene Heiligtümer und Ländereien, die sie veräußern oder verpachten konnten 3 6 . Selbst die immer wieder hervorgehobene Tatsache, daß in mehreren bundesstaatlichen Sympolitien die Städte bei der Zentralregierung im Verhältnis zu ihrer Bedeutung vertreten waren (s. oben 37), findet in Athen, wo die Kandidaten, aus denen die Bouleuten ausgelost wurden, von den Demen im Verhältnis zu der Zahl ihrer Angehörigen bestimmt wurden 3 7 , ihre Parallele. Diese Ähnlichkeiten sind aber noch nicht das Wichtigste: das Entscheidende ist, daß das sog. „doppelte Bürgerrecht", das allgemein als die rechtliche Grundlage der bundesstaatlichen Sympolitie aufgefaßt wird (s. oben 10), in Wirklichkeit bei allen Poleis der griechischen Welt begegnet: wie bei den Bünden „jeder 35 Uber die attischen Demen sind grundlegend B. Haussoullier, La vie municipale en Attique, Paris 1884; V. v. Sehoeffer, R E Δήμοι (1903); BusoltSwoboda, Griechische Staatskunde 964ff. — Auch über die Selbstverwaltung der rhodischen Gemeinden liegt ein reiches Material vor, aus dem wir ähnliche Verhältnisse wie in Attika feststellen können. Vgl. etwa Syll. 3 338 (Ialysos); Syll. 3 340 (Lindos); Syll. 3 339 und Tituli Camirenses (Annuario della Scuola Archeologica die Atene X X V I I - X X I X , N.S. X I - X I I I [1949-1951] 141 ff.) 239f. Nr. 110 (Kamiros). 36 Daß in einer bundesstaatlichen Sympolitie eine Stadt Eigentümer eines Heiligtums sein und die damit verbundenen Rechte und Pflichten an den Bund durch einen Vertrag veräußern kann, wie es für die akarnanische Stadt Anaktorion bezeugt ist (IG I X 2 1,2,583), kann also nicht als „kapitales Zeugnis für die innerstaatlichen juristischen Beziehungen der Bundesgewalt zu einem Mitglied" (so Ch. Habicht, Hermes 85, 1957, 111) verstanden werden: ein derartiger Vertrag zwischen Athen und einem seiner Demen wäre durchaus denkbar (als Parallele zum Vertrag der Akarnanen mit Anaktorion kann man die koische Inschrift Paton-Hicks, The Inscriptions of Cos, Oxford 1891, Nr. 383, Ζ. 7ff. anführen, aus der hervorgeht, daß die Stadt Kos von einem ihrer Demen ein Darlehen erhalten und an ihn das Geld in Raten zurückbezahlt hatte). 37 Vgl. Busolt-Swoboda, Griechische Staatskunde 882 m. Anm. 4; C. Hignett, A History of the Athenian Constitution 150; J.A.O. Larsen, CIPh 57, 1962, 104ff.
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Vollbürger sowohl Bürger des Bundes als seiner Stadt war" 38 , so war auch der athenische Bürger zugleich Bürger eines Demos. Denn in Athen war die Zugehörigkeit zu einem Demos Voraussetzung des athenischen Bürgerrechts; sie war erblich; die Aufnahme der jungen Athener in den Demos ihres Vaters, ihre Eintragung in die Register des Demos und damit ihre Aufnahme in die athenische Bürgerschaft erfolgten durch einen Beschluß der Demotenversammlung, nachdem sie überprüft hatte, ob der Kandidat allen Bedingungen genügte 39 . Folgerichtig wird dem Namen eines athenischen Bürgers auf attischen Urkunden und auf Grabstelen regelmäßig sein Demotikon beigefügt 40 . Und in den anderen Poleis der griechischen Welt war es nicht anders: in Argos41, in Histiaia-Oreos 42 , in Demetrias 43 u.a. pflegte man dem Namen eines Magistrats oder eines privaten Bürgers beizufügen, aus welchem Demos bzw. Kome er stammte. Genauso wie auf ätolischen oder achäischen Urkunden dem Namen eines Magistrats oder eines privaten Bürgers beigefügt wird, ob er ein Καλλιεύς, ein Ναυπάκτιος oder ein Βούριος ist (s. oben 36f.). Der Vergleich läßt keinen Zweifel zu: es ist nicht der innere Aufbau, es ist nicht die Rechtsstellung der Mitglieder der Zentralgewalt gegenüber, die eine bundesstaatliche Sympolitie von einer Polis unterscheiden. Der ganze Unterschied besteht in der Beziehung zur Außenwelt. Es ist die Tatsache, daß der Angehörige einer bundesstaatlichen Sympolitie und der Makedone die Angabe ihrer Heimatstadt auch im Ausland dem Ethnikon beifügen, während der Bürger einer Polis sein Demotikon nur in seiner Heimat führt; es ist die Fähigkeit der Mit38
So H. Swoboda, Zwei Kapitel 3. Vgl. außer den schon genannten Werken C. Hignett, A History of the Athenian Constitution 64 und 136f.; Chr. Pelekides, Histoire de l'ephebie attique, Paris 1962, 87ff. 40 Es gibt zahllose Belege. Man vgl. z.B. IG II 2 844, Z. 2f., wo der Antragsteller als Οίναΐος angeführt ist; IG II 2 483, Ζ. Ii f., wo der Antragsteller ein Mann aus Eleusis ist (Ελευσίνιος); die Grabstelen IG II/III 2 5788 (Άχαρνεύς) und 6577 (Κυδαθηναιεύς). 41 Vgl. Schwyzer 91, Z. 4 und 32 (Bürger aus den Komen Mases und Asine); BCH 82,1958, 7, Z. 3 (aus den Komen Lyrkeion und Zarax); Mnemosyne 43, 1915, 372f., Z. D 10 (aus Hysea). 42 Vgl. IG X I I 9,1187, Z. Iff.: der erste eponyme Archon stammt έκ Πρωτείου, der zweite ist ein Είλυμνιεύς, der dritte ein Διεύς, der vierte kommt aus "Ανω Λόφος, der fünfte aus Ίριστος, und der sechste ist ein Είριεύς. 43 Vgl. ζ. B. IG I X 2,1109,1 Z. 2 (Όμολιεύς); Ζ. 4 (Παγασίτης); Ζ. 6 (Ίώλκιος); J. et L. Robert, Bull. ep. 1960, 194, wo ein Θεσσαλός Φιλίσκου Γλαφυρεύς vorkommt. Diese Demotika entsprechen den Gemeinden, aus deren Zusammenschluß die Stadt Demetrias gegründet wurde (vgl. F. Stählin, E. Meyer, A. Heidner, Pagasai und Demetrias, Berlin-Leipzig 1934, 181-183). 39
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glieder, im Gegensatz zu den Dorfgemeinden einer Polis mit den ausländischen Mächten zu verkehren (soweit die gemeinsamen Interessen des Ethnos nicht berührt sind und eine Genehmigung der Zentralgewalt vorliegt); es ist ihr Recht, sich an den panhellenischen Festen durch eine eigene Gesandtschaft vertreten zu lassen; kurz, es ist die internationale Existenz der Städte, die das eigentlich Besondere an den bundesstaatlichen Sympolitien darstellt. Man könnte meinen, an der internationalen Persönlichkeit der Mitglieder der bundesstaatlichen Sympolitien erkenne man eben, daß sie Staaten waren und von außen als solche anerkannt wurden; dies sei doch der Beweis, daß die bundesstaatlichen Sympolitien den modernen Bundesstaaten vergleichbare Gebilde gewesen sind, wie man es immer angenommen hat. Die Folgerung wäre richtig, wenn die internationale Existenz der Mitglieder das kennzeichnende Merkmal der Bundesstaaten überhaupt wäre. Dies ist aber keineswegs der Fall: die Gliedstaaten von modernen Bundesstaaten, wie etwa die Schweizer Kantone oder die Länder der Bundesrepublik Deutschland, verkehren mit dem Ausland nicht oder nur in außerordentlich seltenen Ausnahmefällen 44 . Sie beteiligen sich nicht durch eigene Gesandtschaften an den Olympischen Spielen und ähnlichen Veranstaltungen. Sie haben keine eigene Vertretung bei internationalen Organisationen. Es ist auch nicht üblich, den Namen der Angehörigen eines Bundesstaates im Ausland beizufügen, aus welchem Gliedstaat sie stammen. Die Mitglieder eines modernen Bundesstaates sind Staaten der eigenen Zentralgewalt gegenüber; die bundesstaatliche Verfassung garantiert ihnen die staatliche Hoheit in bestimmten Angelegenheiten, die dadurch der Zentralgewalt entzogen sind 45 . Aber nach außen spielt die Staatlichkeit der Mitglieder keine Rolle. Von außen lassen sich moderne Bundesstaaten von einem Einheitsstaat nicht unterscheiden 46 . Das heißt: die internationale Existenz der Mitglieder, die das eigentliche Merkmal der bundes44 Dies bedeutet nicht, daß die Gliedstaaten moderner Bundesstaaten mit fremden Mächten überhaupt nicht verkehren können (die Verfassung einzelner Bundesstaaten, wie z.B. des Deutschen Reiches von 1871 und der Schweizerischen Eidgenossenschaft, gewährt den Bundesgliedern eine gewisse, wenn auch sehr beschränkte internationale Handlungsfähigkeit). Aber in der Praxis ist die internationale Existenz der Gliedstaaten der modernen Bundesstaaten außerordentlich gering und steht in keinem Verhältnis zu der internationalen Existenz der Mitgliedsgemeinden der griechischen Bünde. 45 Siehe unten 89 Anm. 56. 46 Vgl. W. Vischer, Kl. Sehr. I 546: „Nach außen erscheint der Bundesstaat als einziger Staat, nach innen als eine Mehrheit von einzelnen Staaten."
