Unsichere Zuflucht: Die Tschechoslowakei und ihre Flüchtlinge aus NS-Deutschland und Österreich 1933-1938
 9783412215743, 9783412209254

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Unsichere Zuflucht

Reihe Jüdische Moderne Herausgegeben von Alfred Bodenheimer und Jacques Picard Band 13

Kateřina Čapková  |  Michal Frankl

Unsichere Zuflucht Die Tschechoslowakei und ihre Flüchtlinge aus NS-Deutschland und Österreich 1933–1938 Aus dem Tschechischen übersetzt von Kristina Kallert

2012 BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Stiftung Irène Bollag-Herzheimer sowie des Tencer Family Fund

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Titelseite der Broschüre BEN-ESTHER (Pseud.): Menschlichkeiten – Unmenschlichkeiten. (Emigrantenschicksale), herausgegeben im Jahre 1937 vom Jüdischen Hilfskomitee in Prag (Ausschnitt, vollständig auf Seite 22)

© 2012 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Wien Köln Weimar Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Druck und Bindung: Strauss GmbH, Mörlenbach Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-412-20925-4

Inhalt

Einführung ................................................................................................... 7 „Wohlwollende“ Flüchtlingspolitik ......................................................... 23 Der erste Schritt ins Exil ................................................................................ 23 Flüchtlinge im Europa der Zwischenkriegszeit .............................................. 32 Politik, Öffentlichkeit und die Flüchtlinge ..................................................... 36 Asylrecht? ....................................................................................................... 46 Flüchtlingspolitik zwischen „Wohlwollen“ und Willkür ................................ 55 Die Tschechoslowakei und die internationalen Flüchtlingsverhandlungen .............................................................................. 71 Die Privilegierten............................................................................................ 84 Hilfe und Ohnmacht ................................................................................. 100 Spontane Hilfe ............................................................................................... 100 Die Hilfskomitees .......................................................................................... 105 Finanzierung der Hilfe.................................................................................... 114 Das Comité National...................................................................................... 121 Alltag .............................................................................................................. 130 Klassenkampf oder Flüchtlingshilfe? .............................................................. 150 Rassisch Verfolgte oder Wirtschaftsemigranten? ............................. 172 Wer waren die jüdischen Flüchtlinge? ............................................................ 172 Die tschechoslowakische Flüchtlingspolitik und die Juden ............................ 180 Jüdische Wohltätigkeit.................................................................................... 193 Besonderheiten der jüdischen Flüchtlingsfürsorge ......................................... 203 Auswanderung und Umschulung.................................................................... 212 Das Ende des Exils in der Tschechoslowakei ................................... 220 Das Flüchtlingsreservat .................................................................................. 220 „Das Judentum verliert den Boden unter den Füßen“ .................................... 239 Nachtzug aus Wien ........................................................................................ 248 „Jagd auf die Emigranten“............................................................................... 258 Verzweifelte Hilfe ........................................................................................... 274 Epilog ........................................................................................................... 288

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Inhalt

Quellen und Literatur ............................................................................... 296 Archivmaterialien ........................................................................................... 296 Zeitgenössische Presse .................................................................................... 298 Literatur ......................................................................................................... 299 Dank .............................................................................................................. 311 Abkürzungsverzeichnis ............................................................................ 313 Bildnachweis .............................................................................................. 315 Index.............................................................................................................. 317

Einführung

Für diejenigen, die vor Hitler flüchteten, wurde Prag zu einer Kreuzung, wo sie dank des großzügigen Entgegenkommens der politischen Autoritäten des Landes, dank der Freundschaft und der herzlichen Beziehungen zur Elite der Stadt, dank der umsichtigen und spontanen Hilfe der jüdischen Gemeinde und der Gesellschaft nicht nur leben, sondern gegen den gemeinsamen Feind kämpfen konnten – den eigenen Feind und den der gastfreundlichen Tschechoslowakei.1 Manfred George Die Unterstützung, die die privaten Komitees gaben, war so gering, daß auch die Unterstützten leicht auf Abwege kamen.[…] Wenige verschafften sich illegale Arbeit. Wenn es entdeckt wurde, wurden sie ohne Gnade ausgewiesen. Andere hatten Bekannte oder Verwandte, die dauernd aushelfen mußten. Die übrigen schnorrten oder stahlen. […] wir stimmten darin [mit Marie Schmolka2] überein, daß Prag nur ein Hafen für die erste Zuflucht sein soll und kann. Auf die Dauer gingen die Leute hier zugrunde.3 Käte Frankenthal

Die Autoren dieser Zitate haben manches gemeinsam: Beide waren sie Flüchtlinge aus dem nationalsozialistischen Deutschland und fanden in den 1930er Jahren für kurze Zeit Zuflucht in der Tschechoslowakei. Beide waren politisch aktiv und auf Grund ihrer politischen Überzeugung aus Deutschland geflüchtet. Beide waren jüdischer Herkunft und daher auch auf der Flucht vor der Judenverfolgung. Und beide konnten – noch vor der Okkupation der böhmischen Länder durch die Nationalsozialisten – in die Vereinigten Staaten von Amerika emigrieren. Dennoch haben sie rückblickend ihren Aufenthalt in der Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit sehr unterschiedlich beurteilt. Für George war Prag ein Ort, an dem er seine berufliche Karriere fortsetzen und sein politisches Engagement frei entfalten konnte; für Frankenthal war das Exil in Prag vor allem eine Zeit der 1 Manfred GEORGE: „Refugees in Prague, 1933–1938“, in: The Jews of Czechoslovakia. Historical Studies and Surveys. Bd. 2. Philadelphia – New York 1971, S. 582–588, Zitat S. 588. 2 Nachnamen weiblicher Personen, die in den amtlichen Dokumenten sowohl in der deutschen wie in der tschechischen Form belegt sind (hier Schmolka – Schmolková), führen wir in der deutschen Fassung des Buches grundsätzlich in der für das Deutsche üblichen Form an. 3 Käte FRANKENTHAL: Der dreifache Fluch: Jüdin, Intellektuelle, Sozialistin. Lebenserinnerungen einer Ärztin in Deutschland und im Exil. Frankfurt – New York 1981, S. 234.

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finanziellen Misere und völligen Perspektivlosigkeit. Wie erklärt sich diese Kluft zwischen Georges enthusiastischem und Frankenthals kritischem Blick? Wo liegen die Ursachen ihrer so unterschiedlichen Wahrnehmung? George war ein namhafter Publizist. Als er nach Prag kam, verfügte er bereits über Verbindungen zu herausragenden Vertretern des öffentlichen und kulturellen Lebens; mit Präsident Masaryk war er sogar persönlich bekannt. Er fand rasch Kontakte zur intellektuellen Elite Prags und konnte sich während seiner fünf Exiljahre in der Hauptstadt als Journalist betätigen. Sein erster Weg führte ihn zum Leiter der wichtigen Zeitung Prager Montagsblatt. Frankenthal hatte vor ihrer Flucht aus Deutschland als Ärztin gearbeitet und war Abgeordnete der Sozialdemokraten im Berliner Stadtverordnetenrat und im Preußischen Landtag gewesen. Sie blieb zunächst nur wenige Monate im tschechoslowakischen Exil, suchte dann Zuflucht in Frankreich und ging, nachdem sie sich dort vergeblich um Arbeit bemüht hatte, in die Schweiz. 1936 kehrte sie nach Prag zurück und wurde zur rechten Hand von Marie Schmolka, der „Seele“ der jüdischen Flüchtlingsfürsorge. Frankenthal konnte in der Emigration ihren Beruf nicht weiter ausüben und war zudem mit der Not und den Problemen der jüdischen Flüchtlinge konfrontiert; dementsprechend bewertete sie ihren Aufenthalt in der Tschechoslowakei eher kritisch. In der bisherigen historischen Forschung, in den Medien und im öffentlichen Bewusstsein überwiegt gerade die Perspektive Manfred Georges und damit jener Flüchtlinge, die mit besonderen Kontakten ausgestattet waren und zur politischen oder kulturellen Elite gehörten. Grund hierfür ist nicht zuletzt, dass das Bild der Tschechoslowakei als einer Insel der Freiheit und einer Zufluchtsstätte für die Gegner des Nationalsozialismus von der tschechoslowakischen Exilregierung im Zweiten Weltkrieg bewusst gefördert wurde. Das positive Bild der Tschechoslowakei in Bezug auf die Flüchtlinge aus NS-Deutschland war einer der tragenden Pfeiler der tschechoslowakischen Exilpropaganda, die – letztlich erfolgreich – nach einer Erneuerung der tschechoslowakischen Unabhängigkeit strebte. Wie wichtig die Frage der deutschen Flüchtlinge in der Tschechoslowakei für die Exilpropaganda war, bezeugt ein Projekt des deutsch-jüdischen Journalisten Wilhelm Sternfeld. Er, der Flüchtling in der Tschechoslowakei gewesen war, wurde 1944 von der tschechoslowakischen Exilregierung aufgefordert, eine Monographie über sein dortiges Exil zu schreiben und der Demokratie der Ersten Republik damit ein Denkmal zu setzen. Thomas Mann sollte ein feierliches Vorwort verfassen. Sternfeld schloss sein Manuskript jedoch erst nach 1945 ab; auf Grund der völlig veränderten politischen Situation in der neuen Tschechoslowakei hat er es nie veröffentlicht.4 In der NachkriegsTschechoslowakei, die unaufhaltsam auf eine kommunistische Diktatur zusteuerte, war ein positives Bild der Ersten Republik nicht mehr erwünscht. 4 Das Manuskript befindet sich im DEA, Nachlass Willy Sternfeld, Sign. EB 75/177, B.I.1 (3): Sternfelds unpubliziertes Buchmanuskript Die Czechoslovakei als Asylland der Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland.

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Die meisten bisherigen Studien zur tschechoslowakischen Flüchtlingspolitik und zu den Flüchtlingen aus NS-Deutschland in der Tschechoslowakei sind überwiegend von zwei Interpretationsmustern geprägt: entweder von einer, wie oben ausgeführt, a priori positiven Einstellung gegenüber der Ersten Republik als einer Insel der Demokratie und Toleranz inmitten Europas oder aber von einer kommunistischen Perspektive. Diese hebt die reaktionäre Politik der tschechoslowakischen Behörden gegenüber den kommunistischen Flüchtlingen hervor, richtet ihr Augenmerk hauptsächlich auf die Flüchtlinge aus den Linksparteien und bewertet die linkstendenzielle Atmosphäre in der Ersten Republik positiv. Interessant ist, dass bis heute diese – in ihrer Reinform nicht kompatiblen – Sichtweisen kombiniert werden. Die kommunistische Geschichtswissenschaft hatte an der Flüchtlingsthematik per se im Grunde kein wirkliches Interesse, schilderte das Schicksal der Flüchtlinge jedoch als Teil des „heldenhaften“ Kampfes des Arbeitervolkes gegen Kapitalismus und Faschismus. In der Schwarzweißperspektive der marxistischen Historiker der 1950er Jahre galten die Angehörigen der „Bourgeoisie“ als Kollaborateure, die aus Angst vor den Kommunisten mit Hitler kooperierten. Jede Beschäftigung mit der Flüchtlingspolitik und dem Schicksal der Flüchtlinge, auch der kommunistischen, war ganz und gar dem Interpretationsmodell des Klassenkampfs unterworfen. Erst ab den 1960er Jahren begannen sich tschechoslowakische Historiker verschiedentlich auch für die Geschichte des nichtkommunistischen Widerstandes zu interessieren und fanden gegenüber dem bürgerlichen („bourgeoisen“) Staat zu einer positiveren Haltung, der nun als „bourgeois demokratisch“ von den totalitären oder autoritären Rechtsdiktaturen in den benachbarten Ländern unterschieden wurde. Dieser Staat hatte – trotz seines reaktionären Charakters – die Tätigkeit kommunistischer Organisationen ermöglicht, und so sollte die Solidarität der tschechoslowakischen und deutschen Arbeiter gegenüber dem restriktiven Vorgehen der Behörden letzten Endes fast immer Oberhand behalten. Nach dieser Darstellung war es also vor allem das tschechoslowakische Volk (mit den Kommunisten an der Spitze), das den deutschen Flüchtlingen half, während die Behörden des bourgeoisen Staats diese verfolgten und auslieferten. Der Ersten Republik wurde dabei aus kommunistischer Perspektive durchaus eine gewisse Anerkennung gezollt, gab es doch einen relativ großen Kreis „fortschrittlicher“ Intellektueller und Journalisten, die zwar keine Kommunisten waren, aber doch mehr oder weniger nach links tendierten und nicht selten für die Rechte der Kommunisten eintraten. Auch wurde die politische Arbeit der deutschen Sozialdemokratie in der Tschechoslowakei in diesen Untersuchungen wohlwollend zur Kenntnis genommen. Einer kommunistischen Geschichtsauffassung verpflichtet sind vor allem die Studien von Gertruda Albrechtová5 und Bohumil Černý, wobei in Černýs Most 5 Gertruda ALBRECHTOVÁ: „Zur Frage der deutschen antifaschistischen Emigrationsliteratur im tschechoslowakischen Asyl“, Historica, 1964, Nr. 8, S. 177–233. Der Artikel basiert

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k novému životu6 [Brücke zu einem neuen Leben] von 1967 schon das politische Tauwetter zu spüren ist und sich der erweiterte Blickwinkel der 1960er Jahre bemerkbar macht. Černý beurteilt Masaryk, Beneš und die Erste Republik freundlicher und beschäftigt sich nicht nur mit den kommunistischen Flüchtlingen, sondern auch mit den Sozialdemokraten und anderen Gruppen. Die Problematik der jüdischen Flüchtlinge wird jedoch nur sehr am Rande behandelt. Im Zentrum des Interesses stehen die Tätigkeit der kommunistischen und sozialdemokratischen Flüchtlinge sowie die Intrigen der deutschen Geheimdienste. Während der „Normalisierung“ wurde die Flüchtlingsthematik dann als ein Beispiel für die Zusammenarbeit zwischen den Kommunisten der späteren sozialistischen Staaten präsentiert. In den 1970er Jahren und zu Beginn der 1980er Jahre befasste sich am Institut für tschechische Literatur und Weltliteratur der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften eine ganze Gruppe von Literaturhistorikern mit den Flüchtlingen in der Zwischenkriegs-Tschechoslowakei und dokumentierte vor allem deren kulturelle Tätigkeit. Dieses Kollektiv arbeitete eng mit den Kollegen in der DDR zusammen und nahm die Flüchtlingsthematik vor allem dafür in Anspruch, eine gemeinsame Tradition der kommunistischen Parteien bzw. des tschechoslowakischen und deutschen Volkes im Kampf gegen den Faschismus zu postulieren. 1974 organisierten die hier beteiligten Wissenschaftler, deren Arbeiten auch in der DDR veröffentlicht wurden,7 im Kultur- und Informationszentrum der DDR in Prag eine Ausstellung zum Thema „Die Tradition des gemeinsamen Kampfes gegen den Faschismus“. Die marxistische Forschung, der die Erste Republik als Beispiel eines demokratischen Systems gilt, bedient sich in Bezug auf die Flüchtlinge aus NSDeutschland und die staatliche Flüchtlingspolitik verschiedener Interpretationsmodelle. Insbesondere folgt sie der Vorstellung vom spezifischen Charakter der tschechoslowakischen Flüchtlingspolitik sowie einer zentralen Sonderrolle der Tschechoslowakei für politische Flüchtlinge und deren Organisationen. Nicht zuletzt dominiert auch hier eine Fokussierung auf die Angehörigen der politischen und kulturellen Elite. Die These, dass sich die Tschechoslowakei von anderen Staaten durch ihre tolerante Haltung gegenüber den Flüchtlingen unterschieden habe, spielte und spielt nach wie vor in der Geschichtswissenschaft eine wichtige Rolle. Albrechtová sieht hier ein Fortwirken der humanistischen Traditionen in der tschechischen auf der Dissertation der Autorin zum Thema Die Tschechoslowakei als Asyl der deutschen antifaschistischen Literatur. Filosofická fakulta UK, Praha 1960. 6 Bohumil ČERNÝ: Most k novému životu. Německá emigrace v ČSR v letech 1933–1939. Praha 1967. 7 Jiří VESELÝ u. Koll.: Azyl v Československu 1933–1938. Praha 1983, S. 7–11. In der DDR erschien die Studie in leicht überarbeiteter Form: Miroslav BECK, Jiří VESELÝ: Exil und Asyl. Antifaschistische deutsche Literatur in der Tschechoslowakei, 1933–1938. Berlin 1981.

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Gesellschaft sowie den Einfluss eigener geschichtlicher Erfahrungen. So macht sie für die Tschechoslowakei eine Asyl-Tradition geltend, die sie aus den „revolutionären“ Zeiten der tschechischen Geschichte herleitet (Hussiten, das Revolutionsjahr 1848–49 oder auch Masaryks Exiltätigkeit während des Ersten Weltkriegs), und verweist auf die angeblich jahrhundertealte Verbindung einer „fortschrittlichdemokratischen“ tschechischen und deutschen Kunst. Dieser Tradition sollte die fortschrittliche Literatur auch in Zeiten größter Not treu bleiben.8 „All diese Faktoren verliehen der Emigration in der Tschechoslowakei einen ganz eigenen Charakter und unterschieden sie von der Emigration in anderen Ländern. In der Tschechoslowakei fand die antifaschistische deutsche Emigration eine feste politische Basis, die ihr nicht nur die existenziellen Grundbedingungen, sondern in jeder Hinsicht auch eine Operationsbasis für den antifaschistischen Kampf bot.“9 Die Vorstellung von der Tschechoslowakei als einer Zuflucht und einer Insel der Demokratie, die auf der These einer spezifischen Asylpolitik gründet, findet sich auch in einer Reihe von Publikationen aus jüngster Zeit: zum Beispiel im Katalog zu einer Ausstellung des Jüdischen Museums in Berlin über „Heimat und Exil“ deutscher Juden aus dem Jahr 2006: „Die Tschechoslowakei verhielt sich gegenüber den deutsch-jüdischen Emigranten nach 1933 so großzügig und tolerant wie kein anderes europäisches Land.“10 Livia Rothkirchen beschreibt in ihrem 2005 erschienen Buch die Politik des tschechoslowakischen Staats gegenüber den deutschen Flüchtlingen als eine Erscheinungsform der tschechoslowakischen Demokratie, als einen Einfluss Masaryks und Benešs sowie eines eher links geprägten kulturellen Lebens, das sich den Juden gegenüber offen zeigte. Auch wenn bei ihr Angriffe auf Flüchtlinge am Rande Erwähnung finden, zeichnet sie dennoch ein im Ganzen vereinfachtes und idealisiertes Bild von deren Situation: Die Tschechoslowakei wurde ihnen „Heimat und Zuflucht“ und die Tschechen „gewährten ihnen bona fide Aufenthalt und Unterkunft für eine Übergangszeit“. Rothkirchen hebt, wie viele andere auch, das außergewöhnliche gesellschaftliche Leben der Flüchtlinge in Prag sowie deren kulturelle und politische Aktivitäten hervor.11 Die angebliche Sonderhaltung der Tschechoslowakei gegenüber den deutschen Flüchtlingen ist fest verknüpft mit der Vorstellung, dass hier die Emigration im Unterschied zu anderen Zufluchtsländern einen ausgeprägt politischen Charakter gehabt habe. Květa Hyršlová beispielsweise ist der Auffassung, die Erste Republik habe deshalb „eine Sonderstellung“ eingenommen, weil sie sich nicht nur von den Nachbarstaaten, sondern auch von westlichen Demokratien wie Belgien oder den Niederlanden gerade dadurch unterschieden habe, dass sie links 8 9 10 11

ALBRECHTOVÁ: „Zur Frage…“, S. 181–182. Ebda., S.182. Heimat und Exil. Emigration der deutschen Juden nach 1933. Frankfurt am Main 2006, S. 57. Livia ROTHKIRCHEN: The Jews of Bohemia and Moravia: Facing the Holocaust. Lincoln – Jerusalem 2005, vor allem S. 72–77.

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orientierten Flüchtlingen eine politische Betätigung ermöglichte.12 Hier sieht die Autorin einen Einfluss der links gerichteten Kultur in Deutschland, mit der viele tschechische Künstler verflochten waren, aber auch ein Fortwirken der eigenen historischen Erfahrung von Exil. Nicht zuletzt verweist sie darauf, dass sich die Tschechoslowakei durch die Nationalsozialisten derselben Bedrohung ausgesetzt sah. Daher habe sie gegenüber den Flüchtlingen auch mehr Verständnis an den Tag gelegt.13 Es nimmt also nicht wunder, wenn in den bisherigen Untersuchungen zu den deutschen Flüchtlingen in der Tschechoslowakei die Aktivitäten der politischen Flüchtlinge im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen und vor allem die Tätigkeit der kommunistischen und sozialdemokratischen Hilfskomitees hervorgehoben werden, während andere Organisationen, so auch das Jüdische Hilfskomitee, das sich um den überwiegenden Teil der Flüchtlinge kümmerte, nur am Rande behandelt werden.14 Auch die kommunistische Geschichtswissenschaft konzentriert sich in ihrer Darstellung der tschechoslowakischen Flüchtlingspolitik weitgehend auf die Flüchtlinge aus den Reihen der Elite, seien es hohe Funktionäre der kommunistischen Exilpartei, Künstler oder Intellektuelle. Hinzu kommt die kommunistische Tendenz zur Heroisierung der Geschichte des Klassenkampfes: wenn schon einmal von herkömmlichen Flüchtlingen die Rede ist, so werden sie zu Helden im Kampf gegen den Faschismus stilisiert. Ihre täglichen Probleme mit den Behörden, ihr Gefühl der Ausweglosigkeit und Hoffnungslosigkeit, ihr – im wahrsten Sinne des Wortes – Dahinvegetieren blieben beiseite. Ähnlich ist die Perspektive Werner Röders, der sich fast ausschließlich mit den politischen Flüchtlingen befasst und die zentrale Rolle der Tschechoslowakei im Kampf gegen den Nationalsozialismus betont. Dass die meisten Flüchtlinge politische Flüchtlinge gewesen seien, weist er anhand einer Statistik nach, die er auf Grundlage der im Biographischen Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933 veröffentlichten Lebensläufe erstellt hat.15 Damit freilich erfasst er zwangsläufig nur jene Flüchtlinge, die dank ihrer politischen, kulturellen oder öffentlichen Tätigkeit einen derartigen Bekanntheitsgrad erlangt hatten, dass sie eines Eintrags 12 Květa HYRŠLOVÁ: „Die ČSR als Asylland. Historisch-politische Voraussetzungen, in: Peter BECHER, Peter HEUMOS (Hg.): Drehscheibe Prag. Zur deutschen Emigration in der Tschechoslowakei 1933–1939. München 1992, S. 31–40, vgl. S. 31. 13 Ebda., S. 31–32. 14 Vgl. z.B. ALBRECHTOVÁ: „Zur Frage…“, S. 192–194. 15 Werner RÖDER: „Drehscheibe – Kampfposten – Fluchtstation. Deutsche Emigranten in der Tschechoslowakei“, in: BECHER, HEUMOS: Drehscheibe Prag, S. 15–29, vgl. S. 22; Werner RÖDER, Herbert A. STRAUSS (Hg.): Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933. 3 Bde. München – New York – London – Paris 1980–1983. Die Herausgeber waren ihren eigenen Worten zufolge darum bemüht, auch “normale” Flüchtlinge zu berücksichtigten, erfasst sind jedoch hauptsächlich diejenigen, die politisch tätig waren. Vgl. Bd. 1, S. ix.

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in dieses Lexikon für wert befunden wurden. Dass dieses Handbuch nicht als repräsentativ gelten kann, wird schon dadurch deutlich, dass es trotz des so reichlich versammelten Materials nur zu zweien von vierzehn der hier aufgenommen Flüchtlingsporträts Angaben enthält. Röder kritisiert den antizionistischen Ton der historischen Forschung in der DDR, begnügt sich in Bezug auf die jüdischen Flüchtlinge jedoch selbst mit der Feststellung, dass die Zahl derer, die sich in der Tschechoslowakei länger aufhielten, nur gering war und sich um die 3000 bewegte.16 Kommunisten und Sozialdemokraten seien in der Tschechoslowakei verblieben, um gegen den Faschismus zu kämpfen, die Juden hingegen seien wegen der Wirtschaftskrise und der Gefahr, die ihnen in der politisch exponierten Tschechoslowakei drohte, in andere Länder weiter gezogen. Nicht thematisiert wird jedoch, dass die Behörden in der Ersten Republik bestrebt waren, die Immigration von Juden aus Deutschland zu beschränken und dass die jüdischen Flüchtlinge zu einer möglichst raschen Ausreise in ein Drittland gezwungen waren. Der Leser muss also den Eindruck gewinnen, dass sich die Emigration in der Tschechoslowakei zum Großteil aus politischen Flüchtlingen zusammensetzte, die im Exil aktiv für ihre Ideale kämpfen wollten. Die jüdischen Flüchtlinge, sofern sie überhaupt Erwähnung finden, werden als reiche Unternehmer geschildert, die sich bald für andere Länder entschieden, wo ihnen größere Gewinne zu winken schienen. Freilich lässt sich einwenden, dass die sich auf das linke Exil konzentrierende Forschung sich deshalb nicht mit der Frage der jüdischen Flüchtlinge beschäftigte, weil sie die jüdischen Kommunisten oder andere politische Flüchtlinge jüdischer Abstammung selbstverständlich als politische Flüchtlinge sah. Dadurch aber verschleierte sie, dass die meisten Flüchtlinge Deutschland nicht nur aus politischer Opposition zu Hitler verlassen hatten, sondern wegen der Judenverfolgung. Durch die sporadische Thematisierung von jüdischen Flüchtlingen, dazu noch nur der wenigen reichen, entsteht ein völlig verzerrtes Bild – antijüdischen Stereotypen nicht unähnlich –, wonach die Juden von wirtschaftlichen Interessen, die anderen Flüchtlinge hingegen von ihrer politischen Überzeugung geleitet wurden. Fast hat es den Anschein, als spiegele sich in der historischen Forschung das in der Zwischenkriegszeit für alle europäischen Länder so typische Bemühen, zwischen echten politischen Flüchtlingen und „Wirtschaftsmigranten“ zu unterscheiden. Auch lassen sich in der kommunistischen Forschung immer wieder Nachklänge der „antizionistischen“ Propaganda der 1950er Jahre ausmachen: ist erst einmal die Assoziation zwischen jüdischen Flüchtlingen und reichen Unternehmern hergestellt, so ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Klassifizierung als Kapitalist, und wer in den Westen emigriert, gilt schließlich als Kosmopolit oder Anhänger des

16 Ähnlich auch in RÖDER, STRAUSS: Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, Bd. 1, S. xxxix.

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amerikanischen Imperialismus.17 Über die armen jüdischen Flüchtlinge, die in der Tschechoslowakei regelrecht vor sich hin darbten, schweigen sich diese Untersuchungen aus; auch das unterstützt indirekt die Gleichsetzung von reich und Jude sowie Jude und Bourgeois. Eine ausgewogenere Darstellung findet sich in den Katalogen der Ausstellungen Drehscheibe Prag (München 1992)18 und Exile in Prague and Czechoslovakia 1918–1938,19 die beide verstärkt auch den jüdischen Flüchtlingen und ihrem spezifischen Schicksal gewidmet waren. Die Ausstellung Drehscheibe Prag berücksichtigt neben den bekannten Persönlichkeiten deutlich stärker als bisher das Schicksal der „normalen“ Flüchtlinge, darunter auch der jüdischen.20 Die zweite Ausstellung ließ eine erhebliche Meinungspluralität erkennen und zeigte Unterschiede in Sichtweise und Interpretation: So konzentrierten sich die Autoren des vorliegenden Buches eher auf die nichtelitären Flüchtlinge ohne besondere Kontakte sowie die restriktiven Aspekte der tschechoslowakischen Flüchtlingspolitik, während andere Mitarbeiter des Teams die politische und künstlerische Tätigkeit eines kleinen Kreises bekannter Flüchtlinge hervorhoben. Als Beispiel hierfür sei das den polnischen Flüchtlingen gewidmete Kapitel genannt, das sich im Grunde nur mit dem Exil eines einzigen wichtigen Politikers, Wincenty Witos, beschäftigt. Witos, der erste Vorsitzende der polnischen Bauernpartei PSL Piast hatte Polen aus Opposition zur Regierung Piłsudski verlassen müssen. Über die vielen polnischen Juden, die, sei es aus Deutschland oder direkt aus Polen, in die Tschechoslowakei kamen, erfährt der Leser hingegen nichts.21 Dies alles hat dazu geführt, dass sich in der historischen Literatur vor allem das Bild einer Tschechoslowakei etabliert hat, die den politischen Flüchtlingen aus Deutschland und Österreich bereitwillig Asyl gewährte, darunter vielen namhaften links gerichteten Intellektuellen, Politikern und Künstlern. Die „antifaschistischen“ Fotocollagen von John Heartfield oder auch die Ausstellung „antifaschistischer“ Kunst im Künstlerhaus Mánes bestimmen das allgemeine Bewusstsein und lenken den Blick ab von der realen Situation der meisten Flüchtlinge: von deren Not, Ungewissheit und Zukunftsangst und auch von den Schikanen durch die Behörden. Die restriktiven Elemente der tschechoslowakischen Flüchtlingspolitik sind zwar auf einer eher allgemeinen, abstrakten Ebene bekannt und finden in 17 Vgl. z.B. Jaroslav CESAR, Bohumil ČERNÝ: „Die deutsche antifaschistische Emigration in der Tschechoslowakei (1933–1934)“. Historica, 1966, Nr. 12, S. 147–184, vgl. S. 155. 18 Peter BECHER, Sigrid CANZ: Drehscheibe Prag. Deutsche Emigranten 1933–1939 / Staging Point Prague. German Exiles 1933–1939. München 1989. 19 Exil v Praze a Československu / Exile in Prague and Czechoslovakia 1918–1938. Praha 2005. 20 Ganz ähnlich auch Peter BECHER in seinem Aufsatz „Emigrantenschicksale. Drei Beispiele aus der böhmisch-mährischen Lebenswelt“, Brücken, Neue Folge 9–10, 2001/2002, S. 282–302. 21 Miloš TRAPL: „Polská emigrace v Československu“, in: Exil v Praze a Československu 1918– 1938, S. 70–72.

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der Forschungsliteratur auch Erwähnung, Gegenstand einer eingehenden Analyse aber waren sie bisher noch nicht. Seit den 1960er Jahren gibt es eine wachsende Zahl an Studien zur Flüchtlingspolitik der westlichen Länder, vor allem der Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritanniens, der Schweiz und Frankreichs.22 Zentrale Frage dieser Studien war und ist, ob die demokratischen Staaten angemessen auf die Verfolgung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen in NS-Deutschland reagiert haben und ob sie bereit waren, Flüchtlinge aus Deutschland, Österreich und später anderen besetzten Ländern aufzunehmen. Die meisten Autoren bemühen sich dabei um einen kritischen Blick auf die eigene Geschichte und heben die restriktiven Elemente in der Flüchtlingspolitik des jeweiligen Landes hervor. Warum haben diese Staaten, die so sehr auf ihre demokratische Tradition hielten, den Flüchtlingen aus NS-Deutschland nicht ausreichend Hilfe gewährt und in der Zeit größter Not ihre Grenzen gewissermaßen dicht gemacht? Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Flüchtlingspolitik im Nationalsozialismus steht einerseits in Zusammenhang mit dem seit den 1960er Jahren aufkommenden Interesse am Holocaust, andererseits mit einem Generationenwechsel, der einen kritischeren Blick auf die Zeit des Zweiten Weltkriegs mit sich brachte. Für die Tschechoslowakei fehlen solche Untersuchungen noch. Das vorliegende Buch setzt sich daher zum Ziel, diese Lücke wenigstens teilweise zu schließen. Auch wenn im Rahmen dieser Untersuchung der internationale Kontext der tschechoslowakischen Flüchtlingspolitik nicht detailliert berücksichtigt werden kann, sollen die grundlegenden Zusammenhänge zwischen dem Vorgehen der Tschechoslowakei und dem der anderen europäischen Staaten doch zumindest angedeutet werden. Es steht außer Frage, dass ein Verständnis der tschechoslowakischen Flüchtlingspolitik nur im Vergleich mit anderen europäischen Staaten möglich ist – und unter Einbezug der Versuche um eine internationale Lösung des Flüchtlingsproblems.23 22 Für die USA: Arthur D. MORSE: While Six Million Died. A Chronicle of American Apathy. Woodstock – New York 1998, 10. Aufl.; Richard BREITMAN, Alan KRAUT: American Refugee Policy and European Jewry, 1933–1945. Bloomington 1987; für Großbritannien: Louise LONDON: Whitehall and the Jews, 1933–1948. British Immigration Policy, Jewish Refugees and the Holocaust. Cambridge 2003; für Frankreich: Vicki CARON: Uneasy Asylum. France and the Jewish Refugee Crisis, 1933–1942. Stanford 1999; für die Schweiz: Die Schweiz und die Flüchtlinge zur Zeit des Nationalsozialismus. Bern 1999; Jacques PICARD: Die Schweiz und die Juden, 1933–1945. Schweizerischer Antisemitismus, jüdischer Abwehr und internationale Migrations- und Flüchtlingspolitik. Zürich 1994; Guido KOLLER: „Entscheidungen über Leben und Tod. Die behördliche Praxis in der schweizerischen Flüchtlingspolitik während des Zweiten Weltkrieges“, in: Studien und Quellen, 1996, Nr. 22, S. 17–106; für Kanada: Irving ABELLA, Harald TROPER: None Is Too Many. Canada and the Jews of Europe, 1933–1948. Toronto 1983. 23 Zu den Versuchen eines Vergleichs vgl. vor allem: KONINKLIJKE VLAAMSE ACADEMIE VAN BELGIE: Refugees from Nazi-Germany in West-European border states, 1933– 1939/1940. Similarities and differences in granting asylum between European liberal states and

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Das Thema der Flucht vor dem Nationalsozialismus wird im Weiteren auf zwei miteinander verflochtenen Ebenen betrachtet. Die eine Ebene ist die der Planung, Durchführung und Entwicklung der staatlichen Flüchtlingspolitik gegenüber den Flüchtlingen aus Deutschland und Österreich. Wie haben die tschechoslowakischen Behörden auf die Ankunft der Flüchtlinge reagiert? Wie hat der Staat seine Politik ihnen gegenüber festgeschrieben und welche unterschiedlichen Konzepte verfolgten die verschiedenen Ministerien und Behörden? Wie sah die rechtliche Stellung der Flüchtlinge aus, genossen sie in der Zwischenkriegs-Tschechoslowakei besonderen Schutz? Welche Rolle spielte die tschechoslowakische Diplomatie bei der Schaffung internationaler Hilfskomitees? Nicht zuletzt gilt die Aufmerksamkeit auch den allmählichen Veränderungen in der tschechoslowakischen Flüchtlingspolitik und ihren restriktiven Tendenzen in den letzten Jahren der Ersten Republik. Hat der Staat gegenüber jüdischen Flüchtlingen eine Sonderpolitik formuliert und praktiziert? In diesem Zusammenhang interessiert vor allem sein Umgang mit den „östlichen“ (d.h. vor allem polnischen) Juden, die, traditionell Zielscheibe von Gespött und mit Vorurteilen in besonderer Weise konfrontiert, aus den meisten europäischen Staaten oft ausgewiesen wurden. Die zweite Ebene umfasst die Fragen nach der Stellung und dem Alltag der Flüchtlinge und damit auch nach der Tätigkeit der Hilfsorganisationen. Im Mittelpunkt stehen dabei die gewöhnlichen Flüchtlinge, die Gründe und der Verlauf ihrer Flucht sowie die Hilfe, die sie erfuhren. Genau rekonstruiert werden die Entstehung der einzelnen Hilfskomitees, ihre Tätigkeit, die Versuche, sich untereinander zu koordinieren, sowie ihr Verhältnis zu den tschechoslowakischen Behörden und den internationalen Organisationen. Ein eigenes Kapitel ist der kommunistischen Emigration gewidmet, die mit ihrer Betonung des Klassenkampfs das Leben der Flüchtlinge in der Tschechoslowakei entscheidend bestimmt hat. Besondere Aufmerksamkeit gilt den Alltagsproblemen der Flüchtlinge, der Frage ihrer Unterbringung, Ernährung, eventuellen beruflichen Tätigkeit, weiteren Ausreise und finanziellen Absicherung. Umgekehrt werden – auf Grund der hierzu bereits zahlreich existierenden Literatur – die politische Tätigkeit der Flüchtlinge (im tschechoslowakischen Exil), die Programme der verschiedenen politischen Gruppen und die Formen ihres Kampfes gegen den Nationalsozialismus bewusst in den Hintergrund gerückt. Zeitlich bewegt sich die Untersuchung in den Jahren der Ersten Republik: sie beginnt mit der Machtergreifung Hitlers 1933 und endet mit dem Münchner Abkommen von 1938. Außer Acht bleibt daher die Flüchtlingswelle aus den Grenzsocieties. Causes and consequences of the distinct refugee politics in Europe in the 1930s. Brüssel 2004. Die tschechoslowakische Flüchtlingspolitik wurde bisher offenbar nur einmal mit der anderer Staaten verglichen, und zwar in: Lucie PÁNKOVÁ: „Německá emigrace ve třicátých letech 20. století. Příklad meziválečné Prahy a Paříže (1933–1938/1939)“. Documenta Pragensia, Nr. 20, 2002, S. 259–296.

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gebieten in der Zweiten Republik, die durch ihr Ausmaß und ihre nationale Zusammensetzung zu grundlegenden Veränderungen in der tschechoslowakischen Flüchtlingspolitik führte. Kurzporträts ganz „normaler“ und meist völlig unbekannter Flüchtlinge ergänzen den Text. Auch wenn über sie wesentlich weniger ausfindig gemacht werden konnte als uns von bekannten Künstlern, Intellektuellen oder Politikern vorliegt, sind wir der Meinung, dass gerade ihr Schicksal die Entwicklung der tschechoslowakischen Flüchtlingspolitik anschaulich illustriert. * * * Die vorliegende Untersuchung basiert vornehmlich auf Archivquellen, die von der Fachliteratur bisher unberücksichtigt blieben. Die Rekonstruktion der staatlichen Flüchtlingspolitik stützt sich vor allem auf die umfangreichen Fonds des Innenund des Außenministeriums, der Polizeidirektion Prag und der Landesbehörden. Diese Materialien ermöglichen einen Blick hinter die Kulissen und geben bis zu einem gewissen Grad Aufschluss über die allmähliche Entwicklung der staatlichen Flüchtlingspolitik, sie vermitteln sowohl ein Bild von den unterschiedlichen Positionen der verschiedenen Ministerien als auch vom Schicksal einzelner Flüchtlinge. Deutlich werden aus diesen Quellen auch die politische Zielsetzung und der stereotypisierende Blick der Staatsbeamten. Ihre Sichtweise darf keinesfalls unkritisch übernommen werden, sondern muss mit anderen Quellen abgeglichen werden. Ein sehr widersprüchliches Bild von der Stellung der Flüchtlinge in der Tschechoslowakei bietet das Quellenmaterial hinsichtlich der Flüchtlingsfürsorge. Die ursprünglichen Fonds der Hilfsorganisationen existieren in der Regel nicht mehr; sie wurden nach dem Einmarsch der Wehrmacht zum größten Teil von diesen selbst vernichtet, damit ihre Klienten nicht kompromittiert würden. Die Fonds bzw. deren Reste, die es erlauben würden, die Tätigkeit der Hilfsorganisationen nachzuzeichnen, sind heute über die ganze Welt verstreut. Für eine angemessene wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Themen Flüchtlingshilfe und Flüchtlingsalltag musste auf Archive in verschiedenen Ländern zurückgegriffen werden. Wichtig war vor allem das Quellenmaterial im Deutschen Exilarchiv in Frankfurt am Main; dort befindet sich auch das Manuskript des oben erwähnten Buches von Wilhelm Sternfeld. Hier erwiesen sich für die vorliegende Untersuchung insbesondere Briefe, Flugblätter, Berichte und sonstige Dokumente von Flüchtlingen in der Tschechoslowakei als relevant, die Sternfeld schon während des Zweiten Weltkriegs zusammentragen konnte und seinem Buch zugrunde gelegt hat. Zur Authentizität dieser Zeugnisse trägt unter anderem bei, dass sie im Abstand von nur wenigen Jahren entstanden. Die Darstellung der jüdischen Flüchtlingen geleisteten Hilfe basiert auf den Materialien im Archiv des American Jewish Joint Distribution Committee

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(AJJDC, meist JOINT) in New York. Diese jüdisch-amerikanische Organisation hat die Hilfe für jüdische und mitunter auch nichtjüdische Flüchtlinge in Europa zum größten Teil finanziert. Voraussetzung für eine solche Unterstützung waren detaillierte Informationen über die Tätigkeit der betreffenden Hilfskomitees, sei es von deren Mitarbeitern vor Ort oder von eigenen Berichterstattern. Die Agenda der Organisation HICEM in Prag, die jüdische Flüchtlinge unterstützte, galt bislang als verloren. Teile davon fanden sich im Archiv des Jüdischen Museums in Prag, im Archiv des Centrum Judaicum in Berlin, im Zionistischen Zentralarchiv in Jerusalem und im Archiv des Instituts für Zeitgeschichte in Zürich, und zwar als Kopie von Archivalien, die von den sowjetischen Behörden nach Kriegsende nach Moskau verbracht worden waren. Erst in der Endphase der Forschungsarbeiten stießen die Autoren im Archiv des YIVO Institut for Jewish Research in New York auf die umfangreichen Bestände aus der Prager HICEMZweigstelle; die Dokumente waren aus dem Archiv der Organisation ICA dorthin gelangt. Das ICA hatte die Emigration von Juden aus Europa finanziell unterstützt und mit der HICEM kooperiert. Von unschätzbarem Wert sind hier vor allem die lückenlos vorhandenen Sitzungsprotokolle des HICEM-Komitees in Prag sowie des gemeinsamen Ausschusses für die Koordination aller in der Tschechoslowakei tätigen Hilfsorganisationen. Diese Dokumente haben es ermöglicht, das bisherige Bild von den Aktivitäten der Hilfskomitees in der Tschechoslowakei nicht nur zu vervollständigen, sondern oft auch grundlegend zu revidieren. Um Art und Umfang der Hilfe darzustellen, die die Flüchtlinge von den jüdischen Kultusgemeinden erhielten, wurde die Dokumentation der einzelnen Gemeinden in Böhmen, Mähren und Schlesien gesichtet, die sich, wenn auch nicht vollständig erhalten, im Jüdischen Museum in Prag befindet. Auch die persönliche Perspektive der Flüchtlinge sollte in die Darstellung einfließen. Neben den in Buchform publizierten gibt es auch Fonds persönlicher Erinnerungen in verschiedenen Spezialarchiven: im Leo Baeck Institute in New York und in Berlin, im Archiv des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin und im Archiv für Zeitgeschichte der Universität Wien; Lebensberichte befinden sich auch unter den Archivmaterialien des Jüdischen Museums in Prag (Abteilung für die Geschichte der Schoah). Als wichtige Quelle diente der vorliegenden Untersuchung auch die zeitgenössische Presse. Sie spiegelt die verschiedenen politischen Strömungen in der tschechischen Gesellschaft und dokumentiert die Medienkampagnen zum Thema Flüchtlinge. Die Flüchtlinge waren zu einem bestimmenden Thema der öffentlichen Debatten geworden. Dies sowie die verschiedenen politischen Positionen verdeutlichen die Parlamentsreden von Abgeordneten und Senatoren. Und nicht zuletzt stützt diese Arbeit sich auch auf die von den Flüchtlingen in der Tschechoslowakei selbst herausgegebenen Zeitschriften. ***

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Die hier präsentierte neue Sicht geht einher mit einer kritischen Überprüfung der Terminologie, derer sich die bisherige Literatur zu den Flüchtlingen in der Zwischenkriegs-Tschechoslowakei bedient. Im zeitgenössischen Diskurs war für alle, die vor Verfolgung aus Deutschland und anderen Ländern geflüchtet waren, die Bezeichnung Emigrant gebräuchlich. In vielen Fällen wurde dieser jedoch durch den Ausdruck Flüchtling ersetzt, ohne dass die damit verbundene Bedeutungsverschiebung reflektiert worden wäre. Auch wenn sich beide Begriffe in ihrer Bedeutung überschneiden, verweist „Flüchtling“ doch mehr auf den Umstand, dass die betreffende Person auf der Flucht vor Verfolgung war. „Emigrant“ betont eher die Entscheidung, das Heimatland für längere Zeit zu verlassen, wobei die Gründe hierfür ganz verschiedener Art sein können. Die Begriffe Emigrant und Emigration bezeichnen vor allem den Wechsel des Aufenthaltsortes. Die häufigere Verwendung des Begriffs Emigrant kann daher auch der Präferenz für die Geschichte des politischen Exils zugeschrieben werden. Eine Emigration kann freiwillig erfolgen und Ausdruck einer Wahl sein; zum Flüchtling wird ein Mensch nur unter Druck und auf Grund von Verfolgung, was ihn freilich von einer Entscheidung nicht ganz entbindet. Diese Begriffsverwirrung hängt auch damit zusammen, dass sich erst in der Zwischenkriegszeit eine international anerkannte Definition der Flüchtlinge etablierte und mit ihr dann auch die ersten internationalen Vereinbarungen über deren Schutz. Die Zwischenkriegs- und Nachkriegskonventionen über die Flüchtlinge beinhalteten immer auch eine Definition des Flüchtlings (engl. refugee, franz. réfugié), den Begriff Emigrant hingegen kannten sie nicht. Das Flüchtlingsstatut ist vor allem in der Konvention der Vereinten Nationen von 1951 festgeschrieben. In der vorliegenden Untersuchung haben sich die Autoren daher für den Begriff Flüchtling entschieden; er wird der Situation der Menschen, die vor dem Nationalsozialismus flüchteten, gerechter. Erklärungsbedürftig ist auch der sehr beliebte Begriff Asyl: in der Publizistik wird dieser Ausdruck, der rein sprachlich gesehen so viel bedeutet wie „sicherer Ort“, in verschiedenen Zusammenhängen und oft nur metaphorisch gebraucht. Die Häufigkeit des Wortes Asyl in den Reden der Politiker oder in Zeitungsartikeln sagt aber noch lange nichts über die tatsächliche Stellung der Flüchtlinge aus. Andererseits bezeichnet der Begriff Asyl einen eindeutig definierten Rechtsstatus, der dem Flüchtling einen längerfristigen Aufenthalt auf dem Gebiet eines Staats garantiert und ihn mit bestimmten Rechten ausstattet, über die sonst nur dessen Bürger verfügen. So gibt es auch derzeit in der Tschechischen Republik ein besonderes Asylgesetz,24 das die Stellung der Asylbewerber und die Bedingungen ihrer Anerkennung als Asylanten festlegt. Diese begriffliche Unklarheit hat jedoch in der historischen Fachliteratur zu zahlreichen Missverständnissen hinsichtlich der tatsächlichen Auswirkungen des Asylrechts in der Tschechoslowakei geführt. 24 Gesetz vom 11. November 1999 über Asyl Nr. 325/1999, Sammlung der Gesetze und Verordnungen.

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Daher wird hier zwischen dem symbolischen Recht auf Asyl und dem klar definierten Status als Flüchtling unterschieden. Unter anderem auch deswegen spricht der Titel des Buches nicht von Asyl, sondern von Zuflucht und verweist damit auf einen rechtlich nicht klar definierten Status. Vielsagend in dieser Hinsicht sind die Titel nicht weniger Arbeiten zur Problematik der deutschen und österreichischen Flüchtlinge in der Tschechoslowakei. Die Tschechoslowakei als Stätte der Zuflucht wird hier beispielsweise als „Brücke“ bezeichnet, als „Drehscheibe“ oder „Kreuzung“, „Umsteigestation“ oder „Station auf der Flucht“.25 All diese Bezeichnungen haben eines gemeinsam: sie drücken aus, wie unsicher und veränderlich die Stellung des Flüchtlings war und betonen deren zeitliche Begrenzung. Die Flüchtlinge konnten nicht wissen, wie lange ihr Exil dauern würde, ob sie je in ihre Heimat zurückkehren würden und ob ihnen die Tschechoslowakei auch weiterhin Zuflucht gewähren würde. Der Aufenthalt in der Tschechoslowakei war für die Flüchtlinge nur ein mehr oder weniger wichtiges Interim. Gemeinsam ist all diesen Ausdrücken auch, dass sie einen symbolisch (und nicht geographisch) definierten Raum bezeichnen, der den Flüchtlingen die Heimat ersetzte. Diese räumliche und zeitliche Definition kann aber unterschiedliche Konnotationen haben. Daher lohnt es sich, einige dieser „Etikettierungen“ näher zu betrachten und den Aspekten nachzugehen, die sie beinhalten oder indizieren können. Einige von ihnen verraten nämlich ein hauptsächliches Interesse an der politischen Emigration und deren Programm, die sich die Errichtung eines anderen politischen Systems in ihrem Heimatland zum Ziel gesetzt hatte. Während Bohumil Černýs Most k novému životu [Brücke zu einem neuen Leben] die Hoffnung auf ein Leben in einer besseren Welt nur indirekt andeutet, nennt Werner Röder die Tschechoslowakei unter anderem auch einen „Kampfposten“. In beiden Fällen aber wird das Exil in der Tschechoslowakei als Raum benannt, von dem aus die Flüchtlinge auf eine politische Veränderung in ihrer Heimat hinarbeiteten. Das Exil war daher auch in einem übertragenen Sinn eine Art Bühne, von der aus die Flüchtlinge der Öffentlichkeit ihre Botschaft übermittelten. Die Flüchtlinge wurden oft – auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch – als das „andere Deutschland“ wahrgenommen, als diejenigen, die die eigentliche kulturelle und politische Tradition ihres Landes verkörperten.26 25 BECHER, CANZ: Drehscheibe Prag; BECHER, HEUMOS: Drehscheibe Prag; RÖDER: „Drehscheibe – Kampfposten – Fluchtstation“; ČERNÝ: Most k novému životu; Dora MÜLLER: Drehscheibe Brno / Přestupní stanice Brno. Deutsche und österreichische Emigranten 1933–1939 / Němečtí a rakouští emigranti 1933–1939. Brno 1997. Peter Heumos spricht von der Tschechoslowakei als „Durchgangsstation“: Peter HEUMOS: „Die Tschechoslowakei“, in: Claus-Dieter KROHN, Patrik von zur MÜHLEN, Gerhard PAUL, Lutz WINCLER (Hg.): Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933–1945. Darmstadt 1998, S. 411–426, vgl. S. 423. 26 Dazu jüngst vgl. Armin STROHMEYR: Verlorene Generation. Dreißig vergessene Dichterinnen und Dichter des „anderen Deutschland“. Zürich 2008.

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Mehrere Interpretationen erlaubt die beliebte und durchaus treffende Bezeichnung „Drehscheibe“. Das zeigen allein schon die verschiedenen Übersetzungen, ins Tschechische zum Beispiel als Umsteigestation (přestupní stanice), ins Englische als staging point. Eine Drehscheibe bezeichnet einerseits einen Ort, an dem alles in Bewegung ist und nichts zum Stillstand kommt, andererseits aber auch einen Ort der Begegnung, Diskussion und der gegenseitigen Bereicherung verschiedener Strömungen, Nationalitäten und Kulturen. In diesem Sinn begegnet der Begriff křižovatka [Kreuzung] im Thema einer Ausstellung und im Titel eines Buches: Na křižovatce kultur27 [„Wo sich Kulturen begegnen“]. Auch Květa Hyršlová versteht diese gerne gebrauchten Metaphern in eben dieser Weise: „Zde byla křižovatka, most a odrazový můstek k očištění a tříbení jejich názorů.“28 [„Hier war eine Kreuzung, eine Brücke, ein Sprungbrett zur Sichtung und Klärung ihrer Ansichten.“] All diese verschiedenen Konnotationen veranschaulichen nicht zuletzt die vielen Funktionen des Exils und die möglichen Perspektiven auf den Aufenthalt und die Rolle der deutschen und österreichischen Flüchtlinge in der Ersten Republik. Der Titel Unsichere Zuflucht will nicht nur die zeitliche Begrenztheit des Exils in der Tschechoslowakei andeuten, sondern gerade auch die Fragwürdigkeit der bisherigen Vorstellung von der Ersten Republik als einer gewissermaßen zweiten Heimat, in der die Flüchtlinge aus Deutschland weiterhin beruflich tätig und vielfältig politisch aktiv sein konnten. War jenes symbolische Territorium, das die oben erwähnten Metaphern zu fassen suchen, tatsächlich ein so freundlicher Ort? Nicht zufällig erinnert Unsichere Zuflucht an Uneasy asylum, den Titel von Vicky Carons Buch über die Flüchtlingspolitik in Frankreich. Die Ähnlichkeit der Titel rührt letztlich daher, dass sich die tschechoslowakische Flüchtlingspolitik kaum unterschied vom Vorgehen der anderen europäischen Staaten, die die Aufenthaltsdauer für die Flüchtlinge erheblich beschränkten und zu verhindern suchten, dass diese auf ihrem Territorium ein neues Zuhause fanden. Der Aufenthalt der Flüchtlinge im realen und imaginären Zeit-Raum des Exils stand daher im Zeichen der Unsicherheit. Diese Unsicherheit war nicht nur Ausdruck einer Exilerfahrung schlechthin, wie sie sich natürlicherweise einstellt, wenn jemand um seine engsten Angehörigen bangen muss, in finanzieller Bedrückung lebt und mit Angst in die Zukunft blickt. Unsicherheit wurde für die Flüchtlinge auch geschaffen, und zwar von den tschechoslowakischen Behörden, in deren Hand die Entscheidung über eine Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis lag.

27 Natalia BERGER (Hg.): Wo sich Kulturen begegnen. Die Geschichte der tschechoslowakischen Juden. Praha 1992. 28 HYRŠLOVÁ: „Die ČSR als Asylland“, S. 32.

„Wohlwollende“ Flüchtlingspolitik Der erste Schritt ins Exil In der Nacht zum 1. April 1933 hörten die Einwohner von Warnsdorf (Varnsdorf )1, die unmittelbar an der deutschen Grenze wohnten, sechs Schüsse. Kurz darauf sahen sie vier verwundete, blutüberströmte Gestalten. Es waren Juden aus Polen und Russland. Leo Grummer und Markus Levi Engel waren einen Tag zuvor im sächsischen Seifhennersdorf festgenommen worden, wo sie mit Tuchwaren hausierten. Nach dem Verhör wurden sie in das Lager auf Schloss Hainewalde bei Zittau gebracht. Nicht weit von hier wurden auch Levin Gerson und Salomon Kopf verhaftet, die ebenfalls als Händler unterwegs waren. Hainewalde, nur wenige Kilometer von Warnsdorf entfernt, war eines der ersten Konzentrationslager der SA, in denen Mitglieder der kommunistischen und sozialdemokratischen Partei, aber auch Juden schikaniert und terrorisiert wurden. Die Gefangenen wurden verhört, geschlagen, mussten Zwangsarbeit leisten und sich einer ideologischen, antisemitischen Schulung unterziehen.2 Alle vier Inhaftierten wurden misshandelt, Wertsachen, Geld, persönliche Gegenstände und Reisepapiere wurden ihnen abgenommen. Beim Verhör drohte man ihnen mit Erschießung, sollten sie Deutschland nicht „freiwillig“ verlassen. In der Nacht wurden sie dann auf einen Lastwagen verladen und in Begleitung von zwölf Angehörigen der Hilfspolizei, die mit Läufen und Schäften auf sie einprügelten, an die Grenze verfrachtet, wo man sie unter Schüssen Richtung Warnsdorf über die Grenze trieb. Im Warnsdorfer Krankenhaus diagnostizierten die Ärzte schwere Verletzungen, die ein- bis mehrwöchige Behandlungen verlangten. Salomon Kopf hatte einen Schädelbruch erlitten. Er verstarb am 10. April 1933.3

1 Orte werden in der deutschen Fassung des Buches mit ihrem deutschen Namen angeführt. Der tschechische Name folgt in Klammern lediglich der Erstnennung eines Ortes. Die tschechischen Äquivalente zu den deutschen Ortsnamen finden sich außerdem im Index. 2 Zu Hainewalde vgl. Joseph Robert WHITE: Early camp: Hainewalde. The United States Holocaust Memorial Museum Encyclopedia of Camps and Ghettos, 1933–1945. Center for Advanced Holocaust Studies, United States Holocaust Memorial Museum. Online: http:// www.ushmm.org/wlc/ar ticle.php?lang=en&ModuleId=10007212 [zit. 24.7.2006]. 3 NA, PMV 225, 1931–1935, Sign. X/N/9/11, K. 841: Berichte der Landesbehörde in Prag, 5.4.1933 u. 12.7.1933; vgl. auch „Flüchtlinge aus Deutschland“, Prager Tagblatt, 2.4.1933, S 5.

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Leo Grummer, geboren 1888 in Kolomea in Galizien. Einer der vier „Ostjuden“, die am 1. April 1933 misshandelt und über die tschechoslowakische Grenze nach Warnsdorf getrieben wurden. Spätestens seit dem Ersten Weltkrieg lebte Grummer in Österreich und Deutschland. 1933 war er in Leipzig als Kleinhändler registriert. Als er sich von den Verletzungen der gewalttätigen Vertreibung in die Tschechoslowakei erholt hatte, ließ er sich in Warnsdorf nieder. Von dort flüchtete er nach dem Münchner Abkommen nach Prag. Wie vielen Flüchtlingen aus dem Grenzgebiet erteilte ihm die Prager Landesbehörde im Herbst 1938 keine Aufenthaltserlaubnis. Dabei hatte die Flüchtlingshilfsorganisation HICEM seinen Antrag unterstützt und zugesichert, dass er nach Palästina emigrieren werde. Die Ausreise gelang ihm jedoch nicht mehr. Grummer wurde am 6. März 1943 von Prag nach Theresienstadt deportiert, wo er am 18. März 1944 starb.4

Die Einwohner des tschechoslowakischen Grenzstädtchens, und in einem weiteren Sinne die tschechoslowakischen Staatsbürger schlechthin, sahen sich somit schon wenige Wochen nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten mit deren brutalen Methoden konfrontiert – und mit den Flüchtlingen aus Deutschland. Am 31. Januar 1933 hatte der alternde deutsche Präsident Paul von Hindenburg den „Führer“ der nationalsozialistischen Arbeiterpartei Adolf Hitler zum Kanzler der neuen deutschen Regierung ernannt. In nur wenigen Monaten gelang es den Nationalsozialisten, die grundlegenden Menschenrechte und bürgerlichen Freiheiten zu demontieren und das demokratische System der Weimarer Republik zu beseitigen. Sie verboten alle konkurrierenden Parteien und gewerkschaftlichen Organisationen, verfolgten ihre politischen Gegner, richteten Konzentrationslager ein und machten deutlich, dass sie keinerlei Opposition dulden würden. Gleich in den ersten Tagen des NS-Regimes wurden die Juden aus dem öffentlichen Dienst entlassen, verloren ihre Stellen an den Universitäten, ihre Ämter und Funktionen im kulturellen Leben und wurden zu Bürgern zweiter Klasse erniedrigt. Der Boykott jüdischer Geschäfte, Anwälte und Ärzte ab April 1933 sollte die antisemitische Einstellung des neuen deutschen Regimes unmissverständlich demonstrieren. Die Verfolgung veranlasste zahlreiche deutsche Bürger zur Flucht in ein anderes Land. Die einen flüchteten auf Grund ihrer politischen Überzeugung, die anderen, weil sie Juden waren und man ihnen ihre bürgerlichen Freiheiten nahm; viele flüchteten aus beiden Gründen zugleich. Sie alle fürchteten, ihren Beruf nicht 4 NA, PŘ, 1931–1940, Sign. G 993/32, K. 6103: Leo Grummer; Datenbank der Opfer der „Endlösung der Judenfrage“ in den böhmischen Ländern, Institut Theresienstädter Initiative, Prag, siehe auch http://www.holocaust.cz/de/victims/PERSON.ITI.2012999 (19.11.2011).

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weiter ausüben zu können, verhaftet oder in ein Konzentrationslager deportiert zu werden. Eines der Ziele dieser neuen Flüchtlingswelle war die Tschechoslowakei. Die ersten Flüchtlinge kamen unmittelbar nach Hitlers Machtantritt über die tschechoslowakische Grenze, um vorübergehend oder längerfristig Schutz vor Verfolgung zu suchen oder von hier aus gegen das neue politische Regime zu operieren. Die Tschechoslowakei und Deutschland hatten eine lange gemeinsame Grenze, die fast ausschließlich durch bergiges, bewaldetes und also schwer zu kontrollierendes Terrain verlief. Viele, denen in Deutschland eine Verhaftung drohte oder die aus einem deutschen Konzentrationslager geflohen waren, sahen in der nah gelegenen Grenze zur Tschechoslowakei die beste Gelegenheit, dem NS-Staat zu entrinnen. In den Waldgebieten ließ sich zum Beispiel ein Sonntagsausflug vortäuschen, um dann in einem unbeobachteten Moment die Grenze zu überschreiten. So schildert Stefan Heym in seinen Memoiren, wie er – auf der Flucht vor einer Verhaftung – in völlig unzureichender städtischer Kleidung nachts bei Spindlermühle (Špindlerův Mlýn) im Schnee über die Grenze wechselte. Seine erste (und einzige) Adresse war die von Egon Erwin Kisch in Prag.5 Die Grenze war weder mit einem Zaun noch mit sonstigen Absperrungen versehen und auch auf tschechoslowakischer Seite relativ schwach bewacht. Für den Schutz der Staatsgrenze war in erster Linie die Finanzwache zuständig, die 1936 der neu geschaffenen Stráž obrany státu (SOS) [Wache zur Verteidigung des Staats] eingegliedert wurde. Der SOS gehörten auch andere bewaffnete Verbände an, vor allem die Polizei und die Gendarmerie. Die neuen Einheiten sollten nicht nur Personenbewegungen über die Grenze kontrollieren, sondern sie im Angriffsfall auch verteidigen können, bis hin zur Mobilmachung und zum militärischen Einsatz. Sie entstanden also auch in Zusammenhang mit der wachsenden Gefahr eines Überfalls und der Schaffung einer Grenzzone, in der die Armee besondere Vollmachten hatte.6 Bei weitem nicht alle Flüchtlinge wählten den Weg über die grüne Grenze. Wer sich nicht unmittelbar einer Verhaftung ausgesetzt sah und einen Pass besaß, reiste über eine offizielle Grenzstation ein. Der Reiseverkehr zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei war visumfrei und so genügte für den Grenzübertritt die Vorlage eines gültigen deutschen Reisepasses. Einige Flüchtlinge kamen auch im Rahmen des kleinen Grenzverkehrs, zu dem die unmittelbaren Grenzanwohner berechtigt waren. Er ermöglichte einen Grenzübertritt ohne Reisepass, in manchen Fällen sogar abseits der üblichen Grenzübergänge.7 5 Stefan HEYM: Nachruf. Berlin 1990, S. 78–83. 6 Robert SPEYCHAL u. Koll.: Stráž obrany státu. Praha 2002; Jaroslav BENEŠ: Finanční stráž Československa 1918–1938. Mladá Boleslav 2005. 7 Jan RYCHLÍK: Cestování do ciziny v habsburské monarchii a v Československu. Pasová, vízová a vystěhovalecká politika 1848–1989. Praha 2007, S. 16–18.

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Vor allem in den ersten Monaten des NS-Regimes versuchten SA-Einheiten, der Flüchtlinge auch dann noch habhaft zu werden, nachdem sie die Grenze schon überschritten hatten; so wurde die Tschechoslowakei immer wieder zum „Schauplatz“ nationalsozialistischer Gewalt. Die NS-Kampftrupps drangen auf tschechoslowakisches Gebiet vor, um dort politische oder jüdische Flüchtlinge zu terrorisieren. Im März 1933 beispielsweise verfolgte eine Gruppe von SA-Männern im erzgebirgischen Katharinenberg (Hora Svaté Kateřiny) den Sekretär der Sozialdemokratischen Partei Kurt Hermann Pittig, der dort einige Tage untergebracht war. Zwar vergeblich, doch wurde ein zufälliger Passant durch Schüsse verletzt.8 Wenige Tage später überschritten vier Männer in Zivil die tschechoslowakische Grenze von Sachsen her, um bei den Joachimsthaler ( Jáchymover) Skihütten, von denen eine der jüdischen Gemeinde, die andere der Sozialdemokratischen Partei in Sachsen gehörte, Flüchtlinge zu terrorisieren. In der sozialdemokratischen Hütte Telemarken-Skiclub befanden sich damals etwa zwanzig „touristische“ Flüchtlinge.9 Zur selben Zeit suchte der jüdische Rechtsanwalt Gerhard Wolff aus Breslau (Wrocław) Zuflucht in der Masaryk-Hütte auf dem Scherlich (Šerlich) im Adlergebirge. Ein NS-Trupp folgte seinen Spuren illegal über die Grenze, um seine Auslieferung zu erzwingen. Gerettet wurde Wolff erst durch eine herbeigerufene Gendarmeriewache. Laut eigener Aussage hatte man ihn wegen seiner kritischen Äußerungen über die Verfolgung von Kommunisten und Juden im Visier – einen Tag vor seiner Flucht waren in Breslau alle jüdischen Rechtsanwälte und Richter von den Verhandlungen des Kreisgerichts ausgeschlossen worden. Seine Verfolger behaupteten darüber hinaus, der Flüchtling sei ein kommunistischer Funktionär. Wolff beantragte beim Bezirksamt in Neustadt an der Mettau (Nové Město nad Metují) Asylrecht, wurde aber aus der Tschechoslowakei ausgewiesen. Die Ausreisefrist betrug eine Woche, das Zielland konnte er selbst wählen.10 Ein spektakuläres Beispiel nationalsozialistischer Gewalt gegen Flüchtlinge auf tschechoslowakischem Gebiet ist der Mord an Professor Theodor Lessing. Er wurde am 30. September 1933 in Marienbad (Mariánské Lázně) Opfer zweier von der NS-Propaganda inspirierter Todesschützen, die nach begangener Tat auf deutsches Gebiet zurückflüchteten, um bei der Polizeidirektion in Nürnberg das von den Nationalsozialisten auf Lessing ausgesetzte Kopfgeld zu kassieren. Lessing, wenn auch für sich genommen ein kontroverser Denker, war ein grundsätz8 NA, PMV, 1931–1935, Sign. X/N/9/11, K. 843: zpráva četnictva, 16.3.1933. Zu Pittig vgl. den kurzen Nekrolog in den Sozialistische Mitteilungen, Nr. 75/76, Juni – Juli 1945, S. 21, online: http://library.fes.de/fulltext/sozmit/1945-075.htm#P317_54382 [zit. 11. 8. 2006]. 9 NA, PMV, 1931–1935, Sign. X/N/9/11, K. 843: Gendarmeriebericht, 18.3.1933. 10 NA, PMV, 1931–1935, Sign. X/N/9/11, K. 842: Bericht des Präsidiums der Landesbehörde Prag, 24.3.1933; vgl. auch „Hakenkreuzlerský vpád do Masarykovy chaty na Šerlichu v Orlických horách“ [Hakenkreuzler fallen in die Masaryk-Hütte auf dem Scherlich im Adlergebirge ein], Národní listy, 21.3.1933, Abendausgabe.

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licher Gegner der nationalsozialistischen Ideologie und hatte unmittelbar nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten deren Einschüchterungsstrategien und Gewaltbereitschaft am eigenen Leib erfahren. Im März 1933 hatten sie in seinem Haus in Hannover die Einrichtung demoliert. Anfang Mai flüchtete Lessing dann in die Tschechoslowakei; in Marienbad suchte er Ruhe zum Arbeiten. Viele Bürger der Tschechoslowakei sahen in seiner Ermordung einen geradezu exemplarischen Ausdruck nationalsozialistischer Brutalität. Es kam zu Demonstrationen gegen den Nationalsozialismus; vor allem die deutschen Sozialdemokraten riefen zu Versammlungen auf, die den Mord (und damit auch das NS-Regime) verurteilten. Aus den Reihen der Flüchtlinge wurde die Forderung laut, die Grenze zu Deutschland besser zu bewachen, um politische Morde künftig zu verhindern.11 In den ersten Wochen und Monaten nach der Machtergreifung rechneten die Flüchtlinge meist noch nicht mit einer längerfristigen Emigration und suchten eher Zuflucht in grenznahen Gebieten, wo sie den politischen Umschwung abwarten wollten. Anfang April 1933 übermittelte beispielsweise die Gendarmerie in Karlsbad (Karlovy Vary) den übergeordneten Organen eine Liste von zwölf Flüchtlingen, die sich hierher geflüchtet hatten. Sie wurden allesamt auf die Gendarmerie einbestellt, wo sie Asyl beantragten und zusicherten, nach Deutschland zurückzukehren, sobald sich dort die Verhältnisse beruhigt hätten. Ungefähr die Hälfte von ihnen bekannte sich zu einer politischen Tätigkeit in der kommunistischen oder sozialdemokratischen Partei (unter ihnen war auch der frühere sozialdemokratische Kanzler Philipp Scheidemann); die übrigen Flüchtlinge waren vermutlich jüdischer Abstammung. Der Aufenthalt wurde ihnen unter der Bedingung genehmigt, dass sie sich in der Tschechoslowakei in keiner Weise politisch betätigten.12 Bald aber kamen auch erste Flüchtlinge in grenzfernere Städte. Aus Brünn (Brno) wurde Anfang Mai 1933 von elf Personen berichtet, die sich bei der Polizei als Flüchtlinge gemeldet hatten, weitere hätten kurz Aufenthalt in verschiedenen Hotels genommen. Alle diese Flüchtlinge waren Juden, einer davon außerdem Sozialdemokrat, der für den Vorwärts schrieb. Die meisten von ihnen hatten Verwandte oder Geschäftspartner in Brünn, von denen sie unterstützt wurden.13 Die Polizeidirektion in Mährisch Ostrau (Moravská Ostrava) wiederum meldete für die Zeit vom 1. April bis 20. Mai 1933 39 registrierte Flüchtlinge aus Deutschland, von denen 29 die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen, acht die polnische 11 Kateřina ČAPKOVÁ: „Theodor Lessing – vom Außenseiter zum Symbol der antinazistischen Opposition“, Theresienstädter Studien und Dokumente, 2003, S. 11–32. 12 NA, PMV, 1931–1935, Sign. X/N/9/11, K. 844–4: Bericht des Polizeikommissariats in Pilsen, 11.4.1933. 13 NA, PMV, 1931–1935, Sign. X/N/9/11, K. 844–4: Bericht des Präsidiums der Landesbehörde Brünn, 4.5.1933. Diese Polizeiberichte geben keinen Aufschluss darüber, nach welchen Kriterien „jüdische“ Flüchtlinge von den anderen, den „politischen“ Flüchtlingen, unterschieden wurden.

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und zwei die österreichische. In fast allen Fällen handelte es sich um nicht bemittelte jüdische Flüchtlinge (Arbeiter, Setzer, Hutmacher, Handelsreisende, Handelsvertreter etc.), für deren Unterhalt, sofern sie in Mährisch Ostrau verblieben, die dortige jüdische Kultusgemeinde aufkam. Nicht sicher verbürgten Berichten zufolge sollten die jüngeren unter ihnen nach Palästina ausreisen, sobald ihnen die tschechoslowakische zionistische Organisation ein Einwanderungszertifikat verschafft hätte.14 Die meisten Flüchtlinge aber verzeichnete Prag. Ende Mai 1933 waren dort 300 Personen registriert, davon über die Hälfte Juden. Aus ihren Verhören geht hervor, dass sie größtenteils unter sehr dramatischen Umständen und völlig überstürzt geflüchtet waren und daher auch keine gültigen Reisedokumente bei sich führten. Die Prager Polizei gab an, dass „die Gründe für die Flucht dieser Personen aus Deutschland ihre jüdische Abstammung, die Mitgliedschaft in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands bzw. eine gegen Hitler gerichtete gewerkschaftliche, journalistische oder schriftstellerische Tätigkeit sind.“15 Im Juni 1933 waren bei der Prager Polizeidirektion dann ca. 360 Flüchtlinge registriert, darunter zahlreiche Vertreter der deutschen Sozialdemokratie und namhafte Gegner des Nationalsozialismus. Ungefähr 57% der Personen, die zuletzt in Deutschland wohnhaft gewesen waren, kamen aus Berlin, jeweils fast 8% aus Leipzig und Breslau. 46 Personen waren ohne gültigen Reisepass gekommen, sieben waren staatenlos; außerdem wurden zwei Ungarn und ein Pole als „deutsche Flüchtlinge“ registriert. Die Fluktuation war relativ stark, für viele war die Tschechoslowakei nur eine der Stationen auf ihrem Weg in die Emigration. Davon zeugt die Tatsache, dass 24 der von der Prager Polizei registrierten Flüchtlinge das Land inzwischen schon wieder verlassen hatten: Die meisten wollten nach Westeuropa (vor allem nach Paris), einige gingen nach Palästina. Zwei Flüchtlinge waren – jedenfalls den Angaben der Prager Polizei zufolge – nach Deutschland zurückgekehrt.16 Zum Zweck bestmöglicher Kontrolle begannen die Behörden, eine Statistik über die deutschen und österreichischen Flüchtlinge zu führen. Heute ist sie die im Grunde einzige vorliegende Quelle, die einen Überblick über die Flüchtlingszahlen gewährt. Allerdings ist ihre Aussagekraft beschränkt: sie erfasst keineswegs alle Flüchtlinge, die durch die Tschechoslowakei gefahren sind oder sich hier eine gewisse Zeit aufgehalten haben, sondern vor allem diejenigen, die sich bei den 14 NA, PMV, 1931–1935, Sign. X/N/9/11, K. 842: Bericht des Präsidiums der Landesbehörde Brünn, 20.5.1933. 15 NA, MV, Alte Registratur 1936–1940, Sign. 5/51/16, K. 4655: Bericht der Polizeidirektion Prag, 26.5.1933: „…důvody pro uprchnutí těchto osob z Německa jsou motivovány jednak židovským původem těchto, jednak příslušností k německé soc. demokratické straně neb odborovou, žurnalistickou či spisovatelskou činností, směřující proti hitlerovské orientaci.“ 16 NA, PMV, 1931–1935, Sign. X/N/9/11, K. 844–2: Bericht der Polizeidirektion Prag, 21.6.1933. Im Verzeichnis werden insgesamt 358 Personen angeführt, nicht mitgezählt wurden allerdings einige Kinder und andere abhängige Personen.

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Der erste Schritt ins Exil

Offizielle Statistik der deutschen Flüchtlinge in der Tschechoslowakei, 1935–1938 Datum 1.3.1935 1.4.1935 1.5.1935 1.6.1935 1.7.1935 1.8.1935 1.9.1935 1.10.1935 1.11.1935 1.11.1935 1.12.1935 1.1.1936 1.2.1936 1.3.1936 1.4.1936 1.5.1936 1.6.1936 1.7.1936 1.8.1936 1.9.1936 1.10.1936 1.11.1936 1.12.1936 1.1.1937 1.2.1937 1.3.1937 1.4.1937 1.5.1937 1.6.1937 1.7.1937 1.8.1937 1.9.1937 1.10.1937 1.11.1937 1.12.1937 1.1.1938 1.2.1938 1.3.1938 1.4.1938 1.5.1938 1.6.1938 1.7.1938 1.8.1938

Böhmen

Mähren

1483 1057 1056 1046 1049 1071 1095 1071 1072 1072 1149 1097 1138 1116 1152 1125 1111 1423 1404 1461 1425 1422 1354 1346 1375 1276 1275 1299 1231 1239 1282 1317 1244 1248 1227 1208 1182 1210 1166 1025 1023 1068 1267

180 183 196 206 200 179 187 186 192 192 194 166 200 212 227 238 237 223 223 208 203 205 203 179 162 177 172 165 165 152 134 127 126 128 123 142 132 131 119 134 128 128 118

Slowakei 110 107 103 108 114 112 90 103 82 82 99 97 109 98 107 125 118 103 85 72 62 48 34 34 35 39 43 44 45 45 49 49 46 45 42 40 44 42 45 47 46 45 45

Karpato-Ukraine 2 3 4 1 1 1 1 1 1 1 2 3 2 4 5 4 4 5 5 5 5 5 3 4 2 2 3 3 5 6 7 7 6 6 7 7 7 8 8 10 10 13

Gesamt 1775 1350 1359 1361 1364 1363 1373 1361 1347 1347 1444 1363 1449 1430 1491 1492 1470 1754 1717 1746 1695 1680 1594 1563 1574 1494 1493 1511 1446 1442 1472 1500 1422 1427 1399 1397 1365 1391 1338 1216 1207 1254 1430

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„Wohlwollende“ Flüchtlingspolitik

Flüchtlingskomitees gemeldet hatten; von deren Seite erfuhren sie nicht nur materielle Unterstützung, sondern auch Hilfe bei der behördlichen Anmeldung. In Bezug auf die Flüchtlingszahlen musste selbst das Innenministerium Anfang 1938 einräumen, dass seine Angaben einerseits auf denen der Hilfsorganisationen beruhen, andererseits auch „auf Statistiken über Personen, bei denen zufällig festgestellt wurde, dass sie Flüchtlinge sind.“17 Daraus geht hervor, dass die tatsächliche Zahl der Flüchtlinge offenbar wesentlich größer war und dass gerade all diejenigen nicht erfasst sind, die sich in der Tschechoslowakei nur kurze Zeit aufgehalten und daher auch die Hilfskomitees nicht in Anspruch genommen haben. Die Unzuverlässigkeit der Flüchtlingsstatistiken zeigt sich auch in den enormen Schwankungen (vgl. Tabelle auf S. XXX). Das plötzliche Sinken der Zahlen zwischen dem 1. März und dem 1. April 1935 geht beispielsweise darauf zurück, dass die Prager Polizeidirektion einfach eine Gruppe von 325 Personen, die ursprünglich in der beschlagnahmten Kartothek der kommunistischen Vereinigung zur Unterstützung deutscher Emigranten geführt worden waren, aus der Statistik strich. Die tatsächliche Zahl der Schützlinge dieser Hilfsorganisation konnte nicht mehr ermittelt werden und die Suche nach den meisten der ursprünglich registrierten Personen verlief ergebnislos.18 Auch Repatrianten werden in dieser Statistik nicht erfasst, d.h. tschechoslowakische Staatsbürger, die in Deutschland gelebt hatten und nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in die Tschechoslowakei zurückkehrten. Ihre tatsächliche Zahl lässt sich nur ungefähr schätzen, denn sie kamen legal über die Grenze und wurden nicht als Flüchtlinge registriert, auch wenn einige von ihnen eine Unterstützung von einem Hilfskomitee bezogen (vor allem jüdische Repatrianten). Als Orientierungshilfe kann aber dienen, dass in Deutschland 1933 4 275 Juden mit tschechoslowakischer Staatsbürgerschaft gelebt haben sollen, von denen ein großer Teil im Laufe der 1930er Jahre vermutlich in die Tschechoslowakei zurückgekehrt ist.19 Ihr Schicksal lässt sich jedoch nur in wenigen Fällen dokumentieren. So kehrte im Mai 1937 zum Beispiel der tschechoslowakische Staatsbürger Samuel Moskovits aus dem deutschen Ratibor zurück. Seinen Angaben nach hatte er seit 1931 in Deutschland gelebt und als Handlungsgehilfe gearbeitet; politisch hatte er sich nicht betätigt, doch wurde er als Jude und Angehöriger eines anderen Staats von den „Hakenkreuzlern“ belästigt: sie drohten ihm und versuchten, Geld von ihm zu erpressen. Nach seiner Rückkehr in die Tschechoslowakei wandte er sich zunächst an die jüdischen Gemeinden in Prag und Pressburg (Bratislava), 17 AMZV, Sign. II-3, K. 925: Vermerk des Außenministeriums, 3.2.1938: „na základě statistik osob, o nichž náhodně zjištěno, že jsou uprchlíky“. 18 NA, PMV, 1931–1935, Sign. X/N/9/11, K. 844–3: Bericht des Präsidiums der Landesbehörde Prag an das Präsidium des Innenministeriums, 30. 4. 1935. 19 Herbert A. STRAUSS: „Jewish Emigration from Germany. Nazi Policies and Jewish Responses (I)“, in: Leo Baeck Institute Yearbook, Bd. 25, 1980, S. 313–361.

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wo er einige Wochen Zuflucht fand, bis er sich schließlich in Mährisch Ostrau niederließ.20 Die meisten Flüchtlinge drängten in die großen Städte. Dort konnten sie mit einer Unterstützung der Hilfskomitees, der jüdischen Gemeinden oder der politischen Parteien rechnen und außerdem Kontakt zu anderen Flüchtlingen aufnehmen. Am 1. Juni 1937 waren in Böhmen 1520 deutsche Flüchtlinge registriert, davon ungefähr ein Drittel in Prag (466). Größere Flüchtlingsgruppen hielten sich außerdem in den deutschsprachigen Städten des Grenzgebiets auf, vor allem in Karlsbad (64, im benachbarten Neudek/Nejdek weitere 15), in Reichenberg (Liberec, 60), in Teplitz-Schönau (Teplice-Šanov, 72), in Aussig (Ústí nad Labem, 33) und in Tetschen (Děčín, 28). In vielen Orten und Bezirken lebten nur ein oder zwei Flüchtlinge.21 In Mähren waren zur selben Zeit 165 deutsche Flüchtlinge offiziell registriert, davon 65 in Brünn, 29 in Mährisch Ostrau und 14 in Teschen (Český Těšín). In keinem der anderen mährischen Bezirke lebten mehr als zehn Flüchtlinge.22 Die Zahl der Flüchtlinge aus Österreich vor 1938 war noch geringer. 1934 waren etwa zweitausend Mitglieder der paramilitärischen sozialdemokratischen Organisation Republikanischer Schutzbund in die Tschechoslowakei geflüchtet, die man in Österreich wegen ihrer aktiven Beteiligung an den Straßenkämpfen verfolgte, dazu weitere politische Flüchtlinge, von denen viele in den von sozialdemokratischer Seite eingerichteten Zeltlagern unterkamen. Für die meisten war die Tschechoslowakei aber nur eine Zwischenstation auf dem Weg in die Emigration: der Großteil dieser Flüchtlinge ging in die Sowjetunion, so dass ihre Zahl 1937 auf nur hundert sank.23 Die Tschechoslowakei ist der einzige östlich von Deutschland gelegene Staat, der für die vom NS-Regime verfolgten Menschen als Zufluchtsstätte Bedeutung hatte. Das hing zweifellos mit der geographischen Lage und der Nähe der deutschen Kultur zusammen, aber auch mit dem Vorhandensein einer deutschen Kultur im Land selbst. Nicht zuletzt war die Tschechoslowakei auf Grund ihres demokratischen Charakters und der Rolle der Linksparteien in ihrem politischen System attraktiv. Dennoch war die Zahl der Flüchtlinge (vor dem „Anschluss“ Österreichs im März 1938) nie sonderlich hoch, vor allem nicht im Vergleich mit den im Land ansässigen Ausländern. Nach der Volkszählung von 1930 lebten auf dem Gebiet der Tschechoslowakei rund eine Viertel Million Ausländer, in Prag 91 20 NA, PMV, K. 845–5: Protokoll mit Samuel Moskovits, aufgenommen auf der Polizeidirektion in Mährisch Ostrau, 21.7.1933. 21 NA, PMV, K. 1121: Mitteilung der Landesbehörde in Prag über die Zahl der reichsdeutschen Emigranten … zum 1.6.1937. 22 NA, PMV, K. 1121: Bericht der Landesbehörde Brünn, 28.6.1937. 23 Genaueres zum österreichischen Exil sowie Literaturhinweise siehe unter Kapitel „Die Privilegierten“.

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„Wohlwollende“ Flüchtlingspolitik

176, in Mähren und Schlesien 61 918. Personen mit deutscher Staatsbürgerschaft waren in der Tschechoslowakei mindestens 30 000 ansässig.24 Die Zahl der deutschen Flüchtlinge, einschließlich der nicht registrierten, war vermutlich zu keinem Zeitpunkt höher als viertausend – das war nur ein Bruchteil der in der Tschechoslowakei ansässigen Personen mit deutscher Staatsbürgerschaft. Flüchtlinge im Europa der Zwischenkriegszeit Die Flüchtlingswelle aus NS-Deutschland, später auch aus Österreich und anderen Ländern, war nicht die erste im Europa der Zwischenkriegszeit. Zu Recht wird das 20. Jahrhundert immer wieder das Jahrhundert der Flüchtlinge genannt.25 Schätzungen zufolge waren nach dem Ersten Weltkrieg in Europa ca. zehn Millionen Menschen in Bewegung, darunter Flüchtlinge aus Russland, der Ukraine und Armenien, Deutsche aus den nun zur neuen Republik Polen gehörenden Gebieten, Juden aus Galizien und der Ukraine, die vor der Front und vor den Pogromen der Nachkriegszeit flüchteten, sowie die Opfer der Bevölkerungstransfers auf dem Balkan. Der Erste Weltkrieg und die kommunistische Revolution in Russland hatten Europa einen bis dahin ungekannten Strom an Flüchtlingen beschert, von denen viele nach dem Ende der bewaffneten Konflikte nicht mehr in ihre ursprüngliche Heimat zurückkehren konnten oder wollten. Dass sich in der Zwischenkriegszeit in Europa eine Flüchtlingspolitik entwickelte, ist vor allem eine Folge der vielen Flüchtlinge aus Russland, die während des Bürgerkriegs und nach dem endgültigen Sieg der kommunistischen Revolution ihre Heimat verließen. Eine weitere große Gruppe stellten die Armenier dar; sie waren während des von den türkischen Behörden veranlassten Genozids an der armenischen Bevölkerung aus der Osttürkei geflüchtet oder vertrieben wurden. Die Flüchtlingsmassen, die sich nach dem Ersten Weltkrieg durch Europa bewegten, verlangten nach einer internationalen Koordinierung der Hilfsmaßnahmen. Ein besonderes Problem stellten die vielen Menschen dar, denen man die Staatsangehörigkeit aberkannt hatte bzw. die seitens ihres Heimatlandes keinerlei Schutz genossen. Menschen ohne Staatsangehörigkeit befanden sich in einem rechtlichen Vakuum und gerieten oft ohne eigenes Verschulden in die Position von Illegalen. Nach dem Krieg spielten die Staatsgrenzen in Europa eine viel größere Rolle als vorher. Auch wenn man vor dem Ersten Weltkrieg die Grenzen nicht völlig frei überschreiten konnte, gab es doch keine systematischen Passkontrollen, wie wir 24 Vgl. z.B. J. LAUBE: „Jací cizinci jsou u nás usazeni“, Venkov, 28.1.1933; „Die Ausländer in der Tschechoslowakei“, Prager Presse, 12.2.1933. 25 Vgl z.B.: Tony KUSHNER, Katharine KNOX: Refugees in an Age of Genocide. Global, National and Local Perspectives during the Twentieth Century. London, Portland 1999, S. 1.

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sie heute kennen. Die liberale Doktrin beurteilte Immigration in der Regel als ein positives und förderliches Phänomen, das dem Immigrationsland wirtschaftlichen Nutzen bringt. Die Kontrolle richtete sich daher vornehmlich gegen Kriminelle, Landstreicher und Bettler, eventuell diente sie der gesundheitlichen Untersuchung oder der Erhebung von Zöllen. Personen, die eine entsprechende Liquidität nachweisen konnten und den besseren Schichten angehörten, wurden mit einer Kontrolle meist überhaupt nicht behelligt. Als beispielsweise Großbritannien auf der Grundlage des Aliens Act von 1905, der die Einwanderung von „Ostjuden“ auf die Britischen Inseln einschränken sollte, in den Häfen erstmals Passagierkontrollen durchführte, betrafen diese nur die Reisenden in den unteren Klassen, während Passagiere mit teureren Karten auch weiterhin ohne alle Formalitäten an Land gehen konnten.26 Nach dem Ersten Weltkrieg war es mit diesen Freiheiten vorbei. Die Staaten erlaubten ein Überschreiten ihrer Grenzen nur an den dafür vorgesehenen Grenzübergängen und unter Vorlage gültiger Reisepapiere. Zudem genügte für die Einreise oft ein Reisepass nicht; zwischen den meisten Staaten bestand – zumindest in den Jahren unmittelbar nach dem Krieg – Visumpflicht. So war eine Vorauswahl unter den Reisenden bzw. Immigranten möglich, noch ehe diese an der Grenze eintrafen. Auch wenn manche Staaten im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs und der politischen Stabilisierung in Europa die Visumpflicht auf der Grundlage bilateraler Vereinbarungen abschafften, so war meist doch für eine Einreise ein Visum erforderlich. Diesen Unterschied zwischen dem Vor- und dem Nachkriegs-Europa beschreibt auch Stefan Zweig sehr eindrücklich in seinen Memoiren. Vor dem Krieg war Zweig bis nach Indien und Amerika gereist, ohne einen Pass zu benötigen: Man stieg ein und stieg aus, ohne zu fragen und gefragt zu werden, man hatte nicht ein einziges von den hundert Papieren auszufüllen, die heute abgefordert werden. Es gab keine Permits, keine Visen, keine Belästigungen; dieselben Grenzen, die heute von Zollbeamten, Polizei, Gendarmerieposten dank des pathologischen Mißtrauens aller gegen alle in einen Drahtverhau verwandelt sind, bedeuteten nichts als symbolische Linien, die man ebenso sorglos überschritt wie den Meridian in Greenwich.27

Die Verschärfung der Grenzkontrollen und auch die verstärkte Kontrolle von Ausländern hatten verschiedene Gründe: Zum einen hatte der Staat als Institution während des Ersten Weltkriegs für die Gesellschaft an Bedeutung gewonnen, zum anderen bewegte sich nach dem Krieg eine große Zahl von Flüchtlingen 26 LONDON: Whitehall and the Jews, S. 16–17. 27 Stefan ZWEIG: Die Welt von gestern. Berlin 1981, S. 432–433. Seine Erfahrungen vor dem Ersten Weltkrieg beschreibt sehr ähnlich John Hope SIMPSON: „The Refugee Problem“, in: International Affairs, September – Oktober 1938, Jg. 17, Nr. 5, S. 607–628, Zitat S. 607.

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durch Europa, man fürchtete die Einreise kommunistischer Agitatoren und ein Übergreifen der kommunistischen Revolution. Nicht zuletzt spielte auch der Nationalismus mit seinen Vorurteilen gegenüber Ausländern und seinen antisemitischen Tendenzen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Entscheidend beeinflusst wurde die Politik gegenüber den Migranten und Flüchtlingen durch die erschwerte Immigration nach Nordamerika – in die Vereinigten Staaten und nach Kanada. Anfang der 1920er legten die Vereinigten Staaten Einwanderungsquoten fest, die je nach Herkunftsland differierten und von dem ängstlichen Bemühen geprägt waren, die rassische Zusammensetzung der amerikanischen Gesellschaft zu erhalten und ein Übergewicht der „weißen“, „angelsächsischen“ bzw. „kaukasischen“ Rasse zu sichern. Die Immigrationsgesetze von 1921 und 1924 legten fest, dass jährlich 2% der bisher insgesamt aus einem Land nach Amerika immigrierten Bürger zuwandern könnten. Während 1921 für diese Berechnungen noch die Statistik von 1910 zugrunde gelegt wurde, bezog sich das Gesetz von 1924 auf die Situation von 1890 und damit auf die Zeit vor den ersten großen Einwanderungswellen aus Ost- und Südosteuropa. So entfiel nach dem Gesetz von 1921 auf die Tschechoslowakei eine Quote von 14 228 Personen, ab 1924 waren es nur noch 3 073 Personen. Die höchsten Quoten standen Großbritannien und Deutschland zu, doch während der Wirtschaftskrise wurden diese nicht ausgeschöpft. Das Quotensystem der USA galt – in mehrfacher Änderung – bis 1965.28 Die Flüchtlinge aus Russland, der Ukraine, Armenien und anderen Ländern konnten in den Nachkriegsjahrzehnten zu großer Zahl in Europa ansässig werden. Die meisten davon nahm Frankreich auf, das nach dem enormen Bevölkerungsverlust während des Ersten Weltkriegs Arbeitskräfte für den Wiederaufbau der Wirtschaft benötigte. Auch in der Tschechoslowakei suchten viele russische und ukrainische Flüchtlinge Zuflucht. Sie kamen in erster Linie auf Grund einer bisher beispiellosen Unterstützung, die ihnen im Rahmen der so genannten Russischen Hilfsaktion, einer staatlichen Initiative, zuteil wurde: Diese bot nicht nur eine materielle Absicherung, sondern förderte auch Kultur, Bildung und Erziehung der Flüchtlinge. Dass Europa diese Flüchtlingswelle tolerierte, lag nicht nur an der wirtschaftlichen Stabilisierung der 1920er Jahre, sondern auch an einer geradezu allgemeinen Sympathie für alle, die vor dem kommunistischen Regime geflüchtet waren. Die Vereinten Nationen richteten ein Hochkommissariat für russische Flüchtlinge ein, an dessen Spitze der charismatische Polarforscher Fridtjof Nansen stand. Das russische Problem in Europa, behauptete 1938 Sir John 28 Vgl. u.a. MORSE: While Six Million Died, S. 134–135; David M. REIMERS: Unwelcome Strangers. American Identity and the Turn against Immigration. New York 1998; Arieh TARTAKOWER, Kurt R. GROSSMANN: The Jewish Refugee. New York 1944, S. 84–91; Aristide R. ZOLBERG: A Nation by Design. Immigration Policy in the Fashioning of America. New York, Cambridge, Mass. 2006; ABELLA, TROPPER: None Is Too Many.

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Hope Simpson, der britische Experte für Flüchtlingsfragen, sei im Grunde gelöst, wobei er auf den starken Rückgang der Flüchtlingszahlen verwies. Waren es 1922 noch 725 000 Flüchtlinge gewesen, so zählte die Nansen-Behörde 1936/37 bereits nur noch die Hälfte. Nach Simpsons optimistischer Vorausschau sollte die endgültige Ansiedlung dieser Menschen eine Sache von nur wenigen Jahren sein.29 Umgekehrt war das Problem der Flüchtlinge aus NS-Deutschland, auch wenn ihre Zahl bis 1938 insgesamt nicht so sonderlich hoch war, seit dem Beginn der NS-Herrschaft doch immer dringlicher geworden, und das Bemühen, sie in andere Ländern zu integrieren, stieß auf grundlegende Schwierigkeiten. Eine große Rolle spielte dabei, dass ihre Ankunft in die Zeit der großen wirtschaftlichen Depression fiel, die 1929 begonnen hatte und in Europa ihren Höhepunkt um das Jahr 1933 erreichte. Die europäischen Regierungen betrieben zunehmend eine Protektionspolitik und wollten ihre Arbeitsmärkte vor dem Zustrom ausländischer Arbeitskräfte sichern. Auch in den Medien und in der Öffentlichkeit wurden mehr und mehr Stimmen laut, dass die eigenen Bürger vor dem unguten wirtschaftlichen Einfluss der Flüchtlinge geschützt werden müssten. In Wirklichkeit standen diese Befürchtungen in keinem Verhältnis zu der relativ geringen Zahl der Flüchtlinge (insbesondere im Vergleich mit den bereits in den betreffenden Ländern ansässigen Ausländern); die Flüchtlinge aus NS-Deutschland dienten nicht selten als Blitzableiter für ökonomische und soziale Frustrationen und Ängste,30 sie sahen sich dementsprechend häufiger mit einem Arbeitsverbot konfrontiert als die russischen Flüchtlinge und waren in ihrer großen Mehrheit auf die Hilfe der Flüchtlingsorganisationen angewiesen. Nicht alle Schwierigkeiten aber gingen aus der Wirtschaftskrise der 1930er Jahre hervor. Die wesentlich kühlere Aufnahme dieser Flüchtlinge war durch mangelnden politischen Konsens bedingt: die politische Rechte und die antisozialistischen Kräfte in den europäischen Ländern witterten in den Anhängern der Linksparteien eine Gefahr und verurteilten sie als subversive Elemente, deren Zustrom sie zu unterbinden suchten. Zudem zeigten die politisch rechten Kräfte häufig antisemitische Tendenzen, neigten zumindest zu Vorurteilen gegen Juden, vor allem „Ostjuden“. In Bezug auf die kommunistischen Flüchtlinge fiel wiederum ins Gewicht, dass die Sowjetunion trotz ihrer erklärten Solidarität mit der internationalen kommunistischen Bewegung zu einer Aufnahme kommunistischer Flüchtlinge – und dies hat der Westen mehrfach kritisiert – so gut wie nicht bereit war. Diese nämlich sollten in den kapitalistischen Staaten für den Sozialismus kämpfen oder wurden wegen ihrer mittelständischen Berufe für eine Immigration in die Sowjetunion als ungeeignet erachtet. So hatten insbesondere jüdische Kommunisten nur minimale Aufnahmechancen.31 29 SIMPSON: „The Refugee Problem“, vgl. vor allem S. 612. 30 Vgl. z.B. CARON: Uneasy Asylum, S. 13–42. 31 Genaueres siehe Kapitel „Klassenkampf oder Flüchtlingshilfe?“

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„Wohlwollende“ Flüchtlingspolitik

Die Abschottung der USA und anderer transatlantischer Gebiete brachte auch das europäische Migrationssystem ins Stocken, dessen Flexibilität den „Überflüssigen“ die Möglichkeit einer Auswanderung nach Übersee garantiert hatte. Dazu kam eine allmähliche Begrenzung der jüdischen Immigration nach Palästina durch Großbritannien und die Realitätsferne der meisten Pläne für eine kollektive Ansiedlung von Flüchtlingen in Übersee. Die USA senkten in den Zeiten der Krise die Zahl der europäischen Immigranten weit unter die festgesetzten und ohnedies niedrig veranschlagten Quoten. Dazu bedienten sie sich einer Vorschrift, nach der ein Immigrant ausreichend Garantien vorweisen musste, dass er dem staatlichen Sozialsystem nicht zur Last fallen werde („not likely to become a public charge“, kurz LPC-Klausel genannt). Bei strenger Auslegung dieser Klausel konnten die Vertretungen der USA einen Einwanderungsantrag ablehnen, obgleich die Immigrationsquote für Deutschland in dem betreffenden Jahr noch lange nicht ausgeschöpft war.32 Auch Kanada schloss seine Grenzen für Flüchtlinge, vor allem für jüdische, und Lateinamerika nahm europäische Einwanderer nur in begrenzter Zahl auf.33 Obwohl sich eine weitere Ausreise nach Übersee immer schwieriger gestaltete, hielten sich die Nachbarstaaten Deutschlands, in denen die Flüchtlinge in den ersten Jahren zunächst Zuflucht suchten, selbst nur für Transitländer und wirkten in der Regel einem dauerhaften Aufenthalt der Flüchtlinge entgegen. Instrumente dieser Politik waren eine zeitlich oder örtlich begrenzte Aufenthaltsgenehmigung und vor allem ein Arbeits- und Gewerbeverbot. Ganz allgemein gilt daher, dass für die Flüchtlinge aus Deutschland ein (legaler oder illegaler) Grenzübertritt vor 1938 kein unüberwindliches Problem darstellte. Ein Problem war es allerdings, in den Gastländern zu verbleiben, die eigene Stellung zu legalisieren und eine sinnvolle Arbeit zu finden. Europa bot den Flüchtlingen aus NS-Deutschland, Einzelfälle ausgenommen, nur eine vorübergehende Zuflucht und kein dauerhaftes Zuhause. Politik, Öffentlichkeit und die Flüchtlinge Die Tschechoslowakei werde in Zukunft stolz darauf sein, dass sie politischen Flüchtlingen aus Deutschland Asyl gewährt habe. Das Recht auf Asyl gehöre über Jahrhunderte hin zu den Charakteristika der kultivierten europäischen und westlichen Staaten, es gründe auf demselben Prinzip wie das politische und rechtliche System der Tschechoslowakei, betonte Edvard Beneš vor dem Auslandsausschuss des Parlaments im November 1933. Das Recht auf Asyl war für den tschechoslowakischen Außenminister und späteren Präsidenten also eng verknüpft mit der 32 MORSE: While Six Million Died, S. 135–149. 33 ABELLA, TROPER: None is too Many.

Die Politik, die Öffentlichkeit und die Flüchtlinge

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demokratischen Ordnung des Staats.34 Die Tschechoslowakei konnte jedoch auf keine spezifische Asyltradition verweisen, wie etwa Frankreich oder die Schweiz. Im 19. Jahrhundert waren weder die Habsburger Monarchie noch die böhmischen Länder für politisch Verfolgte attraktiv gewesen: eine politische Liberalisierung und Demokratisierung war zu jener Zeit noch nicht vollzogen, Behörden und Gendarmerie waren konservativ geprägt. Die Schweiz beispielsweise leitete ihre Positionen, was die Aufnahme von Verfolgten betraf, – zumindest verbal – aus den humanitären Traditionen und der Asylpraxis des 19. Jahrhunderts ab; das konnte die Tschechoslowakei nicht. Stattdessen verwiesen Publizisten und Politiker in der Flüchtlingsfrage auf die Autorität eines Tomáš G. Masaryk oder Edvard Beneš, die, wie man bis zum Verdruss wiederholte, während des Ersten Weltkriegs ins Exil gehen mussten. Diese Argumentation macht zugleich deutlich, wie sehr das Thema der Flucht vor dem Nationalsozialismus in der Ersten Republik mit der Rolle der „Burg“, d.h. dem Hradschin als Sitz des Präsidenten, und mit der Spaltung in eine politische Rechte und Linke verbunden war. Die Haltung der tschechoslowakischen Öffentlichkeit gegenüber den Flüchtlingen aus Deutschland und Österreich war daher also nicht nur von Mitleid gegenüber Notleidenden ohne Heimat und also rein menschlichen Aspekten bestimmt; auch politische Gründe spielten eine wichtige Rolle. Vor allem die Linksparteien waren den Flüchtlingen aus Deutschland und Österreich gewogen, in denen sie politische Mitstreiter oder auch Genossen sahen. Das galt vor allem für die Sozialdemokraten und die Kommunisten, in einem weiter gefassten Sinn auch für jenen Teil der politisch engagierten Öffentlichkeit, der als fortschrittlich oder „antifaschistisch“ galt. Umgekehrt hielten die Anhänger der Rechtsparteien, der Agrarier, Nationaldemokraten und natürlich der Faschisten, die deutschen Flüchtlinge für gefährliche Elemente, die die Linkstendenzen stärken oder gar eine kommunistische Revolution in der Tschechoslowakei befördern könnten. Die Kommunisten wiederum verhielten sich vergleichsweise lau gegenüber den Flüchtlingen aus Russland oder der Ukraine, die sie als Konterrevolutionäre abstempelten. Antikommunistische Politiker hingegen unterstützten die russischen Flüchtlinge, denn sie rechneten damit, dass diese nach dem Fall des Sowjetregimes wichtige politische Funktionen in Russland besetzen würden. Die verschiedenen Einstellungen gegenüber den Flüchtlingen waren also gewissermaßen ein Spiegel der ideologischen und politischen Gegensätze innerhalb der tschechischen bzw. tschechoslowakischen Gesellschaft. Nicht anders war es bei den parlamentarischen Debatten: zu Gunsten der deutschen Flüchtlinge intervenierten vor allem die kommunistischen Abgeordneten und Senatoren. Anlass war meist die Verhaftung und Ausweisung kommunistischer Flüchtlinge; dabei stilisierten sie die restriktiven Elemente der tschechoslowakischen Flüchtlingspolitik zum Beweis für den angeblich reaktionären Charakter der tschechoslowaki34 „Friede und Versöhnung“, Prager Presse, 9.11.1933, S. 1–2.

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„Wohlwollende“ Flüchtlingspolitik

schen Demokraten, bezogen demonstrativ Gegenposition und propagierten ihre eigene Ideologie. Die kommunistischen Abgeordneten hatten – bereits vor der nationalsozialistischen Machtergreifung – von der Regierung ein Gesetz gefordert, das denjenigen Ausländern Asylrecht garantieren würde, „die wegen politischer im Kampf der Arbeiterklasse gegen die Bourgeoisie begangener Delikte verfolgt werden und sich in die Tschechoslowakei geflüchtet haben.“35 Anfang 1933 forderten die kommunistischen Abgeordneten von der Regierung, den „politischen Emigranten aus Deutschland unbegrenzt Asylrecht zu gewähren.“36 Als 1935 das Gesetz über den Aufenthalt von Ausländern verhandelt wurde, wollten die Kommunisten darin eine Verpflichtung der Behörden festschreiben, jedem Flüchtling, der wegen des „Kampfes gegen das faschistische Regime oder wegen seiner antifaschistischen Ansichten emigriert ist“, eine zeitlich unbegrenzte Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen. Flüchtlinge sollten weder aus der Tschechoslowakei noch aus einem ihrer Teile ausgewiesen werden können.37 All diese Gesetzesvorschläge von kommunistischer Seite hat das Parlament, wie nicht anders zu erwarten, abgelehnt. Anfang 1934 verurteilte die kommunistische Abgeordnete Anežka HodinováSpurná in einer stürmischen Parlamentsrede die Verletzung des Asylrechts in der Tschechoslowakei und verwies in dem Zusammenhang auf die Propaganda der Rechtsparteien gegen die deutschen Flüchtlinge sowie auf die Ausweisung kommunistischer Flüchtlinge. Zugleich attackierte sie die Bourgeoisie, bezeichnete die deutschen Sozialdemokraten als Sozialfaschisten und rief dazu auf, eine Ausweitung des Faschismus zu verhindern. Auf der Prager Polizeidirektion vermutete 35 Dies war eine der vielen von den Kommunisten in jeder Haushaltsdebatte erhobenen Forderungen. Vgl z.B. die Resolution des Abgeordneten Štětka u.a. Gemeinsame digitale tschechisch-slowakische Parlamentsbibliothek. NS RČS 1929–1935. Abgeordnetenhaus. 89. Versammlung. 29. November 1930. Online: http://www.psp.cz/eknih/1929ns/ps/ stenprot/089schuz/s089002.htm [zit. 14.8.2006]. Nach Zdeněk Kárník initiierte das von den Kommunisten bestimmte „Šalda“-Komitee mit Unterstützung kommunistischer Politiker einen Gesetzesentwurf zum Asylrecht. Dieses neue Asylrecht sollte den politischen Emigranten ähnliche Rechte garantieren wie den Bürgern des tschechoslowakischen Staats und ihre Ausweisung verbieten. Über die sehr allgemein gehaltenen Erklärungen im Parlament hinaus konnte aber kein ausgearbeiteter Gesetzentwurf ausfindig gemacht werden. Vgl. Zdeněk KÁRNÍK: České země v éře První republiky (1918–1938). Bd. 2, Praha 2002, S. 218–219. 36 Die Resolutionen der Abgeordneten Hrubý, Hadek, Vallo, Török, Śliwka u.a. Gemeinsame digitale tschechisch-slowakische Parlamentsbibliothek. NS RČS 1929–1935. Abgeordnetenhaus. 261. Versammlung. 27.3.1933. Online: http://www.psp.cz/eknih/1929ns/ps/ stenprot/261schuz/s261001.htm [zit. 14. 8. 2006]. 37 Vorschlag des Abgeordneten Krehan. Gemeinsame digitale tschechisch-slowakische Parlamentsbibliothek. NS RČS 1929–1935. Abgeordnetenhaus. 363. Versammlung. 14.3.1935. Online: http://www.psp.cz/eknih/1929ns/ps/stenprot/ 363schuz/prilohy/priloh02.htm [zit. 14.8.2006].

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sie eine Sonderkommission, die in Zusammenarbeit mit den deutschen Sozialdemokraten „Arbeiterrevolutionäre“ denunzierte, die dann ausgewiesen würden. Die tschechische Bourgeoisie, die in den Augen Hodinová-Spurnás früher selbst „Asylrecht genossen und in der Emigration an der Erfüllung ihrer Ziele gearbeitet hat“, streite dasselbe Recht den Antifaschisten nun ab. „Jeder revolutionäre Emigrant ist unser Freund und Bruder, und wir werden uns um jeden Einzelnen kümmern, ihn verteidigen und um jeden kämpfen“, betonte Hodinová-Spurná.38 Umgekehrt wurden die russischen Flüchtlinge in der Tschechoslowakei von den Kommunisten als Konterrevolutionäre aufs schärfste verurteilt. So donnerte der Abgeordnete Josef Novotný im Februar 1932 im Parlament: Die tschechoslowakische Arbeiterschaft hat die ständigen Intrigen der russischen Weißgardisten inzwischen satt, und sie hat auch satt, wie die tschechoslowakische Bourgeoisie und ihre Diener in der Regierung diese Emigranten umschwänzeln, die, von der Oktoberrevolution um ihre Privilegien und damit auch ihren parasitären Wohlstand gebracht, aus Russland geflohen sind, und nun, nach dem Scheitern aller Interventionen und Attacken gegen die Sowjetmacht, in kapitalistischen Staaten leben, sich von fremdem Geld nähren und ihr Leben in Faulheit und Verdorbenheit dem wütendsten Zorn und der verstocktesten Feindschaft gegen die sowjetische Heimat der Arbeiter und Bauern weihen.39

Die Kommunisten forderten im Parlament wiederholt, dass man den russischen Flüchtlingen in der Tschechoslowakei keine große finanzielle Unterstützung gewähren sollte: das Geld könne man in den Zeiten der wirtschaftlichen Krise für andere Zwecke verwenden. Die Flüchtlinge aus NS-Deutschland wurden auch von den deutschen und den tschechoslowakischen Sozialdemokraten unterstützt, außerdem von jenem Kreis auf der „Burg“, der die demokratischen, oft links bzw. „antifaschistisch“ orientierten Intellektuellen und Künstlern vereinte. Namen wie Otokar Fischer, F.X. Šalda, Karel Čapek, Max Brod und viele andere finden sich unter den Aufrufen gegen die Ausweisung von Flüchtlingen oder in Zusammenhang mit der Gründung von Hilfskomitees. Die Sozialdemokraten versuchten – im Unterschied zu den Kommunisten – über politische Interventionen und Fürsprachen bei den Sicherheitsbehörden immer wieder zu Gunsten der Flüchtlinge zu wirken. Insbesondere galt dies für Siegfried Taub, einen Abgeordneten der deutschen Sozialdemokratie. 38 Gemeinsame digitale tschechisch-slowakische Parlamentsbibliothek. NS RČS 1929–1935. Abgeordnetenhaus. 321.Versammlung. 8.3.1934. Online: http://www.psp.cz/eknih/1929ns/ ps/stenprot/321schuz/s321006.htm [zit. 14.8.2006]. 39 Gemeinsame digitale tschechisch-slowakische Parlamentsbibliothek. NS RČS 1929–1935. Abgeordnetenhaus. 167. Versammlung. 4.2.1932. Online: http://www.psp.cz/eknih/1929ns/ ps/stenprot/167schuz/s167006.htm [zit. 14.8.2006].

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Er setzte sich nicht nur für sozialdemokratische Flüchtlinge ein. Die tschechischen und deutschen Sozialdemokraten waren damals in der Regierungskoalition und konnten daher die Härten der restriktiven Politik des Innenministeriums mildern. Die Möglichkeiten einer solchen Einflussnahme verschlechterten sich für die deutschen Sozialdemokraten allerdings mit den Parlamentswahlen von 1935, als sie zu Gunsten von Henleins Sudetendeutscher Partei eine bittere Niederlage einstecken mussten. In der politischen Atmosphäre der Ersten Republik konnten die tschechischen Parteien, mit Ausnahme der Faschisten, das Asylrecht, das als deklarierter Bestandteil der tschechoslowakischen Demokratie galt, nicht völlig ablehnen. Dennoch waren die Rechtsparteien gegenüber den deutschen und österreichischen Flüchtlingen eher negativ eingestellt. Obwohl sie sicher nicht faschistisch waren, hegten sie für einige Aspekte des faschistischen Regimes Sympathie: für seinen antikommunistischen Charakter, bis zu einem gewissen Grad auch für seine Regierung der starken Hand und für den Antisemitismus. Die Rechtspolitiker forderten daher, jede politische Betätigung der Flüchtlinge konsequent zu verbieten und sie strenger zu kontrollieren. Auch sah man in den deutschen Flüchtlingen häufig einen Störfaktor bei der von den Rechtsparteien angestrebten Verständigung mit der deutschen Minderheit in der Tschechoslowakei und mit dem deutschen Regime. So erklärte der Agrarier Rudolf Beran 1935 vor dem Parlament: Wir gewähren der politischen Emigration aus welchem Staat auch immer gern bei uns Gastfreundschaft, wir wollen demjenigen Asyl gewähren, der aus politischen Gründen nicht zu Hause bleiben kann – haben doch auch Angehörige unseres Volkes, wie uns die Geschichte lehrt, in anderen Staaten Asyl genossen – aber wir müssen ganz entschieden fordern, dass die, die unsere Gasfreundschaft genießen, sich nicht in unsere inneren Angelegenheiten einmischen (Applaus) und sich auch im Ausland nicht in einer Weise betätigen, die den Interessen der Tschechoslowakischen Republik schadet.40

Ebenso argumentierten die Vertreter der Sudetendeutschen Partei, zum Beispiel der Abgeordnete Ludwig Eichholz im Dezember 1936.41

40 Gemeinsame digitale tschechisch-slowakische Parlamentsbibliothek. NS RČS 1935–1938. Abgeordnetenhaus. 6. Versammlung. 26.6.1935, http://www.psp.cz/eknih/1935ns/ps/ stenprot/006schuz/s006008.htm [zit. 14.8.2006]; ähnlich z.B. auch der Abgeordnete Chalupa, 7.11.1935. Online: http://www.psp.cz/eknih/1935ns/ps/stenprot/011schuz/s011003. htm [zit. 14. 8. 2006]. 41 Vgl. auch den Abgeordneten Frank. Gemeinsame digitale tschechisch-slowakische Parlamentsbibliothek. NS RČS 1935–1938. Abgeordnetenhaus. 11. Versammlung. 7.11.1935. Online: http://www.psp.cz/eknih/1935ns/ps/stenprot/011schuz/s011002.htm [zit. 14.8.2006].

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Das Haupthindernis freilich oder besser gesagt der Hauptgrund dafür ist, dass die geistigen Vermittler zwischen den Sudetendeutschen und dem tschechischen Volk nicht Leute aus unserem Land sind, sondern Emigranten, die ihre Aufgabe nicht in einer Einigung sehen, sondern in einem Aufreißen der Gegensätze.42

Ähnliche Argumente, allerdings gegen die jüdischen Emigranten, hatte im Dezember 1933 im Senat Karl Hilgenreiner vorgebracht, ein Abgeordneter der deutschen Christlich-sozialen Partei. Ihm opponierte aufs Entschiedenste der deutsche Sozialdemokrat Johann Polach. Hilgenreiner erklärte, dass die Emigranten-Presse die Beziehungen der Tschechoslowakei zu Deutschland beschädige und fügte hinzu: Das sind nicht die besten Elemente, die da herübergewechselt sind, und mit Recht haben die Juden in Deutschland gesagt, dass sie mit ihnen keine Gemeinschaft haben wollen, denn wer nicht Butter auf dem Kopf hat, findet seinen Erwerb draußen. (Zwischenruf Senator Polach). Der größte Teil der aus Deutschland geflüchteten Juden ist mit Verbrechen belastet und kann nicht zurück, ohne bestraft zu werden. Ich bin von Haus aus kein Antisemit. (Zwischenruf Senator Polach). Die geflüchteten Juden machen hier scharf gegen Deutschland.

Senator Polach reagierte darauf mit den Worten: „Er behauptet, dass die Flüchtlinge Verbrecher sind, in Wirklichkeit gehören sie zu den besten Elementen.“43 Die Rechtspolitiker argumentierten seit der Ankunft der ersten Flüchtlinge auch mit einer angeblichen wirtschaftlichen Bedrohung. Die Flüchtlinge würden in einer Zeit der wirtschaftlichen Krise und einer außerordentlich hohen Arbeitslosigkeit den Bürgern der Tschechoslowakei Arbeitsplätze streitig machen. Ende 1933 beschwerte sich beispielsweise der nationaldemokratische Abgeordnete František Petrovický, dass Emigranten, und zwar Geschäftsleute, Arbeitsplätze besetzen und tschechische Geschäftsleute schädigen würden.44 Der Abgeordnete Jan Brukner wiederum sah im März 1938 ein dringliches Problem darin, dass „die Emigranten unseren Gewerbetreibenden in einer Zeit das Brot wegessen, in der unsere Arbeiter ohne Erwerb sind. Wenn wir ihnen Asylrecht eingeräumt haben,

42 Gemeinsame digitale tschechisch-slowakische Parlamentsbibliothek. NS RČS 1935–1938. Abgeordnetenhaus. 69. Versammlung. 2.12.1936. Online: http://www.psp.cz/eknih/1935ns/ ps/stenprot/069schuz/s069018.htm [zit. 14.8.2006]. 43 „Emigranten-Debatte im Senat. Angriffe Hilgenreiners auf die Flüchtlinge“, Prager Tagblatt, 8.12.1933, S. 5. 44 Gemeinsame digitale tschechisch-slowakische Parlamentsbibliothek. NS RČS 1929– 1935. Abgeordnetenhaus. 305. Versammlung. 4.12.1933. Online: http://www.psp.cz/ eknih/1929ns/ps/stenprot/305schuz/s305002.htm [zit. 14.8.2006].

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„Wohlwollende“ Flüchtlingspolitik

Artikel gegen eine Aufnahme von Flüchtlingen ohne gültige Dokumente. Večer, 19. September 1934

dürfen wir nicht zulassen, dass sie bei uns auf Kosten unserer Gewerbetreibenden und Arbeiter reich werden.“45 Ähnliche Diskussionen wurden auch in der tschechischen Presse geführt. Im September 1934 prangerte die Legionärszeitung Národní osvobození [Nationale Befreiung] an, dass Flüchtlinge aus geringfügigen Gründen ausgewiesen würden, meist deshalb, weil sie dazu gezwungen waren, ihr Heimatland ohne hinreichende Reisedokumente zu verlassen.46 Tags darauf antwortete der agrarische Večer [Der Abend] unter der beredten Überschrift Česká republika není žádným holubníkem! [Die tschechoslowakische Republik ist kein Taubenschlag!]. Die tschechoslowakischen Behörden würden lediglich ihre Pflicht erfüllen und den Staat vor dem Eindringen gefährlicher Ausländer schützen; schließlich sei bekannt, dass sich „unter 45 Gemeinsame digitale tschechisch-slowakische Parlamentsbibliothek. NS RČS 1929– 1935. Abgeordnetenhaus. 141. Versammlung. 17.3.1938. Online: http://www.psp.cz/ eknih/1935ns/ps/stenprot/141schuz/s141004.htm [zit. 14.8.2006]. 46 „O právo asylu u nás“ [Über das Asylrecht bei uns], Národní osvobození, 18.9.1934, S. 2.

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dem Mäntelchen des Emigranten nicht selten ganz und gar gemeingefährliche Verbrecher und Schadensstifter verbergen.“47 Ähnlich sahen es die nationaldemokratischen Národní listy [Nationale Blätter]: unter dem Einfluss „sozialistischer Liebeleien und Gehässigkeiten“ habe die Regierung nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten die Warnungen vor den Ausländern in den Wind geschlagen und ihnen die „Grenzen sperrangelweit“ geöffnet. Die Folgen seien schon zu sehen und die Behörden gezwungen „gegen die verschiedenen Unbotmäßigkeiten der ausländischen Emigration vorzugehen“ und die Ausweisung der Flüchtlinge zu veranlassen. Die Kritik der Národní listy richtete sich vor allem gegen die Linksparteien, die angeblich subversive marxistische Flüchtlinge unterstützten.48 Die Opposition gegen die deutschen Flüchtlinge bediente sich auch traditioneller nationalistischer und antideutscher Argumente. Die Flüchtlinge wurden als Stärkung der deutschen Minderheit und Bedrohung für den tschechischen Charakter des Staats wahrgenommen. So protestierte zum Beispiel die – 1885 als Instrument im nationalen Kampf gegen die Deutschen gegründete – Minderheitenorganisation Národní jednota severočeská [Nationalverein Nordböhmen] 1933 gegen eine Ansiedlung von Deutschen im Grenzgebiet und forderte eine Zusammenziehung dieser „unzuverlässigen fremden Elemente“ in Lagern im Landesinnern. Außerdem sollte es den Flüchtlingen im Grenzgebiet auf Wunsch der tschechischen „Grenzlandbewohner“ [hraničáři] verboten sein, Immobilien zu erwerben.49 Darüber waren sich auch die um Turnau (Turnov) ansässigen Mitglieder des Nationalvereins Nordböhmen einig. In einer Resolution von 1934 forderten sie unter anderem einen dreißig Kilometer breiten Gürtel entlang der Grenze, in dem deutschen und österreichischen Flüchtlingen der Kauf von Immobilien verwehrt bleiben sollte, denn in „unserem Grenzgebiet werden verschiedene Emigranten aus Deutschland und Österreich reich, kommen hoch und bringen Geschäfte und Immobilien in ihre Hand, während die tschechischen Grenzlandbewohner die ärmste Bevölkerungsschicht in der Tschechoslowakei darstellen.“50 Der wachsende Nationalismus ließ oft allein schon daraus einen Konflikt entstehen, dass die Flüchtlinge kein Tschechisch konnten, die tschechischen Nationalisten das Deutsche aber als Provokation empfanden und als Bedrohung für den tschechischen Charakter der aus ihrer Sicht tschechischen Gemeinden. Im 47 Večer, 19.9.1934, S. 1. Hervorhebung im Original. 48 „Zákony republiky neplatí pro emigraci?“ [Die Gesetze der Republik gelten nicht für die Emigration?], Národní listy, 21.9.1934, S. 1. 49 NA, MV, Alte Registratur, 1936–1940, Sign. 5/51/16, K. 4655: Vermerk des Innenministeriums, 4.12.1933. 50 „Naši hraničáři: Doba je vážná“ [Unsere Grenzer: Die Zeit ist ernst], Národní listy, 22.9.1934, S. 1.

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März 1934 beschwerten sich die Národní listy über eine vermeintliche Provokation seitens der deutschen und österreichischen Flüchtlinge aus dem Wohnkollektiv in Königsaal (Zbraslav). Die Bevölkerung sei aufgebracht, denn diese „zwängen frech ihr Deutsch auch dort auf, wo unsere Leute es nicht verstehen. Sie sind unverschämt und zudringlich und will unsereiner, der Tscheche ist, nicht mit ihnen Deutsch reden, schauen sie spöttisch, ironisieren, ja drohen sogar.“ Zu Konflikten kam es vor allem auf der örtlichen Post, wo einige der Beamten kein Deutsch verstanden (oder nicht verstehen wollten). Laut den Národní listy waren diese „marxistischen“ Flüchtlinge, die von sich behaupteten, international zu sein, in Wahrheit „beinharte Deutsche und Feinde allen Slaventums.“51 Dem Bezirksamt Prag-Land [Praha-venkov] zufolge geht der Zeitungsbericht auf einen tatsächlichen Vorfall zurück, der eine Belehrung durch die Behörden nach sich zog. Die Flüchtlinge schickten schließlich jemanden zum Briefe holen, der Tschechisch konnte. Die Bevölkerung von Königsaal ist den politischen Emigranten aus Deutschland und aus Österreich größtenteils nicht freundlich gesonnen, auch wenn diese keineswegs gegen das Asylrecht verstößt und öffentliche Kritik nur insoweit laut wird, als dass die Emigranten den tschechischen Charakter der Stadt Königsaal beeinträchtigten.52

Die Propaganda der tschechischen Nationalisten gegen die Flüchtlinge war Teil einer Kampagne gegen die angebliche Verdeutschung der tschechischen Städte und vor allem gegen eine Stärkung des deutschen Elements in Prag. Die rechtsgerichteten Blätter beklagten zum Beispiel, dass die zugereisten Kameloten deutschsprachige Zeitungen, einschließlich des von ihnen herausgegebenen Simplicus, auf provokative Weise in Prag verbreiteten. Nationaler Chauvinismus ging meist mit Antisemitismus einher: die Národní listy meinten, Dutzende Kameloten vermittelten den Eindruck, „man wäre am Abend vor dem Kampf um das jüdische Rathaus in Lodz“.53 Antisemitische Untertöne schwangen unüberhörbar auch auf den Seiten des agrarischen Večer mit, der seine Leser darüber unterrichtete, dass die jüdischen Emigranten eine Aussiedlung nach Palästina deshalb ablehnten, weil sie dort hart arbeiten müssten.54 In der politischen Kultur der Ersten Republik sah 51 „Provokace německých uprchlíků“ [Die Provokation der deutschen Flüchtlinge], Národní listy, 30.3.1934. 52 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/R/3/10, K. 893–4: Landesbehörde Prag, 7.9.1934. 53 „Němci v Praze provokují“ [Die Deutschen in Prag provozieren], Národní listy, 10.8.1934. Die Anspielung auf Lodz bezog sich auf die dramatischen Auseinandersetzungen zwischen den Fraktionen der Lodzer jüdischen Gemeinde. Vgl. Robert Moses SHAPIRO: „Aspects of Jewish Self-Government in Łodź, 1914–1939“, Polin, Jg. 6, 1991, S. 133–154, insbesondere S.146–154. 54 „Německo-židovští emigranti nechtějí do Palestiny – protože se tam musí těžce pracovat?“ [Die deutsch-jüdischen Emigranten wollen nicht nach Palästina – weil sie dort hart arbeiten

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sich der Antisemitismus an den Rand des Parteienspektrums verbannt. Die antisemitische Propaganda gegen die deutschen Flüchtlinge konnte damit also auch einem anderweitig unterdrückten Antisemitismus das Wort reden. Anders gesagt: Jüdische Flüchtlinge konnte man heftiger attackieren und mit härteren Worten als tschechoslowakische Juden. Da die Flüchtlinge als politisch links galten und wegen der Debatte über die Beschäftigung der Ausländer, konnte die antisemitische Propaganda gleich zwei der gängigsten antisemitischen Vorurteile verbinden: die Vorstellung von einer jüdischen Weltverschwörung, die sich in einer subversiven kommunistischen bzw. sozialistischen Betätigung zeige, sowie das Stereotyp von den Juden, die andere Völker wirtschaftlich aussaugen. Obwohl die Tschechoslowakei in der Zwischenkriegszeit kein typisches Immigrationsland war und Wirtschaftsemigranten im Vergleich zu westlichen Industriestaaten wie Frankreich und Belgien so gut wie nicht ins Gewicht fielen, war die Ausländer-Debatte für die gegenüber den Flüchtlingen bezogene Position von großer Bedeutung. Sehr häufig kritisiert wurden die ausländischen Studenten (vor allem an der Prager deutschen Universität) oder die Anstellung ausländischer Ärzte. Im Zuge der Wirtschaftskrise und der enormen Arbeitslosigkeit zu Beginn der 1930er Jahre gewannen diese Argumente an Vehemenz. Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten startete Jiří Beneš, der Neffe von Edvard Beneš, in den nationalsozialen Blättern České slovo [Tschechisches Wort] und A-Zet [AZ] eine Kampagne gegen die in der Tschechoslowakei beschäftigten Ausländer. Deren Gegner wiederum wandten zu Recht ein, dass eine Entlassung der in der Tschechoslowakei beschäftigten Ausländer lediglich eine Entlassung der im Ausland, vor allem in Deutschland, beschäftigten tschechoslowakischen Staatsbürger zur Folge hätte.55 Die Einstellung gegenüber den Flüchtlingen aus Deutschland hing letztlich auch an der jeweiligen Vorstellung von der tschechoslowakischen Außenpolitik und an der Frage, wie man den jungen tschechoslowakischen Staat sichern könne. Auf der einen Seite stand das Konzept der „Burg“ und die von Beneš geführte Außenpolitik: Sie basierte vor allem auf der Zusammenarbeit mit den westlichen Staaten (insbesondere Frankreich), der Aufrechterhaltung der im Versailler Vertrag festgelegten Neuordnung Europas und den diplomatischen Beziehungen innerhalb der Völkergemeinschaft. Doch gerade dieses Konzept begann mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten zu bröckeln. Eine Alternative boten in erster Linie die tschechischen Agrarier, die für eine engere Zusammenarbeit mit dem mitteleuropäischen Raum, einschließlich Deutschlands und Österreichs, plädierten. All die diversen Motive für eine ablehnende Haltung gegenüber den Flüchtlingen aus Deutschland – antideutscher Nationalismus, Verabscheuung des Somüssen?], Večer, 11.5.1934. 55 NA, MZV, výstřižkový archiv [Ausschnittarchiv], K. 2328: Stichwort cikáni, cizinci [Zigeuner, Ausländer].

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zialismus, Antisemitismus und Xenophobie – wurden im Diskurs des politisch rechten Spektrums miteinander verflochten. Als problematisch für die Stellung der deutschen Flüchtlinge erwies sich jedoch vor allem, dass unter den politischen Parteien, auch den großen, in Bezug auf sie kein Konsens möglich war. Während sich zu Beginn der 1920er Jahre alle wichtigen politischen Kräfte, mit Ausnahme der Kommunisten, darauf geeinigt hatten, dass man den Flüchtlingen aus Russland und der Ukraine helfen müsse, wurden diejenigen, die vor dem Nationalsozialismus auf der Flucht waren, zum Gegenstand politischer Zänkereien zwischen den Rechts- und Linksparteien. Dabei sahen Agrarier und Nationaldemokraten in den Flüchtlingen aus Deutschland und Österreich eine unerwünschte Stärkung der Linken und des Kommunismus in der Tschechoslowakei. Der fehlende politische Konsens bestimmte die weitere Entwicklung der tschechoslowakischen Flüchtlingspolitik in entscheidender Weise. Asylrecht? Die Flüchtlinge aus Deutschland waren auf der tschechoslowakischen Seite der Staatsgrenze in der Regel nicht mit Schwierigkeiten konfrontiert. Die Grenze war offen und für Bürger aus Deutschland galt ein visumfreier Reiseverkehr. Die tschechoslowakischen Behörden befassten sich daher in den ersten Monaten nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten nicht systematisch mit der Frage der deutschen Flüchtlinge. Das erschien mit Blick auf den visumfreien Reiseverkehr und die politischen Sympathien, die die tschechoslowakische Diplomatie für die Flüchtlinge hegte, zu diesem Zeitpunkt auch nicht notwendig. Die ersten behördlichen Verordnungen zielten daher nur auf eine Ausgrenzung jener Gruppen, die den tschechoslowakischen Behörden nicht genehm waren. Damit knüpften sie im Großen und Ganzen an die bisherige Ausländerpolitik des tschechoslowakischen Staats an. Die tolerante Politik der offenen Grenzen bezog sich also von Anfang an nicht auf alle Flüchtlinge; die Behörden waren vielmehr aktiv darum bemüht, die Zuwanderung und den Aufenthalt zweier Flüchtlingsgruppen aus Deutschland zu unterbinden: der Kommunisten und der „Ostjuden“. Die überhaupt erste Verordnung der Sicherheitsorgane betraf die Kommunisten. Einen Monat nach der Machtergreifung, am 28. Februar 1933, brannte das Gebäude des Berliner Reichstags aus. Die nationalsozialistische Regierung beschuldigte augenblicks die Kommunisten der Brandstiftung und nahm das Geschehen zum Vorwand, um eine neue gegen die politischen Gegner gerichtete Verfolgungswelle zu entfesseln und grundlegende in der Verfassung der Weimarer Republik verankerte Rechte und Freiheiten zu beschneiden. Unmittelbar nach dem Brand begann die Verhaftung von Kommunisten, auch wurden die deutschen Sicherheitseinheiten angewiesen, diese am Verlassen des Landes zu hindern. Auf

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Anfrage der Kreisbehörden in Eger (Cheb) und Schluckenau (Šluknov), die im Rundfunk von der NS-Verordnung erfahren hatten, ordnete die Landesbehörde in Prag noch am selben Tag an, einen eventuellen Zustrom von Flüchtlingen zu unterbinden.56 Dieses Vorgehen wurde vom Innenministerium zwei Tage später, am 1. März 1933, in einer scharf formulierten Instruktion bestätigt. Darin werden Sicherheitseinheiten und Behörden angewiesen, den deutschen Kommunisten einen Grenzübertritt nicht zu erlauben, denn die „Zuwanderung derartig subversiver Elemente in die ČSR. [!] muss als unvereinbar mit den Sicherheitsinteressen des Staats erachtet werden.“ Die Gendarmerie und die Finanzwache sollten den Grenzschutz und die Kontrolle der Einreisenden verstärken. Personen, die als Kommunisten identifiziert würden, sei der Grenzübertritt zu verwehren, auch wenn sie gültige Reisedokumente vorlegen könnten. Gleichzeitig seien sie darauf hinzuweisen, dass sie bei einem erneuten Versuch, die Grenze zu überschreiten, direkt den deutschen Behörden übergeben würden. Auch die Organe im Landesinnern sollten sorgsam darüber wachen, dass es nicht zu einer Ansiedlung deutscher Kommunisten auf tschechoslowakischem Gebiet käme und sie gegebenenfalls als „lästige Ausländer“ [obtížné cizince] ohne Umschweife nach Deutschland ausweisen. Nur wenn sie von sich aus dagegen vorbrächten, dass sie in Deutschland politisch verfolgt würden, solle man sie in ein anderes Nachbarland ausweisen.57 Vor allem ist jedoch interessant, dass die Verordnung vom 1. März 1933 die tschechoslowakischen Behörden zwar auffordert, Kommunisten zurückzuschicken, ihnen jedoch keine Kriterien an die Hand gibt, wie diese zu erkennen seien. Die Grenzwachen sowie die Polizisten im Landesinnern verfügten freilich nur über begrenzte Möglichkeiten, Flüchtlinge als Kommunisten zu identifizieren, sofern diese sich nicht selbst zu ihrer politischen Überzeugung bekannten. Hauptsächlich deshalb war das Bestreben, die Zuwanderung kommunistischer Flüchtlinge zu verhindern, niemals wirklich erfolgreich. Die kommunistische Bewegung war so gut organisiert, dass die Flüchtlinge aus ihren Reihen mit den Verordnungen der tschechoslowakischen Behörden und auch damit, wie sie zu umgehen seien, bestens vertraut waren. Auch die Verordnung über die Ausweisung von Kommunisten aus dem Landesinnern wurde nicht konsequent umgesetzt, obgleich es sich bei einem Großteil der aus der Tschechoslowakei ausgewiesenen Flüchtlinge tatsächlich um Kommunisten handelte. Die antikommunistische Verordnung knüpfte an ältere Ängste vor einer vom Ausland gesteuerten kommunistischen (bzw. sonstigen „umstürzlerischen“) Infiltration an. Im Juli 1932 wurde eine Verordnung erlassen, auf Grund derer die 56 NA, MS, 1918–1945, Deutschland, K. 33: telefonische Meldung des Präsidiums der Landesbehörde Prag an das Innenministerium, 28.2.1933. 57 NA, PMV, 1931–1935, Sign. X/N/9/11, K. 844–3: Instruktion des PMV, 1.3.1933.

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Grenze so gesichert werden sollte, dass Agitatoren und andere verdächtige Personen sie nicht überschreiten konnten. Damit reagierte man auf die Information, dass auf deutscher Seite NS-Kampftrupps im Einsatz seien, Juden, Bankiers und Kommunisten an einer Flucht zu hindern.58 Die zweite Flüchtlingsgruppe aus Deutschland, deren Einreise die tschechoslowakischen Sicherheitsbehörden zu unterbinden blockieren suchten, waren die „Ostjuden“, vor allem polnische Juden. Das Innenministerium verfügte, einen längeren Aufenthalt von Flüchtlingen aus Deutschland nicht zu tolerieren, wenn deren Pass von einem dritten Land ausgestellt sei. Die Sicherheitsorgane befürchteten eine große Welle osteuropäischer jüdischer Flüchtlinge aus Deutschland, und daher wies auch das Außenministerium seine Vertretungen in Deutschland an, Bürgern anderer Staatsangehörigkeit als der deutschen nur Einreisevisa mit einer kurzen Gültigkeitsdauer zu erteilen: nicht länger als ein Monat für einen Kuraufenthalt in einem der Bäder und in der Regel zwei Wochen für die übrigen Antragsteller.59 Auch wenn diese Anweisung allgemein formuliert war und die jüdischen Flüchtlinge scheinbar gar nicht betraf, zielte sie eindeutig darauf, die Immigration osteuropäischer jüdischer Flüchtlinge aus Deutschland zu verhindern. Auch diese Verfahrensweise war nicht neu, sondern setzte die bisherige Politik der tschechoslowakischen Behörden fort.60 Die erste Verordnung der tschechoslowakischen Behörden war daher nicht Ergebnis einer Diskussion der Flüchtlingsfrage oder eines Plans, wie mit ihnen zu verfahren sei, sondern erklärt sich aus den bisherigen Prinzipien der tschechoslowakischen Ausländerpolitik. Die tolerante Haltung der Tschechoslowakei gegenüber den deutschen Flüchtlingen – von politischen Sympathien und außenpolitischen Interessen einmal abgesehen – hatte ihren Grund zunächst auch im visumfreien Reiseverkehr, den die Tschechoslowakei als einen wirtschaftlich stärkenden Faktor nicht aufgeben wollte. Da die Flüchtlinge mit deutschem Reisepass die Grenze frei überschreiten konnten, sahen sich die tschechoslowakischen Behörden zunächst nicht veranlasst, ein einheitliches Konzept zu entwickeln, wie mit ihnen zu verfahren sei. Hinzu kam, dass Flüchtlinge wie Behörden in den ersten Wochen mit einem raschen Zusammenbruch des Hitler-Regimes rechneten. 58 ČERNÝ: Most k novému životu, S. 13. Dem Autor zufolge handelte es sich vor allem um „Wirtschaftsemigranten” – also um Menschen, die ihr Eigentum retten wollten. Černý fügt aber hinzu, dass die Juden auch vor dem Antisemitismus auf der Flucht waren. Die Flüchtlinge sollten bald in andere Länder auswandern, wo sich ihnen bessere unternehmerische Möglichkeiten böten. 59 NA, MV, Alte Registratur, 1936–1940, Sign. 5/51/16, K. 4655: Instruktionen des Außenministeriums an die tschechoslowakische Botschaft in Berlin, 17.5.1933. 60 Welche Positionen die tschechoslowakischen Behörden gegenüber den jüdischen Flüchtlingen bezogen, wird eingehender im Kapitel „Rassisch Verfolgte oder Wirtschaftsemigranten?“ dargestellt.

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Bald aber zeigte sich, dass das NS-Regime keine kurzfristige Angelegenheit wäre und es daher auch einer behördlich geregelten Flüchtlingspolitik bedurfte. Vereinheitlichung erforderte vor allem die Behandlung all derer, die bei ihrer Ankunft in der Tschechoslowakei den üblichen Forderungen an einen Reisenden nicht nachkommen konnten oder offizielle Grenzübergänge gemieden hatten und illegal eingereist waren. Zahlreiche Flüchtlinge kamen ohne Reisepass, oft auch ohne Personalausweis und konnten nur andere Dokumente vorlegen, wie Arbeitsbuch oder Führerschein. Vor allem in der ersten Phase war das Vorgehen der lokalen Behörden in diesen Fällen uneinheitlich und immer wieder, wenn auch selten, wurden Flüchtlinge ohne gültige Reisedokumente von den Bezirksämtern kurzer Hand ausgewiesen. Aus einer Beschwerde des Jüdischen Hilfskomitees geht hervor, dass der Bezirkshauptmann von Friedland (Frýdlant) einige Juden, die gewaltsam über die deutsche Grenze in die Tschechoslowakei getrieben worden waren, ohne Grund auswies und nach Deutschland zurückbringen ließ.61 Auf Veranlassung der Flüchtlingshilfskomitees und der Prager Polizeidirektion erließ das Innenministerium am 13. Juni 1933 eine erste Verordnung, die die Politik der Tschechoslowakei gegenüber den Flüchtlingen aus Deutschland summarisch definierte. Danach sollten die tschechoslowakischen Behörden den Flüchtlingen aus Deutschland – mit Ausnahme „subversiver“ Elemente – bei der Einreise keine besonderen Schwierigkeiten in den Weg legen. Deutsche Bürger mit gültigem Reisepass konnten sich in der Tschechoslowakei dank des visumfreien Reiseverkehrs frei aufhalten; wenn sie ohne Reisepass kamen, mussten sie um eine Aufenthaltserlaubnis ohne Reisepass ersuchen, gegebenenfalls auch um die Ausstellung eines provisorischen tschechoslowakischen Reisepasses. Auch wurden – auf Veranlassung der Hilfskomitees – die nachgeordneten Organe dazu aufgerufen, von einer Bestrafung jener Flüchtlinge abzusehen, die keinen offiziellen Grenzübergang benutzt hatten oder sich ohne gültigen Reisepass im Land aufhielten. Auf der anderen Seite hob das Ministerium hervor, dass für die deutschen Flüchtlinge ein Beschäftigungsverbot gelte. Nur in wenigen für die tschechische Wirtschaft förderlichen Ausnahmefällen konnte das Ministerium eine Sondererlaubnis erteilen. Eine Ausweisung sollte eher ausnahmsweise erfolgen, doch sollten die Flüchtlinge in einem solchen Fall nach Deutschland zurückgeschickt werden, sofern sie nicht selbst geltend machten, dass sie in Deutschland politisch verfolgt würden.62 Da die tschechische Presse immer wieder kritisierte, 61 NA, MV, Alte Registratur, 1936–1940, Sign. 5/51/16, K. 4655: Die Kanzlei des Präsidenten an das Präsidium des Innenministeriums, 12.5.1933; Justizminister Alfréd Meissner schickt die Beschwerde Angelo Goldsteins ans Präsidium des Innenministeriums, 6.5.1933; Protokoll über die Intervention des Komitees zur Unterstützung aus Deutschland geflüchteter Juden, 10.5.1933; „Große Zeit“, Prager Tagblatt, 4.5.1933, S. 4. 62 NA, MV, Alte Registratur, 1936–1940, Sign. 5/51/16, K. 4655: Anweisungen des Innenministeriums hinsichtlich des Vorgehens gegenüber den deutschen Flüchtlingen, 13.6.1933.

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dass deutsche Flüchtlinge von den tschechoslowakischen Behörden an die Nationalsozialisten ausgeliefert würden, erließ das Innenministerium im Oktober 1934 eine neue Verordnung. Diese zitiert noch einmal die bisherigen Regelungen, ändert sie jedoch dahingehend ab, dass bereits schon einmal ausgewiesene kommunistische Flüchtlinge, die in der Tschechoslowakei erneut aufgegriffen würden, nicht nach Deutschland ausgewiesen werden sollten.63 Flüchtlinge, die einen „nationalen“ Pass besaßen (Bürger aus Drittländern) sollten von den Behörden zu einer möglichst raschen Ausreise in ihr Herkunftsland veranlasst werden. Die innerstaatlichen Behörden sollten in diesen Fällen abgelaufene Visa keinesfalls verlängern. Die Verordnung merkt im Weiteren an, dass es wahrscheinlich nicht möglich sei, Staatenlose („bezdomovci“ = Heimatlose) zum Verlassen des Landes zu zwingen, und definierte ein Verfahren, nach dem von anderen Staaten ausgestellte Nansen-Pässe nach ihrem Ablauf durch vergleichbare tschechoslowakische Pässe ersetzt werden konnten.64 Diese Regeln für Flüchtlinge aus Deutschland galten mit einigen Modifizierungen bis zum Münchner Abkommen. Auf den ersten Blick erschien die tschechoslowakische Politik gegenüber den Flüchtlingen aus NS-Deutschland sehr liberal; Schwierigkeiten sollten nur jenen Flüchtlingen in den Weg gelegt werden, die von den tschechoslowakischen Behörden als „unerwünscht“ definiert worden waren. Dennoch zeigt eine genauere Untersuchung der Flüchtlingspolitik und ihrer praktischen Umsetzung, dass das Verhältnis des tschechoslowakischen Staats zu den Flüchtlingen aus NS-Deutschland viel komplizierter war. Vor allem erhebt sich die Frage, inwieweit sich überhaupt von einer einheitlichen tschechoslowakischen Flüchtlingspolitik sprechen lässt. Zwischen den einzelnen Ministerien und Behörden, die sie beeinflusst haben, gab es während der gesamten 1930er Jahre keine einzige systematische Diskussion über deren Prinzipien und praktische Umsetzung; es gab auch keine ständige Einrichtung, die die Ministerien koordiniert und so zu einer Vereinheitlichung der Flüchtlingspolitik beigetragen hätte. Entsprechend inkonsequent stellt sie sich dar. So vertrat das Außenministerium unter Edvard Beneš eine wesentlich freundlichere Flüchtlingspolitik, einerseits weil sie sich an außenpolitischen Zielen orientierte, andererseits aber auch, weil die politisch links orientierten Flüchtlinge Beneš und der „Burg“ politisch näher standen als zum Beispiel den Agrariern, die das Innenministerium führten. Deren restriktive Flüchtlingspolitik war einerseits bestimmt von der traditionellen Angst der Sicherheitsorgane vor Zuwanderung und den nur schwer zu kontrollierenden Flüchtlingsbewegungen, andererseits sahen die Agrarier in den linksgerichteten Flüchtlingen ihre politischen Gegner. 63 NA, PMV, Alte Registratur, 1931–1935, Sign. X/N/9/11, K. 844–3: Erlass über das Vorgehen gegenüber den deutschen und österreichischen Flüchtlingen, 10.10.1934. 64 NA, MV, Alte Registratur, 1936–1940, Sign. 5/51/16, K. 4655: Anweisungen des Innenministeriums hinsichtlich des Vorgehens gegenüber den deutschen Flüchtlingen, 13.6.1933.

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Das Fehlen eines einheitlichen Konzepts in Bezug auf den Umgang mit den Flüchtlingen aus NS-Deutschland stärkte letztendlich die Position des Innenministeriums und der übrigen Sicherheitsorgane, die für die praktische Umsetzung der Flüchtlingspolitik verantwortlich waren. Bei ihnen lag die Kontrolle über den Aufenthalt der Flüchtlinge auf tschechoslowakischem Gebiet und so konnten sie bis zu einem gewissen Grad die Bedingungen diktieren. Aus den Akten der verschiedenen Ministerien ist ersichtlich, dass sich das Innenministerium einer stärkeren Koordination der Flüchtlingspolitik sowohl auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene verweigerte.65 Vielmehr kam es dem Ministerium entgegen, dass es im Einzelfall nach Gutdünken entscheiden konnte und die Grundsatzregelungen der Flüchtlingspolitik durch ministerielle Verordnungen festgelegt waren. Da es weder einen politischen Konsens gab noch eine Dachorganisation existierte, wurden die konkreten Entscheidungen in der tschechoslowakischen Flüchtlingspolitik meist von höherrangigen Ministerialbeamten getroffen. Einziges Korrektiv dieser Entscheidungsfreiheit war lediglich ein gewisser Druck seitens der tschechoslowakischen Politiker, der Medien sowie der Flüchtlingskomitees, auf deren Zusammenarbeit man nicht verzichten konnte; dennoch spielte das Innenministerium – zusammen mit dem Prager Polizeipräsidium und einigen anderen Sicherheitsorganen – in der Flüchtlingspolitik die entscheidende Rolle. Typisch für sein Herangehen an die Problematik war zum Beispiel, dass es im Mai 1935 die Teilnahme an einer Beratung der Ministerien mit den Vertretern der Hilfskomitees ablehnte, und zwar mit der Begründung, dass man nicht bereit sei, über Änderungen der bestehenden Regelungen zu diskutieren; über konkrete Einzelfälle ließe sich gegebenenfalls direkt verhandeln.66 Aus Sicht des Innenministeriums konnte eine Koordinierung der Flüchtlingspolitik lediglich eine Beschneidung der eigenen Entscheidungsgewalten zur Folge haben und daher wurden derartige Bestrebungen durchaus erfolgreich boykottiert. Dabei hat sich die tschechoslowakische Flüchtlingspolitik – auch wenn die grundlegenden Verordnungen in Bezug auf die deutschen (und de facto auch die österreichischen) Flüchtlinge von 1933 bis zum Münchner Abkommen gültig blieben – gerade damals sehr verändert: Die Zufluchtsstätte wandelte sich zu einem Land, aus dem die Flüchtlinge wegzukommen versuchten und das seine Grenzen für die Verfolgten schloss. Dass die Lage der Flüchtlinge immer prekärer wurde, war Folge der internationalen politischen Lage und der zunehmend schwierigeren Position der Tschechoslowakei. Einen Höhepunkt erreichte das Gefühl der 65 Genaueres vgl. Kapitel „Die Tschechoslowakei und die internationalen Flüchtlingsverhandlungen“. 66 YIVO, NY, HICEM – Prague Office, RG 245.10, folder 1, MKM 15.135: Prague Committee for German-Speaking Refugees: Bericht über die interministerielle Beratung mit den Vertretern der Komités, welche im Comité National vertreten sind, 29.5.1935, S. 000058.

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Bedrohung nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 und während der Münchner Krise. Die restriktive Wende war ganz erheblich auch durch den Zusammenbruch der europäischen Flüchtlingspolitik 1938 veranlasst (und zwar insbesondere in Hinblick auf die jüdischen Flüchtlinge). Andererseits setzten die restriktiven Maßnahmen jener Zeit – wie die folgenden Kapitel zeigen werden – durchaus Tendenzen fort und griffen Kriterien auf, die in der tschechoslowakischen Flüchtlingspolitik während der gesamten 1930er Jahre zu beobachten waren. Wer eigentlich galt in der Tschechoslowakei als Flüchtling und über welche Rechte verfügte er hier? Obwohl tschechoslowakische Politiker und Journalisten häufig auf das Asylrecht und die Stellung der Flüchtlinge verwiesen, kannte das tschechoslowakische Staatsrecht in der Zwischenkriegszeit de facto die Begriffe Flüchtling, Asyl und Asylant nicht. Auf die Flüchtlinge aus Deutschland wurden im Grunde die Normen angewandt, die die Stellung von Ausländern regelten und nur in begrenztem Maß internationales Recht. Aus rechtlicher Sicht waren die Flüchtlinge lediglich Ausländer, die sich – wenngleich aus sehr spezifischen Gründen – auf dem tschechoslowakischen Staatsgebiet aufhielten. Ursprünglich waren die Vorschriften für Ausländer in der Tschechoslowakei keineswegs einheitlich, sondern spiegelten die unterschiedliche Rechtsgeschichte der einzelnen Landesteile. Diese noch aus österreichisch-ungarischer Zeit stammenden Normen regelten vor allem die Meldepflicht für Personen, die sich außerhalb ihres eigentlichen Wohnsitzes aufhielten, und unterschieden nicht systematisch zwischen tschechoslowakischen und ausländischen Bürgern. Sie sollten lediglich eine Kontrolle der Personenbewegungen auf dem Staatsgebiet ermöglichen, aber sie bezogen sich nicht spezifisch auf eine Kontrolle von Ausländern im Sinne nichttschechoslowakischer Staatsbürger.67 Die staatlichen Organe strebten eine Vereinheitlichung dieser Rechtsvorschriften an sowie gesonderte Aufenthaltsregelungen für tschechoslowakische und für ausländische Staatsbürger. Ergebnis dieser Diskussion war das detaillierte Gesetz über den Aufenthalt von Ausländern [zákon o pobytu cizinců] aus dem Jahr 1935, das den sonst in Europa nach dem Ersten Weltkrieg kodifizierten Normen sehr ähnlich war.68 Nach diesem Gesetz konnte sich ein Ausländer mit gültigem Reisepass nur noch für die Dauer von zwei Monaten (und unter Beachtung der Meldepflicht) auf dem Gebiet der Tschechoslowakei aufhalten. War die Frist abgelaufen, brauchte er eine gesonderte Aufenthaltsgenehmigung, die von den 67 In den böhmischen Ländern handelte es sich um die ministerielle Verordnung vom 15. Februar 1857 Nr. 33 des Reichsgesetzbuches, in der Slowakei und in der Karpato-Ukraine um das Gesetz Nr. V von 1903. Siehe z. B. Mitteilungen der Landesbehörde vom 26.10.1932. Dort sind die den Aufenthalt von Ausländern betreffenden Vorschriften zusammengefasst: NA, PP, 1931–1940; Sign. C 32/1, K. 634. 68 Gesetz vom 28. März 1935 über den Aufenthalt von Ausländern [Zákon o pobytu cizinců], Nr. 52/1935, Sammlung der Gesetze und Verordnungen.

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Landesbehörden in Prag, Brünn, Pressburg (Bratislava) und Užhorod ausgestellt werden konnte, und zwar maximal für die Dauer von zwei Jahren. In der Regel wurde eine solche Erlaubnis aber auf ein Jahr befristet. Ausgenommen waren hiervon lediglich ausländische Diplomaten, Mitglieder verbündeter militärischer Missionen sowie Soldaten bzw. Zivilisten, die Material in den tschechoslowakischen Rüstungs- oder sonstigen Fabriken übernahmen. Das Gesetz legte außerdem fest, dass einem Ausländer der Aufenthalt nur für einen bestimmten Teil des Staatsgebiets erteilt werden könne; umgekehrt konnte er in einem bestimmten Landesteil auch verboten werden. Dieser Punkt brachte eine grundlegende Änderung gegenüber der bisherigen Visumpolitik, denn ein Visum im Reisepass konnte sui generis immer nur für das gesamte Staatsgebiet erteilt werden. Diese restriktive Tendenz wurde im Mai 1936 durch das Gesetz zum Schutz des Staats [Zákon o obraně státu] noch verstärkt: es definierte eine Grenzzone, in der die Armee über weit reichende Vollmachten verfügte, die in das tägliche Leben der Bewohner eingriffen und sich auch auf die Aufenthaltsgenehmigung für Ausländer bezogen.69 Das Gesetz über den Aufenthalt von Ausländern regelte nicht nur, wer unter welchen Umständen die tschechoslowakische Staatsgrenze überschreiten darf. Die tschechoslowakischen Behörden nahmen es vielmehr meist auch als Ausgangspunkt für ihre späteren Maßnahmen in Bezug auf die bereits auf tschechoslowakischem Staatsgebiet befindlichen Flüchtlinge. Wichtig ist vor allem, dass weder dieses Gesetz noch irgendeine andere Gesetzesnorm eine Definition der Begriffe Flüchtling oder Asyl enthielt. Das zeigt, dass die tschechoslowakischen Behörden kein Interesse hatten, diese Begriffe ganz allgemein gesetzlich zu verankern. Das Asylrecht oder auch die Definition von Flüchtling hatten somit in der tschechoslowakischen Rechtsordnung keinerlei Stütze. Asyl blieb in der Tschechoslowakei – um es mit den Worten von Marie Schmolka von 1936 zu sagen – eine Art „Gewohnheitsrecht“ [obyčejové právo], was, wie sie hinzufügte, zu vielen Missverständnissen und ungerechten Ausweisungen führte.70 Auch das Internationale Büro für Asylrecht und Flüchtlingshilfe in Paris konstatierte in seinen Berichten von 1937 trocken, dass ein Asylrecht in der Tschechoslowakei nicht kodifiziert und seine Umsetzung daher eine Angelegenheit der administrativen und polizeilichen Organe sei.71 69 Gesetz vom 13. Mai 1936 zum Schutz des Staats [Zákon o obraně státu], Nr. 131/1936 der Gesetzessammlung. 70 AMZV, Sign. II-3, K. 926: Memorandum des Tschechoslowakischen Nationalauschusses für Flüchtlinge aus Deutschland. [Čs. národní výbor pro uprchlíky z Německa], 2.7.1936. 71 NA, ZÚ Praha, K. 1609: Nachrichtendienst, Nr. 20a, August/September 1937, Internationales Büro für Asylrecht und Flüchtlingshilfe, beigelegt dem Bericht der Polizeidirektion Prag vom 7.10.1937. Auch Peter Heumos kommt zu dem Schluss, dass es in der Tschechoslowakei keine verbindliche Asylpolitik gab. HEUMOS: „Tschechoslowakei“, S. 416.

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Dass es kein eindeutig geregeltes Asylrecht gab, ließ vor allem den Sicherheitsorganen, die dem Innenministerium unterstellt waren, bei der praktischen Umsetzung der Flüchtlingspolitik viel Handlungsspielraum und eröffnete die Möglichkeit eigenmächtiger Entscheidungen. In den Akten der Polizei und des Innenministeriums wird die tolerante Flüchtlingspolitik häufig als „blahovolný přístup“ [wohlwollende Behandlung] beschrieben, oder aber es heißt, die Flüchtlinge werden „geduldet“ („trpěni“). Diese Formulierungen zeigen, dass auch dann, wenn eine Aufenthaltsgenehmigung erteilt wurde, den Behörden daran lag, dass ihre Entscheidungsfreiheit bezüglich Aufenthalt und Ausweisung nicht eingeschränkt würde. Aus diesem Grund konnten die Entscheidungen im Einzelfall durchaus sehr subjektiv ausfallen. So konnte es eine Rolle spielen, ob es sich um eine bekannte Person handelte, um eine Person mit Verbindungen, auch ob der Flüchtling über Fähigkeiten zu verfügen schien oder als durchschnittlich eingestuft wurde. Um die Tragweite von „Asylrecht“ zu begreifen, muss man sich vergegenwärtigen, dass die Flüchtlinge per se auf eine Anerkennung ihres Sonderstatus keinen rechtlichen Anspruch hatten. Es lag in den Händen der einzelnen Staaten, ob und unter welchen Umständen sie bestimmte Personen als Flüchtlinge anzuerkennen bereit waren und welche Rechte sich daraus für diese ableiteten. Ebenso konnten die Kriterien für die Anerkennung als Flüchtling jederzeit geändert und gewährtes „Asyl“ somit auch jederzeit wieder aufgekündigt werden. Das internationale Recht, das sich de facto darauf beschränkte, politische Flüchtlinge nicht in ihre Heimatländer auszuliefern, bot hier nur sehr geringen Schutz. Nicht nur die Flüchtlinge bewegten sich daher in einem rechtlichen Vakuum. Auch die Hilfsorganisationen, die schon in den ersten Wochen nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten entstanden waren – ihnen widmet sich das Kapitel „Hilfe und Ohnmacht“ –, befanden sich in keinem klar definierten Verhältnis zu den staatlichen Behörden. Beide Seiten waren zwar aufeinander angewiesen, doch gründete ihre Zusammenarbeit auf unterschiedlichen Voraussetzungen und war daher nicht immer ausgewogen. Aus Sicht des Staats erfüllten die Hilfsorganisationen eine wichtige Aufgabe, denn sie garantierten, dass er sich in finanzieller Hinsicht nicht um die Flüchtlinge kümmern musste (im Unterschied zu den Flüchtlingen aus Russland und der Ukraine). Außerdem überließen die Verwaltungs- und Sicherheitsbehörden den Hilfskomitees die Erstregistrierung der Flüchtlinge und ersparten sich dadurch eine enorme administrative Belastung. Zugleich aber verwehrten sie den Komitees prinzipiell ein tatsächliches Mitentscheidungsrecht im konkreten Einzelfall. Die Komitees mussten daher einerseits bei der Auswahl ihrer Klienten die Bedingungen der Behörden beachten, andererseits konnten sie auf deren letztendliche Entscheidung keinerlei Einfluss nehmen. Nicht zufällig ist die erste zusammenfassende Verordnung des Innenministeriums über den Umgang mit deutschen Flüchtlingen ein Verdienst der Hilfskomitees (vor allem des jüdischen) und der Prager Polizei. Die Motivation

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war freilich eine jeweils ganz andere, denn Ziel der Polizei und der Verwaltungsbehörden war vor allem Evidenz, Kontrolle und Abschiebung der Flüchtlinge in Drittländer. Flüchtlingspolitik zwischen „Wohlwollen“ und Willkür Die tschechoslowakische Politik gegenüber den Flüchtlingen aus NS-Deutschland ist einerseits geprägt von Toleranz, andererseits von dem Bestreben, ein dauerhaftes Sesshaftwerden der Flüchtlinge zu verhindern. Die Tschechoslowakei sah sich, wie die anderen europäischen Staaten auch, als Transitland für eine weitere Ausreise der Flüchtlinge, vor allem nach Übersee. Daher wirkten die Behörden einer Stabilisierung ihrer Rechtsposition entgegen, gewährten ihnen in der Regel meist einen nur sehr befristeten Aufenthalt, erlaubten ihnen keine Beschäftigung und wiesen sie vereinzelt auch aus. Allgemein gilt, dass die Flüchtlinge sich nach ihrer Flucht in die Tschechoslowakei entweder selbst oder über Vermittlung der Hilfskomitees bei der Polizei meldeten und beispielsweise in Prag Formulare ausfüllten, in denen sie ihre Flucht begründeten und sich in der Regel auch schriftlich verpflichteten, dass sie sich in der Tschechoslowakei weder politisch betätigen noch einer Erwerbstätigkeit nachgehen würden. Nach der Verabschiedung des Gesetzes über den Aufenthalt von Ausländern mussten die Flüchtlinge regelmäßig – meist einmal jährlich – um eine Aufenthaltsgenehmigung ersuchen, die von der zuständigen Landesbehörde ausgestellt wurde. Falls ihre Reisedokumente nicht in Ordnung waren oder aber ihr Pass während ihres Aufenthalts in der Tschechoslowakei abgelaufen war und nicht erneuert werden konnte, mussten sie eine Aufenthaltsgenehmigung ohne gültigen Reisepass beantragen. Die Flüchtlinge wurden außerdem in der Regel aufgefordert, einen vorläufigen tschechoslowakischen Reisepass zu beantragen, mit dem sie aus dem Land aus- und wieder einreisen konnten. Dieses Dokument hatte allerdings nichts mit der Erteilung der Staatsbürgerschaft zu tun und diente hauptsächlich dem Zweck, die Ausreise in ein anderes Land zu ermöglichen. Vorläufige Reisepässe erhielten die Flüchtlinge in der Regel im Gegenzug für das Versprechen auszureisen und ihre Gültigkeit war meist auch auf ein Jahr begrenzt. Nach Ablauf der Gültigkeit sah sich der Flüchtling erneut ohne jeden rechtlichen Schutz des Staats. Die ausländischen Vertretungen der Tschechoslowakei waren angehalten, diese Dokumente nicht mehr oder aber nur für begrenzte Zeit zu verlängern. Eine Delegation des Comité National, der Dachorganisation des tschechoslowakischen Hilfskomitees, versuchte 1935 im Innenministerium vergeblich die Ausstellung von Pässen mit einer Gültigkeit von zwei bis drei Jahren zu erwirken. Die Ministerialbeamten bestanden auf einer Gültigkeitsdauer von einem Jahr. Einer Verlängerung der Dokumente stimmte das Innenministerium dann zu, wenn der Flüchtling diese bei der entsprechenden tschechoslowakischen

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Vertretung in seinem neuen Aufenthaltsland mindestens drei Monate vor Ablauf seines bisherigen Passes beantragt hatte und sich zugleich um die Staatsbürgerschaft seines Aufenthaltslandes bemühte. Die Verlängerung der vorläufigen Pässe sollte in jedem Fall auf ein Minimum beschränkt bleiben.72 Flüchtlinge, die mit gültigem Reisepass in die Tschechoslowakei kamen, konnten sehr leicht den Schutz ihres Heimatstaats verlieren. Die Gültigkeit ihrer Pässe lief oft innerhalb weniger Monate aus, wobei sie oft keine Möglichkeit hatten, bei den Vertretungen ihres Landes eine Verlängerung oder gar die Ausstellung eines neuen Dokumentes zu beantragen. Diese Menschen sahen sich de facto ohne eigenes Verschulden in einer Situation, in der sie weder den Schutz ihres Heimatstaats genossen noch über gültige Dokumente verfügten, mit denen sie ihre Identität nachweisen oder über die Grenze reisen konnten. Viele tschechoslowakische Staatsbürger, Unternehmer und Politiker sahen in den Ausländern unerwünschte Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt oder in der freien Wirtschaft. Diese Ängste bezogen sich traditionell vor allem auf die jüdischen Flüchtlinge, die angeblich keine ehrlichen Unternehmer waren, Wucher trieben oder ihre Kunden und Geschäftspartner übervorteilten. Diese Konkurrenzängste verstärkten sich nach Beginn der Weltwirtschaftskrise 1929 und in Zusammenhang mit der rasant ansteigenden Arbeitslosigkeit in der Tschechoslowakei zu Beginn der 1930er Jahre. 1933, als die ersten Flüchtlinge aus Deutschland in der Tschechoslowakei eintrafen, lag die Zahl der Arbeitslosen durchschnittlich bei 738 000, im Februar waren es sogar 920 000. Das hieß, dass ungefähr ein Viertel aller Beschäftigen nach Ausbruch der Krise 1929 ihre Arbeit verloren hatten.73 Freilich ist die Frage, ob die deutschen Flüchtlinge, deren Zahl relativ gering war, eine so große Bedrohung für den tschechoslowakischen Arbeitsmarkt bedeutet hätten. Die Nichterteilung einer Arbeitserlaubnis verfolgte noch einen anderen Zweck als nur den Schutz des inländischen Arbeitsmarkts – sie sollte die Flüchtlinge von einem dauerhaften Verbleib im Land abhalten. Um die Möglichkeit einer produktiven Arbeit gebracht, bemühten sie sich verstärkt um die Ausreise in ein anderes Land, wo sie auf die Unterstützung von Verwandten und Hilfskomitees nicht mehr angewiesen wären. Die Erwerbstätigkeit von Ausländern war noch vor Beginn der Weltwirtschaftskrise und der ersten Flüchtlingswelle aus NS-Deutschland gesetzlich geregelt worden. 1928 verabschiedete die Tschechoslowakei ein Gesetz zum Schutz des inländischen Arbeitsmarkts, der Ausländern eine Beschäftigung künftig nur in seltenen Ausnahmefällen ermöglichte. Die Ausländer, die in der Tschechoslowakei einer Beschäftigung nachgehen wollten, mussten eine Sondererlaubnis beantragen, die nur dann erteilt werden sollte, „wenn dies die Lage des einheimischen 72 YIVO, NY, HICEM – Prague Office, RG 245.10, folder 1, MKM 15.135: Prague Committee for German-Speaking Refugees, Sitzungsprotokoll des Comité National, 2.7.1935. 73 Vgl. z.B. KÁRNÍK: České země v éře První republiky, Bd. 2, S. 50.

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Reichsdeutscher Pass von Kurt Löwenthal. Löwenthal flüchtete 1933 in die Tschechoslowakei

Arbeitsmarkts im konkreten Einzelfall zulasse oder wichtige volkswirtschaftliche Interessen es erforderten“, wenn außerdem für die betreffende Beschäftigung keine „einheimische Kraft“ gefunden werden konnte oder aber wenn besondere familiäre oder persönliche Gründe für die Erteilung einer solchen Genehmigung sprächen.74 In den Jahren der Wirtschaftskrise und einer hohen Arbeitslosigkeit legten die tschechoslowakischen Behörden diese Verordnung allerdings sehr restriktiv aus und erteilten eine Arbeitserlaubnis nur äußerst selten. Eine unumgängliche Flucht aus Deutschland gehörte aus Sicht der Behörden nicht zu jenen familiären oder persönlichen Ausnahmesituationen, die zu einer Sondererlaubnis berechtigt hätten. Mehr Möglichkeiten boten sich den Ausländern im Bereich des Handels und anderer freier Gewerbe, die einer internationalen Regulierung nach dem Prinzip der Wechselseitigkeit unterlagen. So konnten auch deutsche Bürger in der Tschechoslowakei relativ problemlos eine Gewerbelizenz bekommen. Die tschechoslowakischen Sicherheitsbehörden entwickelten jedoch schon ab 1933 ein Interesse 74 Gesetz vom 13. März 1928 zum Schutz des inländischen Arbeitsmarkts Nr. 39/1928 der Gesetzessammlung.

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daran, dass Flüchtlinge aus Deutschland in der Tschechoslowakei keine Genehmigung für eine unternehmerische Tätigkeit erhielten, doch damit bewegten sie sich auf Grund der internationalen Vereinbarungen auf sehr dünnem Eis. Die Behörden versuchten daher, die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung an eine Zusicherung des Antragstellers zu binden, dass er keiner gewerblichen Tätigkeit nachgehen werde. Bereits 1934 beschwerte sich das Zentralorgan der tschechoslowakischen Hilfskomitees, dass die in den internationalen Verträgen verankerte Gewerbefreiheit nicht gewährleistet sei. Die Gewerbebehörde würde die Anträge von Flüchtlingen auf eine Gewerbelizenz ablehnen oder diese an die Prager Polizeidirektion verweisen, wo man den Betreffenden zu verstehen gebe, dass ihnen, sollten sie von der Anmeldung eines Gewerbes nicht absehen, eine Ausweisung drohe.75 Erst das Gesetz über den Aufenthalt von Ausländern ermöglichte den Behörden eine bessere Kontrolle über die gewerbliche Tätigkeit von Ausländern in der Tschechoslowakei, denn diese war nun an eine Aufenthaltsgenehmigung gebunden. Da aber die Absicht einer gewerblichen Tätigkeit in dem Antrag auf Aufenthaltsgenehmigung angeführt werden musste, konnten die Behörden die Aufenthaltsgenehmigung verweigern oder – was offenbar öfters geschah – dem Betreffenden nahe legen, im Interesse eines positiven Bescheids von der Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit abzusehen. Nach Verabschiedung des Gesetzes forderten neunzig Beschäftigten- und Arbeitgeberverbände der verschiedensten Bereiche, vom Laborgerätehersteller bis zum Wursthändler, vom Geschäftsmann bis zum Apotheker, bei der Beschäftigung von Ausländern, die der tschechoslowakischen Wirtschaft und den Interessen der tschechoslowakischen Bürger systematisch schaden würden, die allerstrengsten Kriterien geltend zu machen. So forderte man in vielen Einzelpunkten eine wesentliche Verschärfung des Gesetzes zum Schutz des inländischen Arbeitsmarkts und wollte bei der Erteilung von Aussagegenehmigungen ein Mitspracherecht der Gewerkschaften und anderer Arbeitgebervereinigungen, gegebenenfalls auch der Hochschulen. Auch eine Gewerbelizenz sollte nur in sehr seltenen Ausnahmefällen erteilt werden; außerdem sollten die Finanzbehörden von den ausländischen Unternehmern eine Art Voraussteuer erheben – für den Fall, dass sie ausreisen oder das Gewerbe aufgeben würden. Auch forderten die Verbände, dass niemand die Staatsbürgerschaft erwerben sollte, der nicht tschechoslowakischer Nationalität wäre; außerdem musste der Betreffende bereits zehn Jahre ohne Unterbrechung im Land gelebt haben.76 Die Voraussteuer, deren Erhebung ins Ermessen der jeweiligen Finanzbehörde gestellt wurde, fand in den Text der von 75 NA, MV, Alte Registratur, 1936–1940, Sign. 5/51/16, K. 4655: Jan Löwenbach für das Gemeinsame Komitee der tschechoslowakischen Hilfsorganisationen für Flüchtlinge aus Deutschland, 10.3.1934. 76 NA, MV, Alte Registratur, 1919–1944, Sign. 1/36/2, K. 4374: Brief des Finanzministeriums, 17.4.1935.

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der Regierung im Juni 1935 erlassenen Durchführungsverordnung zum Gesetz über den Aufenthalt von Ausländern tatsächlich Eingang.77 Kein Wunder, dass viele Flüchtlinge, die nicht über genügend finanzielle Reserven verfügten und auch nicht von Verwandten oder den Hilfskomitees abhängig sein wollten, das Erwerbsverbot auf verschiedensten Wegen umgingen, schwarz arbeiteten oder ein Gewerbe betrieben, das offiziell auf einen tschechoslowakischen Staatsbürger angemeldet war. Die Prager Polizei zum Beispiel beklagte sich über die Findigkeit der Flüchtlinge, die mit Stoffen hausierten oder verschiedenste obskure Gewerbe betrieben. Jüdische Geschäftsleute und Unternehmer würden versuchen, zu Ungunsten tschechoslowakischer Staatsbürger Flüchtlinge zu beschäftigen. Nach Ansicht der Prager Polizei richtete sich die Tätigkeit der Flüchtlinge direkt gegen das „wirtschaftliche Fundament unseres Staats“ [proti hospodářské základně našeho státu], was der Fall eines Flüchtlings illustrieren sollte, der – einer beschlagnahmten Korrespondenz zufolge – den Import von Waren aus Japan plante. Tschechische und deutsche Schauspieler in der Tschechoslowakei beschwerten sich wiederum darüber, dass Flüchtlinge sich, da sie keine andere Möglichkeit einer Existenzsicherung hätten, um ein Engagement bemühten und – „auf Kosten wirklicher Schauspieler“ [na úkor skutečných herců] – als Schauspieler ausgäben, obwohl sie lange nicht mehr gespielt hätten. Daher forderte die Schauspieler-Assoziation bereits im Juni 1933 eine erneute Prüfung jedes dieser Kandidaten durch eine Sonderkommission.78 Äußerst restriktiv verfuhren die Behörden bei Anträgen auf Erteilung der Staatsbürgerschaft. Dieses Thema war umso wichtiger, als viele Menschen durch den Ersten Weltkrieg und später durch die nationalsozialistische Verfolgung ihre Staatsbürgerschaft verloren hatten. Das galt vor allem für die Flüchtlinge aus Russland, der Ukraine und anderen Teilen der Sowjetunion, aber auch für viele polnische Juden. Ein Großteil der Flüchtlinge besaß zwar die deutsche Staatsangehörigkeit, genoss aber seitens des deutschen Staats keinen Schutz. Daher waren verständlicherweise viele Flüchtlinge an einer tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft interessiert. Die Verfolgung führte eine Reihe von deutschen Staatsbürgern noch vor ihrer Emigration auf die tschechoslowakischen Vertretungen in Deutschland. Das Konsulat in Hamburg teilte zum Beispiel im April 1933 mit, dass sich eine ungewöhnlich hohe Zahl von Personen über die Möglichkeit der Erlangung der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft informiere. Zudem war den Konsulatsbeamten aufgefallen, dass es sich mehrheitlich um „vermögende Gewerbetreibende jüdischer Konfession“ handele, „obwohl auch 77 Regierungsverordnung vom 25. Juni 1935, zur Durchführung des Gesetzes vom 28. März 1935, Nr. 52, über den Aufenthalt von Ausländern, Nr. 143/1935, Sammlung der Gesetze und Verordnungen. 78 NA, PMV, 1931–1935, Sign. X/N/9/11, K. 844–3: Bericht der Polizeidirektion Prag, 2.11.1934.

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schon Fälle vorgekommen sind, dass Deutsche arischer Abstammung um diese Informationen ersucht haben“.79 Um die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft zu erlangen musste man zuvor Heimatrecht in einer tschechoslowakischen Gemeinde erhalten haben, außerdem die Zustimmung der entsprechenden Landesbehörde oder aber, in strittigen Fällen, des Innenministeriums. Diese Behörden waren jedoch, was die Erteilung der Staatsbürgerschaft betraf, sehr restriktiv; eine tatsächlich erteilte Staatsbürgerschaft ist daher als jene Ausnahme zu sehen, die die Regel bestätigt. Die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft gründete überdies auf der ius sanguinis, das heißt, die Staatsbürgerschaft ererbte man von den Eltern.80 Die Staatsbürgerschaft im erwachsenen Alter zu erlangen war insbesondere für Personen nichttschechoslowakischer Nationalität sehr schwierig. Selbst Flüchtlingskinder, die auf dem Gebiet der Tschechoslowakei geboren wurden, hatten nicht automatisch Anspruch auf die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft, sofern nicht beide Eltern staatenlos waren. Die Rechtsvorschriften erlaubten überdies keine doppelte Staatsbürgerschaft, so dass eine tschechoslowakische Staatsbürgerin durch die Heirat mit einem Ausländer ihre ursprüngliche Staatsbürgerschaft verlor.81 Die ius sanguinis war zudem in der Regel mit einer ethnisch geprägten Vorstellung von Staatsbürgerschaft verbunden, oder – wie in der Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit – mit ethnisch definierten Präferenzen bei deren Erteilung. Ein Erwerb der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft war daher für die Flüchtlinge – auch für die meisten prominenten politischen Flüchtlinge – im Grunde ausgeschlossen. Deutschsprachige Flüchtlinge wurden von den Behörden überdies als nicht genehme Stärkung der deutschen Minderheit in der Tschechoslowakei wahrgenommen. So vermerkte die Prager Polizeidirektion zum Antrag des sozialdemokratischen deutschen Flüchtlings Richard Bernstein, der, nachdem ihm die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt worden war, 1935 um die Erteilung der tschechoslowakischen nachsuchte: „Er ist deutscher Nationalität, so dass durch seine Aufnahme in die Staatsgemeinschaft die deutsche Minderheit gestärkt würde, was nicht im Interesse des Staats ist. Aus Gründen der gegenwär-

79 NA, PMV, 1931–1935, Sign. X/N/9/11, K. 842: Bericht des Generalkonsulats an das Außenministerium, 25.4.1933. 80 Allgemein zu ius soli (Territorialprinzip) und ius sanguinis Rogers BRUBAKER: Citizenship and Nationhood in France and Germany. Harvard University Press 1992. 81 Siehe Vladimír VERNER: „Státní občanství československé“, Věstník Ministerstva vnitra Republiky Československé, Jg. 9, Nr. 5, S. 137- 42, Nr. 6, S. 161–167, Nr. 7, S. 185–188; Jan ČERNÝ, Miloš VALÁŠEK: České státní občanství. Praha 1996; Václav PAVLÍČEK, Jiří HŘEBEJK: Ústava a ústavní řád České republiky. Komentář. 1. díl: Ústavní systém. Praha 1998, S. 91–107; Pavel UHL: Kritická analýza zákona o nabývání a pozbývání státního občanství České republiky. Diplomarbeit. Právnická fakulta UK, Praha 2000, online: http://pavel.uhl.cz/ diplomky/Mgr_PFUK.doc [zit. 26.11.2007].

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tigen wirtschaftlichen Depression und der Arbeitslosigkeit empfiehlt die hiesige Behörde eine Ablehnung des Antrags.“82 Richard Bernstein, geboren 1882 in Wien. Deutscher sozialdemokratischer Journalist, Redakteur des Vorwärts in Berlin. Bernstein war im April 1933 in die Tschechoslowakei geflüchtet. Seine Frau folgte mit beiden Kindern im September 1933 nach. Sie stammte aus einem Dorf bei Gablonz an der Neiße (Jablonec nad Nisou) und hatte in der Tschechoslowakei eine weit verzweigte Verwandtschaft. Bernstein arbeitete in Prag für die Zeitschriften Právo lidu [Recht des Volkes] und Der Sozialdemokrat. Er meldete sich beim Jüdischen Hilfskomitee, später wurde er bei der Sozialdemokratischen Flüchtlingsfürsorge geführt. 1935 beantragte Bernstein tschechoslowakische Staatsbürgerschaft. Sein Antrag wurde vor allem deshalb abgelehnt, weil er deutscher Nationalität war. Noch nach der Okkupation gelang ihm mit einem vorläufigen tschechoslowakischen Pass die Flucht aus dem „Protektorat“ nach Norwegen. Aus Oslo wurde er später jedoch nach Auschwitz deportiert, wo er am 21. Januar 1943 ums Leben kam.83

Schlichtweg irreführend ist die Vermutung Ivan Pfaffs, dass innerhalb von nur drei Jahren (1935–1937) 897 deutschen Flüchtlingen die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft erteilt worden sei.84 Es ist auch kein Zufall, dass Pfaff, der die wohlwollende Haltung der Zwischenkriegs-Tschechoslowakei gegenüber den Flüchtlingen aus NS-Deutschland belegen will, gerade Heinrich und Thomas Mann so viel Aufmerksamkeit widmet, denen die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft erteilt wurde. Ihr Fall ist nicht nur deswegen untypisch, weil es sich um bekannte Persönlichkeiten mit zahlreichen prominenten Kontakten handelte, sondern auch deshalb, weil keiner von beiden je wirklich in der Tschechoslowakei leben wollte und auch in seinen Möglichkeiten zu reisen und zu arbeiten nicht von einem tschechoslowakischen Pass abhängig war.85 Der einfachste Weg zur Erlangung der Staatsbürgerschaft, und zwar vor allem für Frauen, bestand in der Heirat mit einem tschechoslowakischen Staatsbürger. Daher wurden auch fingierte Ehen geschlossen, wie im Falle Olga Flei82 NA, PŘ, 1941–1950, Sign. B 1612/7, K. 544: Richard Bernstein. 83 Ebda.; The Central Database of Shoah Victims’ Names, online: http://www.yadvashem.org/ [zit. 10.6.2008]. 84 Ivan PFAFF: „Kulturní most: německý kulturní exil v ČSR 1933–1938“, Tvar, 2004, Jg. 15, Nr. 8, S. 6–7. 85 Siehe Kapitel „Die Privilegierten“.

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schers. In der Tschechoslowakei galt zu jener Zeit, ähnlich wie in den anderen europäischen Ländern auch, dass Frauen durch die Heirat mit einem Ausländer automatisch ihre ursprüngliche Staatsbürgerschaft verlieren und die ihres Mannes annehmen müssen. Auf diesem Weg also konnten deutsche Flüchtlinge die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft erlangen. Olga Fleischer, geboren 1914 in Brühl. Sie flüchtete 1935 auf Grund der Judenverfolgung aus dem deutschen Baden-Baden in die Tschechoslowakei. Vor ihrer Emigration hatte sie dort die Ballettschule mit Auszeichnung abgeschlossen. Zunächst wohnte sie bei Verwandten in Südböhmen, 1936 zog sie nach Prag. Dort fand sie Beschäftigung am Theater E.F. Burians. Aus Angst vor Ausweisung oder auch um eine Arbeitserlaubnis zu erhalten, ging sie 1937 eine Scheinehe ein. 1941, in der Zeit der ersten Transporte, heiratete Olga FleischerEimler erneut. Ihr „arischer“ Ehemann bewahrte sie und später auch ihre Tochter Veronika vor einer Deportation. Als er starb, drohte Olga die Deportation ins Ghetto Theresienstadt. Ihre Tochter Veronika konnte sie bei Bekannten verstecken, sie selbst tauchte in der Abteilung für Infektionskrankheiten des Jüdischen Krankenhauses in Prag unter und überlebte. Nach dem Krieg war sie an verschiedenen tschechoslowakischen Theatern tätig.86

Dieses Prinzip hatte freilich auch seine Schattenseite: wer als tschechoslowakische Staatsangehörige vor dem Machtantritt der Nationalsozialisten nach Deutschland geheiratet hatte, hatte nun keinen Anspruch auf Hilfe seitens seines Geburtslandes und wurde wie alle anderen auch als Ausländer angesehen.87 So war es beispielsweise bei der Frau von Richard Bernstein. Eine extreme, wenn auch sehr umstrittene und oft verurteilte Möglichkeit der tschechoslowakischen Behörden war die Ausweisung von Flüchtlingen. In der bisherigen Literatur zur tschechoslowakischen Flüchtlingspolitik wird immer wieder behauptet, dass die Tschechoslowakei keine Flüchtlinge an Deutschland ausgeliefert habe oder auch, sehr vereinfacht, dass ein Ausweisungsverbot für politische Emigranten bestanden hätte.88 Dennoch hat die Ausweisung von Flüchtlingen 86 Privatarchiv und Auskunft von Frau Veronika Kofránková, der Tochter von Olga Fleischer. 87 NA, PMV, 1931–1935, Sign. X/N/9/11, K. 844–3: Bericht der Polizeidirektion Prag, 2.11.1934. Eine vergleichbare Diskriminierung von Frauen war auch in anderen Staaten üblich. Für die Schweiz siehe z.B. PICARD: Die Schweiz und die Juden, 1933–1945, S. 208– 220. 88 Heimat und Exil, S. 57.

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Olga Fleischer bekam ein Engagement am Theater E.F. Burians

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die gesamten 1930er Jahre hindurch heftige Kontroversen hervorgerufen und war Gegenstand zahlreicher Diskussionen in der Presse und Grund für Interpellationen im Parlament.89 Im Laufe des 19. Jahrhunderts hatte sich ein Prinzip aus dem internationalen Recht etabliert: Personen, die in ihrem Heimatstaat wegen politischer Vergehen verfolgt werden oder verfolgt werden könnten, sollten weder dorthin zurückgeschickt noch anderweitig ausgewiesen werden. Dieser Grundsatz des non-refoulement war eine Reaktion auf die zwischen den einzelnen Staaten getroffenen Abkommen über die Auslieferung von Personen, die wegen krimineller Vergehen in ein anderes Land geflüchtet waren. Die Regelung zur Nichtauslieferung, die Grundlage des modernen Asylrechts ist, galt allerdings nur für sehr eng definierte und kleine Gruppen politischer Flüchtlinge, die sich als aktive Mitglieder einer politischen Bewegung oder Partei einer Verfolgung ausgesetzt sahen. Zudem sollte nur die Ausweisung in ihren Heimatstaat unterbleiben, in ein Drittland hingegen war sie nicht ausgeschlossen. Das Prinzip des non-refoulement wurde dann angewendet, wenn der Heimatstaat auf eine Auslieferung drängte; es legte fest, in welchen Fällen das Aufnahmeland einen Flüchtling nicht ausliefern muss. In Zeiten großer Flüchtlingswellen kam das non-refoulement nur bedingt zur Anwendung, allein schon aus dem Grund, weil es nicht für Situationen konzipiert war, in denen Staaten ihre Bürger aktiv vertrieben.90 Eine genaue Statistik der ausgewiesenen Flüchtlinge für die gesamte hier untersuchte Zeit konnten wir nicht ausfindig machen. Eine solche Statistik wäre allerdings auch irreführend. Ein großer, wenn nicht der überwiegende Teil der Flüchtlinge, die von den Verwaltungs- oder Sicherheitsorganen zum Verlassen der Tschechoslowakei gezwungen wurden, wurde nicht offiziell ausgewiesen. Vielmehr erteilten ihnen die Behörden keine weitere Aufenthaltsgenehmigung für die Tschechoslowakei und forderten sie direkt zum Verlassen des Landes auf. So informierte im März 1934 das Bezirksamt in Kladno zwei deutsche Flüchtlinge, die offensichtlich Mitglieder der Kommunistischen Partei waren, dass ihr Antrag auf Aufenthaltsgenehmigung ohne Reisepass abgelehnt sei und forderte sie zum Verlassen des Staatsgebiets auf, „sonst würden sie ausgewiesen und an Deutschland 89 Siehe z.B. NA, PMV, 1936–40, Sign. X/N/9/8, K. 1117: Interpellation der Abgeordneten Hodinová-Spurná, 27. 6. 1936; Interpellation des Abgeordneten Dölling, 11.5.1936; ebda, K. 1116: Proteste der (kommunistischen) Fabrikausschüsse, übersandt aus Königgrätz (Hradec Králové), 20. 7. 1936. 90 Zum internationalen Asylrecht sieht: Walter KÄLIN u. Koll.: Rechtliche Aspekte der schweizerischen Flüchtlingspolitik im Zweiten Weltkrieg. Beiheft zum Bericht Die Schweiz und die Flüchtlinge zur Zeit des Nationalsozialismus. Unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg. Bern 1999. Kritischer Blick auf das Verhältnis der Demokratien zum Asylrecht: Matthew J. GIBNEY: The Ethics and Politics of Asylum. Liberal Democracy and the Respose to Refugees. Cambridge 2004.

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überstellt“.91 Sofern ein Flüchtling noch in Grenznähe aufgegriffen wurde, konnte er ohne jedes Ausweisungsverfahren, von der Grenzwache auch direkt zurückgeschickt werden. Über eine Ausweisung entschieden nicht nur die Gerichte auf Grundlage erwiesener Straftaten, sondern auch die Verwaltungsbehörden, konkret also die Bezirksbehörden oder in großen Städten die Polizeidirektionen. Personen, die auf Grundlage dieser Entscheidungen „abgeschoben“ werden sollten, wurden in Böhmen in der so genannten Fišpanka interniert, einer Abschiebe-Station in Prag-Vysočany. Von dort wurden sie zur Staatsgrenze gebracht. Die meisten tschechoslowakischen Behörden hielten sich daran, die Flüchtlinge nicht nach Deutschland (oder im Falle österreichischer Flüchtlinge nicht nach Österreich) zurückzuschicken und erkannten auch an, dass geringere Passvergehen und illegale Einwanderung keine hinreichenden Gründe für eine Ausweisung sind. Dennoch beschwerten sich die Hilfsorganisationen und politischen Parteien wiederholt über die Ausweisung von Flüchtlingen wegen geringer Verstöße oder Passvergehen.92 Auch in den Polizeiberichten findet sich Ähnliches. Meist handelt es sich um Situationen, in denen die betreffenden Polizisten eine Person nicht als Flüchtling gelten lassen wollten. Im Juni 1937 zum Beispiel überschritt nahe Weißwasser bei Jauernigg (Bílá Voda u Javorníku) der fünfundzwanzigjährige Georg ( Jiří) Rotsch die Grenze. Im Polizeibericht lesen wir: „Jiří Rotsch ist physisch zerrüttet, er zittert unablässig. Er behauptet, er sei im Arbeitslager häufig geschlagen worden und in Folge davon nervlich erkrankt.“ Dennoch wurde er wegen Überschreitens der Grenze ohne gültigen Reisepass oder Passierschein von der örtlichen Polizei mit vierzehn Tagen Haft bestraft und nach Absitzen derselben und einem Verhör durch die Militärbehörden (aus Gründen, die aus dem amtlichen Bericht nicht ersichtlich sind) nach Deutschland abgeschoben.93 Ende 1935 zum Beispiel intervenierte die Organisation der tschechoslowakischen Hilfskomitees gegen die Ausweisung von Flüchtlingen (in Komotau / Chomutov), die nur deshalb erfolgen sollte, weil diese ohne gültigen Reisepass die Grenze passiert hatten. Die Hilfskomitees schlugen vor, dass das Ministerium die untergeordneten Behörden dahingehend instruieren sollte, dass kein Flüchtling ohne ihre Stellungnahme ausgewiesen werden sollte und dass sie bereit wären, zu 91 NA, PMV, 1931–1935, Sign. X/N/9/11, K.843: Protokoll PMV, 24.3.1934. Dieser Beschluss führte zu einer Intervention der kommunistischen Abgeordneten; deutsche kommunistische Flüchtlinge wieder nach Deutschland auszuweisen war erst ab Oktober 1934 nicht mehr möglich. 92 NA, MV, Alte Registratur, 1936–1940, Sign. 5/51/16, K. 4655: Jan Löwenbach für das Gemeinsame Komitee der tschechoslowakischen Hilfsorganisationen für Flüchtlinge aus Deutschland [Společný výbor čsl. organisací pro pomoc uprchlíkům z Německa], 10. 3. 1934. 93 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/N/9/8, K. 1117: Berichte der Landesbehörde Brünn, 24.6.1937, 13.7.1937.

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diesem Zweck in den wichtigsten Städten eine dreiköpfige Sonderkommission einzurichten.94 Bis Ende Oktober 1934 leitete die Prager Polizeidirektion Strafverfahren gegen neunzehn deutsche Flüchtlinge ein und wies 49 deutsche und vier österreichische Flüchtlinge aus. Die Strafverfahren erfolgten auf Grund des Verdachts einer Spionagetätigkeit für Deutschland, die Ausweisungen auf Grund kommunistischer Aktivitäten, des Verdachts auf Spionage, wegen Passfälschungen sowie moralischer Vergehen (Prostitution).95 Flüchtlinge wurden immer wieder wegen einer angeblichen oder tatsächlichen konspirativen Tätigkeit ausgewiesen; eine Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei oder das Abonnement einer kommunistischen Zeitung waren mitunter Grund genug. Auch der Verdacht auf Spionage musste nicht immer eindeutig erwiesen sein: für eine Ausweisung reichte, dass jemand regelmäßig finanzielle Unterstützung aus Deutschland erhielt, dass er Kontakt zu Ausländern unterhielt oder – zu welchem Zweck auch immer – nach Deutschland reiste. Bisweilen waren es auch die Flüchtlingskomitees, die einen möglichen Spion anzeigten; bei Anzeigen von kommunistischer Seite standen dabei jedoch oft innerparteiliche Konflikte im Hintergrund. Die Sicherheitsorgane hatten die schwierige Aufgabe, tatsächliche Spione von entwurzelten Flüchtlingen, deren Handlungsweise verdächtig erscheinen konnte, zu unterscheiden. Höchstwahrscheinlich wurden wegen Verdachts auf Spionage auch eine Reihe unschuldiger Personen ausgewiesen. Die Ausweisung war jedoch ein zweischneidiges Instrument, denn sie war fast nie legal durchführbar. In Hinblick darauf, dass man die Flüchtlinge nicht zu einer Rückkehr in ihr Herkunftsland zwingen konnte, andere Länder aber auch nicht bereit waren, ausgewiesene deutsche oder polnische Bürger oder aber staatenlose Personen aufzunehmen, erfolgte die Ausweisung oft heimlich. So gerieten die Ausgewiesenen auch im Zielstaat in eine illegale Stellung und wurden oft wieder zurückgeschickt. Häufigstes Ziel der aus der Tschechoslowakei Ausgewiesenen war Österreich, und die Flüchtlinge überschritten – oft mit Hilfe oder unter Aufsicht der tschechoslowakischen Polizisten – die Grenze dorthin illegal. Die tschechoslowakischen Behörden haben einige Fälle von Flüchtlingen oder Personen ohne Staatsangehörigkeit, die nach Österreich abgeschoben wurden, von wo sie aus eigenem Antrieb oder gezwungenermaßen wieder in die Tschechoslowakei zurückkehrten, dokumentiert. Ein Beispiel ist der kommunistische deutsche Flüchtling Ernst Goldstein. 94 YIVO, NY, HICEM – Prague Office, RG 245.10, folder 1, MKM 15.135: Prague Committee for German-Speaking Refugees: Bericht über die interministerielle Beratung mit den Vertretern des Komités, welche im Comité National vertreten sind, 9.10.1935, S. 000091. 95 NA, PMV, 1931–1935, Sign. X/N/9/11, K. 844–3: Bericht der Polizeidirektion Prag, 2.11.1934.

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Werden sie ihn ausliefern? Neuer Vorwärts, 26. Juni 1938

Ernst Goldstein, geboren 1905 in Berlin. Goldstein flüchtete im Mai 1933 zu Fuß über das Riesengebirge in die Tschechoslowakei und fuhr von Roketnitz (Rokytnice) mit dem Zug nach Prag. Als Grund seiner Flucht nannte er Verfolgung wegen seiner jüdischen Religionszugehörigkeit. Er sei von Nationalsozialisten „in einen Wald verschleppt worden, wo diese auf ihn geschossen und ihn auch anderweitig misshandelt und schließlich liegen gelassen hätten“. Goldstein wurde vom „Šalda“Komitee aufgenommen und beantragte 1934 die Ausstellung eines vorläufigen tschechoslowakischen Passes, angeblich für eine Reise in die Schweiz, wo er eine Anstellung in Aussicht habe. In einem Zusatz zu diesem Antrag musste er unterschreiben, dass er sofort nach Erhalt des Passes ausreisen werde. Im Februar 1936 wurde er jedoch wegen des Verdachts kommunistischer Tä





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tigkeit auf Verfügung des Prager Polizeipräsidiums (und ohne Gerichtsverhandlung) aus der Tschechoslowakei ausgewiesen und bei České Velenice an die österreichische Grenze gebracht, die er illegal überschreiten musste. Einen Monat später wurde er erneut in Prag verhaftet, wobei er angab, er sei wegen der Unterstützung des „Šalda“-Komitees zurückgekehrt, mit der er nun die Möglichkeit habe, in die Sowjetunion auszureisen. In Prag erhielt er eine kurze Aufenthaltsgenehmigung, wurde dann aber schon im Juli 1936 auf direkte Verfügung eines hohen Beamten im Präsidium des Innenministeriums auf „kurzem Weg“ [krátkou cestou; d.h. ohne reguläres Ausweisungsverfahren] an die österreichische Grenze gebracht. Über sein weiteres Schicksal konnte nichts ermittelt werden.96

Die Berichte der tschechoslowakischen Behörden enthalten auch Informationen über einen regen illegalen Verkehr an der Grenze zu Österreich sowie darüber, dass die illegalen Grenzübertritte unerwünschter Ausländer von beiden Staaten unterstützt wurden. Am häufigsten ereigneten sich diese illegalen Übertritte von österreichischer Seite aus an dem Grenzabschnitt zwischen Retzbach und dem tschechischem Schattau (Šatov, südlich von Znaim/Znojmo), dokumentiert sind aber auch Abschiebungen an der Grenze zwischen Linz und Kaplitz (Kaplice). Die Prager Polizisten wiederum präferierten das Grenzstück zwischen České Velenice und Gmünd. Hier wurden sehr oft Flüchtlinge über die Grenze zurückgeschickt, die sich kleinerer Verstöße gegen die Pass- oder Meldevorschriften schuldig gemacht hatten – und in vielen Fällen betrafen diese Praktiken Juden mit polnischer Staatsangehörigkeit oder ohne Staatsbürgerschaft.97 Die Abschiebung von Flüchtlingen und anderen unbequemen Personen auf diesem Weg war allerdings nicht sonderlich effektiv, denn die auf diese Weise Vertriebenen wurden häufig auf dem Gebiet des anderen Staats verhaftet und über die Grenze zurückgeschickt. Dessen waren sich auch die tschechoslowakischen Behörden bewusst – die Prager Polizeidirektion verfasste im Juli 1935 einen umfangreichen Bericht mit dem beredten Titel Závady při odstraňování emigrantů a osob bez státní příslušnosti ze zdejšího území [Mängel bei der Entfernung von Emigranten und Personen ohne Staatsangehörigkeit vom hiesigen Territorium]. Die Prager Polizei konstatierte, dass die „Entfernung“ von Ausländern ohne oder mit fraglicher Staatsangehörigkeit nicht „legal“ durchzuführen sei, denn die „Staaten, in die der Ausgewiesene abgeschoben werden soll, wehren sich aus verständlichen Gründen, den lästigen Ausländer auf ihrem Territorium zu behalten.“ Flüchtlinge mit deutscher Staatsbürgerschaft befanden sich de facto in derselben Lage, denn sie konnten nicht in ihren Heimatstaat zurückgeschickt werden. Die ausgewiesenen Flüchtlinge seien sich – so die Prager Polizei – dieser Problematik bewusst und 96 NA, PŘ, 1931–1940, Sign. G 580/30, K. 6035: Goldstein Ernst. 97 Siehe z.B. NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/R/3/2, K. 1186–18: Berichte der Landesbehörde Brünn, 11.3.1937, 11.6.1937, 5.10.1937.

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Polizeibericht über die Festnahme von Ernst Goldstein, 1936.

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nützten sie, um die Entscheidungen der Behörden zunichte zu machen. Oft kämen sie bereits nach ein paar Tagen wieder und behaupteten, sie seien von den österreichischen Behörden zurückgeschickt worden, wobei die tschechoslowakischen Behörden keinerlei Möglichkeit hätten, diese Behauptungen zu überprüfen. Selbst eine wiederholte „Abschiebung“ über die Grenze führe oft nicht zum Erfolg, die Flüchtlinge kehrten zurück und meldeten sich bisweilen auch unter anderem Namen. Andere versuchten durch Heirat mit einer tschechoslowakischen Staatsbürgerin die Behörden an einer Ausweisung zu hindern. Eine vorgesehene Ausweisung wurde nicht immer durchgeführt, denn oft intervenierten namhafte politische Persönlichkeiten zu Gunsten der Flüchtlinge. In einigen Fällen wurde die Aufenthaltsgenehmigung dieser Flüchtlinge verlängert und die rein formal ausgewiesene Person nie an die Staatsgrenze gebracht. Die Prager Polizei beschwerte sich dann mit heftigen Worten über die Einmischung der Politiker und Medien in das Ausweisungsverfahren. Die Flüchtlinge „verschaffen sich die Fürsprache einflussreicher Persönlichkeiten des politischen und öffentlichen Lebens, ziehen durch außerordentliche Korrektivmaßnahmen, Gnadengesuche oder Antrag auf erneute Verhandlung der Ausweisung diese mutwillig in die Länge, belasten dadurch die Agenda der betreffenden Behörden und schieben die Durchführung des Ausweisungsbeschlusses auf oder verunmöglichen ihn.“98 An Gewicht gewannen die Interventionen der Politiker und Medien dadurch, dass weder fest definierte Richtlinien für die Behandlung von Flüchtlingen existierten noch irgendein eindeutig definiertes Vorgehen, welches die Bedingungen für eine Ausweisung festlegte. Zu einer „eigenmächtigen“ Einmischung der Politiker in Flüchtlingsfragen kam es daher meist infolge willkürlicher Entscheidungen seitens der Polizei und der Behörden. Die Ausweisung ersetzte bei Personen ausländischer Staatsangehörigkeit oder bei Staatenlosen oft eine Bestrafung für Vergehen oder Straftaten. Durch die Ausweisung aber waren die Flüchtlinge in dem neuen Staat von vornherein in der Illegalität. Marie Schmolka wies beispielsweise in dem Memorandum zum Jahreswechsel 1937/1938 auf die Gefahr einer Kriminalisierung der Flüchtlinge durch den Staat hin. Wer seinen Aufenthalt nicht legalisieren könne, gleite gerade in größeren Städten leicht in die kriminelle Unterwelt ab. Derartige staatliche Maßnahmen würden die Suche nach einer dauerhaften Zuflucht für diese Flüchtlinge sehr erschweren. Schmolka schlug daher im Namen des Dachverbands der tschechoslowakischen Hilfskomitees dem Hochkommissariat für Flüchtlinge vor, die Konvention um eine Flüchtlingsklausel zu ergänzen, die die Ausweisung von Flüchtlingen verbieten würde, es sei denn es lägen gerichtlich erwiesene schwere Straftaten vor: „Es ist eine Aufgabe der Humanität auch denen, die sich einer Straf-

98 NA, PMV, 1931–1935, Sign. X/N/9/11, K. 843: Bericht der Polizeidirektion Prag, 4.7.1935.

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tat schuldig gemacht haben, nach Verbüßung ihrer Strafe dieselben Möglichkeiten zu gewähren wie anderen Straftätern, die den Schutz ihres Staats genießen.“99 Zur Ausweisung der Flüchtlinge trug auch bei, dass die Polizei Ausländer oft als unzuverlässige und gefährliche Elemente wahrnahm, deren Tätigkeit streng zu kontrollieren sei. Hierbei spielten die politischen Aktivitäten einiger Flüchtlinge keine geringe Rolle und auch die Angst davor, dass es zu Gewalttaten gegen die Vertreter anderer Staaten oder bestimmter politischer Richtungen kommen könnte. Beispiele für Attentate, die von Ausländern verübt worden waren, gab es genug. Im Mai 1932 hatte der russische Flüchtling Pavel Gorgulov – er hatte zuvor einige Jahre in der Tschechoslowakei gelebt und Medizin an der Prager Universität studiert – den französischen Staatspräsidenten Paul Doumer ermordet. Nach dem Attentat auf König Alexander von Jugoslawien im Oktober 1934 in Marseille, bei dem der französische Außenminister Louis Barthou getötet wurde – zwar nicht von einem Flüchtling aus Deutschland, sondern einem makedonischen Terroristen in den Diensten der kroatischen Ustascha –, wuchs das Misstrauen der europäischen Sicherheitsbehörden gegenüber Flüchtlingen ganz allgemein. So führten auch die tschechoslowakischen Behörden vor dem Besuch bedeutender Staatsmänner unter den Ausländern verschiedener Nation präventive Razzien durch, legten Listen Verdächtiger an und stellten diese für die Dauer des Staatsbesuchs unter Aufsicht.100 Die Tschechoslowakei und die internationalen Flüchtlingsverhandlungen Das Problem der Flüchtlinge war naturgemäß eine internationale Angelegenheit und verlangte daher nach Kooperation zwischen den Staaten. Das internationale Recht gewährte in der Zwischenkriegszeit Flüchtlingen nur einen minimalen und in jedem Fall sehr unsicheren Schutz. Im Unterschied zu der aktuellen Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen, die nach dem Zweiten Weltkrieg getroffen wurde und auf dem Grundsatz der unveräußerlichen Menschenrechte beruhte, war das Recht auf Asyl oder Aufenthalt in einem anderen Staat in der Zwischenkriegszeit kein Recht des Flüchtlings, sondern ein Recht des Staats, der nach eigenem Dafürhalten davon Gebrauch machen konnte, aber zu nichts verpflichtet war. 99 AMZV, Sign. II-3, K. 925: Memorandum des Comité National, 20.1.1938. Eine ähnliche Bitte trugen die Sekretäre dem ersten Hochkommissar James McDonald bei seinem Besuch in Prag vor, 15.–16. 4.1934. Richard BREITMAN, Barbara MCDONALD STEWART, Severin HOCHBERG (Hg.): Advocate of the Doomed. The Diaries and Papers of James G. McDonald 1932–1935. Bloomington – Indianapolis 2007, S. 537–540. 100 Vgl. z.B. den Besuch des rumänischen Königs Carol in der Tschechoslowakei: NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/R/20, K. 1200 -11,12.

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Nansen-Pass von Gerd Kahan

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Die Tschechoslowakei und die internationalen Flüchtlingsverhandlungen

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Eine allgemein anerkannte Definition des Flüchtlingsstatus gab es nicht, ebenso wie es keine allgemein anerkannten Gründe für die Gewährung von Asyl gab. Die internationalen Flüchtlingsabkommen wurden in der Zwischenkriegszeit ad hoc und für jede Gruppe von Flüchtlingen gesondert getroffen. Der Versuch, das Flüchtlingsproblem im Europa der Zwischenkriegszeit zu lösen, hing eng mit der Entstehung des Völkerbunds und der internationalen Ordnung in Europa zusammen. In Hinblick auf das Ausmaß des Flüchtlingsproblems initiierten die Hilfsorganisationen nach dem Ersten Weltkrieg die Errichtung eines Hochkommissariats des Völkerbunds für russische Flüchtlinge, an dessen Spitze Fridtjof Nansen stand. Er war nicht nur durch seine Nordpolexpedition zu Berühmtheit gelangt, sondern auch durch sein erfolgreiches Engagement bei der Repatriierung von Kriegsgefangenen nach dem Ersten Weltkrieg. Ein wichtiger Beitrag von Nansen und seiner Behörde war die Schaffung eines besonderen Ausweises für Flüchtlinge, die ohne Staatsangehörigkeit waren oder aber deren Heimatstaat ihnen keinen Schutz mehr gewährte bzw. ihre Reisedokumente nicht mehr verlängerte. Der neue Pass, der allgemein „Nansen-Pass“ genannt wurde und dessen Einrichtung man 1922 auf der Konferenz in Genf beschlossen hatte, gewährte den Flüchtlingen eine beträchtliche Rechtssicherheit, ermöglichte die Legalisierung ihres Aufenthalts und die Staaten verpflichteten sich, ihn als gültiges Personaldokument anzuerkennen, auch wenn sie auf seiner Grundlage Flüchtlinge nicht aufnehmen mussten. 1924 wurde der Gültigkeitsbereich der Nansen-Pässe auch auf armenische Flüchtlinge erweitert; ein Abkommen von 1926 sicherte den Flüchtlingen das Recht zu, in den Staat zurückkehren zu können, der ihnen den Nansen-Pass ausgestellt hatte. Die Nansen-Pässe vereinfachten das Überschreiten der Grenzen, denn die Mehrheit der Staaten war nicht bereit, Flüchtlinge aufzunehmen, die nicht legal in ihr Heimatland zurückkehren konnten. Die nachfolgenden internationalen Abkommen, die von der Nansen-Behörde initiiert wurden, garantierten den Flüchtlingen sogar einige weitere Rechte, die normalerweise nur den eigenen Bürgern des Gastlands vorbehalten waren: verschiedene soziale Absicherungen und Zugeständnisse im Bildungsbereich. Die Abkommen garantierten den russischen und armenischen Flüchtlingen zwar nicht das Recht auf Arbeit, doch stabilisierten sie im Laufe der zwanziger Jahre – auch unter dem Einfluss der sich verbessernden Wirtschaftslage – ihre Position in Europa. Zu ihrer Integration trug außerdem auch der erhöhte Bedarf an Arbeitskräften in einer Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs bei. Männer im arbeitsfähigen Alter, die auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs gefallen waren, fehlten nun auf dem Arbeitsmarkt. Zugleich bemühte Nansen sich um eine freiwillige Repatriierung eines Teils der russischen Flüchtlinge in die Sowjetunion. In der Tschechoslowakei lebten um 1928 ca. 25 000 russische Flüchtlinge, deren Zahl allmählich zurückging. Sie wurden vom Staat unterstützt, der damit gleichzeitig eigene politische Ziele verfolgte und seinen Vorstellungen von einem

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künftigen Umbau Russlands nach dem Fall des kommunistischen Regimes vorarbeiten wollte.101 Die Frage der Flüchtlinge aus NS-Deutschland war jedoch viel kontroverser. In den ersten Monaten nach der Machtergreifung wurde die Verhandlung der Flüchtlingsproblematik vor der UN zu einem Druckmittel der demokratischen Länder auf das neue deutsche Regime. Die Errichtung des Hochkommissariats ereignete sich vor dem Hintergrund der Diskussionen über den Minderheitenschutz in Deutschland und darüber, ob die Juden in Deutschland als eine nationale Minderheit gelten würden (was von der deutschen Diplomatie bestritten wurde). Im Unterschied zu den nach dem Ersten Weltkrieg neu entstandenen osteuropäischen Staaten war jedoch in dem Vertrag mit Deutschland der Minderheitenschutz nicht explizit verankert – man dachte (und die deutsche Diplomatie hat diese Sicht sehr befördert), dass vor allem die deutschen Minderheiten, die in den neuen Staaten östlich der deutschen Grenze verteilt lebten, des Schutzes bedurften. Gerade in diesem Kontext reichten die jüdischen Organisationen im Frühjahr 1933 Beschwerde ein, weil sie die Rechte des jüdischen Staatsbeamten Franz Bernheim aus Oberschlesien verletzt sahen, der nach der Machtergreifung entlassen worden war. In Oberschlesien, das auf Grund einer Volksabstimmung erst 1921 von Polen an Deutschland gefallen war, hatte sich Deutschland nämlich zur Einhaltung der Minderheitenrechte verpflichtet. Franz Bernheim flüchtete aus Gleiwitz (Gliwice) nach Prag; dort nahm sich der tschechoslowakische Zionist Emil Margulies seiner Beschwerde an und stellvertretend für das Comité des Délégations Juives (der Vorgängerorganisation des Jüdischen Weltkongresses) auch Leo Motzkin. Bernsteins Beschwerde war nur eine von vielen, mit denen sich die jüdischen Organisationen 1933 an die Vereinten Nationen wandten, um gegen eine Verletzung der Minderheitenrechte in Deutschland Einspruch zu erheben. Dem Versuch einer diplomatischen Verurteilung Deutschlands wegen Menschenrechtsverletzung war kein sonderlicher Erfolg beschieden: Die Vereinten Nationen konstatierten zwar eine Verletzung der Rechte von Juden in Oberschlesien, übergaben den Fall Bernstein jedoch der auf Grundlage eines Vertrags von 1922 eingerichteten deutsch-polnischen Kommission, die seine Beschwerde ablehnte. Jeder Versuch, den Schutz der Menschenrechte auf ganz Deutschland auszudehnen oder eine allgemeinverbindliche internationale Konvention zu verabschieden, die deren Einhaltung erzwingen konnte, scheiterte am Widerstand Deutschlands, aber auch anderer westlicher Staaten, die sich keinen eventuellen Sanktionen oder einer „Einmischung“ unterordnen wollten. Das einzige Resultat war eine Resolution, die die französische Diplomatie in der Völkergemeinschaft im Oktober 1933 durchsetzen konnte. Sie schrieb noch 101 Vgl. z.B. Hana BARVÍKOVÁ: „Ruští emigranti v Československu v letech 1918–1938“, in: Exil v Praze a v Československu 1918–1938. Praha 2005, S. 9–13.; Václav VEBER u. Koll.: Ruská a ukrajinská emigrace v ČSR v letech 1918–1945. Praha 1995.

Die Tschechoslowakei und die internationalen Flüchtlingsverhandlungen

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einmal die Grundsätze der Resolution von 1922 fest und rief auf der Grundlage der Friedensverträge nach dem Ersten Weltkrieg zu einer freiwilligen Einhaltung der Minderheitenrechte auf.102 In diesem Zusammenhang wurde im Oktober 1933 nach dem Vorbild der Nansen-Behörde beim Völkerbund das Hochkommissariat für Flüchtlinge (Israeliten und andere) aus Deutschland eingerichtet. Die komplizierte Beziehung der Mitgliedsstaaten zu dieser Organisation und das Bestreben, eine Provokation Deutschlands zu vermeiden, fand ihren symbolischen Ausdruck darin, dass sie nicht in Genf angesiedelt war, sondern in Lausanne, und den Vereinten Nationen weder direkt inkorporiert noch von ihnen finanziell unterstützt wurde. Dennoch trat Deutschland schon wenige Tage nach ihrer Gründung, im Oktober 1933, demonstrativ aus den Vereinten Nationen aus. Als erster Hochkommissar wurde James G. McDonald gewählt, ein hervorragender amerikanischer Experte für internationale Beziehungen.103 Die Tschechoslowakei war von Beginn an aktiv in diese Organisation eingebunden und hatte Vertreter in deren Rechtsausschuss. Im Verwaltungsausschuss des Kommissariats waren auch die tschechoslowakischen Hilfsorganisationen vertreten: das Comité National Tchécoslovaque pour les réfugiés provenant d’Allemagne, in dem alle Hilfsorganisationen für Flüchtlinge versammelt waren, war letztlich vor allem auch deshalb entstanden, weil man eine geschlossene Vertretung auf internationaler Ebene brauchte. Dennoch geht aus den Dokumenten des Außenministeriums hervor, dass die tschechoslowakische Diplomatie die Frage der Flüchtlinge aus Deutschland nicht unbedingt für primär erachtete und, abgesehen von allgemein gehaltenen Sympathiebekundungen, eher Zurückhaltung übte. Allein schon die Auswahl der tschechoslowakischen Vertreter im Verwaltungsausschuss signalisierte die Grenzen des tschechoslowakischen Engagements in der Flüchtlingshilfe. Das Außenministerium versuchte unter Zustimmung der Regierung eine Persönlichkeit zu finden, die einerseits repräsentativ genug war, andererseits nicht mit dem Ministerium assoziiert wurde. Außerdem sollte es sich lediglich um ein unentgeltliches Ehrenamt handeln. Das Ministerium wandte sich zunächst an herausragende Vertreter der tschechoslowakischen Industrie, an Eugen Kubinský und Alfred Ringhoffer, die jedoch, wie sie anführten, wegen Überlastung ablehnten. Der eigentliche Grund war aber, dass sie die Interessen 102 Greg BURGESS: The Human Rights Dilemma in Anti-Nazi Protest. The Bernheim Petition, Minorities Protection, and the 1933 Sessions of the League of Nations. CERC Working Papers Series 2/2002. Contemporary Europe Research Centre, University of Melbourne 2002, vgl. z.B. auch.: CARON: Uneasy Asylum, S. 37. 103 Einblick in seine Tätigkeit gibt McDonalds Tagebuch: BREITMAN, MCDONALD STEWART, HOCHBERG (Hg.): Advocate of the Doomed. The Diaries and Papers of James G. McDonald 1932–1935.

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ihrer Unternehmen in Österreich gefährdet sahen, dessen „Hitlerisierung“ zu befürchten stand. Otto Petschek wiederum lehnte wegen seiner Verpflichtungen gegenüber Deutschland ab. Nach diesen Absagen von industrieller Seite suchte das Ministerium in adligen Kreisen und entschied sich für Max Lobkowitz. Er nahm an, wurde aber nach Lausanne nicht als Staatsbeamter gemeldet, sondern als Großgrundbesitzer in Raudnitz an der Elbe (Roudnice nad Labem).104 Aus den Dokumenten des Außenministeriums ist ersichtlich, dass die tschechoslowakische Diplomatie der Mission Max Lobkowitz’ nicht allzu viel Gewicht beimaß und ihn völlig unvorbereitet zur ersten Verhandlung des Verwaltungsausschusses schickte. Die einzige Hilfestellung, die ihm das Außenministerium für seine Antrittsrede an die Hand gab, war die (bereits zitierte) Antwort von Edvard Beneš auf die Interpellation des Abgeordneten Jindřich Žilka. Sie war im Prager Tagblatt veröffentlicht worden und setzte das Asylrecht nur sehr allgemein in Bezug zum demokratischen Charakter eines Staats.105 Zudem wurde Lobkowitz aufgetragen, keinerlei finanzielle oder sonstige Verpflichtungen im Namen der Tschechoslowakei zu übernehmen.106 Der tschechoslowakische Vertreter hatte weder ein Büro zur Verfügung noch wurde er in sonst einer Weise administrativ unterstützt; er führte die gesamte Agenda gleichsam als Privatangelegenheit. Lobkowitz hatte keinerlei Einfluss auf das Vorgehen der tschechoslowakischen Behörden gegenüber den Flüchtlingen und auch keine Vollmachten gegenüber den innerstaatlichen Behörden. Seine Funktion war rein repräsentativ und ermöglichte ihm keine aktive Beteiligung an der tschechoslowakischen oder internationalen Flüchtlingspolitik. Die Aufgabe des Hochkommissariats – wie sie der erste Kommissar James McDonald definierte – war nicht, direkte Flüchtlingshilfe zu leisten und damit die Tätigkeit der bisherigen Hilfsorganisationen zu ersetzen. Er wollte seine Position vielmehr nutzen, um bei den Regierungen einen besseren Status der Flüchtlinge auszuhandeln, außerdem die Tätigkeit der nicht staatlich getragenen Organisationen zu koordinieren und sie bei der Beschaffung von Finanzmitteln zu unterstützen. Der erste Schritt des Hochkommissariats war es, die Situation der Flüchtlinge und ihre Stellung in den einzelnen europäischen Ländern, vor allem in den Nachbarländern Deutschlands, die einen besonders starken Flüchtlingszustrom verzeichneten, zu dokumentieren. Im ersten Jahr seines Bestehens registrierte das Hochkommissariat laut Tätigkeitsbericht ca. 65 000 Flüchtlinge aus Deutschland, von denen ca. 20 000 dauerhaft außerhalb Europas ansässig wurden, vor allem in 104 AMZV, Sign. II-3, K. 926: Vermerk des Außenministeriums, 29.11.1933. Die Regierung billigte die tschechoslowakische Mitgliedschaft im Verwaltungsrat des Hochkommissariats und nahm die Ernennung Max von Lobkowitz’ am 26.1.1934 zur Kenntnis. Brief des Präsidiums des Ministerrats, 29.1.1934. 105 AMZV, Sign. II-3, K. 926: Instruktion an Max Lobkowitz, 7.12.1933. 106 AMZV, Sign. II-3, K. 926: Information für das Sozialministerium, 6.3.1934.

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Palästina, das zu jener Zeit als einziges Land einer größeren Zahl jüdischer Immigranten offen stand.107 Viele Flüchtlinge kämpften mit dem Problem eines ungültigen Reisepasses, viele waren zum Zeitpunkt ihrer Flucht gar nicht im Besitz eines solchen. Groß war die Zahl der Staatenlosen unter den Flüchtlingen. Jedes „konstruktive“ Herangehen an das Flüchtlingsproblem war daher zwangsläufig mit der Ausstellung zumindest provisorischer Reisedokumente verbunden, die es den Flüchtlingen ermöglichen würden, Grenzen zu passieren und ein Visum zu erhalten. Der ursprüngliche Plan des Hochkommissariats, ein Abkommen über die Ausgabe von Reisedokumenten nach dem Muster des Nansen-Passes zu initiieren, wurde schließlich aufgegeben; das Hochkommissariat verwies stattdessen auf das 1927 auf der Konferenz für Kommunikation und Transit geschlossene Abkommen, nach dem die Staaten ein dem Reisepass vergleichbares Dokument ausstellen sollten („titre d’identité et voyage“). Diese Dokumente gewährten den Flüchtlingen nicht denselben Status und auch nicht die gleiche Sicherheit wie ein Nansen-Pass und die einzelnen Staaten stellten sie mit unterschiedlicher Gültigkeitsdauer aus; doch konnten sie ausgestellt werden, ohne dass es dazu langer vorheriger Verhandlungen über eine neue internationale Konvention bedurfte, deren Gelingen obendrein nicht sicher war.108 Im Großen und Ganzen verfuhren die einzelnen Staaten, auch die Tschechoslowakei, bei der Ausstellung dieser provisorischen Reisedokumente wohlwollend. Sehr viel schlechter war hingegen die Stellung der Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt. Den meisten blieb er völlig verschlossen. Vom Hochkommissariat erwarteten die europäischen Regierungen gar nicht so sehr eine grundsätzliche politische Lösung der Flüchtlingsfrage, sondern vor allem, dass es die weitere Ausreise all jener garantiere oder zumindest erleichtere, die sich bereits auf ihrem Territorium befanden. Die Behörden stellten also auch daher vergleichsweise bereitwillig provisorische Reisepapiere aus, um diese von ihnen erwünschte Ausreise zu beschleunigen. Mitte der 1930er Jahre wurde bei dem Völkerbund die Notwendigkeit eines Zusammenschlusses der bisher zersplitterten Flüchtlingshilfsorganisationen diskutiert. Ursprünglich sollte die Nansen-Behörde für russische und armenische Flüchtlinge nach Erfüllung ihrer Mission Ende 1938 aufgelöst werden; das dies nicht realistisch war, hatte sich bereits seit längerem abgezeichnet, denn in den Jahren der Wirtschaftskrise blieben die Flüchtlinge vom wirtschaftlichen Leben ausgeschlossen. Der Optimismus vom Ende der 1920er Jahre, als eine baldige Integration der Flüchtlinge in ihren „neuen“ Staaten wahrscheinlich schien, verpuffte unter dem Eindruck der restriktiven Maßnahmen in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre. Auch die Gründungsbedingungen und der Wirkungsbereich 107 AMZV, Sign. II-3, K. 926: Bericht des Hochkommissariats, September 1934. 108 Ebda.

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des Hochkommissariats für Flüchtlinge aus Deutschland (jüdische und andere), das sich wegen des Widerstands von deutscher Seite im Grunde außerhalb der Strukturen der Völkergemeinschaft befand und aus privaten, vor allem jüdischen Quellen finanziert werden musste, ließen den Ruf nach einer effektiveren internationalen Organisation zum Schutz der Flüchtlinge lauter werden.109 Ende 1935 trat der erste Kommissar James McDonald zurück. In der Begründung seiner Abdikation, die in der Presse und im Völkerbund große Beachtung fand, kritisierte er, dass die internationale Staatengemeinschaft sich zu wenig für die Flüchtlinge engagiere und dass seine Organisation lediglich ein nichtpolitisches Mandat habe. Die Hilfsorganisationen könnten dazu beitragen, den Flüchtlingen ihre Lage zu erleichtern, doch die Staaten sollten sich in der gegenwärtigen Situation, wo die Verfolgung in Deutschland sich ständig verschlimmere, um eine „Beseitigung oder Verringerung“ der Ursachen bemühen, die die Menschen aus Deutschland forttrieben. McDonald rief also nach einer internationalen politischen Aktion gegen Deutschland, die sich gegen die Verfolgung von Juden und anderen Bevölkerungsgruppen richten sollte. Daher fügte er seiner Abdikation eine umfangreiche Analyse der von den Nationalsozialisten ergriffenen antijüdischen Maßnahmen bei, die ihm vermutlich von den jüdischen Hilfsorganisationen zur Verfügung gestellt worden war. Deutschland, so argumentierte er, habe zwar (mit Ausnahme von Oberschlesien) keine internationalen Vereinbarungen zum Minderheitenschutz unterschrieben, sollte aber dennoch an dessen Prinzipien gebunden sein. Er und der Verwaltungsrat des Hochkommissariats seien der Ansicht, dass die Tätigkeit ihrer Organisation von vornherein durch einen Kompromiss geschwächt werden sollte, indem man diese, aus Angst vor einem Veto Deutschlands, außerhalb der Strukturen des Völkerbunds angesiedelt habe. Ihre Aufgabe könnte sie wesentlich besser erfüllen, wenn sie ihm direkt unterstellt sei.110 Am 12. März 1936 trat dann auch der tschechoslowakische Vertreter im Verwaltungsausschuss des Hochkommissariats zurück. Die Beendigung seiner Tätigkeit hänge, wie Lobkowitz in seinem Abdikationsschreiben an das Außenministerium erklärte, nicht nur mit der Reorganisation des Hochkommissariats zusammen und damit, dass der Verwaltungssausschuss seine Tätigkeit praktisch beendet habe, sondern auch mit den Schwierigkeiten bei der Aufgabenerfüllung. Ganz wie McDonald hob auch Lobkowitz hervor, dass das Hochkommissariat, das als nichtpolitische Organisation außerhalb des Völkerbunds gegründet worden war, keine Probleme lösen könne, die im Grunde politischer Natur seien. Der 109 AMZV, Sign. II-3, K. 926: Entwürfe und Dokumente, die Einrichtung neuer Organisation zum Schutz von Flüchtlingen betreffend, 1935. 110 AMZV, Sign. II-3, K. 926: Letter of Resignation of James G. Mc Donald, 27.12.1935; BREITMAN, MCDONALD STEWART, HOCHBERG: Advocate of the Doomed; vgl. auch: Norman BENTWICH: The Refugees from Germany. April 1933 to December 1935. London 1936, insbesondere S. 209–217, Abdikationsschreiben S. 219–228.

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Kritik entgingen auch die tschechoslowakischen Behörden nicht: trotz der humanitären Ansichten beider tschechoslowakischer Präsidenten, die während des Ersten Weltkriegs selbst „Vertriebene“ waren, würden sich viele politische und behördliche Stellen der Tschechoslowakei gegenüber den Flüchtlingen „nicht nur wenig humanitär, sondern auch politisch kurzsichtig“ verhalten. Lobkowitz kritisierte die Ablehnung einer Integration der Flüchtlinge in das Wirtschaftsleben und unterstrich die Notwendigkeit einer „konstruktiven“ Lösung dieser Frage. Das aber erfordere zumindest eine gewisse staatliche Unterstützung, denn die privaten Hilfsorganisationen könnten nicht aus eigener Kraft bestehen. Die tschechoslowakische Regierung sollte dem Flüchtlingsproblem und seiner praktischen Lösung größere Aufmerksamkeit zuwenden. Dieses Sorgetragen für eine „glückliche Lösung der jetzigen weltpolitischen Krise wird unserem Staat materiell wie politisch automatisch zugute kommen“, urteilte Max Lobkowitz, verwies allerdings zugleich auch darauf, dass das Flüchtlingsproblem womöglich „noch größere Ausmaße annehmen werde“.111 Nach dem Rücktritt McDonalds kam es zu einer Reorganisation des Hochkommissariats, das nun tatsächlich stärker in den Völkerbund integriert wurde. Der neue Kommissar, der britische General Neil Malcolm, konzentrierte sich ganz pragmatisch darauf, einen möglichst großen Konsens der Mitgliedsstaaten in Hinblick auf die Stellung der Flüchtlinge zu erreichen. Daher initiierte er Verhandlungen über ein provisorisches Abkommen, den Status der Flüchtlinge aus Deutschland betreffend, die mit der internationalen Konferenz im Juli 1936 ihren Höhepunkt erreichten. Das provisorische Abkommen vom 4. Juli 1936 war kein grundsätzlicher Durchbruch auf dem Gebiet des internationalen Rechts, aber es kodifizierte zumindest drei Bereiche, in denen sich die beteiligten Staaten auf einen Kompromiss einigten. Seine Bedeutung lag vor allem darin, dass es definierte, auf welche Flüchtlinge es sich bezog, es ging von der Ausstellung eines Sonderpasses nach dem Muster des Nansen-Passes aus und legte zumindest sehr allgemein die Voraussetzungen für eine Ausweisung fest. Als „provisorisch“ wurde es bezeichnet, weil im Grunde noch Verhandlungen über eine allgemeine Flüchtlingskonvention ausstanden, die die im Laufe der Jahre für die einzelnen Flüchtlingsgruppen oft unterschiedlich getroffen Regelungen vereinheitlichen würden. Vom Abkommen über die russischen Flüchtlinge vom 28. Oktober 1933 unterschied sich das provisorische Abkommen vor allem dadurch, dass in seiner Definition staatenlose Flüchtlinge aus Deutschland nicht berücksichtigt waren und es auch keinerlei Punkte zur Stellung der Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt enthielt. Ab 1937 liefen die Verhandlungen, die das Abkommen über die deutschen Flüchtlinge zum Abschluss führen sollten. Es wurde schließlich am 7. Februar 1938 unterzeichnet. Ursprünglich hatte man an eine gemeinsame Konvention für 111 AMZV, Sign. II-3, K. 926: Brief von M. Lobkowitz, 12.3.1936.

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alle Gruppen von Flüchtlingen gedacht, aber letztlich überwogen die Stimmen jener Staaten, die erklärten, die Stellung der russischen und deutschen Flüchtlinge wäre nicht dieselbe und daher müssten die Behörden ihnen gegenüber auch unterschiedlich verfahren. Etliche Formulierungen wurden aus dem Abkommen über die russischen Flüchtlinge von 1933 übernommen, was beide Rechtsnormen einander annäherte und die Möglichkeit einer späteren Vereinheitlichung offen ließ. Eine Neuerung brachten dabei vor allem zwei der übernommenen Punkte: die Definition von Flüchtling bezog sich nun auch auf Staatenlose aus Deutschland, außerdem wurde die Gewährleistung einer Arbeitsmöglichkeit und eine erweiterte soziale Absicherung gefordert. Bei den Verhandlungen im Jahr 1938 ging es aber nicht nur um die Stellung der Flüchtlinge; diskutiert wurde vor allem auch die Notwendigkeit der Ausreise in ein Drittland. Dies zeugt indirekt von der sich verschärfenden Situation der Flüchtlinge, vor allem der jüdischen, und von einer immer schwierigeren individuellen Emigration. Die Tschechoslowakei war an den Verhandlungen, die zum Abschluss des provisorischen und des definitiven Abkommens führten, aktiv beteiligt; im Unterschied zum Abkommen über die russischen und armenischen Flüchtlinge vom 28. Oktober 1933 hat sie diese internationalen Normen aber nie ratifiziert. Grund hierfür war, dass ein Teil der tschechoslowakischen Ministerien die Zustimmung verweigerte. Gerade ihre Argumentation bei den Verhandlungen über den (Nicht-)Abschluss internationaler Abkommen verdeutlicht den Charakter der tschechoslowakischen Flüchtlingspolitik. Die tschechoslowakische Ratifizierung des Abkommens von 1936 wurde vor allem vom Innenministerium verhindert. Bei den Verhandlungen über das definitive Abkommen schloss sich dieser grundsätzlich ablehnenden Haltung auch das Verteidigungsministerium an. In Hinblick darauf, dass der Großteil der die Flüchtlinge betreffenden Agenda unter die Zuständigkeit des Innenministeriums fiel (ab 1936 teilweise auch des Verteidigungsministeriums), spielte deren ablehnende Haltung für die Entwicklung einer tschechoslowakischen Verfahrensweise in der Flüchtlingsfrage eine entscheidende Rolle. Das Innenministerium boykottierte außerdem oft ganz einfach die Einigungsbemühungen über die Flüchtlingskonventionen. So ersuchte das Außenministerium das Innenministerium 1936 vor der internationalen Konferenz in Genf um eine Stellungnahme. Das Innenministerium jedoch ließ das Gesuch erst einmal zwei Monate unbeantwortet. Die Beamten des Außenministeriums mussten wiederholt telefonisch nachhaken.112 Ähnlich boykottierte das Innenministerium die Verhandlungen vom Februar 1938. Während der Vorbereitungen schlug das Außenministerium vor (wohl in dem Bemühen, das Innenministerium in die Verhandlungen einzubeziehen), dass auch einige Beamte des Innenministeriums, die mit der Flüchtlingsproblematik 112 AMZV, Sign. II-3, K. 926: Vermerk des Außenministeriums, 2.7.1936; Stellungnahme des Innenministeriums, 4.7.1936.

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befassten waren, zu den Verhandlungen entsandt werden sollten. Das Innenministerium jedoch reagierte darauf ausweichend und lehnte schließlich ab, obwohl ihm mitgeteilt wurde, dass man von ihm keine Änderung seines Standpunkts erwarte und der betreffende Beamte auch sprachlich keinerlei besondere Voraussetzungen erfüllen müsse.113 Strittig blieb insbesondere die Definition von Flüchtling. Nach Auffassung des Justizministeriums sollte sie eine zeitliche Begrenzung enthalten (wer nach dem 1. April 1933 geflohen war) und ebenso eine genaue Bestimmung, warum eine betreffende Person aus Deutschland flüchten musste. Außerdem bedürfe spezieller Klärung, ob auch Personen als Flüchtlinge gelten könnten, die vor einem Strafverfahren aus Deutschland geflüchtet waren.114 Im Prinzip aber verfuhr das Justizministerium gegenüber den Flüchtlingen aus Deutschland genauso wie früher gegenüber den Flüchtlingen aus Russland, Armenien, der Ukraine und anderen Ländern. Auch das Verteidigungsministerium schlug vor, die Definition von Flüchtling auf den Personenkreis zu verengen, der Deutschland nach dem 1. April 1933 verlassen habe, und gleichzeitig staatenlose Flüchtlinge auszuschließen.115 Das Innenministerium hingegen hielt sich mit einer Definition des Flüchtlingsbegriffs nicht auf und Leopold Hilbich, der Leiter der 5. Abteilung, erklärte bei einer telefonischen Konsultation unmissverständlich, man sei „gegen jede Definition eines Flüchtlings aus Deutschland, weil das Innenministerium damit die Möglichkeit verliere, in jedem konkreten Einzelfall nach eigenem Dafürhalten zu entscheiden.“116 Ebenso bestand das Ministerium darauf, dass sich die Tschechoslowakei aus Sicherheitsgründen an keinerlei – auch noch so vage formulierte – Regelung der Ausweisung von Flüchtlingen binden könne. Bei der Verhandlung zwischen den Ministerien 1937 argumentierten das Innen- und das Verteidigungsministerium mit angeblich „besonderen Gründen der Staatssicherheit“ und der Notwendigkeit einer anderen Lösung des Flüchtlingsproblems, da die Tschechoslowakei mit ihrer beträchtlichen deutschen Minderheit in einer anderen Lage sei als die übrigen Staaten, die deutsche Flüchtlinge aufnähmen. „Die deutsche Emigration setzt sich aus Elementen zusammen, die Deutschland nur für kurze Zeit verlassen haben und bei der nächsten Gelegenheit dorthin zurückkehren werden“, heißt es in einem Vermerk. Die Flüchtlinge wären in Kontakt mit „reichsdeutschen Faktoren“ und manche von ihnen stünden unter dem „dringenden“ Verdacht der Militär- oder Wirtschaftsspionage für Deutschland. Auch die Tätigkeit der politischen Emi113 AMZV, Sign. II-3, K. 925: Vermerke des Außenministeriums, 11.1.1938, 21.1.1938, 31.1.1938; Stellungnahme des Innenministeriums, 19.1.1938. 114 AMZV, Sign. II-3, K. 926: nichtdatierte Aufzeichnung telefonischer Konsultationen; Justizministerium, 16.5.1936. 115 AMZV, Sign. II-3, K. 925: Verteidigungsministerium, 5.6.1937. 116 AMZV, Sign. II-3, K. 926: Vermerk des Außenministeriums, 2.7.1936.

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grantengruppen müsse einer sorgsamen Überwachung unterzogen werden. Mit Blick darauf, dass die Beratung in der Zeit der geplanten Zusammenziehung der Flüchtlinge auf der Böhmisch-mährischen Höhe (vgl. das Kapitel „Das Flüchtlingsreservat“) stattfand, war nach Ansicht des Innen- und des Verteidigungsministeriums jede internationale Verpflichtung ein Störfaktor in der Konsolidierung der Beziehungen zu NS-Deutschland.117 Warum aber hat die Tschechoslowakei trotz der ablehnenden Haltung der entscheidenden Ministerien überhaupt an den internationalen Verhandlungen über die deutschen Flüchtlinge teilgenommen? In der widersprüchlichen tschechoslowakischen Einstellung zu den internationalen Verhandlungen spiegelt sich das innenpolitische Patt in Sachen Flüchtlingspolitik. Auf der einen Seite konnten Innenministerium und Verteidigungsministerium in außenpolitischen Angelegenheiten nicht am Außenministerium vorbei, das eine Teilnahme an den Verhandlungen für die tschechoslowakischen Interessen als wichtig erachtete. Auf der anderen Seite war das Innenministerium aber zu keinerlei Zugeständnissen gegenüber den Flüchtlingen bereit, die man bei diesen Verhandlungen möglicherweise hätte machen müssen. Das Thema der deutschen Flüchtlinge spielte in der tschechoslowakischen Innenpolitik keine so bedeutende Rolle, dass sich die politischen Parteien deswegen um einen Kompromiss auf Koalitionsebene hätten bemühen müssen. Das Außenministerium unterstützte die Verhandlungen über die deutschen Flüchtlinge zwar, sah darin aber keine große Priorität. Das alles führte zu dem Paradoxon, dass sich tschechoslowakische Diplomaten an der Vorbereitung internationaler Abkommen beteiligten, von denen sie im Voraus wussten, dass sie sie höchstwahrscheinlich nicht würden unterschreiben können. Bei den internationalen Verhandlungen argumentierten die Beamten des Außenministeriums zu einem beträchtlichen Maß mit den vom Innenministerium übernommenen Vorbehalten. Auf der Regierungskonferenz im Juli 1936 forderte der tschechoslowakische Vertreter František Strnad, Sekretär des Außenministeriums, dass nicht jeder als Flüchtling definiert werden sollte, der Deutschland wegen des NS-Regimes verlassen müsste. Entscheidend sollte sein, in welchem Jahr und aus welchen genauen Gründen die betreffende Person Deutschland verlassen musste. Der Begriff Flüchtling sollte auch nicht automatisch für alle Personen ohne Staatsangehörigkeit gelten. „Es gibt Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit verloren haben, weil sie die hierfür erforderlichen administrativen Notwendigkeiten nicht erfüllt haben und daher nicht als Flüchtlinge gelten können.“118 Strnad meinte damit die polnischen Juden, denen die deut117 AMZV, Sign. II-3, K. 925: Protokoll einer interministeriellen Beratung, 16.6.1937. 118 AMZV, Sign. II-3, K. 926: Societe des nations. Conférence intergouvernementale pour l’adoption du statut juridique des réfugiés provenant d’Allemagne. Procès-verbal provisoire de la deuxième séance (privée) tenue à Genève le 2 juillet 1936 à 15 heures 30, S. 7.

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sche Staatsbürgerschaft unter dem NS-Staat aus „formalen“ Gründen aberkannt worden war bzw. die sie nie bekommen hatten. Die Ausgrenzung von Personen ohne oder mit anderer als deutscher Staatsangehörigkeit bzw. das Verfahren, dass jeder Staat selbst definieren solle, wer Flüchtling sei, wurde auch von anderen Diplomaten unterstützt. Auch bei der Verhandlung der Frage, unter welchen Bedingungen ein Staat einen Flüchtling ausweisen könne, machte Strnad die restriktive Haltung der Tschechoslowakei deutlich. Flüchtlinge, so sagte er, werden aus der Tschechoslowakei ausgewiesen, wenn ihr Aufenthalt „im Widerspruch zur öffentlichen Ruhe und Ordnung“ stehe, und er fügte hinzu: „Die tschechoslowakische Regierung kann keinerlei Verpflichtung akzeptieren, welche die Bedingungen für eine Ausweisung von Flüchtlingen festlegt.“119 Die Tatsache, dass die Tschechoslowakei nicht einmal das vorläufige Abkommen von 1936 unterschrieb, war für viele eine große Überraschung. Die Tschechoslowakei war das einzige Nachbarland Deutschlands, das eine größere Zahl deutscher Flüchtlinge aufgenommen und an allen Verhandlungen teilgenommen hatte, die Ratifizierung des Abkommens jedoch verweigerte. Petitionen und Beschwerden, die eine tschechoslowakische Unterschrift forderten, kamen aus dem In- und Ausland, insbesondere von links orientierten Organisationen. Auch der Dachverband der Hilfskomitees, das Comité National, versuchte wiederholt durch Interventionen bei tschechoslowakischen Politikern eine Ratifizierung der Konvention zu erreichen.120 Nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 rechnete keiner mehr damit, dass die Tschechoslowakei in der internationalen Flüchtlingshilfe eine größere Rolle spielen könnte. Ende der 1930er Jahre wurde sie nicht mehr als sicheres Land wahrgenommen und auch nicht mehr zu der internationalen Regierungskonferenz über die Flüchtlinge aus Österreich im französischen Évian eingeladen.121 Dazu mag auch beigetragen haben, dass die Tschechoslowakei keine der früheren internationalen Abkommen zu Gunsten der Flüchtlinge aus NS-Deutschland unterzeichnet hatte.

119 AMZV, Sign. II-3, K. 926: Procès-verbal provisoire de la quatrieme séance tenue le 3 juillet 1936 à 15 heures 45, S. 9–10. 120 Vgl. z.B. YIVO, NY, HICEM – Prague Office, RG 245.10, folder 1, MKM 15.135: Prague Committee for German-Speaking Refugees, Sitzungsprotokolle des Comité National, 4. u. 10.2.1937. 121 Genaueres vgl. Kapitel „Nachtzug aus Wien“.

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Die Privilegierten Als wir Prag verlassen mussten, ging es von Mund zu Mund: jetzt erst beginnt unsere Emigration, denn dort sind wir immer freundschaftlichem Verständnis begegnet und fühlten uns sehr bald wie zuhause.122

Friedrich Stampfer

Wir haben uns dort weitgehend wohl gefühlt und nicht in der Fremde.123

Wieland Herzfelde

In diesen Schicksalsjahren, als Hitler-Deutschland unter allgemeiner Duldung heranwachsen durfte, hat der Staat des Präsidenten-Befreiers Masaryk uns die Arme geöffnet. Wir – das ganze verfolgte Deutschland, das intellektuelle, freiheitliche – waren in dem einzigen Lande nicht nur teilnahmslos geduldet: Prag empfing uns wie Verwandte.124

Heinrich Mann

Diese und ähnliche Zitate aus den Erinnerungen führender deutscher Politiker und Schriftsteller im Exil werden immer wieder als Beweis für die entgegenkommende Haltung des tschechoslowakischen Staats gegenüber den Flüchtlingen aus NS-Deutschland angeführt. Mag hier auch ein Hauch von Nostalgie mitschwingen, so kann doch kein Zweifel bestehen, dass es diesen Persönlichkeiten in der Tschechoslowakei tatsächlich gut ging, und zwar aus mehreren Gründen. Vor allem konnte sich diese kulturelle und politische Elite auf weit reichende Kontakte zu den führenden Persönlichkeiten des akademischen, kulturellen und politischen Lebens in Prag stützen. Die meisten waren zudem finanziell abgesichert; das gilt insbesondere für führende Sozialdemokraten und die Brüder Mann. Nicht zu unterschätzen ist außerdem, dass die böhmischen Länder den geflüchteten Journalisten, Schriftstellern und anderen Künstlern durchaus berufliche Möglichkeiten boten: es gab ein reich verzweigtes Netz an deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften, Verlagen, Theatern und anderen kulturellen wie gesellschaftlichen Organisationen; weitere Zeitschriften, Verlage und Vereine wurden von den Flüchtlingen selbst gegründet und geführt. Den privilegierten bzw. „prominenten“ Flüchtlingen zuzurechnen sind die führenden Vertreter der Sozialdemokratischen und der Kommunistischen Par122 Zitat aus den Erinnerungen Friedrich Stampfers nach HYRŠLOVÁ: „Die ČSR als Asylland“, S. 33. 123 Wieland HERZFELDE: „Erfahrungen im Exil zu Prag 1933–1939“, in: Eduard GOLDSTÜCKER (Hg.): Weltfreunde. Konferenz über die Prager deutsche Literatur. Berlin – Neuwied 1967, S. 374. 124 Heinrich MANN: Ein Zeitalter wird besichtigt. Genf 1987, S. 471–472.