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staatlichen Sympolitie darstellt, hat mit dem, was man in der modernen Staatslehre unter bundesstaatlichen Verfassungen versteht, überhaupt nichts zu tun. Die bundesstaatliche Sympolitie ist ein Phänomen für sich, eine Erscheinimg sui generis, die der griechischen Welt eigentümlich und nur aus der Eigenart derselben zu verstehen ist. Von der modernen Welt unterscheidet sich die griechische ganz wesentlich darin, daß die Griechen trotz ihrer Zersplitterung in eine Unzahl von Staaten ein einheitliches Volk bildeten. Sie standen dauernd im Krieg gegeneinander, aber sie hatten das klare Bewußtsein, daß sie miteinander verwandt und an einem gemeinsamen historischen Schicksal beteiligt waren. Sie hatten eine gemeinsame Sprache und eine gemeinsame Kultur. Sie ehrten dieselben Götter. Sie hatten dieselben Bräuche und Sitten, dieselbe Vorstellung von dem, was rechtens und was unrechtens ist. Die Hellenen waren eine Nation, sie bildeten eine homogene Gesellschaft, die sich durch ihre geistigen Eigenschaften, ihre sittlichen und religiösen Anschauungen in starkem Gegensatz zu ihrer Umwelt fühlte 47 . Die Homogenität des griechischen Volkes schlägt sich nieder in dem außerordentlich dichten Netz von Verbindungen verschiedenster Art, die zwischen den Griechen über die Staatsgrenzen hinaus bestanden. Zum Teil waren es persönliche Beziehungen, die einzelne Personen oder einzelne Familien, sei es durch Heirat oder durch Gastfreundschaft, miteinander verbanden. Aber das eigentliche Subjekt der gesellschaftlichen Beziehungen war seit der klassischen Zeit (in der archaischen Zeit scheint es anders gewesen zu sein) nicht der einzelne, sondern die Lebensgemeinschaft, die Polis. An den panhellenischen Spielen, die den Höhepunkt der gesellschaftlichen Beziehungen der Hellenen darstellten 48 , war nicht der Hellene als Individium beteiligt, sondern es war die Polis, die als hellenische Lebensgemeinschaft aufgefordert wurde, sich dort durch eine Gesandtschaft (θεωρία) vertreten zu lassen und den Göttern ein Opfer zu bringen 49 . Die Athleten, 47
Vgl. Hdt. 8,144,2: τό Έλληνικόν, έον δμαιμόν τε καΐ όμόγλωσσον, και θεών ιδρύματα τε κοινά καΐ θυσίαι ήθεά τε δμότροπα. Über die griechische Nationalität und das Problem ihrer Entstehung sind grundlegend A. Heuß, Die archaische Zeit Griechenlands als geschichtliche Epoche, Antike und Abendland 2, 1946, 26ff. (abgedruckt in: F. Gschnitzer, Zur griechischen Staatskunde, Darmstadt 1969, 36ff.) und H. Schaefer, Das Problem der griechischen Nationalität, in: Probleme der Alten Geschichte, Göttingen 1963, 269ff. 48 Vgl. z.B. Isokr. 4 (Paneg.) 43f. 49 Man vgl. etwa die zahlreichen Beschlüsse für die Leukophryena von Magnesia am Mäander (O. Kern, Die Inschriften von Magnesia am Mäander, Berlin 84
die an den Wettkämpfen teilnahmen, kämpften nicht f ü r sich selbst, sondern f ü r ihre Polis: indem der Sieger nach seiner Heimatstadt aufgerufen wurde und ihr den Siegeskranz, den er gewonnen hatte, widmete, brachte seine Leistung der Polis, aus der er stammte, Ruhm und Ansehen bei den anderen Hellenen, wofür ihm dann seine Polis mit Ehrungen und Privilegien vergalt 50 . Die Rolle der Polis als Partner der gesellschaftlichen Beziehungen erhellt auch aus den zahllosen Ehrenbeschlüssen, die uns aus der ganzen griechischen Welt erhalten sind. Diese Urkunden zeigen, daß die Polis Wohltaten, die einzelnen ihrer Mitglieder erwiesen worden waren, als Zeugnis des Wohlwollens f ü r die ganze Gemeinde empfand und würdigte 51 . Sie machte es sich insbesondere zur Pflicht, Auswärtige, die einzelnen ihrer Mitglieder Gastfreundschaft erwiesen hatten, mit der Proxenie und allen möglichen Privilegien zu ehren. Bezeichnend sind auch die Ehrenbeschlüsse f ü r auswärtige Richter: die Polis, die mit ihrer Rechtsprechung nicht fertig wurde, wandte sich an eine befreundete Polis mit der Bitte, ihr die besten und rechtschaffensten ihrer Bürger zu Hilfe zu entsenden. Diese befreundete Polis bemühte sich, durch die Wahl der fähigsten Männer ihr Wohlwollen zu zeigen, und wenn diese Männer ihre Aufgabe mit Eifer und Gerechtigkeit erfüllt hatten, wurden nicht nur die Richter selbst, sondern auch die Polis, die sie gesandt hatte, f ü r ihre Hilfe mit Ehrungen und Privilegien belohnt. Es scheint geradezu, wenn man die Ehrenbeschlüsse verschiedenster Art in ihrer Gesamtheit betrachtet, daß die griechische Polis die Aufrechterhaltung und Befestigung der Verbindungen mit den anderen Poleis durch Austausch von Wohltaten und Gesinnungserklärungen als ihre wichtigste Aufgabe betrachtete. Viele der griechischen Poleis waren selbständige Staaten. Die Subjekte der gesellschaftlichen Beziehungen waren vielfach zugleich Subjekte des eigentlichen zwischenstaatlichen Verkehrs, so daß gesell1900, Nr. 18ff.): die eingeladenen Gemeinden versprechen, Theoren zu entsenden u n d ein Opfer zu bringen (ζ. B. IvM 35, Z. 24ff.: άποστέλλειν δέ καϊ θεωρούς έμ Μαγνησίαν, οΐτινες συνθυσοϋντι τάν θυσίαν και συναυξησοϋντι τάς τιμάς τδι θεώι). 50 Über dieses f ü r das Verständnis der griechischen Gesellschaft außerordentlich wichtige Phänomen vgl. die Abhandlung von L . R o b e r t , Rev. Phil. 41, 1967, 14ff. 51 Vgl. H . Schaefer, Staatsform und Politik 36: „ D a s Verhältnis zwischen Staat und Bürger, zwischen ίδίγ u n d κοινή, um die griechischen Termini zu gebrauchen, ist ein so nahes gewesen u n d auch so nahe empfunden worden, d a ß persönliche Gefälligkeiten öffentlich von allen anderen Staatsbürgern anerkannt wurden."
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schaftliche und zwischenstaatliche Beziehungen innerhalb der griechischen Welt in der Regel eng miteinander verknüpft waren. Aber gesellschaftliche und zwischenstaatliche Beziehungen sind nicht dasselbe, und sie dürfen nicht miteinander verwechselt werden. Eine griechische Polis, die Ehrungen erteilte oder an panhellenischen Spielen teilnahm, handelte nicht als Staat, der in seiner Eigenschaft als Staat mit anderen Staaten in Verbindung tritt, sondern als hellenische Lebensgemeinschaft, die die mit den anderen Hellenen bestehenden verwandtschaftlichen und gesellschaftlichen Beziehungen aufrechterhalten und befestigen wollte 52 . Diese gesellschaftlichen Beziehungen waren kein zwischenstaatlicher, sondern vielmehr ein „interhellenischer" Verkehr. Diese Abgrenzung zwischen gesellschaftlichen, interhellenischen Beziehungen einerseits und dem eigentlichen zwischenstaatlichen Verkehr andererseits ist deshalb wichtig, weil es in der griechischen Welt Staaten gab, die keine Lebensgemeinschaften, wie sie sich die Hellenen vorstellten, bildeten: und das waren eben die Ethne. Ein Ethnos wie dasjenige der Ätoler oder der Makedonen war ein Staat, es war aber keine hellenische Lebensgemeinschaft. Es war ein Subjekt des Völkerrechts, es war aber kein geeignetes Subjekt der gesellschaftlichen Beziehungen. Der Träger der „interhellenischen" Beziehungen war die städtische Lebensgemeinschaft, die Polis, und das waren die Ethne eben nicht. Städtische Lebensgemeinschaften waren dagegen die Gemeinden, die diesen Ethne angehörten. Nicht die Ethne, sondern ihre Mitgliedsgemeinden waren die geeigneten Partner der gesellschaftlichen Beziehungen der Hellenen untereinander. Zwar waren sie keine selbständigen Staaten; aber im Bereich der Beziehungen, die die Hellenen als Hellenen untereinander pflegten, kam es nicht darauf an, ob der Partner Verträge selbständig schließen konnte, es kam nicht auf die Völkerrechtspersönlichkeit an, sondern es kam darauf an, ob dieser Partner eine hellenische Lebensgemeinschaft war oder nicht. Die pan52
Vgl. H. Schaefer, a.a.O. 37: „Man tut Unrecht, . . . d i e Ehrungen als internationale Verbindung im Sinne des modernen Völkerrechts hinzustellen. Die Beschlüsse bedeuten ursprünglich, selbst dann, wenn es sich um Beschlüsse von τιμαί an ganze Staaten handelt, keine politische Anerkennung des fremden Staates als einer andersartigen politischen Macht, mit der man in Beziehung zu treten wünscht, sie weisen vielmehr von neuem auf die schon mehrfach betonten gemeinsamen Grundlagen jeder griechischen Politik hin, in der auch Staaten, so abgeschlossen sie grundsätzlich auch sein mochten, durch innere Bande miteinander verbunden waren."
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hellenischen Spiele waren nicht das Zusammentreffen der griechischen Staaten, sondern das Zusammentreffen der hellenischen Lebensgemeinschaften, der Poleis 53 . So sind die Mitgliedsgemeinden der Ethne Subjekte des „interhellenischen" Verkehrs gewesen, weil nach Anschauung der Griechen sie und nicht das Ethnos, dem sie angehörten, die „natürlichen" Partner dieses „interhellenischen" Verkehrs waren. Damit erklärt sich von selbst, weshalb die Angehörigen der Ethne ihrem Ethnikon beigefügt haben, aus welcher Gemeinde dieses Ethnos sie stammten. Der Hellene unterschied sich vom Nicht-Hellenen nämlich darin, daß er in einer Polis lebte, daß eine griechische Polis seine Heimat, seine πατρίς war. Zu den Hellenen gehörte derjenige, der Mitglied einer hellenischen Lebensgemeinschaft, einer griechischen Polis war 5 4 . Nun war ein Ethnos wie Ätolien oder Makedonien f ü r seine Angehörigen der Staat, dessen Regierung sie anderen Staaten gegenüber durch Verträge verpflichten konnte, es war aber nicht ihre Lebensgemeinschaft als Hellenen. Das Ethnos war der Staat, dessen Staatsangehörige sie waren, es war aber nicht ihre Heimat, ihre πατρίς. Der Ätoler war als Ätoler nicht Mitglied einer hellenischen Lebensgemeinschaft, er unterschied sich nicht von einem Nicht-Hellenen. Der Angehörige eines Ethnos war dadurch Mitglied der griechischen Gesellschaft, er unterschied sich darin von den Nicht-Hellenen, daß die Mitgliedsgemeinde des Ethnos, aus der er stammte, eine hellenische Lebensgemeinschaft war, die mit den anderen griechischen Poleis durch verwandtschaftliche und gesellschaftliche Beziehungen verbunden war. Die Heimat des Ätolers oder des Achäers war nicht Ätolien oder Achaia, sondern Aigeira oder Trichonion 55 . Man gehörte 53 Vgl. IvM 44, Z. 16ff.: παρεκάλουν re και ωΐοντο δεϊν παραδεξαμένους, κα&ώς καί αί λοιπαί πόλιες αί Έλλανίδες, μετέχει τδς τε θυσίας καί τοϋ άγώνος; Ι ν Μ 61, Ζ. 3 6 f . : τάς χρείας &ς παρέσχηνταα Μαγνήτες πολλαϊς των Ελληνίδων πόλεων. H ä t t e die Stadt Magnesia die griechischen Staaten einladen wollen, hätte sie auf ihre Verbindung m i t anderen griechischen Staaten hinweisen wollen, dann hätten ihre Gesandten die umfassende Formel πόλεις κ αί ο!)νη (s. oben 15 f.) anwenden müssen. Vgl. auch Syll. 3 630, Z.15. 54 Vgl. etwa die Klausel des Sympolitievertrages zwischen Milet und Pidasa, wonach die Frauen der Bürger von Pidasa das Bürgerrecht in Milet erhalten sollten, soweit sie aus Pidasa oder einer anderen hellenischen Polis stammten (IvMilet 149, Ζ. 10ff.: είναι Πιδασεΐς Μιλησίων πολίτας καΐ τέκνα καί γυναίκας, δσαι αν ώσιν φύσει Πιδασίδες ή πόλεως Έλληνίδος πολιτίδες). 55 Vgl. Pol. 8 , 1 2 , 7 : μεταλλάξας τόν βίον ετυχε (sc. Aratos v o n Sikyon) πρεπούσης τιμής καί παρά τι) πατρίδι καί παρά τω κοινω των 'Αχαιών; Paus. 10,2,2: Φιλόμηλος . . . Φωκέων ούδενάς άξιώματι ΰστερος-πατρίς δέ αΰτω Λέδων των έν Φωκεϋσιν ήν πόλεων. Charakteristisch ist auch der Beschluß der Delier für einen Makedonen namens Admetos (IG X I 4,664 und 665). Die Delier wollten nach guter griechischer Gepflogenheit, daß der Kranz, den sie dem Admetos gewidmet