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tei sowie der Roten Front, außerdem die zahlreichen Künstler, die Schriftsteller, Dichter, Journalisten, Maler und Schauspieler, die das kulturelle Leben der Zwischenkriegs-Tschechoslowakei bereicherten. Der Lebensstandard der geflüchteten Künstler war zwar meist nicht vergleichbar mit dem der politischen Spitzenvertreter; dennoch sind ihre Erfahrungen nicht die der Tausenden anderen Flüchtlinge, die finanziell wesentlich schlechter gestellt und oft auf kollektive Unterbringung angewiesen waren, die mangels Kontakten nur schwer an eine Aufenthaltserlaubnis kamen und denen ein berufliches Fortkommen letzten Endes verwehrt blieb. Insbesondere den deutschen Sozialdemokraten kamen die engen Kontakte mit der politischen Elite in der Tschechoslowakei zugute. Hilfe und Unterstützung fanden sie vor allem bei den deutschen Sozialdemokraten in der Tschechoslowakei (Deutsche Sozialdemokratische Arbeiterpartei, im Weiteren DSAP), die zu jener Zeit nicht nur im Parlament, sondern auch in der Regierung vertreten waren. Exklusiver Lebensbedingungen erfreute sich vor allem die Führungsspitze der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SoPaDe). Für das Exil hatte sich ein Teil des Parteivorstands im Mai 1933 entschieden; in Prag-Karlin, Palackého třída 24 (Palacký-Straße, heute Křižíkova) eröffneten die Sozialdemokraten ein Sekretariat. Die finanzielle Basis der Sozialdemokraten war dadurch gesichert, dass ein Teil des Parteivermögens ins Exil gerettet werden konnte; es wurde außerdem von der Sozialistischen Arbeiterinternationale mit Sitz in Paris unterstützt, erhielt Spenden von sozialdemokratischen Abgeordneten und Senatoren sowie Zuwendungen aus einem Sonderfonds der DSAP, der von Siegfried Taub verwaltet wurde, dem Vizepräsidenten des tschechoslowakischen Abgeordnetenhauses. In diesen Fonds zahlten Hunderte von Parteimitgliedern regelmäßig und freiwillig einen Prozentsatz ihres Verdienstes ein.125 Die SoPaDe konnte sich so den Unterhalt eines verzweigten Parteiapparats leisten. Außer der Prager Zentrale gab es Sekretariate in den tschechoslowakischen Grenzgebieten, die die politische Arbeit in den deutschen Grenzgebieten organisierten, Drucke politischen Inhalts schmuggelten oder den sozialdemokratischen Flüchtlingen halfen. Insgesamt vierzig Personen erhielten regelmäßige Zahlungen – außer den Vorstandsmitgliedern, den Sekretären in den Grenzgebieten und sonstigen Funktionären auch drei Schreibkräfte und eine Putzfrau. Außerdem be125 Zur Geschichte der deutschen Sozialdemokratie im Prager Exil vgl. Erich MATTHIAS: Sozialdemokratie und Nation. Ein Beitrag zur Ideengeschichte der sozialdemokratischen Emigration in der Prager Zeit des Parteivorstandes 1933–1938. Stuttgart 1952; Lewis J. EDINGER: German Exile Politics. The Social Democratic Executive Committee in the Nazi Era. Berkeley – Los Angeles 1956; Gerd GREISER: Wahrheit als Waffe. Politik und Medien der SPD im Kampf gegen die Hitler-Diktatur. Münster 1996; Rainer BEHRING: Demokratische Außenpolitik für Deutschland. Die außenpolitischen Vorstellungen deutscher Sozialdemokraten im Exil, 1933–1945. Düsseldorf 1999; Ilse BRUSIS, Inge WETTIG-DANIEL MEIER (Hg.): „Wir haben etwas bewegt.“ Der Seniorenrat der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. 110 Lebensläufe von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Berlin 2008.

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zogen sieben Mitarbeiter im Verlag und in der Redaktion des Parteiorgans Neuer Vorwärts regelmäßige Gehälter, deren Höhe keineswegs gering anzusetzen ist.126 Die Mitglieder des Parteivorstands erhielten ca. 2000 Kronen (250 Reichsmark) monatlich; das entsprach dem Durchschnittslohn eines Arbeiters in Deutschland. Da die Lebenshaltungskosten in Prag aber wesentlich geringer waren als in Deutschland, ermöglichte dieses Gehalt einen durchaus akzeptablen Lebensstandard. Die sonstigen Funktionäre erhielten 200, die Sekretäre in den Grenzgebieten 150 Reichsmark (ca. 1200 Kronen); damit lagen sie freilich nur knapp über dem Existenzminimum.127 Die monatliche Unterstützung hingegen, die einfache sozialdemokratische Flüchtlinge von den Hilfskomitees beziehen konnten, lag anfangs bei höchstens 150 Kronen und wurde ab 1935 noch einmal abgesenkt. Hier zeigt sich deutlich die Kluft zwischen denen, die sich unter passablen Lebensbedingungen im Umkreis der Parteikasse bewegten, und ihren „einfachen“ Genossen, die, meist in Massenunterkünften, zu überleben versuchten. Die sozialdemokratische Elite war nicht nur finanziell abgesichert. Sie erfuhr auch anderweitig Unterstützung durch die Funktionäre der DSAP, insbesondere durch Siegfried Taub. Gleich nach Hitlers Machtantritt fuhr Taub nach Deutschland und bot den dortigen Sozialdemokraten Hilfe an; dank seines Diplomatenpasses konnte er wichtige Parteidokumente über die Grenze retten.128 Taub richtete einen Spezialfonds der DSAP ein und bereitete den Mitgliedern des Exilsekretariats den Boden für eine neue Existenz. Er organisierte Büroräume und Wohnungen für den Parteivorstand, und zwar in dem privilegierten Prager Viertel Dejvice.129 So stand Otto Wels in der Straße Na viničních horách [Auf den Weinbergen] eine Wohnung mit großem Balkon und Blick auf den Hradschin zur Verfügung. Erich Ollenhauer wohnte nur ein paar Fußminuten entfernt; seinen beiden Söhnen finanzierte er den Besuch einer deutschen Privatschule.130 Weder sie noch Ollenhauers Frau Martha haben, wie aus ihren Erinnerungen hervorgeht, den Aufenthalt in Prag in irgendeiner Weise als Einschränkung empfunden. Eher umgekehrt, die Ollenhauers hatten in Prag sehr viel mehr Zeit für das gesellschaftliche und kulturelle Leben. Sie waren Mitglieder in zahlreichen Kulturvereinen, gründeten einen Skatclub und pflegten außerdem regelmäßigen Kontakt mit dem Schriftsteller Robert Groetzsch sowie mit Wilhelm Sander und Siegmund Crummenerl, die beide dem Zentralen Parteiausschuss angehörten. Crummenerl 126 Brigitte SEEBACHER-BRANDT: Biedermann und Patriot Erich Ollenhauer: Ein sozialdemokratisches Leben. Rheinbreitbach 1984, S. 124. 127 Ebda., S. 107. 128 Ernst PAUL: „Emigration und Widerstand, 4. 5. 1933“, in: Adolf HASENÖHRL (Hg.): Kampf, Widerstand, Verfolgung der sudetendeutschen Sozialdemokraten. Dokumentation der deutschen Sozialdemokraten aus der Tschechoslowakei im Kampf gegen Henlein und Hitler. Stuttgart 1983, S. 42. 129 SEEBACHER-BRANDT: Biedermann und Patriot Erich Ollenhauer, S. 107. 130 Ebda. S. 108–109.

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war Schatzmeister der Partei. Einmal in der Woche kam diese Gesellschaft in der Wohnung von Ernst Paul zusammen, einem Mitglied der DSAP. Bei diesen Treffen ging es, wie sich Einzelne später erinnerten, stets lustig zu, nicht zuletzt weil es gut und reichlich zu trinken gab.131 Das Missverhältnis zwischen dem Lebensstandard der sozialdemokratischen Führung und ihren einfachen Mitgliedern war kein Geheimnis. Die Stimmung in dem sozialdemokratischen Wohnheim in Königsaal hat Max Seydewitz beschrieben, ein ehemaliger sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter. Seydewitz lebte einige Monate in einer Pension mit Garten. Das Wohnheim besuchte er öfters, um mit den dort untergebrachten Flüchtlingen zu sprechen. In seinen Erinnerungen schreibt er, dass diese oft auf die Parteiführung geschimpft hätten, weil deren Vertreter in luxuriösen Wohnungen lebten, während sie sich in überfüllten Massenlagern drängen mussten.132 Sehr viel schlechter unterrichtet sind wir über die Lebensbedingungen der KPD-Funktionäre im tschechoslowakischen Exil, denn ihre Aktivitäten waren illegal und mussten im Verborgenen betrieben werden, insbesondere vor Abschluss des tschechoslowakisch-sowjetischen Freundschaftsvertrags 1935. Die Führung der kommunistischen Exilpartei saß zwar in Paris, seit Oktober 1935 aber hielt sich Wilhelm Koenen in Prag auf. Er war Mitglied der Zentrale der Kommunistischen Partei Deutschlands (weiter KPD). Koenen sollte die kommunistischen Flüchtlinge in der Tschechoslowakei organisieren. Noch im selben Jahr ließen sich auch Franz Dahl und Walter Ulbricht in Prag nieder, die ebenfalls der Zentrale angehörten. Ulbricht allerdings hielt sich oft in Paris oder Moskau auf. Die Kontaktaufnahme zu den tschechoslowakischen Kommunisten und linksorientierten Intellektuellen erfolgte über Zdeněk Nejedlý; die Aufenthaltsgenehmigungen seitens der Prager Polizeidirektion beschaffte Rudolf Rabl, einer der tonangebenden Kommunisten, der auch im „Šalda“-Komitee aktiv war.133 Auch die kommunistischen Spitzenpolitiker führten in Prag kein ärmliches Leben. Wilhelm Koenen zum Beispiel verfügte, polizeilichen Ermittlungen zufolge, über eine Wohnung nahe der Moldau, in der Straße Na Zderaze. Als Mitglied des Weltkomitees gegen imperialistischen Krieg und Faschismus, das seinen Sitz in Prag hatte, bezog er monatlich 2000 Kronen.134 Eine Reihe bedeutenderer kommunistischer Poli131 Zu diesem Schluss kommt Seebacher-Brandt auf Grundlage der Erinnerungen einzelner Teilnehmer in SEEBACHER-BRANDT: Biedermann und Patriot Erich Ollenhauer, S. 108. Vgl. auch ihren Aufsatz: Brigitte SEEBACHER-BRANDT: „Die deutsche politische Emigration der Tschechoslowakei“, in: Peter GLOTZ (Hg.): München 1938. Das Ende des alten Europa. Essen 1990, S. 229–249, hier S. 234. 132 Max SEYDEWITZ: Es hat sich gelohnt zu leben. Lebenserinnerungen eines alten Arbeiterfunktionärs. Berlin 1976, S. 306–307. 133 ČERNÝ: Most k novému životu, S. 51–52. 134 NA, PŘ, 1931–1940, Sign. K 1069/56, K. 7402: Koenen 1886; vgl. auch Horst NAUMANN: Wilhelm Koenen. Leipzig 1977, S. 60.

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tiker wohnte in der (noch heute existenten) Pension Šárka, einer Villa am Rand des Šárka-Tals in Prag 6; zum Beispiel Hermann Leupold, der erst lange Jahre in Deutschland, ab 1933 dann in Prag Redaktionsmitglied der Arbeiter Illustrierten Zeitung (AIZ) war. Ihn besuchte hier häufig F.C. Weiskopf, der damalige Chefredakteur der AIZ.135 Entgegenkommend verhielt sich die Tschechoslowakei im Februar 1934 gegenüber den Flüchtlingen aus Österreich, die nach den Straßenkämpfen in Wien und anderen Städten oft geradezu Hals über Kopf in die Tschechoslowakei geflüchtet waren. Obgleich die tschechoslowakische Regierung den Februarereignissen gegenüber einen neutralen Standpunkt bezog, wurde doch deutlich, welcher Seite ihre Sympathien gehörten. Zdeněk Fierlinger, der tschechoslowakische Botschafter in Wien, unterstützte die sozialdemokratischen Kämpfer ganz offen und verhalf einigen bekannten Arbeiterführern auch zur Flucht in die Tschechoslowakei. Bereits einige Tage nach dem misslungenen Februarumsturz teilte Edvard Beneš dem österreichischen Botschafter in Prag allerdings mit, dass die Tschechoslowakei, wenngleich sie den Flüchtlingen Asyl gewähre, nicht zulassen werde, dass von ihrem Territorium aus ein bewaffneter Umsturz in Österreich organisiert werde. Angeblich ließ er dies auch der Führung der österreichischen Sozialdemokraten in der Tschechoslowakei übermitteln: Otto Bauer und Julius Deutsch. Eine Verletzung des Gastrechts habe die Ausweisung zur Folge. Die österreichischen Sozialdemokraten und zum Teil auch die Kommunisten entfalteten jedoch eine rege politische Tätigkeit und betrieben von der Tschechoslowakei aus eine sehr intensive Propaganda. Bereits einige Tage nach ihrer Flucht gründeten Bauer und Deutsch in Pressburg (Bratislava) ein Auslandsbüro der österreichischen Sozialdemokraten (kurz ALÖS genannt). Bald wurde der Sitz des ALÖS auf Druck der tschechoslowakischen Behörden, denen Pressburg zu nahe an der österreichischen Grenze lag, nach Brünn verlegt. Hier gaben die österreichischen Sozialdemokraten die Arbeiter-Zeitung heraus, zahlreiche weitere Publikationen, auch Flugblätter, und schmuggelten sie nach Österreich. Ihre Aktivitäten waren Gegenstand wiederholter Beschwerden der österreichischen Botschaft in Prag, die darauf verwies, dass die tschechoslowakischen Behörden entgegen ihren Versprechungen, das Schmuggeln sozialistischer Druckerzeugnisse nach Österreich einzudämmen, dies insgeheim tolerierten. Mitunter wanderten nicht nur Druckerzeugnisse nach Österreich, sondern auch Waffen. Die österreichische sozialdemokratische Führung im Exil konnte zum Teil auf das in die Tschechoslowakei verbrachte Parteivermögen zurückgreifen, sie wurde aber auch von den deutschen und den tschechischen Sozialdemokraten unterstützt. Auch bei den österreichischen Sozialdemokraten war der Unterschied zwischen der politischen Führung und den einfachen Mitgliedern markant. Letztere gehörten meist dem Schutzbund an, einer paramilitärischen sozialdemokratischen 135 SEYDEWITZ: Es hat sich gelohnt zu leben. S. 310–311.

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Organisation, und hatten sich an den Februarkämpfen in Wien beteiligt. In der Tschechoslowakei war die überwiegende Mehrheit der ca. 2000 Flüchtlinge in rasch eingerichteten Lagern untergebracht, in denen eine strikte, fast militärische Disziplin herrschte. Ihr Parteigehorsam wich jedoch einer tiefen Enttäuschung darüber, dass sie in den Lagern auf tschechoslowakischem Territorium keinerlei Perspektive hatten. Auf der einen Seite spürten sie die Ratlosigkeit der Parteiführung und hatten das Gefühl, dass sie ohne eigentlichen Grund in den de facto militärisch organisierten Lagern gehalten wurden, auf der anderen Seite durften sie – fast durchweg waren es Arbeiter – in der Tschechoslowakei keine Tätigkeit aufnehmen und so ihre Situation normalisieren. Viele von ihnen wandten sich in ihrer Enttäuschung den österreichischen Kommunisten zu; auch ergriff ein großer Teil, vor allem auf Grund der ausweglosen Lage, die (völlig singuläre) Möglichkeit einer Ausreise in die Sowjetunion, wo man ihnen Wohnrecht und Arbeit in Aussicht gestellt hatte. Ca. 700 Schutzbündler brachen 1934 auf, um in der Sowjetunion den Sozialismus errichten zu helfen. Rechnet man die Familienangehörigen hinzu, so beläuft sich die Zahl der über die Tschechoslowakei in die Sowjetunion ausgewanderten Flüchtlinge auf ungefähr tausend Personen.136 Erwähnenswert sind auch kleinere politische Organisationen, die der deutschen Sozialdemokratie im Exil nahe standen, sich ihr aber aus ideologischen Gründen nicht anschlossen. Zu ihnen gehört die Gruppe Neu Beginnen, die in den Anfangsjahren ihres Exils von der SoPaDe sogar unterstützt wurde; etliche ihrer Publikationen erschienen in dem Karlsbader Verlag Graphia; des Weiteren zu nennen wären der Internationale Sozialistische Kampfbund mit Sitz in Paris, dessen Einfluss in Prag eher gering war, und die Revolutionären Sozialisten Deutschlands, die das sozialdemokratische Exilsekretariat in Karlsbad be-

136 Zur Situation der österreichischen Flüchtlinge in der Tschechoslowakei im Februar 1934 vgl. Christoph HÖSLINGER: „Die ‚Brünner Emigration‘ als diplomatischer Konfliktstoff zwischen Wien und Prag“, in: Thomas WINKELBAUER (Hg.): Kontakte und Konflikte. Horn – Waidhofen an d. Thaya 1993, S. 413–428; Helmut KONRAD: „Die österreichische Emigration in der ČSR von 1934 bis 1938“, in: Helene MEIMANN, Heinz LUNZER (Hg.): Österreicher im Exil 1934 bis 1945. Wien 1977, S. 15–26; Arnold SUPPAN: „Die außenpolitischen Beziehungen zwischen Prag und Wien 1918–1938“, in: Prague Papers on History of International Relations, 1999, S. 213–286; MÜLLER: Drehscheibe Brünn / Přestupní stanice Brno; Matthias Franz LILL: Die Tschechoslowakei in der österreichischen Außenpolitik der Zwischenkriegszeit (1918–1938). Politische und wirtschaftliche Beziehungen. München 2006, S. 320–325; Robert KVAČEK: „Boj o Rakousko v letech 1933–1938 a československá zahraniční politika“, Sborník historický, Bd. 12, 1964, S. 241–287; McLOUGHLIN, SCHAFRANEK, SZEVERA: Aufbruch – Hoffnung – Endstation, S. 159– 172. Zur Unterstützung der Sozialdemokraten vgl. auch AMZV, Sign. II-3, K. 926: Memorandum der tschechischen und deutschen Sozialdemokratie, 3.12.1935.

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herrschten und von der sozialdemokratischen Zweigstelle in Sachsen finanziert wurden.137 Eine sehr spezifische Figur des Prager Exils war Otto Strasser, der Führer der Schwarzen Front. Strasser hatte sich mit seiner Bewegung von den deutschen Nationalsozialisten abgespalten und warf Hitler vor, das ursprüngliche sozialistische Programm der NSDAP verraten zu haben. An einer Ergreifung bzw. auch Ermordung Strassers war der Gestapo so sehr gelegen wie kaum sonst bei einem Exilpolitiker. Ermordet wurde (nach einem missglückten Entführungsversuch) Strassers enger Mitarbeiter Rudolf Formis, der einen Geheimsender der Schwarzen Front im Hotel Záhoří bei Slapy betrieb. Strasser hingegen konnte den zahlreichen Entführungsversuchen entgehen, in erster Linie dank seiner engen Kontakte zum Leiter der Prager Polizeidirektion, Stanislav Benda, der Strassers politischen Ansichten nicht unbedingt fern stand.138 Von Prag aus versuchte Strasser, der nach Hitlers Fall die Macht in Deutschland übernehmen wollte, das nationalsozialistische Regime zu untergraben: durch seine zahlreiche Publikationen, durch die Zeitschrift Die Deutsche Revolution sowie illegale Rundfunksendungen ins deutsche Grenzgebiet hinein.139 Obgleich Strasser die Situation in Deutschland nicht wirklich beeinflussen konnte und es innerhalb seiner Bewegung zu langwierigen Auseinandersetzungen kam, waren die Exiljahre in Prag 1933–1938 für ihn sehr wichtig. Hier konnte er seine Thesen weiterentwickeln und entscheidende Kontakte knüpfen, die ihm bei seinen weiteren Stationen im Exil von Nutzen waren.140 Bedeutenden Künstlerpersönlichkeiten – Literaten, Journalisten, Theaterleuten oder Malern – sind zahlreiche Studien gewidmet.141 Charakteristisch für die 137 David KRAFT: „Politická emigrace – sociální demokracie“, in: Exil v Praze a Československu 1918–1938, S. 120–127, vgl. S. 124. 138 ČERNÝ: Most k novému životu, S. 114. 139 Vgl. seine in Prag veröffentlichten Schriften: Aufbau des Deutschen Sozialismus. Als Anlage das historische Gespräch Hitlers mit Dr. Strasser. Praha 1936; Die deutsche Bartholomäusnacht. Prag – Zürich – Brüssel 1938; Das Ende des Reichswehr-Mythos. Hintergründe und Sinn des 4. Februar 1938. Prag 1938; Kommt es zum Krieg? Prag 1937; Der Marxismus ist tot. Der Sozialismus lebt. Praha 1935; Vorgeschichte, Verlauf, Folgen. Prag 1934; Wohin treibt Hitler? Darstellung der Lage und Entwicklung des Hitlersystems in den Jahren 1935 und 1936. Prag 1936. 140 Mehr zu der Bewegung der Schwarzen Front in der Tschechoslowakei vgl. ČERNÝ: Most k novému životu, S. 110–138. 141 Außer den bereits an anderer Stelle zitierten Texten vgl. vor allem die zusammenfassenden Darstellungen über die deutsche Exilliteratur in den 1930er Jahren: F.C. WEISKOPF: Unter fremden Himmeln. Ein Abriss der deutschen Literatur im Exil 1933–1947. Berlin – Weimar 1981; Alexander STEPHAN (Hg.): Exil, Literatur und die Künste nach 1933. Bonn 1990; Guy STERN: Literarische Kultur im Exil. Gesammelte Beiträge zur Exilforschung. Dresden 1998; Wilhelm STERNFELD, Eva TIEDEMANN: Deutsche Exil-Literatur, 1933–1945. Eine Bio-Bibliographie. Heidelberg 1962; Hermann KESTEN (Hg.): Deut-

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böhmischen Länder war sicherlich, dass gerade die liberale deutsche Minderheit in Prag geflüchtete Künstler in die bestehenden künstlerischen Gruppierungen und Strukturen integrierte. Die Künstler konnten so persönliche Kontakten knüpfen, aber auch Schutz, Hilfe und finanzielle Unterstützung verschiedener Organisationen in Anspruch nehmen. Eine wichtige Rolle spielte in diesem Zusammenhang der Deutsche Schriftsteller-Schutzverband in der ČSR. Er hatte bereits während der Weimarer Republik eng mit seinen Partnern in Deutschland zusammengesche Literatur im Exil. Briefe Europäischer Autoren 1933–1949. Frankfurt am Main 1973; Heinz Ludwig ARNOLD (Hg.): Deutsche Literatur im Exil 1933–1945. Frankfurt am Main 1974; Werner BERTHOLD: Exil-Literatur 1933–1945. Eine Ausstellung aus Beständen der Deutschen Bibliothek, Frankfurt am Main (Sammlung Exil-Literatur). Frankfurt am Main 1967, 3. Aufl.; Wolfgang KRÄMER: Der Gegen-Angriff (Prag/Paris 1933–36): Autoren-, Personen- und Sachregister. Worms 1982; Wulf KOEPKE, Michael WINKLER (Hg.): Exilliteratur:1933–1945. Darmstadt 1989; Konrad FEILCHENFELDT: Deutsche Exilliteratur 1933–1945. Kommentar zu einer Epoche. München 1986; Michael WINKLER (Hg.): Deutsche Literatur im Exil: 1933–1945. Texte und Dokumente. Stuttgart 1995; Alena MÍŠKOVÁ, Jan BOHÁČEK: „First exiles at German University in Prague“, in: Exil v Praze a Československu 1918–1938, S. 194–197; Ivan PFAFF: „Deutsche antinazistische Kultur im tschechischen Exil in den Jahren 1933–1938. Herrn Bohumil Černý zum 80. Geburtstag am 1.6.2000“, Germanoslavica, Jg. 9 (14), Nr. 1 (2002), S. 5–54. Weitere Texte zu einzelnen Exilautoren (Erinnerungen oder Publikationen über sie), die zumindest einen Teil ihres Exils in der Tschechoslowakei verbracht haben: Daniel MÜLLER: Manfred George und die „Jüdische Revue“. Eine Exilzeitschrift in der Tschechoslowakei 1936–1938. Konstanz 2000; René SENENKO: Willi Bredels Exil in Prag 1934. Ein unbekanntes Kapitel. Hamburg 2001; Ulrich KAUFMANN: O. M. Graf. Rebell – Erzähler – Weltbürger. München 1994; Gerhard BAUER: Oskar Maria Graf: ein rücksichtslos gelebtes Leben. München 1994; Christoph v. UNGERN-STERNBERG: Willy Haas, 1891–1973. „Ein großer Regisseur der Literatur“. München 2007; Luisa VALENTINI: Willy Haas. Der Zeuge einer Epoche. Frankfurt am Main – Bern – New York 1986; Willy HAAS: Die literarische Welt. Lebenserinnerungen. Frankfurt am Main 1983; Franz C. WEISKOPF: F. C. Weiskopf. Berlin 1977; Ludvík VÁCLAVEK: F. C. Weiskopf und die Tschechoslowakei. Praha 1965; Franziska ARNDT: F. C. Weiskopf. Leipzig 1965; Frederic W. NIELSEN: Emigrant für Deutschland in der Tschechoslowakei, in England und in Kanada. Tagebuchaufzeichnungen, Aufrufe und Berichte aus den Jahren 1933–1943. Darmstadt 1977; Heinz TAUBER: Frederic W. Nielsen. Ein Lebens-Märchen. Freiburg 1993; Milada KOUŘIMSKÁ: Es begann in Prag. Eine Frederic W. Nielsen-Monographie. Freiburg 1984; Irene SCHLEGEL: Hugo Steiner-Prag. Sein Leben für das schöne Buch. Memmingen 1995; Jan HALADA (Hg.): Egon Erwin Kisch: známý a neznámý. Sborník ze sympozia o životě a díle Egona Erwina Kische k 120. výročí jeho na rození. Praha 2005; Henri POSCHMANN: Louis Fürnberg. Leben und Werk. Westberlin 1982; Karl-Ludwig HOFMANN, Christmut PRÄGER: Johannes Wüsten (1896–1943). Leben und Kunst. Ausstellung im Heidelberger Kunstverein 22. Dezember 1996–26. Januar 1997. Heidelberg 1996; Jana MIKOTA: Alice Rühle-Gerstel. Ihre kinderliterarischen Arbeiten im Kontext der Kinder- und Jugendliteratur der Weimarer Republik, des Nationalsozialismus und des Exils. Frankfurt am Main – Berlin – Bern – Brüssel – New York – Oxford – Wien 2004; Marta MARKOVÁ: Auf ins Wunderland! Das Leben der Alice Rühle-Gerstel. Innsbruck – Wien – Bozen 2007.

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arbeitet und vertrat nach 1933 die Rechte der deutschen Schriftsteller, die als Flüchtlinge oder Repatrianten in die ČSR gekommen waren. Unter den Vorsitzenden dieses Verbands waren Persönlichkeiten wie Friedrich Adler, Oskar Baum, Ferdinand Deml, Pavel Eisner, Rudolf Fuchs, Paul Leppin, Georg Mannheimer, Otto Pick, Johannes Urzidil oder Olga Saxl-Lichtenstein. Nach 1933 gründete der Verband die Zeitschrift Der Schriftsteller, in der häufig auch Texte geflüchteter Schriftsteller abgedruckt wurden.142 Noch wichtiger aber war für die Schriftsteller und Journalisten die Gründung der Thomas Mann-Gesellschaft. Offiziell bestand sie seit 1936, ihre Tätigkeit hatte sie aber bereits zum Jahreswechsel 1934/35 aufgenommen. Die Initiative, eine Gesellschaft zur Unterstützung der aus NS-Deutschland vertriebenen Schriftsteller ins Leben zu rufen, war von Friedrich Burschell, Frank Warschauer und Werner Türk ausgegangen. Sie alle waren selbst Flüchtlinge. Als Schirmherren konnten sie Heinrich Mann, Arnold Zweig und Lion Feuchtwanger gewinnen. Insbesondere im Laufe des Jahres 1935, als Thomas Mann der Gesellschaft seinen Namen lieh, starteten ihre Initiatoren Spendenaktionen in ganz Europa. Am größten war die Spendenbereitschaft in der Tschechoslowakei selbst, aber auch in Frankreich, der Schweiz, Großbritannien und Skandinavien war sie beträchtlich. Insgesamt konnten bis Juni 1938 über 100 000 Kronen an dreißig bis vierzig Schriftsteller verteilt werden. Viele davon bezogen eine monatliche Unterstützung. Um Unterstützung musste man im Übrigen nicht offiziell ersuchen. Der Antragsteller besuchte Burschell ganz einfach in seiner Privatwohnung auf der Straße Národní obrany [Straße der nationalen Verteidigung], brachte ihm mündlich sein Begehren vor und bekam dank der großen finanziellen Reserven meist schon nach wenigen Tagen einen Betrag auf die Hand. An der offiziellen Leitung der Thomas MannGesellschaft beteiligten sich Otto Pick, Arne Laurin, Petr Křička, der Direktor der Stadtbücherei Jan Thon, Pavel Eisner, Adolf Hoffmeister, Vilma Loewenbach sowie Otokar und Josef Fischer; zum offiziellen Leiter der Gesellschaft wurde 1936 Professor J.B. Kozák gewählt. Selbst Edvard Beneš machte keinen Hehl aus seiner Sympathie für die Thomas Mann-Gesellschaft, lud ihre Mitglieder verschiedentlich zu Empfängen auf die Burg und ließ wiederholt größere Summen auf ihr Konto anweisen.143 Einer geringeren, aber dennoch nicht unerheblichen Unterstützung konnten sich die bildenden Künstler und Schauspieler sicher sein. Für die bildenden Künstler war der links orientierte Oskar-Kokoschka-Bund wichtig, der zum Beispiel von Josef Čapek, Karel Dostál, Emil Filla, Otokar Fischer, Adolf Hoffmeister, Egon Erwin Kisch, Jaroslav Kratochvíl, Helena Malířová und dem Architekten 142 DEA, Nachlass Willy Sternfeld, Sign. EB 75/177: Sternfelds nichtveröffentlichtes Buchmanuskript Die Czechoslovakei als Asylland der Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland, Kapitel „Die kulturelle Betätigung der deutschen Emigranten und ihr geselliges Leben“, S. 12. 143 Ebda., Kapitel „Die Thomas-Mann Gesellschaft“, S. 1–5.

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František Zelenka unterstützt wurde. Zu seinen Gründungsmitgliedern gehörten geflüchtete Künstler, die in Prag tätig waren: Johannes Wüsten, Theo Balden, Kurt Lade und John Heartfield.144 Für Schauspieler und Regisseure entstand 1934 der Tschechisch-deutsche Bühnenclub, um dessen Gründung sich auf tschechischer Seite vor allem Karel Dostál, Václav Vydra und Jiří Thein verdient gemacht hatten, auf deutscher Seite Walter Taub, Julius Gutmann, Elisabeth Warnholtz, Willy Haas, Paul Demel und Fritz Valk.145 Ein häufig zitiertes Gemeinschafsprojekt der deutschen und tschechischen Schauspieler war die Aufführung von Jan Nepomuk Štěpáneks Theaterstück Čech a Němec [Der Deutsche und der Tscheche] im Ständetheater im Mai 1936. Diese Aufführung wird in der historiographischen Literatur gemeinhin als einer der Höhepunkte deutsch-tschechischer Zusammenarbeit dargestellt;146 von jüdischer Seite aber erfuhr sie herbe Kritik. Viktor Fischl räumt in den Židovské zprávy [ Jüdische Nachrichten] zwar ein, dass es für die deutschtschechischen Beziehungen eine schöne Sache sei, wenn die tschechischen Rollen des Stücks von Deutschen und die deutschen von Tschechen gespielt werden, doch zeige sich in der Figur des jüdischen Wucherers vom Beginn des 19. Jahrhunderts die Vielzahl antijüdischer Vorurteile und negativer Klischees.147 An einer Zusammenarbeit mit den Flüchtlingen interessiert zeigte sich auch eine ganze Reihe deutscher Zeitungen (z. B. Prager Tagblatt, Prager Presse, Bohemia, Prager Abendblatt, Der Sozialdemokrat), deutscher Zeitschriften (z. B. Der Aufruf, Die Wahrheit) sowie liberale deutsche Gruppierungen und Vereine, allen voran die Urania. Gerade sie ermöglichte einigen Flüchtlingen die Mitarbeit an den deutschen Programmen ihres Radiojournals.148 Die Flüchtlinge erhielten so nicht nur Gelegenheit, sich etwas hinzuzuverdienen, sondern konnten (wenn auch in eingeschränkter Form) künstlerisch tätig und sich eines relativ zahlreichen deutschsprachigen Publikums sicher sein.

144 Heinz SPIELMANN: „Kokoschka in Prag“, in: BECHER, HEUMOS (Hg.): Drehscheibe Prag, S. 87–95. 145 Zur Zusammenarbeit der Schauspieler aus Böhmen mit den Schauspielern, die vor dem Nationalsozialismus aus Deutschland geflohen waren, vgl. Hansjörg SCHNEIDER: Exiltheater in der Tschechoslowakei, 1933- 1938. Berlin 1979; Hanuš BURGER: Der Frühling. Erinnerungen. München 1977, S. 62–84. 146 Např. Květa HYRŠLOVÁ: „Zur Zusammenarbeit tschechischer und deutscher Schriftsteller“, in: BECHER, HEUMOS (Hg.): Drehscheibe Prag, S. 109–120, vgl. S. 110. Vgl. auch den Fernsehfilm Německé divadlo v Praze aneb Čech a Němec se nehraje [Das deutsche Theater in Prag oder der Deutsche und der Tscheche wird nicht gespielt] (Regie: Ivan Pokorný, 2003). 147 Viktor FISCHL: „Čech a Němec a trochu také Žid“, Židovské zprávy, 29. 5.1936, S.  4. Ganz ähnlich seine Rezension in der Vereinszeitschrift B’nai B’rith, 1936/15, S. 246. 148 Lenka ČÁBELOVÁ: Radiojournal. Rozhlasové vysílání v Čechách a na Moravě v letech 1923–1939. Praha 2003, S. 112.

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Zu den bereits bestehenden deutschen Zeitschriften und Zeitungen wurden neue gegründet, die direkt in Händen der Flüchtlinge lagen. Meist handelte es sich um Organe, die in Deutschland verboten worden waren und deren Redaktion ganz oder teilweise nach Prag übersiedelt war. Politischen Zeitungen und Zeitschriften kam die Nähe Prags zur deutschen Grenze zugute, denn ein Teil der Auflage wurde nach Deutschland geschmuggelt. So erschienen in den böhmischen Ländern der schon erwähnte Neue Vorwärts, die Arbeiter Illustrierte Zeitung, der Simplicus (später Simpl), der Prager Mittag, die Neue Weltbühne, die Europäischen Hefte, die Neuen deutschen Blätter, Die Welt im Wort, Die Internationale Kunstwelt, die Jüdische Revue u.a.149 Wichtig war auch der Malik-Verlag, den Wieland Herzfelde 1920 in Berlin gegründet hatte. Herzfelde war es gelungen, kurz vor dem Reichstagsbrand aus Deutschland zu fliehen, und bereits im April 1933 nahm sein Verlag die Arbeit in Prag auf, die bis 1938 dauern sollte. Im Malik-Verlag publizierte eine ganze Reihe von Exilautoren meist kommunistischer Ausrichtung.150 Auch der schon erwähnte sozialdemokratische Verlag Graphia in Karlsbad spielte eine wichtige Rolle. Für den Malik-Verlag, den Verlag seines Bruders, wie auch für F. C. Weiskopfs AIZ schuf John Heartfield (eigentl. Helmut Herzfelde) zahlreiche seiner berühmten Fotomontagen, die zu den wirksamsten Formen kommunistischer Propaganda gegen den Nationalsozialismus gehörten. Auch einige seiner Werke, die im Rahmen internationaler Ausstellungen 1934, 1936 und 1937 in der Prager Galerie Mánes gezeigt wurden, erregten großes Aufsehen und provozierten eine Protestnote der deutschen Botschaft. 1934 konnten sich der Verein Mánes, das Außenministerium und die Prager Polizeidirektion in einem ersten Schritt darauf einigen, die Hitlerkarikaturen aus den Außenvitrinen in die inneren Ausstellungsräume zu verlagern, und erst nach einer erneuten Protestnote der deutschen Botschaft wurden zwei Bilder Heartfields aus der Ausstellung entfernt. 1936 und vor allem 1937 folgte die Entfernung von Heartfields Bildern hingegen relativ rasch nach dem Protest. Der politische Druck Deutschlands auf die Tschechoslowakei hatte zugenommen; nach der Ausstellung von 1937 war es für Heartfield sogar schwierig geworden, seine Fotomontage in der AIZ zu veröffentlichen. Wie Wieland Herzfelde in seiner Biographie über den Bruder schreibt, ließ auch die Kritik der liberalen Prager Presse an den polizeilichen Maßnahmen gegen John Heartfield deutlich nach.151 149 Mehr über die Exil-Periodika in der Tschechoslowakei vgl. Rainer ECKERT: Emigrationspublizistik und Judenverfolgung. Das Beispiel Tschechoslowakei. Frankfurt am Main 2000. 150 Der Malik-Verlag 1916–1947. Ausstellungskatalog. Berlin 1967. Reprint Leipzig 1984. 151 Zur Affäre Mánes vgl. genauer Wieland HERZFELDE: John Heartfield. Leben und Werk dargestellt von seinem Bruder. Dresden 1971, S. 64–81; Jan M. TOMEŠ: „John Heartfield und der Künstlerverein Mánes“, in: BECHER, HEUMOS (Hg.): Drehscheibe Prag, S. 65– 74.

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Zu den Ausnahmeerscheinungen unter den Flüchtlingen aus dem kulturellen Bereich gehören vor allem die Brüder Mann, die dank ihrer tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft das wohl meist zitierte Beispiel sind, wenn die entgegenkommende Haltung der Tschechoslowakei gegenüber den Flüchtlingen aus NS-Deutschland belegt werden soll.152 Gerade deshalb lohnt sich hier ein genauerer Blick. Die Erteilung der Staatsbürgerschaft an Thomas Mann, seinen Bruder Heinrich Mann und weitere Familienmitglieder verlief keineswegs problemlos und war letztlich nur auf Grund weit reichender Verbindungen möglich, nicht zuletzt zum Präsidenten und verschiedenen Regierungsmitgliedern. Außerdem hatten die Brüder Mann den Antrag auf Staatsbürgerschaft nicht aus existenziellen Gründen gestellt – wie Hunderte anderer Flüchtlinge es vergeblich versuchten –, also nicht etwa, um eine Arbeitserlaubnis in der Tschechoslowakei zu bekommen. Die Manns (insbesondere die Familie von Thomas Mann) litten ganz sicher keine Not, und keiner von ihnen hat jemals ernsthaft daran gedacht, sich für immer in den böhmischen Ländern niederzulassen. Thomas Mann erwog kurz vor Erteilung der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft den Kauf eines Hauses oder einer Wohnung in Wien, fand jedoch nichts, was seinen Vorstellungen entsprochen hätte.153 So blieb er in Küssnacht bei Zürich, wo er sich bereits 1933 niedergelassen hatte, und den Eid auf die tschechoslowakische Verfassung schwor er auf dem tschechoslowakischen Konsulat in Zürich. Heinrich Mann lebte seit 1933 in Nizza und leistete seinen Eid auf der tschechoslowakischen Vertretung in Marseille. Beide Brüder Mann brauchten die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft nicht einmal, um frei zu reisen. Thomas Manns Pass lief zwar 1934 ab und eine Verlängerung hätte eine persönliche Abholung erfordert, wobei ein Haftbefehl gegen ihn vorlag. Damals war er aber bereits eine so berühmte Persönlichkeit, dass er Visa auch ohne gültigen Pass erhielt. Das zeigen die wiederholten Reisen, die er 1934 und 1935 mit seiner Frau in die USA unternahm. Außerdem war Thomas Mann, anders als seinem Bruder und so vielen anderen Intellektuellen, die sich gegen den Nationalsozialismus gestellt hatten, die deutsche Staatsbürgerschaft nicht aberkannt worden. Das geschah erst mit Erwerb der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft.154 Warum also hat Thomas Mann sich überhaupt um die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft bemüht? Vor allem deshalb, weil er so bessere Möglichkeiten 152 Z.B. Hansjörg SCHNEIDER: „Exil in der Tschechoslowakei“, in: Werner MITTENZWEI (Hg.): Exil in der Tschechoslowakei, in Großbritannien, Skandinavien und in Palästina. Leipzig 1981, S. 17–143, vgl. S. 20; PFAFF: „Kulturní most: německý kulturní exil v ČSR 1933–1938“, S. 6–7; ROTHKIRCHEN: The Jews of Bohemia and Moravia, S. 73. 153 Thomas MANN: Tagebücher 1935–1936. Frankfurt am Main 1978, 3. Aufl., S. 317, Eintrag vom 18. Juni 1936. 154 Die Nachricht, dass man ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt hatte, erhielt Thomas Mann am 4. Dezember 1936, vgl. Thomas MANN: Tagebücher 1935–1936, S. 404.

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hatte, bei den deutschen Behörden den konfiszierten Besitz zurück- und seine Autorenrechte einzufordern. Heinrich Mann konnte dank seiner tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft und mit Unterstützung des tschechoslowakischen Staats tatsächlich erreichen, dass ihm von deutscher Seite seine Manuskripte, seine Bibliothek und seine Korrespondenz ausgehändigt wurden.155 Thomas Mann hatte zwar noch rechtzeitig seine Ersparnisse auf ein Schweizer Konto transferiert, doch waren Einrichtung und Bibliothek in Deutschland zurückgeblieben; gefährdet war außerdem das Erscheinen des zweiten Teils von Joseph und seine Brüder (der schließlich bei einem Wiener Exilverlag erschien). In seinem Tagebuch schreibt er im Oktober 1935 sehr direkt: „Mir ist ziemlich klar, dass ich höchstens durch die Erwerbung einer anderen Staatsbürgerschaft mein Eigentum zurückgewinnen könnte.“156 Die Vorbereitungen zum Erwerb der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft versuchte Thomas Mann gerade auch deshalb zu verheimlichen, damit die Wiedererlangung seines Besitzes in Deutschland nicht gefährdet würde.157 Zunächst stellte Heinrich Mann einen Antrag auf tschechoslowakische Staatsbürgerschaft, wohl auf Drängen seiner ersten Frau. Marie Mann, geborene Kanová, war Schauspielerin und stammte aus einer Prager jüdischen Familie. Die beiden hatten 1916 geheiratet, aus der Ehe ging eine Tochter hervor, Leonie. Nach der Scheidung 1930 zog Marie zurück nach Prag. Vermutlich war es Marie, genannt Mimi, die bei der tschechoslowakischen Regierung für ihren früheren Ehemann den Antrag auf Erteilung der Staatsbürgerschaft gestellt hat.158 Dafür musste Heinrich zuvor aber Heimatrecht in einer Gemeinde der Tschechoslowakei erhalten. Diese Aufgabe übernahm Rudolf Fleischmann, ein jüdischer Kaufmann aus Proseč u Skutče, einem kleinen Städtchen in Ostböhmen. Fleischmann hatte vermutlich über den protestantischen Philosophen J.B. Kozák von Marie Manns Bemühungen erfahren. Kozák, Abgeordneter für Benešs nationalsoziale Partei, zu deren Mitgliedern im Übrigen auch Fleischmann gehörte, stand in persönlichem Kontakt zu Beneš und zu Thomas Mann und war zu jener Zeit Präsident der Thomas Mann-Gesellschaft. Er kannte Marie Schmolka (auch er war einer der Kandidaten für den Vorsitz des Comité National) und saß zudem noch für den Bezirk Ostböhmen im Parlament. Proseč, wo er sich immer wieder zu Parteiversammlungen einfand, fiel somit in seinem Wahlkreis. Rudolf Fleischmann fiel nun die schwierige Aufgabe zu, den Gemeinderat, dem er selbst nicht angehörte, davon zu überzeugen, dass er den Manns Heimat155 Ebda., S. 436. 156 Ebda., S. 196, Eintrag vom 29. Oktober 1935. 157 „Mit Rücksicht auf die Rückgewinnung meiner Habe und auf das Erscheinen des dritten Joseph soll die Angelegenheit vorläufig diskret behandelt werden.“ Ebda., S. 346, Eintrag vom 6. August 1936. 158 Ebda., S. 436.

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recht gewähren sollte. Die Mehrheit im Gemeinderat hatte die Volkspartei (Lidová strana), vor allem also musste Alois Jeřábek, der dortige Dekan, für die Sache gewonnen werden. Der Sache gewogen zeigten sich Bürgermeister Jan Herynek und andere protestantische Vertreter der Gemeinde. Die Überzeugungsarbeit gestaltete sich dabei auf Grund des latenten Antisemitismus keineswegs leicht, wie Josef Dvořák in seinem Buch Českobratrské Prosečko [Die Brüdergemeinde im Gebiet Proseč] darstellt. Der Autor stützt sich dabei auf Materialien aus dem Stadtarchiv, auf die Stadtchronik sowie die Chronik der örtlichen evangelischen Gemeinde. Aus den Deutschen Bürger von Proseč zu machen, forderte einiges. Da aus Deutschland auch Juden flüchteten, hegten manche den Verdacht, die Manns könnten auch Juden sein, was negativ ins Gewicht gefallen wäre. Daher legte Fleischmann, der selber Jude war, in Proseč die Taufurkunden der Manns in Kopie vor, um nachzuweisen, dass sie keine Juden seien. Ein Exemplar der Taufurkunde von Thomas Mann brachte er sogar auf das evangelische Pfarramt.159

Schließlich wurde Heinrich Mann am 21. August 1935 mit neun von fünfzehn Stimmen das Heimatrecht erteilt. Klaus Mann, dem Sohn von Thomas, erteilte der Gemeinderat in Proseč das Heimatrecht am 1. August 1936 (mit 10 von 15 Stimmen), auf seiner nächsten Sitzung am 18. August entschied er positiv auch für Thomas Mann, seine Frau Katia und die Söhne Michael und Golo (12 von 16 Stimmen), am 20. März 1937 dann für die Tochter Monika.160 Mit der Erteilung des Heimatrechts war freilich das Verfahren der Erteilung der Staatsbürgerschaft noch nicht abgeschlossen. Wir wissen, dass Rudolf Fleischmann für Thomas Mann, seine Frau und die beiden Söhne gleich am nächsten Tag auf der Prager Landesbehörde die Staatsbürgerschaft beantragt hat. In einem Brief vom 4. November 1936 ersuchte J.B. Kozák um eine baldige Erledigung des Antrags, und führte an, dass „auch der Präsident der Republik, der Regierungspräsident und der Innenminister an dieser Causa interessiert sind“.161 Das hat offenbar geholfen, denn schon 14 Tage später konnte Thomas Mann in Zürich seinen Eid auf die tschechoslowakische Verfassung schwören. Der Kommentar in seinem Tagebuch fällt sehr knapp aus: „Sonderbares Ereignis.“162 Thomas Mann stattete dann im Januar 1937 zusammen mit seiner Frau und Sohn Golo der Stadt Proseč einen Besuch ab. Sie reisten in Begleitung von J.B.

159 160 161 162

Josef DVOŘÁK, Velimír DVOŘÁK: Českobratrské Prosečsko. Benešov 2005, S. 353. Ebda., S. 354. Thomas MANN: Tagebücher 1935–1936, S. 623. Ebda., S. 396.

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Kozák und Rudolf Fleischmann in einem Wagen des Außenministeriums an.163 Bereits nach einem Jahr, im Frühling 1938, entschieden sich Thomas Mann und seine Frau für eine Emigration in die USA; die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielten sie erst 1944. Heinrich Mann hingegen hat den Weg nach Proseč nicht gefunden und den Ort vermutlich nicht einmal auf der Karte gesucht. Nur so ist zu erklären, dass er in seinen zwischen 1933–1944 entstandenen Erinnerungen schreibt, „eine tschechische Ortschaft nahe der deutschen Grenze“164 habe ihm Heimatrecht erteilt. Mit Blick auf die privilegierte Stellung, die zahlreiche bekannte Persönlichkeiten aus Politik und Kultur im Exil genossen, stellt sich die Frage, ob in der Tschechoslowakei nicht zweierlei Flüchtlingspolitik betrieben wurde. Beispiele dafür gibt es in Europa sicherlich: so unterschieden einige europäische Staaten in juristischer Hinsicht zwischen politischen Flüchtlingen, die Asylrecht bekommen konnten (und damit auch eine gesicherte rechtliche Stellung im Gastland), und sonstigen Flüchtlingen, deren Status nicht auf dem Prinzip der Nichtauslieferung beruhte. Die Schweiz zum Beispiel unterschied auf Grundlage des seit 1931 in Kraft befindlichen Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (kurz: ANAG) zwischen „Flüchtlingen“ und „politischen Flüchtlingen“. Normale Flüchtlinge wurden auf dem Staatsgebiet zwar toleriert, doch erachtete man ihren Aufenthalt als vorübergehend und unter Umständen erlegte man ihnen auch verschiedenste Beschränkungen auf. Während des Zweiten Weltkriegs war die Mehrheit von ihnen für einige Jahre interniert. Der Begriff politischer Flüchtling war viel strenger definiert: als solcher galt nur, wer auf Grund seiner politische Aktivitäten (reine Mitgliedschaft in einer Partei genügte nicht) verfolgt wurde und sich an Leib und Leben bedroht sah. Von einer sehr engen Fassung des Begriffs politischer Flüchtling zeugt auch, dass die Schweiz diesen Status in den Jahren nach 1933 nur rund 250 Flüchtlingen zuerkannt hat.165 Auch die belgischen Behörden begannen nach der Machtergreifung Hitlers zwischen echten Flüchtlingen (stricto sensu) und Wirtschaftsemigranten (sensu lato) zu unterscheiden. Der ersten Kategorie wurde nur ein kleiner Kreis von Personen zugerechnet, die auf Grund ihrer politischen Tätigkeit verfolgt wurden, Kommunisten allerdings ausgenommen. In die zweite Kategorie fielen vor allem jüdische Flüchtlinge. Flüchtlinge (im engeren Sinn) hatten Anspruch auf Asyl, 163 DVOŘÁK, DVOŘÁK: Českobratrské Prosečsko, S. 356. Vgl. auch den detaillierten Bericht der Kreishauptmannschaft in Hohenmauth (Vysoké Mýto), vollständig zitiert in HYRŠLOVÁ: „Die ČSR als Asylland“, S. 34. 164 Vgl. Heinrich MANN: Ein Zeitalter wird besichtigt. Genf 1987, S. 473. 165 Walter KÄLIN u. Koll.: Rechtliche Aspekte der schweizerischen Flüchtlingspolitik im Zweiten Weltkrieg. Beiheft zum Bericht Die Schweiz und die Flüchtlinge zur Zeit des Nationalsozalismus. Unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg. Bern 1999, S. 21–25; Die Schweiz und die Flüchtlinge zur Zeit des Nationalsozialismus. Unabhängige Expertenkommision Schweiz – Zweiter Weltkrieg. Bern 1999, S. 20.

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was vor allem eine Aufenthaltserlaubnis garantierte. Welcher Flüchtling welcher Kategorie zuzuweisen sei, entschied auf Vorschlag der Flüchtlingskomitees das Justizministerium. Die übrigen Flüchtlinge sollten in Belgien nur vorübergehend toleriert werden, sie durften keiner Erwerbstätigkeit nachgehen und sollten so schnell wie möglich ihre Ausreise in ein anderes Land organisieren. Lediglich jene Flüchtlinge, von denen man sich einen bedeutenden wirtschaftlichen Nutzen versprach, erhielten eine vorübergehende Arbeitserlaubnis.166 Die Tschechoslowakei hingegen kannte rein formal den Begriff Flüchtling nicht und unterschied daher auch rechtlich nicht zwischen politischen und sonstigen Flüchtlingen. Auf der anderen Seite gab es zweifellos einen kleinen Kreis von Flüchtlingen, der einen größeren Schutz durch die Behörden genoss und mit einer problemlosen Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung rechnen konnte. Das galt vor allem für jene Flüchtlinge, die bei den tschechoslowakischen Parteien Unterstützung fanden. Offiziell ist dieser Personenkreis nie formal definiert worden. Seine Stellung hing ab vom Engagement und vom Einfluss ihrer Protektoren. Bei ihnen tolerierten die tschechoslowakischen Behörden, was sie anderen, vor allem den Kommunisten, konsequent verboten – eine politische Betätigung. Die „wohlwollende“ Politik der Tschechoslowakei gegenüber den Flüchtlingen aus Deutschland und Österreich, bei der die Staatsbeamten sich zunutze machen konnten, dass sie nicht an ein fest verankertes Asylrecht gebunden waren, erwies sich in der Praxis als durchaus zweischneidig. Auf der einen Seite konnten die Beamten gegenüber der Mehrheit der Flüchtlinge rigoroser vorgehen, auf der anderen Seite einer dünnen Schicht politisch oder kulturell engagierter Flüchtlinge durchaus entgegenkommen. Die Erinnerungen dieser prominenten Persönlichkeiten haben das Bild der Tschechoslowakei als einer Zuflucht für Flüchtlinge ganz wesentlich geprägt. Allein schon deshalb, weil ihre Stimmen gerade auf Grund ihrer politischen oder gesellschaftlichen Stellung besser gehört werden. Und auch die Historiker haben zur Verfestigung dieses Bildes beigetragen, indem sie sich vor allem für diejenigen Flüchtlinge interessierten, die sich durch ihre politischen oder kulturellen Aktivitäten in die Geschichte des Widerstands gegen den Nationalsozialismus eingeschrieben haben. Gerade deshalb konzentriert sich die vorliegende Studie auf die sehr viel größere und dennoch bisher übersehene Gruppe von Flüchtlingen, die weder Verbindungen noch eine herausgehobene gesellschaftliche Stellung hatten. Ihre Erfahrungen mit der Tschechoslowakei sind in vielem ganz anders als die der „Exilprominenz“.

166 Frank CAESTECKER: Alien Policy in Belgium, 1840–1940. The Creation of Guest Workers, Refugees and Illegal Aliens. New York – Oxford 2000, S. 157–158.

Hilfe und Ohnmacht

Spontane Hilfe Einen gelungenen Grenzübertritt empfanden die Flüchtlinge als große Erleichterung. Zugleich aber waren sie voller Befürchtungen, fühlten sich zumindest angesichts des Exils, von dem sie nicht wussten, was es ihnen bringen würde, verunsichert. Diese widersprüchliche Befindlichkeit beschreibt in seinen Erinnerungen der Schriftsteller und Journalist Rudolf Steiner. Die Passkontrolle im Zug von Dresden nach Prag hatte er ohne Schwierigkeiten überstanden: Ein Stempel wird in meinen Pass gedrückt, erledigt. Ich bin frei – wir fahren durch tschechisches Land. Die Bäume bewegen sich im Sommerwind. Silbern glänzt der Fluss. Freundliche Dörfchen schweben vorbei… Schon senkt der Spätnachmittag seinen Flor über die Landschaft… in einer Stunde werden wir in Prag sein. Ein Emigrant. Ein Niemand. Losgelöst von allem, was bisher mein Besitz war. Meine Sprache, meine Arbeit, die Menschen, die ich geliebt habe… alles, alles ist vorbei.1

Neben den oft schon im Herbst 1932 aus Deutschland geflüchteten „Ostjuden“ waren unter den ersten Flüchtlingen vor allem Sozialdemokraten, Kommunisten und Gewerkschafter. Deren führende Vertreter wurden meist schon vor ihrer Flucht von ihren Parteikollegen unterrichtet, wen sie in der Emigration kontaktieren sollten. Die einfachen Mitglieder wandten sich nach dem Grenzübertritt zu Dutzenden an die örtlichen Gewerkschaftsverbände oder an die Sekretariate ihrer Parteien. Die deutschen Sozialdemokraten und Kommunisten in Böhmen und Mähren hatten diese Entwicklung vorausgesehen und sich auf die Ankunft der Flüchtlinge vorzubereiten versucht. So hatte man zum Beispiel auf der Královka, einer Hütte im Isergebirge, eine sog. „shelter“ für Flüchtlinge eingerichtet, wo manche einige Monate zubrachten.2 In Reichenberg, Warnsdorf, Bodenbach (Podmokly), Aussig, Teplitz, Komotau, Trautenau (Trutnov), Jägerndorf (Krnov), Karlsbad, Eger und Mährisch Ostrau entstanden Hilfs- und Auffangzentren, wo Parteikollegen und Genossen für die Verfolgten, die meist nichts als das nackte 1 Zentrum für Antisemitismusforschung, Berlin: Sammlung Houghton Library, Wettbewerb „My life in Germany before and after January 30, 1933“, ausgeschrieben 1940: Rudolf Steiner: „Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30. Januar 1933“, S. 115. Hervorhebung im Original. 2 DEA, Nachlass Willy Sternfeld, Sign. EB 75/177: Sternfelds nicht publiziertes Buchmanuskript Die Czechoslovakei als Asylland der Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland, Kapitel „Gewerkschaftsbund“, S. 2; siehe auch ČERNÝ: Most k novému životu, S. 57.

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Leben gerettet hatten, Unterkunft und Verpflegung zu beschaffen versuchten. Zahlreiche sozialdemokratische Familien im Grenzgebiet nahmen Flüchtlinge bei sich zu Hause auf. Die kommunistische Partei der Tschechoslowakei bemühte sich um eine gleichmäßige Verteilung ihrer reichsdeutschen Kollegen auf die böhmischen und mährischen Städte.3 Kurt Löwenthal, geb. 1908 in Glogau (heute Głogow) in Preußisch Schlesien, von Beruf laut eigenen Angaben „Handlungsgehilfe“, Konfession „jüdisch“. Verfolgt und inhaftiert wurde Kurt Löwenthal auf Grund seiner sozialdemokratischen Aktivitäten. Wie aus seiner Aussage bei der Prager Polizeidirektion hervorgeht, hatte ihn seine Hauswirtin bei der SA als Marxist angezeigt. Löwenthal wurde am 25. März verhaftet und hielt sich nach seiner Freilassung einige Monate in Berlin versteckt. Die Eltern hatten ihn wiederholt gewarnt, dass er an seinem Wohnort gesucht werde. Aus Angst vor einer erneuten Verhaftung flüchtete Löwenthal im Juli 1933 mit seiner Verlobten in die Tschechoslowakei. Die Grenze überschritten sie am 7. Juli bei Klein-Aupa (Malá Úpa); sie kamen also über die Schneekoppe. Löwenthal meldete sich jedoch nicht beim Sozialdemokratischen Hilfskomitee, sondern bei der Demokratischen Flüchtlingsfürsorge. Aus der Tschechoslowakei konnte er vermutlich kurz vor der Okkupation der böhmischen Länder flüchten.4 Über sein weiteres Schicksal ist nichts bekannt.

In Prag meldeten sich die Flüchtlinge bei den nach und nach entstehenden Hilfskomitees. Unter der politischen und kulturellen Elite wurden mit der Zeit auch die Namen einiger meist um den Wenzelsplatz gelegenen Kaffehäuser bekannt, in denen die Flüchtlinge oft den ganzen Tag verbrachten. Neuankömmlinge konnten hier also immer einen ihrer Bekannten finden. John Heartfield zum Beispiel suchte gleich nach seiner Ankunft in Prag, der eine dramatische Flucht über das Riesengebirge vorausgegangen war – er wäre beinah in einem Schneesturm ums Leben gekommen –, das Café Continental am Graben auf und fand dort seinen schon früher über Österreich geflüchteten Bruder Wieland Herzfelde wieder.5 Die Flüchtlinge, die im Frühling 1933 in der Tschechoslowakei ankamen, wurden – zumindest von einem Teil der Gesellschaft – mit offenen Armen emp3 Oběžník Prezídia zemského úřadu v Praze [Rundschreiben des Präsidiums der Landesbehörde Prag], Nr. 15526 vom 21.4.1933, zit. nach Kurt R. GROSSMANN: Emigration. Geschichte der Hitler-Flüchtlinge 1933–1945. Frankfurt am Main 1969, S. 32. 4 NA, PŘ, 1931–1940, Sign. L 1018/10, K. 8407: Kurt Löwenthal. 5 HERZFELDE: John Heartfield, S. 63–64; BECHER, CANZ: Drehscheibe Prag, S. 28.

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fangen. Die Gesellschaft stand immer noch unter Schock: die Machtergreifung Hitlers, Massenverhaftungen politischer Gegner, Misshandlung von Menschen durch SA-Einheiten, der Boykott jüdischer Geschäfte – all das waren bis dahin ungekannte Dinge. Viele waren über diese Barbareien empört und begegneten den Flüchtlingen in jenen Monaten mit spontaner Hilfsbereitschaft. Bald entstand auch das erste Hilfskomitee für Flüchtlinge aus Deutschland, die Demokratische Flüchtlingsfürsorge. Die Initiative hierzu kam – auf Empfehlung von deren Vorsitzenden Friedrich Bill6 – von der Liga für Menschenrechte. Der erste Märztag des Jahres 1933 präsentiert sich in den Zeitungen als ein einziger Aufruf zur Hilfe für die deutschen Flüchtlinge. Das Prager Tagblatt schrieb: Gegen dieses blinde Wüten der Gewalt mit Worten zu protestieren wäre nutzlos. Aber den Opfern der Gewalt, soweit diese in unserem Lande Zuflucht suchen, zu helfen, muss die Aufgabe nicht nur aller freiheitlich denkenden Männer und Frauen in unserer demokratischen Republik sein. Wir erwarten nach den Erfahrungen der letzten Tage einen Zustrom von Flüchtlingen, die nichts als das nackte Leben zu uns herüber retten. Ihnen Wohnung, Kleidung und Nahrung bereitzustellen, ist dringendste Forderung der Stunde.7

In der Zeitschrift Aufruf wurde regelmäßig um finanzielle Zuwendungen, Sachspenden und auch um Freitische für die Flüchtlinge gebeten.8 Die jüdischen Flüchtlinge suchten vor allem bei den jüdischen Gemeinden Hilfe. Den ersten Andrang mussten vor allem die Gemeinden im Grenzgebiet und in Prag bewältigen. Unterstützung kam auch von jüdischen Vereinen mit einer allgemein karitativen Ausrichtung – von der Armenhilfe, den Frauenvereinen oder der Begräbnisbruderschaft Chewra Kadischa. Auch Vereine, die eigentlich zur Unterstützung anderer Gesellschaftsgruppen gegründet worden waren, konzentrierten sich nun auf die in größerer Not befindlichen Flüchtlinge aus Deutschland. Das zeigt zum Beispiel der Aufruf, den das Jüdische Hilfskomitee für die Slowakei im Prager Tagblatt veröffentlichte.9 6 Zu den einzelnen Hilfskomitees vgl. auch Bohumil ČERNÝ: „Komitéty pro pomoc německé emigraci v ČSR (1933–1938)“, in: Československý časopis historický, 1967, Jg. 15, Nr. 2, S. 277– 300. 7 „Helft den Opfern Hitlers!“, Prager Tagblatt, 1.3.1933, S. 3. 8 „Helft den Flüchtlingen!“, Aufruf, 15.4.1933, S. 30; „Freitische für Emigranten dringend erbeten!“, Aufruf, 15.5.1933, S. 34. 9 Das „Jüdische Hilfskomitee für die Slowakei“, ein Verein unter der Führung von Viktor Stein – er führte auch den Vorsitz des Vereins Jeschurun – ließ mit Unterstützung des Parlamentsabgeordneten Julius Reiss ( Jüdische Partei) im Prager Tagblatt einen Aufruf zur Hilfe für jüdische Flüchtlinge aus Deutschland drucken: „Menschenfreunde! Juden!“, Prager Tagblatt, 12.5.1933, S. 10.

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Die erste jüdische Hilfsorganisation speziell zur Unterstützung aus Deutschland geflüchteter Juden wurde unter dem hebräischen Namen Linas Hacedek [„Nachtlager für Bedürftige“] bereits am 7. Januar 1933 gegründet, und zwar von dem Rechtsanwalt Karl Bakofen und dem Gymnasiallehrer Eugen Lieben.10 Anlass dürften die steigenden Zahlen polnisch-jüdischer Flüchtlinge gewesen sein, die Deutschland auf Grund der wachsenden Bedrohung durch die nationalsozialistische Bewegung verlassen hatten. Karl Bakofen führte den Vorsitz, Stellvertreter und Geschäftsführer waren Jakub Hornik und Oskar Bester. Laut Satzung sah Linas Hacedek seine Aufgabe darin, „bedürftigen Juden, insbesondere durchziehenden, kostenlos oder billig Quartier zu verschaffen.“11 Dies erfolgte privat (Untermiete) oder in einer Herberge. Linas Hacedek hoffte darauf, Gelder für den Bau einer eigenen Herberge beschaffen zu können.12 Dazu kam es nicht mehr, denn im Frühjahr 1933 übernahm das neu eingerichtete Jüdische Hilfskomitee die Aufgaben des Vereins. Hilfsaufrufe des Linas Hacedek erschienen in der Presse erst nach dem antijüdischen Boykott Anfang April 1933. So war im Prager Tagblatt zu lesen: Menschenfreunde! Juden! Jüdische Menschen, ohne alle andere Schuld als die ihres Judentums, Opfer eines blinden nationalen Fanatismus, müssen ihre Heimat verlassen, in der sie oft durch Jahrhunderte, seit ihrer Urväter Zeiten sesshaft sich ihre wirtschaftliche und soziale Position in ehrlicher Arbeit schufen. Diesen Unglücklichen, die der Weg ihrer Flucht in das ungewisse Land der Zukunft auch über Prag führt, wenigstens für den vorübergehenden Aufenthalt hier Unterkunft zu bieten, ist unser aller heiligste Bruder- und Menschenpflicht. Der jüdische Asylverein „Linas Hacedek“, der diesem heiligen Dienste seine Kräfte leiht, bittet alle Menschen, die guten Herzens die Tragik der Stunde zu verstehen, bald und reichlich für dieses Hilfswerk zu spenden.13

Die Zahl der Flüchtlinge, die im Frühjahr 1933 in der Tschechoslowakei ankamen, war relativ gering, und dank des ihnen entgegengebrachten Interesses waren sie gut versorgt. Die Hilfe bezog sich vor allem auf Unterbringung und Verpflegung. In Prag gewährten etliche Hotels eine erste kostenlose Übernachtung.14 Kostengünstige Mittagessen für die deutschen Flüchtlinge organisierte in den ersten Wochen in größerer Menge der Club deutscher Künstlerinnen in der Altstadt,15 10 In der bisherigen Forschung zur Emigration in der Tschechoslowakei hat Linas Hacedek noch keine Beachtung gefunden. 11 AMP, SK, Sign. II/922: Vereinsbuch. 12 Ebda. 13 „Jüdischer Asylverein ‚Linas Hacedek‘ Prag“, Prager Tagblatt, 4.4.1933, S. 8. 14 Max KREUZER: „Asyl in Prag“, Prager Tagblatt, 4.6.1933, Pfingstbeilage, S. I. 15 DEA, Nachlass Willy Sternfeld, Sign. EB 75/177, B.I.1 (5): Sternfelds nicht publiziertes Buchmanuskript Die Czechoslovakei als Asylland der Flüchtlinge aus Nazi Deutschland, Kapitel „Demokratische Flüchtlingsfürsorge“, S. 4.

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später der YMCA und die Mensa für Handelsbeamte. Viele Privatpersonen luden die Flüchtlinge mehrmals wöchentlich an den häuslichen Mittagstisch.16 Auf positive Resonanz stießen auch die Kleidersammlungen – gebrauchte Kleidung von Privatleuten, neuwertige von Kaufhäusern. Selbst ärztliche Hilfe war in den ersten Monaten kein Problem. Um die misshandelten Flüchtlinge kümmerten sich vor allem die deutschen Ärzte in den Krankenhäusern und Bädern des Grenzgebiets. Mit Dankbarkeit erinnert sich daran der Schauspieler, Schriftsteller und Theaterregisseur Paul Barnay, der am 10. März 1933 in einem Wald hinter Breslau von mehreren SA-Männern zusammengeschlagen und unter Androhung weiterer Maßnahmen aus Deutschland vertrieben wurde. Die ersten Wochen in der Emigration verbrachte er in Bad Gräfenberg (Lázně Jeseník), wo sich die Ärzte um seine Genesung bemühten: Das Sanatorium Gräfenberg war in klinischer Beziehung mustergültig. Die Ärzte waren rührend zu mir. Obwohl ich kein Geld hatte – ich wurde wie ein Fürst behandelt. Die Nazis hatten mich gefoltert! So war ich in den Augen ethisch hochstehender Männer ein Märtyrer.17

Bei all diesen Hilfeleistungen freilich ging man davon aus, dass sie nur vorübergehend notwendig seien. Nach dem Reichstagsbrand, den Märzwahlen in Deutschland und dem Ermächtigungsgesetz war jedoch klar, dass Hitler seine Position weiterhin würde festigen können. Das Präsidium der Landesbehörde in Prag übermittelte dem Innenministerium Ende Juni 1933 einen Bericht, demzufolge die grenznahen Zweigstellen der deutschen Sozialdemokratie und zum Teil auch der Kommunisten die Flüchtlinge an andere Organisationen oder an ihre Mitglieder „empfehlen und verweisen“. „Diese Flüchtlinge ziehen dann von Kreis zu Kreis und entgehen jeder amtlichen Registrierung.“ Zwar sei, so der Bericht, die Zahl der deutschen Flüchtlinge nicht besonders groß und in der Regel würden sie in den deutsch-tschechischen Mischgebieten verbleiben. Ihre Situation aber sei höchst unerfreulich, denn die meisten hätten auf eigene Faust aus Deutschland flüchten müssen, und zwar unvorbereitet und ohne alle Mittel.18 Anstelle der spontanen und oft unkoordinierten Hilfe von Privatpersonen und kleineren Korporationen formierten sich Hilfskomitees und übernahmen eine tragende Rolle. Zusätzlich zur Demokratischen Flüchtlingsfürsorge wurden im April und Mai 1933 weitere Hilfsorganisationen ins Leben gerufen – das Jüdische Hilfskomitee, die Sozialdemokratische Flüchtlingsfürsorge, das Hilfskomitee des

16 KREUZER: „Asyl in Prag“, S. I. 17 Archiv des Jüdischen Museums Berlin, Leo Baeck Institute, Memoir Collection, LBI JMB MM5: Paul Barnay, Manuskript der Erinnerungen „Mein Leben“, S. 278. 18 NA, PMV, 1931–1935, Sign. X/N/9/11, K. 844–4/30–31: Vermerk PMV, 30. 6. 1933.

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Einheitsverbands der Privatangestellten und das Hilfskomitee für Flüchtlinge, bekannter unter dem Namen „Šalda“-Komitee. Die Euphorie, mit der man den vor Hitler Geflüchteten beistand, flaute jedoch im Lauf des Jahres allmählich ab. Das wirkte sich auch auf die Tätigkeit der Komitees aus. Konnten sie ganz am Anfang oft auch mehr als zehn Kronen täglich auszahlen und die Flüchtlinge mit all den für das tägliche Leben nötigen Dingen versorgen, so wurde es im Weiteren zunehmend schwierig, durch Spendenaktionen die Mittel für einen auch noch so bescheidenen Unterhalt aufzutreiben. Robert Larus, deutscher Flüchtling in Prag, schildert die Situation im Juni 1934 in der Exilzeitschrift Europäische Hefte: Die Komitees, denen in der ersten Zeit der Emigration die Spenden noch reichlich zuflossen, waren zunächst – bis zum Sommer oder bis zum Herbst 1933 – in der Lage, aus dem Vollen zu wirtschaften. Einige benutzten das, optimistisch, zu einer relativ großzügigen Verteilung ihrer Mittel; sie machten zuerst Bankrott. Andre wirtschafteten von Anfang an rationell, wirtschafteten bei vollen Kassen billig und dehnten den Radius ihrer Hilfeleistung aus. Aber allmählich wurde ein Komitee nach dem andern gezwungen, sich jeden Morgen von neuem nach den für den Tag unerlässlichen Mitteln umzusehn.19

Die Hilfskomitees Für den tschechoslowakischen Staat war die Flüchtlingsproblematik nichts Neues. Gleich zu Beginn hatte sich die junge Republik mit den (überwiegend jüdischen) Flüchtlingen aus Galizien auseinandersetzen müssen, die sie dann noch in den ersten Monaten ihres Bestehens zum Verlassen des tschechoslowakischen Territoriums aufforderte.20 Anders verfuhr man gegenüber den russischen und ukrainischen Flüchtlingen, die zwischen 1917 und 1922 in mehreren Wellen in die Tschechoslowakei kamen und deren Zahl schließlich an die 25 000 betrug.21 Damals entschied sich die tschechoslowakische Regierung für das Projekt Russische Hilfsaktion, das in Europa nicht seinesgleichen kannte. Es sicherte die Flüchtlinge aus dem ehemaligen russischen Imperium nicht nur materiell ab, 19 Robert LARUS: „Kredit den Emigranten!“, Europäische Hefte, 14.6.1934, Jg. 1, Nr. 5, S. 132– 137, S. 135. 20 Die Haltung der Tschechoslowakischen Republik gegenüber den Flüchtlingen aus Galizien in den ersten Monaten der staatlichen Autonomie wurde bisher nicht untersucht. Allgemein zu den galizischen Flüchtlingen in den böhmischen Ländern während des Ersten Weltkriegs sieh: KUDĚLA: „Galician and East European Refugees in the Historic Lands: 1914–16“, S. 15–32. 21 BARVÍKOVÁ: „Ruští emigranti v Československu v letech 1918–1938“, in: Exil v Praze a Československu 1918–1938. S. 9–13, siehe S. 9.

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sondern sah auch die Erteilung einer Arbeitserlaubnis und eine umfassende Unterstützung spezieller Bildungseinrichtungen vor. Obwohl die Russische Hilfsaktion nur für sechs Jahre geplant war, erhielten die Flüchtlinge aus Russland in begrenztem Maß bis zum Ende der Ersten Republik staatliche Unterstützung. Zwar steuerten zahlreiche Mäzene und verschiedene Bürgervereine zu der Hilfsaktion für die russischen und ukrainischen Flüchtlinge bei, doch im Großen und Ganzen hing sie an der Unterstützung durch die Regierung und den Präsidenten der Ersten Republik. Die Fürsorge für die Flüchtlinge aus NS-Deutschland hingegen lag von Beginn an in freiwilliger Hand, bei verschiedenen kleinen Bürgervereinen und den Hilfseinrichtungen der Linksparteien. Die Zahl der Flüchtlinge aus Deutschland betrug nur einen Bruchteil derjenigen aus Russland und ihre Unterstützung hätte keine vergleichbaren finanziellen Anstrengungen erfordert; dennoch fasste die Regierung nichts dergleichen ins Auge und zog auch eine Eingliederung der Flüchtlinge in die Gesellschaft nicht in Erwägung. Von den Bürgerinitiativen reagierte auf die Ankunft der Flüchtlinge als erstes die 1929 auf Anregung von Edvard Beneš gegründete Liga für Menschenrechte in der Tschechoslowakei. Deren Erster Vorsitzender war bis zu seinem Tod der Philosoph Emanuel Rádl. Auch Friedrich Bill, der Zweite Vorsitzende, spielte eine wichtige Rolle; er war Journalist und Chefredakteur der Zeitschrift Aufruf. Die Leitung der tschechoslowakischen Liga für Menschenrechte erhielt ihre Informationen über die Situation in Deutschland aus erster Hand: von Kurt Grossmann, dem Vorsitzenden der dortigen Liga für Menschenrechte. Grossmann und Bill waren freundschaftlich verbunden.22 Nach dem Reichstagsbrand flüchtete Grossmann schließlich selbst in die Tschechoslowakei. Hier wurde er Sekretär des Hilfskomitees, dessen Gründung die Liga initiiert hatte und das sie teilweise auch finanzierte. Die wachsende Zahl der Flüchtlinge führte in den folgenden Monaten zur Gründung weiterer Hilfskomitees, die der politischen Zugehörigkeit der Flüchtlinge Rechnung trugen. Die meisten Hilfesuchenden wandten sich freilich, insbesondere nach dem Judenboykott in Deutschland Anfang April 1933, an das Hilfskomitee der jüdischen Gemeinde. Auch wenn sie offiziell erst später gegründet wurden, nahmen alle wichtigen Komitees ihre Tätigkeit bereits im März und April 1933 auf, als sie sich eines teilnehmenden Interesses seitens der tschechoslowakischen Gesellschaft sicher sein konnten. Die Gründungsmitglieder hatten nicht vor, mit ihrer Hilfe zu warten, bis die Polizeidirektion oder auch das Innenministerium die Genehmigung dazu erteilen würden. In den Vorständen, die in das Vereinskataster eingetragen wurde, figurierten zudem überwiegend tschechoslowakische Staatsbürger, oft Persönlichkeiten, deren Name das Interesse der 22 Peter BECHER: „Kurt R. Grossmann und die Demokratische Flüchtlingsfürsorge“, in: BECHER, HEUMOS (Hg.): Drehscheibe Prag, S. 53–64, siehe S. 55.

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Die Hilfskomitees

Öffentlichkeit auf sich zog. Die tägliche Arbeit und die Agenda der Komitees lag hingegen zu weiten Teilen in den Händen ausgewählter reichsdeutscher Flüchtlinge, die auf diese Weise Arbeit hatten und die außerdem die Probleme des Exils bestens kannten.

Kurt Grossmann, Sekretär der Demokratischen Flüchtlingsfürsorge

Obwohl die Demokratische Flüchtlingsfürsorge ihre Tätigkeit bereits Ende März aufgenommen hatte, etablierte sie sich offiziell erst am 9. Mai. Der Vorstand wurde von der konstituierenden Vollversammlung am 23. Mai 1933 in den Klubräumen des Café Urban gewählt: Vítězslav Neumann, ein Prager Verleger, wurde zum Erster Vorsitzenden bestimmt, Stellvertretende Vorsitzende wurden der Prager Verleger Hugo Stein sowie die Sozialdemokratin und Parlamentsabgeordnete Marie Jurnečková; das Amt des Geschäftsführers übernahm Paul Nettl, Dozent für Musikwissenschaft an der Prager deutschen Universität.23 Vítězslav Neumann hatte den Vorsitz laut Vereinskataster zwar bis 1938 inne, in praxi aber wurde das Hilfskomitee von seinem Sekretär Kurt Grossmann geführt.24 Grossmann war seit Ende der 1920er Jahre mit dem Schicksal von Staatenlosen befasst und verfügte hinsichtlich der Flüchtlingsarbeit über große Erfahrung.25 23 Schatzmeister war der Geschäftsmann Richard Epstein, Referent für die Zuweisung von Unterstützungszahlungen Regierungsrat a.D. Emil Wiesmeyer; zu den weiteren Mitgliedern zählten Adolf Bischický, der Optiker Julius Deutsch, die Professoren der tschechischen Universität Otokar Fischer, Emanuel Rádl und František Šeracký, der Redakteur Jiří Mannheimer, Oberfinanzrat Bedřich Pick und das Ehepaar Anna und Richard Rosenheim. AMP, SK, Sign. XXII/2030: Demokratische Flüchtlingsfürsorge (Demokratická péče o běžence). 24 Eine detaillierte Biographie Kurt Grossmanns hat Lothar MERTENS vorgelegt: Unermüdlicher Kämpfer für Frieden und Menschenrechte. Leben und Wirken von Kurt. R. Grossmann. Berlin 1997. 25 Siehe die Artikel von Kurt Grossmann in der deutschen Presse. Z.B. „Helft den Staatenlosen“, Dortmunder Generalanzeiger, 24.2.1929; „Das Los der Staatenlosen“, Vossische Zeitung, 9.3.1929.

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Als das „Grossmann“-Komitee, wie es gemeinhin genannt wurde, am 30. März seine Arbeit aufnahm, meldeten sich zunächst 42 Flüchtlinge. Bis zum 2. Mai 1933 waren es 222, zwei Wochen später 264. Zu jener Zeit nahmen aber auch die anderen Hilfskomitees ihre Arbeit auf und die Zahl der Flüchtlinge, die von der Demokratischen Flüchtlingsfürsorge betreut wurden, konsolidierte sich im Laufe der folgenden sieben Monate auf ungefähr 140 Personen.26 Die politischen Flüchtlinge wurden in den ersten Wochen nach dem Januar 1933 vor allem von der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und der Komunistická strana Československa (der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, im Weiteren KSČ) unterstützt. Siegfried Taub, der Vorsitzende der tschechoslowakischen Sozialdemokraten, initiierte die Gründung der Sozialdemokratischen Flüchtlingsfürsorge, die ursprünglich beim Abgeordnetenklub der deutschen Sozialdemokratischen Partei angesiedelt war. Unterstützung erhielt sie auch von der in Prag im Exil lebenden Führung der deutschen Sozialdemokratie. Vorsitzender der Sozialdemokratischen Flüchtlingsfürsorge wurde Siegfried Taub; zu seinem Stellvertreter wählte man den Sekretär der deutschen Sozialdemokratischen Partei Ernst Paul. Unter den Vorstandsmitgliedern befanden sich außerdem noch der Vorsitzende des Verbands der Metallarbeiter Franz Kaufmann sowie als Vertreter der Flüchtlinge Hans Vogel und Erich Ollenhauer, beide Mitglieder der SoPaDe. Wilhelm Sander, früher für die Sozialdemokraten in der Dresdener Stadtverordnetenversammlung, wurde zum Sekretär bestellt.27 Die Sozialdemokratische Flüchtlingsfürsorge unterstützte nur diejenigen Flüchtlinge, die nachweisen konnten, dass sie in Deutschland Mitglied der Sozialdemokratischen Partei gewesen waren und gegenwärtig über keinerlei Mittel verfügten. Außer den Sozialdemokraten kümmerten sich auch die Gewerkschaftsverbände in aufopfernder Weise um die ersten Flüchtlinge. Die deutsche Gewerkschaftsbewegung war in der Tschechoslowakei während der Ersten Republik sehr aktiv; das spiegelte sich auch in den Mitgliederzahlen der gewerkschaftlichen Organisationen. Innerhalb des Tschechoslowakischen Gewerkschaftsverbands [Odborové sdružení Československé] verzeichneten die Gewerkschaften der deutschen Minderheit in der Tschechoslowakei (die mehrheitlich in West- und Nordböhmen ansässig war) im Jahr 1934 212 000 Mitglieder.28 Die tschechischsprachigen Gewerkschaften zählten 429 000 Mitglieder, was, bei der Zahl der tschechischsprachigen Landesbewohner, von einer prozentual viel geringeren ge26 GROSSMANN: Emigration. 27 PAUL: „Emigration und Widerstand, 4.5.1933“, S. 42–44. 28 Diese wurden zwar für Mitglieder des Tschechoslowakischen Gewerkschaftsverbands (Odborové sdružení československé) erachtet, aber sie waren zugleich Mitglieder ihrer eigenen Organisation, der Zentralgewerkschaftskommission des deutschen Gewerkschaftsbundes in der Tschechoslowakei. Siehe Přehled dějin československého odborového hnutí. Praha 1984, S. 249 und 651, Anm. 4.

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werkschaftlichen Organisierung zeugt.29 Da die deutschen Gewerkschaften ihren zentralen Sitz in Reichenberg hatten und die Gewerkschafter hauptsächlich im nördlichen und westlichen Grenzgebiet Böhmens zu Hause waren, ergab sich ihr unmittelbares Engagement bei der Hilfe für die Flüchtlinge aus Deutschland gewissermaßen von selbst. Dabei nutzten sie ihre noch aus der Zeit vor Hitler stammenden Kontakte zu den Gewerkschaften in Sachsen, Bayern und Schlesien und versuchten, den Flüchtlingen außer Unterkunft und Verpflegung auch eine soziale Sicherung und, in einigen wenigen Fällen, Arbeit zu verschaffen.30 Offiziell aber wurde die Flüchtlingshilfe für diejenigen, die früher Mitglieder in einem Gewerkschaftsverband waren, bald vom Hilfskomitee des Einheitsverbands der Privatangestellten übernommen. Dessen Gründung geht zurück auf Robert Klein, einen sozialdemokratischen Abgeordneten im tschechoslowakischen Parlament, der dem tschechischen Verband der Privatangestellten vorstand. Das Hilfskomitee wurde nach seinem Gründer kurz auch „Klein“-Verband genannt. Anspruch auf Unterstützung hatten die ehemaligen Mitglieder des deutschen Zentralverbands der Angestellten, des Bundes der technischen Angestellten und des Deutschen Werkmeisterverbands. Die Zuwendungen unterschieden sich anfangs nicht von denen der anderen Komitees. Diese waren dann aber bald gezwungen, die Ausgaben für die Flüchtlinge zu begrenzen, oft auf mehr als die Hälfte der ursprünglichen Summe, während die Gewerkschafter vom „Klein“-Verband ihre Unterstützung bis Mitte 1938 in ursprünglicher Höhe bezogen. Meist handelte es sich um deutsche Sozialdemokraten, für die dann die Sozialdemokratische Flüchtlingsfürsorge nicht mehr aufkommen musste.31 Das Hilfskomitee für jüdische Flüchtlinge und Emigranten aus Deutschland (im Weiteren Jüdisches Hilfskomitee) ging aus der Notwendigkeit hervor, die gleich von Beginn an vor allem von den jüdischen Gemeinden im Grenzgebiet sowie in Prag geleistete Flüchtlingshilfe zu koordinieren. Anfang April 1933 versammelten sich in Prag die Vertreter der jüdischen Gemeinden, die Vorsitzenden der bereits bestehenden Vereine und Fonds sowie weiterer karitativer Einrichtungen, um ihre Aktivitäten zusammenzuführen. Eine übergreifende und richtungsweisende Rolle bei der Organisation der jüdischen Flüchtlingsfürsorge spielte der B’nai B’rith-Orden, der sich seit seiner Gründung Ende des 19. Jahrhunderts einer karitativen Tätigkeit verschrieben hatte. Nicht zufällig waren die Zweigstellen des Jüdischen Hilfskomitees gerade in jenen Städten entstanden, wo dieser Orden Logen hatte, d.h. in Karlsbad, Pilsen (Plzeň), Reichenberg, TeplitzSchönau, Brünn, Troppau (Opava), Böhmisch Budweis (České Budějovice), Saaz 29 Ebda., S. 248. 30 DEA, Nachlass Willy Sternfeld, Sign. EB 75/177, B.I.1(6): Sternfelds nicht publiziertes Buchmanuskript Die Czechoslovakei als Asylland der Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland, Kapitel „Gewerkschaftsbund“, S. 1–2. 31 PAUL: „Emigration und Widerstand, 4.5.1933“, S. 44.

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(Žatec), Mährisch Ostrau, Trautenau und Olmütz (Olomouc). In Mähren und Schlesien leisteten auch einzelne Gemeinden Hilfe, die der Zentrale in Brünn unterstellt waren. Über den Landeszentralen für Böhmen und Mähren mit Sitz in Prag bzw. Brünn stand das Prager Zentralkomitee. Dessen Ehrenvorsitzender war Josef Popper, der Präsident der tschechoslowakischen Loge des B’nai B’rith. Mit der praktischen Organisation der Flüchtlingshilfe wurden jedoch Marie Schmolka – sie war vor allem für rechtliche Probleme und die Kontakte mit den staatlichen Behörden zuständig – und Hanna Steiner betraut, die sich von Beginn an auf Requalifikationskurse spezialisierte.32 Insbesondere Schmolka spielte bei der Hilfe für die Flüchtlinge aus NS-Deutschland eine zentrale Rolle und war eine ähnlich herausragende Persönlichkeit wie Saly Mayer in der Schweiz oder Gertrude von Tijn in den Niederlanden.33 Mit seinen Hilfsaufrufen richtete sich das Jüdische Hilfskomitee vor allem an die jüdischen Kultusgemeinden; nur ausnahmsweise wurden sie auch in der nichtjüdischen Presse abgedruckt.34 Die Prager jüdische Gemeinde stellte dem Komitee kostenlos fünf Räume in ihrem Gebäude in der Joachimsthaler Straße 3 ( Jáchymova 3) zur Verfügung. Dort befand sich auch die jüdische Schule.35 Als das Jüdische Hilfskomitee gegründet wurde, ahnte keiner, welche Dimensionen die Flüchtlingsfrage später einmal annehmen würde. In den ersten drei Monaten war die Zahl der Flüchtlinge noch gering, doch von Juni bis Dezember 1933 hatte das Komitee durchschnittlich 400 Personen zu versorgen. Erst Anfang Januar 1934 wurden es wieder weniger und im September handelte es sich schätzungsweise nur noch um ca. 80 Personen.36 Vor allem nach dem Erlass der Nürnberger Gesetze (Reichsbürgergesetz und Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre) stieg die Zahl der jüdischen Flüchtlinge jedoch erneut, so dass das Hilfskomitee innerhalb weniger Monate dreißig Zweigstellen einrichten musste, die meisten davon im Grenzgebiet.37 Das Jüdische Hilfskomitee stand seitens des Innenministeriums unter großem Druck. Die Zahl der jüdischen Flüchtlinge auf tschechoslowakischem Territorium sollte auf ein Minimum begrenzt bleiben. Das Komitee suchte daher vor allem nach weiteren Ausreisemöglichkeiten. Juden, die keine tschechoslowakische oder 32 AŽMP, Fond HICEM, Sign. 8977: Bericht des Jüdischen Hilfskomitees (Pomocný komitét pro židovské uprchlíky a emigranty z Německa), S. 1–2. 33 Yehuda BAUER: My Brother’s Keeper. A History of the American Jewish Joint Distribution Committee 1929–1939. Philadelphia 1974, S. 177. 34 Eine Ausnahme macht der in der liberalen deutschen Zeitschrift Die Wahrheit, abgedruckte Aufruf; siehe „Menschenfreunde! Juden!“, Die Wahrheit, 1.5.1933, Nr. 9, S. 14. 35 AŽMP, Fond Jüdische Kultusgemeinde Prag, Protokolle der Sitzungen der Repräsentanten aus dem Jahr 1934: Sitzung am 4.5.1934. 36 AŽMP, Fond HICEM, Sign. 8977: Bericht des Jüdischen Hilfskomitees, S. 4. 37 Archive of AJJDC, Fond 33/44, K. 687/1, 1933–1934: Report on refugee committees of Switzerland, Austria and Czechoslovakia, 7.2.1934.

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deutsche Staatsbürgerschaft hatten, sollten repatriiert werden. Das betraf vor allem die polnischen Juden, die sich in der Tschechoslowakei nur wenige Tage aufhalten konnten. Art und Umfang der Hilfe, die das Jüdische Komitee leistete, lässt sich mit der anderer Organisationen nicht vergleichen. Diese sorgten meist nur für Unterkunft und Verpflegung. Und auch die Zahlen unterscheiden sich. Die Hilfskomitees für politische Flüchtlinge hatten meist nur einige Hundert Personen zu versorgen, das Jüdische Hilfskomitee hatte dagegen jährlich mit einigen tausend Fällen zu tun. Allein zwischen dem 1. April 1933 und dem 30. September 1934 hat das Komitee ca. 2800 Flüchtlinge unterstützt; weitere 1500 wurden von verschiedenen Zweigstellen registriert.38 Mehrere Hundert dieser Flüchtlinge waren tschechoslowakische Repatrianten, die Unterstützung erhielten, bis sie Arbeit gefunden hatten.39 Ein gewisser Anstieg der Flüchtlingszahlen zeigt sich im Jahr 1935, und zwar im Zusammenhang mit den Nürnberger Rassengesetzen. Im selben Jahr kam es zu einer umfassenden Reorganisation der Sozialhilfe in den jüdischen Kultusgemeinden von Prag und Umgebung. Alle bisherigen karitativen Organisationen, Stiftungen und Vereine wurden zusammengelegt zum Sozialinstitut der jüdischen Kultusgemeinden von Groß-Prag (im Weiteren Sozialinstitut). Zuständig für die Flüchtlingsfürsorge war innerhalb des Sozialinstituts eine Abteilung unter der Leitung von Heinrich Hoffmann, der später in Palästina den Namen Chaim Yahil annahm. Im Frühjahr 1936 eröffnete die internationale Organisation HICEM eine Filiale in Prag, die von Marie Schmolka und Hanna Steiner geleitet wurde. Die HICEM versuchte, den Flüchtlingen die Emigration in ein Drittland zu ermöglichen. Im Mittelpunkt seiner Tätigkeit standen daher zwei Dinge: die Beschaffung von Visa, was nicht selten komplizierte Verhandlungen verlangte, und die Beschaffung des für die Reise nötigen Gelds. Den Besonderheiten der Flüchtlingshilfe für Juden ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Das letzte der im Frühjahr 1933 gegründeten Organisationen war das Hilfskomitee für deutsche Flüchtlinge. Initiiert hatte diese Gründung Grete Reiner,40 die deutsche Übersetzerin von Jaroslav Hašeks Schwejk. Der organisatorische Aufbau lag in den Händen des namhaften Rechtsanwalts und Musikkritikers Jan Loewenbach und seiner Frau Vilma. Das Komitee sollte vor allem Flüchtlingen aus intellektuellen Kreisen zur Seite stehen. Die Schirmherrschaft übernahm Profes38 AŽMP, Fond HICEM, Sign. 8977: Bericht des Jüdischen Hilfskomitee, S. 10. 39 Chaim YAHIL: „Social Work in the Historic Lands“, in: The Jews of Czechoslovakia, Bd. 2, S. 393–400, siehe S. 396. 40 DEA, Nachlass Will Sternfeld, Sign. EB 75/177, B.I.3.a: Vilma Loewenbach: Die Emigration der Antihitler-Deutschen nach Prag, ab 1933. (Das unvollständige Bild eines einzigen, wenn nahen, Beobachters); siehe auch Willy STERNFELD: „Zuflucht in Prag“, in: Begegnungmit der Tschechoslowakei. Aus dem Programm der Tschechoslowakischen Woche. Bremen 1965, S. 203. Zu den unterschiedlichen Darstellungen der Entstehung des „Šalda“-Komitees siehe unter Kapitel „Klassenkampf oder Flüchtlingshilfe?“

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sor F.X. Šalda. Daher hieß das Komitee bei den Deutschen auch „Šalda“-Komitee, bei den Tschechen kurz „Šaldák“.41 Über die Gründung des Komitees berichtet das Prager Tagblatt Ende April 1933 und nennt unter seinen Mitgliedern neben Šalda auch Otokar Fischer und Antonín Matějček.42 Der Öffentlichkeit stellte sich das Komitee im Rahmen eines Protestabends im Saal der Viktualien-Börse (Plodinová bursa) auf dem Heumarkt vor [Senovážné náměstí, heute Zentrale der Tschechischen Nationalbank]. F.X. Šalda hielt einen Vortrag und Otokar Fischer rezitierte seine Übersetzung der Briefe an Diotima aus Friedrich Hölderlins Hyperion.43 Die Versammlung wählte F.X. Šalda zu ihrem Ersten Vorsitzenden, zu dessen Stellvertretern bestimmte sie Antonín Matějček, Professor für Kunstgeschichte, Václav Vydra, Schauspieler und Regisseur, sowie Jan Thon. Die Geschäftsführung lag bei Bedřich Fischer und Jiří Kohn.44 Ein erster Spendenaufruf des Komitees erschien am 5. Mai 1933 im Prager Tagblatt unter der Überschrift „Tschechen für Deutsche“. Das Hilfskomitee, so heißt es, sei als „unpolitische überparteiliche und unabhängige Einrichtung gegründet worden“, die „deutschen Flüchtlingen ohne Unterschied von Rasse, Nationalität und Konfession helfen soll“.45 In Wirklichkeit aber sammelten sich um das „Šalda“-Komitee zunehmend kommunistische Flüchtlinge. Grund hierfür war nicht nur, dass bis zum Abschluss des internationalen Abkommens mit der Sowjetunion die Tätigkeit der kommunistischen Hilfsorganisationen von den Behörden stark beschränkt wurden, sondern auch, dass die Kommunisten das Komitee 1934 mit fragwürdigen Methoden an sich gerissen hatten. Erst 1934 entstand dann auch die Vereinigung zur Unterstützung deutscher Emigranten (im Weiteren kommunistische Vereinigung),46 deren Vorstand und Mitglieder ausnahmslos der kommunistischen Partei angehörten oder aber mit der kommunistischen Bewegung sympathisierten. Die kommunistische Vereinigung wurde 1935 der Organisation Solidarität unterstellt, deren Tätigkeit sich auch auf andere soziale Bereiche erstreckte (Familien von Inhaftierten, Familien in Not usw.) und in etwa der früheren kommunistischen Roten Hilfe [Rudá pomoc] entsprach. 41 DEA, Nachlass Willy Sternfeld, Sign. EB 75/177, B.I.3.a: Vilma Loewenbach: Die Emigration der Antihitler-Deutschen nach Prag, ab 1933, S. 1 u. 4. 42 Prager Tagblatt, 29.4.1933, S. 4. Im Vereinskataster wurde seine Gründung erst verspätet zum 3. Oktober 1933 gemeldet, siehe AMP, SK, Sign. II/934: Vereinskataster. 43 DEA, Nachlass Willy Sternfeld, Sign. EB 75/177, B.I.3.a: Vilma Loewenbach: Die Emigration der Antihitler-Deutschen nach Prag, ab 1933, S. 1. 44 Die Geschäftsführung lag bei Bedřich Fischer und Jiří Kohn. AMP, SK, Sign. II/934: Vereinskataster. 45 „Tschechen für Deutsche“, in: Prager Tagblatt, 5.5.1933, S. 5. Über die Gründung des Komitees hatte das Prager Tagblatt bereits am 29.4.1933, S. 4, berichtet. 46 AMP, SK, Sign. II/958: Vereinigung zur Unterstützung deutscher Emigranten [Sdružení k podpoře německých emigrantů].

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Zur Unterstützung sozialdemokratischer und kommunistischer Flüchtlinge aus Österreich wurde nach dem misslungenen Umsturzversuch im Februar 1934 in Brünn eine Zentralstelle für österreichische Flüchtlinge eingerichtet. An ihrer Spitze stand Václav Kovanda, der Leiter des Brünner Genossenschaftsvereins Vzájemnost-Včela [Wechselseitigkeit-Biene]. Die tschechoslowakische Sozialdemokratie war in diesem Komitee durch Bohuslav Ečer und František Tymeš vertreten, die deutsche durch Edmund Pipal und David Hochmann.47 Insgesamt muss jedoch gesagt werden, dass die tschechischsprachige Bevölkerung der böhmischen Länder sich vor dem Münchner Abkommen mit dem Schicksal der Flüchtlinge nur minimal befasste. Es waren vor allem einzelne Persönlichkeiten, politisch eher links orientiert, oft mit beiden Kulturen vertraut, bilingual und häufig jüdischer Herkunft, die in der tschechischen Gesellschaft auf die Probleme der Flüchtlinge aufmerksam machten. Die Deutschen in der Tschechoslowakei, vor allem die in den Grenzgebieten, hatten enge wirtschaftliche und familiäre Kontakte nach Deutschland. Über die Situation in Deutschland waren sie informiert und den Flüchtlingen zu helfen erschien ihnen als Selbstverständlichkeit. Auch innerhalb der jüdischen Gemeinden zeigten die Juden im Grenzgebiet und in Prag das größte Engagement; hier schließlich war man mit dem Flüchtlingsproblem am stärksten konfrontiert. Das Desinteresse der Tschechen erklärt sich in erster Linie aus einer Unkenntnis der Situation, der sich die Flüchtlinge und Gegner des NS-Regimes in Deutschland ausgesetzt sahen. Auch wer sich in der Presse einigermaßen zu informieren suchte, war nicht wirklich berührt, solange er sich nicht persönlich mit der Problematik konfrontiert sah. Vilma Loewenbach vom „Šalda“-Komitee schildert in ihren Erinnerungen eine Episode aus ihrem Arbeitsalltag, die dies bestätigt. Der folgende Auszug enthält einige grammatische Fehler, die wir nicht berichtigt haben. Viele, besonders unter čechischen Ariern, die von den Vorgängen in Deutschland in den Zeitungen lasen, wurden sich konkret ihrer erst bei direkter Berührung bewusst. Ein wunderbarer Emigrant, Setzer, hochintelligent, verwachsen und offenbar schwerleidend, […] musste unbedingt ins Spital. Woher die dort verlangten Mittel dazu auftreiben? Die deutsche Klinik war schon damals vernazit, für die čechische blieb er ein Fremder. Ganz zufällig rief da Sonntags Docent [ Jaroslav] Jedlička an, der bekannte Lungenspezialist. Er war sehr erregt: sein sehr geschätzter Fachkollege […], verständige ihn eben von seinem trostlosen Schicksal – das übliche jüdischer Ärzte. Er bat um Aufnahme in die CSR und um Hilfe. Dr Jedlicka, zu erstenmal mit Nazitum konfrontiert, war entrüstet und ergriffen von der Grausamkeit und Absurdität: einer Kapazität 47 Vojtěch BLODIG: „Die tschechoslowakischen politischen Parteien und die Unterstützung der deutschen und österreichischen Emigration in den 30er Jahren“, in: Peter GLOTZ (Hg.): München 1938. Das Ende des alten Europa. Essen 1990, S. 251–270, hier S. 267.

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auf seinem Gebiet einfach die Arbeitsmöglichkeit zu nehmen! Es gelang via jüdisches Komitee einiges einzuleiten. Dr. Jedlicka war gleich voll Einsicht und Dankbarkeit zu Gegenhilfe bereit, und so ebnete er uns sofort bei dem schwierigen Dir. Droškář im Allg. Krankenhaus die Aufnahme unseres kranken Setzers, und somit auch für weiter die Wege dahin.48

Finanzierung der Hilfe Eine wichtige Frage ist auch, wer die Arbeit der Hilfskomitees finanzierte. Betont sei zunächst, dass die tschechoslowakischen Behörden – ganz anders als es die verbreitete These von der Tschechoslowakei als Zufluchtsstätte für die vom Nationalsozialismus Verfolgten vermuten lässt – eine finanzielle Unterstützung der Flüchtlinge mit Ausnahme weniger Einzelfälle ablehnten. Die Zuwendungen, um die die Hilfskomitees wiederholt ersuchten, hätten dabei nur die Hälfte des Betrags ausgemacht, den die Regierung zur selben Zeit in die eher schon erlöschende Russische Hilfsaktion zu investieren bereit war. 1935 zum Beispiel unterstützte die Regierung die russischen und ukrainischen Flüchtlinge, deren Zahl sich damals um die acht bis zehntausend bewegte, mit drei Millionen Kronen.49 Im selben Jahr hatte Schmolka bei der Regierung vergeblich Finanzmittel in Höhe von 1 520 000 Kronen beantragt. Mit dieser Summe hätten alle Hilfsorganisationen ihre Ausgaben für die Flüchtlinge aus Deutschland über ein Jahr hin decken können.50 Dennoch erklären Historiker, die sich mit der russischen Emigration in der Tschechoslowakei beschäftigen, die Kürzungen für die Russische Hilfsaktion fälschlicherweise damit, dass der Staat seit 1933 in erster Linie Flüchtlinge aus NS-Deutschland sowie die Sozialdemokraten aus Österreich unterstützen musste. Dabei wird die Zahl dieser Flüchtlinge um ein Vielfaches zu hoch angesetzt.51 Lediglich in den ersten Monaten erhielten zwei der Hilfskomitees für politische Flüchtlinge, nämlich Grossmanns Demokratische Flüchtlingsfürsorge und das „Šalda“-Komitee vom Außenministerium finanzielle Zuwendungen in be48 DEA, Nachlass Willy Sternfeld, Sign. EB 75/177, B.I.3.a: Vilma Loewenbach: Die Emigration der Antihitler-Deutschen nach Prag, ab 1933, S. 10–11. 49 Václav VEBER: „Emigranti z Ruska a 30. léta“, in: VEBER u. Koll.: Ruská a ukrajinská emigrace v ČSR v letech 1918–1945, S. 7–14, siehe S. 7–8. 50 DEA, Nachlass Willy Sternfeld, Sign. EB 75/177: Memorandum des Comité National Tchechoslovaque pour les Refugiés allemands. Die deutsche Emigration in der Tschechoslowakei, 1933–1935, S. 9. 51 Siehe z.B. Václav VEBER: „Emigranti z Ruska a 30. léta“, S. 9. Veber schreibt, dass in den Jahren 1933–34 „Zehntausende deutsche und österreichische Flüchtlige in die Tschechoslowakei geströmt sind“ und 1935 sollen sich bereits über 55 000 in der Tschechoslowakei aufgehalten haben. Offenbar hat Veber hier auch alle deutschen und österreichischen Staatsbürger mitgerechnet, die schon vor 1933 in der Tschechoslowakei ansässig waren.

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scheidenem Umfang. Grossmann schätzte, dass diese beiden Komitees mehrfach hintereinander acht- bis zehntausend Kronen monatlich erhielten, wobei dieser Betrag später verringert werden sollte.52 T.G. Masaryk und Edvard Beneš sollen aus eigenen Fonds politische Flüchtlinge unterstützt haben. Die Höhe dieser unregelmäßigen Zuwendungen ist nicht genau bekannt. Bohumil Černý berechnete sie auf der Grundlage von Dokumenten, deren Herkunft er nicht nennt. Ihm zufolge bestand beim Außenministerium unter dem Kennwort „Nová“ ein geheimes Konto für Emigranten aus Deutschland. Auf dieses Konto sollen zwischen 1934–1937 ca. eine halbe Million Kronen überwiesen worden sein. Außerdem sollen Masaryk und Beneš einzelnen besonders prominenten Intellektuellen mit einmaligen Zahlungen geholfen haben und auch die Exilpresse hat angeblich finanzielle Unterstützung in Höhe von mehreren zehntausend Kronen bekommen.53 Selbst wenn diese von Černý nicht belegten Zahlen der Wahrheit entsprechen, deckte die Unterstützung von staatlicher Seite nur einen sehr geringen Teil der Gesamtkosten im Rahmen der Flüchtlingshilfe ab. Auch die Angabe bei Brigitte Seebacher-Brandt, nach der die Tschechoslowakei die Flüchtlinge aus Deutschland mit rund 15 Millionen Kronen unterstützt habe, entbehrt jeder faktischen Grundlage und verfestigt lediglich das falsche Bild von einer Tschechoslowakei, die den Flüchtlingen aus NS-Deutschland großzügig zur Seite stand.54 Den Großteil der nötigen Mittel brachten zweifellos die jüdischen Gemeinden in den böhmischen Ländern und im Ausland auf. Allein 1933 hat der Elite-Orden B’nai B’rith unter seinen Mitgliedern drei Millionen Kronen gesammelt.55 Außer B’nai B’rith und den jüdischen Kultusgemeinden hat auch der Verein für Krankenfürsorge erhebliche Summen für die jüdischen Flüchtlinge zur Verfügung gestellt (von 1933–1935 ca. 100 000 Kronen), ebenso der Verein Volksküche (im selben Zeitraum ca. 27 000 Kronen).56 Aus dem Ausland wurde die Flüchtlingshilfe in der Tschechoslowakei hauptsächlich von der JOINT unterstützt, der bis heute bekanntesten jüdischen karitativen Einrichtung. Ausländische Organisationen gewährten den einzelnen Ländern freilich keine Unterstützung ohne Gegenbedingungen. Vor allem versuchten 52 GROSSMANN: Emigration, S. 45. 53 ČERNÝ: „Komitéty pro pomoc německé emigraci v ČSR (1933–38)“, S. 287–8. 54 SEEBACHER-BRANDT: Biedermann und Patriot Erich Ollenhauer, S. 100. Ihre Behauptung übernimmt Martin K. BACHSTEIN: „Beziehungen zwischen sudetendeutschen Sozialdemokraten und dem deutschen Exil: Dialektische Freundschaft“, in: BECHER, HEUMOS: Drehscheibe Prag, s. 41–52, siehe S. 42. 55 Archive of AJJDC, Fond 33/44, K. 687/1, 1933–1934: Report on refugee committees of Switzerland, Austria and Czechoslovakia, 7.2.1934. 56 Dies erwähnte Dr. Lieben auf der Versammlung der Repräsentanten der ŽNOP, siehe AŽMP, Fond Jüdische Kultusgemeinde Prag, Sitzungsprotokolle der Repräsentanten von 1935: Versammlung vom 10.10.1935.

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sie, die örtlichen jüdischen Organisationen (einschließlich der Kultusgemeinden) zu größerer Opferbereitschaft zu animieren. Die JOINT bot zum Beispiel an, den unter der örtlichen jüdischen Bevölkerung gesammelten Betrag zu verdoppeln57 und unterstützte vorwiegend „konstruktive“ Hilfe, die nicht nur auf eine passive Versorgung der Flüchtlinge aus war. Vielmehr war der Organisation an deren gesellschaftlicher Eingliederung gelegen, sei es vor Ort oder aber durch eine Emigration und definitive Niederlassung in Übersee. Bereits 1933 stellte die JOINT 100 000 Kronen allein für zinslose Darlehen bereit, die als Starthilfe für eine unternehmerische Tätigkeit an Flüchtlinge in der Tschechoslowakei vergeben werden sollten.58 Da jedoch die tschechoslowakischen Behörden für derartige Maßnahmen keine Sympathien hegten und einen Gewerbeschein nur sehr ungern erteilten, wurde dieses Projekt bald eingestellt. Was blieb, war also vor allem Hilfe bei der weiteren Ausreise. In den ersten Jahren konnten die jüdischen Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei in westeuropäische Staaten ausreisen, wo sie das Ende des Nationalsozialismus abwarten wollten. Ab 1935 wurde es jedoch immer schwieriger, für ein westeuropäisches Land ein Visum zu bekommen. Die HICEM musste nun also versuchen, eine Ausreise nach Übersee zu ermöglichen. Die Kosten für Einreise- und Transitvisa beliefen sich damit auf ein Vielfaches. Die meisten jüdischen Flüchtlinge nahm Palästina auf, hier lagen die Reisekosten nicht höher als 2000 Kronen.59 Von den südamerikanischen Staaten war Brasilien am billigsten, hier bewegten sich die Ausreisekosten für eine Person um die 12 000 Kronen (150 Dollar).60 Trotz der horrenden Summen, die für die Ausreise der verfolgten Juden aufgebracht werden mussten, war die Geldfrage das geringere Problem, denn die JOINT und die zum Großteil von ihm finanzierte HICEM stellten großzügig Finanzmittel bereit. Die Hauptschwierigkeit lag vielmehr darin, dass so wenige Einreisevisa erteilt wurden. Anders freilich gestaltete sich die finanzielle Situation, was den täglichen Unterhalt der jüdischen Flüchtlinge in der Tschechoslowakei betraf. Bis auf wenige Ausnahmen leistete die JOINT hier keine Unterstützung, und daher verschlechterte sich die Situation der Flüchtlinge, die bleiben mussten, gerade in den Jahren 1936–1938 radikal. 57 Archive of AJJDC, Fond 33/44, K. 687/2: Brief Bernard Kahns von der Pariser Filiale der JOINT an J. C. Hyman von der Zentrale in New Yorku, 11.5.1936, S. 2. 58 Archive of AJJDC, Fond 33/44, K. 687/2, 1936–1937: J.D.C. Contributes for Refugees in Czecho-Slovakia, Grundlagenmaterial für die Konferenz der JOINT in Wien vom 1937, S. 3. 59 AŽMP, Fond Jüdische Kultusgemeinde Prag-Karlin (Praha-Karlín), Sign. 34940: Bericht über die Tätigkeit des Landesverbands der Hechaluc für die Tschechoslowakei aus dem Jahr 1937. 60 DEA, Nachlass Willy Sternfeld, Sign. EB 75/177, B.I.1(13): Sternfelds nicht publiziertes Buchmanuskript Die Czechoslovakei als Asylland der Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland, Kapitel „Fragment“, S. 8.

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1933 machte die JOINT noch keinen Unterschied zwischen „politischen“ und jüdischen Flüchtlingen und bemühte sich noch vor der Gründung des Comité National Tchécoslovaque pour les refugiés provenant d’Allemagne um die Einrichtung einer gemeinsamen Organisation für die Flüchtlinge aus NS-Deutschland, die die Hilfe zentral organisieren könnte. Den Vertretern der JOINT war bewusst, dass auch unter den primär politischen Flüchtlingen etliche jüdischer Herkunft waren, und auch prozentual bildeten die Juden unter den Flüchtlingen eine klare Mehrheit. Die JOINT stieß allerdings bei den Verhandlungen mit B’nai B’rith auf Widerstand. Die Ordensleitung wollte keine Flüchtlinge unterstützen, die der kommunistischen Ideologie anhingen.61 Dennoch verteilte die JOINT zunächst Tausende Dollar an alle Hilfsorganisationen.62 Die finanzielle Unterstützung, die die Flüchtlingsfürsorge seitens ausländischer jüdischer Organisationen erhalten hat, genau zu beziffern, ist im Grunde unmöglich.63 Der Haushaltsplan der HICEM in Paris, das einen Großteil der Reisekosten und Visagebühren übernahm, wenn ein jüdischer Flüchtling nicht selbst dafür aufkommen konnte, ließ sich nicht auffinden. Die Aktivitäten der HICEM in Paris wurden weitgehend von JOINT finanziert, auch Projekte, die der Vorbereitung der Flüchtlinge auf die Ausreise dienten; hier wäre in erster Linie die Hachschara zu nennen, ein landwirtschaftliches und handwerkliches Praktikum, das man vorweisen musste, um ein Zertifikat für Palästina zu erhalten, aber auch verschiedene Umschulungskurse. Der Bericht von Bernhard Kahn aus dem Jahr 1937 zeigt, dass die JOINT in der Tschechoslowakei zwischen 1933–1936 allein in diese Begleitprojekte 21 000 Dollar investiert hat, d.h. umgerechnet rund eine halbe Million Kronen. Aus Kahns Bericht geht ebenso hervor, dass die JOINT bis zum Jahr 1936 den örtlichen jüdischen Gemeinden in der Tschechoslowakei für karitative Zwecke insgesamt über eine Million Dollar (1 050 000) zur Verfügung gestellt hat, also über 24 Millionen Kronen. Davon wurde ein Großteil auf die Unterhaltung von Waisen- und Krankenhäusern verwendet sowie zur Förderung von Kleinunternehmen, handwerklichen Ausbildungsstätten und Ferienprogrammen für arme Kin-

61 Archive of AJJDC,Fond 33/44, K. 687/1: Report on Refugee Committees of Switzerland, Austria and Czechoslovakia, 7.2.1934, S. 3. 62 YIVO, NY, HICEM – Prague Office, RG 245.10, folder 1, MKM 15.135: Prague Committee for German-Speaking Refugees: Bericht über die interministerielle Beratung mit den Vertretern der Komités, welche im Comité National vertreten sind, 29.5.1935. 63 Einen Gesamtbetrag der Auswanderungskosten kennen wir nur für die Zeit vom 1. Oktober 1933 bis 29. Februar 1936. In diesen knapp zweieinhalb Jahren ermöglichte das Jüdische Hilfskomitee insgesamt 1 566 Personen eine Auswanderung. Dafür war eine Summe von 1 016 256 aufzubringen, von der die HICEM-Zentrale in Paris 845 684 Kronen übernahm. Nicht eingerechnet sind dabei die Kosten, die die Flüchtlinge selbst zu tragen hatten. „Das Jüdische Zentral-Hilfskomitee für Flüchtlinge schließt seine Tätigkeit ab“, in: B’nai B’rith 1936, Nr. 3, S. 97–98.

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der in der Karpato-Ukraine und der Ostslowakei.64 Und allein um die Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich in der Tschechoslowakei zu unterstützen, gaben die einheimischen und ausländischen jüdischen Organisationen sicher regelmäßig zweistellige Millionenbeträge (in Kronen) aus. Obwohl die nichtjüdischen Komitees Finanzmittel in unvergleichlich geringerem Maß benötigten, konnten sie diese, als die Euphorie der ersten Monate verflogen war, kaum mehr beschaffen. Das erste Hilfskomitee, die Demokratische Flüchtlingsfürsorge, hatte, um überhaupt aktiv werden zu können, zunächst Geld von der Tschechoslowakischen Liga für Menschenrechte erhalten. Später rekrutierte sie ihre Mittel aus Spenden und privaten Zuwendungen, meist von liberal gesonnenen Deutschen, die oft jüdischer Herkunft waren. Gezielt und mit Erfolg wandte Grossmann sich auch an die Freimaurer.65 Das sozialdemokratische Hilfskomitee wurde von der sudetendeutschen Sozialdemokratie, den Gewerkschaften und zu einem kleinen Teil auch von der tschechoslowakischen Sozialdemokratie finanziert. Nicht zuletzt auch aus den zwei Millionen Reichsmark Parteivermögen, das ein Student im Rucksack über die Grenze schmuggeln konnte.66 Etwa 20 000 Kronen erhielt das Sozialdemokratische Komitee monatlich von der gewerkschaftlichen Internationale in Paris.67 Die sudetendeutsche Sozialdemokratie erhob außerdem von ihren Mitgliedern für die Unterstützung der deutschen Kollegen einen regelmäßigen Sonderbeitrag. Aus einem Bericht für den Parteikongress 1938 geht hervor, dass sich 3 265 sudetendeutsche Parteimitglieder entschlossen hatten, diesen Beitrag regelmäßig zu entrichten. Auch die Bitten an jüdische Bekleidungshäuser in den Sudeten, deren Besitzer mit der Sozialdemokratie sympathisierten, verhallten nie ungehört.68 Die Kosten für die österreichischen Sozialdemokraten, die nach dem Umsturzversuch vom Februar 1934 in die Tschechoslowakei geflüchtet waren, wurden im Verhältnis 1:2 von der sudetendeutschen und der tschechoslowakischen Sozialdemokratie übernommen. Dies trug der Tatsache Rechnung, dass es sich hier in vielen Fällen um Repatrianten tschechoslowakischer Nationalität handelte.69 Der Einheitsverband der Privatangestellten wurde von den tschechischen und deutschen Gewerkschaften in den böhmischen Ländern finanziert. Mit Blick da64 Archive of AJJDC,Fond 33/44, K. 534: Statement of J.D.C. Activities in Czecho-Slovakia, verfasst von Robert Kahn, 19.4.1937. 65 NA, PP, 1931–1940, Sign. P 85/42: Bericht der Polizeidirektion Prag an das Präsidium der Landesbehörde Prag, 11.4.1933. 66 GROSSMANN: Emigration, S. 34. 67 ČERNÝ: „Komitéty pro pomoc německé emigraci v ČSR (1933–38)“, S. 285. 68 HASENÖHRL: Kampf, Widerstand, Verfolgung der sudetendeutschen Sozialdemokraten, S. 43– 46. 69 Ebda. Siehe auch KONRAD: „Die österreichische Emigration in der CSR von 1934 bis 1938“, in: MEIMANN, LUNZER (Hg.): Österreicher im Exil 1934 bis 1945, S. 15–26, siehe S. 15–16.

Finanzierung der Hilfe

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rauf, dass seine Schützlinge die Mitgliedschaft in einer gewerkschaftlichen Organisation in Deutschland nachweisen mussten, hatte dieses Komitee nur etwa 70 Personen und somit die geringste Zahl an Flüchtlingen zu versorgen. Die stärkste Unterstützung seitens der tschechischsprachigen Bevölkerung galt in den ersten Jahren dem „Šalda“-Komitee. Die Schirmherrschaft so namhafter Persönlichkeiten wie F.X. Šalda oder Karel Čapek verschaffte ihm größte Popularität. Auch nach 1934, als Šalda, Čapek und andere sich von diesem Komitee bereits distanziert hatten, flossen ihm vermutlich noch immer Spenden tschechischer Wohltäter zu, die über die Konflikte in der Führungsspitze nicht unterrichtet waren. Neben diesen mehr oder weniger regelmäßigen Leistungen erhielten die Komitees immer wieder auch unerwartete Zuwendungen von einheimischen oder ausländischen Organisationen oder auch von privater Seite. Zum Beispiel spendete die Moskauer Zentrale der Roten Hilfe 1936 für die Flüchtlingshilfe in der Tschechoslowakei den einmaligen Betrag von 63 000 Kronen, der auf die einzelnen Komitees verteilt wurde. Nur das Sozialdemokratische Komitee lehnte jede Hilfe aus Moskau ab.70 Im selben Jahr kam ein Betrag von 11 000 Kronen vom Schweizerischen Kinderhilfswerk, den die Komitees nach Anzahl der von ihnen betreuten Kinder untereinander aufteilten.71 Später initiierte Marie Schmolka eine eigens für Kinder gedachte Organisation, die Zentrale Hilfsstelle für deutsche Flüchtlingskinder, die bei den verschiedenen karitativen Einrichtungen der Kinderfürsorge leichter Geldmittel beantragen konnte.72 Die Hilfskomitees konnten also, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht mit staatlicher Unterstützung rechnen. Bescheidene Beträge waren in den ersten Jahren lediglich der Demokratischen Flüchtlingsfürsorge und dem „Šalda“Komitee zugekommen. Dass es gerade diese Organisationen waren, hat seine Logik. Die beiden anderen Hilfskomitees für überwiegend politische Flüchtlinge waren an Partei- oder Gewerkschaftsfonds gebunden und zu Gunsten der jüdischen Flüchtlinge, die den Großteil aller Flüchtlinge ausmachten, wollten die staatlichen Organe keine Geldmittel zur Verfügung stellen. Die Hilfskomitees haben dennoch wiederholt bei der Regierung um Unterstützung ersucht. 1935 reichten sie ein gemeinsames Memorandum ein, in dem sie ihre bisherige Tätigkeit genau beschrieben und sowohl um eine finanzielle Zuwendung wie auch um die Vergabe einer begrenzten Anzahl von Arbeitsgenehmigungen baten. Der Staat könne, so das Memorandum, dankbar sein, dass es 70 YIVO, NY, HICEM – Prague Office, RG 245.10, folder 1, MKM 15.135: Prague Committee for German-Speaking Refugees: Sitzungsprotokoll des Comité National, 14.1.1936. 71 Ebda., Sitzungsprotokoll des Comité National, 23.6.1936. 72 Die Sitzungsprotokolle dieser Organisation von Ende 1937 und Anfang 1938 befinden sich im Fond HICEM im Archiv der Stiftung „Neue Synagoge Berlin. Centrum Judaicum“, CJA, 1, 75, C Hi 1, Nr. 4, # 12480.