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der griechischen Gesellschaft nicht als Staatsangehöriger des ätolischen oder des achäischen Ethnos an, sondern indem man aus der hellenischen Lebensgemeinschaft Aigeira oder Trichonion stammte. So haben die Angehörigen der Ethne, indem sie ihrem Ethnikon ihre Heimatstadt beigefügt haben, bekanntgegeben, daß sie als Mitglieder einer hellenischen Lebensgemeinschaft zu den Hellenen gehörten. Mit dem Ethnikon gaben sie ihre Staatsangehörigkeit an; indem sie hinzufügten, aus welcher Mitgliedsgemeinde sie stammten, gaben sie bekannt, welche ihre Heimat, ihre πατρίς als Hellenen war. So sind die Merkmale, die die bundesstaatlichen Sympolitien von den Poleis unterscheiden, letzten Endes dadurch bedingt, daß die Ethne keine hellenische Lebensgemeinschaft und daher keine geeigneten Partner der gesellschaftlichen Beziehungen, die die Hellenen untereinander pflegten, waren. Diese Merkmale haben weder mit der Rechtsstellung der Gemeinden der eigenen Zentralgewalt gegenüber noch mit der Völkerrechtspersönlichkeit dieser Gemeinden irgend etwas zu tun. Deshalb begegnen diese Merkmale bei allen Ethne der griechischen Welt, gleichgültig ob sie klein oder groß waren, ob sie eine demokratische Verfassung hatten oder einem König unterstanden. Sie begegnen sowohl bei den Ethne, die wie Aitolien oder Phokis von Anfang an geschlossene Gemeinden gebildet haben und nie aufgelöst wurden, wie auch bei denjenigen, die wie Boiotien und Achaien neu gegründet wurden, nachdem sie eine Zeitlang der politischen Zersplitterung verfallen waren. Die Mitgliedsgemeinden der Ethne sind Subjekte der gesellschaftlichen Beziehungen gewesen, die Angehörigen der Ethne haben ihrem Ethnikon den Namen ihrer Heimatstadt beigefügt, weil es in der griechischen Welt nicht anders sein konnte. Damit stellt sich heraus, daß die Auffassung der Forschung, die bundesstaatlichen Sympolitien seien Bundesstaaten im modernen Sinn des Wortes gewesen, von einer falschen Voraussetzung ausging. Die bundesstaatlichen Sympolitien ließen sich nur dann mit den modernen Bundesstaaten vergleichen, wenn man nachweisen könnte, daß die hatten, und sein Bild in seiner Heimat aufgestellt werden. Dabei war es für sie selbstverständlich, daß die Heimat des Admetos nicht Makedonien war, sondern die Stadt, wo er zu Hause war, nämlich Thessalonike. Deshalb übersandten sie die Abschrift ihres Beschlusses nicht an den König von Makedonien, sondern an die Stadt Thessalonike mit der Bitte, für den Kranz und das Bild den bestmöglichen Ort zur Verfügung zu stellen. Ebenso selbstverständlich war es, daß die Stadt Thessalonike diesem Wunsch entsprach und ihrerseits die Delier für ihr Wohlwollen lobte (IG X I 4, 1053).
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Autonomie, die ihre Mitgliedsgemeinden genossen haben, keine von der Zentralgewalt konzedierten Munizipalrechte waren, sondern ihnen auf Grund ihrer Eigenschaft als Staaten als absolutes, vom Willen der Zentralgewalt unabhängiges Recht zustand. Man müßte eine Teilung der Hoheitsbefugnisse zwischen Zentralgewalt und Mitgliedsgemeinden feststellen können, und zwar eine Teilung, die den Mitgliedsgemeinden im ihnen überlassenen Bereich unantastbare, der Zentralgewalt entzogene Hoheitsrechte zuerkennen würde s e . Was wir aber vom Verhältnis der Zentralgewalt der bundesstaatlichen Sympolitien zu den Mitgliedsgemeinden wissen, vermittelt eindeutig den Eindruck, daß die Obrigkeit der Zentralgewalt den Mitgliedsgemeinden gegenüber überhaupt keine Einschränkung kannte. Die Eingriffe der Zentralgewalt in die Autonomie der Städte sind so häufig und so schwerwiegend, daß man den Schluß ziehen möchte, daß die Mitgliedsgemeinden keine Hoheitsrechte besaßen, oder, wenn ihnen die Verfassung derartige Hoheitsrechte einräumte, daß die Zentralgewalt die Verfassung nicht beachtete. Einige Beispiele werden genügen: im J . 217 wird Aratos durch einen Beschluß der Achäer beauftragt, in Megalopolis die Zwistigkeiten, die dort bestanden, zu beseitigen und Ordnung zu schaffen 57 . Philopoemen ließ von den Achäern mehrere Orte, die zum Gebiet von Megalopolis gehörten, zu selbständigen Mitgliedern erklären, eine Maßnahme, die gegen den Willen der Megalopolitaner getroffen wurde 58 . Bei der Anerkennung der Leukophryena von Magnesia am Mäander bestimmte die akarnanische 56
Es ist hier nicht am Platz, in eine Auseinandersetzung mit den verschiedenen Theorien und Definitionen des Bundesstaates einzutreten (Vgl. etwa aus der neueren Literatur die ausführlichen Abhandlungen von J. Kunz, Die Staatenverbindungen. Handbuch des Völkerrechts II, 2, Stuttgart 1929, 537ff.; M. Usteri, Theorie des Bundesstaates. Ein Beitrag zur Allgemeinen Staatslehre, ausgearbeitet am Beispiel der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Diss. Zürich 1954; J. Harbich, Der Bundesstaat und seine Unantastbarkeil [ = Schriften zum öffentlichen Recht, Bd. 20], Berlin 1965. Ferner R. Thoma, Grundriß der Allgemeinen Staatslehre, Bonn 1948, 38ff.; H. Nawiasky, Allgemeine Staatslehre II, 2, Einsiedeln-Zürich-Köln 1955, 198ff.). Der springende Punkt ist, daß die moderne Staatslehre, wenn sie von dem Bundesstaat spricht, eine genau abgegrenzte Kategorie von Staaten im Auge hat, und zwar die Staaten, deren Verfassung den Bundesgliedern die Eigenschaft als Staaten ausdrücklich zuerkennt und ihnen auf Grund ihrer Eigenschaft als Staaten eine eigene, der Zentralgewalt entzogene Hoheitssphäre einräumt. Enthält die Verfassung eines Staates diese Merkmale nicht, dann wird dieser Staat nicht zu den Bundesstaaten, sondern zu den Einheitsstaaten gerechnet. 57 Pol. 5,93; vgl. oben 30. 58 Plut.Philop. 13,5. H. Swoboda, Klio 12, 1912, 36 versucht dieses Zeugnis zu entkräften, weil er mit vollem Recht einsieht, daß eine solche Maßnahme den stärksten Eingriff in die Verhältnisse einer Mitgliedsgemeinde bedeutete.
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Regierung, daß alle Städte einen Thearodoken wählen müßten, der die Theoren von Magnesia bei der Ankündigung des Festes empfangen würde 59 . Dieselbe akarnanische Regierung räumte in einem Bürgerrechtsdiplom dem neuen Bürger das Recht ein, sich in der Stadt seiner Wahl niederzulassen 60 . I n einem anderen Bürgerrechtsdekret verpflichtete sie die akarnanischen Städte unter Androhung einer Geldstrafe, f ü r die Sicherheit des neuen Bürgers zu sorgen 61 . Die Verpflichtung, einen Thearodoken zu bestimmen, wurde auch von der ätolischen Regierung den ätolischen Städten in der Anerkennung der Nikephoria von Pergamon auferlegt 62 . Und nirgends erfahren wir, daß die Städte gegen diese und ähnliche Eingriffe in ihre Autonomie ein Einspruchsrecht besessen hätten. Nirgends hören wir, daß die Verfassung den Mitgliedsgemeinden einen Schutz gegen die Eingriffe der Zentralgewalt gegeben hätte 6 3 . Die Zentralgewalt der bundesstaatlichen Sympolitien handelt, als ob sie die volle Souveränität besäße, als ob die Autonomie, die die Mitgliedsgemeinden genießen, nicht mehr als eine konzedierte und von der Zentralgewalt jederzeit widerrufliche Munizipalautonomie wäre. Man könnte freilich einwenden, daß dieses argumentum ex silentio noch nichts beweise, daß die Frage, ob die Mitgliedsgemeinden der bundesstaatlichen Sympolitien Staaten mit unantastbaren Hoheitsrechten oder unselbständige Gemeinden wie die attischen Demen gewesen sind, nur dann mit Sicherheit beantwortet werden könnte, wenn wir die Verfassung der bundesstaatlichen Sympolitien genau kennen würden. Daß uns die Quellen von Hoheitsrechten der Mitglieds59
60 IvM 31, Z. 31ff. IG I X 2 1,393; vgl. oben 31. 2 62 IG I X 1,5 7 3 . Syll. 3 639, Z. 23ff. 63 Dabei bringt uns der Umstand, daß der Zweite achäische Bund durch den Zusammenschluß von vier Poleis entstanden ist und daß die Städte, die sich nach und nach diesem Bund anschlossen, durch den Abschluß eines Vertrages aufgenommen wurden (s. oben 33), keine Hilfe: es sind uns nämlich durch Inschriften zahlreiche Verträge bekannt, durch die zwei oder mehrere Poleis sich in einen Einheitsstaat zusammenschlossen, in dem die beteiligten Gemeinden nur noch Munizipalrechte besaßen (die sog. synoikistische Sympolitie). Und was uns v o m Inhalt dieser Verträge mit dem achäischen Bund bekannt ist, beinhaltet keine Garantie der Hoheitsrechte des neuen Mitgliedes, sondern bezieht sich nur auf bestimmte Mißstände, die beim neuen Mitglied zum Zeitpunkt seiner Aufnahme bestanden und von der Zentralgewalt oder unter ihrer Aufsicht beseitigt werden sollten (s. oben a.a.O.). Dies wird von H. Swoboda stillschweigend anerkannt, indem er schreibt (Klio 12, 1912, 20): „Der primäre Akt war die Vereinbarung eines Bündnisses zwischen der Stadt und dem Bunde, das . . . die Festsetzimg der gegenseitigen Rechte und Pflichten und spezieller Verhältnisse enthalten und den Besitzstand sowie die Autonomie der Stadt garantiert haben wird." 61
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gemeinden nichts berichten, daß sie von einer Teilung der Souveränitätsrechte zwischen Zentralgewalt und Mitgliedsgemeinden nichts wissen, fällt jedoch schwer ins Gewicht, wenn man berücksichtigt, daß die wichtigste dieser Quellen, nämlich das Geschichtswerk des Polybios, von einem Mann geschrieben wurde, der der führenden Schicht des achäischen Bundes angehörte und sich in seinem Werk wiederholt bemüht hat, die Vorzüglichkeit der achäischen Verfassung nachzuweisen. Es gibt keinen griechischen Staat außer Athen und Sparta, dessen Verfassung uns so gut bekannt wäre, wie diejenige des achäischen Bundes. Besonders schwerwiegend sind die berühmten Kapitel des 2. Buches, in denen Polybios die Ursachen des erstaunlichen Aufstieges des achäischen Bundes im 3. Jh. untersucht 6 4 . Diesen Erfolg f ü h r t der Geschichtsschreiber auf die achäische Verfassung zurück. Er hebt hervor, daß es den Achäern gelungen sei, die ganze Peloponnes so zu vereinigen, daß sie dieselben Gesetze, dieselben Gewichte, Maße und Münzen, gemeinsame Magistrate, gemeinsame Bouleuten und gemeinsame Richter hatte. Damit unterscheide sich die Peloponnes von einer Polis nur darin, daß sie nicht von einer gemeinsamen Ringmauer umschlossen sei 85 . Wie ist es nun zu erklären, daß die Arkader, die Lakedaimonier und andere ihre Selbständigkeit aufgegeben haben, um Achäer zu werden? Wie ist es möglich gewesen, daß die verschiedensten Städte und Völker in einem Staat vereinigt werden konnten ? Die Antwort des Polybios lautet: Bei den Achäern ist jeder gleichberechtigt, jeder kann seine Meinung frei äußern, die achäische Verfassung ist die vollkommenste Demokratie, die man sich vorstellen kann 6 8 . Dies ist das Geheimnis des Erfolges des achäischen Bundes: er hat eine echt demokratische Verfassung. Davon, daß die Lakedaimonier, die Argiver und die anderen Staaten der Peloponnes zum Beitritt überzeugt worden seien, weil die achäische Verfassung ihre Hoheitsrechte in bestimmten Bereichen garantiert hätte; davon, daß die achäische Verfassung einen glücklichen Kompromiß zwischen den Ansprüchen der Mitgliedsgemeinden auf die Autonomie und der Notwendigkeit eines gemeinsamen Handelns dargestellt hätte, weiß uns Polybios nichts zu sagen. Und dies hätte er an dieser Stelle, wo es ihm darum geht, den Aufstieg 64
Pol. 2 , 3 7 , 7 - 2 , 4 2 . P o l . 2 , 3 7 , 1 0 - 1 1 . Vgl. oben 31. 68 Pol. 2 , 3 8 , 5 - 6 (vgl. a u c h 2 , 4 2 , 3 ) : ϊστι 8' ούν, ώς έμή δόξα, τοιαύτη τις. ισηγορίας και παρρησίας και καθόλου δημοκρατίας άληθινης σύστημα καΐ προαίρεσιν είλικρινεστέραν ούκ αν εύροι τις της παρά τοις Άχαιοις ύπαρχούσης. 65
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des achäischen Bundes mit der Vollkommenheit seiner Verfassung in Zusammenhang zu bringen, unbedingt sagen müssen. Nein: f ü r Polybios ist die achäische Verfassung deshalb unübertrefflich, weil sie der Verfassung einer echt demokratischen Polis gleicht. Der Schluß ist überraschend, aber unausweichlich: wie E. Szanto richtig erkannt hat, sind der sog. achäische Bund und, soweit wir beurteilen können, die anderen bundesstaatlichen Sympolitien keine Bundesstaaten, sondern, wenn man mit modernen Kategorien arbeiten will, Einheitsstaaten gewesen 67 . Alles, was uns über diese bundesstaatlichen Sympolitien bekannt ist, weist in diese Richtung: 1. die Ethne, die in der hellenistischen Zeit die Merkmale der bundesstaatlichen Sympolitie aufweisen, sind in historischer Zeit von Anfang an geschlossene Gemeinwesen, die nach außen wie Einheitsstaaten aufgetreten sind. Die meisten dieser Ethne sind auch nie aufgelöst worden, ihre Mitgliedsgemeinden sind in historischer Zeit überhaupt nicht selbständige Völkerrechtssubjekte gewesen; ebensowenig läßt sich irgendeine Neugestaltung ihrer Verfassung nach neuen Grundsätzen feststellen. Die Ethne, die aufgelöst wurden, nämlich das Ethnos der Boioter nach dem Antalkidas-Frieden und das Ethnos der Achäer um 300, sind nach wenigen Jahren wiederhergestellt worden, wobei der wiederhergestellte Verband keine grundsätzlich neue Struktur aufweist. 2. Die Organisation der bundesstaatlichen Sympolitien ist der Organisation einer Polis vollkommen gleich: hier wie dort liegt die Souveränität bei der Versammlung aller Bürger, der Ekklesie; hier wie dort werden die höchsten Magistrate direkt von dieser Versammlung gewählt; auch das sog. „doppelte Bürgerrecht" haben die bundesstaatlichen Sympolitien mit den Poleis gemeinsam. 3. Die griechische Terminologie kennt kein Wort, das dazu gedient hätte, bundesstaatliche Verfassungen von den Einheitsstaaten zu unterscheiden. Der Begriff κοινό ν hat nicht die spezifische Bedeutung, die man ihm in der Forschung zugeschrieben h a t : jede Organisation, jede Gemeinschaft, jeder Verein ist ein κοινόν (s. oben 16ff.). Das Wort συμπολιτεία, obwohl es nur dort gebraucht wird, wo ganze Gemeinwesen am politischen Leben eines oder mehrerer anderer Gemeinwesen beteiligt sind, dient nicht dazu, eine bestimmte Organisationsform im Gegensatz zu anderen zu bezeichnen, sondern es beinhaltet β7
E. Szanto, Das griechische Bürgerrecht 119: „Denn ihrem innersten Wesen nach kennt die Sympolitie eigentlich keine Sonderstaaten, sie kann ihre souveränen Gewalten daher auch nicht aus diesen bilden, sondern nur aus sich selbst als Einheitsstaat. Die praktischen Konzessionen, die man im achäischen Bunde den Sonderstaaten gemacht hat, ändern nichts an der Sache."