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den Hilfskomitees bisher gelungen sei, die Flüchtlinge zu versorgen, womit man ihrer Kriminalisierung vorgebeugt habe. Zusammen mit den Hilfsgeldern aus dem Ausland hätten die Hilfsorganisationen für die Flüchtlinge bereits an die sechs Millionen Kronen ausgegeben. Dieser Betrag sei ausnahmslos auf dem Gebiet der Tschechoslowakischen Republik ausgegeben worden und habe daher die tschechoslowakische Wirtschaft beträchtlich unterstützt.73 Auch die Beträge, die bemittelte Flüchtlinge in den Bädern oder in Prag und Brünn ausgäben, kämen der tschechoslowakischen Wirtschaft zweifellos zugute. Außerdem flössen dank der zahlreichen Flüchtlinge, die direkt von ihren Verwandten im Ausland unterstützt würden, Devisen ins Land.74 Der Staat verdiene also an den Flüchtlingen und sei daher auch verpflichtet, denjenigen unter ihnen zu helfen, die inzwischen mittellos seien, und dies umso mehr, als er sie daran hindere, ihren Unterhalt selbst zu verdienen. Sollte die Tschechoslowakei darüber hinaus signalisieren, dass sie bereit sei, zu einer Lösung des Problems der deutschen Flüchtlinge beizutragen, indem sie einige Hundert Arbeitsgenehmigungen erteile, wäre es wahrscheinlich sehr viel leichter, von den ausländischen Hilfsorganisationen Gelder zu bekommen, und zwar sowohl für eine Eingliederung einiger in die tschechoslowakische Wirtschaft wie für die Aussiedlung der übrigen.75 Doch die Behörden lehnten es ab, für die Tätigkeit der Komitees größere Gelder freizustellen. Aus einem Sitzungsbericht vom Mai 1935, als die Ministerien mit den Vertretern der Hilfskomitees verhandelten, geht zudem hervor, dass insbesondere in Bezug auf die Hilfe für jüdische Flüchtlinge die Behörden der Überzeugung waren, die Juden verfügten selbst über genügend Mittel, um sich um „ihre“ Flüchtlinge zu kümmern. Die Vertreter des Außenministeriums beanstandeten sogar, dass die JOINT die Aktivitäten in der Tschechoslowakei nicht mit größeren Beträgen unterstütze (wie zum Beispiel in Polen oder Rumänien). Schmolka erläuterte daraufhin, dass die JOINT den Großteil der jüdischen Flüchtlingshilfe finanziere, seine Hilfe aber an die Aktivitäten der jüdischen Organisationen vor Ort binde. Auch die nichtjüdischen Flüchtlinge, so führte sie an, würden über ganz Europa vorwiegend aus jüdischen Mitteln finanziert; selbst das Amt des Hochkommissariats werde von internationalen jüdischen Institutionen getragen.76 Den Rest der Sitzung musste Schmolka Fragen nach den jüdischen 73 DEA, Nachlass Willy Sternfeld, Sign. EB 75/177: Memorandum des Comité National Tchéchoslovaque pour les Réfugiés allemands. Die deutsche Emigration in der Tschechoslowakei. 1933–1935, S. 9. 74 Ebda., S. 4. 75 Ebda., S. 8–9. 76 Die Tätigkeit des Hochkommissariats, auch das Gehalt des Hochkommissars, der die finanzielle Unabhängigkeit von den Regierungen der europäischen Staaten und der Vereinten Nationen garantieren sollte, wurde in der Tat zum größten Teil von der JOINT finanziert, siehe BAUER: My Brother‘s Keeper, S. 143.

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Geldquellen beantworten, die das Interesse der Politiker eindeutig am meisten beschäftigten.77 Für die Hilfskomitees war es sehr schwer, Geldmittel aus öffentlichen Spendenaktionen zu beziehen. Das Interesse an der Unterstützung der Flüchtlinge aus NS-Deutschland war bereits einige Monate nach Hitlers Machtantritt abgeflaut und die Erträge aus den öffentlichen Sammlungen wurden mit der Zeit so verschwindend gering, dass die Komitees, mit Ausnahme des „Šalda“-Komitees und der kommunistischen Vereinigung, die ihre Sammlungen vor allem in der Vorweihnachtszeit durchführten, von diesem Weg der Mittelbeschaffung absahen. Auch dem Jüdischen Hilfskomitee gelang es letztlich nur mühsam, bei der einheimischen jüdischen Bevölkerung Mittel locker zu machen. Obwohl die Juden im ersten Jahr einen vielfach höheren Betrag gespendet hatten als alle übrigen Einwohner der böhmischen Länder zusammen, litt die jüdische Flüchtlingshilfe gerade in den Jahren 1935–36 unter bedrückender Geldknappheit. Die Tschechoslowakei, dies sei abschließend festgehalten, war keine Ausnahme. Kein Staat in Europa hat die Flüchtlinge aus NS-Deutschland in irgendeiner Weise großzügig unterstützt. Bald nach der Errichtung des Hochkommissariats für Flüchtlinge aus Deutschland, das sich aus Vertretern der europäischen Regierungen bildete, wurde deutlich, dass kein Staat bereit war, auch nur einen Teil der Kosten zu tragen, die sich aus einer europaweiten Lösung des Flüchtlingsproblems ergeben hätten.78 Die einzelnen europäischen Länder erwarteten vom Hochkommissariat vielmehr, dass es ihnen behilflich wäre, die Flüchtlinge so schnell wie möglich wieder loszuwerden.79 Das Comité National Die Problematik der politischen und die der jüdischen Flüchtlinge war in der Tschechoslowakei wie auch in den anderen europäischen Ländern eng miteinander verzahnt. Nach Schätzungen der amerikanischen Organisation JOINT waren etwa die Hälfte der politischen Flüchtlinge in der Tschechoslowakei Juden.80 Unter den vom Jüdischen Hilfskomitee und später von der HICEM betreuten Flüchtlingen waren aber auch zahlreiche aktive Sozialdemokraten und Kommunisten. Einige Sozialdemokraten teilten die ideologische Ausrichtung der sozi77 YIVO, NY, HICEM – Prague Office, RG 245.10, folder 1, MKM 15.135: Prague Committee for German-Speaking Refugees: Bericht über die interministerielle Beratung mit den Vertretern der Komités, welche im Comité National vertreten sind, 29.5.1935. 78 BAUER: My Brother‘s Keeper, S. 144. 79 Ebda., S. 149. 80 Archive of AJJDC,Fond 33/44, K. 687/2: Brief Bernard Kahns von der Pariser JOINTFiliale an J. C. Hyman von der Zentrale in New York, 11.5.1936, S. 3.

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aldemokratischen Führung im Prager Exil nicht, und um möglichen Konflikten auszuweichen, meldeten sie sich beim Jüdischen Komitee, manche auch bei der Demokratischen Flüchtlingsfürsorge.81 Die kommunistischen Komitees – allen voran die Vereinigung zur Unterstützung deutscher Emigranten – verwiesen oft ihre Schützlinge, waren sie jüdischer Herkunft, an das Jüdische Hilfskomitee, um eigene Mittel zu sparen.82 Als dann 1933 der Hochkommissar für Flüchtlinge aus Deutschland bei dem Völkerbund den Zusammenschluss aller Komitees forderte, damit jeder Staat jeweils nur von einem Flüchtlingskomitee repräsentiert werde, das nicht nach politischer oder religiöser Zugehörigkeit unterschied, kam die Tschechoslowakei dem nur teilweise nach. Zwar gründete man das Comité National Tchécoslovaque pour le réfugiés provenant d’Allemagne (offiziell mitunter auch in tschechischer Übersetzung als Společný výbor československých organisací pro pomoc emigrantům z Německa, im Weiteren Comité National), in dem die einzelnen Hilfskomitees vertreten waren. Dennoch bewahrten diese ihre Unabhängigkeit – bei den Verhandlungen mit den tschechoslowakischen Behörden ebenso wie bei der Beschaffung ihrer finanziellen Mittel. Die verschiedenen politischen Komitees schlossen sich vor allem deshalb nicht zusammen, weil die Sozialdemokraten einen dominanten Einfluss der Kommunisten auf die Zuweisung von Hilfsgeldern befürchteten. Umgekehrt konnten sich auch die Kommunisten nicht so recht damit abfinden, dass es ihnen nicht gelang, gemeinsam mit den anderen Linksparteien eine so genannte Volksfront zu bilden, von der sie sich ein effektiveres Vorgehen gegen ihre politischen Feinde versprachen.83 Der zweite Grund, aus dem die einzelnen Organisationen sich nicht zu einem gemeinsamen Flüchtlingshilfskomitee zusammenschlossen, war die fehlende Bereitschaft jüdischer Geldgeber, kommunistische Flüchtlinge zu unterstützen. Das bestätigt in ihren Erinnerungen auch Käte Frankenthal, die 1936 an der Seite Marie Schmolkas für das Jüdische Hilfskomitee tätig war. Frankenthal schreibt, dass sich auch Kommunisten jüdischer Herkunft bei ihr gemeldet hätten, die vom „Šalda“-Komitee oder von der kommunistischen Vereinigung geschickt worden waren. Diese Flüchtlinge hätten zwar beim Vorstellungsgespräch jegliche politische Tätigkeit bestritten, in unbeobachteten Augenblicken den Warteraum des Jüdischen Komitees jedoch mit Aufschriften bemalt wie „Heil Moskau!“ oder 81 Käte Frankenthal hatte sich trotz ihres politischen Engagements für die Sozialdemokratie beim Jüdischen Hilfskomitee gemeldet, der Sozialdemokrat Henry Jacoby wiederum bei der Demokratischen Flüchtlingsfürsorge. Siehe FRANKENTHAL: Der dreifache Fluch; Henry JACOBY: Davongekommen. 10 Jahre Exil 1936–1946. Prag – Paris – Montauban – New York – Washington. Erlebnisse und Begegnungen. Frankfurt am Main 1982. 82 Siehe FRANKENTHAL: Der dreifache Fluch, S. 236. 83 Genauer zu den Versuchen eine geschlossene deutsche Volksfront gegen den Nationalsozialismus zu schaffen siehe Ursula LANGKAU-ALEX: Deutsche Volksfront 1932–39. Zwischen Berlin, Paris, Prag und Moskau. 3 Bde., Berlin 2004–2005.

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„Nieder mit den jüdischen Geldsäcken!“84 Dadurch sah sich das Jüdische Komitee in eine heikle Lage gebracht, waren doch seine wichtigsten Geldgeber die liberalen Juden des B’nai B’rith, die jede Unterstützung von Kommunisten strikt verboten und für den Fall, dass sich das Komitee nicht daran halten sollte, ihre Unterstützung aufzukündigen drohten.85 Auch aus den Verhandlungen der JOINT mit Josef Popper geht hervor, dass B’nai B’rith keinen Zusammenschluss der verschiedenen Flüchtlingshilfskomitees wünschte, da sonst die Gelder auch der extremen Linken zugute kämen. Nach Poppers Schätzungen stammten rund 90% aller Gelder für die Flüchtlingshilfe aus jüdischer Hand.86 Anders als in Frankreich, wo ein einheitliches Nationalkomitee zur Unterstützung der Flüchtlinge entstanden war, dessen Vorsitz über viele Jahre von Senator Henry Bérenger geführt wurde, und dem namhafte Franzosen jüdischer und nichtjüdischer Herkunft angehörten,87 blieb die Flüchtlingshilfe in der Tschechoslowakei nach politischer und religiöser Zugehörigkeit getrennt.88 Eine der wichtigsten Kompetenzen der fünf größten Komitees – der Demokratischen Flüchtlingsfürsorge, dem Jüdischen Hilfskomitee (später HICEM), der Sozialdemokratischen Flüchtlingsfürsorge, dem von Robert Klein geführten Hilfskomitee und dem „Šalda“-Komitee – war die Befugnis zur Ausstellung eines Evidenzscheins. Dadurch konnten sie den Aufenthalt eines Flüchtlings in der Tschechoslowakei vorübergehend legalisieren, bis die Landesbehörde eine Aufenthaltserlaubnis erteilte. Diese Art von Rechtsdokument hatte Kurt Grossmann, der Sekretär der Demokratischen Flüchtlingsfürsorge bei einer Verhandlung mit der Prager Polizeidirektion durchgesetzt.89 Jeder Flüchtling, der von einem der genannten Komitees betreut wurde, musste in mehrfacher Ausführung einen Evidenzschein ausfüllen. Ein Exemplar, in dem die einzelnen Zuwendungen vermerkt wurden, verblieb bei dem jeweiligen Komitee, ein Exemplar, rot gedruckt, wurde dem Flüchtling ausgehändigt (auch hier wurden die geleisteten Zahlungen eingetragen), das dritte Exemplar wurde an die Evidenzzentrale für deutsche Flüchtlinge übersandt, deren Adresse identisch war mit der Adresse des „GrossmannKomitees“ im Palais Kolowrat. Weitere Exemplare enthalten die Akten einzelner Flüchtlinge auf der Polizeidirektion Prag. Eine Kopie des Evidenzscheins, der belegte, dass der Flüchtling sich in der Obhut eines Hilfskomitees befand, wurde von der Prager Polizei überprüft und mit einem Stempel versehen. Mit dem so beglaubigten Schein konnten die 84 FRANKENTHAL: Der dreifache Fluch, S. 236. 85 Ebda., S. 91. 86 Archive of AJJDC, Fond 33/44, K. 687/1: Report on Refugee Committees of Switzerland, Austria and Czechoslovakia, 7.2.1934, S. 3. 87 CARON: Uneasy Asylum, S. 428, Anm. 9. 88 Archive of AJJDC, Sign. 33/44, K. 687/1: Memorandum J. C. Hymans, 9.5.1934, S. 1. 89 GROSSMANN: Emigration, S. 33.

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Flüchtlinge die Monate überbrücken, bis ihr Antrag auf Aufenthaltserlaubnis von der Landesbehörde bearbeitet war. Er garantierte jedoch kein Aufenthaltsrecht in der Tschechoslowakei, insbesondere nicht für politisch aktive kommunistische Flüchtlinge. Dieses in Europa einmalige System führte dazu, dass sich auch Leute bei den Hilfskomitees meldeten, die keiner finanziellen Unterstützung bedurften, denn die Bestätigung eines Hilfskomitees verhalf in Form des beglaubigten Evidenzscheins zu einem provisorischen Ausweis. Verfügte ein Flüchtling über genügend Geld und einen gültigen Pass und war die Tschechoslowakei zudem sein erstes Ausreiseland, gab es noch einen zweiten Weg zu einer Aufenthaltserlaubnis: die Beamten auf der Polizeidirektion zu bestechen. Berta Landré erinnert sich, dass 1936 noch 300–400 Kronen, dem ausgefüllten Formularbogen beigelegt, hinreichten. 1938 hatte sich diese Summe bereits deutlich erhöht. Die Bearbeitung eines mit Bestechungsgeldern versehenen Antrags dauerte etwa vierzehn Tage.90 Worin die tatsächliche rechtliche Bedeutung des Evidenzscheins bestand, ist bei alledem strittig. In den Augen der Hilfskomitees und der Flüchtlinge spielte er eine wichtige Rolle – für manchen Flüchtling war er das einzige Personaldokument, durch das er sich ausweisen konnte; für die Komitees war er unverzichtbar, denn er verhinderte eine Mehrfachauszahlung von Hilfsgeldern durch verschiedene Komitees und erleichterte eine allgemeine Erfassung der Flüchtlinge in der Tschechoslowakei. Auch im Mitteilungsblatt des Verbands der tschechischen Kultusgemeinden von 1936 werden die jüdischen Gemeinden zu größerer Opferbereitschaft zugunsten der Flüchtlinge aufgerufen, freilich nur derjenigen, die sich durch den Evidenzschein eines Hilfskomitees ausweisen können: „Jeder Emigrant hat einen Evidenzschein von einem Hilfskomitee, versehen mit einem Stempel der Polizeidirektion. Wer ihn nicht hat, ist kein Emigrant.“91 Vor allem Kurt Grossmann hob auch die rechtliche Tragweite des Papiers hervor. Der Evidenzschein sollte seiner Auffassung nach den Aufenthalt des Flüchtlings legalisieren, bis dessen Antrag auf Aufenthaltserlaubnis bearbeitet sei.92 Die Archivdokumente allerdings offenbaren, dass die Staatsbehörden dem Evidenzschein keinesfalls dieselbe Bedeutung beimaßen wie die Komitees und die Flüchtlinge. Die Einführung der Evidenzscheine wird in keiner der die Flüchtlinge aus Deutschland betreffenden Instruktionen des Innenministeriums erwähnt, und auch in keiner sonstigen Agenda der staatlichen Behörden spielen diese Doku90 Berta Landré konnte auf diesem Weg 1936 eine Aufenthaltsgenehmigung für sich und 1938 für ihren Ehemann erwirken. Siehe Österreichische Gesellschaft für Zeitgeschichte, Wien, Sign. MM-76: Berta Landré: Durch’s Sieb der Zeit gefallen, nicht publiziertes Manuskript, S. 163–164. 91 AŽMP, Jüdische Kultusgemeinde Rokitzan (Rokycany, 125), Sign. 51359: Brief der Vereinigung jüdischer Kultusgemeinden, 25.5.1936. 92 GROSSMANN: Emigration, S. 33.

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mente eine größere Rolle. Rein formal gesehen, konnte ein Evidenzschein eine Aufenthaltsgenehmigung bzw. ein anderes Dokument oder eine andere Erlaubnis nicht ersetzen. Für die Behörden, die täglich mit Flüchtlingen zu tun hatten, war es dennoch vorteilhaft und bequem, dass die Hilfskomitees die Flüchtlinge befragten und so einen Teil der administrativen Arbeit übernahmen. Ein Evidenzschein gewährte aber keine Garantie, dass der Aufenthalt eines Flüchtlings auf tschechoslowakischen Gebiet tatsächlich geduldet würde. Dass die Flüchtlinge dem Evidenzschein, der bis zur Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis oder eines neuen Passes ihr einziges Rechtsdokument darstellte, einen hohen Wert beimaßen, zeigt, dass er zumindest psychologisch wichtig war; eine tatsächlich rechtliche Bedeutung hatte er nicht. Außerdem wurde die Ausgabe von Evidenzscheinen und ihre Beglaubigung durch die Polizei vornehmlich in Prag praktiziert. Unerlässlich war der Evidenzschein allerdings, um Unterstützung bei einem der Hilfskomitees zu beantragen. Personen, die aus verschiedenen Gründen kein Anrecht auf eine Aufenthaltsgenehmigung hatten und deren Evidenzschein den polizeilichen Stempel daher nicht aufwies, waren offiziell von einer Unterstützung durch ein Hilfskomitee ausgeschlossen. Käte Frankenthal schätzt ihre Zahl für das Jahr 1936 auf mehrere Hundert. Nicht nur, dass diese Flüchtlinge keine finanzielle Hilfe erhielten, ihnen drohten Geldstrafen, kurzfristige Inhaftierung und in einigen wenigen Fällen auch Ausweisung.93 Ihr Vorrecht bei der Erfassung der Flüchtlinge begründeten die Hilfskomitees damit, dass sie im direkten Gespräch mit einem Antragsteller größere Chancen hätten, eventuelle Mitarbeiter der Gestapo zu entlarven. Bei der Entscheidung über die Annahme politischer Flüchtlinge waren Empfehlungen von Kollegen ausschlaggebend; waren sie durch ein Konzentrationslager gegangen, befragte man sie nach den Namen von Aufsehern und Mitgefangenen sowie nach der Anlage der Gebäude. In strittigen Fällen rassisch verfolgter Flüchtlinge kontaktierte das Jüdische Hilfskomitee den Hilfsverein der deutschen Juden in Deutschland oder die betreffende jüdische Heimatgemeinde des Antragstellers. Ein Flüchtling konnte aus der Evidenzliste auch gestrichen werden, wenn die Hilfskomitees von einer kriminellen Tätigkeit erfuhren oder feststellten, dass er nicht aus politischen oder rassischen Gründen geflüchtet war. Eine solche Streichung teilten die Komitees den entsprechenden Behörden mit. Aus einem Brief der HICEM vom April 1936 an die Prager Polizeidirektion geht hervor, dass auch Homosexualität ein hinreichender Grund für eine Streichung war.94 Verfügten die Hilfskomitees tatsächlich über bessere Möglichkeiten, einen Agenten zu entlarven, als die tschechoslowakische Polizei? Hinsichtlich des politischen Exils kann als sicher gelten, dass die Gestapo in der Lage war, ihre Spitzel 93 FRANKENTHAL: Der dreifache Fluch, S. 233–234. 94 NA, PMV, Sign. X/Ž/6/2, K. 979–13: Brief vom 20.4.1936.

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mit den nötigen Informationen für ein erfolgreiches Vorstellungsgespräch bei einem Hilfskomitee auszustatten. Außerdem konnte sie immer wieder auch bereits überprüfte Flüchtlinge für eine Spitzeltätigkeit gewinnen. Der schwerwiegendste Fall dieser Art war Ernst Ochmann. Er war von der Sozialdemokratischen Flüchtlingsfürsorge damit betraut worden, nach Büroschluss den Aktenschrank des Komitees zu bewachen, in dem die Aussageprotokolle der Flüchtlinge aufbewahrt wurden, d.h. Materialien, die eine Fülle von Hinweisen auf die illegale Tätigkeit der Sozialdemokratie in Deutschland enthielten. Später stellte sich heraus, dass Ochmann, an dessen Vertrauenswürdigkeit niemand gezweifelt hatte, von der Gestapo gekauft worden war. Er fotografierte die belastenden Dokumente in der Nacht ab, ohne dass für die Mitarbeiter des Komitees tagsüber etwas zu erkennen gewesen wäre. Erst als man einen Boten mit Filmmaterial an der Grenze fasste, wurden Ochmann und einige seiner Helfer verhaftet. Die Gestapo, die ihre Aktion entdeckt sah, verhaftete umgehend 170 Personen in Deutschland, von deren illegaler Tätigkeit sie dank Ochmann wusste.95 Doch die Spionagetätigkeit hatte nicht nur die politische Opposition im Visier; es gab auch spezielle Devisenspitzel, die den Flüchtlingen, vornehmlich jüdischen Geschäftsleuten, Informationen über ihre Konten entlocken sollten. Unter diesen Spitzeln waren auch einige wenige Juden. Kurt Grossmann schreibt in seinen Erinnerungen, dass ihm drei oder vier solcher Fälle bekannt geworden seien. Die Gestapo hatte sie durch die Inhaftierung engster Familienmitglieder, selbst Kindern, zu einer Zusammenarbeit gezwungen. Das Oberhaupt der Familie konnte ein Freikommen der Geiseln nur erwirken, indem es sich zur Spionage bereit erklärte.96 Kurt Grossmann selbst räumt ein, dass es den Komitees nur sehr selten gelang, einen Spitzel zu entlarven, und meist hatte auch dann der Zufall seine Hand im Spiel; häufig verriet sich der Betreffende selbst im Gespräch.97 Vor enttarnten Mitarbeitern der Gestapo warnten sich die Komitees untereinander und auch sonst arbeiteten sie eng zusammen. Das Comité National erfüllte somit vor allem eine Repräsentationsfunktion gegenüber dem Hochkommissariat für Flüchtlinge aus Deutschland, teilweise auch gegenüber den tschechoslowakischen Staatsbehörden, an die sich die Komitees jedoch auch einzeln wandten. Außerdem war es Aufgabe des Comité National, Streitigkeiten zwischen den Komitees zu schlichten, insbesondere in Hinblick auf die Abgrenzung der Kompetenzen.

95 GROSSMANN: Emigration, S. 77–78; DEA, Nachlass Willy Sternfeld, Sign. EB 75/177, B.I.1 (23): Die Czechoslovakei als Asylland der Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland, Kapitel „Der Verrat Ochmanns“; FRANKENTHAL: Der dreifache Fluch, S. 235–236. 96 GROSSMANN: Emigration, S. 73. 97 Ebda., S. 74.

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Angesichts der umfangreichen Agenda des Jüdischen Hilfskomites wollte man Josef Popper zum Leiter des Comité National bestellen. Popper, der dem Jüdischen Hilfskomitee offiziell vorsaß, lehnte diese Funktion jedoch mit der Begründung ab, dass er dann keine Zeit mehr habe, zu den Verhandlungen in der Schweiz zu fahren. Statt seiner empfahl er Marie Schmolka,98 die daraufhin zur Vertreterin der tschechoslowakischen Hilfskomitees bei den Verhandlungen mit dem Hochkommissariat gewählt wurde. Außerdem wurde sie Mitglied des Beratungsausschusses. Immer wieder liest man, dass Schmolka auch zur Vorsitzenden des Comité National gewählt worden sei,99 doch zumindest für die erste Zeit stimmt das nicht. Offenbar versuchte man gerade auf ihre Veranlassung hin, für dieses Amt eine namhafte Persönlichkeit zu gewinnen, um der Organisation öffentliches Prestige zu verschaffen und ihre Position bei den Verhandlungen mit den Behörden zu stärken. So fiel die Wahl bei der Versammlung am 26. September 1934 einstimmig auf den Philosophen Emanuel Rádl.100 Er genoss nicht nur hohes Ansehen in der Öffentlichkeit, sondern hatte sich im Rahmen der Tschechoslowakischen Liga für Menschenrechte, zu deren Mitbegründern er gehörte, schon früher für die Rechte der Flüchtlinge engagiert. Rádl nahm die Wahl auch tatsächlich an; ab Oktober 1934 leitete er die Versammlungen des Comité National und nahm an einigen wenigen Verhandlungen mit Vertretern der Regierung bzw. den vertretenden Behörden teil. Im Oktober 1935 legte Rádl den Vorsitz jedoch nieder, wahrscheinlich wegen einer Erkrankung, die ihn bis zu seinem Tod 1942 begleiten sollte. Als Nachfolger vorgeschlagen wurden unter anderem Professor J.B. Kozák, der Abgeordnete Robert Klein, Marie Nečasová, die Ehefrau von Sozialminister Jaromír Nečas, und auch Elizabeth Czech, die Ehefrau des deutschen Sozialdemokraten Ludwig Czech, damals Minister für öffentliche Gesundheit und Körpererziehung.101 Professor Kozák nahm die Nominierung zunächst an, zog sie aber wegen Arbeitsüberlastung kurz darauf zurück. Jiří Kohn vom „Šalda“-Komitee schlug daraufhin Marie Schmolka als Kandidatin vor,102 die dann im April 1936 zur Vorsitzenden gewählt wurde. Ihr Vertreter war Karl Schrader von der So-

98 DEA, Nachlass Willy Sternfeld, Sign. EB 75/177, B.I.3.a: Josef Popper: In memoriam Marie Schmolka, S. 1. 99 GROSSMANN: Emigration, S. 42; Josef POPPER: „Work for Refugees“, in: In memoriam Marie Schmolka, S. 22–25, siehe S. 22.; DEA, Nachlass Willy Sternfeld, Sign. EB 75/177, B.I.1.(10): Die Czechoslovakei als Asylland der Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland, Kapitel „National Committee for Refugees from Germany – Central Committee for Refugees from Germany“, S. 1; BLODIG: “Die tschechoslowakischen politischen Parteien und die Unterstützung der deutschen und österreichischen Emigration in den 30er Jahren”, S. 265. 100 YIVO, NY, HICEM – Prague Office, RG 245.10, folder 1, MKM 15.135: Prague Committee for German-Speaking Refugees: Sitzungsprotokoll des Comité National, 26.9.1934. 101 Ebda., 9.10.1934. 102 Ebda., 20.1.1936.

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zialdemokratischen Flüchtlingsfürsorge, die Geschäftsführung übernahmen Karl Schwab und Kurt Grossmann.103 Von nun an vertrat Schmolka die tschechoslowakischen Hilfskomitees bei den Verhandlungen mit dem Hochkommissariat und allen anderen internationalen karitativen Organisationen. Ihre durchdachten Vorschläge zur Lösung der Flüchtlingsproblematik und ihre zahlreichen internationalen Kontakte führten dazu, dass sich auch viele Sozialarbeiter aus anderen europäischen Ländern an sie wandten. Konkrete Vorschläge und Anträge übergab das Comité National der Regierung, dem tschechoslowakischen Parlament oder dem Hochkommissariat in Form eines Memorandums.104

Marie Schmolka, die Vorsitzende der HICEM in Prag und Abgesandte des Comité National bei internationalen Verhandlungen.

Ohne Erfolg verliefen im Juli 1936 die Versuche des Comité National, die tschechoslowakische Regierung zu einer Ratifizierung des vorläufigen Abkommens über den Status der Flüchtlinge aus Deutschland zu bewegen.105 Für die Hilfsorganisationen garantierte diese Konvention von 1936 für die Flüchtlinge ein Mindestmaß an Sicherheit, die Behörden hingegen fürchteten dadurch eine inakzeptable Bindung. Das Comité National schlug daher, nach Abschluss des vorläufigen Abkommens, dem Völkerbund einige Änderungen vor, die aus den bisherigen Erfahrungen der Hilfsorganisationen hervorgingen. So sollten auch in Deutschland verfolgte Personen ohne Staatsangehörigkeit als Flüchtlinge anerkannt werden. Das Comité verwies auf deren große Zahl sowie auf die vielen Flüchtlinge, denen die deutsche Staatsbürgerschaft nach 1933 aberkannt worden war (die meisten davon hatten sie erst nach dem Ersten Weltkrieg erhalten). Ein besonderes Problem stellte die ständig wachsende Kategorie der „Wirtschaftsflüchtlinge“ dar. In den Augen der Hilfsorganisationen waren sie als politische Flüchtlinge zu betrachten, sei es auf Grund der antisemitischen Gesetzgebung in Deutschland, dem dortigen 103 Ebda., 3.4.1936. 104 Während seines fünfjährigen Bestehens verfasste das Comité National fünf Memoranden, die hier in ihrem jeweiligen thematischen Zusammenhang erörtert werden. 105 Siehe Kapitel „Die Tschechoslowakei und die internationalen Flüchtlingsverhandlungen.“

Das Comité National

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Vorgehen gegen Rückkehrer oder auch wegen häufiger Internierung in Arbeitslagern und wiederholten Ausweisungen.106 Um das Recht auf Asyl wirklich zu sichern, forderte das Comité National, eine Passage des Abkommens zu ändern, so dass eine Ausweisung nicht mehr so leicht möglich wäre. Sie sollte nur noch auf der Grundlage eines Gerichtsurteils möglich sein und im Fall eines schwerwiegenden kriminellen Delikts, wobei der Betreffende jedoch niemals nach Deutschland rücküberstellt werden dürfte. Der Flüchtling sollte eine hinlängliche Aufenthaltsfrist (mindestens drei Monate) bekommen und nicht „abgeschoben“ werden, bis es ihm (eventuell auch durch Vermittlung eines Hilfskomitees) gelungen sei, eine legale Ausreise in ein Drittland zu organisieren. Auch sollte er das Recht haben, zur Beurteilung seines Falls an eine Schiedskommission zu appellieren. Außerdem schlug das Comité National vor, auf Flüchtlingskinder die ius soli anzuwenden, das heißt, sie automatisch als Bürger des Gastlandes anzuerkennen. Angesichts der außerordentlichen Belastung der privaten Hilfskomitees forderten die Vertreter des Comité National zudem, dass die Staaten den Flüchtlingen eine Beschäftigung erlauben oder aber für deren Unterhalt aufkommen sollten. Besondere Sorgfalt sollte auf die schulische Bildung und Erziehung der Jugend verwendet werden. Die Schwierigkeiten, die die Hilfskomitees bei der Vorbereitung einer weiteren Ausreise der Flüchtlinge zu bewältigen hatten, spiegeln sich indirekt in dem Vorschlag, beim Hochkommissariat eine eigens hierfür zuständige Einrichtung zu schaffen.107 Auch kämpften die Hilfskomitees um ein Mitentscheidungsrecht bei der Anerkennung als Flüchtling bzw. politischer Emigrant. Dabei verwiesen sie auf die gemischten Kommissionen in Frankreich und Belgien, die sich sowohl aus Behördenvertretern wie aus Vertretern der Flüchtlinge zusammensetzten. Die tschechoslowakischen Flüchtlingsorganisationen hatten die Schaffung einer vergleichbaren Kommission, in der Flüchtlinge, Hilfskomitees und Behörden vertreten wären, wiederholt vorgeschlagen. Eine derartige Kommission könnte, wie sie meinten, wirkliche Flüchtlinge und Simulanten besser unterscheiden. Das Innenministerium bestand jedoch auf seinem alleinigen Entscheidungsrecht und verweigerte sich einer solchen Lösung von vornherein. Daher wurden die Vorschläge des Comités von den tschechoslowakischen Behörden nie ernsthaft diskutiert.

106 AMZV, Sign. II-3, K. 925: Memorandum of the Comité National Tchéchoslovaque pour les Réfugiés provenent d‘Allemange for the Meeting of the League of Nations to be held in September 1936. Ähnliche, wenngleich nicht so weit reichende Änderungen schlug auch das Pariser Internationale Amt für Respektierung des Asylrechts und Hilfe für politische Flüchtlinge vor. 107 Ebda.

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Alltag Wir sind, deutsche Emigranten, unter vielen Leiden und mit schweren Opfern in die Fremde gegangen, haben Heim und Haus verloren und keinerlei Existenzmittel, auch nicht die bescheidensten retten können. Viele sterben dahin, manche enden durch Selbstmord. Der Fall, daß ein Mann wie ich, von über sechzig Jahren, noch einmal seine ganze Existenz umzustellen und von vorne zu beginnen vermag, ist angesichts der vielen furchtbaren Einzelschicksale noch ein Glücksfall.108

Diese Worte schrieb kurz vor seinem Tod Theodor Lessing. Abgedruckt wurde der Text, den er an die Redaktion der Zeitschrift Die Wahrheit geschickt hatte, am 2. September 1933, drei Tage nach dem hinterhältigen Anschlag vom 30. August, dem Lessing am Tag darauf in einem Marienbader Krankenhaus erlag. Die überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge hatte im Exil mit existenziellen Problemen zu kämpfen, doch am bedrückendsten für die meisten war die Frage, was mit ihrer Familie geschah oder geschehen war. Nicht selten war zunächst der Mann geflüchtet, da er am unmittelbarsten gefährdet war. Vom Ausland aus holte er dann seine Familie nach. Oft aber retteten sich auch die Frauen mit ihren Kindern in die Emigration, nachdem der Ehemann und Vater ins Konzentrationslager gekommen war. In der Tschechoslowakei waren diese Fälle zahlreich. Die Grenze zu Deutschland lag nahe und so konnte man auf ein baldiges Wiedersehen mit den Angehörigen hoffen. Manche Flüchtlinge wollten sich direkt an der Grenze mit ihren Verwandten treffen. Das war äußerst riskant, denn SA-Männer, später dann die Gestapo, versuchten immer wieder, die Flüchtlinge dabei abzupassen und auf deutsches Gebiet zu ziehen. Dokumentiert sind allerdings nur drei Fälle, wo die tschechischen Grenzsoldaten die geplante Entführung verhindern konnten und eine Gerichtsverhandlung folgte. Im November 1933 wurde der Kommunist Lippert in Schönbach (heute Meziboří), wo er sich mit seiner Frau treffen wollte, vor einer Entführung durch die SA bewahrt. Im April 1935 fasste die Gestapo Josef Lampersberger bei einem Treffen mit seinen Verwandten in der Grenzstation Bayrisch Eisenstein (Železná Ruda) und schlug ihn zusammen. Dabei blieb auch der tschechische Wachsoldat, der sich für den Flüchtling einsetzte, nicht verschont. Eine Intervention von tschechoslowakischer Seite konnte allerdings erreichen, dass Lampersberger wieder in die Tschechoslowakei überstellt wurde.109 Manchmal wurden politische Flüchtlinge auch mit gefälschten Briefen zu einem vermeintlichen Wiedersehen in grenznahe Hütten oder in die Berge gelockt und kamen nicht mehr wieder.110 108 Theodor LESSING: „Vermächtnis an Deutschland“, Die Wahrheit, 2.9.1933, Nr. 19, S. 4. 109 Eine eingehende Darstellung des Falles Josef Lampersberger siehe ČERNÝ: Most k novému životu, S. 105–110; GROSSMANN: Emigration, S. 81. 110 ČERNÝ: Most k novému životu, S. 34.

Alltag

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Ein Wiedersehen mit Angehörigen wurde mitunter aber auch von diensteifrigen tschechischen Gendarmen vereitelt. Von einem solchen Fall berichtet in einer ihrer Reportagen Milena Jesenská. Nach zweijährigem Exil in der Tschechoslowakei hoffte ein jüdischer Flüchtling auf ein Wiedersehen mit Frau und Kind. Ausgestattet mit allerlei Ausweisen und Bescheinigungen des Hilfskomitees reiste er in das Grenzstädtchen, in dem das Treffen stattfinden sollte. Seine Frau konnte keinen Pass für die Tschechoslowakei bekommen und ihr Passierschein erlaubte lediglich einen dreitägigen Aufenthalt in der Grenzstadt. Kurz vor dem Treffen wurde ihr Mann von der tschechischen Polizei festgenommen und ohne Verhör in der Nachbarstadt inhaftiert, da seine Papiere angeblich unvollständig seien (obgleich er keine anderen haben konnte als genau diese). Am dritten Tag, als die Abreise seiner Frau bevorstand, trat er aus Protest in Hungerstreik, woraufhin man ihn wegen „Behinderung eines erfolgreichen Vorgehens der Polizeidirektion“ aus der Republik auswies. Nach zahlreichen Interventionen wurde ihm ein vierzehntägiger Aufenthalt erlaubt; in dieser Zeit sollte er sich ein Visum nach Amerika beschaffen.111 Doch die Flüchtlinge litten nicht nur durch die Trennung von ihren engsten Angehörigen psychische Qualen, sie litten auch unter dem Verlust ihrer Arbeit und ihrer sozialen Stellung. Viele, und vor allem die Akademiker, konnten sich nur schwer damit abfinden, dass sie ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen konnten und das alles, wofür sie sich in ihrem beruflichen Leben eingesetzt hatten, geschmäht und zerstört wurde. Eine neue Karriere in der Tschechoslowakei aufzubauen, war meist nicht möglich – sie hätten kaum eine entsprechende Stelle an einer Universität, in Krankenhäusern, Theatern oder anderen Institutionen gefunden. Auch jede andere Beschäftigung war ihnen verwehrt, denn sie hatten kein Recht auf Arbeitserlaubnis. Nur Repatrianten konnten als tschechoslowakische Staatsbürger ohne jede Einschränkung ein Beschäftigungsverhältnis eingehen. Auch die Erlaubnis für die Ausübung eines freien Gewerbes zu bekommen, war ein großes Problem. Darauf verweist Bernhard Kahn, der Leiter der Europa-Abteilung bei der JOINT, in einem Bericht von 1934: Die traurigste und wichtigste Sache ist, dass es in der Tschechoslowakei für Geschäftsleute und Handwerker, von Arbeitern gar nicht zu reden, legal nicht möglich ist, sich im Land zu bewähren. Selbst die Geschäftsleute müssen für ihre unternehmerische Tätigkeit eine Lizenz haben, und die zu erhalten ist im Grunde unmöglich. [...] Mit anderen Worten: konstruktive Arbeit, wie wir sie hier in Paris verstehen und die wir in gewissem Maß auch schon leisten, ist dort unmöglich.112 111 Milena JESENSKÁ: Nad naše síly. Češi, Židé a Němci 1937–1939. Praha 1997, S. 9. Aus dem Artikel „Lidé na výspě (Z osudů německých emigrantů)“ [Menschen auf der Sandbank (Schicksale deutscher Emigranten), ursprünglich abgedruckt in Přítomnost 27.10.1937. 112 Archive of AJJDC,Fond 33/44, K. 534: Report on the refugee situation in Czecho-Slovakia, verfasst von Robert Kahn, 11. 7. 1934, S. 1. Hervorhebungen im Original.

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Die Mehrheit der Flüchtlinge arbeitete also nicht; typisch für das Flüchtlingsleben war daher ein Übermaß an freier Zeit. „Das einzige, was sie [die Flüchtlinge] immer überreichlich haben, ist Zeit. Sie werden zeitlos.“, berichtet Käte Frankenthal.113 Auch Anton Kuh, Journalist, Schriftsteller, Rhetor und selbst Flüchtling aus Deutschland, schreibt in seiner Reportage vom April 1933 über deren Situation: Selbst wenn sie sich vormachen, was sie alles mit ihrer Zeit anfangen – sie wissen über einander zu genau, was sie nicht tun werden oder können. Und man begreift da, was sie verloren haben: nicht die Heimat, nicht eine Sprachwelt, nicht die Volkszugehörigkeit, sondern die Wirklichkeit: die Zeitzugehörigkeit.114

Mit diesem Überfluss an Zeit versuchten die Flüchtlinge auf verschiedene Weise zurecht zu kommen. Paul Barnay zum Beispiel verkürzte sich die Zeit, indem er zufällig ausgesuchten Passanten stundenlang durch die Straßen von Prag folgte.115 Viele Intellektuelle – in erster Linie Literaten und Schauspieler – verbrachten ganze Tage in den Prager Kaffeehäusern. Rückblickend mag es scheinen, als hätten sie ein Boheme-Leben geführt. In Wahrheit aber hatten sie kaum andere Möglichkeiten, ihre Zeit auszufüllen. Nicht umsonst heißen die von Flüchtlingen überlaufenen Kaffehäuser in der Literatur „Wartesäle der Emigration“.116 Das Kaffeehaus war auch ein Versuch, der Einsamkeit zu entkommen. Zu den bekanntesten Lokalen dieser Art gehörte das Café Continental auf dem Graben, von den Flüchtlingen kurz Conti genannt, dass trotz seines prestigeträchtigen Namens preisgünstige kleine Mahlzeiten bot. Meist war es überfüllt von deutschen Flüchtlingen, die hitzige Debatten über politische Themen führten. Die Bedienung hatte sich rasch daran gewöhnt, dass ein Gast über einer Tasse Tee einen halben Tag zubrachte oder einen Kaffee anschreiben ließ. Manche nannten das Continental mit bitterer Ironie „Zuhause“. Darüber schreibt Alice Rühle-Gerstel, die sich zwei Jahre als Flüchtling in Prag aufgehalten hat, in ihrem Roman Der Umbruch oder Hanna und die Freiheit.117 Beliebt waren aber auch andere Cafés wie Urban, Juliš, Fénix, Elektra, Wilson, Metro, Edison und Mánes.118 Viele Flüchtlinge suchten die Kaffehäuser auch deshalb auf, weil sie sich die hier ausgelegten Zeitungen selbst nicht kaufen konnten. 113 FRANKENTHAL: Der dreifache Fluch, S. 209. 114 Anton KUH: „Emigranten“, Prager Tagblatt, 16.4.1933, Nr. 91, S. 3. 115 Archiv des Jüdischen Museums Berlin, Leo Baeck Institute, Memoir Collection, LBI JMB MM5: Paul Barnay, Manuskript der Erinnerungen „Mein Leben“, S. 280–281. 116 Eva-Maria SIEGEL: „‚Vorläufiges Leben‘. Emigrationsalltag in Prag 1933–1939“, Exil. Forschung – Erkenntnisse – Ergebnisse, 1992, Jg. 9, Nr. 1, S. 23–38, hier S. 29. 117 Alice RÜHLE-GERSTELOVÁ: Pražský exil Hanny Aschbachové. Román. Brno 2000, S. 115. 118 ČERNÝ: Most k novému životu, S. 164.

Alltag

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Aus ebendiesem Grund saßen sie auch in den Lesesälen der Bibliotheken – vor allem in der Städtischen Bibliothek auf dem Marienplatz. Deren Direktor, Jan Thon, unterstützte die deutschen Flüchtlinge aktiv – auch als Mitglied einer Freimaurerloge – und verschaffte ihnen freien Eintritt. Vincent Kramář, dem damaligen Direktor der Nationalgalerie, verdankten sie freien Eintritt in die verschiedenen Abteilungen auch dieser Institution.119 Die jüdischen Flüchtlinge waren außerdem häufige Besucher der Bibliothek der jüdischen Gemeinde in der Maislova (Maiselgasse).120 Im Laufe einiger Monate entstanden erste Klubs und Diskussionszirkel. Die beiden wichtigsten waren zunächst der kommunistische Bert-Brecht-Klub von Wieland Herzfelde und F. C. Weiskopf sowie Der neue Klub, der, sozialdemokratisch ausgerichtet, in Kooperation mit den tschechoslowakischen Sozialdemokraten agierte.121 Die Demokratische Flüchtlingsfürsorge organisierte für ihre Schützlinge Besuche im Theater, vor allem im Neuen deutschen Theater (der heutigen Staatsoper), wobei für die Eintrittskarten der Verein Urania aufkam.122 Einladungen in einen Bridge-Club erschienen regelmäßig in der Zeitschrift Aufruf. Für die Flüchtlingsgemeinde in der Tschechoslowakei war – im Vergleich mit anderen europäischen Ländern – eines typisch: von denen, die keine finanziellen Mittel hatten, meist auch keine gültigen Reisedokumente und keine Aufenthaltsgenehmigung, versuchte eine weitaus größere Zahl, die nationalsozialistische Zeit hier im Land zu überstehen. Die geographische Nähe, die lange gemeinsame Grenze, die durch bergiges Terrain verlief, und der visumfreie Reiseverkehr ermöglichte vielen, auch den mittellosen, eine Flucht in die Tschechoslowakei. Allerdings mussten sie hier auch bleiben, denn für eine Weiterreise in andere Länder fehlten entweder die nötigen Mittel oder die erforderlichen Dokumente, oft auch beides. Wer wohlhabend war oder dank seines Berufs oder seiner gesellschaftlichen Stellung Kontakte in andere westliche Staaten oder nach Übersee hatte, reiste über die Tschechoslowakei weiter aus nach Westen. Vermögendere, die sich aus verschiedenen Gründen dennoch zu einem Verbleib in der Tschechoslowakei entschieden, waren, wenn sich ihre Mittel über kurz oder lang erschöpft hatten, oft auch auf die bescheidene Unterstützung der Hilfskomitees angewiesen. Die Tschechoslowakei war nicht zuletzt deshalb ein begehrtes Ziel armer Flüchtlinge, weil sie als relativ billiges Land galt. Daher kehrten zwischen 1933– 1937 immer wieder auch Flüchtlinge aus anderen westeuropäischen Ländern in 119 DEA, Nachlass Willy Sternfeld, Sign. EB 75/177, B.I.3.a: Vilma Loewenbach: Die Emigration der Antihitler-Deutschen nach Prag, ab 1933, S. 10. 120 AŽMP, Fond Jüdische Kultusgemeinde Prag, Protokolle der Sitzungen der Repräsentanten von 1934: Sitzung vom 22.1.1934. 121 ČERNÝ: Most k novému životu, S. 164. 122 Menschen auf der Flucht. Drei Jahre Fürsorgearbeit für die deutschen Flüchtlinge. Praha 1936, S. 13.

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die Tschechoslowakei zurück, denn hier konnte man mit minimalen Mitteln leichter überleben. Dies gilt zum Beispiel für die bereits im Vorwort zitierte jüdische Sozialdemokratin Käte Frankenthal.123 Käte Frankenthal, geboren 1889 in Kiel, war Ärztin im Berliner Stadtteil Neukölln und engagierte Sozialdemokratin. 1925 wurde sie in die Berliner Stadtverordnetenversammlung gewählt und rückte 1931 als Abgeordnete in den Preußischen Landtag nach. Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten flüchtete sie unter dramatischen Umständen in die Tschechoslowakei. Sie hielt sich einige Monaten in Prag auf, reiste dann weiter nach Frankreich, und von dort, nachdem sie sich vergeblich um Arbeit bemüht hatte, in die Schweiz. Die Lebenshaltungskosten in der Schweiz waren jedoch so hoch, dass sie sich 1936 zu einer Rückkehr nach Prag entschloss. Dort wurde sie wichtigste Mitarbeiterin von Marie Schmolka, bei der sie auch in Untermiete wohnte. 1938 erhielt sie ein Visum in die USA und bald darauf die Zulassung für eine ärztliche Praxis. Käte Frankenthal arbeitete unter anderem als Psychiaterin in einem Frauengefängnis und hielt Vorträge an zahlreichen amerikanischen Universitäten. Auf Aufforderung der Harvard-Universität schrieb sie bereits 1940 ihre Erinnerungen, die unter dem Titel Der dreifache Fluch: Jüdin, Intellektuelle, Sozialistin als Buch erschienen. Käte Frankenthal war auch an der Ausarbeitung neuer Bildungskonzepte für die Schulen in Nachkriegs-Deutschland beteiligt. Sie starb 1974 in New York.124

Die Lebensgeschichte Käte Frankenthals wurde auch als Comic publiziert.

123 FRANKENTHAL: Der dreifache Fluch, S. 226–227. 124 NA, PŘ, 1931–1940, Sign. F 1264/16, K. 5816: Frankenthalová Katy.

Alltag

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Auch versuchten in Prag viele verarmte Flüchtlinge zu überleben, obwohl man ihnen eine Aufenthaltsgenehmigung verweigert hatte. War nämlich ein Flüchtling in der Tschechoslowakei abgelehnt und ausgewiesen worden, so verringerten sich zugleich seine Chancen, legal in ein anderes Land einzureisen. Flüchtlinge, die auf Grund eines gerichtlichen oder polizeilichen Entscheids abgeschoben wurden, kehrten oft illegal zurück.125 Wer sich illegal im Land aufhielt, hatte aber keinen Anspruch auf Unterstützung durch ein Hilfskomitee. Die Problematik der ausgewiesenen Flüchtlinge wurde wiederholt bei den Sitzungen des Comité National diskutiert. Ein Sitzungsprotokoll vom Februar 1935 enthält hierzu eine Stellungnahme von Marie Schmolka: Der Ausgewiesene ist gebrandmarkt und seine Unterbringung fast unmöglich. Die Praxis in Frankreich habe ergeben, dass die Ausgewiesenen wieder zurückgekehrt sind und praktisch nichts erreicht worden ist.126

Ein Hauptproblem aller Hilfsorganisationen in der Tschechoslowakei war also nicht so sehr der Unterhalt der Flüchtlinge, sondern vor allem die Legalisierung ihres Aufenthalts. Dass die Zahl der illegal vor sich hin vegetierenden Flüchtlinge wohl etwa ebenso groß war wie die der offiziell von den Hilfskomitees erfassten, ist eine schockierende Erkenntnis. Zur Kategorie Flüchtling zählen wir dabei auch Personen, die offiziell nicht als solche galten. Auch darf nicht übersehen werden, dass sich die Situation der Flüchtlinge 1935, nach der Verabschiedung des neuen Ausländergesetzes, völlig gewandelt hatte. Zwischen 1933–1935 hatten sich viele nicht bei einem Hilfskomitee gemeldet, denn in diesen ersten beiden Jahren war noch keine Aufenthaltserlaubnis erforderlich. Verfügten sie über genügend Geld (und hatten also sowieso keinen Anspruch auf Unterstützung), gab es für eine Meldung bei einem der Komitees keinen zwingenden Grund. Ab 1935 jedoch befanden sich die Flüchtlinge, die nicht über ein Komitee um eine Aufenthaltsgenehmigung nachgesucht oder diese direkt bekommen hatten, im Widerspruch zum Gesetz. In einem 1937 in der Zeitschrift Přítomnost [Gegenwart] erschienenen Artikel schätzt Milena Jesenská die Zahl der nicht gemeldeten Flüchtlinge sogar auf etwa 2000. Bei den Hilfskomitees waren zur selben Zeit ca. 1500 Personen registriert.127 Bei den illegalen Flüchtlingen handelte es sich mehrheitlich um polnische Juden sowie Juden, die vor Rassendiskriminierung geflüchtet waren. Die materielle 125 Frankenthal erinnert sich, dass sich bei ihr relativ häufig auch ausgewiesene Personen meldeten, siehe FRANKENTHAL: Der dreifache Fluch, S. 235. Zur Ausweisung von Flüchtlingen siehe auch Kapitel „Flüchtlingspolitik zwischen Wohlwollen und Willkür“. 126 YIVO, NY, HICEM – Prague Office, RG 245.10, folder 1, MKM 15.135: Prague Committee for German-Speaking Refugees: Sitzungsprotokoll des Comité National, 7.2.1935. 127 JESENSKÁ: Nad naše síly, S. 6.

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Situation derjenigen, die Unterstützung bezogen, war oft nicht sehr viel besser, denn die Zuwendungen der Komitees waren gerade zwischen 1936–1938 ganz einfach nicht ausreichend. Der eigentliche Unterschied war vielmehr der, dass die legalisierten Flüchtlinge auf eine weitere Ausreise in ein Drittland hoffen konnten. Wie aber sah das Leben derer aus, die über einen beglaubigten Evidenzschein verfügten und die Hilfe eines Komitees in Anspruch nehmen konnten? Nach der anfänglichen Euphorie im Frühjahr 1933, als die gerade erst entstandenen Organisationen die leicht gesammelten Gelder großzügig verteilten, zeichnete sich bereits im Sommer, spätestens aber im Herbst eine erste Krise ab; einige der Komitees standen vor dem Bankrott. Die Zuwendungen, die in den ersten Monaten für zwei Wochen, zumindest jedoch für eine Woche ausbezahlt worden waren, mussten nun Tag für Tag von den Flüchtlingen abgeholt werden.128 Die ausgezahlten Beträge verringerten sich kontinuierlich. Zunächst hatten fast alle Komitees zwischen 15–16 Kronen pro Tag ausgezahlt, in den Jahren 1937 und 1938 waren es, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht mehr als fünf Kronen.129 Der Geldmangel zwang die Komitees, die Effektivität ihrer Tätigkeit ständig zu erhöhen. Die Ausgaben für Unterkunft und Essen mussten gesenkt werden. Die Verköstigung der Flüchtlinge hatten die Komitees zunächst über verschiedene Kantinen geregelt – den Klub der deutschen Künstlerinnen in der Altstadt, die YMCA und die Mensa für Handelsbeamte. Die Kosten für ein Mittagessen beliefen sich jedoch auf fünf und mehr Kronen; das konnten die Komitees nicht mehr leisten. Noch im Herbst 1933 konnte die erste Volksküche eröffnet werden, und zwar in einem angemieteten Häuschen in der Straße Na Zbořenci, das nur aus einem Raum mit Küche bestand. Auch wenn es eine Miniaturküche war, dunkel und mit nur kleinem Herd, konnten hier täglich ca. 50 Flüchtlinge verköstigt werden. Die tatsächlichen Kosten für ein Mittagessen lagen hier bei weniger als einer Krone. Im Vorraum konnten stets vier bis sechs Personen unterkommen.130 Allerdings zeigte sich bald, dass die Küche mit ihren Kapazitäten der Nachfrage nicht gewachsen war. Größere Räumlichkeiten fanden sich in der Žitná [Korngasse] neben dem Sitz des YWCA. Bei dem Objekt handelte es sich um ein Bankrott gegangenes Gasthaus im Innenhof, das die schon ältere Besitzerin für einen geringen Betrag zur Nutzung überlassen wollte, wenn man in der Gaststube eine Mauer einziehen würde, so dass sie in dem abgeteilten Raum wohnen könnte und außerdem kos-

128 LARUS: „Kredit den Emigranten!“, S. 135. 129 Vgl. Evelyn LACINA: Emigration 1933–1945. Sozialhistorische Darstellung der deutschsprachigen Emigration und einiger ihrer Asylländer auf Grund aus gewählter zeitgenössischer Selbstzeugnisse. Stuttgart 1982, S. 235. 130 DEA, Nachlass Willy Sternfeld, Sign. EB 75/177, B.I.3.a: Vilma Loewenbach: Die Emigration der Antihitler-Deutschen nach Prag, ab 1933, S. 12–13.

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tenlos verpflegt würde. Hinter der Küche befand sich ein zweiter Wohnraum für das Küchenpersonal.131 Die Küche in der Žitná musste allerdings komplett erneuert werden. Paul Nettl vermittelte daher ein Treffen zwischen Vilma Loewenbach und den Vertretern der deutschen Freimaurerloge in Prag. Loewenbach schilderte die bedrängte Lage der deutschen Flüchtlinge und konnte zumindest einen Teil der Anwesenden davon überzeugen, dass ihre Spende für die Einrichtung einer Volksküche unverzichtbar sei. Finanzielle Unterstützung oder auch Naturalien wurden schließlich eher von Einzelnen zugesichert als von der Loge selbst; großzügig unterstützt wurde die Volksküche vor allem von Familie Petschek.132 Jana Čechurová weist darauf hin, dass sich der „Aktion Volksküche“ auch die sonst karitativ eher zurückhaltenden tschechischen Freimaurerlogen anschlossen.133 Unklar bleibt jedoch, ob es sich bei dem gemeinten Projekt um ebenjene Küche in der Žitná handelte. Aus einem zusammenfassenden Bericht der tschechischen Freimaurer geht nichtsdestoweniger hervor, dass die Entscheidung darüber, wer Anrecht auf eine regelmäßige Verpflegung hat, bei der Sozialabteilung des Magistrats und beim Sozialinstitut der jüdischen Gemeinde lag.134 Letztere versuchte, gerade den jüdischen Flüchtlingen aus NS-Deutschland zu einer Verköstigung zu verhelfen. Die Küche in der Straße Na Zbořenci wurde nicht eingestellt, sie wurde zur „Diätküche“ für Flüchtlinge mit verschiedenen Einschränkungen. Hier wurde weiterhin für zehn bis fünfzehn Personen gekocht. Eine gewisse Zeit lag die Führung der Küche in Händen von Ada Lessing, der Witwe Theodor Lessings.135 Die Zahl der Flüchtlinge, die in der Žitná verköstigt wurden, war groß, denn auch die Demokratische Flüchtlingsfürsorge und, zumindest teilweise, das Jüdische Hilfskomitee hatten Interesse an billigeren Mittagessen. Etwa 150 Essensmarken wurden verteilt, aber gut doppelt so viel Essen ausgegeben. Denn es fanden sich nicht nur die ein, die auf jedem Weg zu sparen versuchten, sondern auch die Illegalen, die keinen Anspruch auf Unterstützung hatten und sich daher offiziell auch keine Essensmarken besorgen konnten. Beim Einkauf wurden diese „schwarzen Passagiere“ berücksichtigt.136 Die tatsächlichen Kosten für ein Essen lagen bei ungefähr einer Krone, die Marken wurden für zwei Kronen verkauft. Kurt Grossmann regte auch die Einrichtung einer Abendküche an. Hier kostete ein Essen 30 Heller. Dank des genauen Berichts von Vilma Loewenbach wissen wir, dass aus Schüsseln und nur mit Löffeln gegessen wurde, dass es zweimal wö131 132 133 134 135

Ebda., S. 14. Ebda., S. 13. Jana ČECHUROVÁ: Čeští svobodní zednáři ve XX. století. Praha 2002, S. 222–224. Ebda., S. 224. DEA, Nachlass Willy Sternfeld, Sign. EB 75/177, B.I.3.a: Vilma Loewenbach: Die Emigration der Antihitler-Deutschen nach Prag, ab 1933, S. 15. 136 Ebda., S.14

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chentlich Fleisch gab (einmal Hackfleisch, einmal Schnitzel), dass einmal in der Woche Buchteln gebacken wurden und das häufigste Gericht Eintopf war.137 Was die Unterbringung der Flüchtlinge betraf, suchte man anfangs nach billigen Privatunterkünften (Untermiete), im Sommer nutzte man die freigewordenen Studentenwohnheime, die im September allerdings wieder geräumt werden mussten. Ein kollektives Wohnen entwickelte sich zunächst nur in kleinem Rahmen – mehrere Flüchtlinge teilten sich eine Wohnung. Aber auch diese Variante war für die Komitees eine finanzielle Belastung und daher versuchten sie, außerhalb des Zentrums, wo die Mieten geringer waren, größere Wohnheime, sogenannte Kollektive, einzurichten. Das Leben in den sog. Kollektiven war für die Flüchtlinge dennoch ein großer Eingriff in die Privatsphäre. Bei der Unterbringung wurde die Zusammengehörigkeit einer Familie nur selten respektiert, die Flüchtlinge schliefen in Gemeinschaftsräumen und auch die übrigen Räume wurden gemeinsam genutzt. Insbesondere in größeren Kollektiven war der Ablauf des täglichen Lebens strikt geregelt. Selbst das Verlassen des Wohngebäudes musste gemeldet werden. Die meisten dieser Kollektive wurden von den Kommunisten oder Sozialdemokraten verwaltet, die größten Wert auf Gleichheit legten und eine gewisse Disziplin auf Grund ihrer Linksorientierung im Großen und Ganzen für eine Selbstverständlichkeit hielten. Alltag und Lebensqualität in den einzelnen Kollektiven gestalteten sich sehr unterschiedlich. Einige Kollektive gereichten den Flüchtlingen mehr zum Schaden als zum Nutzen. Das erste Kollektiv, dass die Demokratische Flüchtlingsfürsorge bei Schwarzkosteletz (Kostelec nad Černými Lesy) eröffnet hatte, war ein völliges Fiasko. Die Flüchtlinge litten unter der totalen Isolation, das Heim lag sechzehn Kilometer vom nächsten Dorf entfernt. Auch die Verpflegung war mangelhaft. Es gab nur Brot und Wassersuppe. Decken fehlten, und auch Strohsäcke – anstelle von Matratzen – waren nicht ausreichend vorhanden.138 Die Demokratische Flüchtlingsfürsorge löste das Heim nach einem halben Jahr auf und organisierte von nun an gemeinschaftliche Wohnprojekte nur noch innerhalb Prags (vor allem in Záběhlice wurden hierfür Wohnungen angemietet139); lediglich einen kleinen Teil ihrer Schützlinge brachte sie im Schloss von Kornhaus (Mšec) unter. Als abschreckendes Beispiel kann auch das Kollektiv der kommunistischen Vereinigung zur Unterstützung deutscher Emigranten in Prag-Straschnitz (Praha-Strašnice, Bohdalecká 148, heute Na Hroudě 148) gelten. Man hatte es in der Halle einer während der Wirtschaftskrise Bankrott gegangenen Fabrik eingerichtet. Von Vorteil für die Flüchtlinge war die relative Nähe zum Zentrum Prags; ansonsten aber war über dieses Kollektiv nur Negatives zu hören. Alice Rühle137 Ebda. 138 Willy STERNFELD: „Zuflucht in Prag“, S. 201. 139 Menschen auf der Flucht, S. 11.

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Gerstel, die das Wohnheim in Straschnitz 1936 besuchte, schrieb erschüttert an ihren Mann Otto Rühle in Mexiko: Ich war im Straschnitzer Emigrantenheim, wo 110 Genossen mit Kind und Kegel in grässlichem Milieu hausen, wie im Zwischendeck eines Totenschiffs in einer alten Fabrik zusammengepfercht, mit 110 Kc. pro Kopf pro Monat Subsistenz, vielen noch kranken und verwundeten Konzentrationslager-Entronnenen, kurz grauenvoll.140

Wohnheim der deutschen Emigranten in Prag-Straschnitz (Praha-Strašnice), 1935

Kritisch beurteilt wurde das Emigrantenheim in Straschnitz auch von Berta Landré, einer jüdischen Kommunistin, die mit ihrem Kind 1936 aus Deutschland geflüchtet war. In Prag stand sie vor einem Dilemma. Um Unterstützung von der Vereinigung zur Unterstützung deutscher Emigranten zu beziehen, hätte sie in das Heim in Straschnitz ziehen müssen, das bei einem Besuch einen deprimierenden Eindruck auf sie gemacht hatte: Der Platz zwischen den Baracken war ungepflastert, und die Leute schlurften in ihren Patschen, ihren gefütterten Hausschuhen durch den von den Dezemberregen aufgeweichten Lehm, viele in Morgenröcken, obwohl es gegen Mittag ging. Verdreckte Kinder trieben sich zwischen den Baracken herum und in einem der Gemeinschaftsräume hockten Männer und Frauen herum, spielten Karten, rauchten, diskutierten oder 140 Der Brief wird zitiert bei JACOBY: Davongekommen, S. 143, Anm. 6.

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stritten sich. Auch hier fast alle in Morgenröcken oder in Pyjamas, die Frauen mit Lockenwicklern im Haar.141

Die Frau, die Berta Landré durch die Anlage führte, schämte sich offenkundig für das Bild, das sich der Besucherin bot, und versuchte, ihre Schützlinge zu entschuldigen: Weißt Du, Genossin, es ist für alle deprimierend, hier so herumzusitzen. Die meisten ziehen sich hier draußen nicht richtig an, weil sie ihre Kleider schonen wollen – wenn man in der Stadt zu tun hat!142

Berta Landré war von diesem Besuch so schockiert, dass sie sich entschied, in Untermiete zu wohnen und sich das nötige Geld durch Schwarzarbeit zu verschaffen – durch Deutschunterricht und Beratungstätigkeit für deutsche Kaufhäuser in Prag und im Grenzgebiet. Gut funktionierende, große Kollektive entstanden im Hotel Ritz in Königsaal und in Kornhaus. Das Hotel Ritz hatte Emanuel Voska der Sozialdemokratischen Flüchtlingsfürsorge zur Nutzung überlassen. Voska, im Ersten Weltkrieg General der zur amerikanischen Armee gehörigen tschechoamerikanischen Legion143, hatte das Gebäude zwischen 1923 und 1924 errichten lassen, doch der Betrieb des Hotels hatte sich im Laufe der Zeit, wohl wegen des nahe gelegenen Traditionshotels Vejvoda, als unrentabel erwiesen. Voska schenkte sein Hotel daher den Legionären als Erholungszentrum, doch diese machten davon offenbar keinen allzu intensiven Gebrauch. Aus dem Bericht über den Zustand des Objekts – er stammt vom Juli 1933 – geht hervor, dass sich das Gebäude in einem erbärmlichen Zustand befand. In der Küche musste ein neuer Herd installiert werden, Müll hatte sich angesammelt, die Bäder bedurften einer Renovierung und auch andere Arbeiten waren noch vonnöten.144 Vom Sommer 1933 bis zum März 1934 stieg die Zahl der in Voskas ehemaligem Hotel untergebrachten Flüchtlinge auf über neunzig.145 Geleitet wurde das Heim von Kurt Pittig, einem ehemaligen Vorstandsmitglied der Sozialdemokratischen Partei in Freiberg. Er schreibt in seinem Zeitbericht, dass die sozialistischen Flüchtlinge sehr darauf achteten, den Wohnbetrieb mit möglichst geringen Kosten zu führen. So wurden gleich nach der Gründung des Kollektivs auch Werkstätten eingerichtet: Schneider, Tischler, Schuhmacher, 141 Österreichische Gesellschaft für Zeitgeschichte, Wien, Sign. MM-76: Berta Landré: Durch’s Sieb der Zeit gefallen, nicht publiziertes Manuskript, S. 175. 142 Ebda. 143 Zu Emanuel Voska siehe Ivan BROŽ: Masarykův vyzvědač. Praha 2004. 144 DEA, Nachlass Willy Sternfeld, Sign. EB 75/177, B.I.3.a: Bericht über den Ausbau des Emigrantenheimes Königsaal in der Zeit vom 10.7.1933 bis 28.2.1934, S. 1. 145 Ebda., S. 3.

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Maler, Schlosser und Elektroinstallateur waren vertreten. In diesen Werkstätten reparierten oder produzierten die Flüchtlinge in Selbsthilfe alles, was für die Ausstattung des Gebäudes vonnöten war bzw. was sie selbst brauchten. Wichtig war auch die Küche, der neu angelegte Garten und die sich allmählich vergrößernde Schweine-, Kaninchen- und Geflügelzucht. Kurt Pittig führt in seinem Bericht aufs Genaueste aus, welche Arbeiten in den Werkstätten und in der Küche vorgenommen wurden. Die Kosten für die tägliche Verpflegung konnten bei 5–6 Kronen pro Person gehalten werden, und in Selbsthilfe schufen sich die Flüchtlinge eine Ausstattung im Wert von mindestens 54 000 Kronen. Dennoch räumt Pittig eine oft sehr große psychische Belastung ein: die Flüchtlinge litten unter dem Gefühl des Entwurzeltseins und auch das Zusammenleben der verschiedenen Generationen und Mentalitäten unter einem Dach führte ständig zu Konflikten, die einer Schlichtung bedurften.146 Im Königsaaler Kollektiv wohnte auch Philipp Scheidemann, der erste Kanzler der Weimarer Republik und über lange Jahre führender Vertreter der Sozialdemokratie in Deutschland. Max Seydewitz hingegen, der lediglich Abgeordneter der Sozialdemokratischen Partei im Reichstag gewesen war, wohnte mit seiner Familie in Pensionen und zur Untermiete. Er konnte, so jedenfalls äußert er sich in seinen Erinnerungen, nicht verstehen, warum die Führung der exilierten Sozialdemokratie dem damals schon achtundsechzigjährigen Scheidemann keine bessere Unterkunft finanzierte. Seltsamerweise war in dem primitiven Massenquartier auch Philipp Scheidemann untergebracht, einstmals neben Friedrich Ebert Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei und eine Zeitlang Reichskanzler in der Weimarer Republik. Daß man ihn in das Sammellager steckte, lag wohl daran, daß er sich in der letzten Zeit vor der Emigration kritisch über die Politik der Parteiführung geäußert hatte.147

Im Jahre1935 ging Scheidemann in die Schweiz, von dort nach Dänemark, wo er 1939 starb.148 Das Schloss in Kornhaus hatte das „Šalda“-Komitee auf Fürsprache Arne Laurins, dem damaligen Chefredakteur der Prager Presse, von der staatlichen Forstund Güterverwaltung erhalten. Zwar musste noch hartnäckig mit der Tschechoslowakischen nationalsozialistischen Partei verhandelt werden, die einen Teil des

146 Ebda., S. 4–9. 147 SEYDEWITZ: Es hat sich gelohnt zu leben, S. 307. 148 Zur Person Philipp Scheidemanns Christian GELLINK: Philipp Scheidemann. Gedächntis und Erinnerung. Münster – New York – München – Berlin 2006; Helmut Schmersal: Philipp Scheidemann, 1865–1939. Ein vergessener Sozialdemokrat. Frankfurt am Main – Berlin – Bern – Bruxelles – New York – Wien 1999.

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Ernte im Schlossgarten von Kornhaus

Gebäudes als Ferienerholungsheim nutzte, schließlich aber in ein anderes Objekt wechselte, in dem sie sich, gewissermaßen als Abfindung, einen Herd und Teile der Kücheneinrichtung finanzieren ließ. Die Kosten hierfür übernahm, um das Komitee zu entlasten, die Frau von Finanzrat Julius Petschek.149 Das Objekt in Kornhaus war in noch beklagenswerterem Zustand als das Hotel Ritz in Königsaal. In Teilen des Gebäudes fehlten Böden, Treppen, Wasserleitungen und sanitäre Einrichtungen. Wasser musste zunächst aus dem Dorfbrunnen herbeigeschafft werden, der etwa einen Kilometer entfernt lag. Mit der Renovierung begann man im Sommer 1934, wobei die meisten Bauarbeiten von den Flüchtlingen selbst ausgeführt wurden. Ein Teil des Mobiliars war dem Komitee überlassen worden, anderes fertigten die Flüchtlinge selbst an; Betten stellte das Tschechoslowakische Rote Kreuz.150 Im April 1934 zogen 34 Flüchtlinge des „Šalda“-Komitees und ebenso viele von der Demokratischen Flüchtlingsfürsorge nach Kornhaus. Ärzte schickte das Jüdische Hilfskomitee aus den Reihen seiner Schützlinge. Zum Leiter des Kollektivs wurde Rudolf Blank ernannt. 151 149 DEA, Nachlass Willy Sternfelda, Sign. EB 75/177, B.I.3.a: Vilma Loewenbach: Die Emigration der Antihitler-Deutschen nach Prag, ab 1933, S. 18. 150 DEA, Nachlass Willy Sternfelda, Sign. EB 75/177, B.I.3.a: Helena Matoušková, beigelegt dem Brief aus New York an Wilhelm Sternfeld, 20. 7. 1944, S. 3. 151 ČERNÝ: „Komitéty pro pomoc německé emigraci v ČSR (1933–38)“, S. 282.

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Mitte April 1934 besuchte das Schloss in Kornhaus sogar Hochkomissar McDonald. Begleitet wurde er während seines Besuches in Prag von Jan und Vilma Loewenbach. 152 Sie hatten das „Šalda“-Komitee mitbegründet und sowohl den Umbau des Schlosses als auch den Umzug der Flüchtlinge von Prag dorthin organisiert. Ähnlich wie in Königsaal richtete man in Kornhaus eine Schneider- und eine Tischlerwerkstatt ein, wo junge Flüchtlinge eine Lehre machen konnten, auch der Garten wurde genutzt und eine Kleinviehzucht aufgebaut. Nach dem Bericht von Helena Matoušková, die das Kollektiv in Kornhaus von Prag aus beaufsichtigte und die Berichte des Šalda-Komitees [Zprávy Šaldova komitétu] herausgab, mussten die Flüchtlinge Turnstunden besuchen, außerdem gab es einen Musizier- und Sängerkreis, verschiedene Diskussionszirkel und Tschechischkurse.153 Einmal im Monat erschien sogar die zehn bis fünfzehnseitige Zeitschrift Kollektiv-Echo, in der Aktionen wie das Sammeln von Waldbeeren oder von Fichtenzapfen zum Anschüren detailliert geschildert wurden.154 Besondere Fürsorge galt den Kindern zwischen drei und vierzehn Jahren, von denen es in Kornhaus etwa fünfunddreißig gab. Das Kollektiv in Kornhaus wurde im Unterschied zu dem in Königsaal im kommunistischen Geist geführt. Daher wurden die Kinder von den Eltern getrennt und in eigenen Räumen untergebracht. Über ihre Erziehung, Ernährung und Bildung wachte eine Kommission aus Elternvertretern. Die Kinder im Schulalter besuchten die tschechische Schule in Kladno. Damit sie aus sprachlichen Gründen nicht hinter den tschechischen Kindern zurückblieben, nahm ein Lehrer aus den Reihen der Flüchtlinge nach dem Unterricht den Stoff noch einmal auf deutsch durch. Die meisten Kinder erlernten das Tschechische jedoch relativ schnell.155 Außer Kornhaus und Königsaal gab es noch etliche weitere kleinere Kollektive. Die kommunistische Vereinigung zur Unterstützung deutscher Emigranten mietete zum Beispiel Mehrzimmerwohnungen in verschiedenen Vierteln Prags an. Eine größere Zahl von Flüchtlingen (ca. 35 Personen) brachte sie im Haus Nr. 268 in der Ulice Armády (Straße der Armee) in Stodulek (Stodůlky) unter. Ab Oktober 1936 wurden diese Flüchtlinge nach Zbusan (Zbuzany) bei Prag (ulice Nádražní [Bahnhofstraße] 100) verlegt. Die Sozialdemokraten gründeten Kollektive in 152 BREITMAN, MCDONALD, STEWART, HOCHBERG (Hg.): Advocate of the Doomed, S. 537–540. 153 DEA, Nachlass Willy Sternfeld, Sign. EB 75/177, B.I.3.a: Helena Matoušková, beigelegt dem Brief aus New York an Wilhelm Sternfeld, 20.7.1944, S. 3. 154 DEA, Nachlass Willy Sternfeld, Sign. EB 75/177, B.I.1(12): Sternfels nicht publiziertes Buchmanuskript Die Czechoslovakei als Asylland der Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland, Kapitel „Die Kollektive (Gemeinschaftshäuser)“, S. 6. 155 DEA, Nachlass Willy Sternfeld, Sign. EB 75/177, B.I.3.a: Helena Matoušková, beigelegt dem Brief aus New York an Wilhelm Sternfeld, 20.7.1944, S. 3.

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Die Erziehung der Kinder erfolgte in Kornhaus getrennt von den Eltern

Wegstädtl (Štětí), Znaim (Znojmo), Graslitz (Kraslice) und in Rybáře (heute ein Stadtteil von Karlsbad).156 Vermutlich war es das Kollektiv in Wegstädtl, das Robert Groetzsch für seinen Roman Wir suchen ein Land (1936) zur Vorlage nahm.157 Groetzsch beschreibt die tagtäglichen Mühen und raren Freuden der ca. ein Dutzend Flüchtlinge, die aus einem verfallenen Bau eine Unterkunft für sich schufen. Außer dieser literarischen Verarbeitung liegen uns aber auch zeitgenössische Dokumente über ein sozialdemokratisches Kollektiv in Höragrund und ein Wohnheim in Prag-Letná (Kamenická-Straße) vor. Im Nachlass von Wilhelm Sternfeld hat sich eine Polizeiverordnung erhalten, wie sie die Bewohner des Letná-Heims unterschreiben mussten, auch eine Hausordnung von 1935. Die einzelnen Punkte der Hausordnung lassen überraschenderweise keine sonderlich strenge Disziplin erkennen. Beim Frühstück um acht Uhr wurde die Anwesenheit der Flüchtlinge kontrolliert, ansonsten wurde vor allem dazu aufgerufen, den Bewohnern der umliegenden Häuser keinen Anlass zur Beschwerde zu geben. Die Flüchtlinge sollten sich also nicht zu laut verhalten, insbesondere nicht nach 22 Uhr. Einlass war bis

156 Heute ist Rybáře Teil von Karlsbad (Karlovy Vary). 157 Robert GROETZSCH: Wir suchen ein Land. Bratislava 1936.

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ein Uhr nachts und selbst das Rauchverbot im Bett war nicht sonderlich drastisch formuliert.158 Das Kollektiv in der nördlich von Pilsen gelegenen Einöde Höragrund (tschechisch Hůrka; aufgelassen159) war im Grunde ein Ableger des Kollektivs in Zbraslav. In Höragrund hatte ein sozialdemokratischer Funktionär aus der Tschechoslowakei eine Mühle zur Verfügung gestellt, in der sich elf ausgesuchte ledige Männer verschiedener Berufe aus dem Königsaaler Kollektiv ab 1934 ein vorläufiges Zuhause einrichten konnten. Der damalige Kollektivleiter Simmel schildert Ausbau und Renovierung der Mühle, alle vorgenommenen Reparaturen sowie das Leben der Flüchtlinge dort in einem mehrseitigen, engzeiligen Typoskript detailliert und nicht ohne Nostalgie. Die Bewohner mussten abwechselnd bestimmte Dienste im Haushalt versehen, genossen ansonsten aber relativ viel Freiheit und unternahmen gemeinsame Spaziergänge und Ausflüge in die Umgebung. Aus seiner Sicht verstanden die überwiegend aus einem städtisch-intellektuellen Umfeld stammenden Bewohner der Höragrunder Mühle ihren Aufenthalt als ein einziges großes Abenteuer, bei dem sie lernten, Bauarbeiten auszuführen und sparsam zu wirtschaften. Simmel hebt ebenso die guten Beziehungen zu den Nachbarn hervor, die immer wieder verschiedene Dinge brachten, um die Not der Flüchtlinge zu mildern. Die Grenzwächter aus Bernklau (Bezvěrov) und Neumarkt (Úterý) kamen sogar gern auf ein Gespräch vorbei.160 Die Zuspitzung der politischen Lage 1937 und der Plan, ein Reservat für die Flüchtlinge einzurichten, hatten die Auflösung des Kollektivs zur Folge.161 Die meisten seiner Bewohner zogen sich nach Prag zurück, und schon im Herbst 1937 flüchteten viele in ein anderes Land. Eine ganze Reihe von Kollektiven und auch Flüchtlingslagern entstand nach dem Februar 1934 für die Flüchtlinge aus Österreich. Das größte befand sich im Sportpark Brünn-Augarten (Brno-Lužánky), weitere waren in Göding (Hodonín), Iglau ( Jihlava), Unterthemenau (Poštorná), Nikolsburg (Mikulov), Tirnau (Trnava), Kočerad (Chocerady), Butschowitz (Bučovice), Stefanau (Štěpánov), Mährisch Sternberg (Moravský Šternberk) und Wallern (Volary).162 Helmut Konrad zufolge zeichneten sich diese Lager durch besonders harte Bedingungen und strikte Disziplin aus, was die Haus- und Lagerordnungen durchaus bestätigen. Aufgestanden wurde um sechs Uhr, es folgten Morgengymnastik, Frühstück und um halb neun 158 DEA, Nachlass Willy Sternfelda, Sign. EB 75/177, B.I.3.a: Hausordnung für das sozialdemokratische Flüchtlingsheim Prag VII, Kamenicka 1. 159 Siehe Hamelika, Periodikum für die Geschichte von Marienbad (Mariánske Lázně), 10.7.1997, Jg. 21, Nr. 5–6, online: http://hamelika.webz.cz/h97-05+06. htm [zit. 20.10.2007]. 160 DEA, Nachlass Willy Sternfeld, Sign. EB 75/177, B.I.3.a: Undatierter Brief von Herrn Simmel, S. 1–6. Der Brief beginnt mit den Worten „Werte Genossen“ und war offenbar für die Leitung des Sozialdemokratischen Hilfskomitees bestimmt. 161 Siehe Kapitel „Flüchtlingsreservat“. 162 BLODIG: „Die tschechoslowakischen politischen Parteien …”, S. 267.

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Uhr Antritt zum Appell. Dann wurde sechs Stunden gearbeitet. Tagsüber durfte man den Schlafsaal nicht betreten und um neun Uhr abends mussten die Lichter in den Räumen gelöscht werden. Am schwersten zu ertragen war jedoch für die Flüchtlinge, wie Erinnerungen belegen, dass die Arbeiten, die sie ausführen mussten, sie lediglich beschäftigen sollten, an sich aber keinen Sinn hatten.163 Die Flüchtlingslager und Kollektive waren in der Tat nicht nur eingerichtet worden, um die Kosten für Unterbringung und Verpflegung zu senken, sondern, soweit möglich, auch um die freie Zeit zu füllen. Dass die Flüchtlinge keine Arbeitserlaubnis erhielten, hatte nicht nur zur Folge, dass sie finanziell ganz und gar auf die Unterstützung der Hilfskomitees angewiesen blieben; das Arbeitsverbot wirkte oft auch demoralisierend. Marie Schmolka war sich bewusst, wie wichtig Arbeit für die Flüchtlinge war. Bereits 1934 schlug sie vor, dass das Katasteramt ihnen einen sog. „zbyťáček“ (von „zbýt“ „übrig bleiben“, also Überbleibsel) überlassen könnte164, wie man Grundstücke nannte, die während der Bodenreform 1919 gesetzlich konfisziert, dann aber nicht verkauft worden waren.165 Schmolka hoffte auf ein Anwesen in einem abgelegenen Teil der Republik, zum Beispiel in der Karpato-Ukraine, in Gebieten also, wo das Umfeld von den deutschen Flüchtlingen nur profitieren konnte. Ein größerer Hof hätte nicht nur eine günstige Unterbringung geboten, sondern auch die Möglichkeit physischer Arbeit. Marie Schmolka und Karl Schrader von der Sozialdemokratischen Flüchtlingsfürsorge verhandelten daher mit Ministerialrat Antonín Pavel vom Katasteramt166, der sich jedoch zur Überlassung eines derartigen Grundstücks nicht bereit zeigte. Vertreter des Comité National verhandelten daher in derselben Sache noch einmal mit den sozialdemokratischen Abgeordneten Jaromír Nečas und Josef Macek. Beide hatten mit der Bodenreform bzw. der Karpato-Ukraine zu tun, verwiesen jedoch wieder zurück auf Ministerialrat Pavel.167 Im Mai 1935 begründete Pavel seine erneute Ablehnung damit, dass es nicht einmal genug Boden für die Repatrianten gäbe und dass ein selbst noch so kleines Anwesen in der Verwaltung deutscher Flüchtlinge „bei der Bevölkerung

163 KONRAD: „Die österreichische Emigration in der CSR von 1934 bis 1938“, in: MEIMANN, LUNZER (Hg.): Österreicher im Exil 1934 bis 1945, S. 15–26, siehe S. 16. 164 DEA, Nachlass Willy Sternfeld, Sign. EB 75/177, B.I.3.a: Vilma Loewenbach: Die Emigration der Antihitler-Deutschen nach Prag, ab 1933, S. 12. 165 Über diese nicht verkauften Grundstücke sprach man auch im Parlament als „zbyťáčky“ – vgl. die Rede des Abgeordneten Major. Gemeinsame tschechoslowakische digitale Parlamentsbibliothek. NS RČS 1925–1929. Abgeordnetenhaus. 170. Sitzung. 25. 10. 1928. Online: http://www.psp.cz/eknih/1925ns/ps/stenprot/170schuz/s170012.htm [zit. 1.10.2006]. 166 YIVO, NY, HICEM – Prague Office, RG 245.10, folder 1, MKM 15.135: Prague Committee for German-Speaking Refugees: Sitzungsprotokolle des Comité National, 7.12.1934. 167 Ebda., Sitzungsprotokoll des Comité National, 7.1.1935; Sitzungsprotokoll des Comité National, 28. 1. 1935.

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Unwillen hervorrufen würde“ [by vyvolala u veřejnosti nevoli].168 Damit war das Projekt eines landwirtschaftlichen Kollektivs gescheitert, für das Schmolka sowohl von der JOINT wie vom Hochkommissariat bereits finanzielle Mittel zugesagt waren. Die Möglichkeit praktischer Betätigung in größerem Rahmen blieb daher weiterhin auf Kollektive in Gebäuden mit größerem Grundstück beschränkt, wie in Königsaal und Kornhaus. Die HICEM jedoch gab die Idee eines Kollektivs mit landswirtschaftlicher Praxis für Flüchtlinge nicht auf.169 Flüchtlinge, die nicht in einem Kollektiv lebten, konnten mit dem Geld, das sie vom Hilfskomitee erhielten, kaum auskommen. Auch bei bescheidenster Lebensführung deckte dieser Betrag ungefähr nur ein Drittel der Ausgaben.170 Meist waren es Intellektuelle, die sich für eine Untermiete entschieden; sie konnten durch Beiträge für Zeitungen und Zeitschriften hinzuverdienen. Andere arbeiteten illegal als Aushilfskräfte – als Sprachlehrer und Zeitungsverkäufer, Frauen machten vor allem Putzarbeiten oder betreuten Kinder und Alte. Wer illegal arbeitete, riskierte allerdings eine Anzeige bei der Polizei. Helene Ehrlich, 1899 als Helene Ledererová in Prag geboren, arbeitete als Sekretärin des sozialdemokratischen Kremationsvereins in Nürnberg. Nach der Machtergreifung wurde sie entlassen und entschied sich aus existenziellen Gründen für eine Rückkehr in die Tschechoslowakei. Am 9. April 1933 überschritt sie zusammen mit ihren damals elfjährigen Zwillingen zu Fuß die Grenze bei Eger. Sie meldete sich beim Jüdischen Hilfskomitee in Prag, wurde aber auch von Verwandten unterstützt. Laut polizeilichen Ermittlungen von 1941 konnte Helene Ehrlich offenbar schon Anfang 1939 zusammen mit ihren Kindern über Norwegen nach Südamerika flüchten.

Dieses Schicksal traf zum Beispiel Helene Ehrlich. 1899 im Prager Stadtteil Karlín als Helena Ledererová geboren, zog sie später mit den Eltern nach Deutschland, heiratete dort und verlor dadurch ihre tschechoslowakische Staatsbürgerschaft. Einige Tage nach dem Judenboykott im April 1933 kehrte sie mit ihren beiden damals elfjährigen Kindern Robert und Liese nach Prag zurück. Als Angehörige eines anderen Staats konnte sie kein Arbeitsverhältnis eingehen und verdiente ihren Lebensunterhalt durch gelegentliche Putzarbeiten in verschiedenen Firmen. 168 Ebda., Bericht über die im Außenministerium stattgehabte interministerielle Beratung mit den Vertretern der Komités, welche im Comité National vertreten sind, 29.5.1935. 169 Ausführlicher zur HICEM und den landwirtschaftlichen Praktika siehe Kapitel „Rassenverfolgung oder Wirtschaftsemigranten?“ 170 FRANKENTHAL: Der dreifache Fluch, S. 234.

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Obwohl ihr Mann sich bei seiner Flucht für die USA entschieden hatte, erwog Helene Ehrlich keine weitere Emigration. Sie war zu jener Zeit schon geschieden und Prag war ihre Heimatstadt; hier hatte sie viele Bekannte und Verwandte. Im Mai 1938 ging bei der Polizeidirektion Prag gegen Helene Ehrlich eine Anzeige ein. Ein Zimmermaler namens Bureš hatte sich daran gestört, dass sie ohne Erlaubnis arbeitete, den Staat um Steuergelder betrog und tschechoslowakischen Bürgern Arbeit streitig machte. Da Helene Ehrlich versprach, die Steuern rückwirkend nachzuzahlen, da außerdem ihre Kinder ein legales Praktikum zugesichert bekommen hatten – Robert bei einem Optikerbetrieb, Liese im Büro einer chemischen Fabrik –, und letztlich wohl auch, weil sie eigentlich Pragerin war, belegte die Polizeidirektion Helene Ehrlich nach eingehender Untersuchung des Falls lediglich mit einer Strafe in Höhe von 200 Kronen.171 Aus den Erinnerungen von Käte Frankenthal, die 1936 für das Jüdische Hilfskomitee gearbeitet hat, wissen wir, dass anderen Flüchtlingen für das gleiche Vergehen die Ausweisung drohte. In der Angst davor, erwischt zu werden, blieben viele Flüchtlinge auf die Hilfe der Freunde und Verwandten angewiesen; manche gingen betteln, andere machte die Not zu Dieben.172 Fälle dieser Art belegt auch ein Konvolut von zwölf Aussageprotokollen beim Jüdischen Hilfskomitee, wo die Betreffenden um Hilfe nachgesucht hatten.173 Als Bettler endete zum Beispiel ein fünfunddreißigjähriger Mann, der in Deutschland eine respektable Beschäftigung gehabt hatte. Eine Liebesnacht mit einer „Arierin“, die ihm außerdem verschwiegen hatte, dass sie verheiratet war, trieb ihn zu einer überstürzten Flucht. In Prag bemühte er sich vergeblich um Arbeit, selbst Gelegenheitsarbeiten waren nicht zu bekommen. Das zwang ihn zu einem Schnorrer-Dasein auf der Straße.174 Enttäuscht von der Tschechoslowakei fand sich auch ein junger Mann, der in Deutschland ohne Grund verhaftet worden war, sechzehn Monaten in einer Zelle von 6 m² zubrachte und dann unter der Bedingung freigelassen wurde, dass er sein Heimatland verlasse. Vor den Mitgliedern des Jüdischen Hilfskomitees berichtete er von seiner unermessliche Freude über seine Freilassung und der Vision eines glücklichen Lebens hinter der Grenze: Und doch, mein Dasein im Zufluchtslande ist nur ein schmerzvolles Vegetieren. Ich erwartete hier keine großzügige Hilfe zum Aufbau einer neuen Existenz, nach all den Kämpfen, die hinter mir lagen. Doch die Not ging weiter. Man bietet mir karge Kronen, die kaum die Miete decken.175 171 NA, PŘ, 1931–1940, Sign. E 495/15, K. 5607. 172 FRANKENTHAL: Der dreifache Fluch, S. 234. 173 BEN-ESTHER (Pseud.): Menschlichkeiten – Unmenschlichkeiten. (Emigrantenschicksale). Praha 1937. 174 Ebda., S. 12–13. 175 Ebda., S. 44.

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Anzeige gegen Helene Ehrlich

Das Elend der Flüchtlinge, aber auch die Vorurteile der tschechischen BoulevardPresse illustriert eindrücklich ein Beispiel aus der Zeitung Nedělní list [Sonntagsblatt] vom 17. April 1938. Das Blatt berichtet unter dem Titel Emigrant prodával pas [Emigrant verkauft Pass] von der Verhaftung eines deutschen Emigranten („na první pohled nearijec“ – auf den ersten Blick ein Nichtarier), der deutsch sprechenden Passanten für 300 Kronen seinen deutschen Pass zum Kauf angeboten habe. Nach Angaben der Polizei handelte es sich um den siebenundzwanzigjährigen Herbert Nathanson, der seinen Pass in Wirklichkeit für 300 Kronen verpfänden wollte. Diesen Betrag brauchte er für ein Telefonat mit den Eltern in Berlin. Da kein Straftatbestand vorlag, wurde Nathanson, der im Mai 1937 von Berlin in die Tschechoslowakei geflüchtet war, verwarnt und entlassen. In Deutschland drohte ihm Verhaftung wegen Landesverrats. Er war Mitglied der Sozialdemokratischen Partei und hatte einem politisch verfolgtem Freund zur Flucht verholfen. Seiner Aussage zufolge vermied Nathanson in der Tschechoslowakei jede politische Tätigkeit. Finanziell unterstützt wurde er von seinen Eltern in Berlin, die eine Werbeagentur betrieben, und vom Jüdischen Hilfskomitee.176 176 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/N/9/8, K. 1117: Bericht der Polizeidirektion Prag, 17. 4. 1938. Nach den Angaben in der Datenbank der Opfer der „Endlösung der Judenfrage” in den böhmischen Ländern (Institut Terezínské iniciativy/Institut Theresienstädter Initiative) wurde Herbert Nathanson am 28.4.1943 mit dem Transport Ao 830 nach Theresi-

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Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Flüchtlinge in der Tschechoslowakei, von den Repatrianten und den wenigen Vertretern der politischen und kulturellen Elite einmal abgesehen, in Not und ohne Hoffnung lebten. Für Vermögendere war Prag nur eine Durchgangsstation. Die hingegen, die nichts hatten, durften auf legalem Weg auch nichts verdienen. Sie blieben auf die Hilfe der karitativen Organisationen angewiesen, die allerdings ab Mitte 1933 mit großen Geldschwierigkeiten zu kämpfen hatten. Klassenkampf oder Flüchtlingshilfe? Die kommunistische Hilfsorganisation für die verfolgten Genossen aus Deutschland unterschied sich in ihren Praktiken stark von den anderen politischen oder religiösen Gruppierungen. Besondere Aufmerksamkeit gilt ihr an dieser Stelle allein schon deshalb, weil die einschlägige Historiographie bisher ein verzerrtes Bild vom kommunistischen „Kampf gegen den Faschismus“ gezeichnet hat. Ihre Darstellung sagt viel über die eigene Entstehungszeit und die damals herrschenden Prioritäten der kommunistischen Ideologie aus, leistet aber keine Analyse der kommunistischen Flüchtlingsfürsorge vor dem Zweiten Weltkrieg. Ausgangspunkt all dieser Publikationen ist, dass die Kommunisten im Rahmen der Hilfe für die „antifaschistischen Kämpfer“ die treibende Kraft gewesen seien; die Tätigkeit der übrigen Organisationen wird bagatellisiert und die Rolle des „bourgeoisen“ Staats negativ beurteilt.177 Auch die Darstellung konkreter Hilfsaktionen wird verdreht; so nehmen die Kommunisten Projekte für sich in Anspruch, die auf die Initiative demokratisch gesinnter tschechischer Intellektueller zurückgehen. Die Arbeiten aus den 1970er und 1980er Jahren sind außerdem stark vom Kult um Klement Gottwald, dem ersten kommunistischen Präsidenten der Tschechoslowakei, enstadt verschickt, von dort unmittelbar anschließend mit dem Transport As 830 nach Zamość. Den Krieg hat er nicht überlebt. 177 Gerhard FUCHS: Gegen Hitler und Henlein. Der solidarische Kampf tschechischer und deutscher Antifaschisten von 1933 bis 1938. Berlin 1961; František HRBATA: Komunistická internacionála a protifašistické hnutí v letech 1933–1935. Praha 1963; ALBRECHTOVÁ: „Zur Frage …“; Irena MALÁ, Růžena HLUŠIČKOVÁ, Ludmila KUBÁTOVÁ, Jaroslav VRBATA (Hg.): Český lid v boji proti fašismu. Praha 1975; Gabriela VESELÁDUCHÁČKOVÁ: „Antifaschistische deutsche Emigration in der ČSR 1933 bis 1938“, in: BECK, VESELÝ: Exil und Asyl; Vojtěch BLODIG: Boj proti fašismu a na obranu republiky (1933–1938). Praha 1982; VESELÝ u. Koll.: Azyl v Československu 1933–1938; Květa HYRŠLOVÁ: „Die ČSR als eines der Hauptzentren der deutschen antifaschistischen Kultur in den Jahren 1933–1939. Der gemeinsame tschechisch-deutsche Kampf zur Verteidigung der Kultur“, Historica, 1983, Nr. 22, S. 183–229; Český antifašismus a odboj. Slovníková příručka. Dokumenty, Bd. 212. Praha 1987; BABIČKA: „Německá protifašistická emigrace a pražská stranická organizace v letech 1933–1939“, in: Komunisté a Praha, 1987, Nr. 8, S. 53–99.

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bestimmt, der zum spiritus agens aller (kommunistischer) Aktivitäten im Rahmen der Flüchtlingshilfe stilisiert wird.178 Dabei waren es nicht die Leute aus seinem Umkreis, die sich der einfachen kommunistischen Flüchtlinge angenommen und ihnen unzählige Stunden gewidmet haben, sondern gerade diejenigen, die sich 1929 Gottwalds prostalinistischen Wende in der KSČ verweigert hatten. Die Schwierigkeit einer Auseinandersetzung mit der kommunistischen Flüchtlingshilfe liegt allerdings nicht nur in der realitätsverzeichnenden Sekundärliteratur, sondern ergibt sich auch aus der politischen Situation der 1930er Jahre. Die tschechoslowakischen Regierungsbehörden, insbesondere das Innenministerium sah in der Kommunistischen Partei zu Beginn der 1930er Jahre eine subversive, das demokratische System untergrabende Kraft. Gerade in den Jahren 1932–1934 erreichte die restriktive Politik des Staats gegen die kommunistischen Verbände und die kommunistische Presse ihren Höhepunkt. Die Rudé právo [Rotes Recht] wurde mehrmals verboten, aber auch verschiedene kommunistische Lokalzeitungen, und schließlich mussten auch die Rote Hilfe [Rudá pomoc] und die Arbeiterhilfe [Dělnická pomoc]ihre Tätigkeit einstellen. Die Kommunisten sahen sich so in die Illegalität gezwungen, organisierten sich in nicht eingetragenen Vereinen oder agierten unter dem Deckmantel registrierter Organisationen, die mit der kommunistischen Ideologie offiziell nichts zu tun hatten. Auch für die relativ tolerante Zeit nach 1935, als sie eigene Organisationen gründen konnten, ist dennoch das Bemühen evident, bereits bestehende, gut funktionierende Organisationen anderer politischer oder sonstiger Gruppierungen von innen her zu unterwandern und für sich zu instrumentalisieren. Schwer zu fassen ist auch der Widerspruch zwischen der großzügigen Hilfe, die von einfachen Kommunisten geleistet wurde – oft Arbeiter, die deutsche Genossen bei sich zu Hause aufnahmen und mit großer Opferbereitschaft unterstützten – und dem Gebaren der Führungselite der KSČ bzw. der deutschen Exilkommunisten. Die hohen kommunistischen Funktionäre kämpften zwar im Parlament oder auf künstlich einberufenen Demonstrationen lautstark für die Rechte der „revolutionären“ (d.h. kommunistischen) Flüchtlinge und verwiesen in ihren Ansprachen (im Grunde zu Recht) immer wieder auf das unzureichende Asylrecht in der Tschechoslowakei. Doch fraglich ist, ob es ihnen in ihren theatralischen Darbietungen tatsächlich darum ging, Verbesserungen für die Flüchtlinge zu erreichen. Vielmehr war ihnen wohl das Thema der „antifaschistischen Kämpfer“ und deren unerfreulicher Situation in der Tschechoslowakei ein willkommenes Argument in ihrem Kampf gegen den „bourgeoisen“ Staat und seine Politik. Tatsächlich missbrauchte die Par178 Siehe vor allem MALÁ, HLUŠIČKOVÁ, KUBÁTOVÁ, VRBATA: Český lid v boji proti fašismu; Český antifašismus a odboj. Slovníková příručka; HRBATA: Komunistická internacionála a protifašistické hnutí v letech 1933–1935; VESELÁ-DUCHÁČKOVÁ: „Antifaschistische deutsche Emigration in der ČSR 1933 bis 1938“, in: BECK, VESELÝ: Exil und Asyl; HYRŠLOVÁ: „Die ČSR als eines der Hauptzentren …“.

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teispitze der tschechoslowakischen wie auch der deutschen Exil-Kommunisten ihre Machtposition immer wieder, um „Aufmüpfige“ aus den eigenen Reihen zu eliminieren, insbesondere diejenigen, die sich mit den stalinistischen Säuberungen von 1936 nicht einverstanden erklärten. Gegen politisch „unzuverlässige“ Elemente ging die Führung der kommunistischen Exilpartei rücksichtslos vor, brachte sie in eine oft lebensbedrohliche Lage, zumindest aber um jede finanzielle Unterstützung. Das kommunistische Engagement für die Flüchtlinge aus NS-Deutschland bestand nicht aus vereinzelten karitativen Aktionen der Partei, sondern war Teil einer relativ weitgespannten Hilfe für Genossen, vor allem für notleidende Arbeiter und politisch Verfolgte. Schon zu Beginn der 1920er Jahre waren zwei karitative Organisationen gegründet worden, die eine wichtige Rolle in der Hilfe für Gefangene und Verfolgte spielten: die Internationale Arbeiterhilfe (IAH) und die Rote Hilfe. Die IAH hatte der deutsche kommunistische Funktionär Willi Münzenberg 1921 auf direkte Aufforderung von Vladimir Iljitsch Lenin ins Leben gerufen.179 Sie eröffnete bald Zweigstellen in zahlreichen anderen europäischen Staaten. Die IAH konzentrierte sich in den ersten Jahren ihres Bestehens auf Hilfe für Hungernde in der Sowjetunion, später kümmerte sie sich auch um notleidende Arbeiter anderswo in Europa. Dabei bewährten sich vor allem die Winterhilfe, die Hilfe für Familien von Inhaftierten und die Volksküchen. Rasch zeigte sich, dass das eigentliche Ziel dieser Organisation keine karitative, sondern eine agitatorische Tätigkeit war. Gerade hierin erwies sich Willi Münzenberg als Meister. Aus den Mitteln der IAH finanzierte er einen eigenen Verlag und eine eigene Buchhandlung, gab verschiedene kommunistische Zeitschriften und drei Zeitungen heraus: Welt am Abend, Berlin am Morgen und vor allem die AIZ. Die Arbeiter Illustrierte Zeitung erreichte im Laufe der 1920er und zu Beginn der 1930er Jahre eine Auflage von mehreren hunderttausend Exemplaren.180 Von 1933 bis 1938 erschien dieses populärste aller kommunistischen Blätter in Prag; Chefredakteur während dieser fünf Jahre war F. C. Weiskopf. Einen Namen machte sich die AIZ vor allem durch die Fotomontagen von John Heartfield, der seit 1930 mit der Redaktion zusammenarbeitete.181 179 Rolf BECKER: Die Internationale Arbeiterhilfe (IAH) in Deutschland 1921–1933. Potsdam 1972; ZENTRALKOMITEE DER INTERNATIONALEN ARBEITERHILFE: Was ist die Internationale Arbeiterhilfe? Berlin 1924. Zu Willi Münzenberg siehe Sean MCMEEKIN: The red millionaire: a political biography of Willi Münzenberg, Moscow’s secret propaganda tsar in the West. New Haven – London 2003. 180 Zur AIZ liegen zwei im selben Jahr erschienene Studien vor – eine aus der DDR – Heinz WILLMANN: Geschichte der Arbeiter-Illustrierten Zeitung (AIZ), 1921–38. Berlin 1974; die andere aus der BRD – Gabriele RICKE: Die Arbeiter Illustrierte Zeitung, Gegenmodell zur bürgerlichen Illustrierten. Hannover 1974. 181 David EVANS (Hg.): John Heartfield: Arbeiter-Illustrierte-Zeitung, Volks-Illustrierte, 1930– 1938. Katalog zur Ausstellung IVAM Centre Julio González, 21.11.1991–19.1.1992. Valencia 1992. Siehe auch Kapitel „Die Privilegierten“.

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Die IAH hatte in Deutschland von Beginn an einen nichtoffiziellen Charakter. In der Tschechoslowakei war das anders. Die Organisation Arbeiterhilfe in der Tschechoslowakei [Dělnická pomoc v Československu] wurde 1925 gegründet und 1928 durch den Eintrag in das Vereinskataster legalisiert.182 Den Vorsitz führte Zdeněk Nejedlý, Professor für Geschichte und nach dem Zweiten Weltkrieg in führender politischer Funktion; seine Stellvertreterin war die kommunistische Abgeordnete Luisa Landová-Štychová. Als Zdeněk Nejedlý 1931 das Amt niederlegte, trat Antonín Zmrhal an seine Stelle183; er hatte von 1923–1939 der proletarischen Verbrauchergenossenschaft Včela [Biene] vorgestanden. Gerade diese Selbsthilfeorganisation war in den 1930er Jahren dafür bekannt, dass sie kommunistische Flüchtlinge materiell unterstützte. Die Gründung der Roten Hilfe, der zweiten bedeutenden kommunistischen Hilfsorganisation für Arbeiter in Not184, war auf dem IV. Kongress der Kommunistischen Internationale in Moskau angeregt worden. Eines der Kongressergebnisse war die Forderung nach der Schaffung eines „internationalen politischen Roten Kreuzes“.185 Im Unterschied zur IAH war die Rote Hilfe enger mit der Komintern verknüpft, ihre Tätigkeit aber überschnitt sich in vieler Hinsicht mit der IAH. Die enge Verflechtung dieser beiden Organisationen zeigte sich auch personell. Vorsitzende der deutschen Zentrale der IAH war seit deren Bestehen Clara Zetkin, und zwar bis zu ihrem Tod 1933. Seit 1925 war Zetkin aber auch Vorsitzende der Internationalen Roten Hilfe.186 In der Tschechoslowakei war dies ganz ähnlich: Vorsitzende der Roten Hilfe war hier Luisa Landová-Štychová, die zugleich die tschechoslowakische Arbeiterhilfe führte. Auch sonst waren Mitglieder in beiden Organisationen aktiv, z.B. Theodor Bartošek, Zdeněk Nejedlý, Bo-

182 AMP, SK, Sign. II/798, 1. Teil 1928–1931: Arbeiterhilfe [Dělnická pomoc]. Ebenso Jiří KŘESŤAN: „KSČ, spolek Dělnická pomoc a vnímání ideje proletářské solidarity v prostředí levicové inteligence v Československu (1928–1932)“, in: Zdeněk KÁRNÍK, Michal KOPEČEK: Bolševismus, komunismus a radikální socialismus v Československu, Bd. 3. Praha 2004, S. 58–74, siehe S. 60–61. 183 AMP, SK, Sign. II/798, 1. Teil 1928–1931: Arbeiterhilfe [Dělnická pomoc], Brief vom 9.1.1931. 184 Zur Geschichte der Internationalen Roten Hilfe siehe Dokumente der Internationalen Roten Hilfe und der Roten Hilfe Deutschlands. Offenbach 2003; aus dem sowjetischen Bereich siehe A. I. AVRUS, MOPR v borbe protiv terora i fašizma 1922–1939. Saratov 1976. 185 Kurt SCHILDE: „Die Internationale Rote Hilfe und ausgewählte nationale Sektionen im Vergleich“, online: http://www.kurt-schilde.de/Texte/Rote_Hilfe.PDF, S. 3. [zit. 27.6.2007]. Der österreichische Ableger der Roten Hilfe nannte sich sogar „Revolutionäres Rotes Kreuz“, ebda. S. 4. 186 Zum Leben Clara Zetkins siehe jüngst Florence HERVÉ (Hg.): Clara Zetkin oder: dort kämpfen, wo das Leben ist. Berlin 2007; siehe auch Tania ÜNLÜDAG: Clara Zetkin: Bürgerlichkeit und Marxismus. Essen 2003.

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humír Šmeral, Marie Vobecká und Antonín Zápotocký, der spätere Präsident der kommunistischen Tschechoslowakei.187 Weder die Arbeiterhilfe noch die Rote Hilfe waren als rein karitative Organisationen gedacht. Programmatische Texte, insbesondere aus der Feder Clara Zetkins, machen das große Dilemma dieser Organisationen deutlich. Sie wollten sich nicht in das Netz jener wohltätigen Vereine integriert wissen, die die negativen Begleiterscheinungen der bourgeoisen Gesellschaft lediglich zu lindern suchten, damit deren Lebensfähigkeit aber gerade stärkten. Zwar sah auch die Rote Hilfe und die IAH ihre Aufgabe darin, die Not verfolgter und verelendeter Arbeiter zu mindern, zugleich aber sollten diese für eine Revolte mobilisiert werden, die jenes „ungerechte“ System radikal verändern würde.188 Diese Zielsetzung ist aus der Tätigkeit der Arbeiterhilfe und der Roten Hilfe in der Tschechoslowakei klar ersichtlich. Sie schickten Päckchen an inhaftierte Genossen, kümmerten sich um deren Familien, unterstützten arme Kinder, veranstalteten vorweihnachtliche Spendenaktionen für Arme, doch zugleich agitierten sie unter ihren Klienten für die KSČ und wiegelten zum Streik auf.189 Auslöser für das Verbot der Arbeiterhilfe in der Tschechoslowakei und die Restriktionen gegenüber der Roten Hilfe war ein Vorfall in der Karpato-Ukraine. Im Februar 1932 kam es bei Turja Pasika zu einem Hungermarsch. Als es der Gendarmerie nicht gelang, die Rädelsführer zu stellen, machte sie gegen die Menge von ihren Schusswaffen Gebrauch. Ein Mensch erlag den Folgen seiner Verletzungen. Die KSČ und die Arbeiterhilfe riefen daraufhin zu Spendenaktionen für das hungernde Arbeitervolk in der Karpato-Ukraine auf und konnten für ihre Kampagne etliche führende tschechische Intellektuelle gewinnen. Die Kommunisten benutzten diesen tragischen Vorfall aber auch, um gegen den tschechoslowakischen Staat zu agitieren und appellierten an das Proletariat in der gesamten Tschechoslowakei, die Arbeiter in der Karpato-Ukraine in ihrem Kampf gegen die „bourgeoise Ausbeutergesellschaft“ zu unterstützen. Im März 1932 wurde die Arbeiterhilfe dann vom Innenministerium offiziell aufgelöst, und zwar unter Berufung darauf, dass sie die Statuten eines nichtpolitischen Vereins verletzt habe.190 Die Prager Polizeidirektion ergriff noch am selben Tag auch Maßnahmen gegen die nichtoffizielle Organisation Rote Hilfe, die von da an illegal tätig war. Anfang 1933 existierte also keine offizielle kommunistische karitative Organisation. Dennoch reagierten die Kommunisten sofort auf die Ankunft ihrer 187 KŘESŤAN: „KSČ, spolek Dělnická pomoc…“, S. 67. 188 SCHILDE: „Die Internationale Rote Hilfe und ausgewählte nationale Sektionen im Vergleich“, S. 6. 189 Siehe die Tätigkeit der Tschechoslowakischen Roten Hilfe in den Berichten des Vereinskatasters, AMP, SK, Sign. II/798, 1. Teil 1928–1931: Arbeiterhilfe [Dělnická pomoc]. 190 Genaueres zum Ende der Arbeiterhilfe in der Tschechoslowakei bietet der Aufsatz von Jiří KŘESŤAN: „KSČ, spolek Dělnická pomoc…“, S. 71–74.

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deutschen Genossen. Genau wie die Sozialdemokraten halfen im Grenzgebiet ansässige Kommunisten den Flüchtlingen in ihrer unmittelbaren Not und brachten sie oft auch bei sich zu Hause unter. Die Kommunisten hatten ein besonders gut organisiertes Patronatssystem. Hilfe für einen geflüchteten Kommunisten war nicht nur eine karitative Tat, sondern auch ein Beitrag zur ideologischen Festigung der Parteibasis. Der Flüchtling wohnte zwar bei einer bestimmten Familie, andere Familien halfen jedoch mit Verpflegung und Kleidung aus. Oft war der Flüchtling jeden Tag der Woche in einem anderen Haushalt Kostgänger.191 Die Solidarität mit dem Verfolgten festigte dabei die politische Überzeugung der Genossen vor Ort. Daher war die KSČ-Führung darauf bedacht, möglichst viele kommunistische Flüchtlinge auf möglichst viele Gemeinden zu verteilen. Die kommunistische Abgeordnete und Vorsitzende der illegalen Roten Hilfe Anežka HodinováSpurná machte dies im März 1934 in einer Rede vor dem Parlament deutlich: Die kommunistische Partei ruft Arbeiter und Bauern, Intellektuelle und das ganze Volk dazu auf, dass an allen Orten und in den Fabriken Ausschüsse gebildet werden, die den Opfern des Faschismus Schutz gewähren und Hilfe leisten, dass in den Fabriken, in den Organisationen und Ortschaften Patronate für revolutionäre Emigranten und Antifaschisten sowie für Inhaftierte in Deutschland und Österreich geschaffen werden, insbesondere für Genossen Thälmann [...]. Jede Fabrik, jedes Dorf, jede Stadt wird ihren Emigranten haben.“192

Die KSČ teilte ihren einzelnen Zweigstellen sogar direktiv eine gewisse Anzahl von Flüchtlingen zu. Brünn zum Beispiel bekam im April 1933 von der Parteiführung etwa sechzig Flüchtlinge zugeordnet.193 Die meisten Flüchtlinge entfielen freilich ohnehin auf Prag. Dass gerade die Kommunisten eine zentrale Rolle in der Flüchtlingshilfe gespielt hätten, erklärt die Historiographie kommunistischer Provenienz damit, dass das Hilfskomitee für Flüchtlinge, das so genannte „Šalda“-Komitee, auf Initiative der KSČ und insbesondere Klement Gottwalds gegründet worden sei. Dabei berufen sich diese Arbeiten vor allem auf die erstmals 1974 erschienenen Erinnerungen von Vilém Nový, einem kommunistischen Journalisten, der nach dem Krieg von 1945–1949 Chefredakteur der Rudé právo war. Von 1949–1954 widerrechtlich inhaftiert, ließ er sich dennoch von der Staatssicherheit (StB) als 191 FUCHS: Gegen Hitler und Henlein, S. 83 192 Gemeinsame tschechoslowakische digitale Parlamentsbibliothek [Společná česko-slovenská digitální parlamentní knihovna], NS RČS, 1929–1935, Abgeordnetenhaus – Stenoprotokolle, 321. Sitzung, Donnerstag, 8. März 1934. Online: http://www.psp.cz/eknih/1929ns/ ps/stenprot/321schuz/s321006.htm [zit. 1.7.2007]. 193 Rundschreiben des Präsidiums der Landesbehörde Prag, Aktennr. 15526 vom 21.4.1933, zit. nach GROSSMANN: Emigration, S. 32.

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Mitarbeiter gewinnen und wurde in dieser Funktion u.a. auf Josef Smrkovský angesetzt, einer der später führenden Persönlichkeiten des Prager Frühlings. Nach seiner Rehabilitierung Anfang der 1960er Jahre wurde Nový Rektor der Politischen Hochschule des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei [Vysoká škola politická ÚV KSČ]. Er verteidigte die sowjetische Invasion von 1968 und zog in verleumderischen Texten das Opfer Jan Palachs in Zweifel.194 Der einundzwanzigjährige Medizinstudent Jan Palach hatte sich am 16. Januar 1969 aus Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings und die Passivität der tschechischen Bevölkerung knapp fünf Monate nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei auf dem Wenzelsplatz in Prag selbst verbrannt. Drei Tage nach dem Autodafé erlag er seinen Verletzungen und gilt bis heute als Symbolfigur des politischen Widerstandes in der Tschechoslowakei. Eine wahrheitsgemäße Darstellung der Ereignisse gehörte auch in Sachen „Šalda“-Komitee nicht zu Novýs starken Seiten. Hier sei jene Passage aus seinen Erinnerungen zitiert, auf die sich die gesamte kommunistische Sekundärliteratur bezieht: Im Februar 1933 bestellte mich Genosse Gottwald zu sich ein. Ich traf mich mit ihm im Parlamentsgebäude. Ohne lange Umschweife wies er mich strikt an: antifaschistische deutsche Emigranten versorgen, ihnen rechtliche Sicherung verschaffen. Antrag auf Asylrecht in die Wege leiten. Eine möglichst breite kulturelle Front mobilisieren – namhafte Schriftsteller, Wissenschaftler und Künstler. Mit Ivan Sekanina und anderen Rechtsanwälten eine Kampagne zur Rettung Georgi Dimitrovs und seiner Gefährten sowie Ernst Thälmanns, den Führer der kommunistischen Partei Deutschlands, initiieren. Eine groß angelegte Solidaritätsbekundung mit den deutschen Antifaschisten ins Leben rufen. 195

Nový fühlte sich angesichts einer so großen Aufgabe angeblich ein wenig überrascht, meisterte sie aber, wie er selbst darlegt, bravourös. Er sprach mit F. C. Weiskopf, der zu Šalda gehen und diesem vorschlagen sollte, sich an die Spitze des neu geschaffenen Komitees zu stellen. Šalda sagte zu und rief seine Schriftstellerkollegen und andere Kulturschaffende nach Prag-Weinberge (Praha-Vinohrady) in den Radiopalast zusammen. Der Hauptpunkt dieser hochkarätigen Versammlung war nach Nový die „sehr beeindruckende Rede“ F.C. Weiskopfs,196 auf die insbesondere Karel Čapek und Otokar Fischer mit der demonstrativen Ausstellung eines 194 Ladislav NIKLÍČEK: „Vilém Nový“, in: Milan CHURAŇ u. Koll.: Kdo byl kdo v našich dějinách ve 20. století. Praha 1998. Ebenso online: http://www.libri.cz/databaze/kdo20/ main.php [zit. 3.6.2007]. 195 Vilém NOVÝ: Život a revoluce. Praha 1974, S. 84. 196 Ebda., S. 84–85.

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Schecks bzw. der Übergabe von Banknoten reagiert hätten. Daraufhin habe sich Vilém Nový erneut an Šalda gewandt und ihn gefragt, ob er ein ständiges Hilfskomitee für Flüchtlinge unterstützen würde. Zu meiner Überraschung unterstützte meinen [Hervorhebung der Autoren] Vorschlag, genau wie Karel Čapek und Otokar Fischer, auch Šalda selbst. Otokar Fischer schlug sogar vor, dass ich Mitglied werden sollte. So kam es zur Gründung jenes Komitees, dass allgemein unter dem Namen „Šalda“-Komitee bekannt geworden ist. Unsere Hilfe für die deutschen Flüchtlinge erhielt auf diese Weise ein legales Fundament und, was das Wichtigste ist – auch die nötigen Mittel zu deren Unterhalt und rechtlichen Schutz. Das „Šalda“-Komitee spielte eine herausragende Rolle in der Solidarität mit den Opfern des deutschen Faschismus. 197

Soweit die Legende bei Vilém Nový, die viele spätere Publikationen brav nacherzählen.198 Wie bereits im Kapitel über die einzelnen Hilfskomitees dargestellt, war die Gründung des „Šalda“-Komitees in Wirklichkeit ganz anders vonstatten gegangen. Die Schaffung eines Hilfskomitees für Flüchtlinge ging auf Grete Reiner zurück, das organisatorische Konzept hatte der jüdische Musikkritiker Jan Loewenbach ausgearbeitet; er wird im Vereinsbuch als Gründer genannt.199 Die Delegation, die bei Šalda vorstellig wurde, zählte nicht weniger als sieben namhafte Professoren und Schriftsteller, unter ihnen außer Loewenbach Otokar Fischer und Karel Čapek. F. C. Weiskopf und Nový waren hingegen nicht bei Šalda. Der Mittelpunkt der Protestversammlung war auch nicht die Rede Weiskopfs, sondern es waren die Reden Šaldas und Fischers. Den Namen Vilém Nový finden wir weder unter den Organisatoren noch unter den offiziellen Mitgliedern des Komitees.200 Vilma Loewenbach, die zusammen mit ihrem Mann und ihrer Tochter 1933 und Anfang 1934 unzählige Stunden Arbeit in das Komitee investiert hat, erinnert sich jedoch, dass Nový sich anfangs ab und zu auf den regulären Versammlungen der Mitglieder und Sympathisanten im Radiopalast gezeigt habe, bald aber ganz von der Bildfläche verschwunden sei.201 Als das „Šalda“-Komitee ins Leben gerufen wurde, bestanden bereits vier andere Hilfskomitees. Sein Spezifikum sollte daher gerade die Hilfe für Intellektuelle und andere im kulturellen Bereich Tätige sein. Ihnen wollte das Komitee 197 Ebda., S. 85. 198 VESELÝ u. Koll.: Azyl v Československu 1933–1938, S. 58–59; VESELÁ-DUCHÁČKOVÁ: „Antifaschistische deutsche Emigration in der ČSR 1933 bis 1938“, in: BECK, VESELÝ: Exil und Asyl, S. 63; Český antifašismus a odboj, S. 359; BABIČKA: „Německá protifašistická emigrace …“, S. 82–83. 199 AMP, SK, Sign. II/934: Vereinsbuch. 200 Ebda. 201 DEA, Nachlass Willy Sternfeld, Sign. EB 75/177, B.I.3.a: Vilma Loewenbach: Die Emigration der Antihitler-Deutschen nach Prag, ab 1933, S. 6.