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als Synonym für πολιτεία alles, was jede politische Gemeinschaft als solche charakterisiert (Bürgerrecht, Verfassung, Innen- und Außenpolitik usw.). Es findet in dieser Bedeutung sowohl auf die bundesstaatlichen Sympolitien Anwendung wie auch auf die sog. synoikistischen Sympolitien, d.h. auf die Poleis, die eine oder mehrere andere Poleis in ihre Bürgerschaft aufgenommen haben (s. oben 20ff.). Die Gliederung in bundesstaatliche und synoikistische Sympolitien ist modern und findet in der griechischen Terminologie keine Entsprechung. Die griechische Terminologie kennt keinen Unterschied zwischen Einheitsstaat und Bundesstaat, sondern nur zwischen Poleis und Ethne, zwischen Stadtstaat und Stammstaat oder richtiger, zwischen Staaten ohne und Staaten mit städtischem Mittelpunkt 68 . Das Ergebnis unserer Untersuchimg über die Anfänge der bundesstaatlichen Sympolitie ist, daß die bundesstaatliche Sympolitie, wie man sie sich in der modernen Forschung vorstellt, gar nicht existiert hat. Die Griechen haben das Prinzip des Bundesstaates im Sinne einer Teilung der Souveränitätsrechte zwischen der Zentralgewalt und den Mitgliedsgemeinden weder erfanden noch gekannt. Die bundesstaatlichen Sympolitien sind nicht das Ergebnis einer bewußten Neugestaltung der Verfassung der Ethne nach neuen Grundsätzen gewesen; sie sind nicht aus der Verwandlung loser Stammesverbände in festere Gebilde entstanden; sie sind nicht dadurch entstanden, daß die einzelnen Mitgliedsgemeinden der Ethne auf einen Teil ihrer Souveränität verzichtet hätten, um sich einer gemeinsamen Zentralgewalt zu unterstellen. Die Ethne, die Stammstaaten der klassischen Zeit, sind Einheitsstaaten wie Athen oder Sparta gewesen, und die bundesstaatlichen Sympolitien sind nichts anderes als Ethne, als Stammstaaten, deren Mitgliedsgemeinden Subjekte der gesellschaftlichen Beziehungen wurden, weil es in der griechischen Welt nicht anders sein konnte. 68
So V. Ehrenberg, Der Staat der Griechen8 27.
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Exkurs Die Teilstämme
der
Molosser
Anders als die bundesstaatlichen Sympolitien der hellenistischen Zeit gliederten sich die Molosser nicht nach Poleis, sondern nach Teilstämmen. Dies erkennt man daran, daß die Ethnika, die in den molossischen Urkunden dem Namen von Amtsträgern beigefügt sind, primitive Volksnamen, keine Ableitungen von Ortsnamen sind 1 . Durch die Veröffentlichung von zwei neuen Urkunden aus dem 4. Jh. ist es in den letzten Jahren möglich geworden, einigermaßen zu ermitteln, was die Gliederung nach Teilstämmen in der Organisation des molossischen Staates bedeutete. Die erste Urkunde ist ein Bürgerrechtsdiplom aus der Regierung des Königs Neoptolemos I. (370-368), wo neben dem Prostates und dem Schreiber ein bisher unbekanntes Kollegium von zehn Damiorgoi genannt wird2. Den zehn namentlich 1 Über beide Gattungen, von Ethnika vgl. W. Dittenberger, Hermes 41, 1906, 167f. u n d F . Gschnitzer, Wiener Studien 68, 1955, 120-144 (abgedruckt in: F . Gschnitzer, Zur griechischen Staatskunde 271 ff.). Die Ethnika der Amtsträger der Molosser gehören der Gattung der primitiven Volksnamen a n : so ist z.B. der Prostates, der höchste Magistrat, ein Πείαλος in SGDI 1352, ein "Ομφαλός in SGDI 1334, ein Κέλαιθος in 'Ελληνικά 15, 1957, 249 und ein Άρκτάν in A E 1956, 3. Dagegen sind auf Freilassungsurkunden die Ethnika von Zeugen nicht selten Ableitungen von Ortsnamen, wie Όρραίτας und Άργεΐος in Epeirotika Chronika 10, 1935, 247f., Nr. 2, Δωδωναίος in derselben Urkunde und in SGDI 1351 oder Εύρώπιος in SGDI 1339 und 1346. Es kommt auch vor, daß sowohl der Teilstamm wie auch die Ortschaft angegeben werden: so wird in der Urkunde AE 1956, 3 ein Magistrat als Άρκτάν Εύρυμεναίων bezeichnet. I n einer Freilassungsurkunde werden Freilasser und Zeugen als Μολοσσοί "Ομφαλες Χιμώλιοι angeführt (SGDI 1347). Daher wird in der Forschung angenommen, daß die Teilstämme ihrerseits in eine Anzahl von Ortschaften zerfielen (so z.B. H . Francotte, La Polis grecque 174; Μ. P. Nilsson, Studien zur Geschichte des alten Epeiros 66f.; Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 310; Busolt-Swoboda, Griechische Staatskunde 1471). 2 A E 1956, Iff. = SEG 15,1958, 384: 'Αγαθοί τύχα. βασιλεύοντος Νεοπτολέμου I τοϋ Άλκέτα Φιλίσται ται Άντι| μάχου γυναικί έξ Άρρώνου | εδόθη πολιτεία αύται | καΐ έκγόνοις, επί προστάτα | Μολοσσών Είδύμμα | Άρκτανος, γραμματέος | Άμφικορίου Άρκτανος, δα|μιοργών Άνδροκάδεος | 'Αρκτανος Εύρυμεναίων, | Λαφύργα Τριπολιταν, | Εύστράτου Κελαίθων, | Άμυνάνδρου Πειάλων, | Σάβωνος Γενοαίων, Δείνων | Έθνεστών, 'Αγέλαος Τριφυλ|αν, Θοϊνος Όμφάλων, Κάρτομος | Όνοπέρνων, Δαμοίτας Άμύ|μνων, Δατυίου. Es folgt ein anderes Bürgerrechtsdiplom aus demselben Jahr. I n dieser zweiten Urkunde bricht die Liste der Damiorgoi, die im übrigen mit der ersten vollkommen übereinstimmt, mit dem
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angeführten. Damiorgoi werden im Genitiv Plural die Namen zehn verschiedener Teilstämme beigefügt: d. h. die zehn Teilstämme waren in diesem Kollegium mit je einem Abgeordneten vertreten. Der Teilstamm der Arktanes, dessen Abgeordneter an erster Stelle genannt wird, ist zugleich derjenige, aus dem der Prostates und der Schreiber gewählt worden sind: offensichtlich hatte dieser Teilstamm in jenem J a h r auf Grund irgendwelcher Regelung den Vorsitz. Die andere Urkunde ist ebenfalls ein Bürgerrechtsdiplom, das um die Mitte des 4. Jh.s, etwa zwanzig Jahre nach der Damiorgoi-Inschrift, entstanden sein dürfte. Hier wird ein Kollegium genannt, das fünfzehn Synarchonten genannte Mitglieder zählte 3. Wie in der DamiorgoiInschrift gehören die Mitglieder des Kollegiums verschiedenen Teilstämmen an. Auch kommt jeder Teilstamm, soweit die Namen erhalten sind, nur einmal vor 4 . Während die letzten Teilstämme der Liste neu sind, sind die ersten sechs erhaltenen Teilstämme auch in der Damiorgoi-Inschrift vorhanden, und zwar in fast derselben Reihenfolge : Damiorgoi 1.