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besondere Fürsorge widmen und zumindest zu einer gelegentlichen Verwirklichung in ihrem Schaffensbereich verhelfen. Daher engagierten sich beim „Šalda“Komitee zunächst auch so viele Intellektuelle.202 Schriftsteller und Journalisten versuchten, ihren verfolgten Kollegen die Publikation von Artikeln in deutschen Zeitungen zu ermöglichen – vor allem im Prager Tagblatt und in der Prager Presse, in Übersetzung ausnahmsweise auch in Přítomnost [Gegenwart], České slovo [Das tschechische Wort] oder in den Lidové noviny [Volkszeitung].203 Der Schauspieler Václav Vydra, Vorstandsmitglied des Komitees, setzte sich speziell für geflüchtete Schauspieler ein. Er gehört zu den Organisatoren des 1935 gegründeten Tschechisch-deutschen Bühnenclubs.204 Bald aber wurde deutlich, dass die überwiegende Mehrheit derjenigen, die beim „Šalda“-Komitee Unterstützung beantragten, keineswegs intellektuellen Kreisen entstammten, sondern Arbeiter und bekennende Kommunisten waren. Dies hatte seinen Grund zum Teil darin, dass die bereits bestehenden Komitees ziemlich eindeutig definiert hatten, für welche Flüchtlingsgruppe sie sich zuständig fühlten; an den Kommunisten zeigte sich keiner interessiert. Schon deshalb nicht, weil ein Komitee durch Flüchtlingshilfe für Kommunisten der Polizei grundsätzlich missliebig und verdächtig geworden wäre. Vilma Loewenbach erinnert sich, dass für die aktiven Mitglieder des „Šalda“Komitees die große Zahl kommunistischer Flüchtlinge kein Problem gewesen sei. Keiner der Gründer des Komitees bezweifelte, dass die meisten kommunistischen Flüchtlinge zu den Allerärmsten gehörten und einer Hilfe dringend bedurften. Streit entstand jedoch bald deshalb, weil die Flüchtlinge vor der Komiteeleitung ihre politische Überzeugung immer wieder zu verbergen versuchten. Das galt auch für einige Mitglieder – insbesondere für Jiří Kohn, der zusammen mit Bedřich Fischer Geschäftsführer des Komitees war. Seine Entscheidungen zeigten eindeutig, dass er den Richtlinien der Partei folgte, und doch bestritt er seine Zugehörigkeit zur KSČ hartnäckig.205 Laut Vilma Loewenbach bot eine ganze Reihe von Personen in den ersten Monaten eine freiwillige Mitarbeit an. Sie gaben sich als Vertreter des Mittelstands aus, waren in Wirklichkeit jedoch „verkleidete“ Mitstreiter der „Roten“.206 202 Ebda., S. 1. Außerdem DEA, Nachlass Willy Sternfeld, Sign. EB 75/177: Helena Matoušková, Beilage zum Brief aus New York an Wilhelm Sternfeld, 20.7.1944. 203 DEA, Nachlass Willy Sternfeld, Sign. EB 75/177, B.I.3.a: Vilma Loewenbach: Die Emigration der Antihitler-Deutschen nach Prag, ab 1933, S 9. 204 Mehr zu den Entstehungsumständen und den Aktivitäten des Klubs siehe Hansjörg SCHNEIDER: „Exiltheater in der Tschechoslowakei“, Exil. Forschung – Erkenntnisse – Ergebnisse, 1994, Nr. 1, S. 39–69. 205 DEA, Nachlass Willy Sternfelda, Sign. EB 75/177, B.I.3.a: Vilma Loewenbach: Die Emigration der Antihitler-Deutschen nach Prag, ab 1933, S. 6. 206 Ebda., S. 4–5.

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Viele dieser neu hinzugekommenen Mitarbeiter waren fleißig und dem Dienst an der Sache ergeben, andere wieder – meist hielten sie sich im Hintergrund – waren intrigante Ruhestörer, die ein klares Ziel verfolgten: die Initiatoren des Komitees, die einen guten Namen hatten und in der Öffentlichkeit bekannt waren, als Deckmantel [für ihre eigenen Absichten] zu missbrauchen.207

Ab Mai 1933 versammelten sich die Mitglieder und sonstige Interessierte jeden Dienstag im Radiopalast. Dazu erschienen regelmäßig auch die drei Vorstandsmitglieder – Jan Thon, Václav Vydra und Antonín Matějček, der in das Komitee viel Zeit und Geld investierte. F.X. Šalda war laut Vilma Loewenbach wegen Überlastung auf keiner der Versammlungen zugegen, lieh also dem Komitee lediglich seinen Namen. Stets anwesend waren hingegen auch Jan Loewenbach mit Frau und Tochter Eva, die, damals Jura-Studentin, täglich neue Bewerber registrierte und Vorstellungsgespräche mit ihnen führte. Auch Gertruda Šťastná kam, die Frau von Ivan Sekanina – sie war für die Buchhaltung zuständig –, ebenso Otto Laufer, dem die ärztliche Aufsicht übertragen war, und der Anwalt Bedřich Fischer, der auch für das Jüdische Hilfskomitee arbeitete und Klienten beider Organisationen in rechtlichen Fragen unterstützte. Mit mehrmonatiger Verspätung erschien auf den Versammlungen der kommunistische Funktionär Rudolf Rabl.208 Im Laufe des Jahres 1933 stieg die Zahl der Antragsteller kontinuierlich an. Daher war es nur logisch, wenn ein Teil des Vorstands die Möglichkeit ihrer weiteren Emigration erwog. Viele Intellektuelle reisten bald weiter nach Paris. Die weitere Ausreise der übrigen hingegen gestaltete sich schwierig. Die Reisekosten nach Übersee für auch nur eine einzige Person waren für das Komitee eine enorme finanzielle Belastung. Zudem waren die kommunistischen Mitglieder des Komitees darauf bedacht, die weitere Ausreise von Flüchtlingen mit revolutionärem Potential zu verhindern. Sie sollten vielmehr hier im Land die eigenen Parteigänger aktivieren helfen und außerdem sahen sie in der Frage der „antifaschistischen“ Flüchtlinge eine geeignete Waffe gegen die „bourgeoise“ Politik der tschechoslowakischen Regierung. Was freilich die Organisatoren aller Hilfskomitees verwunderte, war die Tatsache, dass die von den Kommunisten gepriesene Sowjetunion im Grunde niemanden aufnahm, obwohl sich nicht wenige kommunistische Flüchtlinge sehr in den Schoß der Bewegung sehnten. Im Januar 1935 wurde eine Delegation des Comité National auf der Russischen Botschaft vorstellig. Sie wollte erreichen, dass kommunistischen Funktionären eine Emigration in die UdSSR möglich wäre. Das „Šalda“-Komitee wurde bei diesen Verhandlungen von Helena Malířová vertreten, zugegen waren außerdem Marie Schmolka und Emanuel Rádl, der damals Vorsitzender des Comité Na207 Ebda., S. 5. 208 DEA, Nachlass Willy Sternfeld, Sign. EB 75/177, B.I.3.a: Vilma Loewenbach: Die Emigration der Antihitler-Deutschen nach Prag, ab 1933, S. 5–6.

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tional war, sowie Vertreter des Einheitlichen Gewerkschaftsverbands [ Jednotný odborový svaz].209 Der russische Botschafter erklärte, dass die Sowjetunion Fachleute ohne weiteres aufzunehmen bereit sei, wenn der Botschaft möglichst bald entsprechende Empfehlungsschreiben oder Arbeitszeugnisse vorgelegt würden. Er sicherte zu, sich mit der Regierung in Moskau darüber ins Benehmen zu setzen und das Comité National binnen zweier Monate über die Ergebnisse zu verständigen.210 Als Schmolka im Mai 1935 auf der russischen Botschaft nachfragte, teilte ihr der Botschafter mit, dass die vom Comité National vorgeschlagenen Fachleute für eine Ausreise in die UdSSR nicht geeignet seien. Auf der nächsten Versammlung des Comité National beschloss man, in dieser Sache bei allen möglichen Stellen zu intervenieren.211 So kam es 1936 dann zu einem ungewöhnlichen Vorgang: im Januar konnten zwei Familien in die UdSSR ausreisen,212 im Februar weitere 50 Personen von der kommunistischen Vereinigung.213 Die Sowjetunion hat, von wenigen hohen KPD-Funktionären und den österreichischen Schutzbündlern abgesehen, ansonsten niemandem eine Einreisegenehmigung erteilt. Im Herbst 1933 waren die Finanzmittel des Komitees bereits beträchtlich zusammengeschmolzen. Um die Ausgaben zu senken, versuchten die aktiven Mitglieder daher, Wohnkollektive für die Flüchtlinge zu organisieren. Bereits Anfang 1934 stand ihnen dafür das Schloss Kornhaus bei Kladno zur Verfügung. Doch auf einer der Versammlungen kam es zum Zerwürfnis. Die kommunistischen Mitglieder des „Šalda“-Komitees, verstärkt um einige Personen, die sonst mit der Organisation nichts zu tun hatten (darunter auch F. C. Weiskopf ), stellten sich gegen das Kollektiv in Kornhaus und argumentierten unter anderem damit, dass eine solche Unterbringung einem Konzentrationslager ähnele.214 Nach langen Verhandlungen und vor allem mit Blick auf die bedrückende finanzielle Situation fand das Komitee schließlich zu einem Kompromiss: Die Mehrheit der vom „Šalda“-Komitee betreuten Flüchtlinge (und einige weitere von der Demokratischen Flüchtlingsfürsorge) sollten nach Kornhaus umziehen. Für Vilma Loewenbach und Fina Ganz, die die Verpflegung der Flüchtlinge in Prag organisierten und sich bei der Büroarbeit abwechselten, brachte dies nur teilweise eine Entlastung. Sie hatten gehofft, dass mit der Verlegung aller vom „Šalda“-Komitee betreuten Flüchtlinge nach Kornhaus die Küche in der Žitná geschlossen werden könnte. Außerdem verursachten die in Prag verbliebenen Flüchtlinge dem Komitee weiterhin hohe 209 YIVO, NY, HICEM – Prague Office, RG 245.10, folder 1, MKM 15.135: Prague Committee for German-Speaking Refugees: Sitzungsprotokoll des Comité National, 28.1.1935. 210 Ebda., Sitzungsprotokoll des Comité National, 7.2.1935. 211 Ebda., Sitzungsprotokoll des Comité National, 20.5.1935. 212 Ebda., Sitzungsprotokoll des Comité National, 28.1.1936. 213 NA, PP, 1931–1940, Sign. S 53/144: Vereinigung zur Unterstützung der deutscher Emigranten. 214 DEA, Nachlass Willy Sternfeld, Sign. EB 75/177, B.I.3.a: Vilma Loewenbach: Die Emigration der Antihitler-Deutschen nach Prag, ab 1933, S. 18.

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Kosten, in Kornhaus hingegen hätte man noch Dutzende Flüchtlinge aufnehmen können.215 Im Laufe der nächsten Monate wurde deutlich, warum die kommunistischen Führungsmitglieder des Komitees gegen das Kollektiv in Kornhaus argumentiert hatten. Ein Umzug der Flüchtlinge dorthin verringerte in ihren Augen deren revolutionäres Potential. Wer nach Kornhaus gehen sollte und wer nicht, wurde einzig und allein nach den Interessen der Partei entschieden. Weitere Verlegungen wollten die Kommunisten verhindern, indem sie behaupteten, die noch verbliebenen Flüchtlinge hätten in Prag bindende Verpflichtungen oder sogar Arbeit, und daher seien sie nicht gewillt, sie in die „Verbannung“ bzw. „Isolation“ nach Kornhaus zu schicken. Bei einer Verhandlung des Komitees mit der Prager Polizei stellte sich heraus, dass ein vom Komitee betreuter Student wegen illegaler Verteilung kommunistischer Flugblätter an Prager Haushalte verhört worden war.216 Auch bei anderen Personen war evident, dass die Kommunisten sie für ihre ideologische Agitation in Prag brauchten. Außerdem diente die Emigrantenküche in der Žitná als Schulungsstätte für so genannte „Fünfer“, d.h. für illegale Zellen, die aus je fünf deutschen kommunistischen Flüchtlingen bestanden. Da nun erwiesen war, dass die Entscheidungen der kommunistischen Mitglieder von den Interessen der Partei bestimmt waren und sie sich auch nicht verhandlungsbereit zeigten, legten Vilma Loewenbach und Fina Ganz ihre Arbeit für das „Šalda“-Komitee nieder. Damit waren die Streitigkeiten allerdings nicht beendet. Jan Loewenbach unterrichtete Otokar Fischer und Karel Čapek über die Vorgänge im Komitee. Auf der Jubiläumsfeier für Božena Němcová, die im Frühjahr 1934 im Palais Lobkowitz stattfand, informierten sie F.X. Šalda, der als Festredner geladen war. Šalda war so empört über das Vorgehen der Kommunisten, dass er seinen Vorsitz umgehend niederlegte. Auch Čapek, Fischer, Loewenbach, Thon und Vydra distanzierten sich. Als einziger Nichtkommunist verblieb Antonín Matějček, der von den Kommunisten allerdings des Stellvertretenden Vorsitzes enthoben wurde.217 Im Juni 1934 meldete die Führung des „Šalda“-Komitees dem Vereinskataster der Prager Polizeidirektion die neuen Funktionäre. Der Vorsitz lag formal in Händen des Rechtsanwalts Václav Bouček. Er hatte T. G. Masaryk 1906 gegen 308 Katecheten verteidigt, die wegen Religionsbeleidigung gegen ihn prozessierten; Bouček war eine Art graue Eminenz der Regierung Masaryk.218 Die Kommunisten waren unübersehbar bemüht, das fortschrittliche Profil des Komitees zu wahren. Zum Stellvertretenden Vorsitzenden wählten sie den Arzt Otto Laufer sowie zwei kommunistische Funktionäre – die Schriftstellerin Helena Malířová, 215 Ebda., S. 20. 216 Ebda. 217 AMP, SK, Sign. II/934: Vereinsbuch [spolková kniha]. 218 Antonín KLIMEK: Boj o Hrad. Kdo po Masarykovi? (1926–1935). Praha 1999, S. 22.

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die damalige Lebensgefährtin von Ivan Olbracht, und Luisa Landová-Štychová. Geschäftsführer wurde der Rechtsanwalt Rudolf Rabl.219 Die Kommunisten versuchten sowohl in den 1930er Jahren wie auch in der später von ihnen gelenkten Historiographie, das „Šalda“-Komitee in nutznießerischer Weise als kommunistische Initiative zu präsentieren (unter Berufung auf die Verzerrungen Novýs), zugleich aber auch als eine kommunistische Organisation, der es gelungen war, renommierte und in ihren Augen „fortschrittliche“, linksorientierte Intellektuelle für ihre Sache zu gewinnen. In Wirklichkeit hatten die Kommunisten das Komitee bereits ein Jahr nach seiner Gründung an sich gerissen, um es für ihre parteipolitischen und ideologischen Ziele zu instrumentalisieren, woraufhin sich bis auf Antonín Matějček alle namhaften Intellektuellen von ihm distanzierten. Einige von ihnen engagierten sich später in der Thomas Mann-Gesellschaft, die sich dem gleichen Gedanken verpflichtete wie ursprünglich das „Šalda“-Komitee: nämlich der Unterstützung von Flüchtlingen aus dem wissenschaftlichen und kulturellen Bereich. Das „Šalda“-Komitee war jedoch nicht die einzige Organisation, in deren Rahmen die Kommunisten eine Zusammenarbeit mit den in die Tschechoslowakei geflüchteten „revolutionären Antifaschisten“ suchten. Im Juni 1934 wurde die schon mehrfach erwähnte Vereinigung zur Unterstützung deutscher Emigranten gegründet. In ihrer Obhut befand sich zum Beispiel Adolf Koplowitz, ein kommunistischer Aktivist und Schriftsteller, der ebenfalls in dem so übel beleumdeten Wohnheim in Prag-Straschnitz untergebracht war. Vorsitzender der Vereinigung war Theodor Bartošek, der schon seit den 1920er Jahren als Verteidiger der Rechte einfacher Arbeiter galt.220 Neben seiner Mitgliedschaft in der KSČ und der Roten Hilfe war Bartošek vor allem als einer der führenden Köpfe des Freien Gedankens [Volná myšlenka]221 bekannt und gehörte außerdem einer Freimaurerloge an.222 Theodor Bartošek stand ab 1935 einem weiteren kommunistischen Hilfskomitee vor, der Solidarität [Solidarita]. Im Rahmen dieser Organisation galt sein Hauptinteresse, wie schon früher bei der Roten Hilfe, den problematischen Verhältnissen in den tschechoslowakischen Gefängnissen. Berichte aus seinem Nach219 AMP, SK, Sign. II/934: Vereinsbuch, Wahl vom 13.6.1934. 1936 wechselte die Leitung des Komitees zum dritten und letzten Mal. Vorsitzende wurde Landová-Štychová von der Roten Hilfe, Stellvertretender Vorsitzender Rudolf Rabl und Geschäftsführer wieder Jiří Kohn, siehe AMP, SK, Sign. II/934, Vereinsbuch, Wahl vom 8.5.1936. 220 NA, Fond JUDr. Theodor Bartošek (51), K. 18, Inv.-Nr.103: Tschechoslowakische Rote Hilfe 1925–30, Korrespondenz des Sekretariats mit Dr. Bartošek. 221 Zur Bewegung Der freie Gedanke in den böhmischen Ländern und der führenden Rolle Theodor Bartošeks siehe Antonín K. K. KUDLÁČ: Příběh(y) Volné myšlenky. Praha 2005. 222 ČECHUROVÁ: Čeští svobodní zednáři ve XX. století. S. 167–172; Jana ČECHUROVÁ: „Kompatibilní či nekompatibilní? Vztah svobodných zednářů a KSČ“, in: Zdeněk KÁRNÍK, Michal KOPEČEK (Hg.): Bolševismus, komunismus a radikální socialismus v Československu. Bd. 2, Praha 2004, S. 13–26.

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lass zeigen, dass diese sich in hygienischer wie moralischer Hinsicht auf sehr niedrigem Niveau befanden.223 Adolf (nach dem Krieg Jan) Koplowitz, geboren 1909 in Kudow (heute Kudowa Zdrój an der polnisch- tschechoslowakischen Grenze). Koplowitz wurde als uneheliches Kind geboren. Sein Großvater mütterlicherseits besaß im Kurort Kudowa das Hotel Bohemia. Adolf besuchte die jüdische Religionsschule im nahe gelegenen Náchod jenseits der Landesgrenze. Mit vierzehn Jahren schickte ihn die Familie auf eine weiterführende Schule nach Breslau, wo er mit der kommunistischen Jugend in Berührung kam. Nachdem er einen Streik der Hotelangestellten unterstützt und teils auch initiiert hatte, musste er sein Elternhaus verlassen und widmete von da an seine ganze Kraft der Kommunistischen Partei. 1931 wurde er Chefredakteur der Breslauer Arbeiterzeitung. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten beteiligte er sich an einer illegalen grenzübergreifenden Agitation, bei der er offenbar gefasst wurde, denn im November 1934 beschloss die Polizeidirektion in Mährisch Ostrau seine Abschiebung über die österreichische Grenze. Koplowitz ging nach Wien, doch 1936 war er wieder in Prag und oft unter falschem Namen an illegalen kommunistischen Propagandaaktionen beteiligt. Angeblich besuchte er auch den Bert-Brecht-Klub und wurde festgenommen, als er illegal Geld für das „Šalda“-Komitee sammelte. Im September 1936 sollte er zusammen mit vierzehn weiteren Flüchtlingen aus dem Straschnitzer Emigrantenheim ein zweites Mal ausgewiesen werden. Nach wiederholter Intervention beim Innenministerium konnten die Betroffenen jedoch im Land verbleiben und nach dem 1. September 1938 in das Kollektiv im Prager Stadtteil Sweprawitz (Svépravice) ziehen. In der Zweiten Republik konnte Koplowitz sich ein Visum nach England verschaffen. Später begrüßte er begeistert die Entstehung der DDR und siedelte dorthin über. In den 1950er Jahren erlebte sein Roman Es geht nicht ohne Liebe. Eine freiwillige Brigadlerin der „Nová Huta Klement Gottwald“ erzählt von sich und ihm mehrere Auflagen. In den 1960er Jahren übersetzte er aber auch die Lieder des berühmten tschechischen Theaters SEMAFOR ins Deutsche. Als Höhepunkt seines Schaffens gilt der Roman Bohemia – mein Schicksal von 1979, nach dessen Vorlage der Regisseur Horst Seemann den dreiteiligen Fernsehfilm Das Hotel Polan und seine Gäste drehte. Koplowitz starb 2001 in Berlin.224 223 NA,Fond JUDr. Theodor Bartošek, K. 18, Inv.-Nr. 103: Materialien für Referenten und Appelle, Text mit dem Titel Právní základ postavení politických vězňů [Rechtsgrundlage für die Stellung politischer Gefangener]. 224 NA, PŘ, 1931–1940, K. 7726, Sign. K 3014/25; Max KLEIN: Jan Koplowitz 1. Dezember 1909 bis 19. September 2001, UTOPIE kreativ, Dezember 2001, Heft 134, S. 1126–1131.

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Die Gründung der Solidarität regte nach der Unterzeichnung des sowjetischtschechoslowakischen Freundschaftsvertrags mit der UdSSR im Mai 1935 der kommunistische Senator František Nedvěd an.225 Auf Grund des Freundschaftsvertrags war die Tätigkeit der Roten Hilfe wieder legalisiert worden. Der Name allerdings hatte einen revolutionären Anstrich; daher ließen die Kommunisten die altneue Organisation unter dem Namen Solidarität registrieren. Auf der Polizeidirektion war man sich dieser Verflechtung allerdings bewusst. In einem Bericht vom 14. September 1937 heißt es: „Die ‚Solidarität‘ steht als Randorganisation der KSČ unter dem Einfluss der kommunistischen Partei und hat die Aufgaben der ehemals amtlich verbotenen ‚Roten Hilfe‘ übernommen.“

Die Solidarität eröffnete in kurzer Zeit Dutzende Zweigstellen, so dass ihr Aktionsradius dem der Roten Hilfe zur Zeit ihres Verbots durchaus vergleichbar war.226 Charakteristisch für die Flüchtlingsfürsorge der Solidarität waren die oben erwähnten Patronate, an denen den Kommunisten sehr gelegen war. Der Jahresbericht der Solidarität für 1936 spricht von 487 registrierten Patronaten zu Jahresbeginn, deren Zahl bis zum Jahresende um weitere 66 erhöht werden konnte. Ein Problem war allerdings die immer häufigere Ausweisung von Flüchtlingen aus dem Grenzgebiet. Eine Reihe von Patronaten musste daher in grenzfernere Orte verlegt werden. Ende 1936 galten 511 aller Patronate deutschen Flüchtlingen, 22 österreichischen, 6 polnischen, 7 ungarischen, 5 rumänischen und je eines einem jugoslawischen und einem bulgarischen Flüchtling.227 Die Zahl der Flüchtlinge aus Österreich war zunächst höher, sank aber nach der Amnestie 1936, die eine Rückkehr in die Heimat ermöglichte, rasch.228 Die meisten Patronate unterhielt die Solidarität in Prag, nämlich 86, in Mährisch Ostrau waren es 76, in Reichenberg 72 und in Karlsbad 61.229 In ihrem Bericht von Anfang 1937 setzte sich die Führung der Solidarität zum Ziel, während der Monate April, Mai und Juni weitere 200 Patronate in der ganzen Republik einzurichten (35 davon sollten bei Zweigstellen in der Slowakei angesiedelt sein). Den einzelnen Städten wurde die genaue Zahl der einzurich-

225 AMP, SK, Sign. II/1004, 1935–1942: Solidarität, Vereinsbuch [spolková kniha], Nedvěd wird als Gründer angeführt. 226 BABIČKA: „Německá protifašistická emigrace …“, S. 80. 227 AMP, SK, Sign. II/1004, 1935–1942: Solidarität, Bericht über die Tätigkeit des Vereins Solidarität für das Jahr 1936, S. 9. 228 Ebda., S. 10. 229 Ebda., S. 5.

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Spendenausweis der kommunistischen Organisation Solidarität mit dem Motto: Verfolgte schützen, der Menschlichkeit dienen, Unterdrückten helfen

tenden Patronate mitgeteilt, tabellarisch nach Monaten gestaffelt. 230 Eine Ausnahme bildete hier nur Kladno, wo die Patronate weniger an Familien, sondern an Fabriken gekoppelt waren. 1937 registrierte die Solidarität mit 550 Personen die überhaupt größte Zahl an Flüchtlingen.231 Die Solidarität hat eng mit der Vereinigung zur Unterstützung deutscher Emigranten und dem „Šalda“-Komitee zusammengearbeitet; das geht aus den erhaltenen Unterlagen eindeutig hervor. Alle drei Organisationen haben sich in ihrer Tätigkeit auf „revolutionäre Antifaschisten“ konzentriert, d.h. auf Kommunisten, und je nach Bedarf verlegten sie die von ihnen betreuten Flüchtlinge von den Patronaten in die Kollektive. Zusätzlich zu den Kollektiven in Schloss Kornhaus und in Straschnitz wurde noch ein kleineres Kollektiv in Zbusan bei Prag gegründet. Zu einem Wechsel aus den Patronaten in die Kollektive kam es vor allem deshalb, weil die Flüchtlinge häufig vor Erhalt der Aufenthaltsgenehmigung in einem Patronat untergebracht wurden und später dann nur eine Genehmigung für den Ver230 AMP, SK, Sign. II/1004, 1935–1942: Solidarität, Vorschläge und Diskussionsmaterial für die Reichskonferenz der Solidarität vom 28.–29.3.1937, S. 3–4. 231 Siehe Memorandum NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/N/9/8: Deutsche Emigranten in der ČSR, 1936–1940, 8.9.1937.

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waltungsbezirk Prag oder Schlan (Slaný) bekamen, zu welch letzterem Kornhaus gehörte. Auch die Kranken verlegte man in die Kollektive.232 Einfluss im „Šalda“-Komitee zu gewinnen war für die Kommunisten unter anderem deshalb so wichtig, weil es zu jenen fünf Organisationen gehörte, die von der Polizeidirektion die Befugnis zur Ausstellung von Evidenzscheinen erhalten hatten. Auch nach der Gründung der Vereinigung zur Unterstützung deutscher Flüchtlinge hatte dessen Vertreter sich sofort um eine Mitgliedschaft im Comité National bemüht, um sich so das Recht zur Ausstellung von Evidenzscheinen zu verschaffen.233 Dagegen sperrten sich allen voran die Sozialdemokraten und die Vertreter des Einheitsverbands der Privatangestellten.234 Im Oktober und November 1934 war die Frage nach der Mitgliedschaft der kommunistischen Vereinigung ein ständiges Thema auf den Versammlungen des Comité National. Marie Schmolka unterstützte das Ansinnen und ihr ist es zu verdanken, dass sich das Comité National geschlossen bei der Prager Polizeidirektion für eine Aufnahme der Vereinigung einsetzte. Die Polizeidirektion und insbesondere ihr Leiter Stanislav Benda wollten jedoch nicht, dass die Vereinigung befugt wäre, Flüchtlinge zu legalisieren.235 Die Haltung der Prager Polizeidirektion ist durchaus verständlich, konnte aber letztlich nicht verhindern, dass Kommunisten sich auch vor einer eventuellen Aufenthaltsgenehmigung Evidenzscheine verschafften. Diese wurden ihnen ohne große Probleme vom „Šalda“-Komitee ausgestellt, in einigen wenigen Fällen auch von der Demokratischen Flüchtlingsfürsorge.236 Obwohl die Kommunisten seit 1934 das „Šalda“-Komitee, die Vereinigung und die Solidarität in ihrer Hand hatten, versuchten sie weitere Kollektive und Organisationen zu infiltrieren, um indifferente Flüchtlinge für die revolutionäre und proletarische Idee zu gewinnen. Entscheidenden Einfluss auf das deutsche Exil versprachen sich die deutschen Kommunisten auch von der Idee einer „antifaschistischen“ Einheitsfront. Diese Idee einer geschlossenen Opposition gegen das NS-Regime in Deutschland war sicher etwas Positives und berechtigt; für eine Geschlossenheit des Exils im Kampf gegen den Nationalsozialismus plädierten schließlich auch andere politische Parteien.237 Wenn aber die Kommunisten den – wie sie es formulierten 232 AMP, SK, Sign. II/1004, 1935–1942: Solidarität, Bericht über die Tätigkeit des Vereins Solidarität für das Jahr 1936, S. 10. 233 Erstmals wurde diese Forderung auf der Versammlung des Comité National Tchécoslovaque pour les réfugiés provenant d’Allemagne im September 1934 erhoben, siehe YIVO, NY, HICEM – Prague Office, RG 245.10, folder 1, MKM 15.135: Prague Committee for German Speaking Refugees, Sitzungsprotokoll des Comité National, 26.9.1934. 234 Ebda., Sitzungsprotokoll des Comité National, 4.10.1934. 235 Ebda., Sitzungsprotokolle des Comité National vom 7.12.1934 und vom 27.5.1935. 236 Ebda., Bericht über die interministerielle Beratung mit den Vertretern der Komités, welche im Comité National vertreten sind, 29.5.1935. 237 Zur Bewegung für eine geschlossene antinationalsozialistische Volksfront siehe die dreibändige Geschichte von LANGKAU-ALEX: Deutsche Volksfront 1932–39.

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– „Kampf für eine Einheitsfront“ forcierten, geschah das nicht ohne Nebenabsichten. Sie spekulierten darauf, die Führung in einem geschlossen organisierten Exil zu übernehmen, die Stoßrichtung jeglicher Aktivitäten in ihrem Sinne zu steuern und sich so für die Zeit nach dem Fall des NS-Regimes einen entscheidenden Einfluss in Deutschland zu sichern. In Frankreich konnte eine solche „Einheitsfront“ gegen den Nationalsozialismus tatsächlich aufgebaut werden; in der Tschechoslowakei aber stießen die Kommunisten auf den hartnäckigen Widerstand der deutschen und der tschechoslowakischen Sozialdemokraten.238 Die Kommunisten wollten aber nicht nur beherrschenden Einfluss auf das Exil gewinnen, indem sie Sozialdemokraten und linke Gruppierungen über die Idee der „Einheitsfront“ zu steuern versuchten. Sie wollten auch mit ihren angeblichen inneren Feinden abrechnen. Insbesondere ab 1936 häuften sich von kommunistischer Seite Anzeigen gegen „Schützlinge“ oder Kollegen, die Vorbehalte gegen die stalinistischen Säuberungen geäußert hatten. Zweifelte ein kommunistischer Flüchtling etwa an Stalins Unfehlbarkeit, wurde er zunächst einem Kreuzverhör unterzogen und dann innerhalb des Kollektivs isoliert. Kurt Grossmann berichtet in seinem Buch von einem solchen Fall. Im Sommer 1936 wandte sich eine Frau an ihn, die mit ihrem Ehemann in dem kommunistisch geführten Straschnitzer Emigrantenheim untergebracht war. Bei Diskussionen über die Moskauer Prozesse hatte ihr Mann angeblich Zweifel geäußert, woraufhin er und andere Kritiker in Isolationshaft genommen wurden – in eigens dafür im Wohnheim eingerichteten Zellen. Grossmann schenkte der Frau zunächst keinen Glauben, machte jedoch die Polizei auf die Angelegenheit aufmerksam, die tatsächlich sechs solcher Zellen fand. Die befreiten Flüchtlinge nahm Grossmann bei sich in der Demokratischen Flüchtlingsfürsorge auf.239 Schlimmer noch war, dass die Kommunisten bereit waren, unbequeme Genossen bei der tschechoslowakischen Polizei als Spitzel der Gestapo zu denunzieren. Etliche solcher Fälle sind gut belegt. Es handelte sich dabei um eine so gängige Praktik, dass Wilhelm Sternfeld ihr in seinem Manuskript über die Emigration in der Tschechoslowakei große Teile eines Kapitels gewidmet hat. Hier beschreibt er, wie diejenigen als Spitzel denunziert wurden, die nicht bereit waren, sich dem Stalinkult anzuschließen; z. B. aber auch ein Kommunist, der gemeinsam mit einem Sozialdemokraten in die Tschechoslowakei geflüchtet war. Auf solche Anzeigen hin lud die Polizei die Betreffenden vor, verhörte sie und entließ sie meist wieder.240 Auch Vilma Loewenbach erinnert sich an Flüchtlinge, die vom „Šalda“-Komitee 238 NA, PP, 1931–1940, Sign. P 86/92: Versuch der deutschen Emigration, eine Volksfront nach französischem Vorbild zu gründen. 239 GROSSMANN: Emigration, S. 108. 240 DEA, Nachlass Willy Sternfeld, Sign. EB 75/177, B.I.1(26): Sternfelds nicht publiziertes Buchmanuskript Die Czechoslovakei als Asylland der Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland, Kapitel „Spitzel und Verräter in der deutschen Emigration“.

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keine Unterstützung erhielten, weil sie angeblich Gestapo-Spitzel seien. In Wirklichkeit vertraten sie nur eine andere politische Ansicht.241 Durch die Häufigkeit der Anzeigen sah sich die Polizei wiederholt veranlasst, den kommunistischen Kollektiven mit einer Auflösung zu drohen.242 Der Fall Franz Pfempfert hätte schließlich die Zusammenarbeit der Hilfskomitees im Rahmen des Comité National beinahe gesprengt. Bereits im September 1936, kurz vor den Moskauer Prozessen, hatte die in der Tschechoslowakei erscheinende kommunistische Zeitschrift Die rote Fahne Pfempfert wiederholt angegriffen. Pfempfert, ebenfalls Kommunist, gab in Karlsbad die Zeitschrift Die Aktion heraus, die seinen persönlichen Kontakt zu Leo Trotzki durchaus zu erkennen gab. Das war den Genossen ein Dorn im Auge und sie forderten in der Roten Fahne Pfempferts Ausweisung aus der Tschechoslowakei. Die Causa Pfempfert gelangte umgehend, am 15. September 1936, auf die Sitzungsordnung des Comité National.243 Jiří Kohn vom Flüchtlingshilfskomitee und Karl Schwab von der kommunistischen Vereinigung (Schwab nahm an den Versammlungen des Comité National teil, auch wenn die Vereinigung nicht offiziell aufgenommen war) vertraten den Standpunkt, dass Pfempfert kein Asylrecht in der Tschechoslowakei zustehe.244 Die Verhandlungen mit den kommunistischen Hilfsorganisationen zeigten unmissverständlich, dass diese das Asylrecht im Sinne einer einzigen politischen Richtung redefinieren wollten. Auf der Versammlung am 21. September 1936 wurde ein freundschaftliches Schreiben an die Redaktion der Roten Fahne beschlossen, in dem man darauf hinwies, dass deren Forderung nicht gerechtfertigt sei und zum Präzedenzfall für weitere Ausweisungen werden könnte. Die Vertreter der Sozialdemokratischen Flüchtlingsfürsorge verlangten einen einstimmigen Beschluss des Briefes durch die Vertreter aller Komitees. Jiří Kohn und Luisa Landová-Štychová, boykottierten das Schreiben jedoch, woraufhin die Sozialdemokraten erklärten, an den Sitzungen des Comité National künftig nicht mehr teilzunehmen, und die Versammlung demonstrativ verließen. Sowohl die Vertreter der Sozialdemokratischen Flüchtlingsfürsorge wie die des Einheitsverbands der Privatangestellten blieben den weiteren Sitzungen fern.245 Anfang Dezember versammelten sich die Vertreter der nichtkommunistischen Hilfsorganisationen in den Räumen des Sozialdemokratischen Komitees. Man beschloss, dass Comité National nach dem Austritt zweier seiner Mitglieder auf241 DEA, Nachlass Willy Sternfeld, Sign. EB 75/177, B.I.3.a: Vilma Loewenbach: Die Emigration der Antihitler-Deutschen nach Prag, ab 1933, S. 20. 242 STERNFELD: „Zuflucht in Prag“, S. 203 243 YIVO, NY, HICEM – Prague Office, RG 245.10, folder 1, MKM 15.135: Prague Committee for German-Speaking Refugees: Sitzungsprotokoll des Comité National, 21.9.1936. 244 Ebda. 245 Ebda., Sitzungsprotokoll des Comité National, 29.9.1936. Das Protokoll enthält auch den Text eines Briefes für die Rote Fahne.

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zulösen. Die Sozialdemokratische Flüchtlingsfürsorge und der Einheitsverbands der Privatangestellten hatten auf einer gemeinsamen Sitzung vereinbart, „dass sie mit den Kommunisten im Rahmen des Comité National künftig nicht mehr zusammenarbeiten“ werden.246 Anstelle des Comité National entstand die Zentrale Arbeitsgemeinschaft deutscher Flüchtlingshilfskomitees, in denen die Sozialdemokratische und die Demokratische Flüchtlingsfürsorge, der Einheitsverband und das Jüdische Hilfskomitee vertreten waren.247 Später etablierte sich die Bezeichnung Zentralstelle für deutsches Flüchtlingswesen in der ČSR.248 Marie Schmolka wurde mit der Koordination der einzelnen Komitees betraut und sollte diese nach Bedarf zu Versammlungen einberufen.249 Die Sitzungen unter neuem Namen und ohne Beisein der Kommunisten fanden meist in der Wohnung von Marie Schmolka in der Kamzíková-Straße statt; dort hatte auch die zionistische Frauenorganisation WIZO ihren offiziellen Sitz. Doch schon am 1. März 1937 fragten die Vertreter des „Šalda“-Komitees und der kommunistischen Vereinigung bei der neuen Dachorganisation an, ob es nicht möglich wäre, dass Comité National zu erneuern und sie als Mitglieder aufzunehmen. Zu Beginn der Versammlung legten beide Organisationen protokollarisch nieder, dass sie „die Zusammenarbeit mit dem Comité National (Zentralstelle) grundsätzlich höher stellen, als im Einzelfall auf einer eigenen Position zu beharren, die stets zugunsten einer Zusammenarbeit aufgegeben werde.“250 Mit dieser Erklärung wurde die Zusammenarbeit der einzelnen Komitees im Rahmen des Comité National erneuert. Franz Pfempfert kehrte der Tschechoslowakei „freiwillig“ den Rücken und ging nach Paris. Während dieser Streitigkeiten im Comité National erreichte eine erneute Kampagne der Kommunisten gegen die „Trotzkisten“ ihren Höhepunkt; Trotzkist war im Übrigen die gängige Bezeichnung für jeden, der gegen Stalins Praktiken opponierte.251 Im Januar 1937 gelang es den Kommunisten, einen hasserfüllten Artikel in den Lidové noviny [Volkszeitung] abzudrucken. Schon der Titel war vielsagend: Prudký boj mezi stalinisty a trockisty. Podezřelé styky trockistů s  nacisty [Heftiger Kampf zwischen Stalinisten und Trotzkisten. Verdächtige Kontakte der 246 Ebda., Sitzungsprotokoll des Comité National, 1.12.1936. 247 Ebda. 248 Siehe z.B. YIVO, NY, HICEM – Prague Office, RG 245.10, folder 1, MKM 15.135: Prague Committee for German-Speaking Refugees: Versammlung des Comité National vom März 1937. 249 Ebda., Sitzungsprotokoll des Comité National, 1.12.1936. 250 Ebda., Sitzungsprotokoll der Zentralstelle, 1.3.1937. 251 Zu den Säuberungen in der KSČ siehe Vítězslav SOMMER: „Kampaň proti pravicovém oportunismu před VII. sjezdem KSČ. Případ Stanislava Budína“, in: Zdeněk KÁRNÍK, Michal KOPEČEK (Hg.): Bolševismus, komunismus a radikální socialismus v Československu, Bd. 5, Praha 2005, S. 78–111.

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Trotzkisten zu den Nazis].252 In der Einleitung seines Artikels verweist der Autor darauf, dass bei den Moskauer Prozessen gegen Sergej Kamenev und Grigorij Zinovev die Trotzkisten der Zusammenarbeit mit der Gestapo beschuldigt worden seien, dass es für diese Beschuldigung aber nicht sehr viele Beweise gebe. In der Tschechoslowakei sei die Verflechtung von Trotzkisten und Nationalsozialisten dagegen ganz offensichtlich. So fanden sie [die Kommunisten] heraus, dass einige Emigranten, die in die Tschechoslowakei gekommen waren und sich hier erstaunlicherweise mit den Trotzkisten zusammengetan hatten, in Deutschland über Kontakte zur Gestapo verfügten. Von manchen dieser Emigranten weiß man auf Grund eigener schriftlicher Erklärung, dass sie für den deutschen Geheimdienst gearbeitet haben.

Genannt werden sodann August H., mit vollem Namen August Henning und M.W., Schreibkraft bei der sowjetischen Handelsvertretung, mit vollem Namen Margarita Watz. Namentlich genannt werden außerdem Oskar Seipold, Erich Wollenberger und Kurt Schröden. Der Artikel endet mit einer Warnung vor den „Trotzkisten“: Der Kampf zwischen Stalinismus und Trotzkismus wird weitergehen und sich verschärfen. Stalin kann die trotzkistische Opposition in Russland offensichtlich erfolgreich zerreiben und aushungern. Weniger sicher ist, ob dies den offiziellen Kommunisten auch in anderen Ländern gelingen wird, wo keine diktatorische Alleinentscheidung möglich ist. Die Aktionen der vierten (trotzkistischen) Internationale sind erst in ihren Anfängen begriffen. In manchen Ländern könnten sie größere Erfolge erzielen, als man vermuten würde. Die Demokraten haben nicht den geringsten Grund, mit dem Trotzkismus zu sympathisieren, der ein permanenter destruktiver Revolutionismus ist.253

Aus den Erinnerungen von Kurt Grossmann oder zum Beispiel auch des linksorientierten Intellektuellen und Sozialarbeiters Henry Jacoby wissen wir, dass dieser Artikel in den Lidové noviny unter der politischen Emigration große Aufregung hervorrief.254 Insbesondere August Henning und Margarita Watz, beide Aktivisten der KPD, befürchteten auf Grund der Beschuldigungen eine Ausweisung und Rücküberstellung nach Deutschland. Aus der Personalakte der beiden Intellektuellen geht jedoch hervor, dass die Prager Polizeidirektion eine Ausweisung nie

252 „Prudký boj mezi stalinisty a trockisty. Podezřelé styky trockistů s nacisty“, Lidové Noviny, 15.1.1937, S. 2. 253 Ebda. 254 GROSSMANN: Emigration, S. 108–109; JACOBY: Davongekommen, S. 26.

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erwogen hat.255 Kurt Grossmann vermutet, dass Wilhelm Koenen, der Führer der Exil-KPD, den Lidové noviny den Artikel untergeschoben habe.256 Nicht nur in der Tschechoslowakei, auch in anderen europäischen Ländern bediente sich die Führung des kommunistischen Exils derart unbarmherziger Methoden. So zitiert Henry Jacoby aus den Erinnerungen seines Freundes Erwin Müller, wie dieser in Paris aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen und der Spionage für die Gestapo beschuldigt wurde. Die Kommunisten konnten das französische Nationalkomitee zur Unterstützung von Flüchtlingen von der Richtigkeit dieser Beschuldigung überzeugen, das daraufhin der französischen Polizei die Ausweisung Müllers empfahl. Nur dank dreier Kollegen, die sich bei der Polizei für ihn verbürgten, konnte diese verhindert werden.257 Es ist kein sicher belegter Fall bekannt, in dem die Prager Polizeidirektion einen kommunistischen Flüchtling auf Grund einer falschen Beschuldigung ausgewiesen hätte. Eher lassen die zitierten Erinnerungen und Zeugnissen vermuten, dass die tschechoslowakische Polizei zu Unrecht Beschuldigte schützte und gegenüber Anzeigen dieser Art einigermaßen skeptisch war. Anders verhielt es sich in der Sowjetunion, wo in den Jahren zwischen 1936–1939 dem Terror Stalins etwa 70% der Flüchtlinge zum Opfer fielen; auch die, die sich um sie kümmerten, blieben nicht verschont. Insgesamt kamen dabei ca. 3000 Menschen ums Leben. Bei den Schauprozessen in ganz Russland waren die häufigsten Urteile Tod durch Erschießen oder acht bis zehn Jahre Gulag.258

255 NA, PŘ, 1931–1940, Sign. F 1484/23, K. 5851; NA, PŘ, 1931–1940, Sign. H 1660/11, K. 6411. 256 GROSSMANN: Emigration, S. 109. 257 JACOBY: Davongekommen, S. 41. 258 Richard MÜLLER: „‚Wir kommen alle dran‘. ‚Säuberungen‘ unter den deutschen Politemigranten in der Sowjetunion (1934–1938)“, in: Mittelweg, Dezember 1997/Januar 1998, Jg. 6, Nr. 36, S. 20–45, siehe S. 41; Hans SCHAFRANEK: „Sowjetunion“, in: KROHN, von zur MÜHLEN, PAUL, WINCLER (Hg.): Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933–1945, S. 390. Näheres zu dieser Problematik siehe Carola TISCHLER: Flucht in die Verfolgung: deutsche Emigranten im sowjetischen Exil, 1933 bis 1945. Münster 1996.

Rassisch Verfolgte oder Wirtschaftsemigranten?

Wer waren die jüdischen Flüchtlinge? Die Diskriminierung der Juden begann unmittelbar nach der nationalsozialistischen Machtergreifung; Schritt für Schritt wurden die Angehörigen dieser Minderheit aus der deutschen Gesellschaft ausgeschlossen. Bereits einige Wochen nach der Machtübernahme kam es zum demonstrativen Boykott der jüdischen Geschäfte, Ärzte und Rechtsanwälte; begründet wurde dieser mit der angeblich feindlichen Propaganda, die die Juden im Ausland gegen die neue Regierung betrieben. Zugleich wurden die Juden aus dem deutschen Staatsdienst entlassen, an den Universitäten, im öffentlichen und kulturellen Leben kam es zu Säuberungen. Im September 1935 wurden auf dem Parteitag in Nürnberg die so genannten Nürnberger Gesetze erlassen, die die Juden zu Bürgern zweiter Klasse degradierten. Die antijüdischen Maßnahmen verstärkten sich in den Jahren 1937/38, als die deutschen Juden aus dem Wirtschaftsleben eliminiert und ihre Betriebe und ihr Besitz „arisiert“ wurden. Im Verlauf des Jahres 1938, nach dem „Anschluss“ Österreichs und in der „Kristallnacht“ schlug die antijüdische Politik der Nationalsozialisten in Terror und Gewalt um.1 Bis zum Oktober 1941 unterstützten die Nationalsozialisten die Emigration der Juden aus Deutschland (und auch aus den besetzten Gebieten) offiziell, wobei sie brutale Methoden und Vertreibungen nicht scheuten. Während die politischen Gegner des NS-Regimes (auch die jüdischen) sich meist verstecken und die Grenze heimlich überschreiten mussten, wurden den sonstigen jüdischen Flüchtlingen bei der Ausreise keine grundsätzlichen Hindernisse in den Weg gelegt – oft freilich unter der Bedingung, dass sie ihren Besitz in Deutschland zurücklassen. Nach einer ungefähren Schätzung haben zwischen 1933 und 1941 etwa 270 000 jüdische Bürger Deutschland verlassen, also mehr als die Hälfte der ursprünglichen jüdischen Bevölkerung von einer halben Million. Unmittelbar nach der Machtergreifung 1933 flüchteten etwa 37 000 Juden aus Deutschland, und zwar überwiegend auf Grund ihrer früheren politischen Tätigkeit bzw. weil sie als Oppositionelle eine Verfolgung befürchten mussten. Mit dem ausweglosen Flüchtlingsdasein konfrontiert, entschieden sich manche für eine Rückkehr nach Deutschland. In der Folgezeit ging die Zahl der Flüchtlinge zurück: zwischen 1934–1937 gingen etwa 20–25 000 Juden jährlich aus Deutschland weg. Erst der 1 Raul HILBERG: The Destruction of the European Jews. 3 Bde. New York 1985; Saul FRIEDLÄNDER: Nazi Germany and the Jews. The Years of Persecution 1933–1939, Bd.  1, New York 1997; Erika WEINZIERL: Zu wenige Gerechte. Österreicher und Judenverfolgung 1938–1945. Graz – Wien – Köln 1997, 4. Auf.

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„Anschluss“ und die „Kristallnacht“ führten dann in den Jahren 1938/39 zu einem Massenexodus (1938 verließen 40 000 Juden das Land, 1939 waren es 79 000). Dabei war die Zahl der Flüchtlinge vor allem durch die restriktive Flüchtlingspolitik der anderen Länder beschränkt.2 Zunächst waren nur etwa die Hälfte der in der Tschechoslowakei befindlichen Flüchtlinge Juden, doch stieg ihr Anteil beständig, und 1938 bildeten diejenigen, die Deutschland und Österreich auf Grund ihrer jüdischen Herkunft verlassen hatten, die überwiegende Mehrheit. Während viele anfangs geflüchtet waren, weil sie das Regime ablehnten oder eine Verhaftung befürchten mussten, stieg später die Zahl derjenigen, die ihr Heimatland wegen rassischer Verfolgung und Eliminierung aus dem wirtschaftlichen Leben verließen. Ab Mitte der 1930er Jahre flüchteten immer mehr Juden infolge der Nürnberger Rassengesetze, ihrer eingeschränkten beruflichen Möglichkeiten und der „Arisierung“ jüdischen Besitzes. Nicht zu vernachlässigen ist auch die Emigration der „Rassenschänder“ – also derjenigen, die wegen einer intimen Beziehungen mit „Ariern“ verfolgt wurden. Allgemein von jüdischen Flüchtlingen zu sprechen ist jedoch sehr problematisch, denn die Menschen, die unter dieser Kategorie subsumiert wurden, stellen eine sehr inhomogene Gruppe vor. Ihre Fluchtmotive waren unterschiedlicher Art, überlagerten oder ergänzten sich. Daher kann man die jüdischen Flüchtlinge nicht eindeutig von anderen Flüchtlingen trennen, insbesondere nicht von den politischen Flüchtlingen. Auch setzt sich diese Studie nicht zum Ziel, der Identität der Flüchtlinge sowie deren eventuellem Wandel während des Exils nachzugehen. Die Juden aber nahmen ihre Vertreibung aus Deutschland oft auch als ein Scheitern ihrer Emanzipation und ihrer Integration in die deutsche Gesellschaft wahr, mit der sie sich vor der Machtergreifung mehrheitlich identifiziert hatte. Auch das konnte zu ihrer Ratlosigkeit, zu ihrem Gefühl der Entwurzelung und der Hoffnungslosigkeit beitragen.3 Im Folgenden soll uns aber nicht so sehr ihre subjektive Identität beschäftigen, sondern vielmehr die Frage, wie und auf welche Weise die tschechoslowakischen Behörden und Hilfskomitees die Gruppe der jüdischen Flüchtlinge definierte und welche Folgen dies hatte. Die Behörden und Hilfskomitees unterschieden folgende Untergruppen jüdischer Flüchtlinge: Juden, die auf Grund ihrer politischen Aktivitäten geflohen waren, „Ostjuden“, tschechoslowakische Repatrianten und nicht zuletzt all die, die vor rassischer Verfolgung in der Tschechoslowakei Zuflucht suchten. Man muss wohl nicht weiter ausführen, dass diese Gruppen sich überschnitten. Dennoch würden die Vorgehensweisen des Staats und der Hilfsorganisationen gegenüber 2 STRAUSS: „Jewish Emigration from Germany (I)“, S. 306; Abraham BARKAI: „Jüdisches Leben unter der Verfolgung“, in: Michael A. MEYER: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 4, München 1997, S. 225–228. 3 Siehe z.B.: Wolfgang BENZ, Marion NEISS (Hg.): Deutsch-jüdisches Exil: das Ende der Assimilation. Identitätsprobleme deutscher Juden in der Emigration. Berlin 1994.

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den Flüchtlingen unverständlich bleiben, wenn nicht zunächst deren Verschiedenartigkeit deutlich gemacht würde. Das Los der politischen Flüchtlinge aus jüdischen Familien unterschied sich bis Ende der 1930er Jahre meist nicht wesentlich von dem ihrer nichtjüdischen Parteigenossen. Gerade für die Sozialdemokraten war die religiöse Bindung ihrer Mitglieder in keiner Weise entscheidend und so wurden viele von ihnen im Hotel Ritz in Königsaal oder in sozialdemokratischen Kollektiven untergebracht. Ähnlich war für Robert Kleins gewerkschaftliches Hilfskomitee bei der Prüfung der Anträge nur die Mitgliedschaft in einer gewerkschaftlichen Organisation ausschlaggebend und auch die Demokratische Flüchtlingsfürsorge betreute eine ganze Reihe von politischen Flüchtlingen jüdischer Herkunft. Das „Šalda“-Komitee und die kommunistische Vereinigung zur Unterstützung deutscher Emigranten war hingegen bestrebt, ihre jüdischen Genossen an das Jüdische Hilfskomitee zu verweisen (die spätere HICEM). Polnische und russische Juden, die in Deutschland unter die Kategorie „Ostjuden“ fielen, waren ein besonders beliebtes Ziel der antisemitischen Propaganda und nicht selten stießen sie auch auf das Misstrauen der jüdischen Bevölkerung vor Ort.4 Die Massenemigration von Juden aus dem östlichen Europa hatte 1881– 1883 im noch zaristischen Russland begonnen und sich infolge der Pogrome in der Zeit zwischen 1903–1905 verstärkt. Während des Ersten Weltkriegs war ein großer Teil der galizischen und bukowiner Juden vor der russisch-österreichischen Front ins Landesinnere geflohen; viele von ihnen befanden sich in den über die böhmischen Länder verteilten Flüchtlingslagern. Entscheidend zu dem jüdischen Exodus aus Osteuropa hatten dann auch die Pogrome im Chaos des Kriegsendes, der Bürgerkrieg in Russland und der russisch-polnische Krieg beigetragen. Die Verfolgung und Vertreibung der „Ostjuden“ aus Deutschland setzte nicht erst mit dem nationalsozialistischen Regime ein. Bereits im 19. Jahrhundert waren die jüdischen Zuwanderer verbalen Angriffen ausgesetzt und häufiges Ziel antisemitischer Publizisten. Der bekannte deutsche Historiker Heinrich von Treitschke zum Beispiel entwarf ein Zerrbild ostjüdischer Horden, die jährlich nach Deutschland einströmten und dessen Verjudung bewirkten.5 Vor allem nach dem Ersten Weltkrieg kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen, insbesondere gegen Juden aus dem Osten, zum Beispiel 1923 im Berliner Scheunenviertel.6 Aus der Perspektive der Flüchtlingspolitik ist jedoch von größe4 Salomon ADLER-RUDEL: Ostjuden in Deutschland, 1880–1940. Tübingen 1959; Steven E. ASCHHEIM: Brothers and Strangers. The East European Jew in German and German Jewish Consciousness, 1800–1923. Madison 1999, 2. Aufl.; Jack WERTHEIMER: Unwelcome Strangers. New York – Oxford 1991. 5 Heinrich von TREITSCHKE: Ein Wort über unser Judenthum. Berlin 1880; vgl. z.B. auch: WERTHEIMER: Unwelcome Strangers, S. 27–30. 6 Trude MAURER: Ostjuden in Deutschland 1918–1933. Hamburg 1986, S. 329–332; David Clay LARGE: „‚Out with the Ostjuden‘. The Scheunenviertel riots in Berlin, November

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rer Bedeutung, dass die deutschen Behörden bzw. die einzelnen deutschen Länder ein besonderes Vorgehen gegen die „Ostjuden“ festlegten, das von behördlicher Diskriminierung über Razzien bis zur Ausweisung reichte. Die aus Preußen bzw. Bayern zwischen Kriegsende und Machtergreifung ausgewiesenen Personen waren zu einem erheblichen Teil „Ostjuden“; in einigen Fällen kam es zur kollektiven Ausweisung größerer Gruppen.7 Die „Ostjuden“ gehörten zu den ersten Opfern des Nazi-Regimes. In den Jahren 1932 und 1933 wurden gerade sie besonders gerne von den Einheiten der SA und SS heimgesucht. Ihre Existenzgrundlage war zerstört, sie selbst an Leib und Leben bedroht. Daher verließen sie Deutschland, wo sie oft schon über mehrere Generationen ansässig waren, zu Tausenden. Die meisten von ihnen sprachen kein Polnisch und wollten auch nicht nach Polen zurück; dennoch sollten sie von der Tschechoslowakei beschleunigt repatriiert werden. Die Bedrängnis der Juden in Polen verschlimmerte sich zeitgleich zur beginnenden Judenverfolgung in Deutschland. Bis 1938 hielten viele (darunter auch jüdische Organisationen) die Lage der Juden in Polen für ebenso alarmierend wie die ihrer Glaubensgenossen im Dritten Reich. Dabei wurde auf den Versuch verwiesen, die Juden aus dem polnischen Wirtschaftsleben zu eliminieren, auf ihre wirtschaftliche Boykottierung und die Einführung eines Numerus clausus sowie gesonderter Bänke an den polnischen Universitäten. In der polnischen Staatsverwaltung und unter den polnischen Politikern sprach man von der Notwendigkeit, die jüdische Auswanderung zu unterstützen, und Józef Beck, der polnische Außenminister, übte Druck auf die westlichen Staaten aus, dass die „überflüssigen“ polnischen Juden als Flüchtlinge anerkannt würden, um die man sich zu kümmern habe und denen man eine der Kolonien vorbehalten sollte: 1937 erlaubte die französische Regierung Polen sogar die Entsendung einer Studienkommission nach Madagaskar; diese sollte die Möglichkeit einer jüdischen Emigration auf diese ferne Insel überprüfen.8 In der zweiten Hälfte der 1930er Jahre nahm die Verarmung der jüdischen Massen zu und dementsprechend wuchs auch die Angst der übrigen Staaten vor einer kollektiven Emigration. Die Vorstellung, dass drei Millionen polnische Juden nach Westen aufbrechen, versetzte etliche Politiker in Schrecken und beeinflusste auch ihre Einstellung gegenüber den jüdischen Flüchtlingen aus Deutschland. Völlig anders sah die Situation der Repatrianten aus. Sie verfügten über die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft; eine weitere Emigration in ein Drittland erwogen sie meist nicht und sie wurden dazu auch nicht gedrängt. Bis auf wenige 1923“, in: Christhard HOFFMANN, Werner BERGMANN, Helmut Walser SMITH (Hg.): Exclusionary Violence. Antisemitic Riots in Modern German History. Ann Arbor 2002, S. 123–140. 7 MAURER: Ostjuden in Deutschland, S. 355–416. 8 CARON: Uneasy Asylum, S. 149–157.

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Ausnahmen integrierten sie sich ohne Probleme in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben in den böhmischen Ländern. Die Zahl der Repatrianten ist schwer zu ermitteln. Der überwiegende Teil ließ sich nämlich bei keiner der Hilfsorganisationen registrieren, sondern meldete sich direkt bei den örtlichen Behörden, die in ihren Akten Repatrianten und Personen, die innerhalb des Landes den Wohnsitz wechseln, nicht unterscheiden. Die Repatrianten kehrten meist in ihre Heimatorte zurück, zu Verwandten oder Bekannten. Walter Lechner zum Bespiel wurde zwar 1900 in Berlin geboren, doch seine Eltern stammten aus Mähren; er und seine Eltern hatten sich stets für die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft entschieden. Zudem kam Lechners Ehefrau aus Oberleutensdorf (Horní Litvínov) bei Teplitz. Bereits einen Tag vor dem Boykott der jüdischen Geschäfte, der am 1. April 1933 beginnen sollte und vor dem sie gewarnt worden waren, flüchteten die Eheleute mit ihrem Sohn zu Verwandten von Frau Lechner. Lechners Eltern zogen später in ihre Heimatgemeinde in Südmähren.9 Walter Lechner, geboren 1906 in Berlin. Lechner war als Verleger in Berlin tätig. Am Tag vor dem Boykott am 1. April 1933 flüchtete er mit seiner Familie zu den Eltern seiner Frau nach Teplitz-Schönau. Er integrierte sich rasch in die Teplitzer jüdische Gemeinde und war bald Herausgeber des Teplitzer Gemeindeblatts. Seine Frau starb bei der Geburt des zweiten Kindes. Im Jahr 1937 heiratete er Hilde Bloch (geboren 1905 in Seewiesen [Zejbiš], heute Javorná in Südböhmen), die ihm in seinem neu gegründeten Verlag hilfreich zur Seite stand. Nach dem Münchner Abkommen mussten die Eheleute von Teplitz-Schönau nach Prag ziehen. Im März 1939 gelang ihnen die Flucht nach Chile, wo Hilde Lechner eine Konditorei eröffnete. Walter Lechner beherrschte nach zwei Jahren Exil das Spanische so gut, dass er auch hier einen Verlag gründen konnte, in dem er unter anderem die Zeitschrift der örtlichen jüdischen Gemeinde und ein Firmenadressbuch herausgab. Im Jahre 1973, nach Piarchets Putsch, entschloss sich Walter Lechner ein drittes Mal zu emigrieren. Hilde Lechner wollte zurück nach Prag, aber da Walter Lechner nicht tschechisch sprach, entschieden sie sich schließlich für Freiburg im Breisgau. Walter Lechner verstarb nach wenigen Jahren, während Hilde Lechner im März 2005 dort ihren 100. Geburtstag feiern konnte.

Auf die Repatrianten entfielen etwa 20 % der Unterstützungsanträge, die beim Jüdischen Hilfskomitee und später beim Sozialinstitut der jüdischen Kultusge9 NA, PŘ, 1931–1940, Sign. L 698/17, K. 8353: Walter Lechner; auch Interview mit Frau Hilde Lechner, 18. 5. 2005 in Freiburg im Breisgau geführt von K. Č.

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meinden von Groß-Prag eingereicht wurden. Um ihre Integration in die tschechische Gesellschaft zu erleichtern und zu beschleunigen, ermöglichte ihnen die jüdische Gemeinde in Prag, ihre Kinder auf eine deutschsprachige jüdische Schule zu schicken. Deren Existenz war jedoch den Vertretern der tschechojüdischen Bewegung in der Repräsentation der Prager jüdischen Kultusgemeinde ein Dorn im Auge. Sie protestierten jedes Jahr aufs Neue gegen die Finanzierung einer solchen Einrichtung. In den 1930er Jahren konnten die Zionisten die Dotation allerdings mit der Begründung durchsetzen, dass die Schule sehr zahlreich von Flüchtlingen aus Deutschland frequentiert werde; dadurch würde Konflikten zwischen der deutschsprachigen und der tschechischen Öffentlichkeit vorgebeugt. Im Januar 1938 beispielsweise argumentierte Pavel Löwy: „Was die jüdische Schule betrifft, so hat sie große Dienste geleistet, indem sie einen großen Teil der Flüchtlingskinder aufgenommen hat, die ansonsten die deutschen Schulen gefüllt hätten, was in manchen Kreisen Missfallen erregt hätte, oder aber sie hätten tschechische Schulen besucht, wo sie die Unterrichtssprache nicht beherrscht hätten, und das hätte kein geringeres Missfallen erregt.“10 Die Gemeinde richtete zudem Tschechischkurse für Erwachsene und Kinder ein. Eine der Lehrerinnen war Stella Fischlová, die Ehefrau des Schriftstellers Viktor Fischl.11 Die Mehrheit der Repatrianten war so nach kurzer Zeit in die tschechische Gesellschaft integriert; nur wenige – meist alte und kranke Menschen – befanden sich die gesamten 1930er Jahre hindurch in der Obhut des jüdischen Sozialinstituts. Aus einem Bericht von 1937 geht hervor, dass in diesem Jahr 136 Personen vom Sozialinstitut betreut wurden. 12 Unter den Repatrianten waren auch etliche hervorragende Intellektuelle und Künstler, die nach dem Ersten Weltkrieg auf Stellenangebote von Universitäten und anderen akademischen und kulturellen Einrichtungen in Deutschland eingegangen waren. Nach 1933, als sie diese Einrichtungen wegen ihrer jüdischen Herkunft verlassen mussten, kehrten sie in die Tschechoslowakei zurück, wo sich ihre Kollegen (und manchmal auch der Staat) um berufliche Möglichkeiten für sie bemühten. Stellvertretend genannt seien die Schriftsteller Willy Haas, Bruno Adler, Ernst Weiss, Max Zweig, Hans Natonek, Egon Erwin Kisch, F. C. Weiskopf oder auch die Wissenschaftler Erich von Kahler und Emil Utitz. 13

10 AŽMP, Fond Jüdische Kultusgemeinde Prag, Protokolle der Repräsentantenversammlungen von 1938: Versammlung vom 12.1.1938. 11 Kateřina ČAPKOVÁ: „Pak to ale dopadlo ještě jinak. Rozhovor s Viktorem Fischlem o českých sionistech, asimilantech a židovské politice“, Roš chodeš, 2001, Jg. 63, Nr. 3, S. 6–7. 12 AŽMP, Fond Jüdische Kultusgemeinde Písek (107), Sign. 63248, Aktenmaterial 1927–1938: Bericht des Sozialinstituts, 28.5.1937. 13 Wilhelm STERNFELD, Eva TIEDEMANN: Deutsche Exil-Literatur 1933–1945. Eine Bio-Bibliographie. Heidelberg – Darmstadt 1962.

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Die überhaupt größte Gruppe von Juden flüchtete wegen ihrer Diskriminierung und ihrer Eliminierung aus der deutschen Gesellschaft. Die bisherige Forschung zeichnet oft ein verzerrtes Bild von dieser Gruppe und bagatellisiert ihre Bedrohung. Die jüdischen Flüchtlinge, so heißt es immer wieder, hätten im Exil unter guten Bedingungen gelebt und den meisten sei es vor allem um eine Sicherung ihres von der „Arisierung“ bedrohten Besitzes gegangen. Im Unterschied zu den „politischen“ Flüchtlingen werden diese jüdischen Flüchtlinge oft als Wirtschaftsmigranten bezeichnet. 14 Die Judenverfolgung in Deutschland darf man jedoch nicht auf die wirtschaftliche Ausgrenzung der jüdischen Minderheit reduzieren – tatsächlich ging es um den politisch motivierten Prozess ihrer Eliminierung aus allen Bereichen der deutschen Gesellschaft. Daher war es in der Praxis so gut wie unmöglich, die, die vor direkter Verfolgung geflohen waren, klar von denen zu scheiden, die die eingeschränkten wirtschaftlichen Möglichkeiten aus dem Land getrieben hatten. Der visumfreie Grenzverkehr zwischen der Tschechoslowakei und Deutschland ermöglichte es Flüchtlingen, die nicht von der Gestapo gesucht wurden, eine gewisse Zeit lang zwischen beiden Staaten hin- und herzureisen. Viele Juden aus den höheren Schichten reisten nämlich insbesondere nach dem Boykott im April 1933 als Touristen in die Tschechoslowakei, nahmen bevorzugt in den Hotels der grenznahen Kurbäder Quartier und warteten über Wochen, dass sich die Situation in Deutschland wieder beruhigen würde. Es war nichts Außergewöhnliches, dass – insbesondere grenznah wohnende – Juden in die Tschechoslowakei fuhren, um „ein bisschen freie Luft zu schnappen“, wie es der jüdische Reporter Zwi Hirsch Wachsmann in seiner Reportage nannte. In seinem für jüdische Leser gedachten, auf Jiddisch verfassten Buch von 1936 schildert er einen Besuch in Spindlermühle (Špindlerův Mlýn). Viele von denen, die in den Berghütten einkehrten, waren seinem Eindruck nach deutsche Juden, die allerdings wenig Interesse für die Freuden des Wintersports zeigten. Sie waren gekommen, um das Wochenende mit der Lektüre freier Presse zu verbringen. Die Betreiber der Berghütten reagierten flexibel auf die neuen Gäste und veranstalteten zu deren Unterhaltung Maskenbälle und ähnliche Vergnügungen.15 Dank des visumfreien Verkehrs kam es sogar hin und wieder vor, dass Flüchtlinge im Exil von ihren jüdischen Verwandten aus Deutschland Besuch erhielten. Henry Jacoby berichtet in seinen Memoiren vom Besuch seiner Tante und seines Onkels, dem Ehepaar Ehrlich, das ihn im Prager Exil unterstützte (Geld schickten 14 Siehe z. B. Thomas KRAFT: „Zuflucht in der Tschechoslowakei“, in Detlef BRANDES, Václav KURAL (Hg.): Der Weg in die Katastrophe. Deutsch-tschechoslowakische Beziehungen 1938–1947. Essen 1994, S. 27–37, bes. 33; Reiner ECKERT: Emigrationspublizistik und Judenverfolgung. Das Beispiel Tschechoslowakei. Frankfurt am Main 2000, S. 29, 33; CESAR, ČERNÝ: „Die deutsche antifaschistische Emigration in der Tschechoslowakei“, S. 155. 15 Zwi Hirsch WACHSMAN: In land fun Maharal un Masaryk. Warszawa – Paris 1936.

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sie ihm eingeklebt in einen Bucheinband). „Einmal erschienen er [ Jacobys Onkel] und meine Tante sogar zu Besuch in Prag. Sie kehrten nach Berlin zurück, noch sah niemand den Massenmord an den Juden voraus, und sie ahnten nicht den baldigen Tod.“16 Seit Mitte der 1930er Jahre wurde eine Rückkehr der jüdischen Flüchtlinge nach Deutschland immer schwieriger und die deutschen Behörden versuchten dergleichen zu verhindern, und zwar durch Aberkennung der Staatsbürgerschaft – das betraf vor allem frühere polnische Juden – oder indem sie mit einer Inhaftierung im Konzentrationslager drohten. Dass die Rückkehr in das Herkunftsland nun verwehrt war, rief wiederum bei den tschechoslowakischen Behörden verstärkte Befürchtungen hervor, dass man auf dem eigenen Territorium Ausländer dulden müsse, die nicht legal in ein Drittland ausreisten könnten. Die deutschen Juden, denen in den 1930er Jahren nicht unmittelbar eine Verhaftung durch die Gestapo drohte, konnten ihre Ausreise gründlicher vorbereiten. In der meist gelesenen deutschen Zeitung der böhmischen Länder, im Prager Tagblatt, das bekannt war für seine liberale Ausrichtung und das sich daher auch unter der jüdischen Bevölkerung des Landes größter Beliebtheit erfreute, erschienen in den 1930er Jahren immer häufiger Inserate aus Deutschland. Jüdische Unternehmer boten Unternehmern in den deutsch-böhmischen Grenzgebieten oder in Prag eine Partnerschaft an; umgekehrt versuchten auch Unternehmer aus dem deutsch-böhmischen Grenzgebiet die Situation für sich zu nutzen und suchten unter den reichsdeutschen Flüchtlingen bzw. den Juden, die eine Emigration aus Deutschland erwogen, nach Teilhabern. Es gab auch heiratspolitische Strategien. Keineswegs eine Ausnahme war folgendes Inserat im Prager Tagblatt: „Für meine zwei hübschen Töchter, Jüdinnen, 24 u. 21 Jahre, Reichsdeutsche, gebildet, sehr wirtschaftlich und äusserst geschäftstüchtig erzogen, musikalisch, mit gröss. festangelegtem Vermögen u. Aussteuer, suche ich zwei in guten Verhältnissen lebende Ehekameraden aus gutem Hause mit besten Charaktereigenschaften.“17 Mit Blick auf die wirtschaftliche, gesellschaftliche und familiäre Vernetzung zwischen den Familien im deutschen Grenzgebiet Böhmens und in Reichsdeutschland ist davon auszugehen, dass es im Laufe der 1930er Jahre zu zahlreichen Verschiebungen jüdischer Familien aus Deutschland nach Böhmen kam. Die genaue Zahl dieser Emigranten lässt sich freilich nur schwer schätzen. Sie wurden von keinerlei Hilfskomitee erfasst, eine Aufenthaltsgenehmigung verschafften sie sich selbst; heiratete eine Reichsdeutsche in die Tschechoslowakei, erhielt sie mit der Eheschließung die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft automatisch. Die heirats- oder firmenpolitischen Strategien könnten freilich den irrtümlichen Eindruck erwecken, dass man die jüdischen Flüchtlinge der „Wirtschaft 16 JACOBY: Davongekommen, S. 30. 17 Prager Tagblatt, 27.8.1933, S. 10. Unterstreichung im Original.

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Inserate im Prager Tagblatt, 27.8.1933

semigration“ zurechnen müsse, wie oft von den staatlichen Behörden praktiziert. Doch genau das hat – wie aus vielerlei Gründen offensichtlich ist – zu einer bewussten Verzeichnung geführt, zu einer Bagatellisierung der Situation, in die sich die Mehrheit der Juden, die aus Deutschland fliehen mussten, gestellt sahen. Nurwenige reichsdeutsche Juden waren in der Tat so vorausschauend und hatten ihre gewerbliche Existenz beizeiten ins Ausland verlagert, wovon die tschechoslowakische Wirtschaft durchaus profitierte. Die überwiegende Mehrheit der Juden (und es waren Tausende) suchte Asyl in der Tschechoslowakei, weil sie sich in unmittelbarer Lebensgefahr sah, weil man sie und ihre Kinder bedrohte, weil sie ihr Geschäft, ihre Kanzlei oder Praxis ruiniert fand. Die tschechoslowakische Flüchtlingspolitik und die Juden Die spezifisch gegen die Juden gerichtete nationalsozialistische Verfolgung und damit auch die Spezifika vieler jüdischer Flüchtlinge werfen die Frage auf, inwieweit in der Tschechoslowakei besondere Regeln für den Umgang mit den jüdischen Flüchtlingen aus Deutschland und Österreich galten. Zunächst machten die Behörden keinen deutlichen Unterschied zwischen jüdischen und anderen Flüchtlinge und die Judenverfolgung in Deutschland wurde – jedenfalls in einigen amtlichen Dokumenten – sogar als legitimer Grund für eine Aufnahme in der Tschechoslowakei anerkannt. Daher sah es so aus, als würde man sich gegenüber den jüdischen Flüchtlingen aus Deutschland entgegenkommend zeigen. Die Polizeidirektion in Prag und das Innenministerium erkannten neben politischer Betätigung auch eine jüdische Herkunft als Grund für eine Flucht in

Die tschechoslowakische Flüchtlingspolitik und die Juden

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die Tschechoslowakei an und tolerierten die jüdischen Flüchtlinge auf ihrem Territorium. Diese Toleranz gründete aber – und bei jüdischen Flüchtlingen noch mehr als bei anderen – auf der inoffiziellen Erwartung einer baldigen Auswanderung in ein Drittland, wodurch sich dann eine Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung erübrigte. Damit die jüdischen Flüchtlinge in der Tschechoslowakei geduldet würden, waren die jüdischen Hilfsorganisationen also von Anfang an gezwungen, auf die vom Innenministerium und ganz wesentlich auch von der Prager Polizeidirektion aufgestellten Spielregeln einzugehen. Als zum Beispiel am 10. Mai 1933 Josef Winternitz und Marie Schmolka, die Vertreter des Komitees zur Unterstützung jüdischer Flüchtlinge aus Deutschland, auf dem Innenministerium vorsprachen und darum baten, dass die Behörden einen Aufenthalt jüdischer Flüchtlinge aus Deutschland tolerieren möchten, wurde ihnen zwar eine „wohlwollende“ Haltung in dieser Frage zugesichert, zugleich aber auch mitgeteilt, dass: … die Behörden die heikle Situation der Juden, die zu einer Flucht aus Deutschland gezwungen sind, anerkennen, dass sie andererseits aber auch die Interessen der einheimischen Bevölkerung wahren müssen, damit diese durch den Zustrom an Emigranten nicht in ihren Verdienstmöglichkeiten bedroht und nicht um ihre Arbeitsplätze gebracht werde. Daher ist es auch erforderlich, dass die Emigranten so schnell wie möglich die Tschechoslowakei wieder verlassen. Denn es kann nicht zugelassen werden, dass diese hier ein Dienstverhältnis eingehen oder ein selbständiges Gewerbe betreiben. Die behördlichen Maßnahmen gehen also dahin, den Emigranten eine Ausreise aus der Tschechoslowakei zu ermöglichen und zu erleichtern. Um diese müssen sich vor allem die Emigranten selbst kümmern und das Komitee wird ihnen dabei sicher behilflich sein.18

Ähnlich gingen auch die anderen europäischen Staaten vor, denn keiner wollte letztlich Ziel einer größeren Zahl jüdischer Flüchtlinge werden. Der Historiker Dan Diner, der sich mit diesem Dilemma befasst hat, gab seiner Studie den treffenden Titel Die Katastrophe vor der Katastrophe. Auswanderung ohne Einwanderung.19 Obwohl die offizielle Flüchtlingsevidenz (und die Ausländerstatistik des Statistischen Amtes) eine jüdische Herkunft nicht vermerkte, geht aus den Berichten der Sicherheitsbehörden hervor, dass man darauf durchaus ein Auge hatte und über die Zahl der jüdischen Flüchtlinge relativ gut informiert war. Einen gewissen Überblick gewährte hier die Flüchtlingsstatistik des Jüdischen Hilfskomitees. Im Juni 1933 vermerkte ein Beamter des Innenministeriums am Rand einer für 18 NA, MV, Alte Registratur, 1936–1940, Sign. 5/51/16, K. 4655: Protokoll des Innenministeriums, 10.5.1933. 19 Dan DINER: „Die Katastrophe vor der Katastrophe. Auswanderrung ohne Einwanderung“, in: Dirk BLASIUS (Hg.): Zerbrochene Geschichte. Frankfurt am Main 1991, S. 138–160.

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das Abgeordnetenhaus erstellten Flüchtlingsstatistik „etwa 50% Juden“.20 Als im Januar 1934 eine Ministerkonferenz über die Einrichtung einer Zentralorganisation der tschechoslowakischen Hilfskomitees stattfand, verglich ein Vertreter des Außenministeriums den Anteil an jüdischen Flüchtlingen in den europäischen Ländern („insgesamt sind 85% Juden, 15% Arier“) mit der Situation in der Tschechoslowakei, wo man den Anteil der Juden damals auf 60% schätzte.21 Die jüdischen Hilfsorganisationen waren im Ermöglichen einer weiteren Auswanderung zunächst erfolgreicher als die übrigen Organisationen. Laut des Berichts von Hochkommissar McDonald aus dem Jahr 1935 ließ sich eine weitere Ausreise eher für jüdische Flüchtlinge organisieren, und zwar vor allem dank der HICEM und der Möglichkeit einer Auswanderung nach Palästina. So verschob sich das Verhältnis von jüdischen und nichtjüdischen Flüchtlingen in den europäischen Ländern: in der Tschechoslowakei betrug der Anteil an jüdischen Flüchtlingen nun 50%, in Österreich 30%.22 Noch im Bericht für die Vollversammlung der Vereinten Nationen am 1. September 1936 vermutete der Hochkommissar für Flüchtlinge Neill Malcolm, dass das Problem der jüdischen Flüchtlinge, die mithilfe der Flüchtlingsorganisationen nach Palästina (und anderswohin) auswandern, bald durch eine dauerhafte Ansiedlung in den Zielländern gelöst sei, während er die Situation der nichtjüdischen Flüchtlinge für sehr bedenklich hielt.23 Wie sich bald zeigen sollte, war diese Einschätzung mehr als optimistisch. Die „wohlwollende“ Haltung gegenüber den jüdischen Flüchtlingen, die eine möglichst rasche Ausreise zur Bedingung machte, galt nicht für die große Gruppe von Juden mit polnischer Staatsbürgerschaft oder andere „Ostjuden“. Diese kamen nicht nur aus Polen in die Tschechoslowakei, sondern auch aus den anderen Nachbarstaaten. Die tschechoslowakischen Behörden waren mit der Frage der „Ostjuden“ bereits bei der Gründung der Republik konfrontiert: auf deren Territorium befand sich immer noch eine beträchtliche Zahl von Flüchtlingen aus Galizien. Schon während des Ersten Weltkriegs waren diese Flüchtlinge Opfer von Beschwerden und Zielscheibe von Feindseligkeiten, die teils auf Vorurteilen gründeten, teils aus den Unterschieden zwischen dem säkularisierten böhmischen Milieu und der jüdischen Orthodoxie erwuchsen, aber auch aus dem Mangel an Lebensmitteln und anderen Gütern. Die meisten dieser jüdischen Flüchtlinge mussten die Tschechoslowakei nach Ende des Ersten Weltkriegs verlassen; bei denen, die blieben, zögerten die Behörden oft mit der Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung. Den Beamten hatte sich ins Gedächtnis geschrieben, dass man sich dieser „lästigen“ und angeblich kulturell so unterschiedlichen Ausländer nur 20 NA, PMV, 1931–1935, Sign. X/N/9/11: Protokoll PMV, 23.6.1933. 21 NA, PMV, 1931–1935, Sign. X/N/9/11, K. 844–3: Protokoll der interministeriellen Konferenz im Außenministerium (MZV) am 23.1.1934. 22 AMZV, Sign. II-3, K. 926: Bericht McDonalds von 1935. 23 AMZV, Sign. II-3, K. 926.

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schwer wieder entledigen konnte, und diese Erfahrung sollte ihren Umgang mit den „Ostjuden“ während der gesamten Zwischenkriegszeit prägen. Die Frage der polnischen Juden spitzte sich in den 1930er Jahren erneut zu. Grund hierfür war nicht nur die Judenverfolgung in Deutschland und die Diskriminierung der Juden in Polen, sondern auch die schlechten Beziehungen zwischen Polen und der Tschechoslowakei, die unter anderem auf beiden Seiten zur Ausweisung von Angehörigen des Nachbarstaats führten, obwohl diese bereits lange Jahre im Ausland ansässig waren und sich nichts hatten zu schulden kommen lassen. Auf tschechoslowakischer Seite waren davon vor allem polnische Juden betroffen. Diese Politik wurde von der Angst vor einem Massenexodus der polnischen Juden und ihrer Vertreibung aus Polen und Deutschland verstärkt. Schon Ende 1931 warnte das tschechoslowakische Konsulat in Krakau davor, dass mit einem Erstarken der Nationalsozialisten in Deutschland eine Abwanderung der dort ansässigen Juden in die Tschechoslowakei zu befürchten steht. „Für sie kommen vor allem die germanisierten und polonisierten Gebiete der Tschechoslowakei für eine Ansiedlung in Betracht.“24 Noch vor der nationalsozialistischen Machtergreifung, im Dezember 1932, gab das tschechoslowakische Innenministerium eine Instruktion heraus, in der davor gewarnt wurde, dass die polnischen Juden sich unter dem Einfluss der politischen Entwicklung in Deutschland und Polen verstärkt um eine Immigration bemühen könnten. Das Blatt zeichnet das Schreckbild von einer halben Million in Deutschland ansässiger polnischer Juden, die zu emigrieren versuchen, wobei die vermögenderen in die westeuropäischen Staaten gehen würden, die ärmeren in die Tschechoslowakei. Da sie die Staatssprache nicht beherrschten, würden sie bevorzugt in die national gemischten Grenzgebiete einwandern und dort als Händler oder Gewerbetreibende Fuß zu fassen versuchen. Mit Blick darauf, dass die tschechoslowakischen Konsularbehörden in Deutschland diesen Personen weder Visa für einen längeren Zeitraum noch eine Gewerbelizenz erteilen, sollten alle inländischen Behörden die Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis oder eines Gewerbescheins ablehnen und die polnischen Juden nach Ablauf des Visums ausweisen. „Alle diese Maßnahmen sind mit größter Eile durchzuführen, denn die Gefahr einer Überschwemmung insbesondere der gemischten Gebiete der Republik mit polnischen Juden ist groß und eine Ansiedlung dieses moralisch niedrig stehenden Elements ist daher weder aus staatlicher Sicht noch unter den heutigen wirtschaftlichen Verhältnissen wünschenswert.“25 Zur selben Zeit vermutete das Konsulat in Kattowitz (Katowice), dass die polnischen Delegierten des in Karls24 NA, PMV, 1931–1935, Sign. X/P/24/1, K. 874–2: Informationen des Außenministeriums vom 21.12. 1931 (Auszug aus dem periodischen Bericht des tschechoslowakischen Konsulats in Krakau für November 1931). 25 Ebda., Mitteilungen der Landesbehörde Brünn, 21.12.1932.

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bad stattfindenden Weltjudenkongresses womöglich illegal in der Tschechoslowakei zu bleiben gedächten.26 Im August 1933 verwies dann der tschechoslowakische Konsul in Kattowitz auf die sich mehrenden Fälle aus Deutschland geflüchteter polnischer Juden, die ein Visum beantragten. Der tschechoslowakische Diplomat schildert ihr angeblich aufdringliches und dreistes Benehmen und merkt an, dass auf den ersten Blick zu sehen sei, dass es sich zum größten Teil um ein „unerwünschtes Element“ handele. Aus diesem Grund und unter Verweis darauf, dass sie nicht dauerhaft im Zuständigkeitsbereich des Konsulats ansässig seien, wurden ihnen keine Visa ausgestellt. Ihre Emigration in die Tschechoslowakei soll angeblich auch von der örtlichen jüdischen Gemeinde unterstützt worden sein.27 Die tschechoslowakischen Auslandsvertretungen und die inländischen Behörden machten darauf aufmerksam, dass unter den polnischen Juden ein Missbrauch kurzfristiger, vor allem für Kuraufenthalte erteilter Visa üblich sei, mittels derer ein längerfristiger Aufenthalt und eine gewerbliche Tätigkeit in der Tschechoslowakei angestrebt würden. Auch die Opfer des tschechisch-polnischen Ausweisungskampfes (und zwar vor allem 1934–35) waren in erster Linie Juden mit polnischer Staatsbürgerschaft. 1934 ließ das Innenministerium sich Listen derjenigen polnischen Bürger zuschicken, die für eine Ausweisung in Frage kämen; die überwiegende Mehrheit davon waren Juden polnischer Herkunft. Dabei überwogen unter den in der Tschechoslowakei ansässigen polnischen Staatsbürgern rein zahlenmäßig sicherlich diejenigen, die in Nordmähren oder im Teschener Raum (Těšínsko) in den Gruben und den Stahlwerken beschäftigt waren. Auf der Liste, die von der Prager Polizeidirektion erstellt worden war, findet sich auch Jacob Edelstein, der nach dem Ersten Weltkrieg mit seiner Familie vor den Pogromen im galizischen Horodenka geflüchtet und seither in Böhmen ansässig war. Edelstein wurde einer der führenden Vertreter der zionistischen Bewegung in der Tschechoslowakei und war zu jener Zeit, als ihn die Prager Polizeidirektion zur Ausweisung vorschlug, Leiter des Palästina-Amtes in Prag. Während der Okkupation wurde er im Theresienstädter Ghetto zum „Judenältesten“ ernannt und 1944 in Auschwitz ermordet.28 Die Migration polnischer Juden in und über die Tschechoslowakei war nicht allein durch Antisemitismus, Boykotte oder wirtschaftliche Faktoren verursacht. Der Erste Weltkrieg hatte die Staatsgrenzen in Europa zu einem großen Teil verschoben. Wirtschafts- und Verwaltungseinheiten, in denen sich die Juden bis dahin frei bewegen konnten, wurden jetzt von den Grenzen der neu entstandenen Staaten zerschnitten. Auch die Familien der jüdischen Minderheit wurden mehr als die jeder anderen Bevölkerungsgruppe durch die neuen Grenzziehungen ausei26 Ebda., Bericht des tschechoslowakischen Konsuls in Kattowitz, 23.8.1933. 27 Ebda., Bericht des tschechoslowakischen Konsuls in Kattowitz, 24.8.1933. 28 Ruth BONDY: „Elder of the Jews“. Jakob Edelstein of Theresienstadt. New York 1989.

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nander gerissen und auf die einzelnen Nachfolgerstaaten des Habsburger Reiches verteilt. Ein ähnliches – wenn auch zahlenmäßig geringeres – Problem stellte die Migration der rumänischen Juden dar, die häufig familiäre Verbindungen zu Juden in der Karpato-Ukraine und der Slowakei hatten. Zweifellos waren die migrierenden „Ostjuden“ auch ein soziales Problem, doch das Vorgehen der Behörden war auch von antisemitischen Vorurteilen bestimmt, die kulturelle Unterschiede als Rückständigkeit und moralischen Verfall darstellten. Als sich die Judenverfolgung in Deutschland Mitte der 1930er Jahre verschärfte und Palästina seine Pforten schloss, wurde die tschechoslowakische Flüchtlingspolitik zwar nicht von Grund auf neu definiert, doch hatten die Behörden nun ein besonderes Augenmerk auf die jüdischen Flüchtlinge und warnten nicht mehr nur vor einem Zustrom polnischer Juden, sondern befürchteten auch einen Massenexodus deutscher Staatsbürger jüdischer Herkunft. Diese Befürchtungen wurden durch die Berichte der tschechoslowakischen Vertretungen in Deutschland scheinbar bestätigt. Am 13. September 1935, zwei Tage vor Erlass der Nürnberger Gesetze, hatte der Konsul in Leipzig – nach einem Privatgespräch mit dem Immigrationsreferenten des polnischen Konsulats – vor einem möglichen Massenzustrom polnischer Juden aus Deutschland gewarnt. In Sachsen seien über 20 000 polnische Juden ansässig und in Hinblick darauf, dass sie ihrem Heimatland entfremdet seien und entsprechende Empfehlungen seitens des polnischen Konsulats bekämen, könnten sie sich um eine Einwanderung in die Tschechoslowakei bemühen, wo einige Hundert angeblich schon über eine Aufenthaltserlaubnis verfügten. Die polnischen Juden seien zumeist als Kriegsflüchtlinge aus Galizien und Russland nach Leipzig gekommen und „stellen“, wie der Konsul hinzufügte, „im Großen und Ganzen ein unerwünschtes Element dar“.29 Einige Tage später jedoch sprach dieselbe Vertretung bereits von der Gefahr einer Abwanderung aller Leipziger Juden mit deutscher Staatsbürgerschaft. Nach Erlass der Nürnberger Gesetze beabsichtigten, wie das Konsulat aus „jüdischen Kreisen“ erfahren habe, auch „alteingesessene deutsche Juden“ zu emigrieren, denn sie seien überzeugt, dass „in Deutschland noch schlimmere Zeiten bevorstünden“. Sie würden daher versuchen, wenigstens einen Teil ihres Besitzes zu retten und eine neue Existenz im Ausland zu gründen. Der Bericht informiert im Weiteren über Gerüchte, denen zufolge die „Arisierung“ beschleunigt vorangetrieben werden solle. Die örtlichen Juden würden sich auf dem Konsulat nach den Möglichkeiten einer Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis sowie einer Gewerbelizenz in der Tschechoslowakei erkundigen. Andere Juden kämen, um nach den Zollvorschriften für die Einfuhr von Möbeln zu fragen, da ihnen die Prager Polizeidirektion angeblich eine Aufenthaltsgenehmigung versprochen habe. Wieder andere glaubten fest, dass ihnen ein Komitee in Prag eine Aufenthaltsgenehmigung ver29 NA, MV, 1936–1940, Sign. 5/51/20, K. 4656: Bericht des tschechoslowakischen Konsulats in Leipzig, 13.9.1935.

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schaffen werde. Das Konsulat hätte diesen Antragstellern von einer Zuwanderung abgeraten, da die Tschechoslowakei übervölkert sei, sich in einer Wirtschaftskrise befinde und unter hoher Arbeitslosigkeit leide, was die potentiellen Immigranten eingesehen hätten. Auch Juden, die in der Tschechoslowakei eine in Deutschland verbotene „Mischehe“ eingehen wollten, würden sich an das Konsulat wenden. Nach einer solchen Eheschließung freilich könnten sie nicht mehr nach Deutschland zurückkehren, wo ihnen eine Gefängnisstrafe dafür drohe, und vermutlich rechneten sie mit einem dauerhaften Verbleib im Ausland.30 Diese – sicher übertriebenen – Berichte lösten in den Prager Ministerien Alarm aus. Das Sozialministerium forderte im Interesse des Erhalts von Arbeitsplätzen, die Einwanderung deutscher Juden „auf das Nötigste“ zu begrenzen und wies darauf hin, dass tschechoslowakischen Staatsbürgern in Deutschland eine Beschäftigung verwehrt sei, und zwar aufgrund des „Ariergesetzes“, aus Gründen der politischen Gesinnung oder in der kriegswichtigen Produktion.31 Auch das Handelsministerium war der Meinung, dass eine Zuwanderung reichsdeutscher Juden „auf jede Weise verhindert“ werden müsse und verwies auf den unbedingt erforderlichen Schutz des heimischen Arbeitsmarkts, insbesondere des selbständigen Unternehmertums, das schon jetzt unter dem Zustrom deutscher Staatsbürger leide.32 Das Innenministerium vertrat auf Dokumenten für den internen Dienstgebrauch dieselbe Position und plädierte außerdem dafür, auch eine Immigration von „wirtschaftlich einstweilen abgesicherten Personen jüdischer Nationalität“ zu verhindern, da diese zu einem späteren Zeitpunkt eine Existenzgründung in der Tschechoslowakei anstreben könnten.33 Im Mai 1936 gab das Innenministerium übereinstimmend mit den übrigen Ministerien eine drastisch formulierte Instruktion heraus, deren Ziel es war, einer Immigration deutscher Juden „auf jede Weise zu wehren“ und so den heimischen Arbeitsmarkt und das heimische Unternehmertum zu schützen. Während der Schutz vor einer Zuwanderung polnischer oder staatenloser Juden in den Händen der tschechoslowakischen Vertretungen lag, hieß es in der Begründung, dass die Inlandsbehörden den deutschen Juden eine Aufenthaltsgenehmigung auf Grundlage des Gesetzes über den Aufenthalt von Ausländern von 1935 verweigern und sie im Falle einer illegalen Einreise ausweisen sollten. Die Behörden sollten diejenigen Inhaber polnischer Pässe systematisch vom Staatsgebiet „entfernen“, die sich eines Visummissbrauchs schuldig gemacht hätten. Streng vorzugehen sei auch gegenüber früheren polnischen oder deutschen Staatsbürgern, die mit einem deutschen Ausländerpass in die Tschechoslowakei gelangt seien. Hierbei ging es dem Ministerium vor allem darum, es denjenigen Flüchtlingen schwerer zu ma30 31 32 33

Ebda.: Bericht des tschechoslowakischen Konsuls in Leipzig, 25.9.1935. Ebda.: Sozialministerium ans Außenministerium, 9.11.1935. Ebda.: Handelsministerium ans Außenministerium, 11.1.1936. Ebda.: Protokoll der 12. Abteilung des Innenministeriums, 26.11.1935.

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chen, denen nach der Machtergreifung die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt worden war (meist betraf dies ehemalige „Ostjuden“). Deutschen Flüchtlingen, die ohne Reisepass auf tschechoslowakisches Territorium gelangt seien, solle keine Aufenthaltsgenehmigung erteilt werden, und wer illegal eingereist sei, sei auf der Stelle zurückzuschicken.34 Im Juli 1936 wies das Außenministerium auf Antrag des Innenministeriums seine Vertretungen in Deutschland an, „grundsätzlich denjenigen Personen keine Einreisevisa zu erteilen, bei denen davon auszugehen ist, dass sie die tschechoslowakischen Visa missbrauchen und sich dauerhaft in der Tschechoslowakei niederlassen.“ Insbesondere werden die in Deutschland ansässigen Juden genannt, die nicht über eine deutsche Staatsbürgerschaft verfügen. Wer Informationen auf den Vertretungen einholt, solle darauf hingewiesen werden, dass er in der Tschechoslowakei weder eine Aufenthaltserlaubnis noch eine Arbeitserlaubnis oder eine Gewerbelizenz erhalten werde. Das Ministerium unterstrich erneut, dass auch die Juden mit deutscher Staatsbürgerschaft in dieser Weise zu informieren seien, sowie die Notwendigkeit, die Immigration ausländischer Juden zu begrenzen, einschließlich derzeit finanziell abgesicherter Personen.35 In Wirklichkeit war die Situation, trotz eines gewissen Anstiegs der Flüchtlingszahlen, bei weitem nicht so alarmierend und zu dem befürchtenden Zustrom zehntausender jüdischer Flüchtlinge aus Deutschland kam es in den Jahren 1935–36 nicht. Deutlich wird somit in den von den Behörden wiederholt formulierten Befürchtungen vor allem die erhöhte Wachsamkeit gegenüber jeder größeren jüdischen Immigration. Im Juli 1937 zum Beispiel befürchtete das Außenministerium, dass es nach Ablauf des deutsch-polnischen Vertrags über den Minderheitenschutz in Oberschlesien, der den dortigen Juden bislang vor den sonst in Deutschland zur Anwendung gebrachten antijüdischen Gesetzen und Verordnungen rechtlichen Schutz gewährte, zu einem „Zustrom jüdischer Immigranten in die Tschechoslowakei“ kommen könnte.36 Die Reaktionen der tschechoslowakischen Behörden auf die Nürnberger Gesetze und daraus folgend auf einen eventuellen größeren Zustrom an jüdischen Flüchtlingen sind insofern bemerkenswert, als diese nun nicht mehr den deutschen Flüchtlingen (oder „Emigranten“, wie es in der zeitgenössischen Terminologie hieß) zugerechnet, sondern als Wirtschaftsflüchtlinge eingestuft wurden. Unmittelbar nach der Machtergreifung hatten die tschechoslowakischen Behörden in der Judenverfolgung ein Kriterium für die Anerkennung als Flüchtling gesehen, ab Mitte der 1930er Jahre aber hielten sie die Eliminierung der Juden aus der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft für keinen ausreichenden Grund mehr. Zunehmend wurde unterschieden zwischen politischen Flüchtlingen, die Asyl 34 Ebda.: Verordnung an die Landesbehörden, 18.5.1936. 35 Ebda.: Rundschreiben des Außenministeriums an alle Vertretungsbehörden der ČSR, 3.7.1936. 36 Ebda.: Außenministerium, 14.7.1937.

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verdienen, und Wirtschaftsflüchtlingen, gegen die man sich zur Wehr setzen muss. Der Ausdruck „Wirtschaftsemigration“ wurde im Grunde zu einem Synonym für die jüdischen Flüchtlinge bzw. zu einem Kodewort für die Juden. Diese Verschiebung der tschechoslowakischen Politik gegenüber den Juden aus Deutschland hatte nichts mit der Revision der Vorgehensregeln gegenüber den deutschen Flüchtlingen von 1933 zu tun, die bis zum Ende der Ersten Republik offiziell fortbestanden. Doch wurde immer häufiger argumentiert, dass die deutschen Juden, die sich vor der Verfolgung in die Tschechoslowakei gerettet hatten, eigentlich keine echten Flüchtlinge seien, und daher die bestehenden Regeln nicht auf sie angewendet werden sollten. Die Behörden in Mährisch Ostrau hatten 1936 angeblich festgestellt, dass es sich bei den jüdischen Flüchtlingen in vielen Fällen „gar nicht um Flüchtlinge handelt“, vielmehr würden diese Leute lediglich die tschechoslowakische Gastfreundschaft missbrauchen und illegal einem Gewerbe nachgehen, zum Beispiel als Handelsvertreter oder Hausierer. Anhand mehrerer Fälle wies die Ostrauer Polizei nach, dass sich aus Deutschland eingereiste Juden lediglich als „Emigranten“ ausgegeben hätten, in Wirklichkeit aber gingen sie in der Tschechoslowakei einer gewerblichen Tätigkeit nach oder aber würden einfach betteln. Die Behörden beschäftigten sich ausführlich mit denjenigen deutschen Juden, die über einen frisch ausgestellten Reisepass verfügten, denn in diesen Fällen hegten sie, wie sie andeuteten, Verdacht auf eine Spionagetätigkeit. Die Ostrauer Polizei verwies zudem auf den Missbrauch jüdischen Schicksals in Deutschland und illustrierte dies anhand eines eher harmlosen Falls. Zwei Schwarzhändler hatten sich als Juden ausgegeben und waren erst aufgeflogen, als man bei einer Hausdurchsuchung einen Rosenkranz fand. Die Polizeidirektion in Mährisch Ostrau hat auch einige jüdische Immigranten wegen illegaler gewerblicher Tätigkeit, Bettelns oder formaler Unstimmigkeiten ausgewiesen.37 Die Polizeibehörden wiesen darauf hin, dass etliche jüdische Flüchtlinge sich nicht bei den Hilfskomitees gemeldet hatten, da sie über gültige Reisepässe verfügten und keiner Unterstützung bedurften. Erst wenn ihre Pässe abliefen, würden sie sich als Flüchtlinge melden und behaupten, dass sie „als Juden nicht nach Deutschland zurückkehren könnten, denn dort würden sie verfolgt.“ Ihr Ziel sei angeblich, sich dauerhaft in der Tschechoslowakei anzusiedeln und wirtschaftlich Fuß zu fassen.38 In der Argumentation gegen die jüdischen „Wirtschaftsflüchtlinge“ taten sich insbesondere die Prager und die Ostrauer Polizeidirektion hervor. Die Prager Polizeidirektion zum Beispiel hob im Juli 1936 hervor, dass die jüdische „Wirtschaftsemigration“ dem Prager Gewerbe und Handel schade und fügte hinzu, dass sie einen „weiteren Aufenthalt dieser Personen hier nicht duldet, sie zum Verlassen 37 Ebda.: Bericht der Landesbehörde Brünn, 24.6.1936. 38 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/N/9/8: Bericht der Polizeidirektion Prag, 20.8.1937.

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des Landes auffordert und sie auf jede Weise zu entfernen bestrebt ist.“39 Hinsichtlich der 1937 geplanten Zusammenziehung der Flüchtlinge brachte die Prager Polizeidirektion alle ihre Vorbehalte auf den Punkt: Die jüdischen Wirtschaftsemigranten sind neben den Kommunisten die für die Tschechoslowakische Republik schädlichste Gruppe, und zwar sowohl durch ihre wirtschaftlichen Unternehmungen als auch durch die Art, wie sie ihre Geschäfte betreibt und dadurch auf die tschechoslowakischen Staatsbürger einen moralisch unguten Einfluss nimmt. Nicht ohne Bedeutung ist außerdem, dass die Emigranten sich nicht im Geringsten darum bemühen, die Staatssprache zu erlernen, und ihre Kinder, die meist nur deutsche Schulen, insbesondere Hochschulen besuchen, verstärken den Eindruck von einem vermeintlich deutschen Charakter Prags.40

In der Argumentation der Polizei und der Behörden überhaupt spiegelt sich nicht nur, dass viele Flüchtlinge auf Grund des Arbeitsverbots zur illegalen Ausübung eines Gewerbes gezwungen waren, sie zeigt auch die verbreiteten Stereotypen von den vermeintlich unsauberen Geschäften der Juden, die betrügen und Wucher treiben. Die tschechoslowakischen Behörden bewiesen in ihrem Vorgehen nicht nur mangelndes Gespür für die spezifischen Formen der Judenverfolgung und für die Gründe einer Flucht aus Deutschland, sondern trugen durchaus erheblich zu einer Kriminalisierung der jüdischen Flüchtlinge bei, wie sie zuvor bereits den polnischen und überhaupt den „Ostjuden“ widerfahren war. Sobald sie nicht mehr als echte Flüchtlinge anerkannt wurden, konnten sie ausgewiesen oder bestraft werden, weil sie die Grenze illegal überschritten hatten oder sich ohne gültige Reisedokumente im Land aufhielten. Die Tschechoslowakei machte es diesen Flüchtlingen – und damit auch den für sie zuständigen Hilfsorganisationen –, zunehmend schwerer, ihren Aufenthalt zu legalisieren. Eine besondere Gruppe von Flüchtlingen bildeten jene Menschen, die aus Deutschland flüchten mussten, weil sie gegen das Verbot intimer Beziehungen zwischen Juden und „Ariern“ verstoßen hatten. Nach dem Erlass der Nürnberger Gesetze wurden sie demonstrativ verfolgt und öffentlich erniedrigt, wobei dem jüdischen Partner die Deportation in ein Konzentrationslager drohte. Ab 1935 gaben daher vor allem junge Männer vermehrt an, sie seien wegen „Rassenschande“ in die Tschechoslowakei geflohen. Die Hilfsorganisationen beschwerten sich in einigen Fällen, dass die Behörden diesen Fluchtgrund nicht anerkennen wollten

39 Ebda.: Bericht der Polizeidirektion Prag, 18.7.1936. 40 Ebda.: Bericht der Polizeidirektion Prag, 7.10.1937.

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und die Betreffenden nach Deutschland zurückschicken und damit dort der Verfolgung aussetzen.41 Den vorliegenden Quellen und einzelnen gesicherten Fällen zufolge scheint es in dieser Sache in der Tschechoslowakei kein einheitliches Vorgehen gegeben zu haben und die Stellungnahmen der Ministerien waren eher ausweichend.42 Die Behörden hatten daher bei ihren Entscheidungen im Einzelfall relativ freie Hand; wobei auch andere Faktoren eine Rolle spielten, z.B. das Urteil der Polizei über den Charakter des betreffenden Flüchtlings. Verfolgung auf Grund einer Beziehung zu einem nichtjüdischen Partner war sui generis schwer zu beweisen und die tschechoslowakischen Polizisten und Beamten schenkten den Flüchtlingen oft nicht allzu großen Glauben. Außerdem lassen die polizeilichen Dokumente immer wieder eine negative Grundhaltung gegenüber einer unehelichen Verbindung erkennen. Zu Ungunsten der Flüchtlinge jedoch wirkte sich vor allem aus, dass sie als „Wirtschaftsflüchtlinge“ eingestuft wurden und „Rassenschande“ (ähnlich wie die Eliminierung der Juden aus dem wirtschaftlichen Leben) nicht unter politische Verfolgung fiel. Aufmerksamkeit zog zum Beispiel der Fall des Juden Friedrich Badrian auf sich, der 1936 aus Gleiwitz (Gliwice) zu seiner Schwester nach Mährisch Ostrau geflohen war und behauptete, er werde in Deutschland wegen eines Verhältnisses zu einer Katholikin verfolgt. Die Polizeidirektion in Mährisch Ostrau hielt seine Darlegungen jedoch nicht für überzeugend – er soll nicht in der Lage gewesen sein, den Namen der Frau zu nennen, mit der er angeblich eine Beziehung hatte. Badrian konnte den Namen aber ebenso gut verheimlicht haben, um sie vor einer Diskriminierung zu schützen. Sein Antrag auf Aufenthaltserlaubnis gemäß dem Gesetz über den Aufenthalt von Ausländern sowie auf eine Aufenthaltserlaubnis ohne Reisepass wurden abgelehnt, denn er „konnte die erforderlichen Dokumenten nicht vorweisen, vor allem konnte er nicht nachweisen, dass er Emigrant ist und es daher nicht sein Verschulden sei, wenn er sich keinen Reisepass ausstellen lassen kann.“ Gemäß der Verordnung über ein „rigoroses“ Vorgehen gegen die jüdischen Emigranten führt der Ostrauer Polizeipräsident in seinem Bericht an, dass „man Badrian nachdrücklich dazu aufgerufen habe, die erforderlichen Dokumente zu beschaffen und das Staatsgebiet der ČSR zu verlassen.“ Im September 1936 wurden er und sein Bruder, der inzwischen auch in die Tschechoslowakei geflüchtet war, zum Verlassen der Tschechoslowakei aufgefordert, wobei die Behörden Badrian de facto zu einer Ausreise nach Deutschland zwangen, wo er sich gültige Reisedokumente für die Ausreise in ein Drittland besorgen sollte. In Deutschland wurde er verhaftet und beging im Gefängnis Selbstmord. Zu seiner Ausweisung 41 Mehr zu den Fällen von „Rassenschande” siehe unter Kapitel „Besonderheiten der jüdischen Flüchtlingsfürsorge“. 42 Siehe z. B. NA, MV, alte Registratur, 1919–1944, IV. s. o., Sign. 5/23/2, K. 4648: Die Jüdische Partei und die zionistische Organisation in der Tschechoslowakischen Republik – Audienz beim Präsidenten, März 1936.

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Deutschland

Zeitungsausschnitt Emigrant vydán na smrt / Emigrant dem Tod ausgeliefert Der Artikel, der die Ausweisung Friedrich Badrians kritisiert, wurde von der Zensur gestrichen. Rudé právo, 10. 10. 1936

aus der Tschechoslowakei soll auch beigetragen haben, dass seine Brüder Kontakte zu deutschen Schmugglern hatten. Gleichzeitig aber befürchteten die Behörden, dass ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt würde, was seine „Entfernung“ aus der Tschechoslowakei erschwert hätte. Über die Umstände von Badrians Rückkehr nach Deutschland entspann sich in der Folge ein heftiger Streit: während Badrians Freundin und die mit ihr verbundenen kommunistischen Kreise in Mährisch Ostrau behaupteten, dass er ausgewiesen und den deutschen Behörden übergeben worden sei, betonte die tschechoslowakische Polizei, dass er freiwillig abgereist und lediglich unauffällig von einem Agenten überwacht worden sei. Aus den Umständen geht jedoch hervor, dass Badrian, auch wenn es sich formal nicht um eine Ausweisung gehandelt hat, auf Druck der Polizei abgereist war, und zwar vor allem deshalb, weil ohne gültige Reisedokumente eine weitere Ausreise legal nicht möglich gewesen wäre. Was auch immer die genauen Gründe für seine Flucht aus Deutschland waren, sein Fall zeugt eindeutig von einem verschärften Vorgehen gegen eine bestimmte Gruppe jüdischer Flüchtlinge.43 43 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/N/9/8, K. 1117: Bericht der Polizeidirektion Mährisch Ostrau, 27.11.1936; Protokoll über einen offenen Brief, den der Reichenberger Rechtsanwalt

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In den behördlichen Dokumenten schlägt sich diese Verschärfung immer deutlicher in den Vermerken über eine jüdische Herkunft nieder, wobei sich im Dienstgebrauch Ausdrücke wie „Arier“ und „Nichtarier“ häuften. Das zeigt, dass die Sprache der nationalsozialistischen Judenverfolgung Einfluss auf die politische und amtliche Sprache der übrigen Staaten nahm. Diese explizite Kennzeichnung jüdischer Flüchtlinge musste gar nicht einmal zentral verordnet worden sein. Sie zeugt dennoch von einem Kategorisierungsprozess: man sah in den jüdischen Flüchtlingen eine Sondergruppe, die von den anderen („politischen“) Flüchtlingen zu unterscheiden ist. Die Tschechoslowakei war zweifellos nicht das einzige Land, in dem Beamtenschaft und Polizei in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre das nationalsozialistische Vokabular übernahmen und unterschiedlichste Vermerke auf den Dokumenten der jüdischen Flüchtlinge machten. Der Schweizer Historiker Guido Koller wies darauf hin, dass die Papiere jüdischer Flüchtlinge in der Schweiz mit einem „J“ versehen wurden, eine Praxis, die sich in einigen Fällen bereits für das Jahr 1936 nachweisen lässt, ihren Höhepunkt dann aber 1938 mit einem Abkommen über die Kennzeichnung von Reisepässen deutscher Juden erreicht.44 Es ging aber nicht nur um eine sprachliche Verschiebung: in der Praxis machten die tschechoslowakischen Behörden gegenüber den jüdischen Flüchtlingen immer häufiger spezielle Regeln geltend. Diese neue und wesentlich restriktivere Politik betraf nicht alle Juden, sondern nur diejenigen, die nicht als echte („politische“) Flüchtlinge eingestuft wurden, sondern als Wirtschaftsmigranten. Wer den politischen Flüchtling zuzurechnen sei und wer den unerwünschten jüdischen Migranten, wurde dabei von den tschechoslowakischen Behörden bzw. Politiker nie klar definiert. Die Verschiebung in den Jahren 1935/36 bedeutete daher auch keine eindeutige und erklärte Redefinierung der tschechoslowakischen Flüchtlingspolitik, sondern befugte die Behörden, gegenüber den jüdischen Flüchtlingen aus Deutschland zu erheblich restriktiveren Maßnahmen. Die tschechoslowakischen Beamten waren nun relativ frei in ihrer Auslegung der Bestimmungen und konnten eventuellen Vorurteilen freien Lauf lassen: sofern sie den Eindruck hatten, dass ein Flüchtling „moralisch bedenklich“ sei oder aber in der Tschechoslowakei ein Gewerbe eröffnen könnte, mussten sie seinen Aufenthalt nun nicht mehr dulden. Nicht alle Juden bekamen die verschärften Maßnahmen zu spüren: viel hing von der einzelnen Behörde und den einzelnen Beamten ab, von der gesellschaftlichen Stellung des Flüchtlings und den Umständen seiner Flucht. Trotz der ambivalenten Haltung gegenüber den jüdischen Flüchtlingen bis zum „Anschluss“ Österreichs schickten die tschechoslowakischen Grenzbeamten die jüdischen Flüchtlinge keineswegs systematisch zurück und die inländischen Behörden tolerierten ihren AufRudolf Beckmann in der Roten Fahne veröffentlichen wollte, 22. 10. 1937; Bericht der Landesbehörde Brünn, 30.10.1937. 44 Guido KOLLER: „Rassismus in den Amtsstuben. Der J-Stempel auf schweizerischen Formularen“, Neue Zürcher Zeitung, 17.5.1999.

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enthalt zum Teil. Insbesondere wenn Chancen auf eine rasche Auswanderung in ein Drittland bestanden, kam es in der Regel nicht zu Komplikationen, wie im Fall des Berliner Fabrikanten Martin Baum. Er war im Januar 1938 ohne Reisepass nach Jägerndorf geflüchtet und gab auf der Polizei an, dass er „die Schikanen, denen er seitens der deutschen Behörden wegen seiner jüdischen Herkunft ausgesetzt sei, nicht länger ertragen kann“ und er befürchten müsse, in ein Konzentrationslager verschleppt zu werden. Vor seiner Abreise musste er 15 000 Mark „Reichsfluchtsteuer“ entrichten. Bei seiner Ankunft in der Tschechoslowakei war Baum, der seine Familie vorerst in Deutschland zurückgelassen hatte, nervlich völlig erschöpft und nicht in der Lage, zusammenhängend auszusagen. Die Polizei in Jägerndorf erlegte ihm für das Passvergehen eine Strafe in Höhe von 200 Kronen auf; Baum leistete außerdem eine „freiwillige“ Spende für das Tschechoslowakische Rote Kreuz. Da er versprach, binnen weniger Tage auszureisen, und außerdem als vermögender Großhändler bekannt war, machte man ihm keine weiteren Schwierigkeiten.45 Einige Tage später flog er in die Niederlande.46 Sein Fall zeigt, dass wohlhabendere jüdische Flüchtlinge wegen der behördlichen Obstruktionen meist keinen längerfristigen Aufenthalt in der Tschechoslowakei anstrebten, sondern schnell in eines der westlichen Länder weiterzureisen versuchten. Kurz gefasst könnte man sagen, dass ab Mitte der 1930er Jahre Juden, die vor dem Nationalsozialismus auf der Flucht waren, immer öfter den „Ostjuden“ zugerechnet wurden, deren Aufenthalt in der Tschechoslowakei als unerwünscht galt. Wie in den Schlusskapiteln deutlich werden wird, erreichte diese Entwicklung ihren Höhepunkt im Jahr 1938, nach dem „Anschluss“ Österreichs. Die allmähliche Verschärfung und Brutalisierung der Judenverfolgung in Deutschland wurde auch für die übrigen Staaten zu einem Problem: Sie sahen sich einer Massenflucht gegenüber. Im Juni 1938 formulierte John Hope Simpson, der britische Experte für Flüchtlingsfragen, die treffenden Worte: „Die deutsche Regierung stellt die übrigen Staaten vor ein Dilemma: entweder müssen sie ihre Pforten für Hunderttausende verarmter Juden, Nichtarier und politischer Flüchtlinge öffnen oder aber sie müssen diese Pforten schließen und eine Mitverantwortung tragen…“47 Jüdische Wohltätigkeit Bisher stand die Haltung der staatlichen Behörden gegenüber den jüdischen Flüchtlingen im Mittelpunkt unseres Interesses. Wichtig ist aber auch die Perspektive der für sie zuständigen Hilfsorganisationen. Die Betreuung der jüdischen 45 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/NP9/8, K. 1122: Bericht der Landesbehörde Brünn, 31.1.1938. 46 Ebda.: Bericht der Polizeidirektion Prag, 13. 7. 1938. 47 SIMPSON: „The Refugee Problem“, S. 616.

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Flüchtlinge kann ohne den Kontext der jüdischen Wohltätigkeit nicht beschrieben werden. Die Hilfe für die Flüchtlinge aus dem nationalsozialistischen Deutschland war für die jüdischen Kultusgemeinden nicht die einzige Belastung und in manchem überschnitt sie sich mit der Hilfe, die man anderen Gruppen jüdischer Bürger leistete. Seit dem Ersten Weltkrieg hatten die jüdischen Gemeinden in den böhmischen Ländern vor allem mit zwei sozialen Problemen zu kämpfen, die zwar keineswegs neu waren, sich jetzt aber in ungleich größerem Ausmaß stellten: die katastrophale Situation der Juden in der Karpato-Ukraine und jene Menschen, die als „průchozí“, als „Durchziehende“, bezeichnet wurden. Die jüdischen Sozialarbeiter konnten also schon in den 1920er Jahren umfassend Erfahrung in der Betreuung von Migranten sammeln und bemühten sich bereits damals um eine Zusammenarbeit mit der Polizeidirektion Prag und dem Sozialministerium, mit dem Tschechoslowakischen Roten Kreuz, den verschiedenen Auslandsvertretungen und den internationalen jüdischen Hilfsorganisationen. Dank dieser Kontakte und der tagtäglichen Erfahrungen mit der Notsituation von Menschen, vor allem Flüchtlingen, leisteten die jüdischen Hilfsorganisationen professionelle Arbeit. Die Problematik der Durchziehenden und der karpato-ukrainischen Juden ähnelte in vielem der Problematik der von den Nationalsozialisten verfolgten Juden. Die Bezeichnung Durchziehende wurde auf eine relativ inhomogene Gruppe von Juden angewendet, die überwiegend aus Osteuropa – meist aus Galizien oder der Bukowina – stammten und sich aus wirtschaftlicher Not und oder im Zuge der Pogrome nach dem Ersten Weltkrieg auf den Weg nach Westeuropa gemacht hatten, um ein besseres und vor allem menschenwürdigeres Auskommen zu finden. Die meisten zog es nach Übersee, vor allem nach Amerika. Für die Reise durch fast ganz Europa hatten sie aber nicht die Mittel und so baten sie ihre Glaubensgenossen in den Gemeinden, durch die sie zogen, um Hilfe. Die Tschechoslowakei gehörte auf Grund ihrer geographischen Lage zu jenen Ländern, durch die der Weg besonders viele dieser Armen führte. In die Tschechoslowakei gelangten häufig auch Juden, die den Hafen von Hamburg oder Antwerpen schon einmal erreicht hatten, aber zurückgeschickt worden waren, weil sie das Geld für die Überfahrt nicht aufbringen oder keine gültigen Reisedokumente vorweisen konnten. Die Bezeichnung Durchziehende wurde aber auch für Wanderbettler, die ohne festes Ziel unterwegs waren, verwendet. Die Jüdische Fürsorgezentrale für die Tschechoslowakei, die den Durchziehenden half, definierte diese Gruppe gegenüber der Polizei diplomatisch: „Diese Durchziehenden sind meist Menschen ohne festen Wohnsitz und Arbeit, von denen viele durch die verschiedenen Staaten wandern und fahren, um, wie sie behaupten, Arbeit zu suchen. Sie werden meist nicht nur von den jüdischen Kultus- und Sozialorganisationen ausgehalten, sondern, vor allem im Ausland, von reichen Glaubensgenossen.“48 48 AMP, SK, Sign. II/518: Bericht vom 28.7.1927.

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Die Zahl der Durchziehenden war in der Tschechoslowakei so hoch, dass sie besondere Aufmerksamkeit verlangte. Die jüdischen Hilfsorganisationen versuchten, diesen Juden zu ihrem Zielort zu verhelfen, nicht nur aus humanitären Motiven. Aus den Berichten über entsprechende Hilfeleistungen wird das Bemühen deutlich, die Wanderbettelei auf ein möglichst geringes Maß zu begrenzen, damit diese das Bild der jüdischen Minderheit in den böhmischen Ländern nicht beschädige und einem lokalen Antisemitismus keinen Auftrieb gebe. Nicht unerheblich waren offenbar auch die Vorurteile gegenüber diesen kulturell anders geprägten Glaubensgenossen. Welche Ausmaße dieses Problem annahm, geht aus dem Tätigkeitsbericht der Jüdischen Fürsorgezentrale für das Jahr 1924 hervor: … wir haben uns mit etwa 1800 Durchziehenden befasst, die um Unterstützung, Intervention, Rat und Arbeit baten, wöchentlich also mit etwa 35 Personen. Indem wir diese Durchziehenden von der Grenze direkt nach Prag oder von Prag direkt an den Ort ihrer Bestimmung schickten, hat sich die Wanderbettelei in den ländlichen Kultusgemeinden erheblich verringert. Die großen Gemeinden in Böhmen teilen uns mit, dass die Zahl der Wanderbettler auf 3–5 Fälle wöchentlich gesunken ist. So konnten wir diese Gemeinden und dann auch die kleineren, die an der Trasse von wöchentlich etwa 30 Besuchern lagen, insofern bewahren, als wir diese bis an ihr Ziel befördert haben, oder – was noch wichtiger ist – indem wir ihnen Arbeit verschafft und somit eine Existenz ermöglicht haben.“49

Sofern es sich um Wanderbettler tschechoslowakischer Nationalität handelte, wurde ihnen eine Eisenbahnfahrkarte in ihre Heimatgemeinde gekauft, den anderen eine Fahrkarte bis zur Grenze. Die Jüdische Fürsorgezentrale handelte mit der Direktion der staatlichen Bahnen eine 50%-ige Ermäßigung für tschechoslowakische Staatsbürger aus, sofern diese eine Bestätigung der Polizeidirektion in Prag vorlegen konnten. Die Sozialabteilung auf der Polizeidirektion, die für diese Bestätigungen zuständig war, sollte nachprüfen, ob die Betreffenden sich nicht etwa vor dem Wehrdienst drückten oder strafrechtlich verfolgt würden.50 In Prag vereinbarte die Jüdische Fürsorgezentrale mit den Polizeistationen auf dem Wilson- und dem Masaryk-Bahnhof, dass sie dort größere Geldbeträge hinterlegen werde, von dem die Gendarmen den Betreffenden Fahrkarten kaufen könnten. Damit sollte verhindert werden, dass direkt ausgezahltes Geld anderweitig ausgegeben würde und die Durchziehenden in Prag verblieben und dort „weiterhin lästig fielen“ („byli dále na obtíž“). Im Laufe des Jahres 1926 schickten beide Polizeistationen auf diese Weise insgesamt 483 Personen auf den Weg.51 49 Ebda.: Jahresbericht der Jüdischen Fürsorgezentrale in der Tschechoslowakei für 1924, S. 5. 50 Ebda.: Bericht vom 28.7.1927. 51 Ebda.

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Wie die von der Prager Polizeidirektion ausgestellten Bestätigungen und die enge Zusammenarbeit mit der städtischen Gendarmerie zeigen, hatten die jüdischen Hilfsorganisationen schon lange vor dem Eintreffen der ersten Flüchtlinge aus Deutschland Übung darin, die sozialen Probleme ihrer Glaubensgenossen Hand in Hand mit der staatlichen Verwaltung zu lösen. Beide, der Staat und die jüdische Gemeinde, hatten ein Interesse daran, dass in der Tschechoslowakei nicht allzu viele „Ostjuden“ verblieben. Während allerdings die Einstellung der staatlichen Beamten größtenteils von Vorurteilen geprägt war, sahen die jüdischen Sozialarbeiter in ihnen vor allem ein soziales „Problem“ und bemühten sich darum, dass sie anderswo ansässig werden könnten. Auch in den 1930er Jahren verlor das Problem der armen jüdischen Durchziehenden nicht an Brisanz. Das illustriert zum Beispiel eine Sitzung des jüdischen Gemeindevorstands in Taus (Domažlice), der im Oktober 1932 zur Unterstützung armer „durchziehender“ Juden einen Sonderfond gründete, damit diese nicht von „einem Glaubensbruder zum anderen laufen“ könnten. Da die Gemeindemitglieder für die Durchziehenden jährlich hohe Beträge spendeten, schlug der Gemeindevorstand vor, dass die Finanzierung des Sonderfonds über einen 20%-igen Aufschlag auf die Kultussteuer erfolgen sollte.52 Die Problematik der „Durchziehenden“ und der Flüchtlinge aus dem nationalsozialistischen Deutschland war bis zum Ende der Ersten Republik so sehr miteinander verflochten, dass die Hilfsleistungen für die einen oder anderen kaum zu unterscheiden sind. Auch war eine Trennlinie zwischen den beiden Gruppen nur schwer zu ziehen. Wie schon mehrfach erwähnt, befanden sich unter den ersten jüdischen Flüchtlingen aus dem nationalsozialistischen Deutschland zahlreiche „Ostjuden“, oft mit polnischer Staatsbürgerschaft, die nicht nur den Schikanen der staatlichen Behörden und später den nationalsozialistischen Kampftrupps ausgesetzt waren, sondern auch dem Misstrauen ihrer deutschen Glaubensgenossen. Das Jüdische Hilfskomitee für Flüchtlinge aus Deutschland versuchte dennoch zu unterscheiden, wer vor dem NS-Terror geflüchtet war, wer sich auf „Durchreise“ mit festem Ziel befand und wer nur ein „normaler“ Wanderbettler (Schnorrer) war. Das zeigen zum Beispiel Clariss Goldschmidt und Margera Newhouse in ihrem im Juli 1934 für die JOINT verfassten Bericht über die Hilfe für deutsche Flüchtlinge in der Tschechoslowakei. Das Jüdische Hilfskomitee sei angeblich dafür kritisiert worden, dass es einige Antragsteller auf die Straße gesetzt habe. Aus Sicht der Sozialarbeiter stellte sich die Situation allerdings anders dar – „einer von drei Antragstellern war ein Schnorrer.“53 Unter anderem zogen sich laut Käte Frankenthal ab 1933 nach Prag zunehmend auch jüdische Bettler aus Deutschland zurück. Sie gaben sich als Flüchtlinge aus und beantragten regelmäßige Unterstützung. Frankenthal schreibt: „In Scharen kamen professionelle Bettler, wie 52 AŽMP, Jüdische Kultusgemeinde Taus (Domažlice, 25), Sign. 56320, Sitzungsprotokolle 1908–1937: Sitzung vom 16.10.1932. 53 Archive of AJJDC, Fond 33/44, K. 534/1: Bericht vom 2.7.1934, S. 3.

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sie sich unter den Juden in allen Ländern zahlreich finden. Sie hatten keine Existenz verloren, denn sie hatten nie eine gehabt. Während sie aber in Deutschland höchstens um ein paar Pfenning betteln konnten, präsentierten sie sich nach ihrer Ankunft in Prag als Opfer der Judenverfolgung und verlangten, dass sie als Emigranten anerkannt und wie diese versorgt würden.“54 Die Befürchtungen der Mitarbeiterinnen des Hilfskomitees, dass ihre Finanzmittel missbraucht werden könnten, sind verständlich. Eine große Rolle bei ihren Entscheidungen spielte sicher auch, dass ihnen, um die Flüchtlinge während ihres Aufenthalts in der Tschechoslowakei zu unterstützen, nur begrenzte Mittel zur Verfügung standen. Mit Blick auf die Diskriminierung der Juden in Deutschland besteht freilich kein Grund, warum nicht auch die Bettler unter die Flüchtlinge eingereiht werden sollten, denn auch sie – und gerade sie – waren gewalttätigen Übergriffen und Schikanen ausgesetzt. In Ausnahmefällen kam es auch vor, dass gesetzlich verfolgte Personen Unterstützung beantragten. Sofern es sich um tschechoslowakische Staatsbürger handelte, wies die Prager Polizeidirektion bei der Bestätigung des Evidenzscheins darauf hin, bei Personen aus Deutschland kam die Warnung oft direkt von den dortigen jüdischen Organisationen. Diese Personen erhielten vom Jüdischen Hilfskomitee keinerlei finanzielle Unterstützung, auch wenn zum Beispiel Käte Frankenthal in ihren Erinnerungen schreibt, dass sie mit ihnen Mitleid hatte und ihnen ganz sicher keine Inhaftierung in Deutschland wünschte. Sie zu unterstützen war jedoch mit Rücksichtnahme auf die Stimmung in der tschechischen Gesellschaft völlig ausgeschlossen: „Es geschahen sowieso schon viele Dinge, die die Bevölkerung in ihrem Haß auf die Emigranten bestärkten. Nicht selten war zu hören, dass Hitler Recht habe, wenn er diese ganze Bande hinauswerfe, und Prag bräuchte statt der Hilfsorganisationen auch so einen Hitler.“55 Nicht nur auf Grund des gesellschaftlichen Drucks, sondern vor allem wegen der begrenzten Finanzmittel schickte die für die Durchziehenden zuständige Abteilung des Sozialinstituts ab März 1937 den jüdischen Gemeinden in Böhmen und Mähren regelmäßig „Warnlisten“ mit den Namen all jener, die nicht unterstützt werden sollten. Unter ihnen waren Personen, die sich fälschlicherweise als politische Flüchtlinge ausgaben, Juden, die von verschiedenen jüdischen Gemeinden als Schnorrer identifiziert worden waren (im Verzeichnis befand sich dann ein Vermerk „reist unnütz“ – zbytečně cestuje), Personen, die sich für Juden erklärten, um den jüdischen Gemeinden Geld zu entlocken, und in Einzelfällen auch straffällig Gewordene.56 54 FRANKENTHAL: Der dreifache Fluch, S. 233. 55 Ebda., S. 234. 56 AŽMP, Jüdische Kultusgemeinde Neu-Bydžow (98), Sign. 54771, Veröffentlichungen des Sozialinstituts, 1930–1938: Warnblätter des Sozialamtes zu den Durchziehenden; AŽMP, Fond Jüdische Kultusgemeinde Prerau (Přerov) (120), Sign. 67496: Verzeichnis professioneller Bettler und Landstreicher, herausgegeben vom Sozialamt Prag für die Gemeinden, 1937–38.

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Eine der „Warnlisten“ des Sozialinstituts

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Eine Unterstützung der jüdischen Landstreicher und Wanderbettler konnte man aber nicht völlig verweigern. Viele jüdische Gemeinden standen den Warnlisten ablehnend gegenüber und wollten den Bettlern keinesfalls die Hilfe versagen, da eines der wichtigsten Gebote (Mizwot) den Gläubigen dazu verpflichtet. Außerdem befürchteten sie, dass die ihrem Schicksal überlassenen jüdischen Durchziehenden die nichtjüdische Umgebung behelligen und so den Antisemitismus fördern könnten. Auf die zahlreichen Anrufe und Briefe aus den einzelnen Gemeinden reagierte das Sozialinstitut daher mit einem gesonderten Begleitschreiben, in dem es erklärte, dass sich die Listen lediglich auf eine Unterstützung der Durchziehenden beziehe und der unnötigen Zahlung von Fahrtkosten vorbeugen wolle. Einem Wanderbettler ein Almosen zu geben, sei sicher gut, aber eine Fahrkarte zu dem von ihm genannten Ziel brauche man ihm nicht finanzieren, denn der Betreffende schlage mit seiner Reiserei nur die Zeit tot.57 Dass Durchziehende und Flüchtlinge sich gewissermaßen zueinander verhielten wie kommunizierende Röhren, verdeutlichte auch die Konferenz im November 1937 in Wien, die zum Ziel hatte, die Hilfe für die Durchziehenden in Europa zu koordinieren und die 1924 ins Leben gerufene mitteleuropäische Arbeitsgemeinschaft jüdischer Organisationen zu erneuern. Von tschechoslowakischer Seite nahmen Vertreter des Sozialinstituts und der HICEM teil. Bis 1933 hatte Deutschland den Vorsitz in dieser Gemeinschaft geführt, die nach der Machtergreifung ihre Tätigkeit einstellen musste. Bei der Konferenz 1937 kam es zur Erneuerung der Verträge zwischen den Organisationen aus Österreich, Frankreich, der Schweiz und Ungarn. Der Tschechoslowakei wurde eine Mitgliedschaft angeboten, was der Oberste Rat der jüdischen Kultusgemeinden in Böhmen und Mähren auf der Versammlung am 6. Januar 1938 annahm.58 Hauptzweck dieser Gemeinschaft war es, denjenigen zu helfen, die ein Reiseziel hatten, doch wegen Geldmangels und Problemen mit den Reisedokumenten „per Schub“ von einem europäischen Land ins nächste reisten. Die karitativen jüdischen Vereine der genannten Länder verpflichteten sich, diesen Menschen mit vereinten Kräften ans Ziel zu verhelfen. Und zwar, indem die jüdischen Organisationen eines Landes die jeweils auf ihrem Staatsgebiet anfallenden Reisekosten für die Betreffenden übernehmen würden. Heinrich Hoffman vom Sozialinstitut berichtete nach seiner Rückkunft in Prag über den Verlauf der Konferenz und teilte die Durchziehenden in drei Kategorien ein:

57 AŽMP, Fond Jüdische Kultusgemeinde Prerau (Přerov, 120), Sign. 67496: Verzeichnis professioneller Bettler und Landstreicher, herausgegeben vom Sozialamt Prag für die Gemeinden, 1937–38, Brief des Sozialamtes liegt dem „Warnblatt“ Nr. IV bei [wahrscheinlich Juni 1937]. 58 AŽMP, Fond Jüdische Kultusgemeinde Pilsen (Plzeň, 108), Sign. 20832, Kontakt mit dem Obersten Rat, 1936–1939: Niederschrift der Verhandlung des Obersten Rats, 6.11.1938.

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1. Personen mit gültigen Reisedokumenten, die ein Ziel haben; um die handelt es sich in erster Linie. 2. Personen, die weder Dokumente noch ein Ziel haben; diese müssen in ihr Heimatland zurückgeschickt werden. 3. Außerdem Personen, die emigrieren mussten und keine Möglichkeit haben, andernorts ansässig zu werden; sie haben keine gültigen Dokumente. Diese Kategorie bereitet die größten Sorgen.59

Bei der ersten Gruppe handelte es sich überwiegend um Juden aus Polen, die über die Tschechoslowakei und Österreich in die italienischen Häfen zu kommen suchten und von dort weiter nach Palästina oder aber über die Schweiz und Frankreich in die Atlantikhäfen, wo sie ein Schiff nach Nord- oder Südamerika bestiegen. In der dritten Gruppe waren die Flüchtlinge, die aus Deutschland emigrieren mussten und sich meist ohne Dokumente befanden, am zahlreichsten vertreten. Für die tschechoslowakischen Juden war allerdings dann folgende Bestimmung des mitteleuropäischen Abkommens ungünstig: „Die Flüchtlinge sollen in dem ersten Land verbleiben, in das sie emigrieren, in andere Länder sollen sie nur mit Zustimmung der dortigen Komitees geschickt werden. Die Kosten für den Aufenthalt des Flüchtlings muss, bis sein Fall untersucht ist, die jüdische Gemeinde tragen, in der er sich befindet.“60 Die finanzielle Belastung, die diese Bestimmung für die Juden in der Tschechoslowakei mit sich brachte, war größer als in anderen Ländern, denn auf Grund ihrer geographischen Lage suchten gerade hier sehr viele Flüchtlinge eine erste Zuflucht. Die zweite große Aufgabe der Juden in den böhmischen Ländern, die eng mit der Flüchtlingshilfe zusammenhing, war die Sorge um die Juden in der Karpato-Ukraine. Um die durch den Krieg verelendeten Juden in Galizien oder in der Karpato-Ukraine hatte sich während des Ersten Weltkriegs und in der Zeit danach die JOINT gekümmert. Die Juden im Osten der neu entstandenen Republik zu unterstützen beschlossen im Laufe der 1920er Jahre auch einige junge Frauen von der zionistischen Organisation WIZO. Sie begründeten das Jüdische Frauenhilfskomitee für die Karpato-Ukraine. Erste Vorsitzende wurde Marie Schmolka, zweite Vorsitzende Hanna Steiner, Geschäftsführerin Irma Pollak und Schatzmeisterin Elsa Engländer.61 Eine große Hilfe für dieses Komitee war die Arbeit von Wally Waldstein, der Frau Emil Waldsteins, der in den 1920er Jahren als Korrespondent der Lidové noviny in Uzhgorod gearbeitet hatte.62 Auf ihren Reisen hatte Wally Waldstein das Armut der dort ansässigen Juden kennengelernt, die zum Großteil unter dem Existenzminimum lebten. Schmolka und Steiner be59 60 61 62

Ebda., S.2. Ebda., S.5. AMP, SK, Sign. II/973: Jüdisches Frauenhilfskomitee für die Karpato-Ukraine. Blätter für die jüdische Frau, 1926, Nr. 21, S. 3.

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teiligten sich im Folgenden an einer direkten Verteilung von Hilfsgütern unter die Juden in einzelnen karpato-ukrainischen Dörfern. Außer einer unmittelbaren materiellen Hilfe, zum Beispiel Aktionen, bei denen Milch für die Kinder verteilt wurde, ging es den Frauen von der WIZO vor allem um „konstruktive“ Hilfe, die die bedrückende Situation der dortigen Juden dauerhaft verbessern würde. Sie versuchten für die dortigen Bewohner Nutztiere anzuschaffen und brachten den Frauen das Arbeiten mit einer Nähmaschine bei. Die Vertreter der JOINT erkannten sehr bald, dass es sinnvoll wäre, gerade die Aktivitäten der Frauen von der WIZO und speziell von Marie Schmolka und Hanna Steiner zu unterstützen. So koordinierten die beiden seit dem Ende der 1920er Jahre Projekte, in die die JOINT Zehntausende Dollars investierte. Nicht nur in den böhmischen Ländern stellten sich führende Mitarbeiterinnen der zionistischen Organisation WIZO an die Spitze der Flüchtlingshilfe. Auch in der Slowakei war es eine enge Mitarbeiterin Schmolkas und Steiners von der WIZO, Gisi Fleischmann, die zu einer führenden Persönlichkeit in der Flüchtlingshilfe wurde und später, während des Zweiten Weltkriegs, Hunderten von slowakischen und tschechischen Juden die Flucht aus der mit NS-Deutschland alliierten Slowakei ermöglichte, und als Mitglied einer illegalen Arbeitsgruppe mit großem Einsatz, wenn auch vergeblich, die Deportation slowakischer Juden in die Vernichtungslager zu verhindern suchte.63 Als 1933 das Hilfskomitee für jüdische Flüchtlinge und Emigranten aus Deutschland entstand, war es kein Zufall, dass die praktischen Belange gerade in die Hände von Marie Schmolka und Hanna Steiner gelegt wurden, deren bisherige Tätigkeit es leichter machte, die Hilfsleistungen der JOINT auch auf die Flüchtlinge aus Deutschland auszuweiten. Durch die gesamten 1930er Jahre hindurch überstiegen jedoch die von der JOINT für die karpato-ukrainischen Juden vorgesehenen Beträge bei weitem die Hilfe für die vor dem Nationalsozialismus geflüchteten Juden. Im Jahresbericht für 1936 – erstellt von Bernhard Kahn, dem Leiter der Pariser Filiale der JOINT – heißt es, dass in der Tschechoslowakei in das „German Program“ 10 808,99 Dollar investiert worden seien, in das „Eastern European Program“ 21 910,46 Dollar.64 Den Mitarbeitern der JOINT war es jedoch immer ein Dorn im Auge gewesen, dass sich die humanitäre jüdische Tätigkeit in der Tschechoslowakei in unzählige Vereine, Stiftungen und Komitees aufsplitterte. So kam es auf ihre Anregung 63 Katarína HRADSKÁ (Hg.): Holokaust na Slovensku 3. Listy Gisely Fleischmannovej (1942– 1944). Snahy Pracovnej skupiny o záchranu slovenských a európskych židov. Bratislava 2003; Yermeyahu Oskar NEUMANN: Gisi Fleischmann, The story of a heroic woman. Tel-Aviv 1970; Joan CAMPION: In the lion’s mouth. Gisi Fleischmann & the Jewish fight for survival. Lanham 1987. 64 Archive of AJJDC, Fond 33/44, K. 534/1: HICEM Prague, Functional distribution of J.D.C. expeditures in Czecho-Slovakia in 1936.

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hin und unter tatkräftiger Unterstützung seitens Schmolkas und Steiners 1935 zur Gründung des Sozialinstituts der jüdischen Kultusgemeinden Groß-Prags. Zwar handelte es sich dabei nicht um eine Institution, deren Reichweite sich auf den ganzen Staat oder auch nur ganz Böhmen erstreckt hätte, dennoch gelang es den Mitarbeiterinnen des Sozialinstituts, die Fürsorge für die Bedürftigen in der Region Groß-Prag effektiver zu organisieren. Zur selben Zeit suchte man bei der Polizeidirektion in Prag um Erlaubnis für die Einrichtung einer Prager HICEM-Filiale nach. Hinter der Abkürzung HICEM verbergen sich die Anfangsbuchstaben dreier Hilfsorganisationen, die in verschiedenen Teilen der Welt mit der jüdischen Migration befasst waren. Dies waren die HIAS – Hebrew Sheltering and Immigrant Aid Society mit Sitz in New York, die ICA – Jewish Colonisation Association, die bereits 1891 von Baron Maurice de Hirsch in England gegründet worden war, und die Emig-Direct, eine 1921 in Berlin gegründete Institution. Alle diese Organisationen halfen (meist osteuropäischen) Juden, nach Übersee und speziell in die Vereinigten Staaten zu emigrieren. 1927 schlossen sie sich unter dem Namen HICEM zu einer Organisation zusammen und wählten ihren Sitz in Paris. Die Aktionen der HICEM wurden größtenteils von der JOINT finanziert.65 Die Satzung der Prager HICEM-Filiale wurde wegen einiger formaler Mängel von der Prager Polizeidirektion zunächst nicht genehmigt, zur offiziellen Gründung des Vereins kam es daher erst im Frühjahr 1936. Den Vorsitz übernahm Josef Popper, Stellvertretende Vorsitzende wurde Marie Schmolka, Geschäftsführerin Hanna Steiner, ihr Vertreter Jakob Edelstein, der Leiter des Palästina-Amtes.66 Aufgabe der Prager HICEM-Filiale war es, denjenigen Juden zu helfen, die wegen Bedrohung oder Armut aus der Tschechoslowakei ausreisen wollten – ob sie nun tschechoslowakische Staatsbürger waren, „Durchziehende“ oder Flüchtlinge. Demgegenüber lag die Betreuung der Flüchtlinge für die Zeit ihres Aufenthalts in der Tschechoslowakei bis auf einzelne einmalige Zahlungen ganz bei den jeweiligen jüdischen Gemeinden und humanitären Organisationen. Die HICEM hatte sich sowohl mit den Problemen der vor dem Nationalsozialismus auf der Flucht befindlichen Juden zu befassen wie auch für die Juden aus der Karpato-Ukraine bzw. der Ostslowakei Sorge zu tragen. Hunderte von Juden aus diesen Gebieten, vor allem junge Menschen, entschlossen sich zur Emigration und gerade die HICEM, teils auch das Palästina-Amt, war ihnen dabei behilflich. 65 Zosa SZAJKOWSKI: „Private and organized American Jewish overseas relief (1914–1938)“, American Jewish Historical Quarterly, Nr. 57, 1967, S. 52–106, 191–253; Zentralbüro „Emigdirekt“: Entstehung und Tätigkeit. Vereinigtes Komitee für jüdische Auswanderung „Emigdirekt“, 1921–1925. Berlin 1926; BAUER: My Brother’s Keeper. 66 Zum Schatzmeister wurde Luděk Dux ernannt, der in der tschechojüdischen Bewegung aktiv war, zum Protokollführer Walter Schmolka. Die konstituierende Versammlung der Prager HICEM-Filiale fand am 26. März 1936 auf dem jüdischen Rathaus statt. Siehe AMP, SK, Sign. XXI/5429: Hicem.

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So verflochten sich auf der Agenda der Prager HICEM-Filiale die Schicksale der Juden aus dem Westen und dem Osten.67 Besonderheiten der jüdischen Flüchtlingsfürsorge Der grundlegende Unterschied zwischen „politischen“ und jüdischen Flüchtlingen (mit Ausnahme der tschechoslowakischen Repatrianten) bestand in der Länge ihres Aufenthalts in der Tschechoslowakei und den Möglichkeiten, diesen zu legalisieren. Ein Großteil der jüdischen Flüchtlinge erhielt nämlich keine Aufenthaltsgenehmigung oder bekam sie nur unter der Voraussetzung, die Republik in kürzester Zeit wieder zu verlassen. Die politisch aktiven Flüchtlinge blieben oft mehrere Jahre in der Tschechoslowakei, weil sie mit der Aufenthaltsgenehmigung mehrheitlich keine Probleme hatten (ausgenommen freilich einige Mitglieder der Kommunistischen Partei). Die Hilfskomitees für „politische“ Flüchtlinge kümmerten sich also vor allem um die Unterbringung und Verpflegung ihrer Klienten, deren Zahl sich seit 1934 kaum mehr veränderte. Nur in seltenen Fällen halfen diese Komitees auch bei einer weiteren Emigration. Die aktiven politischen Flüchtlinge, ausgenommen die, die nur auf der Durchreise durch die Tschechoslowakei waren, blieben meist bis 1938 im Land. Oft auch einfach wegen der Grenznähe zum nationalsozialistischen Deutschland. Über geheime Boten oder neue Flüchtlinge konnten sie so zumindest mittelbaren Kontakt mit der Opposition in ihrem Heimatland halten. Die jüdischen Hilfsorganisationen befanden sich demgegenüber unter dem ständigem Druck der staatlichen Behörden, die forderten, dass die jüdischen Flüchtlinge nicht im Land blieben. Insbesondere nach 1935 bestätigte die Prager Polizei einem Großteil von ihnen nicht einmal mehr den Evidenzschein. Diese Bestimmung galt gleich von Beginn der 1930er Jahre an für Juden mit polnischer Staatsbürgerschaft. Mit diesem tragischen Umstand sahen sich die Mitarbeiter des Jüdischen Hilfskomitees oft konfrontiert. Ein zeitgenössischer Kommentator schrieb dazu im Prager Tagblatt: „Vielen [polnischen Juden in Deutschland] hat man nach dreissig-, vierzigjähriger Arbeit ihre Existenzmöglichkeit genommen. Die Damen [vom Jüdischen Hilfskomitee], die in diesem Bureau ehrenamtlich die Arbeit auf sich genommen haben, stehen täglich mehrmals vor nicht zu bewältigenden Aufgaben. Es ist schwer, verzweifelten Menschen klar zu machen, dass sie „repatriiert“ werden müssen, da eine Verlängerung des Visums hier keinesfalls bewilligt wird.“68 67 Siehe laufende Monatsberichte der HICEM im Fond der Logen des B’nai B’rith – NA, Fond Velkolóže [Großloge] B’nai B’rith, K. 9, Inv.-Nr. 37. 68 Max KREUZER: „Asyl in Prag“, Prager Tagblatt, 4.6.1933, Pfingstbeilage, S. I.

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Nach Schätzung des Jüdischen Hilfskomitees machten im Oktober 1933 die reichsdeutschen Juden nur 40% der jüdischen Flüchtlinge in der Tschechoslowakei aus. Weitere 14% entfielen auf Personen ohne Staatsangehörigkeit, die restlichen waren Angehörige anderer Staaten.69 Außer den Repatrianten, die in dieser Statistik nicht berücksichtigt werden, wurde eine Aufenthaltsgenehmigung meist nur Juden mit deutscher Staatsbürgerschaft und Staatenlosen erteilt, die übrigen wurden nicht als Flüchtlinge betrachtet. 46% der jüdischen Flüchtlinge erhielten also keine Aufenthaltserlaubnis und polnische Juden sollten umgehend repatriiert werden. Im Laufe der 1930er Jahre erhöhte sich die Zahl der „Ostjuden“, denen die Gestapo „über die Grenze half“. Das belegt ein Bericht der JOINT vom Oktober 1936: Kürzlich hat man in Deutschland eine weitere folgenschwere Verordnung erlassen, das heißt in manchen Gebieten, insbesondere im Gebiet Leipzig, in der Umgebung von Waldenburg und auch anderer Städte. Personen ohne Staatsangehörigkeit und Ausländer polnischer und russischer Herkunft wird im Falle von Arbeitslosigkeit die Unterstützung entzogen und sie werden aus Deutschland vertrieben. Da man sie aber nicht legal in ein anderes Land schicken kann, greift man auf den alten Trick zurück, sie unter dem Deckmantel der Nacht über die Grenzen zu jagen. Daher befinden sich jetzt viele von ihnen in der Tschechoslowakei und dieses Land weiß nicht, was es mit ihnen anfangen soll. Wenn sich die Betreffenden bei der Polizei registrieren lassen, werden sie umgehend inhaftiert, denn sie verfügen über keinen Reisepass und haben die Grenze illegal überschritten. So werden sie größtenteils auf demselben Weg nach Deutschland zurückgeschickt, auf dem sie in die Tschechoslowakei gelangt sind, nur an einer anderen Stelle.70

Juden mit deutschem Pass oder Juden ohne Staatsangehörigkeit, deren Reisedokumente abgelaufen waren, konnten die tschechoslowakischen Behörden einen vorläufigen tschechoslowakischen Pass ausstellen, den sie für eine Ausreise in ein Drittland verwenden konnten. Juden mit polnischer Staatsbürgerschaft konnten die tschechoslowakischen Behörden keinen solchen Pass ausstellen. Davon berichtet in einer Reportage auch Viktor Fischl, der das Prager Auffanglager Fišpanka als Vertreter der Jüdischen Partei persönlich besucht und zusammen mit Vertretern der HICEM Gespräche mit den jüdischen Internierten geführt hat.71 In der Fišpanka befanden sich außer Ausländern vor allem Landstreicher, Bettler und 69 Archive of AJJDC, Fond 33/44, K. 687/1: Bericht der JOINT für den American Jewish Congress vom Oktober 1933, S. 3. 70 Archive of AJJDC, Fond 33/44, K. 534/1: Brief Bernard Kahns, dem Leiter der europäischen Exekutive der JOINT in Paris, an Max Warburg, 16.10.1936, S. 4. 71 Viktor FISCHL: „Osudy ve Fišpance“, Židovské zprávy, 26.8.1938, Nr. 34, S. 3.

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andere Personen aus sozial schwachen Verhältnissen, die einer „Abschiebung“ in ihre Heimatgemeinde entgegensahen, die sich um sie kümmern sollte.72 „Problematische“ Personen wurden hier sowohl von der städtischen wie von der staatlichen Polizei untergebracht, denn die Fišpanka befand sich in gemeinschaftlicher Verwaltung von Polizeidirektion, städtischem Magistrat, Innen- und Sozialministerium. Unter den Flüchtlingen überwogen, wie aus Fischls Bericht hervorgeht, eindeutig Personen polnischer Staatsangehörigkeit (nicht nur Juden), die als einzige hier lange Monate verbrachten. Aus unterschiedlichen Gründen waren ihre Reisedokumente nicht in Ordnung – meist waren ihre Pässe abgelaufen und das polnische Konsulat wollte sie nicht verlängern. Alles, was die Vertreter der Jüdischen Partei für diese polnischen Bürger tun konnten, war, das Konsulat über zwei Abgeordnete des Parlaments um mehr Entgegenkommen zu bitten.73 Von den jüdischen Flüchtlingen befanden sich die aus Polen sicherlich in der tragischsten Situation, aber auch vielen anderen wurde eine Aufenthaltserlaubnis verweigert. Es mehrten sich die Fälle, wo jüdischen Flüchtlingen, zwar noch vor Erlass des Gesetzes über den Aufenthalt von Ausländern der Evidenzschein bestätigt worden war, ihr Antrag auf Aufenthaltsgenehmigung wurde dann aber nach monatelanger Wartezeit trotzdem negativ beschieden. Damit sahen sie sich in die Illegalität gedrängt, denn nach dreimonatigem Aufenthalt im Ausland konnten sie nicht mehr legal nach Deutschland zurückkehren. Genauer dargestellt findet sich diese Situation in einem Memorandum, das das Comité Nationale auf Initiative der HICEM im November 1936 dem Innenministerium, dem Außenministerium und der tschechoslowakischen Regierung übergab. Darin heißt es, dass die Situation der jüdischen Flüchtlinge sich in den letzten Monaten sehr zugespitzt habe, denn es gebe immer mehr Fälle, wo die Landesbehörde bzw. das Innenministerium eine Aufenthaltsgenehmigung verweigere, obwohl die Polizeidirektion den betreffenden Flüchtlingen den Evidenzschein bestätigt habe. Diese Personen, die sich länger als drei Monate außerhalb Deutschlands aufhalten, können nicht mehr dorthin zurückkehren, denn sie werden dann in Konzentrationslagern interniert (so genannten Schulungslagern) und nach verbüßter Strafe gezwungen, Deutschland zu verlassen. Wenn die erste Institution, d.h. die Polizeidirektion, einen Emigranten anerkennt, d.h. seine gesetzlich richtige Anmeldung und seinen Antrag annimmt, und die zweite Instanz, nach vielen Monaten, oft auch Jahren, ablehnt, drängen sie ihn in die Illegalität. Eine Rückkehr nach Deutschland ist nicht mehr möglich und kein anderes Land wird ihm Asyl gewähren, wenn er aus seinem ursprünglichen

72 Miroslav KURANDA: „Jak ulice K Fišpance k svému jménu přišla“, Rokytka. Vlastivědný zpravodaj, 2007, Jg. 45, Nr. 1, S. 6. 73 Viktor FISCHL: „Osudy ve Fišpance“, S. 3.

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Aufenthaltsland ausgewiesen wurde. Das Nachbarland, in das diese Emigranten eventuell illegal gelangen, schickt sie über unsere Grenzen zurück.74

Das Comité National bat die Regierung um eine Korrektur dieser Situation. In seiner Ohnmacht versuchte es – ohne Erfolg – ein letztes Druckmittel anzuwenden: wenn die Regierung auch weiterhin die Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen für jüdische Flüchtlinge aus Deutschland ablehnen würde, würde es eine Beschwerde bei Hochkommissar Malcolm einreichen, wodurch der gute Name der tschechoslowakischen Regierung Schaden nähme.75 Eine Aufenthaltsgenehmigung wurde zur selben Zeit auch Juden verweigert, die sich auf Grund von „Rassenschande“ einer Verfolgung ausgesetzt sahen. Käte Frankenthal, die 1936 für das Jüdische Hilfskomitee gearbeitet hat, merkt an, dass in Prag eine große Zahl solcher Personen registriert wurde76, und auch der Bericht von Bernhard Kahn für die Leitung der JOINT in New York vom Mai 1936 bestätigt dies.77 Teils waren es angeblich so viele, weil sich hier auch Bettler meldeten, die damit rechneten, dass dieses Fluchtmotiv nicht überprüfbar sei. Sie gingen davon aus, dass diese Verletzung der Rassengesetze, die in Deutschland strengstens geahndet wurde, in der Tschechoslowakei nicht als Straftat gilt und bekannten sich also, wie Frankenthal schreibt, stolz zu ihrem Delikt: „Auf meine Frage, warum sie Deutschland verlassen hätten, entgegneten diese oft sehr jungen Männer schnell und ohne zu zögern: Ich bin ein Rasseschänder! Ich nannte das den neuen Beruf‘.“78 Meist aber wurden diese Personen nicht als Flüchtlinge betrachtet. Dutzende Personen, die tatsächlich zu dieser Kategorie gehörten und nichts vortäuschten, befanden sich somit in einer äußerst problematischen Situation. Nach Deutschland konnten sie meist nicht mehr zurückkehren – viele waren geflohen, nachdem sie dort angezeigt worden waren.79 So hatte sich zum Beispiel im März 1938 Bruno Spingran, ein Tabakgroßhändler aus Breslau, für eine Flucht in die Tschechoslowakei entschieden, weil ihn sein Handelsvertreter bei der Breslauer Kriminalpolizei wegen eines langjährigen Verhältnisses mit der Verkäuferin Agnes Zewina angezeigt hatte. Dank seiner materiellen Absicherung gelang es ihm nicht nur, eine eventuelle Ausweisung abzuwenden, sondern auch ein „kapitalistisches“

74 Archiv der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum, Fond HICEM, Sign. 1, 75 C Hi 1, Nr. 3, S. 12479: Memorandum, 26.11.1936. 75 Ebda. 76 FRANKENTHAL: Der dreifache Fluch, S. 233. 77 Der Bericht Bernard Kahns von der JOINT ist Teil seines Briefes an J.C. Hyman, siehe Archive of AJJDC, Fond 33/44, K. 687/2: Brief vom 11.5.1936, S. 3. 78 FRANKENTHAL: Der dreifache Fluch, S. 233. 79 Ebda.

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Visum nach Palästina zu bekommen.80 Weniger Glück hatte Gerd Kahan, der mit einem Nansen-Pass legal in die Tschechoslowakei eingereist war, aber nur mit Mühe eine Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung durchsetzen konnte. Nach Deutschland konnte er dabei nicht mehr zurück, denn dort drohte ihm Inhaftierung auf Grund einer langjährigen Beziehung mit einer jungen Christin.81 In Prag hatten bereits früher – nach der „Nacht der langen Messer“ im Juni 1934 – auch Homosexuelle aus Deutschland um Asyl ersucht. Nachdem Ernst Röhm, der Leiter der SA, der Homosexualität beschuldigt worden war, drohte ihnen in Deutschland Verfolgung. Meist flüchteten sie, nachdem eine Anzeige erfolgt war, und waren sehr überrascht, dass sie ihre sexuelle Orientierung auch in der Tschechoslowakei verbergen mussten, wenn sie eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen wollten.82 Bruno Spingarn, geboren 1897 in Loslau bei Breslau (Wrocław). Witwer und Vater dreier Kinder, er war Eigentümer eines Tabakgroßhandels, der noch 1937 einen Umsatz von ca. 900 000 Reichsmark verzeichnete. Die Einnahmen verringerten sich dann allerdings infolge des Boykotts jüdischer Geschäfte. Der unmittelbare Grund für seine Flucht war jedoch, dass ihn sein Handelsvertreter wegen „Rassenschande“ angezeigt hatte. Da er seine Verhaftung befürchten musste, entschloss Spingarn sich zu einer raschen Flucht in die Tschechoslowakei. Er ließ sich zur Grenze bringen, überschritt diese dann ohne Reisedokumente zu Fuß bei Matzdorf (Matějovice) im Kreis Jägerndorf und meldete sich selbst auf der Wachtmeisterei in Hotzenplotz (Osoblaha). Da Spingarn Wertsachen in Höhe von 30 000 Kronen mit sich führte und zudem nur so lange in der Tschechoslowakei verbleiben wollte, bis er sich die nötigen Papiere für eine weitere Ausreise verschafft hätte, wurde sein Fall wohlwollend beurteilt. Für den unerlaubten Grenzübertritt wurde er mit einem Bußgeld von 200 Kronen belegt und erhielt ohne Probleme einen vorläufigen Reisepass. Ursprünglich wollte er nach Amerika emigrieren, reiste im Herbst 1938 jedoch schließlich nach Palästina aus.83

In einigen Fällen suchten auch „gemischte“ Paare Schutz in der Tschechoslowakei. Die Nürnberger Gesetze vom September 1935 verboten vom Tag ihres Inkrafttretens an den Abschluss weiterer „Mischehen“ zwischen einem Juden und einer Person „deutschen oder verwandten Bluts“; auch uneheliche Beziehungen zwi80 NA, PŘ, 1941–1950, Sign. K 301/1, K. 4802. 81 NA, PŘ, 1931–1940, Sign. S 4896/42, K. 10937. 82 FRANKENTHAL: Der dreifache Fluch, S. 233. 83 NA, PŘ, 1941–1950, Sign. K 301/1, K. 4802.

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schen diesen Personengruppen waren verboten.84 Vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geschlossene „Mischehen“ waren weiterhin gültig, doch wurde auf die nichtjüdischen Partner großer Druck ausgeübt, sich scheiden zu lassen. Die jüdischen Partner in diesen Ehen waren denselben Schikanen ausgesetzt wie die anderen Juden auch – sie wurden entlassen, zur Zwangsarbeit eingezogen etc. Trotz dieser Bedingungen haben sich dennoch nur relativ wenige Paare scheiden lassen – nur etwa 20% der schätzungsweise 35 000 „Mischehen“ im nationalsozialistischen Deutschland.85 Von den Eheleuten, die sich nicht scheiden ließen, überlebten die jüdischen Partner den Krieg zum großen Teil, denn sie wurden nicht direkt in die Vernichtungslager deportiert.86 Gerd Kahan, geboren 1912 in Leipzig. Seine Familie stammte aus Russland. Er selbst hatte von Geburt an in Deutschland gelebt, doch war ihm nie die deutsche Staatsbürgerschaft erteilt worden. Gerd Kahan kehrte 1935 von einer Geschäftsreise nicht nach Deutschland zurück, da er gewarnt worden war, dass die Gestapo nach ihm suche und ihm wegen seiner Bekanntschaft mit einer jungen Christin eine Verhaftung wegen „Rassenschande“ drohe. In die Tschechoslowakei reiste Kahan mit einem Nansen-Pass, der ihm, wie er anführte, auf Grund der „antikommunistischen Überzeugung“ seines Vaters noch in Deutschland ausgestellt worden war. Eine Aufenthaltsgenehmigung bekam er nur bis zum Mai 1936. Eine nochmalige Verlängerung wurde abgelehnt. Kahan legte Widerspruch gegen diese Entscheidung ein, wobei er darauf verwies, dass er zwar beim Jüdischen Hilfskomitee gemeldet sei, finanziell jedoch ausschließlich von den Eltern unterstützt werde bzw. von eigenen Ersparnissen lebe. Um eine Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis zu erreichen, bot Kahan den tschechoslowakischen Behörden sogar an, einen weiteren Arbeitslosen mit regelmäßigen monatlichen Zahlungen zu unterstützen oder eine größere Summe zur Verteidigung des Staats zu spenden. In einem Nachtrag zu seinem Widerspruch gibt er außerdem an, inzwischen mit der Tochter eines Handelsdirektors verlobt zu sein. Im März 1938 stellten die Behörden Kahan einen vorläu84 Lothar GRUCHMANN: „‚Blutschutzgesetz‘ und Justiz. Zur Entstehung und Auswirkung des Nürnberger Gesetzes vom 15. September 1935“, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 1983, Nr. 31, Heft 3, S. 418–442; Andreas RETHMEIER: „Nürnberger Rassengesetze“ und Entrechtung der Juden im Zivilrecht. Frankfurt am Main 1995. 85 Beate MEYER: „The Mixed Marriage. A Guarantee of Survival or a Reflection of German Society during the Nazi Regime?“, in: David BANKIER (Hg.): Probing the Depths of German Antisemitism. German Society and the Persecution of the Jews, 1933–1941. New York – Jerusalem 2000, S. 54–77. 86 Mehr zu den „Mischehen“ und den daraus hervorgegangenen Kindern siehe Beate MEYER: „Jüdische Mischlinge“. Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933–1945. Hamburg 1999.

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figen tschechoslowakischen Pass aus. Doch zu einer Ausreise kam es nicht mehr. Am 3. November 1941 wurde Kahan zusammen mit seiner Frau in das Ghetto von Łódż deportiert, wo er ums Leben kam.87

In die Tschechoslowakei flüchteten daher vor allem jene „gemischten“ Paare, die schon seit Jahren ohne Trauschein zusammenlebten und sich nun durch die Nürnberger Gesetze in die Illegalität gestellt sahen, oder aber Paare, die gerade erst zusammengefunden hatten und denen nun eine Eheschließung verwehrt war. Die unerfreuliche Situation der Flüchtlinge in der Tschechoslowakei, die existenziellen Probleme und die ungewisse Zukunft stellten diese Beziehungen auf eine schwere Probe. Nicht selten entschloss sich der nichtjüdische Partner nach einiger Zeit für eine Rückkehr nach Deutschland, wo er ein gesichertes Leben führen konnte. Als der Theaterregisseurs Paul Barney in den Wäldern hinter Breslau von der SS zusammengeschlagen wurde und unmittelbar danach in die Tschechoslowakei flüchtete, folgte ihm seine nichtjüdische Partnerin zunächst zwar nach, entschied sich aber nach einigen Wochen für eine Rückkehr nach Breslau, um dort am Theater ihre Engagement als Schauspielerin nicht zu verlieren.88 Etliche „gemischte“ Paare“ hielten aber an ihrer Beziehung fest. Das Jüdische Hilfskomitee, an das sich diese Menschen wandten, stand vor der schwierigen Frage, wie es deren Leben in der Tschechoslowakei absichern könne. Wie bei anderen jüdischen Flüchtlingen versuchten die Mitarbeiterinnen der HICEM, die Emigration in ein Drittland zu ermöglichen. Während ihres Aufenthalts in der Tschechoslowakei sorgte das Sozialinstitut für ihren Unterhalt. Marie Schmolka entschloss sich jedoch, auch bei christlichen karitativen Organisationen nachzufragen, ob sie bereit seien, für die christlichen Partner aufzukommen. So lud das Comité National im Januar 1936 Vertreter der katholischen Caritas und der evangelischen Diakonie zu einem Gespräch ein.89 Die Verhandlungen zogen sich allerdings mehrere Monate hin und die christlichen Partner waren inzwischen bei Grossmanns Demokratischer Flüchtlingsfürsorge oder beim „Šalda“-Komitee untergekommen.90 Im März 1936 verpflichtete sich der deutsche katholische Caritas-Verband, der insbesondere in den Grenzgebieten aktiv war, zu Gunsten der katholischen Partner von „Mischehen“ monatlich 500 Kronen auf ein Sonderkonto anzuweisen.91 Die tschechische Caritas und Diakonie hingegen zögerten mit ei87 NA, PŘ, 1931–1940, Sign. S 4896/42, K. 10937. 88 Paul BARNAY: Manuskript seiner Memoiren „Mein Leben“, S. 278, das Manuskript befindet sich im Archiv des Jüdischen Museums Berlin, Leo Baeck Institut, Memoire Collection, LBI JMB MM5. 89 YIVO, NY, HICEM – Prague Office, RG 245.10, folder 1, MKM 15.135: Prague Committee for German-Speaking Refugees, Sitzungsprotokoll des Comité National, 28.1.1936. 90 Ebda., Sitzungsprotokoll des Comité National, 3.3.1936. 91 Ebda.; Zur Entstehung des deutschen Caritas-Verbands im Grenzgebiet siehe Rudolf GRULICH: „Die Gründung des deutschen Caritas-Verband in der Tschechoslowakei 1926“, Su-

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ner Unterstützung immer noch. Erst im Mai einigten sie sich darauf, dass sie zu Gunsten der christlichen Partner eine lediglich einmalige Zahlung in Höhe von je 250 Kronen anweisen würden. Der katholische Caritas-Verband der Erzdiözese wollte über jede weitere Unterstützung je nach konkretem Einzelfall entscheiden, und zwar auf der Grundlage individueller Anträge; die Diakonie lehnte weitere Zahlungen mit der Begründung ab, dass sie mehr zu leisten nicht in der Lage sei.92 Anhand der Archivmaterialien lässt sich nur schwer beurteilen, ob die Kirchen wegen eventueller Vorbehalte gegen „Mischehen“ oder aus anderen Gründen so zögerlich und zurückhaltend mit ihrer Unterstützung waren. Das Sozialinstitut der jüdischen Kultusgemeinden von Groß-Prag befand sich dabei gerade damals in einer finanziell heiklen Lage. Zum einen nahm die Zahl der jüdischen Flüchtlinge im Land beständig zu, denn die Organisation ihrer Auswanderung gestaltete sich schwierig. Zudem war die jüdische Bevölkerung in Böhmen der beständigen Bitten um finanzielle Unterstützung schon müde. Bereits im Januar 1935 war es auf einer Versammlung des Prager Jüdischen Gemeinderats zu einer heftigen Diskussion gekommen, in welcher Höhe Finanzmittel für die Flüchtlingsfürsorge erforderlich wären und ob es überhaupt einer höheren Dotation bedürfe. Eugen Lieben, Gymnasialprofessor für Philosophie, verteidigte die Ausgaben, die für die Flüchtlingsfürsorge nötig seien. Dagegen lehnte der Rechtsanwalt Maxim Reiner von der tschechojüdischen Bewegung, der damals im Gemeinderat den Vorsitz hatte, eine weitere Unterstützung mit der Begründung ab, dass man dem Verzeichnis der vom Jüdischen Hilfskomitee betreuten Flüchtlinge „entnehmen kann, dass die Flüchtlinge mindestens zu 60 oder 70% politische Flüchtlinge sind, und es Sache der politischen Parteien sei, sich um sie zu kümmern“.93 Im Haushalt für das Jahr 1936 wurden dann Hilfsgelder in Höhe von 15 000 Kronen bewilligt, gegenüber 17 000 Kronen im Vorjahr.94 Dotationen seitens der jüdischen Gemeinden waren für die Flüchtlingshilfe zunehmend schwerer zu bekommen, zumal diese von der Kultussteuer ihrer Mitglieder keinen geringen Betrag für die übrigen Abteilungen des Sozialinstituts abführen mussten, das auch für Kranke und Arme zu sorgen hatte und ein Altersheim sowie ein Heim für geistig Behinderte unterhielt. Insgesamt bewegte sich der Jahreshaushalt des Sozialinstituts um eine halbe Million Kronen (von denen die Flüchtlingsfürsorge nur einen Bruchteil ausmachte). Die Hälfte dieses Betrags mussten die jüdetenland, 2003, Nr. 44, S. 89–92. Den Hinweis auf die deutsche Caritas sowie den Aufsatz von R. Grulich verdanken wir Kristina Kaiserová von der Universität in Aussig (Ústí nad Labem). 92 YIVO, NY, HICEM – Prague Office, RG 245.10, folder 1, MKM 15.135: Prague Committee for German-Speaking Refugees, Sitzungsprotokoll des Comité National, 7.5.1936. 93 AŽMP, Fond Jüdische Kultusgemeinde Prag, Protokolle der Repräsentantenversammlungen von 1935: Versammlung vom 16.1.1935. 94 Ebda., Protokolle der Repräsentantenversammlungen von 1936: Haushalt für 1936.

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dischen Gemeinden selbst aufbringen, den Rest steuerte vor allem B’nai B’rith bei, andere humanitäre Organisationen sowie private Spender. Ein Teil der jüdischen Flüchtlinge konnte Umschulungskurse besuchen und ein Praktikum (die so genannte Hachschara) absolvieren, das die zukünftigen chalucim (Pioniere) auf das Leben in Palästina vorbereiten sollte. Diese Kurse waren aber vor allem für Personen unter vierzig Jahren vorgesehen. Diese Begrenzung galt auch bei der Erteilung von Visa und Zertifikaten. Das zeigt der Bericht von Luděk Dux, der bei der HICEM Schatzmeister war und zugleich bei B’nai B’rith eine wichtige Position in der Loge Humanitas innehatte. Er informierte seine Ordensbrüder 1937 darüber, dass man gemäß der Richtlinien der HICEMZentrale in Paris bei der Auswahl der Ausreisekandidaten großen Wert auf Alter, Qualifikation und moralische Eigenschaften lege. Bevorzugt würden Kandidaten unter vierzig Jahren mit praktischer Erfahrung in einem landwirtschaftlichen oder handwerklichen Beruf.95 Nicht interessiert war die HICEM also an Flüchtlingen, die auf Grund ihres Alters, ihrer gesundheitlichen Verfassung oder Motivationsverlust nicht durch das Auswahlverfahren kamen und in der Tschechoslowakei dann unter ärmlichsten Bedingungen vor sich hin vegetieren mussten. Im Mai 1937 verschickte das Sozialinstitut einen dringlichen Appell an alle jüdischen Gemeinden in Böhmen und Mähren: „In der Anlage erlauben wir uns, Ihnen einen Bericht über die jüdische Emigration in Prag zu überreichen. Wir bitten Sie, diesen Bericht freundlicher Weise zu lesen und dann – ihr Herz sprechen zu lassen. Wir können nicht mehr weiter!“96 Im Mai 1937 hatte das Sozialinstitut 378 Personen zu betreuen, davon 138 Repatrianten, die noch keine Arbeit gefunden hatten. Nicht berücksichtigt in diesen Zahlen sind die Teilnehmer der Umschulungskurse und landwirtschaftlichen Praktika. Die wöchentliche Unterstützung, die das Sozialinstitut diesen Flüchtlingen zahlte, betrug 35 Kronen für jeden Erwachsenen und 15 Kronen für jedes Kind. In einigen Fällen konnten allerdings nur 20 bis 25 Kronen ausgezahlt werden. Dieser Betrag entsprach nicht einmal der Hälfte des Existenzminimums, das mit 300 Kronen monatlich veranschlagt wurde. Von den unterstützten Flüchtlingen waren siebenundvierzig so krank, dass nicht mehr auf Gesundung zu hoffen war. Dazu nicht gerechnet wurden ...die, die an Unterernährung leiden, Depressionen etc. [...] Die Lage der jüdischen Emigration ist nun geradezu verzweifelt. Die erwachsenen Emigranten sind durchweg Leute, die früher arbeitsam gelebt haben, eine gesicherte Position hatten und Deutschland wegen des ab 1933 herrschenden Terrors verlassen mussten: Alle kriminellen und unerwünschten Elemente konnten dank eines guten Ermittlungsdienstes herausgefil95 Br. Expräs. Luděk DUX („Humanitas“): „Bericht über die Leistungen der Hicem“, in: B’nai B’rith, 1937, S. 375–378, siehe S. 376. 96 AŽMP, Fond Jüdische Kultusgemeinde Písek (107), Sign. 63248, Aktenmaterial 1927–1938: Bericht des Sozialinstituts, 28.5.1937.

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tert werden. Da die Emigranten nicht über eine Arbeitserlaubnis verfügen, haben sie keinerlei Möglichkeit, selbst für ihren Unterhalt zu sorgen. Sie sind auf die ungenügende Unterstützung angewiesen, und insoweit sie noch einigermaßen vermögende Eltern und Geschwister in Deutschland haben, auf deren gesetzlichen Monatsbeitrag von 10,- RM, das sind 113,- Kronen. Unter diesen beklagenswerten Umständen bleibt den Emigranten nichts anders übrig als zu hungern und langsam zu sterben oder aber so tief zu sinken, dass sie bettelnd von Haus zu Haus ziehen. Unter diesen Leuten, die zu Bettlern geworden sind, befinden sich Ärzte, Rechtsanwälte, Schriftsteller, Geschäftsleute und Handwerker. Sie leben zu fünft oder sechst in unsauberen, verlausten Räumlichkeiten. Wir dürfen uns nicht wundern, wenn die Moral dieser früher ordentlichen Leute, durch die anhaltend lange Not Schaden nimmt. Die spärliche und schlechte Ernährung schwächt die unglücklichen Menschen, die Monate oder Jahre im Gefängnis oder in Konzentrationslagern verbracht haben. Die Unterernährung ruft, wie unser Arzt in seiner überfüllten Praxis täglich mit Schrecken feststellen kann, zahlreiche Krankheiten hervor. Unter den Emigranten wütet die Tuberkulose, die Mehrzahl der Kinder ist rachitisch, infolge mangelhafter Ernährung mehren sich Magenerkrankungen, die schlechten Wohnverhältnisse fördern Hautkrankheiten. Die Krankenhäuser lehnen in vielen Fällen eine Aufnahme von Flüchtlingen ab, weil der Staat, dessen Angehörige sie sind, die Behandlungskosten nicht übernimmt, und die Mittel der Jüdischen Krankenfürsorge reichen bei weitem nicht aus. Das ist die Situation der jüdischen Emigration. Kein Wort hier ist zu viel. Aus diesen Zeilen spricht die nackte Wahrheit.97

Auswanderung und Umschulung Mit Blick auf die restriktive Politik des tschechoslowakischen Staats war Emigration die einzige „konstruktive“ Lösung, die für die meisten jüdischen Flüchtlinge in Betracht kam. Die Frage ist, ob nicht auch die Haltung der örtlichen jüdischen Gemeinden zu einem Auswanderungsdruck beigetragen hat. Aus einem Bericht des Jüdischen Hilfskomitees für seinen wichtigsten Geldgeber, den Orden B’nai B’rith, geht hervor, dass die Mitarbeiterinnen des Komitees bereits seit 1934 Juden in Deutschland von einer Flucht nach Prag abzuraten versuchten. In diesem Bericht heißt es wortwörtlich „hierdurch wurde ein weiterer zweckloser, mit großen Kosten verbundener Andrang von Emigranten hintangehalten“.98 Dieses Zitat belegt einerseits, dass die Mitarbeiterinnen die Aussichten der jüdischen Flüchtlinge in der Tschechoslowakei, denen letzten Endes nichts anderes übrig bleiben würde als die Ausreise in ein Drittland, realistisch einzuschätzen wussten. Doch ebenso wollten die jüdischen Hilfsorganisationen und Gemeinden verhindern, dass durch 97 Ebda. 98 „Das Jüdische Zentral-Hilfskomitee für Flüchtlinge schließt seine Tätigkeit ab“, in: B’nai B’rith, 1936, Nr. 3, S. 98.

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eine ständig steigende Zahl meist deutschsprachiger und sozial schwacher jüdischer Flüchtlinge ein verstärkter Antisemitismus im gesellschaftlichen Umfeld ausgelöst würde. Auch die knapp bemessenen Finanzmittel waren letztlich ein Grund, die Zahl der Flüchtlinge in Grenzen zu halten. Die meiste Zeit und Energie verwendeten die Mitarbeiterinnen des Jüdischen Hilfskomitees und später der HICEM darauf, ihren Schützlingen die Ausreise in ein Drittland zu ermöglichen. Um Hilfe baten jüdische Flüchtlinge aus Deutschland, die verarmten Juden aus der Karpato-Ukraine, aber auch polnische, rumänische und litauische Juden, die versuchten, über die Tschechoslowakei in ein westliches Land oder nach Übersee zu gelangen. Mitunter nahmen auch Leute die Hilfe der HICEM in Anspruch, die sich ihre Reise zwar selbst organisierten, doch waren ihnen die Mitarbeiterinnen der HICEM dabei behilflich, eine möglichst billige Reiseverbindung ausfindig zu machen. Nicht eingegangen in die HICEMStatistiken sind die vielen hundert jüdischen Flüchtlinge, die ihre Ausreise völlig unabhängig vom Hilfskomitee organisierten. Von denen, die die Hilfe der HICEM in Anspruch nahmen, haben die meisten eine neue Heimat in Palästina gefunden, eine kleinere Zahl in den USA und Südamerika. Wie die detaillierten Monatsberichte der Prager HICEM-Filiale zeigen, stammten die Flüchtlinge, denen die HICEM zu einer Ausreise in die USA verhalf, meist aus der Karpato-Ukraine oder der Slowakei.99 Die Mitarbeiterinnen des Komitees versuchten, Verwandte oder Bekannte ausfindig zu machen, die für die Betreffenden bürgen und mit dem sog. Affidavit of Support zusichern würden, dass sie für deren Aufenthalt in den USA so lange aufkommen würden, bis diese selbst für sich sorgen könnte. Von den Flüchtlingen aus Deutschland gelangten während der 1930er Jahre nur etwa fünfzig über die HICEM in die USA.100 Von den südamerikanischen Staaten nahm Argentinien die meisten Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei auf (ca. 300), dann folgten Kolumbien, Brasilien, Uruguay und Bolivien mit etwa je hundert Flüchtlingen während der gesamten 1930er Jahre. Equador, Chile und Paraguay nahmen jeweils nur einige Dutzend Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei auf.101 In den ersten beiden Jahren übernahm das Jüdische Hilfskomitee relativ oft nur die Reisekosten in nicht allzu ferne europäische Länder – vor allem nach 99 NA, VBB, K. 9, Inv.-Nr. 36: Bericht der Prager HICEM-Filiale für November 1937 an die Pariser Zentrale. 100 Siehe „Das Jüdische Zentral-Hilfskomitee für Flüchtlinge schließt seine Tätigkeit ab“, in: B’nai B’rith, 1936, Nr. 3, S. 98; monatliche Berichte der HICEM im Fond B’nai B’rith, NA, VBB, K. 9, Inv.-Nr. 36. 101 Ebda. Siehe auch Leo Baeck Institute, Friedrich Bill Collection – AR 7059, Reihe III, 1926–1971, K. 2/2, handschriftlicher Text des Vortrags von Friedrich Bill für das Institut für Wissenschaft und Kunst in Wien 1959 über die Bedeutung Südamerikas für die Flüchtlinge. Der Vortrag trägt den Titel „Ecuador – Südamerika: eine Hoffnung der freien Welt“.

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Titelseite einer 1937 erschienenen Sammlung von Flüchtlingsaussagen beim Jüdischen Hilfskomitee

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Jugoslawien und Frankreich. Vor dem Erlass der Nürnberger Rassengesetze war es auch gar nicht so selten, dass jüdische Flüchtlinge nach Deutschland zurückkehrten. Dafür haben 210 Personen Unterstützung des Jüdischen Hilfskomitees in Anspruch genommen.102 Aus der Sammlung kommentierter Flüchtlingsberichte geht sogar hervor, dass die Mitarbeiterinnen des Komitees auch nach 1935 noch jenen Menschen zu einer Rückkehr in die Heimat geraten haben, die auf Grund einer stärkeren körperlichen Behinderung keine Aussichten auf ein Visum nach Übersee hatten und in Deutschland keine unmittelbare Verhaftung befürchten mussten. Zumindest eine gewisse Zeit konnten sie in Deutschland die Kosten für ihre medizinische Versorgung noch über ihre Krankenversicherung bestreiten, was nicht möglich war, wenn sie sich im Ausland befanden.103 Insbesondere bis 1936 spielte Palästina als Ziel eine wichtige Rolle. Palästina hat in den 1930er Jahren die überhaupt meisten Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei aufgenommen. Die Immigration aus der Tschechoslowakischen Republik nach Palästina hatte zu Beginn der 1930er Jahre eine grundlegende Veränderung durchgemacht, die Jacob Edelstein, der Leiter des Palästina-Amtes, 1937 in einem umfangreichen Bericht beschrieb. Anhand von Statistiken aus seiner Behörde wies er nach, dass eine Immigration nach Palästina bis 1932 eine ausgesprochen ideologische Angelegenheit war. Seit der Gründung der Tschechoslowakischen Republik bis 1932 waren nur 212 Personen nach Palästina ausgereist, meist junge Leute und überzeugte Zionisten. Das bestätigt auch die Tatsache, dass diese zukünftigen Chalucim nur höchst selten Verwandtschaftszertifikate für ihre nächsten Angehörigen beantragt haben. Ab 1932 jedoch versuchten immer mehr Menschen, durch eine Auswanderung nach Palästina ihrer existenziellen Notsituation zu entkommen. Die Alija, d.h. die Auswanderung in das Heilige Land, wurde in den 1930er Jahren insbesondere in der Karpato-Ukraine populär. Nicht nur junge Leute suchten auf diese Weise einen Ausweg aus ihrer sozialen Perspektivlosigkeit; oft hofften die Eltern, dass ihre Kinder sie nach Palästina nachholen würden. Laut Edelstein verzeichnete die Emigration nach Palästina seit 1932 eine steigende Tendenz. Zwischen 1932–1936 emigrierten aus der Tschechoslowakei nach Palästina insgesamt 3 215 Juden, die später 357 Familienmitglieder nachholten. Diese Zahlen berücksichtigen auch die jüdischen Flüchtlinge aus Deutschland. Dank des Berichts von Jacob Edelstein wissen wir genau, dass es 613 Personen waren und die HICEM für sie die Reisekosten übernahm.104 Wie aber Edelstein 102 „Das Jüdische Zentral-Hilfskomitee für Flüchtlinge schließt seine Tätigkeit ab“, in: B’nai B’rith, 1936, Nr. 3, S. 97. Ähnlich verfuhr z.B. auch das Jüdische Hilfskomitee in den Niederlanden, sieh: Bob Moore: „Jewish Refugees in the Netherlands 1933–1940. The Structure and Pattern of Immigration from Nazi Germany“, Leo Baeck InstituteYear-Book, Jg. 29, 1984, S. 73–101, insbesondere S. 84–85. 103 BEN-ESTHER: Menschlichkeiten – Unmenschlichkeiten. 104 YIVO, NY, HICEM – Prague Office, RG 245.10, folder 1, MKM 15.135: Prague Committee for German-Speaking Refugees, Grundlagen der Konferenz über die jüdische So-

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selbst hinzufügt, war die Zahl der deutschen Flüchtlinge, die über die Tschechoslowakei nach Palästina ausreisten, in Wirklichkeit höher. Einige nämlich reisten mit einem Touristenvisum ein und blieben im Land.105 Dennoch hatte sich das Palästina-Amt in Prag bereits 1933 und 1934 wiederholt bei der Jewish Agency beschwert, dass die Tschechoslowakei nur eine geringe Zahl an Zertifikaten erhalte, die für die Antragsteller aus der Karpato-Ukraine und die Flüchtlinge aus Deutschland, die über die Tschechoslowakei auswandern wollten, nicht ausreichten. Der Grund, warum die Tschechoslowakei weniger Zertifikate erhielt als andere Länder, war die allgemein herrschende Überzeugung, dass die Juden dort nicht so bedroht seien. Das Palästina-Amt stellte sich diesen Behauptungen entgegen und argumentierte umgekehrt, dass die Juden in der Karpato-Ukraine große materielle Not litten und den Flüchtlingen aus Deutschland die Aufenthaltsgenehmigung nicht verlängert werde, wenn ihre weitere Ausreise nicht binnen einer gewissen Frist geregelt sei.106 Bereits in seinem Bericht vom Dezember 1933 hatte Franz Kahn vom Palästina-Amt davor gewarnt, dass das Vertrauen, das die tschechoslowakischen Behörden dem Hilfskomitee bislang entgegengebracht hätten, beschädigt werden könnte, wenn die Tschechoslowakei nicht genügend Zertifikate für die Flüchtlinge aus Deutschland erhalte.107 Als die Zahl der jüdischen Flüchtlinge aus Deutschland infolge der Nürnberger Rassengesetze vom Herbst 1935 jedoch immer weiter anstieg, kam es in Zusammenhang mit den antisemitischen Unruhen in Palästina zu einer drastischen Beschränkung der Einreisemöglichkeiten. Die britische Regierung beschloss damals, die Zahl der Zertifikate, die von der Jewish Agency ausgegeben wurden, auf ein Drittel zu senken. Wenn 1935 die Zahl der jüdischen Immigranten nach Palästina mit mehr als 66 000 Personen ihren Höhepunkt erreichte, so waren es im Folgejahr, 1936, nur noch knapp 30 000 und 1937 etwas über 10 000.108 Zwischen Januar 1937 und April 1938 wanderten nur noch gut hundert weitere Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei nach Palästina aus.109 Das Palästina-Amt in Prag hatte 1937 also für die jungen Chalucim vergeblich um mehr Zertifikate gebeten, zialarbeit in London im Juni 1937, Jacob Edelstein, Die jüdische Emigration aus der ČSR nach Palästina, S. 4. 105 Ebda. Vgl. auch Fini BRADA: „Emigration to Palestine“, in: The Jews of Czechoslovakia. Bd. 2, S. 589–598, S. 592. 106 CZA, S6, Sign. 2530: Beschwerden des Prager Palästina-Büros bei der Jewish Agency, 24.5.1934, 6.6.1934 und 14.6.1934. 107 CZA, S6, Sign. 2530: Brief Franz Kahn, 5.12.1933. S. 21–42. 108 Aharon COHEN: Israel and the Arab World. New York 1970, S. 53; Yigal EYAL: „The Arab Revolt, 1936–1939. A turning point in the struggle over Palestine“, in: Mordechai BARON (Hg.): A Never-Ending Conflict. A Guide to Israeli Military History. Westport 2004, S. 21–42. 109 In einem Text von 1938 gibt Edelstein an, das Palästina-Büro habe zwischen April 1933 und April 1938 714 (von 3 762) deutschen Flüchtlingen eine Auswanderung nach Palä-

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deren Zahl sehr begrenzt war und die meist an Zionisten aus Deutschland oder Österreich vergeben wurden.110 Größere Aussichten auf eine Auswanderung nach Palästina hatten nur diejenigen, die ein „kapitalistisches“ Zertifikat der Kategorie A I beanspruchen konnten – das heißt Personen, die nachweislich über ein Vermögen von mehr als 1000 palästinensischen Pfund verfügten.111 Da die Zertifikate für Palästina zur Mangelware geworden waren, gab es auch zunehmend Konflikte um ihre Verteilung, für die in der Tschechoslowakei das Palästina-Amt in Prag zuständig war. Ein Zertifikat für Palästina oder ein Visum für Südamerika zu erhalten war an eine Schulung im landwirtschaftlichen oder handwerklichen Bereich gebunden. Die HICEM arbeitete hier mit der zionistischen Organisation Hechaluc zusammen, die die Chalucim in Umschulungskursen auf ihren Aufenthalt in Palästina vorbereiteten. Zu diesem Zweck bildeten die Interessenten kleine Gruppen, so genannte Plugot, die den Kurs gemeinsam absolvierten und nach der Arbeit ihre landeskundlichen und sprachlichen Kenntnisse vertieften. Ähnlich ausgerichtet war das einzige offizielle Wohnkollektiv des Jüdischen Hilfskomitees in Záběhlice bei Prag. Im Garten um das Gebäude konnten 10 Personen beschäftigt werden, weitere in den Gärten in der Umgebung. In diesem Kollektiv arbeiteten ein Schneider und ein Schuster, andere waren mit den hauswirtschaftlichen Angelegenheiten befasst. Hachschara-Kurse fanden in kleineren Gruppen außerdem vor allem auf den Gütern in den grenznahen Gebieten statt – in Trautenau, Leitmeritz (Litoměřice), Eger und Saaz. Nur 21 Personen absolvierten einen Vorbereitungskurs in der Slowakei.112 Ob allerdings das Sozialministerium die Hachschara-Kurse genehmigen würde, war lange unklar. Es sah sich unter großem Druck seitens der Landesbehörde in Prag und des Allgewerkschaftsverbands der in Land- und Forstwirtschaft beschäftigten Arbeiter der sozialistischen Partei der Tschechoslowakei, die diesem Vorhaben ablehnend gegenüberstanden und das Ministerium dazu drängen wollten, die Schulungen abzulehnen. Kritisch äußerte sich zum Beispiel am 28. April 1934 das Organ der tschechoslowakischen Agrarierpartei Venkov [Das Land] und überraschenderweise meldete auch das Außenministerium Zweifel an.113 stina vermittelt. Siehe Jakub EDELSTEIN: „Palestýnský úřad v Praze“, Židovský kalendář 1938/1939, S. 157–159, siehe S.159. 110 BRADA: „Emigration to Palestine“, S. 592. 111 Vgl. die Verzeichnisse der Inhaber von Zertifikaten der Kategorie A I aus den Jahren 1937–1938 in der CZA, S6, Sign. 3189. Zu den Kategorien der Palästina-Zertifikate vgl. Fritz KIEFFER: Judenverfolgung in Deutschland – eine innere Angelegenheit? Internationale Reaktionen auf die Flüchtlingsproblematik 1933–1939. Stuttgart 2002, S. 36–37. 112 CZA, S6, Sign. 2530: Bericht der Abteilung für deutsche Chaluzim beim Jüdischen Hilfskomitee, Prag, März 1934. 113 NA, MSP, Sign. E 4210, Ordner Mezinárodní pomoc uprchlíkům z Německa: Žádost židovského komitétu v Praze o umístění mladých Židů jako volontérů [Internationale Hilfe

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In seinem Antrag hob das Jüdische Hilfskomitee hervor, dass es sich lediglich um eine zehnmonatige Schulung handele, die Voraussetzung für ein PalästinaZertifikat sei. Die jungen Leute würden der hiesigen Bevölkerung außerdem keine Arbeitsplätze streitig machen, weil sie manuelle Arbeiten nicht beherrschten und die Einheimischen sie erst anlernen müssten. Das ganze Projekt würde aus Mitteln ausländischer jüdischer Organisationen finanziert, zudem sei sehr wahrscheinlich, dass diese Chalucim, da sie an tschechischen Maschinen angelernt würden, den Kauf tschechischer Produkt in Palästina propagierten. Die Schulung sei nicht nur für die deutschen Juden vorgesehen, die sich bereits in der Tschechoslowakei befänden, vielmehr sollten weitere junge Leute aus Deutschland zu einer Schulung in die Tschechoslowakei kommen.114 Die Landesbehörde in Prag lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass die Freiwilligen in jedem Falle vor allem „jungen Arbeitern“ (dem sog. Nachwuchs) Arbeitsmöglichkeiten nehmen würden.115 Das Außenministerium wiederum zweifelte an der Propagierung tschechischer Produkte in Palästina und verwies auf die angeblich „germanophile Ausrichtung der jüdischen Flüchtlinge aus Deutschland“. Als Beweis sollte ein Zitat aus der in Amsterdam von Klaus Mann herausgegebenen Revue Die Sammlung dienen.116 Dem Zitat nach zu schließen wollte die Revue zeigen, „was auch außerhalb der deutschen Grenzen für die Entwicklung der Kultur Deutschlands und Europas geleistet wird.“ Der betreffende Ministerialbeamte, der sich offenbar weder über die europäische Dimension des Textes im Klaren war noch begriffen hatte, dass dieser sich nicht auf wirtschaftliche Dinge bezog, wollte damit paradoxerweise belegen, dass jüdische Flüchtlinge aus Deutschland immer nur deutsche Produkte propagieren würden. Zitat und Argumentation hatte er zudem von einem Belgrader Parlamentsabgeordneten namens Majstrovič übernommen, der sich gegen die Einreise jüdischer Flüchtlingen aus Deutschland nach Jugoslawien stark machte.117 Das Sozialministerium entschied schließlich entgegen dem Druck der übrigen Institutionen, die Schulung der jungen Juden aus Deutschland zu genehmigen, freilich unter der Bedingung, dass an den Kursen nur jüdische Flüchtlinge teilnehmen, die sich bereits in der Tschechoslowakei befänden, nicht aber Neuanfür Flüchtlinge aus Deutschland: Anträge des Jüdischen Komitees in Prag auf Unterbringung junger jüdischer Voluntäre]. 114 NA, MSP, Sign. E 4210, Ordner Mezinárodní pomoc uprchlíkům z Německa [Internationale Hilfe für Flüchtlinge aus Deutschland]: Brief der Landesbehörde Prag, Aktennr. 3433, 17.4.1934. 115 Ebda. 116 Zur Revue Sammlung sieh: Hans-Albert WALTER: Deutsche Exilliteratur 1933–1950. Bd. 4: Exilpresse. Stuttgart 1978, S. 424–445. 117 NA, MSP, Sign. E 4210, Ordner Mezinárodní pomoc uprchlíkům z Německa [Internationale Hilfe für die Flüchtlinge aus Deutschland]: Brief des Außenministeriums, Aktennr. 52.521/V-3/34, 21.4.1934.

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kömmlinge. Interessant ist, dass die Begründung dieser Entscheidung auch mit antijüdischen Stereotypen arbeitet: Wenn wir bedenken, dass die Aktion zu Gunsten der deutschen Emigranten unter der Oberaufsicht der Vereinten Nationen steht, also internationalen Charakter hat, so kann die Angelegenheit der freiwilligen Praktika junger Juden aus Deutschland kaum allein aus innerstaatlicher Sicht beurteilt und auf Grund der ablehnenden Haltung der gewerkschaftlichen Organisationen offiziell grundsätzlich abgelehnt werden. Man muss sich fragen, ob eine solche Haltung, nimmt man den bekannten Einfluss des Judentums auf die Weltwirtschaft in Betracht, unserer Republik nicht mehr Schaden zufügen würde, als wir uns vorstellen können.“118

Die Genehmigung des Sozialministeriums ermöglichte eine Erweiterung der bereits bestehenden Plugot, in denen immer noch Juden aus den östlichen Landesteilen der Republik überwogen, um Flüchtlinge mit anderer als tschechoslowakischer Staatsbürgerschaft. Während in der ersten Hälfte der 1930er Jahre die Dauer der HachscharaKurse vom Palästina-Amt auf sechs bis zehn Monate festgelegt worden war – danach konnte der Adept die Ausstellung eines Zertifikats beantragen –, verlängerten sie sich nach 1936 infolge der begrenzten Einreisemöglichkeiten nach Palästina schließlich bis auf mehrere Jahre. Die Lebensbedingungen der Chalucim während dieser Vorbereitungskurse waren dabei sehr hart. Ob sie nun in der Landwirtschaft arbeiteten, eine handwerkliche Schulung oder einen Lehrgang in der industriellen Produktion absolvierten: ihr Tageslohn lag im Durchschnitt bei 7–9 Kronen.119 Bei manchen wurde der Arbeitsvertrag inzwischen gekündigt und auf ihr Zertifikat warteten sie unter ärmlichsten Bedingungen. Daher überrascht es nicht, wenn die Zahl der Interessenten in den Jahren 1936/37 radikal zurückging. Waren es 1936 noch 1500 Chalucim, so meldeten sich 1937 nur mehr 730.120 Die Begrenzung der Immigration nach Palästina hatte also auch direkte Auswirkungen auf die Situation der jüdischen Flüchtlinge in der Tschechoslowakei. Ab Mitte der 1930er Jahre bot sich eine Auswanderung für die meisten der in der Tschechoslowakei befindlichen jüdischen Flüchtlinge aus Deutschland nicht mehr als Lösungsweg. Die jüdischen Hilfsorganisationen konnten somit der zwar ungeschriebenen, aber dennoch klar artikulierten Bedingung, dass die Flüchtlinge nicht lange im Land bleiben sollten, nicht mehr gerecht werden. Auch das förderte die feindselige Haltung der Behörden gegenüber der jüdischen Immigration und verstärkte die xenophoben Ängste vor einem Massenzustrom jüdischer Flüchtlinge. 118 NA, MSP, Sign. E 4210, Aktennr. 23/4–34, Bericht vom 22.5.1934. 119 Referent Br. Expräsident KNÖPFMACHER: „Hechaluz“, in: B’nai B’rith, 1937, S. 386. 120 Ebda.

Das Ende des Exils in der Tschechoslowakei

Das Flüchtlingsreservat Als der deutsche Flüchtling Heinrich Nellstein im Juli 1937, nach zwei Jahren Exil in der Tschechoslowakei, um eine Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis ersuchte, erwartete ihn eine unangenehme Überraschung: man hatte ihn in den politischen Bezirk Iglau als wohnhaft verwiesen. Heinrich Nellstein war nicht der einzige. Aufenthaltsgenehmigungen mit einer ähnlichen Einschränkung wurden zur selben Zeit auch anderen Flüchtlingen ausgestellt. Die Hilfsorganisationen wurden schließlich dazu aufgerufen, selbst für die Umsiedlung ihrer Schützlinge in den Bereich der Böhmisch-Mährischen Höhe (Českomoravská vysočina) zu sorgen. Was war die Ursache für diese so entscheidende Veränderung in der tschechoslowakischen Flüchtlingspolitik? Ohne dass die tschechoslowakischen Behörden eine offizielle Ankündigung gemacht hätten, begannen sie, die Flüchtlinge aus Deutschland auf acht Bezirke der Böhmisch-Mährischen Höhe zu verteilen. Der Plan hierzu stammte aus dem Innenministerium und einige seiner Aspekte sind bis heute nicht geklärt. Während seine Umsetzung und die interne Diskussion darüber aus den erhaltenen Archivmaterialien durchaus deutlich werden, geht der ursprüngliche Anlass für diesen grundsätzlichen Richtungswechsel nicht eindeutig daraus hervor. Allem Anschein nach waren nicht alle an der Aktion beteiligten Behörden in die wahren Hintergründe eingeweiht worden. Die Entscheidung, die deutschen Flüchtlinge zusammenzuziehen, steht zunächst höchstwahrscheinlich in Zusammenhang mit den deutsch-tschechoslowakischen Geheimverhandlungen und dem Versuch der tschechoslowakischen Diplomatie, einen friedlichen modus vivendi mit dem erstarkenden Nachbarn zu finden. Heinrich Nellstein, geboren 1887 in Niederzwehren in Deutschland. In die Tschechoslowakei flüchtete er 1935 nach seiner Entlassung aus dem Konzentrationslager Lichtenburg; er wurde vom Jüdischen Hilfskomitee und von der Polizeidirektion in Prag registriert. Er ließ sich jedoch in Altstadt (Staré Město) bei Ungarisch Hradisch (Uherské Hradiště) nieder, wo er Freunde und Unterstützung fand. Nellstein war bereits fünfzig und in gesundheitlich labiler Verfassung, als er ins Iglauer Gebiet umsiedeln musste. Dort verschlechterte sich, seiner Aussage nach, sein Zustand auf Grund der mangelhaften Verpflegung und der schlechten Wohnverhältnisse so sehr, dass er beschloss nach Altstadt zurückzukehren, wo seine Freunde ihm helfen könnten. Als er sich auf dem Bezirksamt melden wollte, wurde er dort unter Androhung einer Haftstrafe aufgefordert, die Stadt binnen 24 Stunden zu verlassen. Gegen Nellsteins

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Zwangsumsiedlung protestierten auch die Arbeiterorganisationen von Altstadt. Nellstein – er befand sich inzwischen im Krankenhaus von Ungarisch Hradisch in stationärer Behandlung – schickte ein verzweifeltes Schreiben an die Präsidentenkanzlei, in dem er seine ausweglose Lage schilderte und um Hilfe bat.1 Schließlich konnte er illegal in die Schweiz flüchten.2 Über sein weiteres Schicksal ist nichts bekannt.3

Präsident Beneš und Außenminister Krofta verfolgten das Erstarken des nationalsozialistischen Deutschland und die zunehmende politische Isolierung Prags zweifellos mit Sorge. Bei inoffiziellen Verhandlungen mit deutschen Unterhändlern versprach Krofta (und später auch Beneš), dass die Tschechoslowakei im Falle einer Einigung künftig „keinerlei gegen Ihren Staat und Ihre Regierung gerichtete Betätigung der Emigranten“ mehr dulden werde.4 Die politische Propaganda der Flüchtlinge gegen das nationalsozialistische Regime veranlasste die deutsche Botschaft in Prag immer wieder zu Interventionen, zum Beispiel auch wegen der Ausstellungen „antifaschistischer“ Künstler in der Prager Galerie Mánes. Dass der Plan in Zusammenhang mit den deutsch-tschechoslowakischen Verhandlungen stand, erscheint auch deshalb plausibel, weil er sich nicht auf Flüchtlinge aus Österreich bezog (obwohl deren Tätigkeit ein Störfaktor in den tschechoslowakischösterreichischen Beziehungen war) und auch nicht auf andere nichtdeutsche Flüchtlingsgruppen. Auch wenn zu jener Zeit schon keine deutsch-tschechoslowakischen Versöhnungsgespräche mehr geführt wurden, spricht dennoch alles dafür, dass der Plan einer Konzentrierung der deutschen Flüchtlinge gerade durch sie veranlasst worden war. Die Zusammenziehung in den ländlichen Bezirken sollte den Flüchtlingen die Möglichkeit politischer Betätigung nehmen und sie von ihren Kontakten nach Deutschland abschneiden. Zur selben Zeit versuchten die tschechoslowakischen Behörden, ganz unabhängig von der geplanten Zusammenziehung, die politischen Aktivitäten der deutschen und österreichischen Flüchtlinge gegen das nationalsozialistische Regime in Deutschland einzudämmen und den Schmuggel von Zeitungen und Flugblättern über die Grenze zu unterbinden. Eine Umsiedlung in die armen ländlichen Gebiete sollte den Flüchtlingen außerdem ihre ausweglose 1 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/N/9/8, K. 1119–1. 2 Staatsarchiv St. Gallen, A 116/38.69: Protokoll des Verhörs bei der Kantonalpolizei, 14.3.1938. 3 NA, PŘ, 1931–1940, Sign. N 396/21, K. 9152. 4 Siehe z.B. KÁRNÍK: České země v éře První republiky, Bd. 2, S. 485; Siehe auch Robert KVAČEK: „Československo-německá jednání v roce 1936“. Historie a vojenství, 1965, S.  366–374; Gerhard L. WEINBERG: „Secret Hitler-Beneš Negotiations in 1936–37“, Journal of Central European Affairs, Bd. 19, 1960, S. 366–374; A. ŠNEJDÁREK: „Tajné rozhovory Beneše s Německem v letech 1936/37“, Československý časopis historický, Bd. 9, Nr. 1, 1961, S. 112–116. Vgl. auch den Vermerk von Beneš: Jindřich DEJMEK (Hg.): Československá zahraniční politika v roce 1936. Praha 2003, 2. Bd., S. 198–204.

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Lage in der Tschechoslowakei verdeutlichen und sie so zu einer möglichst raschen Emigration in ein Drittland bewegen. Außer dem Bemühen um eine friedliche Koexistenz mit Deutschland waren jedoch noch andere Faktoren für den Umsiedlungsplan ausschlaggebend. Die tschechoslowakische Armee hatte Bedenken wegen möglicher Spionage und machte von ihrem Recht Gebrauch, sich gegen den Aufenthalt von Ausländern in der Grenzzone auszusprechen. Auch in jenen Bezirken des Landes, in denen sich militärische Objekte befanden, protestierten die Offiziere vom Nachrichtendienst gegen eine Anwesenheit von Flüchtlingen. Paradoxerweise war der Umsiedlungsplan somit aus dem Bemühen hervorgegangen, einerseits die deutsch-tschechischen Beziehungen zu befrieden, sich andererseits aber auch auf einen eventuellen Konflikt mit Deutschland vorzubereiten. Doch auch die Einstellung gegenüber den jüdischen Flüchtlingen spielte hier eine entscheidende Rolle. Von den Behörden, die in irgendeiner Weise an der Ausarbeitung des Plans beteiligt waren, führte vor allem die Prager Polizeidirektion antijüdische Argumente ins Feld. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass sie nicht über die wahren Hintergründe des Vorhabens in Kenntnis gesetzt worden war. Daher argumentierte sie auch mit der angeblich zweifelhaften gewerblichen Tätigkeit der Flüchtlinge in der Hauptstadt und war bestrebt, die Flüchtlinge aus dem Prager Polizeirayon zu entfernen. Im Unterschied zu den verschiedenen Entwürfen einer Massenumsiedlung der Flüchtlinge, sei es nach Südfrankreich oder in eine der britischen oder französischen Kolonien, ging es hier nicht um eine dauerhafte Ansiedlung oder um eine landwirtschaftliche oder handwerkliche Schulung. Es ging also nicht, um es in der zeitgenössischen Terminologie zu sagen, um einen „konstruktiven“ Plan, sondern nur um eine staatlich verfügte Restriktion, die weitere Aktivitäten der Flüchtlinge auf tschechoslowakischem Staatsgebiet unterbinden sollte. Die Zusammenziehung sollte offenbar auch für bisher „privilegierte“ Gruppen gelten, einschließlich der deutschen Sozialdemokraten. Rechtlich gesehen konnte man sich bei der Zusammenziehung auf das Gesetz über den Aufenthalt von Ausländern aus dem Jahr 1935 berufen, das es möglich machte, eine Aufenthaltsgenehmigung nur für einen bestimmten Bereich des Staatsgebiets zu erteilen. Die Umsiedlung der Flüchtlinge in ausgewählte Gebiete sollte dem Rhythmus der durch dieses Gesetz festgelegten Aufenthaltsfristen folgen, d.h. sie sollte nicht auf einmal durchgeführt werden, sondern allmählich und unauffällig, indem die Aufenthaltsgenehmigung der Flüchtlinge nur für den Bereich der Böhmisch-Mährischen Höhe erneuert würde. Den bisher in Böhmen ansässigen Flüchtlingen, die (über Vermittlung der untergeordneten Behörden) eine Aufenthaltsgenehmigung bei der Landesbehörde in Prag beantragten, sollte ein Aufenthalt weiterhin nur mehr in den Bezirken Gumpolds (Humpolec), Kamenitz (Kamenice nad Lipou), Deutsch Brod (Německý Brod) und Pilgram (Pelhřimov) genehmigt werden. Flüchtlinge, die bisher in Mähren

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gelebt hatten und nun in Brünn bei der Landesbehörde um eine Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung nachsuchten, wurden in die Bezirke Iglau, Neustadtl in Mähren (Nové Město na Moravě), Trebitsch (Třebíč) und Groß-Meseritsch (Velké Meziříčí) verwiesen. Da eine Aufenthaltsgenehmigung nie länger als für ein Jahr erteilt wurde, konnten alle Flüchtlinge innerhalb dieser Frist umgesiedelt werden. Keine Aufenthaltsgenehmigung beantragen mussten Ausländer mit einer Aufenthaltsgenehmigung ohne Reisepass sowie Inhaber eines vorläufigen tschechoslowakischen Passes, der vor Inkrafttreten des Gesetzes über den Aufenthalt von Ausländern ausgestellt worden war. Während die vorläufigen Pässe für die Flüchtlinge vor allem der definitiven Ausreise dienten und daher im Rahmen des Umsiedlungsplans kein Problem darstellten, herrschte unter den Behörden Uneinigkeit, ob auch ein Aufenthalt ohne Reisepass bei der Verlängerung räumlich eingeschränkt werden könnte. Am Plan zur Zusammenziehung der Flüchtlinge arbeitete das Innenministerium seit Mai 1937 und auf der Grundlage vorläufiger Beratungen instruierte es am 2. Juli 1937 die Landesbehörden in Prag und Brünn, Flüchtlingen eine Aufenthaltsgenehmigung nur noch für bestimmte Bezirke zu verlängern. Die Landesbehörden sollten ebenso jede Gelegenheit dazu nutzen, bisher ausgestellte (und noch gültige) Papiere einzuziehen und zu begrenzen. Laut Gesetz über den Aufenthalt von Ausländern konnte eine Genehmigung nur dann entzogen werden, wenn eine Störung der öffentlichen Ordnung und Ruhe zu befürchten stand oder wenn die Sicherheit des Staats bzw. wichtiger staatlicher Interessen gefährdet waren. Das Innenministerium rechnete allerdings damit, dass die Landesbehörden – da sie eventuelle Beschwerden beim Obersten Verwaltungsgericht befürchteten – diesen Paragraphen allzu eng auslegen und daher kaum zur Anwendung bringen würden. Derartige Befürchtungen hielt das Innenministerium jedoch für gegenstandslos, denn, wie ein nur für den internen Dienstgebrauch bestimmtes Dokument belegt, sollten „Berufungen, die beim Innenministerium eingereicht würden, vorerst unbearbeitet bleiben, und die Parteien könnten, wenn sie Verlängerung beantragen, eventuell dazu veranlasst werden, die Berufung zurückzuziehen.“ Auch deshalb schien eine allmähliche Umsetzung des Plans zweckdienlich, denn eine sofortige Umsiedlung aller Flüchtlinge hätte – wie das Innenministerium vermutete – einen „Massenprotest“ zur Folge haben können, der die „Aktion, wenn auch nicht verhindert, so doch erschwert hätte.“5 Nach den offiziellen Statistiken lebten am 1. Juli 1937 in Böhmen 1444 deutsche Flüchtlinge, davon in Prag 466, in Mähren waren 165 registriert, davon 65 in Brünn. Die Zahlen der deutschen Flüchtlinge in der Slowakei (45) und der Karpato-Ukraine (3) waren nicht nennenswert, so dass die Behörden hier von einer Umsiedlung absahen. In den Grenzgebieten lebten etwa ein Viertel der deutschen 5 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/N/9/8, K. 1120: undatierter interner Vermerk des Präsidiums des Innenministeriums, offensichtlich von Ende Juni bzw. Anfang Juli 1937.

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Flüchtlinge. Als man mit der Umsiedlung begann, lagen der Landesbehörde in Prag etwa zweihundert Anträge auf Aufenthaltsgenehmigung vor. Diese gingen nun an die Behörden erster Instanz zurück, da die Flüchtlinge sich äußern sollten, ob sie mit einer Beschränkung der Genehmigung auf die genannten Gebiete einverstanden seien. Bis Mitte August 1937 hatte die Landesbehörde aber etwa nur ein Zehntel der Anträge zurückerhalten und nur etwa die Hälfte der Antragsteller erklärte sich mit einer Umsiedlung einverstanden. Ihnen wurde eine eingeschränkte Aufenthaltsgenehmigung erteilt, den anderen wurde sie für das gesamte Staatsgebiet verweigert.6 Die Zusammenziehung der deutschen Flüchtlinge konnte man nicht im Geheimen vornehmen, man konnte ebenso wenig – wie die Behörden ursprünglich gedacht hatten – durch eine allmähliche Durchführung verschleiern, dass ihr ein systematischer Plan zugrunde liegt. Kaum waren die ersten Flüchtlinge aus Brünn ausgewiesen (darunter auch der Schriftsteller Oskar Maria Graf ), informierte die tschechoslowakische Presse detailliert über dieses Vorgehen.7 Den Journalisten und Hilfsorganisationen war sehr bald klar, dass die Behörden nach zentralen Richtlinien handelten. In der Reaktion der Presse spiegelte sich die politische Spaltung in eine Linke und eine Rechte: während die kommunistische Rote Fahne die Flüchtlingsreservationen als „eine Art Konzentrationslager ohne Drähte beschrieb“,8 zeigte sich das Agrarierblatt Večer [Der Abend] in seinem Artikel mit der vielsagenden Überschrift Konec podezřelých rejdů v hlavním městě státu [Verdächtigen Umtrieben in der Landeshauptstadt ein Ende gesetzt] zufrieden.9 Überraschend zweideutig äußerte sich die Zeitung Národní osvobození [Nationale Befreiung]: der Plan sei vorwiegend von der Angst vor Spionage geleitet, was angeblich „jeder vernünftige Emigrant im Grunde anerkennen kann“. Das Blatt fordert im Weiteren, dass die Zusammenziehung sich nicht auf loyale und moralisch unbescholtene Flüchtlinge erstrecken sollte, für die „legitimierte Vertreter der Emigration“ bürgen würden.10 Die Drohung einer Zusammenziehung führte also – wie wir auch im weiteren sehen werden – zum Vorschlag, zwischen politischen Flüchtlingen und sonstigen Flüchtlingen (Wirtschaftsflüchtlingen) zu unterscheiden, wobei eine Zusammenziehung nur letztere betreffen sollte.

6 NA, ZÚ Praha, K. 1609: Gesetz vom 28. März 1935 Nr. 52 Gesetzessammlung über den Aufenthalt von Ausländern – Durchführungsanweisungen: Konzept eines Berichtes des Innenministeriums, 14.8.1937; siehe auch Protokoll der Beratung zwischen den Vertretern des Innenministeriums, der Landesbehörde Prag und der Polizeidirektion Prag vom 9.8.1937: ebda. NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/N/9/8, K. 1120. 7 Siehe z.B. „Emigranten-Ausweisung aus Brünn“, Prager Tagblatt, 23.6.1937. 8 Rote Fahne, 18.7.1937. 9 Večer, 24.7.1937. 10 Národní osvobození, 1.8.1937.

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Das Agrarierblatt Večer begrüßte das „Flüchtlingsreservat“, 24. Juli 1937

Die Behörden nahmen die Umsiedlung in Angriff, ohne die Hilfsorganisationen, die für die Flüchtlinge zuständig waren, über die Modalitäten der Aktion zu informieren. Diese mussten dann überrascht feststellen, dass ihren Schützlingen nur eine eingeschränkte Aufenthaltsgenehmigung erteilt worden war und dass sie sich dort, wo die Komitees für ihre Unterkunft und Verpflegung gesorgt hatten, nicht mehr aufhalten durften. Das Jüdische Hilfskomitee versuchte nach den ersten Nachrichten verzweifelt Erkundigungen beim Innenministerium einzuholen, doch offenbar war nichts Konkretes in Erfahrung zu bringen. Die Ministerialbeamten merkten jedoch, dass es von praktischem Nutzen wäre, das Komitee davon in Kenntnis zu setzen, welche Bezirke den Flüchtlingen weiterhin offenstünden, denn dann könnte es selbst ein geeignetes Objekt für deren Unterbringung suchen und die Umsiedlung übernehmen. Aus Prag würden auf diese Weise – wie sich die Behörden versprachen – 300 Flüchtlinge auf einen Schlag verschwinden.11 Gemäß der bisherigen Praxis waren sie bestrebt, dass die Kosten für die Umsiedlung der Flüchtlinge von den nichtstaatlichen Organisationen getragen würden. Am 26. August 1937 wurden die Vertreter des Sozialinstituts der jüdischen Kultusgemeinden Groß-Prags auf die Prager Polizeidirektion in Prag einbestellt und angewiesen, das Flüchtlingskollektiv in Prag-Záběhlice innerhalb von acht Wochen aufzulösen. Das Sozialinstitut war somit gezwungen, den Mietvertrag zu kündigen, und berief dann in Deutsch Brod eine Vertreterversammlung der jüdischen Kultusgemeinden aus jenen Bezirken ein, auf die sich der Aufenthalt der Flüchtlinge in Böhmen beschränken sollte. Das Sozialinstitut bat die Gemeindevertreter, ein Objekt ausfindig zu machen, das für die Unterbringung der Flüchtlinge geeignet sei. 11 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/N/9/8, K. 1120: undatierter interner Vermerk des Präsidiums des Innenministeriums, offensichtlich von Ende Juni bzw. Anfang Juli 1937.

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Das Ende des Exils in der Tschechoslowakei

Die kommunistische Zeitschrift Die Rote Fahne verurteilte den Plan einer „Zwangsansiedlung“, 18. Juli 1937

Anfang Oktober war es dem Sozialinstitut (laut Bericht für Polizeidirektion und Innenministerium) noch immer nicht gelungen, eine geeignete Ubikation für die Flüchtlinge zu finden.12 Nicht weniger überrascht waren die Vertreter des „Šalda“-Komitees. Die von ihm betreuten Flüchtlinge aus dem Wohnheim im Schloss von Kornhaus wurden bei ihrem Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung auf das Bezirksamt vorgeladen und dort genötigt, ein Protokoll zu unterschreiben, demzufolge ihre Aufenthaltsgenehmigung nur noch für die vier in Böhmen vorgesehenen Bezirke gelten würde. Das Komitee war zu jener Zeit für 83 mittellose Flüchtlinge zuständig – 29 Männer, 22 Frauen und 32 Kinder. Deren Zusammenleben mit der örtlichen Bevölkerung verlief angeblich problemlos, die Flüchtlingskinder besuchten die örtliche Schule und verfügten bereits über ausreichende Tschechischkenntnisse.13 Für die Hilfsorganisationen war die Zusammenziehung der Flüchtlinge auf der Böhmisch-Mährischen Höhe ein Horrorszenarium, das sie um jeden Preis zu verhindern suchten. Eine Umsiedlung der Flüchtlinge hätte das bisherige System der Flüchtlingsfürsorge völlig vernichtet, von der Registrierung bis hin zur Mittel12 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/N/9/8, K. 1119: Brief des Sozialinstituts an die Poliziedirektion Prag, 11.10.1937. 13 Ebda.: Memorandum des „Šalda“-Komitees gegen eine Zusammenziehung, 18.8.1937.

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beschaffung. Daher bombardierten die Komitees die Behörden mit Memoranden, in denen sie die Situation darlegten und Alternativlösungen vorschlugen, in einer Sprache, auf die – wie sie meinten – die Behörden hören sollten. Das Memorandum des Comité Tchécoslovaque pour les réfugiés provenant d’Allemagne – vermutlich von Marie Schmolka verfasst, die es auch überbrachte – betont daher, wie sehr die Hilfsorganisationen zur „Lösung des Problems der deutschen Emigration bei uns“ und daher auch zur Gewährleistung der staatlichen Sicherheit beigetragen hätten. Mit einer Zusammenziehung würden die Hilfsorganisationen die Kontrollmöglichkeiten verlieren. Bisher hätten sie sich mit den Flüchtlingen in ständigem Kontakt befunden und konnten sich bei „anerkannten und bewährten Emigranten“ über Neuankömmlinge informieren, so dass es gelungen sei, „eine Reihe unerwünschter Elemente herauszufiltern“; eine Zusammenziehung aber würde eine effektive Kontrolle vereiteln und die Zahl der illegalen und verdächtigen Existenzen mehren“. Ebenso führte das Memorandum genauestens aus, inwiefern eine Umsiedlung die bisherige Flüchtlingsfürsorge und ihre Finanzierung beeinträchtigen und zu einer „sozialen Katastrophe“ führen würde. Schon jetzt sei die Beschaffung finanzieller Mittel von tschechoslowakischen Geldgebern äußerst schwierig, und diese würden ganz entfallen, wenn das „Elend der Flüchtlinge aus dem Blickfeld“ schwände. Damit ginge dann auch, wie das Memorandum drohte, die Unterstützung der ausländischen Organisationen verloren (gemeint war hier zweifellos vor allem die JOINT), die ihre Hilfe proportional nach erbrachter Eigenleistung bemessen und auch das nur dann, wenn die Tschechoslowakei „Asylrecht“ gewähre. Schmolka verwies auch darauf, dass mit einer Zusammenziehung die Organisation einer weiteren Emigration unmöglich würde. Eine Auswanderung würde schon dadurch erschwert, dass die entsprechenden Behörden und Vertretungen schwerer zu erreichen wären, dass weniger Möglichkeiten einer beruflichen Schulung bestünden und kostenlose Sprachkurse, wie für die Flüchtlinge in Prag, gar nicht geboten seien. Mit einer Umsiedlung der Flüchtlinge würde auch die indirekte Unterstützung wegfallen, die das Comité Nationale auf drei Millionen jährlich schätzt. Dabei handelte es sich um verschiedene Sammlungen und vor allem um die Patronate der kommunistischen Hilfsorganisation Solidarität, die die Flüchtlinge in die Obhut kommunistischer Organisationen oder Familien in der ganzen Republik vermittelte. Im Sommer 1937 betreute die Solidarität 550 Flüchtlinge. Zudem waren die Flüchtlinge an ihrem Wohnort verschiedenste Verpflichtungen eingegangen (zum Beispiel einen Mietvertrag), aus denen sie sich nicht so einfach lösen konnten, und ihre Kinder besuchten die örtlichen Schulen. Statt einer Zusammenziehung schlug das Comité National dem Innenministerium daher eine Verschärfung der Kontrollen vor sowie die Schaffung einer gemischten Kommission nach französischem Vorbild, die die Angaben der neu eingetroffenen Flüchtlinge überprüfen sollte. Diese Kommission sollte sich aus

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Behördenvertretern, Vertretern der Hilfsorganisationen und vertrauenswürdigen Flüchtlingen zusammensetzen. Erst nachdem ein Flüchtling von einer Hilfsorganisation aufgenommen und von der gemischten Kommission überprüft worden wäre, würde sein Fall den tschechoslowakischen Behörden zur Beurteilung vorgelegt. Schmolka arbeitete dazu einen detaillierten Fragebogen aus, der von den Flüchtlingen, den Hilfskomitees und der gemischte Komission auszufüllen wäre.14 Bald danach drängte das Comité National beim Innenministerium erneut auf eine Verhandlung, denn auf einer Versammlung wurde anhand der Berichte der einzelnen Hilfskomitees „zum Schrecken der Anwesenden festgestellt, dass die Polizeibehörden mit der Evakuierung faktisch bereits begonnen haben“.15 Die tschechoslowakischen Behörden reagierten auf das Gesprächsangebot jedoch nicht und zeigten sich auch an einer Zusammenarbeit mit den Hilfskomitees nicht interessiert, denn sie erachteten sie nicht als gleichwertige Partner, die man an der Gestaltung der Flüchtlingspolitik beteiligen könnte. Aus Sicht des Innenministeriums oder auch der Polizeidirektion bestand die Aufgabe der Hilfskomitees darin, sich an das von den Sicherheitsorganen festgesetzte Vorgehen zu halten, die Registrierung und Kontrolle der Flüchtlinge zu erleichtern und für deren materielle Bedürfnisse zu sorgen. Paradoxerweise hätte die ursprünglich vorgesehene Zusammenziehung vor allem Flüchtlinge betroffen, die bei einem der Hilfskomitees registriert waren und daher auch unter einer gewissen Kontrolle standen, keineswegs aber die nichtregistrierten Flüchtlinge, deren Zahl das Comité National zu dieser Zeit auf über zweitausend schätzte. Die Vorschläge der Flüchtlingshilfsorganisationen zielten gerade auf das Gegenteil: überprüfte Flüchtlinge, die sich in ihrer Betreuung befanden, sollten von den restriktiven Maßnahmen verschont bleiben, eine eventuelle Zusammenziehung sollte nur diejenigen betreffen, die sich illegal im Land aufhielten oder als gefährlich einzustufen seien. Übereinstimmung, wer in die Kategorie der unerwünschten Elemente gehörte, herrschte allerdings nicht. Einige kommunistische Organisationen waren ganz offensichtlich bestrebt, die „antifaschistischen“, links orientierten politischen Flüchtlinge von anderen zu trennen, vor allem von den 14 Ebda. Angesichts der geplanten Zusammenziehung plädierte Kurt Grossmann auf der Sitzung des Comité National dafür, den Behörden die Bildung gemischter Kommissionen vorzuschlagen: siehe YIVO, NY, HICEM – Prague Office, RG 245.10, folder 1, MKM 15.135: Prague Committee for German-Speaking Refugees, Sitzungsprotokoll des Comité National, 14.7.1937. 15 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/N/9/8, K. 1119: Brief des Comité National an das Innenministerium, 31.8.1937. Siehe auch YIVO, NY, HICEM – Prague Office, RG 245.10, folder 1, MKM 15.135: Prague Committee for German-Speaking Refugees, Sitzungsprotokoll des Comité National, 25.8.1937. Schmolka hatte offenbar bei der Unterredung mit Ministerialrat Novák den Eindruck gewonnen, dass das Ministerium mit dem Comité National über das weitere Vorgehen verhandeln wolle. Umso größer war die Enttäuschung der Hilfskomitees, als die Verlagerung der Flüchtlinge trotz dieses (angeblichen) Versprechens weiterging.

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jüdischen Flüchtlingen. Das geht zum Beispiel aus einem Vorschlag der kommunistischen Hilfsorganisation Solidarität hervor, deren Leitung (nach einem Empfang im Innenministerium) schriftlich um eine deutliche Begrenzung des Plans ersuchte. Obwohl es, wie ihnen erklärt wurde, ausgeschlossen sei, dass das Verteidigungsministerium sich gegenüber einem Aufenthalt von Flüchtlingen im Grenzgebiet anders als ablehnend verhielte, erwartete die Solidarität, dass das Innenministerium von einer Evakuierung der Flüchtlinge aus anderen Teilen der Republik absehe. Stattdessen plädierte sie für die Einrichtung eines 20 km breiten Grenzgürtels, in dem keine Flüchtlinge ansässig sein dürften. Sonst aber sollte ihnen das Staatsgebiet – mit Ausnahme einiger militärisch wichtiger Gebiete – offenstehen. Diese Erleichterungen gegenüber dem ursprünglichen Plan sollten nach den Vorstellungen der Solidarität jedoch nur für die „kontrollierte politische Emigration aus Deutschland gelten“, nicht aber für Strassers Schwarze Front oder „einige Elemente der Wirtschaftsemigration, d.h. des jüdischen Spekulantentums, aus dem sich die einschlägig bekannten Kokainschmuggler etc. rekrutierten.“16 Auch diese Lösung wäre zwar, so die Solidarität, eine erhebliche Erschwernis für die Flüchtlingshilfe, denn etwa die Hälfte ihrer Schützlinge sei über Patronate bei (sudeten)deutschen „Antifaschisten“ im Grenzgebiet untergebracht. Als Ersatz müsste – wohl irgendwo in der Nähe von Iglau – ein Emigrantenheim errichtet werden, für das sie beim Staat eine monatliche Unterstützung von 250 Kronen pro Kopf beantragen müsse.17 Beim Innenministerium, dem Regierungsvorsitzenden und bei der Präsidentenkanzlei gingen Hunderte von Protestschriften und Petitionen gegen die Zusammenziehung ein – meist aus linksgerichteten und vor allem kommunistischen Kreisen. In den standardisierten Protesten der örtlichen Büros der Solidarität beschwerten sich die Unterzeichneten, dass die Zusammenziehung in eine „Reservation“ ein „Aushungern der Flüchtlinge“ zur Folge hätte, denn in den vorgesehenen Bezirken herrschten sehr schlechte Verpflegungs- und Unterkunftsbedingungen. Mit Blick darauf, dass die antikommunistische russische und neuerdings auch die antirepublikanische spanische Emigration aus Staatsmitteln finanziert würde, forderten die Kommunisten, den Zusammenziehungsplan aufzugeben und die „antifaschistischen“ deutschen Flüchtlinge staatlich zu unterstützen.18 Proteste gegen die Zusammenziehung kamen auch aus dem Ausland. Das Pariser Bureau international pour le respect du droit d’asile et l’aide aux refugiés politiques (Internationales Amt für Respektierung des Asylrechts und Hilfe für politische Flüchtlinge), verschickte ein Memorandum an bedeutende Persönlichkeiten, in welchem es über diesen Plan informiert und dazu aufruft, bei den tschechoslowakischen Behörden Protest einzulegen. Der britische Abgeordnete Josiah 16 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/N/9/8, K. 1119: Analyse der Leitung der Solidarita [Solidarität], Mitteilung an das Außenministerium, 11.8.1937. 17 Ebda. 18 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/N/9/8, K. 1120.

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Protestschreiben gegen die Zusammenziehung der Flüchtlinge

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C. Wedgwood, der auch die britische Appeasement-Politik kritisierte und sich gegen eine Begrenzung der jüdischen Immigration in Palästina aussprach, forderte vom tschechoslowakischen Botschafter in London eine Erklärung. Und auch das International Comitee of Political Prisoners in New York protestierte: „Wir können uns des Gefühls nicht erwehren, dass sich die Tschechoslowakei mit dem neuen Vorgehen von ihrem traditionellen Bekenntnis zu demokratischen Praktiken in einer grundsätzlichen und keineswegs notwendigen Weise abkehrt.“19 Gegen eine Zusammenziehung wandten sich aber nicht nur die Flüchtlingskomitees und politischen Organisationen. Aus ganz anderen Gründen wurde sie auch vom Stadtrat in Deutsch Brod abgelehnt. Dieser wies auf die chronische Wohnungsnot und die geplante Errichtung eines Militärstützpunkts hin, durch den die Stadt an strategischer Bedeutung gewönne und sich somit auch nicht mehr für eine konzentrierte Ansiedlung deutscher Flüchtlinge eigne. Diese würde außerdem zu einer Verteuerung der Lebensmittel führen und daher könne sich die Stadt Deutsch Brod mit dem Plan nicht einverstanden erklären.20 Die Zusammenziehung der Flüchtlinge in den armen Bezirken hielt auch die Jednota obchodních gremií v Čechách [Verband der Handelsgremien in Böhmen] für gefährlich. Ohne dass die Vertreter des Handels das Wort Jude auch nur einmal erwähnen, ist eindeutig, gegen wen sich ihr Protest richtete: „Der Geschäftstrieb dieser Art von Emigranten zeigt sich in vielerlei, meist verbotenem Handel mit Waren, von deren Qualität wir uns überzeugen konnten, und viele Einwohner der Gegend haben in dieser Hinsicht traurige Erfahrungen gemacht.“ Gerade für das arme Gebiet der Böhmisch-Mährischen Höhe, das wirtschaftlicher Hilfe bedürfe, wären diese Flüchtlinge nur „unwillkommene Schmarotzer“ und eine akute Bedrohung für Handel und Gewerbe vor Ort. Dem eventuellen Einwand, dass auch das „tschechoslowakische“ Volk eine Emigration hatte, die auf die „Gnade des Auslands“ angewiesen war, wird die angebliche Verschiedenheit der Emigrantengruppen entgegengehalten. Im Unterschied zu den jetzigen Flüchtlingen aus Deutschland seien aus den böhmischen Ländern immer nur die besten Köpfe weggegangen und im Ausland (z. B. in Preußen) „musste sich unser tschechischer Emigrant sein Stück Brot mit schwieligen Händen selbst verschaffen“.21 19 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/N/9/8, K. 1119: Mitteilung des Außenministeriums vom 10.12.1937. Das Außenministerium unterrichtete zugleich auch die Botschaft in Washington, „dass der Plan, die jüdischen Flüchtlinge aus Deutschland auf der Böhmisch-Mährischen Höhe zusammenzuziehen, aufgegeben wurde. Wir weisen jedoch darauf hin, dass das Innenministerium andere Maßnahmen vorbereitet, die im Interesse der Sache vorerst noch geheim bleiben müssen.“ 20 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/N/9/8, K. 1119: Beschwerde des Gemeindeamtes in Deutsch Brod (Německý Brod) gegen die Zusammenziehung, 3.9.1937. 21 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/N/9/8, K. 1118: Jednota obchodních gremií (Verband der Handelsgremien) an das Handelsministerium gegen eine Zusammenziehung von Emigranten, 11.11.1937, weitergeschickt an das Innenministerium, 18.12.1937.

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Auch das Außenministerium urteilte infolge der Auslandsproteste und der Intervention des Comité National im Dezember, dass eine Zusammenziehung der Flüchtlinge und ihre Ausweisung aus den großen Städten der Tschechoslowakei im Ausland erhebliche Probleme bereiten würde, und zwar vor allem in Großbritannien, dessen Diplomat Sir Neill Malcolm das Amt des Hochkomissars für Flüchtlinge aus Deutschland bekleidete, aber auch in Frankreich, wo sich für die Situation der Flüchtlinge vor allem der Abgeordnete Salomon Grumbach interessierte, der zugleich Stellvertretender Vorsitzender des parlamentarischen Auslandsausschusses und Delegationsmitglied bei den Vereinten Nationen war. Das Außenministerium wirkte daher auf das Innenministerium ein, sich in der Aufenthaltsfrage benevolenter zu zeigen und den Aufenthalt der Flüchtlinge, die von einem der Hilfskomitees betreut würden, nicht auf den Bereich der BöhmischMährischen Höhe zu begrenzen. Das würde auf die „genannten Funktionsträger“ einen guten Eindruck machen und wäre ein wirksames Mittel gegen die vorgebrachten Beschuldigungen.22 Im September 1937 sah sich Marie Schmolka dann in der wenig beneidenswerten Lage, vor der Versammlung des Beratenden Ausschusses des Hochkommissars in Genf die tschechoslowakischen Maßnahmen gegen die deutschen Flüchtlinge zu erläutern. Schon im Voraus war klar, dass einige der hier vertretenen Organisationen – das Bureau international pour le respect du droit d’asile et l’aide aux refugiés politiques sowie die Zentralvereinigung der deutschen Emigration in Paris – den Zusammenziehungsplan kritisieren würden. Schmolka konsultierte ihre öffentliche Stellungnahme im Vorfeld mit dem Außenministerium, das ihr riet, die Zusammenziehung damit zu begründen, dass „das Verhalten einiger Emigranten zu Konflikten mit den Nachbarn hätte führen können. Da es nicht möglich war, die Schuldigen genau zu ermitteln, habe man zunächst zu einer allumfassenden Maßnahme gegriffen.“ Die Regierung prüfe nun, wie man Einzelnen entgegenkommen und ihnen einen weiteren Aufenthalt an ihrem bisherigen Wohnort genehmigen könne. Schmolka verteidigte die neuen Maßnahmen somit als Gegenwehr: unter den Emigranten hätten sich zweifelhafte Elemente eingeschlichen, die zu Konflikten mit den Nachbarstaaten führten; dabei verwies sie auf die bekannten Fälle Ochmann, Formis und Hirsch. Die Zusammenziehung sei nur eine Zwischenphase, bis man zu einem neuen Status der Flüchtlinge in der Tschechoslowakei gefunden habe, wobei die Verhandlungen darüber durch die Krankheit und den Tod von Präsident T.G. Masaryk unterbrochen worden seien. Schmolka schloss mit einem Aufruf gegen die internationalen Proteste und den Druck auf die Tschechoslowakei: „Wir begrüßen die internationale Solidarität, aber diese hat nur dann einen Sinn, wenn sie in Übereinstimmung mit den 22 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/N/9/8, K. 1119: Mitteilung des Außenministeriums, 10.12.1937.

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Interessen der betreffenden Länder ist.“23 Schmolka war sich vermutlich bewusst, dass ihre Darlegungen zumindest irreführend waren, doch hielt sie – in einer Zeit erhöhter Bedrohung – die Solidarität mit dem eigenen Land offenbar für wichtiger. Vielleicht aber hatte sie auch tatsächlich die Hoffnung, dass sich auf der Grundlage ihrer Vorschläge mit den tschechoslowakischen Behörden ein neues Verfahren zur Anerkennung „echter“ Flüchtlinge aushandeln ließe, bei dem auch die Hilfskomitees Mitspracherecht hätten. Ab Oktober 1937 jedoch gaben die Behörden ihren Zusammenziehungsplan „vorläufig“ auf und setzten die Hilfskomitees davon in Kenntnis, dass nur diejenigen Flüchtlinge in die dafür vorgesehenen Bezirke geschickt würden, für die keines der Hilfskomitees bürge oder bei denen es andere gewichtige Gründe dafür gebe.24 Bei Flüchtlingen mit einer Aufenthaltsgenehmigung für nur einen der acht Bezirke tolerierten die Behörden jedoch in der Regel auch weiterhin einen Aufenthalt andernorts. Dass der Plan nicht weiter verfolgt wurde, lag nicht nur an den praktischen Schwierigkeiten, die eine solche Verlagerung mit sich gebracht hätte, oder an den zahlreichen Protesten, sondern auch daran, dass das ursprünglich damit verfolgte Ziel einer Verständigung mit Deutschland gescheitert war. Dennoch hielten die tschechoslowakischen Sicherheitsorgane eine Umsiedlung der Flüchtlinge ins Landesinnere weiterhin für wichtig. Denn die Vorurteile gegenüber den jüdischen Flüchtlingen bestanden ungemindert fort und ebenso das Bestreben, die politischen Aktivitäten der Flüchtlinge einzudämmen und sie zu einer Ausreise aus der Tschechoslowakei zu veranlassen. Obwohl die Zusammenziehung vom Innenministerium vorläufig eingestellt worden war, ging die Ausweisung von Flüchtlingen mancherorts weiter. Dabei fiel der Armee eine Schlüsselrolle zu. Wegen angeblichen Bedarfs an Soldatenquartieren und Unterbringungsmöglichkeiten für militärisches Gerät war das „Šalda“Komitee Ende 1937 gezwungen, das Schloss in Kornhaus bei Schlan, das es beim Landwirtschaftsministerium angemietet hatte, zu verlassen. Im Dezember hatte die Staatliche Forstverwaltung das Komitee überraschend davon in Kenntnis gesetzt, dass das Schloss innerhalb von drei Wochen zu räumen sei. Das Komitee konnte dieses Verdikt nicht rückgängig machen, obwohl es selbst Präsident Beneš um Hilfe anrief. Die Prager YWCA bot eine vorübergehende Unterbringung der Flüchtlinge in ihrem sonst nur im Sommer genutzten Lager in Alt-Prerau an der 23 AMZV, Sign. II-3, K. 925: Protokoll des Außenministeriums, 17.9.1937, und Text der von Marie Schmolka am 22.9.1937 vorgetragenen Rede. Zwei Monate später erstattete das Außenministerium Schmolka die Fahrtkosten nach Amsterdam, damit sie dort an der Versammlung des Beratenden Ausschusses teilnehmen könne; ihr Auftreten im Rahmen eines internationalen Forums könne, so hieß es in der Begründung, der Tschechoslowakischen Republik nützlich sein. Ebda., Vermerk vom 4.12.1937. Siehe auch: YIVO, NY, HICEM – Prague Office, RG 245.10, folder 1, MKM 15.135: Prague Committee for German-Speaking Refugees, Sitzungsprotokoll des Comité National, 17.9.1937. 24 „Emigranten-Umsiedlung nur ausnahmsweise“, Prager Tagblatt, 24.10.1937.

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Elbe (Přerov nad Labem) an, das die Flüchtlinge noch vor Weihnachten 1937 bezogen. Später fand sich eine aufgelassene Fabrik in Sweprawitz bei Prag (heute Teil von Horní Počernice), die von den Flüchtlingen nach einigen baulichen Maßnahmen im Mai 1938 bezogen werden konnte. Die geräumigen Hallen der Sweprawitzer Fabrik ermöglichten nicht nur die Unterbringung der Flüchtlinge aus Kornhaus, sondern boten nach der Münchner Konferenz Hunderten weiterer Flüchtlinge aus den besetzten Gebieten Platz.25 Für die Behörden lag Sweprawitz diesmal wiederum zu nahe an Prag. Das Bezirksamt Prag-Land informierte im September 1938 über eventuell der Spionage verdächtige Flüchtlinge, die von der Prager Polizei nach Svépravice geschickt worden seien, und verwies dabei auf die Nähe Prags und insbesondere des Militärflughafens in Kbely.26 Unmittelbar nach der Okkupation im März 1939 flüchteten die Flüchtlinge aus Sweprawitz, da sie mit einer Inhaftierung rechnen mussten.27 Die Armee wies auch Anfang November 1937 zehn kommunistische und sozialdemokratische deutsche Flüchtlinge aus dem politischen Bezirk Rakonitz (Rakovník) aus. Nach Ansicht des militärischen Nachrichtendienstes war ihre Anwesenheit in einem Gebiet, in dem Befestigungsarbeiten vorgenommen wurden, gefährlich. Die Flüchtlinge konnten jedoch in ein anderes – militärisch weniger exponiertes – Gebiet der Tschechoslowakei ziehen.28 Die Umsiedlung von Flüchtlingen aus Prag aufs Land ging auch nach 1938 weiter, wenn auch in anderer Form. Im April 1938 begann die kommunistische Vereinigung zur Unterstützung deutscher Emigranten einen Teil der von ihr betreuten Flüchtlinge aufs Land und in kleinere Städte zu schicken, die meist in dem für die Zusammenziehung vorgesehenen Gebiet oder in dessen Nähe lagen. Es handelte sich um kommunistische Flüchtlinge, die aus politischen Gründen ausgewiesen worden waren, doch war auf Anweisung des Innenministeriums ihre „Abschiebung“ über die Grenze nie erfolgt. Die Prager Polizeidirektion, auf deren Veranlassung sie Prag vermutlich verlassen mussten, betonte, dass sie an ihrem neuen Wohnort unter strenger Kontrolle zu halten seien und sich einmal wöchentlich auf den Ämtern melden müssten. Die Schwierigkeiten bei der Unterbringung dieser Flüchtlinge illustriert unter anderem der Fall Anton Geigers, der 25 Ein detailliertes Dokument zu Kornhaus befindet sich in: NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/N/9/8, K. 1118–5. Siehe auch: DEA, Nachlass Willy Sternfeld, Sign. EB 75/177: Helena Matoušková, Beilage zu ihrem Brief an Wilhelm Sternfeld aus New York, 20.7.1944, S. 4. 26 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/N/9/8, K. 1122: Bericht des Bezirksamtes in Prag für PragLand, 16.9.1938. 27 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/N/9/8, K. 1122: Rundschreiben des Präsidiums der Landesbehörde Prag, 22.5.1939 (Suche nach geflüchteten Emigranten). 28 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/N/9/8, K. 1120: Bericht des Bezirksamtes in Rakonitz an die Landesbehörde Prag, 10.11.1937. Die Flüchtlinge wurden auch aus anderen Bezirken ausgewiesen, z.B. aus Schlan und Kladno: ebda., K. 1118: Bericht der staatlichen Polizeibehörde in Kladno, 22.3.1938; ebda., K. 1120: Bericht der Landesbehörde, 23.3.1938.