2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Arktanes Tripolitai Kelaithoi Peiales Genoaioi Ethnestoi Triphylai Omphales
Synarchonten
1. Kelaithoi ? 2. ? 3. 4. Ethnestoi 5. Triphylai ϊ 6.
Abgeordneten der Ethnestai ab. — Im Namen Δατυίου, der die Liste der Damiorgoi im ersten Beschluß abschließt, hatte der Herausgeber, D . I . Evangelides, einen elften Damiorgos gesehen. Da aber kein Teilstamm beigefügt ist, werden wir eher mit G. Daux, BCH 80, 1956, 434 dieses Wort für einen Monatsnamen halten. 3 Ελληνικά 15, 1957, 249 = Bull. ep. 1963, 125: . . . OPINOIMOIY . . . [έπι προστά|τα] Δροάπου Κελαί[·9·ου, γραμ]]ματέος δέ Παυσ[ανία Τριπ]|ολίτα, συναρχόν[των ] | δα Κελαίβ-ου, "Αλκ[ ]|αλος, Μενεφύλου[ ] | Άντι.κα Έθνεστοϋ, [ ]|ριφύλα, Γεννάδα Θ[ ]|υ, "Εκτορος "Ονφαλος, Δ[ ][ Άμύμνου, Αίρόπου Γε[ ][νεροίτα Άρκτανος, Ν[ ][ς Φύλατος, Άνερεία Τ[ ]|α, Φρύνου Όρεστοϋ, Άρχ[ ]|υ Παρωροϋ, Όμοστακ[ ] [του 2δωκε τό κοινών τ[ών Μο]|λοσσών πολιτείαν κτλ. 4 Nach den Ergänzungen des Herausgebers D.I.Evangelides wären die Omphales, die Triphyloi und die Orestai mit je zwei Sitzen vertreten gewesen. Seine Ergänzungen sind aber nicht zwingend, und wenn man sich an die sicheren Namen hält, so kommt jeder Teilstamm nur einmal vor.
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9. Onopernoi 10. Amymnoi
7. 8. 9. 10. 11. 12.
Omphales Amymnoi ? Arktanes Phylatoi ?
13. Orestai 14. Paroroi 15. ? Die Übereinstimmung beider Listen wird noch eindeutiger, wenn man festgestellt hat, daß an der zweiten Stelle der Synarchontenliste, dort, wo man den Teilstamm der Peiales erwarten sollte, die Buchstaben ΑΛΚ ΑΛΟΣ erhalten sind: die vom Herausgeber vorgeschlagene Ergänzung "Αλκ[ωνος "Ονφ]αλος muß zweifellos, da die Omphales durch den 7. Synarchonten schon vertreten sind, in "Αλκ[ωνος Πει]άλος korrigiert werden 5 , so daß von den zehn Teilstämmen, die in der Liste der Damiorgoi genannt werden, mindestens sieben ebenfalls in der Synarchontenliste, und zwar in derselben Reihenfolge aufgezählt sind mit dem Unterschied, daß die Arktanes, die in der Liste der Damiorgoi als erste genannt werden, in der Synarchontenliste hinter den Amymnoi stehen, während die Kelaithoi von der dritten auf die erste Stelle gerückt sind®. Schließlich ist noch zu bemerken, daß der Prostates ebenfalls aus diesem Teilstamm der Kelaithoi stammt, während der Schreiber den Tripoütai angehört. Es steht außer Zweifel, daß die Übereinstimmung beider Listen in der Reihenfolge der Teilstämme keine zufällige ist, sondern einer festen Ordnung entspricht: der Vorsitz im Kollegium der Damiorgoi bzw. der Synarchonten, und damit das Prostates- und das Sekretäramt gingen nach einem bestimmten Turnus von einem Teilstamm auf den anderen über, so daß jeder Teilstamm, der im Kollegium der Damiorgoi, bzw. der Synarchonten vertreten war, an dem Prostates5
Der Name "Αλκών ist nach Hdt. 6,127,4 ergänzt. Wohl sind alle Teilstämme der Damiorgoi-Inschrift im Kollegium der Synarchonten vertreten gewesen. Das Ethnikon des β. Synarchonten läßt sich sehr leicht in Ό[νοπέρνο]υ ergänzen (die Ergänzung des Herausgebers Θ[ιαίο]υ ist zu kurz und die Buchstaben Ο und Θ werden oft verwechselt); das Ethnikon des 9. Synarchonten wird man mit dem Herausgeber in Αίρόπου Γε[νοαίου] ergänzen können; Abgeordneter der Tripolitai wird schließlich der 12.Synarchon gewesen sein (die erhaltenen Buchstaben seines Ethnikon können in Τ[ριπολίτ]α ergänzt werden). 6
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amt beteiligt war 7 . Dieser Schluß wird bekräftigt durch die Tatsache, daß in der Synarchontenliste der Sekretär, der ausnahmsweise einem anderen Teilstamm angehört als der Prostates, gerade aus dem Teilstamm der Tripolitai kommt, der nach der Reihenfolge im Vorjahr den Prostates und den Schreiber gestellt haben sollte: offensichtlich stand der amtierende Schreiber aus irgendwelchem Grund nicht zur Verfügung, so daß der Sekretär des Vorjahres einspringen mußte. Es ist kaum anzunehmen, daß das Kollegium der Damiorgoi und das Kollegium der Synarchonten zwei verschiedene, mit verschiedenen Aufgaben befaßte Organe des molossischen Staates gewesen seien: es ist unwahrscheinlich wegen ihrer gleichartigen Zusammensetzung und weil nicht einzusehen ist, warum die Urkunden mal das eine, mal das andere Kollegium genannt haben sollten. Es ist vielmehr anzunehmen, daß der Begriff συνάρχοντες eine untechnische Bezeichnung der Damiorgoi darstellt 8 oder daß das Kollegium der Damiorgoi durch das Kollegium der Synarchonten abgelöst wurde. Es stellt sich aber dann die Frage, warum in der Damiorgoi-Inschrift zehn, in der Synarchonten-Inschrift dagegen fünfzehn Teilstämme vertreten sind. Man könnte annehmen, daß im Kollegium der Damiorgoi einige Teilstämme überhaupt nicht oder, wie es bei den Boiotern der Fall war 9 , nur im Turnus vertreten waren 10 . Um den ausgeschlossenen oder benachteiligten Teilstämmen gerecht zu werden, hätte man im Kollegium der Abgeordneten die Zahl der Sitze von zehn auf fünfzehn erhöht, wobei der Name dieser Abgeordneten geändert worden wäre 11 . Die richtige Erklärung ist aber wahrscheinlich eine andere. Es ist bekannt, daß einige der Teilstämme, deren Namen in den molossischen 7
Dasselbe Prinzip erkennt man auch in der sehr fragmentarischen Inschrift Epeirotika Chronika 10, 1935, 245, Nr. 1 aus dem Ende des 4. Jh.s, wo ein Kollegium von etwa zehn Hieromnamonen genannt wird. Wie in der Damiorgoi-Inschrift gehören der Prostates, der Schreiber und der erste Hieromnamon alle drei demselben Stamm, nämlich den Omphales, an. Von den Teilstämmen, die in diesem Kollegium vertreten waren, sind leider nur die Namen der Omphales, der Genoaioi und der Onopernoi erhalten. — In der einzigen Inschrift, wo der Sekretär sonst genannt wird (SGDI 1334; vgl. SGDI 1335 aus demselben Jahr), stammt er ebenfalls aus dem Teilstamm, aus dem der Prostates gewählt worden ist. 8 So werden z.B. bei Pol. 23,16,6 die achäischen Magistrate (darunter die 10 Damiurgen), als οί συνάρχοντες bezeichnet. 9 Vgl. oben 37. 10 So S.I. Dakares, AE 1957, 113. 11 Eine derartige Reorganisation ist von D . E . Evangelides, a.a.O. 251, angenommen worden.
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Urkunden zur Angabe der Herkunft von Amtsträgern oder Zeugen begegnen, den antiken Geographen nicht als Teilstämme der Molosser bekannt waren, sondern von ihnen teils den Chaonern, teils den Thesprotern zugeschlagen wurden 12 . Gewöhnlich erklärt man diesen Umstand mit der Vermutung, daß sich die Molosser über ihre Grenzen hinaus ausgedehnt haben, indem sie einen Teil der Chaoner und der Thesproter in ihren Verband einverleibten 13 . Neuerdings hat dagegen P. Leveque die These verfochten, daß das sog. Koinon der Molosser aus dem Zusammenschluß der drei großen Stämme der Molosser, der Chaoner und der Thesproter in einen Bundesstaat entstanden sei. Danach wäre das Kollegium der Abgeordneten ein epeirotischer Bundesrat; die als εκκλησία των Μολοσσών bekannte Versammlung und der als προστάτης των Μολοσσών bezeichnete Magistrat wären in Wirklichkeit die Bundesversammlung bzw. der höchste Bundesmagistrat des epeirotischen Bundes 14 . Aus dem Vergleich der Damiorgoi- mit der Synarchonten-Inschrift werden wir den Schluß ziehen müssen, daß die gewöhnliche Auffassung die richtige war. In der Synarchonten-Inschrift ist die Zahl der vertretenen Teilstämme größer als in der Damiorgoi-Inschrift, weil in der Zwischenzeit der Stamm der Molosser neue Mitglieder aufgenommen und ihnen einen Sitz im Kollegium der Abgeordneten und zugleich den Zugang zum Prostatesamt verliehen hat. M. a. W.: die von den Molossern einverleibten Teilstämme haben das aktive und das passive Wahlrecht erhalten; sie sind Molosser geworden, so daß sie sich von den ursprünglich molossischen Teilstämmen nicht 12
Dies ist zuerst von Μ. P. Nilsson, Studien zur Geschichte des alten Epeiros 62 f. hervorgehoben worden. Nach Steph.Byz. sind die Kelaithoi und die Tripoli tai (s.v. Τριπόλισσοι) thesprotische Teilstämme; nach Ptol. 3,13,5 waren die Omphales Angehörige des Stammes der Chaoner; in der Freilassungsurkunde SGDI 1351 erscheint unter thesprotischen Zeugen ein Angehöriger der Onopemoi. 13 Vgl. z.B. Μ. P.Nilsson, a.a.O.; Hermann-Swoboda, Staatsaltertümer 309; Busolt-Swoboda, Griechische Staatskunde 1473; J.A.O. Larsen, Greek Federal States 274f. Anders K . J . Beloch, GG III 2 2, 183ff., der das Zeugnis der Geographen zu entkräften versucht und den Staat der Molosser ausschließlich aus echt molossischen Teilstämmen zusammengesetzt haben will. — Unhaltbar ist die These von S.I. Dakares, A E 1957, 88ff., wonach keiner der Teilstämme, die im Kollegium der Damiorgoi und im Kollegium der Synarchonten vertreten sind, ursprüngliches Mitglied des molossischen Stammes gewesen ist. Denn dies würde heißen, daß die ursprünglichen Mitglieder des molossischen Stammes von diesen Kollegien und damit vom Prostates-Amt ausgeschlossen waren, was schlechterdings undenkbar ist. 14 P. Leveque, Pyrrhos 207 f. und 242 f.;REG 70, 1957, 497. Die Gründung des Bundes setzt er in die Zeit des Königs Alketas I. (erstes Drittel des 4. «Th.s).
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mehr unterscheiden lassen15. Es ist genau der Vorgang, dem man bei den bundesstaatlichen Sympolitien der hellenistischen Zeit, insbes. bei den Ätolern und den Achäern, begegnet16. 15 Dies bedeutet, daß auch von den zehn Teilstämmen, die im Kollegium der Damiorgoi vertreten waren, nicht mehr zu ermitteln ist, ob sie ursprünglich molossisch waren oder erst im Laufe der Zeit einverleibt wurden. Sicher molossisch ist nur der Teilstamm der Peiales gewesen, denn das königliche Geschlecht der Aiakiden stammte von dort (vgl. Fick zu SGDI 1352; Μ. P . Nilsson, Studien zur Geschichte des alten Epeiros 24). 18 Der ganze Abschnitt über die Teilstämme der Molosser war Bestandteil der Arbeit, die im J . 1965 von der Philosophischen F a k u l t ä t der Universität Freiburg/Schweiz als Dissertation angenommen wurde. Die vorliegende Analyse der Synarchonten-Inschrift ist also unabhängig von den in wesentlichen P u n k t e n übereinstimmenden Ergebnissen von N. G. L. H a m m o n d , Epirus, Oxford 1967, 528 ff. Es war f ü r mich besonders erfreulich festzustellen, daß seine Ergänzungen der E t h n i k a der 15 Synarchonten die hier vorgeschlagenen (oben 96 m. Anm. 6) genau bestätigen. H a m m o n d ist wie ich überzeugt, daß das Kollegium der Synarchonten mit dem Kollegium der Damiorgoi identisch ist u n d daß die größere Zahl der Abgeordneten in der Synarchonten-Inschrift die Ausbreitung des molossischen Verbandes durch die A u f n a h m e neuer Mitglieder widerspiegelt. Allerdings ist H a m m o n d die Übereinstimmung in der Reihenfolge der Teils t ä m m e auf beiden Inschriften, die hier den Ausgangspunkt der Argumentation darstellt, nicht aufgefallen.
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& RUPRECHT
IN
GÖTTINGEN
UND
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