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zunächst nach Daudleb an der Adler (Doudleby nad Orlicí) geschickt worden war, das freilich nicht in dem 1937 für die Zusammenziehung vorgesehenen Gebiet lag. Zunächst legte der Bezirkshauptmann Beschwerde ein, der einen Aufenthalt Geigers im Grenzgebiet aus Sicherheitsgründen für nicht wünschenswert hielt. Daraufhin wurde dieser von der Solidarität, die ihn betreute, in das Kollektiv in Prag-Straschnitz zurückgeschickt, „da die Vereinigung nicht genügend Mittel für den Unterhalt dieses Emigranten in Doudleby n./O. hat“.29 Die Behörden hatten den Plan einer Zusammenziehung der deutschen Flüchtlinge im Übrigen keineswegs völlig aufgegeben, wie immer wieder in der geschichtswissenschaftlichen Literatur behauptet. Im Herbst 1937 begannen die geheimen Planungen für eine Verlegung der Flüchtlinge in das Internierungslager von Swatoboritz (Svatobořice) bei Gaya (Kyjov), das dafür entsprechend umgebaut und ausgestattet werden sollte. Die Räumlichkeiten in Swatoboritz blickten damals bereits auf eine längere Geschichte zurück: sie waren während des Ersten Weltkriegs errichtet worden – für Flüchtlinge aus Galizien. In der Ersten Republik dienten sie als Durchgangslager für Slowaken, die nach Übersee emigrierten, dann hielt ein Brünner Hospital Einzug. Seit 1935 wurde das Objekt nur in geringem Maß genutzt und ein Großteil seiner Ausstattung war verkauft.30 Die Berichte über eine Eignung als Flüchtlingslager waren allerdings nicht nur ermutigend. Eine erste technische Untersuchung der fünf Gebäude in Swatoboritz ergab, dass dort nach einer Renovierung bis zu 490 Personen untergebracht werden könnten, wobei die Kosten der Instandsetzung auf 30 000 Kč veranschlagt wurden. Hinzu kamen weitere 200–300 Kč pro Person für die Innenausstattung.31 Eine zweite Schätzung lag noch höher: in Swatoboritz ließe sich für etwa 40 000 Kč ein Lager für ca. 100 Personen einrichten, ein Lager für 400 Personen verlange Investitionen in Höhe von 188 000 Kč. Außerdem müsse das Lager umzäunt werden, was weitere Kosten verursache.32 Über die Renovierung der Gebäude entschied das Ministerium für öffentliche Arbeiten (Ministerstvo veřejných prací) bereits Ende 1937. An die Landesbehörde in Brünn erging der Erlass, das Lager für die Unterbringung von Flüchtlingen einzurichten. Die Renovierungsarbeiten verzögerten sich jedoch und wurden erst am 8. August 1938 abgeschlossen.33 Ursprünglich war es für 400–500 Flüchtlinge aus Österreich vorgesehen, und zwar vor allem als Durchgangslager für eine wei29 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/N/9/8, K. 1120: Bericht der Polizeidirektion Prag, 11.4.1938; Bericht des Bezirkshauptmanns in Reichenau an der Knieschna (Rychnov nad Kněžnou), 13.4.1938; Berichte der Landesbehörde Prag vom 15.4.1938 und 9.6.1938. 30 Jan KUX: Internační tábor Svatobořice. Svatobořice – Mistřín 1995. 31 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/N/9/8, K. 1116: Bericht des Präsidiums der Landesbehörde Brünn, 9.10.1937. 32 Ebda.: Bericht des Präsidiums der Landesbehörde Brünn, 4.12.1937. 33 Ebda.

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tere Ausreise. Obwohl das Lager vom Staat eingerichtet worden war, sollten die nichtstaatlichen Hilfsorganisationen für den Unterhalt der Flüchtlinge aufkommen.34 Nach dem Münchner Abkommen und der Abtretung der Grenzgebiete an Deutschland entstand in Swatoboritz eines der vielen über die böhmischen Länder verstreuten Flüchtlingslager, wobei man hier gerade deutsche Flüchtlinge zusammenzog, die vor dem Münchner Abkommen in den Grenzgebieten gelebt hatten.35 Während der Okkupation waren in Swatoboritz die Angehörigen führender Vertreter des tschechoslowakischen Widerstands im Ausland interniert, so auch die Verwandten von Präsident Beneš. Und um den Kreis zu schließen: nach 1945 diente Swatoboritz als Internierungslager für die deutschen Einwohner, die bald danach aus der Tschechoslowakei zwangsausgesiedelt wurden. Das in Swatoboritz geplante Lager jedenfalls zeigt, dass die staatliche Flüchtlingspolitik allmählich auf eine zumindest teilweise Internierung der Flüchtlinge zusteuerte. Das Streben nach größerer Kontrolle und zugleich die Untergrabung der bisherigen Sozialhilfe führten zwangsläufig zu einer Zusammenziehung in Flüchtlingslagern. Diese entstanden im damaligen Europa in der Regel dann, wenn die Zahl der Flüchtlinge sehr groß war und von den Hilfskomitees nicht mehr bewältigt werden konnte, oder auch im Falle erhöhter Bedrohung, wenn die Flüchtlinge als potentielle Feinde oder Bürger eines feindlichen Staats interniert wurden.36 So war das spätere größte Konzentrationslager im niederländischen Westerbork ursprünglich ein Lager für deutsche Flüchtlinge, deren Zahl nach der „Reichskristallnacht“ stieg. In Frankreich verfügte die Regierung Daladier nach Ausbruch der Zweiten Weltkriegs die Internierung aller Männer zwischen 17 und 50 Jahren, die aus „Groß-Deutschland“ (einschließlich des Protektorats Böhmen und Mähren) stammten.37 Auch in Großbritannien wurden die deutschen Flüchtlinge ab 1940 als Bürger eines feindlichen Staats masseninterniert.38 Die Zusammenziehung musste zugleich zu einer Revision des bisherigen Prinzips führen, demzufolge die Flüchtlingsfürsorge als private Angelegenheit galt und nicht aus staatlichen Mitteln finanziert wurde. Die Aktion hätte nämlich die private Fürsorge, durch die die Staatsfinanzen bisher verschont blieben, vernichtet oder aber erheblich beeinträchtigt und den tschechoslowakischen Staat genötigt, für Unterbringung und Verpflegung der Flüchtlinge mehr Mittel freizustellen. 34 „Großes Flüchtlingslager in Mähren“, Prager Tagblatt, 8.8.1938. 35 Siehe z.B. SOkA Olomouc, Bezirksamt Litovel (Littau), K. 678: Erlass der Landesbehörde Brünn, 6.3.1939; Bericht an die Landesbehörde Brünn, 13.3.1939. 36 Auch das tschechoslowakische Innenministerium gab am 4. Juli 1938 die streng geheime Anweisung, dass unter strikter Geheimhaltung Lager vorzubereiten wären, in denen Angehörige anderer Staaten und unzuverlässige tschechoslowakische Staatsbürger im Falle eines kriegerischen Konflikts interniert werden könnten. Siehe MZA, ZÚ Brno, Präsidium, Sign. 12669, K. 283. 37 CARON: Uneasy Asylum, S. 242–246. 38 LONDON: Whitehall and the Jews, S. 170–172.

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Das belegen nicht nur die Beträge, die in den Umbau des Lagers Swatoboritz investiert wurden, sondern auch die sich mehrenden Anträge der Hilfskomitees auf staatliche Subventionen. Im Januar 1938 stellte das Comité National beim Ministerium einen verzweifelten Antrag auf finanzielle Unterstützung, in dem es lapidar konstatiert: Die Situation hat sich in jeder Hinsicht zugespitzt. Die Polizeibehörden untersuchen jeden einzelnen Fall, um festzustellen, ob der Emigrant nicht gegen das Arbeitsverbot verstößt oder bettelt. Zur Sorge um das tägliche Brot gesellt sich somit noch eine psychotische Angst um das Recht auf Asyl.39

Da sich die Lage der Flüchtlinge so sehr verschlechtert habe, blieben die ausländischen Finanzmittel aus, denn die Geldgeber förderten nur eine „konstruktive“ Fürsorge, und auch die Sammlungen vor Ort gestalteten sich immer schwieriger. „Nach fünfjähriger unermüdlicher Tätigkeit müssen wir bekennen, dass wir am Ende unserer Kräfte sind“, konstatieren die Hilfsorganisationen und bitten das Innenministerium um finanzielle Unterstützung.40 Doch trotz verschiedentlicher Signale seitens des Innenministeriums hat die Zentrale Arbeitsgemeinschaft deutscher Flüchtlingshilfskomitees (früher Comité National) keine staatliche Unterstützung erhalten.41 Dem „Šalda“-Komitee wurde vom Innenministerium zwar Finanzhilfe in Höhe von 10 000 Kč für die Umsiedlung seiner Flüchtlinge nach Alt-Prerau an der Elbe gewährt, doch dieser Betrag reichte bei weitem nicht, um die damit verbundenen Kosten zu decken.42 Im Mai 1938, nachdem die Flüchtlinge nach Sweprawitz verlegt worden waren, beantragte das Komitee Subventionen in Höhe von 50 000 Kč und verwies dabei nicht nur auf die hohe Miete, sondern auch darauf, dass es aus Entgegenkommen gegenüber den Behörden zusätzlich vierzig Flüchtlinge aus Prag in das neue Kollektiv übernommen habe. Die Ministerialbeamten ließen diesen Antrag offensichtlich unbeantwortet.43 Zu einem grundsätzlichen Wandel in der Flüchtlingsfürsorge und zu ihrer Verstaatlichung kam es erst im Zuge des Münchner Abkommens. Erst die große Zahl von Flüchtlingen tschechoslowakischer Nationalität aus den Grenzgebieten nämlich veranlasste die Behörden zu einer Revision ihres bisherigen Vorgehens und zur Schaffung eines staatlichen Instituts für Flüchtlingsfürsorge (Ústav pro péči o uprchlíky).

39 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/N/9/8, K. 1116: Antrag des Comité National…, 19.1.1938. 40 Ebda. 41 YIVO, NY, HICEM – Prague Office, RG 245.10, folder 1, MKM 15.135: Prague Committee for German-Speaking Refugees, Sitzungsprotokoll des Comité National, 6.1.1938. 42 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/N/9/8, K. 1118–5. 43 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/N/9/8, K. 1117: Antrag des „Šalda“-Komitees, 24.5.1938.

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Zur Jahreswende 1937/38 zeichnete sich bereits deutlich ab, dass die sich international verschlechternde politische Position der Tschechoslowakei auch negative Auswirkungen auf die Situation der Flüchtlinge hatte. Daher taten sich vor allem die politischen Flüchtlinge nach einer Zuflucht um, die sicherer wäre. Siegfried Taub ersuchte zusammen mit Wenzel Jaksch und Hans Vogel von der DSAP die Vertreter der sozialdemokratischen Exilpartei darum, die Herausgabe des Neuen Vorwärts einzustellen; sonst müssten ihn die tschechoslowakischen Behörden verbieten, und zwar nicht nur auf Druck Deutschlands, sondern angeblich auch Großbritanniens.44 Die SoPaDe gab dem Drängen nach und beendete die Herausgabe der Zeitschrift zum Jahresende. Ungefähr zur gleichen Zeit stellte die Arbeiter-Zeitung der politischen Flüchtlinge aus Österreich ihr Erscheinen ein. Anfang 1938, also noch vor dem „Anschluss“ Österreichs, forderte Siegfried Taub den Vorstand der SoPaDe offen dazu auf, die Tschechoslowakei zu verlassen.45 Auch die übrigen politischen Exil-Gruppierungen sahen in der Tschechoslowakei kein sicheres Land mehr und wurden sich bewusst, dass die tschechoslowakischen Behörden bestrebt waren, ihre politischen Aktivitäten gegen Deutschland zu unterbinden. Auch wenn der Zusammenziehungsplan nicht realisiert wurde, markiert er doch einen wichtigen Wendepunkt in der tschechoslowakischen Flüchtlingspolitik. Aus Sicht der bisherigen historiographischen Literatur scheiterte er am Widerstand der Öffentlichkeit, der Hilfsorganisationen und an den Auslandsprotesten.46 Das muss revidiert werden. Zu einer Verwirklichung kam es vor allem auch deswegen nicht, weil inzwischen der unmittelbare Anlass fehlte: Es gab keine streng geheimen deutsch-tschechoslowakischen Verhandlungen mehr. Für ein richtiges Verständnis der Verschiebung in der tschechoslowakischen Flüchtlingspolitik ist aber ebenso wichtig, dass das Innenministerium eine Umsetzung des Plans dennoch nie definitiv aufgegeben hat, sondern eine Zusammenziehung der Flüchtlinge in Flüchtlingslagern plante, z.B. in Swatoboritz. Charakteristisch für die tschechoslowakische Flüchtlingspolitik war, dass der Plan nie offiziell bekannt gegeben und seine Durchführung nie offiziell beendet wurde. Während das Innenministerium seine Entscheidungsfreiheiten früher in „wohlwollender“ Weise nutzte, gewinnen mit dem Zusammenziehungsplan die restriktiven Maßnahmen in der Flüchtlingspolitik Oberhand.

44 SEEBACHER-BRANDT: Biedermann und Patriot Erich Ollenhauer, S. 219. SeebacherBrandt zitiert das Verhandlungsprotokoll vom 3.12.1937, das sich zur Zeit ihrer Dissertation im Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED in Berlin befand. 45 SEEBACHER-BRANDT: Biedermann und Patriot Erich Ollenhauer, S. 226. 46 Siehe z.B. HYRŠLOVÁ: „Die ČSR als Asylland“, S. 35–37.

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„Das Judentum verliert den Boden unter den Füßen“ Am 29. Dezember 1937 erhielten die Präsidien der Landesbehörden in Uzhgorod und Pressburg (Bratislava) vom Innenministerium die dringende telefonische Anweisung: Rumänische Staatsangehörige, die Emigranten sind oder bei denen der begründete Verdacht besteht, dass sie Emigranten sind, sollen nicht auf unser Staatsgebiet gelassen werden, auch dann nicht, wenn ihre Reisedokumente gültig sind.47

Was war der Grund dieser ungewöhnlichen Maßnahme gegen die Bürger eines verbündeten Staats, eines Schlüsselstaats der Kleinen Entente (auch wenn Rumänien sich von der Kleinen Entente schon langsam löste)? Hohe Beamte des Innenministeriums hatten damit umgehend auf eine sehr unklare Nachricht reagiert, der zufolge bei der Liga für Menschenrechte in Brünn verschiedentlich angefragt worden war, ob eine Emigration in die Tschechoslowakei aus Rumänien möglich sei. Ebenjener Bereich der tschechoslowakischen Flüchtlingspolitik, der sich nicht unmittelbar auf deutsche oder österreichische Flüchtlinge bezieht und von der tschechoslowakischen bzw. tschechischen Historiographie bisher nicht berücksichtigt wurde,48 verdeutlicht die Veränderungen im Umgang der Behörden mit den Flüchtlingen aus den Nachbarstaaten, vor allem wenn sie jüdischer Herkunft waren. In Rumänien erreichte die politische Krise zur Jahreswende 1937/38 ihren Höhepunkt. König Carol II. hatte eine Regierung unter der Führung Octavian Gogas ernannt, eines Vertreters der ultrarechten, faschistoiden und antisemitischen National-christlichen Partei, die bei den Wahlen allerdings nur 9,8% der Stimmen erhalten hatte.49 Die National-christliche Partei war 1935 – unterstützt vom nationalsozialistischen Deutschland – aus einem Zusammenschluss von Go47 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/R/20, K. 1200: Protokoll PMV, 30.12.1937. 48 Jindřich Dejmek geht in seinem Buch über den tschechoslowakischen Außenminister Kamil Krofta ausführlich auf das Verhältnis der tschechoslowakischen Diplomatie zur Regierung Goga ein, lässt aber das Problem der rumänischen Flüchtlinge völlig unerwähnt. Die tschechoslowakische Außenpolitik war vor allem auf den Fortbestand der Kleinen Entente bedacht, das Thema der jüdischen Flüchtlinge war nur von geringem Belang. Doch scheint sich die tschechoslowakische Diplomatie darum bemüht zu haben, die Folgen der Kritik an den antijüdischen Maßnahmen der rumänischen Regierung abzufangen und einer internationalen Isolierung ihres Entente-Partners entgegenzusteuern. Siehe Jindřich DEJMEK: Historik v čele diplomacie: Kamil Krofta. Studie z dějin československé zahraniční politiky v letech 1936–1938. Praha 1998, S. 191–195. Das Thema der Flüchtlinge aus Rumänien oder auch Österreich erscheint auch in den abgedruckten Dokumenten nicht: Jindřich DEJMEK (Hg.): Československá zahraniční politika v roce 1938. Bd. I (1. Januar – 30. Juni 1938). Praha 2000. 49 Siehe z.B. Kurt W. TREPTOW (Hg.): Dějiny Rumunska. Praha 2000, S. 275–295.

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gas Nationaler Bauernpartei und der 1923 von Professor A. C. Cuza gegründeten Liga der national-christlichen Verteidigung hervorgegangen. Die Liga orientierte sich an den diktatorischen Systemen in Italien und Deutschland und war streng antisemitisch. Die Regierung Goga amtierte etwa sechs Wochen (vom 28. Dezember 1937 bis zum 10. Februar 1938) und war nicht mehr als eine Art Übergangsphase bis zur Abschaffung des demokratischen Systems und der Errichtung der königlichen Diktatur. Im Laufe dieser kurzen Zeit erließ sie jedoch eine Reihe antijüdischer Verordnungen, verbot die jüdische Presse und schränkte die beruflichen Möglichkeiten der Juden in etlichen Bereichen ein. Vor allem aber trat im Januar 1938 das Gesetz über die Revision der Staatsangehörigkeit rumänischer Juden in Kraft. Es war nicht das erste Mal, dass der rumänische Antisemitismus und die Frage der Gleichstellung rumänischer Juden die europäische Öffentlichkeit und die europäischen Regierungen beschäftigten. Bereits die Anerkennung der rumänischen Unabhängigkeit auf dem Berliner Kongress 1878 war an die Bedingung gebunden worden, dass den auf rumänischem Staatsgebiet lebenden Juden die rumänische Staatsbürgerschaft erteilt würde. Rumänien aber hat diese Auflage in Wirklichkeit nie erfüllt und seinen jüdischen Einwohnern die Staatsbürgerschaft nur in einzelnen Fällen erteilt.50 Nach dem Ersten Weltkrieg hatten die Großmächte in ihrem Vertrag mit dem nun wesentlich größer gewordenen Rumänien Klauseln zum Minderheitenschutz eingebracht, speziell eine Klausel zum Schutz der jüdischen Minderheit (ähnliche Punkte enthielt z.B. auch der Vertrag mit Polen), dennoch hat ein Großteil der jüdischen Einwohner – und vor allem in den neu hinzugewonnenen Gebieten – die rumänische Staatsbürgerschaft de facto nie erhalten, und viele von ihnen wurden auf diese Weise zu „Staatenlosen“, zu Personen ohne Staatsangehörigkeit. Nach der Volkszählung von 1930 lebten damals in Rumänien 756 930 Juden, die 4,2% der Bevölkerung ausmachten. In der Provinz CrişanaMaramureş, die im Norden an die Karpato-Ukraine und also an die Tschechoslowakei grenzte, lebten offiziellen Angaben zufolge 87 287 Juden, von denen zwei Drittel Jiddisch als Muttersprache nannten. Ein Großteil davon waren orthodoxe oder chassidische Juden.51 Die Angst des Innenministeriums vor einem Massenzustrom rumänischer Flüchtlinge wurde überwiegend auch von der tschechischen Presse geteilt. „Židovstvo ztrácí základy“, „Das Judentum verliert den Boden unter den Füßen“ titelte zum Beispiel die Zeitung Večerní České slovo [Tschechisches Wort am Abend] am 3. Januar 1938. Nach NS-Deutschland würden nun auch andere Staaten mit 50 Siehe z.B. William O. OLDSON: A Providential Anti-Semitism. Nationalism and Polity in Nineteenth Century Romania. Philadelphia 1991, S. 13–97. 51 Einen kurzen Überblick über die Geschichte der Juden in Rumänien in den Zwischenkriegsjahren gibt Ezra MENDELSOHN: The Jews of East Central Europe Between the World Wars. Bloomington 1983, S. 171–211, die oben zitierte Statistik, siehe S. 178–179.

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der Verfolgung ihrer jüdischen Bevölkerung beginnen und Wellen jüdischer Flüchtlinge auslösen, stellt das Blatt fest und zitiert aus der Neujahrsansprache des rumänischen Ministerpräsidenten, der bei dieser Gelegenheit die Absicht bekannt gab, die Staatsbürgerschaft der rumänischen Juden zu revidieren. Die Nachbarstaaten Rumäniens träfen entsprechende Maßnahmen, um einem Zustrom von Flüchtlingen entgegenzuwirken.52 Während der Artikel im Večerní České slovo ein gewisses Mitgefühl mit den Verfolgten zeigte, entwarf eine andere Zeitung, der Polední list [Mittagsblatt], das Gespenst eines „Zustrom von Juden aus Rumänien“. In Uzhgorod seien die ersten zwei Transporte mit rumänischen Juden, hauptsächlich Frauen und Kindern, bereits angekommen. Die Tschechoslowakei müsse sich darauf vorbereiten, dass sie „die erste Durchgangsstation der jüdischen Emigration aus Rumänien“ würde. Dem fügt das rechtslastige Blatt hinzu: „Besonders erfreulich ist das nicht und wird es auch nie werden“.53 Auch der Venkov [Das Land], das Organ der Agrarierpartei, bezog zwei Tage später eine eindeutige Position: „Grenzen schließen“ [Uzavřít hranice] forderte die Überschrift eines Artikels, der nach dem Schutz des heimischen Arbeitsmarkts rief und vor einem Zustrom ausländischer Juden aus den Nachbarstaaten warnte.54 Der rechtsgerichtete Groš [Groschen] behauptete beispielsweise Anfang Februar, das entgegen aller amtlichen Versicherungen bezüglich einer Einreise- und Beschäftigungsbegrenzung für rumänische Flüchtlinge in einer Textilfabrik in Trenčín drei rumänische Emigranten eingestellt worden seien.55 Das Innenministerium, das den Fall auf Verlangen der Agrarierpartei überprüfen ließ, stellte fest, dass die betreffenden rumänischen Staatsbürger in Wirklichkeit als Handelsvertreter des Unternehmens in Rumänien beschäftigt waren.56Auch tauchten in der Presse völlig haltlose Berichte über eine Überführung rumänischer Juden nach Polen auf.57 Die Angst vor einem Zustrom rumänischer Juden meldete sich nicht nur in den Zeitungen zu Wort, sondern auch im Protest verschiedener Interessengruppen. Bedenken hatten zum Beispiel die Vertreter des Bezirksverbands der gewerblichen Genossenschaften und Gremien für Olmütz-Stadt [Okresní jednota živnostenských společenstev a gremií za Olomouc město], die auf die Berichte über die Zuwanderung rumänischer Juden mit einer Protestschrift reagierten. Man sei gegen jede Verfolgung auf Grund religiöser Überzeugung, halte es aber für notwendig, „sich gegen die Zuwanderung einer Minderheit zu wehren, mit 52 „Židovstvo ztrácí své základy“[Das Judentum verliert den Boden unter den Füßen], Večerní České slovo, 3.1.1938. 53 „Příliv židů z Rumunska“ [Der Zufluss der Juden aus Rumänien], Polední list, 3. 1. 1938. 54 „Uzavřít hranice“[Grenzen schließen], Venkov, 5.1.1938. 55 „Rumunští emigranti u nás již pracují“ [Rumänische Emigranten arbeiten schon bei uns], Groš, 5.2.1938. 56 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/R/20, K. 1200: Brief des Sekretärs der Agrarierpartei, 5.2.1938; Bericht des Bezirksamtes in Trenčín, 9.3.1938. 57 MZA, ZÚ Brno, Präsidium, Sign. 1828 (80–83), K. 275: Telefonogramm, 2.2.1938.

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der man die Erfahrung gemacht hat, dass sie, hat sie einmal Asyl erhalten, dieses missbraucht, indem sie auf Kosten des Staatsvolkes das wirtschaftliche Leben durchsetzt.“ Die Olmützer Gewebetreibenden argumentieren hier – nach den üblichen antisemitischen Denkmustern – mit einem angeblich gerechtfertigten „wirtschaftlichen Selbstschutz“. Die jüdischen Zuwanderer betrieben ein illegales Gewerbe, wenn sie den Unternehmern Geld liehen und „dann uns, das Gastvolk, wirtschaftlich völlig aussaugen“. Ähnliche Erfahrungen hätte man bereits mit den Flüchtlingen aus Deutschland gemacht und befürchte daher, dass „eine weitere Zuwanderung Unruhe im Land stiften könnte“. Der Verband fordere, dass „dieser Emigration, die kein Gefühl der Liebe an die Tschechoslowakische Republik bindet, die Einreise auf unser Gebiet gar nicht erst erlaubt werde.“58 Selbst der Verband der Tschechen-Juden [Svaz Čechů-židů] teilte die ablehnende Haltung gegenüber den jüdisch-rumänischen Flüchtlingen. Sein Vertreter, Josef Bondy, äußerte, dass „eine Immigration rumänischer Juden nicht im Interesse unseres Staats ist, man könnte sagen, eher im Gegenteil, und das ist für uns das Entscheidende.“59 Eine ähnliche Position bezogen die Vertreter der tschechischjüdischen Bewegung zur selben Zeit hinsichtlich der jüdischen Flüchtlinge aus NS-Deutschland. Sie befürchteten einen wachsenden Antisemitismus und den Vorwurf mangelnder Loyalität gegenüber der tschechischen Nation. Die tschechoslowakischen Behörden hatten zunächst keinen völligen Überblick über die sich rasch verändernde Situation in Rumänien und an der tschechoslowakisch-rumänischen Grenze. Dennoch konnten sie sich über die Vertretungen und die tschechoslowakischen Behörden in der Karpato-Ukraine ein gewisses Bild verschaffen. Die Gendarmerie in Slatinské Doly meldete zum Beispiel am 5. Januar 1938, dass im rumänischen Grenzgebiet – und zwar vor allem unter der jüdischen Bevölkerung – große Unruhe herrsche. Im maramureşischen Sighet seien Fahnen in den Nationalfarben gehisst worden mit schwarzem Hakenkreuz auf gelbem Grund. Die führenden Funktionen in den staatlichen Ämtern und Behörden seien inzwischen bzw. würden demnächst mit Anhängern der GogaRegierung besetzt. Die tschechoslowakischen Gendarmen berichteten auch vom eiligem Erlass antijüdischer Verordnungen: den jüdischen Journalisten wurden die Freifahrscheine für die Bahn genommen, Kioske und Apotheken von Juden waren konfisziert, Konzessionen zur Führung einer Gastwirtschaft entzogen. Auch wollte man ihre Gewerbelizenzen überprüfen. Die Juden sollten angeblich in ver58 MZA, ZÚ Brno, Präsidium, Sign. 1828 (80–83), K. 275: Beschwerde des Bezirksverbands der gewerblichen Vereinigungen und Gremien für Olmütz Stadt [Okresní jednota živnostenských společenstev a gremií Olomouc město] an die Landesbehörde Brünn, 14.1.1938. 59 Dr. Josef BONDY: „Několik poznámek k židovským problémům“ [Einige Bemerkungen zu den jüdischen Problemen], Rozvoj, 1938/7, S. 2. Zur xenophoben Haltung der führender Mitglieder der organisierten tschechojüdischen Bewegung sieh: Kateřina ČAPKOVÁ: Češi, Němci, Židé? Národní identita Židů v Čechách 1918–1938. Praha – Litomyšl 2005, S. 168–174.

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schiedene Klassen eingeteilt werden und nur die, die im Ersten Weltkrieg in der rumänischen Armee gekämpft hätten, sollten als gleichberechtigte rumänische Bürger gelten. Man erwarte noch weitere Maßnahmen gegen die Juden: „Diese interessieren sich, insbesondere aber im Grenzgebiet, dafür, ob sie sich im Notfall bei uns ansiedeln könnten.“ Bisher sei aber, so fügte die Gendarmeriestation hinzu, noch kein einziger Fall eines Grenzübertritts bekannt.60 Zwei Wochen später meldeten die Gendarmen aus Slatinské Doly weitere Einzelheiten bezüglich der antijüdischen Verordnungen. Doch auch in diesen zwei Wochen registrierte die Gendarmeriestation keinen einzigen „politischen“ Flüchtling aus Rumänien.61 Anfang Februar 1938 informierte die Landesbehörde in Uzhgorod über eine Verordnung der rumänischen Regierung, die die Revision der Staatsbürgerschaft rumänischer Juden betraf. Der Bezirkshauptmann in Ťačov sei von rumänischer Seite informiert worden, dass die rumänischen Behörden nach Abschluss der Revision alle staatenlosen Juden ausweisen werde: „Das wird auf kurzem Weg [d.h. als sofortige Abschiebung ohne reguläres Ausweisungsverfahren] geschehen und zwangsweise.“ Der Vizegouverneur der Karpato-Ukraine versicherte jedoch, dass er die nötigen Vorkehrungen getroffen habe, damit „diesen nicht legal ausgewiesenen Personen der Zutritt auf das hiesige Staatsgebiet nach Möglichkeit verwehrt bleibt.“62 Die tschechoslowakischen Behörden befürchteten außerdem, dass Rumänien den in die Tschechoslowakei Geflüchteten die Staatsbürgerschaft aberkennen könnte, wodurch eine weitere Ausreise oder eine Ausweisung aus der Tschechoslowakei praktisch unmöglich wäre. Mitte März 1938 erfuhren die tschechoslowakischen Behörden dann, dass die Inhaber von rumänischen Reisepässen angeblich nur dann in ihre Heimat zurückkehren könnten, wenn ihr Pass mit dem Vermerk „bon pour se rendre á Roumanie“ [Gilt für eine Rückkehr nach Rumänien] versehen sei.63 Das Innenministerium, das für die Kontrolle der Grenzen und die Sicherheitsbehörden im Inland zuständig war, versuchte freilich, die schwierige Aufgabe, die Tschechoslowakei vor einer „Überflutung“ mit rumänischen Flüchtlingen zu schützen, auf die Vertretungen in Rumänien zu verlagern. Auf seine Veranlassung hin nahm das Außenministerium über die Botschaft in Bukarest Verhandlungen über eine vorläufige Visumpflicht für rumänische Bürger auf. Nach einer Intervention einigte sich der tschechoslowakische Botschafter Ferdinand Veverka mit dem rumänischen Außenminister Istrate Micescu auf eine 60 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/R/20, K. 1200: Bericht des Präsidiums der Polizeidirektion Uzhgorod, 10.1.1938. 61 Ebda.: Bericht des Präsidiums der Polizeidirektion Uzhgorod, 21.1. 938. 62 Ebda.: Bericht des Präsidiums der Landesbehörde Uzhgorod, 5.2.1938. 63 MZA, ZÚ Brno, Präsidium, Sign. 4055 (41), K. 277: Durchführung der Passkontrolle bei rumänischen Staatsanghörigen an der tschechisch-österreichischen Grenze, 16.3.1938, Telefongespräch, PMV, Dr. Spálenka.

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sofortige Einführung einer gegenseitigen Visumpflicht. Auch der tschechoslowakische Außenminister Kamil Krofta unterstützte diese Maßnahme, verlangte aber, dass der rumänischen Seite deutlich gemacht werde, dass „diese neue Praxis durch die Situation auf ihrer Seite hervorgerufen ist und wir darum ersuchen müssen, dass der Einreise tschechoslowakischer Bürger auch jetzt keine Hindernisse entgegengesetzt werden…“64 Der Austausch der diplomatischen Noten zur Einführung der Visumpflicht erfolgte bereits am 5. Januar 1938, zwei Tage später traten die Vereinbarungen in Kraft.65 Durch die Einführung der Visumpflicht fiel die Entscheidung darüber, welcher rumänische Bürger weiterhin in die Tschechoslowakei einreisen durfte oder wer als potentieller Flüchtling einzustufen sei, an die tschechoslowakischen Vertretungen in Rumänien. Dem Konsulat in Klausenburg (Cluj) lagen in kürzester Zeit 70 Pässe zur Entscheidung vor, von denen, wie die Beamten sogleich bemerkten, 64 „rumänischen Staatsangehörigen jüdischer Konfession“ gehörten, die, wie aus den Dokumenten hervorging, Geschäftsleute waren und „sehr oft zu geschäftlichen Zwecken in die Tschechoslowakei reisten“. Der Konsul merkte an, das er „in den heutigen Zeiten“ nicht beurteilen könne, ob die Betreffenden nur geschäftlich in die Tschechoslowakei reisten oder ob sie sich dort niederlassen wollten, denn es handele sich durchweg um kleinere Händler, die dem Konsulat nicht bekannt seien: „Da die Grenzgebiete mit ihrem großen Anteil an rumänischer Bevölkerung jüdischer Konfession in den Zuständigkeitsbereich des Konsulats gehören, bittet das Konsulat um […] Anweisung, in welchen Fällen es ein Visum erteilen kann.“66 Das Außenministerium wies das Konsulat an, konsequent jenen Personen kein Visum auszustellen, bei denen auch nur im Geringsten befürchtet werden muss, dass sie sich in der Tschechoslowakei niederlassen könnten, und deutete an, dass diese Gefahr gerade bei jüdischen Antragstellern bestehe. Diesen Kleinhändlern, die vor allem im anliegenden Grenzgebiet tätig seien, eine Einreise zu verwehren, könne die tschechoslowakische Wirtschaft in keiner erkennbaren Weise schädigen. Auf Grund verwandtschaftlicher Beziehungen ins tschechoslowakische Grenzgebiet liege aber insbesondere bei dieser Gruppe der Versuch einer Emigration in die Tschechoslowakei nahe.67 Das Innenministerium formulierte den Zweck der Visumpflicht auf einem internen Vermerk ganz eindeutig: Die tschechoslowakischen Vertretungen in Rumänien „werden durch die Verweigerung von

64 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/R/20, K. 1200: Vermerk PMV, vermutlich vom 4.1.1938. 65 Ebda.: Telefonogramm mit einer Mitteilung des Außenministeriums, 5.1.1938. 66 Ebda.: Bericht des tschechoslowakischen Konsulats in Klausenburg (Cluj) für das Außenministerium, 8.1.1938. 67 Ebda.: Abschrift der Antwort des Außenministeriums an das tschechoslowakische Konsulat in Klausenburg (Cluj), 15.1.1938.

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Visa die unerwünschte Immigration rumänischer Juden auf tschechoslowakisches Territorium verhindern“.68 Die ablehnende Haltung der tschechischen Bevölkerung und die harsche Reaktion der tschechoslowakischen Behörden waren keinesfalls angemessen. Die uns zugänglichen Quellen verzeichnen eine nur sehr geringe Zahl rumänischer Flüchtlinge, die nach dem Regierungsantritt Gogas geflüchtet und auf tschechoslowakischem Boden verhaftet worden waren. Auch darf nicht außer Acht bleiben, dass es an der tschechoslowakisch-rumänischen Grenze auch vor dem Antritt der antisemitischen Regierung zweifellos immer wieder zu illegalen Grenzübertritten und kleineren Konflikten gekommen war. Insgesamt scheint die Zahl derer, die Rumänien tatsächlich auf Grund der dort betriebenen Verfolgung von Juden und Kommunisten verlassen haben, nicht sehr hoch zu sein. Die von den tschechoslowakischen Behörden dokumentierten Fälle lassen weniger auf eine große Flüchtlingswelle schließen als auf eine Migration Einzelner. Deren Zahl dürfte den bisherigen illegalen Grenzverkehr zwischen Rumänien und der Tschechoslowakei nicht allzu sehr überstiegen haben. So wurde zum Beispiel am 11. Januar 1938 auf dem Bahnhof in Kaschau (Košice) der zweiundvierzigjährige rumänische „Israelit“ Karol Klier festgenommen, der im galizischen Horodenka geboren war. Beim Verhör gab er an, dass er mit den Eltern in Czernowitz gelebt und dann zwei Jahre an der Bukarester Universität studiert habe. Bereits auf dem Gymnasium sei er Mitglied einer illegalen kommunistischen Jugendorganisation gewesen, 1935 habe man ihn verhaftet und fünf Monate in Jaßenmarkt ( Jassy) in Untersuchungshaft behalten. Nun habe er erfahren, dass der Prozess gegen ihn in Kürze eröffnet werden solle und ihm für seine kommunistische Tätigkeit fünf bis zehn Jahre Gefängnis drohen. Aus diesem Grund und auch wegen des neuen Regimes habe er sich entschlossen, aus Rumänien zu flüchten. Von einem kommunistischen Bekannten, der aus den gleichen Gründen bereits im Dezember geflohen sei, habe er den Kontakt zu einem Fluchthelfer in Sighet erhalten, der ihn dann mit Hilfe eines rumänischen Bauern für 400 Lei illegal über die Grenze geführt habe. Er wolle nach Prag und von dort als Kämpfer nach Spanien. Stattdessen aber wurde er von der Polizeidirektion in Kaschau für den illegalen Grenzübertritt mit einer zwölftägigen Haftstrafe belegt und anschließend Richtung Ungarn „abgeschoben“.69 Am 3. Januar 1938 wurde auf dem Kaschauer Bahnhof der in Uzhgorod gebürtige sechsundzwanzigjährige „Talmudist“ Icik Mayer Leifer verhaftet, ein orthodoxer Jude also, vielleicht ein Jeshiva-Student. Zunächst behauptete er, ein tschechoslowakischer Staatsbürger zu sein, bekannte sich dann aber zur rumänischen Staatsbürgerschaft. In die Tschechoslowakei sei er im Dezember 1937 gekommen, 68 Ebda.: Vermerk des PMV o über die Maßnahmen bezüglich der rumänischen Flüchtlinge, 21.1.1938. 69 Ebda.: Präsidium der Landesbehörde Pressburg (Krajinský úrad v Bratislave), 22.1.1938.

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als man in Rumänien erste antijüdische Maßnahmen ergriffen habe. Die Grenze habe er legal überschritten, mit einer Legitimation für den kleinen Grenzverkehr, die ihn zu einem dreitägigen Aufenthalt berechtigte. Leifer kehrte jedoch nicht nach Rumänien zurück und hielt sich illegal auf tschechoslowakischem Staatsgebiet auf. Die Polizeidirektion bestrafte ihn für den unberechtigten Grenzübertritt und brachte ihn, nachdem er die Strafe verbüßt hatte, an die rumänische Grenze zurück.70 Die Berichte für das Innenministerium verzeichnen einige weitere Fälle armer rumänischer oder ungarischer Juden, die auf slowakischem Gebiet festgenommen und über die rumänische oder ungarische Grenze ausgewiesen wurden. In Kaschau wurde auch eine Gruppe von drei rumänischen bzw. ungarischen Juden verhaftet, die auf Grundlage eines vom Konsulat in Klausenburg ausgestellten einmaligen Einreisevisums legal ins Land gekommen waren. Da sie aber zugaben, dass sie in der Tschechoslowakei Beschäftigung suchten und sich hier niederlassen wollten, wurden sie ausgewiesen und an die rumänische Grenze gebracht.71 Eine weitere – wiederum nicht allzu große – Gruppe von Flüchtlingen stellten die rumänischen Studenten an den tschechoslowakischen Hochschulen dar, vor allem an der deutschen Universität in Prag. Schon während der 1930er Jahre überwachte die Polizei die Kontakte der Studenten zu den Kommunisten und erstellte 1934 und 1936 auf Antrag der rumänischen Botschaft ein Verzeichnis der politisch aktiven (d.h.: kommunistischen) rumänischen Studenten. Dabei vermerkte sie bei den jüdischen Studenten – das war mindestens die Hälfte der unter Beobachtung stehenden Personen – deren jüdische Herkunft.72 Zu Beginn des Sommersemesters 1937/38 meldeten sich bei der Polizeidirektion Prag angeblich jeden Tag ein bis zwei rumänische Juden, die zum Zweck eines Studiums Antrag auf Verlängerung ihres Aufenthaltsvisums stellten. Wie sich herausstellte, hatten sie die Schule bereits im Sommer 1937 beendet, sich seither in Rumänien aufgehalten und waren bei keiner Hochschule immatrikuliert. Wie in anderen Fällen auch, lag hier der Verdacht nahe, dass es den Betreffenden im Grunde um eine „dauerhafte Ansiedlung“ in der Tschechoslowakei ging.73 Im Januar hatten sich mehr als zehn jüdische Studenten aus Rumänien in Prag wohnhaft gemeldet, die ein Visum vom tschechoslowakischen Konsulat in Czernowitz vorlegten. Die Dokumente waren jedoch handschriftlich ausgefertigt, weshalb die Prager Polizeidirektion vermutete, dass sie gefälscht seien.74

70 Ebda.: Präsidium der Landesbehörde Pressburg, 5.3.1938. 71 Ebda.: Präsidium der Landesbehörde Pressburg, 3.3.1938. 72 Verzeichnisse und andere Details: NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/R/20/2, K. 1202–3. 73 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/R/20/2, K. 1202–3: Bericht der Polizeidirektion Prag, 8.3.1938. 74 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/R/20, K. 1200: Bericht der Polizeidirektion Prag, 27.1.1938.

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Die oben geschilderten Fälle deuten auf eine nur sehr geringe Zuwanderung rumänischer Juden hin. Auch wenn wir davon ausgehen, dass einige Flüchtlinge unbemerkt in die Tschechoslowakei gelangen konnten, wird deutlich, dass die Zahl derer, die tatsächlich zum Jahreswechsel 1937/38 aus Rumänien in die Tschechoslowakei kamen, kaum nennenswert ist. Eher waren es wohl Dutzende denn Hunderte. Einen Massenexodus rumänischer Juden in die Tschechoslowakei, wie ihn die Zeitungen ausgemalt und die tschechoslowakischen Behörden befürchtet hatten, hat es nicht ansatzweise gegeben. Die Episode mit den rumänischen Flüchtlingen war der erste Fall, in dem die tschechoslowakischen Behörden in den 1930er Jahren für Flüchtlinge die Grenzen schlossen, nur weil diese jüdischer Herkunft waren. Mögen in einigen Verordnungen auch kommunistische Flüchtlinge genannt sein, so gab das Innenministerium den untergeordneten Behörden doch vor allem zu verstehen, dass das Ziel der Grenzschließung sei, eine Zuwanderung rumänischer Juden zu verhindern. Die innerstaatlichen Sicherheitsorgane und die tschechoslowakischen Vertretungen standen zudem vor dem fast unlösbaren Problem, wie ein Flüchtling von einem Geschäftsmann oder einem Touristen zu unterscheiden sei. Aus den oben zitierten Dokumenten geht hervor, dass das Hauptkriterium für die Einstufung als potentieller Flüchtling eine jüdische Herkunft war. Besondere Aufmerksamkeit verdient auch, mit welcher Geschwindigkeit die tschechoslowakischen Behörden reagierten und dass das Innenministerium, ohne jede größere politische Diskussion und im Grunde unverzüglich die Grenze schließen konnte. Die tschechoslowakische Regierung hat sich mit dieser Entscheidung erst drei Wochen später auseinandergesetzt und sie (wie es scheint, ohne Diskussion) akzeptiert.75 Im Umgang mit der (rein hypothetischen) „Gefahr“ jüdischer Flüchtlinge aus Rumänien kündigte sich der Kollaps der europäischen Flüchtlingspolitik 1938 an – nach dem „Anschluss“ Österreichs, dem Münchner Abkommen und der „Reichskristallnacht“. Das Vorgehen in der rumänischen Flüchtlingskrise wurde zum Muster für ähnliche Fälle, denn die tschechoslowakischen Behörden hatten hier geprobt, wie sie auf eine Massenzuwanderung jüdischer Flüchtlinge reagieren könnten. Als sich am 11. März 1938 die Besetzung Österreichs durch die deutschen Truppen abzeichnete, ließen dieselben hohen Beamten des Innenministeriums die Grenzen für österreichische Bürger in kürzester Zeit hermetisch verriegeln. Im Unterschied zu der nie erfolgten Massenimmigration aus Rumänien kamen diesmal jedoch tatsächlich Tausende – meist jüdische – Flüchtlinge an die tschechoslowakische Grenze.

75 Ebda.: Vermerk des Präsidium des Innenministerium, 22.1.1938; NA, Präsidium des Ministerrats, K. 4137: Protokoll der Regierungsverhandlung, 21.1.1938.

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Nachtzug aus Wien In der Nacht vom 11. auf den 12. März 1938 erreichte ein ungewöhnlich überfüllter Schnellzug die tschechoslowakische Grenze bei Lundenburg (Břeclav). Im Verlauf des Tages war nämlich klar geworden, dass die Angliederung Österreichs an das „Dritte Reich“ unmittelbar bevorstand und der Einmarsch der deutschen Truppen und der gefürchteten Gestapo nur eine Frage von Stunden sei. Hitler hatte sich zu Beginn des Jahres 1938 Österreichs Isolierung zunutze gemacht und am 12. Februar den österreichischen Kanzler Kurt Schuschnigg bei Verhandlungen auf dem Obersalzberg bei Berchtesgaden zu weit reichenden Zugeständnissen gezwungen (einschließlich der Ernennung des österreichischen Nationalsozialisten Arthur Seyss-Inquart zum Innenminister), die zu einer Nazifizierung Österreichs führen würden. Schuschnigg versuchte dies zu verhindern, indem er für den 13. März ein Referendum über die Unabhängigkeit Österreichs durchführen ließ und sich selbst für ein Bündnis mit der Sozialdemokratie, die er bis dahin unterdrückt hatte, offen zeigte. Hitler aber gab grünes Licht für einen Aufstand der österreichischen Nationalsozialisten und erteilte am 11. März den Befehl zur Besetzung Österreichs. Viele Gegner des Nationalsozialismus schoben ihre Flucht wegen des von Kanzler Schuschnigg ausgerufenen Referendums bis zum letzten Augenblick auf – wer wollte in diesem entscheidenden Moment schon fehlen. Auch deshalb war der Nachtexpress von Wien nach Prag, der um Viertel nach elf abfuhr, mit Flüchtlingen überfüllt. Bereits um acht Uhr abends drängten sich auf dem Bahnsteig die Menschen, die Österreich um jeden Preis vor dem Einmarsch der deutschen Armee verlassen wollten. Noch in Österreich drangen rasch zusammengestellte Kampftrupps der Nationalsozialisten wiederholt in den Zug ein und führten einen Teil der Flüchtlinge ab. Aber der Zug, der zu später Stunde Lundenburg erreichte, war trotzdem voller Flüchtlinge, darunter auch etliche Persönlichkeiten, die mit einer sofortigen Verhaftung rechnen mussten76, wie Richard A. Bermann, ein jüdischer Journalist und Schriftsteller, der sich als Kritiker des Hitler-Regimes und des österreichischen Ständestaats einen Namen gemacht hatte. Er schrieb für den Wiener Tag und Die Stunde, die beide geheime Unterstützung vom tschechoslowakischen Außenministerium und Präsident Beneš erhielten. Die Ankunft an der Grenze hielt Bermann einige Monate später schriftlich fest: Ursprünglich hatte er vorgehabt, aus dem bedrohten Österreich in die Schweiz zu gehen, hatte die Abreise aber wegen Schuschniggs Referendum aufgeschoben. Bermann war auch Sekretär der American Guild for German Cultural Freedom und hatte in dieser Funktion aus Deutschland geflüchtete Schriftsteller und Künstler unterstützt. Die Nachricht vom Rücktritt 76 Siehe u.a. G. E. R. GEDYE: Fallen Bastions. The Central European Tragedy. London 1939, S. 300–302; Stefan TEMPL: „Der Zug war voll. Wie die Tschechoslowakei 1938 Flüchtlinge abwies“. Neue Zürcher Zeitung (Internationale Ausgabe), 9./10.3.2002, S. 34; siehe auch „Tschechoslowakei sperrt die Grenze“, Prager Abendzeitung, 12.3.1938, S. 2.

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Schuschniggs und dem bevorstehenden Einmarsch der deutschen Truppen hatte ihn beim Gespräch mit einem geflüchteten deutschen Schriftsteller im Kaffeehaus erreicht. Bermann befürchtete, die Verbindung in die Schweiz könnte schon unter deutscher Kontrolle sein und so bestieg er den nächsten Schnellzug in die Tschechoslowakei. In der Erinnerung beschreibt er, wie der Zug auf österreichischer Seite lange an der Grenze stand und wie Erleichterung sich ausbreitete, als er endlich, ohne jegliche Kontrollen über die Grenze rollte. Auf einmal – wir trauten unseren Sinnen nicht – setzte sich der Zug wieder in Bewegung und fuhr weiter, über die Grenze, in die freie Tschechoslowakei hinein! […] Ich konnte wieder atmen. Ich war, wir waren gerettet. Wir rollten in die Station Lundenburg ein. Tschechische Aufschriften, tschechische Uniformen. Und plötzlich kam so ein Uniformierter zu uns herein und rief […]: „Wer einen österreichischen Paß hat, aussteigen! Österreichische Staatsbürger dürfen die Grenze nicht passieren!“ Und es war wahr. Wir protestierten; wir baten. Nichts half. Wir wurden unter Androhung von Gewalt in einen großen Wartesaal getrieben, jenen scheußlichen, gefängnisähnlichen Saal […].77

Telegramm, das Richard A. Bermann im Namen der verhafteten Flüchtlinge an Präsident Beneš schickte 77 Richard A. BERMANN: Die Fahrt auf dem Katarakt. Wien 1998, S. 316–324, Zitat S. 323–324.

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Bermann unternahm an der Grenze einen letzten verzweifelten Versuch und schickte ein Telegramm an Präsident Beneš, in dem er, an die „Menschlichkeit der tschechoslowakischen Demokratie“ appellierend, um Hilfe für die in Lundenburg festgehaltenen österreichischen Flüchtlinge bat. Beneš, dem Bermann persönlich bekannt war, hat dieses Telegramm vermutlich nie in die Hand bekommen, denn es endete ohne irgendeine Reaktion in den Akten des Innenministeriums.78 Die Flüchtlinge wurden vielmehr unverzüglich nach Österreich zurückgeschickt, was für viele tragische Folgen hatte. Einige wurden nach Dachau geschickt und kamen dort ums Leben. Bermann konnte sich verstecken, doch auch sein zweiter Fluchtversuch, diesmal nach Italien, scheiterte. Erst mit dem tschechoslowakischem Pass, den Präsident Beneš ihm in sein Versteck schicken ließ, konnte er ausreisen. Sein Weg führte über Prag, Paris und London in die USA, wo er 1939 starb.79 Am Sonntag, dem 13. März 1938, erfuhren die Leser des Prager Tagblatts Genaueres über das tragische Geschehen: Auf dem Lundeburger Bahnhof und an den Autogrenzstellen spielten sich aufregende Szenen ab. Eine junge Schriftstellerin aus Kopenhagen, die Österreich verlassen will, versuchte den Beamten verzweifelt zu erklären, dass sie ihr Leben lang in Kopenhagen gelebt hat und nur durch den Zufall der Geburt Österreicherin ist. Eine alte Dame brach in Tränen aus, als ihr bedeutet wurde, dass sie ihre in der Tschechoslowakei lebenden Kinder zunächst nicht sehen kann.80

Demgegenüber zeigte sich der agrarische Venkov mit der Schließung der Grenzen zufrieden und hob das Einschreiten der tschechoslowakischen Grenzbeamten hervor: Sie haben zwar in der letzten Nacht kein Auge zugetan, die Wächter unseres Grenzgebiets, aber sie sind auf ihrem Platz, ernst, ihrer Pflicht sich bewusst, aber ruhig. Ihre Ruhe rührt vor allem aus den klaren Anweisungen her, die sie bekommen haben. Auf unserer Seite herrschte, vom einfachen Grenzbeamten bis hinauf zu den höchsten Stellen, keine Ratlosigkeit.81

Die Anweisungen, nach denen die tschechoslowakischen Grenzbeamten in Lundenburg „ohne Ratlosigkeit“ vorgingen – für die Flüchtlinge freilich waren es unverständlich rigorose und inhumane Maßnahmen – kamen vom Innenminis78 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/R/3/2, K. 1186–19: Telegramm, 12.3.1938, weitergeleitet an die Kanzlei des Präsidenten der Republik. 79 Brita ECKERT: „Richard A. Bermann im Ständestaat und im Exil“, in: BERMANN: Fahrt auf dem Katarakt, S. 325–347. 80 „Keine Einreise von Österreichern“, Prager Tagblatt, 13.3.1938, S. 5. 81 „Klid na našich hranicích“ [Ruhe an unseren Grenzen], Venkov, 13.3.1938.

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terium. Dieses hatte, ähnlich wie einige Wochen zuvor in Bezug auf die rumänischen Flüchtlinge, alle untergeordneten Behörden ungewöhnlich rasch, nämlich bereits am 11. März 1938, instruiert, keine Reisenden aus Österreich, ob sie gültige Reisedokumenten vorweisen könnten oder nicht, über die Staatsgrenze zu lassen. Einen Tag später wurde die Anordnung dahingehend abgemildert, dass denjenigen österreichischen Staatsbürgern eine Einreise erlaubt werden sollte, die in der Tschechoslowakei ihren dauerhaften Wohnsitz hätten oder dort über unbeweglichen Besitz verfügten bzw. deren Reise den wirtschaftlichen Interessen des Staats diene.82 Obwohl diese Anordnungen allgemein formuliert waren, verstanden die tschechoslowakischen Grenzbeamten und Inlandsbehörden sehr gut, dass sie vor allem zum Ziel hatten, die Zuwanderung österreichischer Juden zu verhindern. Das Konsulat in Wien bestätigte diese Befürchtung bald und meldete nach Prag, dass die Gestapo österreichische Staatsangehörige „hebräischen Bekenntnisses“ zu der schriftlichen Verpflichtung zwinge, das deutsche Staatsgebiet innerhalb von drei Tagen zu verlassen: „Die Juden kommen mit dem Antrag auf die Botschaft, man möge ihnen die Einreise in die Tschechoslowakei erlauben, was freilich mit Nachdruck abgelehnt wird.“ Daher sei mit einer großen Zahl von illegalen Flüchtlingen aus Österreich zu rechnen.83 Auf Grundlage dieser Warnung wies die Landesbehörde in Pressburg dann am 9. April 1938 die untergeordneten Behörden an der Grenze mit Österreich und Ungarn sowie im Landesinnern nachdrücklich an, dass eine Immigration von Flüchtlingen aus Österreich unbedingt zu verhindern sei. Sie wies darauf hin, dass viele österreichische Juden versuchen werden, die Grenze in die Tschechoslowakei illegal zu überschreiten, weshalb es nötig sei „sich unter allen Umständen und mit allen Mitteln dem schlichtweg unerwünschten Zustrom neuer österreichischer Emigranten entgegenzustellen“. Die Landesbehörde ordnete eine verschärfte Kontrolle der Grenzen an, auch der Grenze zu Ungarn, denn man befürchtete, dass die österreichischen Juden von Ungarn aus in die Tschechoslowakei zu gelangen versuchten. Außerdem sollte ermittelt werden, ob sich nicht schon österreichische Flüchtlinge in der Slowakei aufhielten. Diese seien aus der Tschechoslowakei auszuweisen.84 Auch das tschechoslowakische Generalkonsulat in Wien, die frühere tschechoslowakische Botschaft, erhielt am 16. März 1938 vom Außenministerium ähnliche Anweisungen. Diese betrafen vor allem die Ausstellung von Visa für Per82 NA, PMV, Sign. X/R/3/6, K. 1189–12: Vermerk und Konzept der Instruktion an die Landesbehörden, 7.4.1938. Zugleich wurde auf Grund einer Beschwerde des Außenministers angeordnet, Inhaber österreichischer Diplomatenpässe in die Tschechoslowakei einreisen zu lassen; Dass.: MZA, ZÚ Brno, Präsidium, Sign. 6512 (381–382), K. 279. 83 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/R/3/2, K. 1186–16: Bericht der tschechoslowakischen Botschaft in Wien, 29.3.1938. 84 Ebda.: Bericht des Präsidiums der Landesbehörde Pressburg, 9. 4. 1938.

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sonen aus Ländern, für die nach wie vor Visumpflicht bestand, d.h. praktisch vor allem für polnische Staatsbürger. Diesen Antragstellern sollten ohne Angabe von Gründen künftig keine Badevisa mehr erteilt werden und bei der Ausstellung von Einreisevisa sollte Strenge walten. Visa sollten nur noch an Personen ausgegeben werden, bei denen nicht zu befürchten stünde, dass sie in der Tschechoslowakei blieben. Staatenlosen sollten in Wien überhaupt keine Einreisevisa erteilt werden; Ausnahmen könne nur das Außenministerium bewilligen. Polnische Bürger sollten ein Transitvisum für die Tschechoslowakei nur dann erhalten, wenn sie eine Bestätigung des polnischen Konsulats in Wien vorlegen könnten, dass der Passinhaber über eine Einreisegenehmigung nach Polen verfüge.85 Zugleich suchten die tschechoslowakischen Behörden nach Kriterien, wie man österreichische Bürger, denen eine Einreise verweigert werden sollte, von denjenigen unterscheiden könnte, die keine Gefahr darstellten oder deren Abweisung dem Land eventuell sogar wirtschaftlichen Schaden brächte. Die Tschechoslowakei vermied die Einführung einer Visumpflicht. Diese hätte eine solche Vorauswahl ermöglicht, noch bevor der Reisende bzw. Flüchtling an die Staatsgrenze käme. Da aber offensichtlich war, dass die alten österreichischen Reisepässe bald durch reichsdeutsche Pässe ersetzt würden (was tatsächlich noch im Laufe des Frühlings 1938 geschah), hätte man eine Visumpflicht für alle reichsdeutschen Bürger einführen müssen. Das aber wollte man angesichts der Machtstellung Deutschlands und der Bedeutung der deutsch-tschechoslowakischen Wirtschaftsbeziehungen nicht. Stattdessen machte man es für die Inhaber alter österreichischer Pässe bzw. neuer reichsdeutscher Pässe, die auf österreichischem Gebiet ausgestellt worden waren, zu einer halboffiziellen Pflicht, bei der Einreise eine „Empfehlung“ des tschechoslowakischen Konsulats in Wien vorzulegen. De facto erfüllte diese Empfehlung den Zweck eines Visums und unterschied sich von diesem nur insofern, als sie ausschließlich von deutschen Bürgern aus dem früheren Österreich verlangt wurde. Ihr Zweck war rasch allen ersichtlich: während die Angehörigen der tschechischen Minderheit oder Mitglieder der tschechischer Vereine in Wien diese Bescheinigung ohne Probleme bekamen, wurde sie „nichtarischen“ Antragstellern grundsätzlich nicht ausgestellt. Ein Beamter des Außenministeriums, der im September 1938 zu einer Inspektion nach Wien kam, fand ein völlig überfülltes Konsulat vor, wobei mindestens 70% der Antragsteller um eine „Empfehlung“ für die Einreise in die Tschechoslowakei ersuchten. Der Andrang vor dem Gebäude und auf den Gängen war so groß, dass ihm ein Konsulatsangestellter einen Weg durch die Menge bahnen musste. Kein Wunder, dass nicht nur die Antragsteller, sondern auch die Mitarbeiter, die ihre Arbeit bei Gedränge und Lärm und unter ständigem Telefongeklingel in unermüdlichem Tempo verrichten mussten, erschöpft und nervös wirk85 NA, PMV, Sign. X/R/3/6, K. 1189–12: Instruktionen des Außenministeriums an das Generalkonsulat der Tschechoslowakischen Republik in Wien, 16. 3. 1938.

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ten. Konsul František Šebesta teilte dem Gast dann mit, dass der überwiegende Teil derjenigen, die eine „Empfehlung“ beantragten (90–95%), „Arier“ seien, und er versicherte ihn der völligen Zuverlässigkeit der dafür zuständigen Mitarbeiter (man fürchtete nämlich eine Verbreitung falscher „Empfehlungen“).86 Der geringe Anteil jüdischer Antragsteller ging vermutlich darauf zurück, dass es unter den jüdischen Einwohnern Wiens bereits ein offenes Geheimnis war, dass Juden grundsätzlich keine „Empfehlung“ erhalten. Bis zum 20. Juli hatte das Konsulat insgesamt 13 500 Einreisegenehmigungen erteilt, von denen allerdings 7 000 auf Angehörige der tschechischen Minderheit in Wien entfielen, die sich nach dem „Anschluss“ erheblichem Druck ausgesetzt sahen, 2000 weitere auf Personen, die in der Tschechoslowakei ansässig waren, dort über unbeweglichen Besitz verfügten oder aber deren Einreise für den tschechoslowakischen Staats von Nutzen war; dazu kamen 1000 Genehmigungen für Besuche auf Grund von Krankheit oder Tod von Verwandten. Außerdem erteilte das Konsulat noch 3500 Badevisa. Aus diesem Bericht geht jedoch hervor, dass die Zahl der Juden in den genannten Kategorien nur sehr gering sein konnte, denn der „jüdischen Emigration“ erteilte das Konsulat nur mit Zustimmung des Außen- und des Innenministeriums eine Einreisebewilligung.87 Auf Grund der gemeinsamen Geschichte Österreichs und der Tschechoslowakei und der vielen familiären Verflechtungen über die Grenze der beiden Staaten hinweg wurden auch die inländischen Behörden mit Anträgen überhäuft. Das Prager Tagblatt berichtete Ende Juli über die Situation im Innenministerium: Vor der Tür [Nr. 172] stehen nicht die Gesuchsteller, denn sie sind noch in Wien. Vor der Tür stehen Verwandte, die in herzzerreissenden Briefen gebeten werden, durch persönliche Vorsprache den Referenten milde zu stimmen. [...] Wohl kaum ein Staatsbeamter der Republik wird so viel Personen empfangen und so oft immer dasselbe gehört und dasselbe erklärt haben. Hat der Besucher das Unglück geschildert, so kann der Beamte nur erwidern, dass der Ministerrat feste Richtlinien für die günstige Erledigung solcher Gesuche beschlossen habe, nämlich, dass nur jene Personen Einreisebewilligungen erhalten, die vor dem Regimewechsel in Österreich in der Tschechoslowakei Grundbesitz hatten und ihn noch heute haben, oder die sich mit einem Einreisevisum in ein anderes Land ausweisen können.88

Hermetisch geschlossen waren die Grenzen auch für ehemalige tschechoslowakische Staatsbürgerinnen, die durch Heirat mit einem Österreicher ihre tschecho86 Ebda.: Protokoll über die Dienstreise von Ministerialrat Dr. Jindřich Andrial nach Wien,13.9.1938. 87 NA, PMV, Sign. X/R/3/6, K. 1189–12: interner Vermerk, 30. 7. 1938. 88 „Hunderttausend wollen in die Tschechoslowakei. Innenministerium, Zimmer Nr. 172“, Prager Tagblatt, 29.7.1938, S. 5.

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slowakische Staatsbürgerschaft verloren hatten. Eine Woche nach dem Anschluss beantragte der Rechtsanwalt Robert Korner aus Mährisch Ostrau eine Einreisebewilligung für seine Tochter Ella, die 1935 nach Wien geheiratet hatte, sowie deren Mann, den Arzt Herbert Reiner. Korner sicherte zu, dass er nicht nur über genügend Mittel für den Unterhalt der beiden verfüge, sondern auch deren baldige Ausreise aus der Tschechoslowakei in die Wege leiten werde. Dennoch lehnte ein hoher Beamter des Innenministeriums – nach dreieinhalb Monaten – ab, denn das Ehepaar Reiner fiel nicht unter die Ausnahmen, denen laut Verordnung des Innenministeriums eine Einreise in die Tschechoslowakei genehmigt werden konnte.89 Legal gelangten auf diesem Weg nur sehr wenige Personen, die österreichische Staatsangehörigkeit hatten oder aber staatenlos waren, in die Tschechoslowakei. Die Tschechoslowakei griff also nach dem „Anschluss“ Österreichs, ähnlich wie einige Wochen zuvor, nach dem Antritt der antisemitischen Regierung in Rumänien, zu höchst restriktiven Maßnahmen gegenüber den Flüchtlingen und war unmissverständlich bestrebt, vor allem eine Zuwanderung verfolgter Juden zu verhindern. In der Geschwindigkeit, mit der die Behörden die Grenzen schlossen, schrieb sich das Vorgehen gegen die rumänischen Flüchtlinge zum Jahreswechsel 1937/38 fort und verdeutlichte die grundsätzlich veränderte Haltung gerade gegenüber jüdischen Flüchtlingen. Doch nicht nur die Tschechoslowakei reagierte in dieser Weise: unmittelbar nach dem „Anschluss“ ergriffen alle europäischen Staaten ähnliche Maßnahmen. Die Welle jüdischer Emigranten aus Österreich führte zur völligen Blockade der sowieso schon ins Stocken gekommenen Migrationsmechanismen in Europa. Nun lehnten alle Staaten die Aufnahme von Juden ab. Innerhalb weniger Tage und Wochen schlossen Österreichs Nachbarstaaten ihre Grenzen für jüdische Flüchtlinge. Die Schweiz führte für österreichische Bürger mit Gültigkeit vom 1. April 1938 die Visumpflicht ein, wobei bis dahin Schätzungen zufolge etwa 3–4000 österreichische Flüchtlinge die Grenze zur Schweiz überschritten hatten.90 Großbritannien wiederum verlangte von den Inhabern österreichischer Pässe ab dem 2. Mai 1938 ein Visum, das nach diesem Zeitpunkt von den britischen Konsularbehörden nur noch wenigen jüdischen Antragstellern erteilt wurde, vor allem Dienstmädchen und Wissenschaftlern. Beide Staaten mussten auch rasch eine Lösung dafür finden, dass die alten österreichischen Pässe durch deutsche ersetzt worden waren: während die britische Regierung eine Visumpflicht für alle deutschen Staatsbürger einführte91, versuchte die Schweiz mit Deutschland einen Weg auszuhandeln, wie man den visumfreien Grenzverkehr beibehalten, jüdische Flüchtlinge aber trotzdem ablehnen könne. Ergebnis dieser 89 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/R/3/2, K. 1186–19: Antrag von Robert Korner, 19.3.1938; Protokoll des Präsidiums des Innenministeriums, 1.7.1938. 90 Unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg: Die Schweiz und die Flüchtlinge zur Zeit des Nationalsozialismus. Bern 1999, S. 78. 91 LONDON: Whitehall and the Jews, S. 58–70.

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Verhandlungen war – Anfang Oktober 1938 – die Kennzeichnung der Pässe deutscher Juden mit einem „J“.92 Mit dem Problem der österreichischen Flüchtlinge sollte sich auf internationaler Ebene die Konferenz in Évian im Juli 1938 befassen. Diese ging auf eine Initiative des amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt zurück, der dafür kritisiert worden war, dass sich die USA nicht zur Aufnahme von Flüchtlingen bereit zeigten. Unter den Teilnehmern waren Diplomaten etlicher europäischer und amerikanischer Staaten sowie aus dem britischen Commonwealth. Die Konferenz fand außerhalb des Rahmens der Vereinten Nationen und des Hochkommissariats statt, denn die USA waren nicht Mitglied dieser internationalen Vereinigungen. Ziel der US-amerikanischen Diplomatie war allerdings, die Flüchtlingskrise zu lösen, ohne dass die USA ihr Quotensystem aufgeben oder modifizieren müssten, über das sie die Einwanderung begrenzten, und sie versprachen auch den übrigen Staaten, dass sie nicht zu einer Änderung ihrer Regelungen in Bezug auf die Flüchtlinge genötigt würden. Noch vor Beginn der Konferenz verständigten sich die USA und Großbritannien darauf, keinen Druck aufeinander auszuüben: Großbritannien solle keine Aufhebung des Quotensystems verlangen, dafür würden die USA nicht auf eine Öffnung Palästinas für jüdische Flüchtlinge drängen. Ziel dieser Absprache war also, die Flüchtlingshilfe den anderen Teilnehmerstaaten aufzubürden.93 Die tiefe Krise der Flüchtlingspolitik und die enormen Erwartungen, die sich mit der Konferenz in Évian verbanden, spiegelt u.a. das Memorandum des tschechoslowakischen Staatsbürgers Oscar Grün wieder, der in der Schweiz die Jüdische Pressezentrale herausgab. Er erwartete auf Grund der amerikanischen Initiative, dass die USA bereit wären, ihre Grenzen in irgendeiner Form für jüdische Flüchtlinge zu öffnen und schlug deren Masseneinsatz im Rahmen der geplanten und groß angelegten Wiederaufforstungsmaßnahmen vor. Ein Problem des jüdischen Volkes sei, so argumentierte Grün, dass sich die jüdische Jugend in Europa keiner produktiven Beschäftigung widmen könne und der physischen Arbeit entwöhne. Daher sei er für einen Massenarbeitseinsatz der jüdischen Jugend, die dann einer harten Disziplin unterworfen wäre und in Arbeitslagern außerhalb der Städte untergebracht werden könnte. Die Immigranten sollten sich für das gewährte Asyl zu einer mehrjährigen, fast kostenlosen Arbeitsleistung verpflichten – erst dann sollten sie eine Parzelle und die amerikanische Staatsbürgerschaft erwerben können. Grün wollte an der Konferenz in Évian persönlich teilnehmen und sich mit sei92 Die Schweiz und die Flüchtlinge zur Zeit des Nationalsozialismus, S. 75–88. 93 Zur Konferenz von Évian siehe z. B.: S. ADLER-RUDEL: „The Evian Conference on the Refugee Question“, Leo Baeck Institute Year Book, 1968, Jg. 13, S. 235–273; David S. WYMAN: Paper Walls. America and the Refugee Crisis 1938–1941. University of Massachusetts Press 1968, S. 43–63. Verhandlungsvermerk: Actes du Comité intergouvernemental. Évian, du 6 au 15 juillet 1938.

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nem Vorschlag Gehör verschaffen.94 Im Grunde wollte er damit die bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts fast völlig aufgegebene „indentured servitude“ erneuern, eine Art vertragliche, zeitlich begrenzte Sklavenschaft, zu der sich die nach Amerika eingewanderten Neuankömmlinge auf mehrere Jahre verpflichten mussten, um die Kosten für ihre Überfahrt zu begleichen.95 Alles in allem spiegelt Grüns Vision, wie brisant sich die Flüchtlingskrise in Europa zur Zeit der Konferenz von Évian darstellte. Ähnliche Modelle einer jüdischen Auswanderung, oft recht wirrer Art, schossen damals wie Pilze aus dem Boden. So meldete sich beim tschechoslowakischen Außenministerium ein gewisser H. M. Spitzer, um seinen Vorschlag einer Massenumsiedlung österreichischer Juden in die USA vorzulegen. Anders als Grün, der in einer physischen Arbeit einen möglichen Weg zur Revitalisierung des jüdischen Volkes sah, stellte Spitzer die bisherige Spezialisierung der österreichischen Juden, und zwar vor allem in der Textilindustrie, in den Vordergrund, und machte dabei geltend, dass diese in der Lage wären, ganze Betriebe an ihre neue Wirkungsstätte zu verlagern. Sein nicht ganz realistischer Plan ging davon aus, dass Deutschland den österreichischen Juden die Ausfuhr ihres Besitzes erlauben würde (oder dass sie aus den im Ausland eingefrorenen österreichischen Mitteln Kompensationszahlungen erhielten) und dass sie in den USA Satellitenstädte gründen könnten, die nach dem Muster von New York dann New Vienna oder New Salzburg hießen. Die individuelle Emigration sollte durch eine Emigration „industrieller Einheiten“ ersetzt werden, die zu diesem Zweck entstehen sollten. Die Arbeiter würden so ihren Arbeitsplatz und eventuell auch die Produktionsmittel selbst mitbringen. Die Wirtschaft des Aufnahmelandes würde seiner Ansicht nach von einer solchen Immigration profitieren, denn diese würde Produkte liefern, die bisher importiert werden mussten. Spitzer übersandte seinen Entwurf an verschiedene Regierungen und stellte ihn auch dem Hochkommissariat für Flüchtlinge aus Deutschland vor, aber er stieß auf Ablehnung.96 Beide Pläne, die in erster Linie ein Ausdruck der Verzweiflung sind, waren kompliziert und nicht realisierbar, sie zeigen aber auch das Bemühen, den Gegnern einer jüdischen Immigration, die vor allem eine unerwünschte Konkurrenz auf dem heimischen Arbeitsmarkt fürchteten, von vornherein den Wind aus den Segeln zu nehmen. 94 AMZV, Sign. II-3, K. 926: Brief von Oscar Grün an den tschechoslowakischen Konsul in Zürich, 19.5.1938. Grün, der nicht ahnte, dass die Tschechoslowakei zu der Konferenz gar nicht eingeladen worden war, bat um die Möglichkeit, als Delegationsmitglied daran teilnehmen zu können. Grün konnte schließlich nur als einer der vielen Vertreter jüdischer Organisationen teilnehmen, die bei den Verhandlungen fast keine Rolle spielten. 95 Klaus J. BADE: Europa in Bewegung. Migration vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. München 2000. 96 AMZV, Sign. II-3, K. 925: Memorandum on Some Questions Involved in the Problem of Austrian Emigration sowie interner Vermerk des Außenministeriums, 1.6.1938.

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Verlauf und Ergebnisse der Konferenz in Évian waren eine große Enttäuschung, nicht nur für die Autoren unrealistischer Auswanderungsprojekte: die Vertreter der einzelnen Länder erhoben sich der Reihe nach, um ihrer Solidarität mit den verfolgten Juden Ausdruck zu verleihen, erklärten aber im selben Atemzug, dass ihr Land unter einer Wirtschaftskrise und an Übervölkerung leide und daher keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen könne. Der Beitrag der USA zur Lösung der problematischen Situation der österreichischen Flüchtlinge bestand in einer Zusammenlegung der deutschen und österreichischen Einwanderungsquote, die man ganz auszuschöpfen versprach. Die Vertreter der Hilfsorganisationen waren zudem darüber enttäuscht, dass man sie gar nicht an den Verhandlungstisch gerufen hatte und sie ihre Vorschläge lediglich in Kurzform desinteressierten Diplomaten unterbreiten durften. Ihre Position wurde auch dadurch erschwert, dass sie nicht ausreichend vorbereitet waren und nicht geschlossen aufzutreten vermochten. So hat die Konferenz in Évian die Situation der jüdischen Flüchtlinge eher verschlimmert, denn hier wurde geradezu demonstrativ deutlich, dass kein Staat bereit war, sie aufzunehmen.97 Allein die Tatsache, dass die Tschechoslowakei nicht zu den Verhandlungen eingeladen wurde, zeigt, dass sie damals nicht mehr so sehr als Zuflucht für Verfolgte wahrgenommen wurde, sondern als Land, aus dem die Flüchtlinge weggehen. Die tschechoslowakische Diplomatie erfuhr von der Konferenz eigentlich erst aus der Presse und so konnten die tschechoslowakischen Vertreter bei den Vereinten Nationen die Verhandlungen lediglich verfolgen, damit im Falle einer Vereinbarung über die Auswanderung von Flüchtlingen die Tschechoslowakei nicht hintan bliebe. Die Tschechoslowakei hat so, ähnlich wie die anderen europäischen Staaten, die internationalen Flüchtlingsverhandlungen vor allem als Gelegenheit gesehen, wie sie sich der auf ihrem Staatsgebiet befindlichen Flüchtlinge entledigen könnte.98 Auf den Misserfolg der Verhandlungen reagierten die tschechoslowakischen Behörden (ähnlich wie die übrigen europäischen Staaten auch) mit einer noch restriktiveren Flüchtlingspolitik. Das einzig greifbare Ergebnis der Konferenz in Évian war die Einrichtung eines regierungsübergreifenden Komitees für politische Flüchtlinge [Intergovernmental Comitee for Political Refugees], das eventuelle Zielländer suchen und mit Deutschland die komplizierten Bestimmungen aushandeln sollte, auf deren Grundlage jüdische Flüchtlinge bei einer Auswanderung wenigstens einen Teil ihres Besitzes mit sich nehmen könnten. Die Diplomaten des regierungsübergreifenden Komitees konnten – in äußerst schwierigen Verhandlungen – schließlich 97 Der Historiker Ralph WEINGARTEN gab seiner Studie über die Konferenz in Évian den bezeichnenden (wenn auch vielleicht etwas überspitzten) Titel Hilfeleistung der westlichen Welt bei der Endlösung der deutschen Judenfrage. Das „Intergovernmental Commitee on Political Refugees“ (IGC) 1938–39. Bern – Frankfurt am Main – New York 1981. 98 AMZV, Sign. II-3, K. 926.

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erreichen, dass das Eigentum deutscher Juden zumindest teilweise ins Ausland transferierbar war, doch der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs machte ihre Anstrengungen zunichte. „Jagd auf die Emigranten“ Mit der Angliederung Österreichs verschärfte sich die antijüdische Politik des nationalsozialistischen Deutschland. Während die Judenverfolgung im „Alt-Reich“ allmählich eingesetzt hatte und die Eliminierung der jüdischen Bürger aus der Gesellschaft Schritt für Schritt betrieben worden war, sollte in der neu geschaffenen „Ostmark“ – wie Österreich nun offiziell hieß – rasch nachgeholt werden, was seit 1933 noch nicht geschehen war. Charakteristisch für die Judenverfolgung in Österreich unmittelbar nach dem „Anschluss“ sind das chaotische, oft spontane Vorgehen und eine ungewöhnliche Brutalität. Juden wurden willkürlich aus ihren Wohnungen vertrieben, ihre Geschäfte einer kommissarischen Leitung unterstellt oder aber sie mussten sie für einen Bruchteil des eigentlichen Wertes verkaufen. Als Symbol dieser Schikanen gelten heute die Fotografien von Wiener Juden, die von der Menge gezwungen wurden, auf Knien die Propagandaparolen vom Straßenpflaster zu waschen, mit denen die Stadt während Schuschniggs Versuch, die Angliederung zu verhindern, übersät worden war. Viele Juden wurden in Konzentrationslager deportiert, zunächst vor allem nach Dachau, wobei diese Maßnahme als Druckmittel zu einer möglichst sofortigen Auswanderung gedacht war. Die österreichischen Nationalsozialisten sahen darin eine Gelegenheit, möglichst viele Juden zu vertreiben; Österreich sollte möglichst schnell „judenrein“ sein. Die durch das brutale Vorgehen entstandene Panik blieb nicht ohne Folgen: trotz aller Hindernisse und Schwierigkeiten hinsichtlich Visum und Einreise gelang von den rund 191 000 österreichischen Juden (laut Statistik von 1934) etwa 128 000 die Flucht.99 Wenn eine legale Einreise in die Tschechoslowakei nicht möglich war, blieb den Flüchtlingen, ob sie sich nun freiwillig oder gezwungenermaßen auf der Flucht befanden, nur der Versuch eines illegalen Grenzübertritts. In Wien hatte sich rasch herumgesprochen, dass österreichische Bürger keine Einreise in die Tschechoslowakei erhielten, und so hatte sich die Zahl der Reisenden im Zug nach Lundenburg bereits am folgenden Tag deutlich verringert. Umso mehr Menschen jedoch irrten durch die Wälder, Felder und Sümpfe entlang der tschechoslowakisch-österreichischen Grenze. Ihr Schicksal findet sich in dem Bericht einer Brünner Hilfsorganisation beschrieben: 99 Siehe z.B.: Jonny MOSER: Demographie der jüdischen Bevölkerung Österreichs, 1938–1945. Wien 1999.

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Tatsache ist, dass die Emigranten aus Österreich einem schrecklichen Schicksal ausgesetzt sind. Entweder werden sie an der tschechoslowakischen Grenze aus österreichischer Haft abgeschoben oder aber sie haben sich selbst dorthin geflüchtet, nachdem ihre Verwandten und Bekannten in Österreich inhaftiert oder in ein Konzentrationslager gebracht wurden und sie nun das gleiche Schicksal für sich befürchten. Die tschechoslowakischen Grenzorgane gehen so vor, dass sie die Emigranten, die in die Tschechoslowakei flüchten wollen, nicht über die Grenze lassen, sondern sie von der Grenze fortjagen, so dass die Emigranten oft stundenlang durch den Wald und oft auch durch Sumpfgebiete irren. Oft werden sie bis zu dreimal von den tschechoslowakischen und österreichischen Grenzorganen von der Grenze verjagt, der auch auf der einen oder anderen Seite verhaftet. Wenn sie es endlich geschafft haben, sich unter großen Anstrengungen und Entbehrungen und meist völlig niedergeschlagen und ausgehungert auf tschechoslowakischen Boden durchzuschlagen, droht ihnen auch hier die Verhaftung.100

Ähnlich war die Situation an der tschechoslowakisch-ungarischen Grenze. In einem Bericht vom 11. Juli 1938 heißt es: „Gerade in den letzten Tagen sind einige Fälle bekannt geworden, wo slowakische Polizeiorgane Flüchtlinge verhaftet, aus der Tschechoslowakei ausgewiesen und an der ungarischen Grenze ausgesetzt haben. Dort beginnt dann die Jagd auf die Emigranten; diese sind gezwungen, vor den ungarischen Grenzbeamten zu fliehen, und oft werden sie von den ungarischen und tschechoslowakischen Grenzern hin- und hergejagt.“101 Für die Wiener Juden war die tschechoslowakische Grenze eine der nächstgelegenen Möglichkeiten für eine Flucht ins Ausland. Da eine legale Einreise nicht möglich war, versuchten sie, die Grenze illegal zu überschreiten. Die tschechoslowakisch-österreichische Grenze verfügte über keinerlei feste Absperrungen und wurde daher zu einem regelrechten Revier für die Flüchtlingsjagd. Die verstärkten Grenzwachen schickten die Flüchtlinge, die sie im Grenzgürtel stellen konnten, kurzerhand zurück nach Österreich. Offenbar wurden nur sehr wenige protokollarisch verhört.

100 AfZ, Zürich, „Beutedokumente“ des Russischen Staatlichen Militärarchivs RGVA, Moskau, Fond 1190 – Executivcomittee des World Jewish Congress, Paris, Akte 290, Schriftwechsel Stefan Barbers mit der Zentralhilfestelle für Flüchtlinge in Brünn und mit der britischen Sektion des WJC über die Hilfe für jüdische Flüchtlinge aus Österreich, 10.7. – 23.8.1938, MF 5, Bericht für die Flüchtlingskonferenz in Évian les Bains, Juli 1938, Nr. der Aufnahme (Im Weiteren nur Nr.) 0803 1999 0045. 101 AfZ, Zürich, Fond 1190, Akte 290, MF 5: Bericht für die Flüchtlingskonferenz in Évian les Bains, 11. Juli 1938 (der Text für die Konferenz in Évian unterscheidet sich von der auf Juli 1938 datierten Version), Nr. 0803 1999 0054.

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Ludwig Blumenfeld, geboren 1916 in Svászvár. Blumenfeld war ungarischer Staatsbürger, wuchs aber in Neukirchen in Österreich auf. Dort war sein Vater Kantor der jüdischen Gemeinde, Religionslehrer und koscherer Schächter. Ludwig Blumenfeld war musikalisch begabt und studierte am Wiener Konservatorium. Am 4. September 1938 überschritt er illegal die Grenze bei Znaim. Auf der Gendarmerie gab er an, dass ihm eine Verschleppung in das Konzentrationslager Dachau drohe. Seine Eltern waren mit den beiden anderen Kindern nach Ungarn geflüchtet und planten zusammen mit Ludwig eine weitere Ausreise nach Amerika. Ludwig Blumenfeld wurde vom Iglauer Bezirksamt als „lästiger Ausländer“ ausgewiesen. Sein genaues Schicksal nach der Ausweisung aus der Tschechoslowakei konnte nicht ermittelt werden. Nach einem Gedenkblatt im Archiv der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem hat er den Krieg nicht überlebt.102

Laut einem Meldebericht der Gendarmerie in Znaim wurden 38  Personen am 18. Juli 1938 von Wien nach Klein Haugsdorf verbracht, wo sie zunächst Ausbesserungsarbeiten an einer Straße vornehmen mussten. Tags darauf brachte man sie mit einem Bus in die Nachbargemeinde Zwingendorf, von wo sie die Gestapo und die österreichische Finanzwache in kleineren Grüppchen illegal über die tschechoslowakische Grenze trieben. Für den Fall ihrer Rückkehr drohte man ihnen mit Erschießung oder Inhaftierung im Konzentrationslager Dachau. Die Flüchtlinge, die sich in der Gegend nicht auskannten, hielten sich bis zum Morgen im Getreide versteckt und überschritten die Grenze erst bei Tageslicht. Die tschechoslowakische Gendarmerie und die Finanzwache nahmen insgesamt 30 Personen fest, davon 26 Männer (einer davon war Chinese) und 4 Frauen. Sie wurden sofort an die Grenze zurückgebracht und nach Österreich ausgewiesen.103 Glück hatte der fast fünfzigjährige Felix Stiasny, der zu seiner Tante nach Olmütz flüchten konnte. Er hatte zwar einen gültigen österreichischen Pass, aber da er wusste, dass ihn die tschechoslowakischen Behörden zurückschicken würden, versuchte im Juli 1938, die Grenze illegal zu überschreiten. Kurz nach seiner Ankunft in der österreichische Grenzgemeinde Klein Haugsdorf, noch vor dem Bus, 102 MZA, ZÚ Brno, Präsidium, Sign. 16909, K. 290: Bericht des Bezirkamtes Iglau, 6.9.1938; The Central Database of Shoah Victims’ Names, http://www.yadvashem.org [zit. 10.8.2005]. 103 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/R/3/2, K. 1186–16: Bericht des Präsidiums der Landesbehörde Brünn, 1. 8. 1938.

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mit dem er gekommen war, wurde er – und mit ihm viele andere Flüchtlinge – von uniformierten Männern, seines Dafürhaltens Angehörigen der SS, festgehalten und einer eingehenden Körperkontrolle unterzogen. Fast alles Geld wurde ihnen abgenommen. Am Abend wurden sie unter Anleitung eines ortskundigen Führers gruppenweise in Richtung Bahnstation Schattau (Šatov) über die Grenze getrieben. In Stiasnys Gruppe befanden sich insgesamt 17 Personen, aber nur dreien gelang ein unbeobachteter Grenzübertritt. Stiasny und die übrige Gruppe wurden festgenommen, mit einer Strafe belegt und an die Grenze zurückgebracht. Doch er versuchte sofort ein zweites Mal, über die Grenze zu kommen, und dieses Mal gelangte er bis nach Znaim, wo ihn die jüdische Gemeinde mit einer Fahrkarte nach Olmütz ausstattete.104 Auf Grund seiner Verwandten durfte er in Olmütz bleiben; zweifellos spielte dabei auch ein Rolle, dass Olmütz weit von dem Grenzgürtel lag, aus dem die Flüchtlinge „auf kurzem Weg“ an die Grenze zurückbefördert werden konnten. Nach der Okkupation war Stiasny das Glück nicht mehr hold: Im März 1942 wurde er nach Theresienstadt (Terezín) deportiert und Tage später bei Lublin ermordet.105 Manche Flüchtlinge gelangten unter sehr dramatischen Umständen in die Tschechoslowakei. Dem einundvierzigjährigen Ludwig Reichmann zum Beispiel wurde am 18. März 1938 bei einer österreichischen Passkontrolle im Bahnhof der Pass abgenommen und man forderte ihn auf, nach Österreich zurückzukehren. Reichmann ignorierte die Anweisung jedoch, sprang nach der Kontrolle auf den anfahrenden Zug auf und kam bis Brünn. Seine abenteuerliche Aktion wurde ihm offensichtlich dadurch erleichtert, dass er den Verlauf der Passkontrolle in Lundenburg bestens kannte: als Vertreter einer Brünner Textilfabrik war er die Strecke über Lundenburg nach Österreich oft gefahren.106 Eine gewisse Zeit ließ sich die Schließung der Grenzen umgehen, wenn man über entsprechende finanzielle Mittel verfügte: einigen Flüchtlingen aus Österreich, die auf dem Prager Flughafen Rusin (Ruzyně) ankamen, war das Betreten tschechoslowakischen Staatsgebiets ohne weiteres möglich. Die Flüchtlinge gaben meist vor, dass sie hier lediglich umsteigen und in ein westeuropäisches Land weiterfliegen wollten; tatsächlich aber blieben sie in Prag. Ende Juli schlossen die wachsamen tschechoslowakischen Behörden auch dieses Schlupfloch.107 104 Ebda.: Beim Stadtrat in Olmütz verfasstes Protokoll, 12.7.1938. 105 Angaben nach der Datenbank der Opfer der „Endlösung der Judenfrage“ in den böhmischen Ländern, Institut Terezínské iniciativy / Institut Theresienstädter Initiative, sieh: http://www.holocaust.cz/cz2/victims/PERSON.ITI.1896714 [zit. 3.12.2011]. 106 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/R/3/2, K. 1186–17: Bericht der Poliziedirektion Brünn, 24.3.1938. 107 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/R/3/2, K. 1186–16: Landesbehörde Prag, Abschrift der Instruktionen an das Bezirksamt Prag-Land, 25. 7. 1938, Bericht der Prager Polizeidirektion, 28. 8. 1938; siehe z.B. auch unter Käthe Bloch: NA, PP, 1931–40, Sign. B 2076/35, K. 4793: Bericht der Gendarmeriestation Ruzyně-Flughafen, 22.8.1938.

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Ein missglückter Grenzübertritt endete bisweilen tragisch. Am 17. August 1938 griff die tschechoslowakische Grenzwache auf der rechten Donauseite den österreichischen Staatsbürger Paul Kastner auf, einen aus Mährisch Ostrau gebürtigen Juden, der mit Hilfe eines Schleusers in die Tschechoslowakei zu kommen versucht hatte. Aus Verzweiflung darüber, dass er nach Österreich zurückgeschickt werden sollte, schluckte Kastner in einem unbeobachteten Moment Gift und starb innerhalb weniger Minuten.108 Im Sommer 1938 schickten die tschechoslowakischen Grenzbeamten in Südmähren täglich 80–100 Personen nach Österreich zurück, die geflohen oder vertrieben worden waren. Die Überwachung der Staatsgrenze war sehr schwierig, denn teilweise führte sie durch Wald, teilweise durch Getreidefelder, in denen die Flüchtlinge sich versteckt hielten. Von der bevorstehenden Ernte versprachen die Behörden sich bessere Kontrollmöglichkeiten.109 Auf Grundlage der oben genannten Zahlen lässt sich – freilich nur ungefähr – berechnen, dass die tschechoslowakischen Grenzwachen in der Zeit nach dem „Anschluss“ etwa 10 000 Flüchtlinge gestoppt und zurückgeschickt haben. Da etliche einen Grenzübertritt wiederholt versucht haben und daher auch mehrfach in die Statistik eingegangen sind, ist die tatsächliche Zahl der Flüchtlinge nicht verlässlich zu ermitteln. Den völligen Kollaps der Flüchtlingsmigration in Europa angesichts der jüdischen Flüchtlingswelle aus Österreich verdeutlicht der Sonderfall der aus den burgenländischen Gemeinden Kittsee und Pam vertriebenen Juden. In diesem österreichischen Bundesland an der Grenze zu Ungarn, Jugoslawien und der Tschechoslowakei gingen die örtlichen nationalsozialistischen Kampftrupps noch drastischer vor als in Wien. Während dort nach dem „Anschluss“ vor allem Juden nichtösterreichischer Staatsbürgerschaft verhaftet und ausgewiesen wurden, wollten die burgenländischen Nationalsozialisten ihr Gebiet so schnell wie möglich „judenrein“ haben und vertrieben auch österreichische Juden. Willkürliche Enteignungen und Vertreibungen waren daher im Burgenland nach dem „Anschluss“ an der Tagesordnung.110 Bereits am 31. März 1938 sollte eine vierzigköpfige Gruppe von Juden aus Frauenkirchen über die tschechoslowakische Grenze befördert werden; die tschechoslowakischen Grenzbeamten ließen sie jedoch nicht ins Land, so dass die österreichische Finanzwache versuchte, sie in kleineren Gruppen illegal über die Grenze zu schmuggeln. Doch auch das wussten die tschechoslowakischen Grenz-

108 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/R/3/2, K. 1186–16: Bericht des Präsidiums der Landesbehörde Pressburg, 6.9.1938. 109 Ebda.: Telefonische Meldung des Präsidiums der Landesbehörde Brünn, 22.7.1938. 110 Jonny MOSER: „Die Juden“, in: Widerstand und Verfolgung im Burgenland 1934–1945. Wien 1970, S. 294–341.

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wachen zu verhindern.111 In der Nacht vom 16. auf den 17. April 1938 wurden dann die jüdischen Familien in Kittsee und Pam aus ihren Häusern vertrieben, auf Lastwagen verladen und an die tschechoslowakische Grenze transportiert. Dort wurden sie mit zwei Fähren über die Donau auf tschechoslowakisches Staatsgebiet gebracht und auf einer Insel bei Theben (Děvín) ausgesetzt, von der sie ohne fremde Hilfe nicht ans Ufer gelangen konnten. Angeblich bis zu den Knien im Wasser, warteten sie den Morgen ab, bis einer von ihnen über den Damm nach Theben gehen konnte, um Hilfe zu holen. Die Gruppe, in der sich auch kleine Kinder und ältere Menschen befanden, zum Beispiel der achtundsiebzigjährige Rabbiner Armin Perls, wurden von tschechoslowakischen Grenzwachen ans Ufer gebracht, die feststellten, dass die Vertriebenen über keinerlei finanzielle Mittel verfügten, ärmlich gekleidet waren und keine Dokumente bei sich hatten. Die Flüchtlinge wurden verhört, für den illegalen Grenzübertritt mit einer Strafe belegt (die vermutlich von der jüdischen Gemeinde in Pressburg beglichen wurde) und (anderen Quellen vom 18. April 1938 zufolge) noch am selben Tag wiederum illegal über eine Pressburger Abschiebestation bei Engerau (Petržalka) auf österreichisches Gebiet zurückgeschickt. Nur eine kranke ältere Dame blieb vorläufig im Pressburger jüdischen Krankenhaus.112 Die Österreicher trieben die Gruppe umgehend weiter über die Grenze nach Ungarn, doch auch von dort wurden alle unverzüglich zurückgeschickt. Drei Tage brachten die Menschen im Grenzbereich dreier Staaten zu, von denen nicht einer bereit war, sie auch nur vorläufig aufzunehmen. Vier Männer kamen ums Leben: Zwei begingen Selbstmord, zwei ertranken wahrscheinlich beim Versuch, über eine der Grenzen zu gelangen, in den sumpfigen Auen. Ein Teil der Vertriebenen kehrte vorläufig nach Kittsee zurück. Dort wurden Alte und Kinder in einen Keller gesperrt und die Erwachsenen zu erniedrigenden Reinigungsarbeiten gezwungen.113 Später trieb man die misshandelten Kittseer Juden zu Fuß ein zweites Mal an die tschechoslowakische Grenze. Die jüdische Gemeinde von Pressburg, die die Flüchtlinge mit Lebensmitteln und sonst nötigen Dingen versorgte, griff schließlich zu der einzig möglichen Lösung: Sie brachte sie auf einem angemieteten Schleppkahn unter, den sie bei Ragendorf (Rajka) auf der ungarischen Donauseite verankern ließ. Die Donau hatte den Status eines internationalen Gewässers; daher konnte keiner der drei Staaten den Flüchtlingen einen Aufenthalt auf der Donau verbieten. Aus eben diesem Grund wurde sie später von den sog. Alija-Bet-Flüchtlingsschiffen für den illegalen Transfer von Juden aus Mitteleuropa nach Palästina genutzt.

111 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/R/3/2, K. 1186–16: undatiertes Protokoll des Innenministeriums. 112 Ebda.: Bericht des Präsidiums der Landesbehörde Pressburg, 21.4.1938. 113 Siehe u.a. „50 štvaných mezi hranicemi“ [50 Gejagte zwischen den Grenzen], Rudé právo, 21.4.1938.

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In dieser provisorischen und erbärmlichen Unterkunft fanden in den folgenden Monaten mehr als fünfzig burgenländische Flüchtlinge Zuflucht. Während sich die Hilfsorganisationen um ihre weitere Ausreise bemühten, mussten sie auf dem kleinen Schleppkahn leben, den ungarische Gendarmen vom Ufer aus überwachten. Auch dass sie Anfang Mai auf einen zwar kleineren, aber bequemeren Kahn wechseln konnten, machte ihre Situation nicht besser.114 Vertreter der HICEM besuchten sie in ihrem schwimmenden Gefängnis und machten ihnen angeblich Mut damit, dass der Völkerbund die Schaffung einer neuen Flüchtlingsorganisation plane, in der die Hilfe für russische (armenische) und deutsche (österreichische) Flüchtlinge zusammengelegt würde.115 Marie Schmolka notierte die Eindrücke von ihrem Besuch bei den Flüchtlingen, die nunmehr schon drei Monate auf dem Kahn zugebracht hatten: „Wir haben ihre unbeschreibliche seelische Qual gesehen, die noch gesteigert wird von den physischen Strapazen, die der Aufenthalt in den kleinen von Ratten bevölkerten Lagerräumen des Schleppkahns mit sich bringt oder an Deck des Schleppkahns, das Unwettern und sengender Sonne gleichermaßen ausgesetzt ist.“ Bis Anfang Juli 1938 konnten nur zehn Personen nach Amerika ausreisen.116 Neunzehn weitere fanden später Zuflucht in Jugoslawien. Die letzten verließen den in der Donau vor Anker liegenden Kahn erst im September 1938, fünf Monate nach ihrer Vertreibung, als die ungarischen Behörden den Hilfsorganisationen angeblich ein Ausreise-Ultimatum stellten. Einem Teil der Flüchtlinge verschafften zionistische Organisationen Einwanderungszertifikate für Palästina, andere fanden Zuflucht in den Vereinigten Staaten und in Bolivien. Einige mussten auch in das jüdische Krankenhaus in Budapest gebracht werden.117 Bemerkenswert an der Reaktion der tschechoslowakischen Behörden ist vor allem die grundsätzliche Weigerung, eine auch nur kleine Zahl von Flüchtlingen aufzunehmen. Dabei ging es den Hilfskomitees und anderen Organisationen lediglich um einen vorübergehenden Aufenthalt, bis die Ausreise in ein Drittland gesichert wäre. Ein typisches Beispiel in diesem Zusammenhang ist das von der Liga für Menschenrechte an Innenminister Josef Černý adressierte Memorandum, in dem es heißt: „Die tschechoslowakische Öffentlichkeit ist beunruhigt von den Nachrichten über die einundfünfzig aus Österreich ausgewiesenen Personen, die Zuflucht bei Pressburg in der Tschechoslowakei gesucht haben. Wir verstehen, 114 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/R/3/2, K. 1186–17: Bericht des Präsidiums der Landesbehörde Pressburg, 15.5.1938. 115 Ebda.: Bericht der Polizeidirektion Pressburg, 9.6.1938. 116 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/R/3/2, K. 1186–16: Auszug aus dem Bericht von Marie Schmolka. 117 Kinga FROJIMOVICS: I Have Been a Stranger in a Strange Land. The Hungarian State and Jewish Refugees in Hungary, 1933–1945. Jerusalem 2007, S. 49–51; siehe auch: „Zničení lodi vyvrženců“ [Die Vernichtung des Kahns der Ausgestoßenen], Večerní České slovo, 30.8.1938.

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dass die tschechoslowakischen Behörden einen Zustrom von Emigranten in die Tschechoslowakei verhindern wollen, dennoch wenden wir uns, Herr Minister, mit der ebenso höflichen wie dringenden Bitte an Sie, alles zu tun, was in Ihren Händen steht, damit das Schicksal derer, die Opfer eines undemokratischen Systems geworden sind, milder und menschlicher ausfällt.“ Das Innenministerium legte dieses sehr vorsichtig formulierte Gesuch mit der einfachen Ausrede beiseite, dass sich die Flüchtlinge nicht auf tschechoslowakischem Boden befänden.118

Die Zeitung Večerní České slovo schildert das tragische Schicksal der Juden aus Kittsee, 30. August 1938

Aufmerksam auf die verzweifelte Situation der von den Grenzen der europäischen Staaten zurückgetriebenen Flüchtlinge machte Milena Jesenská in ihrer Reportage Statisíce hledají zemi nikoho [Hunderttausende auf der Suche nach Niemandsland], die am 27. Juli 1938 in der Zeitschrift Přítomnost [Gegenwart] veröffentlicht wurde. Darin beschreibt sie ihre Begegnung mit einem Wiener Juden in der Vinohradská-Straße in Prag: 118 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/R/3/2, K. 1186–17: Liga für Menschenrechte an Innenminister Josef Černý, 23.4.1938.

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Das Ende des Exils in der Tschechoslowakei

Geschichten wie die seine haben wir in den letzten Jahren viele gehört. Er hatte ausgeschlagene Zähne und einen blutigen Gaumen, er trug Lumpen statt Kleider, er besaß nicht einen Heller und hatte seit vielen Stunden nichts gegessen. Er legte sich nirgendwo schlafen – aus Angst, dass er zurückgeschickt werden könnte. Er ging und ging nur immer weiter. Wie lange kann ein entkräfteter und gedemütigter Mensch ohne Geld so gehen, bis eine Wache ihn anhält? Vielleicht hält sie ihn morgen an, vielleicht übermorgen. Und es wird ihr nichts anderes übrigbleiben, als ihn zurückzuschicken, denn sonst kämen Karawanen verelendeter Menschen, wenn sich die Grenzen öffnen würden. Zurückschicken – aber wohin? Er hat keine Papiere, von Verwandten weiß er nicht. Die tschechoslowakischen Behörden schicken ihn an die Grenze zum ehemaligen Österreich und an der Grenze dieses seines Staats weist man ihn ab. Ein Postpaket muss dem Empfänger ausgehändigt werden, ein menschliches Paket steht an der Grenze und es heißt: Verschwinden Sie! Und das menschliche Paket geht einige Schritte allein, bis die nächste Wache es aufgreift. In Prag gab es einen Menschen, der den Rekord dieses elenden Wanderns hielt: sechzig Mal hatte man ihn an den verschiedenen Grenzen abgewiesen.119

Nicht einmal tschechoslowakische Staatsangehörige konnten sich im annektierten Österreich sicher fühlen. Es lässt sich nicht genau bestimmen, wie viele tschechoslowakische Staatsbürger nach dem „Anschluss“ in die Tschechoslowakei geflüchtet sind oder dorthin vertrieben wurden. Der Großteil davon hat sich wahrscheinlich nie amtlich gemeldet, doch ist davon auszugehen, dass die große Mehrheit der Juden mit tschechoslowakischem Pass diese Möglichkeit zur Emigration nutzte. Denn in Österreich waren sie weder durch ihre tschechoslowakische Staatsbürgerschaft vor Verfolgung, Schikanen und Enteignung geschützt noch halfen die Proteste der tschechoslowakischen Vertretungen. Das tschechoslowakische Konsulat in Wien informierte am 24. Juli 1938 über die „Arisierung“ von Eigentum tschechoslowakischer Staatsbürger: Der eigentlichen Enteignung ging zunächst die Einsetzung eines Kommissars voraus; diese ging einher mit verschiedensten Repressalien, so dass sich der jüdische Eigentümer schließlich genötigt sah, sein Geschäft unter Wert zu verkaufen oder ohne Gegenleistung zu übergeben. Die Proteste des Generalkonsulats hatten bis dahin nicht nur nichts bewirkt, sondern die Situation der geschädigten tschechoslowakischen Staatsbürger sogar verschlimmert. Daher bat das Konsulat um eine direkte Verhandlung der Angelegenheit mit der deutschen Regierung. Indirekt geht aus diesem Bericht hervor, dass es die tschechoslowakische Vertretung in Wien bald aufgab, in Österreich ansässige Juden tschechoslowakischer Staatsbürgerschaft vor einer Verfolgung durch das neue Regime zu schützen. Ohnehin war offensichtlich, dass diese entweder schon in die Tschechoslowakei geflüchtet 119 JESENSKÁ: Nad naše síly [Über unsere Kräfte], S. 59–70, Zitat S. 59. Aus dem Aufsatz „Statisíce hledají zemi nikoho“, ursprünglich abgedruckt in Přítomnost 27.7.1938.

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waren oder aber über kurz oder lang zu einer Flucht gezwungen wären. Das Bemühen, einen Teil ihres Eigentums zu retten, sollte ihnen die Sesshaftwerdung in der Tschechoslowakei erleichtern und dafür sorgen, dass sie dem Staat und ihren Heimatgemeinden „nicht zur Last“ fielen.120 In Anbetracht der internationalen Lage und der angespannten deutsch-tschechoslowakischen Beziehungen blieben die Interventionen der tschechoslowakischen Diplomatie allerdings ohne Ergebnis. Das Wiener Konsulat konnte nur hilflos über die willkürliche Vertreibung der tschechoslowakischen Juden aus ihren Wohnungen und ihre Enteignung berichten: „Die Ausweisung aus Land und Wohnung schädigt unsere Staatsangehörigen insofern stets in einem hohen Maß, als sie gezwungen sind, ihr Eigentum, ihre Geschäfte, Betriebe etc. zum halben Preis zu verkaufen oder alles dem Schicksal zu überlassen und ins Ausland zu gehen.“ Außerhalb Wiens wurden die tschechoslowakischen Juden tatsächlich oft inhaftiert. In Graz zum Beispiel verhaftete die Gestapo fünf Geschäftsleute und zwang sie, eine Erklärung zu unterschreiben, dass sie Deutschland bis zum 1. September „freiwillig“ verlassen würden.121 Es ist ganz offensichtlich, dass die nationalsozialistischen Behörden in Österreich mit den tschechoslowakischen Juden ähnlich verfuhren wie mit den jüdischen Bürgern Polens und anderer östlicher Staaten: Ziel war ihre möglichst sofortige Vertreibung. Exemplarisch für die Vertreibung ist das Schicksal von Ervin Moskovitz und seiner Familie. Moskovitz war 1932 aus der Slowakei nach Güsing im Burgenland gezogen und hatte sich dort ein Geschäft mit Baumaterialien und Gemischtwaren aufgebaut. Kurz nach dem „Anschluss“ suchten ihn zwei SA-Angehörige auf, der vierundzwanzigjährige Kreisleiter und dessen Stellvertreter, und zwangen ihn – unter Androhung der Schließung und Plünderung seines Geschäfts – zu einer „freiwilligen“ Spende für die NSDAP in Höhe von 1000 Schilling. In den folgenden Tagen kamen des Öfteren Mitglieder der SA, forderten die kostenlose Herausgabe von Waren und versahen die Außenwand mit der Aufschrift „Jüdisches Geschäft“ sowie mit einem „Judenstern“. Am 28. März 1938 beschlagnahmte die Gestapo Geld, Wertsachen und die tschechoslowakischen Pässe der Familie. Das Geschäft verlor seine Kunden und Moskovitz sah sich gezwungen, es gegen freie Kost und Logis an seinen ehemaligen Angestellten zu verpachten. Bald allerdings durfte er sein eigenes Geschäft nicht einmal mehr betreten. Am 14. April 1938 verlud die Gestapo Moskovitz und seine Familie in ein Auto und zwang sie 120 NA, MS, 1918–1945, Österreich, K. 63. Auf Grundlage dieses Berichts sowie Stellungnahmen weiterer Ministerien übersandte die tschechoslowakische Botschaft in Berlin dem deutschen Außenministerium eine Note, in der die deutschen Behörden dazu aufgerufen werden, die willkürlichen Konfiszierungen einzustellen, und darauf hingewiesen wird, dass entsprechende Maßnahmen gegen deutsche Staatsbürger in der Tschechoslowakei nicht zur Anwendung kommen. Siehe z.B. ebda., Bericht des Außenministeriums, 5.9.1938. 121 NA, MS, 1918–1945, Sign. Österreich, K. 63: Bericht des tschechoslowakischen Konsulats in Wien, 12.8.1938.

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Das Ende des Exils in der Tschechoslowakei

an der ungarischen Grenze zu einem illegalen Übertritt. In Ungarn wurden die Moskovitzs verhaftet, konnten aber, nach dem sie sich eine Bestätigung über ihre tschechoslowakische Staatsbürgerschaft hatten zuschicken lassen, nach Pressburg ausreisen.122 Einer ähnlichen Verfolgung waren auch viele in Wien ansässige tschechoslowakische Juden ausgesetzt. So überschritt Anfang Juni 1938 der tschechoslowakische Staatsbürger Mořic Reiss mit seiner Frau Františka und Sohn Mořic illegal die Grenze bei Kallendorf (Chvalovice) nahe Schattau. Auf der Polizei erzählte der vierundfünzigjährige Reiss über seine Verfolgung: Er lebe seit 1909 in Wien und habe dort einen Gemischtwarenladen. Nach dem „Anschluss“ hätten ihn die Nationalsozialisten zunächst einige Wochen in Ruhe gelassen, in den letzten Wochen sei es dann aber „nicht mehr zum Aushalten“ gewesen. Reiss betonte – und womöglich übertrieb er dabei in Hinblick auf eine wohlwollende Aufnahme in der Tschechoslowakei –, dass in seinem Geschäft nur Tschechen gekauft hätten und er gerade deshalb verschiedensten Schikanen ausgesetzt gewesen sei. Mitglieder der SS oder SA seien immer wieder bei ihm eingefallen und hätten behauptet, seine Buchhaltung sei nicht in Ordnung oder er habe seine Steuern nicht bezahlt. Schließlich sei das Geschäft einem Kommissar übertragen worden, dem er sein gesamtes Eigentum im Wert von 65 000 Schilling hätte aushändigen müssen – ihm selbst seien für den bloßen Lebensunterhalt nur 200 Schillinge belassen worden. Nach einigen Tagen, kaum dass sie sich ein wenig erholt hätten, wären Nationalsozialisten in ihre Wohnung eingedrungen, hätten alles durcheinandergeworfen, sämtliche Urkunden, Dokumente und selbst die tschechischen Gesangbücher beschlagnahmt. Bei einem weiteren derartigen Besuch hätten sie ihnen die tschechoslowakischen Pässe abgenommen. Da man ihnen mit einer Verhaftung gedroht habe und sie um ihr Leben fürchten mussten, hätten sie es nicht einmal mehr geschafft, sich neue Pässe auf dem Wiener Konsulat zu besorgen, sondern seien lieber gleich zur tschechoslowakischen Grenze abgereist und hätten diese illegal überschritten. Ob diese Geschichte die Polizisten in irgendeiner Weise berührt hat, ist schwer zu sagen, jedenfalls wurde die Familie wegen illegalen Grenzübertritts mit einer Strafe belegt. Welche Atmosphäre damals herrschte, lässt sich auch daran ablesen, dass Reiss – obwohl er nahezu um sein ganzes Vermögen gebracht worden war – sofort 300 Kč in den Fond zur Verteidigung des Staats (Fond obrany státu) einzahlte.123

122 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/R/3/2, K. 1186–17: Protokoll des Verhörs von Ervin Moskovitz, Polizeidirektion Pressburg, 17.5.1938. 123 MZA, ZÚ Brno, Präsidium, Sign. 10892, K. 282: Bericht der Staatlichen Polizeibehörde Znaim, 2.6.1938.

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„Jagd auf die Emigranten“









Robert Schwarz, geb. 1899 in Kopčany u Holíče. Der Kapellmeister und Pianist Robert Schwarz wurde im mährisch-slowakischen Grenzgebiet geboren. Er diente im Ersten Weltkrieg in der österreichisch-ungarischen Armee und nahm im November 1918 sein Studium an der Staatlichen Musikakademie in Wien auf. Später bestritt er seinen Lebensunterhalt als Korrepetitor und Lehrer für Klavier und Musiktheorie. In Wien heiratete er eine Tochter aus jüdischem Haus, Paula, die auf Grund dieser Heirat tschechoslowakische Staatsbürgerin wurde. 1933 wurde Tochter Marion geboren. Dank der 1929 auf dem Wiener Konsulat ausgestellten Reisepässe konnten alle drei nach dem „Anschluss“ problemlos nach Prag flüchten, wo sie von Bekannten aufgenommen wurden. Im Februar 1939 bemühte sich Familie Schwarz erfolgreich um neue tschechoslowakische Reisepässe und konnte im Mai nach Frankreich fliehen. Im April 1940 meldete sich Robert Schwarz freiwillig zur tschechoslowakischen Einheit innerhalb der französischen Armee, wurde aber auf Grund der Okkupation Frankreichs bereits im August wieder demobilisiert und flüchtete mit Frau und Tochter nach Marseille. 1942, als die Juden aus Frankreich bereits deportiert wurden, gelang Familie Schwarz der illegale Grenzübertritt in die Schweiz. Robert und Paula Schwarz wurden im Flüchtlingslager Charmilles interniert, Tochter Marion wurde bei einer Schweizer Familie untergebracht. Aus den Berichten der Schweizer Fremdenpolizei geht hervor, dass Frau Schwarz unter der Trennung von ihrer Tochter sehr litt und ihr ohnehin labiler gesundheitlicher Zustand sich erheblich verschlechterte. Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt Familie Schwarz ein Visum für Venezuela, doch ist nicht sicher, ob sie je dorthin ausgereist ist.124

Ein großer Teil der aus Österreich vertriebenen Juden waren polnischer Herkunft. Sie waren schon längere Zeit Ziel nationalsozialistischer Gewalt – ähnlich wie 124 NA, PŘ, 1931–1940, Sign. S 7742/23, K. 11332: Schwarz, Robert; Sign. S 7779/10, K. 11341: Schwarzová, Paula; Bundesarchiv Bern, E 4264, Eidgenössische Polizeiabteilung, Personenaktenserie N, 1985/196, K. 515, N 6203.

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nach der Machtergreifung 1933 in Deutschland. In Wien und anderswo in Österreich lebte eine große Zahl von Juden, die vor den Bewegungen der Front und den antijüdischen Übergriffen während des Ersten Weltkriegs bzw. in den ersten Nachkriegsjahren geflohen waren. Viele von ihnen hatten zum ZwischenkriegsPolen keine eigentliche Beziehung mehr und wollten auf Grund der auch dort zunehmenden Diskriminierung der Juden nicht in ihre ursprüngliche Heimat zurückkehren. Trotz ihres langjährigen Aufenthalts in Österreich hatten die meisten jedoch nie die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten. Zugleich verstärkte sich der Antisemitismus auch in Polen, die Rechtsparteien unterstützten den wirtschaftlichen Boykott der Juden und an den Universitäten wurde ihre Zahl begrenzt. Nach dem „Anschluss“, genau in jener Zeit, als die polnischen Behörden über die Möglichkeiten einer kollektiven Emigration der polnischen Juden spekulierten und darauf bedacht waren, ihre Zahl zu verringern, „drohte“ nun umgekehrt eine Massenzuwanderung jüdischer Flüchtlinge, die als polnische Staatsbürger bisher in Österreich gelebt hatten. Die polnischen Behörden wollten eine Rückkehr der im Ausland ansässigen polnischen Juden möglichst verhindern: im März verabschiedete der Sejm ein Gesetz, auf dessen Grundlage Inhabern polnischer Pässe die polnische Staatsbürgerschaft aberkannt werden konnte, wenn sie sich mehr als fünf Jahre ununterbrochen im Ausland befunden hatten. Dieses Gesetz sollte Ende Oktober 1938 in Kraft treten. Es führte zu einem Bruch in den deutsch-polnischen Beziehungen und schließlich zur Ausweisung tausender polnischer Juden aus Deutschland.125 Sofern polnische Juden jedoch nach Polen zurückkehren durften und ihre Einreise als sicher gelten konnte, war ein Transit durch die Tschechoslowakei problemlos möglich. Voraussetzung war ein gültiger polnischer Reisepass und ein tschechoslowakisches Transitvisum, wobei das tschechoslowakische Konsulat angewiesen war, vor dessen Erteilung bei den polnischen Vertretungen nachzufragen, ob der betreffenden Person die Einreise nach Polen tatsächlich erlaubt sei. Das Innenministerium befürchtete zudem, dass die polnischen Juden, die einen Transit durch die Tschechoslowakei beantragt hatten, in Wirklichkeit im Land bleiben und hier sesshaft werden könnten. Daher sollte zunächst festgestellt werden, wie viele polnische Staatsbürger täglich in Lundenburg einträfen und wie viele die Tschechoslowakei in Petrowitz bei Freistadt (Petrovice) tatsächlich wieder verließen. Die ersten Zählungen zeigten keine größeren Unterschiede: In der ersten Woche kamen 676 Polen in Lundenburg an, 598 reisten aus. Auch wenn zuweilen mehr polnische Staatsbürger gingen als kamen, sahen die Ministerialbeamten ihre Befürchtungen bestätigt. Am 24. März 1938 wurde verfügt, alle pol125 Jerzy TOMASZEWSKI: Auftakt zur Vernichtung. Die Vertreibung polnischer Juden aus Deutschland im Jahre 1938. Osnabrück 2002; Szymon RUDNICKI: „Anti-Jewish Legislation in Interwar Poland“, in: Robert BLOBAUM (Hg.): Antisemitism and Its Opponents in Modern Poland. Ithaca – London 2005, S. 148–170.

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nischen Staatsbürger, die durch die Tschechoslowakei reisen wollten, festzuhalten, ihre Reisepässe zu beschlagnahmen und sie unter Aufsicht in Gruppen mit dem Zug bis zur polnischen Grenze zu bringen. Das tschechoslowakische Konsulat in Wien wurde vom Außenministerium angewiesen, polnischen Staatsbürgern nur noch ein Transitvisum für die Strecke Lundenburg – Petrowitz auszustellen. Die Kontrollen in Lundenburg und die Sammlung aller polnischen Staatsbürger mit tschechoslowakischen Transitvisum verlief unter großer Nervosität: ein Pole, der dienstlich in Wien gewesen war, beklagte sich über das grobe Auftreten der tschechoslowakischen Grenzbeamten. Als man ihm den Pass ohne eine Bestätigung abnahm, hatte er protestiert, doch vergeblich: „Ich wurde von dem Beamten mit Gewalt aus dem Büro gedrängt und man sagte mir, dass ich bestenfalls ‚eine aufs Maul‘ bekommen könne und nach Wien zurückgeschickt würde.“ Damit sich derartige Beschwerden nicht häuften, erlaubte das Innenministerium Ausnahmen, wonach „gesellschaftlich höher gestellten Personen arischer Abstammung“ freier Transit gewährt werden konnte.126 Die von nun an unter Aufsicht gestellten polnischen Juden wurden zweimal täglich von einem tschechoslowakischen Gendarm im Schnellzug bis an die Landesgrenze begleitet und ihre tatsächliche Ausreise nach Polen überwacht. Täglich wurden auf diese Weise im Durchschnitt– legt man die Zahlen für die Zeit zwischen dem 15. und dem 31. Mai zugrunde – etwa 25 bis 30 Personen durch die Tschechoslowakei transferiert.127 Monatlich könnten somit ca. 750–900 Personen durch die Tschechoslowakei nach Polen ausgereist sein. Dem entspräche die Statistik des Wiener Konsulats, das in der Zeit nach dem „Anschluss“ bis zum 20. Juli 1938 ca. 4000 Transitvisa für die Tschechoslowakei ausgestellt hat, mit großer Wahrscheinlichkeit vor allem für polnische Juden, die über die Tschechoslowakei aus Österreich nach Polen flüchten wollten oder mussten.128 Die Zahl der auf diese Weise noch in der Zeit vor dem Münchner Abkommen aus Österreich vertriebenen polnischen Juden kann daher schätzungsweise auf 5000 beziffert werden. Der Großteil der aus Österreich flüchtenden oder vertriebenen polnischen Juden war jedoch nicht im Besitz gültiger Reisedokumente oder eines Visums bzw. hatte sich diese nicht mehr rechtzeitig beschaffen können. Oft wurden ganze Gruppen auf der Straße, in ihren Wohnungen oder in den Betrieben festgenommen, nach kurzer Haft meist an die tschechoslowakische Grenze gebracht und dort zu einem illegalen Grenzübertritt gezwungen. Die Flucht von Berisch (Bernhard) 126 MZA, ZÚ Brno, Präsidium, Sign. 6658 (482–488), K. 279; Beschwerde siehe NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/P/23/6, K. 1173–2: Abschrift des Berichts des tschechoslowakischen Konsulats in Krakau, 6.4.1938; siehe auch MZA, ZÚ Brno, Präsidium, Sign. 6766 (23), K. 279. 127 MZA, ZÚ Brno, Präsidium, Sign. 10194, K. 281: Bericht der staatlichen Polizeibehörde Lundenburg, 3.6.1938. 128 NA, PMV, Sign. X/R/3/6, K. 1189–12: Vermerk PMV, 30.7.1938.

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Sternberg (recte Wurman129), eines seit 1921 in Wien ansässigen Zimmermalers, seiner Frau und der drei Kinder zeichnet nicht nur ein deutliches Bild von der Judenverfolgung nach dem „Anschluss“, sondern vom Dschungel der Bürokratie, durch den die Flüchtlinge sich kämpfen mussten, wenn sie sich die erforderlichen Dokumente für eine legale Ausreise verschaffen wollten. Am 25. April 1938 wurde ich mit meiner ganzen Familie von Polizeiorganen aus meiner Wohnung abgeführt und in ein Polizeigefängnis gebracht, wo ich bis 28. April inhaftiert war. Am Abend dieses Tages musste ich eine Erklärung unterschreiben, dass ich bis 6. Mai 1938 das Territorrium Österreichs zu verlassen gedenke. Dann wurden meine Familie und ich freigelassen. Am 30. April ging ich aufs Konsulat, um mir die nötigen Dokumente, vor allem einen Reisepass, zu beschaffen. An diesem Tag herrschte auf dem polnischen Konsulat ein solcher Andrang, dass ich nicht mehr vorgelassen wurde. Ich ging also am 2. Mai noch einmal aufs Konsulat. Dort wurde ich gefragt, ob ich für Österreich optiert hätte. Als ich verneinte, wurde ich aufgefordert, eine amtliches Dokument darüber vorzulegen. Am 3. Mai 1938 ging ich auf die Städtische Behörde in Wien, um mir dieses Dokument zu besorgen. Mir wurde eine Bestätigung ausgestellt, dass ich nach Polen gehöre. Dieses Dokument wollte ich am 4. Mai auf dem polnischen Konsulat vorlegen, kam aber auf Grund des Andrangs nicht mehr an die Reihe. Am folgenden Tag, dem 5. V. 1938, war das Konsulat geschlossen, danach hatte ich keine Gelegenheit mehr aufs Konsulat zu gehen, weil ich Österreich am 6. V. 1938 verlassen musste. 130

Am 2. Mai wurde Sternberg aus seiner Wohnung vertrieben, die ein Angehöriger der österreichischen SA bezog. Mit sich nehmen durfte er nur zwei Kleidungsstücke. Möbel und sonstige Ausstattung musste er für einen geringen Betrag überlassen. Menschen wie er hatten keine große Wahl: Sie mussten versuchen, über die Tschechoslowakei illegal nach Polen zu gelangen. Am 6. Mai verließ er Wien ohne Pass zusammen mit seiner Frau und den drei Kindern im Alter von fünf, sechzehn und achtzehn Jahren; kurz vor der tschechoslowakischen Grenze stiegen sie aus dem Zug, um diese nachts bei Lundenburg illegal zu überschreiten. Auf tschechoslowakischer Seite wurden sie von der Finanzwache gestellt und verhört. Sodann kontaktierten die Gendarmen die dortige jüdische Gemeinde, die für eine Weiter129 Der „recte“- Name war der von den österreichisch-ungarischen bzw. später den österreichischen Behörden anerkannte Name einer Person, der aber nicht ihrem wirklichen Namen entsprach. Zu diesen Differenzen kam es, weil die österreichischen Behörden die von orthodoxen oder chassidischen Rabbinern in Galizien vorgenommenen Eheschließungen oder sonstige Amtshandlungen nicht anerkannten. 130 MZA, ZÚ Brno, Präsidium, Sign. 8710 (262–264), K. 281: Bericht der Polizeidirektion Teschen, 16.5.1938.

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reise nach Mährisch Ostrau sorgte und einen Teil der Fahrtkosten übernahm. Die Sternbergs wohnten einige Tage im Büro der jüdischen Gemeinde von Ostrau, wurden erneut polizeilich verhört und fuhren – wiederum auf Kosten der jüdischen Gemeinde – weiter nach Teschen (Český Těšín). Auch dort wandten sie sich an die jüdische Gemeinde. Sternberg wurde von der Polizei verhört, vermutlich für den illegalen Grenzübertritt und den Aufenthalt im Land ohne gültigen Reisepass mit einer Geldstrafe belegt und konnte schließlich am 12. Mai mit seiner Familie nach Polen ausreisen.131 In den Akten der tschechoslowakischen Ämter finden sich viele vergleichbare Fälle. So wurde am 30. April 1938 auf dem Bahnhof in Znaim der 39-jährige polnische Jude Vladimir Botscharoff verhaftet, da er keinen Reisepass vorweisen konnte. Er gab an, 1919 aus Angst vor den Bolschewiken nach Frankreich geflüchtet zu sein und sich erst im Februar 1938 zu einer Rückkehr nach Polen entschlossen zu haben. (Wahrscheinlich aber war er als polnischer Staatsbürger von den französischen Behörden ausgewiesen worden.) Er war durch die Schweiz und Österreich gereist, in Linz verhaftet und illegal auf tschechoslowakisches Gebiet gebracht worden. Die jüdische Gemeinde in Znaim hatte ihm eine Fahrkarte an die polnische Grenze bezahlt und zu einem überwachten Transit durch die Republik geschickt.132 Nur wenige Tage später verhörte die Znaimer Polizei Leib Blumenzweig, einen fünfunddreißigjährigen polnischen Staatsbürger aus Zamość, der zu Beginn des Ersten Weltkriegs nach Wien geflüchtet und dort nach Abschluss einer Lehre als Uhrmacher tätig war. Außerdem war er aktiver Sozialdemokrat. Nach dem „Anschluss“ wurde er verhaftet und im Lager in Hadres nahe der tschechoslowakischen Grenze interniert, von wo man ihn dann zusammen mit seiner Frau zu einem illegalen Grenzübertritt eskortierte. Der aber gelang erst nach mehrmaligen Versuchen. Die tschechoslowakischen Grenzbeamten hatten ihn wiederholt verhaftet und nach Österreich zurückgeschickt. Blumenzweig gab an, dass er von Polen aus nach Paraguay emigrieren wolle. Die Polizei belegte ihn für seinen illegalen Grenzübertritt mit einer Strafe und schickte ihn zu einem überwachten Transport an die polnische Grenze. Strafe und Reisekosten beglich die jüdische Gemeinde in Znaim.133 Die polnischen Juden, die durch die Tschechoslowakei fuhren, waren meist völlig mittellos und ohne die erforderlichen Reisedokumente. Wie die angeführten Beispiele zeigen, waren sie fast ausnahmslos auf die finanzielle Unterstützung durch die örtlichen jüdischen Gemeinden angewiesen. Diese kamen für die Fahr131 Ebda. 132 MZA, ZÚ Brno, Präsidium, Sign. 8572 (227–228), K. 281: Bericht der Staatlichen Polizeibehörde Znaim, 12.5.1938. 133 MZA, ZÚ Brno, Präsidium, Sign. 9719 (495–496), K. 281: Bericht der Staatlichen Polizeibehörde Znaim, 14.5.1938.

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karten auf, sorgten für Unterkunft und Verpflegung und intervenierten eventuell bei den tschechoslowakischen Behörden. Auch die häufigen Geldstrafen für den illegalen Grenzübertritt mussten von den jüdischen Gemeinden übernommen werden. Im Mai 1938 ersuchte der Stellvertretende Vorsitzende der jüdischen Gemeinde von Teschen, der Rechtsanwalt Leo Ziffer, bei der dortigen Polizeidirektion, sie möge von dieser Strafe absehen, denn die jüdische Gemeinde würde täglich von Flüchtlingen um Unterstützung gebeten und müsste nicht nur für deren Verpflegung sorgen, sondern auch die ihnen auferlegten Bußgelder bezahlen (sofern die Polizeidirektion dazu nicht bereit wäre, sollte die Strafe ersatzweise durch Inhaftierung verbüßt werden können). In der letzten Zeit habe die jüdische Gemeinde 2 000 Kč Flüchtlingshilfe geleistet und allein in den vergangenen zwei Wochen ca. 40 Menschen unterstützt.134 Die Gesamtzahl der überwiegend jüdischen Flüchtlinge, die illegal von Österreich in die Tschechoslowakei kamen, lässt sich nur schwer bestimmen. Nicht alle haben sich offiziell gemeldet und auf den Ämtern wurden keine systematischen Verzeichnisse geführt. Bedenkt man, dass in den Folgejahren aus dem „Protektorat Böhmen und Mähren“ etwa 2 000 ehemals österreichische Juden – die freilich nicht alle erst nach dem „Anschluss“ geflüchtet sein mussten – nach Theresienstadt oder Lodz deportiert wurden und dass einigen auch die Ausreise in ein Drittland gelang, so kann man – freilich ohne gesicherte Quellen – von etwa 3 000 bis 4 000 Personen ausgehen. Rechnen wir dazu die ebenfalls nicht systematisch registrierten aus Österreich ausgewiesenen tschechoslowakischen Staatsbürger (die allerdings zum Teil in der oben genannten Zahl erfasst sind) und die durch tschechoslowakisches Gebiet reisenden polnischen Juden, so lässt sich wohl von etwa 10 000 Flüchtlingen sprechen, die auf irgendeine Weise von Österreich in die Tschechoslowakei gekommen sind. Ihr Aufenthalt bzw. ihr Transit stand im Zeichen verschärfter behördlicher Maßnahmen und brachte für die Hilfsorganisationen und die jüdischen Gemeinden ungemeine Belastungen mit sich. Verzweifelte Hilfe Der „Anschluss“ Österreichs wurde von der tschechoslowakischen Regierung und auch von der Bevölkerung des Landes als Einschnitt wahrgenommen. Die Grenze zum nationalsozialistischen Deutschland hatte sich bedenklich verlängert und die böhmischen Länder befanden sich, wie eine zeitgenössische Karikatur aus dem Neuen Vorwärts deutlich machte, gleichsam in den Fängen des Nationalsozialismus.135 Mit dem wachsenden Gefühl der eigenen Bedrohung schwand 134 MZA, ZÚ Brno, Präsidium, Sign. 8710 (262–264), K. 281: Bericht der Polizeidirektion Teschen, 16.5.1938. 135 Titelseite Neuer Vorwärts, 27.3.1938.

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das Interesse an den Flüchtlingen, ob sie sich nun schon im Land befanden oder erst jetzt an die tschechoslowakische Grenze kamen. Von einigen vereinzelten Reportagen abgesehen rief daher die Angliederung Österreichs an Deutschland bei der tschechoslowakischen Bevölkerung keine größere Welle des Mitleids mit den neuen Opfern des Nationalsozialismus hervor. Die Schließung der Grenzen rief keinerlei Protest in der tschechoslowakischen Öffentlichkeit hervor, sondern wurde eher mit einer gewissen Genugtuung registriert. Der überwiegende Teil der Bevölkerung nahm das Problem der österreichischen Flüchtlinge nicht zur Kenntnis. Die rechtsgerichteten Medien schürten aber, ähnlich wie bei der so geringen Immigration rumänischer Juden, die Ängste vor einer Zuwanderung jüdischer Flüchtlinge aus Österreich, die für die Einheimischen eine wirtschaftliche Konkurrenz wären. Die Národní politika [Nationalpolitik] berichtete bereits am 1. April 1938 von einer angeblichen Beschäftigung österreichischer Flüchtlinge in der Tschechoslowakei und titelte Dělníci žádají, aby úřady zakročily [Arbeiter fordern ein Eingreifen der Behörden]. Vor allem jüdische Flüchtlinge würden massenhaft über die March flüchten, wo der Schmuggel schon immer geblüht habe, sie würden den Fluss mit Hilfe von Autoreifen überqueren und „finden dann nicht nur Unterschlupf, sondern auch Beschäftigung auf den Höfen, in den Geschäften und sonstigen Betrieben ihrer jüdischen Glaubensgenossen. Das ist zum Nachteil der einheimischen Arbeitnehmer, denen gekündigt wird.“ Auf einem Hof bei Malacky habe der Gutsherr versucht, statt „einheimischer Leute“ vier Flüchtlinge zu beschäftigen. Eine amtliche Untersuchung ergab allerdings, dass dies – wie üblich – nicht der Wahrheit entsprach.136 Unter Verweis auf die zahlreichen Beschwerden von Gewerbetreibenden warnte in ganz ähnlichem Ton auch der Landesverband der gewerblichen Genossenschaften [Zemská jednota živnostenských společenstev]: „Die Äußerungen wichtiger Entscheidungsträger im benachbarten Deutschen Reich, dass sie das ehemalige Österreich innerhalb von 4 Jahren judenrein machen wollen, weckt in unserem Gewerbe düstere Erwartungen.“ Angesichts der intensiven wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Tschechoslowakei und Österreich äußerte der Verband die Befürchtung, dass die „österreichischen Juden unsere Republik überschwemmen, unsere Wirtschaft an sich reißen und das einheimische Staatsvolk unterdrücken.“137 Der Zentralrat des Handels wiederum betonte, dass „die Angehörigen des jüdischen Volkes eine besondere Befähigung zu kaufmännischen Berufen haben und

136 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/R/3/2, K. 1186–17: Zeitungsausschnitt, Národní politika, 1.4.1938. 137 NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/R/3/2, K. 1186–17: Resolution des Verbands der gewerblichen Genossenschaften, 20.4.1938.

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daher hegen wir begründete Befürchtungen, dass ihre Präsenz im Handel zu noch größeren Schwierigkeiten und einer noch stärkeren Bedrohung führen könnte...“ Da diese Zuwanderer kein eigenes Gewerbe anmelden würden (was ihnen verboten war), sondern unter dem Deckmantel tschechoslowakischer Unternehmer agieren, müsse man „dieser unerwünschten Zuwanderung Einhalt gebieten“.138

Karikatur aus dem Neuen Vorwärts, 27. März 1938

138 NA, MV, Alte Registratur, 1919–1944, IV. s. o., Sign. 5/23/39, K. 4649: Handelszentralrat [Ústřední rada obchodnictva], 27.4.1938. In nicht weniger antisemitischem Tenor protestierten, genau wie während der Rumänienkrise, einige Wochen früher die Olmützer Gewerbegenossenschaften: NA, PMV, 1936–1940, Sign. X/R/3/2, K. 1186–16: Resolution des Bezirksverbands der gewerblichen Genossenschaften und Gremien für Olmütz Stadt [Okresní jednota živnostenských společenstev a gremií Olomouc město], 30.3.1938.

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Durch die veränderte politische Atmosphäre und die unverhohlene Feindseligkeit gegenüber den jüdischen Flüchtlingen sahen sich die Hilfsorganisationen nach dem „Anschluss“ in eine heikle Situation gestellt und fanden nur noch schwer öffentliche Unterstützung, ohne die sie längerfristig freilich nicht bestehen konnten. Nach dem „Anschluss“ mussten auch die bereits in der Tschechoslowakei befindlichen Flüchtlinge aus Deutschland um ihre Sicherheit fürchten. Ängstlich verfolgten sie das politische Geschehen und machten sich, anders als manch ein tschechoslowakischer Staatsbürger, keinerlei Illusionen über die aggressiven Pläne Hitler-Deutschlands. Die Hilfskomitees bemühten sich nun nicht nur händeringend um Visa für ihre Klienten, sondern auch für ihre Mitarbeiter.139 Vor allem die Flüchtlingshilfsorganisationen, die bereits 1937 auf Grund ihrer politischen Aktivitäten (auf und von tschechoslowakischem Gebiet aus) in Schwierigkeiten geraten waren, suchten nun nach sichereren Ländern für ihre Tätigkeit. In einem Bericht vom 4. April 1938 vermerkte die Prager Polizeidirektion, dass in den vergangenen Tagen 17 Mitarbeiter des Sozialdemokratischen Hilfskomitees nach Bolivien ausgereist seien, sechs nach Norwegen, fünf nach Großbritannien, vier nach Schweden, drei nach Frankreich, zwei nach Lettland.140 Auch manche Exilzeitschriften verlegten noch vor dem Sommer 1938 ihre Redaktion nach Paris. Ende Mai schloss das Büro der SoPaDe; ihr Zentralsekretariat befand sich ab dem 1. Juli in Paris. Dorthin waren auch die Redaktionen jener Zeitschriften übergesiedelt, die der Sozialdemokratie nahe standen, allen voran der Neue Vorwärts.141 Mitte Juli wurde die von Karl Schwab geführte kommunistische Vereinigung für Flüchtlingshilfe aufgelöst. Das Komitee vereinigte sich mit der Solidarität und löste das Flüchtlingsheim in Prag-Straschnitz auf. Die dort untergebrachten Flüchtlinge übernahm das „Šalda“-Komitee in sein Wohnheim in Sweprawitz bei Ober Počernitz. Die höheren kommunistischen Funktionäre unter den deutschen Flüchtlingen hatten die Tschechoslowakei zum großen Teil schon im Herbst 1937 (meist Richtung Frankreich) verlassen.142 Auf vorläufig sicheres Terrain in Frankreich hatte sich im Mai 1938, als die Tschechoslowakei mobil machte, auch Kurt Grossmann zurückgezogen. Er hatte seit 1933 der Demokratischen Flüchtlingsfürsorge vorgestanden. Das Visum hatten er und seine Frau auf direkte Veranlassung des französischen Regierungsvor139 Auch die tschechischen und deutschen Tageszeitungen registrierten die „Liquidierung“ der reichsdeutschen Emigration: Němečtí emigranti se stěhují z naší republiky“ [Deutsche Emigranten ziehen aus unserer Republik fort“, Venkov, 15.3.1938, Nr. 62; „Emigrantenflucht aus der Tschechoslowakei“, Deutsche Landpost, 16.3.1938, Nr. 62; „Sopade verlässt Prag. Auch eine Folge der welt politischen Ereignisse“, Prager Montagsblatt, 14.3.1938, Nr. 11. 140 NA, PP, 1931–1940, Sign. S 53/144: Bericht der STB für die Polizeidirektion Prag (weitergeleitet an das Innenministerium), 4.4.1938. 141 NA, PP, 1931–1940, Sign. S 53/144: Bericht des Polizeiagenten Josef Mattchin, 28.7.1938. 142 Ebda.

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sitzenden Leo Blum erhalten. Grossmann kehrte zwar Anfang Juli noch einmal nach Prag zurück, zog aber am 3. September 1938 endgültig nach Paris. Die Leitung der Demokratischen Flüchtlingsfürsorge übernahm Günther Nelke; im Oktober 1938 holte Grossman aber auch die Zentrale „seines“ Komitees nach Paris.143 In eben dieser Zeit, als die bisherigen Exilgruppierungen evakuiert wurden, mussten sich die Hilfsorganisationen und jüdischen Gemeinden einer neuen und recht zahlreichen Gruppe von Flüchtlingen aus Österreich annehmen, meist Juden, die die Grenze illegal überschritten hatten. Für sie waren erste Anlaufstellen die jüdischen Gemeinden entlang der tschechoslowakisch-österreichischen Grenze, d.h. vor allem in Znaim, Lundenburg, Nikolsburg und Neuhaus ( Jindřichův Hradec). So nennt das Memorandum des Znaimer Gemeindevorstands vom 21. Juli 1938 eine Zahl von 400 Personen, die sich seit März in Znaim gemeldet hätten. Die Zahl der Flüchtlinge habe sich außerdem im Juli drastisch auf etwa zwanzig pro Tag erhöht.144 In Znaim (ebenso wie in Lundenburg, Nikolsburg und Neuhaus) konnten sie aber nicht bleiben, denn die Stadt lag im Grenzgürtel, wo Ausländern ein Aufenthalt verboten war. Die Hilfe der jüdischen Gemeinde in Znaim bestand daher neben der Versorgung mit Lebensmitteln und Kleidern vor allem in einer meist nach Brünn ausgestellten Fahrkarte. Polnischen Juden finanzierte sie die Fahrt bis zur polnischen Grenze. Innerhalb von vier Monaten musste die Gemeinde 23 000 Kč für Flüchtlingshilfe aufbringen.145 Ähnlich stellte sich die Situation der jüdischen Gemeinde in Neuhaus dar. Sie gewährte Verpflegung sowie Unterbringung für eine Nacht, außerdem erhielt jeder 10 Kč in bar für eine Zugfahrkarte mit selbst gewähltem Ziel. Hatte jemand keine bestimmten Wünsche, schickte man ihn nach Budweis (České Budějovice), Tábor, Triesch (Třešť), Iglau oder Brünn. Bis zum 29. August 1938 gab die jüdische Gemeinde in Neuhaus 10 200 Kč zur Unterstützung österreichischer Flüchtlinge aus, wobei ihr dieser Betrag von zwei nicht genannten Spendern ersetzt wurde. Der Gemeindevorstand ging zum damaligen Zeitpunkt davon aus, dass der Flüchtlingsstrom aus Österreich noch lange nicht zu Ende wäre.146 Der überwiegende Teil der österreichischen Flüchtlinge wollte nach Brünn, die erste größere Stadt hinter dem Grenzgürtel. Eine ähnliche Rolle hatte angesichts seiner grenznahen Lage auch Pressburg. Die slowakisch-österreichische Grenze entlang von March und Donau ließ sich jedoch viel effektiver kontrollieren. Die dortigen Grenzbeamten ließen lediglich tschechoslowakische Staatsbürger auf das Gebiet der Tschechoslowakei. Auch diese erhielten aber von den Pressburger Be143 GROSSMANN: Emigration, S. 126–127, 130. 144 AfZ, Zürich, Fond 1190, Akte 290, MF 5, Memorandum der jüdischen Kultusgemeinde Znaim und deren Sozialfürsorgestelle, 21. Juli 1938, Nr. 0803 1999 0056. 145 AfZ, Zürich, Fond 1190, Akte 290, MF 5: Nr. 0803 1999 0057. 146 AŽMP, Fond Jüdische Kultusgemeinde Neuhaus ( Jindřichův Hradec, 56), Sign. 47957, Sitzungsprotokolle 1936–1939: Sitzung der Vorstandschaft, 29.8.1938.

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hörden keine Aufenthaltsgenehmigung und wurden nach Brünn überstellt.147 Auf den Brünner Hilfsorganisationen lastete also eine umso schwerere Bürde. In den ersten Wochen kümmerte sich die Brünner Filiale der Liga für Menschenrechte um die Flüchtlinge aus Österreich. Doch schon Mitte April 1938 waren deren finanzielle Mittel erschöpft, denn das Ausmaß der Katastrophe überstieg die Möglichkeiten dieses kleinen Vereins. Daher einigten sich die Liga für Menschenrechte, das Sozialinstitut der jüdischen Gemeinde und verschiedene Logen (vor allem B’nai B’rith, Hort, eine Loge für die mittleren jüdischen Schichten, und die Freimaurerloge) auf eine Zusammenarbeit und richteten eine gemeinsame Arbeitsgruppe ein, die Zentralhilfestelle für Flüchtlinge in Brünn (Pomocné ústředí pro uprchlíky v Brně). An der Spitze dieser Hilfsorganisation stand der unermüdliche Dr. Schütz. Die Zentralhilfestelle kümmerte sich um alle Flüchtlinge, ohne Ansehen von Konfession und Herkunft, doch etwa 90% ihrer Schützlinge waren Juden.148 Quellen zur Tätigkeit der Hilfsorganisationen Ende der 1930er Jahre sind nur schwer aufzufinden; viele Dokumente wurden nach der Okkupation von den Hilfsorganisationen im Interesse ihrer Klienten selbst vernichtet. Doch haben sich dank Stephan Barber Dokumente erhalten, die ein Bild von der Brünner Zentralhilfestelle erlauben. Barber war tschechoslowakischer Delegierter beim Jüdischen Weltkongress und hatte sich zum Ziel gesetzt, für die österreichischen Flüchtlinge in der Tschechoslowakei die nötigen Geldmittel und Visa zu beschaffen. Er führte unermüdliche Verhandlungen mit dem europäischen Vorstand der JOINT, mit britischen Politikern und Philanthropen, mit Myron C. Taylor, dem amerikanischen Botschafter in Großbritannien, mit Jan Masaryk, dem tschechoslowakischen Botschafter in London, und mit dem Hochkomissar für Flüchtlinge Neill Malcolm. Dafür benötigte er aktuelle Berichte über die Situation der Flüchtlinge in Brünn, die ihm die Brünner Zentralhilfestelle lieferte. Diese Berichte geben auch Aufschluss über die soziale Struktur der Flüchtlinge aus Österreich. Von den 735 Personen, die von der Zentralhilfestelle zum 10. August 1938 betreut wurden, waren mehr als 44% Kaufleute, deren Angestellte oder Handelsvertreter. Eine überraschend kleine Gruppe stellten mit insgesamt nur dreizehn Personen Ärzte, Rechtsanwälte und Ingenieure dar; Schriftsteller, Journalisten und Schauspieler befanden sich unter den Flüchtlingen fünfzehn. Mehr als zwanzig waren Beamte, Mechaniker, Installateure, Schneider, Schneiderinnen und Chauffeure. Vierzig gaben an, arbeitslos zu sein. Unter den Flüchtlingen wa-

147 AfZ, Zürich, Fond 1190, Akte 290, MF 5: Bericht für die Flüchtlingskonferenz in Évian les Bains, Juli 1938, Nr. 0803 1999 0043. 148 Ebda.: Bericht für die Flüchtlingskonferenz in Évian les Bains, Juli 1938, Nr. 0803 1999 0042.- 0803 1999 0042.

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ren aber auch Kaffeehausbesitzer, Gärtner, Buchdrucker, Schlosser, Friseure, Zimmermaler, Zahntechniker, Bäcker und ein Jockey.149 Die fortlaufenden Berichte machen deutlich, wie sehr sich Anzahl und nationale Zusammensetzung der Flüchtlinge in den ersten Monaten veränderte. Anfang Mai waren bei der Zentralhilfestelle 203 Flüchtlinge registriert, von denen 74 staatenlos waren, 62 Tschechoslowaken, 51 Österreicher und 16 Reichsdeutsche.150 Die Zahl der Flüchtlinge und auch der Anteil der österreichischen Staatsbürger stieg jedoch im Juli drastisch an. Ende Juli betreute die Brünner Zentralhilfestelle 847 Flüchtlinge, davon 381 Österreicher, 230 Staatenlose, 210 Tschechoslowaken und 26 Reichsdeutsche.151 Zwischen März und Ende Juli hatten sich bei der Zentralhilfestelle insgesamt 1711 Personen gemeldet.152 Infolge der restriktiven Politik der Brünner Polizeidirektion nahm die Zahl der Flüchtlinge im Laufe des August wieder ab. Mitte Juli hatte die Brünner Polizeidirektion ihr Vorgehen gegenüber den Flüchtlingen aus Österreich deutlich verschärft. In den ersten Monaten nach dem „Anschluss“ wurden Flüchtlinge, die illegal über die Grenze und bis ins Landesinnere gelangt waren, nicht sofort ausgewiesen, sondern erhielten von der Brünner Polizei sogar eine mehrwöchige Aufenthaltsgenehmigung, bis sie ihre Ausreise in ein Drittland geregelt hätten. Dieses „benevolente“ Vorgehen änderte sich Mitte Juli radikal, offensichtlich infolge der missglückten Konferenz in Évian. Aufenthaltsgenehmigungen wurden nur noch für drei Tage ausgestellt, die Flüchtlinge wurden häufiger und gründlicher kontrolliert, Ausweisungen mehrten sich. Die an der Grenze übliche „Jagd auf die Flüchtlinge“ spielte sich nun immer öfter auch im Landesinneren ab. Bereits Anfang Juli informierte die Zentralhilfestelle darüber, dass die Brünner Polizei einige Flüchtlinge nach Polen und auch zurück nach Österreich ausgewiesen habe: „Diese Menschen werden schließlich in Polen festgenommen, für längere Zeit inhaftiert und danach erneut über die Grenze in die Tschechoslowakei abgeschoben, wo ihnen wegen Nichtbefolgens einer Anordnung eine Strafe droht.“153 Schon ab der dritten Juliwoche belegte die Brünner Polizei Flüchtlinge, die illegal über die Grenze gekommen waren, mit einem Bußgeld zwischen 10 und 200  Kč oder einer ein- bis zweitägigen Haftstrafe.154 Ende Juli und zu Anfang 149 Ebda.: Die jüdischen Flüchtlinge in Brünn (nach der Zusammenstellung der „Zentralhilfestelle für Flüchtlinge“ in Brünn vom 10. August 1938), Nr. 0803 1999 0024. 150 Ebda.: Gesamtstand am 11. Mai 1938, Nr. 0803 1999 0040. 151 Ebda.: Brief der Zentralhilfestelle an Dr. Barber, 28.7.1938, Nr. 0803 1999 0001. 152 Ebda.: Undatierter Bericht der Zentralhilfestelle (aus indirekten Indizien geht hervor, dass es sich um einen Text aus den letzten Tagen des Juli 1938 handelt), Nr. 0803 1999 0189. 153 Ebda.: Bericht für die Flüchtlingskonferenz in Évian les Bains, Juli 1938, Nr. 0803 1999 0045. 154 Ebda.: Brief der Zentralhilfestelle an Dr. Barber, 28.7.1938, Nr. 0803 1999 0001 – 0803 1999 0002.

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August erhöhten sich die Sätze auf über 200 Kč, die Haft verlängerte sich bis auf acht Tage.155 Die Brünner Zentralhilfestelle konnte die Geldstrafen nur in Ausnahmefällen übernehmen, denn ihre finanzielle Situation war katastrophal. Einen Großteil der Mittel beschafften ihre Mitarbeiter direkt in Brünn, und zwar vor allem von jüdischen Großindustriellen. Allein im Juli stiegen die Ausgaben der Zentralhilfestelle auf 63 000 Kč. Die jüdische Kultusgemeinde in Brünn verpflichtete sich, die Organisation mit 24 000 Kč monatlich zu unterstützen. Außerdem verpflegte sie täglich 300–320 jüdische Flüchtlinge in der Gemeindeküche.156 Die Liga für Menschenrechte sorgte für etwa 90 nichtjüdische Flüchtlinge.157 Ihren erforderlichen Mindesthaushalt berechnete die Zentralhilfestelle auf 200 000 Kč monatlich.158 Obwohl die Organisation später dank Stephan Barber monatlich 32 000 Kč von der amerikanischen JOINT erhielt,159 lebte sie – und somit auch die Flüchtlinge – in der ständigen Angst vor einem baldigen Bankrott. Für zusätzliche Verunsicherung bei den Hilfsorganisationen und unter den Flüchtlingen sorgte, dass die Brünner Polizeidirektion ab Mitte Juli für die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung eine monatliche Kaution in Höhe von 1000 bis 3000 Kč pro Person verlangte. Zusätzlich sollte ein tschechoslowakischer Staatsbürger für die gute Führung und baldige Ausreise eines Flüchtlings bürgen. Wenn der Flüchtling nicht innerhalb der gesetzten Frist ausreisen würde, sollte die Kaution an den Fond zur Verteidigung des Staats fallen. In der Praxis hielt man sich allerdings nicht an diese Verordnung. Weder die Hilfsorganisationen noch die Flüchtlinge verfügten über die Mittel für eine Kaution und auch Garanten fanden sich nicht in entsprechender Zahl. Ende Juli lief die Aufenthaltsgenehmigung der meisten Flüchtlinge aus; sie wurde nicht verlängert und Flüchtlinge wie Sozialarbeiter erwarteten mit Spannung, was geschehen würde.160 In ihrem Bericht vom 28. Juli schrieb die Leitung der Zentralhilfestelle: „Die Polizeidirektion Brünn hat fast alle Personen verhaftet, die sich bei uns [an diesem Tag] gemeldet haben. Insgesamt 60 Personen, von denen 12 nach Österreich ab155 Ebda.: Undatierter Bericht der Zentralhilfestelle (aus indirekten Indizien geht hervor, dass es sich um einen Text aus den letzten Tagen des Juli 1938 handelt), Nr. 0803 1999 0191. 156 Ebda.: Brief der Zentralhilfestelle an Dr. Barber, 28.7.1938, Nr. 0803 1999 0001- 0002. Vgl. auch den undatierten Bericht der Zentralhilfesstelle, Nr. 0803 1999 0189. 157 Ebda.: Nr. 0803 1999 0189 – 90. Aus dem Dokument erfahren wir auch, wie sich die Flüchtlinge ernährt haben. Zum Frühstück bekamen sie Kaffee und Brot, zum Mittagessen abwechselnd Essen mit und ohne Fleisch, zum Abendessen bekamen sie in der Küche der jüdischen Gemeinde übewiegend Brot mit Aufstrich, in der Küche der Liga für Menschenrechte wurde meist auch zu Abend warm gekocht. 158 Ebda.: Brief der Zentralhilfestelle an Dr. Barber, 28.7.1938, Nr. 0803 1999 0001. 159 Ebda.: Bericht über die Tätigkeit des Jüdischen Weltkongresses resp. des csl. Delegierten des JWK in der Angelegenheit der Flüchtlingsfrage in der CSR, den 10. August 1938, Nr. 0803 1999 0203. 160 Ebda.: Undatierter Bericht der Zentralhilfestelle, Nr. 0803 1999 0189.

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geschoben werden, fünf nach Polen, weiteren fünf droht eine Abschiebung nach Polen. Die übrigen wurden mehr oder weniger dank eines Zufalls entlassen. Ein englischer und ein amerikanischer Journalist sowie eine Schweizer Journalistin, die Empfehlungsschreiben von höchsten Stellen unseres Staats vorweisen konnten, setzten in zweitägigen Verhandlungen beim Polizeidirektor ihre Freilassung durch. Leider ist es heute erneut zu Verhaftungen gekommen. Heute wurde zum Beispiel eine Professorin vom Wiener Chajes-Gymnasium inhaftiert, des Weiteren eine fünfzigjährige Frau, die an schwerem Zucker und einer Herzkrankheit leidet, ein schwer nervenkranker junger Mann sowie zwei Staatenlose, die aus Wien vertrieben wurden und am Montag laut Anordnung der Polizeidirektion nach Polen abgeschoben werden.“161 Auch in Znaim verhaftete die Polizei alle Flüchtlinge, die sie in der Stadt und in der Umgebung aufgreifen konnte und brachte sie an die Grenze zurück.162 In den ersten Augusttagen nahm Stephan Barber fieberhafte Verhandlungen in Paris und London auf, um einer weiteren Ausweisung der Flüchtlinge vorzubeugen. Die zuversichtlich-beschwichtigenden Worte aus dem Munde Neill Malcolms oder auch C. Taylors, des amerikanischen Botschafters, halfen allerdings nicht wirklich weiter. Am effektivsten waren die Besprechungen mit Jan Masaryk, der eindeutig Unterstützung signalisierte und telefonisch beim Innenministerium in Prag intervenierte. So konnte zumindest erreicht werden, dass die vor dem 6. August 1938 in die Tschechoslowakei gekommenen Flüchtlinge in absehbarer Zeit nicht ausgewiesen würden. Weiteren Flüchtlingen sollte ein Aufenthalt aber unter keinen Umständen mehr erlaubt werden.163 Trotz Barbers und Masaryks persönlichem Engagement stieg ab der zweiten Augustwoche die Zahl der Ausweisungen so sehr, dass sich neue Flüchtlinge immer öfter gar nicht erst von den Hilfskomitees registrieren ließen. Auf dieses Phänomen hatte das Prager Tagblatt bereits während der ersten Ausweisungswelle Ende Juli hingewiesen.164 Diese Flüchtlinge hofften, dass sie erst später von der tschechoslowakischen Polizei entdeckt würden und mit etwas Glück länger im Land bleiben könnten. Damit hatten sie sich freilich im Grunde um die Mög161 Ebda.: Brief der Zentralhilfestelle an Dr. Barber, 28.7.1938, Nr. 0803 1999 0002. 162 Ebda.: Memorandum der jüdischen Kultusgemeinde Znaim und deren Sozialfürsorgestelle, den 21. Juli 1938, Nr. 0803 1999 0056. Auf das Memorandum reagierten die Vertreter der Jüdischen Partei (ihr Vorsitzender Frischer und Generalsekretär Zelmanovits) mit einem Telegramm an den Landespräsidenten in Brünn Jan Černý. In diesem Telegramm baten sie ihn, dass den Flüchtlingen wenigstens vorübergehend das Recht auf Asyl nicht genommen und das Zentrum für Flüchtlinge [in Swatoboritz] beschleunigt fertiggestellt würde. Siehe Text des Telegramms unter Nr. 0803 1999 0058. 163 Ebda.: Bericht über die Tätigkeit des Jüdischen Weltkongresses resp. des csl. Delegierten des JWK in der Angelegenheit der Flüchtlingsfrage in der CSR, Confidentiel, 10. August 1939, Nr. 0803 1999 0203–0209. 164 „Die Flüchtlings-Verhaftungen in Brünn“, Prager Tagblatt, 24.7.1938, S. 6.

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lichkeit einer legalen Ausreise aus der Tschechoslowakei gebracht. War also in den ersten Monaten nach dem „Anschluss“ die Registrierung bei einer Hilfsorganisation für einen Flüchtling noch von Vorteil, weil diese gegenüber der Polizeidirektion seine Rechte vertrat und ihn in gewisser Weise schützte, so gereichte sie nun allmählich zum Nachteil, denn die Polizei konnte gemeldete Flüchtlinge viel leichter kontrollieren und eventuell ausweisen. Die Zahl der Flüchtlinge, die sich illegal in der Tschechoslowakei aufhielten, ohne bei einer Hilfsorganisation und damit auch bei der Polizei gemeldet zu sein, stieg daher wieder an. Viele von ihnen waren bereits schon einmal nach Österreich ausgewiesen worden, doch war ihnen der Grenzübertritt in die Tschechoslowakei erneut geglückt.165 Angesichts der tschechoslowakischen Flüchtlingspolitik sowie der Atmosphäre nach dem „Anschluss“ kamen staatliche Hilfen für die Flüchtlinge aus Österreich nicht in Frage, zumal der Staat ja auch nicht zur Versorgung der legal im Land befindlichen Flüchtlinge aus Deutschland beitrug. Nach dem „Anschluss“ Österreichs war den tschechoslowakischen Regierungspolitikern allerdings auch die von den tschechoslowakischen Juden geleistete Flüchtlingshilfe ein Dorn im Auge. Die Mitarbeiter der Zentralhilfestelle beklagten sich darüber, dass es „vom Standpunkt des Volkseigentums nicht gern gesehen ist, dass die tschechoslowakische Judenheit durch diese Emigration [aus Österreich] so belastet wird“.166 In Zusammenhang mit den Sammlungen für den Fond zur Verteidigung des Staats, für den die jüdische Bevölkerung große Summen spendete, schien es, als würde das von den jüdischen Gemeinden auf die österreichischen Flüchtlinge verwendete Geld der Tschechoslowakei für ihre Verteidigung gegen die nationalsozialistische Expansion verlorengehen. Die Juden aus den böhmischen Ländern und Österreich haben in der Tat nach besten Kräften geholfen. Bereits am 22. März 1938 hatte der Oberste Rat der jüdischen Kultusgemeinden in Böhmen, Mähren und Schlesien einen Brief an alle jüdischen Gemeinden des Landes geschickt und diese auf eine mögliche Zuwanderung von eventuell auch mehreren tausend tschechoslowakischen Juden aus Wien vorbereitet. Die Gemeinden sollten Massenquartiere und Verpflegung bereit halten. Im April 1938 gründete der Oberste Rat einen Sonderfond für Flüchtlinge aus Österreich und bat sämtliche jüdische Gemeinden in Böhmen, Mähren und Schlesien, mit mindestens 10% ihres Haushalts für das Jahr 1938 zu diesem Fond beizutragen.167 165 AfZ, Zürich, Fond 1190, Akte 290, MF 5: Undatierter Bericht der Zentralhilfestelle (aus indirekten Indizien geht hervor, dass es sich um einen Text aus den letzten Tagen des Juli 1938 handelt), Nr. 0803 1999 0192. 166 Ebda.: Aktennotitz über die Unterredung [von Stephan Barber] mit Dr. Bernhard Kahn am Montag, den 1. August 1938 (16 h 30) im Büro des Joint, Paris, Nr. 0803 1999 0009. 167 AŽMP, Fond Jüdische Kultusgemeinde Pilsen (Plzeň, 108), Sign. 20832, Kontakt mit dem Obersten Rat 1936–1939: Brief des Obersten Rates des Verbands der jüdischen Kultusgemeinden in Böhmen, Mähren und Schlesien, 22. März 1938.

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Der Oberste Rat befürchtete aber zugleich, dass die Nachricht von einer größeren Zahl jüdischer Flüchtlinge aus Österreich an die Öffentlichkeit dringen könnte und hob den jüdischen Gemeinden gegenüber hervor: Es muss unter allen Umständen davor gewarnt werden, diese Schritte vor den Augen der breiten Öffentlichkeit zu unternehmen. Alles, was unternommen oder vorbereitet wird, soll in engerem Kreis geschehen, mit Wissen der örtlichen Behörden, aber es soll keine Unruhe in die Öffentlichkeit hineintragen werden. In diesem Zusammenhang bitten wir darum, dass Eure verehrte Vorstandschaft ganz allgemein dahingehend auf die jüdische Öffentlichkeit einwirke, dass sie ruhig und besonnen bleibt, sich nicht zu Unbedachtheiten hinreißen lässt und das Vertrauen in die Zukunft bewahrt.168

In einem weiteren Brief warnt der Rat: „Aus verschiedenen Gründen, unter anderem auch, damit keine unnötige Aufregung und Unruhe entsteht, empfehlen wir den Kultusgemeinden, sich diese Beträge auf anderem Wege als über öffentliche Sammlungen zu verschaffen.“169 Der Oberste Rat fürchtete einerseits, dass antisemitische Kräfte den Zustrom verarmter Juden aus Österreich für ihre xenophobe Agitation missbrauchen könnten, andererseits, dass das Geschehen in Österreich eine Massenemigration von Juden mit tschechoslowakischer Staatsbürgerschaft auslösen könnte, die von den Tschechen dann mangelnder Loyalität beschuldigt werden könnten. In der deutschen Version des zweiten Briefes heißt es explizit, dass die Gemeinden von öffentlichen Sammlungen absehen sollten, um weder unter der nichtjüdischen noch unter der jüdischen Bevölkerung Unruhe auszulösen.170 Auf den Aufruf reagierten vor allem die jüdischen Gemeinden in Mähren. Als am 16. Mai 1938 die Nachricht von der Gründung eines Hilfsfonds für Flüchtlinge aus Österreich auf der Versammlung des jüdischen Gemeinderats in Göding verlesen wurde, steuerten dessen Mitglieder auf der Stelle größere Summen bei. Vilém Jokl, der Vorsitzende der Gemeinde, ging mit einer Spende von 300 Kč als leuchtendes Beispiel voran.171 In Mährisch Weißkirchen (Hranice na Moravě) erbrachte die Augustsammlung zur Unterstützung von Repatrianten aus Österreich über 3 000 Kč.172 In Olmütz beschloss der Gemeindevorstand einen Aufruf 168 Ebda., S. 2. 169 AŽMP, Fond Jüdische Kultusgemeinde Bresnitz (Březnice, 10), Sign. 34523, verschiedene Korrespondenz, 1931–1939: Brief des Obersten Rates des Verbands der jüdischen Kultusgemeinden in Böhmen, Mähren und Schlesien, Prag, 24.4.1938. 170 AŽMP, Fond Jüdische Kultusgemeinde Staab (Stod, 135), ohne Nummer, Fragmentarisches Schriftmaterial 1938: Brief des Obersten Rates, 23.4.1938, S. 2. 171 AŽMP, Fond Jüdische Kultusgemeinde Göding (Hodonín, 36), Sign. 67548, Sitzungsprotokolle 1935–1940: Sitzung vom 16.5.1938. 172 AŽMP, Fond Jüdische Kultusgemeinde Weißkirchen (Hranice, 43), Sign. 63659, Sitzungsprotokolle, 1926–1938: Sitzung vom 24.8.1938.

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in deutscher wie tschechischer Sprache mit der dringlichen Bitte um finanzielle Unterstützung für die vom Nationalsozialismus Verfolgten: Wir glauben, alle großen Worte, alle schön formulierten Bitten weglassen zu können. Welcher Jude vermöchte auch nur die Erwägung aufkommen zu lassen, daß irgendwelche anderen Verpflichtungen seine Leistung für die Emigrantenhilfe vermindern könnten?! [...] Danken Sie dem Allmächtigen, dass er Ihnen die große Gunst erweist, noch helfen zu können. Welch ein Glück ruht in diesen schweren Zeiten auf Ihnen, denn Sie können geben, geben, geben.173

Aus den erhaltenen Dokumenten ist nicht ganz klar ersichtlich, wie die Mittel des Hilfsfonds für österreichische Flüchtlinge verwendet wurden. Außer den Geldspenden waren die jüdischen Gemeinden auch durch die Bereitstellung von Unterkunft und Verpflegung schwer belastet. Diese Hilfe bezog sich allerdings in erster Linie auf jene österreichischen Flüchtlinge, die noch im Besitz ihrer tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft waren und die Grenze legal überschreiten konnten, doch hatten sie in der Tschechoslowakei keine Verwandten mehr, die für sie hätten sorgen können. Auch die Zentralhilfestelle suchte nach Unterbringungsmöglichkeiten für die Flüchtlinge. Für sie war die Situation insofern noch komplizierter, als Flüchtlinge mit österreichischer Staatsbürgerschaft oder Staatenlose oft nicht legal bei ihren Verwandten außerhalb Brünns wohnen konnten, da sie in anderen mährischen Städten keine Aufenthaltsgenehmigung bekamen. Es kam aber auch vor, dass Flüchtlinge, die die Grenze illegal überschritten hatten, sofort zu ihren Verwandten gingen, um dort illegal unterzukommen. Um deren Aufenthalt zu legalisieren und dadurch das stark geforderte Brünn zu entlasten, versuchte die Zentralhilfestelle auf der Konferenz von Évian in diesen Fällen die Möglichkeit eines Affidavits durchzusetzen, einer eidesstattlichen Erklärung. Würden Verwandte oder Bekannte garantieren, für den Unterhalt des Flüchtlings aufzukommen, sollte dieser eine langfristige Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Doch keiner der internationalen Diplomaten hat sich ernsthaft mit diesem Vorschlag befasst.174 Bereits Anfang August wurde die Situation für die Illegalen äußerst brisant. Viele wurden direkt in den Häusern ihrer Verwandten verhaftet und nach Österreich ausgewiesen. Belegt sind außerdem Fälle, in denen auch die direkten Nachkommen tschechoslowakischer Staatsbürger zur Grenze gebracht wurden.175 Das Vorgehen der Behörden gegen diese Flüchtlinge war da173 AŽMP, Fond Jüdische Kultusgemeinde Olmütz (Olomouc, 101), Sign. 74698, Flüchtlingsfürsorge 1938: auf dem Aufruf steht „Olmütz, im August 1938“. 174 AfZ, Zürich, Fond 1190, Akte 290, MF 5: Bericht für die Flüchtlingskonferenz in Évian les Bains, Juli 1938, Nr. 0803 1999 0048. 175 Ebda.: Nr. 0803 1999 0045. Im Bericht wird der Fall zweier Brüder angeführt, die nach Österreich abgeschoben wurden, obwohl ihr Vater aus der Tschechoslowakei stammte.

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bei territorial sehr unterschiedlich. Verhaftung und Ausweisung waren die übliche Praxis in der Slowakei, sie war häufig in Böhmen; in Mähren hingegen wurden die Flüchtlinge aus Österreich von den Behörden meist geduldet.176 Als große Hilfe bei der Unterbringung der Flüchtlinge sollte sich das renovierte Lager in Swatoboritz bei Brünn erweisen, das zwischen 500 und 800 Personen aufnehmen konnte. Da die Unterkünfte erst im August 1938 bezugsfertig waren, wohnten die Flüchtlinge bis dahin zur Untermiete oder in kleinen Kollektiven von durchschnittlich zehn Personen. Von diesen Kollektiven gab es in Brünn Ende Juli 1938 vierzehn.177 In Swatoboritz wurden für die in Brünn und Prag befindlichen Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich 100 Schlafplätze zur Verfügung gestellt.178 Bereits Ende September mussten die Flüchtlinge das Lager allerdings wieder räumen, um tschechoslowakischen Flüchtlingen aus den Sudetengebieten Platz zu machen. Die Hilfsorganisationen suchten verzweifelt nach einem neuen Objekt. Es war offensichtlich, dass es den tschechoslowakischen Juden überlassen bleiben würde, für Hunderte von jüdischen Flüchtlingen eine neue Unterkunft zu finden. Dank der Kooperation einiger jüdischer Gemeinden konnte ein Grundstück bei Polná gefunden werden. Das Protokoll der Vorstandsversammlung der jüdischen Kultusgemeinde in Olmütz am 12. März 1939, also drei Tage vor der Okkupation der Rest-Tschechoslowakei, lässt die Erleichterung darüber erkennen, dass es gelungen war, das Geld für den Ankauf eines Grundstücks beizubringen (120 000 Kč). Das würde die rasche Errichtung eines Flüchtlingslager bei Polná ermöglichen.179 Innerhalb weniger Tage wurde diese großzügig konzipierte Initiative der jüdischen Gemeinden Böhmens und Mährens gegenstandslos. Das Münchner Abkommen und die Okkupation der Rest-Tschechoslowakei machten die ganze Problematik der bedrohten Tschechoslowakei als einer Zuflucht für die vom Nationalsozialismus Verfolgten offenbar. Für die tschechoslowakischen Behörden war jetzt außerdem die Frage der vielen zehntausend Menschen, die oft von einem Tag auf den anderen ihr Zuhause in den Sudeten verloren, weitaus brennender. Die Situation im Grenzgebiet hatte sich über den Sommer zugespitzt, insbesondere im September; viele demokratisch gesinnte Deutsche, Tschechen und Juden mit tschechoslowakischer Staatsbürgerschaft waren bereits vor dem Münchner Abkommen ins Landesinnere geflüchtet. Die Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich, die zwischen 1933 und 1938 in die Tschechoslowakei gekommen waren, befanden sich daher in einer äußerst prekären Situation. In 176 Ebda.: Undatierter Bericht der Zentralhilfestelle (aus indirekten Indizien geht hervor, dass es sich um einen Text aus den letzten Tagen des Juli 1938 handelt), Nr. 0803 1999 0192. 177 Ebda.: Nr. 0803 1999 0189. 178 Ebda.: Nr. 0803 1999 0192. 179 AŽMP, Fond Jüdische Kultusgemeinde Olmütz (Olomouc, 101), Sign. 74698, Flüchtlingsfürsorge 1938: Protokoll einer Sitzung des engeren Ausschusses, 12. März 1939.

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der zweiten Oktoberhälfte fanden sich die Flüchtlingshilfsorganisationen zu einer internationalen Konferenz in Paris zusammen, um über die Situation der Flüchtlinge in der Tschechoslowakei zu beraten. Die Flüchtlinge aus Österreich fanden aber kaum mehr die Beachtung der Delegierten und wurden lediglich in einem der Referate erwähnt.180 Denn jetzt konzentrierte sich alles fieberhaft auf die Beschaffung von Visa für die politischen Flüchtlinge aus den Sudeten, Deutschland und Österreich, meist Sozialdemokraten und Kommunisten. Diejenigen, die auf Grund der Judenverfolgung aus Deutschland und Österreich geflüchtet waren, blieben ihrem Schicksal überlassen.

180 Siehe die Abschrift der Konferenzverhandlung: Conférence pour l’aide aux réfugiés en Tchécoslovaquie, 22 Octobre 1938, hg. von Bureau international pour le Respect du Droit d’Asile et l’Aide aux Réfugiés Politiques. Das Dokument befindet sich in der Wiener Library London, Sign. 999.

Epilog

Während unter die Geschichte der Flüchtlingspolitik in der Ersten Republik, die dieses Buch sich zum Thema gesetzt hat, Ende September 1938 ein Punkt gesetzt werden kann, hat die Geschichte der einzelnen Flüchtlinge ihre Fortsetzung auch über das Münchner Abkommen hinaus. Die meisten von ihnen versuchten, vor der nationalsozialistischen Expansion, in deren Zuge im März 1939 die RestTschechoslowakei und später ein Großteil Europas besetzt wurden, in weitere Länder zu fliehen. Schon vor dem Münchner Abkommen sahen die Flüchtlinge in der Tschechoslowakei kein sicheres Land mehr, keine Insel in Zeit und Raum, die ihnen – und sei es nur vorläufig – Zuflucht bot. Zudem übten die Behörden nach dem Münchner Abkommen auf die deutschen und jüdischen Flüchtlinge immer stärkeren Druck aus, das verkleinerte Land so schnell wie möglich zu verlassen. Eine weitere Flucht aus dem von den Nationalsozialisten besetzten Mitteleuropa war jedoch keineswegs einfach, sondern stieß auf Grenzen, die besser bewacht waren als je zuvor, und auf zahlreiche formale Hürden. Damals begann sich ein Unterschied zwischen jüdischem und nichtjüdischem Flüchtlingsschicksal abzuzeichnen. Ihre politischen Gegner versuchten die Nationalsozialisten, wo immer es ging, zu verhaften, Juden trieben sie bis 1941, als die großen Massendeportationen einsetzten, aus dem Land. Politische Flüchtlinge, waren sie erst über die Grenze gelangt, hatten eine gewisse Chance, mit Hilfe ihrer Partei sowie ausländischer Organisationen von der Tschechoslowakei aus eine neue Zuflucht zu finden; die Aufnahme jüdischer Flüchtlinge hingegen wurde von allen Staaten möglichst beschränkt. Großbritannien zum Beispiel, das nach dem Münchner Abkommen und der Errichtung des „Protektorats Böhmen und Mähren“ zu einem der wichtigsten Immigrationsländer für Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei wurde, zog politisch aktive Personen (vor allem Mitglieder der deutschen Sozialdemokratie) jüdischen Flüchtlingen eindeutig vor.1 Die Situation in Böhmen und Mähren wurde zusätzlich dadurch erschwert, dass mit der Okkupation auch alle tschechischen Juden zu potentiellen Flüchtlingen wurden. Nach dem Münchner Abkommen setzte eine regelrechte Jagd nach Visa ein, nicht nur nach Visa in westeuropäische Staaten, sondern in fast alle Länder der Welt – oft auch in Länder, von denen die Flüchtlinge bis vor kurzem wohl nicht einmal wussten, wo sie auf der Landkarte zu finden wären. Manche hatten im Lauf der Zeit Erfolg und erhielten ein Einreisevisum in ein Drittland. Das hing von eventuellen Verwandten im Ausland ab, von den Verbindungen, den finanziellen Möglichkeiten und vor allem von Glück und Zufall. Das zeigt das Beispiel 1 LONDON: Whitehall and the Jews; Louise LONDONOVÁ: „Britská vláda a židovští uprchlíci z Československa“, Terezínské studie a dokumenty, 2003, S. 106–134.

Epilog

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des oben erwähnten Bruno Spingarn, der – sicher auch auf Grund größeren Kapitals – zu einer Zeit nach Palästina einreisen konnte, wo Immigrationszertifikate ansonsten als Mangelware galten. Aber selbst wem eine Ausreise geglückt war, konnte sich seines Lebens nicht sicher sein. So konnte der jüdische Sozialdemokrat Richard Bernstein nach Errichtung des „Protektorats Böhmen und Mähren“ zwar nach Norwegen emigrieren, fiel dann jedoch in Oslo den Nationalsozialisten in die Hände und wurde schließlich in Auschwitz ermordet. Die überwiegende Mehrheit derjenigen, die sich nicht rechtzeitig ins Ausland flüchten konnten, wurde während der Okkupation inhaftiert oder ermordet. Gerade von den jüdischen Flüchtlingen endeten viele im Ghetto oder im Konzentrationslager. Gerd Kahan zum Beispiel, der wegen „Rassenschande“ in die Tschechoslowakei geflüchtet war, wurde in das Lodzer Ghetto deportiert. In Theresienstadt starb Leo Grummer, ein polnischer Jude, der unter höchst dramatischen Umständen bereits im März 1933 von einer SA-Einheiten bei Warnsdorf über die tschechoslowakische Grenze getrieben worden war. Auch viele österreichische Juden wurden aus dem „Protektorat“ nach Theresienstadt, Lodz und weiter in die Vernichtungslager deportiert. Ihnen war zwar nach dem „Anschluss“ mit viel Glück die Flucht in die Tschechoslowakei gelungen, doch eine weitere Ausreise blieb ihnen verwehrt. Das Theresienstädter Gedenkbuch führt die Namen von 1 506 österreichischen Juden, die aus dem „Protektorat“ nach Theresienstadt deportiert wurden; weitere 191 wurden direkt nach Lodz, Minsk oder Ujazdów deportiert.2 Ein ähnliches Schicksal traf viele jüdische Flüchtlinge aus Deutschland. Auch die, die sich freiwillig und meistens unentgeltlich in der Flüchtlingshilfe engagiert hatten, führte der Weg während des Kriegs ins Exil. Die meisten von ihnen kehrten nicht mehr in die Tschechoslowakei zurück. Viele, die sich nicht in die Sicherheit des Exils hatten retten können oder sich nicht darum bemüht hatten, wurden Opfer des nationalsozialistischen Regimes. Das überrascht nicht sonderlich, denn es waren in der Mehrheit politisch aktive Persönlichkeiten, oft Juden, und nicht nur in der Flüchtlingshilfe, sondern nach Errichtung des „Protektorats“ aus tiefster Überzeugung auch im politischen Widerstand engagiert. Robert Klein, nach dem eines der Hilfskomitees hieß, starb 1941 in Buchenwald. Der Sozialdemokrat und Gymnasiallehrer Maximilián Ryšánek, der sich 1934 und nach dem „Anschluss“ 1938 in aufopfernder Weise der österreichischen Flüchtlinge angenommen hatte, wurde 1942 in Brünn hingerichtet. Hanna Steiner wurde 1943 mit einem Transport nach Theresienstadt und ein Jahr später nach Auschwitz geschickt, von wo sie nicht zurückkehrte. Marie Schmolka verbrachte 2 Michal FRANKL: „Österreichische Jüdinnen und Juden in der Theresienstädter ‚Zwangsgemeinschaft‘. Statistik, Demographie, Schicksale“, in: Michal FRANKL u. Koll.: Theresienstädter Gedenkbuch. Österreichische Jüdinnen und Juden in Theresienstadt 1942–1945. Praha 2005, S.71–86, siehe S. 84–85.

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Epilog

1939 zwei Monate in einem Gefängnis der Gestapo; zwar konnte sie dann nach Großbritannien emigrieren, doch gesundheitlich hat sie sich nicht mehr erholt und verstarb bereits im März 1940. Ivan Sekanina, eine der Stützen des „Šalda“Komitees, starb 1940 in Sachsenhausen-Oranienburg und auch die Brüder Otokar und Josef Fischer überlebten den Nationalsozialismus nicht: Otokar erlag am Tag der Angliederung Österreichs an Deutschland einem Herzinfarkt, Josef wurde im Februar 1945 in Brandenburg hingerichtet. Erwähnung verdienen auch die, denen die Brüder Mann ihre tschechoslowakische Staatsbürgerschaft verdanken; gerade ihr Einsatz hat der Tschechoslowakei den Ruf einer Insel der Demokratie und Toleranz verschafft. Rudolf Fleischmann konnte 1939 nach England fliehen und lebte dort bis zum seinem Tod 1967. Mimi Mann, auf deren Initiative das Bemühen um eine Staatsbürgerschaft zurückgeht, lebte in den 1930er Jahren unter sehr bescheidenen Verhältnissen in Prag und wurde im September 1942 ins Theresienstädter Ghetto deportiert. Sie starb 1947 an den Folgen der in Theresienstadt durchlittenen Strapazen. * * * Trotz eines oft tragischen Ausgangs spielte die Tschechoslowakei während der Ersten Republik im Leben vieler tausender Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich eine bedeutende Rolle. Auf ihrem Gebiet hielten sich – für längere oder kürzere Zeit – schätzungsweise an die zwanzigtausend Flüchtlinge aus Deutschland und einige tausend aus Österreich auf. Diese Menschen waren aus verschiedensten, oft auch mehreren Gründen hierher gekommen; gemeinsam aber war ihnen, dass sie nicht in ihren Heimatstaat zurückkehren konnten. Ihren Aufenthalt in der Tschechoslowakei beurteilten sie sehr unterschiedlich: Die einen erinnern sich in hellen Farben an das kulturelle und politische Leben, das ihnen dort möglich war; die Erfahrungen anderer sind geprägt von Unsicherheit, Armut und nicht selten auch Ausweisung. Beide Perspektiven gehören zur Geschichte der Flüchtlingspolitik in der Zwischenkriegs-Tschechoslowakei. Grund dieser unterschiedlichen Sicht ist jedoch nicht nur, dass jeder die Bürde des Exils anders trägt und sich dem Gefühl der Entwurzelung, den Zukunftsängsten und materieller Not anders gewachsen zeigt. Der Hauptgrund liegt vielmehr darin, dass die Behörden gegenüber den einzelnen Flüchtlingsgruppen eine unterschiedliche Politik betrieben: Während die kleine (wenn auch nie genau definierte) Gruppe der kulturellen und politischen Elite mit ihren meist weit reichenden Verbindungen de facto Asylrecht genoss und damit auch über einen gesicherten Status verfügte, sah sich der Großteil der Flüchtlinge großer Unsicherheit ausgesetzt. In der Historiographie und in den Medien begegnen wir bis heute einer überwiegend positiven Beurteilung der tschechoslowakischen Flüchtlingspolitik, weil die Haltung der Tschechoslowakei gegenüber den Flüchtlingen am Beispiel der politischen und kulturellen Elite beschrieben wird.

Epilog

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Die Tschechoslowakei wurde tatsächlich zu einem wichtigen Sitz deutscher Exilpolitiker. Führende Vertreter der deutschen wie auch der österreichischen Sozialdemokratie, Spitzenfunktionäre der Roten Front, zahlreiche engagierte Intellektuelle und Künstler konnten, wenn oft auch in bescheidenerem Umfang, ihrer politischen oder kulturellen Tätigkeit im tschechoslowakischen Exil weiterhin nachgehen und sich der Unterstützung eines Teils der tschechoslowakischen Gesellschaft, insbesondere der links orientierten Kreise, sicher sein. Bis 1937 war für sie eine Aufenthaltsgenehmigung kein Problem und über ihre Verbindungen kamen sie leichter in den Genuss finanzieller Zuwendungen. So wurden aus der Tschechoslowakei in großen Mengen Druckerzeugnisse nach Deutschland und Österreich geschmuggelt und die Vertreter der Exilparteien konnten regen Kontakt zu ihren Anhängern hinter der Grenze halten. Daher mag es den Anschein haben, dass die Tschechoslowakei im Vergleich mit anderen europäischen Staaten Flüchtlingen eine ungleich bessere Zuflucht bot. Die politisch aktive Flüchtlingsgemeinde ist aber, trotz ihrer enormen internationalen Bedeutung und der ihr zuteil gewordenen medialen Aufmerksamkeit, nur ein Moment des tatsächlichen Gesamtbildes. Gerade auf sie hat sich der Blick konzentriert und so blieben die existentiellen Schwierigkeiten, mit denen die überwiegende Mehrheit der deutschen und österreichischen Flüchtlinge in der Tschechoslowakei zu kämpfen hatte, außer Acht. Die fast ausschließliche Beschäftigung mit der Elite hat zudem eine umfassende Analyse der offiziellen tschechoslowakischen Flüchtlingspolitik verhindert, die zu rekonstruieren für ein richtiges Verständnis der tatsächlichen Stellung der Flüchtlinge unabdingbar ist. Jenes so viel gepriesene Recht auf Asyl war in der Tschechoslowakei nämlich keineswegs fest verankert und seine Anwendung hing – trotz der allgemeinen Verordnungen über den Umgang mit deutschen und österreichischen Flüchtlingen – in beträchtlichem Maß von den einzelnen Beamten der staatlichen Verwaltung ab. Das Innenministerium, das bei den Entscheidungen in der Flüchtlingsfrage zweifellos am längsten Hebel saß, versperrte sich einer Definition des Flüchtlingsstatuts vehement und wollte Rechte und Pflichten der Flüchtlinge keinesfalls fest verankert sehen. Stattdessen praktizierte es gegenüber den meisten Flüchtlingen ein „benevolentes“ Vorgehen, wobei den Behörden eine selektive Entscheidung über jeden einzelnen Fall vorbehalten war. Der Status der Flüchtlinge war in der Tschechoslowakei nicht gesetzlich verankert, sondern ergab sich aus den allgemeinen Ausländer-Verordnungen; ab 1935 war er durch das Gesetz über den Aufenthalt von Ausländern geregelt, das bei einem längerfristigen Aufenthalt die Beantragung einer Sondergenehmigung vorschrieb und Aufenthaltsgenehmigungen nur für bestimmte Bereiche des Staatsgebiets erteilte. An den internationalen Verhandlungen über die Flüchtlingsfrage nahm die Tschechoslowakei zwar teil, doch ratifizierte sie letztlich nicht einmal das provisorische Genfer Flüchtlingsabkommen vom Juli 1936, in dem sich einige europäische Staaten zumindest auf eine sehr allgemeine Definition des Flüchtlingsstatus

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einigten, auch auf die Ausstellung spezieller Ausweise sowie einige weitere Punkte, die den Flüchtlingen wenigstens in mancher Hinsicht Erleichterungen verschaffen sollten. Die Tschechoslowakei jedoch verteidigte ihr Recht, selbst darüber zu entscheiden, wer Flüchtling ist und wer nicht: Dies tat sie auf Grundlage eigener Instruktionen, die sich je nach aktueller Situation im In- und Ausland änderten. Schon deshalb konnten die Erfahrungen einiger weniger im Exil befindlicher Spitzenpolitiker nicht deckungsgleich sein mit denen tausender anderer Flüchtlinge. Die Tschechoslowakei hat sich, wie die übrigen europäischen Staaten auch, nur als Transitland gesehen und wollte verhindern, dass die Flüchtlinge auf ihrem Gebiet dauerhaft ansässig würden. Eine wesentliche Rolle spielten in dem Zusammenhang auch die Weltwirtschaftskrise und der enorme Anstieg der Arbeitslosigkeit zu Beginn der 1920er Jahre. Für Flüchtlinge galt ein striktes Beschäftigungsverbot und auch eine freigewerbliche Tätigkeit wurde von den Behörden möglichst eingeschränkt. Die Flüchtlinge mussten in regelmäßigen Abständen eine Verlängerung ihrer Aufenthaltsgenehmigung beantragen, wobei sie sich eines positiven Bescheids nie sicher sein konnten. Das Dahinleben ohne die Möglichkeit einer sinnvollen Arbeit und das völlige Fehlen einer längerfristigen Perspektive war demoralisierend und nahm manch einem Flüchtling jegliche Hoffnung. Dieses Gefühl der Hoffnungslosigkeit wog bei den jüdischen Flüchtlingen umso schwerer, denn sie begriffen ihre Vertreibung aus Deutschland auch als Scheitern ihres großen Assimilationsprojekts und ihrer kulturellen Integration in die deutsche Nation, mit der sie sich bis dahin identifiziert hatten. Die Situation der weitaus meisten Flüchtlinge war in jeder Hinsicht bedrückend. In den ersten Monaten nach Hitlers Machtantritt gelang es den Hilfsorganisationen zwar, für die damals noch begrenzte Zahl von Flüchtlingen genügend Mittel über freiwillige Spendenaktionen aufzutreiben. Doch schon im Sommer 1933 hatten sie mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Trotz wiederholter Bitten erhielten sie keine nennenswerte Unterstützung von staatlicher Seite. Die Finanzierung der Flüchtlingshilfe wurde bis zum Ende der Ersten Republik allein von privaten Geldgebern geleistet, vor allem von den örtlichen jüdischen Gemeinden und von jüdischen Organisationen im Ausland. Infolge der sich kontinuierlich verschlechternden Situation der Hilfsorganisationen sank auch die regelmäßig an die Flüchtlinge ausgezahlte Unterstützung. Die Flüchtlinge vegetierten unter dem Lebensminimum dahin, konnten sich meist nur sehr schlecht ernähren und sahen sich mit unzumutbaren Wohnverhältnissen konfrontiert. Typisch für die Tschechoslowakei war auch, dass gerade die ärmsten Flüchtlinge blieben oder aus anderen Exilländern zuwanderten, denn einen Lebensunterhalt in Frankreich oder in der Schweiz zu bestreiten, lag außerhalb ihrer Möglichkeiten. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die jüdischen Flüchtlinge. Ihre absolute Zahl wie auch ihr relativer Anteil am tschechoslowakischen Exil nahmen kontinuierlich zu, obwohl die jüdischen Hilfsorganisationen im Vergleich mit den

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„politischen“ seitens der tschechoslowakischen Behörden unter viel größerem Druck standen, so rasch wie möglich für eine weitere Ausreise ihrer Schützlinge zu sorgen. Sie hatten – ähnlich wie die anderen Organisationen – durchschnittlich einige hundert Personen zu betreuen, doch war die tatsächliche Zahl ihrer Klienten auf Grund der hohen Fluktuation viel größer: es waren Tausende, die sie in Anspruch nahmen und denen die HICEM vor allem eine möglichst rasche Ausreise in ein Drittland ermöglichen wollte. Das bisherige Bild vom Exil in der Tschechoslowakei, das den Anteil an jüdischen Flüchtlingen wesentlich geringer ansetzt und den politischen „Emigranten“ eine viel größere Bedeutung beimisst, bedarf also einer Korrektur. In Bezug auf die jüdischen Flüchtlinge lässt sich bei den tschechoslowakischen Behörden eine zunehmend restriktive Politik beobachten. In den ersten Jahren wurde Verfolgung im Zuge von Rassendiskriminierung noch als legitimer Fluchtgrund und als ebensolche Bedrohung anerkannt, welcher sich andere auf Grund ihrer politischen Überzeugung ausgesetzt sahen. Nach dem Erlass der Nürnberger Rassengesetze 1935 wurden jüdische Flüchtlinge aber immer häufiger den „Wirtschaftsmigranten“ zugerechnet, die nicht als echte Flüchtlinge erachtet wurden und nur unter großen Schwierigkeiten eine Aufenthaltsgenehmigung erhielten. In einer besonders schwierigen Situation befanden sich mit Beginn der 1930er Jahre die „Ostjuden“ – mit meist polnischer Staatsbürgerschaft –, die bereits in den ersten Tagen nach der Machtergreifung aus Deutschland vertrieben wurden und auch den tschechoslowakischen Behörden von Anfang an als „unerwünschtes Element“ galten. Vereinfacht gesagt, haben die staatlichen Behörden ihre gegenüber den „Ostjuden“ praktizierte Politik Ende der 1930er Jahre auf alle jüdischen Flüchtlinge ausgedehnt. Deren Lage hatte sich zudem noch durch die antijüdischen Proteste der arabischen Bevölkerung in Palästina verschärft, denn diese hatten zur Folge, dass die britische Mandatsregierung die jüdische Immigration nach Palästina ab 1936 drastisch einschränkte. Eine deutlich restriktivere Flüchtlingspolitik lässt auch der im Laufe des Jahres 1937 vom Innenministerium gefasste Plan erkennen, alle Flüchtlinge in acht ausgewählten Bezirken auf der Böhmisch-Mährischen Höhe zusammenzuziehen. Der Anlass zu dieser Maßnahme, die schließlich den völligen Kollaps der bisherigen Strukturen der Flüchtlingshilfe heraufbeschwor, ist vermutlich in den geheimen Verhandlungen zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei zu suchen. Offiziell wurde dieses Projekt mit angeblichen Sicherheitsvorkehrungen zum Schutze des Staats vor dem nationalsozialistischen Nachbarn begründet. Da sich das Vorhaben als nur schwer realisierbar erwies, begann das Innenministerium eine Zusammenziehung der Flüchtlinge in Flüchtlingslagern vorzubereiten. Die Schaffung von Flüchtlingsreservaten wurde nur wenige Monate vor den Ereignissen diskutiert, die nicht nur in der Tschechoslowakei, sondern in ganz Europa eine positive Lösung der Flüchtlingsproblematik, insbesondere in Hinblick auf die jüdischen Flüchtlinge, schlichtweg vereitelten. Vorbote dieser Entwicklung

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war die Reaktion der tschechoslowakischen Behörden auf eine vermutete jüdische Fluchtwelle aus Rumänien, wo im Dezember 1937 eine antisemitische Regierung an die Macht gekommen war. Die ängstlichen Vorkehrungen, die man traf, um ein Eindringen der Flüchtlinge auf tschechoslowakisches Territorium zu verhindern, erwiesen sich dann einfach deshalb als überflüssig, weil der erwartete Massenexodus rumänischer Juden ausblieb. Anders stellte sich die Situation keine drei Monate später dar, als die tschechoslowakischen Beamten ungewöhnlich rasch auf die Ereignisse in Österreich reagierten und innerhalb nur weniger Stunden die Grenzen für die vorwiegend jüdischen Flüchtlinge aus dem Nachbarland schlossen. Die Einreise österreichischer Staatsbürger auf tschechoslowakisches Staatsgebiet war von nun an nur mit einer Sondergenehmigung möglich, die Personen „nichtarischer Abstammung“ nur ausnahmsweise erteilt wurde. Die Tschechoslowakei hinderte auf diese Weise Tausende österreichischer Juden an einer Flucht vor dem Nationalsozialismus und trieb sie nicht selten von der Grenze direkt in die Arme der Gestapo zurück. Ähnlich, wenn auch erst etwas später, gingen alle Nachbarstaaten Österreichs vor, einschließlich der Schweiz, die bis zum „Anschluss“ – genau wie die Tschechoslowakei – einen visumfreien Reiseverkehr mit Österreich unterhalten hatte. * * * Das Bild der tschechoslowakischen Flüchtlingspolitik stellt sich also insgesamt bei weitem nicht so positiv dar, wie die Mehrzahl der bisherigen Studien zu dieser Thematik nahelegen. Die vorliegende Untersuchung hebt die restriktiven Elemente der tschechoslowakischen Flüchtlingspolitik und die Probleme der deutschen und österreichischen Flüchtlinge in der Tschechoslowakei stärker hervor. Dass sie zu anderen Ergebnissen kommt, ist logische Konsequenz dessen, dass sie sich nicht nur mit der politischen und kulturellen Tätigkeit einer kleineren Flüchtlingsgruppe befasst, sondern vor allem das Alltagsleben der Mehrheit und die gesamte Entwicklung der tschechoslowakischen Flüchtlingspolitik in den Blick nimmt. Für die weitaus meisten Flüchtlinge war die Tschechoslowakei eine in der Tat mehr als unsichere Zuflucht. Mag das Exil in der Tschechoslowakei mit dem Bild einer Kreuzung, Brücke oder eines Umsteigebahnhofs beschrieben werden, sicher ist, dass der Aufenthalt an diesen symbolisch gefassten Orten für die meisten Flüchtlinge bestimmt war von existenzieller Unsicherheit, Angst vor Ausweisung, der Unmöglichkeit sinnvoller Arbeit und einer völlig ungewissen Zukunft. Im Mittelpunkt der bisherigen Geschichtswissenschaft standen vor allem jene Spezifika der Tschechoslowakei, die sie vor anderen Ländern für deutsche und österreichische Flüchtlinge attraktiv machten: die Existenz einer deutschsprachigen Minderheit, ein links orientiertes Milieu, das eine Integration erlaubte, Toleranz gegenüber den politischen Aktivitäten der Sozialdemokraten und der Roten Front. Dieses positive Bild beruht jedoch auf einer grundsätzlichen Vereinfachung

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der Realität, die sich aus einer allzu ausschließlichen Fokussierung des politischen Exils ergibt. Sie erklärt sich zudem aus der Tendenz, die Geschichte der Ersten Republik, der „Masaryk“- Republik, als einzig demokratischem Staat im sonst autoritär bzw. totalitär regierten Mitteleuropa zu idealisieren. Die hier intendierte Einordnung der Zwischenkriegs-Tschechoslowakei unter die westeuropäischen Demokratien steht freilich in geradezu paradoxem Widerspruch zu der kritischen Haltung, die die Geschichtswissenschaft ab den 1960er Jahren gegenüber der von diesen Ländern während des Nationalsozialismus praktizierten Flüchtlingspolitik bezieht. Die Flüchtlingspolitik der Tschechoslowakei hat sich von der Flüchtlingspolitik der anderen europäischen Staaten wenig unterschieden. Auch hier gab es das Bestreben, zwischen „politischen“ und unerwünschten „Wirtschafts“Flüchtlingen zu unterscheiden, „Ostjuden“ wurden in ähnlicher Weise diskriminiert und die Grenzen für Flüchtlinge aus Österreich 1938 geschlossen. Ebenso typisch war das Beschäftigungsverbot für Flüchtlinge und das Konzept eines Transitlandes, aus dem die Flüchtlinge anderswohin emigrieren sollten, am besten nach Übersee. So hat auch die Tschechoslowakei ihren Anteil daran, dass verfolgte Menschen verschiedener Überzeugung und Herkunft durch Europa irrten, nirgends eine Bleibe fanden und nicht wussten wohin. Auch sie hat ihre Grenzen für die überwiegend jüdischen Flüchtlinge ab 1938 geschlossen und keine Visa mehr erteilt. Eine umfassende Auseinandersetzung mit der Flüchtlingspolitik zur Zeit der Ersten Republik – wie sie bisher viel zu wenig stattgefunden hat – ist essentieller Bestandteil eines sachlichen wie kritischen Blicks auf die tschechische und tschechoslowakische Geschichte.

Quellen und Literatur

Archivmaterialien Tschechische Republik Archiv hlavního města Prahy (AMP) [Archiv der Hauptstadt Prag] – spolkový katastr (SK) [Vereinskataster] Archiv Ministerstva zahraničních věcí (AMZV) [Archiv des Außenministeriums] – Abteilung II-3 Archiv Židovského muzea v Praze (AŽMP) [Archiv des Jüdischen Museums Prag] – protokoly schůzí reprezentace Židovské náboženské obce v Praze (ŽNOP) [Protokolle der Repräsentantenversammlungen der Jüdischen Kultusgemeinden Prags] – Fonds der einzelnen jüdischen Kultusgemeinden in den böhmischen Ländern: Bresnitz (Březnice) Fridek-Mistek (Frýdek-Místek) Göding (Hodonín) Mährisch Weißkirchen (Hranice na Moravě) Neu-Bydžow (Nový Bydžov) Neuhaus ( Jindřichův Hradec) Olmütz (Olomouc) Pilsen (Plzeň) Prag-Karlin (Praha-Karlín) Prerau (Přerov) Roketnitz (Rokytnice) Staab (Stod) Taus (Domažlice) Trebitsch (Třebíč) – Fond der HICEM Moravský zemský archiv, Brno (MZA) [Mährisches Landesarchiv Brünn] – Zemský úřad v Brně (ZÚ Brno) [Landesbehörde Brünn] Národní archiv v Praze (NA) [Nationalarchiv Prag] – Prezídium ministerské rady [Präsidium des Ministerrats] – Ministerstvo spravedlnosti Praha (MS), 1918–1945 [ Justizministerium Prag, 1918– 1945] – Prezídium ministerstva vnitra (PMV) [Präsidium des Innenministeriums] – Ministerstvo vnitra (MV), stará registratura, 1936–1940 [Innenministerium, alte Registratur, 1936–1940] – Ministerstvo zahraničních věcí (MZV) – výstřižkový archiv [Außenministerium –Ausschnittsarchiv]

Literatur

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Zemský úřad v Praze (ZÚ Praha) [Landesbehörde Prag] Policejní ředitelství v Praze (PŘ) [Polizeidirektion Prag] Prezídium Policejního ředitelství v Praze (PP) [Präsidum der Polizeidirektion Prag] Ministerstvo sociální péče (MSP) [Sozialministerium] pozůstalost Theodora Bartoška [Nachlass Theodor Bartošek] fond Velkolóže B’nai B’rith (VBB) [Fond der Großloge B’nai B’rith]

Státní okresní archiv Olomouc (SOkA Olomouc) [Staatliches Bezirksarchiv Olmütz] Stenoprotokoly a tisky schůzí poslanecké sněmovny a senátu Československé republiky 1933–1938, [Stenoprotokolle und gedruckte Protokolle der Sitzungen von Parlament und Senat der Tschechoslowakischen Republik 1933–1938], www.psp.cz/eknih

Israel Central Zionist Archives, Jerusalem (CZA) – Immigrationsdepartement der Zionistischen Exekutive in Jerusalem, Korrespondenz mit dem Palästinabüro in Prag, Fond S 6

Deutschland Archiv des Jüdischen Museums Berlin, Leo Baeck Institut (AJMB, LBI) – Memoire Collection Archiv der Stiftung „Neue Synagoge Berlin. Centrum Judaicum“, Berlin (CJA) – Fond der HICEM Deutsches Exilarchiv, Frankfurt am Main (DEA) – Nachlass Willy Sternfeld Zentrum für Antisemitismusforschung, Berlin (ZfA) – Sammlung der Houghton Library, Prize Competition „My life in Germany before and after January 30, 1933“, aus dem Jahr 1940

Österreich Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien (IfZ, Wien) – Memoiren Berta Landré

USA Archives of American Jewish Joint Distribution Committee, New York (Archive of AJJDC) – Fonds 687/1, 33/44

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Quellen und Literatur

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Schweiz Archiv für Zeitgeschichte, Zürich (AfZ, Zürich) – 1190 – Executivcommitee of World Jewish Congress, Paris Bundesarchiv, Bern (BAR) – Personalakten der Flüchtlinge im Fond der Schweizer Fremdenpolizei, Reihe N und P (Fond E 4264, Sign. 1985/196) Staatsarchiv St. Gallen – A 116/38.69

Zeitgenössische Presse Arbeiter Illustrierte Zeitung Aufruf B’nai B’rith Monatsblätter České slovo [Tschechisches Wort] Die Wahrheit Europäische Hefte Lidové noviny [Volkszeitung] Národní listy [Nationalblatt] Národní osvobození [Nationale Befreiung] Neuer Vorwärts Prager Abendzeitung Prager Montagsblatt Prager Presse Prager Tagblatt Rote Fahne Rozvoj [Entwicklung] Rudé právo [Rotes Recht] Selbstwehr Sozialistische Mitteilungen Večer [Der Abend] Venkov [Das Land] Židovské zprávy [ Jüdische Nachrichten] Židovský kalendář [ Jüdischer Kalender]

Zeitgenössische Presse

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Dank

An dieser Stelle möchten wir allen danken, die uns während unserer Forschungsarbeit unterstützt und bei der Erarbeitung der Endfassung des Textes geholfen haben. Unsere Studie beruht auf umfangreichen Archivarbeiten; so sind wir einer ganzen Reihe von Archivaren sehr verbunden. Namentlich erwähnen möchten wir vor allem die, die sich weit über ihre Pflicht hinaus für unser Anliegen eingesetzt haben. Wie immer gilt unser Dank für selbstlose Hilfe, Hinweise und Ideen allen voran Vlasta Měšťanková vom Nationalarchiv Prag. Im Archiv des American Jewish Joint Distribution Committee in New York standen uns Shelley Helfand und Misha Mitsel zur Seite, im Schweizerischen Bundesarchiv Bern Quido Koller, zudem ein Experte für die Flüchtlingspolitik der Schweiz. Für ihre Hilfe danken wir außerdem Rochelle Rubinstein von den Central Zionist Archives in Jerusalem, Birgit Schulz vom Archiv des Zentrums für Antisemitismusforschung, Miriam Intrator vom Archiv des Leo Baeck Institute in New York, Barbara Welker vom Archiv des Centrum Judaicum und Vlastimila Hamáčková vom Archiv des Jüdischen Museums in Prag. Besonderer Dank geht an Gunnar Berg vom YIVO Institute in New York für die Mikrofilmkopien mit den Dokumenten der Prager HICEM-Filiale. Wir danken allen Kollegen und Freunden, die das Manuskript unserer Arbeit gelesen und uns zu Ergänzungen und Verbesserungen inspiriert haben. Insbesondere Ines Koeltzsch aus Berlin hat sich mit ihrem ausführlichen Kommentar sowie zahlreichen Anregungen um die Endfassung unseres Textes sehr verdient gemacht. Nachdrücklich danken möchten wir auch Petr Brod, nicht nur für seine gründliche Lektüre, sondern auch für seine Hinweise auf Erinnerungen und literarische Werke, die wir ohne ihn schwerlich entdeckt hätten. Dankbar sind wir auch Peter Becher für seine Lektüre der deutschen Version des Manuskriptes und seine Korrekturen. Thomas Oellermann sagen wir Dank für seine Anmerkungen zum Exil der deutschen Sozialdemokratie. Sehr geholfen hat uns Martina Franklová. Ihr danken wir für stilistische Verbesserungen, vor allem aber für die ebenso mühselige wie zeitaufwendige Erstellung des Literaturverzeichnisses und für die Vereinheitlichung der bibliographischen Angaben. Zoja Franklová sind wir dankbar für ihre sorgfältige Durchsicht des Textes und die Beseitigung zahlreicher stilistischer und grammatischer Ungeschicklichkeiten. Für sein Entgegenkommen und seine großzügige Unterstützung bei der Suche nach Bildmaterial aus der zeitgenössischen Presse möchten wir Martin Sekera danken, dem Leiter der Zeitschriftenabteilung des Nationalmuseums, und nicht zuletzt Veronika Kofránková und Hilde Lechner. Sie haben uns Bildmaterial aus ihren Privatarchiven zur Verfügung gestellt. Gedankt sei auch den Sponsoren, die unser Forschungsprojekt finanziert haben. Die Monographie Unsichere Zuflucht war Kern des von der Projektagentur der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik geförderten Projekts Nr. B 8994401.

312

Dank

Die Forschungsarbeiten in den Schweizer Archiven sowie im Deutschen Exilarchiv in Frankfurt wurden Kateřina Čapková durch ein Stipendium des Schweizer Bundesrates ermöglicht. Für die Vermittlung dieses Forschungsstipendiums ebenso wie für inspirierende fachliche Beratung ist sie Herrn Prof. Heiko Haumann von der Universität Basel zu großem Dank verpflichtet. Bereichernd für sie waren außerdem die Diskussionen im Rahmen der Arbeitsgruppe Osteuropäische und jüdische Studien unter der gemeinsamen Leitung von Prof. Heiko Haumann, Prof. Jacques Picard und Eric Petry. Den Forschungsaufenthalt von Michal Frankl in Jerusalem sowie die Reisekosten für Kateřina Čapková in die USA hat das Institut Theresienstädter Initiativen aus seinen Projektmitteln finanziert. Hier gilt unser Dank der Institutsleiterin Jaroslava Milotová. Dankbar sind wir auch dem Jüdischen Museum in Prag für die Betreuung der deutschen Version unseres Buchprojektes. Die Übersetzung dieses Bandes wurde mit finanzieller Unterstützung des DeutschTschechischen Zukunftsfonds ermöglicht. Unser besonderer Dank gilt Frau Kristina Kallert für ihre professionelle Genauigkeit und sprachliche Feinfühligkeit, mit der sie den Text ins Deutsche übertrug. Es waren die Stiftung Irene Bollag-Herzheimer und der Tencer Family Fund, mit deren Hilfe die Druckkosten des Böhlau Verlags gedeckt werden konnten. Weiterer Dank gebührt Herrn Prof. Jacques Picard für die Einbeziehung der Publikation in die Reihe „Jüdische Moderne“ und Frau Dorothee Rheker-Wunsch vom Böhlau Verlag, die das Buchprojekt umsichtig betreute. Prag, Dezember 2011.

Abkürzungsverzeichnis

AfZ

Archiv für Zeitgeschichte (im Weiteren angegeben, ob in Zürich oder Wien) Arbeiter Illustrierte Zeitung AIZ Archiv hlavního města Prahy [Archiv der Hauptstadt Prag] AMP Archiv ministerstva zahraničních věcí [Archiv des AußenminisAMZV teriums] Archive of American Jewish Joint Distribution Committee in Archive of AJJDC New York Archiv Židovského muzea v Praze [Archiv des Jüdischen MuseAŽMP ums in Prag] Bundesarchiv, Bern BAR CJA Archiv der Stiftung „Neue Synagoge Berlin. Centrum Judaicum“, Berlin Comité National Comité National Tchécoslovaque pour le réfugiés provenant d’Allemagne Central Zionist Archives in Jerusalem CZA Deutsches Exilarchiv in Frankfurt am Main DEA Deutsche Sozialdemokratische Arbeiterpartei DSAP American Jewish Joint Distribution Committee in New York JOINT Jüdisches Hilfskomitee Hilfskomitee für jüdische Flüchtlinge und Emigranten aus Deutschland Kommunistische Partei Deutschlands KPD Komunistická strana Československa [Kommunistische Partei KSČ der Tschechoslowakei] Ministerstvo spravedlnosti [ Justizministerium] MS Ministerstvo sociální péče [Sozialministerium] MSP Ministerstvo vnitra [Innenministerium] MV Moravský zemský archiv, Brno [Mährisches Landesarchiv, MZA Brünn] Ministerstvo zahraničních věcí [Außenministerium] MZV Národní archiv České republiky [Nationalarchiv der TschechiNA schen Republik] Presidium Ministerstva vnitra [Präsidium des InnenministeriPMV ums] Presidium Policejního ředitelství v Praze [Präsidium der PolizeiPP direktion Prag] Policejní ředitelství v Praze [Polizeidirektion Prag] PŘ spolkový katastr [Vereinskataster] SK

314

Abkürzungsverzeichnis

SOkA Olomouc Státní okresní archiv Olomouc [Staatliches Bezirksarchiv Olmütz] SoPaDe Sozialdemokratische Partei Deutschlands im Exil Sociální ústav náboženských obcí židovských v Praze [SozialinSozialinstitut stitut der jüdischen Kultusgemeinden von Groß-Prag] VB Velkolóže B’nai B’rith [Großloge B’nai B’rith] YIVO Institute for Jewish Research, New York YIVO, NY ZÚ Brno Zemský úřad v Brně [Landesbehörde in Brünn] Zemský úřad v Praze [Landesbehörde in Prag] ZÚ Praha

Bildnachweis

Archiv ČTK – © ČTK (foto), 2008 – 139 Archiv hl. města Prahy [Archiv der Hauptsatdt Prag] – 165 Archiv Židovského muzea v Praze [Archiv des Jüdischen Museums in Prag] – 198 Deutsche Nationalbibliothek – 67, 276 Knihovna Národníhor muzea v Praze [Bibliothek des Nationalmuseums Prag] – 191, 225 Deutscher Ärzte-Verlag – 134 Národní archiv České republiky, Praha [Nationalarchiv der Tschechischen Republik, Prag] – 24, 57, 61, 67, 69, 72, 101, 107, 128, 142, 144, 147, 149, 163, 207, 208, 249, 260, 261, 265, 266 Národní knihovna v Praze [Nationalbibliothek Prag] – 214 Schweizerisches Bundesarchiv, Bern – 269 Privatarchiv Hilde Lechner – 176 Privatarchiv Veronika Kofránková – 62, 63

Index

A Adler, Bruno 177 Adler, Friedrich 92 Albrechtová, Gertruda 9, 10 Aliens Act, 1905 33 Alija, Auswanderung nach Palästina 215, 263 Alt-Prerau an der Elbe (Přerov nad Labem) 233 Altstadt bei Ungarisch Hradisch (Staré Město u Uherského Hradiště) 221 American Guild for German Cultural Freedom 248 American Jewish Joint Distribution Committee ( JOINT) 17, 18, 115, 116, 117, 120, 123, 131, 147, 196, 200, 201, 202, 204, 227, 279, 281, 311, 313 Antwerpen 194 Arbeiter Illustrierte Zeitung 94, 152 Arbeiter-Zeitung 88, 238 Argentinien 213 Armenien 32, 34, 81 Auschwitz 61, 184, 289 Auslandsbüro der österreichischen Sozialdemokraten 88 Aussig (Ústí nad Labem) 31, 100 A-Zet, Zeitung 45 B Baden-Baden 62 Bad Gräfenberg (Lázně Jeseník) 104 Badrian, Friedrich 190, 191 Bakofen, Karl 103 Balden, Theo 93 Barber, Stephan 279, 281, 282 Barnay, Paul 104, 132 Barthou, Louis 71 Bartošek, Theodor 153, 162

Bauer, Otto 88 Baum, Martin 193 Baum, Oskar 92 Beck, Józef 175 Belgien 11, 45, 99, 129 Benda, Stanislav 90, 166 BeneŠ, Edvard 36, 37, 45, 50, 76, 88, 92, 96, 106, 115, 221, 233, 236, 248, 249, 250 Beneš, Jiří 45 Beran, Rudolf 40 Bérenger, Henry 123 Berlin 134, 149, 163, 174, 176, 179, 193, 202, 240, 311 Berlin am Morgen, Zeitschrift 152 Bermann, Richard A. 248, 249, 250 Bernheim, Franz 74 Bernstein, Richard 60, 61, 62, 74, 289 Bert-Brecht-Klub 133, 163 Bester, Oskar 103 Bílá Voda u Javorníku (siehe Weißwasser bei Jauernigg) Bill, Friedrich 102, 106 Blank, Rudolf 142 Blumenfeld, Ludwig 260 Blumenzweig, Leib 273 B’nai B’rith, Orden 109, 110, 117, 123, 211, 212, 279 Bodenbach (Podmokly) 100 Bohemia, Zeitschrift 93 Bolivien 213, 264, 277 Bondy, Josef 242 Botscharoff, Vladimír 273 Bouček, Václav 161 Brandenburg 290 Brasilien 116, 213 Bratislava (siehe Pressburg) Břeclav (siehe Lundenburg)

318 Breslauer Arbeiterzeitung 163 Breslau (Wrocław) 26, 163, 207, 209 Brno (siehe Brünn) Brod, Max 39 Brukner, Jan 41 Brünn-Augarten (Brno-Lužánky) 145 Brünn (Brno) 27, 31, 53, 88, 109, 110, 113, 120, 155, 223, 224, 235, 239, 261, 278, 279, 281, 285, 286, 289 Budweis (České Budějovice) 109, 278 Bukarest 243, 245 Bukowina 194 Burgenland 262, 267 Burian, E. F. 62, 63 Burschell, Friedrich 92 Butschowitz (Bučovice) 145 C Čapek, Josef 92 Čapek, Karel 39, 119, 156, 157, 161 Caritas 209, 210 Caron, Vicky 21 Černý, Bohumil 9, 20, 115 České Budějovice (siehe Budweis) České slovo, Zeitung 45, 158, 240, 241, 265 České Velenice 68 Český Těšín (siehe Teschen) Charmilles 269 Cheb (siehe Eger) Chewra Kadischa, Verein 102 Chile 176, 213 Chocerady (Kočerad) 145 Chomutov (siehe Komotau) Club deutscher Künstlerinnen 103 Cluj (siehe Klausenburg) Comité National Tchécoslovaque pour le réfugiés provenant d’Allemagne 55, 75, 83, 117, 121, 122, 126, 127, 128, 129, 135, 146, 159, 160, 166, 168, 169, 206, 209, 227, 228, 232, 237 Continental, Café 101, 132 Crişana-Maramureş 240

Index

Crummenerl, Siegmund 86 Cuza, A. C. 240 Czech, Elizabeth 127 Czech, Ludwig 127 D Dachau 250, 258, 260 Dahl, Franz 87 Dänemark 141 Děčín (siehe Tetschen) Dělnická pomoc (siehe Internationale Arbeiterhilfe) Demel, Paul 93 Deml, Ferdinand 92 Demokratische Flüchtlingsfürsorge 101, 102, 104, 107, 108, 114, 118, 119, 122, 123, 133, 137, 138, 142, 160, 166, 167, 169, 174, 209, 277, 278 Der Aufruf, Zeitschrift 93 Der neue Klub 133 Der Schriftsteller, Zeitschrift 92 Der Simplicus, Zeitschrift 44, 94 Der Sozialdemokrat, Zeitschrift 61, 93 Der Wiener Tag, Zeitschrift 248 Deutscher Schriftsteller-Schutzverband in der ČSR, Verein 91 Deutsche Sozialdemokratische Arbeiterpartei 85, 86, 87, 108, 238 Deutsch, Julius 88 Děvín (siehe Theben) Diakonie, Verein 209, 210 Die Deutsche Revolution, Zeitschrift 90 Die Internationale Kunstwelt, Zeitschrift 94 Die Stunde, Zeitschrift 248 Die Wahrheit, Zeitschrift 93, 130 Die Welt im Wort, Zeitschrift 94 Dimitrov, Georgi 156 Diner, Dan 181 Domažlice (siehe Taus) Donau 263, 264, 278 Dostál, Karel 92, 93

319

Index

Doumer, Paul 71 Dresden 100 Dux, Luděk 211 Dvořák, Josef 97

Freier Gedanke, Verein (Volná myšlenka) 162 Freimaurerloge 133, 137, 162, 279 Fuchs, Rudolf 92

E Ebert, Friedrich 141 Ečer, Bohuslav 113 Edelstein, Jacob 184, 202, 215 Eger (Cheb) 47, 100, 147, 217 Ehrlich, Helene 147, 148, 149 Eichholz, Ludwig 40 Eisenstein (Železná Ruda) 130 Eisner, Pavel 92 Engel, Markus Levi 23 Engländer, Elsa 200 Equador 213 Europäische Hefte, Zeitschrift 94, 105 Évian 83, 255, 256, 257, 280, 285 Evidenzschein 123, 124, 125, 136, 166, 197, 203, 205

G Gablonz an der Neiße ( Jablonec nad Nisou) 61 Galizien 24, 32, 105, 182, 185, 194, 200, 235 Ganz, Fina 160, 161 Genf 73, 75, 80, 232 George, Manfred 7, 8 Gerson, Levin 23 Gleiwitz (Gliwice) 74, 190 Gliwice (siehe Gleiwitz) Göding (Hodonín) 145, 284 Goga, Octavian 239, 240, 245 Goldschmidt, Clariss 196 Goldstein, Ernst 66, 67, 69 Gorgulov, Pavel 71 Gottwald, Klement 150, 151, 155, 156, 163 Graphia, Verlag 89, 94 Graslitz (siehe Kraslice) Graz 267 Großbritannien 15, 33, 34, 36, 92, 232, 236, 238, 254, 255, 277, 279, 288, 290 Grossmann, Kurt 106, 107, 114, 115, 118, 123, 124, 126, 128, 137, 167, 170, 171, 209, 277, 278 Groß-Meseritsch (Velké Meziříčí) 223 Groš, Zeitschrift 241 Grumbach, Salomon 232 Grummer, Leo 23, 24, 289 Grün, Oscar 255 Gumpolds (Humpolec) 222 Gutmann, Julius 93

F Feuchtwanger, Lion 92 Fierlinger, Zdeněk 88 Filla, Emil 92 Fischer, Bedřich 112, 158, 159 Fischer, Josef 92, 290 Fischer, Otokar 39, 92, 112, 156, 157, 161 Fischlová, Stella 177 Fischl, Viktor 93, 177, 204, 205 Fleischer, Olga 62, 63 Fleischmann, Gisi 201 Fleischmann, Rudolf 96, 97, 98, 290 Formis, Rudolf 90, 232 Frankenthal, Käte 7, 8, 122, 125, 132, 134, 148, 196, 197, 206 Frankreich 8, 15, 21, 34, 37, 45, 92, 123, 129, 134, 135, 167, 199, 200, 215, 232, 236, 269, 273, 277, 292 Frauenkirchen 262 Freiburg im Breisgau 176

H Haas, Willy 93, 177

320 Hachschara 117, 211, 217, 219 Hadres 273 Hainewalde 23 Hamburg 59, 194 Heartfield, John 14, 93, 94, 101, 152 Henlein, Konrad 40 Henning, August 170 Herynek, Jan 97 Herzfelde, Wieland 84, 94, 101, 133 Heym, Stefan 25 HICEM, Verein 18, 24, 111, 116, 117, 121, 123, 125, 128, 147, 174, 182, 199, 202, 203, 204, 205, 209, 211, 213, 215, 217, 264, 293 Hilbich, Leopold 81 Hilfskomitee des Einheitsverbands der Privatangestellten 105, 109, 118, 166, 168, 169 Hilfskomitee für deutsche Flüchtlinge (Šalda-Komitee) Hilfskomitee für jüdische Flüchtlinge und Emigranten aus Deutschland (siehe Jüdisches Hilfskomitee) Hilfsverein der deutschen Juden 125 Hilgenreiner, Karl 41 Hindenburg, Paul von 24 Hitler, Adolf 7, 9, 13, 16, 24, 25, 28, 86, 90, 98, 102, 104, 105, 109, 121, 197, 248, 292 Hochmann, David 113 Hodinová-Spurná, Anežka 38, 39, 155 Hoffmann, Heinrich 111 Hoffmeister, Adolf 92 Hölderlin, Friedrich 112 Höragrund 144, 145 Hora Svaté Kateřiny (siehe Katharinenberg) Hornik, Jakub 103 Horní Litvínov (siehe Obersleutendorf ) Horodenka 184, 245 Hort, Orden 279 Hotzenplotz (Osoblaha) 207

Index

Hranice na Moravě (siehe Mährisch Weißkirchen) Humpolec (siehe Gumpolds) Hyršlová, Květa 11, 21 I Iglau ( Jihlava) 145, 220, 223, 229, 278 Indien 33 Internationale Arbeiterhilfe (IAH) 151, 152, 153, 154 Internationaler Sozialistische Kampfbund 89 Italien 240, 250 ius sanguinis 60 ius soli 129 J Jablonec nad Nisou (siehe Gablonz an der Neiße) 1 Jáchymov (siehe Joachimsthal) Jacoby, Henry 170, 171, 178 Jägerndorf (Krnov) 100, 193, 207 Jaksch, Wenzel 238 Javorná (siehe Seewiesen) Jedlička, Jaroslav 113 Jeřábek, Alois 97 Jerusalem 18, 311, 312 Jesenská, Milena 131, 135, 265 Jihlava (siehe Iglau) Jindřichův Hradec (siehe Neuhaus) Joachimsthal ( Jáchymov) 26 JOINT (siehe American Jewish Joint Distribution Committee) Jokl, Vilém 284 Jüdische Pressezentrale, Zeitschrift 255 Jüdische Revue, Zeitschrift 94 Jüdisches Hilfskomitee 12, 61, 102, 103, 104, 110, 111, 121, 122, 123, 125, 127, 137, 142, 147, 148, 149, 159, 169, 174, 176, 181, 196, 197, 203, 204, 206, 208, 209, 210, 212, 213, 214, 215, 217, 218, 220, 225

Index

Jugoslawien 215, 218, 262, 264 Jurnečková, Marie 107 K Kahan, Gerd 72, 207, 208, 209, 289 Kahler, Erich von 177 Kahn, Bernhard 117, 131, 201, 206 Kahn, Franz 216 Kamenev, Sergej 170 Kamenice nad Lipou (siehe Kamenitz) Kamenitz (Kamenice nad Lipou) 222 Kanada 34, 36 Kaplice (siehe Kaplitz) Kaplitz (Kaplice) 68 Karlovy Vary (siehe Karlsbad) Karlsbad (Karlovy Vary) 31, 89, 94, 100, 109, 144, 164, 168, 184 Karpato-Ukraine 118, 146, 154, 185, 194, 200, 202, 213, 215, 216, 223, 240, 242, 243 Kastner, Paul 262 Katharinenberg (Hora Svaté Kateřiny) 26 Katowice 183 Kaufmann, Franz 108 Kisch, Egon Erwin 25, 92, 177 Kittsee 262, 263, 265 Kladno 64, 143, 160, 165 Klausenburg (Cluj) 244, 246 Klein-Aupa (Malá Úpa) 101 Klein Haugsdorf 260 Klein, Robert 109, 123, 127, 174, 289 Klier, Karol 245 Koenen, Wilhelm 87, 171 Kohn, Jiří 112, 127, 158, 168 KoŠice (siehe Kaschau) Kokoschka, Oskar 92 Kollektiv-Echo, Zeitschrift 143 Kolomea 24 Kolumbien 213 Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (siehe KSČ)

321 Komotau (Chomutov) 65, 100 Konrad, Helmut 145 Kopenhagen 250 Kopf, Salomon 23 Korner, Robert 254 Kornhaus (siehe MŠec) Kostelec nad Černými lesy (siehe Schwarzkosteletz) Kovanda, Václav 113 Kozák, J.B. 92, 96, 97, 98, 127 Kozák, J.B. 96 Kramář, Vincent 133 Kraslice (siehe Graslitz) Kratochvíl, Jaroslav 92 Křička, Petr 92 Krnov (siehe Jägerndorf ) Krofta, Kamil 221, 244 KSČ (Kommunistische Partei der Tschechoslowakei) 151, 154, 155, 156, 158, 162, 164 Kubinský, Eugen 75 Kudow (Kudowa Zdrój) 163 Kuh, Anton 132 Küssnacht 95 L Lade, Kurt 93 Lampersberger, Josef 130 Landová-Štychová, Luisa 153, 162, 168 Landré, Berta 139, 140 Larus, Robert 105 Laufer, Otto 159, 161 Laurin, Arne 92, 141 Lausanne 75, 76 Lázně Jeseník (siehe Bad Gräfenberg) Lechner, Hilde 176, 311 Lechner, Walter 176 Leifer, Icik Mayer 245, 246 Leipzig 24, 28, 185, 204, 208 Lenin, Vladimir Iljitsch 152 Leppin, Paul 92 Lessing, Ada 137

322 Lessing, Theodor 26, 27, 130, 137 Letná-Heim 144 Lettland 277 Leupold, Hermann 88 Liberec (siehe Reichenberg) Lichtenburg 220 Lidové noviny, Zeitung 158, 169, 170, 171, 200 Lieben, Eugen 103, 210 Liga für Menschenrechte 102, 106, 118, 127, 239, 264, 279, 281 Linas Hacedek, Verein 103 Linz 68, 273 Litoměřice (siehe Leitmeritz) Lobkowitz, Max 76, 78, 79 Lodz 44, 274, 289 Loewenbach, Jan 111, 143, 157, 159, 161 Loewenbach, Vilma 92, 113, 137, 143, 157, 158, 159, 160, 161, 167 London 231, 250, 279, 282 Löwenthal, Kurt 57, 101 Lublin 261 Lundenburg (Břeclav) 248, 258, 261, 270, 271, 272 M Macek, Josef 146 Mährisch Ostrau (Moravská Ostrava) 27, 28, 31, 100, 110, 163, 164, 188, 190, 191, 254, 262, 273 Mährisch Sternberg (Moravský Šternberk) 145 Mährisch Weißkirchen (Hranice na Moravě) 284 Malacky 275 Malá Úpa (siehe Klein-Aupa) Malik, Verlag 94 Malířová, Helena 92, 159, 161 Mánes, Künstlervereinigung 14, 94, 132, 221 Mann, Golo 97 Mannheimer, Georg 92

Index

Mann, Heinrich 84, 92, 95, 96, 97, 98 Mann, Katia 97 Mann, Klaus 97, 218 Mann, Marie 96 Mann, Michael 97 Mann, Monika 97 Mann, Thomas 8, 61, 92, 95, 96, 97, 98 Margulies, Emil 74 Mariánské Lázně (siehe Marienbad) Marienbad (Mariánské Lázně) 27 Marseille 71, 95, 269 Masaryk, Jan 279, 282 Masaryk, Tomáš G. 8, 10, 11, 37, 84, 115, 161, 195, 232, 295 Matějček, Antonín 112, 159, 161, 162 Matějovice (siehe Matzdorf ) Matzdorf (Matějovice) 207 Mayer, Saly 110 McDonald, James G. 75, 76, 78, 79, 143, 182 MŠec (Kornhaus) 138, 140, 141, 142, 143, 144, 147, 160, 161, 165, 166 Mexiko 139 Meziboří (siehe Schönbach) Mikulov (Nikolsburg) 145 Minsk 289 Moravská Ostrava (siehe Mährisch Ostrau) Moravský Šternberk (siehe Mährisch Sternberg) Moskau 18, 87, 119, 122, 153, 160 Moskovits, Samuel 30 Moskovitz, Ervin 267 Motzkin, Leo 74 Müller, Erwin 171 Münzenberg, Willi 152 N Náchod 163 Nansen, Fridtjof 34, 73 Národní jednota severočeská, Verein 43 Národní listy, Zeitung 43, 44

Index

Národní osvobození, Zeitung 42, 224 Národní politika, Zeitung 275 Nathanson, Herbert 149 Nationalgalerie 133 Natonek, Hans 177 Nečas, Jaromír 127, 146 Nečasová, Marie 127 Nedělní list, Zeitschrift 149 Nedvěd, František 164 Nejdek (siehe Neudek) Nejedlý, Zdeněk 87, 153 Nellstein, Heinrich 220, 221 Německý Brod (siehe Deutsch Brod) Nettl, Paul 107, 137 Neu Beginnen, Verein 89 Neudek (Nejdek) 31 Neue deutschen Blätter, Zeitschrift 94 Neuer Vorwärts, Zeitschrift 67, 86, 94, 238, 274, 276, 277 Neue Weltbühne, Zeitschrift 94 Neuhaus ( Jindřichův Hradec) 278 Neukirchen 260 Neumann, Vítězslav 107 Neustadt an der Mettau (Nové Město nad Metují) 26 Neustadtl in Mähren (Nové Město na Moravě) 223 Newhouse, Margera 196 New York 18, 134, 202, 206, 231, 256, 311 Niederlande 11, 110, 193 Niederzwehren 220 Nikolsburg (Mikulov) 145, 278 Norwegen 61, 147, 277, 289 Nové Město nad Metují (siehe Neustadt an der Mettau) Nové Město na Moravě (siehe Neustadtl in Mähren) 3 Novotný, Josef 39 Nový, Vilém 155, 156, 157, 162 Nürnberg 26, 147, 172 Nürnberger Gesetze 110, 111, 172, 173, 185, 187, 189, 207, 209, 215, 216, 293

323 O Oberleutensdorf (Horní Litvínov) 176 Oberschlesien 74, 78, 187 Ochmann, Ernst 126, 232 Olbracht, Ivan 162 Ollenhauer, Erich 86, 108 Olmütz (Olomouc) 110, 241, 260, 261, 284, 286 Olomouc (siehe Olmütz) Opava (siehe Troppau) Oskar-Kokoschka-Bund 92 Oslo 61, 289 Osoblaha (siehe Hotzenplotz) Österreich 14, 15, 16, 24, 31, 32, 37, 43, 44, 45, 46, 52, 65, 66, 68, 76, 83, 88, 99, 101, 113, 114, 118, 145, 155, 164, 172, 173, 180, 182, 192, 193, 199, 200, 217, 221, 235, 238, 247, 248, 250, 251, 252, 253, 254, 258, 259, 260, 261, 262, 264, 266, 267, 269, 270, 271, 272, 273, 274, 275, 278, 279, 280, 281, 283, 284, 285, 286, 287, 290, 291, 294, 295 P Palach, Jan 156 Palästina 24, 28, 36, 44, 77, 111, 116, 117, 182, 185, 200, 207, 211, 213, 215, 216, 217, 218, 219, 231, 255, 263, 264, 289, 293 Palästina-Amt 184, 202, 215, 216, 217, 219 Pam 262, 263 Paraguay 213, 273 Paris 28, 53, 85, 87, 89, 117, 118, 131, 159, 169, 171, 202, 211, 232, 250, 277, 278, 282, 287 Paul, Ernst 87, 108 Pavel, Antonín 146 Pelhřimov (siehe Pilgrams) Perls, Armin 263 Petrovický, FrantiŠek 41 Petschek, Julius 137, 142

324 Petschek, Otto 76, 137 Pfaff, Ivan 61 Pfempfert, Franz 168, 169 Pick, Otto 92 Pilgrams (Pelhřimov) 222 Pilsen (Plzeň) 145 Pipal, Edmund 113 Pittig, Kurt Hermann 26, 140, 141 Plzeň (siehe Pilsen) Podmokly (siehe Bodenbach) Polach, Johann 41 Polední list, Zeitschrift 241 Polen 14, 23, 32, 74, 120, 175, 182, 183, 200, 205, 241, 252, 267, 270, 271, 272, 273, 280, 282 Pollak, Irma 200 Polná 286 Popper, Josef 110, 123, 127, 202 Poštorná (siehe Unterthemenau) Prager Abendblatt, Zeitung 93 Prager Mittag, Zeitung 94 Prager Montagsblatt, Zeitung 8 Prager Presse, Zeitung 93, 94, 141, 158 Prager Tagblatt, Zeitung 76, 93, 102, 103, 112, 158, 179, 203, 250, 253, 282 Prag-Karlin (Praha-Karlín) 85 Prag-Straschnitz (siehe Straschnitz) 138, 139, 162, 235, 277 Prag-Vysočany 65 Právo lidu, Zeitung 61 Přerov nad Labem (siehe Alt-Prerau an der Elbe) Pressburg (Bratislava) 88, 239, 251, 263, 264, 268, 278 Přítomnost, Zeitschrift 135, 158, 265 Proseč u Skutče 96 R Rabl, Rudolf 87, 159, 162 Rádl, Emanuel 106, 127, 159 Rakonitz (Rakovník) 234 Rakovník (siehe Rakonitz)

Index

Rassenschande 189, 190, 206, 207, 289 Raudnitz (Roudnice) 76 Reichenberg (Liberec) 31, 100, 109, 164 Reichmann, Ludwig 261 Reiner, Ella 254 Reiner, Grete 111, 157 Reiner, Herbert 254 Reiner, Maxim 210 Reiss, Mořic 268 Republikanischer Schutzbund (siehe Schutzbund) Retzbach 68 Revolutionäre Sozialisten Deutschlands 89 Ringhoffer, Alfred 75 Röder, Werner 12, 13, 20 Röhm, Ernst 207 Roketnitz (Rokytnice) 67 Rokytnice (siehe Roketnitz) Roosevelt, Franklin D. 255 Rote Fahne, Zeitschrift 224 Rote Hilfe, Verein 151, 152, 153, 154 Rothkirchen, Livia 11 Rotsch, Georg 65 Roudnice (siehe Raudnitz) Rudé právo, Zeitung 191 Rudé Právo, Zeitung 151, 155 Rühle-Gerstel, Alice 132, 139 Rühle, Otto 139 Rumänien 120, 239, 240, 241, 242, 243, 244, 245, 246, 247, 254, 294 Russische Hilfsaktion 34, 105, 106, 114 Russland 23, 32, 34, 37, 39, 46, 54, 59, 74, 81, 106, 170, 171, 174, 185, 208 RyŠánek, Maximilián 289 Rybáře 144 S Saaz (Žatec) 109, 217 Sachsenhausen-Oranienburg 290 Šalda, F.X. 39, 119, 157, 159, 161

Index

Šalda-Komitee (Hilfskomitee für deutsche Flüchtlinge) 87, 119, 127, 159, 161 Sander, Wilhelm 86, 108 SA (Sturmabteilung) 23, 26, 101, 102, 104, 130, 175, 207, 267, 268, 272, 289 Saxl-Lichtenstein, Olga 92 Schattau (Šatov) 68, 261, 268 Scheidemann, Philipp 27, 141 Schlesien 18, 32, 101, 109, 110, 283 Schluckenau (Šluknov) 47 Schmolka, Marie 7, 8, 53, 70, 96, 110, 111, 114, 119, 120, 122, 127, 128, 134, 135, 146, 147, 159, 160, 166, 169, 181, 200, 201, 202, 209, 227, 228, 232, 233, 264, 289 Schrader, Karl 127, 146 Schröden, Kurt 170 Schuschnigg, Kurt 248, 249, 258 Schutzbund (Republikanischer Schutzbund) 31, 88 Schwab, Karl 128, 168, 277 Schwarze Front 90, 229 Schwarz, Robert 269 Schweden 277 Schweiz 8, 15, 37, 67, 92, 98, 110, 127, 134, 141, 192, 199, 200, 221, 248, 249, 254, 255, 269, 273, 292, 294, 311 Seebacher-Brandt, Brigitte 115 Seemann, Horst 163 Seewiesen ( Javorná) 176 Seifhennersdorf 23 Seipold, Oskar 170 Sekanina, Ivan 156, 159, 290 Seydewitz, Max 87, 141 Seyss-Inquart, Arthur 248 Sighet 242, 245 Simpson, John Hope 35, 193 Slatinské Doly (heute Solotvino) 242, 243 Slowakei 102, 164, 185, 201, 213, 217, 223, 251, 267, 286 Smrkovský, Josef 156 Solidarita, Verein 162

325 SoPaDe 85, 89, 108, 238, 277 Sowjetunion 31, 35, 59, 68, 73, 89, 112, 152, 159, 160, 171 Sozialdemokratische Flüchtlingsfürsorge 61, 104, 108, 109, 123, 126, 128, 140, 146, 168, 169 Spanien 245 Spindlermühle (Špindlerův Mlýn) 178 Špindlerův Mlýn (siehe Spindlermühle) Spingarn, Bruno 207, 289 Spitzer, H. M. 256 SS (Schutzstaffel) 175, 209, 261, 268 Stampfer, Friedrich 84 Staré Město u Uherského Hradiště (siehe Altstadt bei Ungarisch Hradisch) Šťastná, Gertruda 159 Stefanau (Štěpánov) 145 Steiner, Hanna 110, 111, 200, 201, 202, 289 Steiner, Rudolf 100 Stein, Hugo 107 Štěpánek, Jan Nepomuk 93 Štěpánov (siehe Stefanau) Sternberg, Berisch (recte Wurman, Bernhard) 272, 273 Sternfeld, Wilhelm 8, 17, 144, 167 Štětí (siehe Wegstädtl) Stiasny, Felix 260, 261 Strasser, Otto 90, 229 Stráž obrany státu (Wache zur Verteidigung des Staates) 25 Strnad, FrantiŠek 82, 83 Svászvár 260 Svatobořice (siehe Swatoboritz) Svaz Čechů-židů (siehe Verband der Tschechen-Juden) Svépravice (siehe Sweprawitz) Swatoboritz (Svatobořice) 235, 236, 237, 238, 286 Sweprawitz (Svépravice) 163, 234, 237, 277

326 T Tábor 278 Ťačov 243 Taub, Siegfried 39, 85, 86, 108, 238 Taub, Walter 93 Taus (Domažlice) 196 Taylor, Myron C. 279, 282 Teplice-Šanov (siehe Teplitz-Schönau) Teplitzer Gemeindeblatt, Zeitschrift 176 Teplitz-Schönau (Teplice-Šanov) 31, 109, 176 Terezín (siehe Theresienstadt) Teschen (Český Těšín) 31 Thälmann, Ernst 155, 156 Theben (Děvín) 263 Thein, Jiří 93 Theresienstadt (Terezín) 24, 62, 261, 274, 289, 290 Thomas Mann-Gesellschaft 92, 96, 162 Thon, Jan 92, 112, 133, 159, 161 Tijn, Gertrude von 110 Tirnau (Trnava) 145 Trautenau (Trutnov) 100, 110, 217 Třebíč (siehe Trebitsch) Trebitsch (Třebíč) 223 Trenčín 241 Třešť (siehe Triesch) Triesch (Třešť) 278 Trnava (siehe Tirnau) Troppau (Opava) 109 Trotzki, Leo 168 Trutnov (siehe Trautenau) Tschechisch-deutscher Bühnenclub 93, 158 Tschechoslowakische Rote Kreuz 142, 193, 194 Türk, Werner 92 Turnau (Turnov) 43 Turnov (siehe Turnau) 43 Tymeš, František 113

Index

U Ujazdów 289 Ukraine 32, 34, 37, 46, 54, 59, 81 Ulbricht, Walter 87 Ungarn 28, 199, 245, 251, 260, 262, 263, 268 Unterthemenau (Poštorná) 145 Urania, Verein 93, 133 Urban, Café 107, 132 Uruguay 213 Urzidil, Johannes 92 Ústí nad Labem (siehe Aussig) Utitz, Emil 177 Užhorod 53, 200 V Valk, Fritz 93 Varnsdorf (siehe Warnsdorf ) 23 Večer, Zeitung 42, 44, 224, 225 Velké Meziříčí (siehe Groß-Meseritsch) Venezuela 269 Venkov, Zeitung 217, 241, 250 Vereinigte Staaten 7, 15, 34, 202, 264 Vobecká, Marie 154 Vogel, Hans 108, 238 Volary (siehe Wallern) Völkerbund 73, 75, 78, 79, 122, 128 Volná myŠenka, Verein (siehe Freier Gedanke) 162 Vorwärts, Zeitschrift 27, 61 Voska, Emanuel 140 Vydra, Václav 93, 112, 158, 159, 161 W Wachsmann, Zwi Hirsch 178 Waldstein, Wally 200 Wallern (Volary) 145 Warnholtz, Elisabeth 93 Warnsdorf (Varnsdorf ) 23, 24, 100, 289 Warschauer, Frank 92 Watz, Margarita 170 Wegstädtl (Štětí) 144

Index

Weiskopf, F. C. 88, 94, 133, 152, 156, 157, 160, 177 Weißwasser bei Jauernigg (Bílá Voda u Javorníku) 65 Wels, Otto 86 Welt am Abend, Zeitung 152 Westerbork 236 Wien 18, 61, 88, 89, 95, 163, 199, 248, 251, 252, 253, 254, 258, 260, 262, 266, 267, 268, 269, 270, 271, 272, 273, 282, 283 Winternitz, Josef 181 Witos, Wincenty 14 WIZO (World International Zionist Organization) 169, 200, 201 Wolff, Gerhard 26 Wollenberger, Erich 170 Wrocław (siehe Breslau) Wüsten, Johannes 93 Y Yad Vashem, Gedenkstätte 260 YMCA (Young Men’s Christian Association) 104, 136 YWCA (Young Women’s Christian Association) 136, 233 Z Záběhlice 138, 217, 225

327 Záhoří 90 Zápotocký, Antonín 154 Žatec (siehe Saaz) Zbraslav (Königsaal) 44, 142, 143, 145, 147, 174 Zbusan (Zbuzany) 143 Zbuzany 143, 165 Zelenka, František 93 Železná Ruda (siehe Eisenstein) Zentrale Hilfsstelle für deutsche Flüchtlingskinder 119 Zentralhilfestelle für Flüchtlinge in Brünn 279, 280, 281, 285 Zetkin, Clara 153, 154 Židovské zprávy, Zeitung 93 Ziffer, Leo 274 Žilka, Jindřich 76 Zinovev, Grigorij 170 Zittau 23 Zmrhal, Antonín 153 Znaim (Znojmo) 68, 144, 260, 261, 273, 278, 282 Znojmo (siehe Znaim) Zprávy Šaldova komitétu, Zeitschrift 143 Zürich 18, 95, 97 Zweig, Arnold 92 Zweig, Max 177 Zweig, Stefan 33 Zwingendorf 260

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abb. auf 8 taf. gb.

jurA 1800–1914

isbn 978-3-412-20254-5

2012. 280 s. 12 s/W-abb. und 16 farb. abb. gb.

bd. 10 | Wulff bickenbacH

isbn 978-3-412-20935-3

geRechtigkeit füR Paul gRüningeR VerurteIlung und rehAbIlItIerung eInes schWeIzer fluchthelfers (1938–1998) mit einem geleitWort von Jacques Picard. 2009. 363 s. mit 22 s/W-abb. gb.

TT094

isbn 978-3-412-20334-4

böhlau verlag, ursulaplatz 1, d-50668 köln, t: + 49 221 913 90-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar

Reihe Jüdische ModeRne Herausgegeben von alfred bodenHeimer, Jacques Picard, monik a rütHers und daniel Wildmann

eine ausWaHl

bd. 11 | andrea Heuser

bd. 7 | stefanie leuenberger

„jüdIschkeIt“ In der deutschen

VoM andeRen zuM gegenübeR schRift-RauM JeRusaleM

gegenWArtslIterAtur

IdentItätsdIskurse Im Werk

2011. 396 s. br. | isbn 978-3-412-20569-0

deutsch-jüdIscher Autoren 2007. viii, 274 s. 15 s/W-abb. auf 15 taf.

bd. 12 | casPar battegay

gb. | isbn 978-3-412-20058-9

das andeRe blut gemeInschAft Im deutsch-

bd. 8 | alexandra binnenkade,

jüdIschen schreIben 1830–1930

ekaterina emeliantseva,

2011. 329 s. gb. | isbn 978-3-412-20634-5

svJatoslav PacHolkiv VeRtRaut und fReMd zugleich

bd. 13 | katerina ČaPková,

jüdIsch-chrIstlIche nAchbAr-

micHal frankl

schAften In WArschAu – lengnAu

unsicheRe zuflucht

– lemberg

dIe tschechosloWAkeI und Ihre

mit einem geleitWort von Heiko

flüchtlInge Aus ns-deutschlAnd

Haumann.

und ÖsterreIch 1933–1938

2009. x, 216 s. 3 s/W-abb. gb.

aus dem tscHecHiscHen übersetZt

isbn 978-3-412-20177-7

von kristina kallert 2012. 327 s. 41 s/W-abb. gb.

bd. 9 | beatrix borcHard,

isbn 978-3-412-20925-4

Heidy Zimmermann (Hg.) Musikwelten – lebenswelten

bd. 14 | stefanie maHrer

jüdIsche IdentItätssuche In der

handweRk deR ModeRne

deutschen musIkkultur

jüdIsche uhrmAcher und uhren-

2009. 406 s. 26 s/W-abb und 10 s/W-

unternehmer Im neuenburger

abb. auf 8 taf. gb.

jurA 1800–1914

isbn 978-3-412-20254-5

2012. 280 s. 12 s/W-abb. und 16 farb. abb. gb.

bd. 10 | Wulff bickenbacH

isbn 978-3-412-20935-3

geRechtigkeit füR Paul gRüningeR VerurteIlung und rehAbIlItIerung eInes schWeIzer fluchthelfers (1938–1998) mit einem geleitWort von Jacques Picard. 2009. 363 s. mit 22 s/W-abb. gb.

TT094

isbn 978-3-412-20334-4

böhlau verlag, ursulaplatz 1, d-50668 köln, t: + 49 221 913 90-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar