Universitäts- und Bildungslandschaften um 1800: 200 Jahre Philologisches Seminar in Jena 3515125809, 9783515125802

1817 gründete Karl Heinrich Abraham Eichstädt im Zusammenwirken mit den Ministern Johann Wolfgang v. Goethe und Christia

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German Pages 203 [206] Year 2020

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Zur Eröffnung des Symposiums „Universitäts- und Bildungslandschaften um 1800: 200 Jahre Philologisches Seminar in Jena“
Es lebe die Philologie!
Wissenschaft und Leben
Jenaer gelehrte Gesellschaften im 18./19. Jahrhundert
„Heimlicher Kanzler“ der Universität?
Vorgeschichte, Voraussetzungen und Verlauf der Gründung des philologischen Seminars in Jena
Winckelmann, Goethe, Carl Wilhelm Goettling und die Genese der Klassischen Archäologie an der Universität Jena
Texte lesen, verstehen, interpretieren
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Universitäts- und Bildungslandschaften um 1800: 200 Jahre Philologisches Seminar in Jena
 3515125809, 9783515125802

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Universitäts- und Bildungslandschaften um 1800 200 Jahre Philologisches Seminar in Jena Herausgegeben von Meinolf Vielberg

Wissenschaftsgeschichte Franz Steiner Verlag

Altertumswissenschaftliches Kolloquium – 27

Altertumswissenschaftliches Kolloquium Interdisziplinäre Studien zur Antike und zu ihrem Nachleben Herausgegeben von Rainer Thiel und Meinolf Vielberg. Wissenschaftlicher Beirat: Walter Ameling (Köln), Susanne Daub ( Jena), Michael Erler (Würzburg), Angelika Geyer ( Jena), Jan Dirk Harke ( Jena), Christoph Markschies (Berlin), Norbert Nebes ( Jena), Tilman Seidensticker ( Jena), Timo Stickler ( Jena) und Christian Tornau (Würzburg) Band 27

Universitäts- und Bildungslandschaften um 1800 200 Jahre Philologisches Seminar in Jena Herausgegeben von Meinolf Vielberg

Franz Steiner Verlag

Umschlagabbildung: Johann Friedrich der Großmütige („Hanfried“), 1503–1554 Siegel der Friedrich-Schiller-Universität Jena Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2020 Layout und Herstellung durch den Verlag Satz: DTP + Text Eva Burri, Stuttgart Druck: Beltz Grafische Betriebe, Bad Langensalza Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-12580-2 (Print) ISBN 978-3-515-12582-6 (E-Book)

Inhaltsverzeichnis Meinolf Vielberg Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Walter Rosenthal Zur Eröffnung des Symposiums „Universitäts- und Bildungslandschaften um 1800: 200 Jahre Philologisches Seminar in Jena“ Grußwort des Präsidenten der Friedrich-Schiller-Universität Jena

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Klaus Manger Es lebe die Philologie! Grußwort des Präsidenten der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt

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Klaus Ries Wissenschaft und Leben Die deutsche Universitätslandschaft im 18 Jahrhundert

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Felicitas Marwinski † Jenaer gelehrte Gesellschaften im 18./19. Jahrhundert Orte der Begegnung, des Gedankenaustausches und fachspezifischer Orientierung

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Gerhard Müller „Heimlicher Kanzler“ der Universität? Heinrich Carl Abraham Eichstädts Korrespondenz mit den Weimarer Ministern Goethe und Voigt (1803–1817)

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Meinolf Vielberg Vorgeschichte, Voraussetzungen und Verlauf der Gründung des philologischen Seminars in Jena . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

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Inhaltsverzeichnis

Angelika Geyer Winckelmann, Goethe, Carl Wilhelm Goettling und die Genese der Klassischen Archäologie an der Universität Jena . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Hans-Joachim Glücklich Texte lesen, verstehen, interpretieren Problem und Chance des Lateinunterrichts

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Dokumentenanhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199

Vorwort Meinolf Vielberg Die Tagung, die am 24. und 25. November 2107 im Senatssaal der Friedrich Schiller-Universität stattfand, und die Ausstellung, die sie begleitete, erinnerten an die Gründung des philologischen Seminars vor 200 Jahren. Es war ein wichtiges Ereignis der Universitätsgeschichte, als der Professor der Beredsamkeit und Poesie Heinrich Carl Abraham Eichstädt und der Professor der griechischen Literatur Ferdinand Gotthelf Hand im Jahre 1817 nach langen Vorbereitungen in enger Kooperation mit den für Jena zuständigen Staatsministern des Großherzogtums Weimar Johann Wolfgang v. Goethe und Christian Gottlob v. Voigt das Seminar ins Leben riefen. Die Gründung des philologischen Seminars, das 1715, etwa 100 Jahre zuvor, von dem Magister Johann Matthias Gesner mit seinen Institutiones rei scholasticae an der Universität Jena konzipiert, aber erst 1738 in Göttingen von ihm etabliert wurde, war zugleich ein entscheidendes Ereignis der deutschen und europäischen Bildungsgeschichte. Es begann in der Mitte des 18. Jahrhunderts an den Universitäten im Alten Reich und kehrte im 19. Jahrhundert nach Jena zurück, bevor es sich im 20. Jahrhundert über Europa und die angelsächsische Welt und von da um den gesamten Globus verbreitete. Das philologische Seminar wurde nämlich nicht nur zum Ausgangspunkt der Lehrerbildung, sondern auch zu einer der Keimzellen kritischen Denkens in der Wissenschaft. Das Gründungsgeschehen im Ereignisraum Weimar-Jena spielte auf mehreren Ebenen. Es war abhängig von persönlichen Konstellationen, politischen Reforminteressen und finanziellen Gestaltungsspielräumen. Denn auf die Universität als Motor, Multiplikator und Ideengeber war ein zu gründendes Seminar nicht weniger angewiesen als auf das Wohlwollen der Erhalterstaaten und übergeordneten Behörden. Der Vorgang erstreckte sich im weiteren Sinne über ein Jahrhundert. Im engeren Sinne dauerte er mehr als zwei Jahrzehnte. Die vielfältigen Bezüge in einem Symposion von allen Seiten zu erhellen, hätte die Teilnehmer sicher an ihre Grenzen geführt. Daher lag es nahe, sich auf Jena und den Verlauf der Gründung im Jahre 1817 zu konzentrieren, nachdem der lange verschollen geglaubte Nachlass von Heinrich Carl Abraham Eichstädt, der die Gründung in enger Kooperation mit Ferdinand Gotthelf Hand ins Werk setzte,

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Meinolf Vielberg

in Erfurt gefunden worden und wieder in den Besitz des Jenaer Universitätsarchivs gelangt war. Die Referenten, anerkannte Spezialisten auf ihren jeweiligen Gebieten, wurden gebeten, von mehreren Seiten Schlaglichter auf das komplexe Geschehen zu werfen. Felicitas Marwinski ordnete den Vorgang in den engeren Kreis der Universitätsgeschichte ein, indem sie nach den vielfältigen Verbindungen des Seminars zu den lange bestehenden und teilweise florierenden wissenschaftlichen Sozietäten in Jena und im mitteldeutschen Raum fragte, Sozietäten, die durch ihre Mitglieder zugleich internationalen Rang und einen europäischen Anspruch hatten. Gerhard Müller nutzte die Korrespondenz Eichstädts mit den Weimarer Ministern v. Goethe und, vor allem, v. Voigt, um das Zusammenspiel von Wissenschaft und Politik bei der gravierenden Universitätskrise, die zur Schließung vieler Lehranstalten in Preußen und im Rheinland führte, und bei der persönlichen Krise Eichstädts sowie der anschließenden Universitätsreform von 1817 zu beleuchten. Manfred Simon befasste sich mit der Person Eichstädts, der im Kloster Schulpforte bei Naumburg ausgebildet wurde, als eine Art Wunderkind mit 15 Jahren sein Studium an der Universität Leipzig aufnahm und in Jena neben dem Gründer der Allgemeinen Literaturzeitung Christian Gottfried Schütz zum Redaktor des zentralen kritischen Organs der Aufklärung avancierte. Nach der Wegberufung von Schütz an die Universität Halle und der Wiederbegründung des Intelligenzblattes unter dem Namen Jenaer Allgemeine Literaturzeitung durch Goethe wurde der Professor der Beredsamkeit und Poesie zum alleinigen Herausgeber ernannt und später wegen seiner vielfältigen Verdienste um die lateinische Sprache als orator Europae gewürdigt. Klaus Ries ordnete das Geschehen im Ereignisraum Weimar-Jena in das weitere Umfeld der deutschen Universitätslandschaft um 1800 ein und fragte dabei nach dem ebenso wichtigen wie oft in seiner Bedeutung unterschätzten Zusammenwirken von Staat und Bildung am Beispiel der Universitäten Jena, Halle und Göttingen. In der Absicht, mit einem fachdidaktischen Vortrag die Vermittlung der lateinischen Sprache einst und jetzt zu beleuchten und so einen aktualisierenden Kontrapunkt zu setzen, war Joachim Glücklich vom Institut für Altertumswissenschaften und zugleich vom Thüringer Altphilologenverband eingeladen worden. Die redaktionelle Betreuung dieses Beitrags übernahm Privatdozent Dr. Oliver Ehlen. Indem sich Joachim Glücklich mit „Problem und Chance des Lateinunterrichts“ auch in der Gegenwart befasste, fragte er implizit auch nach den langfristigen Auswirkungen des Gründungsgeschehens. Dass der Gründung des philologischen Seminars in Jena, dem, wie Eichstädt 1823 in den Annales Academiae Jenensis darlegt, zunächst 9 Teilnehmer angehörten, die im wöchentlichen Rhythmus eigenständige wissenschaftliche Abhandlungen vorlegten und von zwei Opponenten bzw. Korreferenten und dem Seminardirektor kritisch überprüft wurden, langfristiger Erfolg beschieden war, steht außer Frage, wenn man sich vergegenwärtigt, dass es schon in den ersten Jahren seines Bestehens den slowakischen Dichter Jan Kollár zu seinen Mitgliedern zählte, der später auch als Wissenschaftler tätig sein und 1849 als Professor in Wien die slawische Altertumskunde

Vorwort

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begründen sollte. Meinolf Vielberg vertiefte nachträglich seine Überlegungen zu Vorgeschichte, Voraussetzungen und Verlauf der Gründung des philologischen Seminars, die er bei der Begrüßung nur in groben Strichen andeuten konnte. Nachträglich wurde auch Angelika Geyer gebeten, die Darstellung des Gründungsgeschehens mit einem Porträt von Karl Wilhelm Goettling abzurunden. Er war neben Eichstädt und Hand einer der ersten Direktoren des Philologischen Seminars. Als Herausgeber von Goethes Werken hatte er vorzügliche Verbindungen zum Weimarer Hof und begründete mit einer regen Reise- und Erwerbungstätigkeit die Klassische Archäologie in Jena. Allen Teilnehmern, die zum Gelingen des Symposions beigetragen haben, an erster Stelle dem Präsidenten der Friedrich-Schiller-Universität, Herrn Professor Dr. Walter Rosenthal, und dem Präsidenten der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt, Herrn Professor Dr. Klaus Manger, die das Symposion mit ihren Grußworten eröffneten, sei auch an dieser Stelle nochmals von Herzen gedankt. Der Dank gilt auch den Initiatoren einer Ausstellung, die der wissenschaftlichen Öffentlichkeit und dem städtischen Publikum das Gründungsgeschehen nahe brachten. Vorzüglich ist hier Dr. Thomas Pester zu nennen, der mit der Konzeption der Begleitausstellung einen ganz eigenständigen Weg zur Gründungsgeschichte des philologischen Seminars bahnte. Mit Kunstwerken, amtlichen Dokumenten und literarischen Zeugnissen öffnete er den Besuchern die Augen für die Wissenschaftsgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts. Dank gebührt auch den Leihgebern in Jena und Schulpforte, die aus ihren Beständen wertvolle Originale zur Verfügung stellten. Es sind Professor Dr. Joachim Bauer, Leiter des Universitätsarchivs Jena, Dr. Babette Forster, Leiterin der Kustodie, Dr. Dennis Graen, Kustos der Antikensammlung, sowie Dr. Ulrich Ott, Leiter der Handschriftenabteilung. Auch der Sammlungsbeauftragten Dr. Tilde Bayer ist für guten Rat bei der Vorbereitung der Ausstellung und Hilfe bei der Lösung technischer Probleme zu danken sowie, last but not least, dem Verein der Freunde und Förderer der Universität Jena für die großzügige finanzielle Unterstützung des Symposions. Jena, im August 2019

Zur Eröffnung des Symposiums „Universitäts- und Bildungslandschaften um 1800: 200 Jahre Philologisches Seminar in Jena“ Grußwort des Präsidenten der Friedrich-Schiller-Universität Jena Walter Rosenthal Sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich sehr, Sie zum Symposion „Universitäts- und Bildungslandschaften um 1800: 200 Jahre Philologisches Seminar in Jena“ im Senatssaal der Friedrich-Schiller-Universität begrüßen zu dürfen. Mein herzliches Willkommen gilt: der Direktorin des Instituts für Altertumswissenschaften, Frau Kollegin Daub, der Vorsitzenden des Thüringer Altphilologenverbands, Frau Gillmeister, dem Präsidenten der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt, Herrn Kollegen Manger, und natürlich Ihnen, sehr geehrte Vortragende und Gäste, die Sie aus nah und fern angereist sind. Das heutige Symposion erinnert an die Gründung des philologischen Seminars der Universität Jena im Jahr 1817. Es war ein wichtiges Ereignis, als der Professor für Poesie und Beredsamkeit Heinrich Carl Abraham Eichstädt vor 200 Jahren in enger Kooperation mit den für unsere Universität zuständigen Ministern Goethe und Voigt diese Einrichtung ins Leben rief. Schon 100 Jahre zuvor hatte Johann Matthias Gesner, auch an der Alma Mater Jenensis, die Gründung eines Philologischen Seminars in seinem „Leitfaden für das Unterrichtswesen“ konzipiert. Die Universität Göttingen kam uns mit der Umsetzung zuvor, dort wurde bereits 1738 das erste gleichnamige Seminar etabliert. Damit war eine Institution geschaffen, die für die deutsche und europäische Bildungsgeschichte

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Walter Rosenthal

zentrale Bedeutung erlangte. Die Verbreitung des Philologischen Seminars nahm im 18. Jahrhundert von den Universitäten des Alten Reichs ihren Ausgang, bevor sie im 20. Jahrhundert Europa und die angelsächsische Welt erreichte und von dort um den gesamten Globus ging. Das Philologische Seminar wurde nicht nur zu einer der Keimzellen kritischen Denkens in der Wissenschaft, sondern auch zum Ausgangspunkt der Lehrerbildung. Im Laufe des 19. Jahrhunderts traten andere Einrichtungen wie das Seminar für Alte Geschichte und das für Klassische Archäologie neben das Philologische Seminar. Diese Seminare schlossen sich später zum Institut für Altertumswissenschaften zusammen. Das heutige Institut für Altertumswissenschaften umspannt in Forschung und Lehre einen weiten historischen Horizont. Dieser umfasst die gesamte griechisch-römische Antike von ihren Anfängen in der Mykenischen Zeit und bei Homer einschließlich des Vorderen Orients. Weiterhin sind die Römische Geschichte, Kunst und Literatur bis in die Spätantike eingeschlossen sowie die dunklen Jahrhunderte des Frühmittelalters bis zum Neulatein in der Moderne und schließlich die für die Gründung des Philologischen Seminars entscheidende Epoche des ‚langen 18. Jahrhunderts‘ und der Aufklärung. In der Lehre liegen die Schwerpunkte des Instituts nach wie vor auf der Lehrerbildung in der Geschichte und in den Alten Sprachen, Latein und Griechisch, die in enger Verbindung mit dem Thüringer Altphilologenverband betrieben wird. Institutsübergreifend werden neue Studiengänge angeboten wie der Bachelor und der Master Altertumswissenschaften. Enge Kooperationen bestehen auch im Bereich Mediävistik. Die Forschung wird vor allem im Rahmen des fakultätsübergreifenden Entwicklungsbereichs „Grundlagen Europas in Antike und Mittelalter“ betrieben. Wegweisend war hier das Graduiertenkolleg „Leitbilder der Spätantike“, für das heute verschiedene DFG-Projekte stehen. Ich nenne beispielhaft die Projekte „Europa polyglotta, Mehrsprachigkeit in Antike und Mittelalter“ oder „Iberien in der Spätantike“ – das letztgenannte Projekt basiert auf einer langjährigen Kooperation mit der Universität Tiflis in Georgien. Mit der Theologischen Fakultät veranstaltet das Institut nach angelsächsischem Muster die Vorlesungsreihe „Tria corda, Jenaer Vorlesungen zu Judentum, Antike und Christentum“. Gemeinsam mit dem Lehrstuhl für Historische Theologie an der Humboldt-Universität zu Berlin werden die Hans-Lietzmann-Vorlesungen organisiert. Ich komme zurück zum Symposium „200 Jahre Philologisches Seminar“ und freue mich, Sie auf eine Ausstellung hinweisen zu können, die parallel zu dieser Tagung gezeigt wird. Die Ausstellung wird am heutigen Abend im Rahmen der „Langen Nacht der Wissenschaften“ eröffnet und hat das Ziel, das Gründungsgeschehen im „Ereignisraum Weimar – Jena“ auch einer breiteren, nicht-universitären Öffentlichkeit sichtbar zu machen. An der Vorbereitung waren zahlreiche Institutionen beteiligt. Ich darf allen Verantwortlichen an dieser Stelle meinen herzlichen Dank sagen. Ein besonderer Dank geht an Sie, lieber Herr Kollege Vielberg, für die Vorbereitung des Symposiums.

Zur Eröffnung des Symposiums „Universitäts- und Bildungslandschaften um 1800 …“

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Nun bleibt mir noch, Ihnen einen guten Verlauf der Tagung zu wünschen mit fruchtbaren Diskussionen und vielfältigen wissenschaftlichen Ergebnissen für die Universitäts- und Bildungsgeschichte Jenas.

Es lebe die Philologie! Grußwort des Präsidenten der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt Klaus Manger Es ist sehr zu begrüßen, dass in einem Augenblick, da die philologischen Spezialisierungen und Kernkompetenzen in einem kulturgeschichtlichen Feld untergepflügt zu werden drohen, das Jenaer Institut für Altertumswissenschaften an die hiesige Gründung des „Philologischen Seminars“ vor 200 Jahren erinnert. Philologie ist, wie es heute heißt, die „Wissenschaft, die Texte der Vergangenheit verfügbar macht und ihr Verständnis erschließt“. Hinter dieser schlichten Aussage verbirgt sich eine universell konzipierte Philologie, die die Teilgebiete der Paläographie, Handschriftenkunde, Überlieferungsgeschichte, Textkritik, Lexikographie, Grammatik, Metrik, Rhetorik, Stilistik und Ästhetik umfasst. Außerdem muss sie bei der inhaltlichen Erschließung – im weitesten Sinne also der Interpretation, dem Verstehen, – die Literaturgeschichte, Sozialgeschichte, Philosophie und Hermeneutik sowie die Fachwissenschaften aus den alten Fakultäten Theologie, Jurisprudenz und Medizin einbeziehen. Und was darüber hinaus an Kunst-, Musik- oder Theatergeschichte sowie aus den Naturwissenschaften oder der Technikgeschichte gefordert sein mag, ahnen wir ohne weiteres. Freilich ist ein literarisches Kunstwerk auch unmittelbar zu verstehen. Dennoch: Was für ein universaler Anspruch der Philologie! Akademien ist, auch wenn ich darunter ausnahmsweise die alte Universität und die Wissenschaftsakademie synonym verstehe, dieser transdisziplinäre Ansatz des Verstehens keineswegs fremd. Aber die gegenwärtige Kompartimentalisierung der Fächer entfernt sich davon. Dagegen bildet heute – gewissermaßen naturgemäß – die moderne Wissenschaftsakademie ein Widerlager. Seitens der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt begrüße ich Sie sehr herzlich zu unserem Gedächtnissymposium anlässlich des vor 200 Jahren gegründeten „Seminarium philologicum“. Es war eine liebenswürdige Überlegung von Vizepräsident Meinolf Vielberg, in Erinnerung an das tragende Gründungsmitglied Heinrich Carl Abraham Eichstädt, von dem in den

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Klaus Manger

Beiträgen noch gesondert die Rede sein wird, die Erfurter Sozietät miteinzubeziehen, weil Eichstädt selbst wie Goethe oder Wieland, Schiller, die Brüder Humboldt oder der Mainzer Statthalter in Erfurt Carl von Dalberg ihr Mitglied ist. Wie Gottsched in Leipzig, gleichfalls Mitglied, in seinen Professuren Poesie, Beredsamkeit und Weltweisheit vereinte, wir würden heute von Poetik, Rhetorik und Philosophie sprechen, nahm Eichstädt – wenn auch ohne den Ruhm Gottscheds – in Jena eine vergleichbare Position ein. Was vor 200 Jahren noch unter Philologie gebündelt erschien, entwickelte sich im 19. Jahrhundert in die Klassische Philologie (Graecistik, Latinistik) und in die National- oder Neuphilologien. Doch beschäftigten sich schon vor der Seminargründung Johann Gottfried Schütz 1782 in der universitären Lehre mit Lessing oder Carl Leonhard Reinhold 1788 mit seines Schwiegervaters Wieland „Oberon“. Noch vor Erscheinen von „Faust II“ (1832) und lange vor einer Institutionalisierung der Germanistik (seit 1876) in Jena bot Oscar Ludwig Bernhard Wolff 1830 das womöglich allererste Colleg zu „Faust“ an. In der Überlagerung von um 1800 kulminierender Aufklärung, Klassizismus, Frühromantik sowie im Übergang vom Ideal des Polyhistors zum Wissenschaftspositivismus wurde am 11. November 1817 das „Seminarium philologicum“ begründet. Das war – wohl unbewusst – zwar hart an Schillers, doch auch an Luthers Geburtstag, eigentlich ein Festakt für eine Martinsgans, zudem mit einer möglichen Devise aus Luthers Lied: „Das Wort sie sollen lassen stan“. Jener Gründungsakt scheint keine großen Wogen im Bewusstsein der Zeitgenossen geschlagen zu haben. War es ein reiner Verwaltungsakt? Zufällig in zeitlicher Umgebung des 300jährigen Reformationsjubiläums, dessen die Jenaer Studenten auf der Wartburg gedachten? Als im Jahr zuvor die „Thierarzneykunst“ in Jena 1816 eröffnet wurde, woran wir im vergangenen Jahr erinnerten, hinterließ das ganz andere Spuren. Man könnte einwenden, das habe ja mit Blick auf die Napoleonischen Kriege für die Kavallerie auch eine ganz andere Bedeutung gehabt. Hodlers Jena-Ikone führt das sinnenfällig vor Augen. Doch Goethe setzte seinerzeit einen ganz anderen gemeinnützigen Akzent und legte auf einen Kenner der Materie Wert, indem er für die Bestallung von Theobald Renner gesorgt hatte, einem Spezialisten für Rinderseuche. Jene Universitätsreform im Großherzogtum von 1815 an von großer Tragweite könnte uns ausführlich beschäftigen. Einer ihrer besten Kenner, Gerhard Müller, der sie in seiner monumentalen Studie zu Goethe und der Universität Jena (2006) dargestellt hat, wird jedoch selbst noch zu Wort kommen. Allein das Problem von „Oberaufsicht“ und die Schwierigkeiten der Universität als einer „Hexenküche“ seien genannt. Dazu gehörte Eichstädts Rezensionsmonopol in der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung ( JALZ), das ihn seinen Kollegen verhasst machte, weshalb Goethe später sagte, Christian Gottlob von Voigts, des Staatsministers, Schwäche gegen Eichstädt habe „großentheils den Ruin von Jena herbeigeführt“. Das Rezensionsorgan der Allgemeinen Literatur-Zeitung (ALZ), begründet 1785, hatte der Salana unter Schütz’

Es lebe die Philologie!

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Redaktion europaweite Aufmerksamkeit gesichert. Man bedenke: darin erschienen täglich (außer wochenends) Rezensionen von fachübergreifender Zuständigkeit für alle Wissenschaftsdisziplinen. Wie übrigens auch in einer Akademie alle Disziplinen durch Fachvertreter repräsentiert sein sollen. Die überragende Wirkung des Instruments macht plausibel, dass Goethe alle Hebel in Bewegung setzen musste, als mit dem Weggang von Schütz nach Halle 1803 die ALZ mitzog, um das Kompensationsprojekt der JALZ unter der Redaktion von Eichstädt in gleicher Ausstattung an seine Stelle zu setzen. Nur so blieb der europaweite Wissensspeicher erhalten bzw. wurde sogar verdoppelt. Als die Romantiker 1800 ihre Programmschrift „Athenaeum“ herausbrachten, war – ähnlich wie bei ihrer Gegnerschaft gegen Wieland als führendem Autor – ihre Absicht, die ALZ zugrunde zu richten. Das „Athenaeum“ endete nach drei Jahren, die ALZ/JALZ dagegen hatte 64 Jahre Bestand bis 1849. Im Dilemma jenes reformerischen „Gelehrsamkeits- und Professorswesen“, wie Johann Heinrich Voß an Johann Martin Miller am 13. Oktober 1803 schrieb, galt das an der Reformuniversität Göttingen errichtete Seminar zu Beförderung der humanistischen Studien als vorbildlich. Eichstädt schrieb damals, Johann Matthias Gesner, der Gründungsvater in Göttingen, der in Jena studiert hatte, 1715 Konrektor des Wilhelm Ernst-Gymnasiums in Weimar und 1730 Rektor der Thomasschule in Leipzig geworden war, habe 1738 mit seinem Seminar die Georgia Augusta „verherrlicht“. Ein vergleichbarer Enthusiasmus, sollte es ihn überhaupt gegeben haben, hinterließ in Jena keine Spuren. Und der neben dem studentischen Wartburgfest 1817 andere Reformationsbezug, den die ein Jahrhundert nach der Reformation am 24. August 1617 in Weimar gegründete „Fruchtbringende Gesellschaft“ nahegelegt hätte, scheint bei der Seminargründung überhaupt keine Rolle gespielt zu haben. Goethe hatte in jener Zeit Mühe, seinen reformerischen Einfluss auf die Wissenschaftspolitik im Großherzogtum aufrecht zu erhalten. Deshalb widmete er sich verstärkt der Reorganisation der Universitätsbibliothek. Die Reformer aber wollten den Grundstein für die Erneuerung der Universität – man höre – zum Reformationsjubiläum im Herbst 1817 legen und sie zu einem Teil einer nationalpolitischen Offensive werden lassen. In ihrem Sog muss man die Wartburgfeier der Burschenschaften sehen. Das neue Hauptstatut der Universität ließ sich allerdings terminlich nicht zum Reformationsjubiläum 1817 in Kraft setzen. Die Oberaufsicht blieb, die Finanzierung war – übrigens am 9. November 1817 – gesichert. Doch war es nicht der ganz große Wurf universitärer Erneuerung, wie man erhofft hatte. In dieser Stimmung erfolgte die Seminargründung. Gegenüber der gelegentlich vermissten Beteiligung Goethes am Gründungsakt, der zu jener Zeit ohnehin in Jena weilte, ist zu bemerken, wie aus seinem Tagebuch hervorgeht, dass er offensichtlich befreit immerhin mit Carl Ludwig von Knebel eine Ausfahrt unternahm. Ein bezeichnendes Indiz für den philologischen Anspruch um 1800 liefert der Homerübersetzer Johann Heinrich Voß in seiner Jenaer Zeit von 1802 bis 1805. Vielleicht wäre er dank Goethes umfänglichen Anstrengungen geblieben, wenn man ihm

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Klaus Manger

nicht in Heidelberg bedeutend günstigere monetäre Bedingungen geboten hätte, denen schwer zu widerstehen war. Was machte Voß in Jena? Auf die Bitte von Christian Gottfried Schütz rezensierte er die „Ilias“-Edition seines Göttinger Lehrers Christian Gottlob Heyne, auch Mitglied der Erfurter Akademie. Der dabei zutage getretene Konflikt wäre heute an einem philologischen Seminar keiner Rede wert; damals jedoch war er fundamental. Voß sah sich nämlich zu einer vernichtenden Kritik herausgefordert, weil er zuviel Erläuterung vorfand, die über die bloße Textkonstitution hinausging. Voß’ Vorstellung von Editionsphilologie rieb sich gewaltig an jedweder Interpretationsphilologie. Das Problem rekonstruierend muss man plakativ sagen: der Editor bietet den sorgfältigen Text. Gelesen heißt verstanden. Alles andere wäre der Textkonstitution abträgliches Geschwätz. Tatsächlich hat ein genauer Kommentar im Überblick oder lemmatisiert den schmalen Grat zwischen der Sacherläuterung, die für das genaue Verständnis voraussetzungsvoll ist, und dem, was bereits davon ablenkt, zu beachten. Edition ist im antiken Verständnis von téchnē Fertigkeit und Kunst zugleich. Philologien aber haben sich im Sinne Heynes gegen Voß weithin zu Interpretationswissenschaften entwickelt. Wenn wir von diesem Anspruch auf die Gründung des Seminars vor 200 Jahren zurückblicken, wird uns bewusst, welche Herkulesaufgabe sich mit der Philologie verbindet. Ja: „Das Wort sie sollen lassen stan“. Aber: Sprache ohne Verstehen ist so wenig wünschbar wie Verstehen ohne Sprache. An dieser hermeneutischen Nahtstelle berühren wir nicht nur das Zentrum von Bildung und Erziehung oder von wissenschaftlicher Qualifikation, worin sich die Bildbarkeit eines Individuums allein dialogisch entwickelt. Sondern wir berühren generell über die innerakademische Verständigung hinaus das Geheimnis jeder vernünftigen menschlichen Begegnung. Es lebe die Philologie! Jena, den 24. November 2017

Wissenschaft und Leben Die deutsche Universitätslandschaft im 18 Jahrhundert Klaus Ries in memoriam Rüdiger vom Bruch

In der historischen Forschung hat sich seit längerem zur Kennzeichnung des deutschen Universitätswesens insbesondere der Umbruchszeit um 1800 der Landschaftsbegriff durchgesetzt. Er geht in seiner dezidierten Begründung im Wesentlichen auf den viel zu früh verstorbenen Berliner Universitäts- und Wissenschaftshistoriker Rüdiger vom Bruch zurück, der dafür plädierte, „das deutsche Universitäts- und Wissenschaftssystem des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts als eine Landschaft“ zu begreifen, „weil wir ungeachtet von intensiven internationalen wissenschaftlichen Austauschbeziehungen, vor allem auf der Ebene von Sozietäten und Akademien im ausgehenden 18. Jahrhundert, von einem kulturnationalen Raum institutionalisierter Bildung und Ausbildung ausgehen können“1. Mit dem Landschaftsbegriff soll zugleich – so vom Bruch – die Perspektive weg von Berlin und der angeblichen Vorbildfunktion des sogenannten ‚Humboldtschen Modells‘, das als „permanente Erfindung einer Tradition“ entlarvt worden ist2, gelenkt und auf die Vielfalt des Universitätswesens aufmerksam gemacht werden: „Wenn wir also auf Landschaft achten, dann sollten wir die Berliner Gründung im Kontext weiterer universitärer Reformimpulse verorten, vor allem im Hinblick auf Halle, Göttingen und Jena“ (…) „Unser Landschaftsbild wäre um 1800 anzusiedeln, wo bereits alles in vollem Fluss ist, nicht erst 1810, als die Berliner Universität gegründet wurde, und es hätte neue Tendenzen in den universitären Struktu-

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v. Bruch, R., Zur Gründung der Berliner Universität im Kontext der deutschen Universitätslandschaft um 1800. In: Müller, G. u. a. (Hg.), Die Universität Jena. Tradition und Innovation um 1800. Stuttgart. 2001, S. 66 f. Siehe Paletschek, S., Die permanente Erfindung einer Tradition. Die Universität Tübingen im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Stuttgart 2001.

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Klaus Ries

ren, in Ausbildung und Bildung, in den Wissenschaften selbst und nicht zuletzt in der Selbstwahrnehmung und den Verhaltensweisen von Studierenden und Professoren darzustellen“3. Das ist das Forschungsprogramm, das vom Bruch 2001 ausgegeben hat und das bis heute der Einlösung harrt. Diese kann hier an dieser Stelle nicht geleistet werden, aber ich möchte mich im Folgenden daran orientieren und vor allem nach den unterschiedlichen „universitären Strukturen“ sowie nach „der Selbstwahrnehmung und den Verhaltensweisen von Studierenden und Professoren“ Ausschau halten. Dabei soll das Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit im Zentrum stehen, weil es ein entscheidendes Kriterium der Modernisierung insbesondere des deutschen Universitätswesens darstellt. Man kann dies auch in die Gegenüberstellung von „Wissenschaft und Leben“ fassen, die Friedrich Nietzsche vor ca. 150 Jahren in seiner zweiten „unzeitgemäßen Betrachtung“ „Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“ getroffen hat, um die für ihn so empfundene „Krise der Moderne“ auf den Begriff zu bringen4. Bekanntlich glaubte Nietzsche – 1874 als er dies schrieb – ein Unverhältnis beider Kategorien als das Hauptkennzeichen der Modernisierungskrise zu diagnostizieren, weil die Wissenschaften seiner Zeit – wie er sich ausdrückte – „das Erkennen über das Leben“ statt „das Leben über das Erkennen“ gestellt hätten – und dies sei falsch, denn: „das Leben ist die höhere, die herrschende Gewalt (…). Das Erkennen setzt das Leben voraus“5. Wir wollen dies im Blick behalten, wenn wir uns im Folgenden der deutschen Universitätsentwicklung zuwenden, um das Reform- und Entwicklungspotential „vor Humboldt“ auszuloten. Das deutsche Universitätswesen kam bekanntlich erst recht spät in Gang, wie überhaupt Deutschland ja in vielem eine „verspätete Nation“ war6. Obwohl es gute Anfänge im Zuge der „humanistischen Bewegung“ gab und die protestantischen Landesuniversitäten mit der Dominanz der theologischen Fakultät auch das Ansehen des deutschen Universitätsprofessors begründeten7, war der Aufstieg der deutschen Universitäten im 17. Jahrhundert beschwerlich. Im Gefolge des 30jährigen Krieges erlebten die deutschen Universitäten zunächst einmal eine „Zeit des Niedergangs“ und des „katastrophalen Einbruchs“8. Dennoch – und darauf hat Notker Hammerstein immer wieder 3 4 5 6 7

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v. Bruch, Gründung, S. 68. Nietzsche, F., Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben (1874), in: Nietzsches Werke. Kritische Gesamtausgabe III/1, hg. v. G. Colli u. M- Montinari. Berlin 1972, S. 239 ff. Nietzsche, Nutzen, S. 326 f. So die landläufige Formel, die auf den falschen Titel der Publikation des Buches von Helmut Plessner 1959 zurückgeht, ursprünglich 1935 unter dem Titel: „Das Schicksal deutschen Geistes im Ausgang seiner bürgerlichen Epoche“. Vgl. dazu aus der Perspektive des politischen Professorentums Real, W., Geschichtliche Voraussetzungen und erste Phasen des politischen Professorentums. In: Probst, C. / Diestelkamp, B. u. a. (Hg.), Darstellung und Quellen zur Geschichte der deutschen Einheitsbewegung im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert, Bd.9. Heidelberg 1974, S. 12 ff. Hammerstein, N., Zur Geschichte und Bedeutung der Universitäten im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, in: HZ 241 (1985) S. 310.

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hingewiesen – ist es den Universitäten relativ schnell gelungen, aus sich selbst heraus einen Neuanfang zu organisieren: „Auch in der Zeit nach 1620, als für einige Jahre ein Tiefpunkt der Immatrikulationen erreicht war, blieben die Universitäten wichtigster und erfolgreichster Ort geistigen Anstoßes, Austausches, Vermittlung und geistiger Anregungen im Reich“9. Dies lag vor allem daran, dass man den Bezug zur Praxis und damit die Anbindung an die erst wieder im Entstehen begriffenen Höfe herzustellen bestrebt war. Der große Gelehrte Leibniz, dem seine Hannoversche Heimstätte stets zu eng war, brachte dies auf die Formel, „theoriam cum praxi zu conjungieren“10. Dieser viel später von Nietzsche wieder eingeklagte Lebens- und Praxisbezug war in der frühen Neuzeit der eigentliche Rettungsanker der deutschen Universitäten, wo es vor allem die Jurisprudenz war, von der diese „Erneuerung“ und das hieß die „Anwendungsbezogenheit“, die „Nützlichkeit“ und die „auf unmittelbare Wirkung ausgerichtet(en) … praktische(n) Verbesserungen“ ausgingen11. Die deutschen, vor allem die protestantischen Universitäten fanden also selbst aus der Krise heraus – hier lag auch ein wesentlicher Unterschied zu den übrigen westeuropäischen Ländern, wo sich die Akademien und Sozietäten als bedeutende Konkurrenzunternehmen herausbildeten, die Universitäten an den Rand drängten und eine eigene Bewegung auslösten. In Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation kann man im 18. Jahrhundert bereits drei Leuchtsterne von Reformuniversitäten ausmachen, die einen Modernisierungsprozess sui generis einleiteten, der die Grundlage der Weiterentwicklung im 19. Jahrhundert darstellen sollte. Darauf soll im Folgenden unter dem speziellen Aspekt des Verhältnisses von „Wissenschaft und Leben“ bzw. der modernen Verquickung von Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit eingegangen werden. Dabei wird jede Universität zur besseren Kennzeichnung und Einprägung mit einem ‚Label‘ versehen. Am Anfang steht die Universität Halle, die – so fortschrittlich und wegweisend sie war – letztlich nur als „Entwurf “ fungierte12. I. Halle als „Entwurf “ Die 1694 staatlicherseits, durch den Kurfürsten Friedrich III., gegründete „Fridericiana“ war „von Anfang an sozusagen im Gegensatz zu Wittenberg und Leipzig als ‚moderne‘ Universität gedacht“ und begründete den „Wiederanstieg des deutschen Universitätswesens“13. Mit Christian Thomasius und seinen Mitstreitern bzw. Schülern

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Ebd., S. 311. Zit. nach ebd., S. 312. Ebd., S. 314. Vgl. Real, Politisches Professorentum, S. 14. Ebd. zu Halles Strukturen und der Entwicklung der Universität vgl. Hammerstein, N., Zur Geschichte der deutschen Universität im Zeitalter der Aufklärung, in: Ders., Res publica litteraria.

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Nikolaus Hiernonymus Gundling und Johann Peter von Ludewig, die schon bei der Gründung „den einer anspruchsvollen Reichsuniversität normativen Wissenschaftskanon gleichsam verbindlich“ formulierten, wurde die Universität Halle „nicht nur Vorbild für alle protestantischen Universitäten des Reichs, sondern sie verjüngte, sie belebte die ‚verstaubte‘, ‚barbarische‘, abständig scheinende Institution ‚Universität‘ insgesamt“14. Halle übernahm eine enorm wichtige Scharnierfunktion, was unter anderem daran lag, dass „unter Abkehr von der bisher theologisch bestimmten Wissenschaft die Jurisprudenz als Leitwissenschaft“ definiert wurde, wodurch die Fridericiana „einen neuen Abschnitt der deutschen Universitätsgeschichte“ eröffnete15. Zugleich erfuhr die Jurisprudenz in Halle einen bedeutenden Historisierungsschub, der wiederum Rückwirkung auf die anderen Fächer, auch und vor allem auf die Theologie, hatte16. Aber es war mehr als dies: Eine erste Verbindung von „Wissenschaft und Leben“ wurde in Halle hergestellt. Dem neuen Selbstverständnis nach musste die Universität „mundan“ (d. h. weltoffen und auf das Weltganze bezogen) sein und zugleich sollte sie, „wie es Christian Thomasius in Halle praktizierte, dem höfischen Geist der Zeit entsprechen, also elegant sein“17. In Halle wurde dieser Praxisbezug in der Jurisprudenz bereits realisiert: „Praktische, innerweltliche Bedürfnisse hatten entschieden Vorrang, sie waren eigentlicher Bezugspunkt geworden. Der Wert wissenschaftlicher Anstrengung hatte sich an seinem begründbaren Nutzen für das Leben in Gemeinschaft messen zu lassen“18. Diese Praxisorientierung hing ganz wesentlich mit der engen Anbindung der protestantischen „Landesuniversitäten“ an ihren Staat bzw. Hof zusammen, was überhaupt ein wichtiges Kennzeichen der deutschen Universitäts- und Bildungslandschaft darstellt: Das enge Aufeinanderangewiesensein von „Bildung und Staat“ oder – wie der Berliner Neuzeithistoriker Wolfgang Hardtwig es nannte – die „spezifisch deutsche Bildungstradition“ mit der „spezifisch deutschen Verflechtung von Bildung und Staat“19, womit in Deutschland im Unterschied etwa zu Frankreich (oder auch zu England) von Anfang an dem Staat, mithin auch seinen Universitätsgelehrten eine wichtige Funktion beim Durchbruch der bürgerlichen Ge-

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Ausgewählte Aufsätze zur frühneuzeitlichen Bildungs-, Wissenschafts- und Universitätsgeschichte, hg. v. U. Muhlack u. G. Walther. Berlin 2000, S. 11–35. Hammerstein, N., Die deutschen Universitäten im Zeitalter der Aufklärung, in: Ders., Res publica litteraria. Ausgewählte Aufsätze zur frühneuzeitlichen Bildungs-, Wissenschafts- und Universitätsgeschichte, hg. v. U. Muhlack u. G. Walther. Berlin 2000, S. 161. Hammerstein, N., Die deutsche Universitätslandschaft im ausgehenden 18. Jahrhundert, in: Müller, G. / Ries, K. / Ziche, P. (Hg.): Die Universität Jena. Tradition und Innovation um 1800. Stuttgart 2001, S. 14. Dazu mit Beispielen Hammerstein, Die deutschen Universitäten, S. 163 ff. Hammerstein, Universitätslandschaft, S. 14. Hammerstein, Die deutschen Universitäten, S. 162. Hardtwig, W., Zivilisierung, Zivilisierung und Politisierung. Die studentische Reformbewegung 1750–1818, in: Ders., Nationalismus und Bürgerkultur in Deutschland 1500–1914. Ausgewählte Aufsätze, Göttingen 1994, S. 79.

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sellschaft zufiel. Christian Thomasius lehrte in Halle nicht von ungefähr „Philosophia aulica“ (d. h. eine an den Hof gebundene und zum Hof gehörige Philosophie), die man bereits als „popularwissenschaftlich“ bezeichnen kann; denn seine Überlegungen zur Philosophia aulica lassen – so der Berner Philosoph Klaus Petrus in einem Artikel über popularwissenschaftliche Texte – „Tendenzen erkennen, Philosophie aus dem hermetischen Kreis der Gelehrtenwelt zu lösen und in den sog. ‚Lebensbereich‘ zu integrieren“20. Indem Thomasius auf „deutsch“ lehrte und sich an „waserley Standes oder Geschlechts“ _ richtete, öffnete er die Wissenschaft gegenüber der Gesellschaft, wenn er auch noch keine überständische, quasi-demokratische Öffentlichkeit im Blick hatte, sondern Leute mit „Vernunftvermögen“, d. h. in erster Linie Fürsten- und Adelsleute, die sog. „politen Weltleute“21. Aber Thomasius steht bereits für die Öffnung der Wissenschaften überhaupt, was sich nicht zuletzt auch darin widerspiegelte, dass er nicht nur sehr früh schon – wie gehört – seine Vorlesungen in deutscher Sprache hielt, sondern auch „eine wissenschaftliche Zeitschrift in deutscher Sprache“ – die sog. Monats-Gespräche, „die das Muster für eine ganze Gattung von Zeitschriften prägen“ sollte – herausgab – und damit ganz wesentlich zur öffentlichen Diskussion um Wissenschaft beitrug22. Ähnliches lässt sich von der zweiten Leuchtgestalt in Halle sagen: Christian Wolff (1679–1754), von dem es schon kurz nach seinem Tod hieß: „Gott sprach, es werde Licht in der Weltweisheit, und es ward Wolff “23. Auch Wolff bediente sich der deutschen Sprache, verstand es, „eine begeisterte Schar junger Studenten um sich zu versammeln“24 und war – was seine Philosophie, den sog. Wolffschen Rationalismus oder Wolffianismus, betraf – regelrecht schulbildend; seine Ideen fanden in den 1730er und 40er Jahren Niederschlag in gelehrten Gesellschaften und anderen Korrespondentennetzen, wie etwa in der „Gesellschaft der Wahrheitsliebenden“, die sich zum Ziel gesetzt hatte, der Philosophie ihres Mentors eine noch stärkere Rezeption in der Öffentlichkeit zu verschaffen25. Aber Wolff war nicht gelitten an seiner Universität. Als er 1721, inspiriert von den Werken des Konfuzius, seine Rektoratsrede „über die praktische Philosophie der Chinesen“ hielt, ging ein Sturm der Entrüstung durch die deutsche Gelehrtenwelt, der dazu führte, dass Wolff zwei Jahre später „bey Strafe des Stranges“ nicht nur seine Universitätsstadt, sondern Preußen verlassen und sein Professorenamt – übrigens ganz ähnlich wie zuvor Thomasius – wegen seines sog. „Athe20 21 22 23 24 25

Petrus, K., „Philosophie für alle Stände“. Der Adressat popularwissenschaftlicher Texte, in: Kriterion Nr. 7 (1994), S. 5. Ebd., S. 6. Habermas, J., Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchung zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. 7. Aufl., Frankfurt a. M. 2001, S. 83. Zit. nach Hammerstein, Die Universitätslandschaft, S. 13. Real, Politisches Professorentum, S. 15. Allgem. dazu Mulsow, M., Freigeister im Gottsched-Kreis. Wolffianismus, studentische Aktivitäten und Religionskritik in Leipzig 1740–1745. Göttingen 2007.

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ismus“ aufgeben musste26. Die Rückberufung Wolffs über zehn Jahre später und „sein triumphaler Wiedereinzug in die Stadt seines vormaligen Wirkens (6. Dezember 1740) konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass Halle trotz des großen Anfangs letztlich doch nicht der Schrittmacher eines neuen Zeitalters deutscher Universitätsgeschichte werden sollte“27. Aber in Halle wurde vieles grundgelegt, worauf später auf- und weitergebaut wurde: der Anfang einer „öffentlichen Universität“, die Neudefinition von Wissenschaft (hier vor allem der Jurisprudenz) in ihrer praxisbezogenen und lebensweltlichen Funktion sowie die beginnende Historisierung der Wissenschaften, die schließlich auch die Theologie zu erfassen begann und damit ein modernes Denken einleitete. Die unmittelbare Fortführung des Hallenser Entwurfes erfolgte gewissermaßen auf dem Fuße: Die Georgia Augusta war „die konsequenteste Nachfolgerin der Fridericiana“28. II. Göttingen als „Modell“ Die 1737 inaugurierte Göttinger Universität, die sog. Georgia Augusta, galt bereits im 18. Jahrhundert als „Inbegriff einer geglückten Reformuniversität, als die aufgeklärteste, modernste Hochschule des Reichs, wenn nicht gar Europas“29. Göttingen – noch viel stärker staatsanstaltlich verfasst als Halle30 – war zugleich auch wissenschafts- und universitätsgeschichtlich „paradigmatisch für die breite Universitätslandschaft des Reichs“31. In vielerlei Hinsicht steht Göttingen am Anfang eines neuen Denkens und Handelns der Professoren. Es war nicht zuletzt „die Ferne des kurfürstlichen Landesherrn, des englischen Königs in London“, als vielmehr „die überlegene Obsorge ihres eigentlichen Inaugurators und bedeutenden Kurators – Gerlach Adolf Freiherr von Münchausens“ –, die der Universität „diesen raschen und bemerkenswerten Aufstieg“ bescherte32. Schon die Zeitgenossen meinten, dass die Georgia Augusta besser den Namen „Gerlaca Adolpha“ tragen sollte, weil „die milde, aber zielstrebige Obhut keine Beschneidung der traditionellen akademischen Privilegien“ und auch keine Beschneidung der Lehrfreiheit mit sich führte – im Gegenteil: In Göttingen „war zum ersten Mal in dieser endgültigen Form die Lehrfreiheit an einer deutschen Universität garan-

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Vgl. dazu den eindrücklichen Essay von Jäger, H., Konfuzianismusrezeption als Wegbereitung der deutschen Aufklärung, online abrufbar unter: https://www.uni-hildesheim.de/media/fb2/ philosophie/Jäger_AZP-Artikel.pdf (20.8.2018). Real, Politisches Professentum, S. 15. Hammerstein, Zur Geschichte der deutschen Universiäten, S. 35. Walther, G., Das Ideal: Göttingen. Ruf, Realität und Kritiker der Georgia Augusta um 1800. In: Müller, G. u. a. (Hg.), Die Universität Jena. Tradition und Innovation um 1800. Stuttgart 2001, S. 33. Vgl. die Beispiele bei Hammerstein, Zur Geschichte der deutschen Universität, S. 36 ff. Hammerstein, Die deutschen Universitäten, S. 172. Ebd., S. 165.

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tiert“ und zugleich blieben auch die entscheidenden korporativen Rechte (wie die „Jurisdictionsgewalt“ oder „das Privileg der Zensurfreiheit“) gewahrt33. Mutatis mutandis wurde in Göttingen das Humboldtsche Modell „der akademischen Selbstverwaltung, die aber staatlicher Aufsicht und Einwirkung unterstellt blieb“34, vorweggenommen. Münchhausen – „seinerseits ein Schüler Halles, Thomasius’ und Gundlings vorweg – baute seine Hochschule ganz in deren Sinne auf “ und schuf so „das zukunftsweisende Modell einer modernen und eleganten Universität“35. Göttingen führte Halle allerdings nicht nur fort, sondern setzte völlig neue Impulse. Der Praxisbezug der Wissenschaften, bedingt durch die enge Bindung an den Staat, wurde weiter ausgebaut und stärker politisch akzentuiert. Münchhausen und seinen Beratern war klar, „daß eine Hochschule den Interessen des Staates zu dienen habe. Ihre vornehmste Aufgabe müsse daher die Ausbildung geeigneter weltlicher und kirchlicher Staatsdiener sein“36. Dies führte zwar zu einer weiteren Öffnung der Wissenschaften gegenüber dem Leben, hatte aber gerade in Göttingen die spezifische Wirkung, dass nur „friedliche, tolerante und kompromißbereite Professoren hier Anstellung finden“ sollten, „gerade auch in der Theologischen Fakultät“37. Hier lag ein gewisser Hemmpunkt, ein retardierendes und zugleich ein sozialdisziplinierendes Moment, weshalb Göttingen dann um 1800 auch gewissermaßen stehen blieb und sich nicht mehr weiterzuentwickeln vermochte. Göttingen war – so kann man pointiert sagen – einfach zu „nobel“, vielleicht auch zu adelig, zu sehr standesbewusst und elitär, als dass von hier ein modernes Fortschreiten hätte ausgehen können. Außerdem zahlte die Universität auch „vergleichsweise hohe Gehälter“ und zudem noch „ – was ungewöhnlich war – stets pünktlich“38. All dies hatte zur Folge, dass Göttingen eine durch und durch „harmonische“ Universität war, hier kam kaum Streit auf, hier herrschte – wie die Universitätsstatuten vorgaben – tatsächlich die „Concordia Collegarum“; denn Göttinger Professoren durften alles, nur nicht streiten: „Strikt untersagt war ihnen nur, was inneren Unfrieden zu verursachen drohte: dogmatische Debatten, ideologische Streitereien, provokante Gesinnungsbekundungen, wie sie an anderen Hochschulen – gerade auch im aufgeklärten Halle mit seinen chronisch querulantischen Pietisten – besonders bei Theologen beliebt waren“39. Göttingen hinterlässt – modern gesprochen – den Eindruck einer „Eliteuniversität“40: viel Wissen – auch und gerade für die Praxis – und viel Ansehen, aber wenig Dissens und Konflikt. 33 34 35 36 37 38 39 40

Hammerstein, Zur Geschichte der deutschen Universität, S. 36–38. Hardtwig, W., Vormärz. Der monarchische Staat und das Bürgertum. 4. aktualis. Aufl. München 1998, S. 111. Hammerstein, Die deutschen Universitäten, S. 165. Ebd. Ebd. Walther, Das Ideal, S. 35. Ebd. Ebd., S. 36.

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Dennoch war Göttingen innovativ, vor allem was das Selbstverständnis der Professoren und ihr Wissenschaftsverständnis angeht. Allein schon durch die „elegante(n) Manieren“ und den „zierlichen Sprachstil“ sowie den „um höfisches Benehmen bemühten“ professoralen Habitus verbesserten die Gelehrten „das Ansehen des Standes“ und „schufen insoweit die Voraussetzung, dass sich aus ihrem Kreis gegen Ende des Jahrhunderts eine Art selbstbewusster, bürgerlich-auftrumpfender Gelehrter und Intellektueller entwickelte, der die eigene Tätigkeit als etwas genuin standesfreies, allgemein bürgerliches und zugleich privilegierendes, als ein von allen sozialen Unterscheidungen freies Leben verstand“41. Die neue Figur des „Intellektuellen“ als der „freischwebenden Intelligenz“ (Karl Mannheim), wie sie dann im Vormärz allenthalben zum Durchbruch kam42, fand ebenfalls hier ihre Grundlegung. Göttingen war nicht von ungefähr „das Paradebeispiel einer aufgeklärten Universität“43. Dies galt vor allem für die Geschichtswissenschaft: Männer wie Johann Christoph Gatterer (1727–1799), August Ludwig Schlözer (1735–1809), Ludwig Timotheus Spittler (1752–1810) und Arnold Herrmann Ludwig Heeren (1760–1842) sorgten für den Durchbruch der sogenannten Aufklärungshistorie in Deutschland und legten damit zugleich die Grundlage für den Historismus als einer modernen umfassenden Denkform44. Ein Mann wie Schlözer verkörperte quasi das gesamte Programm der Aufklärung: Nicht nur, dass er unter anderem in seiner grundlegenden Abhandlung „Vorstellung seiner Universalhistorie“ von 1772 die theoretischen und methodologischen Richtlinien aufgeklärten Fortschrittsdenkens für die Historie ausgab45; er sorgte zugleich auch für die Entstehung einer neuen Öffentlichkeit und übte nicht unwesentlichen Einfluss auf die Politik aus. Seine Zeitschrift – die „StatsAnzeigen“ –, die er von 1782 bis zum Verbot 1793 (trotz Zensurfreiheit!) herausgab, war „mit zeitweise 4000 Abonnenten (das) meistgelesene politische Journal der deutschen Aufklärung“46 – und sie war gefürchtet: „sie galt als die ‚bête noire der Großen‘, denn diese hatten, so ging damals die Redensart, Angst, ‚in den Schlözer zu kommen‘“47. Der strikte Gegenwartsbezug der Historie – Vergangenheit nur noch aus gegenwartsbezogenem Interesse zu analysieren – und die damit verbundene Reflexion über die Standortgebundenheit des Wissenschaftlers (hier des Historikers) sowie die längst vor Ranke einsetzende moderne Quellen41 42 43 44

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Hammerstein, N., Universitäten und gelehrte Institutionen von der Aufklärung zum Neuhumanismus und Idealismus, in: Ders., Res publica litteraria, S. 222. Hardtwig, Vormärz, S. 135 ff. Hammerstein, Die deutschen Universitäten, S. 165. Vor allem auf letzteres, nämlich den Zusammenhang von Aufklärung und Historismus, aber auch insgesamt auf die Bedeutung der Göttinger Schule für die Aufklärungshistorie verweist Oexle, O. G., Aufklärung und Historismus: Zur Geschichtwissenschaft in Göttingen um 1800, in: Kosegarten, A. M. (Hg.), Johann Dominicus Fiorillo. Kunstgeschichte und die romantische Bewegung um 1800. Göttingen 1997, S. 28–56. Oexle, Aufklärung, S. 34. Walther, Das Ideal, S. 38. Habermas, Strukturwandel, S. 141.

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kritik (wie sie vorbildlich von Arnold Heeren vorgeführt wurde) führten dazu, dass in Göttingen zum ersten Mal „Geschichte als Wissenschaft“ betrieben wurde48. Der Durchbruch der Historie als eines autonomen Faches vollzog sich in Göttingen. Geschichte war aus den Fängen der Theologie und auch aus der Statistenrolle für Juristen und Philosophen befreit und auf dem Weg, ein eigenes Fach und eine eigenständige Disziplin mit ihren ganz eigenen Gesetzen und Regularien zu werden. „Die Entdeckung der Probleme historischer Perspektivität und die Entdeckung des Problems der Fragmentarität, des Problems von ‚Teil‘ und ‚Ganzem‘ in der historischen Erkenntnis“ machte Göttingen nicht nur zum Zentrum aufgeklärt-modernen Geschichtsdenkens, sondern verhalf zugleich auch dem „Historismus als der grundsätzlichen Historisierung alles unseres Denkens über den Menschen, seine Kultur und seine Werte“ zum Durchbruch49. Zugleich hielt man sich in Göttingen zugute, „streng empirisch vorzugehen, seine Daten ausschließlich aus Originaldokumenten wie Verträgen, Gesetzestexten, Handelsregistern und ähnlichen Quellen zu ziehen, die mit Hilfe eines ausgefeilten Instrumentariums philologisch-historischer Hilfswissenschaften aufgeschlüsselt wurden“50 In Göttingen fand auch die Philologie eine ihrer wichtigen Grundlegungen! Man bediente sich einer ganzen Bandbreite wissenschaftlicher und (quellen-)kritischer Methoden, so dass man tatsächlich sagen kann, dass in Göttingen „ein neues gelehrtes Genre“ entstanden ist: „eine problemorientierte Wissenschaftsgeschichte, die eine jede frühere Lehrmeinung aus dem geistig-kulturellen Horizont ihrer Zeit zu erklären versuchte“51. Die bereits angesprochene Herausbildung einer neuen, überständischen und politischen Öffentlichkeit, die gewiss schon zuvor (u. a. in Halle) im Entstehen begriffen war, wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vor allem in Göttingen eine umfassende und beinahe alle Wissenschaften betreffende Angelegenheit. Wissenschaft sollte öffentlich und jedermann zugänglich gemacht, ja sollte mit dem „Leben“ in Verbindung gebracht werden. Das war nicht nur das Programm Schlözers, der allein schon seine eigene Wissenschaft, die „Statistic“, zur „Bildung einer politischen Öffentlichkeit“ eingesetzt hatte52. Vielmehr war auch in den anderen Wissenschaften dieser Drang, in die Öffentlichkeit hinein zu wirken, zu beobachten. Allein schon „die unermüdliche Publikationstätigkeit der Göttinger Professoren“ erstreckte sich, „gewünscht und ermuntert von der Regierung, thematisch wie geographisch auf alle Bereiche ihrer Fächer und bediente sich aller literarischen Medien – von Zeitschriften über Musenalmanache und Monographien bis hin zu Handbüchern“53. Der Praxisbezug wurde in

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Dazu Oexle, Aufklärung. Ebd., S. 56. Walther, Das Ideal, S. 37. Ebd. Ebd., S. 37. Ebd., S. 40.

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Göttingen regelrecht institutionalisiert: Bereits die „Königliche Societät der Wissenschaften“, 1751 gegründet, und die dazu gehörigen „Göttingischen Gelehrten Anzeigen“ sorgten für eine wichtige „Außenwirkung der Hochschule“; weiter gab es etwa bei den Theologen ein „Repetentencolloqium“, in welchem examinierte Theologen Vorlesungen unentgeltlich anboten; die Mediziner hatten ein „Lehrkrankenhaus samt Anatomie und ‚Accouchiranstalt‘“, die Naturwissenschaftler Labors, einen botanischen Garten, Museen, Naturalienkabinette und so fort54. Last but not least hatten die Philologen unter dem Einfluss des großen Christian Gottlob Heyne „zwei beachtliche Sammlungen“ angelegt, ein „unversitätseigenes Kupferstichkabinett“ errichtet, in welchem „die großen Thesauri des 17. und 18. Jahrhunderts“ sowie „für Privatleute unerschwingliche Bildwerke über antike Stätten und Denkmäler“ vereinigt wurden – kurz und gut: „was bislang ein beinahe arkanes, jedenfalls exklusives Standeswissen gewesen war, wurde hier gleichsam ‚demokratisiert‘“55. Insgesamt wirkte Göttingen also vorbildlich im Sinne der Aufklärung, alles vollzog sich auf einem „durchwegs hohen Gesamtniveau“ und man war darauf bedacht, dass jeder Student, der hier in Göttingen sein Studium absolvierte, „als moderner Geschäftsmann“ bestehen und „als aktiver Weltbürger in der aufgeklärten Elite“ mitsprechen könne56. Die Verbindung von ‚Wissenschaft und Leben‘ war durchaus hergestellt, aber dennoch kam es zu keiner weiterreichenden Synthese von Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit, zu keiner akademisch-politischen Bewegung von Studenten und Professoren, die in die Gesellschaft hineinwirkte. Es gab zwar politisierende Professoren wie Schlözer oder auch Johann Stephan Pütter, den wohl berühmtesten aller Göttinger Juristen, der ebenfalls in der Lehre Latein durch Deutsch ersetzte und mit seinen rechts- und verfassungsgeschichtlichen Studien Reichsgeschichte schrieb und auch beeinflusste57. Aber es enstand keine politische Bewegung. Das hatte mehrere Gründe: Zum einen die bereits erwähnte Harmoniesucht der von der Universität so sehr gewünschten „Concordia Collegarum“, sodann der relativ distanzierte Umgang zwischen Professoren und Studenten, der sich gerade aus der noblen Umgangsform des „hoffähigen“ Professors ergab, „der wie ein Kavalier die eleganten und manierlichen Studenten“ unterwies, was „eine verstärkte Distanz, einen betonten Unterschied zwischen Lehrer und Schüler“ bewirkte58; und schließlich die Zeitumstände um 1800, das „Sinken“ und der „Zusammenbruch jenes Rechtssystems ‚Reich‘, dessen Erklärung und Stärkung die Göttinger Kunst bislang gedient hatte“59. Göttingen schien mit einem Schlage veraltet, nicht mehr zeitgemäß, kein konkretes „Modell“ mehr, an dem

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Die Beispiele ebd. S. 40 f. Ebd. S. 41. Ebd., S. 39 f. Zur Einordnung Pütters als eines ‚politischen Professors‘ vgl. Real, Professorentum, S. 16 f. Hammerstein, Zur Geschichte der deutschen Universität, S. 41. Walther, Das Ideal, S. 42.

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man sich orientieren konnte und wollte, sondern lediglich ein mehr oder weniger abstraktes „Ideal“ – das Ideal der Aufklärung, das nunmehr als zu theoretisch galt60. Die mit der Französischen Revolution einhergehenden Veränderungen erforderten einen entschlosseneren Praxisbezug, eine entschlossenere Verbindung zur Politik, ja eine engagiertere Wissenschaft als dies in Göttingen geleistet wurde und vielleicht auch aufgrund der genannten Faktoren geleistet werden konnte. Dieser letzte Schritt sozusagen ‚von der Wissenschaft ins Leben‘ sollte einer anderen, eher altständisch-strukturierten Universität vorbehalten bleiben. III. „Jena als Praxis“ Jena hat auf geradezu kongeniale Weise alle Fäden, die aus Halle und Göttingen geknüpft wurden, zusammengebunden und weitergesponnen. Warum ausgerechnet Jena, muss man fragen, die zu jener Zeit strukturell sehr veraltet wirkende Salana? In Jena hatte sich die altständisch-korporative Einheit der Universität noch lange Zeit gehalten, viel länger als sonst wo. Hier hatte sich nicht die in Halle und vor allem in Göttingen von Anfang an vorhandene „ganz entschiedene staatliche Einflussnahme“61 durchgesetzt. Erst in den 1820er wurde mit den beiden neuen „Universitätsstatuten“ von 1821 und 1829 im Windschatten und mit dem Druck der reaktionären Karlsbader Beschlüsse der Berliner Weg einer Staatsanstalt mehr oder weniger konsequent nachvollzogen62. Zuvor herrschten fast noch mittelalterliche Strukturen. Aber genau dies macht Jena so interessant: dass aus dem Schoße einer alten Korporation ein solch modernes Phänomen wie das politische Gelehrtentum geboren wurde63. Dafür kann man einige jena-spezifische bzw. sachsen-weimar-eisenach-spezifische Gründe angeben64:

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Ebd., passim. Hammerstein, Zur Geschichte der deutschen Universität, S. 40. Vgl. das „Haupt-Statut der Universität Jena“ v. 24.9.1821 in: UA J C/1. In der Beurteilung herrscht in der Forschungsliteratur ein Meinungsstreit vgl. Steinmetz, M. (Hg.), Geschichte der Universität Jena 1548/58–1958. Festgabe zum vierhundertjährigen Universitätsjubiläum. Bd.1: Darstellung. Jena 1958, S. 333 (dem ich mich anschließe) und dagegen Hartung, F., Das Großherzogtum Sachsen unter der Regierung Carl Augusts 1775–1828. Weimar 1923, S. 410 f., der dies als eine „altmodisch(e)“ Formulierung bezeichnet und das Neue m. E. nicht erkennt. Vgl. dazu auch von der neueren Literatur Pester, T., Zwischen Autonomie und Staatsräson. Studien und Beiträge zur allgemeinen deutschen und Jenaer Universitätsgeschichte im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert. Jena/Erlangen 1996. Vgl. dazu Ries, K., Die Geburt eines modernen Phänomens aus dem Schoße einer alten Korporation: Das politische Professorentum an der Universität Jena zu Beginn des 19. Jahrhunderts, in: Marc Schalenberg / Peter Th. Walther (Hrsg.), „… immer im Forschen bleiben“. Rüdiger vom Bruch zum 60. Geburtstag, Stuttgart 2004, S. 135–156. Vgl. zum Folgenden mit den entsprechenden Belegen Ries, K., Wort und Tat. Das politische Professorentum der Universität Jena im frühen 19. Jahrhundert. Stuttgart 2007, S. 55–61.

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1. An erster Stelle ist die relative Kontinuität des kleinen Herzogtums Sachsen-Weimar-Eisenachs zu nennen, das die großen Zäsuren der deutschen und europäischen Geschichte (die Französische Revolution, das Ende des Heiligen Römischen Reichs, die Gründung des napoleonischen Rheinbundes und auch die territoriale Neuordnung auf dem Wiener Kongress) einigermaßen unbeschadet überstand, so dass die aufgeklärt-liberale Reformpolitik des Herzogs bzw. nachmaligen Großherzogs, Carl August, weiter entwickelt werden konnte. Der frühkonstitutionelle Kleinstaat stellte einen günstigen politisch-rechtlichen Rahmen dar, innerhalb dessen die Politisierung der Gelehrten und ihrer Wissenschaften voranschreiten konnte, ja mehr noch: Der Weimarer Staat war ein wichtiger Partner dieser neuen Gelehrten – ohne den Schulterschluss mit dem Staat lässt sich das neuartige Phänomen des politischen Gelehrtentums gar nicht denken. Unter der Herrschaft von Carl August fand vor allem mit Goethe als dem „spiritus rector“ der Universität Jena eine ganz gezielte Wissenschaftspolitik statt65, die – im Unterschied etwa zu Göttingen – auf eher kritische und wissenschaftsinnovative Gelehrte setzte (u. a. deswegen wurde in den 1790er Jahren Johann Gottlieb Fichte – der als Revolutionsanhänger reichsweit bekannt war – berufen, ohne zu bedenken, dass man bald schon die Geister nicht mehr/oder nur noch sehr schwer loswerden würde, die man einst gerufen hatte66). 2. An zweiter Stelle ist der sogenannte „Ereignisraum Weimar-Jena“ zu nennen, den man als ein Zentrum öffentlicher Kommunikationsverdichtung kennzeichnen kann. Über Presse, Publizistik, Literatur, Theater und bildende Künste war hier spätestens seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts eine die ständischen Grenzen überschreitende bürgerliche Öffentlichkeit im Entstehen begriffen, die ebenfalls ganz wesentlich durch die Herrschaft gefördert wurde (erinnert sei nur an den sog. „Musenhof “ Anna Amalias, der – so selbstinszeniert er war67 – eine enorme Ausstrahlungskraft besaß). Hier entstand auf diese Weise ein diskursiver Kontext, der im Spannungsfeld von Spätaufklärung, Deutschem Idealismus (der spezifischen Kant-Rezeption in Jena), Frühromantik und Klassik ein idealer Bezugsrahmen für die liberal-nationale Politisierung von Gelehrten darstellte. In diesem Zusammenhang ist aus gegebenem Anlass auch auf Heinrich Carl Abraham Eichstädt zu verweisen, der im Krisenjahr 1803/04 nach dem Wegzug der „Allgemeinen Literatur-Zeitung“, jenes kantianischen Flaggschiffes der Universität, die „Jenaer Allgemeine Literaturzeitung“ gründete und 65 66 67

Dazu en détail Müller, G., Vom Regieren zum Gestalten. Goethe und die Universität Jena. Heidelberg 2006. Vgl. etwa den bezeichnenden Kommentar des Göttinger Gelehrten Ernst Brandes zu der neuen „Ich-Philosophie“ Fichtes, die er für „nicht vortheilhaft für den Kopf “ und „nicht vortheilhaft für den Charakter“ ansah (zit. bei Walther, Das Ideal, S. 43/Anm. 39). Zur These der Inszenierung des „Musenhofes“ vgl. Berger, J., Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach (1739–1807). Denk- und Handlungsspielräume einer ‚aufgeklärten‘ Herzogin. Heidelberg 2003.

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damit die Kontinuität einer wissenschaftsorientierten Kommunikationsverdichtung aufrecht erhielt68. Nicht zuletzt durch diese Aktion blieb Jena weiterhin ein Ort öffentlicher Wirkmächtigkeit und Bekanntheit. 3. Schließlich lieferte drittens die Universität Jena selbst nicht unwesentliche Rahmenbedingungen, die einer Modernisierung und Politisierung der Professoren- und Studentenschaft Vorschub leisteten. a) In Jena hielt sich – wie erwähnt – viel länger als andernorts der Status einer altrechtlich-autonomen Korporation, in welcher Studenten und Professoren eine sozio-ökonomische „Subsistenzgemeinschaft“ bildeten (man war allein schon aus finanziellen Gründen aufeinander angewiesen; denn Jena bezahlte wesentlich schlechtere Gehälter als etwa Göttingen). Diese von Otto G. Oexle einmal so benannte quasi-mittelalterliche ‚Subistenzgemeinschaft‘69 besaß a priori keinen politischen Charakter, konnte jedoch in politisch-sozialen Krisenzeiten wie der Zeit der Französischen Revolution und der napoleonischen Herrschaft durchaus in einen Politisierungssog geraten und ihren Charakter verändern. In Jena war genau dies der Fall, hier wurde sozusagen im Handumdrehen aus einer altständischen Subsistenzgemeinschaft so etwas wie eine ‚moderne Gesinnungsgemeinde‘, indem die beiden Sozialkreise der Professoren und Studenten nach 1810/11 zunehmend enger – und vor allem über Politik, genauer über liberal-nationale Politik – zusammenwuchsen, um schließlich im Oktober 1817 gemeinsam auf dem Wartburgfest öffentlich in Erscheinung zu treten. b) Was die Ausbildung eines kritischen Potentials von Gelehrten betrifft, so stellte ferner die spezifische ‚Verfassung‘ der Universität Jena mit ihrer Vier-Nutritoren-Verwaltung (Sachsen-Weimar, Sachsen-Coburg, Sachsen-Gotha und Sachsen-Meiningen) ein besonders günstiges Moment dar. Schon den Zeitgenossen galt die Salana als „wohlfeilste und zugleich liberalste Universität“ im Alten Reich70. Schiller hat sie bekanntlich deswegen als eine ‚freie und sichere Republik‘ bezeichnet: „Die unter 4 sächsische Herzoge vertheilte Gewalt über die Academie macht diese zu einer ziemlich freien und sichern Republick, in welcher nicht leicht Unterdrückung statt findet“ – und weiter: „Die Professoren sind in Jena fast unabhängige Leute und dürfen sich um keine Fürstlichkeit bekümmern. Diesen Vorzug hatte Jena unter den Akademien voraus“71. Der Universitätsbereisende Friedrich Gedicke setzte im Revolutionsjahr 1789 noch hinzu: „Nicht einmal einen Verweis kann ein Professor von Einem der Höfe al68 69 70 71

Vgl. Geschichte der Universität Jena, Bd. 1, S. 240. Oexle, O. G., Alteuropäische Voraussetzungen des Bildungsbürgertums – Universitäten, Gelehrte und Studierte. In: Conze, W. / Kocka, J. (Hg.), Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert. Teil 1: Bildungssystem und Professionalisierung in internationalen Vergleichen. Stuttgart 1985, S. 29–78. Vgl. Ziolkowski, T., Das Wunderjahr in Jena. Geist und Gesellschaft 1794/95. Stuttgart 1998, S. 19. Schiller an Körner vom 29.8.1787, in: Schillers Werke Nationalausgabe, Bd.24: Briefwechsel. Weimar 1989, S. 148.

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lein erhalten, sondern die 4 Höfe müssen sich hierzu vereinigen“72. Zuviel Staat war am Ende kontraproduktiv für den staatlichen Zugriff und wiederum gut für die relativ freie Entfaltung und Weiterentwicklung der Professoren und ihrer Wissenschaften. c) Last but not least besaß die Universität Jena eine ganz spezifische Struktur, die man mit guten Gründen als „extraordinäre Universität“ bezeichnet hat73. Damit ist gemeint, dass in Jena seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts neben den ordentlichen Instituten und Professoren eine, vor allem vom Weimarer Hof favorisierte und finanzierte ‚extraordinäre Struktur‘ (sichtbar in Institutionen, Sozietäten und Medien) entstand, die ein innovatives Wissenschaftspotential hervorbrachte und keine konkurrierende, sondern eine komplementäre Funktion besaß. Auf diese Weise entstand gemeinsam mit der ordinären Universität eine regelrecht zukunftsweisende wissenschaftsgeschichtlich interessante Reformeinheit. Auch hier kann man den Jenaer Altphilologen Eichstädt erwähnen, der durch seine Tätigkeit in der 1734 gegründeten „Societas latina“ die für die Aufklärungszeit ganz typische außeruniversitäre Ausbildung wissenschaftlich (z. B. durch die „Nova Acta Societatis latinae“) unterstützte und ein enges Verhältnis zur Fachwissenschaft herstellte. Die „Societas“ und das 1817 gegründete Philologische Seminar befruchteten sich anfangs – die Studenten vor allem höheren Semesters konnten in der Societas „eine fruchtbare Ergänzung“ ihrer Studien erhalten74– bis schließlich das „Seminar“ die „Societas“ verdrängte und als veraltet erscheinen ließ. Das Bemerkenswerte an der ‚extraordinären‘ Universität Jena bestand darin, dass der Weimarer Landesherr hier viel stärker Einfluss nehmen konnte als bei der ‚ordinären Universität‘, wo er auf die anderen drei Nutritoren Rücksicht zu nehmen hatte. So schlich sich über die extraordinäre Struktur ein Stück ‚Verstaatlichung‘ in die Universität hinein und die alte Korporation erfuhr so einen Modernisierungsimpuls, der es Jena ermöglichte, in der Umbruchszeit um 1800 den Weg in die Moderne nicht nur ein Stück weit mitzugehen, sondern selbstständig zu gestalten, ohne dabei auf die eigene Tradition verzichten zu müssen. Jena war durch diesen ganz eigenen „Modernisierungsweg“ (Müller) viel flexibler und auch handlungsfähiger als Göttingen oder Halle. Das war ein wesentlicher Grund, weshalb man in Jena die Umbruchszeit relativ unbeschadet überstand und sogar noch positiv für sich auszunutzen verstand. Hieran zeigt sich sehr eindrücklich, wie wenig sinnvoll es ist, alles aus der Perspektive Berlins und eines staatsanstaltlichen, vorgeblichen Königsweges in die Moderne zu sehen. Die altständische korporative Struktur, wie sie die Universität Jena gegen Ende des 18. Jahrhunderts noch aufwies, besaß ein nicht zu verachtendes und in der Universitäts-

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Zit. nach Fester, R., Der ‚Universitäts-Bereiser‘ Friedrich Gedike und sein Bericht an Friedrich Wilhelm II. Berlin 1905, S. 79. Vgl. konzise zusammengefasst von Müller, G., Die extraordinäre Universität – Jenas Modernisierungsweg, in: in: Müller, G. / Ries, K. / Ziche, P. (Hg.): Die Universität Jena. Tradition und Innovation um 1800. Stuttgart 2001, S. 191–195. Steinmetz, Geschichte der Universität Jena, Bd. 1, S. 192 sowie S. 274 ff.

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geschichte bis heute viel zu wenig berücksichtigtes Reform- und Modernisierungspotential. Wie sahen nun die neuen Entwicklungen in Jena aus? Alles begann – kann man sagen – in den 1790er Jahren mit Johann Gottlieb Fichte und seiner öffentlichen Antrittsvorlesung über „Über die Bestimmung des Gelehrten“75. Fichte war derjenige, der es verstand, die Ideen der Göttinger Gelehrten Heeren und Schlözer zusammen zu binden und letztlich auch Kant ‚vom Kopf auf die Füße zu stellen‘. Schiller hatte dies bereits in seiner Antrittsvorlesung vom Mai 1789 mit der Unterscheidung des „Brotgelehrten“ und des „philosophischen Kopfes“ (den er von Kant entlehnte) angedeutet76. Aber den Durchbruch schaffte Fichte mit seiner Antrittsvorlesung 1794: Fichte bestimmte hier die Rolle des Gelehrten völlig neu, er definierte den Gelehrten als einen, wenn nicht den entscheidenden Teil der Gesellschaft, als die Speerspitze des Fortschritts, den Motor, der die Vervollkommnung von Staat und Gesellschaft voranzutreiben hatte, dessen Aufgabe, ja dessen Pflicht es sei, den aufgeklärten Fortschrittsgedanken in die Tat umzusetzen: „Die wahre Bestimmung des Gelehrtenstandes (…) ist die oberste Aufsicht über den wirklichen Fortgang des Menschengeschlechtes im allgemeinen und die stete Beförderung dieses Fortganges“77. Damit zog Fichte die praktische Konsequenz aus dem aufgeklärten Fortschrittsdenken der Göttinger Schule. Der Gelehrte war für ihn ein Tat-Mensch, ein Mensch des Handelns, ein Mensch der Aktion, kein bloßer Theoretiker mehr, der über ein wissenschaftliches Problem sinnierte und im Elfenbeinturm gefangen war: „Der teutsche Gelehrte ist nicht mehr der nach Oellampe riechende Pedant, der auf den Marktplätzen von Athen u. Rom zu Hause ist, nur nicht in seiner Vaterstadt“78. Der Gelehrte – wie ihn Fichte nun wollte – hatte sein eigenes Wissen in den Dienst der guten Sache und des Allgemeinwohls, und das hieß auch in den Dienst der Politik zu stellen. ‚Wissenschaft und Leben‘ wurden bei Fichte jetzt ganz eng aufeinander bezogen, ja als Einheit konzipiert! Fichte war seiner Zeit weit voraus (nicht von ungefähr stieß seine Lehre erst im Kreis der sogenannten Junghegelianer in den 1840er Jahren, die man treffender ‚Spätfichteaner‘ nennen sollte, auf wirkliche Resonanz79), er entwarf diese neue Form von

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Vgl. zum Folgenden mit den jeweiligen Einzelnachweisen Ries, Wort, S. 124 ff. Vgl. dazu mit neuer Lesart Ries, K., Schillers Freiheit und die Kritik der Romantik, in: Dreyer, M. / Ries, K. (Hrsg.), Romantik und Freiheit. Wechselspiele zwischen Ästhetik und Politik. Heidelberg 2014, S. 73–88. Fichte, J. G., Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten [1794]. In: Fichtes Werke. Hg. v. I. H. Fichte, Bd. VI. Nachdr. Berlin 1971, S. 289–346, hier S. 328. Fichte, J. G., Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd.3: Nachgelassene Schriften 1793–1795. Hg. v. R. Lauth. Stuttgart-Bad Cannstatt 1971, S. 359. Walter, S., Demokratisches Denken zwischen Hegel und Marx. Die politische Philosophie Arnold Ruges. Eine Studie zur Geschichte der Demokratie in Deutschland. Düsseldorf 1995, S. 170 ff.

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Gelehrten, als im Nachbarland eine Revolution tobte, welche die Tat-Handlung sozusagen jeden Tag unter Beweis stellte und ein für alle Mal mit dem Ancien Régime brach. Das hat die Philosophie Fichtes enorm beeinflusst. Man hat sie daher völlig zutreffend als „Philosophie der Tat“ bezeichnet80 – eine revolutionäre Philosophie, die den Tat-Gedanken ins Zentrum rückte: „Handeln! Handeln! Das ist es, wozu wir da sind“ – mit diesem doppelten Appell beendete Fichte die meisten seiner frühen Vorlesungen in Jena, um den Studenten ihre neue Pflicht zu handeln regelrecht einzutrichtern81. Fichte löste jedoch noch keine ‚Bewegung‘ aus. Dafür war offenbar die Zeit noch nicht reif genug. Er gründete zwar den „Bund der Freien Männer“82, eine studentische Gesellschaft, in welcher man sich mit Philosophie und Politik befasste, aber daraus erwuchs keine übergreifende politisch-soziale Bewegung. Interessanterweise wurde Fichte wie seine beiden Hallenser Vorgänger Thomasius und Wolff wegen „Atheismus“ im Jahr 1799 von der Universität Jena verwiesen83. Der Vorwurf stand für vieles in jener Zeit: Vor allem für die Rationalisierung des Denkens, auch und vor allem des theologischen Denkens und damit auch für die Abkehr von der Dominanz theologischen Dogmas (wie sie in Halle und Göttingen bereits maßgeblich eingeleitet worden war). Im großen Unterschied zu seinen beiden Vorgängern jedoch machte Fichte aus seinem Fall eine öffentliche Affäre: Er verfasste eine über 100seitige Schrift mit dem ganz bezeichnenden Titel: „Appellation an das Publicum“84, die er reichsweit verteilen ließ, damit sich die Öffentlichkeit ein eigenes Bild über seine Entlassung machen könne – ob es wirklich sein „Atheismus“ sei oder nicht vielmehr sein „Democratismus“, wie er selbst mutmaßte und dem Urteil der Öffentlichkeit anheimstellte85. Fichte benutzte die Öffentlichkeit 1799/1800 bereits als eine politische Macht, eine Schiedsrichterin, mit der man zu rechnen habe.86 Er wollte seine Angelegenheit selbstredend „vor den Richterstuhl des gelehrten und denkenden Publicums“ zerren, eben weil sie – wie er meinte – eine „allgemeine Angelegenheit“ sei87. Wenn ihm dies alles persönlich auch 80

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Dann, O., Johann Gottlieb Fichte und die Entwicklung des politischen Denkens in Deutschland am Ende des 18. Jahrhunderts. Inaugural-Disseration, Heidelberg 1968, S. 112 ff. u. S. 188 ff.; s. a. ders., Johann Gottlieb Fichte. Die ‚Bestimmung des Gelehrten‘ in der Gesellschaft. In: Alter, P. u. a. (Hg.), Geschichte und politisches Handeln. Studien zu europäischen Denkern der Neuzeit. Stuttgart 1985, S. 102–127. Fichte, Vorlesungen, S. 345. Vgl. dazu im Einzelnen Marwinski, F., Von der „Societas litteraria“ zur Lesegesellschaft. Inaugural-Dissertation, Jena 1982. Vgl. dazu im Einzelnen Ries, Wort, S. 139 ff. Vgl. den Kommentar und die Dokumentation bei Röhr, W. (Hg.), Appellation an das Publikum. Dokumente zum Atheismusstreit um Fichte, Forberg, Niethammer. Jena 1798/99. Leipzig 1987. Vgl. dazu auch Steinmetz, Geschichte der Universität Jena, Bd. 1, S. 235 ff. Vgl. dazu jetzt Ries, K., Johann Gottlieb Fichte und die Genese einer modernen Öffentlichkeit. In: Bönig, H., Hahn, H. W., Krünes, A., Schirmer, W. (Hg.), Medien – Kommunikation – Öffentlichkeit. Vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Wien/Köln/Weimar 2019, S. 411–430. So Fichte in einem Brief an Schlegel v. 16.1.1799, in: Röhr (Hg.), Appellation, S. 81 f.

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nicht viel nützte – die Appellation konnte seine Entlassung nicht verhindern (denn diese war längst beschlossene Sache) – so hat er doch mit diesem geradezu revolutionären Schritt einen wesentlichen Beitrag zu dem vielbeschworenen „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ geleistet88. Das eigentliche Zusammenwachsen des neuen ‚öffentlichen‘ Gelehrtentypus mit Teilen der akademischen Gesellschaft vollzog sich erst durch die enttäuschte Hoffnung auf die Errichtung eines wie auch immer gearteten Nationalstaates im Gefolge des sog. Freiheitskrieges von 1813: Man kann die Zäsur von 1813, was die deutsche Wissenschafts- und Gelehrtengeschichte betrifft gar nicht hoch genug veranschlagen! Die Forschung hat diesen Umstand bis heute viel zu wenig im Blick. Jetzt erst ab 1813 – so lässt sich sagen – schwangen sich einige Professoren nicht nur, aber auch und vor allem der Universität Jena – wie die bereits erwähnten Luden, Oken und Fries – zu liberal-nationalen Mentoren der Studentenschaft auf, halfen dabei, die Jenaer Urburschenschaft als ‚nationalen‘ Zusammenschluss aller Landsmannschaften aus der Taufe zu heben und eine ‚intergenerationelle Wertegemeinschaft‘ aus politischer Professoren- und Studentenschaft zu begründen89. Diese intergenerationelle Wertegemeinschaft war ein Kind des Freiheitskrieges, geboren aus dem gemeinsamen Kampf gegen Napoleon und zusammengehalten durch Tugenden und Werte wie Ehre, Freiheit und Vaterland (die deutsche Trias und zugleich der Wahlspruch der Urburschenschaft90). Diese neue, überständische Wertegemeinschaft lässt sich als eine Keimzelle der frühliberalen Bewegung in Deutschland und damit auch als eine Geburtshelferin der bürgerlichen Gesellschaft im frühen 19. Jahrhundert verstehen. Der Schulterschluss gelang tatsächlich erst in Jena. Das Professorenamt war zu einem ‚öffentlichen Amt‘ geworden, die Wissenschaften wurden in den Dienst der Politik gestellt (nicht nur die Geschichte, auch die Philosophie und sogar die Naturforschung, wenn man an Lorenz Oken denkt) – der Gelehrte wurde jetzt bereits zum „Parteimann des Schicksals“, wie dies einige Jahrzehnte später beim nächsten großen Aufbruch des politischen Gelehrtentums Georg Gottfried Gervinus – einer der Göttinger Sieben – nennen sollte91. Ein völlig neues Wissenschaftsverständnis hatte sich Bahn gebrochen. Dieser Trend lässt sich in den ersten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts allenthalben beobachten: Ob dies Henrich Steffens in Breslau war, der 1813 den sogenannten „Breslauer Aufruf “ gegen Napoleon verfasste und sogleich als Leutnant mit in den Krieg zog und dort die 88 89 90 91

Bemerkenswerterweise kommt Fichte in der Habilitationsschrift von Habermas (Strukturwandel) nicht vor. Vgl. Ries, K., Ehre und Nation: Die Bildung einer intergenerationellen Wertegemeinschaft aus dem Geiste des Freiheitskrieges. In: Berg, M., Thiel, J., Walther, P. Th. (Hg.), „Mit Feder und Schwert“. Militär und Wissenschaft – Wissenschaftler und Krieg, Stuttgart 2009, S. 95–106. Vgl. dazu Wentzke, P., Geschichte der Deutschen Burschenschaft. I. Band: Vor- und Frühzeit bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Heidelberg 1965. Zu Gervinus vgl. Hübinger, G., Georg Gottfried Gervinus. Historisches Urteil und politische Kritik. Göttingen 1984.

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ganze Zeit über mitkämpfte92; oder der Theologe und eigentliche Spiritus Rector der neuen Berliner Universitätsgründung Friedrich Schleiermacher93, der ebenfalls durch die Ereignisse von 1813 eine „Wende“ erlebte, indem es ihn „nicht mehr in dem engen Rahmen einer nurtheologischen Predigt“ hielt und er die Kanzel mit der Tribüne vertauschte und (national-)politisch zu predigen begann94; oder der frisch berufene Berliner Althistoriker Barthold Georg Niebuhr, in dessen 1811 erschienenen „Römische(n) Geschichte“ viel „von dem erwachenden Nationalbewusstsein und dem politischen Ethos jener Zeit“ hinein floß und der sich zudem als politischer Publizist in dem von ihm mit gegründeten „Preußischen Correspondenten“ exponierte95. Die Reihe ließe sich problemlos fortsetzen96. Allenthalben spürte man den Drang der Wissenschaftler, sich mit Politik zu befassen. Ein neues Phänomen – das politische Gelehrtentum – war geboren, das fortan vor allem die deutsche Geistesgeschichte bis weit ins 20. Jahrhundert maßgeblich prägen sollte. Es ist deutlich geworden, dass die Rolle der Professoren und der Ort der Wissenschaften an deutschen Hochschulen um 1800 eine wesentliche, ja – wie ich meine – eine qualitative Veränderung erfuhr. Das mag gewiss an den Zeitumständen gelegen haben, die auf eine allumfassende Politisierung im nationalen Sinne drängten, vor allem ab dem Zäsurjahr 1813. Aber es gab Vorbedingungen, ohne die eine solche Rollenveränderung nicht möglich gewesen wäre. Ohne die Vorarbeiten eines Thomasius, Wolff, Schlözer oder Heeren wären Männer wie Fichte, Schleiermacher, Luden, Oken und Fries nicht zu ihren Ideen und Taten gekommen; und ohne die spezifischen Strukturbedingungen der Universität Jena und des Weimarer Kleinstaates wäre die alte Salana nicht zum Zentrum der Genese dieses neuartigen Phänomens der modernen Geschichte geworden. Um 1800 war eigentlich der Punkt erreicht, von dem Nietzsche später träumen sollte, wenn er meinte, die Wissenschaft müsse sich wieder dem Leben unterordnen und nicht umgekehrt das Leben der Wissenschaft. Aber die Diagnose von Nietzsche trügt ein wenig. Nämlich just zu dem Zeitpunkt, als die moderne Wissenschaft sich mit ihren rationalen und kritischen Instrumentarien auszubilden begann, begab sie sich in die Niederungen der Politik und verlor für kurze Zeit den Kern ihres wissenschaftlichen Charakters. Um 1800 bildeten die Wissenschaften ihr

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Vgl. zu Steffens jetzt: Bergner, M., Henrich Steffens. Ein politischer Professor in Umbruchszeiten 1806–1819. Frankfurt 2016; vgl. dazu auch Ries, K., Rezension zu: Bergner, Marit: Henrich Steffens. Ein politischer Professor in Umbruchszeiten 1806–1819. Frankfurt am Main 2016, in: H-SozKult, 06.06.2018, . Zu Schleiermacher als dem eigentlichen Spiritus Rector der Berliner Universitätsgründung 1810 statt Wilhelm von Humboldt vgl. vom Bruch, Gründung. Real, Politisches Professorentum, S. 47; zum politischen Wirken Schleiermachers in der Öffentlichkeit vgl. Wolfes, M., Öffentlichkeit und Bürgergesellschaft. Friedrich Schleiermachers politische Wirksamkeit. 2 Teile. Berlin New York 2004. Real, Politisches Professorentum, S. 52. Ebd., S. 34 ff.

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eigenes modernes Forschungsprofil aus. Die Gründung des philologischen Seminars in Jena, dessen 200jähriges Bestehen 2017 begangen wurde, ist exakt ein Kennzeichen dieses neuen Wissenschaftsverständnisses, das zugleich auch mit dem „Aufstieg der neuen bürgerlichen Gesellschaftsordnung mit neuen wissenschaftlichen Forderungen und geistigen Bedürfnissen“ zusammenhing und einherging97. Wir haben am Ende also zwei gegenläufige Prozesse zu beobachten: Die Politisierung der Wissenschaften mit der Gefahr der Aufgabe ihrer Wissenschaftlichkeit und die Verwissenschaftlichung der Wissenschaften mit der Gefahr des Lebensverlustes. Nietzsche hätte den Verlust an Wissenschaftlichkeit höchstwahrscheinlich wohlwollend in Kauf genommen, denn die moderne Wissenschaft schien ihm per se lebensund praxisfern. Dem können wir uns heute – und als Wissenschaftler zumal – nicht mehr anschließen. Wir sind vielmehr gehalten, die Verbindung zum Leben zu suchen, ohne die Wissenschaftlichkeit unserer Fächer aufzugeben. Kein leichtes Unterfangen gewiss – aber wir stehen in einer guten Tradition – und es ist nicht die Tradition Humboldts und Berlins, denn sie hat keine „permanente Erfindung“ nötig, sondern sie hat wirklich stattgefunden.

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Steinmetz, Geschichte der Universität Jena Bd. 1, S. 277.

Jenaer gelehrte Gesellschaften im 18./19. Jahrhundert Orte der Begegnung, des Gedankenaustausches und fachspezifischer Orientierung Felicitas Marwinski † Der Versuch, die aus der Aufklärung erwachsende, vielerorts zu beobachtende Sozietätsbewegung anhand von Jenaer Beispielen zu konkretisieren, führte – um es vorweg zu nehmen – zu dem Ergebnis, dass in Jena, im Vergleich zum Gesamtgeschehen im deutschsprachigen Raum, dank der einmaligen Personenkonstellationen durchaus eigenständige Leistungen erbracht worden sind. Der Tätigkeitsdrang und die Schaffenskraft der Beteiligten sind beeindruckend, vor allem dann, wenn man die Zeitumstände mit berücksichtigt. An der hiesigen Universität setzte das „gelehrte Gesellschaftsleben“, dessen Strukturen sich in der Rückschau als erstaunlich vielschichtig darstellen, in den 1670-er Jahren ein. Zunächst kam es zur Gründung von Kollegien, über deren Wirkungsweise nicht Näheres überliefert ist. Sie gelangten in den Blickpunkt der Forschung, als die Akademiepläne von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716), „Universalgelehrter, Wissenschaftsorganisator und Mittler zwischen den Kulturen“, im Zusammenhang von „Wissenschaft und Weltgestaltung“ 1999 weiträumig untersucht und analysiert wurden.1 Die eingehende Beschäftigung mit dem „Leibnizschen Kosmos“ lenkte die Aufmerksamkeit auf „Lebens- und Denkwelten“, die auch in Jena längst versunken sind, die sich aber in stets wandelnder Form bis heute als Problemfelder der sowohl theoretischen als auch praktischen Wissenschaftsorganisation erhalten haben. In diesem Zusammenhang wurde der mitteldeutsche Raum ebenfalls näher erforscht.2

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Lerchner, Gotthard: Zum Geleit [des Kongressbandes], in: Nowak, Kurt / Poser, Hans (Hrsg.): Wissenschaft und Weltgestaltung. Internationales Symposiums zum 350. Geburtstag von Gottfried Wilhelm Leibniz vom 9. bis 11. Apr. 1996 in Leipzig. Hildesheim [u. a.] 1999, S. 9 f. Döring, Detlef / Nowak, Kurt (Hrsg.): Gelehrte Gesellschaften im mitteldeutschen Raum (1650–

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Der aus Leipzig kommende erst 17-jährige Student Leibniz hatte sich im Wintersemester 1663/64 in Jena aufgehalten, wo er nach unbestätigten Quellen Mitglied einer gelehrten Gesellschaft gewesen sein soll. Aber selbst Detlef Dörings intensive Nachforschungen zum Thema „Der junge Leibniz und die Gelehrtengesellschaften in Leipzig und Jena“3 erbrachten „nicht den geringsten Anhaltspunkt“, dass es zu jener Zeit an der Universität eine gelehrte Gesellschaft gegeben habe, in der er hätte Mitglied sein können. Die in der Literatur auftauchenden Angaben beruhten entweder auf einem Irrtum oder waren rein spekulativer Art. Bei dem Collegium quaerentium, dessen Mitglieder sich [um 1663] darauf spezialisiert haben sollten, „neue Wahrheiten zu suchen“, handelte es sich vermutlich um eine Verwechselung mit der Societas Disquirentium (Gesellschaft der Suchenden), die am 24. Juni 1672 durch Johann Andreas Bose (1626–1674), seit 1656 Prof. für Geschichte in Jena, gegründet wurde.4 Er war in Leipzig Mitglied im Collegium Gellianum5 gewesen, das ihm für die Jenaer Gründung als Vorbild diente. Falls die Jenaer Societas möglicherweise eine Vorläuferin hatte, so war jedoch „nirgends belegbar“, dass Leibniz ihr hätte angehören können.6 Die Societas Disquirentium bestand noch 1703, sie war wegen der in Latein geführten, die Studien fördernden gelehrten Gespräche für Mitglieder attraktiv.7 An sie erinnerte die zwischen 1725 und 1728/29 bestehende Societas Exquirentium (Gesellschaft der Aussuchenden oder Wählenden), die zur Jenaer Teutschen Gesellschaft überleitet. „Einer Anregung von außen folgend“ hatte sie sich unter Magister Daniel Gottfried Werner (1695–1770) konstituiert, der seit 1724 Adjunkt an der Philosophischen Fakultät war. Man beabsichtigte, Disputationen, die Bibelstellen erklärten, in Kurzform zu referieren und dadurch bekannt zu machen (also eine Art Referatedienst zu erstellen). Aber – „nach und nach ward die ganze Gesellschaft zertrennet“. Werner ging 1728 als Prediger und Rektor nach Stargard, wo er sich als Theologe, Historiker und Philologe Verdienste erwarb. Mitglieder dieser Gruppe waren an den Monatlichen Nachrichten von gelehrten Leuten und Schriften, besonders dem

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1820). Teil 1–3 (Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philolog.-Histor. Klasse, Bd. 76, H. 2, 5, 6) Leipzig 2000–2002. Döring, Detlef: Der junge Leibniz und die Gelehrtengesellschaften in Leipzig und Jena, in: Wissenschaft und Weltgestaltung (wie Anm. 1), S. 69–92. In Leipzig sind für das 17. Jh. drei nachweisbar: Collegium Gellianum (*1641 bis 1673), Collegium Anthologicum (*1655 mit Unterbrechungen bis um 1735) und das Collegium Conferentium (*1664, Dauer unbekannt), in dem Leibniz Mitglied war und wo er den Vortrag De collegiis hielt. – Die Jenaer Quellenlage hielt der Autor für denkbar ungünstig. Ebenda, S. 73. – Historia Societatis Disquirentium ad virum nobilissimum atque consultissimum Iohannem Christianum Schroeterum. Jena 1683. – Johann Christian Schröter (1659–1731), Jurist. Namensgebung nach Aulus Gellius, Verfasser der „Noctes Atticae“ (um 175 u. Z.), eines weit verbreiteten, die unterschiedlichsten Wissensgebiete umfassenden Werkes, das wertvolle römische Zitate vor Cicero enthält, die anderweitig nicht enthalten sind. Döring, Leibniz (wie Anm. 2), S. 74. Ebenda, S. 77 (Bewerbungsschreiben um Mitgliedschaft in der Societas Disquirentium, 11. Juli 1681).

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alten und neuen Zustande der Universität Jena beteiligt, die von 1725 bis zum Juni 1729 erschienen und zu deren Autoren auch Johann Andreas Fabricius und Martin Schmeizel zählten. – Magister Johann Christoph Köcher (1699–1772) aus Lobenstein, der in Jena Theologie studiert hatte, überlieferte die kurze Geschichte der Societas,8 er begegnet uns später als das 33. vornehme Mitglied der Teutschen Gesellschaft wieder. Parallel zu Bose bestand 1672/73 eine von Erhard Weigel (1625–1699), seit 1652 Prof. für Mathematik, angeregte Societas Pythagorea, die von der Mathematik als Grundlage für die „zivilen Wissenschaften“ ausging und ihre Förderung zur Verbesserung des menschlichen Lebens bezweckte (thematisiert wurde u. a. die Bedeutung der Zahl 4 für die Pythagoreer). Gegen Ende seines Lebens verfolgte Weigel den weit in die Zukunft weisenden Plan, eine Kaiserl Gesellschaft zur Pflege von Technik und Wissenschaft, ein Collegium artis consultorum, mit Sitz in Erfurt zu errichten. Sie erhielt zwar am 7. Januar 1698 die Bestätigung, doch konnte sie nicht mehr realisiert werden, weil Weigel bereits am 21. März 1699 in Jena verstarb. Sowohl Bose als auch Weigel waren von der Leipziger Universität nach Jena gekommen, sie dürften die dort gemachten Erfahrungen in Jena für ihre Zwecke genutzt haben. Traditionslinien führen aber auch in das Thüringer Umland: 1676 entstand in Rudolstadt eine Fruchtbringende Jesus-Gesellschaft, die von Ahasver Fritsch (1629–1701), dem späteren schwarzburgischen Kanzler, angeregt worden war. Er hatte von 1650 an in Jena studiert und anschließend dort als Privatdozent gewirkt. 1693 warb der weitgereiste Arzt, Polyhistor und Historiograph Christian Franz Paullini (1643–1712) von Eisenach aus für sein Projekt eines Belorbeerten Taubenordens, der aber nicht in die Tat umgesetzt wurde. Unter Nr. 819 war er als „der Wachsame“ Mitglied in der Fruchtbringenden Gesellschaft. An der Jenaer Universität soll um 1708 unter der Leitung des Polyhistors Burkhard Gotthelf Struve (1671–1738) eine Societas Litteraria bestanden haben, die nicht näher beschrieben wird. Gottfried Rühlmann (gest. 1727), ein ehemaliger Gehilfe von Struve, war von 1711 bis 1713 einer von Leibniz’ Assistenten bei dessen historischen Arbeiten. Angeregt von den Akademieplänen seines Mentors machte er Vorschläge zur Errichtung einer Staats- und Kriegsakademie (1712) und zur Eröffnung einer Hauß-Academie (1717), deren Unterricht er bestreiten wollte. Wer ein guter Deutscher sein wolle, bemerkte er, müsse auch seine Muttersprache beherrschen und sie allen anderen „Staats- und Reichssprachen“, wie zum Beispiel dem Latein, vorziehen. Als „Fürstl. Schwartzburgl. Gemeinschaffts-Rath u. Historiographus“ ließ er 1726 eine Historische Nachricht von einer im Jahr 1619 [in Rudolstadt] gestiffteten Tugendlichen Frauenzimmer-Gesellschafft in Arnstadt drucken, Anlass war ein Besuch der „Hoch-Fürstl. regierenden Herrschafft von Sondershausen“. Die Mitgliedschaft war Fürstinnen, 8

Köcher, Johann Christoph: Nachricht von den gegenwärtigen Umständen der auf hiesiger Universität ehem. aufgerichteten Societas Exquirentium, in: Monatliche Nachrichten von gelehrten Leuten und Schriften 4 (1729) Mai/Juni, S. 260–266.

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Prinzessinnen und Gräfinnen vorbehalten, es sollten sich aber auch „Mannes-Personen Hohen Standes“ beteiligen, die außerdem Mitglied in der Fruchtbringenden Gesellschaft sein konnten. Rühlmann regte 1719/20 auch schon eine deutschsprachige Gelehrtensozietät für die gebildeten Einwohner Arnstadts an, die verständlicherweise nicht zustande kam.9 Als Protektor war Fürst Günther, Erbprinz von Schwarzburg-Sondershausen (1678– 1740, reg. st. 1720) in Aussicht genommen worden, zwei Seminarien – eines für „geschickte Prediger“, das andere für „Schul-Leuthe“ – sollten außerdem eingerichtet werden. Nach dem Brauch der ehemals Fruchtbringenden Gesellschaft konnten sich die Mitglieder einen Decknamen zulegen, es war „gnug, daß ihn die Societät kennet“. – Als ein spätes Echo auf Rühlmanns Initiative bestand um 1792/93 bis etwa 1798 in Arnstadt eine Literarische Gesellschaft für „Liebhaber der Wissenschaften“ in der Stadt und ihrer Umgebung, die mit der Gründung einer Lesebibliothek einher ging.10 Die hier angesprochenen Gesellschaften wiesen in der Regel feste Strukturen und Regulative zum Umgang der Mitglieder untereinander auf, auch wurde die Zweckbestimmung entsprechend formuliert. Obwohl die Übergänge fließend sind, grenzten sie sich dadurch deutlich erkennbar von den zwanglosen kommunikativen Zusammenkünften ab, wie sie zum Beispiel Zirkel, Kränzchen, gesellige Klubs oder das „offene Haus“ eines Professors boten.11 Nach 1800 entwickelte sich das „Frommannsche Haus“ zu einem geistig-kulturellen Mittelpunkt der Stadt, 1811 wird eine Gesellschaft des akademischen Winter-Abend-Clubs auf der Rose erwähnt.12 Der Einwohnerschaft „frei zugängliche“ Assembleen, wie sie zur Dalbergzeit in Erfurt gebräuchlich waren, gab es in Jena nicht. Es war schwierig, geeignete Räumlichkeiten für derartige Treffen von „Privatverbindungen“ zu finden, ein „öffentlicher (neutraler) Versammlungsort“ für Honoratioren und Studenten fehlte in der Universitätsstadt. Das Problem wurde erst durch die Einrichtung der „Rosensäle“ gelöst: 1786 bildeten 20 Professoren die Sozietät der Unternehmer des Rosen-Instituts, die eine auf Aktienbasis fußende (allgemein-öffentliche) Begegnungsstätte zu schaffen beabsichtigte. Das Gesellschaftshaus wurde im November 1787 in einem zweckentsprechend renovierten Gebäude eingeweiht.

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Vgl. Einrichtung und Statuten abgedr. in: Wöchentliche Nachrichten, Arnstadt (1719) Nr. 31, 16. 8., S. 241–248. Verf.: Kurze Nachricht von der Literarischen Gesellschaft zu Arnstadt, in: Marginalien, Zeitschrift für Buchkunst und Bibliophilie Heft 74, 1979/2, S. 65–74. Mitteilungen über die Existenz privat arrangierter Gruppierungen liefern Korrespondenzen, Tagebücher und Autobiographien, vgl. Weiss, Hermann F.: Der Mittwoch- und der Professorenklub, in: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts (1999) S. 94–120. Verf.: Gesellschaften in Jena um die Wende zum 19. Jahrhundert – ihre Wurzeln und ihre Zukunft, in: Blätter des Vereins für Thüringische Geschichte 4 (1994) 1, S. 17–28.

Jenaer gelehrte Gesellschaften im 18./19. Jahrhundert

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Die Teutsche Gesellschaft zu Jena (TGJ) Der Beginn eines organisierten „gelehrten Gesellschaftslebens“ in Jena ist Impulsen zu verdanken, die wiederum von Leipzig ausgingen. Dort war 1697 eine Görlitzische poetische Gesellschaft entstanden, die, einem allgemeinen Zeitbedürfnis Ausdruck gebend, von dem Dichter, Kritiker und Übersetzer Johann Christoph Gottsched (1700–1766) in eine Deutsche Gesellschaft umgestaltet wurde. Dieser von ihm neu geformte Gesellschaftstyp wurde im Verlauf des 18. Jahrhunderts zum Vorbild für über 40 Gesellschaftsgründungen ähnlicher Art im deutschsprachigen Raum. Von Leipzig aus fand auch Magister Johann Andreas Fabricius13 (18. Juni 1696 Dodendorf bei Magdeburg – 28. Febr. 1769 Nordhausen) den Weg nach Jena. Er hatte in Helmstedt, seit 1715 in Leipzig und danach in Jena studiert. Zu der thüringischen Universitätsstadt entwickelte er im Laufe seines Lebens ein ambivalentes Verhältnis, mehrmals suchte er hier vergeblich Fuß zu fassen. Auf der Suche nach einem neuen Wirkungskreis kam er 1718 zum ersten Mal nach Jena, doch kehrte er 1723 wieder nach Leipzig zurück. Wie Gottsched war er 1724 Mitglied der Deutschübenden poetischen Gesellschaft, im gleichen Jahr erschien von ihm die Philosophische Oratorie, in der er die Bedeutung der Redekunst hervorhob. Fabricius und Gottsched sahen im „gelehrten Wettstreit“ jeder im anderen den Rivalen, in der Öffentlichkeit traten die beiden Kontrahenten als „ehrgeizige und tatendurstige Organisatoren einer neuen Gelehrsamkeit“ in Erscheinung,14 wobei Gottsched über die größere Anhängerschaft verfügte. Dieser Tatsache Rechnung tragend, wandte sich Fabricius 1725 erneut nach Jena. Es schien ihm für die erhoffte akademische Karriere geeignet, besonders dann, wenn gelehrte Gesellschaften ihm hierbei zur Seite standen. Fabricius maß der Mitgliedschaft in gelehrten Sozietäten große Bedeutung bei. Er selbst gehörte unter dem Namen Ferrando der Dritte zu den Mitgliedern des 1644 in Nürnberg von Georg Philipp von Harsdörfer gegründeten Pegnitz’schen Blumenordens, 1755 wurde er in die Kurfürstlich Mainzische Akademie nützlicher Wissenschaften zu Erfurt aufgenommen, 1763 Rat und Ehrenmitglied der Kaiserlichen Franziskanischen

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14

Zur Person vgl. Allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften und Künste. [Orig.-Ausg.] Hrsg. von J. S. und J. G. Gruber. Section 1, Theil 40, Leipzig 1844, S. 75 f. (Heinrich Döring). – Fabricius wurde erst im Sept. 1734 Adjunkt der Philos. Fakultät (vgl. Michael Reichel, Glückwunschgedicht, Jena 1734. 1740 ging er nach Braunschweig, Prof. am Carolinum und zugleich Direktor am Katharinum, 1753 Rektor Gymnasium Nordhausen, wo er auch starb. – Als Autor von theologischen und philosophischen Schriften wurden ihm „mannigfache und gründliche Kenntnisse“ bestätigt, als „denkender Kopf “ habe er sich in der „Anweisung zur theoretischen Philosophie“ (Wolfenbüttel 1746) und im „Auszug aus den Anfangsgründen der allgemeinen Gelehrsamkeit und Weltweisheit“ (ebenda, 1746) erwiesen. Hrsg.: Critische Bibliothek, 4 Bde, Leipzig 1748–1759. – Hauptwerk: Abriß einer allgemeinen Historie der Gelehrsamkeit (3 Bde, Leipzig 1752–1754). Jaumann, Herbert: Die Societas Latina Ienensis (1734–1848), in: Döring/Nowak, Gesellschaften (wie Anm. 2), Teil 3, 2002, S. 33–38 über TGJ, hier: S. 37.

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Akademie der freien Künste zu Augsburg und Ehrenmitglied der Akademie der freien Künste zu Roveredo. Gründungsphase der TGJ Die Geschichte der Jenaer „Teutschen Gesellschaft“ (die Jenaer bevorzugten die Schreibweise teutsch) beginnt mit der ersten Zusammenkunft am 31. Juli 1728 bei Fabricius, „nachdem solches am 24. Julii zuvor verabredet worden war“. Gemeinsam mit 7 Studenten aus verschiedenen Fakultäten gründet er „Die der teutschen Sprache beflissene Gesellschaft zu Jena“ Jedes sowohl ordentliche als auch außerordentliche Mitglied hatte vor Eintritt in die Gesellschaft „eine Probe seiner Beredsamkeit zu liefern“ (§ 25), also ernsthaftes Interesse an der Mitwirkung zu dokumentieren. Die Mitglieder trafen sich regelmäßig sonnabends von 14 bis 15 Uhr im Hörsaal von Fabricius. Die Bestätigung durch die Universität als Teutsche Gesellschaft erfolgte am 31. Januar 1730.15 Wie aus den zahlreichen Gelegenheitsdrucken, Aufsätzen und Vorträgen hervorgeht, bezweckte die studentische Übungsgesellschaft Fertigkeiten in der deutschen Sprache und Orthographie zu erlangen um, damit verbunden, die Beredsamkeit und Dichtkunst zu befördern. Nachfolger von Fabricius im Amt des Ältesten wurde 1731 Johann Georg Zur Linden, als Aufseher wirkten seitens der Akademie die Professoren Gottlieb Stolle (1673–1744), Johann Peter Reusch (1691–1758), Karl Friedrich Kaltschmied (1706– 1769) und als letzter Lorenz Johann Daniel Succow (1722–1801). Unter den Sekretären wies Basilius Christian Bernhard Wiedeburg (1722–1758) die längste Amtszeit auf. Die TGJ war darauf bedacht, öffentliches Interesse zu wecken. 1732 kam die von Stolle betreute Sammlung der Schriften der Teutschen Gesellschaft in Jena heraus, ab 1749 erschienen unter Beteiligung von Gesellschaftsmitgliedern die Jenaischen Gelehrten Zeitungen 1743 ist zu erfahren, dass François Roux (1674–1750), ein Emigrant, der von 1705 bis 1707 in Jena die Rechte studiert hatte und seit 1707 als Sprachmeister tätig war, „mit einigen Studiosis ordentliche Frantzösische Assembleen abhielt, darinnen die Mitglieder über allerhand Sachen Französisch diskutirten, auch manchmal französische Ausarbeitungen ablasen. Für die italienische Sprache gab es eine ähnliche Einrichtung, so dass sich die Studierenden auch in den neueren Sprachen vervollkommnen konnten.16 In den ersten Jahren wurde das Gesellschaftsleben dadurch beeinträchtigt, dass es zwischen Fabricius und den Mitgliedern immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen kam, 1736 wurde er sogar aus der TGJ ausgeschlossen. Schon um 1750 findet sich ein Hinweis, dass die TGJ die Absicht verfolgte, den Charakter einer Akademie zu erlangen, zu deren Merkmalen zählte, in Sektionen aufgefä15 16

Zur Bedeutung von Fabricius für das Jenaer Sozietätsgefüge, speziell der TGJ, vgl. Verf.: Johann Andreas Fabricius und die Jenaer gelehrten Gesellschaften des 18. Jh., Jena 1989, S. 17–81. Das in dem Jahre 1743 blühende Jena, Jena [1743], S. 285 u. 287.

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chert zu arbeiten und öffentliche Preisaufgaben zur Lösung anzubieten. Die mit der Vergabe des „Reyher-Preises“17 verbundenen näheren Umstände bedeuteten für die TGJ insgesamt eine unerfreuliche Episode. Benjamin Gottfried Reyher (1727–1799) aus Zottelstedt bei Apolda, der 1750 als das 132. ordentliche Mitglied in die TGJ aufgenommen worden war, kündigte bis 1759 das Preisgeld mehrmals an, stellte es aber letzten Endes doch nicht bereit (weil er gar nicht darüber verfügte). 1751 übernahm der 14-jährige Erbprinz Ernst August Constantin von Sachsen-Weimar-Eisenach (1737–1758), seit dem 27. Oktober 1749 bereits Rector magnificentissimus der Universität, das Protektorat über die TGJ, er ernannte seinerseits den Reichsgrafen Heinrich von Bünau (1697–1762) zum Präsidenten der TGJ. Sehr wahrscheinlich hatte der Informator des Erbprinzen Johann Samuel Verch, vornehmes Mitglied Nr. 50 der TGJ, hierbei die Weichen gestellt.18 Bünau, eine vielseitig gebildete, kulturell interessierte Persönlichkeit, hatte sich sowohl als Staatsmann und Diplomat, aber auch als Gelehrter und Historiograph Verdienste erworben. Er besaß eine der vorzüglichsten Büchersammlungen seiner Zeit und verfügte über eine „fast unglaubliche Belesenheit“.19 Das Akademie-Projekt In seiner Funktion als (seit 1743) Senior der TGJ teilte der Philosophie-Prof. Carl Gotthelf Müller (1717–1760) mit, dass diese künftig „nicht mehr bloß den schönen, sondern auch den höheren Wissenschaften“ gewidmet sei. Vorbild war für ihn die 1739 durch Augustin von Balthasar (1701–1786) gegründete Kgl Deutsche Gesellschaft zu Greifswald, deren Mitglied er war. Die offizielle Verlautbarung über den neuen Status der TGJ als einer Akademie der Wissenschaften und schönen Künste ließ auf sich warten, er zog sich über Jahre hin und verlief schließlich im Sande, obwohl die künftige Verfassung des Instituts, das aus 8 Sektionen bestehen sollte, im Prinzip Zustimmung gefunden hatte. Als ein erster Schritt in diese Richtung waren die Statuten der TGJ der neuen Situation anzupassen. Am 24. Januar 1752 hatte man den Entwurf an Bünau ab17

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Benjamin Gottfried Reyher (1727–1799), Aufnahmegesuch: 28. Aug. 1750; ord. Mitgl. Nr. 132, letztes Schreiben vom 16. Mai 1759. – Verf.: Zwischen sozialem Engagement und Vorteilserwartung, Benjamin Gottfried Reyhers gemeinnützige Projekte, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte 56 (2002) S. 235–278. Marwinski, Felicitas / Marwinski, Konrad: Von Danzig über Weimar und Gotha nach Greiz, Johann Samuel Verch als Prinzenerzieher am Sachsen-Weimarischen Hof von 1748 bis 1755, in: Beger, Jens (Hrsg.): Hessen und Thüringen, Festschrift für Jochen Lengemann zum 75. Geburtstag, Jena 2013, S. 191–206. – Verch lebte nach Beendigung seiner Lehrtätigkeit bis zu seinem Tod bei Graf Heinrich XI. Reuß ä. L. in Greiz, sein Vermögen stiftete er der Naturforschenden Gesellschaft in Danzig. Verf.: Die Teutsche Gesellschaft zu Jena – eine „Akademie der höhern Wissenschaften“? Über gelehrte Preisfragen im Rahmen des Akademie-Konzepts, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte 58 (2004) S. 83–122, bes. S. 88.

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geschickt, der sich aber erst am 7. August 1752 in den Unvorgreiffl[ichen] Gedancken bey denen übersendeten Gesezen E[iner] Löbl[ichen] Teutschen Gesellschafft zu Jena äußerte, denen ein Entwurff, wie ohnmaaßgeblich die Geseze der Teutschen Gesellschafft der Wißenschafften am ordentlichsten und bequemsten einzurichten wären, beigefügt war.20 Das Dokument enthielt grundlegende Ausführungen zur zeitgemäßen Neugestaltung der im Wandel begriffenen Sozietätenlandschaft, wovon auch die Deutschen Gesellschaften betroffen waren. Einige von ihnen tendierten mehr zum Akademietyp, indem sie das gesamte Wissenschaftsgefüge im Blick hatten oder beabsichtigten, ein Spezialgebiet intensiv und detailliert zu erforschen. Der TGJ war an der ersten Version gelegen. Bünau hatte sich eingehend mit der Materie befasst, seine Ausführungen überraschen durch ihre Komplexität. Sie enthalten Vorstellungen zur Zweckbestimmung, zu den Tätigkeitsfeldern, zur Zielstellung und Arbeitsweise, zum Wahlmodus, zur Art und Weise der Beurteilung von eingereichten Arbeiten und schließlich auch Überlegungen zur Bezeichnung von Funktionsträgern wie Ältester (besser: Erwählter Ältester) oder Bibliothekar (besser: Vorsteher der Bibliothek). Zu den Aufgaben des Sekretärs sollte gehören, die Biographie verstorbener verdienstvoller Mitglieder abzufassen, damit die TGJ ihre Absicht verwirklichen konnte, den „ruhmvollen Lebenslauf “ ihrer ordentlichen, außerordentlichen und vornehmen Mitglieder bekannt zu machen und deren Ehrengedächtnis zu feiern. Leider wurde später gerade dieser Aspekt vernachlässigt. Ohne Zensur der Gesellschaft sollte übrigens nichts gedruckt werden, da schlechte Gelegenheitsgedichte ihrem guten Ruf nur abträglich sein konnten. In der Orthographie sollte man keinen Sonderweg gehen, sondern der Tradition gemäß verfahren. Die Mitglieder sollten gesittet sein, einen rühmlichen Lebenswandel führen, ein gutes Betragen gegen die übrigen Mitglieder an den Tag legen und Verschwiegenheit untereinander üben, damit keine Uneinigkeit oder Misstrauen untereinander aufkam und das Gesellschaftsleben belastete. Dass sich die Mitglieder in den Versammlungen vorrangig in freier Rede aus dem Gedächtnis („memoriter“) üben sollten, dürfte manchem schwer gefallen sein. Die neuen Gesellschaftsgesetze wurden im November 1753 in Jena gedruckt, die Verfahrensweise bei der Vergabe von Preisen, als ein Mittel, in der gelehrten Welt Aufmerksamkeit zu erregen und Ansehen zu gewinnen, war besonders sorgfältig überarbeitet worden. In der Versammlung am 2. Juni 1753 wurde die erste Preisaufgabe (honoriert mit 12 Dukaten) angekündigt, sie bezog sich auf das beste Gedicht zum 200-jährigen Jubiläum der Universität (Termin der Zuerkennung: 1758). Bünau äußerte 1754 den Wunsch, die Mittel für eine Preisfrage aus den Materien der Reichsgeschichte zu stiften, von der TGJ wurde das Thema klugerweise auf das sächsische Herrscherhaus eingeengt.

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ThULB Jena, HSA, Ms. Prov. f. 132/1:15.

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Frauenmitgliedschaften Als sich der Kgl. Preuß. Hofprediger zu Stettin, Jacques de Perard (1712–1766), am 24. Januar 1752 für seine Aufnahme in die TGJ bedankte – er hatte unter anderem den Kontakt zu dem polnischen Grafen Załuski vermittelt – bedauerte er, leider wegen seiner vielen Geschäfte keinen aktiven Anteil nehmen zu können. Er schlug deshalb das „Fräulein von Balthasar“, ein junges Mädchen, das soeben seinen 15. Geburtstag gefeiert hatte, zur Aufnahme vor, die am 20. März 1752 auch erfolgte.21 Anna Christina Ehrenfried von Balthasar (1737–1808) war schon seit dem 21. Dezember 1751 Mitglied der Kgl. Deutschen Gesellschaft zu Königsberg. Ihre Mitgliedschaft hatte zur Folge, dass sich die Jenaer Gesellschaft für Frauen öffnete, wie Müller 1753 öffentlich bekannt gab,22 doch wurden nur 6 weitere „gelehrte Frauenzimmer“ aufgenommen: – Fräulein Charlotte Wilhelmine Amalie von Donop (1723–1800), 1749 Ehrenmitglied in der Kgl. Deutschen Gesellschaft zu Göttingen, 1750 zur Dichterin gekrönt – Frau Anne Dorothee Langin, geb. Gnügin (1715–1764), Ehefrau von Samuel Gotthold Lange (1711–1781), Prediger und Schriftsteller – Frau Sophie Eleonore Achenwallin, geb. Waltherin (1723–1754), Mitglied der Deutschen Gesellschaften von Göttingen und Helmstedt, ihr Ehemann Gottfried Achenwall zählte zu den vornehmen Mitgliedern der TGJ – Jungfer Charlotte Marie Blaufusin (1726–1761), aus Anlass des 200-jährigen Universitätsjubiläums erhielt sie „wegen ihrer Geschicklichkeit“ im Dichten am 11. Februar 1758 den poetischen Lorbeerkranz; 1759 zweite Ehefrau des Predigers Ehregott Nikolaus Bagge (1725–1796) – Frau Dorothee Auguste Margarethe von Windheim (um 1725–1761), geb. von Mosheim, Übersetzerin; ihr Vater, der Kirchenhistoriker und Kanzelredner Johann Lorenz von Mosheim (1694–1755), befand sich wie ihr Ehemann Christian Ernst von Windheim (1722–1766) unter den vornehmen Mitgliedern der TGJ – Jungfer Traugott Christiane Dorothee Löberin (1724–1787), 1741 kaiserl. gekrönte Poetin der Universität Göttingen, auch Mitglied der dortigen Deutschen Gesellschaft, 1750 wurde sie Ehrenmitglied der Herzogl. Deutschen Gesellschaft zu Helmstedt Über die Ernennungsphase hinaus wurden keine weiteren Kontakte gepflegt, doch war schon allein die Mitgliedschaft ein beachtlicher Prestigegewinn. Die Namen der 21

22

Diplom, dat.: Jena, 20. März 1752. Unterzeichnet von Johann Peter Reusch, Carl Gotthelf Müller und Basilius Christian Bernhard Wiedeburg. – Textabdr. in: Verf.: Gelehrte Frauen in der Deutschen Gesellschaft zu Jena. Die Gruppe um Anna Christina Ehrenfried von Balthasar, Trägerin des Titels „Baccalaurea artium et philosophiae, in: Koloch, Sabine (Hrsg.): Frauen, Philosophie und Bildung im Zeitalter der Aufklärung, Berlin 2010, S. 227 f. Müller, Carl Gotthelf: Nachricht von der Teutschen Gesellschaft zu Jena und der ietzigen Verfassung derselben, Jena 1753, S. 45 f.

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insgesamt 7 in die TGJ aufgenommenen Frauen wurden ganz bewusst nicht in die offiziellen Matrikel eingetragen, vermutlich um der Gesellschaft Spöttereien wie sie die Leipziger erfahren mussten zu ersparen. Trotz der beabsichtigten geringen Breitenwirkung sind diese Frauenmitgliedschaften als ein Ausdruck aufklärerischen Denkens und als die Vorboten eines neuen Zeitalters zu bewerten. Schon in den 1730-er Jahren hatte Frau Christiana Mariana von Ziegler23 (1695–1760) von Leipzig aus die Absicht durchblicken lassen, in die TGJ aufgenommen zu werden, doch war die Gesellschaft nicht darauf eingegangen. Gleichermaßen ablehnend reagierte sie vier Jahre später, als die „Erfurtische Dichterin“ Sidonia Hedwig Zäunemann24 (1711–1740) durch die Universität Göttingen zur Kaiserl. gekrönten Poetin erklärt wurde. Weil die „Zäunemannin“ gleich nach der feierlichen Einweihung die neue Bildungsstätte mit einer „wohlgesetzten Ode“ beehrt hatte, war ihr diese Ehre zuteil geworden. Die TGJ zeigte sich von dieser Geste unbeeindruckt. 1754 wurden Arbeiten der Mitglieder publiziert, den jeweiligen Themenbereichen zugeordnet erschienen (1) Schriften der Teutschen Gesellschaft zu Jena aus den höheren Wissenschaften auf das Jahr 1753 und (2) … aus den schönen Wissenschaften …, herausgegeben von Carl Gotthelf Müller, der Beredsamkeit und Dichtkunst ordentlichen öffentlichen Lehrer und der Gesellschaft Senior. Entgegen allen Erwartungen wurden beide Reihen nicht fortgesetzt. Die Erfurter Akademiegründung Im selben Jahr (1754) wurde die Gründung einer Gesellschaft angeregt, die Mathematiker, Naturforscher und Ökonomen zum Zweck der „Landesverbesserung“ vereinigen sollte. Die Frage, ob sie sich mit der TGJ vereinigen lasse, wurde vom Aufseher Johann Peter Reusch (1691–1758), seit 1731 Prof. der Philosophie und ab 1755 der Theologie, kurz erläutert25 und durchaus für möglich gehalten. Dem Schreiben war ein Aufsatz beigefügt, als dessen Verfasser man den Erfurter Regierungsrat von Lyncker26 (Lincker; 1708–1776) vermutete, der als Praktiker auf diesem Gebiet sehr geschätzt wurde. 23

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25 26

Zu Ziegler vgl. Marwinski, Gelehrte Frauen (wie Anm. 21), S. 222 f.; außerdem: Die Deutsche Gesellschaft zu Jena und die gelehrten Frauenzimmer. (1) Christiana Mariana von Ziegler, geb. Romanus, in: Palmbaum 8 (2000) 3/4, S. 6–15; am 17. Okt. 1733 erhielt die Dichterin und Übersetzerin den Ehrentitel Kaiserl. gekrönte Poetin durch die Wittenberger Universität. Vgl. Forts.: (2) Sidonia Hedwig Zäunemann, in: Palmbaum 8 (2000) 3/4, S. 16–31. – Hierzu Erg.: Sidoniens Poesie, voll Lieblichkeit im Lesen … über die thüringische Dichterin S. H. Zäunemann und ihre Resonanz in der gelehrten Welt, in: Blätter des Vereins für Thüringische Geschichte 11 (2001) 2, S. 6–22. Rundschreiben vom 26. Aug. 1754 = Akten TGJ, Ms. Prov. f. 132/10, Bl. 189–190. Verf.: Johann Daniel Christoph Reichsfreiherr von Linckers Projekte und Consilia während der Zeit seiner Präsidentschaft der Kurfürstl. Mainzischen Akademie nützlicher Wissenschaften zu Erfurt 1754 bis 1763, in: Vitalprinzip Akademie, Festgabe der Akademie gemeinnütziger Wissen-

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Die befragten Mitglieder hatten gegen eine ökonomische Gesellschaft nichts einzuwenden, sahen sich aber nicht in der Lage, auf diesem Gebiet tätig zu werden. Darjes27 wandte ein, dass, wenn etwas Nützliches herauskommen solle, man schon vorher feststellen müsse, ob sie in Jena überhaupt möglich sei, was er mit Nachdruck bestätigte – viel eher, „als an einem anderen Orte“, meinte er. Die angekündigte und keinesfalls abgelehnte Gesellschaft wurde aber nicht in Jena ansässig, sie entstand vielmehr in Erfurt als Kurfürstlich Mainzische Gesellschaft bzw. Akademie nützlicher Wissenschaften, zum Präsidenten wurde Johann Daniel Christoph Reichsfreiherr von Lincker und Lützenwick bestimmt Der Stiftungsbrief wurde schon am 19. Juli 1754 durch den Mainzer Kurfürsten und Erzbischof Johann Friedrich Carl Graf von Ostein (1689–1763) ausgestellt, im Protokollbuch der TGJ wird aber erst am 11. Oktober 1754 vermerkt, dass sich die „ökonomische Gesellschaft“ unter kurmainzischen Schutz begeben habe und in Erfurt errichtet worden sei.28 Gewissermaßen als „Abgesandte“ der Jenaer Universität leisteten Jenaer Professoren einen wesentlichen Beitrag am Zustandekommen dieser neuen, praxisorientierten Bildungsstätte. Zu den dortigen frühen auswärtigen Mitgliedern gehörten: Johann Georg Darjes (Dankschreiben29 vom 12. Sept. 1744 an Lincker); er ging 1763 an die Universität Frankfurt/Oder, wo er eine Gelehrte Gesellschaft zum Nutzen der Künste und Wissenschaften ins Leben rief, deren Präsident er wurde. Auf seine Empfehlung hin wurde Lorenz Johann Daniel Succow (Aufnahme: 19. Juli 1754) zum Mitglied in der Akademie ernannt. Weiterhin beteiligten sich von Jena aus Gotthelf Hartmann Schramm (Aufnahme: 19. Juli 1754), Magister, später Prof. der Philosophie Carl Gotthelf Müller (Dankschreiben vom 16. Okt. 1754),30 Senior der TGJ, Carl Friedrich Kaltschmied(t; 1706–1769)31, seit 1738 Prof. der Medizin, Johann Peter Reusch (1691–1758; Dankschreiben vom 20. Dez. 1754 Prof. der Philosophie und Theologie)32 und Christian Gottlieb Buder (Aufnahme: 19. Juli 1754), seit 1730 Prof. der Rechtswissenschaft und seit 1738 Prof. der Geschichte.

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schaften zur 450-Jahrfeier der Friedrich-Schiller-Universität Jena (… Sonderschriften 38), Erfurt 2008, S. 69–113. – Schreibweise auch Lyncker. Joachim Georg Darjes (1715–1791), seit 1744 Prof. für Moral und Politik, vorn. Mitgl. Nr. 63. ThULB Jena, HSA, Akten TGJ, Ms. Prov. q. 78 (11. Okt. 1754). Verf.: Einblicke in die Korrespondenz der Kurfürstl. Mainzischen Akademie nützlicher Wissenschaften zu Erfurt aus den ersten fünf Jahrzehnten ihres Bestehens, in: Miscellanea – neue Beiträge zur Erfurter Akademiegeschichte (Sonderschriften, 42), Erfurt 2011, S. 23–166; hier: S. 38–42. Ebenda, S. 48 f. Ebenda, S. 40, Anm. 52. Ebenda, S. 58–60.

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Erstes Ehrenmitglied wurde „Ihro Excellenz der Hr. Graf von Bühnau weyland Kaiserl. Maj. geheimder Rath und dermahlen Statthalter zu Eisenach“.33 – Es erstaunt schon, dass der in Gera lebende, neben seiner Arbeit botanische Studien betreibende Materialwarenhändler Tobias Hoppe (1697–1778) vorbehaltlos in den Kreis der renommierten Gelehrten und Standespersonen eingereiht wurde.34 Bei der „Verwandlung der TGJ in eine Akademie der Wissenschaften“ war Müller unverdrossen bemüht, Erbprinz Ernst August Constantin [vertreten durch Bünau] „zu einer günstigen Entschließung“ zu bewegen. Doch dieser verharrte in seiner ablehnenden Haltung, die offizielle Bestätigung der bereits „praktizierenden“ Akademie blieb aus. Eine der Ursachen für dieses merkwürdige Verhalten könnte in privaten Unstimmigkeiten zu suchen sein. Bünau in Oßmannstedt und Lincker in Denstedt waren im Ilmtal unmittelbare Nachbarn, trotz unterschiedlicher Zielstellungen wären sich wohl auch die beiden Akademien „zu nahe“ gewesen. Das tatkräftige, praxisbezogene Erfurt sollte sich für eine Akademie nützlicher Wissenschaften als der geeignetere Standort erweisen.35 – Lincker fehlt übrigens in den Matrikeln der TGJ, obwohl ein auf seinen Namen ausgestelltes Diplom vom 28. Januar 1757 erwähnt wird. 25-jähriges Bestehen der TGJ Das 25 Gesellschaftsjubiläum der TGJ wurde am 19. April 1755 feierlich begangen, eine Gedenkmedaille wies symbolisch auf ihre Wurzeln im 17. Jahrhundert hin: Am 24. August 1617 war im Weimarer Schloss durch Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen nach dem Vorbild der in Florenz seit 1582 (bis heute) bestehenden Accademia della Crusca, deren Mitglied er war, die Fruchtbringende Gesellschaft, auch Palm(en)orden genannt, ins Leben gerufen worden. Sie bestand bis 1680 und widmete sich vorrangig der deutschen Sprache,36 eine ihrer Devisen lautete: „Gut rein Deutsch reden und schreiben.“ Unter Zurücksetzung von Standesschranken konnte jeder Gebildete, der damals ein Liebhaber von Ehrbarkeit, Tugend und Höflichkeit, „vornehmlich aber des Vaterlandes“ war, Mitglied werden und sich der Pflege der Muttersprache annehmen. Die Matrikel der TGJ verzeichneten zu diesem Zeitpunkt 130 vornehme / 38

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Marwinski, Akademie (wie Anm. 19), S. 105. Verf.: Ein Brief des Geraer Naturforschers Tobias Conrad Hoppe vom 4. Jan. 1755 an die neugegründete Kurfürstl. Mainzische Akademie nützlicher Wissenschaften zu Erfurt, in: Jahrbuch des Museums Reichenfels-Hohenleuben 169=55 (2010) S. 39–54. Schon von 1735 bis 1769 war die älteste Akademie Deutschlands, die 1652 gegründete Leopoldina, unter ihrem 6. Präsidenten Andreas Elias (von) Büchner (1701–1769) in Erfurt ansässig gewesen, ehe sie nach einigen Ortswechseln ab 1878 für die Dauer ihren Sitz in Halle nahm. Conermann, Klaus / Herz, Andreas / Schmidt-Glintzer, Helwig: Die Fruchtbringende Gesellschaft, Gesellschaftsgedanke und Akademiebewegung, in: Döring/Nowak, Gesellschaften (wie Anm. 2), Teil 1, 2000, S. 19–38.

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außerordentliche / und 178 ordentliche Mitglieder, unter ihnen nominell so bekannte Persönlichkeiten wie Christian Fürchtegott Gellert, Friedrich Gottlieb Klopstock, Gotthold Ephraim Lessing, Johann Carl August Musäus und Jozef Andrzej Graf von Załuski. Drei Jahre später (1758) wurde das 200-jährige Universitätsjubiläum feierlich begangen. Am 4. Februar, einem Sonnabend, traten die TGJ und die Lateinische Gesellschaft gemeinsam öffentlich in Erscheinung, die Aufnahme von 5 neuen vornehmen Mitgliedern wurde bekanntgegeben, auf die angekündigte Preisvergabe jedoch verzichtet. 1758 wurde für die Gesellschaft zum Schicksalsjahr, denn sie hatte „einen dreyfachen schmerzlichen Todesfall“ zu beklagen. Es verstarben der Aufseher Johann Peter Reusch, der Gesellschaftssekretär Basilius Christian Bernhard Wiedeburg und der Gesellschafts-Bibliothekar Jakob Wilhelm Blaufus (1723–1758). 1760 folgte ihnen der Senior Carl Gotthelf Müller nach, dem die TGJ ihr Ansehen und ihren Aufschwung zu verdanken hatte, denn die 1750-er Jahre, in denen sie sich als tätige Akademie der schönen Wissenschaften und Künste verstand, stellen den eigentlichen Höhepunkt in der Gesellschaftsgeschichte dar. Die Realisierung der Akademie blieb ein Wunschtraum, wenn sie an einem derartigen Status unverändert festhielt. Nach dem Tod Müllers stagnierte das Gesellschaftsleben, neue Impulse erhielt es erst 1767, als der 10-jährige Erbprinz Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach in der Nachfolge seines Vaters und unter der Vormundschaft seiner Mutter, der Herzogin-Witwe Anna Amalia, das Protektorat antrat. Die Gesellschaft wirkte jetzt mehr im Hintergrund. Sie galt 1777/78 als die einzige „noch lebende teutsche Gesellschaft“, 1787 informierten die Jenaische(n) gelehrte(n) Anzeigen (Stück 74/75 vom 14./17. September) ihre Leser unter der Rubrik „Wissenschaften überhaupt“ wie folgt: „Die Herzogl. Gesellschaft der höhern Wissenschaften wird sich an den festgesetzten Tagen und bey ausserordentlichen Feierlichkeiten Sonnabends um 2 Uhr in dem öffentlichen juristischen Hörsaale versammeln. Die Herzogl. deutsche und lateinische Gesellschaft werden Sonnabends, iene um 2 Uhr in dem Hause ihres Aufsehers, des Hrn CammerRaths Wiedeburg, diese aber um 3 Uhr in dem Hörsaale ihres Directors, des Hrn Geh. Justiz-Raths Walch, zusammen kommen.“

Sowohl die Akademische als auch die Budersche Bibliothek waren mittwochs und sonnabends für Liebhaber geöffnet, jedem Studierenden stand es frei, sie zu besuchen. „Unter Bedingung der Unterschrift eines hiesigen öffentlichen Lehrers“ konnten Bücher entliehen werden, auch das Herzogl. Museum war nach vorhergehender Anmeldung zu besichtigen. Die Beziehungen zwischen Universität und Öffentlichkeit hatten sich in bemerkenswerter Weise entwickelt, die Sozietäten trugen den neuen bildungspolitischen Vorstellungen Rechnung. Den Schlusspunkt in der Geschichte der TGJ setzte der Tod ihres letzten Aufsehers Lorenz Johann Daniel Succow. Er war um 1772 der TGJ beigetreten, 1793 Mitglied der Naturforschenden Gesellschaft und 1798 der Sozietät für die gesamte Mineralogie ge-

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worden. Sein „Verhaltensprofil“ ist aber erst dann abgerundet, wenn man hinzufügt, dass er sein Leben lang in mehrere freimaurerische Logen fest mit eingebunden war.37 Die Wörterbuchfrage (1768/69), die letzte der zu ermittelnden Preisaufgaben, war eng mit der 40-jährigen Gesellschaftsgeschichte verbunden, denn sie schlug den Bogen bis in die Gründerzeit, als Johann Heinrich Meister II (1705–1789) am 18. Februar 1730 die erste Rede in der bestätigten Teutschen Gesellschaft hielt und die kollektive Erarbeitung eines „vollkommenen Wörterbuchs“ der deutschen Sprache vorschlug. Im Rahmen der Akademiekonzeption entwickelte Müller später (1753) das Projekt „eines brauchbaren deutschen Wörterbuchs“, das er sich als ein Gemeinschaftsunternehmen sämtlicher Deutschen Gesellschaften vorstellte. Auch hier blieb es bei der Wunschvorstellung, weil die Zeit für derartige Unternehmungen noch nicht reif war. Die TGJ nahm unter den zahlreichen Deutschen Gesellschaften aufgrund ihrer Leistungen eine bevorzugte Stellung ein, denn sie förderte jahrzehntelang sowohl die muttersprachliche Bildung der Studierenden als auch das überregionale Ansehen der Universität. Als ein bleibendes „Denkmal der Erinnerung“ gelangte die wertvolle Gesellschaftsbibliothek statutengemäß in die Universitätsbibliothek. Im Rahmen der frühen elektronischen Bestandserschließung wurde ein gedrucktes Bestandsverzeichnis erarbeitet und die ehemalige Gesellschaftsbibliothek virtuell rekonstruiert.38 Mit Gründung und Start der TGJ war das Wirken von Fabricius in Jena keineswegs beendet. Weil ihm die Universität „stehende Gesellschaften“ untersagt hatte, gründete er 1732 die Vertraute Rednergesellschaft (in Thüringen), die bis etwa 1740, seinem Weggang nach Braunschweig, bestand. Ihm trat bald darauf (1735) Magister Johann Friedrich Cramer mit einer Kleinen vertrauten Rednergesellschaft zur Seite, die wohl nur kurzzeitig existierte. Als letzte Gründung von Fabricius ist das Institutum Litterarium Academicum für den Zeitraum von 1751 bis nach 1754 zu erwähnen, das überlokal ausgerichtet war. „Frage, Antwort und Gegenantwort“ wurden geübt sowie Informationsübermittlung und Urteilsbildung trainiert. Sein letztes Modell einer Bildungsgesellschaft entwickelte der betriebsame Gelehrte für die Bürger einer mittelgroßen Stadt, gemeint ist sein letzter Wirkungsort Nordhausen.39 Sie sollte durch Protektor, Präsident, Direktor und Sekretär geleitet werden und aus Ehrenmitgliedern und ordentlichen Mitgliedern bestehen. Letztere machten

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38 39

Vgl. Neugebauer-Wölk, Monika: Mitglieder der Akademie nützlicher Wissenschaften zu Erfurt im Gesamtspektrum der Aufklärungsgesellschaften, in: Döring/Nowak, Gesellschaften (wie Anm. 2), Teil 3, 2002, S. 145–161; hier S. 150. – Succow war in mindestens 11 Gesellschaften, davon 4 im öffentlichen Bereich, Mitglied: 1745 Loge Zu den drei goldenen Schlüsseln, Halle / 1746 Loge Zu den drei Rosen, Jena / nach 1760 Hochkapitel Zion, Jena / Hochgradloge Capitel von Jerusalem, Jena / Hochgradloge; 1764 Ritter der Strikten Observanz / um 1774 Loge Amalia, Weimar / 1785 Illuminatenorden, Jena. Verf.: Der Deutschen Gesellschaft zu Jena ansehnlicher Bücherschatz (Beiträge zur Geschichte der ThULB, 5), Jena 1999 (1323 Titel). Marwinski, Fabricius (wie Anm. 15), S. 93 f.

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den „Corpus“ der Gesellschaft aus und wählten einstimmig die Funktionsträger. Die Gruppierung war universal ausgerichtet, um Diskussionsstoff zu gewinnen, sollte jedes Mitglied ein Zeitschriftenabonnement übernehmen. Der sich hier abzeichnende Übergang zur bürgerlichen ( Journal-) Lesegesellschaft ist unverkennbar, wie denn auch im Hintergrund die Struktur der TGJ sichtbar wird, auf deren Existenz er besonders stolz war. Wie er in seinem Hauptwerk Abriss einer allgemeinen Historie der Gelehrsamkeit erwähnt,40 waren ihm bis dahin etwa 30 der deutschen Sprache verpflichtete Gesellschaften bekannt geworden. Mitte des 18. Jahrhunderts bildeten sich in Jena aber noch anderweitige Diskussionszentren heraus. Auf den Magister Johann Christian Fischer (1707–1793), Mitglied in der Lateinischen Gesellschaft, geht die von 1745 bis 1753, bzw. um 1760 bestehende Jenaer Philosophische Gesellschaft zurück, die von einem Mitglied der TGJ, Johann Wilhelm Schaubert (1720–1751; ord. Mitgl. Nr. 106), fortgesetzt wurde. Auch in diesem Kreis gab Fabricius ein kurzes Zwischenspiel. Von etwa 1753 bis 1760 bestand an der Universität eine (Privat-)Gesellschaft zur Übung des Verstandes, der Förderung der Künste und des gemeinen Bestens, auch Physiokratische Gesellschaft genannt, die von dem Magister der Philosophie, Johann August Schlettwein (1731–1802), einem Schüler von Darjes, später auch korrespond. Mitglied der Erfurter Akademie, geleitet wurde.41 Sie zählte insgesamt 55, überwiegend aus Norddeutschland stammende Mitglieder, die sich mit staatstheoretischen, philosophischen, religiösen, landwirtschaftlichen und ökonomischen Fragen befassten. Eine offizielle Anerkennung blieb aus. Joachim Georg Darjes, der als Magister in Fabricius’ Rednergesellschaft mitgewirkt hatte, veröffentlichte 1759/60 im Rahmen der Jenaischen philosophischen Bibliothek Arbeiten von Mitgliedern einer (der obigen?) nicht näher benannten [Philosophischen] Gesellschaft, die vermutlich bis zu seinem Weggang nach Frankfurt/Oder 1763 tätig war.42

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Fabricius, Johann Andreas: Abriß einer allgemeinen Historie der Gelehrsamkeit. Bd. 3, Leipzig 1763, S. 773–781. Vgl. Feyl, Othmar: Deutsche und europäische Bildungskräfte der Univ. Jena von Weigel bis Wolff (1650–1850), in: WZ FSU Jena, GSR 6 (1956/57) H. 1/2, S. 27–62; hier: S. 47. Dörfel, Günter: Gelenkte Kommunikation – die geschlossene Gesellschaft des Joachim Georg Darjes und ihr Kommunikationsorgan, die Jenaische philosophische Bibliothek, in: Herbst, Klaus Dieter / Kratochwil Stefan (Hrsg.): Kommunikation in der Frühen Neuzeit, Frankfurt a. M. 2009, S. 253–272.

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Die Lateinische Gesellschaft zu Jena / Societas Latina Jenensis (SLJ) Die zweite markante Sprachgesellschaft an der Universität war die Societas Latina Jenensis,43 eine „Schwester“ der Teutschen Gesellschaft. Sie wurde 1733 durch den aus Aurich in Friesland stammenden Georg Ludwig Hert(z)og (imm. am 23. Mai 1729) ins Leben gerufen. Er hatte in Jena Philosophie, Jura und Geschichte studiert, 1732 wurde er Magister der Philosophie und 1734 Adjunkt der Philosophischen Fakultät, 1735 erwarb er den juristischen Doktorgrad, 1737 erhielt er eine ao. Professur der Weltweisheit und Jurisprudenz. Im gleichen Jahr verstarb er nach längerer Krankheit. Herzog war schon als Student (seit dem 4. August 1731) Mitglied der TGJ (ord. Mitgl. Nr. 27) geworden und seit 1733 darum bemüht, nach ihrem Vorbild eine Parallelorganisation für die lateinische Sprache zu errichten. Die Gruppe um Herzog stellte beim Senat den Antrag auf öffentliche Anerkennung und Genehmigung der Statuten. Unterschrieben war er von Herzog und 11 Studierenden, unter denen sich auch sein jüngerer Bruder Albert Christian Carl befand. Dem Antrag wurde am 4. Juni 1734 stattgegeben.44 Die Thüringische(n) Nachrichten von gelehrten Sachen, sonderlich der Universität Jena45 berichteten über das Ereignis der Gründungszeremonie: „Heute [am 5. Juni] ist in Jena eine so genannte Lateinische Gesellschaft, nach Art der hieselbst blühenden Teutschen Gesellschaft eingerichtet, durch öffentliche Reden in dem grossen Theologischen Hörsaal gleichsam eingeweihet worden. Der Herr Prof. Kromayer, welcher wegen seiner großen Wissenschaft in der lateinischen und griechischen Sprache von langen Zeiten her, einen ungemeinen Ruhm, so wohl hier als anderwärts, erworben hat, ließ sich, als Aufseher dieser Gesellschaft, unter andern mit einer unvergleichlichen lateinischen Rede hören. Eben dergleichen taten auch der Herr Graf Reuß, von Köstritz, welche[r] als Obervorsteher oder Präses dieser Gesellschaft, wegen dero wohlgesetzten Rede mit ungemeinem Beifall allen gegenwärtigen Herren Professoren und einer großen Menge Studenten angehöret worden. Diese Gesellschaft ist von einigen geschickten Studenten, zum Aufnehmen der lateinischen Sprache, gestiftet worden. und versammelt sich alle Sonnabend um 3 Uhr, da denn einige Proben abgeleget und beurteilet werden.“

Die Unterzeichner kamen aus Friesland (3), Hannover (2), Gotha, Eisenach, Mühlhausen, „Sachsen“, „Thüringen“ und Kurland. Vermutlich als Freund von Johann

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Hier und im Folgenden: Jaumann, Herbert: Die Societatis Latina Ienensis (1734–1848), in: Döring/Nowak, Gesellschaften (wie Anm. 2) Teil 3, S. 33–70. Ebenda, S. 70. – Beurkundet am 4. Juni 1734 durch den Prorektor Friedrich Andreas Hallbauer. Thüringische Nachrichten von gelehrten Sachen, sonderlich der Universität Jena (1734) 23, 5. Juni, S. 185 f., unter der Rubrik Historia.

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Christian Göckel (geb. 1715) hatte sich Alexander Adam von Sinclair(e) (1713–1778) aus Schottland der SLJ angeschlossen (verabschiedet 1734). Die SLJ war ähnlich wie die Teutsche Gesellschaft strukturiert: Das Präsidium, ein „repräsentatives Ehrenamt“ (es sollte allezeit ein Graf sein), übernahm Heinrich IX. Reuß j. L.46 (1711–1780), Graf und Herr zu Plauen, aus der Köstritzer Seitenlinie, der zusammen mit seinem Bruder Heinrich X.47 am 14. April 1733 in Jena immatrikuliert worden war. Keiner der Anwesenden ahnte, dass Heinrich IX., zweitältester Sohn des ersten Köstritzer Paragiatsherren Heinrich XXIV., nach seinem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften und der sich anschließenden Kavaliersreise seit den 1740-Jahren am preussischen Hof in Berlin eine bemerkenswerte Karriere durchlief. – 1772 wird als Präsident Heinrich XXIV. von Reuss-Ebersdorf j. L. erwähnt.48 Aufseher oder Direktor (stets aus dem Kreis der ord. Prof. gewählt) wurden der Philosophie-Prof. Johann Heinrich Kromayer (1689–1734) und nach dessen kurz darauf erfolgtem Tod im Juli 1734 Friedrich Andreas Hallbauer (1692–1750), Prof. der Beredsamkeit und Poesie. Unter seiner Leitung kam die erste Sammlung von Gesellschaftsschriften heraus: Exercitationes Societatis Latinae Jenensis (2 Bde, Leipzig/Halle 1741–1743), die auch die Gesetze der SLJ in 70 Paragraphen enthielten, zu der 1737 weitere 16 hinzukamen. – Ohne Unterschrift des Direktors durfte auch hier kein Text aus den Reihen der Mitglieder publiziert werden. Erster Ephorus (Vorsteher, aus dem Kreis der Magister und Doktoren gewählt) war der Initiator des Unternehmens, Georg Ludwig Herzog, sein Nachfolger im Amt wurde der Jurist Christian Heinrich Eckhard (1716–1751), der später (1750) von Hallbauer das Direktorat übernahm. Der Ephorus war für die Kasse und den Schriftverkehr zuständig, er verwaltete Archiv und Bibliothek und hatte am Stiftungstag die Festrede zu halten. Der Secretarius, aus den ord. Mitgliedern gewählt, führte während der Sitzungen das Protokoll, besondere Ereignisse hatte er zu vermerken. Für die außerhalb des akademischen Zeitplanes vorgesehenen wöchentlichen Zusammenkünfte waren die freien „Nebenstunden“ vorgesehen. Die studentische Übungsgesellschaft traf sich samstags um 15 Uhr im Hörsaal des Direktors, so dass es zu keiner Überschneidung mit der TGJ kommen konnte. Die Mitglieder übten sich mündlich und schriftlich im Lateinischen. Sie hielten Vorträge oder teilten selbst ver46

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Imm. SS 1733, 14. Apr., Nr. 58, S. 203: „Heinrich der Neundte Jüngerer Linie Reuß, Graf und Herr zu Plauen“. – Unter König Friedrich II. von Preußen wurde er 1753 Geheimer Etats- und Kriegsminister und Präsident des Kgl. Preuß. Oberappellationsgerichts, 20 Jahre später (1773) hatte er es „praktisch (bis) zum ersten Beamten in Preußen“ gebracht und war entsprechend einflussreich (Friedrich Wilhelm Trebge: Ein preußischer Reuße, in: Der Heimatbote, Greiz 47 (2001) 10, S. 9–15). Ebenda: „Heinrich der Zehende Jüngerer Reuß, Graf und Herr von Plauen“, 14. Apr., Nr. 59, S. 203. Schmid, Achatius Ludwig Carl: Zuverlässiger Unterricht von der Verfassung der Herzoglich Sächsischen Gesamtakademie zu Jena, Jena 1772, S. 224–226 (Präsident S. 224).

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fertigte Aufsätze und Gedichte mit, die von den Anwesenden kritisch zu beurteilen waren. Bei dem jugendlichen Alter der aktiven Mitglieder blieb es nicht aus, dass auch in dieser Gesellschaft Zwistigkeiten zu Tage traten. Gleich zu Anfang (1734) erregten abwertende Rezensionen der Schriften Herzogs durch Fabricius in den von ihm herausgegebenen Thüringischen Nachrichten von gelehrten Sachen die Gemüter. Sein Bestreben, unliebsame Konkurrenten zu diskreditieren, wurde wiederholt beanstandet. Die Manuskripte der abgelesenen Abhandlungen sollten von der Gesellschaft archiviert und der jährliche Stiftungstag durch je eine Rede in Prosa und in Versen gefeiert werden. Für 1741 wurden 70 Ehren-, 10 korrespond. und 50 ord. Mitglieder angegeben. 25 Jahre lang, von 1752 bis 1778, lenkte Johann Ernst Immanuel Walch (1725–1778), Prof. der Logik und Metaphysik, die Geschicke der SLJ.49 Zwischen 1752 und 1756 erschienen unter seiner Leitung fünf Bände der Acta Societatis Latinae Jenensis, die alle Gebiete der Altertumswissenschaften umfassten und den Ruf der Gesellschaft als gelehrte Bildungsstätte überregional festigten. Seit 1751 nahm Erbprinz Friedrich [IV.] von Sachsen-Gotha und Altenburg das Amt des Protektors wahr.50 Der erstgeborene Sohn von Herzog Friedrich III. (1699–1772; reg. st. 1732) und seiner Gemahlin Luise Dorothea (1710–1767) war von 1744 bis 1750 in Genf und Paris sorgfältig erzogen und allseitig ausgebildet worden, doch starb er schon mit 21 Jahren nach schwerer Krankheit. Das repräsentative Amt ging 1764 aus Anlass des 30-jährigen Gründungsjubiläums der SLJ auf Erbprinz Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach über, der damals erst sieben Jahre alt war.51 In den 1770-er Jahren vergab die SLJ Preisaufgaben, die sich auf die Geschichte des Grünen Schlösschens in Weimar (den heutigen Sitz der Herzogin Anna Amalia Bibliothek) und die Verdienste der Herzogin Anna Amalia als Regentin bezogen. 1758 wurde das 200-jährige Universitätsjubiläum festlich begangen. Die mit Pauken und Trompeten angekündigte Illumination der SLJ trug ganz wesentlich zur Verherrlichung des Musensitzes bei.52 Unter den Ehrenmitgliedern, die aus diesem Anlass ernannt wurden, befanden sich D. Siegmund Basch, Herzogl. S.-Weimarischer Oberhofprediger, auch Generalsuperintendent / D. Carl Friedrich Kaltschmied, „der Arz-

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Sein jüngerer Bruder, Christian Wilhelm Franz Walch (1726–1784), seit 1750 ao. Prof. der Philosophie in Jena, war 1753, bevor er nach Göttingen ging, Ephorus der SLJ. Schmid, Unterricht (wie Anm. 48), S. 225; Fabricius, Abriß (wie Anm. 40) S. 783. – Zu Erbprinz Friedrich (1735–1756) vgl. Ehrengedächtniß des weiland Durchlauchtigsten Fürsten und Herrn Friederichs, Herzogs zu Sachsen, Jülich, Cleve und Berg … der Fürstenthümer Gotha und Altenburg in Gott ruhenden Erbprinzens, Gotha 1756. ThULB Jena, HSA, Akten SLJ, Ms. Prov. q. 9, Bl. 26v–27r. – Vgl. auch Schmid, Unterricht (wie Anm. 54), S. 225. Kurze Nachricht von den Bemühungen der lateinischen Gesellschaft zu Jena, zur Verschönerung der zwoten akademischen Jubel-Feier, insbesondere die von ihr angestellte Illumination betreffend, Jena 1758.

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neigelahrheit oberster und ältester Prof. auf hiesiger Akademie“ / Herr Angelus Maria Bandini (1726–1803), Großherzogl. Bibliothecarius zu Florenz. Unter den ao. Mitgliedern der SLJ findet sich auch der vielseitig interessierte Magister Johann Daniel Titius (eigentl. Tietz; 1729–1796) aus Konitz in Westpreußen. Er war Prof. der Mathematik, später der Physik in Wittenberg und, noch bevor er zum Mitbegründer der (2.) Wittenberger Deutschen Gesellschaft wurde, die dort von 1756 bis 1784 bestand, Mitglied der Jenaer TGJ (ao. Mitgl. Nr. 31). „Nebenberuflich“ gab er von 1768 bis 1792 das Wittenbergische Wochenblatt heraus. Titius war 1768 der erste Preisträger des durch die Danziger Naturforschende Gesellschaft vergebenen „Verch-Preises“, der sich auf die zunehmende Versandung der Danziger Nehrung, und wie ihr vorzubeugen sei, bezog.53 Nach dem Tod seines Bruders (1778) führte der Jurist Karl Friedrich Walch (1734– 1799) die Amtsgeschichte bis 1799 weiter, fast ein halbes Jahrhundert hindurch hat das Bruderpaar die Profilierung der TGJ bestimmt. Durch ungünstige Zeitumstände und veränderte Schwerpunktsetzungen in der akademischen Ausbildung bedingt, verlor die Gesellschaft mehr und mehr an Bedeutung. Durch intensive Mitgliederwerbung versuchte sie dem Trend entgegen zu wirken. 1795 „gab sie sich die Ehre“, Friedrich August Wolf (1759–1824), „dem genialsten Altertumsforscher und ersten Kritiker seiner Zeit“, die Ehrenmitgliedschaft anzutragen. Er hatte am 15. Oktober 1787 das Seminarium Philologicum Hallense zur Ausbildung von Lehrern in den alten Sprachen gegründet. Der Vorgang wird in dem Aufsatz von Manfred Simon „Friedrich August Wolf und die Societas Latina Jenensis“ unter Wiedergabe der Korrespondenz vom 13. September 1795 dokumentiert.54 Nach einer langen Pause, 1931 war der historische Überblick von Georg Goetz erschienen,55 wurde mit dieser Arbeit die SLJ wieder ins Gespräch gebracht. Eine neue Ära begann für die SLJ, als 1800 Heinrich Carl Abraham Eichstädt (1772–1848) die Direktion übernahm. Er galt allgemein als hervorragender Latinist, seine „stilistische Gewandheit“ wurde besonders hervorgehoben. Seit 1797 Prof. der Poesie und Beredsamkeit, übernahm er 1804 die Redaktion der neugegründeten Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung, die er bis 1842 beibehielt. Von 1804 bis 1817 war er 53

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Titius, Johann Daniel: Abhandlung über die von der naturforschenden Gesellschaft in Danzig aufgegebene Frage: Welches die dienlichsten und am wenigsten kostbaren Mittel sind, der überhandnehmenden Versandung in der Danziger Nähring (!) vorzubeugen und dem weitern Anwachs der Sanddünen abzuhelfen, welcher der … Preis am 10. May 1768 zuerkannt worden; nebst der auf wohlgedachten Herrn Stifter … gehaltenen Lobrede (von Christian Sendel), Leipzig 1768. – Titius war Mitglied der Leipziger Ökonomischen Gesellschaft und der NFGJ, der er „7 auserlesene Mineralien“ schenkte. Simon, Manfred: Friedrich August Wolf und die Societas Latina Jenensis, in: WZ FSU Jena GSR 20 (1971) H. 5, S. 179–184. Götz, Georg: Geschichte der klassischen Studien an der Univ. Jena, Jena 1928 (Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte und Altertumskunde, N. F., Beih. 12); Ders.: Die Societas latina in Jena, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte 37=N. F. 29 (1931) S. 342–355.

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gleichzeitig Oberbibliothekar an der Universitätsbibliothek, wo „taugliche Mitglieder der Lateinischen Gesellschaft“ als Hilfskräfte seinen Assistenten bei dessen Arbeiten unterstützten. Eichstädt wollte „das was da ist, zum Besten kehren“, und die Lateinische Gesellschaft, das „alte und ehrwürdige Institut“, zu neuem Leben erwecken. Die hierzu notwendigen Schritte teilte er in seiner Antrittsrede dem Publikum mit.56 Der ungenannte Rezensent57 dieser Schrift betonte, dass Eichstädt durchaus uneigennützig handele, denn „bey der ganzen Direction (sei) auch nicht der geringste äußere Vorteil zu erhaschen“. Er versicherte, dass die SLJ mit ihren neuen Publikationen den Seminarien und philologischen Anstalten anderer Universitäten in nichts nachstehen werde. Ihm gefiel die Idee, aus Werken in den neuen Sprachen „zweckmäßige Auszüge“ anzufertigen und in lateinischer Sprache zu rezensieren. – Eichstädts Mitteilung über die SLJ als Institution (sie bestand zu diesem Zeitpunkt aus 27 ord. Mitgl.) war nach langem Stillschweigen wieder ein erstes Lebenszeichen. Der damals 27-Jährige leitete praxisorientierte Reformen ein, die einen Anstieg der Mitgliederzahlen zur Folge hatten und 1806 die Herausgabe des ersten (aber auch einzigen) Bandes der Nova Acta Societatis Latinae Jenensis ermöglichten. Für 1816 wird die Mitgliederzahl insgesamt mit 151 Ehren- und 145 ord. Mitgliedern angegeben. Als Nr. 149 wurde der slowakische Student Pavel Josef Šafárik58 (1795–1861), Begründer der slawischen Archäologie und Ethnographie, in die SLJ aufgenommen (stud. theol., imm. 27. Okt. 1815). Wie die Exzerpte in seinem Nachlass belegen, benutzte er die Universitätsbibliothek rege.59 Er verließ im Mai 1817 Jena, wo er aufgrund seiner „bereits herausgegebenen Schriftchen“ zwei Jahre später promovierte. Als das Verfahren an Eichstädt herangetragen wurde, unterstützte er ihn vorbehaltlos: „Hr. Schaffarik war mein fleißiger Zuhörer, er hat überdieß in privatissimis u. in der Lateinischen Gesellschaft wie in seinen Kenntnissen in den alten Sprachen [sich] so bewährt, daß ich ihm, auch ohne eingereichtes Specimen, meine Stimme zur Promotion gern gebe.“60 Das Doktordiplom für Šafárik ist vom 5. April 1819 datiert.

Die von Eichstädt seit langem angestrebte,61 1817 veranlasste Gründung des Philologischen Seminars zur Ausbildung von Lehrern in den alten Sprachen bewirkte, dass die SLJ, jetzt als Vorstufe hierzu gedacht, bei den Studierenden wieder an Interesse ver-

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Acroasis pro Societatis Latinae Jenensis instauratione. Scripsit Henricus Carolus Abraham Eichstaedt, Jenae: Goepferdt 1800. Allgemeine Literatur-Zeitung (1800) Nr. 237, 19. Aug., Sp. 409–411. Namensformen: Pavol Jozef Šafárik, slowakisch; Pawel Josef Šafařik, tschechisch; Paul Joseph Schaffarik, deutsch. Marwinski, Konrad: Šafárik und die Jenaer Akademische Bibliothek, in: Mitteilungen, Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena 7 (1997) H. 3, S. 19–35. Ebenda, S. 25. Vgl. Kurzinformation in: Nationalzeitung der Teutschen (1803) Nr. 27, 7. Juli, Sp. 585–587; in der letzten Sp. werden Seminare in Göttingen, Halle und Erlangen erwähnt.

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lor.62 Die Reorganisation zu Anfang der 1840-er Jahre misslang, mit dem Tod von Eichstädt (1848) erlosch die Gesellschaft endgültig. Die nachgelassene Büchersammlung (348 Bde) wurde in den Bestand der ThULB eingearbeitet. Die Lateinische Gesellschaft begleitete Generationen von Studierenden und trug zur Pflege und Erhaltung des Lateinischen als Gelehrtensprache wesentlich bei, die aktuelle Rezeption und Interpretation klassischer Texte wurde aufmerksam verfolgt. Für Studierende waren Übungen dieser Art insofern nützlich, als sie bis in die Mitte des 19. Jh. ein bevorzugtes Betätigungsfeld für Gymnasiallehrer waren, wie die Vielzahl der Schulschriften auf diesem Gebiet zeigt. Die in Jena ausgebildeten späteren Rektoren und Gymnasiallehrer dürften das Niveau des gymnasialen Unterrichtswesens weit über Thüringen hinaus beeinflusst haben. In Halle wurde 1736 unter der Leitung des aus Tröbsdorf bei Weimar stammenden Martin Heinrich Otto (1706–1738) ein „rühmlicher Anfang“ zu einer Lateinischen Gesellschaft gemacht, diese Societas Latina Halensis wies die gleiche Struktur wie die Jenaer auf. Bildungseinrichtungen als Multiplikatoren von Informationen Die Entwicklung der Sozietäten in der zweiten Hälfte des 18. Jh. vollzog sich vor dem Hintergrund eines grundlegenden Medienwandels. Die Zahl der Presseerzeugnisse stieg rasch an, auch in Jena kamen zahlreiche (zumeist nur kurzlebige) gelehrte Journale heraus. Der Kreis der Schriftsteller, Übersetzer und Journalisten, die ihre Fertigkeiten auf Universitäten erworben hatten, erweiterte sich zusehends. Unmittelbare Folgen waren das Ansteigen der Buchproduktion, die Ausweitung des Verlagswesens und die Herausbildung eines leistungsfähigen Buchhandels, der die neu entstandenen Lesebedürfnisse befriedigte. Die früheste bekannte thüringische Lesegesellschaft bildete sich 1763 in dem kleinen Dorf Bollstedt an der Unstrut bei Mühlhausen, weil die Teilnehmer über neue Verfahren des Kleeanbaus informiert sein wollten. Dadurch, dass das Schulwesen kontinuierlich verbessert wurde, stieg auf dem Lande das Bildungsniveau allmählich an. Wie aus den Biographien von Gesellschaftsmitgliedern hervorgeht, konnten unter günstigen Voraussetzungen auch Kinder von Gewerbetreibenden und Handwerkern aus dem ländlichen Raum ein Universitätsstudium absolvieren, das Gründungsmitglied der TGJ Johann Heinrich Meister II ist ein Beispiel hierfür. Belehrende und informierende Lesegesellschaften, die von Pfarrern, Schullehrern und engagierten Bürgern veranlasst worden waren, weckten und förderten das Bildungsinteresse. 62

Ein ähnliches Ende nahm die 1850 gegründete Mathematische Gesellschaft, denn als 1879 das „schon längst erforderliche“ Mathematische Seminar entstand, erwies sie sich als „völlig überflüssig“ und löste sich 1882 auf. Sie war von Hermann Schaeffer (1824–1900), seit 1856 Prof. für Mathematik und Physik, begründet worden, zu seinen Schülern gehörte Ernst Abbe.

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1785, mit 23 Jahren, entwickelte Christian Friedrich Mylius (1762–1841), Student der Philosophie und Pädagogik, für Jena ein ganzes System nützlicher Bildungsanstalten, das sowohl für die Studenten der Universität als auch für die Einwohner der Stadt gedacht war.63 Zuerst erwähnt er das Journal-Institut von Dr. Schröder, das von den Professoren und „einer sehr großen Anzahl Studierender aufs tätigste unterstützt“ werde. Er macht auch auf das Musikalische Leihinstitut aufmerksam, das der Kandidat der Theologie Stieda führte. Er selbst hatte eine Lesebibliothek aufgebaut, die von über 200 Mitgliedern frequentiert wurde. Zu dieser Zeit gab es in der Stadt eine Literarische Gesellschaft, an der Mylius ebenfalls teilnahm. 1788 übernahm der Buchhändler Johann Gottfried Voigt dessen Akademisches Leseinstitut, aus dem sich 1797/98 das Museum für Freunde der Wissenschaften und schönen Künste entwickelte, das 70 Professoren, Studenten und andere Freunde der Lektüre vereinigte (es wurden 13 politische und 14 gelehrte Zeitungen und 102 Journale angeboten, darunter allein 17 medizinische Fachzeitschriften). Die Literarische Gesellschaft der freien Männer Eine anders geartete Form des Umgangs mit der Literatur als Bildungsinstrument verkörperte die Literarische Gesellschaft (der freien Männer), die am 1. Juni 1794 ins Leben trat.64 Unter den 10 jungen Leuten, die an der Gründung beteiligt waren, begegnen uns der Theologie-Student Johann Smidt (1773–1857) aus Bremen, später Senator und Bürgermeister der Stadt, der Medizin-Student Friedrich Ludwig Lindner (1772–1845) aus Mitau, später als Arzt, Journalist und Schriftsteller tätig, und der Philosophie-Student Johann Friedrich Herbart (1776–1841) aus Oldenburg, der eine „allgemeine, auf den Zeck der Erziehung abgestimmte Pädagogik“ entwickelte. Die zentrale Bezugsperson dieser Gruppe war Johann Gottlieb Fichte, dessen Lebensphilosophie und Gesellschaftsbild die jungen Studenten beeindruckte. Die Verbreitung von Wahrheit und Tugend, die Gleichheit untereinander und das Ideal der Freundschaft miteinander bildeten den Kernpunkt des anspruchsvollen Gesellschaftsprogramms, das sich durch Niveau und Zielstellung deutlich von den bestehenden Studentenorden und Landsmannschaften abhob. Am 22. September 1794 verabschiedete die Gesellschaft neue Statuten, deren Druck die Universität zwar untersagte, die aber trotzdem 1795 (vermutlich) in Leipzig erschienen. Die von Idealen geprägten Reformbestrebungen der Beteiligten erwiesen

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Mylius, Christian Friedrich: Nachrichten von einigen in Jena errichteten neuen Literarischen Anstalten, nebst verschiedenen frommen Wünschen und gutgemeinten Verschlägen, Jena 1785. Verf.: „Wahrlich, das Unternehmen ist kühn …“ Aus der Geschichte der Literarischen Gesellschaft der freien Männer von 1784/99 zu Jena (Schriften zur Stadt-, Universitäts- und Studentengeschichte Jenas 4), Jena/Erlangen 1992.

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sich in der Praxis als nicht durchführbar und fanden deshalb auch nicht die erhoffte Resonanz, der erwartete Zustrom blieb aus. Die Gesellschaft bestand im kleinen Kreis als studentischer Zirkel fort (wöchentlich trafen sich 8 bis 12 Mitglieder), der letzte Eintrag im Protokollbuch ist vom 6. März 1799 datiert. Die Mitglieder bildeten sich durch Vorlesen eigener oder fremder Texte, Diskutieren, Schreiben und Rezensieren und erwarben auf diese Weise die notwendigen Fertigkeiten für ihr späteres Berufsleben. Aus dem überlieferten Protokollbuch (es weist insgesamt 54 aktive Mitglieder nach) geht die Vielfalt der behandelten Themen hervor. Philosophische, historische, politische, literarische, aber auch soziale Fragen wurden mit jugendlichem Schwung eingehend behandelt und gemäß dem erworbenen Wissensstand beantwortet und interpretiert. Thematisiert wurden zum Beispiel die Freiheit in der Gesellschaft, die Verpflichtung des Staatsbürgers, seine angestammte Staatsverfassung zu verbessern oder die oberste Einteilung der philosophischen Wissenschaft, diskutiert wurde über Revolution und Reformation, die Schädeltheorie des Anatomen Franz Joseph Gall, August Lafontaines Wert als Romanschriftsteller oder die Erwerbung einer eigenen, wahren Überzeugung. Freundschaftskult und Naturschwärmerei bestimmten das Gesellschaftsklima, das zahlreiche Sympathisanten anzog. Zu diesen zählte der Freimaurer Carl Friedrich Waitz (1774–1848), der als Geh. Kammerrat in Altenburg starb. Er studierte von 1791 bis 1795 in Jena die Rechte, zu seinem studentischen Freundeskreis zählten etwa 20 Personen, die der Literarischen Gesellschaft der freien Männer angehörten, ohne dass er selbst Mitglied geworden wäre.65 Während seiner Studienzeit schmiedete er Pläne zur Gründung einer Patriotischen Gesellschaft durch ganz Deutschland, zu einem studentischen Reformorden in Jena und zu einem freimaurerischen Damenorden in Weimar. Später war er an allen wichtigen Vereinigungen in seiner Heimatstadt beteiligt,66 auch in der Altenburger Literarischen Gesellschaft, die von 1780 bis 1849 bestand,67 war er tätig (Buchbestand heute in der ThULB). Zu den Besonderheiten der Jenaer Gesellschaft der freien Männer gehört, dass sie bis heute durch ihre Personenkonstellation nachwirkt, denn die Mitgliedschaft blieb ein Leben lang, wie es auch in anderen Gesellschaften üblich war, bestehen (der sog.

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Baade, Helmut: Carl Friedrich Waitz (1774–1848), ein Gelehrter aus der mitteldeutschen Residenzstadt Altenburg, in: Mauritiana (Altenburg) 29 (2015) S. 1–130; hier: S. 79 f., belegt durch Stammbuchblätter (Abb.). Ebenda, Tab. 11, S. 190: Freimaurerloge Archimedes zu den drei Reissbretern, 29. Jan. 1792/1803 Pomologische Gesellschaft des Osterlandes, Gründungsmitgl. / 1805 Botanische Gesellschaft, Initiator / 1817 Naturforschende Gesellschaft des Osterlandes, Mitbegr. / 1821 Mitglied der Gründungsversammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte in Leipzig, bis 1846 Teilnahme an den Jahresversammlungen / 1826 Mitglied im Altenburger Verein von Griechenfreunden; 1794 Mitglied NFGJ. Verf.: Die Literarische Gesellschaft zu Altenburg – ein Seitenstück zur Geschichte des Altenburger Bibliothekswesens. In: Zentralblatt für Bibliothekswesen 94 (1980) 5, S. 209–219.

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„Bund der freien Männer“). Die im bürgerlichen Alltag erbrachten Leistungen und die verklärende Rückschau in autobiographischen Texten bewirkten, dass sie immer wieder als Forschungsgegenstand neu entdeckt wurde. Der Gesellschaftstyp „Literarische Gesellschaft“ zeichnete sich durch Flexibilität und leicht zu gestaltende Organisationsformen aus, er spielte deshalb auch als unpolitische Alternative zu den Landsmannschaften eine Rolle. Georg Gottlieb Güldenapfel (1776–1826), langjähriges Mitglied der SLJ, später Professor der Philosophie und Bibliothekar an der Universitätsbibliothek, beteiligte sich um 1800 auch an einer solchen „von gleichgestimmten Freunden aus eigenem Antrieb geschlossenen“ Vereinigung.68 Nach seiner Erfahrung förderten Literarische Gesellschaften den Privatfleiß, weckten die Selbsttätigkeit und gaben durch „edlen Wetteifer“ untereinander den Studien immer wieder neuen Reiz. – Unter dem Theologie-Professor Carl Christian Erhard Schmid (1761–1812) bildete sich 1809 als Alternative zu den Studentenorden ein Verein der freien Studierenden heraus, dessen Mitglieder in literarischen Zirkeln (Kränzchen) organisiert waren und der bis etwa 1812 bestand, zeitweilig zählte er über 300 Mitglieder.69 Im Wintersemester 1839/40 formierte sich eine studentische Vereinigung (ohne präzise Namensgebung) zum Zwecke geselliger und literarischer Unterhaltung oder, wie es an anderer Stelle hieß, zur Förderung des wissenschaftlichen und geselligen Lebens unter den Studierenden.70 Seitens der Universität waren derartige „geschlossene“ Gruppierungen, falls sie die „von den akademischen Behörden festzusetzenden Bedingungen“ erfüllten, erlaubt. Die Gruppe verhielt sich (nach außen hin) musterhaft, so dass sie von Semester zu Semester die Auktorisierung erhielt. Die Mitglieder (Höchstzahl 25), die ihre „wissenschaftliche Bildung durch gegenseitigen Austausch ihrer Ansichten und Meinungen vervollkommnen“ wollten, waren nicht durch Gesetze, sondern nur durch das „Band der Freundschaft“ verbunden und in „Kränzchen“ organisiert. Die Vereinigung ist bis 1844 in den Universitätsakten nachweisbar, innerhalb des Studentenwesens steuerte sie zwischen Burschenschaft und Landsmannschaften einen neutralen, eigenwilligen Kurs.

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Güldenapfel, Georg Gottlieb: Jenaischer Universitäts-Almanach für das Jahr 1816, Bd. 1, Literarisches Museum für die Großherzogl. Herzogl. Sächsischen Lande, Jena 1816, S. 201. Keil, Richard / Keil, Robert: Geschichte des Jenaischen Studentenlebens von der Gründung der Univ. bis zur Gegenwart (1548 bis 1858), Leipzig 1858, S. 319–321. Imgart, Otto: Der Jenaer Verein 1839/41 und sein Vorläufer. Vortrag am 1. Apr. 1829 beim Marburger Studentenhistorikertag, in: Wingolfs-Blätter, Wolfratshausen 59 (1930) F. 1, 15. Jan., Sp. 8–19. Die Gruppierung war noch 1844 aktiv, erst dann könnte sie, weil sie kein Unterkommen fand, aufgelöst worden sein.

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Die Naturforschende Gesellschaft zu Jena (NFGJ) Der Gesellschaftstyp „Naturforschende Gesellschaft“ entwickelte sich seit Mitte des 18. Jahrhunderts. Zunächst befasste man sich undifferenziert mit „Naturgeschichte“, damals ein Sammelbegriff für Botanik, Zoologie, Geologie, Geographie, Meteorologie, Physik und Chemie. Die Schwerpunkte wurden von den beteiligten Mitgliedern gesetzt. Zu den frühen Gründungen gehörte die Danziger Gesellschaft (1745), an die Verchs Stiftung gegangen war, es bestanden auch welche in Berlin (1773), Halle (1779), Altenburg (1817), Erfurt (1842) und Gera (1858). Nach 1800 entstanden Fachvereinigungen mit eingeschränkterem Radius, die den Spezialisierungsprozess der Naturwissenschaften aktiv begleiteten. Die frühen Naturforschenden Gesellschaften haben durch ihre Breitenwirkung das moderne Konzept der Naturwissenschaften ganz wesentlich mit geprägt, das gilt auch für die Jenaer.71 Der aus Jena stammende August Johann Georg Karl Batsch (1761–1802), Biologe und Mediziner, seit 1787 ao. Prof. der Medizin und Botanik, von 1793 an ord. Prof. für Naturwissenschaften, begründete nach einigem Zögern den Wunsch nach einer neuen Gesellschaft dahin gehend, dass es schon lange in Jena an einem „Mittel“ gefehlt habe, „wodurch gesittete und fleißige Studirende Gelegenheit gefunden hätten, mit Ihresgleichen in eine nähere, zweckmäßige, und öffentliche Verbindung zu kommen, die zugleich ausgebreitet genug, und zu einer zu treffenden [Berufs]-Wahl geschikt gewesen wäre“.72

Wegen ihrer Komplexität fand er die „so vielfach modificirte Naturwissenschaft“ hierzu besonders geeignet. Am 14. Juli 1793 wurde die Gesellschaft in einer „zahlreichen Versammlung“ gegründet, „Herr Scherer aus Petersburg verlas die Statuten“, die daraufhin von 38 Personen unterzeichnet wurden. Sie bestätigten damit zugleich Batsch als geschäftsführenden Direktor, er hatte das Amt bis zu seinem Tod (1802) inne. Das Ziel der NFGJ war (Statuten, § 1): „die planmäßige Erweiterung und Ergänzung der Naturwissenschaften überhaupt durch alle, und [die] vollendete Naturbeschreibung von Jena durch die daselbst lebenden Mitglieder, so wie eine wissenschaftliche und ehrenvolle Verbindung für die letztern“.

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Ziche, Paul: Die Jenaer Naturforschende Gesellschaft und ihre Bedeutung für die Naturforschung in Jena, in: Döring/Nowak, Gesellschaften (wie Anm. 2), Teil 2, 2002, S. 107–131; Schott, Heinz: Medizin um 1800 und die naturforschende Gesellschaft zu Jena, in: Ebenda, S. 133–144. Nachricht von der Gründung einer naturforschenden Gesellschaft zu Jena am 14ten July 1793, nebst den dabey gehaltnen Reden, den Statuten der Gesellschaft (S. 19–35), und dem Verzeichnisse ihrer Mitglieder (S. 43–56), Jena 1793, S. 3 f.

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Als weitere Funktionen wurden Sekretär, Aufseher über Sammlungen, Bibliothek und Laboratorium, sowie Kassierer benannt. Die Gesellschaft bestand aus ord. bzw. aktiven Mitgliedern (Hauptanteil), auswärtigen bzw. korrespond. und Ehren-Mitgliedern. Eine erste Mitgliederliste weist 47 aktive, 23 auswärtige und 54 Ehren-Mitglieder aus, 1801/02 sind es bereits 81 aktive, 129 korrespond. und 131 Ehren-Mitglieder, am Ende der Ära Batsch waren es insgesamt 363. Unter den Jenaer Mitgliedern befanden sich die Professoren Fichte, Göttling, Hufeland, Loder, Reinhold und Schelling, aus Weimar kamen Goethe, Herder, Knebel, Böttiger und Bertuch hinzu. Alexander von Humboldt (auf Reisen), der dänische Schriftsteller Jens Baggesen, der norwegische Naturforscher Henrik Steffens, der Göttinger Mediziner Johann Friedrich Blumenbach und der Direktor der Pariser Sternwarte Joseph Jérôme Le Français de Lalande werden ebenfalls als Mitglieder aufgeführt. Die NFGJ bestand hauptsächlich aus Studenten, die sich zu wissenschaftlichen Arbeiten befähigt fühlten. Waren unter ihnen welche nicht in der Lage, die relativ hohen Beiträge zu zahlen, konnten sie sich durch „tätige Mithilfe“ ein Mitgliedsrecht erwerben, das ihnen auch das Ausleihen von Beständen gestattete. Ehren-Mitglieder übten eine Vorbildfunktion aus, sie sollten zur Nacheiferung anregen. Die NFGJ kam unter Leitung des Direktors einmal im Monat sonntags 14 Uhr zusammen. Es wurden Vorträge gehalten, Sachverhalte „zur Bekanntschaft“ gebracht, anfangs aber niemals darüber debattiert, die Beurteilung blieb „der ruhigen Prüfung eines jeden einzelnen Mitgliedes überlassen“.73 Insgesamt wurden 95 Vorträge ermittelt, von einigen sind die Manuskripte überliefert, nur wenige wurden gedruckt. Zeitweilig war die NFGJ auch „ein Diskussionsforum für neue Forschungsresultate“74 (der Galvanismus wurde sowohl erörtert als auch experimentell untersucht). 1794 verließen 6 ord. Mitgl. die NFGJ, um in die neu gegründete „Literärische Gesellschaft“ (der freien Männer) über zu wechseln, unter ihnen Ludwig Reinhold (von) Stegmann (1770–1849) aus Dorpat (Mediziner, später in Rußland), Friedrich Ludwig Lindner aus Mitau und Wilhelm Georg Krüger (1774–1835) aus Lüneburg (Theologe, später in Kurland). Die Herausgabe einer vorgesehenen Schriftenreihe kam nicht zustande, die Nachricht von dem Fortgange der NFGJ blieb das einzige Informationsmaterial zur Analyse der Gesellschaftsgeschichte.75 Auswärtige bzw. korrespond. Mitgl. übersandten häufig ihre aktuellen Publikationen als „Belegexemplare“. Ehren-Mitglieder als Repräsentanten des aktuellen Geisteslebens festigten das überregionale Ansehen der NFGJ. So dankte Schiller „als ein allgemeiner Bürger der gelehrten Welt und als aufrichtiger Freund jedes auf Wahrheit abzielenden Unternehmens“ in seinem Schreiben vom 2. Februar 1794 aus Ludwigs-

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Ziche (wie Anm. 71), S. 117. Ebenda, S. 123. Nachricht von dem Fortgange … Jahr 1 (1794) – 5 (1798), 6 (1799)/7 (1800), 8 (1801)/9 (1802).

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burg76 dem Direktor Batsch für die Verleihung der Ehrenmitgliedschaft. Er schlug Eberhard Gmelin (1751–1809), Oberamtsarzt in Heilbronn, und Friedrich Wilhelm von Hoven (1759–1838), Spielgefährte aus seinen Ludwigsburger Kindertagen und Mitschüler auf der Carlsschule, nunmehr Hofrat und verantwortlicher Stadtarzt, zur Aufnahme in die NFGJ vor, beiden wurde die Ehrenmitgliedschaft erteilt. Schiller hat nachweislich nur an einer einzigen Versammlung der NFGJ teilgenommen. Er war vermutlich sicher, Goethe dort zu treffen. Nach der gängigen Überlieferung begegneten sich hier die beiden Koryphäen am 20. Juli 1794 zum ersten Mal und wurden näher miteinander bekannt.77 Jeder der beiden Gesprächspartner erlebte „die geistige Anziehungskraft des anderen so stark, dass er sich ihrer von nun an nicht mehr entziehen konnte“. Als ein weiteres Beispiel für die Formung eines gesellschaftsspezifischen Kommunikationsnetzes können die Mehrfachmitgliedschaften des Naturwissenschaftlers Johann Matthäus Bechstein (1757–1822) herangezogen werden, der 1793 von Batsch, der ihn von seiner Jenaer Studienzeit her kannte, als Ehrenmitglied in die NFGJ aufgenommen wurde.78 Bechstein begründete 1795 die Öffentliche Lehranstalt für Forstund Jagdkunde in Waltershausen, die er von 1801 an in Dreißigacker bei Meiningen fortführte. Sie bestand, ab 1819 zur Forst- und Landwirtschaftlichen Akademie erhoben, bis 1843. – Bechstein war in 18 Vereinigungen Mitglied, darunter auch in den Naturforschenden Gesellschaften zu Halle, Berlin, Hanau, Marburg, Görlitz, Frankfurt a. M. und Altenburg. Als wissenschaftliches Institut bezweckte die NFGJ zur „gründlichen Unterrichtung“ des Publikums den Aufbau einer „vollständigen Sammlung deutscher Naturprodukte“.79 Zu Forschungszwecken wurden das (1) Zoologische, (2) Botanische und (3) Mineralogische Kabinett und (4) eine Sammlung pharmazeutischer Präparate angelegt, deren Betreuung, Erhaltung und Präsentation hauptsächlich in den Händen von Studenten lag. Die sich anhäufenden Objekte waren der Spendenfreudigkeit der Mitglieder zu verdanken, dadurch trug der Aufbau der Sammlungen Zufallscharakter. Dass Bücher, Naturalien und Instrumente ausgeliehen werden konnten, ist bemerkenswert. Batsch hatte das von Scherer eingerichtete „Laboratorium nebst den vorrätigen Instrumen-

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Kratzsch, Irmgard: Friedrich Schiller und die Naturforschende Gesellschaft zu Jena. Mit einem Faks. des Briefes vom 2. Febr. 1794 an A. J. G. K. Batsch, Jena 1984. – Zitat S. 10. Im Schillerhaus Rudolstadt (Eröffnung: 9. Mai 2009), literarisches Museum und Gedenkstätte zugleich, ist dagegen der 7. Sept. 1788 als frühestes Begegnungsdatum festgelegt. Uloth, Walter: Zur Mitgliedschaft von J. M. Bechstein (1757–1822) in Akademien sowie Naturforschenden und wissenschaftlichen Gesellschaften seiner Zeit, in: Mötsch, Johannes / Uloth, Walter (Hrsg.): Johann Matthäus Bechstein … und die Forstbotanik, Vorträge des wissenschaftlichen Symposiums am 23. Okt. 2010 in Dreißigacker (Sonderveröffentlichung des Hennebergisch-Fränkischen Geschichtsvereins 28), Remagen-Oberwinter 2011, S. 75–82. Ziche (wie Anm. 71), S. 114 f.

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ten“ unentgeltlich der NFGJ überlassen, so dass es als „allgemeines Eigentum“ den Mitgliedern zur Verfügung stand. Alexander Nikolaus Scherer (1771–1824) aus St. Petersburg, Student in Jena, Chemiker, Dr. phil. und später Bergrat, stand als Sekretär der Gesellschaft, Aufseher der Sammlungen, der Bibliothek und des Laboratoriums in den Anfangsjahren Batsch hilfreich zur Seite. Er wirkte später in Halle und Berlin, doch pflegte er die Kontakte zur NFGJ auch weiterhin. Batsch seinerseits war Aufseher des von Justus Christian Loder (1753–1832) geleiteten Herzoglichem Museums in Jena, ab 1794 leitete er, unter der direkten Aufsicht Goethes stehend, den Aufbau des Botanischen Gartens. – Aus den schriftlichen Zeugnissen der Mitglieder und den Korrespondenzen entstand ein Gesellschaftsarchiv (das auch Silhouetten und Porträts sammelte), durch Geschenke der Mitglieder wurde eine naturkundliche Fachbibliothek aufgebaut, die im Versammlungsraum der NFGJ (im Haus von Batsch) aufgestellt und täglich von 7 bis 19 Uhr geöffnet war. Sie wurde 1850 in die Universitätsbibliothek übernommen und als Sachgruppe X der Bestandsgruppe Historia Naturalis angegliedert (839 Titel). Nach dem frühen Tod von Batsch am 29. September 1802 trat im Gesellschaftsleben eine Pause ein. Erst am 30. September 1804 wurde wieder eine öffentliche Versammlung abgehalten und angekündigt, dass Goethe, der bereits seit 1803 der Societät für die gesammte Mineralogie vorstand, die ihm von dem Sekretär Wilhelm Carl Friedrich Succow (1770–1848) angetragene Präsidentschaft für die NFGJ in Erwägung gezogen habe. Er nahm sie im November 1804 an und hatte sie bis zu seinem Tod inne. Obwohl eine formelle Sanktionierung der NFGJ nicht erfolgte, wurde sie doch in den Berichten wie eine herzogliche Einrichtung behandelt. 1816 wird sie als Großherzogl Naturforschende Gesellschaft mit Herzog Carl August als Protektor verzeichnet und hauptsächlich mit ihren Sammlungen identifiziert, die seit 1811 im Jenaer Schloss aufgestellt waren. Ab 1825 verlieren sich ihre Spuren in den Rechnungsbüchern. 1850, nach dem Tod des letzten Verwalters Friedrich Sigismund Voigt (1781–1850), Mediziner, Botaniker und Direktor des Botanischen Gartens, wurden die letzten Objekte in die Sammlungen der Universität integriert. – Das „Tätigkeitsprofil“ der NFGJ lässt sich nach Ziche80 klar umreißen: Forschung und Lehre wurden miteinander verbunden und die Studenten mit wissenschaftlichen Zielstellungen vertraut gemacht; Fachliteratur, Anschauungsmaterial und Apparaturen waren in großzügiger Weise allgemein zugänglich, die institutionelle Zuordnung der NFGJ zur Universität sicherte den Erhalt der Sammlungsobjekte auch für die Zukunft.

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Ebenda, S. 129–131.

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Die Medizinisch-Naturwissenschaftliche Gesellschaft zu Jena (MNGJ) Als „Nachfolgerin“ der NFGJ kann die am 17. Januar 1853 von 9 Beteiligten gegründete Medizinisch-naturwissenschaftliche Gesellschaft gelten, die im studentischen Bereich 1836 in der Gesellschaft Studierender für wissenschaftliche Medizin eine Vorläuferin hatte, die von Heinrich Haeser (1811–1884), ehem. Student in Jena, seit 1846 Prof. für Medizin, geleitet wurde. Er wurde später als Fachschriftsteller bekannt, das „Lehrbuch der Geschichte der Medizin und der Volkskrankheiten“ ( Jena 1843; 31875–1882) war das „Werk seines Lebens“.81 Die Aufgabenstellung der neuen Gesellschaft definierte Paragraph 2 der Statuten:82 „Der Zweck der Gesellschaft ist gegenseitiger Austausch und Besprechung eigener oder fremder Beobachtungen, Untersuchungen und Erfahrungen aus den einzelnen Zweigen der Medicin und Naturwissenschaft. Damit soll zugleich ein möglichst harmonisches, collegialisches Zusammenwirken der Lehrkräfte der naturwissenschaftlichen und medizinischen Disciplinen erzielt und das Gedeihen hiesiger Hochschule nach Kräften gefördert werden.“

Für 1853 wurden die Medizin-Professoren August Friedrich Siebert (1805–1855), seit 1846 Prof. der Medizin, 1848 Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung und später Weimarer Landtagsabgeordneter, zum Präsidenten und Xaver Ignaz Franz Schoemann (1807–1864), seit 1837 Prof. der Medizin, zum Vizepräsidenten gewählt. Dem Gründerkreis gehörte auch Matthias Jakob Schleiden (1804–1881) an, von 1846 bis 1863 Prof. der Botanik. Er erkannte die Fähigkeiten des „Mechanikus“ Carl Zeiß und unterstützte ihn bei der Eröffnung der ersten optischen Werkstätte in Jena (1846). Die Gesellschaft bestand aus ord. und Ehren-Mitgliedern (zu letzteren zählten später Schleiden, Darwin, Haeckel und der Verleger Gustav Fischer). Die Sitzungen wurden regelmäßig alle 14 Tage abgehalten. Den Gegenstand bildeten „Vorträge und Demonstrationen aus den von der Gesellschaft vertretenen Wissensgebieten, ferner die Besprechung innerer Angelegenheiten“, von der die Nichtmitglieder ausgeschlossen waren (§ 8). Anfangs fanden sie in einem Zimmer des Hotels Zum Bären, ab 1864 öffentlich im Literarischen Museum statt, ab 1884 tagte man im Hörsaal des Physikalischen, ab 1900 in dem des Chemischen Instituts. Zum 50-jährigen Jubiläum konnte die Gesellschaft auf über 800 Sitzungen zurückblicken, „in denen durch einen oder mehrere Vorträge neuere Forschungsergebnisse der Mitglieder dargestellt

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Giese, Ernst / Hagen, Benno von: Geschichte der Medizinischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Univ. Jena, Jena 1958, S. 541. Stiftungsurkunde und Statut der medicinisch naturwissenschaftlichen Gesellschaft zu Jena. Jena, den 17ten Jan. 1853 (13 §§; UAJ Ms. Chron. 1905.10 fol.). Hier und im Folgenden zitiert nach: Statut der medizinisch-naturwissenschaftlichen Gesellschaft zu Jena, (24 §§; nach der Revision vom 1. Juli 1864), Jena 1864, S. 1.

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oder über besonders wichtige Arbeiten anderer berichtet wurde“.83 Die Mitgliederzahl, im ersten Jahrzehnt um die 18 schwankend, erreichte 1893 die Zahl 100. Bei der Feier des Stiftungstages 1857 wurde bezüglich des Ersuchens um landesherrliche Genehmigung und Bestätigung des Vereins „mit großer Majorität beschlossen, davon für jetzt abzusehen“, die Mitglieder wollten ihre Unabhängigkeit nicht aufgeben. 1860 wurde der Zoologe Ernst Haeckel (1834–1919) Mitglied, er nahm aktiv am Gesellschaftsleben teil. In der Sitzung am 30. Oktober 1863 motivierte „Herr Prof. Gerhardt seinen Antrag auf Gründung einer Zeitschrift der Gesellschaft“, das Ergebnis seiner Ausführungen hatte die „allgemeine Annahme des Antrags“ zur Folge. Daraufhin wurden als Redaktionskommission die Professoren Karl Gegenbaur (1826–1903; Mediziner und Zoologe), Carl Gerhardt (1833–1902; Mediziner) und Anton Geuther (1833–1889; Chemiker) gewählt. Kurz darauf, am 27. November 1863, trat der Physiker und Mathematiker Ernst Abbe (1840–1905) in die MNGJ ein. Die Jenaische Zeitschrift für Medicin und Naturwissenschaft begann 1864 bei Engelmann in Leipzig zu erscheinen. Die Gesellschaft trat mit dem Periodikum mutig aus ihrem bisher „innegehabten engeren Wirkungskreis in das öffentliche Leben der Wissenschaft“ in der Absicht, ein „treues Abbild“ von einem Teil des geistigen Lebens in der Universität zu vermitteln. „Dank der steten Fürsorge hoher Ministerien“ hatten Medizin und Naturwissenschaften „im Laufe des letzten Dezenniums“ einen beachtlichen Aufschwung genommen, an dem nun auch die Allgemeinheit teilhaben sollte. Die Fachzeitschrift erschien vierteljährlich, von den 12 Kupfertafeln im ersten Band gingen fünf auf Zeichnungen von Haeckel zurück. Problemlos fügte sie sich in das Netzwerk des internationalen Schriftentausches ein, mit Band 78 (1945/47) Heft 2, stellte sie, durch die Zeitumstände herausgefordert, ihr Erscheinen ein. – Im Laufe der Jahre hatte die Universitätsbibliothek durch den Schriftentausch von der MNGJ 4505 Bände zur aktuellen Ergänzung des medizinischen Zeitschriftenbestandes erhalten.84 Auch auf diesem Weg hatte die Gesellschaft das „wissenschaftliche Leben und Arbeiten“ an der Universität maßgeblich gefördert.

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Walther, Johannes: Aus der Geschichte der Naturwissenschaftlichen Gesellschaften zu Jena, in: Jenaische Zeitschrift für Naturwissenschaft 39=N. F. 32 (1905) S. 727–732, betr. NFGJ, MinG und MNGJ; hier S. 730. Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland. Hrsg. von Friedhilde Krause. Bearb. von Felicitas Marwinski. Bd. 20, Thüringen H-R., Hildesheim [u. a.] 1999, Jena 1 (ThULB), S. 55 (1.32). – Walther (wie Anm. 83), S. 732, zog 1904 Bilanz: Die MNGJ hatte bis zum 50-jährigen Jubiläum aus eigenen Mitteln einschließlich der jährlichen Zuschüsse der Regierungen insgesamt 62.000 M für das Periodikum ausgegeben, nach dem Buchhändlerpreis kalkuliert, hatte die UB durch die satzungsgemäße Übernahme einen Gewinn von 135.000 M erzielt.

Jenaer gelehrte Gesellschaften im 18./19. Jahrhundert

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Die Societät für die gesammte Mineralogie zu Jena (MinG) Die Motive zur Gründung dieser gelehrten Gesellschaft ähneln denen der Naturforschenden Vereinigung: Es war das Bestreben, die an der Universität Jena noch junge Wissenschaft der Mineralogie zu fördern, einen Sammelpunkt für alle Interessierten zu schaffen, das Verlangen nach Kontaktpflege untereinander und schließlich die Absicht, mit außerhalb von Jena wohnenden Fachkollegen zwanglos kommunizieren zu können. Aktuelles Fachschrifttum sollte in einer durch die Mitglieder finanzierten Fachbibliothek zur Verfügung stehen und aus einer anzulegenden öffentlichen mineralogischen Sammlung sollten geeignete Anschauungsobjekte vorgezeigt werden. Die Societät für die gesammte Mineralogie85 (MinG) wurde 1796 durch Johann Georg Lenz (174586–1832) veranlasst, der bei Goethe und auch bei Herzog Carl August Unterstützung fand. Von den 19 Mitbegründern87 waren die meisten Studenten, darunter 3 Ungarn, 2 Schweizer und 2 Livländer. Als offizieller Gründungstag gilt der 7. Januar 1798 (erste Mitgliederversammlung). Die MinG bestand aus ord., korrespond. und Ehren-Mitgliedern, an ihrer Spitze stand ein Präsident, die eigentlichen Amtsgeschäfte führte jedoch der Direktor in Jena. Als erste Präsidenten traten 1797/98 Reichsgraf Dominik Teleki von Szék88 (1773– 16. Sept. 1798; auch Mitglied der NFGJ), K. K. Kämmerer zu Máros Wásárhely in Siebenbürgen, ein „enthusiastischer Verehrer“ der Mineralogie, und 1799/1803 Fürst Dimitri Alexejewitsch von Gallitzin (1734?–1803), Schriftsteller und Diplomat, in Erscheinung. – Gallitzin, der in Braunschweig lebte, bot Lenz am 2. Juli 1802 seine Mineraliensammlung zum Geschenk an, die dann auch am 6. November in Jena eintraf. Sie wog 37 Zentner und wurde von dem hocherfreuten Lenz sogleich ausgepackt und registriert – ein „Schatz im Werte zwischen 4000 und 5000 Dukaten, die er dem Fürsten selbst gekostet“.89 Die ersten Ehren-Mitglieder waren Personen, von denen sich die MinG Unterstützung versprach: die Minister Christian Gottlob von Voigt (1743–1819), Jakob Friedrich von Fritsch (1731–1814) und Goethe, der am 28. März 1803 zum 3. Präsidenten der MinG gewählt wurde, er hatte das Amt bis zu seinem Tod inne. 85

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Salomon, Johanna: Geschichte der „Societät für die gesammte Mineralogie“ zu Jena unter ihrem Gründer Johann Georg Lenz und ihrem Förderer und Präsidenten Johann Wolfgang von Goethe (1796–1830), in: WZ FSU Jena, MNR 8 (1958/59), H. 1, S. 45–72. Kurzfassung der Diss. gleichen Titels. – Überarb. und erw. Fassung lt. Vorw. vom 1. Juni 1986: Die Sozietät für die gesamte Mineralogie zu Jena unter Goethe und Johann Georg Lenz (Mitteldeutsche Forschungen 98), Köln/Wien 1990. Das Umfeld der MinG wird durch 1170 Anm. (S. 147–217) erschlossen. Korrigiertes Geburtsjahr [statt 1748] nach Salomon 1990 (wie Anm. 85), S. 188, Anm. 612 (Schleusingen, Taufbuch 1745, S. 218). Ebenda, S. 1 (Protokoll vom 8. Dez. 1797). Vgl. ebenda, S. 82–101: IV. Dominik Teleki von Szék und Mitglieder aus Ungarn und Siebenbürgen; S. 206, Anm. 979. Ebenda, S. 9.

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1801 veröffentlichte der soeben promovierte Privatdozent Johann Friedrich Heinrich Schwabe (1779–1834), Bibliothekar und Aufseher des Museums, eine erste „Historische Nachricht“ von der MinG, die er 1813 fortsetzte.90 Von den Annalen bzw. Schriften der Herzogl. (Großherzogl.) Societät für die gesammte Mineralogie erschienen von 1802 bis 1825 insgesamt 6 Bände.91 Am 16. Dezember 1803 erfolgte die Sanktionierung als Herzogl Societät für die gesammte Mineralogie zu Jena durch Herzog Carl August, der ihr Sammlungsräume im herzoglichen Schloss in Jena zuwies, zugleich gingen die Eigentumsrechte an den Staat über. Lenz, eine Sammlernatur, lenkte schon bald sein ganzes Denken und Trachten auf die Vermehrung der Sammlungen, des ersten mineralogischen Museums in Europa. 1827 repräsentierte es einen Schätzwert von 200.000 Talern, 1845 verfügte es über etwa 150.000 Objekte.92 Lenz unterzog sich mit unermüdlichem Eifer der umfangreichen Korrespondenz. Er schickte großzügig die gedruckten Diplome „in alle Welt“ und erhoffte sich als Dankesbezeugung die Zusendung von Objekten für die Sammlungen. Die Anzahl der korrespondierenden und Ehren-Mitglieder stieg von 1522 im Jahr 1813 auf 1955 (1819) an, in diesem Jahr wurden 4.889 eingegangene Schreiben registriert. Das Universitätsarchiv Jena überliefert in 39 durchnumerierten Briefbänden 4091 an Lenz gerichtete Schreiben aus dem Zeitraum von 1798 bis 1829. Die Versammlungstätigkeit vor Ort ließ im Laufe der Jahre nach, in den späteren Jahren scheint Lenz die Gesellschaft fast allein verkörpert zu haben. Als er sich hochbetagt 1830 von den Museums- und Sozietätsgeschäften trennte, weil er nicht mehr in der Lage war, das Arbeitspensum zu bewältigen – er starb 1832 im Alter von fast 87 Jahren – zählte die MinG mehr als 2500 Mitglieder, die endgültige Zahl dürfte jedoch „weit höher“ gelegen haben.93 Unter ihnen befanden sich sowohl Könige und Fürsten, als auch Professoren, Bergleute und Sammler. Für alle Interessenten war Lenz ein entgegenkommender und konzilianter Ansprechpartner, seine Fachkompetenz wurde international anerkannt. Zwischen 1781 und 1829 wurden ihm 40, zumeist Ehren-Mitgliedschaften angetragen, davon die Hälfte aus dem deutschsprachigen Raum, aber auch aus Frankreich, den Niederlanden und Russland.94 Die Jenaer Mineralogische Sammlung, Lenz’ Lebenswerk, gehörte damals „zu den schönsten und größten der Welt“,95 sie brachte ihrem Initiator und durch ihn der Universität Ansehen, Ruhm und Ehre ein.

90 91 92 93 94 95

Schwabe, Johann Friedrich Heinrich: Historische Nachricht von der Societät für die gesammte Mineralogie zu Jena, Jena 1801; Ders.: Fortgesetzte Historische Nachrichten von der Herzogl. S. Weimar- und Eisen. Societät für die gesammte Mineralogie zu Jena, Jena 1813. Bd. 1 (1802); 2 (1804) – 4 (1811) = Schriften …, Bd. 1–3; 5 (1823) – 6 (1825) = Neue Schriften …, Bd. 1–2. Geschichte der Univ. Jena, Bd. 1, Jena 1958, S. 306. Salomon 1990 (wie Anm. 85), S. 49 u. S. 187, Anm. 594. Ebenda, S. 68 f. (Auflistung der Diplome). Franke, Horst: Die Mineralogische Sammlung, in: Reichtümer und Raritäten, Jena 1974, S. 96– 99; hier: S. 97. – Ders.: Die Entwicklung der Mineralogie in Jena von 1782 bis 1930, in: WZ FSU

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Im zweiten Abschnitt der Gesellschaftsgeschichte (1832/55) wurden die Arbeiten durch Carl Friedrich Bachmann (1784–1855), Prof. der Philosophie, fortgeführt. Trotz Neuordnung der Sammlung durch Gustav Suckow (1803–1867), Prof. für Chemie, Mineralogie und Geologie, von 1851 bis 1854 verlor die MinG zunehmend an Bedeutung. Im letzten Abschnitt (von 1856 an) war Ernst Erhard Schmid (1815–1885), seit 1856 Prof. für Naturgeschichte, mit der Reorganisation der MinG beauftragt. Die nunmehrige Großherzogl Sächs Gesellschaft für Mineralogie, Geognosie und Petrefactologie bekam neue Statuten, dem neuen Gründerkreis gehörte auch der Gymnasiallehrer „Dr. Liebe zu Gera“ an, der wie sein Vater in Jena studiert hatte und später im Geraer Vereinsleben eine herausragende Rolle spielte. 26 Jahre lang leitete er die Gesellschaft von Freunden der Naturwissenschaften96 in der Stadt, auch war er Mitglied in zahlreichen lokalen und überregionalen Vereinigungen wie zum Beispiel der Leopoldina. Bis etwa 1864 war die MinG noch aktiv, dann begann das Gesellschaftleben zu stagnieren. Selbst Schmid fand die Art ihres Vorgehens (er vermisste eine Publikationsreihe) als „nicht mehr zeitgemäß“, doch wurde erst 1877 der Beschluss gefasst, keine Sitzungen mehr durchzuführen, da die Medizinisch Naturwissenschaftliche Gesellschaft auch die Mineralogie mit vertrete. Die Akten der MinG enden 1884, sie erlosch mit Schmids Tod 1885, ohne sich offiziell aufgelöst zu haben. – Ein „sehr großer Teil“ der Sammlungen des Mineralogischen Museums wurde 1945 zerstört, doch haben sich bis heute die Objekte aus der Provenienz Karl Theodor Liebes erhalten. Die mineralogische Gesellschaftsbibliothek gelangte um 1859 in die Universitätsbibliothek, wo sie geschlossen aufgestellt wurde (Bestandsgruppe „Min.“, Sachgruppe II); sie umfasst 2413 Titel. Veranlasst durch den Freund und Schüler von Lenz, dem aus Arnstadt stammenden Johann Heinrich Lorenz (von) Pansner (1777–1851), wurde am 7. Januar 1817 die Russisch-Kaiserl Mineralogische Gesellschaft zu Sankt Petersburg gegründet. Sie gilt heute als die älteste, noch existierende Gruppierung dieser Art. Pansner, der sich Verdienste als Mineraloge, Kartograph und im Gartenbau erwarb, bewirkte, dass Goethe am 15. Oktober 1817 unter die Ehren-Mitglieder aufgenommen wurde, zu denen schon Lenz und Alexander von Humboldt gehörten. Nach 1800 entstanden noch verschiedene kleinere Vereinigungen, deren Ausstrahlung nicht die der vorangegangenen Gruppierungen erreichte. Zu erwähnen wäre die 1811 gegründete Historische Gesellschaft97 zu Jena des Theologie-Prof. Friedrich August Koethe (1781–1850), der seit 1819 als Superintendent in Allstedt wirkte.

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Jena, MNR 25 (1976) H. 2, S. 159–179, Kurzfassung der Diss. gleichen Titels. Vgl. auch: Heide, Klaus: Die Mineralogische Sammlung/FSU Jena, Institut für Geowissenschaften, Jena 2000 (40 S.). Verf.: Die Gesellschaft von Freunden der Naturwissenschaften in Gera, 1858–1938 (Museum für Naturkunde der Stadt Gera, Veröffentlichungen, Naturwissenschaftl. Reihe 32), Gera 2005, S. 5–103. Koethe, Friedrich August (Hrsg.): Historische Darstellungen. Erste Versuche der Historischen Gesellschaft zu Jena, Jena 1812.

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Der Verein für Wissenschaft und Kunst zu Jena (VWKJ) Die „Gründungsurkunde“ des Vereins für Wissenschaft und Kunst beginnt mit den Worten: „Die Herrn Dr. Goebel, Prof. Huschke, Dr. Naumann, Prof. Osann, Dr. Wahl haben sich den 1. September 1823 Abends um 8 Uhr versammelt, um einen Verein zu stiften.“98 Die Initiative ging von dem Altphilologen Friedrich Gotthilf Osann (1794– 1858) aus, dem sich Vertreter verschiedener Fachdisziplinen aus dem Jenaer Lehrkörper angeschlossen hatten. „Durch gemeinschaftliche Mittheilung aus allen Fächern des Wissens“ wollte man eine „möglichst allseitige wissenschaftliche Ausbildung für den Einzelnen erstreben“. Die jeweilige Wahl des Themas sollte jedem selbst überlassen bleiben, neue Mitglieder konnten durch Ballotage (verschiedenfarbige Kugeln) zugewählt werden. Am 6. November 1823 fand die erste feierliche Sitzung im Gasthof Zum Bären statt, „in dem Haus, wo Martin Luther auf seiner Flucht von der Wartburg vor [damals] 301 Jahren, als schlichter Reitersmann verkleidet, Obdach und Zuflucht gefunden habe“.99 Von Mai 1824 an wurde der Sonnabend zum Versammlungstag gewählt, wodurch sich die Bezeichnung „Sonnabendgesellschaft“ einbürgerte. Schriftlich fixierte Vorträge sollten im Archiv aufbewahrt werden, um die „Belehrung der Gegenwart“ für die Zukunft zu überliefern. Dem Vortrag schlossen sich stets ein „fröhliches Mahl“ und Gespräche an, auswärtige Gäste waren willkommen. Die Leitung des Vereins übernahm zunächst Osann (1823/25), ihm folgten Karl Ernst Schmid (1825/27) und Friedrich Ortloff (1827 bis zum Schluss). Unter den Sekretären befand sich auch der Altphilologe und Universitätsbibliothekar Carl Wilhelm Göttling, der 1846 das Archäologische Museum einrichtete und einen Archäologischen Verein ins Leben rief. Die 14. Sitzung am 28. August 1824 war Goethes 75. Geburtstag gewidmet, die Feierlichkeit stellte den Höhepunkt in dem nur kurzzeitigen Gesellschaftsleben dar. Hofrat Friedrich Sigismund Voigt (zugleich Mitglied der NFGJ) referierte „Über den gegenwärtigen Standpunkt der Naturwissenschaft“, die 18 Teilnehmer waren von den Ausführungen sehr angetan. – Eines der letzten neu hinzugekommenen Mitglieder war der Übersetzer Johann Diederich Gries (1775–1842), der schon in der Literarischen Gesellschaft der freien Männer mitgewirkt hatte (Mitglied von 1796 bis 1799) und nun als Übersetzer in Jena lebte. – Von 1823 bis 1828 zählte der gelehrte Verein insgesamt 36 Mitglieder, bis auf drei waren sie gleichzeitig am Literarischen Museum (dem Journalistikum) beteiligt. Ab 1825 traf sich die Gruppe regelmäßig im Haus des Hofbäckers Kayser, er hatte im Mai 1817 die Gesellschaft zur Einheit gegründet, in der sich „junge wissenschaftliche 98 99

Verf.: Aus der Geschichte des Jenaer Vereins für Wissenschaft und Kunst, genannt Sonnabendgesellschaft (1823–1828), in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte 46 (1992), S 187– 202. Ebenda, S. 188.

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Männer mit freisinnigen Bürgern“, die sich davon eine „zeitgemäße Ausbildung“ versprachen, bei geselliger Unterhaltung versammelten. Von den 64 Mitgliedern waren 15 Studenten, 5 Ehrenmitglieder und 44 aus Handwerks- und Verwaltungsberufen. Zu den ersten Teilnehmern gehörte der Privatgelehrte, Übersetzer und biographische Schriftsteller Heinrich Döring (1789–1862), der außerdem Mitglied der Mineralogischen Gesellschaft und des Literarischen Museums war. – Als Kayser dem Verein „seine Dienste aufsagte“, löste sich dieser auf. Das Literarische Museum Jena (LMJ) In dem dargestellten Zusammenhang nimmt das Literarische Museum in Jena eine Sonderstellung ein, seine Mitglieder und Benutzer waren fast ausschließlich Professoren der Universität. Es wurde 1816 von dem aus Heidelberg kommenden Juristen Christoph Reinhard Dietrich Martin (1772–1857) etabliert, unter den 37 Gründungsmitgliedern befanden sich der Historiker Heinrich Luden (1778–1847), der Philosoph Jakob Friedrich Fries (1773–1843) und der Mediziner, Naturforscher und Herausgeber der Zeitschrift Isis, Lorenz Oken (1779–1851).100 Der Vorstand wurde gewählt, die Auswahl der zur Lektüre bereitliegenden Zeitungen und Journale durch die Mitglieder festgelegt. Das neue Institut war universal, die Fachdisziplinen übergreifend eingerichtet. Ab 1827 gelangten die abgelaufenen Jahrgänge zur weiteren Aufbewahrung in die Universitätsbibliothek, wo sie weiterhin der Öffentlichkeit zugänglich waren. Von 1832 an wurde der geselligen Unterhaltung mehr Aufmerksamkeit geschenkt, um 1835 bildeten sich unter den Studierenden Fachlesezirkel heraus, die das Lektüreangebot des LMJ ergänzten. Außer dem Lese- und Konversationszimmer, wo die Mitglieder zum Gedankenaustausch zusammentrafen, unterhielt das LMJ einen Lesezirkel zur häuslichen Lektüre, der die Familienmitglieder über aktuelle Begebenheiten auf dem Laufenden hielt. Von 1840 bis 1897 hatten die Mitglieder des Jenaer und des 1830 gegründeten Weimarer Lesemuseums gegenseitig freien Zutritt. 1843 trat eine Gruppe von Studenten, die zur „Vollendung der persönlichen Freiheit des Einzelnen“ nach einer vielseitigen Ausbildung strebten, mit der Forderung nach einem allgemeinen, von der Universität unterhaltenen, akademischen Lesemuseum an den Senat heran.101 Dieser erklärte aber, dass es sich bei dem LMJ um einen „unabhängigen Privatverein“ handele, „auf dessen Umgestaltung wir um so weniger einwirken können, da nicht bloß Akademiker, sondern auch andere Einwohner Jenas daran teilnehmen“. Im Gegensatz zu den Studenten war man der Überzeugung, „dass diese 100 Oken regte 1822 die Versammlungen der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte an, zu deren Mitbegründern auch der Altenburger Waitz gehörte. 101 UAJ B. A. 781: Acta academica betr. gegebene Erlaubnis zu Vereinen der Studirenden. III., einen Verein zu geselliger und literarischer Unterhaltung, 1839–1841 [bzw. 1844].

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Gesellschaft gern die Wünsche der Studierenden berücksichtigen“ werde, „soweit es die Verhältnisse ihres Fonds und Lokals“ gestatteten. Seit den 1850er Jahren waren im LM die Mitgliederzahlen rückläufig, trotzdem plante das Leseinstitut den Neubau eines seinen Zwecken dienenden Gebäudes, wie es zum Beispiel die Weimarer besaßen. Von 1878 bis 1891 stieg die Zahl der ausliegenden Periodika von 189 auf über 200 an, das LMJ war von Montag bis Sonntag durchgängig 12 Stunden geöffnet! – 1866 wurde Ernst Abbe Mitglied, er setzte sich später energisch für die Verschmelzung des Instituts mit der 1896 entstandenen Öffentlichen Lesehalle (Besitzer: Lesehallenverein Jena, gegr. 1896) ein, doch erst am 31. Dezember 1919 beendete das sich bis dahin selbst verwaltende, um Unabhängigkeit bemühte LMJ unter dem Druck der Verhältnisse seine Tätigkeit. Gleich zu Beginn seiner Jenaer akademischen Lehrtätigkeit gründete der Privatdozent Karl Volkmar Stoy (1815–1885), der sich in Göttingen unter Herbart (dem ehem. Mitglied der Literarischen Gesellschaft der freien Männer) in Philosophie und Pädagogik hatte weiterbilden lassen, eine Pädagogische Gesellschaft. Die erste Versammlung fand am 6. Juni 1843 statt, nur 8 Mitglieder vom „Geist der Wahrheit und Ehrlichkeit“ erfüllt, hatten sich eingefunden.102 Nachdem sich die Gesellschaft bewährt hatte, wandelte sie Stoy, Mylius’ Idee von 1785 verwirklichend, 1844 in ein Pädagogisches Seminar um. Als einziger Vereinigung aus dem 19. Jahrhundert gelang es dem im November 1851 von Jenaer Professoren gegründeten Verein für Thüringische Geschichte und Altertumskunde bis in unsere Gegenwart tätig zu sein.103 Zum Gründerkreis gehörten u. a. Karl Bernhard Stark (1824–1879), Prof. für klassische Philologie und Archäologie, Gustav Droysen (1808–1884), Prof. für Geschichte, Andreas Ludwig Jacob Michelsen (1801–1891), Jurist, Franz Xaver (von) Wegele (1823–1897), Prof. für Geschichte,104 und Carl Wilhelm Göttling (1793–1869), Prof. der Philologie. Das Thema bzw. Forschungsprogramm „Thüringen“, damals noch durch seine kleinstaatliche Zersplitterung charakterisiert, war klug gewählt und zukunftsträchtig, zumal interessierte Bürger aus allen thüringischen Staaten und darüber hinaus Mitglied werden konnten. Der Geschichtsverein hat durch seine Publikationstätigkeit, die anfangs besonders auf Geschichtsquellen, Rechtsdenkmale und Urkundenbücher ausgerichtet war, und die kontinuierlich arrangierten Vortragsveranstaltungen (Unterbrechung

102

Bartholomäi, Friedrich: Das Pädagogische Seminar zu Jena (Monographien zur historischen Pädagogik 1), Leipzig 1858, Einleitung. 103 Marwinski, Konrad (Hrsg.): 150 Jahre Verein für Thüringische Geschichte (und Altertumskunde), Vorträge zum Vereinsjubiläum 2002 (Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte, Beih. 34), Jena 2004. 104 Mitbegründer der Allgemeinen Deutschen Biographie (ADB; 56 Bände, Leipzig 1875–1912).

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von 1944 bis 1989) die thüringische Geschichtsforschung anregend mitgetragen und nachhaltig beeinflusst. Resümee Aus dem Überblick geht hervor, dass die Jenaer gelehrten Gesellschaften des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts unter wechselnden Rahmenbedingungen aufklärerisches Gedankengut an ihre Mitglieder vermittelten, und dass sie über jedes einzelne Mitglied auf ganz unterschiedliche Weise in der Öffentlichkeit wirksam werden konnten, wodurch die Ausstrahlungskraft der Universität an Bedeutung gewann. Die Gruppierungen formierten sich spontan oder wurden durch Beispiele an anderen Orten angeregt. Jede Gesellschaft entwickelte ein eigenes Profil, auch das „Sozietäten-Geflecht“ variierte von Ort zu Ort. Nach Carl Gotthelf Müller, dem Senior der Teutschen Gesellschaft, war die „Freiheit im Denken und im Urteil“ die „Seele der gelehrten Republiken“, zu denen er auch die Sozietäten zählte. Denn wäre das nicht der Fall, würden die Gelehrten nur „wie gestellte Maschinen“ handeln, deshalb sollten sie auch nicht an „Systeme oder Hypothesen“ gebunden sein. Die Sozietätsbewegung der Aufklärungszeit105 gipfelte in der Gründung von Akademien, das Jenaer Beispiel zeigt, das die Herzogl Gesellschaft der höhern Wissenschaften dieses Ziel nur indirekt verkörperte. Die Beteiligten bewegten sich in Freiräumen, die Entfaltungsmöglichkeiten zur Verwirklichung neuer Ideen boten. Jedes Mitglied erhielt Anregungen, sich über die allgemeine Wissenschaftsentwicklung zu informieren und Neues in seinen Erfahrungsschatz zu integrieren. Die ehrenamtliche Tätigkeit in einer Sozietät eröffnete den Mitgliedern neue Betätigungs- und Wirkungsfelder, das selbstlose „bürgerschaftliche Engagement“ von Karl Theodor Liebe in Gera wirkt bis heute nach. In der Regel bedeutete „Mitglied sein“ einen Prestigegewinn, der besonders das Geltungsbedürfnis gelehrter Mitglieder befriedigte. Aus den Personalangaben zu ihren Werken geht das „vernetzte Nebeneinander“ ganz unterschiedlicher Institutionen hervor. Mit seinem außergewöhnlich breit gefächerten Gesellschaftsengagement war der Altenburger Freimaurer Carl Friedrich Waitz ein konzilianter Nachfahre des strebsamen, aber schwierigen Fabricius, in ihrem Leben spielten die Sozietäten eine entscheidende Rolle. Das trifft auch für Johann Georg Lenz zu, der mit Hilfe eines weltweiten Korrespondenznetzes, an dem die gelehrten Gesellschaften wesentlich beteiligt waren, seine Mineralogische Sammlung aufbaute. 105

Zaunstöck, Holger: Gelehrte Gesellschaften im Jh. der Aufklärung. Strukturuntersuchungen zum mitteldeutschen Raum, in: Döring/Nowak, Gesellschaften (wie Anm. 2), Teil 2, 2002, S. 7–45. Zu den vielfältigen Erscheinungsformen vgl. S. 43–45: Gelehrte Sozietäten aus dem Spektrum der Aufklärungsgesellschaften im mitteldt. Raum (79 Gründungen im 18. Jh.).

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Die von Erbprinz Ernst August Constantin (TGJ 1751) und dessen Sohn Carl August (SLJ 1764, TGJ 1767) wahrgenommenen repräsentativen Funktionen machten die Beteiligten schon in jungen Jahren auf den kulturellen Stellenwert gelehrter Sozietäten aufmerksam. Sowohl die TGJ als auch die SLJ nahmen an den akademischen Feierlichkeiten aus Anlass von Jubiläen und Gedenktagen teil und bekundeten auf diese Weise ihre enge Verbundenheit mit der Universität als „Trägerinstitution“, die ihrerseits aus der sanktionierten Existenz der ansonsten unabhängigen Sozietäten ihre Vorteile zog. Die Motive zur Mitgliedschaft waren vielschichtig, am häufigsten werden die Kommunikation untereinander, freundschaftliche Kontaktpflege, Gedankenaustausch, Diskussionsbereitschaft und das dadurch entstehende Gemeinschafts- und Zusammengehörigkeitsgefühl genannt. Mit der Spezialisierung verengte und professionalisierte sich der Berufsstand der Gelehrten bzw. Wissenschaftler. Goethe war von Amts wegen daran interessiert, die sich im (Groß)herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach entfaltenden wissenschaftlichen Bestrebungen zum Nutzen der Allgemeinheit in effektiver Weise zu organisieren und zu koordinieren, wie das auch bei der NFGJ und MinG geschah. Während die Büchersammlungen der Gesellschaften die Universitätsbibliothek bereicherten, entwickelten sich im Museumswesen aus anfänglichen Interessensphären reale Institutionen. Der Sammeltätigkeit der NFGJ, der MinG und der Großzügigkeit Einzelner ist es zu danken, dass in Jena mehrere im akademischen Bereich angesiedelte Museen entstanden, die schon früh für das „allgemeine Publikum“ an bestimmten Tagen zugänglich waren, das betraf das Archäologische Museum (mittwochs), das Mineralogische Museum (donnerstags), das Germanische Museum (sonnabends) und das Zoologische Museum (montags). Der Botanische Garten und die Botanischen Sammlungen waren täglich von 8.00–11.30 und 14.00–18.00 geöffnet. Heute, 150 Jahre später, gewähren die inzwischen weiter angereicherten öffentlichen „Museen und Sammlungen der Friedrich-Schiller-Universität Jena“ Einblicke „in die spannende Welt der Tradition von Lehre und Forschung an einer der ältesten Universitäten Deutschlands“106 und bestätigen die Maxime107 des Großherzogs Carl August, dass „jeder Anfang eines nützlichen Instituts“ ein Grundstein mehr sei, „auf den die Zukunft bauen“ könne. Für die Gegenwart leitet sich die Verpflichtung ab, dieses kulturelle Erbe, das in einem Jahrhunderte währenden Entwicklungsprozess geformt wurde, auch für die nachkommenden Generationen zu erhalten.

106 Museen und Sammlungen/FSU Jena, Jena [2015], S. 30. 107 Briefwechsel des Herzogs-Großherzogs Carl August mit Goethe. Hrsg. von Hans Wahl. Bd. 1 (1775–1806). Nachdr. der Ausg. Berlin 1915, Bern 1971, S. 314: Nr. 294. Der Herzog an Goethe. [Weimar,] Mittwoch [6. Juli 1803].

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„Heimlicher Kanzler“ der Universität? Heinrich Carl Abraham Eichstädts Korrespondenz mit den Weimarer Ministern Goethe und Voigt (1803–1817) Gerhard Müller Im Januar 1816 verfasste Goethe ein Votum für Großherzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach, in dem er sich über den Jenaer Professor der Poesie und Beredsamkeit Heinrich Carl Abraham Eichstädt (1771–1848) folgendermaßen äußerte: „Es heißt: ein Mann habe die Vortheile mißbraucht die ihm Gunst und Glück in Gefolg seiner Verdienste zugewendet. Von den Verdiensten muß ich zuerst reden. Das größte, was er für die Academie Jena getan hat und wovon alles Gute ausging was er leistete und genoß, ist die Stiftung der Literaturzeitung in den gefährlichsten Augenblicken […] Wer die Umstände bedenkt, in welche wir zu obengemeldeter Epoche gesetzt waren, wird nicht läugnen, daß diese Anstalt der heilige Anker gewesen ist an welchem die Akademie sich damals rettete, und ich will gern gestehen, daß Eichstädts Unternehmungs-Geist so wie seine Beharrlichkeit mir von solchem Werth erschienen, daß ich zu Begünstigungen, die in meinem Kreise lagen, willig die Hand bot.“1

Goethes Würdigung Eichstädts bezieht sich mithin nicht auf die Gründung des philologischen Seminars 1817, sondern auf die „Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung“ ( JALZ) im Jahr 1803. Seit 1797 außerordentlicher Professor in Jena, war Eichstädt auch bereits Mitarbeiter der von Christian Gottfried Schütz herausgegebenen „Allgemeinen Literatur-Zeitung“ (ALZ) gewesen, faktisch sogar dessen Stellvertreter bei der Redaktion dieses Blattes. In Goethes Blickfeld geriet er erst im Sommer 1803, nachdem ruchbar geworden war, dass Schütz und sein Teilhaber, der Weimarer Verleger Friedrich Justin Bertuch, die Zeitung nach Halle verlegen wollten, wo man Schütz ein lukratives Berufungsangebot gemacht hatte. Die Vorgänge um die Abwanderung der

1

Votum Goethes, 26.01.1816, in: LATh-HStA Weimar, A 7693a, Bl. 4r–13v.

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Gerhard Müller

Schützschen ALZ und die Gründung der JALZ Eichstädts sind in der Literatur vielfach dargestellt worden.2 Festzuhalten ist vor allem, dass die ALZ seit ihrem Beginn 1785 weit über Deutschland hinaus eine Institution geworden war, deren Bedeutung für das damalige Wissenschaftsleben kaum überschätzt werden kann. In ihren Rezensionen bildete sie die gesamte im Druck erscheinende Literatur ab. Die Qualität ihres Mitarbeiterstabes hatte ihr darüber hinaus auch eine Autorität verschafft, die sie zu einer wissenschaftlichen Richterinstanz machte. Wer in der ALZ günstig rezensiert wurde, konnte auf eine erfolgreiche Laufbahn rechnen. Die Abwanderung ihres „Flaggschiffs“ nach Halle 1803 stellte für die Universität Jena eine Katastrophe dar. Sie löste einen regelrechten Exodus aus. Nicht wenige Hochschullehrer, deren glanzvolle Namen den Ruf der Jenaer Universität ausgemacht hatten, gingen an die aufstrebenden, finanziell unvergleichlich besser dotierten Universitäten in großen Staaten wie Bayern und Preußen, die als Nutznießer der territorialen Umbrüche in den letzten Jahren des Alten Reiches auf neue finanzielle Ressourcen zurückgreifen konnten. Der bekannte Theaterdichter August von Kotzebue prophezeite in seiner Zeitschrift „Der Freimüthige“ bereits den Untergang der Jenaer Universität. In dieser kritischen Situation war rasches Handeln erforderlich. Anfang September 1803 erschien eine von Goethe verfasste Erklärung, die der medial angeheizten Untergangsstimmung entgegenwirken sollte und eine Reihe von Projekten auflistete, die an der Jenaer Universität und in ihrem unmittelbaren Umfeld in Angriff genommen werden sollten. „Wenn nun die hießigen medicinischen Anstalten durch das nicht blos für die Aufbewahrung, sondern zugleich für die Kur der Kranken errichtete Irrenhaus einen neuen Umfang gewinnen, wenn das naturhistorische Museum, besonders im mineralogischen Fache, bedeutend erweitert worden, wenn die Büttnerische Bibliothek im Herzogl. Schloss geordnet, ein besonderes Botanisches Museum im Fürstengarten errichtet wird, wenn sich eine nahe Aussicht auf ein Seminarium philologicum, dessen Stelle bisher die erneuerte lateinische Gesellschaft vertrat, nicht weniger auf ein Prediger- und Schulmeister Seminarium zeigt; so gehet auf das Deutlichste hervor, daß es unserer Academie weder an Thätigkeit noch an Antheil fehle.“3

2

3

Vgl. Schmid, Irmtraut: Die Gründung der „Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung“. In: Impulse 10 (1987), S. 186–273; Schmidt-Funke, Julia-Annette: Der Konflikt um die Verlegung der Allgemeinen Literatur-Zeitung nach Halle im Jahr 1803. In: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte 57 (2003), S. 105–126; Müller, Gerhard: Vom Regieren zum Gestalten. Goethe und die Universität Jena, Heidelberg 2006 (= Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800, 6), S. 465–526; Goethe, Johann Wolfgang von: „Die Actenstücke jener Tage sind in der größten Ordnung verwahrt …“ Goethe und die Gründung der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung im Spiegel des Briefwechsels mit Heinrich Carl Abraham Eichstädt, hrsg. von Ulrike Bayer, Göttingen 2009 (= Schriften der Goethe-Gesellschaft, 70). Votum Goethes, o. D. [06. oder 07.09.1803]. In: Goethe und Schiller-Archiv Weimar, 30, 242, Bl. 81r–81v.

„Heimlicher Kanzler“ der Universität?

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Noch vorher, nur wenige Tage nach dem Erscheinen von Kotzebues Brandartikel am 19. August 1803, ergriff Goethe auch die Initiative zur Gründung einer neuen, „Jenaischen Literatur-Zeitung“, die an die Stelle der abwandernden ALZ treten sollte. Es war ein Glücksumstand, dass sich ihm jetzt Eichstädt, der sich Schütz nicht hatte anschließen wollen, für das neue Projekt zur Verfügung stellte. Als stellvertretender Redakteur der alten ALZ verfügte Eichstädt über alle für den Betrieb eines solchen Unternehmens erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen, hatte hervorragende Kontakte zum Kreis der potentiellen Mitarbeiter und konnte einen nahtlosen Übergang von der alten zur neuen Literaturzeitung garantieren. Wann Eichstädt an Goethe mit diesem Anerbieten herangetreten ist, lässt sich nicht mehr ermitteln. Als Goethe am 28. August 1803, seinem 54. Geburtstag, mit Herzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach die Einzelheiten des Projekts besprach, lag ihm jedenfalls bereits ein Promemoria Eichstädts mit konzeptionellen Vorschlägen und einem Maßnahmeplan vor. Noch am gleichen Tag bat Goethe Eichstädt und den Geheimen Rat Christian Gottlob Voigt zu einer Besprechung in sein Haus. Eichstädt erklärte sich bereit, die Herausgeberschaft zu übernehmen und erhielt dafür die Anwartschaft auf Schützens Professur der Poesie und Beredsamkeit, die er im Oktober 1803 antrat. Die JALZ, der alten ALZ fast täuschend ähnlich aufgemacht und ebenfalls täglich erscheinend, sollte die Form eines verlegerischen Privatunternehmens erhalten, zugleich aber, wie Voigt notierte, ein „landesfürstliches, aber doch akademisches Institut“ ähnlich dem herzoglichen Museum im Jenaer Schloss werden. „Die Landesherrschaft behält die Oberaufsicht.“4 Für Eichstädt bedeutete die Unterredung vom 28. August 1803 den Beginn einer steilen Karriere in Jena. Anfangs machte zwar seine Etablierung als Herausgeber der JALZ noch einige Schwierigkeiten, da einflussreiche Persönlichkeiten, die Goethe zur Mitarbeit gewinnen wollte, aus ihrer Abneigung gegen den Philologen keinen Hehl machten. So meinte z. B. Friedrich Schiller, die neue Literaturzeitung werde sich mit Eichstädt „prostituiren“, und er habe sich daher „jeden Antheils daran ganz begeben“, und der Philosoph Friedrich Immanuel Niethammer urteilte über Eichstädt geradezu vernichtend: „[…] bei der kriechenden Denkart, die an eben diesem Manne unverkennbar ist, kann man sicher seyn, daß er jede Bedingung (wenn er nur die Hoffnung behält, Schützens Stelle zu bekommen […]) sich gern wird gefallen lassen.“5 In der Tat war die Oberaufsicht der Geheimen Räte Goethe und Voigt von Anfang an eine conditio sine qua non des neuen Unternehmens. Das herzogliche Exklusivprivileg, das der Zeitschrift erteilt wurde, bedachte die Herausgeber außer mit der Zensurfreiheit auch noch mit der „Gunst“, sich in allen Angelegenheiten der Zeitschrift an einen

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Protokollniederschrift von Christian Gottlob Voigt, 28.08.1893. In: Schmid, Die Gründung, S. 241. Friedrich Immanuel Niethammer an Johann Wolfgang von Goethe, 05.09.1803. In: Goethe und Schiller-Archiv Weimar, 30/243, Bl. 25–5v, 28–28v.

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Beamten des Geheimen Consiliums in Weimar wenden zu dürfen,6 eine salomonische Umschreibung für das, was Voigt in der Besprechung vom 28. August als landesherrliche „Oberaufsicht“ bezeichnet hatte. Allen Unkenrufen zum Trotz gelang der JALZ ein guter Start, und sie war, wiederum mit einem Stab illustrer Mitarbeiter ausgestattet, bald etabliert und ebenso angesehen wie die alte ALZ, ja sie konnte ihre Konkurrentin in Halle wegen des ihr von Goethe verordneten neuen Profils, das sich den aktuellen Strömungen in Politik, Philosophie, Medizin, Anthropologie und Naturwissenschaft wesentlich stärker öffnete, sogar überflügeln. Neu war die Einführung von Rezensentenkürzeln, die dem interessierten Leser einen Hinweis auf den Urheber der Besprechungen gestatteten, während die alte ALZ gänzlich anonym rezensiert hatte.7 In ihren mit „WKF“ (für „Weimarische Kunstfreunde“) gezeichneten Rezensionen profilierte sich die JALZ zum offiziösen Verlautbarungsorgan Goethes in allen Fragen von Literatur und Ästhetik, eine nicht unwesentliche Voraussetzung für Weimar-Jenas anhaltende Autorität als geistiger Mittelpunkt Deutschlands. In einem Brief an Schelling beschrieb Goethe seine Intentionen im November 1803 mit den Worten: „Das jenaische kritische Institut gewinnt viele active Theilnehmer. Eine solche Gesellschaft wird nach und nach einer unsichtbaren Akademie ähnlich, die aus einer Menge geheimer Lehrstühle besteht, von wo herab sich so heterogene Naturen aussprechen, als immer auf einer sichtbaren Akademie geschehen mag.“8

Doch nicht nur an der Etablierung der JALZ war Goethe maßgebend beteiligt. Auch in den folgenden Jahren war die Einflussnahme Goethes und Voigts eine permanent präsente Konstante in Eichstädts Redaktionstätigkeit. In den ersten Jahren der JALZ lief jede Rezension vor ihrem Erscheinen über Goethes Schreibtisch, während Voigt vor allem die politischen Richtlinien vorgab. Das Hauptmedium dieser informellen Steuerung waren die weitgehend erhalten gebliebenen und teilweise auch publizierten Korrespondenzen, die Goethe und Voigt miteinander sowie jeder von ihnen mit Eichstädt führten. Sie gehören zu den wichtigsten Quellen nicht nur zur JALZ, sondern zur gesamten Jenaer Universitätsgeschichte in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Es ist an dieser Stelle nicht möglich, die Vielfalt der in diesen Briefen behandelten Gegenstände auch nur überblicksartig zu beschreiben. Um wenigstens ein Beispiel zu skizzieren, möchte ich auf das Verhältnis von Goethe, Eichstädt und Johann Heinrich Voß d. Ä. eingehen, das sich maßgeblich auf die JALZ bezog. Voß, der „Unschätzbare“, 6 7 8

Vgl. Dekret an Carl Heinrich Abraham Eichstädt und Carl Gottlob Samuel Heun (Konzept), 07.10.1803., sowie Revers an die Herausgeber und Privileg der JALZ. In: LATh-HStA Weimar, A 7692, Bl. 56r–58v. Vgl. Karl Bulling: Die Rezensenten der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung, 3 Bde., Weimar 1962–1965. Johann Wolfgang von Goethe an Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, 29.11.1803. In: Goethes Werke [Weimarer Ausgabe], IV, 16, S. 365–367.

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wie Goethe ihn nannte, lebte seit 1802 als Privatgelehrter in Jena und engagierte sich sehr nachdrücklich für die JALZ. Gemeinsam stemmten sich Goethe und Voß gegen den Strom der Abwanderungswelle, und eine enge, vertrauliche Zusammenarbeit verband Voß auch bald mit Eichstädt. Voß schrieb nicht nur Rezensionen, deren Autorität für die Akzeptanz der JALZ im Publikum von größter Bedeutung war, sondern verfasste oder redigierte gemeinsam mit Goethe und Eichstädt auch die programmatischen Artikel, überprüfte die Metrik von Distichen, übernahm die Korrektur von Rezensionen oder lieferte aus seinem reichen Vorrat von Karten der antiken Welt Vorlagen für Titelkupfer. Als Voß 1804 mit dem Gedanken spielte, einen Ruf nach Würzburg anzunehmen, reagierte der erschrockene Goethe sofort mit dem Angebot, Vossens Sohn, nachdem er von Eichstädt promoviert worden war, am Weimarer Gymnasium anzustellen. Man wollte Voß sen. halten, ganz gleich, „was man etwa davor opfern möge.“9 In der Tat war das Verhältnis zwischen Goethe und den Vossens niemals herzlicher als im Frühling und Sommer 1804. Vor allem Voß jr. war Goethe bald regelrecht verfallen. „Den Mann“ so schrieb er an seinen Freund Boie, „liebe ich ohne Grenzen, ich sehe ihn als meinen theuren Vater an, und er mich als seinen Sohn.“10 Bei den Bestrebungen, Voß in Jena zu halten, ging es jedoch nicht nur um eine angemessene Kompensation des Würzburger Angebots, sondern eigentlich um Eichstädt und die JALZ. Wie angesichts seines engen Verhältnisses zu Eichstädt anzunehmen ist, war Voß genauestens darüber im Bilde, dass sich die finanzielle Situation der JALZ dem Bankrott näherte, da Eichstädts Compagnon, der Buchhändler Carl Gottlob Samuel Heun, die dringend nötigen Kapitalzuschüsse verweigerte. Man befürchtete in Weimar wohl nicht zu Unrecht, Eichstädt könne mit Voß nach Würzburg abwandern. Nachdem Herzog Carl August im Oktober 1804 einen Garantiefonds von 2000 Talern für die JALZ bewilligt hatte,11 erklärte Voß definitiv, nicht nach Würzburg gehen zu wollen, was sofort im Intelligenzblatt der JALZ unter dem Stichwort: „Berichtigung eines voreiligen Gerüchtes“ vermeldet wurde. Allerdings hatte die Großzügigkeit des Herzogs auch ihre Kehrseite. Je mehr sich der Herzog finanziell für die JALZ engagierte, desto größer wurde auch die Abhängigkeit Eichstädts und seines Blattes von den Direktiven der Weimarer Räte. Dies war offensichtlich auch bereits der Hintergrund für Vossens Liebäugeln mit dem Würzburger Angebot gewesen. Ende Februar 1804 hatte Goethe Eichstädt nämlich untersagt, eine Rezension Christian Adolf Overbecks zu August Wilhelm Schlegels Lyrikanthologie

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Christian Gottlob Voigt an Johann Wolfgang von Goethe, 14.02.1894. In: Goethes Briefwechsel mit Christian Gottlob Voigt, Bd. 3, Weimar 1955 (= Schriften der Goethe-Gesellschaft, 55), S. 40. Johann Heinrich Voß jr. an Heinrich Christian Boie, 22.08.1904. In: Goethe, Johann Wolfgang: Begegnungen und Gespräche, Bd. 5, hrsg. von Renate Grumach, Berlin-New York 1985, S. 511. Christian Gottlob Voigt an Carl Heinrich Abraham Eichstädt, 19.09.1804. In: ThULB Jena, En1, Bl. 160r–161v.

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„Blumensträuße italienischer, spanischer und portugiesischer Poesie“ abzudrucken,12 die Voß, der den Romantikern anders als damals Goethe sehr kritisch gegenüberstand, gern in die JALZ einzurücken wünschte. „Ich wünschte, daß unser vortrefflicher sich mit uns überzeuge“, so hatte Goethe Vossens Ansinnen in seiner Direktive an Eichstädt kommentiert, „daß bey einem solchen Unternehmen, wie die Allgemeine Literaturzeitung, gar manches aufgenommen werden muß, das nicht völlig mit unseren Überzeugungen zusammentrifft.“13 Eine derartige Bevormundung war allerdings für einen Mann wie Voß unerträglich, und der Gedanke, dass man einen Weg finden müsse, um Eichstädts Literaturzeitung zu einem wirklich unabhängigen Blatt zu machen, scheint ihn seitdem immer wieder beschäftigt zu haben. Schon seit Voß und seine Frau Ernestine im Herbst 1804 Heidelberg besucht hatten, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie sich entschließen würden, dorthin zu übersiedeln. Als die Entscheidung zur Annahme der Heidelberger Sinekure im Mai 1805 fiel, konnte es den Weimarer Geheimräten nur noch darum gehen, einen offenen Eklat zu vermeiden. Geradezu flehentlich beschwor Voigt Eichstädt, auf Voß einzuwirken, damit dieser wenigstens den Höflichkeitsabschied bei Herzog Carl August nicht unterlassen möge.14 Zwar lenkte Voß noch ein und suchte um eine Abschiedsaudienz nach, doch scheint der Gedanke an eine Abwanderung der JALZ immer im Hintergrund gestanden zu haben. Im April 1805 stockte der Herzog daher die Kapitaldecke der JALZ durch eine Kreditbürgschaft der Großfürstin Maria Pawlowna nochmals erheblich auf, so dass das Herzogshaus der Hauptgesellschafter wurde. Nun war einer möglichen Abwerbung ein kräftiger Riegel vorgeschoben. Dennoch kam Eichstädt noch einmal auf Vossens Angebot zurück, und zwar in den ersten Tagen nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt im Oktober 1806. In der Annahme, dass der weimarische Staat und die Jenaer Universität untergegangen seien, schrieb er verzweifelt an Voß: „Mir ist die alte Idee, die Sie einst hegten, wieder eingefallen. Was mir damals, aus treuer Anhänglichkeit an Weimar, bedenklich schien, das scheint mir jetzt von Pflicht und Klugheit angerathen zu werden. Sollte nicht das neu aufblühende Heidelberg durch unser Institut etwas gewinnen? Sollte nicht Ihre Regierung […] sich geneigt finden lassen, etwas für eine solche Verpflanzung zu thun?“15

Doch Eichstädt und die JALZ blieben in Jena, wurden sie doch für das wider anfängliches Erwarten von Napoleon in den Rheinbund aufgenommene Herzogtum noch wichtiger als jemals zuvor, zumal die Schließung der Universität Halle durch die Fran12 13 14 15

Vgl. Johann Wolfgang von Goethe an Heinrich Carl Abraham Eichstädt, 29.02.1804. In: WA IV, 17, S. 79–83. Ebenda. Vgl. Christian Gottlob Voigt an Heinrich Carl Abraham Eichstädt, 03.06.1805. In: ThULB Jena, En 1, 1805, Bl. 117r–118v. Carl Heinrich Abraham Eichstädt an Johann Heinrich Voss d. Ä., 18.10.1806. In: ThULB Jena, En 9a, Bl. 37r–38v.

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zosen auch die dortige Konkurrenz lahmgelegt hatte. Es habe den Anschein, so lautete eine von Carl Ludwig Fernow im Januar 1897 übermittelte Botschaft Goethes an Carl August Böttiger nach Dresden, dass „Dresden und Leipzig, Weimar und Jena“ der „Hauptsitz der germanischen Geisteskultur im nördlich Deutschland bleiben“ würden, und man müsse daher darauf bedacht sein, dass die Franzosen die Achtung vor der deutschen Literatur nicht verlören.16 Eichstädts JALZ kam in dieser Hinsicht eine Schlüsselrolle zu. Ein lateinisches Chronodistichon, das Eichstädt damals auf Voigts Geheiß als Inschrift für ein zu Ehren von Napoleons Sieg bei Jena zu errichtendes Denkmal gedichtet hatte17, und die Meldung über die Umbenennung des Jenaer Landgrafenberges in „Napoleonsberg“ erschienen nicht nur in der JALZ, sondern wurden auch in Napoleons Hauptquartier kolportiert und im „Moniteur“ abgedruckt. Auch wenn die meisten Erwartungen, die man anfänglich auf einen Aufschwung der Jenaer Universität im Zeichen des Rheinbundes gehegt hatte, unerfüllt blieben, verfolgte Goethe weiterhin sein Ziel, Weimar-Jena zum Träger einer kulturpolitischen Partnerschaft mit der französischen Hegemonialmacht zu stilisieren. Als Napoleon während des Erfurter Fürstentages im Oktober 1808 auf die Idee kam, dem russischen Zaren Alexander und den anderen Fürsten das Schlachtfeld von Jena zu zeigen (nachdem er wenige Tage zuvor Goethe zu einer Audienz empfangen hatte), ließen die Weimarer Geheimräte auf dem „Windknollen“ bei Jena, wo der französische Kaiser zwei Jahre zuvor am Vorabend der Schlacht biwakiert hatte, einen Ehrentempel errichten.18 An dessen Fronton verkündete weithin sichtbar in goldenen Lettern ein Chronodistichon im geschliffenen Latein Eichstädts die politische Botschaft, die Goethe den beiden Kaisern ins Stammbuch zu schreiben wünschte: PRAESENTES DIVOS NVNC PRISCA THVRINGIA IVNXIT ET NOVVS ATTONITOS IVNGET AMOR POPVLOS.19 Die Addition der in das Distichon als Anagramm eingeflochtenen römischen Zahlzeichen ergab die Jahreszahl 1808. Politische Zugeständnisse machte Napoleon dem Weimarer Herzog zwar nicht, doch stiftete er für die Jenaer Universität eine Summe von 300.000 Francs und eine ansehnliche Dotation an Grundbesitz. Es ist an dieser Stelle unmöglich, ausführlicher darauf einzugehen, wie Eichstädt und die JALZ in den Rheinbundjahren von den Weimarer Geheimräten instrumenta-

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Carl Ludwig Fernow an Carl August Böttiger, 07.01.1807. In: Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek Dresden, h 37 4, Bd. 9, Nr. 33. IN MONTE PROPE IENAM, LANDGRVIORVM NVPER; NVNC NAPOLEONTIS, BACCHIA LANDGRAVII PROAVIS HVC DONA TVLERVNT: LAVRVS HINC VNVS NAPOLEON RETVLIT. Übersetzung Voigts: „Auf dem Landgrafenberg bei Jena, jetzt Napoleonsberg genannt, Reben pflanzte zuerst auf seinem Berge der Landgraf, einzigen Lorbeer nun brach sich Napoleon dort.“ Vgl. Müller, Gerhard: Vision einer Zeitenwende. Die erste Jubiläumsfeier der Schlacht bei Jena am 7. Oktober 1808. In: Hellmann, Birgitt (Hrsg.): Jubiläen in Jena, Weimar 2005, S. 39–66. Die Götter der Welt hat jetzt das alte Thüringen vereint, siehe, neue Liebe wird vereinen die erstaunten Völker.

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lisiert wurden. Erinnert sei u. a. an die Ernennung von Napoleons Generalintendanten Pierre Antoine Noel Bruno Graf Daru, der sich als Dichter und Horaz-Übersetzer einen Namen gemacht hatte, aber auch als gnadenloser Eintreiber von Kontributionen berüchtigt war, zum Ehrenpräsidenten der Lateinischen Gesellschaft. Zugleich war Eichstädt der wichtigste Vertrauensmann der Weimarer Geheimen Räte im akademischen Senat. Es gab in jenen Jahren keinen universitätspolitischen Vorgang, an dem Eichstädt nicht in irgendeiner Form beteiligt gewesen wäre. Eine besonders einflussreiche Rolle spielte er bei Entscheidungen über Besoldungs- und Berufungsfragen. Außer der dichten Korrespondenz, die nach 1807 fast nur noch über Voigt geführt wurde, wurde Eichstädt hierzu oft auch in persönlichen Zusammenkünften instruiert, die im Gasthof von Hohlstedt, der letzten Poststation vor Jena, abgehalten wurden. Zugleich wurde auch Eichstädts Stellung an der Universität weiter ausgebaut, u. a. durch seine Ernennung zum Oberbibliothekar der Universitätsbibliothek und zum Inspektor der weimarischen Landeskinder. Eine regelrechte Monopolstellung im Hinblick auf die Selbstdarstellung der Universität nach außen besaß Eichstädt aufgrund der seinem Lehrstuhl obliegenden Abfassung der lateinischen Universitätsprogramme. Auch die der Universität obliegende Bücherzensur wurde überwiegend von Eichstädt besorgt. Wie wichtig es für die Weimarer Räte war, gerade auf diesem Gebiet einen zuverlässigen Gewährsmann an der Universität zu besitzen, zeigte sich 1811, als der Physiker Johann Heinrich Voigt eine Ausgabe von Johann Gottfried Seumes napoleonkritischen „Apokryphen“ unbesehen durch die Zensur passieren ließ. Geharnischte Proteste der französischen Behörden nötigten zu einer Untersuchung, in der Voigt, der einräumen musste, nicht einmal zu wissen, was Apokryphen überhaupt seien, zu einer Geldstrafe von 100 Talern verurteilt wurde.20 Eichstädts enges, fast konspiratives Zusammenwirken mit den Weimarer Geheimräten brachte ihm den Ruf ein, der „heimliche Kanzler“ der Universität zu sein. Wie immer man auch über die Rolle, die er damals spielte, urteilen mag, so kommt man doch nicht umhin einzuräumen, dass das System Goethe-Voigt-Eichstädt in einer Zeit, in der das gesamte geistige Leben Deutschlands, allen voran die Universitäten, von Napoleons Geheimpolizei scharf überwacht wurde, eine durchaus angemessene Möglichkeit war, die Universität zu kontrollieren, aber auch die akademische Freiheit so weit als möglich aufrechtzuerhalten. Zwar mussten auch die Ministerien der Erhalterstaaten der Jenaer Universität mit den Franzosen kooperieren, doch anders als über Göttingen oder Halle schwebte über Jena nicht permanent das Damoklesschwert der Schließung oder Auflösung. Als in den Jahren der Freiheitskriege die nationalistischen Enragés unter den Jenaer Professoren, die Eichstädt schon seit langem misstrauisch 20

Vgl. Taszus, Claudia: „Auf alle Fälle muß das anstößige Buch wahrhaft apokryph werden.“ Zur Zensurgeschichte der dritten (vermehrten) Auflage von Seumes Spaziergang nach Syrakus. In: Jörg Drews (Hrsg.): Seume: „Der Mann selbst“ und seine „Hyperkritiker“ – Vorträge der Colloquien zu Johann Gottfried Seume in Leipzig und Catania 2002, Bielefeld 2004, S. 391–406.

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beobachtet hatten, an Einfluss gewannen, war dessen große Zeit allerdings zu Ende. 1816 erhob sich unter den national gesinnten Studenten sowie im Senat der Universität unter Federführung des Historikers Heinrich Luden eine regelrechte Fronde gegen den verhassten Kollaborateur und Franzosenfreund. Wie berichtet wird, empfing Eichstädt jetzt nur noch von zwei großen Hunden flankiert fremde Besucher in seinem Haus. Eichstädts Widersacher, so schrieb Voigt damals besorgt an Goethe, verfolgten „den Plan, die A. L. Z. zu sprengen und den kränkelnden Eichstädt so lange zu quälen, bis er aufgibt.“21 Ein Senatsbeschluss mit der Forderung, ihn wegen Amtsmissbrauch von seinem Lehrstuhl zu entfernen, erreichte auch Großherzog Carl August. Dieser schlug vor, Eichstädt möge sich aus seinem Lehramt zurückziehen und sich künftig als Privatmann nur noch der JALZ widmen. In dieser Situation sprang Goethe dem bedrängten Eichstädt mit seinem eingangs zitierten Votum energisch zur Seite und setzte durch, dass der Philologe auf seinem Lehrstuhl der Poesie und Beredsamkeit verbleiben konnte. Nicht zuletzt lag dies auch im höchsteigenen Interesse der Weimarer Minister selbst, war doch Eichstädt im Laufe der Jahre mit ihnen so eng vertraut und Mitwisser so vieler politischer Interna geworden, dass sie befürchten mussten, der Skandal um seine Vertreibung aus Jena könne auch sie selbst in Bedrängnis bringen. „[…] wir beide dürfen uns nie compromittiren oder irgend einiges Mistrauen erregen. Also – still!“, schrieb Voigt damals warnend an Eichstädt.22 Der Konflikt endete mit einem Kompromiss. Einem Vorschlag Goethes folgend, wurde der Senat angewiesen, eine Kommission aus hinreichend lateinkundigen Professoren zu ernennen, die künftig die von Eichstädt verfassten Texte der Universitätsprogramme vor ihrer Veröffentlichung durchsehen sollte. Nicht verhindern konnte Goethe indes Eichstädts Absetzung als Oberbibliothekar der Universitätsbibliothek. Die Kritik an Eichstädts Amtsführung, dem Wirrwar des Rechnungswesens und der desolaten Gesamtsituation der Bibliothek, die den Großherzog bei einem Besuch in Jena regelrecht entsetzt hatte, fiel auch auf Goethe zurück, der seit zwanzig Jahren für die Oberaufsicht über die Bibliotheken zuständig war. Vergebens hatte Eichstädt versucht, die Mängel seiner bibliothekarischen Amtsführung mit den widrigen Zeitverhältnissen der vergangenen Jahre zu entschuldigen, und schließlich verlangt, dass der „Herr Staatsminister von Goethe befragt werden möchte“, warum die Pläne zur Reorganisation der Bibliothek nicht ausgeführt worden seien.23 Carl August nötigte daraufhin den bald 70-jährigen Dichter, die Reorganisation der Universitätsbibliothek in seiner Eigenschaft als Chef der „Oberaufsicht über die

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Christian Gottlob Voigt an Johann Wolfgang von Goethe, 11.05.1817. In: Goethes Briefwechsel mit Christian Gottlob Voigt, Bd. 4, Weimar 1962 (= Schriften der Goethe-Gesellschaft, 56), S. 294. Christian Gottlob Voigt an Heinrich Carl Abraham Eichstädt, 13.01.1816. In: ThULB Jena, En 7a, Bl. 6r–11v. Heinrich Carl Abraham Eichstädt an Carl Ernst Adolf von Hoff, 11.05.1817. In: LATh-StA Gotha, Geheime Kanzlei, sub Mond, 1 b, Bl. 153r–157v.

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unmittelbaren Anstalten für Wissenschaft und Kunst in Weimar und Jena“ nun selbst zu übernehmen, eine Aufgabe, die ihn jahrelang beschäftigte. Noch einmal, 1826, musste Goethe Eichstädt zu Hilfe kommen, als die Weimarer Kammer, deren Geschäftsführung nach Voigts Tod 1819 revidiert wurde, die Rückgabe des Eichstädt 1805 von Goethe höchstpersönlich zugemessenen Areals im Jenaer Fürstengarten verlangte. Diese Übertragung war mit der Maßgabe erfolgt, dass Eichstädt dort ein Gebäude für die Redaktion der JALZ errichten sollte, doch hatte er den Bau niemals in Angriff genommen. Es gelang Goethe, das Restitutionsverlangen mit dem Verweis auf die widrigen Zeitverhältnisse jener Jahre, die ein solches Bauvorhaben verhindert hätten, niederzuschlagen. Seitdem blieb Eichstädt unbehelligt. 1828 wurde ihm sogar, ironischerweise gemeinsam mit seinem einstigen Widersacher Heinrich Luden, der weimarische Hausorden vom Weißen Falken verliehen. Noch bis 1841 gab Eichstädt die JALZ heraus. 1848 starb er auf seinem Rittergut Benndorf.

Vorgeschichte, Voraussetzungen und Verlauf der Gründung des philologischen Seminars in Jena Meinolf Vielberg in memoriam Manfred Simon

An der Universität Jena wurde 1817 nach mehreren Anläufen und langwierigen Verhandlungen ein philologisches Seminar gegründet. Die Gründung des Seminars wurde von den beteiligten Wissenschaftlern wie dem Professor der Beredsamkeit und Direktor des Seminars Heinrich Karl Abraham Eichstädt in Reden, Briefen und Denkschriften befördert, begleitet und beschrieben1 und der „Plan zum philologischen Seminarium bey der Universität Jena“ in den Annalen Academiae Jenensis von 1823 veröffentlicht2. Auf dieser Grundlage wurde das Geschehen dieser Jahre später von Klassischen Philologen und Germanisten mit unterschiedlichen Ziel- und Schwerpunktsetzungen rekonstruiert.3 Die Vorgeschichte, die politischen, institutionellen und biographischen Voraus1

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Dieser Beitrag ist Manfred Simon (1934–2019) in dankbarer Erinnerung gewidmet, der das Symposion zur Gründung des philologischen Seminars anregte und einen Vortrag hielt zu dem Thema „Heinrich Carl Abraham Eichstädt: Vom Alumnus Portensis zum Orator Europae“. Vgl. u.a. H. K. A. Eichstädt, Einige Winke über Beförderung der Humanistischen Studien auf Universitäten: Zur Ankündigung seiner Sommer-Vorlesungen von D. H. K. A. E., Jena 1816; ders., Volumen primum continens Historiam Instaurationis Academiae Vitas Doctorum et Scripta A. C. N. MDCCCXXI (1823), 121–123; ders., Oratio de caussis neglecti aliquamdiu in academia Ienensi studii philologiae capessendi et auspicandi prorectoratus causa habita, Jena 1826, 21–25 zur Geschichte des philologischen Seminars seit J. M. Gesner und zu seiner Gründung 1817 in Jena. Eichstädt, 1823 (Plan des philologischen Seminars), 179–182. Zum politischen und finanziellen Hintergrund der Universitätsreform der Jahre 1816/17 vgl.: Statuten und Reformkonzepte für die Universität Jena von 1816–1829, bearbeitet von J. Bauer, G. Müller, Th. Pester, Stuttgart 2016. G. Goetz, Geschichte der Klassischen Studien an der Universität Jena von ihrer Gründung bis zur Gegenwart, Jena 1928, hier: 30–31; H. Koch, Heinrich Karl Abraham Eichstädt (1772 (!) –1848), Orator Europae, Demosthenes Alter, Ikonographische Studien, in: Antike und Abendland, 7, 1963, 145–157; M. Simon, Humaniora und Latinitas an der Jenaer Universität zu Beginn des 19. Jahrhunderts, in: F. Strack (Hrsg.), Evolution des Geistes: Jena um 1800, Stuttgart 1994, 270–274; M. Brun-

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setzungen sowie der Verlauf dieses Ereignisses der Universitätsgeschichte werden hier erneut behandelt, nachdem der Nachlass „Heinrich Carl Abraham Eichstädt – Lateinische Gesellschaft“ im Jahr 2006 aus dem Stadtarchiv Erfurt in das Universitätsarchiv Jena gelangt ist (UAJ, Bestand V, Abt. XLIV). Die Dokumente erlauben eine genauere Beschreibung des Verlaufs der Gründung und eine bessere Einschätzung der Rollen, die Eichstädt, aber auch sein Ostern 1817 zum Professor der griechischen Literatur und zum Mitdirektor des philologischen Seminars berufener Kollege Ferdinand Gotthelf Hand4 bei der Reform der Universität nach Änderung der Nutritorenstruktur und der so erst möglich gewordenen Einrichtung des philologischen Seminars spielten. Vorgeschichte der Gründung: 1715–1802 Die Gründung des Seminars reicht in ihrer Vor- und Wirkungsgeschichte weit über den hier im Mittelpunkt stehenden und von Krisen und Reformen geprägten Zeitraum der Jahre 1803–1817 hinaus. Sie ist Teil der Ausbildung, Etablierung und Institutionalisierung eines Kulturmusters, das am Anfang des 18. Jahrhunderts in Jena erdacht wurde, von Göttingen seinen Ausgang nahm und sich schnell an den Universitäten im Alten Reich verbreitete. Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts kehrte das Seminar an seinen Ursprungsort zurück, bevor es im 20. Jahrhundert über anglo-amerikanische Universitäten weltweite Verbreitung fand. Es war in Jena, wo der Buddeus-Schüler und Magister der Philosophie Johann Matthias Gesner 1715 in seinen Institutiones rei scholasticae das Programm eines neuen Kulturmusters entwickelte.5 Nach Ansätzen in Halle zielte es auf Etablierung eines collegium paedagogicum in Jena. Die Umsetzung des Programms verband die Erfordernisse zeitgenössischer Lehrerbildung mit dem überkommenen Konzept universalen Wissens, indem es, vom ‚Zwang zur Freiheit‘ bestimmt, auf die Eigentätigkeit der Lernenden im Bildungsprozess vertraute und sie darin bestärkte. Mit der Gründung des philologischen Seminars in Göttingen wurde das Kulturmuster 1738 von dem inzwischen zum Professor der Beredsamkeit avancierten Gesner in die akademische Praxis übertragen. Im Laufe des 18. und zumal am Anfang des 19. Jahrhunderts verbreitete es sich durch Wolf in Halle und Creuzer in Heidelberg rasch an deutschen Universitäten. Eichstädt ist sich dieser Entwicklung und ihrer Be-

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ner, Verfassung und Verwaltung der Universität Jena um die Wende des 18. Jahrhunderts, Diss. Jena 1925, hier: 184. H. Schulz, Weimars schönster Stern, Anna Amalia von Sachsen-Weimar und Eisenach, Quellentexte zum Entstehen einer Ikone, Heidelberg 2011, zu Eichstädt besonders 103–117. G. Queck, Ferdinand Gotthelf Hand nach seinem Leben und Wirken, Jena 1852. Goetz, 1928 (Geschichte der Klassischen Studien), hier: 42–50 sowie Hands Autobiographie in H. C. A. Eichstädt, Volumen primum continens Historiam Instaurationis Academiae Vitas Doctorum et Scripta A. C. N. MDCCCXXI (1823), 52. Johann Matthias Gesner, Institutiones rei scholasticae, Leitfaden für das Unterrichtswesen, hrsg. und übers. von M. Vielberg, Wiesbaden 2013.

Vorgeschichte, Voraussetzungen und Verlauf der Gründung des philologischen Seminars

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deutung für das Studium der Philologie bewusst und beschreibt sie 1816 unter Bezugnahme auf ihren Ausgangspunkt so: „Seitdem Gesner, nach einer von seinem Lehrer Buddeus in Jena aufgefaßten und glücklich angewandten Idee, durch Anlegung eines solchen Seminars die Georgia Augusta gleich bey ihrer Gründung (1738) verherrlicht hatte, wurden mehr oder weniger nach diesem Muster, ähnliche Anstalten zu Kiel (1777, erneuert 1810), zu Erlangen (1778), Helmstädt (1779), Halle (1787), Heidelberg (1807), sodann auch auf den königlich-sächsischen Universitäten, wiewohl diese noch ganz anderer Stützen der Philologie sich erfreuten, zu Wittenberg (1808) und Leipzig (1809), endlich zu Marburg (1811) und in den letztverwichenen Jahren auf den neu errichteten Universitäten zu Berlin und Breslau gestiftet.“6 Schon vor Eichstädt gab es Versuche, die philologischen Studien in Jena durch Gründung eines Seminars zu stärken. 1779 wurde Christian Gottfried Schütz7 auf die Professur der Beredsamkeit berufen. Schütz war an zeitgenössischer Philosophie und Literatur interessiert. Er begründete die Allgemeine Literatur-Zeitung (ALZ) und hatte so wesentlichen Anteil an der Verbreitung der Philosophie Kants in Jena und der Entstehung des Frühkantianismus.8 Im Jahre 1785 wurde Schütz von der Philosophischen Fakultät beauftragt, eine Anweisung für Studienanfänger zu verfassen. Darin legte er zur Einteilung der Philosophie eine Systematik zugrunde, die Kant in seiner „Kritik der reinen Vernunft“ von 1781 entwickelt hatte.9 Gleichzeitig suchte Schütz das Studium der griechischen und lateinischen Autoren durch ein Promemoria zu fördern, das vom Senat der Universität einmütig unterstützt wurde.10 In einem Brief vom 17. März 1791 wurde Schütz von dem Weimarer Legationsrat Friedrich Bertuch gebeten, dem Herzog Carl August über seinen Plan und Vorschlag wegen eines philologischen Seminars zu berichten.11 Teil seiner Bemühungen ist ein „Promemoria die klassischen philologischen Studien auf hiesiger Universität betreffend“ vom 18. Juli 1791, das „nach Anlage und Stil für den Herzog bestimmt“ war.12 „Unter dem Titel Unzielsetzlicher Plan eines Herzogl Sächs Weimar und Eisenachischen philologischen Seminarii zu Jena“ legte Schütz „eine detaillierte Ausarbeitung zur Einrichtung des Seminars“ vor und

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H. K. A. Eichstädt, Einige Winke über Beförderung der humanistischen Studien auf Universitäten, Jena 1816, 5. Christian Gottfried Schütz, Darstellung seines Lebens, Charakters und Verdienstes; nebst einer Auswahl aus seinem litterarischen Briefwechsel mit den berühmtesten Gelehrten und Dichtern seiner Zeit, hrsg. von seinem Sohne Friedrich Karl Julius Schütz, Halle 1834. H. Schröpfer, Kants Weg in die Öffentlichkeit, Christian Gottfried Schütz als Wegbereiter der kritischen Philosophie, Stuttgart 2003; M. Vielberg, Die Professur der Eloquenz an der Universität Jena in ihrer klassischen Epoche, in: Th. Bach, J, Maatsch, U. Rasche (Hrsg.), ‚Gelehrte‘ Wissenschaft, Das Vorlesungsprogramm der Universität Jena um 1800, Stuttgart 2008, 239–263. Vielberg, 2008 (Professur der Eloquenz), 255. Schröpfer, 2003 (Kants Weg in die Öffentlichkeit), 180. Schröpfer, 2003 (Kants Weg in die Öffentlichkeit), 180 nach UB Leipzig Abt. Handschriften, Rep. III, 1a, Brief Nr. 55. Schröpfer, 2003 (Kants Weg in die Öffentlichkeit), 180.

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begründete dessen Notwendigkeit nicht nur mit der Möglichkeit, die Lehrerbildung zu verbessern, sondern mit dem Ziel, „die Cultur der humanistischen Kenntniße, vornemlich der alten griechischen und römischen Litteratur zu befördern.“13 Trotz dieses Eintretens für die antike Kultur und Literatur entfernte sich der vielseitig interessierte Schütz im Laufe der Zeit immer weiter von seinem ursprünglichen Berufungsgebiet der Beredsamkeit und der Alten Sprachen. Ein gewisser Höhepunkt in dieser Entwicklung war nach dem Vorlesungsangebot der Universität Jena im Wintersemester 1796/97 erreicht. „Christian Gottfried Schütz hielt wie der Historiker (und Dichter) Friedrich Schiller eine Vorlesung zur Ästhetik und wie der Philosoph Johann August Heinrich Ulrich eine Vorlesung zur allgemeinen Literaturgeschichte, bot aber keine Veranstaltung mehr an, die der Altertumswissenschaft zugerechnet werden könnte.“14 1797 ist nun auch das Jahr, in dem Eichstädt als ordentlicher Honorarprofessor zur Unterstützung von Schütz in der Lehre und bei der Redaktion der Allgemeinen Literatur-Zeitung nach Jena berufen wurde.15 Der Berufung war eine längere Erkrankung von Schütz vorausgegangen, mit der er gegenüber Herzog Carl August seinen zeitweiligen Rückzug aus der Altertumswissenschaft erklärte.16 Eichstädt nahm sich der alten Sprachen an und sorgte dafür, dass wieder lateinische Stilübungen veranstaltet wurden. Im Wintersemester 1798 waren es vier Veranstaltungen, in die er sich mit den Philologen Ilgen, Jakobi und Vater teilte.17 Als Nachfolger des Juristen Karl Friedrich Walch wurde Eichstädt im Jahre 1800 Direktor der Societas Latina Ienensis. Er organisierte ihre Treffen und kündigte sie unter eigenem Namen sowohl in der deutschen Version des Vorlesungsprogramms als auch im lateinischen Catalogus scholarum an.18 Wer war der Philologe, der die lateinischen Studien im Geiste eines moderaten Traditionalismus erneuerte? Heinrich Karl Abraham Eichstädt wurde am 8. August 1773 in Oschatz geboren, wo sein Vater Archidiakon und stellvertretender Superintendent war. Nach dem frühen Tod der Mutter wurde Eichstädt von seinem Vater erzogen, 13 14

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UAJ, A 1333, Bl. 6 nach Schröpfer, 2003 (Kants Weg in die Öffentlichkeit), 181. Vielberg, 2008 (Professur der Eloquenz), 261. Vgl. Catalogi Scholarum in Academia Jenensi 1741–1814 (UB Jena, 2 Hist. Lit. VI/29), SS 1796/97 (114a): Christ Godofr Schütz, D hor XI–XII Aestheticam docebit; hor I–II historiam literariam universam ab initio usque ad seculum a Chr n decimum quintum enarrabit. Henr. Carolus. Abr. Eichstaedt, in: Annales Academiae Ienenses, 1823, 35–41, 36 sed ut discederem, et in affluentissima litteris artibusque Academia Ienensi, in quam a 1797 Professor philosophiae ordinarius honorarius fueram evocatus, doctrinae auctus quaererem, illi ipsi summi viri suaserunt, qui et munus Lipsiense detulerant, et mox ornatiorem me auctioremque illuc reducturos spondebant Vielberg, 2008 (Professur der Eloquenz), 261, Anm 72 und Schröpfer, 2003 (Kants Weg in die Öffentlichkeit), 170. Vielberg, 2008 (Professur der Eloquenz), 261. Zur lateinischen Gesellschaft vgl. G. Goetz, Die Societas latina in Jena, Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte u. Altertumskunde, 37, 1931, 342–355; H. Jaumann, Die Societas Latina Ienensis (1734–1848), in: D. Döring (Hrsg.), Gelehrte Gesellschaften im mitteldeutschen Raum (Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Phil.-hist. Kl. 76,6) Stuttgart, 2002, 33–70.

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der ihn zu Hause unterrichtete, und besuchte seit 1783 die bei Naumburg gelegene Fürstenschule. 1787 verließ er Schulpforte und ging an die Universität Leipzig. Dort besuchte Eichstädt theologische, philosophische und philologische Vorlesungen und wurde 1789 von dem Philologen Beck zum Magister promoviert. Drei Jahre später habilitierte er sich in Leipzig und wurde 1795 zum außerordentlichen Professor der Philosophie ernannt. Man dachte, Eichstädt aus Jena auf eine ordentliche Professur in Leipzig berufen zu können, und machte ihm einschlägige Angebote. Doch es kam anders als gedacht. Schütz ging nach Halle und Eichstädt wurde 1803 sein Nachfolger als Professor der Beredsamkeit in Jena.19 Voraussetzungen der Gründung: Die Krisen der Universität in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts und ihre Überwindung Mit der Berufung begann für Eichstädt die Periode seines Lebens, welche er nach der ferrea aetas seiner von Armut bestimmten Jugend als aurea aetas bezeichnet.20 Was für Eichstädt der Anfang einer goldenen Zeit war, stellte sich für Jena eher als das Ende einer außerordentlich günstigen, um nicht zu sagen, goldenen Zeit dar. Die Jahre von 1780 bis 1800 waren durch gelungene Berufungen besonders auch ‚außerordentlicher‘ Professoren, durch ein aufgeschlossenes und nicht von der Zensur bestimmtes intellektuelles Klima und durch eine hohe Frequenz von Immatrikulationen bestimmt. Die Immatrikulationen erreichten 1792 und 1793 mit nicht ganz 900 Studenten einen Höhepunkt und fielen dann langsam, aber gleichmäßig wieder ab.21 In Jena begegneten sich Goethe und Schiller und schlossen ihre Dichterfreundschaft. In Jena trafen sich die Frühromantiker. In Reaktion auf die Entdeckung Kants formierte sich mit Fichte, Fries, Schelling und Hegel der deutsche Idealismus. Das Jahr 1794/95 ging als annus mirabilis in die Geschichte Jenas ein.22 Aber luxurierende Kräfte der Aufklärung setzen auch konservative Gegenkräfte frei. Der ‚Atheismusstreit‘, in dem Goethe in der Auseinandersetzung um und mit Fichte eine unglückliche Rolle spielte, löste eine für die Universität bedrohliche intellektuelle Krise aus. Die Alimentation und Kontrolle der Universität verteilten sich traditionell auf vier Höfe und ihre regierenden Fürsten, die selten einer Meinung waren. Daher war die Freiheit der Lehre in Jena von jeher groß gewesen. Als diese Freiheit nun eingeschränkt zu werden drohte, kam es zur Abwanderung von Professoren. „Das Jahr 1803 warf lange Schatten, als eine Reihe der

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Die Lebensdaten nach der Autobiographie Eichstädts, 1823 (Volumen primum continens Historiam Instaurationis Academiae Vitas Doctorum et Scripta), 36–41. Abweichend datiert Goetz, 1928 (Geschichte der Klassischen Studien), 26–31, hier 27 die Berufung von Schütz nach Halle auf 1804. Eichstaedt, 1823 (Annales Academiae Ienenses), 37. E. Maschke, Universität Jena, Köln 1969, hier: 72. Th. Ziolkowski, Das Wunderjahr in Jena, Geist und Gesellschaft 1794/95, Stuttgart 1994.

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besten Gelehrten die Universität verließ. In diesen Jahren gingen Schelling, Hufeland und Paulus nach Würzburg, Loder, der seine wertvolle Präparate-Sammlung mit sich führte, und Schütz, der die ‚Allgemeine Literatur-Zeitung‘ mitnahm, nach Halle. Die Brüder Schlegel zogen nach Berlin. Feuerbach war schon 1802 einem Ruf nach Kiel gefolgt.“23 In dieser „Emigrationskrisis“ bewährte sich Eichstädt in verschiedener Weise. Im Auftrag der für die Universität zuständigen Minister Goethe und Voigt, die sich bemühten, „die personellen Lücken so bald wie möglich zu füllen und höhere Sachmittel für die Institute zu beschaffen“,24 wandte er sich an die scherzhaft ‚Abiturienten‘ genannten Kollegen und suchte sie zum Bleiben zu bewegen, wie den nach Heidelberg strebenden Voß, oder sie, wie Schelling aus Würzburg, für Jena zurückzugewinnen.25 Besonders schmerzhaft war die Abwanderung von Schütz, der die von ihm gegründete Allgemeine Literatur-Zeitung (ALZ) mit nach Halle nahm. Es drohte der Verlust des intellektuellen Flaggschiffs der Universität. Als Ersatz für die ALZ begründete Goethe die Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung ( JALZ), für deren Finanzierung er einen Berliner Industriellen gewinnen konnte. Die anfallenden Aufgaben wurden auf mehrere Schultern verteilt. „Goethe sorgte für den Gewinn von Rezensenten und Rezensionen“. Voigt beschaffte politische Informationen und warb anfangs auch um Akzeptanz für die JALZ.26 Eichstädt, der Schütz bei der Redaktion der ALZ entlastet hatte, „übernahm die Redaktionsgeschäfte“.27 Die intellektuelle Krise war noch nicht überwunden, als sich eine politische Krise anbahnte. Voigt berichtet Eichstädt am 6. Januar 1806 von „blauen Heuschrecken“, die in Weimar einquartiert würden.28 Es handelt sich um preußische Soldaten, denen französische Grenadiere folgen. Am 20. Oktober schreibt Voigt an Eichstädt: „Seitdem ich bey dem großen Kaiser gewesen war, fand ich mich ruhiger.“ Und fügt hinzu: „Ich bin nicht belagert, nicht insultiert, nicht geplündert worden. Gleichwohl lag mein Hauß voll Verwandten und Freunden, die zu uns flohen. Was Geld itzt kostet, ist nichts, gegen Ruhe und Leben.“ In Bezug auf Jena klingt Voigt weniger optimistisch: „Ich sinne auf Erhaltung der Akademie – wenn noch etwas auf der Welt zu erhalten ist.“29 Am 14. Oktober 1806 war es zu der Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt gekommen. Jena wurde geplündert und in Brand gesteckt. Die Verwundeten wurden in die Stadtkirche gebracht, die Universität auf Zeit geschlossen.30 Prophylaktisch erkundigte sich Eichstädt bei seinem Freund Heinrich Voß nach der Möglichkeit eines Wechsels an 23 24 25 26 27 28 29 30

Maschke, 1969 (Universität Jena), 80. Maschke, 1960 (Universität Jena), 80. G. Goetz, Aus Voigts Briefen an Eichstädt, Ein Beitrag zur Geschichte der Universität Jena, Jena 1927, 180–183; 184–190. Goetz, 1927 (Briefe von Voigt an Eichstädt), 172. Schulz, 2011 (Weimars schönster Stern), 105. Goetz, 1927 (Briefe von Voigt an Eichstädt), 197; 198. Goetz, 1927 (Briefe von Voigt an Eichstädt), 200. Schulz, 2011 (Weimars schönster Stern), 105.

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die Universität Heidelberg.31 Als die Gefahr einer vollständigen Schließung zunächst abgewendet zu sein schien, dementierte er nicht nur seine Absichten, sondern setzte sich mit aller Kraft für die Rettung der Universität ein, obschon die Immatrikulationszahlen „im Unglücksjahr 1806 […] mit insgesamt 107 den Tiefpunkt“ erreichten.32 Eichstädt suchte von Napoleon einen Schutzbrief für die Universität und ihre akademischen Bürger zu erhalten, indem er sich – allerdings erfolglos – in das französische Hauptquartier begab.33 Mit Goethe und Voigt knüpfte er Verbindungen zu den Franzosen. Den gefürchteten Stadtkommandanten Durant machte er zum Ehrenvorsitzenden der Societas Latina.34 Mit diplomatischem Geschick nutzte er die lateinische Gesellschaft zur Etablierung wissenschaftlicher Kontakte, indem er französische Gelehrte zu ordentlichen Mitgliedern ernannte. Auf Voigts Anregung verfasste er eine lateinische Versinschrift, welche für ein zu Ehren von Napoleons Sieg zu errichtendes Denkmal gedacht war.35 In der Krisenzeit gewinnt Eichstädt mit solchen Initiativen, bei denen er davon profitiert, dass er mehrere Ämter in seiner Person vereint und zugleich Professor der Beredsamkeit, Vorsitzender der Societas latina, Oberbibliothekar und Herausgeber der JALZ ist, zwar eine besondere Statur, aber er zieht sich auch den Neid und Unwillen seiner Kollegen zu. Seine Verhandlungen mit den Franzosen tragen ihm den Ruf ein, ein Opportunist zu sein. Der Vorwurf musste schwer wiegen bei Patrioten wie Heinrich Luden, die zur Zeit des Wartburgfestes auf einer Erfolgswelle schwammen. Eichstädts wissenschaftliche Arbeit trat zurück gegenüber dem Verfassen lateinischer Zweckpublizistik wie den Universitätsprogrammen, von denen sich manche Kollegen durch Anspielungen auf zeitgenössische Ereignisse angegriffen fühlten. Am Zustandekommen seiner Lehrveranstaltungen scheint er nicht sonderlich interessiert gewesen zu sein und stand in dem Ruf, ein ‚Dauerurlauber‘ zu sein.36 Auch gab es Klagen wegen der Vernachlässigung seiner Aufgaben als Oberbibliothekar. Diese Verstöße gegen universitäre Regeln führten dazu, dass sich unter Führung des Theologen Johann Jakob Griesbach, der sich durch das Wort mediocritas in einer Programmschrift Eichstädts herabgesetzt fühlte,37 eine Opposition gegen den Professor der Beredsamkeit bildete.38 „Mit der eindeutigen Zielsetzung, Eichstädt aus seinen akademischen Ämtern zu ent-

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Schulz, 2011 (Weimars schönster Stern), 105; G. Müller, in diesem Band, 70–88. Maschke, 1968 (Universität Jena), 82. Schulz, 2011 (Weimars schönster Stern), 105. Schulz, 2011 (Weimars schönster Stern), 105. Schulz, 2011 (Weimars schönster Stern), 111. Schütz, 1834 (Darstellung seines Lebens), 165: Hand am 23. Juni 1811 aus Weimar in einem Brief an Schütz: „Bei uns und in unser Nähe (in Jena) ist das philologische Leben fast ganz todt; an unserm Gymnasium ist kein einziger Philolog. Eichstädt hat in diesem Halbjahr nicht ein Collegium zu Stande gebracht, und so geht es durchaus Traurig genug.“ Goetz, 1928 (Geschichte der Klassischen Studien), 39. Goetz, 1927 (Aus Voigts Briefen an Eichstädt), 162.

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fernen, kommt es im Senat der Universität zum Beschluss offizieller Beschwerden, die in einer Eingabe aufgelistet, schließlich dem Herzog Carl August übergeben werden.“39 Diese Beschwerden wirken in allerhöchsten Kreisen weiter und verdichten sich, als die Universität 1816 vor einer grundlegenden Reform der Nutritorenstruktur steht, in einer Äußerung des Großherzogs, die von Friedrich Bertuch in einem Brief an Böttiger vom 24. Januar 1816 berichtet wurde und die, auch wenn sie zugespitzt sein sollte, als äußerst bedrohlich empfunden werden musste: „Als Basis der Reorganisation der Universität Jena, hat der Großherzog erklärt, müsse Eichstädt, der allgemeine Stein des Anstoßes und die Eiterbeule der Universität, ganz removirt und von der Akademie abgeschieden werden. Er solle als Pension alles behalten, was er jetzt hat, könne als Privatmann in Jena fortleben, dürfe aber durchaus nichts mehr mit der Universität zu thun haben.“40 Was in der kolportierten Äußerung des Herzogs mit Reorganisation der Universität beschrieben wird, dürfte sich nicht nur im Besonderen auf die Person Eichstädts beziehen, der von Goethe und Voigt zwar erfolgreich vor der Entlassung bewahrt wurde,41 in seinen Kompetenzen aber empfindlich beschnitten wurde. Es könnte freilich Teil des erreichten Kompromisses gewesen sein. Die Erklärung des Herzogs dürfte sich auch im Allgemeinen auf die Umwandlung des Status der Universität durch Veränderung der Nutritorenstruktur beziehen. Im Jahre 1816 schieden die Höfe von Meiningen und Coburg aus der Gruppe der Nutritoren aus. Die Kosten für die Universität wurden zwischen Weimar und Gotha aufgeteilt. Damit hatte die Universität, die „aus einer autonomen ständischen Korperation in eine Staatsanstalt“ umgeformt wurde,42 einen festen Haushalt, der die dauerhafte Zuteilung von Budgets und damit die Gründung von Seminaren und anderen universitären Einrichtungen ermöglichte. Die Reform beruhte auf einem Vortrag des Staatsministers Ernst Christian August Freiherr von Gersdorff über die zerrüttete finanzielle Lage der Universität vom Februar 1816. Darin ist „nach den unmasgeblichen Anträgen der Akademie“ auch „ein jährlicher Fonds von 400.rt.“ „für das homiletische Seminarium“ vorgesehen, und es wird „die Errichtung und Unterhaltung eines philologischen Seminariums als heilsam empfohlen.43 In dem Staatsvertrag, der am 10. April 1817 über „die Verhältnisse und Beiträge zur Erhaltung der Gesammt-Akademie Jena“ zwischen dem Großherzogtum Sachsen-Weimar und Eisenach und dem Herzogtum Sachsen-Gotha und Altenburg geschlossen wird,44 sind im „Etat für die nach den neuesten höchsten Bewilligungen für die Zukunft fixirten Ausgaben bey der Universität Jena“ zu neuen Anstalten und 39 40 41 42 43 44

Schulz, 2011 (Weimars schönster Stern), 112 unter Berufung auf Goetz, 1928 (Geschichte der Klassischen Studien), 39. Goetz, 1927 (Aus Voigts Briefen an Eichstädt), 163; Schulz, 2011 (Weimars schönster Stern), 111– 113. Goetz, 1927 (Aus Voigts Briefen an Eichstädt), 164. Bauer, Müller, Pester, 2016 (Statuten und Reformkonzepte), Einleitung 17. Bauer, Müller, Pester, 2016 (Statuten und Reformkonzepte), 49. Bauer, Müller, Pester, 2016 (Statuten und Reformkonzepte), 55–67, hier 55.

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Ausgaben „Zum homilet. Seminarium“ 200 rt. und „Zum philolog. Seminarium“ 300 rt. ausgesetzt.45 Der andere Teil des Kompromisses dürfte darin bestanden haben, dass mit Ferdinand Gotthelf Hand, der sieben Jahre am Gymnasium in Weimar gelehrt hatte, Ostern 181746 ein dem Herzog bekannter Philologe, dem 1818 der Unterricht der Prinzessinnen Marie und Auguste anvertraut werden sollte47, als Professor der griechischen Literatur berufen und neben Eichstädt zum Mitdirektor des Seminars ernannt wurde. Verlauf der Gründung 1816/17 Die Gründung des philologischen Seminars wurde aus der Perspektive eines Klassischen Philologen (1) und eines an der Wissenschaftsgeschichte interessierten Germanisten (2) beschrieben. In ihren Darstellungen gibt es nicht nur Unklarheiten hinsichtlich der Rolle, die Eichstädt dabei spielte, sondern auch eine unterschiedliche Beurteilung der Absichten, die er damit verfolgte. Für Hand, den Mitdirektor des Seminars, wurden solche Fragen gar nicht gestellt. (1) Der Klassische Philologe Georg Goetz beschreibt die Gründung in seiner Geschichte der Klassischen Studien in Jena so (30): „Das Jahr 1817 ist aber auch insofern bemerkenswert, als Eichstädt […] in Ferdinand Gotthelf Hand, seither am Gymnasium in Weimar, einen Kollegen erhielt als Professor der griechischen Sprache und Literatur und Mitdirektor des neu gegründeten philologischen Seminars. Nach einem Brief Hands an Schütz in Halle vom 17. August 1817 (vgl. die Briefsammlung von Schütz junior I S. 169) hat es den Anschein, als ob Eichstädt in momentaner Verstimmung die Beteiligung am Seminar abgelehnt habe. Dass dies in Wirklichkeit nicht der Fall war, beweisen die Akten des Seminars. Hat doch Eichstädt selber im Jahre 1816 über die Bedeutung philologischer Seminare geschrieben; auch hat er später in den Annales acad. Ien. S. 121 das Seminar begrüßt und über die endliche Erfüllung eines lang gehegten Wunsches erfreut berichtet. Die vorhandenen Akten beginnen mit 1817/1818.“ Goetz räumt ein, dass es Verstimmungen zwischen den Direktoren des Seminars gab und dass Eichstädt irgendwann beschlos-

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Bauer, Müller, Pester, 2016 (Statuten und Reformkonzepte), 64–66. Queck, 1852 (Ferdinand Gotthelf Hand), 64 „Als akademischer Lehrer (seit Ostern 1817) in Jena hielt Hand Vorlesungen in den verschiedensten Zweigen der classischen Philologie; denn seine Amtsbezeichnung als Professor der hellenischen Literatur legte ihm nach keiner Seite hin in seiner Amtsthätigkeit eine Beschränkung auf.“ Queck, 1852 (Ferdinand Gotthelf Hand), 50 „Es war nämlich unserm Verewigten im Jahre 1818 von Seiten des hohen Großherzoglichen Hauses zu Weimar ein Theil des Unterrichts der Prinzessinnen Marie und Auguste übertragen worden, so daß er denselben von Jena aus leitete und wöchentlich auf zwei Tage nach Weimar reiste.“

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sen habe, sich nicht am Seminar zu beteiligen.48 Aber Goetz argumentiert mit früheren (1816) und späteren Zeugnissen (1823) aus Eichstädts Feder, dass er eigentlich für die Einrichtung des Seminars war und sich später auch dafür engagierte. Das spätere Engagement ist in den Akten des Seminars dokumentiert. (2) Der Germanist und Wissenschaftshistoriker Herbert Jaumann beschreibt „die gut hundertjährige Geschichte der Societas Latina zu Jena (= SLJ) von der formellen Gründung im Jahre 1734 bis zu ihrem Erlöschen um 1848“ und sucht die „zu vermutenden Ursachen des Niedergangs und Endes im mittleren 19. Jahrhundert aus den Quellen darzustellen“.49 Neben dem Kontext einer Geschichte der Gelehrten Sozietäten soll „der disziplinengeschichtliche Kontext der Geschichte der Lateinstudien bzw. der Latinistik zwischen dem frühen 18. Jahrhundert und dem Aufstieg des Faches Lateinische Philologie gebührende Berücksichtigung finden. Die zentralen Fragen sind dabei die nach dem Verhältnis zum Griechischen wie andererseits zu den Varianten des Konzepts einer Altertumswissenschaft seit dem 18. Jahrhundert und besonders im Verständnis von Wolf und Humboldt in der Epoche des vornehmlich hellenisch orientierten Neuhumanismus um 1800.“50 „Eichstädt und die ihm als Direktor übertragene SLJ“ sind nach Jaumann „sofort in einen Prozeß der tiefgehenden Reorientierung der Lateinstudien mit massiven Konsequenzen“ geraten. Der Professor der Beredsamkeit habe „eine Reihe von Schriften zur Konzeption und Organisation der lateinischen Philologie, des Philologiestudiums wie auch der Rolle der SLJ unter den besonderen Umständen seiner Universität publiziert“51 und dabei versucht, diese „Institution und ihre Ziele sowohl zu bewahren als auch neuen Anforderungen anzupassen.“ Nach den Programmschriften seien hauptsächlich „zwei ‚Zwecke‘ zu unterscheiden, die die Philologie verfolgt“: (1) „Entweder sollen, in weiterem Sinn, alle Studirenden mit dem classischen Alterthum befreundet werden, oder es sollen [2], in einem engeren Wirkungskreis, eigentliche Philologen gezogen, d. h. wissenschaftliche Pfleger und künftige Lehrer der Humanioren an Gymnasien und Akademien gebildet werden.“52 Mit dem zweiten Typ, so Jaumann, meint Eichstädt „die Spezialausbildung in streng wissenschaftlicher Philologie, eine Art Graduiertenstudium in nur einem Fach für wenige besonders Geeignete mit hinreichender Vorbildung“ […] „und die institutionelle Voraussetzung dafür ist die Einrichtung eines philologischen Seminars […]“ Denn das philologische Seminar erlaubt den

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Schütz, 1834 (Darstellung seines Lebens), 169, Brief von Hand aus Jena vom 25. August 1817 an Schütz: „Mit Freund Eichstädt stehe ich so, wie’s möglich ist. Er bleibt der Alte, und wird nur anders in der täglich sich mehrenden Summe seines Geldes. Ein neu eingerichtetes philologisches Seminarium gibt mir neuen Stoff der Thätigkeit, da Eichstädt nichts zu übernehmen beschlossen hat.“ Jaumann, 2002 (Societas Latina), 1. Jaumann, 2002 (Societas Latina), 1. Jaumann, 2002 (Societas Latina), 21–23. Jaumann, 2002 (Societas Latina), 24 zitiert aus Eichstädt, Einige Winke über Beförderung der humanistischen Studien 1816, S. 3 f.

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Studierenden erst, länger an der Universität zu bleiben und durch einen geordneten Studiengang in diesem Spezialfach, durch ausgreifende Lektüre und Anfertigung öffentlicher Probeschriften das erforderliche Spezialwissen (sc. auch für den Lehrberuf) zu erwerben.53 „Den zuerst genannten Typ der Philologie konzipiert Eichstädt als eine universelle Hilfs- oder Basisdisziplin für alle Studenten.“ Sie bringe den Studierenden „die Veredelung des inneren Menschen durch Wahrheitssinn, Schönheitsgefühl, überhaupt durch vielseitige Bildung“, also „Humanität“, und diese hänge „von nichts so sehr ab wie vom Studium des Altertums.“54 Jaumann fragt weiter, welche Rolle der Lateinischen Gesellschaft in diesem zweistufigen Philologiekonzept zugedacht war. Seine Antwort ist, dass Eichstädts Position hier nicht eindeutig war, sondern er die Societas Latina bald als Ersatz für das philologische Seminar betrachtete, in der die Spezialausbildung des zweiten Typs stattfinden sollte, bald im Vorlesungsverzeichnis als „das Leistungsangebot der Philologie des ersten Typs, also des altertumswissenschaftlichen Studium generale für alle Fächer“ deklarierte.55 Nach den Äußerungen Eichstädts falle es daher nicht leicht zu entscheiden, „in welchem Verhältnis die SLJ zu einem philologischen Seminar“ stehen solle. In der Acroasis von 1800 sei sie „geradezu der institutionelle Ort für die Umsetzung des gesamten Philologiekonzepts“, im Programm von 1816 spreche Eichstädt jedoch „von der SLJ als einer Ersatzlösung“ (sc. solange noch kein Seminar existiere).56 Jaumann weist auf diesen Widerspruch hin und fragt sich, ob Eichstädt „keine klaren Vorstellungen hat und deshalb widersprüchliche Aussagen unbemerkt unterlaufen oder ob er die Frage, was mit der SLJ geschehen solle, einfach dilatorisch behandelt: Solange ein gewisses Interesse anhält, macht man sich das Ansehen und die Verbindungen einer alten Einrichtung zunutze, aber auf die Einrichtung des Seminars arbeitet man ernsthaft hin. Dann würde man weiter sehen. Das Seminar wurde im Jahre 1817 in Jena tatsächlich gegründet, und wie es scheint, war damit das Ende der SLJ besiegelt, zumal ja die These von der Ersatzlösung genau so verstanden werden kann: Der Ersatz wird nicht mehr gebraucht, sobald die authentische Lösung bereitsteht.“57 Jaumann schließt daraus, dass „die SLJ unter Eichstädts Direktion nur so lange überlebte, als sie sich nicht störend bemerkbar machte.“ Eichstädt habe sich nicht „offensiv und etwa gegen die herrschenden Tendenzen auf seinem Fachgebiet für sie (sc. für die SLJ [Erläuterung des Verfassers]) eingesetzt, sondern „dürfte ein hervorragender Vertreter der Anpassung an den Zeitgeist gewesen sein“.58 Während man programmatische Publikationen Eichstädts erforschte, die entweder vor dem Gründungsjahr (1816) und sogar weit davor (1800, 1806) oder weit danach

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Jaumann, 2002 (Societas Latina), 21–23. Jaumann, 2002 (Societas Latina), 24. Jaumann, 2002 (Societas Latina), 25. Jaumann, 2002 (Societas Latina), 27. Jaumann, 2002 (Societas Latina), 27. Jaumann, 2002 (Societas Latina), 28.

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(1823, 1826, 1840) entstanden, blieben andere Fragen offen. Wann wurde das Seminar gegründet? Wie verlief der Gründungsakt? Was geschah zwischen Januar und November 1817, als die 1823 unter dem Titel „Plan zum philologischen Seminarium bey der Universität Jena“ veröffentlichte Seminarordnung von Herzog Carl August genehmigt wurde? Welche Rolle spielten Eichstädt und Hand im Prozess der Entwicklung und Erörterung der Statuten? Waren sich die Direktoren einig oder gingen ihre Meinungen auseinander? Waren sie mit dem erzielten Ergebnis zufrieden? Auf diese Fragen geben im Nachlass von Eichstädt gefundene handschriftliche Dokumente Antwort. Sie lassen sich genau datieren und so mit Briefen an und über Eichstädt verbinden, in denen die Seminargründung thematisiert wird. Im Nachlass von H. C. A. Eichstädt – Lateinische Gesellschaft Akte 1, Nr. 35 findet sich auf 8 Blättern, die auf der rechten Spalte beschrieben sind, ein Promemoria über die Einrichtung des philologischen Seminars. Dieses am 17. Juni 1817 von Eichstädt verfasste Dokument ist eine Stellungnahme zu einem ihm vorliegenden Entwurf der Statuten des philologischen Seminars. Der Adressat ist unbekannt. Das Promemoria ist die erweiterte Reinschrift eines undatierten Konzepts auf vier Blättern (H. C. A. Eichstädt – Lateinische Gesellschaft Akte 1, Nr. 25). Es besteht aus einem einleitenden Passus, der über Anlass und Zweck der Stellungnahme unterrichtet, und sechs Bemerkungen zu einzelnen Paragraphen des Entwurfs der Statuten, in denen der betreffende Paragraph genannt wird (Bl. 1: ad § 6; Bl. 2: ad § 9; Bl. 6 ad § 10; Bl. 6 ad § 15; Bl. 6 (ad: im Original ausgelassen) § 16; Bl. 7 ad § 17; Bl. 8 ad § 21). Der Text des nicht erhaltenen Entwurfs, auf den sich seine Bemerkungen jeweils beziehen, wird von Eichstädt zu Beginn in Anführungsstrichen zitiert. Der einleitende Passus wurde transkribiert59 und der Umbruch im Original durch Schrägstriche markiert: „Da das Meiste in dem Ent-/wurf eines Reglements für/ das neu zu errichtende Seminari-/um philologicum, welchen mein/ ständiger Collega, Herr Profes-/sor Hand, niedergeschrieben/ und mir mitzuteilen die Ge/fälligkeit gehabt, mit den fünf/ Plänen übereinstimmt, welche/ ich selbst in den Jahren 1803./ 1804. 1805. 1810. und 1817. zur/ Stiftung eines solchen Instituts/ und zur Verbindung desselben/ mit der großherzoglichen latei-/nischen Gesellschaft entwor-/fen und höchsten Orts ein-/gereicht habe: so bleiben mir/ nur wenige Bemerkungen/ oder Zusätze zu jenem Ent-/wurf zu machen übrig, vor-/nehmlich solche, die sich auf/ die von Anfang an bezweck-/te Aufrechterhaltung der nun-/mehr 83 Jahr hier bestehen-/den lateinischen Gesell-/schaft und deren Verein/ mit der neuen Anstalt be-/ziehen.“ Der Einleitung entnehmen wir, dass Eichstädts Kollege Hand, der seit dem 8. April 1817 im Amt war, vor dem 17. Juni 1817 ein Reglement entworfen und Eichstädt übermittelt hatte. Dieser (verlorene) Entwurf, konstatiert Eichstädt, stimme mit fünf Plänen überein, die er selbst zwischen 1803 und 1817 zur Stiftung eines Philologischen Seminars und zu dessen Verbindung mit der So-

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Im Dokumentenanhang am Ende des Bands ist das Promemoria vollständig abgedruckt.

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cietas Latina entworfen und bei höchster Stelle, d. h. wohl bei den Behörden in Weimar, eingereicht habe.60 Die Bemerkungen und Zusätze zu dem Entwurf bezögen sich auf die von Anfang an bezweckte Aufrechterhaltung der lateinischen Gesellschaft und ihre Verbindung mit der neuen Anstalt. Die anschließenden Bemerkungen und Zusätze, die einzelnen Paragraphen von Hands Entwurf zugeordnet sind und ihren Text zu Beginn in Anführungsstrichen zitieren, beziehen sich auf die von Eichstädt geplante und in der Stellungnahme betonte institutionelle Verbindung von philologischem Seminar und Societas Latina. Das verdeutlichen die ersten beiden Bemerkungen zu § 6 und zu § 9 auf Bl. 1–2 und Bl. 2–7: Die erste Bemerkung lautet: „ad §. 6. /‚Die Wahl geschieht in der Re-/ gel aus der Zahl f. ordentlicher/ gewesen?‘/ Namentlich werden die-(Bl. 2)/ jenigen Mitglieder der/ lateinischen Gesellschaft, wel-/ che sich mit der alten Litera-/ tur vertrauter gemacht ha-/ ben, \auch/ in das Seminarium auf-/ genommen werden, und dadurch/ zu häufigen Uebungen und / einer schnelleren(?) Ausbildung/ erwünschte Gelegenheit fin-/ den.“ In Eichstädts Bemerkung zu § 6 folgt auf ein durch Auslassung des Mittelteils unverständliches Zitat, in dem die Wahl der Mitglieder des philologischen Seminars beschrieben wird, die Aussage, dass namentlich diejenigen Mitglieder der lateinischen Gesellschaft in das philologische Seminar aufgenommen werden sollen, die bereits Vorkenntnisse in der alten Literatur erworben haben, und im Seminar schneller und effizienter geschult werden. Die zweite längere Bemerkung, aus der hier nur ein Auszug zitiert wird, lautet: „ad §. 9./ Ueber die für Bestreitung/ anderer Ausgaben bestimm-/ ten 25. rt. bekenne ich nicht im/ Klaren zu sehen. / Das großherz. Weimari. Re-/ script befiehlt, „den über die/ Vertheilung der für das Seminar-/ium ausgelegten 300 rt. zu /entwerfenden Plan auch auf/ die nöthige Geldunterstützung/ der mit dieser Anstalt in Ver-/bindung zu setzenden lateinischen/ Gesellschaft mit zu erstreck.“ In der zweiten Bemerkung geht es darum, wie die 300 Reichstaler, die im Hauptstatut der Universität vom Februar 1817 für den Etat des philologischen Seminars angesetzt sind, so verteilt werden, dass sie auch der lateinischen Gesellschaft zugute kommen. Dazu bezieht sich Eichstädt auf § 9 des Entwurfs der Hauptstatuten und die darin getroffene Aussage, dass 25 Reichsthaler „für Bestreitung anderer Ausgaben“ bestimmt seien. Er argumentiert mit einem großherzglichen Weimarischen Reskript, demzufolge die im Etat für das Seminar angesetzten 300 Reichstaler auch zur finanziellen Unterstützung der mit ihm „in Verbindung zu setzenden lateinischen Gesellschaft“ zu verwenden seien. An die Erwähnung des herzoglichen Reskripts knüpft Eichstätt eine lange Aufzählung von Ausgaben, die für die lateinische Gesellschaft notwendig und, so müssen wir verstehen, aus dem Etat des philologischen Seminars zu bestreiten seien. Auf den nächsten vier Blättern entwickelt 60

Die Bemerkung Eichstädts ist aus dem Nachlass verifizierbar. In Akte 1, Nr. 23 findet sich ein Duplicat des 1804 von Eichstädt entworfenen „Plan(s) zur Errichtung eines Seminarii philologici“. In der um 1810 entstandenen Abschrift gibt es, vornehmlich auf dem linken Rand, ergänzende Einfügungen, in denen Eichstädt die Schritte nennt, die seit 1804 in der Sache unternommen wurden.

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sich daraus aus finanztechnischer Perspektive (Bl. 2–3; Bl. 4.–5) und besonders der Besoldung des Direktors der lateinischen Gesellschaft eine Geschichte der Societas Latina, die Eichstädt von Walch, der ein festes Honorar erhielt, und Schütz, „der die Direktion nur unter der Bedingung, dass ihm jährlich 100 Reichsthaler zugesichert würden, übernehmen wollte“, bis zu seiner eigenen Amtszeit erzählt. Von sich selbst betont er (Bl. 3 unten): „Ich übernahm die Direktion (sc. der lateinischen Gesellschaft) (marg. aus Liebe zur Universität) unentgeltlich […]“ Das großherzogliche Reskript, mit dem Eichstädt argumentiert, ist u. W. zwar nicht überliefert; überliefert sind aber Paragraphenzählung und Text der Statuten des Seminarium philologicum, die Eichstädt hier aus dem Entwurf mehrfach wörtlich in Anführungsstrichen zitiert, wobei er auch Teile des zitierten Textes auslässt (was nur sinnvoll ist, wenn er voraussetzen kann, dass dem potentiellen Adressaten der vollständige und nur dann verständliche Text des Statuts zum Vergleich vorliegt). Der Text des zitierten Statuts ist in den Annales Academiae Jenensis von 1823 auf den Seiten 179–182 unter der Überschrift „Plan zum philologischen Seminarium bey der Universität“ abgedruckt, wie der Vergleich des ersten Beispiels verdeutlichen mag. Auf Seite 180 ist der § 6, in dem es um die Wahl der Seminaristen geht, vollständig erhalten: „Als ordentliches Mitglied kann nur derjenige aufgenommen werden, welcher ein Jahr auf einer Universität zugebracht und daselbst philologische Vorlesungen gehört hat, welches in erforderlichen Fällen durch Zeugnisse zu bescheinigen ist. Den Erweis der Tüchtigkeit macht eine eingereichte Probeschrift aus. Die Wahl geschieht aus der Zahl der ausserordentlichen Mitglieder, nicht nach dem früheren Eintritt, sondern nach der grösseren Fähigkeit, so wie nach dieser auch ein ordentliches Mitglied ernannt werden kann, ohne dass es vorher ein ausser-ordentliches gewesen.“ Eichstädt legt dem unbekannten Empfänger des Promemoria nahe, die Wahl von Mitgliedern der Societas Latina in das philologische Seminar im Statut und faktisch abzusichern, und zitiert daher den auf die Wahl bezogenen Passus in einer durch die Auslassung bis zur Unverständlichkeit verkürzten Form: „ad §. 6 /‚Die Wahl geschieht in der Re-/gel aus der Zahl f. ordentliches/ gewesen?‘ Der Plan des philologischen Seminars, den Eichstädt 1823 abdruckt, entspricht also, nach dem Zitat und der Paragraphenzählung zu urteilen, dem von Eichstädt kommentierten Entwurf Hands. In den 20 Paragraphen dieser luziden und von Herzog Carl August am 11. November 1817 genehmigten Seminarordnung ist nun an keiner Stelle von der lateinischen Gesellschaft die Rede. Die lateinische Gesellschaft wird nur in einem von Eichstädt selbst als Vorrede verfassten lateinischen Text erwähnt, zu dem sich die Statuten des Seminars als Anhang darstellen.61 Das bedeutet, dass Eichstädt mit seinem in der Stellungnahme formulierten Anliegen, das philologische Seminar institutionell mit der Societas Latina zu verbinden und die Societas Latina aus dessen Etat zu finan-

61

Eichstädt, 1823 (Annales Academiae Ienensis), 121–123 und 179–182 der „Plan zum philologischen Seminarium bey der Universität Jena“ mit dem Zusatz „(Ad pag. 122.)“.

Vorgeschichte, Voraussetzungen und Verlauf der Gründung des philologischen Seminars

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zieren, weder bei seinem ungenannten Adressaten noch bei den Weimarer Behörden durchgedrungen war. Mögliche Leser von Eichstädts Promemoria, die als Vorgesetzte in Weimar von den konkurrierenden Entwürfen, welche die Direktoren des Seminars 1817 vorlegten, wussten oder jedenfalls von ihnen wissen konnten, waren die für Jena zuständigen Staatsminister Goethe und Voigt. Von Voigt gibt es nun einen Brief an Eichstädt vom 15. November 1817. Nur vier Tage, nachdem Herzog Carl August die Statuten des philologischen Seminars genehmigt hatte, fragte er Eichstädt, „ob Sie etwas für die außer Verhältniß mit dem philologischen Seminar bestehende Societas Latina verbessernd vorzuschlagen haben.“62 Der befreundete Staatsminister hält zwar an der scharfen Trennung von philologischem Seminar und lateinischer Gesellschaft fest, die sich in der Seminarordnung dokumentiert, kündigt Eichstädt aber an, er könne Vorschläge dazu unterbreiten, wie sich die Lage der Societas Latina verbessern lasse. Es ist nicht bei der Ankündigung geblieben. Im Nachlass befindet sich ein von Voigt gegengezeichnetes Postscriptum des Großherzogs, das auf denselben Tag (11. November 1817) datiert ist, an dem die Seminarordnung genehmigt wird. Eichstädt wird darin gebeten, sich gutachtlich dazu zu äußern, was für die unter seiner Direktion für sich bestehende Societas Latina angeordnet werden solle (UAJ, Best. V, Abt. XLIV, Akte 1, Nr. 21). Zwischenergebnis Fassen wir vorläufig zusammen: (1) Zwischen Januar und Juni 1817 legen die Direktoren des philologischen Seminars zwei unabhängige Entwürfe zu dessen Statuten vor. (2) Hand macht Eichstädt seinen Entwurf zugänglich. (3) Eichstädt nimmt in einem Promemoria dazu Stellung, wobei er einzelne Passagen daraus unter Angabe der Paragraphen wörtlich zitiert. Eichstädt bemerkt zu Hands Entwurf, dass er mit den eigenen früheren Plänen übereinstimme, und macht ergänzende Bemerkungen, die darauf zielen, das philologische Seminar und die Societas Latina zu verbinden. (4) Wörtliche Übereinstimmungen zwischen Eichstädts Zitaten aus Hands Entwurf und den von Erzherzog Carl August am 11. November 1817 genehmigten und 1823 von Eichstädt publizierten Statuten lassen mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf schließen, dass Hands Entwurf eines „Plan(s) zum philologischen Seminarium bey der Universität Jena“ von den Weimarer Behörden (Eichstädts nicht erhaltenem Entwurf vorgezogen und) angenommen wurde. (5) Eichstädts in der Stellungnahme vom 17. Juli geäußerten Vorstellungen zur institutionellen Verbindung von Seminarium philologicum und Societas Latina werden in den publizierten Statuten in keiner Weise berücksichtigt. (6) Die Tatsache, dass der Großherzog am 11. November 1817, an dem Tag, an dem er

62

Goetz, 1927 (Aus Voigts Briefen an Eichstädt), 218.

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die Statuten des philologischen Seminars genehmigt, Eichstädt in einem Postskript auffordert, einen gutachterlichen Vorschlag dazu zu unterbreiten, was zu der unter seiner Direktion für sich bestehenden lateinischen Gesellschaft angeordnet werden solle, lässt darauf schließen, dass auch in der Wahrnehmung der Weimarer Behörden, wie naheliegt, eine sachliche Verbindung zwischen dem philologischen Seminar und der Societas Latina existierte. Damit kommen wir zu den Fragen, wann und wie das philologische Seminar gegründet wurde. Wie reagierte Eichstädt darauf, dass seine Ideen, wie Societas Latina und philologische Seminar institutionell in Einklang zu bringen wären, bei den Weimarer Behörden keinen Anklang fanden? Antworten auf diese Fragen gibt wieder der Nachlass. Der Inhalt des einschlägigen Manuskripts (UAJ, Bestand V, Abt. XLIV, Akte 1, Nr. 42) ist auf dem Deckblatt mit Leges Seminarii philologici Ienensis angegeben. Dort heißt es, dass den Statuten des philologischen Seminars eine Rede vorangestellt sei, die der Direktor Eichstädt bei der Inauguration des Seminars am 15. Januar 1817 gehalten habe. Gegenstand der Inaugurationsrede sind die Gründe für die Vernachlässigung des philologischen Studiums an der Universität Jena (de causis neglecti \patrum memoria/ (superscriptum; deletum est: per aliquod tempus) in Academia Ienensi studii philologiae oratio in ipsa Seminarii inauguratione dicta […]). Das Manuskript enthält aber weder die Statuten des Seminars noch die Rede Eichstädts bei der Inauguration. Unter dem Titel Praefatio findet sich dort vielmehr eine zwei Semester später entstandene und auf das Jahr 1818 datierte Denkschrift. Darin beschreibt Eichstädt in Gestalt einer Rede die feierliche Inauguration und die laufende Arbeit im Seminar. Im Wintersemester seien die Lehrveranstaltungen gut besucht gewesen (sc. 1817/18; Bl. 4 oben). Im Sommersemester hätten sich neue Teilnehmer gemeldet (sc. 1818; Bl. 4 oben). Der bei der Eröffnung anwesende Kollege Hand habe wiederholt darauf gedrängt, den Mitgliedern die Statuten nicht nur mündlich zu erläutern, sondern ihnen das Reglement auch schriftlich in die Hand zu geben (Bl. 4). Bei der Inauguration habe er über die Gründe der Vernachlässigung des Studiums der Philologie in Jena gesprochen (inaugurando Seminario philologico, quod diu deliberatum proxime superiore anno in hac litterarum universitate conditum est quum de more praefandum aliquid esset, de causis neglecti apud nos philologi studii dixi quaedam commentatus, pleraque ex tempore […] Bl. 2). Da die Zeit drängte, habe er Teile extemporiert und seine Rede daher nicht veröffentlichen wollen. Wie seinen Freunden bekannt sei, sei er damals ungerecht behandelt worden und daher so bedrückt gewesen, dass er das ganze Geschäft der Eröffnung und Leitung des Seminars gern niedergelegt hätte, wenn es mit Anstand hätte geschehen können (et animus propter casus, fami/ liaribus meis non ignoti, iniqui-/tatem tanta tum erat aegri/tudine affectus, ut totum/ illud Seminarii vel auspicandi/ vel moderandi negotium, si fieri/ honeste posset, lubenter depo-/suissem. Bl. 2). Am Ende der Denkschrift, die den Statuten vorangestellt werden soll, drückt Eichstädt seine Befürchtung aus, dass die Spuren jenes Ärgers (vestigia illius aegrimoniae Bl. 5) noch nicht hinreichend verwischt worden seien. Er tröstet sich aber mit dem Gedanken, dass seine Rede nur für

Vorgeschichte, Voraussetzungen und Verlauf der Gründung des philologischen Seminars

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die Mitglieder des Seminars bestimmt sei. Sollten sich andere Leser finden, bäte er sie nachdrücklich um Verzeihung. Er habe mit seiner Denkschrift nur die Seminaristen in ihrem Studium bestärken wollen. Das ungerechte Schicksal, das Eichstädt 1817/1818 bei der Gründung des Seminars bedrückte, wird nicht genauer beschrieben. Eichstädt verrät mit keinem Wort, welcher Ärger (aegrimonia) und welcher Missmut und Gram (aegritudo) so groß waren, dass er amtsmüde mit dem Gedanken spielte, die Eröffnung abzusagen und die Leitung des Seminars aufzugeben (totum illud Seminarii vel auspicandi vel moderandi negotium deponere). Es ist zu vermuten, dass sein Kummer mit den Klagen und Anfeindungen seiner Kollegen zu tun hatte und ihrem gescheiterten Versuch, ihn seines Amtes zu entheben. Ein Gedankenexperiment, wie das in der Denkschrift beschriebene, könnte Eichstädt auch zeitweilig zu einem später revidierten Entschluss und Konsequenzen wie denen geführt haben, die Hand in seinem Brief vom 25. August 1817 an Schütz in Halle darlegt, dass „ein neu eingerichtetes philologisches Seminarium“ ihm „neuen Stoff der Thätigkeit“ gebe, „da Eichstädt nichts zu übernehmen beschlossen hat“.63 Ergebnisse Die Gründung des philologischen Seminars in Jena war ein von wissenschaftlichen, politischen und ökonomischen Faktoren bestimmter Prozess. Die schwierige Lage der Universität bewirkte, dass er mehr als zwei Jahrzehnte dauerte. An den Universitäten des Alten Reiches gemessen wurde das Seminar mit großer Verspätung gegründet, obschon das damit verbundene Kulturmuster 1715 in Jena von dem Buddeus-Schüler Johann Matthias Gesner entwickelt worden war. Während der intellektuellen, politischen und finanziellen Krise der Universität vor und nach der Schlacht von Jena und Auerstedt und ihrer anschließenden Konsolidierung wurden erst die Voraussetzungen der Gründung geschaffen. In den Krisenjahren 1803 und 1806/7 war Eichstädt tatkräftig an der Rettung der Universität beteiligt. Mit der wachsenden Zahl von Ämtern und Aufgaben gelangte er in eine politische Position, die ihm zwar Möglichkeiten zur Einflussnahme und Durchsetzung von Reformen eröffnete, aber auch seinem Ruf in nicht geringem Maße schadete. Die Klagen seiner Kollegen gingen so weit, dass sie 1816 im Senat seine Absetzung verlangten. Als die Universität in den Jahren 1816/1817 mit Veränderung der Nutritorenstruktur aus einer ständischen Korporation zu einer staatlichen Anstalt wurde und einen festen Etat erhielt, mit dem Seminare gegründet und finanziert werden konnten, befand sich Eichstädt daher in einer schweren Krise, in der er zwar nicht seines Amts enthoben, aber in seinen Kompetenzen erheblich beschnit-

63

Schütz, 1834 (Darstellung seines Lebens), 169.

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ten wurde.64 Dazu gehörte, dass mit Ferdinand Gotthelf Hand ein Professor der griechischen Literatur berufen und zum Mitdirektor des philologischen Seminars ernannt wurde. Als Hand zwischen April und Juni 1817 beim Entwurf der Statuten die Initiative übernahm und das Seminar von der Societas Latina trennte, reagierte Eichstädt so, dass er Hands Entwurf am 17. Juni 1817 mit gezielten Bemerkungen und Zusätzen veränderte. Seine Maßgabe war, dass das philologische Seminar in enger personeller und institutioneller Verbindung mit der Societas Latina bestehen und die lateinische Gesellschaft aus der Einrichtung des Seminars größtmöglichen, auch finanziellen, Nutzen ziehen sollte. Eichstädts Ideen, an denen er auch später festhielt, fanden nur keinen Widerhall in der am 11. November 1817 von Herzog Carl August genehmigten Seminarordnung. Was Jaumann behauptete,65 ist daher eine falsche Unterstellung: Eichstädt opferte die lateinische Gesellschaft nicht dem philologischen Seminar, sondern setzte sich, wohl um die Sichtbarkeit seines Fachs im öffentlichen Leben zu erhalten, „offensiv und … gegen die herrschenden Tendenzen auf seinem Fachgebiet für sie“ ein.

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Eichstädt verlor das Amt des Oberbibliothekars. An seiner Stelle übernahmen Goethe und Voigt die Neuordnung der Bibliothek. Die Redaktion der JALZ betreute Eichstädt bis zum Jahre 1841. Zu seinem goldenen Doktorjubiläum und zu anderen Jubiläen erfuhr er öffentliche Ehrungen. Die Mitglieder des Weimarer Konsistoriums begrüßten ihn im Jahre 1847 als Orator Europae (Koch, 1963 [Eichstädt] 140), und ihm wurde, gemeinsam mit seinem Gegenspieler Heinrich Luden, der Hausorden vom Weißen Falken verliehen. Eichstädt starb am 4. März 1848 in Jena und wurde in Benndorf beigesetzt. Jaumann, 2002 (Societas latina), 28.

Winckelmann, Goethe, Carl Wilhelm Goettling und die Genese der Klassischen Archäologie an der Universität Jena Angelika Geyer Johann Joachim Winckelmann, am 9. Dezember 1717 in bescheidenen Verhältnissen in Stendal geboren, gilt bekanntlich bis heute als der Begründer der Klassischen Archäologie im Sinne einer selbständigen wissenschaftlichen Disziplin.1 Dieses Selbstverständnis des Faches manifestiert sich seit den 30er Jahren des 19. Jhds. an nahezu allen deutschen Orten archäologischer Forschung – so zuerst in Rom, ab 1840 an deutschen Universitäten – in der ritualisierten Tradition der ‚Winckelmannvorträge‘ bzw. ‚Winckelmannfeiern‘ jeweils am 9. Dezember, dem Geburtstag Winckelmanns.2 Auch an der Universität Jena wurde diese Tradition seit 1993 wiederbelebt. Winckelmanns Leidenschaft galt bekanntlich der griechischen Kunst: Sie erhob er zum Maßstab für das Kunstschaffen der eigenen Zeit. In Abkehr von der bis dahin üblichen, altphilologisch bzw. althistorisch bestimmten Antiquarienkunde beschritt er nicht nur neue Wege ihrer Deutung auf der Grundlage des griechischen Mythos, sondern er unternahm zugleich die Rekonstruktion ihrer Entwicklung in den Kategorien der Stilgeschichte wie der Ästhetik. Seine 1764 erstmals erschienene „Geschichte der Kunst des Altertums“ ist das monumentale, epochemachende Ergebnis dieser Bemühungen. Die Basis dieser winckelmannschen Rekonstruktion der antiken, insbesondere der griechischen Kunstgeschichte bildet die formale wie inhaltliche Analyse der speziell in Rom in großer Menge präsenten Werke antiker Plastik, meist römische Kopien verlorener griechischer Originale. Die griechische Kunst begegnet ihm also primär durch 1 2

Zur Biographie Winckelmanns zusammenfassend: Winckelmann 2017, 10–12; Geyer 2007, 151 f.; Stendal 1996, 134 f.; E. Osterkamp, Johann Joachim Winckelmann: Der Europäer, in: Winckelmann 2017, 23 ff. Maurer 2005, 76 f.

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den Filter der römischen Kunstrezeption, während er gleichzeitig die vorrangig in der griechischen Dichtung tradierte griechische Mythologie (Homer) als neue Dimension inhaltlicher Aussagen erschließt und seinen Interpretationen zugrunde legt. Ebenso neu ist die möglichst auf Autopsie beruhende Analyse der Kunstwerke in ihrer formalen wie emotionalen Wirkung auf den Betrachter sowie die Heranziehung historischer Faktoren und Verfasstheiten als Rahmenbedingungen künstlerischer Entwicklungen. Diese Rekonstruktion antiker und speziell griechischer Kunstgeschichte beschreibt Winckelmann in Analogie zu antiken Auffassungen als Prozess von Aufstieg und Niedergang, wobei sich der Niedergang für ihn mit dem Aufstieg Roms und der Etablierung der römischen Herrschaft über den griechischen Kulturraum verbindet. Rom hingegen charakterisiert er wesentlich unter dem Aspekt einströmender Beutekunst im Zuge von dessen militärischer Expansion in den griechischen Kulturraum – ein Umstand, der schließlich zur sinnentleerten, dekadenten römischen Prachtentfaltung geführt habe. Rom ist also die Basis für Winckelmanns Forschungen, sein Weg in die Antike und schließlich nach Rom ist freilich hart erkämpft: Die Übernahme einer Bibliothekarsstelle in Nöthniz (1748) bei Heinrich Graf v. Bünau bringt ihn in Kontakt zum benachbarten Dresden mit seinen Kunst- und – wenn auch nur schwer zugänglichen – Antikensammlungen, vor allem aber mit dem Maler Adam Oeser3, bei dem er vor seiner Abreise nach Rom zeitweilig wohnte und der Jahre später (1768) in Leipzig den jungen Studenten Johann Wolfgang Goethe nicht nur im Zeichnen unterrichtete, sondern diesem auch die Schriften Winckelmanns nahebrachte. In Dresden entwickelte sich zuerst Winckelmanns zentrales Interesse an antiker Kunst. Die Gelegenheit, dieses Interesse im damaligen Zentrum der antiken Denkmäler und Kunstwerke, nämlich im päpstlichen Rom, zu realisieren, ergreift er 1755 beherzt, wenn auch um den Preis der Konversion zum Katholizismus (1754). Dort vollzieht sich sein Aufstieg, zunächst 1757 zum Bibliothekar der Kardinäle Domenico Passionei und Alberigo Archinto, ab 1759 zum Bibliothekar und Kunstberater des antikenbegeisterten Kardinals Alessandro Albani, wobei er an der Ausstattung von dessen durch ihre Antiken berühmten Villa an der Via Salaria mitwirkt. 1763 schließlich erfolgt seine Ernennung zum Präfekten der Altertümer von Rom sowie zum Bibliothekar der Biblioteca Vaticana mit Zuständigkeit für deutsche Literatur. Rom ist sein mühsam gewonnener Lebensraum internationalen Zuschnitts, der ihn in Kontakt setzt zu führenden zeitgenössischen Altertumswissenschaftlern und Künstlern, so mit dem Maler Anton Raphael Mengs.4 Rom bleibt für ihn das monumentale Zentrum der Antike, das er nur kurz für Reisen nach Florenz und mehrfach nach Neapel und Umgebung (Pompeji, Herculaneum, Paestum) verlässt. Rom ist der Urgrund seiner schnell zu in-

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Hecht 2017, 63 ff. Winckelmann 2017, 206; Mengs 2013, 27 f.; St. Roettgen in: Mengs 2001, 21 f. 242 f. 298 f.

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ternationalem Ruhm gelangten Werke, speziell der „Geschichte der Kunst des Altertums“ (1764) und der „Monumenti Inediti“ (1767). Der Verfasser der „Geschichte der Kunst des Altertums“, der gerade die griechische Kunst in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen rückt, bringt es freilich erstaunlicherweise nicht über sich, selbst nach Griechenland zu reisen. Gleiches gilt für Sizilien. Trotz immer wieder als Traumziel beschworener Vorhaben dieser Art bemüht er sich nicht nachhaltig um deren Realisierung, die Einladung des Freiherrn Johann Herrmann von Riedesel zu einer Griechenlandreise 1768 schlägt er zugunsten einer Reise nach Deutschland aus, die er in Regensburg abbricht und die auf der Rückfahrt in einem Triestiner Gasthof am 8. Juni 1768 mit seiner grausamen Ermordung endet. I. Die enorme Bedeutung der durch Winckelmann gleichsam neuentdeckten und den Zeitgenossen dezidiert als Ideal vor Augen gestellten griechischen Antike, ihre Strahlkraft und ihr gewaltiges Wirkungspotential als Orientierungshorizont und Antrieb für die um 1800 in Weimar ansässigen Schriftsteller, Dichter und Künstler sind durch zahlreiche Untersuchungen längst zu einem eindrucksvollen Panorama eines geistigen Klimas verdichtet, in dem sich auch die Jenaer Universität bewegte: Neben der Neubewertung und Interpretation der Hinterlassenschaft der Antike und der von Winckelmann postulierten Vorbildlichkeit speziell der griechischen Bildkunst als ästhetischer Norm für zeitgenössische Kunstproduktion steht das umfassende Bestreben nach Übertragung, Integration und Umsetzung der Antike in die unterschiedlichsten Bereiche der eigenen Lebenswelt.5 Im Zentrum dieser auf verschiedensten Ebenen sich vollziehenden Aneignung der Antike in Weimar steht Goethe. Für Goethe und sein Verhältnis zur Antike spielte Winckelmann seit Leipziger Studienzeiten eine prägende Rolle: Seine Ankunft in Rom im Zuge seiner Italienischen Reise setzt er in Bezug zu Winckelmanns Ankunft im Jahre 1755, so in einem Brief aus Rom vom 13.12.1786: „Heute früh fielen mir Winckelmanns Briefe, die er aus Italien schrieb, in die Hand. Mit welcher Rührung hab’ ich sie zu lesen angefangen! Vor 31 Jahren, in derselben Jahreszeit kam er, ein noch ärmerer Narr als ich, hierher, ihm war es so deutsch Ernst um das Gründliche und Sichere der Altertümer und der Kunst. Wie brav und gut arbeitete er sich durch! Und was ist mir nun aber auch das Andenken dieses Mannes auf diesem Platz!“ Goethe studiert in Italien die „Geschichte der Kunst des Altertums“, in dem 1805 von ihm herausgegebenen Sammelband „Winckelmann und sein Jahrhundert“ steuert er die Skizze „Winckelmann“ als eigenen Beitrag bei und setzt ihm damit ein literarisches

5

Geyer 2011, 89 ff. mit Anm. 1.

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Denkmal.6 Winckelmann war für Goethe wesentliche Referenzebene seiner eigenen Kunstreflexion, wie sich dies nicht zuletzt in der programmatischen Hängung des von Anton v. Maron 1768 geschaffenen Winckelmannporträts im ersten Raum des Weimarer Kunstmuseums im Jägerhaus manifestierte, dessen Einrichtung Goethe 1822–1824 mit Nachdruck betrieben hatte.7 Seine auf Winckelmann gegründete Überzeugung vom Vorbildcharakter speziell der griechischen für die zeitgenössische Kunst suchte er als theoretische Position zudem nicht zuletzt auf dem Weg offizieller Kunstpolitik in Gestalt der zwischen 1799 und 1805 ausgeschriebenen „Weimarer Preisaufgaben“ beim künstlerischen Nachwuchs durchzusetzen, deren Themenvorgaben überwiegend aus Homer stammten.8 Diese kunsttheoretischen Positionen Goethes gehen einher mit der konkreten Integration der Antike in die eigene Lebenswelt: So stattet Goethe sein Haus am Frauenplan mit Abgüssen nach Antiken aus, die ihn u. a. während seiner italienischen Reise 1786/87 tief beeindruckt hatten. Den Salon des Hauses, das sog. Juno-Zimmer, beherrscht ein Abguss der monumentalen sog. Juno Ludovisi (Original: Rom, Palazzo Altemps) – die Benennung ‚Juno‘ geht auf Winckelmann zurück, die moderne archäologische Forschung hält sie für ein Idealporträt der Antonia Augusta, der Mutter des römischen Kaisers Claudius.9 Für Goethe war sie der Inbegriff griechischer Kunst schlechthin, von ihr hatte er bereits einen Abguss in seiner römischen Wohnung am Corso besessen: „Es war dies meine erste Liebe in Rom und nun besitz ich diesen Wunsch […] keine Worte geben eine Ahndung davon, es ist wie ein Gesang Homers“ – so Goethe im Januar 1787 an Frau von Stein. Den Gelben Saal schmückt ein Abguss des ‚Zeus von Otricoli‘, von dem Goethe ebenfalls in Rom einen Abguss erworben hatte: „Ich habe mich nicht enthalten können, den kolossalen Kopf eines Jupiter anzuschaffen. Er steht meinem Bette gegenüber, wohl beleuchtet, damit ich sogleich meine Morgenandacht an ihn richten kann“ – so Goethe aus Rom unter dem Datum des 25. Dezember 1786. – Ebenso setzt Goethe mit der Integration antikisierender Architektur- und Schmuckelemente beim Wiederaufbau des Weimarer Stadtschlosses eigene kunsttheoretische Konzepte durch. Als Gegenstand ästhetisch-wissenschaftlicher Reflexion dient ihm schließlich die eigene kleinformatige Sammlung antiker Originale im Kontext seiner umfangreichen Sammlungsbestände.10

6 7 8 9 10

Winckelmann 2017, 197 (Kat. Nr. 35). Winckelmann 2017, 304 (Kat. Nr. 39); Geyer 2007, 154; R. Bothe, Zur Entstehung der Kunstsammlung in Weimar, in: Goethes „Bildergalerie“. Die Anfänge der Kunstsammlungen zu Weimar. Ausst.-Kat. Weimar (2002) 22–43. E. Osterkamp, „Aus dem Gesichtspunkt reiner Menschlichkeit“. Goethes Preisaufgaben für bildende Künstler 1799–1805, in: S. Schulze (Hrsg.), Goethe und die Kunst. Ausst.-Kat. Frankfurt/ Weimar 1994, 310 ff. Geyer 2011, 90 Anm. 5. Geyer 2011, 91 f. bes. mit Anm. 3.10.

Winckelmann, Goethe, Carl Wilhelm Goettling und die Genese der Klassischen Archäologie

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Diese durchgreifende, vielschichtige Integration der Antike in die eigene Lebenswelt beschränkte sich dabei keineswegs auf Goethe und sein unmittelbares Umfeld, sondern gerät über Weimar hinaus zum generellen ästhetischen Postulat, wie der Schriftsteller und Kunsttheoretiker Carl Philipp Moritz bereits 1793 in einer Rede mit dem Titel „Über den Einfluß des Studiums der Schönen Künste auf Manufakturen und Gewerbe“ formuliert: „Dies Studium der Antike aber […] ist allein fähig […] die Grundsätze des guten Geschmacks zu bestimmen, der einmal keinen höheren Maßstab als die Meisterwerke der Griechen kennt.“11 Angesichts dieser Omnipräsenz der Antike im weimarschen Umfeld sowohl im theoretisch-ästhetischen Diskurs wie in der Gestaltung der eigenen Lebenswelt überrascht um so mehr der Umstand, dass gleichzeitig eine entsprechende Vermittlung des materiell-künstlerischen, d. h. des archäologischen Erbes der Antike in der universitären Lehre und Forschung in Jena bislang unterblieben war. Diese Situation beleuchtet eine Äußerung des Altphilologen Heinrich Carl Abraham Eichstädt aus dem Jahre 1821, der mit Blick auf seine langjährige Lehrtätigkeit in Jena feststellt, er habe alle altertumskundlichen Disziplinen unterrichtet mit Ausnahme der Archäologie, da hierfür in Jena alle Grundlagen und Hilfsmittel gefehlt hätten („sola archaeologia excepta, cuius recte tradendae nulla in hac civitate subsidia reperiebantur“).12 Die so markierte Fehlstelle im Studienangebot der Jenaer Altertumswissenschaft unterschied die hiesige Universität allerdings markant von anderen renommierten Studienorten in Deutschland, die genau diesen Bereich der Altertumswissenschaft sukzessive und anschaulich-monumental in ihre Studienprogramme längst aufgenommen hatten, wie der Aufbau z. T. umfangreicher Abgusssammlungen nach antiken Skulpturen in Göttingen (seit 1767) oder an der neugegründeten Universität Bonn (seit 1817) belegt.13 Eine Veränderung dieser Situation brachte erst 1821 die Berufung des jungen Altphilologen Carl Wilhelm Goettling zum a. o. Professor für Philologie in Jena. Seine universitäre Biographie verläuft auf den ersten Blick gradlinig ohne spektakuläre Besonderheiten: 1826 wird er Mitdirektor des Philologischen Seminars und gleichzeitig Leiter der Universitätsbibliothek mit Goethe als oberstem Dienstvorgesetzten, 1831 o. Professor, 1851 Erster Direktor des Philologischen Seminars, 1858 hält er die lateinische Festrede aus Anlass des 300jährigen Jubiläums der Jenaer Universität. Er war neunmal Dekan der Philosophischen Fakultät und viermal Prorektor, d. h. er bekleidete das höchste universitäre Amt, da das Amt des Rektors dem jeweiligen Großherzog v. Sachsen-Weimar vorbehalten war. Auswärtige Rufe, so nach Göttingen (1842) oder 11 12 13

A. Beyer, Weimarer Kulissen, in: Ch. Hölz (Hrsg.), Interieurs der Goethezeit. Klassizismus, Empire, Biedermeier (1999) 41. Goetz 1938, 37. Bauer 2002, 117 ff.

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nach Tübingen (1848), lehnte er ab.14 (Abb. 1) Zwei Fakten dieser Biographie sind allerdings bemerkenswert und lassen aufhorchen: – Seine erste Jenaer Vorlesung im SS 1822 trägt den Titel „Geschichte der Kunst bei den Griechen und Römern.“ – auch in den Folgejahren liest Goettling regelmäßig über römische und griechische archäologische Denkmäler. Und: Seit 1846 fungiert er bis zu seinem Tode 1869 neben seinen sonstigen akademischen Ämtern als Direktor des 1846 eröffneten Archäologischen Museums der Universität, d. h. er pflegt nun amtlich genau jenes Segment der Altertumswissenschaft, das an der Universität Jena bislang nicht etabliert war.

Abb. 1 Foto Göttling (Fotoalbum 1858)

Wie kam es zu diesem Kurswechsel oder: Wie stand es um das Verhältnis des Altphilologen Goettling zur Archäologie, d. h. zur materiell-künstlerischen Hinterlassenschaft der Antike?

14

Zur Biographie Goettlings zusammenfassend: Geyer 2011, 152 f.; Schörner 2008, 23 ff.

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II. Betrachtet man Biographie wie Selbstzeugnisse Goettlings näher, so fallen einige Faktoren als richtungsweisend auf: 1) Zentral ist sein enger persönlicher Kontakt zu Goethe, der 1826 seine Ernennung zum Leiter der Universitätsbibliothek entscheidend befördert hatte. Für Goethe besorgte Goettling seit 1825 die sprachliche Revision seiner Werkausgabe letzter Hand – eine Aufgabe, die ihn anlässlich persönlicher Besuche bei Goethe auch mit dessen durch Winckelmann geprägten kunsttheoretischen Positionen vertraut gemacht haben dürfte. 2) Auffallend ist sein ausgeprägtes Reisebedürfnis in die klassischen Länder des Mittelmeerraumes – damals durchaus riskante Unternehmungen: Die erste große Reise führt ihn 1828 nach Italien, 1840 bereist er Griechenland, wobei er über Italien zurückkehrt, 1852 begibt er sich abermals nach Griechenland und weiter in die Hauptstadt des Osmanischen Reiches, nach Istanbul, das antike Byzanz bzw. Konstantinopel.15 III. Betrachten wir die erste dieser großen Reisen genauer: 1828 unternimmt er – gewissermaßen auf Goethes Spuren – eine halbjährige Reise nach Italien, die ihn u. a. nach Venedig, Rom, Neapel, Malta und nach Sizilien führt, um nur die wichtigsten Stationen zu nennen. Goethe, den er als den zuständigen Minister wohl im Sommer 1827 von diesen Reiseplänen unterrichtet hatte, unterstützte das Vorhaben, und so stellte Goettling am 28. September 1827 folgenden Antrag an Prorektor und Senat der Universität: „Der Unterzeichnete hat sich schon seit längerer Zeit auf eine litterarische Reise nach Italien vorbereitet […] Er wendet sich daher voll Vertrauen an den Illustren Senat mit der Bitte, ihm einen Urlaub von etwa fünf bis sechs Monaten auszuwirken[…]“16 – Dem Gesuch wird stattgegeben, der Aufbruch zur beantragten „litterarischen Reise“ erfolgt Mitte Februar 1828. Am 10. Oktober desselben Jahres nimmt Goettling seine Amtsgeschäfte in Jena wieder auf. Im Bibliothekstagebuch, das zu führen er verpflichtet war, vermerkt er: „An diesem Tag trat der Bibliothekar wieder in sein Geschäft, nachdem er von einer Reise nach Italien zurückgekehrt war […]. Er hatte auf dieser Reise Gelegenheit, die bedeutendsten Bibliotheken Italiens […] zu besehen und glaubt, vorzüglich für die Handschriftenkunde, manches gelernt zu haben […]. Überhaupt kann Italien das Land der

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Geyer 2011, 93. Schörner 2008, 25 ff. JUA Best. A 428 fol. 129.

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Bibliotheken genannt werden […]. Er hofft, daß bei der späteren Anfertigung des Katalogs der Handschriften ihm das gelernte zu Gute kommen soll […].“17 Eine ausführliche Auflistung der besuchten Bibliotheken samt mehr oder weniger kritischer Bemerkungen über deren Zustand und Organisation schließt sich an. Soweit also die dienstlich-offizielle Ebene hinsichtlich der Durchführung der „litterarischen Reise“. Ein völlig anderes Bild vermittelt allerdings ein ebenfalls im Vorfeld der Reise, am 30. August 1827 an August v. Goethe gerichteter Brief: „[…] gleich setze ich mich hin, Sie zu bitten, meiner armen Seele zu gedenken, die zwischen Himmel und Erde schwebt, d. h. zwischen den kalten Bergen Jenas und den feuerspeienden Bergen Hesperiens. Ihres Herrn Vaters Exzellenz hat auf jeden Fall meinen Brief erhalten […] ich glaube nach bester Überzeugung […] mich auf kurze Zeit entfernen zu dürfen und mein verehrter Chef soll dann einen ganz anderen Bibliothekar zurückerhalten, als er jetzt ist. Denn – bedenken Sie – ich sitze seit 1821 hier angenagelt und komme ich nicht in diesem Jahr oder […] zu Anfang des künftigen fort, so werde ich alt, das bißchen Phantasie geht mir aus wie die Luft und ich sterbe in der elendesten Schreibstube … Ich muß Urlaub, Urlaub, Urlaub haben, sonst gehe ich zugrunde.“18 Dem Reisewunsch zugrunde liegt also – ähnlich wie bei Goethe im Falle seiner Italienischen Reise – ein elementarer Drang nach geistig-seelischer Regeneration, nach Ortsveränderung und Horizonterweiterung, wofür bezeichnenderweise Landschaften und nicht etwa Bibliotheksstandorte stehen. Präzisere Aufschlüsse über die eigentliche Zielsetzung der italienischen Reise gewähren Briefe, die Goettling einerseits an seine Familie, andrerseits an Goethe in Weimar richtete:19 Zentrale Themen sind intensive Besuche der an der Reiseroute liegenden Antikenmuseen wie z. B. der noch in Fertigstellung begriffenen Münchner Glyptothek, deren Bestand an antiker Skulptur er „durchstudiert“ – so die jüngst (1827) von König Ludwig I. erworbenen und in der thorwaldschen Restaurierung erstmals aufgestellten ‚Ägineten‘, archaische Giebelfiguren aus dem Aphaiatempel auf der griechischen Insel Ägina, über deren „strengen Stil“ er sich leicht befremdet zeigt. – Ein weiteres zentrales Thema ist die antike Topographie der von ihm besuchten archäologischen Stätten: So befasst er sich eingehend mit der Topographie des antiken Rom, er besucht neue Ausgrabungen in den etruskischen Nekropolen oder unternimmt die Korrektur tradierter topographischer Pläne auf der Grundlage eigener Anschauung. Später, in Griechenland, erstellt er Handskizzen der Kasematten der Burg von Tiryns, zeichnet das Löwentor der Burg von Mykene (Abb. 2).

17 18 19

JHA AB VIII 3. GSA 28/124. Briefe an die Familie: ThULB Jena MS. Prov.q. 95 fol. 1–25. 46–51. Briefe an Goethe: Fischer 1880. Pfeiffer 1981, 102 ff. – Griechenlandbriefe: ThULB Jena MS. Prov. q. 95 fol. 28–45 (1840); fol. 52– 62 (1852). Schörner 2008, 25 f. Geyer 2007, 155.

Winckelmann, Goethe, Carl Wilhelm Goettling und die Genese der Klassischen Archäologie

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Abb. 2 Zeichnung Goettling Löwentor Mykene (1840)

Dies alles verweist – wie bei Winckelmann – auf Autopsie als eine zentrale Kategorie seines Zugangs zur Antike20: „Jetzt erst hab ich einsehen lernen, wie schwer es ist, über Roms Topographie Vorlesung zu halten, und nun vollends für ein Jenaisches Thier, was die Anschauung nicht hat! Es ist unbegreiflich, wie ich habe die Frechheit haben können, damals über die römischen Antiquaria zu sprechen“ – so Goettling 1828 aus Rom nach Jena und an Goethe in Weimar21 – immer wieder betont Goettling die Bedeutung der Autopsie als unmittelbare Erkenntnisquelle und Verständnisgrundlage in bezug auf die Antike. Dies gilt auch für die Wahrnehmung von Landschaft. Sie ist ihm, speziell in Griechenland, wesentliche Voraussetzung zum Verständnis der griechischen Dichtung, sie ist Schauplatz von Mythos und Handlungsraum von Geschichte, also wesentlich ‚historische‘ Landschaft. „Wie notwendig ist es doch Griechenland ge-

20 21

Osterkamp 1998, 443 ff. Geyer 2007 156 f. Brief an die Familie, Rom im April 1828 (Nr. 3) und an Goethe, Rom, 17.4. 1828 (Fischer 1880, 37).

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sehen zu haben um seine Dichter und Helden zu verstehen!“ bekennt er beim Ausblick vom Othrys auf den Olymp.22 – Oder beim Rundblick von Akrokorinth:23 „[…] der Betrachter hätte doch mehr zu denken, er fühlte sein Herz höher schlagen, als wenn er daheim unter hunderttausend Büchern umher wandelte und sich mit ihnen unterhielte, oder wenn er selbst auf einer prächtigen Alpe stünde und in eine schöne, aber leere Gegend hineinblickte. Leer nenne ich aber eine Gegend, wenn sie nicht durch großes menschliches Tun und Leiden, durch Geschichte und Poesie, eine Weihe erhalten hat.“ – Autopsie befördert nachhaltig die Detailgenauigkeit in der Wahrnehmung, den Gedankenflug, das eigene intellektuelle Potential – so in einem Brief vom 24. Juni 1828 aus Neapel an Goethe nach dem Besuch von Agrigent in Sizilien: „[…] ihr riesenmäßigen Trümmer des Tempels des olympischen Zeus, ihr habt einen im Schulstaube fast erstickten Professor von Jena zu reinerer Luft erhoben, ihr habt seinem leeren Leben24 einen Hintergrund gegeben, der ihn im Alter nicht verderben lassen wird“… – also eine Steigerung von Betrachtung zu emotionaler Empfindung, zum Glückserlebnis in geradezu winckelmannscher Tradition – erinnert sei hier nur an dessen berühmte Statuenbeschreibungen (z. B. des Apollon v. Belvedere).25 Diese Hinwendung zur Topographie aufgrund archäologischer Eigenbeobachtung, zur Detailbeobachtung, zur Feldarchäologie und damit zu neuen Denkmälerklassen – genannt seien z. B. die Grabinventare der etruskischen Nekropolen mit ihren oft seriellen keramischen Objekten – bedeutet jedoch nicht nur eine Ausweitung der noch für Goethe maßgebenden winckelmannschen Kunstarchäologie, sondern Goettling gewinnt dadurch Anschluss an moderne, d. h. grabungs- und kontextorientierte archäologische Methodik. Gleichzeitig nutzt Goettling die Italienreise zielstrebig, um vor Ort Kontakte zu führenden Altertumswissenschaftlern, speziell zu Archäologen aufzubauen – so in Rom zum Kreis der sog. ‚Römischen Hyperboräer‘, einem privaten Gelehrtenzirkel, der sich nach jenem mythischen Volk im hohen Norden nannte, bei dem antiker Vorstellung gemäß der griechische Gott Apollon den Winter verbrachte. Zu diesem Zirkel zählten u. a. Eduard Gerhard, in späteren Jahren Direktor der Antikensammlungen in Berlin, sowie Georg August Kestner, Gesandter des Herzogtums Hannover beim Heiligen Stuhl und bekanntlich ein Sohn von Goethes ‚Lotte‘ im „Werther“. In diesem Kreis verbringt Goettling manch feuchtfröhlichen Abend in der römischen „Osteria Goethe“. Mitglieder dieses Kreises gründen wenige Monate nach Goettlings Abreise aus Rom, nämlich am 21. April 1829, dem antiken Geburtstag Roms, mit Unterstützung des preußischen Kronprinzen im Palazzo Caffarelli auf dem Kapitol, damals Sitz der Preußischen Gesandtschaft, das internationale „Instituto della Corrispondenza Ar22 23 24 25

Brief an die Familie, Athen, 26.5.1840 (Nr. 6). Goettling, Abh. II (1863) 31 ff. Fischer 1880, 50. Osterkamp 1996, 572 ff.

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cheologica“ – die Urzelle des heutigen Deutschen Archäologischen Instituts mit seinen Zweigstellen im gesamten Mittelmeerraum. Das vorrangige Anliegen dieses Instituts, das bald ein eigenes Gebäude im Umfeld der Preußischen Gesandtschaft bezog, war die möglichst rasche Anzeige, Publikation und Diskussion archäologischer Objekte und aktueller Feldforschungen.26 Diese 1828 gewonnenen römischen Kontakte wird Goettling auf der Rückfahrt von seiner ersten Griechenlandreise 1840 zum Gewinn der Archäologie in Jena zielstrebig ausbauen. Die archäologische Erweiterung seines Gesichtskreises – wobei der ersten Italienreise die Funktion eines Schlüsselerlebnisses zukommt – findet nicht nur ihren Niederschlag in einer Reihe archäologischer Aufsätze, durch die Goettling sich energisch am wissenschaftlichen Disput beteiligt27, sondern als wichtigstes nachhaltiges Ergebnis bereits der ersten Italienreise darf wohl der Plan zur Gründung eines Archäologischen Museums in Jena gelten: Goettling hatte auf seiner Reise eine Vielzahl von Antikenmuseen unterschiedlichen Zuschnitts kennengelernt, er war mit neuesten Grabungskampagnen und deren Fundkomplexen, vor allem Gefäßkeramik (Vasen) in Berührung gekommen – diese Erfahrungen weckten den Wunsch nach Etablierung konkret-anschaulicher Antike in Jena selbst in Gestalt eines Archäologischen Museums. Zunächst scheitert er freilich am Widerstand Goethes, wie er rückblickend berichtet (29.11.1845): „Schon seit der Zurückkunft von meiner ersten Reise nach Italien und Sizilien im Jahre 1828 habe ich den Mangel einer Sammlung von […] Abgüssen der besten plastischen Kunstwerke, wie sie auf den meisten deutschen Universitäten längst bestehen, an hiesiger Universität schmerzlich gefühlt. Ich schrieb den Wunsch, eine solche Sammlung allmählich zu begründen, schon damals Goethe […] er mäßigte aber meinen Eifer durch die Vorstellung der großen Kosten.“28 – Diese Haltung verfolgte die Großherzogliche Oberaufsicht auch nach Goethes Tod weiter, als sie am 9. Juli 1832 mitteilte: „… schließlich bemerken wir noch, daß es uns leid tut, den … Vorschlag zur Anlage eines Archäologischen Museums in Jena, welchen Herr Hofrath Dr. Goettling … bei uns eingereicht hat, wegen gänzlichen Mangels der zu dessen Realisierung verantwortlichen, sehr bedeutenden Mittel nicht sofort berücksichtigen zu können.“29 1840 begibt sich Goettling erneut auf Reisen, diesmal in das unter König Otto, dem Sohn des bayrischen Königs Ludwig I., 1832 neu begründete Königreich Griechenland. In Athen trifft er u. a. auf Ludwig Ross, seit 1833 Oberkonservator der Altertümer 26 27 28 29

Geyer 2011, 95. – Maurer 2005, 67 ff. 71 ff. Geyer 2007, 153. F. W. Deichmann, Vom internationalen Privatverein zur preußischen Staatsanstalt. Das Deutsche Archäologische Institut (1986). A. Rieche, 150 Jahre Deutsches Archäologisches Institut Rom (1970) 15 ff. Geyer 2007, 156 f. – z. B. Goettling Abh. I (1851) 21 ff. (Tirynth und Argos); 47 ff. (Mykene); 68 ff. (Das Pelasgikon in Athen). Abh. II (1863)78 ff. (Über Selinunt und seine Tempelruinen). Richter 2017, 21. Richter 2017, 21 Anm. 58.

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in Griechenland, Leiter der ersten großen Ausgrabungen auf der Akropolis und seit 1837 erster Professor für Archäologie an der von König Otto gegründeten Universität Athen.30 Mit ihm erkundet Goettling die antike Topographie Athens und der Peloponnes, er besucht Tiryns und Mykene und schließlich auch den Norden des Königreiches. Auf diesen Streifzügen erwirbt er bereits mehrere griechische Keramikgefäße. Die Rückreise wählt er über Rom. Hier kauft er „ein paar Marmore, damit doch in Jena wenigstens ein Fetzen antiken Marmors ist“31, gewinnt engen Anschluss an das 1829 gegründete, inzwischen international führende „Instituto della Corrispondenza“ auf dem Kapitol, das spätere Deutsche Archäologische Institut, wo er am 24. Juli 1840 einen archäologischen Vortrag hält. Insbesondere befreundet er sich mit dem aus Gotha stammenden Emil Braun, damals Erster Sekretär des Instituts – eine Beziehung, die wenige Jahre später für die Einrichtung des Archäologischen Museums in Jena von größter Bedeutung sein sollte: Emil Braun nämlich ermuntert Goettling, der während seines römischen Aufenthalts 1840 selbst zum Mitglied dieses Instituts ernannt worden war, seine Museumspläne für Jena weiter zu verfolgen.32 Die Realisierung dieser Pläne gelingt freilich erst 1846. Wesentlichen Ausschlag hierfür dürfte die Konkurrenz gegeben haben, der sich Jena im Vergleich zu anderen Universitäten inzwischen ausgesetzt sah, wie ein Bericht des Kurators A. v. Ziegesar vom 23.3.1843 deutlich erkennen lässt: „[…] die […] unseren deutschen Universitäten neuerlich, als notwendiger Bestandteil einer Universität eingerichteten archäologischen Sammlungen haben auch hier den Wunsch erweckt, daß für die hiesige Universität eine solche Sammlung begründet werde, ohne welche Altertumskunde nicht […] mit gutem Erfolg gelesen werden kann. Besonders interessieren sich für die Ausführung dieser Ideen der Geheime Hofrath Dr. Goettling, welcher in diesem Fach besuchte Vorlesungen hält […] gewiß würde durch die Ergänzung dieser Lücken bei vielen Studierenden der edle Sinn für die Schätze der Vorzeit geweckt und belebt, und bei manchem eine höhere geistige Bildung genommen werden können, welche sogar noch Nutzen für die Gesamtheit sein dürfte […] darum habe ich keinen Anstand genommen, auf die Ermittlung eines passenden Lokals einzugehen.“33 Diese Bemühungen münden schließlich in die Eröffnung des Archäologischen Museums der Universität Jena in einem Saal des großherzoglichen Stadtschlosses (Abb. 3) und in terminlicher Abstimmung mit der 9. Philologenversammlung, die vom 29. September bis 2. Oktober 1846 in Jena tagte. Göttling selbst, nunmehr Direktor dieses Museums, legte aus diesem Anlass bereits den ersten wissenschaftlichen Katalog vor34. (Abb. 4)

30 31 32 33 34

Fittschen 1999, 136 ff. Geyer 2007, 153, Anm. 18. Brief an die Familie, Rom, 24.7.1840. Richter 2017, 21 f. Geyer 2011, 97. ThStAM., Konsist. R. 305, 1–2 – Richter 2017, 23. Verzeichnis 1846. – Richter 2017, 23 f.

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Abb. 3 Eingang Archäologisches Museum im Stadtschloss (vor 1904)

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Abb. 4 Verzeichnis Archäologisches Museum 1846

IV. Fragen wir nach dem Profil dieses nun endlich realisierten Museums, so gibt der Katalog Goettlings hierüber Auskunft: Er listet insgesamt 70 Positionen auf, darunter Privatstiftungen aus Anlass der Museumsgründung, so eine mehr als 30 Objekte umfassende Schenkung ägyptischer Antiken aus der Sammlung Friedrich Batsch, die dieser 1816 aus Ägypten mitgebracht hatte (Kat. Nr. 1–30), oder eine 10 Abgüsse römischer Kaiserporträts umfassende Stiftung des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. (Kat. Nr. 59–70). Den monumentalen Kern des Museums bildeten Abgüsse berühmter antiker Statuen, finanziert durch Spenden des von Goettling im Vorfeld initiierten archäologischen Vereins35, so z. B. der ‚Venus von Melos‘ (Kat. Nat.39. – Original: Louvre)36 (Abb.5). Mit dem Schwerpunkt auf der Präsentation von Abgüssen nach über viele Standorte verstreuten antiken Skulpturen, die in winckelmannscher Tradition als Leitgattung zur Veranschaulichung antiker Kunstentwicklung dienten, während antike Originale zunächst nur eine nachgeordnete Rolle spielten, stand das Jenaer

35 36

Richter 2017, 33 ff. Abgüsse 1997, 32 f. (Nr. 10).

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Museum nun konkurrenzfähig neben den bereits etablierten, ebenfalls auf Abgüsse konzentrierten universitären Sammlungen – neben Göttingen (1767) und Bonn (1817) waren inzwischen etwa Königsberg, Breslau, Gießen, Leipzig, Tübingen, Freiburg und Greifswald hinzugekommen.37

Abb. 5 Gipsabguss, Venus von Milo ( Jena, seit 1996)

V. Dieses durch Abgüsse bestimmte Profil des Jenaer Museums sollte sich jedoch bereits unmittelbar nach der Eröffnung entscheidend erweitern: Unter Nr. 48–52 seines Katalogs verzeichnet Goettling kolorierte Kopien und Zeichnungen nach etruskischen

37

Bauer 2002, bes. 124 ff. 131 (chronologische Tabelle der Abgusssammlungen).

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Grabmalereien, so „nach der in der Nekropole von Veji, durch Hofrath Campana in Rom entdeckten Grabkammer. Geschenke des […] Herzogs von Sachsen-Altenburg an das archäologische Museum zu Jena als Vorläufer zu einer sehr bedeutenden, großartigen Schenkung, bestehend in Vasen, Originalterracotten und Abgüssen aus Rom, deren Verzeichnis von Professor E. Braun in Rom verfertigt im Manuscript aufliegt.“ – Diese angekündigte Schenkung, die ihrerseits ein Geschenk des römischen Marchese Giovanni Pietro Campana an den Herzog Joseph von Altenburg als ‚Gegenleistung‘ für eine Ordensverleihung seitens des Herzogs darstellte, wird wenige Tage nach der Museumseröffnung (17.10.1846) in das Eigentum des Archäologischen Museums und somit der Universität Jena übertragen.38 Mit diesem Vorgang verbindet sich zunächst die Frage nach der Person des Stifters sowie nach dem Wege der Vermittlung dieser Schenkung von Rom nach Jena.39 Zunächst zur Person des Stifters: Der römische Marchese Giovanni Pietro Campana, ein äußerst erfolgreicher Bankmanager im Kirchenstaat und seit 1833 Direktor des päpstlichen Bank- und Pfandleihauses „Monte di Pieta“ (heute: Banca di Roma), war zugleich leidenschaftlicher Antikensammler und renommierter Ausgräber römischer und etruskischer Grabanlagen und – wie Goettling – Mitglied des 1829 gegründeten „Instituto di Corrispondenza Archeologica“. So entdeckte er zwischen 1831 und 1840 zwei bedeutende römische Grabanlagen zwischen Via Appia und Via Latina, die er 1840 umgehend publizierte (Abb. 7). 1831–1835 war er der erste Grabungsleiter in Ostia, wobei er sich kontextorientiert erstmals um die Erfassung urbanistischer Strukturen bemühte, 1843 entdeckte er ein wegen seiner großformatigen, frühorientalisierenden Wandmalereien hochberühmtes etruskisches Grab in Veji, die nach ihm benannnte ‚Tomba Campana‘, eine regelrechte Touristenattraktion jener Zeit. Die bei diesen Ausgrabungen zutage geförderten Funde bildeten den Grundstock seiner eigenen berühmten, über mehrere Standorte in Rom verteilten Sammlungen, des sog. ‚Museo Campana‘ als Gesamtkomplex, von dessen Reichtum nicht zuletzt die Ausstattung seiner eigenen Villa in Rom zeugte. Als Kontaktstelle für die Vermittlung der Schenkung aus den Sammlungsbeständen Campanas über Altenburg nach Jena figurierte das bereits mehrfach erwähnte, 1829 gegründete Institut mit seinem damaligen Ersten Sekretär bzw. Direktor Emil Braun als Zentralgestalt. Dieser stellte nicht nur Neufunde Campanas im römischen Institut vor und moderierte Vorträge Campanas, sondern er war, wie wir bereits hörten, seit 1840 mit Goettling befreundet, der damals auf der Rückreise von Griechenland in Rom Station gemacht hatte. Zudem war Emil Braun dank seiner glänzenden Verbindungen zum italienischen Kunst- und Antiquitätenhandel bereits seit Jahren für den sächsischen Staatsminister Bernhard August v. Lindenau bei dessen Aufbau der Kunst- und Antikensammlungen in Altenburg tätig,

38 39

Richter 2017, 27 ff. Graen 2018a, 124 ff. Graen 2018b, 118 ff. Richter 2017, 27 f. Geyer 2008, 1 ff.

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verfügte also über beste Beziehungen ins Herzogtum Sachsen-Altenburg, einen der vier Erhalterstaaten der Universität Jena. Von Emil Braun in Rom stammt die Idee der Vermittlung einer Schenkung, wie ein Brief Brauns an Lindenau belegt (13.12.1844): „Indem ich Ew. Exzellenz das Schicksal der Universität Jena, welche bei ihrer großen Armut außerstande ist, die Altertumswissenschaft auf ihrem Fortschritt in neu entdeckte und neu erworbene Gebiete zu begleiten, recht sehr ans Herz lege, erlaube ich mir in Aussicht zu stellen, daß wenn ein Local zur Aufnahme einer archäologischen Sammlung gegründet wird, ich zahlreiche nützliche Beiträge zu derselben beisteuern werde.“40 Und ein Jahr später noch einmal Braun an Lindenau (29.11.1845): „Nun wage ich noch eine ganz andere […] Sache Ew. Exzellenz vorzutragen. Campana, dessen Verdienste und monumentale Reichtümer Ew. Exc. aus eigener Anschauung kennen, ist zwar bereits über und über mit Ordensbändern beladen, aber es gelüstete ihm nach einem Commandeurkreuz. Dieses will er sich natürlich verdienen […]. Da ich nun bereits im vorigen Jahr wegen der Einführung der Archäologie in der Universität Jena Rücksprache genommen und […] einen Brief wegen der meinerseits dabei zu leistenden Hilfe zugesagt habe, so ist mir der Gedanke gekommen, ob man nicht die ritterlichen Gesinnungen dieses für die Kunst und Wissenschaft begeisterten Mannes jener Anstalt zu Gute kommen lassen könnte, als man mit seinem Beistand einen archäolog. Apparat zu begründen suchen müßte. Wäre nun der Herzog von Altenburg als Beschützer der Universität Jena geneigt, ein solches Ehrengeschenk für dieselbe in Empfang zu nehmen, so würde ich das meinige dazu beitragen, daß dasselbe […] wahrhaft nützlich ausfallen sollte.“41 Diese Aktion wird erfolgreich abgeschlossen, wie Lindenau am 15.7.1846 an Braun nach Rom schreibt: „Von Seiten der Jenaischen Professoren wird der Ankunft der Campanischen Geschenke wie einer Christ-Bescherung entgegengesehen und deren Empfang im Monat September lebhaft gewünscht, um damit den Philologen-Congress verherrlichen zu können.“42 Emil Braun in Rom wählte also die Objekte aus und erstellte das Verzeichnis. Dieses weist 170, nach Monumentenklassen geordnete Objekte aus, darunter 63 Keramikgefäße (sog. Vasen) überwiegend von etruskischen Fundplätzen und daher wohl aus Campanas eigenen Grabungen stammend, so eine Hydria aus der Zeit um 520 v. Chr. aus Caere/Cerveteri, so eine attische Augenschale annähernd gleicher Zeit aus Vulci, außerdem einheimisches, d. h. etruskisches Bankettgeschirr, sog. Bucchero-Keramik, weiterhin 12 reliefierte Terrakottaplatten (Abb. 6), noch heute nach ihrem ersten Sammler – eben dem Marchese Campana – ‚Campanareliefs‘ genannt, die vor allem im frühkaiserzeitlichen Rom als Architekturverkleidung dienten, sowie Exemplare der Prachtpublikationen zu den von Campana erschlossenen archäologischen Stätten 40 41 42

Richter 2017, 27 Anm. 115. Richter 2017, 105. Richter 2017, 28.

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Abb. 6 Campana-Relief SAK, Inv.-Nr. T 200

und Gattungen (Abb. 7, 8). Hinzu kamen noch mehrere Abgüsse nach antiken Marmorskulpturen, so nach der berühmten Statue des griechischen Tragödiendichters Sophokles, damals im Lateran, heute in den Vatikanischen Museen, sowie kolorierte Zeichnungen etruskischer Wandgemälde, so der berühmten, nach ihrem Ausgräber benannten ‚Tomba Campana‘ in Veji.43 Diese Schenkung Campanas bedeutete für das Archäologische Museum in Jena nicht nur die schlagartige Vermehrung des Eröffnungsbestandes um mehr als das Doppelte, sondern zugleich eine markante Erweiterung des Sammlungsprofils auf den Bereich antiker Originale. Damit gewann das Archäologische Museum in Jena zugleich Anschluss an modernste, von der Kunstarchäologie Winckelmanns wegführende Forschungstendenzen, wie sie Campana selbst vertrat, nämlich in der Dokumentation von Grabungskontexten (Pläne, Zeichnungen) wie in der Beachtung bislang in der archäologischen Forschung vernachlässigter ‚serieller‘ Gattungen, so der etruskischen Bucchero-Keramik oder der Campanareliefs.44

43 44

Richter 2017, 27 ff. 109 ff. (Gesamtverzeichnis = Anhang 7). Geyer 2008, 15 ff. Geyer 2008, 11 ff.

Winckelmann, Goethe, Carl Wilhelm Goetlinn nn nie Geneee ner laeeiechen rchholonie

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Abb. 7 Deckblat ner P blikation zweier von Campana entneckter Col mbarien in Rom (1840)

Dank ner Schenk nn Campanae eteht Jena z nem bie he te in Verbinn nn mit nen nroßen ntikeneamml nnen im Lo vre nn in St. Petereb rn: Im Z ne ner zwanneweieen flöe nn nn nee Verka fe nee M eeo Campana in nen Jahren 1859/1861 ninnen allein 10.345 Objekte nach Parie, wo eie noch he te nen zentralen Beetann ner etr ekiechen Samml nn nee Lo vre bilnen, 792 Objekte erwarb R ßlann für nie St. Petereb rner Eremitane.45

45

Geyer 2008, 18 f.

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Abb. 8 Deckblatt Antiche opere in plastica (1842)

VI. Die beiden Kernbereiche des Museums – Abgusssammlung wie Originalbestände – werden von Goettling in der Folgezeit weiter ausgebaut: So erwirbt er einen Abguss des sog. Apollon vom Belvedere im Vatikan46, 1856/58 gelangt ein Abguss der Laokoongruppe im Vatikan als Geschenk der Großfürstin Maria Pawlowna ins Museum47 – beide Statuen sind nicht zuletzt durch die Beschreibungen Winckelmanns berühmt, auf die sich Goettling dann auch in seinen Katalogen bezieht. Auf seiner zweiten Griechenlandrei-

46 47

Abgüsse 1997, 23 ff. (Nr. 7). Abgussinventar Nr. 296. – Standort heute: Winckelmannmuseum Stendal.

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se 1852 kauft er mehrere Abgüsse, so nach dem sog. Apoll von Tenea, einer Grabstatue des 6. Jhds. v. Chr. (Original: Glyptothek München)48, in Olympia ersteht er – also noch vor Beginn der großen deutschen Ausgrabungen – einen korinthischen Helm (6. Jhd. v. Chr.)49, in Megara ein spätklassisches Salbgefäß in Gestalt der badenden Aphrodite mit Resten der ursprünglichen Bemalung.50 In Athen erwirbt er schließlich einen umfangreichen Komplex fragmentierten Bankettgeschirrs aus der Zeit um 400 v. Chr., der beim hektischen Ausbau Athens zur griechischen Hauptstadt auf dem Areal des antiken Töpferviertels zutage gekommen war: „Zu guter Letzt habe ich noch Schererei mit der Douane; ich kaufte in einem Hause von Athen für 5 Taler Vasenscherben, weil mehreres darunter war, was gut gezeichnet schien und weil es mir interessant schien, von echt attischen Töpfen etwas zu haben – Gott verzeihe mir die Dummheit – und doch ist die Sache für unser kleines Museum von Wert“51 (Abb.9). Dieser Fundkomplex sollte in der archäologischen Keramikforschung unter dem Namen ‚Werkstatt des Jenaer Malers‘ berühmt werden und ist heute erneut verstärkt Gegenstand internationaler Forschung.52

Abb. 9 Scherbenhaufen Jenaer Maler, SAK Jena

48 49 50 51 52

Abgüsse 1997, 14f (Nr. 3). SAK Inv. B 157. SAK Inv. Nr. T 187. Geyer 2007, 153 Abb. 13. V. Paul-Zinserling, Die Terrakotten der Sammlung Antiker Kleinkunst der Friedrich-Schiller-Universität Jena (2001) 50f (Kat. Nr. 35). Brief an die Familie, Athen, 22./25.5.1852. K. Kathariou, Der Jenaer Fundkomplex, in: Tonart. Virtuosität antiker Töpfertechnik. Ausst.-Kat. Bonn 2010/2011 (2010) 128 ff. (Kat. Nr. 93–118). A. Geyer (Hrsg.), Der Jenaer Maler. Eine Töpferwerkstatt im klassischen Athen. Ausst.-Kat. Jena (1996). V. Paul-Zinserling, Der Jena-Maler und sein Kreis (1994).

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Der vor allem mit der Schenkung Campana beginnende Ausbau der Originalsammlung, aber auch die kontinuierliche Erweiterung der Abgusssammlung reflektieren damit zugleich das beginnende Zeitalter der großen Ausgrabungen in Italien und Griechenland und die damit verbundene Zuwendung zu originaler griechischer Kunst. VII. Die Eröffnung des Archäologischen Museums in Jena 1846 fällt freilich in eine Zeit, als im Gegensatz zur Epoche Goethes in Weimar die Antike als vorrangiger Bezugsrahmen und Gestaltungsideal zeitgenössischer Lebenswelten an Attraktivität und Verbindlichkeit längst verloren hatte – ein Prozess, der bereits in den späten Jahren Goethes einsetzte (Stichwort Romantik). Der mit dieser Entwicklung für die nunmehr vorrangig museale Antikenpräsentation – zumal im universitären Kontext – verbundenen Isolierung und Ausgrenzung im allgemeinen gesellschaftlichen Bewusstsein und dem damit unweigerlich einhergehenden Bedeutungsverlust suchte Goettling in zweifacher Hinsicht entgegenzuwirken, nämlich durch die regelmäßige Öffnung des universitären Museums für das städtische Publikum sowie durch die Einrichtung der sog. ‚Rosenvorlesungen‘, benannt nach ihrem Veranstaltungsort, den ‚Rosensälen‘.53 Diese Vorträge beschränkten sich nicht auf archäologische Themen, sondern widmeten sich darüber hinaus allgemeinbildenden Inhalten mit dem Nebeneffekt, dass aus den Eintrittsgeldern dieser jeweils im Wintersemester stattfindenden Vortragsreihen Ankäufe für das Archäologische Museum getätigt werden sollten. Die Institution der Rosenvorlesungen fungierte also als zentrales Forum des Kontaktes und der Vermittlung zwischen breiter Öffentlichkeit und Facharchäologie, das immerhin bis 1928 Bestand haben sollte und zugleich die finanziellen Grundlagen für die rasante Erweiterung der Museumsbestände sowohl im Bereich der Abgüsse als auch der Originalsammlung bereitstellte. Den Zuwachs verdeutlicht der von Goettling bis 1865 geführte Bestandskatalog: Er verzeichnet 557 Objekte; der Eröffnungskatalog 1846 hatte 70 Positionen aufgelistet.54 VIII. Die Gestalt des Altphilologen Carl Wilhelm Goettling, der die konkrete materielle, d. h. ‚archäologische‘ Hinterlassenschaft der Antike jenseits der Altphilologie als eigenständigen Zugang, als fundamentale Erkenntnisquelle in Bezug auf das Altertum insgesamt in Jena erstmals anschaulich und nachhaltig vermittelte, verkörpert gerade-

53 54

Richter 2017, 49 ff. Richter 2007, 39 f. 118 ff. (= Anhang 12).

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zu modellhaft die generell sich vollziehende Emanzipation der Archäologie von der Altphilologie und ihre Etablierung als universitäre Fachdisziplin mit methodischem Eigenprofil, die in Jena 1846 mit der Gründung des Archäologischen Museums zwar de facto erreicht war, die jedoch erst mit der Berufung Rudolf Gaedechens als Nachfolger Goettlings zum Direktor des Museums und erstem Professor für Archäologie 1874 ihre institutionelle Bestätigung fand.55 Zugleich steht Goettling in seiner Öffnung gegenüber modernen, nunmehr grabungs- und kontextorientierten Ansätzen archäologischer Forschung für die Lösung der Archäologie von winckelmannschen und von Goethe weitergetragenen Zugriffsweisen und Interpretationsebenen. Damit war die Archäologie als eigenständiges Universtätsfach – wenn auch im Vergleich zu anderen deutschen Universitäten erst relativ spät – fest installiert. IX. Auch nach dem Tode Goettlings wuchs das Museum in seinen Beständen rasch, so dass bereits 1874 die dringende Notwendigkeit eines Erweiterungs- bzw. Neubaus intensiv diskutiert wurde – eine Notwendigkeit, der freilich erst Rechnung getragen wurde mit dem Neubau des Universitätshauptgebäudes an der Stelle des großherzoglichen Stadtschlosses, erbaut in den Jahren 1904/08 nach den Entwürfen Theodor Fischers.56 Entscheidend beteiligt an der Erarbeitung und Durchsetzung der die Archäologie betreffenden Konzepte war zunächst Ferdinand Noack57, vor seiner Berufung nach Jena 1899 Leiter der deutschen Ernst von Sieglin-Expedition im ägyptischen Alexandria. Unter ihm kamen 1902 zahlreiche Objekte aus der Troja-Grabung Heinrich Schliemanns in die Originalsammlung, darunter als wichtige Leitform der ägäischen Bronzezeit ein doppelhenkliges Trinkgefäß aus Troja II, der Stadt des mittleren 3. Jhts. v. Chr., die Schliemann zunächst fälschlicherweise für das von Homer besungene Troja58 hielt. Botho Graef59, Noacks Nachfolger in Professur und Museumsdirektion (1904– 1917), verantwortete die modernsten ästhetischen und wissenschaftlichen Kriterien verpflichtete Präsentation der Museumsbestände, vor allem der Abgusssammlung, in den mit einer Gesamtfläche von ca. 1100 m und eigenem Zugang äußerst großzügigen

55 56 57 58 59

Richter 2017, 65 ff. Goetz (1938) 55. Richter 2017, 76 ff. Geyer 2013, 7. W. Nerdinger, Theodor Fischer. Architekt und Städtebauer 1862–1938 (1988) 207 ff. (Werkkat. Nr. 90). Richter 2017, 67 f. 74 ff. A. Plontke-Lüning, Troja. Heinrich Schliemanns Funde des 3. und 2. Jhts. v. Chr., in: A. Geyer (Hrsg), Mediterrane Kunstlandschaften in der Sammlung Antiker Kleinkunst der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Ausst.-Kat. Jena (1999) 12 ff. 106 (Kat.-Nr .1). Richter 2017, 76 ff. Graef 1908, 61.

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Angelika Geyer

Abb. 10 Universitätshauptgebäude Ostflügel, Eingang Archäologisches Museum (1908–1962)

neuen Räumlichkeiten des Universitätshauptgebäudes (Abb. 10). Gleichzeitig betrieb Botho Graef den weiteren Ausbau sowohl der Abguss- wie der Originalsammlung. So gelangte zum Beispiel ein Abguss des Apollon aus dem Westgiebel des Zeustempels in Olympia, dort bei den deutschen Grabungen im späteren 19. Jhd. zutage gekommen, 1907 als Geschenk „Frau Prof. Rosenthals“ zur Neueröffnung des Archäologischen Museums in die Sammlung60 (Abb. 11). Für die Originalsammlung erwarb Botho Graef zudem zahlreiche antike Originale, die er in einem eigenen Inventarbuch

60

Abgüsse 1997, 20 ff. (Nr. 6).

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Abb. 11 Gipsabguss, Apoll vom Westflügel des Zeus-Tempels Olympia ( Jena, seit 1996)

dokumentiert und fallweise zeichnet. Bemerkenswert ist das Profil dieser Zugänge, das frühe attische Gefäße des 8. Jhds. v. Chr. ebenso wie mykenisches Trinkgeschirr, prädynastische ägyptische Gefäße des 5. Jhts. v. Chr. kyprische Idole des 3./2. Jhts. v. Chr., oder indigene italische Keramik umfasste. Dieses breite Herkunftsspektrum spiegelt zugleich die Ausweitung des archäologischen Horizonts auf bislang wenig bekannte und erschlossene Bereiche antiker Kulturen der Mittelmeerwelt, wie sie seit dem späten 19. Jhd. durch verstärkte Grabungsaktivitäten ans Licht gehoben wurden. In Jena waren somit alle wesentlichen antiken Kunstlandschaften und Kulturen in charakteristischen Zeugnissen und somit gleichsam die Anschauung neuester Grabungsergebnisse präsent. Die großzügige Einrichtung der Archäologie, Pflege und Erweiterung der Bestände dokumentierte den hohen Stellenwert des Faches in der zeitgenössischen Wahrnehmung und sicherte zugleich die Konkurrenzfähigkeit Jenas gegenüber anderen deutschen Universitäten.

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Angelika Geyer

Abb. 12 Jenaer Gipsabgüsse im Magazin Hohenschönhausen (nach 1994)

Das weitere Schicksal des Archäologischen Museums lässt sich in Anlehnung an winckelmannsche Vorstellungen mit weiterem Aufstieg im Sinne bestandsmäßiger Erweiterung, Blüte, Absturz und beginnender Wiederauferstehung beschreiben: Das innerhalb weniger Jahrzehnte enorm erweiterte Erbe Goettlings überdauerte wesentlich unangefochten beide Weltkriege, bis es 1962 aufgelöst und die Inschrift am Eingang getilgt wurde.61 Die Originalsammlung wurde auf engstem Raum nahezu unzugänglich magaziniert62, die inzwischen 614 Objekte umfassende Abgusssammlung als monumentalster Bestand des Museums über Umwege 1983 in die feuchten Keller des Pergamonmuseums zu Berlin ‚entsorgt‘. Erst nach der Wende gelangte sie 1994 in ein immerhin trockenes Außenmagazin der Berliner Museen nach Hohenschönhausen (Abb. 12), wo ich sie 1995 erstmals besichtigen konnte. Zwischen 1996 und 2011 erfolgte

61 62

Richter 2017, 92 ff. Geyer 2013 Abb. 6.

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die sukzessive Rückführung der noch vorhandenen Abgüsse aus Berlin an verschiedene Standorte innerhalb der Universität (Abb. 13). Am 24. April 2012 konnten wir schließlich die Wiedervereinigung von Originalsammlung und wesentlichen Teilen der Abgusssammlung in einem ehemaligen Industriebau der Carl Zeiss-Werke feiern, wobei aus diesem Anlass gewährte auswärtige Privatstiftungen und Dauerleihgaben die Bestände erneut substantiell bereicherten.63

Abb. 13 Aufstellung der Gipsabgüsse am Campus (seit 1996)

So führt die wiedererstandene Antikensammlung – letztlich die monumentale Folge einer 1828 von Goethe genehmigten Dienstreise des Jenaer Altphilologen Carl Wilhelm Goettling nach Italien – gerade in ihrem mit Goettling zu verbindenden Kernbestand nicht zuletzt winckelmannsche und goethesche Horizonte im Umgang mit der Antike in unserer Gegenwart wieder anschaulich vor Augen.

63

Richter 2017, 94 f. Geyer 2013 Abb.9.10. Schriftliche Fassung eines Vortrags vom 9.3.2017 in Weimar (Stiftung Weimarer Klassik) sowie vom 13.2.2018 in Jena (Goethe-Gesellschaft Jena).

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Angelika Geyer

Abkürzungen GSA JHA JUA SAK ThULB ThStAM

Weimar, Goethe- und Schillerarchiv Jena, Handschriftensammlung der Universitätsbibliothek Jena, Universitätsarchiv Sammlung Antiker Kleinkunst Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena Thüringer Staatsarchiv Meiningen

Abgüsse 1997: A. Geyer (Hrsg.), Abgüsse aus dem ehemaligen Archäologischen Museum der Friedrich-Schiller-Universität Jena I (1997). Bauer 2002: J. Bauer, Gipsabgusssammlungen an den deutschsprachigen Universitäten. Eine Skizze ihrer Geschichte und Bedeutung, Jb. Univ. Gesch. 5, 2002, 117 ff. Fischer 1880: K. Fischer (Hrsg.), Briefwechsel zwischen Goethe und K. Goettling in den Jahren 1824–1831 (1880). Fittschen 1999: K. Fittschen, Archäologische Forschungen in Griechenland zur Zeit König Ottos (1832–1862), in: Das neue Hellas. Griechen und Bayern zur Zeit Ludwig I., Ausst.-Kat. München (1999) 136–139. Geyer 2007: A. Geyer, C. W. Goettling – ein Nachfolger Winckelmanns in Jena?, in: Johann Joachim Winckelmann. Seine Wirkung in Weimar und Jena. Kolloquium der Winkelmann-Gesellschaft und der Akademie gemeinnütziger Wissenschaften zu Erfurt, Jena 2003 (2007) 151 ff. Geyer 2008: A. Geyer, Aus dem römischen Pfandleihinstitut des Kirchenstaates (Sacro Monte Pietà) ins Jenaer Stadtschloss der Großherzöge von Sachsen-Weimar-Eisenach: Die Schenkung des Marchese Giovanni Pietro Campana im Archäologischen Museum der Universität Jena, in: A. Geyer (Hrsg.), 1846–2006. 160 Jahre Archäologisches Museum der Universität Jena. Thüringer Sammlungen im Kontext internationaler Netzwerke. Kolloquium Jena 28.10.2006 (2008) 1–22. Geyer 2011: C. W. Goettling und die Anfänge der Klassischen Archäologie an der Universität Jena oder: Ein Altphilologe auf Abwegen, in: M. Vielberg (Hrsg.), Die klassische Altertumswissenschaft an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Eine Ringvorlesung zu ihrer Geschichte (2011) 89 ff. Geyer 2013: A. Geyer, Rede zur Wiedereröffnung der Antikensammlungen der Universität am 24.04.2012 (2013). Goettling Abh. I (1851). II (1863): C. W. Goettling, Gesammelte Abhandlungen aus dem classischen Alterthume I (1851). II (1863). Goettling Opuscula 1869: K. Fischer (Hrsg.), Caroli Guillelmi Goettlingii opuscula academica (1869). Goetz 1938: G. Goetz, Geschichte der Klassischen Studien an der Universität Jena von ihrer Gründung bis zur Gegenwart (1938). Graef 1908: B. Graef, Die Aufgaben einer Sammlung von Abgüssen nach antiken Skulpturen, Museumskunde 4, 1908, 55–65. Graen 2012: D. Graen, Gute Zeiten – schlechte Zeiten: Die Sammlungen des Lehrstuhls für Klassische Archäologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena, in: F. M. Müller (Hrsg.), Archäologische Universitätsmuseen und -sammlungen, Spectanda 3 – Schriften des Archäologischen Museums Innsbruck (2012) 325–340. Graen 2018a: D. Graen, Ein glücklicher Finder: Campana als Archäologe, in: E. Winter (Hrsg.), Gauner, Gönner und Gelehrter. Die Schenkung des Marchese Giovanni Pietro Campana von 1846. Ausst.-Kat. Jena (2018) 124–135.

Winckelmann, Goethe, Carl Wilhelm Goettling und die Genese der Klassischen Archäologie

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Graen 2018b: D. Graen, 1846: La donation du Marquis Campana à l’Université d’Jena et la fondation du Musée archéologique, in: F. Gaultier / L. Haumesser / A. Trofinova (Hrsg.), Un rêve d’Italie. Ausst.-Kat. Paris (2018), 118–124. Hecht 2017: Ch. Hecht, Befremdliche Diskrepanz. Oesers Titelvignette zu Winckelmanns Nachahmungsschrift, in: Die Erfindung des Klassischen. Winckelmann-Lektüren in Weimar, Jb. Klassik Stiftung Weimar 2017, 63–74. Immer 2017: N. Immer, Der „größte Grieche in Rom“. Goethes Konstruktion des Klassizisten Winckelmann, in: Die Erfindung des Klassischen. Winckelmann-Lektüren in Weimar, Jb. Klassik Stiftung Weimar 2017, 75–91. Maurer 2005: G. Maurer, Preußen am Tarpejischen Felsen. Die Geschichte des Deutschen Kapitols in Rom 1817–1918 (2005). Mengs 2001: Mengs. Die Erfindung des Klassizismus, Ausst.-Kat. Padua/Dresden (2001). Mengs 2013: Anton Raphael Mengs y la Antiguedad, Ausst.-Kat. Madrid (2013) Osterkamp 1988: E. Osterkamp, Winckelmann in Rom. Aspekte adressatenbezogener Selbstdarstellung, in: C. Wiedemann (Hrsg.), Rom–Paris–London. Erfahrung und Selbsterfahrung deutscher Schriftsteller und Künstler in den fremden Metropolen. Ein Symposion (1988) 211–231. Osterkamp 1996: E. Osterkamp, Goethe als Leser Johann Joachim Winckelmanns, in: Ars naturam adiuvans. FS Matthias Winner (1996) 572–580. Osterkamp 1998: E. Osterkamp, Johann Joachim Winckelmanns Beschreibungen der Statuen im Belvedere in der ‚Geschichte der Kunst des Altertums‘. Text und Kontext, in: Der Statuenhof im Belvedere im Vatikan. Int. Kongr. Rom 1992 (1998) 443–458. Pfeiffer 1981: B. Pfeiffer, Italienerlebnisse 1828 und 1840 im Spiegel einer Sammlung unveröffentlichter Briefe des Jenaer Professors und Freundes von Goethe Karl Wilhelm Göttling, in: Reichtümer und Raritäten II. Kulturhistorische Sammlungen, Museen, Archive, Denkmale und Gärten der Friedrich-Schiller-Universität Jena (1981) 102–114. Richter 2017: H. Richter, Geschichte des Archäologischen Museums der Universität Jena 1846– 1962 (2017). Schörner 2008: H. Schörner, Das junge Museum wächst – Carl Wilhelm Goettling in Griechenland, in: A. Geyer (Hrsg.), 1846–2006. 160 Jahre Archäologisches Museum der Universität Jena. Thüringer Sammlungen im Kontext internationaler Netzwerke. Koll. Jena 28.10.2006 (2008) 23–45. Stendal 1996: Winckelmann, Ausst.-Kat. Stendal (1996). Verzeichnis 1846: C. W. Goettling, Verzeichnis der Gegenstände des im Jahre 1846 gegründeten archäologischen Museums der Universität Jena (1846). Winckelmann 2017: Winckelmann. Moderne Antike, Aust.-Kat. Weimar (2017)

Abbildungsnachweis Abb. 1, 2, 3, 4, 7, 8, 10, 12, 13: Fotoarchiv LS Klassische Archäologie, Friedrich-Schiller-Universität Jena. Abb. 5, 6, 9, 11: Fotoarchiv LS Klassische Archäologie, Friedrich-Schiller-Universität Jena (Foto: Dennis Graen).

Texte lesen, verstehen, interpretieren Problem und Chance des Lateinunterrichts1 Hans-Joachim Glücklich I. Teil Lateinkenntnisse erreichen 1. Von Goethe bis heute – immer wieder Schwierigkeiten mit dem Latein Alle Latinisten lieben ihr Fach und wollen, dass es geliebt wird. Liebe zeigt sich in Zuspruch und Popularität. Latein vermisst diese manchmal. Man findet, dass mal dieser, mal jener Lehrstuhl abgebaut wird, man erfährt, dass Latein als 1. Fremdsprache und als Leistungskurs in der Oberstufe wenig Zuspruch findet. Man ist erstaunt, dass viele Fächer meinen, ohne nachgewiesene Lateinkenntnisse auszukommen. In letzter Zeit haben das viele Universitäten bei der Kunstgeschichte vollzogen. Dabei beschäftigt sich das Fach zum überwiegenden Teil mit mythologischen und historischen Darstellungen, wobei auch moderne Mythen und neuere Geschichte in Spiegelungen antiker Mythen und historischer Ereignisse dargestellt werden. Viele Versuche werden gemacht, die Bedeutung des Lateins und des Lateinunterrichts zu zeigen. Ich schließe mich an. Aber ich will hier Latein nicht als Hilfe für andere Fächer darstellen. Es häufen sich Veröffentlichungen wie „Latein und Religion“, „Latein und Archäologie“, „Latein und Mathematik“, „Latein und Kunstgeschichte“, „Latein und moderne Fremdsprachen“, „Latein und Deutsch“. Für all diese Fächer kann Latein etwas beitragen und das ist bei der Wirkung der lateinischen Literatur und unserem weiten Literaturbegriff auch kein Wunder. Umgekehrt können all diese Fächer etwas zum Lateinunterricht beitragen. Das Thema meines Beitrags ist aber sozusagen „Latein und Latein“.

1

Erweiterte Fassung meines Vortrags in Jena am 25. November 2017.

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Hans-Joachim Glücklich

Ich will auch nicht wie die fachdidaktische Literatur seit etwa 2012 – auch dies wieder zu Recht – davon reden, was Latein eventuell für den Inklusionsunterricht oder die Deutschkenntnisse von Schülern nicht-deutscher Herkunftssprache leisten kann. Lateinunterricht wird sehr oft damit begründet, in welchem anderen Bereich er Nutzen bringt. Das ist nicht falsch. Mein Thema ist aber, was Lateinlernen und Lateinlesen an sich bedeutet und wie es gestaltet werden soll. Wir brauchen Lateinschüler, wir brauchen Lateinlehrer. Mein Thema ist: Latein für Lateinlerner. Und da liegt ein Grundproblem in zwei großen Bereichen. 1. Wie kann man überhaupt Lateinkenntnisse und die Fähigkeit zum Umgang mit lateinischen Texten heute erreichen? 2. Wie wird manchmal noch im Unterricht gearbeitet und dieses Ziel verfehlt? Allgemein wird gerade die Zeit Goethes und Schillers als Wendepunkt in den Lateinkenntnissen und in der Orientierung an der Antike aufgefasst. „Goethe stand der Antike näher als wir Goethe“. Das hört man oft unter Berufung auf das umstrittene, aber epochemachende Buch des Kunsthistorikers Hans Sedlmayr, 1896–1984).2 Denn in die Zeit der Weimarer Klassik fallen die Neuorientierung auf Französisch und der Beginn der Industrialisierung. Die Zeiten, als jeder Gebildete oder halbwegs Gebildete Lateinisch sprach und schrieb, waren vorbei. Die nicht-lateinischen Zeiten begannen während der Lebzeiten Goethes und Schillers, sie stehen an der Wende zum technischen Zeitalter und zur wachsenden Lateinferne. Die Kataloge der Leipziger Buchmesse zeigen die Veränderung: Immer weniger Bücher erschienen in lateinischer Sprache, immer mehr in französischer, später immer mehr in englischer.3 Goethe (1749–1832) schulte sich an dem lateinisch geschriebenen Lehrbuch der Rhetorik von Johann August Ernesti in der Auflage von 1797. Ernesti lebte 1707–1781 und war zum Schluss Rektor der Thomasschule in Leipzig. Sein Werk „Initia rhetorica“ erschien 1750, hatte einen Teil zur griechischen und einen Teil zur römischen Rhetorik und erlebte viele Auflagen. Goethe las fließend Lateinisch. In seinem Elternhaus sprach der Vater Lateinisch und führte sogar sein Haushaltsbuch auf Lateinisch. Goethe nutzte die Auflage aus dem Jahr 1797.4 Den gewaltigen Umfang seiner Lateinkenntnisse beweist auch, dass er sogar Parodien und witzige Texte schreiben konnte. Witze sind bekanntermaßen das, 2 3

4

Hans Sedlmayr, Verlust der Mitte. Die bildende Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als Symptom und Symbol der Zeit, Salzburg/Wien 1948, 111998. Vgl. Friedrich Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts auf den deutschen Schulen und Universitäten vom Ausgang des Mittelalters bis zur Gegenwart. Mit besonderer Rücksicht auf den klassischen Unterricht, 3. erw. Aufl. von Rudolf Lehmann. Erster Band Leipzig 1919 Beilage 1 S. 625–628, dort S. 627 f. Übersicht über im Messekatalog angekündigte Bücher in verschiedenen Sprachen von 1564–1846, poetische Werke S. 628. Das Lehrbuch hatte da bereits zwei Teile, Griechische Rhetorik, Auflage von 1795, und Lateinische

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was man in einer Fremdsprache nur bei besten Kenntnissen beherrscht. Man vergleiche Goethes Werk „Juristische Abhandlung über die Flöhe“ (de pulicibus)5. Friedrich Wilhelm Schiller (1759–1838) ging seit 1767, also im Alter von acht Jahren, auf die Lateinschule in Ludwigsburg, ebenso wie seine Freunde Friedrich Wilhelm (1759–1838), Christoph August von Hoven (1761–1780) und Immanuel Gottlieb Elwert (1759–1811). Die Jahre 1773–1780 hatte er dann auf der Stuttgarter Karlsschule zu verbringen, die eine Militärakademie war. Der Zustand heute ist ein anderer: a) Aus zehn Wochenstunden Latein sind bei viel Glück vier geworden. b) Latein wird wenig oder gar nicht gesprochen und ebensowenig oder gar nicht geschrieben. Das bedeutet, dass zwei wichtige Kanäle, über die man Sprachen lernt und beherrscht, von vornherein ausgeschaltet sind. c) Die meisten der gelesenen lateinischen Texte stammen aus klassischer Zeit und sind oft hochorganisierte und komplexe Texte mit ebensolchen Sätzen. Es ist geschriebenes Latein mit hohem Anspruch, selten Latein, das vorwiegend gesprochen wird und Umgangslatein ist. Zwar lasen Römer auch die anspruchsvollen Texte halblaut und lasen ihn in kleinen Kola, weil das Schreibmaterial nichts anderes zuließ. Aber selbst dies wird nicht immer in der Methodik des Lateinunterrichts berücksichtigt. d) Der Grammatikunterricht verlangt die Erlernung eines umfangreichen Systems von Formen, Syntagmen und semantischen Differenzierungen sowie einen Grundwortschatz, dessen Umfang von Bundesland zu Bundesland verschieden ist. 2. Mögliche Abhilfen für Probleme des Lateinunterrichts 2.1 Vorsichtige Neuanordnung des grammatischen Stoffes. Beispiele: – Gerade häufige Verben und häufige Syntagmen werden zur Zeit erst spät gelehrt, weil man sie für schwierig hält. Sie werden weiter hinten im Grammatikkurs angesiedelt, so dass sie weniger geübt werden. – Gerade die gebräuchlichen Verben velle, nōlle, mālle, īre, ferre, selbst einige Komposita von esse, auch posse werden nicht ganz früh eingeführt, obwohl sie zum täglichen Wortschatz eines Menschen gehören. Man könnte sie zunächst auch ohne jede grammatische Erklärung lernen.

5

Rhetorik, Auflage von 1797: Nr. 685 und 686 in Goethes Bibliothek in der Auflistung von Hans Ruppert, Weimar 1958. Johann Wolfgang von Goethe, Juristische Abhandlung über die Flöhe (de pulicibus), Frankfurt (am Main) 1768, mir vorliegend in der Ausgabe: Neudruck der illustrierten dritten Auflage Altona 1860, Hameln (C. W. Niemeyer) 1964.

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Hans-Joachim Glücklich

Völlig falsche Semantik wird deswegen gelehrt, weil man meint, die a-Konjugation und die a- und o-Deklinationen seien leichter als andere. Migrāre, meāre, ambulāre meinen etwas anderes als īre. Weil avus, campus, fundus und vīlla der o- oder a-Deklination angehören, erscheint das Landleben in den Lehrbüchern früher als das Leben in der Stadt (urbs) und der beherrschende Vater (pater). Soziale Semantik (dominus, domina, līberī) wird mit genealogischer Semantik vermischt oder in eins gesetzt (dominus statt pater, domina statt māter, fīlius und fīlia statt līberī). Schon puer und vir werden als Sonderformen der o-Deklination viel zu lange gemieden. Die sogenannten Deponentien werden schon terminologisch zu einer verrückten Erscheinung erklärt. Denn wie können Formen eine passivische Endung mit aktivischer Bedeutung haben? Sie werden nicht als Media gelehrt und sie werden nicht wie im Griechischunterricht und manchen amerikanischen Lehrbüchern VOR dem Passiv eingeführt. Zu den Media gehören viele Verben, die ständig in der Literatur vorkommen. Ablativus absolutus und participium coniunctum kommen spät, -nd-Fügungen gar oft erst im Additum. Alles sind aber häufig verwendete Formen. Und entsprechend selten werden sie geübt und sogar im gesprochenen Latein selten verwendet. Damit sind die Schüler am Ende des Grammatikkurses schon durch die Anordnung des Stoffes nicht auf die Lektüre vorbereitet. Und dann kann die erste Lektüre entweder zu schwer sein oder zum Exerzierfeld für Grammatikphänomene werden, die noch nicht beherrscht werden.

2.2 Berücksichtigung des Lesens und Verstehens von Texten statt eines voreiligen Drängens auf eine Übersetzung. 2.3 Differenzierung des Übersetzens in verschiedene Zielrichtungen. Es kann nur zum Teil das Textverstehen dokumentieren und sollte eher dem einzelnen Schüler für sich erlaubt sein, als ihm vom Lehrenden coram publico und in Überprüfungen abverlangt werden. 2.4 Überprüfungen vieler Inhalte des Lateinunterrichts, also nicht der Übersetzungsfähigkeit, sondern ganz anderer wichtiger Fähigkeiten: semantische und textsyntaktische Analysen, stilistische Beobachtungen und deren Auswertung, Gliederungen, rhetorische Analyse, kritische Stellungnahme, eben all der Kompetenzen, die der Lateinunterricht ausbilden will. 2.5 Bewertung vor allem des Lösungswegs bei der Texterschließung und nicht nur des Ergebnisses in einer Übersetzung. Insofern geht es also nicht um eine Ausmerzung der Übersetzung, wohl aber um eine Neubewertung, also um Überlegungen, wozu sie gut ist, zweitens um eine Bewer-

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tung nur in dem Ausmaß, wie sie auch im Unterricht und beim Verstehen von Texten eine Rolle spielt. 2.6 Unbedingte Überwindung des eklatanten Widerspruchs zwischen Apologie und Praxis des Lateinunterrichts: Einerseits wird in den Apologien des altsprachlichen Unterrichts behauptet, ohne genaue Sprachkenntnisse lasse sich ein Text nicht verstehen und interpretieren, dann aber wird im Abitur den Prüflingen zugemutet, erst einmal einen Text nur zu übersetzen und dann die Interpretation eines anderen in Übersetzung oder mit Übersetzung gegebenen Textes zu liefern. Zudem wird ganz unbegründet die Übersetzungsleistung höher bewertet als andere Verstehensleistungen. Schon die Vorschriften für Latinum und Klassenarbeiten variieren stark. 2.7 Reduzierung des in keinem Fach so starken Risikos, mit einem Text konfrontiert zu werden, auf dessen Übersetzung man nicht vorbereitet ist, wohingegen jeder Lehrende die Texte, die er anbietet und übersetzen lässt, vorher schon mindestens einmal übersetzt hat, oft sogar häufig. 2.8 Genauere Überlegungen, welche Kompetenzen sinnvoll anzustreben sind, welche nicht erreicht werden können, welche anders formuliert und gestaltet und gewichtet werden sollen. 2.9 Stärkere Berücksichtigung der Überlegungen, wie Latein tatsächlich zu Erweiterung der deutschen Sprachkompetenz beitragen kann. These: Deutsche Sprachbeherrschung oder Verbesserung des eigenen Stils wird nicht durch Übersetzungsdeutsch erreicht, sondern durch genaue semantische Differenzierungen, durch grammatische Analysen, durch Schilderungen von Sätzen und Textabläufen, durch Paraphrasen der Texte mit genauen Zitaten. 2.10 Stärkere Berücksichtigung auch der Überlegungen zu Latein als Brückensprache und Zweitsprache für Schülerinnen und Schüler mit nicht-deutscher Muttersprache, also z. B. Türkisch. 3. Zum Schreiben und Sprechen Auch Abhilfen gegen das Fehlen jeglichen Sprechens und Schreibens können geschaffen werden. Zunächst eine Übersicht: 1. Häufiges Rezitieren lateinischer Texte. 2. Vorlesen und Aufführen von Lehrbuchtexten. 3. Beantworten lateinischer Fragen zu einem Text mit Sätzen oder Satzabschnitten aus diesem Text.

142 4. 5. 6. 7.

Hans-Joachim Glücklich

Verwendung alltäglicher Gesprächsformeln und Redewendungen (über das übliche Salvēte, discipuli – Salve, magister/magistra und Valete hinaus). Auswendiglernen von Kernstellen in der Lektürephase. Verbindung des Vokabellernens mit Reimregeln zur Grammatik. Eigene Wortschatzstunden.

3.1 Abhilfe 1: Häufiges Rezitieren lateinischer Texte Quintilian schildert in seiner Institutio oratoria 1,1,32–34 die komplexen Anforderungen, die das Lesen mit gleichzeitigem halblautem Sprechen an das Kind stellt. Er zeigt dabei in § 34, dass auch er das vorausschauende Lesen (prospicere in dextrum … et providere) kennt, dass es „alle anraten“ (omnes praecipiunt) und dass es eine Sache des Verstandes (non rationis modo), aber auch der Einübung ist (sed usus quoque est) Quintilian, institutio oratoria 11,3,33–39 bespricht verschiedene Voraussetzungen eines deutlichen oder klaren Vortrags (dilucida pronuntiatio). Dazu gehört: 1. Man soll zwar Synaloephen und Elisionen berücksichtigen, es aber nicht zu weit damit treiben und den Hörer die Endungen der Wörter noch etwas wahrnehmen lassen (so wenigstens verstehe ich den Text); 2. Der Vortrag soll deutlich gegliedert sein (oratio distincta, § 35b). Dazu gehört: a) Der Vortragende weiß, wo „es sich gehört anzufangen und wo aufzuhören“ (et incipiat, ubi oportet, et desinat) b) Der Vortragende berücksichtigt, wo man den Redeton senken soll und wo man ihn nicht senken darf, sondern durchhalten und in der Schwebe halten muss (observandum etiam, quo loco sustinendus et quasi suspendendus sermo sit). Er erwähnt, dass dies griechisch Hypodiastolē oder Hypostigmē heißt. Was gemeint ist, zeigt er an Beispielen aus dem Proömium der Aeneis (Diese Beispiele zeigen übrigens auch, dass Quintilian kein skandierendes Lesen kannte, sondern nur eines, das Längen und Kürzen herausbrachte.) Proömium (1,1–7) 1 Arma virumque cano, Troiae qui primus ab oris 2 Italiam fato profugus Lavinaque venit 3 litora – multum ille et terris iactatus et alto 4 vi superum, saevae memorem Iunonis ob iram, 5 multa quoque et bello passus, dum conderet urbem 6 inferretque deos Latio, genus unde Latinum 7 Albanique patres atque altae moenia Romae. Seine Anleitungen: – (§ 36:) Bei arma virumque canō darf man nach canō den Ton nicht senken und muss man virumque in der Schwebe halten, denn virum wird

Texte lesen, verstehen, interpretieren

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ja im folgenden Relativsatz fortgesetzt, Quintilian sagt sogar, der Abschnitt laute also: virum Troiae quī prīmus ab ōrīs. – „Und hier ist erneut der Ton in der Schwebe zu halten“.6 Quintilian erläutert: „Denn auch wenn es etwas anderes ist, woher er kommt, als, wohin er kommt, darf man trotzdem keinen Einschnitt machen, weil beides mit ein und demselben Wort venit zusammengefasst ist (Nam etiam si aliud est, UNDE venit, quam QUO venit, non distinguendum tamen, quia UTRUMQUE EODEM VERBO continetur „venit“) – (§ 37:) Auch nach Italiam dürfe man, obwohl ja nun das Objekt zu venit genannt ist, nicht den Ton senken, sondern müsse ihn in der Schwebe halten. Denn es folgt fatō profugus, das Einschub ist (interiectio) und Ītaliam und Lavīnaque trennt. – Ebenso müsse der Zusammenhang zwischen profugus und Lāvīnaque vēnit lītora deutlich werden. – Erst dann dürfe man einen Einschnitt (distīnctiō) machen, denn danach beginnt etwas Neues (alius sēnsus). c) Aber auch bei den Einschnitten müsse man unterscheiden zwischen einer kürzeren und einer längeren Pause (sed in ipsīs etiam distīnctionibus tempus aliās brevius, aliās longius dabimus). d) Entsprechend sei der Vers lītora atque altae moenia Rōmae zu lesen: Nach lītora sei das Folgende anzuschließen, der alte Atemansatz bekomme eine Fortsetzung in einem Pendant: protenus altero spiritus initio insequar Nach moenia aber sei die Stimme voll zu senken, ein richtige Pause zu machen und dann ein ganz neuer Anfang: Cum illūc vēnerō „atque altae moenia Rōmae“, dēpōnam et morābor et novum rūrsus exōrdium faciam. 3.2 Abhilfe 2: Vorlesen und Aufführen von Lehrbuchtexten7 Man kann bereits Schülerinnen und Schüler im Anfangsunterricht daran gewöhnen, Texte des Lehrbuchs vorzulesen und aufzuführen. Zuerst werden sie dabei das Lehrbuch benutzen und dann lernen, dass man Gestik und Mimik anwenden und sehen lassen muss, also nicht in das Buch hinein sprechen darf. Das führt dazu, dass sich die Schülerinnen und Schüler mehr und mehr daran gewöhnen, die Texte zu Hause zu üben und dann manches davon schon auswendig können, wenn sie den Text vortragen. Jeder Chorsänger weiß, dass man nicht die Noten vor das Gesicht halten darf,

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Lateinisch: et hic iterum, wohl falsch übersetzt von Helmut Rahn, M. Fabii Quintiliani Institutionis Oratoriae Libri XII //Ausbildung des Redners. Zwölf Bücher, hrsg. und übers. von Helmut Rahn, Zweiter Teil, Buch VII–XII, Darmstadt 1975, 621: „und hier ist wieder innezuhalten“, zu iterum ist vielmehr das vorher verwendete sustinendus et quasi suspendendus zu ergänzen. Ausführlich dazu: Hans-Joachim Glücklich, Latein lesen, Latein erleben, in: Der altsprachliche Unterricht 51,3–4, 2008, 83–90.

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sondern sie im Höchstfall vor der Brust halten darf. Oft kann man auch Texte mit verteilten Rollen vorlesen lassen: Erzähler, redende Personen, besonders vorzubereiten, wenn Pluralformen zeigen, dass mehrere Personen auf einmal reden. Wenn Rezitieren und Aufführen fester Bestandteil der Wiederholung eines Textes werden, kann man davon ausgehen, dass Schülerinnen und Schüler eine Reihe von grammatischen Strukturen an Beispielen beherrschen und mehr Vokabeln im aktiven Wortschatz haben. 3.3 Abhilfe 3: Fragen und Antworten zur Übung lateinischer Vokabeln, Formen und Satzmuster (Frage- und Antwortspiele) Beispiel: Quaestiones ad capitulum primum libri primi commentariorum Caesaris, qui sunt de bello Gallico8 Respondē Latīnē, utere sententiīs tōtīs: (1) In quantās partēs Gallia omnis est dīvīsa? (2) Quis populus incolit ūnam partem, quis secundam, quis tertiam? (3) Quō nōmine Gallī ipsōrum linguā appellantur? (4) Quibus rēbus hī populī inter sē dífferunt? (5) Quō flūmine aut quibus flūminibus hī populī dividuntur ab aliīs? (6) A quō populō Garunna flūmen Gallōs dīvidit? (7) A quō populō Mātrona et Sēquana Gallōs dīvidunt (dīvidit)? (8) Quis populus est fortissimus omnium Gallōrum? (9) Quā dē causā hic populus est fortissimus omnium Gallōrum? (10) Quid mercatōrēs ad Belgās important? (11) Ubi incolunt Germānī? (12) Quibuscum Gallī continenter bellum gerunt? (13) Quā rē Helvētiī reliquōs Gallōs praecēdunt? (14) Quā dē causā Helvētiī reliquōs Gallōs virtūte praecēdunt? (15) Quō modō Helvētiī ferē cotīdiānīs proeliīs cum Germānīs contendunt? Hier dient das Fragen dazu, Sätze und Vokabeln im Gedächtnis durch Anwendung und Wiederholung zu verankern. Das „Abhören“ gelernter Vokabeln in Sätzen, in die der Schüler dann das gelernte Wort in der entsprechenden Form einsetzen muss, hilft, Vokabel und Grammatik zu verbinden: Quem vidēs? Videō … Quid facis? Videō … Quōcum venīs /vēnistī? Veniō /vēnī cum … Quō īnstrūmentō hoc fēcistī, quō modō hoc fēcistī usw. Dasselbe gilt für Lückentexte.

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Aus: Hans-Joachim Glücklich, Caesar – Feldherr, Politiker, Vordenker. Bellum Gallicum. Lehrerheft, Stuttgart 2011. CD-ROM zur Textausgabe.

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3.4 Abhilfe 4: Verwendung alltäglicher Gesprächsformeln und Redewendungen – Verwendung von Merksätzen9 Aus jedem Text lassen sich allgemeine Wendungen herausfiltern, die sich durch Verwendung in vielen Schulstunden einprägen und den aktiven Wortschatz erweitern. Das geht sogar bei historischen und philosophischen Texten und Epen. Beispiele: a) Wer die Catilinae coniuratio Sallusts liest, wird außer auswendig gelernten Stellen auch zum Beispiel die folgenden Wendungen und Ausdrücke verwenden können: Nostra omnis vīs in animō et corpore sita est (1,2). Dīvitiārum et fōrmae glōria flūxa atque fragilis est, virtūs clāra aeternaque habētur (1,4). Imperium semper ad optumum quemque ā minus bonō trānsfertur (2,6). Is dēmum mihī vīvere ac fruī animō vidētur, quī aliquō negōtiō intentus praeclārī facinoris aut artis bonae fāmam quaerit (2,9). In magnā cōpiā rērum aliud aliī nātūra iter ostendit (3,1). – Als vom Zusammenhang unabhängige Wendungen lassen sich z. B. finden: Haud facile animus vērum prōvidet (50,2). Ubī intenderis ingenium, valet (50,3). Timor animī auribus officit (58,2). b) Wer Caesars Bellum Gallicum liest, wird außer auswendig gelernten Stellen auch zum Beispiel die folgenden Wendungen und Ausdrücke verwenden können: Quae in eō reprehendat, ostendit / quae in tē reprehendam, ostendō (1,20,6). Rogat/ rogō, ut fīnem ōrandī faciat/faciās (1,20,59). c) Wer Senecas Epistulae morales liest, kann außer Kernsätzen seiner Lehre auch vielseitig anwendbare Wendungen notieren und lernen: Vindicā tē tibī (ep 11,1). „Sī valēs, bene est Egō valeō “ „Sī philosophāris, bene est“ (ep. 15,1). Hic est locus solvendī aeris aliēnī (ep. 23,9). Hoc tibī sōlī putās accidisse? (ep 28,1). Tempus est dēsinere (ep. 28,9). d) Erst recht sind natürlich die umgangssprachlichen Wendungen in Komödien, Reden und Briefen merkbar, lernbar, verwendbar. Man vergleiche meine Liste solcher Wendungen zu Terenz Adelphoe 10 Man kann sogar als Prinzip verwenden, dass sich Schülerinnen und Schüler aus jedem gelesenen Textabschnitt einen Satz herausschreiben und lernen, der ihnen besonders charakteristisch für das Kapitel und das Werk und seinen Autor erscheint. Daraus lässt sich dann später eine sogenannte Zitatenklausur gestalten.11 9 10 11

Vgl. Andreas Fritsch, Lateinsprechen im Unterricht. Geschichte – Probleme – Möglichkeiten, Bamberg 1990. – Ivo Gottwald, Latein aktiv – Lateinsprechen im Unterricht, in: Forum Classicum 3/2017, 147–149. Hans-Joachim Glücklich, Terenz, Adelphoe. Lebensstil, Erziehungsziele, Menschlichkeit, Textausgabe (Reihe Libellus), Stuttgart/Leipzig 2011, 99 (Ausdrücke mit Gen. partitivus), 100 (Bittformeln, Höflichkeits- und Schmeichelformeln). Vorschläge zur Zitatenklausur: Hans-Joachim Glücklich: Textverstehen und Überprüfungsformen, in: Der altsprachliche Unterricht 60,4+5, 2017, 12–23. Entsprechende Aufgaben finden sich in

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Auch Sprichwörter erfüllen die Funktion griffiger Formulierungen, die auswendig gelernt und an vielen Stellen mehr oder weniger passend verwendet werden können. Wortkunden geben oft lernbare Beispiele zur Verwendung aufgeführter Wörter. Der Nachteil dabei ist, dass diese Beispiele losgelöst von der Lektüre gegeben werden. Im Zusammenhang mit der Lektüre und Interpretation eines Textes hingegen werden sie besser in den alltäglichen Umgang mit Texten verankert und Lektüre und Lernbeispiele stützen sich gegenseitig. Die Beispiele sind manchmal Kulminationspunkte oder Erinnerungspunkte und können oft mehrfach zur Interpretation anderer Texte des Autors herangezogen werden. 3.5 Abhilfe 5: Auswendiglernen von Kernstellen in der Lektürephase Beispiele: die Proömien der Aeneis (1,1–8), der Metamorphosen (1,1–4), der Catilīnae coniūrātiō (1), wichtige Passagen aus Werken: einige Catullgedichte (c. 5, 8, 72, 85); Senecas kurzer Brief 60 (Warnung vor Fremdbeeinflussung) oder ein Auszug aus Brief 15 (§ 1) oder Brief 1 (§ 2); Cicero, de re publica 1,39 (Staatsvolkdefinition); Nepos, Hannibal c. 1,3 a (der leicht verleumderische Satz über Hannibals Hass); ein Horazgedicht (z. B. c. 1,11 mit dem bekannten carpe diem). 3.6 Abhilfe 6: Reimregeln Die leider fast ganz aus der Mode gekommenen Reimregeln zur Grammatik machen auch Vokabeln einprägsam. Man findet sie in den Grammatiken von Bornemann und Schmalz – Wagener – Wohleb.12 Dabei haben Regeln mit lateinischen Wörtern den absoluten Vorrang gegenüber Regeln mit deutschen Ausdrücken. Mit folgender Regel z. B. lernt man Latein: Mē piget, pudet, paenitet, taedet atque miseret alicuius reī Mit folgender Regel lernt man keine lateinischen Vokabeln: „Begierig, kundig, eingedenk, / teilhaftig mächtig, voll / stehen mit dem Genitiv.“

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meinen Textausgaben: a) Der junge Ionathas. Aus den Gesta Romanorum, 2. überarbeitete und ergänzte Auflage, Stuttgart/Leipzig 2016. – b) Caesar – Feldherr, Politiker, Vordenker. Bellum Gallicum. Textausgabe, Stuttgart 2010; dazu Caesar – Feldherr, Politiker, Vordenker. Bellum Gallicum. Lehrerheft, Stuttgart 2011 und CD-ROM zur Textausgabe. Eduard Bornemann, Lateinische Sprachlehre, Frankfurt am Main 81970; Joseph H. Schmalz / Carl Wagener / Leo Wohleb: Lateinische Schulgrammatik, Bielefeld/Leipzig 1914, Neubearb. 1922, 141933. – Bereits im Mittelalter versuchte mancher, Schülern die lateinische Grammatik in Merkversen beizubringen. Sehr beliebt wurde das um 1200 n. Chr. erschienene Doctrinale puerorum des Alexander de Villa-Dei (Textausgabe: Das Doctrinale des Alexander de Villa-Dei. Kritisch-exegetische Ausgabe, bearbeitet von D. Reichling, Leipzig 1893).

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Schüler lernen Reimregeln oder Merkverse gerne, gerade auch Schüler der Oberstufe, denn sie empfinden und erkennen sie als Hilfe. Wie viele wüssten heute nicht mehr, was ein „Unterpfand“ ist, wenn sie nicht die dritte Strophe des Deutschlandliedes auswendig kennten: „… sind des Glückes Unterpfand“. 3.7 Abhilfe 7: Eigene Wortschatzstunden Eigene inhalts- oder sprachreflexionsbezogene Wortschatzstunden sind unter vielerlei Gesichtspunkten empfehlenswert. Diese seien im Folgenden ausführlich besprochen. 3.7.1 Sprachreflexion Sprache bildet geschichtliche Realität ab. Beispiel: Bruno Snells Darstellungen zu den vielen Verben des Sehens und den vielen Ausdrücken für „blau“ sind Basis seiner Auffassung vom antiken Griechentum.13 Sprache bildet auch Geschichtsentwicklung ab. Sie ordnet unsere Zeitvorstellungen insofern, als es Wellen der Übernahme von Wörtern gibt und sich die Bedeutung eines Wortes also ändert. Causa wurde erst zu chose und dann in der Jurisprudenz mit Rückbesinnung auf das Lateinische erneut aufgenommen als cause. Wortangaben und Vokabeln werden oft nur als schnelle Hilfe zum Übersetzen bereitgestellt. Das gilt auch für grammatische Angaben. Man denke an die vielen falschen Übersetzungen des Ablativs mit Prädikativum (Ablativus absolutus) oder der -nd-Fügungen. Welches Wort aber zum Beispiel für „gehen“ oder „töten“ oder „Freude“ und „Trauer“ verwendet wird, wird wenig reflektiert. Wer Sprachreflexion als Ziel des Lateinunterrichts ansieht, der muss aber gerade diese Reflexion betreiben; und diese Sprachreflexion kann getrennt vom Übersetzen eines Textes betrieben werden und getrennt davon überprüft werden. Wer in die antike Lebenswelt einführt, muss dies mit antiker Sprache verbinden. Die Einführung in ein Sachfeld vermittelt Realienkenntnis und Vokabelkenntnis zugleich. Und eines ist mit dem anderen verbunden. Beispiel: Normalerweise wird die Definition des Staatsvolks (Cicero, de re publica 1,39) erst übersetzt und dann „interpretiert“, indem die einzelnen Ausdrücke reflektiert werden. Oder es wird eine Verbindung von syntaktischer und semantischer Erschließung versucht. Es geht aber auch umgekehrt. Man kann in einer eigenen Wortschatzstunde oder in einem größeren vorgeschalteten Abschnitt einer Unterrichtsstunde erst einmal die im Text zu erwartenden Ausdrücke in einem größeren Sinnzusammenhang besprechen (dazu unten S. 156 f.). Ob dazu eine ganze Stunde oder weniger erforderlich ist, hängt von der Länge des zu behandelnden Textabschnitts ab. In jedem Fall kann man oft 13

Bruno Snell, Die Auffassung des Menschen bei Homer, in: Bruno Snell, Die Entdeckung des Geistes. Studien zur Entstehung des europäischen Denkens bei den Griechen, Göttingen 41975, 13–29.

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davon ausgehen, dass den Lesern der antiken Texte die Semantik und das bedeutet die hinter den Wörtern stehende Realität vertraut war. Sonst hätte ein Prosaautor sie erklärt, ein Dichter hingegen würde sich bei schwierigen Ausdrücken gerne auch auf den Status des poeta doctus berufen, dessen Werk hohe Anforderungen an den Leser stellt. 3.7.2 Die erste Begegnung mit einer Vokabel oder lexikalischen Einheit Ideal wäre, wenn sich der Leser in einem Text die Bedeutung der Vokabel erschließen könnte. Dann hätte er sie sich mehr angeeignet, als wenn er sie irgendwo separiert liest. Leider ist das nicht immer möglich. Bei Komposita kann es gelingen, bei von Verbformen oder Adjektiven hergeleiteten Substantiven kann es ebenso gelingen. Bei ganz unbekannten Vokabeln, etwa wenn das erste Mal arbor vorkommt oder civis oder ire, ist das schwieriger. Dennoch ist hier nicht die Folgerung zu ziehen, dass diese Vokabeln vorher gedruckt zu lesen und zu lernen sind. Denn oft werden keine konkreten Vorstellungen damit verbunden, bei ire tatsächlich, bei arbor auch, bei civis weniger. Es empfiehlt sich eine eigene Vokabelbesprechung, die weit über das Angebot der Vokabeln in gedruckter Form mit Übersetzung hinausgeht. Wichtig sind dabei immer zwei Prinzipien: – Das Wort soll die dahinter stehende Realität vermitteln. – So weit möglich, sollen die Wörter mit Anschauung verbunden werden. Beides trägt zum Behalten bei. 3.7.3 Verbildlichung a) Anschauung und Bildlichkeit oder Verbildlichung müssen aber dabei nicht unbedingt äußere Verbildlichung sein. Die innere Verbildlichung zählt. b) Wenn beispielsweise Körperteile dadurch verbildlicht werden, dass – wie in einer Ausgabe der Ars amatoria der Fall – neben und in Abbildungen eines Frauengesichts und einer Venusstatue viele Bezeichnungen von Körperteilen geschrieben werden, dann ist das zunächst nur die gefälligere Ausführung eines anatomischen Lehrbuchs, wo neben Zeichnungen der Körperregionen oder Körperteile die lateinischen Namen stehen. Medizinstudenten können zeigen, welche Mühe es macht, die Fachtermini der vielen Handwurzelknochen zu lernen. Die Zeichnung zeigt ihnen die Lage des jeweiligen Knochens, die sie vielleicht noch nicht gekannt haben. Aber die Zeichnung hilft nicht beim Lernen der Namen. c) Dasselbe gilt zwar in weitem Maß für die genannten Abbildungen. Aber die Aufgaben in der Textausgabe, die so verfährt14, versuchen, etwas Lernbares aus der

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Ovid – ars amatoria. Bearbeitet von Rudolf Henneböhl, Bad Driburg 2010, S. 125 (Sona Lee), S. 126 (Canova, Venus pudīca), ähnliche Abbildungen in anderen Ausgaben des Verfassers.

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Abbildung zu machen (die Lage der Körperteile ist ja auch jedem Schüler bekannt). Sie fordern z. B. (S. 125, Aufgabe 1) auf: „Lerne die Gesichts- und Körperteile in einer festen Reihenfolge (z. B. von oben nach unten) anhand der Bilder oder anhand des eigenen Körpers und wiederhole regelmäßig“ (gemeint ist, dass die Bezeichnungen der Gesichts- und Körperteile gelernt werden und regelmäßig wiederholt werden sollen). Diese Erleichterung des Wörterlernens lässt sich leider bei den anderen Körperteilen nicht fortsetzen. Vorbild für solche Verfahren ist der berühmte Amos Comenius, auf den sich alle Verfechter des verbildlichenden Lernens berufen. Comenius benutzte Zeichnungen, um Vokabular und Phraseologie zu einem bestimmten Themenbereich in einen optischen Zusammenhang zu stellen. Es waren allerdings Zeichnungen im Stil seiner Zeit, Rom und seine Menschen erschienen als eine Mischung aus 1. und 17. Jh. n. Chr.15 3.7.4 Bildliche Vokabel- und Sachfelddarstellungen16 Lehrbücher versuchen, Vokabeln bildlich darzustellen. Möglichkeiten sind: a) Die Darstellung der Vokabeln in einem Sachfeld: īre, currere, cursus, iter, via, pēs b) Die Darstellung von Präpositionen in der beliebten Darstellung eines Hauses oder anderen Ortes mit Pfeilen, die ad, in + Akk., in + Abl., per, super, infra, intra u. a. darstellen. c) Die Darstellung der Vokabel oder des Sachfelds in einer Abbildung. Beispiel: Die Darstellung der Semantik von contendere im Lehrbuch prima.nova.17 Unter der Überschrift „Wortbedeutungen veranschaulichen“ werden vier kleine Zeichnungen in Farbe gezeigt. Unter jeder Zeichnung steht „contendere“. Es sind von links nach rechts: 1) Ein schwarzhaariger Redner in Toga, nicht auf den Rostra oder im Senat, sondern hinter einem Rednerpult, wie es heute üblich ist; aus seinem Mund kommt eine Sprechblase: Contendo. – 2) Zwei Kämpfer ohne Gesicht, der eine mit Knieschützern, goldenem Helm und Dolch, der andere mit goldenem Helm mit Helmbusch, mit Krummschwert und Schild. – 3) Ein laufender Sklave mit zwei Eimern, aus denen ein wenig Wasser herausschwappt. – 4) Eine Art Urmensch, der einen Felsbrocken einen schwarzen Strich (einem Ast oder einem Bergpfad) entlang nach oben schiebt. 15

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Joannes Amos Comenius: Orbis Sensualium Pictus, erschienen 1658, lateinisch mit deutscher Übersetzung von Sigmund von Birken (1626–1681) und Kupferstichen von Paul Creutzberger. Oder: Comenius (Komenský), Johann Amos: Didactica magna, in: Opera didactica omnia, vol. 1, Amsterdam 1657, 5–197. Dazu ausführlich: Mirjam Daum, Wortschatz und Lehrbuch. Ein Kriterienkatalog für die Wortschatzkonzeption in Lateinlehrwerken, Speyer 2016 (Ars Didactica, Bd. 2). Bei Daum (s. Anm. 16) auf S. 95, im Lehrbuch Utz Clement / Andrea Kammerer (Hrsg.), prima.nova. Latein lernen, Teil 1, Textband, Bamberg 2011, 132.

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Das soll wohl die vier Bedeutungen darstellen: „stark behaupten, kämpfen, eilen, sich anstrengen“. Die Reihenfolge müsste aber gerade umgekehrt sein und die Zeichnungen müssten entsprechend umgekehrt angeordnet werden. Zudem wird nirgends klar gemacht, warum das Wort so viele Bedeutungen hat. Die Abbildungen bleiben, wenn man sie erst einmal länger betrachtet hat, möglicherweise im Gedächtnis und unterstützen die Erinnerung an die Bedeutungen. Aber sicher ist das nicht, zumal die Zeichnungen relativ anachronistisch und schnell hingeworfen sind. Schöner und effektiver wäre: Es wird das Bild ohne Beschriftung angeboten. Die Aufgabe des Lehrbuchs müsste dann lauten: „Kopiere die Abbildung (Kopiererlaubnis erteilt). Trage contendere mit der entsprechenden deutschen Bedeutung an die entsprechende Stelle der Abbildung ein.“ Und in der Vokabelerläuterung stünde, was früher Schüler lernten: contendere: Kompositum von tendere, „anspannen“. Das Präfix cum verstärkt: „sich gewaltig anstrengen“. Das ist die allgemeine Bedeutung. Die speziellen Bedeutungen sind: – sich mit den Füßen anstrengen: eilen; – sich mit den Händen anstrengen: kämpfen; – sich mit dem Mund, der Zunge anstrengen: nachdrücklich behaupten, streitbar reden. Durch diese eigene Tätigkeit setzt sich der Schüler mit dem Wort und mit dem Bild auseinander. Die schöne Differenzierung in „sich anstrengen mit den Füßen, den Händen, dem Mund“ bleibt im Gedächtnis. 3.7.5 Erarbeitung eines Sachfelds zur Erschließung und zum Verständnis eines Textes Beispiel 1: Bei vielen Abbildungen in Lehrbüchern und Textausgaben sind Verbindungen von Vokabeln und Realien und Text möglich. Auch in der Oberstufe geht es um die Verbindung der Vokabeln mit dem Text. In der Textausgabe „Roma – Amor. Liebeselegien“18 werden zum Text der schönen, aber langen Elegie amores 3,2 zwei Bilder gegeben, die den Circus Maximus und ein Wagenrennen darin darstellen: Wagenrennen im Circus Maximus (unbekannter Zeichner, S. 57) und Alexander von Wagner: The Chariot Race (1893) (S. 58). Als Begleitinformation wird u. a. ein spezielles Vokabular gegeben, ein „Spezialwortschatz, in drei Gruppen geordnet und nummeriert (in Klammern dahinter die

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Roma – Amor. Liebeselegien, bearb. von Hans-Joachim Glücklich, Stuttgart/Leipzig 2014 (Reihe libellus), 54–61 (Abbildungen auf S. 57 und 58, Spezialwortschatz auf S. 60 f., Arbeitsauftrag auf S. 58).

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Angabe des Verses, in dem das Wort vorkommt)“. Die drei Gruppen sind: 1. Gebäude und seine Teile; 2. Pferde und Wagenlenker; 3. Zuschauer, Kleidung, Verhalten. Dazu wird die folgende Aufgabe gestellt: „1. a) Lesen Sie den Spezialwortschatz in Information 1.– b) Fertigen Sie sich Kopien der Abb. auf S. 57 und 58 an und tragen Sie an möglichst vielen Stellen die Wörter des Spezialwortschatzes ein. (Sie können auch die Wörter des Spezialwortschatzes nummerieren und dann nur die Nummern in die Kopien eintragen.) 1.– c) Beschreiben Sie die Darstellungen unter Verwendung des angegebenen oder eingetragenen Spezialwortschatzes. 2. Betrachten Sie wenn möglich Szenen mit Wagenrennen aus Filmen: a) Ben Hur 1925; b) Ben Hur 1955.“ Der Vorteil einer solchen kombinierten Wortschatzbetrachtung und Bildbetrachtung ist sichtbar: Man beginnt, Vokabeln zu erleben und als Erfassung einer bestimmten Realität zu erkennen, die sich nicht unbedingt mit der eigenen Realität deckt. Dennoch kann man bei aller Arbeit phantasieren, bildhafte Vorstellungen entwickeln, sich an eigene Besuche von Pferderennen, Wagenrennen, Fußballspielen erinnern und so die „Wave“ mit der Toga und vieles andere liebgewinnen. Einige Vokabeln hat man so mehrfach studiert, eventuell sogar selbst geschrieben. Sie begegnen im Text wieder. Sie begegnen zum Teil im Lernvokabular wieder. Die Einprägung und das Lernen sind vorbereitet und erleichtert. Das spricht für eigene Wortschatzstunden auch im Anfangsunterricht. Man kann das nicht zu oft tun, weil man Zeitbeschränkungen hat. Aber es lohnt als Einführung in die antike Welt und als Vorbereitung auf einen Text und als Erleben des Wortschatzes. Viele Sachtexte und Informationstexte können so mit Wortschatzübungen verbunden werden. Lateinunterricht wird tatsächlich statt zum Exerzieren einer schlechten Übersetzung zur Einführung in die antike Welt und in antikes Denken und zur Grundlage des Verständnisses unserer Welt. Beispiel 2: Die Staatsdefinition Ciceros benötigt eine genaue semantische Besprechung. Sie lautet: (De re publica 1,39): „Est igitur“, inquit Africanus, „res publica res populi, populus autem non omnis hominum coetus quoquo modo congregatus, sed coetus multitudinis iuris consensu et utilitatis communione sociatus Eius autem prima causa coeundi est non tam imbecillitas quam naturalis quaedam hominum quasi congregatio; non est enim singulare nec solivagum genus hoc …“ Dazu könnte man vorweg zum Wortschatz und zur römischen Erfassung des Lebens eine Zusammenstellung der folgenden Art anbieten und besprechen: rēs pūblica: öffentliche Sache, Sache des Volkes nennt der Römer den Staat, nicht wie heute die meisten von Staat, state, état, stato sprechen und dabei ein lateinisches Wort

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verwenden, das die geordnete Einrichtung eines Volkes meint. Deswegen kann Cicero aus dem adjektivischen Attribut publica ein Genitivattribut machen und res publica mit res populi gleichsetzen: Sache des Volkes. Alle sind beteiligt, müssen sich mit ihm identifizieren. – populus ist zunächst die Gesamtheit der wehrfähigen Männer, die Mannschaft eines Heeres, das mit den männlichen Angehörigen eines Volkes identisch ist. Das seltsame Wort populārī (verwüsten) entspricht dem deutschen „Verheeren“: Ein Heer macht sich überall breit und holt sich Getreide von den Feldern und verwüstet schon dadurch das Land. – rēs, reī f.: Sache, Vermögen, Angelegenheit, Thema. – hominum coetus, -ūs m Zusammengehen der Menschen, ein sehr deutlich das Körperliche betonende Wort. Dazu Weiteres bei coetus multitūdinis. – quōquō modō congregātus: grex, gregis m : die Herde; Schafe können sich nicht wehren, sie werden auf jede erdenkliche Weise zusammengetrieben, die Hunde halten sie zusammen, der gute Hirte ist noch weit. – coetus multitūdinis: Jetzt weiß man, was ein coetus ist, ein tatsächliches Zusammenkommen (coīre) und Sich-Vereinigen. Wie innig wird der Staat beschrieben! – multitūdō, multitūdinis f.: Menge, ein numerischer Begriff, eine Vielzahl von Menschen, die sich vereint; kein abwertender Begriff, er meint nicht: Masse, Pöbel, Vulgus, auch nicht die Plebs allein (Plebs im heutigen Sinn, die römischen Plebejer waren nur später nach Rom gekommen als die Gründerväter, patrēs, von denen sich die Patrizier herleiten; auch unter den Plebejern konnten Reiche sein, sonst wären ihnen beim Auszug aus der Stadt nicht Konsuln hinterhergelaufen und hätten sie zurückgeholt). – iūris cōnsēnsus, -ūs m.: sentīre: der Ansicht sein; cōnsentīre gemeinsam der Ansicht sein, iūris ist sogenannter Genitivus obiectivus, man kommt zu einer gemeinsamen Ansicht über das Recht. – ius, iūris n. „Recht“; nicht lēx „Gesetz“, sondern das ungeschriebene Gesetz. Es wird hier mehr als eine Gleichheit vor dem Gesetz beabsichtigt, es geht um eine gemeinsame Anschauung. – ūtilitātis commūniō: Wer hätte gedacht, dass die katholische Kommunion, die Kommune, Kommunalpolitik, ja sogar Kommunismus sich alle auf das lateinische communio berufen können, und was steckt in dem Wort alles drin: mūnus „die öffentliche Aufgabe und (weil Amtsinhaber sie kostenlos leisten mussten) das Geschenk, die Dienstleistung; mūnīre befestigen ausrüsten; com-mūnīre „ganz stark in der und für die Gemeinschaft ausrüsten“. – Der Ausdruck kann die Lektüre des Textes zur Aufgabe des Politikers vorbereiten, für die beāta vīta cīvium zu sorgen. – sociātus: socius ist der neben einem stehende Gefährte und Mitkämpfer; dann der Verbündete, mit dem man in klaren Vereinbarungen zusammen lebt. Eine societās besteht aus Gleichberechtigten oder aus Menschen, die sich auf Gesetze des Zusammenlebens geeinigt haben. Der Asoziale bricht sie. – congregātiō: Der Begriff, den man vorher aus der zusammengetriebenen Herde ableitete (grex), erfährt jetzt eine Aufwertung durch das Attribut nātūrālis. Der Mensch ist von Natur aus auf das Zusammenleben ausgelegt. Cicero mildert den starken Ausdruck „Herdentrieb“ durch quaedam und quasi Er legt aber Wert darauf, dass der Staat eine kultivierte Ausformung eines natürlichen Triebs ist. (Alle Kultur besteht in der höheren Ausformung natürlicher Triebe, Nahrungsaufnahme wird durch Tischsitten verfeinert, Eros durch

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Minne und Werbung, Spieltrieb und Kampftrieb durch Wettbewerbe, Sprache durch Latein.) Die Reihenfolge der Besprechung folgte hier dem Text. Es ist aber eine andere Anordnung denkbar. Dann kann die Besprechung VOR der Lektüre der Staatsvolkdefinition erfolgen und stellt eine sogenannte „Vorentlastung“ dar; gemeint ist eine vorhergehende Besprechung, hier von Vokabeln, die die Lektüre erleichtern und ständige Unterbrechung des Lesens der Staats- oder Staatsvolkdefinition vermeiden. Ich würde lieber von einer „pre-reading activity“ sprechen.19 3.7.6 Zeitpunkt der Vokabelbesprechung und der Wortschatzübungen Oft ist es sinnvoll, Sach-und Wortfelder vor der Textlektüre zu besprechen. Das war schon in ganz alten Zeiten des Lateinunterrichts so. Aber heute sollte das mit der Realienvermittlung, der Sprachreflexion und der Erschließung eines Textes verbunden sein. Wenn man zum Beispiel bei Ovids Elegie amores 3,2 das Vokabular des Wagenrennens und des Circus Maximus einführt, dann hat man zugleich eine Einführung in den Ort, an dem die Elegie spielt, in das Erschließungsvokabular und in die Sprachreflexion. Wer Catulls Gedicht 8 liest, kann zuvor die Sachfelder „Lieben“, „Leiden“, „Verhaltensweisen“ einführen und die Vokabeln differenzieren (Der Leser möge entschuldigen, dass ich hier von SACH-Feldern spreche. Das ist der Fachausdruck. Es kommt vor allem darauf an, das Gedicht auch mit Gefühlen zu lesen.) Hier kommen also Vokabeleinführung, semantische Erschließung, Einsatz von Bildern, Sprachreflexion zusammen. So können auch die meisten sonstigen Erläuterungen in einen sinnvollen Zusammenhang eingebettet werden, statt als Fußnoten oder in einem eigenen Abschnitt angeboten zu werden. Der Leser kann nicht in zu viele Wortverzeichnisse gleichzeitig schauen.20 19 20

Ein althergebrachter Begriff; die pre-reading-, while-reading und post-reading-activities sind jetzt schön dargestellt bei: Isabell A. Meske: While-reading activities zur Feststellung und Sicherung von Textverständnis in Prüfung und Alltag, in: Der altsprachliche Unterricht 4+5, 2017, 88–97. Manche Textausgaben enthalten bereits einen Wortschatz zu wichtigen Sachfeldern und versuchen so, Textarbeit und Wortschatzarbeit zu verbinden. Beispiele: – Hubert Müller: Seneca, Epistulae morales. Texte mit Erläuterungen. Arbeitsaufträge, Begleittexte, Lernwortschatz, Göttingen 1994, S. 8–11. Hier wird versucht, anhand verschiedener Sachfelder einen ersten Einstieg in Senecas Philosophie zu vermitteln: Gottheit; Geist; Güter / Übel; das sittlich Gute / Schlechte; die Tugenden; Eigenschaften / Affekte des Menschen; Heilung des Geistes; sittliches Handeln; der Weise; der Törichte. – Anders, aber ebenso überzeugend: Rudolf Henneböhl, Seneca, philosophische Schriften (sic), Bad Driburg 2016, 168–173 führt neben anderem im Wortschatz auf: bona, media, mala (S. 169), Quid philosophus totum per diem facit? (S. 170 f.), Die Fackel der Erkenntnis (S. 172). – Hans-Joachim Glücklich: Sallust, Catilinae coniuratio. Die Verschwörung Catilinas, Göttingen 2001 (Exempla. Lateinische Texte 20). S. 14–18: Lernwortschatz mit den Gruppen 1. Politik, Herrschaft, Staat, 2. Gesellschaftliche Gruppen und soziale Beziehungen, 3. Empfindungen, Stimmungen, Gefühle (auch mit geistiger Tätigkeit verbundene). 4. Geist und seine Tätigkeiten. – Hans-Joachim Glücklich: Vergil, Aeneis, Göttingen 1984 (Exempla. Lateinische Texte,

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Erst Wortschatzstunden ermöglichen es, immer die aktuelle Realität mit der der Antike zu vergleichen. Genau dadurch entsteht das, was wir uns wünschen: historisches Bewusstsein, Sprachbewusstsein, Sprachreflexion. Eigene Wortschatzstunden und Sammlung und Üben von Sachfeldern und ihren Ausdrücken in Lehrbüchern und Textausgaben verhelfen dazu, den lateinischen Wortschatz textbezogen zu erleben und zu verstehen. Die dabei erfolgende Verbindung von Realität der Antike und der Sprache Latein führt in das Denken der Römer ein und ermöglicht die Differenzierung unseres heutigen Denkens und der Realität, auf der dieses Denken beruht. Sprache ändert sich ja auch heute und dies in einem kontinuierlichen Prozess. Aber alle genannten methodischen Abhilfen prägen auch Satzmuster und Vokabeln ein. 3.8 Weitere Versuche Es gibt weitere Versuche, deren Erfolg noch nicht erwiesen ist: Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland, in den USA und in anderen Ländern in verschiedener Größe und mit unterschiedlicher Akzeptanz Versuche, Schüler zum Lateinschreiben anzuregen.21

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Heft 6), 5. veränd. Aufl. Göttingen 2004. Sachfelder S. 10–14 mit den Gruppen: Schicksal, Götter; Ort, Lage; Völker und Länder; Mensch: Familie; Mensch: Körper; Mensch: Leidenschaften und Gefühle; Mensch: Sonstiges; Herrschaft, Krieg; Zeit. – Hans-Joachim Glücklich: Cicero, De re publica, Göttingen 1996 (Exempla. Lateinische Texte, Heft 15), 2. veränd. Aufl. 2007, 104–112: Verbindung von Vokabeln und „Gesichtspunkten in ‚De re publica‘: (1) Das Menschenbild. (2) Virtūs und Menschennatur. (3) Verfassungsformen. (4) Kriterien zur Bewertung von Verfassungsformen. (5) Roms Leistung in der Entwicklung der Mischverfassung. (6) Dauer. (7) Gewaltherrschaft. (8) Widerstand. (9) Die Leistung römischer Bürger. (10) Bürgerpflichten. (11) Aufgabe der Politiker. (12) Recht und Gerechtigkeit. (13) Interessenausgleich. (14) Ciceros Persönlichkeit. (15) Zeitbezug. (16) Methode. – Rudolf Henneböhl: Ovid – Metamorphosen, Bad Driburg 2006, 154–159 (u. a.: Eigenschaften und Zustände; Gefühle und Reaktionen; Gewalt; Liebe/Liebesglut; Körperteile; Mensch; Metamorphose; Natur; Religion; Wahrnehmung). – Rudolf Henneböhl: Ovid – Ars amatoria, Bad Driburg 2010, 122–131 (u. a. Liebe mit vielen Untergruppen; Körper(teile); Dichtung; Ovid als Liebeslehrer). In Kommentar und Informationen direkt den Texten zugeordnet: Hans-Joachim Glücklich, Roma – Amor. Liebeselegien. Textausgabe (Reihe Libellus), Stuttgart/Leipzig 2014, ordnet verschiedenen Elegien Wortlisten zu, die unter dem Titel stehen „Die Sache hinter den Wörtern“ (S. 45, 60 f., 82 f.), auch: „Zum Inhalt lateinischer Ausdrücke“ (S. 27, 38–40, 51 f., 67, 72–74), „Haus und Haustür“ (S. 28), „Natürlichkeit und Luxus in Rom“ (S. 27), „Dichterisches Selbstverständnis, poetische Arbeit und gern verwendete Bezeichnungen“ (S. 78). Für die USA sei verwiesen auf das Projekt SCRIBO: Kathryn Albee, Language Department Chair, Instructor in Latin and ESL, Westover School (Middlebury, CT), SCRIBO Steering Committee Chair. E-Mail: [email protected]. – Für die Bundesrepublik Deutschland sei verwiesen auf: Wilfried Lingenberg, De vivo Latinae linguae usu per Interrete redintegrato, In: Göttinger Forum für Altertumswissenschaft 17, 2014, 57–61; Id., Nutzung des Internets für lebendige lateinische Kommunikation im Unterricht, in: Pegasus-Onlinezeitschrift 16, 2016, 152–164.

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II. Teil Zum Lesen, Verstehen, Interpretieren Lateinkönnen hängt aber außer von Wortschatz- und Grammatikkenntnissen von umfangreicher Lektüre ab. Und da liegt erneut ein methodeninhärentes Problem des Lateinunterrichts zusätzlich zu den bereits bestehenden Problemen der geringen Stundenzahl und der Schwierigkeiten der Beherrschung von Wortschatz und Grammatik. Es wird immer weniger gelesen. Es ist tatsächlich Lesen gemeint, nicht Übersetzen. Gründe für das geringe Ausmaß der Lektüre sind. 1. Natürlich die wenige zur Verfügung stehende Zeit. – 2. Vor allem aber: Diese wenige Zeit wird ausgefüllt mit Übersetzen und zwar oft sofortigem Übersetzungszwang, bevor überhaupt ein Satz und ein Text einigermaßen inhaltlich und strukturell erfasst sind. Im Vordergrund müssten Lesen, Verstehen und Erleben der Texte stehen. Lehrer und Schüler sind aber aufgrund der Überprüfungsvorschriften zum schnellen Übersetzen gezwungen, weil derzeit alle anderen Zugangsweisen zu Texten wenig oder gar nicht bewertet werden. 1. Was ist Textverständnis? Jedem reflektierten Philologen, Philosophen oder Leser ist klar, dass die Tiefe des Textverstehens von vielen Faktoren abhängt: – Die Kenntnis der Sprache des Textes, seiner Grammatik, seines Aufbaus bringt der gelernte Lateiner mehr mit als andere. – Die Vielfalt an Erfahrung, Lebenserfahrung, Gefühlen, Bildungsreminiszenzen ist bei jedem Leser individuell. Manchmal haben sprachlich weniger geschulte Leser doch einen größeren Gefühlsspielraum als der sprachlich Geschulte. – Die Vielfalt des Assoziations- und Spielvermögens sollte ein Philologe mitbringen, aber auch hier wird er manchmal von Lesern, gerade von jungen Lesern, übertroffen. Diese Verständnisformen und Textzugänge kann man beim Lesen nicht trennen, sie gehen im Leser oft gleichzeitig vor und stehen in Verbindung miteinander. Das Denken und Erleben des Lesers funktioniert anders als das Herangehen des Lehrers, der den Text kennt und ihn einem Schüler vermitteln will. Der Schüler, der den Text zum ersten Mal liest, will Sinn erfassen und versucht dies auf vielen Ebenen, vorwiegend semantisch-inhaltlich, manchmal mit stillen Versuchen, sich für sich selbst den Text auf Deutsch wiederzugeben, mal mit mehr, mal mit weniger Phantasie und emotionaler Beteiligung. Der Lehrer kennt den Text und will den lesenden Schüler belehren und ihm helfen. Er vollzieht aber oft nicht den Verstehensweg des Schülers nach, sondern verlangt als erstes eine Übersetzung, damit er das Textverstehen kontrollieren kann. Damit separiert er aber die grammatische Ebene und die Vo-

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kabelebene von allen anderen Ebenen des Verstehens, nimmt also getrennt vor, was im Leser verbunden ist. Es soll erst grammatisch analysiert werden, dann soll übersetzt werden, dann soll interpretiert werden, mal historisch, mal aktuell. Der eigentliche Weg aber ist der, dass vieles im Leser zusammen erfolgt und er dann eventuell trennen muss und sich auf den jeweiligen Bereich besinnen muss, in dem er etwas gründlicher betrachten, analysieren und herausfinden will. Schon hierin liegt Konfliktpotential, das sich oft genug in der Divergenz von Schülervorgehen und Lehrervorgehen zeigt. Der Lehrer ist voll auf die Übersetzung konzentriert und will grammatikalisch helfen, dabei springt er zwischen lateinischer und deutscher Grammatik hin und her. Der lesende Schüler will verstehen, lesen, er experimentiert mit Verstehensansätzen und denkt über den Inhalt nach. Das bedeutet nicht, dass er überhaupt kein Latein kann, und es bedeutet ebenso wenig, dass er kein Deutsch kann. Er rekodiert nur einfach als normaler Leser zwar in der Reihenfolge der Wörter des Satzes, aber so, dass er Satzabschnitte zusammen erfasst, also zumindest mehrere Wörter oder eine ganze Textzeile berücksichtigt. Er tut das für sich selbst und nicht für andere. Der Lehrer hat übrigens wahrscheinlich bei seiner ersten Begegnung mit diesem Text nicht viel anders als der Schüler agiert, wohl mit etwas mehr Lateinkenntnissen, aber sicher nicht übersetzend, sondern verstehend. Der Lehrer ist hier nicht nur gefordert, den lesenden Schüler, wie es immer wieder so schön heißt, bei seinem Wissensstand abzuholen. Nein, er ist viel mehr noch gefordert, erst einmal aufgrund eigener gründlicher Auseinandersetzung mit dem Text zu erkennen, in welchem Bereich sich der lesende Schüler gerade mit seiner Darstellung des Textverstehens bewegt. Leider wird dabei dem Lesen oft eine untergeordnete zu kleine Rolle zugewiesen. Es gibt das stille und das gemurmelte und das laute Lesen. Römer lasen ihre Texte halblaut. Was sie mit den Augen sahen, nahmen sie gleich durch einen zweiten Kanal, das Gehör, auf. Das verlangsamte das Lesen etwas, wirkte aber nachdrücklicher und einprägsamer. Im Unterricht wird selten gelesen, oft sogar gleich am Beginn statt am Ende als krönender Abschluss mit rhetorischer Grandezza und als Darstellung, wie man den Text verstanden hat, also gegliedert, semantische Bezüge durch Phrasierung und Lautstärke herausarbeitend, mit Lust am Klang und am Nachdruck.

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2. Textverstehen ist nicht dasselbe wie Übersetzen Sehr problematisch ist die Vorstellung, man solle als erstes sein Textverstehen in einer Übersetzung kundtun. Übersetzen ist insofern etwas Unnatürliches, als man liest und zu verstehen sucht und man Texte erst dann übersetzt und dies auch nur, wenn man Dolmetscher oder beruflicher Übersetzer ist. Der Normalmensch übersetzt höchstens stumm für sich, wenn er einen fremdsprachlichen Text nicht gleich versteht. Und das tut er nur bei den Teilen des Textes oder eines Satzes, die er nicht auf Anhieb versteht. Dabei ist die Übertragung einzelner Textteile ins Deutsche ein Hilfsinstrument, kein Ziel. Das Ziel ist Textverstehen. Man muss es erlauben und beibringen, Texte zu lesen und zu verstehen und möglichst viel, möglichst gliedernd zu lesen. Dabei kann ruhig während des Lesens auch (still) übersetzt werden, aber nicht gegen die Reihenfolge der Wörter und Sätze und nicht mit sofortiger Ausrichtung auf einen deutschen kompletten und korrekten Satz. Die Reihenfolge ist: erfassen, verstehen, ins Deutsche still umsetzen oder mit anderen die Umsetzung diskutieren, das Umgesetzte mit dem Lateinischen vergleichen, korrigieren, immer mehr Verstehen entwickeln, dann den Text einigermaßen beherrschen, dann, wenn es verlangt wird, auch übersetzen. Aber es sei wiederholt: Normal ist es nicht, einen verstandenen Text auch noch ins Deutsche zu übersetzen, und einen nicht verstandenen Text kann man gar nicht richtig übersetzen. Die vielen Übersetzungsanleitungen sind dabei meist nicht oder nicht voll funktionsfähig und hilfreich, viele sind sogar kontraproduktiv. Zu den kontraproduktiven gehören insbesondere die falschen Erläuterungen und Wiedergabevorschläge zum Participium coniunctum, zum Ablativus absolutus und zu den nd-Fügungen, wie sie sich auch heute noch in vielen Lehrbüchern und auch in einer Reihe von Textausgaben finden. Im Einzelnen: Participia coniuncta sind keine Attribute und dürfen in der Regel nicht als Attribute oder Relativsätze übersetzt werden. Ablativi absoluti sind adverbiale Bestimmungen mit einem Subjekt im Ablativ und einem Prädikat im Ablativ, sie sind „Kurzsätze“ und können als eingeschobene Hauptsätze, als Gliedsätze und als Sätze übersetzt werden, die dem Satz, in dem sie stehen, gleichgeschaltet sind (also auch als Gliedsatz oder als Hauptsatz). Sie sind keine präpositionalen Ausdrücke und die schrecklichen Übersetzungen mit -ung (clāmōre sublāto, nach Erhebung von Geschrei) sind ebenso falsch wie hässlich, auch die Übersetzung mit Attribut („mit/unter erhobenem Geschrei“). Die Übersetzungen verstellen das Verstehen, denn die Angreifer erheben erst ein Geschrei und dann stürmen sie voran. Aus solchen Gründen wundern sich viele, die antike Texte nur aus Übersetzungen kennen, warum antike Autoren große Stilisten und Sprachkönnen sein sollen. Zudem wird bei den Übersetzungsmethoden nicht genau unterschieden, ob sie eine stille Hilfe beim Erschließen des Textes, eine tatsächlich verwendbare Überset-

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zung beim Erstellen einer Übersetzung oder ein Vorschlag zur gelungenen Endübersetzung sind. Übersetzen tut man beim Textverstehen immer, nur eben nicht explizit und für andere, sondern nur für sich selbst. Wie man es auch sieht: Das Übersetzen – so, wie es heute gehandhabt wird – ist oft eine Crux und eine Überforderung, es verlangsamt den Leseprozess, und es legt viele unterrichtliche Methoden nahe, die unproduktiv sind.22 3. Warum Übersetzen das Textverstehen nur unzureichend überprüft Beispiel: Ovid, Metamorphosen 4, 81–90 (Pyramus und Thisbe) 81 Postera nocturnōs Aurōra remōverat ignēs 82 Sōlque pruīnōsās radiīs siccāverat herbās. 83 Ad solitum coiēre locum. Tum murmure parvō 84 multa prius questī statuunt, ut nocte silentī 85 fallere cūstōdēs foribusque excēdere temptent, 86 cumque domō exierint, urbis quoque tēcta relinquant, 87 nēve sit errandum lātō spatiantibus arvō, 88 conveniant ad busta Ninī lateantque sub umbrā 89 arboris. Arbor ibī niveīs ūberrima pōmīs, 90 ardua mōrus, erat gelidō contermina fontī. Stellen wir uns als Experiment verschiedene Übersetzungen der vv. 83–89a vor und verwenden dabei einmal Übersetzungs„hilfen“, die noch nicht ganz aus dem Unterricht verschwunden sind: (a) Ganz schlimme und ganz falsche Version „Dann setzten die vorher mit kleinem Gemurmel vieles beklagt Habenden fest, dass sie in schweigender Nacht versuchen würden, die Wächter zu täuschen und aus den Türflügeln hinauszugehen, und wenn sie aus dem Haus herausgegangen sein würden, auch die Stadtdächer zu verlassen und dass es den auf weitem Feld Umherlaufenden ein nicht zu Irrendes sei und am Grabmal des Ninus zusammenkommen und sich unter dem Schatten des Baumes verbergen.“

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Eine Übersicht über sogenannte Übersetzungsmethoden ist Bestandteil jeder Fachmethodik, z. B. Hans-Joachim Glücklich: Lateinunterricht. Didaktik und Methodik, Göttingen 32008, 49–85, bes. 59–64; Peter Kuhlmann, Fachdidaktik Latein kompakt, Göttingen 2009, 94–119. Nur wenige der sogenannten Übersetzungsmethoden machen deutlich, ob sie als Erschließungshilfe (beim Beginn der Lektüre eines Textes), als Übersetzungshilfe (am Ende der Erschließung oder sogar nach der Interpretation) oder als Anleitung zur Erarbeitung einer kunstvollen Übersetzung als kreativer Akt zusätzlich zu aller anderen Textarbeit gedacht sind.

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(b) Schlimme Version „Nach vorheriger Beklagung vieler Dinge setzen sie fest, dass sie in schweigender Nacht versuchen mögen, die Wächter zu täuschen und aus den Türflügeln hinauszugehen, und wenn sie aus dem Haus herausgegangen sein werden, auch die Stadtdächer verlassen mögen und dass sie, damit die auf weitem Feld Umherlaufenden nicht irren dürfen, am Grabmal des Ninus zusammenkommen mögen und sich unter dem Schatten des Baumes verbergen.“ In den beiden „schlimmen“ Versionen habe ich angewendet, was zum Teil immer noch als Übersetzung von Participia coniuncta, -nd-Formen und Konjunktivformen ohne Rücksicht auf sprachliche Verluste in Lehrbüchern, Grammatiken und Textausgaben gelehrt oder aber in der Not, ein Textverständnis herzustellen und zu dokumentieren, im Unterricht nahegelegt oder toleriert wird. Natürlich habe ich auch einige „Konstruktionsfehler“ eingebaut, wie sie besonders bei fehlender Satzanalyse und dem Zwang zum schnellen Übersetzen entstehen. Bei beiden Übersetzungen wird deutlich: Sie sind nicht schön. Man darf fragen, warum man sich mit solch hässlichen Texten beschäftigen soll. Aller Charme und alle Schönheit des lateinischen Texts sind verloren gegangen. Und steht nun bei der weiteren Auseinandersetzung mit dem Text die hässliche deutsche Version im Mittelpunkt, dann vergisst man die lateinische Formulierung, sieht weder Semantik noch Wortfolge noch Satzbau; jede Aktion im lateinischen Text muss durch Arbeitsaufträge neu angekurbelt werden und der Schüler kann fragen, ob ein solcher Text den Aufwand lohnt. Ovid und seinen Stil wird er so nicht liebgewinnen und schätzen. (Das gilt für alle Autoren.) (c) Pendelverfahren-Version und Konstruktionsmethoden-Version „Dann setzen sie, nachdem sie vieles vorher beklagt haben, fest, dass sie versuchen, in schweigender Nacht die Wächter zu täuschen und aus dem Haus herauszugehen, und auch die Stadt zu verlassen, wenn sie aus dem Haus herausgegangen sind, und am Grabmal des Ninus zusammenzukommen, damit sie beim Umhergehen keinen Fehler begehen müssen.“ Hier gelingt dieses etwas schematische Übersetzungsverfahren einigermaßen, weil statuunt ziemlich vorne im Satz steht. Man bedenke, was man tun sollte, wenn man den Lehrbuchempfehlungen folgt und schnell eine „Übersetzungsmethode“ anwendet: Die Übersetzung würde schlimmer klingen, wenn der Satzbau im Lateinischen anders wäre. Am Beispiel des Beginns der Pyramus-und-Thisbe-Geschichte: 55 „Py–ramus et Thisbē – iuvenum pulcherrimus alter, 56 altera, quās Oriēns habuit, praelāta puellis – 57 contiguās tenuēre domōs, ubi dīcitur altam 58 coctilibus mūrīs cīnxisse Semīramis urbem.

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Würde ich „pendeln“ müssen, dann ginge das so: Subjekt nehmen oder sogar nur das erste Wort und dann das Prädikat suchen, dieses nach vorn nehmen und dann den Anfang übersetzen: Pyramus (und Thisbe) bewohnten … (das geht natürlich nur, wenn man tenuēre als Prädikat erkennt und nicht etwa bei contiguās an die 2. P. Sg. Indikativ der a-Konjugation oder die 2. P. Sg. Konjunktiv Präsens der konsonantischen Konjugation denkt). Dann soll man nach der sogenannten „Pendelmethode“ oder „Drei-Schritt-Methode“ weiter so übersetzen und „Minipendelschwünge“ dabei berücksichtigen: „Pyramus und Thisbe bewohnten zusammenhängende Häuser.“ Und jetzt steht man vor dem Dilemma, ob man erst mal nach domōs weiter übersetzen, sozusagen „weiter im Text machen“ soll, oder lieber, wie es sinnvoller ist, den ubi-Satz auch im Deutschen anschließen soll, oder ob man nun vorne im Satz weitermacht und also so übersetzt: „Pyramus und Thisbe bewohnten zusammenhängende Häuser, der eine der schönste unter den jungen Männern, die andere, ausgezeichnet vor den Mädchen, die der Orient hatte“. Jetzt kann man den ubi-Satz nur noch durch Wiederholungen anbringen: „Sie also bewohnten dort zusammenhängende Häuser, wo …“ Und nun soll man ja, wie in deutschen Gliedsätzen üblich, das Prädikat oder das Subjekt so stellen: das Subjekt an den Anfang, das Prädikat an den Schluss: Das geht schon gar nicht und zudem überrascht den Leser hier gerade die umgekehrte Stellung des Prädikats: Es steht gleich nach dem Relativum ubi am Anfang des Gliedsatzes. Regelübersetzung nach den Vorgaben der Lehrbücher und ihrer Pendelmethode wäre: „wo Semiramis die hohen Stadt mit Backsteinmauern umgeben zu haben gesagt wird.“ Dem lateinischen Satz folgte man aber besser, wenn man so formulierte: „wo, sagt man, Semiramis die hohen Stadt mit Backsteinmauern umgürtet hat.“ Hilfreich für die Interpretation ist keine der Übersetzungen. Denn man lernt nicht erst die Charakterisierungen der Protagonisten kennen, dann die Wohnsituation, dann die Stadt mit den Anspielungen auf Semiramis. Beim „Konstruieren“ nach der Konstruktionsmethode wäre es noch schlimmer, denn jetzt würde man sich gar nicht mehr um die Art der Wortfolge und Darstellung bemühen, sondern sich den Satz neu zusammensetzen und dann das daraus gewordene deutsche Konglomerat zur Grundlage der Interpretation und des Verständnisses machen: „Such’s Prädikat!“: Sie bewohnten. „Wer?“ – Pyramus und Thisbe. „Was?“ – benachbarte Häuser. Dann wird es schon schwer, aus dem Fragenkatalog „wo, wann, womit, unter welchen Umständen“ das Richtige herauszusuchen. Dann hilft jemand so: „Bestimme mal die Form, suche mal nach zusammengehörigen Wörtern“. Und jetzt ist alles bei der Grammatikarbeit, beim Bestimmen und Übersetzen von Einzelformen angekommen. „Was ist denn das für eine Konstruktion?“ „N. c. I.23“ „Was hast Du da gelernt, wie man ihn übersetzt?“ (Gewichtsverschiebung: sollen).

23

Den N. c. i., gibt es nicht, wie etwa zur selben Zeit der Verfasser und Anton Scherer nachgewiesen

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Statt den Blick auf den Textinhalt und den Genuss seiner Darstellung beizubehalten, wird Grammatik dazwischen geschaltet. Der Schüler weiß nicht, was er nun eigentlich als Ziel gesetzt bekommt: – Wortformen und Satzglieder bestimmen? – Eine deutsche Übersetzung erstellen, egal, ob sie schön ist oder nicht, Hauptsache „richtig“? Schnell entfernt man sich so vom lateinischen Text und der Auseinandersetzung mit seinem Inhalt und seiner Form. – Den Text verstehen? Und verstehen, warum der Autor ihn gerade so, wie zu beobachten, formuliert und wie das wirkt? Konstruieren und Pendeln sind kein Lesen und widersprechen in manchem dem Lesen und Erfassen eines Satzes in der vom Autor gewünschten Reihenfolge. Das Voranziehen des Prädikats zeigt nur: Wer das verlangt, will deutschen Sprachgesetzen folgen, nicht aber dem Lateinischen, bei dem er sich verwundert, dass oft die Auflösung durch das Prädikat erst spät oder gar am Satzende erfolgt. Wer konstruiert oder pendelt, baut sich den Satz neu auf, nach deutschen Sprachgesetzen. Wer konstruiert oder pendelt, verstößt zumindest gegen die Abfolge der Informationen durch die kleinen Satzabschnitte (Kola). In keiner dieser (erfundenen) Versionen ist die Reihenfolge eingehalten, die Ovid vorgibt. In keiner Version ist das Deutsch voll erträglich. Pendeln als „Kleinpendeln“ kann sinnvoll sein, es entspricht dem Text. Die Leseforschung sagt, dass das Auge des Lesers immer weiter schaut als auf das einzelne Wort und das nächste Wort. Es hat oft das Zeilenende im Blick und springt auch über auf die nächste Zeile. Ein striktes Vorgehen nach der Pendelmethode ist aber falsch, weil das Prädikat ja oft sehr weit weg vom Satzanfang steht, nicht schon auf derselben Zeile. Das Pendeln ist richtig, wenn man Kola erfasst und innerhalb dieser Kola Zuordnungen vornimmt. Das ist Sinn des Satzgliederns und der Satzabbildungen und der daraus sich ergebenden kolometrischen Übersicht. Sogar Römer mussten lernen, nicht Wort für Wort Sinn zu erfassen, sondern Kolon für Kolon.

haben. Denn der N. c. i. müsste ja zwei Nominative haben, den des Prädikats und einen zweiten, der Subjekt des Infinitivs ist. Dann wäre er eine Parallele zum A. c. i., der ja ein eigenes Subjekt und ein eigenes Prädikat im Akkusativ hat und zusammen ein Objekt zu einem Satz mit eigenem Subjekt und Prädikat ist. Statt vom N. c. i. sollte man adäquater vom persönlichen Passiv mit Infinitiv-Ergänzung sprechen analog zum englischen I was told to do that Hans-Joachim Glücklich, Lineares Dekodieren, Textlinguistik und typisch lateinische Satzelemente, in: Der altsprachliche Unterricht 19,5, 1976, 5–36, bes. 19 f., Ich fand dies erst danach bestätigt bei: Anton Scherer, Handbuch der lateinischen Syntax, Heidelberg 1975, 87.

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(d) Dem Dichter eher gerecht werdende, aber immer noch die syntaktische Struktur nachahmende Version: „Dann klagen sie erst über vieles und vereinbaren schließlich, den Versuch zu machen, in der Stille der Nacht die Wächter zu hintergehen und aus dem Haus herauszukommen. Und wenn sie erst mal aus dem Haus herausgegangen seien, auch die Dächer der Stadt hinter sich zu lassen. Und damit sie nicht irren mussten, wenn sie auf der weiten Flur immer weitergingen, wollten sie sich am Grab des Ninus treffen und sich unter dem Schatten eines Baumes verstecken.“ (e) Dem Dichter eher gerecht werdende, die syntaktische Struktur nicht nachahmende, aber die Reihenfolge der Informationen weitgehend bewahrende Version: „Dann äußern sie erst viele Klagen. Sie vereinbaren schließlich ein Wagnis: in der Stille der Nacht die Wächter zu hintergehen und aus dem Haus herauszukommen – und wären sie erst mal aus dem Haus herausgegangen, auch die Dächer der Stadt hinter sich zu lassen – und damit sie nicht irren mussten, wenn sie auf der weiten Flur immer weitergingen, sich am Grab des Ninus zu treffen – und sich unter dem Schatten eines Baumes verstecken.“ In dieser Version ist temptāre sehr deutlich interpretiert, und durch die Verbindung aller geplanten Vorhaben in einem Satz so wie bei Ovid wird die Vielzahl der träumerischen Planungen ausgedrückt. Ferner sind die vielen Reihungen in Gliedsätzen ersten Grades mit Unterbrechung durch Gliedsätze zweiten Grades berücksichtigt. Erzählt wird die Metamorphose von einer der Minyiden (der Töchter des Minyos). Sie wollen nicht Bacchus feiern, sondern lieber arbeiten. Sie würzen sich die Arbeit beim Weben mit erotischen Erzählungen. Es muss also in der Übersetzung deutlich werden, wer erzählt, wem sie erzählt, wie sie erzählt. Der Satz ist der längste und einzig komplizierte in der ganzen Erzählung. Die Ausdrücke sind einfach, das Wort arvum ist hoher Stil und fällt aus der Reihe. Aber auch wenn sich diese Übersetzung der Wirkung des Originals nähert, so hat sie doch nicht deren Klang, deren Wortstellung, deren Rhythmus. Deswegen kann man nicht verlangen, dass die Übersetzung eine sogenannte Skopos-Adäquatheit hat, und schon gar nicht kann man als Ziel setzen: „Die Übersetzung soll Äquivalenz und Skopos-Adäquatheit anstreben und nach Möglichkeit von solcher zielsprachlicher Qualität sein, dass sie ohne das Danebenhalten des Originals gut gelesen und verstanden werden kann.“24

24

Wilhelm Pfaffel, Satz- und Texterschließung, in: Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung Dillingen (Hg.): Fachdidaktik Latein, Dillingen 2013, 95–110, Zitat von S. 110. In einen größeren Zusammenhang gestellt, aber wohl überfordernd bei Markus Janka, Übersetzen, in: Markus Janka (Hrsg.), Latein. Didaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II, Berlin 2017, 87–100.

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Im Gegenteil, im Unterricht soll das Lateinische im Mittelpunkt stehen. Die Forderung wird nicht einmal durch gedruckte und veröffentlichte Übersetzungen von Fachleuten erfüllt. Das kann auch gar nicht sein, denn jede Übersetzung in eine andere Sprache ist an die Sprache ihrer Zeit gebunden. Nach zehn oder 20 Jahren kann sie nicht einmal dann, wenn sie eine sprachlich schöne Übersetzung ist, den modernen Zugang zum antiken Text ermöglichen, denn sie tut dann so, als hätte der antike Autor in der veralteten deutschen, französischen, englischen oder welcher Sprache auch immer geschrieben. Selbstverständlich kann man Übersetzungen finden, die ihre Sprachgewalt bis heute ausüben. Sie sind Kunstwerke eigener Art. Sie sind eine Rezeption des antiken Textes. Aber sie können ihn nicht für den Leser in dessen Zeit wiedergeben.25 Trotzdem braucht der Leser Übersetzungen, denn er wird kaum Zeit, Geduld und Fähigkeiten haben, einen antiken lateinischen Text zu lesen, es sei denn er ist über Jahrzehnte geschulter Latinist. Deswegen ist es ja sinnvoll, auf der Schule das Lesen zweisprachiger Ausgaben zu üben und zu schulen und dazu zu qualifizieren. Ganz und gar überzogen für den Lateinunterricht ist aber die Forderung, durch die Übersetzung das Original entbehrlich zu machen. Dort soll gerade das Lateinische im Mittelpunkt stehen: die lateinische Sprache, die lateinische Formulierung, das lateinische Sprachkunstwerk. Sobald man dieses als übersetzt abhakt und sich dann mit der angeblich äquivalenten deutschen Fassung beschäftigt, steht der lateinische Text nicht mehr im Mittelpunkt, dessen sprachliche Eigenarten werden nicht mehr zum Thema oder nur durch künstliche Arbeitsaufträge, die dann wieder auf den lateinischen Text zurückverweisen. Aber nur, wenn beide Sprachen im Leser lebendig sind, wird aus dem Übersetzen ein Kulturaustausch und eine Schulung und Erweiterung des Ausdrucks.

25

Hinter dem Übersetzen „steht die Vorstellung, dass die Sprache des ursprünglichen Wortlauts eines Buchs einem unbeholfenen Körper entspricht, der die Seele, die er eingefangen hat, gar nicht fassen kann. Die Aufgabe des Übersetzers ist es, diese Sprache durch eine andere zu ersetzen – es ist die Aufgabe aller Übersetzer, alle Sprachen, die vor ihnen da waren, durch ihre eigenen zu ersetzen, ein ums andere Mal flensen sie den Körper eines Buchs, bis sein idealer Sprachkörper gefunden ist und seine Seele, die ewige und unsterbliche Seele des Buchs, die passendste Herberge gefunden hat.“ ( Joshua Cohen in einer „Auftaktrede“ zum Übersetzungsprogramm „Toledo“ in Berlin, 09.02.2018, aus dem Englischen von Ulrich Blumenbach. Vgl. Ulrich Blumenbach: Toledo im Transit, in: Frankfurt Allgemeine Zeitung vom 10.02.2018, das englische Original unter www. faz.net/cohen. Das mir bis dahin unbekannte Wort flensen steht nicht im Duden und soll laut Interneteinträgen von englisch to flense kommen – das in englischen Wörterbüchern auch nicht verzeichnet ist – und die Bedeutung hat „die Speckschicht von einem erlegten Wal abtrennen“. Der Autor erweist sich also als ein auctor doctus.)

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4. Wie man einen Text erschließt26 Wie kommt man zu Textverständnis und gegebenenfalls zu einer solchen Übersetzung? Jeder Mensch hat seine Lesestrategien, aber man kann einige Methoden entwickeln, die von solchen Gewohnheiten ausgehen, sie systematisieren und einüben. Bei der folgenden Vorstellung einiger „Techniken“ der Texterschließung ist der Leser um Geduld gebeten. Diese Techniken sollen früh eingeführt und geübt werden, also bereits in der Lehrbuchphase. Sie führen zu gegliedertem Lesen. Sie sind dann unterschwellig immer vorhanden. Sie müssen nicht immer reaktiviert und angewendet werden. Sie entsprechen der lateinischen Syntax und der jeweiligen Satzstruktur. Sie lassen sich sogar auf antike Lesetechniken zurückführen. Alle im Folgenden genannten Verfahren führen im Übrigen dazu, dass man den Text auch übersetzen kann. 4 1 Syntaktische Analyse des Aufbaus von Sätzen und Satzabfolgen Man unterstreicht die Verbformen und kennzeichnet sie als selbstständig formuliert (also als Hauptsatzprädikat: S) oder als bezogen formuliert (also Prädikat in Gliedsätzen oder eingebetteten Informationen wie A. c. i., participium coniunctum, ablativus absolutus, -nd-Fügung: B). Dazu muss man auch die unterordnenden Konjunktionen markieren (z. B. einrahmen). Dann hat man alle Satzkerne und kann von ihnen aus die Satzabschnitte erschließen. S Postera nocturnōs Aurōra remōverat ignēs S 82 Sōlque pruīnōsās radiīs siccāverat herbās. S 83 Ad solitum coiēre locum. 81

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Verwiesen sei auf: Hans-Joachim Glücklich: Lateinunterricht. Didaktik und Methodik, Göttingen 1978, 2. veränd. u. erw. Aufl. 1993, 3. Aufl. mit neuem Vorwort 2008. – Hans-Joachim Glücklich (Hg.): Satz- und Texterschließung: Der altsprachliche Unterricht 30, 1/1987. – Hans-Joachim Glücklich (Hg.): Theorie und Praxis der Interpretation: Der altsprachliche Unterricht 30,6, 1987. – Werner Meincke, Handreichungen zur Satz- und Texterschließung, in: Der altsprachliche Unetrricht36,3+4, 1993,69–84. – Stefan Kipf: Altsprachlicher Unterricht in der Bundesrepublik Deutschland. Historische Entwicklung, didaktische Konzepte und methodische Grundfragen von der Nachkriegszeit bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, Bamberg 2006, 80–92, 257–264. – Dietmar Absch / Ralf Wünsch: Wege und Formen der Interpretation im gymnasialen Unterricht, in: Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung Dillingen (Hg.): Fachdidaktik Latein, Dillingen 2013, 143–163 (8.1: Definition, Grundsätzliche Überlegungen, S. 143–149; 8.2: Interpretationsansätze und Formen der Interpretation im Unterricht, S. 150–163).

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B S Tum murmure parvō 84 multa prius questī statuunt, B ut nocte silentī 85 fallere cūstōdēs B B foribusque excēdere temptent, B B 86 cumque domō exierint, urbis quoque tēcta relinquant, B B 87 nē ve sit errandum lātō spatiantibus arvō, B B 88 conveniant ad busta Ninī lateantque sub umbrā 89 arboris. Arbor ibī, niveīs ūberrima pōmīs, 90 ardua mōrus, S erat gelidō contermina fontī. 4.2 Satzabbildungen Schwierigere Sätze kann man sich auch noch in einer Satzabbildung nach dem Einrücksystem verdeutlichen. HS GS1 GS2 GS1 GS2 GS1

Tum murmure parvo / 84 multa prius questi statuunt, ut nocte silenti / 85 fallere custodes foribusque excedere temptent, 86 cum-que domo exierint, urbis quoque tecta relinquant, 87 ne-ve sit errandum lato spatiantibus arvo, 88 conveniant ad busta Nini lateantque sub umbra / 89 arboris.

In Farbe werden die Satzabbildungen deutlicher und anschaulicher. Verschiedene Einrahmungen tragen weiterhin zur Veranschaulichung bei. Der ganze Satz steht in einem Rahmen. Gliedsätze ersten Grades (direkt vom Hauptsatz abhängige) werden in einen eigenen Rahmen hineingesetzt, in diese wiederum Gliedsätze zweiten Grades (von einem Gliedsatz ersten Grades abhängige) usw. (Aus technischen Gründen können in der folgenden Abbildung die Farben nur in Graustufen wiedergegeben werden.)

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Hans-Joachim Glücklich

Satzabbildung zu Ovid, Met 4,83–88: HS

Tum murmure parvo multa prius questi statuunt,

GS1

ut nocte silenti / fallere custodes foribusque excedere tempent,

GS2

cumque domo exierint,

GS1

urbis quoque tecta relinquant,

GS2

neve sit errandum lato spatiantibus arvo,

GS1 GS1

conveniant ad busta Nini lateantque sub umbra arboris.

4.3 Kolometrische Darstellung Aus dem Gliedern der Sätze und weiteren Analysen ergeben sich die kolometrische Gliederung und die kolometrische Darstellung. Sie wird hier mit vielen zusätzlichen Angaben dargestellt. Sie befolgt sogar antike Anregungen. Nr.

grammat. Beschreibung

lateinisches Kolon

S / B deutsche Wiedergabe

1

HS, Plus­ quamperfekt, resultativ

81 Postera nocturnōs Aurōra remōverat ignēs

S

Aurora hatte am nächsten Tag die nächtlichen Feuer entfernt



1

HS, Plus­ quamperfekt, resultativ

82 Sōlque pruīnōsās radiīs siccāverat herbās.

S

und Sol hatte mit seinen Strahlen die vom Reif feuchten Pflanzen getrocknet.



1

HS, Erzähl­ etappe, Aktion, Erzählperfekt

83 Ad solitum coiēre locum.

S

Sie kamen am gewohnten Ort zusammen.



1

HS, Einleitung

Tum

2

p. c., vorzeitig

murmure parvō 84 multa prius questī

B

führten sie mit leisem Flüstern erst über vieles Klage,

3

3

HS, Prädikat, Erzähletappe im Reportage­ präsens

statuunt,

S

dann beschließen sie:



zu 3

Da

Bezug auf

zu 3

167

Texte lesen, verstehen, interpretieren

Nr.

grammat. Beschreibung

lateinisches Kolon

S / B deutsche Wiedergabe

Bezug auf

4

GS1, erstes Objekt als Infinitiv mit Ergänzungen

ut nocte silentī 85 fallere cūstōdēs

B

sie wollen versuchen, in schwei­ gender Nacht den Wächtern unbemerkt zu bleiben

6

5

GS1, zweites Objekt als Infinitiv mit Ablativobjekt

foribusque excēdere

B

und aus der Tür hinauszugehen

6

6

GS1, 1. Prädikat

temptent,

B

(bei 4 übersetzt)

3

7

GS2, vorzeitig zu relinquant, Prädikat im Konj. Perf. zum Ausdruck der Vorzeitigkeit

86 cumque domō exierint,

B

und wenn sie dann das Haus verlassen haben,

8

8

GS1, Fort­ setzung mit zweitem Prädikat, durch das an cum angehängte que an den ut … temptent-Satz angeschlossen

urbis quoque tēcta relinquant,

B

wollen sie auch die Dächer der Stadt hinter sich lassen;

3

9

GS2, Finalsatz zum dritten Prädikat des GS1

87 nēve sit errandum

B

und damit sie, (Rest bei 10 übersetzt)

11

10

p. c. im dritten GS1, gleich­ zeitig Dat. auctoris zur ­nd­Form

lātō spatiantibus arvō,

B

wenn sie auf der weiten Flur laufen, ja keinen Fehler begehen müssen,

9

11

drittes Prädikat 88 conveniant ad busta im GS1, durch Ninī das an nē ange­ hängte -ve mit den Prädikaten der vorigen GS1 gleichgestellt

B

wollen sie sich am Grabmal des Ninus treffen

3

168

Hans-Joachim Glücklich

Nr.

grammat. Beschreibung

lateinisches Kolon

12

GS1, viertes Prädikat, durch -que ange­ schlossen

lateantque sub umbrā 89 arboris.

1

Hintergrund­ information im durativen Imperfekt

Arbor ibī niveīs ūber­ rima pōmīs, 90 ardua mōrus, erat gelidō contermina fontī.

S / B deutsche Wiedergabe B

Bezug auf

und sich im Schatten des Baums verstecken.

3

Ein Baum, der mit schneeweißen Früchten reich behangen war, ein hochaufragender Maulbeerbaum, stand da in direkter Nachbar­ schaft einer kalten Quelle.



(Die einzelnen Kola jeden Satzes sind jeweils mit 1 beginnend durchnummeriert.) Die hier gegebene Übersicht zeigt alles, was man in eine Darstellung zur Kolometrie einbringen könnte, meist wird man sich auf die erste, dritte und fünfte Spalte beschränken. 1. Spalte: ein Durchzählen der Kola; mit jedem Hauptsatz beginnt man wieder bei 1. 2. Spalte: Eine satzgrammatische Analyse (Gliedsatz oder Hauptsatz? Gliedsatz wievielten Grades, wovon abhängig? Teil eines unterbrochenen Kolons eines unterbrochenen Satzabschnitts? Welcher Teil? Beobachtungen zur Form des Verbs). 3. Spalte: das lateinische Kolon selbst. 4. Spalte: Die Wiederholung der schon beim Unterstreichen und Einklammern erfolgten Kennzeichnung der Verbformen als selbstständig formuliert (S) oder bezogen formuliert (B). 5. Spalte: eine deutsche Wiedergabe entweder in einzelnen Sätzen oder schon mit Blick auf den ganzen Satz. Faustregeln sollten sein: – Kein lateinisches Wort darf ausgelassen werden. – Wenn etwas unübersetzt bleibt oder bleiben soll, dann bitte vermerken, welches Wort nicht übersetzt wurde, möglichst mit Begründung (beim Auslassen der unterordnenden Konjunktionen kann dies unterbleiben, wenn Wiedergabe als Hauptsätze zugelassen wurde). – Wenn ein Kolon schon vorher übersetzt werden musste oder erst später übersetzt werden kann (zum Beispiel weil sonst die deutsche Formulierung nicht möglich ist), dann bitte in Klammern vermerken, wo es übersetzt ist oder warum es an anderer Stelle übersetzt wird. 6. Spalte: Zusätzlich wird in Spalte 6 noch einmal aufgrund inhaltlicher und grammatikalischer Überlegungen festgehalten, auf welchen anderen Satzabschnitt sich ein Kolon bezieht (die Nummern sind dabei die der Zählung in der ersten Spalte).

Texte lesen, verstehen, interpretieren

169

4.4 Kurzfassung der Gliederung Geübte Schüler können sich einen Text beim ersten Durchlesen in folgender Weise markieren, est recht, wenn ihnen der Lehrer den Text gegliedert vorliest: 81 Postera nocturnōs Aurōra remōverat ignēs / 82 Sōlque pruīnōsās radiīs siccāverat herbās. / 83 Ad solitum coiēre locum. / Tum murmure parvō 84 multa prius questī / statuunt, / ut nocte silentī 85 fallere cūstōdēs / foribusque excēdere / temptent, 86 cumque domō exierint, / urbis quoque tēcta relinquant, / 87 nēve sit errandum / lātō spatiantibus arvō, / 88 conveniant ad busta Ninī / lateantque sub umbrā 89 arboris. / Arbor ibī niveīs ūberrima pōmīs, / 90 ardua mōrus, / erat gelidō contermina fontī. 5. Zusammenfassende Einschätzung des kolometrischen Gliederns Das kolometrische Gliedern und das vorbereitende Unterstreichen von Verbformen und Umrahmen von unterordnenden Konnektoren mag etwas mechanisch anmuten, aber es ist erstens viel besser als das grammatische Exerzieren während eines meist fehlschlagenden Übersetzungsversuchs in Anwesenheit des Lehrers und der Klasse. Zweitens verbleibt es immer beim lateinischen Text. Drittens kann es noch erlebnisreicher gemacht werden, indem alle lesenden Schüler wissen, dass sie sich zu jedem Kolon inhaltliche Vorstellungen machen müssen und dürfen und dazu auch bildliche Vorstellungen entwickeln dürfen. Manchmal empfiehlt es sich sogar, die Erschließung eines Textes sofort mit einer produktiven Rezeption zu verbinden, indem man dazu auffordert: Erstelle zu jedem Kolon den Vorschlag zu einer Abbildung oder einer Filmszene. Berücksichtige dabei die Semantik der Wörter und die verwendeten Tempora und Modi. Zudem kann man das kolometrische Gliedern bei genügend Erfahrung abkürzen und die Kola einfach durch Schrägstriche kennzeichnen. In jedem Fall ist die kolometrische Erfassung Grundlage des gliedernden Lesens und wenn der Lehrer den Text zu Beginn vorliest, sollte er ebenfalls so gliedernd lesen, dass sich die Schüler gleich die Schrägstriche einsetzen können. Dann geht natürlich das Erfassen, ja sogar das Übersetzen eines Satzes und Textes schneller. Man kann auch bei Klassenarbeiten den Text schön gegliedert vorlesen, zumindest für eine gewisse Zeit. Die Schüler werden es danken, die Korrekturarbeit geht schneller. Das Unterrichtsklima wird freundlicher. Manche Schulbehörden verbieten dies aber.

170

Hans-Joachim Glücklich

6. Das kolometrische Gliedern entspricht antiken Leseanleitungen Das kolometrische Gliedern entspricht in vielerlei Hinsicht Anweisungen, die Quintilian gegeben hat.27 Ich verweise auf zwei wichtige Passagen: 6.1 Vorausschauendes Lesen: Sogar Römer mussten lernen, nicht Wort für Wort Sinn zu erfassen, sondern Kolon für Kolon. Es wurde schon erwähnt, dass Quintilian das vorausschauende Lesen kennt und rät, es im Schulunterricht einzuüben. Erst im vorigen Jahrhundert hat die Leseforschung herausbekommen, dass dies die meisten Menschen von sich aus tun. Heute ist die Forderung Quintilians wieder wichtig geworden, weil viele Kinder gerade das vorausschauende Lesen abgewöhnt bekommen. Denn sie sollen statt in einer gebundenen Schrift in Einzelbuchstaben schreiben. Bei der gebundenen Schrift denkt man voraus, bei der Einzelbuchstabenschrift nicht. In der Lateinmethodik gibt es die unhaltbare Behauptung Friedrich Maiers, es gebe ein mikroskopisches Lesen.28 Das gibt es nicht, es gibt nur ein mikroskopisches Analysieren von Wortformen. Ein Fachdidaktiker des vorigen Jahrhunderts wollte deswegen Lateinunterricht als besonders geeignet für Legastheniker erweisen.29 Die Buchstabenmethode ist aber nur eine von mehreren Methoden zur Behebung bestimmter Formen der Legasthenie, nämlich der falschen Zuordnung von Klang zu Buchstaben und vom Erkennen von Buchstaben bzw. Differenzieren von Buchstaben wie n und m.

27

28

29

M. Fabii Quintiliani Institutionis oratoriae Libri XII, ed. Helmut Rahn, Pars prior, Libros I–VI continens, Marcus Fabius Quintilianus, Ausbildung des Redners, 12 Bücher, hrsg. und übers. von Helmut Rahn, Erster Teil: Buch I–VI, Darmstadt 1972, Pars posterior: Libros VII–XII continens / Zweiter Teil: Buch VII–XII, Darmstadt 1975. Friedrich Maier, Lateinunterricht zwischen Tradition und Fortschritt, Band 1: Zur Theorie und Praxis des latinischen Sprachunterrichts, Bamberg 1979, 176–178. Würde mikroskopisches Lesen nur „langsames Erfassen“ meinen, wäre nichts einzuwenden. Aber der Ausdruck wird meist verwendet, um darzustellen, dass man im Lateinischen auf jeden Buchstaben genau aufpassen müsse, also auch jedes Wort sezieren müsse, um Kasus, Numerus, Modus, Tempus, Personkennzeichnungen herauszufinden. Das aber ist Analysieren, nicht Lesen. Immerhin macht Maier dennoch darauf aufmerksam, dass bereits Wilhelm Höhn geschrieben hat: „Wenn übersetzt werden soll, ist viel Zeit erforderlich“ (Wilhelm Höhn, Korreferat zu Willibald Heilmann, Probleme der grammatischen Beschreibung im Lateinunterricht, in: Gymnasium 84,1977,255). Achim Heinrichs, Latein – eine Hilfe für Legastheniker?, in: Der Birklehof 39,1974, 23 ff., mir vorliegend in den Veröffentlichungen im Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbands Niedersachsen 25,1,1975,2 und den Mitteilungen des Deutschen Altphilologenverbands Nordrhein-Westfalen 23,2,1975,3–6. Außer dem angeblichen Mikroskopieren wird dabei immer noch angeführt, dass die Unterrichtsprache Deutsch ist und dass man angeblich Latein so spreche, wie es geschrieben wird, also ohne Unterscheidung zwischen Zeichen und Lautwert. Die Unterrichtssprache ist aber ein sehr schwieriges Gemisch aus Latein und Deutsch oder ein ständiger Wechsel zwischen zwei Sprachen und längst hat sich das Lesen im pronuntiatus restitutus durchgesetzt. – Zur Widerlegung siehe auch: http://www.legasthenie-englisch.de/2010/10/warum-la tein-nicht-die-richtige-fremdsprache-fuer-legastheniker-ist/ (aufgerufen am 13.07.2018).

Texte lesen, verstehen, interpretieren

171

Zudem bleibt zu fragen, warum nicht erst einmal alle Methoden zur Behebung der Legasthenie in der Muttersprache angewendet werden. Latein würde höchstens dann helfen, wenn es durchgängige Methode wäre, immer die Wörter eines nach dem andern in seine Einzelbuchstaben zu zerlegen. Es kann eine Hilfe sein, wenn man die Wörter in Silben und Morpheme und Endungen zerlegt. Aber das ist nicht das Ziel des Lateinunterrichts, sondern nur eine Hilfe in der Grammatikphase und bei schwierigen Formen in der Lektüre. 6.2. Gegliederter und klarer Vortrag von Texten Man lese, was Quintilian zum „deutlichen und klaren Vortrag“ des Aeneis-Proömiums schreibt! (Quintilian, Institutio oratoria 11,3,33–39). Die dort gegebenen Beispiele zeigen übrigens auch, dass Quintilian kein skandierendes Lesen kannte, sondern nur eines, das Längen und Kürzen herausarbeitete.30 Nur so hat auch das Lesen am Beginn der Lektüre ein Sinn und hilft bei der Erfassung des Textes. 7. Satz- und Textverlaufsverlaufsbeschreibung Diese ist zunächst eher von Lehrenden zu erstellen, damit er weiß, was er vermitteln will. Aber man kann versuchen, Oberstufenschüler dazu aufzufordern. Sie ist eine Übung in Sprachreflexion und Verwendung einer abstrahierenden Reflexionssprache (Metasprache) und sie zeigt das Ergebnis einer Satz- oder Textanalyse. Für das oben (unter 4.1) im Text gegeben Beispiel (Ovid Met 4,81–90) kann eine solche Verlaufsbeschreibung so aussehen: Der Abschnitt beginnt mit zwei Hauptsätzen (vv. 81–82); diese sind durch -que verbunden; sie parallelisieren zwei Vorgänge am Himmel und auf der Erde und führen sie auf Götter zurück, die für Morgenröte und Sonne stehen. Dadurch wird das folgende Geschehen in einen größeren kosmischen Rahmen eingeordnet. Die beiden Vorgänge werden im Plusquamperfekt ausgedrückt, das man als resultatives Plusquamperfekt auslegen kann. Das Ergebnis des Dargestellten liegt vor und ist Hintergrund für die folgende Darstellung. Durch die Voranstellung von postera, das prädikativ zu Aurora verwendet ist, wird der neue Zeitabschnitt markiert, Durch die Verwendung von nocturnos als Attribut zu ignes und von pruinosas als Attribut zu herbas wird der zeitliche Fortschritt am frühen Morgen angedeutet. Die Endstellung von ignes und herbas in den Versen 81–82 lenkt den Blick vom Himmel auf die Erde. Es schließt sich die Darstellung zweier Aktionen an. Die erste steht im narrativen Perfekt coiēre 83; das narrative Perfekt nennt in Erzählungen eine Aktion in der Ver-

30

Vgl. Hans-Joachim Glücklich, Compendium zur lateinischen Metrik. Wie lateinische Verse klingen und gelesen werden. 2. veränderte Auflage. Göttingen 2009.

172

Hans-Joachim Glücklich

gangenheit und stellt eine Erzähletappe dar. Die zweite Aktion steht im Präsens (das gewöhnlich „historisches Präsens“ heißt, was aber nicht „vergangenes Präsens“ meint, sondern „erzählendes Präsens“, der Terminus ist für Schüler ein irreführender Ausdruck). Damit wird diese Etappe in den Vordergrund gerückt, der Leser wird unmittelbar anwesender Augenzeuge. Deswegen ist es besser, von einem Reportagepräsens oder szenischen Präsens zu sprechen. In jedem Fall ist die Verwendung des Gegenwartstempus ein Zeichen der sogenannten repraesentatio. Entsprechend ist der Autor zu achten und ein historisches Präsens muss auch im Deutschen Präsens sein. Immer wieder ist zu beobachten, dass entgegen der Absicht des Autors angeraten wird, das historische Präsens (falsch) mit Präteritum zu übersetzen; dann ist die Wirkung des historischen Präsens verschwunden. Die Darstellung der Szene ist allerdings in zwei Etappen gegliedert: Eine Voretappe steht als participium coniunctum ausgedrückt: questī; die Hauptetappe steht dann im szenischen Präsens statuunt. Danach folgen in einem langen Gliedsatzgefüge die Inhalte der Beschlüsse (84–89): der dazu verwendete ut-Satz (Gliedsatz ersten Grades) ist dreiteilig, dem zweiten und dritten Teil geht jeweils ein Gliedsatz zweiten Grades voraus, einmal ein Temporalsatz, einmal ein Finalsatz: Die Beschlüsse werden Schritt für Schritt und in einem anreihenden Satzbau dargestellt, so, als würden immer noch neue Planungen hinzukommen und als würden die beiden Gesprächspartner im Wechsel sagen: „Ach ja, das wollen wir auch noch tun.“ Im ut-Satz häufen sich die Verben des Weggehens und Verlassens: excēdere, exīre, relinquere, (eventuell errāre), convenīre. Ferner wird der Gegensatz von Wagnis und Risiko hervorgehoben: temptāre – errāre, latēre. Die Satzbeschreibung muss geübt werden und man wird sich nicht trauen, sie von allen Schülern der Mittelstufe zu erwarten oder zu verlangen. Aber sie übt die Verwendung einer Metasprache und sie legt die Basis für eine Übersetzung und Interpretation. Sie fasst alles zusammen, was man in einer längeren Lesephase beobachtet und erarbeitet hat. Und was man in jedem Fall bedenken muss: Vieles von dem, was in der Satzbeschreibung dargestellt wird, wird ja als Denkleistung des lesenden und erst recht des übersetzenden Schülers vorausgesetzt, es kommt nur nicht zur sprachlichen Ausformung und statt dessen wird viel zu schnell eine Übersetzung und eine sprachlich unvollkommene deutsche Version verlangt. Kurzum: Die Anforderungen bei der Erstellung von Satzabbildungen, kolometrischen Gliederungen und Satzbeschreibungen sind nicht geringer als die beim groben Übersetzen, aber sie lassen dem Leser Zeit und führen zu ästhetisch wie inhaltlich besseren Lösungen. Zudem ist die Satz- und Textverlaufsbeschreibung Grundlage allen semantischen, grammatikalischen und textinternen Interpretierens. Sie qualifiziert dadurch Philologen, Theologen, Historiker, und im Grunde jeden Menschen, der Umgang mit Texten beherrschen muss.

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8. Semantische Erschließung des Abschnitts Eine Alternative ist die Erschließung mit dem Schwerpunkt auf der Semantik eines Textes. Die syntaktische Einordnung der gefundenen semantischen Stränge und ihrer Teile erfolgt begleitend oder in einem zweiten Schritt. Der Abschnitt Ovid, Met 4,81–90 beginnt mit der Nennung zweier Gottheiten, die das Klima und die Zeit der Menschen beeinflussen: Aurora und Sol. Es lassen sich die Aktivitäten dieser Gottheiten und Bereiche am Himmel und auf der Erde feststellen: Wechsel des Aussehens des Himmels, Wechsel des Aussehen des Bodens, Wechsel der Tageszeit. Ab v. 83 wird von Pyramus und Thisbe berichtet (statt Singular nun Plural coiēre). Zunächst wird das Sachfeld „Götter und ihre Aktivitäten an Himmel und Erde“ nicht fortgesetzt, sondern ein früheres: das Zusammenkommen von Pyramus und Thisbe (so schon in gradūs 59, coīssent 60, iter 69, per illud 69, trānsīre 70, cōnstiterant 71, obstās 73, iungī 74, patērēs 75, trānsitus 77, pervenientia contrā 80): solitum locum, coiēre, murmure parvō, questī. Dann aber beginnt ein neues Sachfeld mit statuunt Das Sachfeld der Beschlüsse umfasst erneut Wörter des Gehens und Treffens (excēdere 85, exierint 86, relinquant 87, spatiantibus 87, conveniant 88) und des Gebäudes (foribus 85, domō 86, urbis tēcta 87), einer Spezialform der Baulichkeiten (ad busta Ninī 88) und des Gegensatzes dazu: Natur, Freies Gelände (lātō arvō 87, sub umbrā arboris 88 f., arbor 89, niveīs ūberrima pōmīs 89, ardua mōrus 90, gelidō contermina fontī 90). In diesem Sachfeld „Natur“ kann man auch einen Anschluss an das Sachfeld „Einflussbereich der Götter“ sehen. Die Natur ist ein Raum der Menschen und der Götter. Wer sich so semantisch durch den Text bewegt, wird alle gefundenen Wörter in einen Zusammenhang bringen und dabei die Einordnung in den Satz vornehmen müssen, also die Syntax zum Verständnis des Textes heranziehen müssen. Umgekehrt war selbstverständlich die syntaktische Gliederung der einzelnen Sätze von einer ständigen inhaltlichen Erschließung bzw. einem ständigen Versuch, den Inhalt zu erfassen, begleitet. Was jeweils die Leitlinie und die Zusatzlinie ist, wird der Leser selbst bestimmen. 9. Erschließung in Verbindung mit einer kreativen Zusatzaufgabe Als Aufgabe kann man manchmal sogar geben, gleich die Erfassung des Textes mit einer produktiven Rezeption zu verbinden. Das sind in der Regel diese beiden: 1. Erfassen Sie die einzelnen Abschnitte und schlagen Sie eine Verbildlichung vor. 2. Erfassen die einzelnen Abschnitte und überführen Sie sie in ein Film-Drehbuch unter Beachtung der Tempora und der Personen sowie der Hinweise, ob es sich um eine Rede, einen Dialog, einen Gedanken oder eine Aktion handelt. Es ist erstaunlich, wie sehr dies Schüler darauf führt, den Text zu erfassen und ihn sich zu veranschaulichen. Sie erleben ihn. Das geht, wenn man die Satz- und Texter-

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schließung ohne eine solche kreative Zusatzaufgabe unternimmt, ebenso. Man muss nur eben zulassen, dass die bildlichen Inhaltsvorstellungen auch Gegenstand der Schüler-Äußerungen, des Lehrer-Schüler-Gesprächs und des Gesprächs der Schüler untereinander werden und nicht nur auf das rasche Übersetzen gedrängt wird. Mit dem Begriff „kreative Zusatzaufgabe“ soll genau dies ausgedrückt sein: Auch die Erschließung semantischer und syntaktischer Art ist kreativ (und ein später erfolgendes Übersetzen natürlich erst recht). 10. Vokabelbedeutungen und sogenannte Übersetzungshilfen Bei den Vokabeln gehen die Anforderungen oft weit, und sie könnten unterschiedlicher nicht sein. Manche fordern, dass statt schnell zu verarbeitender Wortangaben auch noch Hilfen zur Wortbildung gegeben werden und Aufgaben gestellt werden, die das Herleiten von Vokabeln in Gang setzen. Das ist alles schön. Aber man muss sich entscheiden: Vokabeln neben dem Text sollen schnell helfen, den Text zu erarbeiten. Vokabeln im Grundwortschatz oder Lernwortschatz sollen lernbare moderne Bedeutungen angeben. An anderer Stelle können andere Aufgaben gegeben werden. Man stelle sich nur vor, dass man bei der Sinnerfassung eines Satzes oder Textes ist und dann erst einmal Wortbildung lernt und eine Vokabel herleitet. Die Texterschließung darf nicht unterbrochen werden. Etwas anderes ist es, wenn vor oder während der Texterschließung die semantische Differenzierung von Vokabeln erfolgt. Diese dient ja dazu, den Text besser zu verstehen, herauszuarbeiten, was genau gemeint ist, die appellativen Funktionen und die Gefühlswerte eines verwendeten Wortes zu erfassen. Dazu ist sowohl die vorherige Beschäftigung mit der differenzierten Bedeutung von Vokabeln sinnvoll als auch die Darlegung während des Erschließungsvorgangs. Denn es geht jetzt ja immer um das Verständnis des Textes, nicht um anderes, was auch wichtig sein mag, aber nicht für die Texterschließung, sondern für das Verständnis römischen Denkens oder einfach für die Fähigkeit, selbstständig lateinische Wörter zu bilden und ihre grundsätzliche Bedeutung zu verstehen. Man kann immer wieder merken, welche Textausgaben auf das Textverstehen Wert legen und welche nur das Übersetzen anstreben. Beispiel 1: Der auf Übersetzung Ausgehende sagt schnell: „Ordne“ (als hätten die Autoren unordentlich geschrieben) und reiht dann die lateinischen Wörter in deutscher Satzstellung auf, so dass sie 1:1 ins Deutsche umgesetzt werden können. Der aufs Verstehen Ausgehende sagt: Der Satz zeichnet sich durch viele Hyperbata aus, versuche, sie zu finden und ihre Wirkung zu erklären. Beispiel 2: Der aufs Übersetzen Konzentrierte sagt bei einem Prädikat wie dictum: Ergänze est. Dann weiß der Schüler: „Ich muss ein ‚ist‘ hinzufügen.“ Wer den lateinischen Text verstehen lassen will, sagt: „dictum steht ohne est“ Dann reagiert der

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entsprechend geschulte Schüler etwa so: „Ach, das ist Monumentalisierung, Kurzstil. Warum verwendet ihn Livius hier?“ Beispiel Livius, ab urbe condita 1,16,2: (Romana pubes) … satis crēdēbat patribus, quī proximī steterant, sublīmem raptum procellā: Die Angabe sollte nie lauten: „Ergänze esse “ Dann meint man, der Autor könne kein Schullatein und man müsse ihn verbessern. Die Angabe ist eine falsche Übersetzungshilfe, denn sie führt zu schulmäßiger Übersetzung: „Die römische Mannschaft … glaubte den Vätern, dass er (Romulus) nach oben entführt worden ist.“ Die Angabe muss lauten: „ohne esse“. Das ist ein Hinweis auf den Stil. Eine monumentalisierende Übersetzung ist zwar nicht immer möglich, aber die Interpretation ist jetzt möglich: Warum ist der Text so formuliert? „Sie glaubte den Vätern: Nach oben entführt von einem Windstoß!“ Dieser Glaubensinhalt steht nun fest im Gedächtnis des Lesers. Beispiel 3: Immer noch findet sich in Textausgaben die Angabe, ein Wort bedeute „hier“ etwas anderes als sonst. Man beschränkt sich auf die vorgeschlagene Übersetzung. Wieso ein Wort plötzlich etwas anderes als sonst bedeuten soll, wird nicht erklärt. Die bildhafte Grundbedeutung wird oft unterschlagen und damit oft auch das jeweilige Sprachniveau des Textes. Man müsste also wenigsten einmal grundsätzlich erläutern: „hier“ meint: im Zusammenhang des Textes wird für das mit anderen Bedeutungen gelernte Wort eine spezielle Übersetzung vorgeschlagen. 11. Gliederung eines Textes oder eines Textabschnitts Durch das Unterstreichen der Verbformen ist bereits eine Gliederung durch Tempora deutlich geworden, in diesem Textabschnitt unterstützt nur ein Zeitadverb die Gliederung, außerdem das Prädikativum postera 81 und eine lokale Verweisform ibi 89. Es ergibt sich: 81–82: zeitlicher Fortschritt gegenüber dem Vorigen; Hintergrund für das Folgende durch resultatives Plusquamperfekt (remōverat 81, siccāverat 82). 83: erste Erzähletappe: coiēre (narratives Perfekt). 84: zweite Erzähletappe statuunt im Reportagepräsens (szenischen Präsens) mit Voretappe questī als p. c. Danach Inhalt der Beschlüsse 84b–88: Sie gelten für die Zukunft. Es sind drei Abschnitte, mit -que (6) und -ve (87) angereiht. Der zweite wird durch einen Temporalsatz, der dritte wird durch einen Finalsatz erläutert. 89b–90: Erläuternder Kommentar der Erzählerin im durativen Imperfekt erat contermina (90).

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12. Vergleich mit anderen Erarbeitungsansätzen 12 1 Filtertexte Früher gab es das Verfahren der Filtersätze oder -texte (textes d’approche) oder das Angebot vieler Hauptsätze, die dann zu einem Satz zusammengesetzt wurden, die von ihrem Erfinder Werner Kempkes so bezeichnete gradatim-Methode.31 Das ist ein sinnvolles Verfahren, wenn eine grammatische Erscheinung eingeführt wird, denn man kann so die Einbettung eines Satzes in einen anderen sehen, verstehen und lernen. 12 2 Mehrfaches Angebot vom vereinfachten bis zum Originaltext Mittlerweile gibt es Textausgaben, die einen Text in mehreren Versionen anbieten, erst sozusagen ein Gerüst eines Satzes, dann denselben Text mit den Gliedsätzen des Textes, dann wiederum diesen Text nun auch noch mit den typisch lateinischen Satzstrukturen wie Participium coniunctum, Ablativus absolutus, -nd-Fügungen.32 Dieses Verfahren ist eher langweilig. Mehrfach soll sich der Schüler mit Texten in veränderter Form herumschlagen. Zudem kann man einen Text ohne die ausgelassenen Informationen gar nicht richtig verstehen, weil die Voraussetzungen fehlen, die der Autor des Originaltextes gegeben hat. Das Verfahren soll zudem der Differenzierung dienen und Schülern mit weniger guten Leistungen helfen. Wie sollen sie sich aber jemals mit dem Originaltext auseinandersetzen können? Das kolometrische Verfahren geht den umgekehrten Weg und mutet allen Schülern den Originaltext zu, lässt sie dann aber nach festen Regeln selbst die Sätze gliedern und in einzelne Segmente zerlegen. Das Verfahren des mehrfachen Angebots eines Textes in immer komplizierterer Form ist ganz vom Übersetzungszwang geprägt. Das Verfahren des kolometrischen Gliederns strebt das Verstehen an. Zusatz: Am schönsten gelungen ist das Verfahren des Angebots von Filtertexten vor dem Originaltext nicht in einer deutschen Ausgabe, sondern in einer amerikanischen Livius-Ausgabe.33 Diese gibt durchweg einen vereinfachten lesbaren Text und

31 32 33

Werner Kempkes: Einführung in Gradatim. Herunterladbare PdF, 15 Seiten: https://www gra datim-methode de/ Beispiel: Ulrich Tipp: Krieg gegen die Helvetier. Caesar, De bello Gallico 1, 2–30. Lektüreprojekt für den binnendifferenzierten Unterricht, Bamberg (Reihe Einzellektüren Latein) 2014. Milena Minkova / Terence Tunberg: Reading Livy’s Rome. Selections from Books I–VI of Livy’s Ab Urbe Condita, Wauconda, Illinois USA (Bolchazy-Carducci Publishers, Inc.).

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im Anhang den Originaltext. Die Einleitung hebt hervor: Das Werk des Livius ist so bedeutend und hat so viel Nachwirkung, dass es gelesen werden muss. Aber für solche, die Beginner sind und erstmals einen lateinischen Text lesen, sind Hilfen geschaffen: ausführliches Vokabular, grammatische Erklärungen, Paraphrase des Inhalts in Lehrbuchlatein vor dem angebotenen vereinfachten Text (das bringt wirklich ein Vorverständnis und eine sogenannte Vorentlastung), Zwischenüberschriften in Englisch, die sofort auf den Inhalt führen. Die Kapitel jeden Buches sind so gestaltet, dass die des 1. Buches am meisten vereinfacht sind, die des sechsten am wenigsten, so dass sich nicht eine Progression durch dreifaches Lesen eines Kapitels ergibt, sondern durch langsame Steigerung des Schwierigkeitsgrads von Buch zu Buch. 12 3 Interlinearversionen Es wurde auch vorgeschlagen, Texte mit Interlinearversionen zu drucken. Der Originaltext ist mit weitem Zeilenabstand gedruckt. Zwischen den Zeilen mit dem Originaltext steht eine deutsche Interlinearversion. Auf den ersten Blick erinnert dies an das Verfahren der Schüler, die sich über den lateinischen Text die Vokabelbedeutungen schreiben, egal ob sie die richtige oder eine unpassende im Wörterbuch gefunden haben. Aber dieses Verfahren der Schüler zeigt doch gerade, dass sie sich einen Satz und einen Text von vorne nach hinten erarbeiten und sich dabei zunächst auf einer semantischen, also inhaltlichen Linie bewegen. Deswegen ist es eher angebracht, dass sich lesende Schüler ihre Interlinearversionen selbst erstellen, statt vorgegebene zu lesen, die ja schon wieder eine Interpretation dessen sind, der die Interlinearversion erstellt hat. 12 4 Inhaltsangaben und Bilder als Verständnishilfe Das Gliedern von Sätzen ist insofern nur die Übertragung natürlichen Leserverhaltens in eine Methode. Das Verfahren ist sinnvoll. Denn wenn man den Inhalt eines Satzes oder Textes kennt, kann man die Sätze leichter exakt erschließen und in ein besseres Deutsch übertragen. Zu einem solchen Vorverständnis verhelfen auch passende Bilder als Einstieg in die Texterschließung. Schüler schildern, was sie auf den Bildern erkennen. Der Lehrer kann helfen. Manchmal erzählt dann ein Schüler aus eigener Kenntnis schon den gesamten Mythos oder die gesamte Historie, um die es im Text geht. Er sollte dabei nicht gebremst werden. Die anschließende Erarbeitung des Textes verläuft dann wie im Fluge. Die Abweichungen von dem, was vorher erzählt wurde, und die besondere Ausformung des Stoffes gegenüber der allgemeinen Inhaltsangabe werden um so schneller deutlich. Eine ähnliche Funktion hat die Vorführung eines Filmes oder einer Filmszene.

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In diesem Zusammenhang kann man darauf hinweisen, dass Michael von Albrecht Ovid-Ausgaben des 17. und 18. Jahrhunderts mit Tafeln, die jeweils den Inhalt eines Buches der Metamorphosen illustrieren, als „Gedächtnisstütze“ ansieht, die „einen Überblick über den Aufbau der einzelnen Bücher“ vermitteln. Da es sich dabei aber auch um zum Teil wenig bekannte Metamorphosen handelt, ist dies eher etwas für Philologen und fortgeschrittene Leser, als nachträgliches Resümee geeignet, nicht als Einstieg.34 13. Interpretation in größeren Zusammenhängen Wie könnte eine weiterführende Interpretation bessere Grundlagen haben, als wenn die Interpretierenden auch den kleineren und größeren Zusammenhang zu berücksichtigen gelernt haben. In unserem Beispiel Ovid, Met 4,83–90: a) Der kleinere Zusammenhang: Der Textabschnitt nimmt mit multa prius questi das vorher Geschilderte auf: Die Liebenden haben gelitten, die Liebenden haben geklagt, sogar die Wand mit nachträglicher Entschuldigung, dass sie doch immerhin den Spalt gewähre, angeklagt. Indem Ovid bzw. seine Erzählerin daran erinnert, wird verständlich, dass die Liebenden jetzt von einer Lösung träumen und in einem langen Satz alle Einzelschritte dieser Lösung besprechen. Es wird auch deutlich, dass vieles ein Wagnis ist und dass manches eine Scheinlösung sein kann. Der Treffpunkt, das Grab des Ninus, erfüllt einige Qualitäten des locus amoenus, ohne dass gerade diese Qualitäten in der Nacht benötigt werden. In der Realität verläuft dann alles ganz anders, weil sie nicht bedacht haben, dass außer der Vermeidung des örtlichen errāre auch andere Kriterien wichtig sind: Gefahrenvermeidung, Pünktlichkeit, absolute Verlässlichkeit in der Ausführung der Planung. b) Im etwas größeren Zusammenhang (der in der Schule nicht berücksichtigt werden kann) weckt der tragische Ausgang der Planung, das gegenseitige Verfehlen, die Erwartung, welche schlimmeren Geschichten noch folgen. c) Im großen Zusammenhang der Metamorphosen aber trägt die Pyramus-und-Thisbe-Geschichte viel zur Erhellung des Menschenbildes bei, das Ovid hier vermittelt. Man soll ja immer die vom Autor formulierte Darstellungsabsicht berücksichtigen. Und außer dem perpetuum carmen und der Ankündigung von Neuem und von ständiger Verwandlung im Proömium stellt er ja in der Kosmogonie die Erschaffung des Menschen als Höhepunkt dar: 34

Michael von Albrecht, Ovids Metamorphosen. Texte, Themen, Illustrationen, Heidelberg 2014, 15–80 („Bücher als Leseeinheiten: Gesamtdarstellung mit Abbildungen“. Die Abbildungen stammen aus: Ovid’s Metamorphoses, Translated by the Most Eminent Hands, Adorn’d with Sculptures, Amsterdam 1717. Ausführlich von Albrecht ebda. S. 226–228 (Anm. 3).

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In seiner Kosmogonie (Metamorphosen 1,76–86) hatte er ja behauptet: 76 Sānctius hīs animal mentisque capācius altae 77 deerat adhūc et quod dominārī in cētera posset. 78 Nātus homo est, sīve hunc dīvīnō sēmine fēcit 79 ille opifex rērum, mundī meliōris orīgō, 80 sīve recēns tellūs sēductaque nūper ab altō 81 aethere cognātī retinēbat sēmina caelī. 82 Quam satus Īapetō mixtam pluviālibus undīs 83 fīnxit in effigiem moderantum cūncta deōrum. 84 Prōnaque cum spectent animālia cētera terram, 85 ōs homini sublīme dedit caelumque vidēre 86 iussit et ērēctōs ad sīdera tollere vultūs.

76 Ein Lebewesen, heiliger als diese und mehr fähig zu hohem Sinn, 77 fehlte noch, eines, das über alle anderen Alleinherrschaft ausüben konnte. 78 Geboren wurde der Mensch, sei es, dass ihn aus göttlichem Samen gemacht hat 79 jener Macher der Dinge, der Ursprung einer besseren Ordnung, 80 sei es, dass Mutter Erde, die ganz neue und erst vor kurzem vom hohen 81 Äther getrennte, noch Samen des ihr verwandten Himmels bewahrte. 82 Sie hat dann der von Iapetus Entstam­ mende mit Regenwassern vermischt 83 und nach dem Bild der das All regieren­ den Götter geformt. 84 Und während die übrigen Lebewesen nach vorn geneigt zur Erde blicken, 85 hat er dem Menschen ein Gesicht gege­ ben, das in der Höhe ist, und dass es den Himmel sieht, 86 hat er angeordnet und dass es seinen Blick aufrichtet und zu den Sternen hebt.

Ovid sagt, dass ein Lebewesen fehlte, das fähiger zu hohem Denken ist. Er lässt es zunächst offen, ob dies der Mensch ist. Ovid sagt, es fehlte ein Lebewesen, das über die übrigen Lebewesen herrschen konnte (in cetera dominārī). Der Konjunktiv posset kann vielseitig gedeutet werden. Den meisten liegt es nahe, ihn einfach als irgendwie „konsekutiv gefärbten“ Konjunktiv im Relativsatz zu deuten. Aber das ist nur eine manchmal abwegige, manchmal nichtssagende grammatische Erklärung, die an vielen Stellen zu Recht von keinem Schüler verstanden werden kann. Man könnte ja auch poterat oder potest schreiben. Der Konjunktiv posset ist als entweder ein Potentialis (man erwartet, dass der Mensch über die anderen Lebewesen herrscht) oder Irrealis (der Mensch war geplant als Lebewesen, „das die Herrschaft hätte ergreifen können“). Die weitere Darstellung in dem Abschnitt über die Weltalter zeigt nur Spuren einer Herrschaft, indem der Mensch Natur und Tiere nutzt, um Schätze zu heben und Transporte zu ermöglichen. Eine Herrschaft über sich selbst, eine alta mēns, hat er kaum, ja verliert sie sogar, falls er sie jemals gehabt haben sollte. Ovid unterscheidet nicht wie die Genesis zwischen der Entstehung von Mann und Frau. Die Frau wird nicht etwa aus der Rippe des Manns geformt, sie ist ebenso uranfänglich wie der Mann. Er sieht die Rolle Jupiters eher negativ (anders als Vergil in den Georgica 1,125–146). Jupiter schafft eine unvollkommene Welt. Die Lenkung der Götter wird als moderārī von „allem ohne Ausnahme“ (cūncta) bezeichnet (83), die Lenkung

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der Menschen als dominārī über die übrigen Lebewesen (77). Moderārī ist ein geregeltes In-Schranken-Halten, ein Regeln und Herrschen; dominārī ist Gewaltherrschaft. Das zeigt sich in der Darstellung der Weltalter. Der Unterschied ist graduell, aber der Mensch muss offenbar um seine Herrschaft kämpfen und sich durchsetzen. Die Menschen sind eine Kleidung der tellus (87 f.: induit). Dass die Menschen mit Gewalt herrschen, zeigt die geknechtete Kreatur schon im Silbernen Zeitalter (pressī iugō gemuēre iuvencī, 124), die pervertierte Natur im Eisernen Zeitalter (1,132–136), die zerfleischte Schöpfung (138–140), der Krieg aller gegen alle (141–148), das völlige Verschwinden von pietās (149) und Gerechtigkeit (deren jungfräuliche Göttin Astraea die Erde verlässt, 150). Vv. 1,129–131 besagen: Jetzt herrschen omne nefās, fraudēs dolīque, īnsidiaeque et vīs et amor scelerātus habendī Pudor fehlt und vērum und fidēs. Dass Götter an Regelungen bei der Herrschaft denken, zeigt sich dann an Jupiter, der am liebsten die ganze Erde zur Bestrafung der sich schlecht verhaltenden Menschen mit Blitzen übersäen will, dann aber einen Weltenbrand befürchtet und zum Mittel der Sintflut greift (1,253–261). Innerhalb dieser Schöpfungsgeschichte sind die Minyaden unvollkommen, denn sie ehren Dionysos nicht, und die von ihnen dargestellten Menschen sind erst recht unvollkommen. Sie sind zwar jung und kennen keine Schlechtigkeit, aber sie beherrschen die Natur nicht mehr und nicht andere Lebewesen. Die Löwin erschreckt Thisbe, die Menschen unterliegen Fehldeutungen oder Fehlschlüssen. Die meisten Metamorphosen enden nicht nur mit einer Verwandlung, sondern auch mit einem Tod. Dieser Unterschied zu den Göttern macht die Erschaffung des Menschen zwiespältig. Ovid lässt es zunächst offen, ob der Mensch von einem göttlichen opifex rērum erschaffen wurde (1,78 f.) oder ob der Mensch aus göttlichem Samen entsteht (1,80f), den die frisch geschaffene Erde noch enthielt. Diese Alternative kennzeichnet er durch sīve – sīve. Dann aber geht er in eine Tatsachenschilderung im Indikativ Perfekt über (fīnxit, 83) und beschreibt, dass Prometheus diese Erde mit Regenwasser vermischte und daraus den Menschen nach dem Bild der Götter formte.35 Was von all dem, was den Menschen ausmacht, ist bei Pyramus und Thisbe noch erhalten? Oder anders gefragt: Was ist nicht erhalten? Haben Pyramus und Thisbe einen Geist, der zu Hohem befähigt ist (76), herrschen sie über andere Lebewesen (77)? Richten sie den Blick zu den Sternen auf (86)? Nein. Aber sie verlassen sich nicht im Sterben. Pyramus wird von Thisbe angesprochen: vultūs attolle iacentīs (144), zu ihr, nicht zu den Sternen (1,86). Und er hebt noch einmal den Blick zu ihr: oculōs iam morte gravātōs / ērēxit vīsāque recondidit illā (145 f.). An die

35

Verspottet von Iuvenal, Satire 6,1–24, der die gesamte Vorstellung vom Goldenen Zeitalter, ob bei Ovid, ob bei Seneca, ep 90, ironisiert.

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Stelle des Blicks zum Himmel (1,86) ist der Blick zum geliebten Menschen getreten. Die Verwendung derselben Wörter (at)tollere und ērigere ist nicht zufällig. Sie fordert zum Vergleich beider Passagen auf. Dass das Liebesverhältnis von Pyramus und Thisbe von imaginären Werten und von Traumvorstellungen geprägt ist, die sich nicht bewahrheiten, ist da zweitrangig. Beide geben ihrem Tod einen Sinn, das ist es, was Menschenleben und Menschlichkeit ausmacht. Thisbe hat diese Bitte an die nicht anwesenden Väter gerichtet, diese haben die nicht gehörte Bitte erfüllt. Dies verbindet Kinder und Eltern zu einer Menschlichkeit im Tod. (Der Sinn muss nicht immer in Liebe bestehen.) Das Rätsel, wie die Wünsche Thisbes, die ja stirbt, überhaupt die Eltern erreichen können, kann hinterfragt werden. Ovid schreibt vōta tamen tetigēre deōs, tetigēre parentēs (4, 164). Dass die Wünsche die Götter berühren, wird dann durch die Farbe der Früchte (also durch die Natur) bewiesen: nam color in pōmō est, ubi permātūruit, āter (4,165). Dass die Wünsche die Eltern berühren, wird durch die Vermischung der Asche beider Liebenden in einer Urne belegt: quodque rogīs superest, ūnā requiēscit in ūrnā (4,166). Wie aber dieses tangere vor sich geht, bleibt unerklärt. Es wird aus Symptomen oder Indizien (schwarze Farbe, eine einzige Urne) geschlossen. Es sind Beweise ex eventū, Wahrscheinlichkeitsargumente. Bei den Göttern ist alles möglich, die Natur mag in einer Art Sympatheia mitspielen. Bei den Menschen mag eine nachträgliche Einsicht eine Rolle spielen, ein Common sense oder die Einsicht in die allen gemeinsame Natur des Menschen, die Autoren der Zeit in ihren Werken zum Thema machten (z. B. Cicero, de officiis 1, 12: „Eben diese Natur des Menschen … pflanzt in ihm eine Art Liebe ganz außerordentlicher Art zu denen ein, die gezeugt worden sind, und drängt dazu, dass er den Willen hat, dass es Festlichkeiten gibt und dass sie von ihm besucht werden, und ebenso drängt sie dazu, dass er aus diesen Gründen das beschafft, was die Grundlage zu kultivierter Lebensführung bietet, nicht für sich allein, sondern für die Ehefrau, die Kinder und die übrigen, die ihm teuer sind und die zu schützen er verpflichtet ist.“) Ovid lässt es offen, der Leser kann sich Positives denken oder aber die längere Darstellung von Gefühlen an dieser Stelle vermissen. 14. Vertiefung an einem weiteren Beispiel – – –

Alle Wege zum Textverstehen sollten die Vermittlung des grammatischen Stoffs leiten. Alle Wege zum Textverstehen können im Grammatikunterricht bei Lehrbuchtexten eingeführt und geübt und dann bei der Lektüre von Originaltexten angewendet und weiter geübt werden. Alle Wege sind aber auch Bestandteil des Textverstehens und können einzeln oder in Kombination aus mehreren Wegen geprüft werden, also Gegenstand der Lernerfolgskontrolle sein.

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Die dargestellten Erschließungsformen sind weitgehend vom Schüler handhabbar. Das gilt sogar für die semantische Erschließung. Diese halte ich für schwieriger als die syntaktische. Denn man muss Wörter kennen und man muss Wörter deuten. Aber auch die Ausgänge der Wörter im Satz haben ja semantische Funktion, sie bezeichnen Tempus, Modus, Diathese, Personen, Kasus, Subjekte, Objekte, adverbiale Bestimmungen, angeredete Personen, sprechende Personen, Besprochenes. Deswegen kann man sich bei einer rein semantischen Erschließung zunächst und für den Anfang eher auf vorgegebene Sachfelder und garantiert darauf ohne jede Deutung beziehbare Wörter beschränken. Erst nach und nach wird man zu einer Thema–Rhema-Gliederung und -Aufgabe übergehen und verlangen: „Stelle ein Sachfeld im ersten Satz fest. Stelle sodann weitere Ausdrücke zusammen, in denen sich dieses Sachfeld fortsetzt.“ Immer aber sollte man dabei schon verlangen oder im mündlichen Unterricht mit den lesenden Schülerinnen und Schülern besprechen: Ordne das Wort in den Satzzusammenhang ein, mit welchen Wörtern bildet es eine kleine Gruppe? Das läuft zum Teil auf das seit alters bekannte Erschließen nach der sogenannten analytischen Methode hinaus, die Inhaltserfassung und Syntaxerfassung kombiniert und daher auch kombinierte Methode genannt wurde. Man muss nur in aller Deutlichkeit sehen und in aller Striktheit festhalten: Die genannten Methoden der Satz- und Texterschließung kann der Schüler lernen und anwenden. Sie sollen immer einer eventuellen Übersetzung vorausgehen, sie sollen nie nach der Übersetzung erfolgen. Oder umgekehrt: Die Übersetzung hat ihren Platz am Ende der Erschließung und ersten textbezogenen Interpretation, nicht davor. Zudem kann man das Übersetzen auf einen kleineren Abschnitt eines Textes beschränken, denn es zeigt sicher im Lateinunterricht geschulte Qualitäten, muss und darf aber nicht ein solches Übergewicht haben, dass alle anderen Aktivitäten, die im Unterricht womöglich sogar mehr Zeit beanspruchen, dann in der Überprüfung unterbewertet oder gar nicht berücksichtigt werden. Zudem muss man sich klarwerden, was man von einer Übersetzung verlangt: Übersetzungsdeutsch oder gutes Deutsch? Beispiele (Ü= Übersetzungsdeutsch, G= gutes oder zumindest akzeptables Deutsch): Ü: crās veniam, „morgen werde ich kommen“ (im Deutschen reicht „morgen“, veniam mit Futur zu übersetzen ist eine völlig überflüssige doppelte Zeitangabe36); 36

Erich Neu bezeichnete einmal (mündlich) das Futur als einen „Luxus der Sprache“. Entsprechend spät ist es in das lateinische Tempussystem eingefügt worden, teils in Anleihung an die eine Möglichkeit ausdrückenden Konjunktivformen (in der konsonantischen und der i-Konjugation), teils durch Ausleihe des Zeichens b aus dem Imperfekt mit neuen Sprechvokalen. Vgl. Erich Neu: Die Bedeutung linguistischer Forschung für den Lateinunterricht, in: Alte Sprachen in Rheinland-Pfalz 22,1,1976,3–16, bes. 12 zum Futur, das ursprünglich ein Modus mit den Moduszeichen ē und ā war; in der ā- und -ē-Konjugation wurden dann, als das Futur auch Tempus wurde, b-Zeichen vom Imperfekt her weitergebildet.

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G: „morgen komme ich“. Ü: et – et, que … que „sowohl als auch“; G: „erstens … zweitens“; „--- und …“ Ü: alte (im Übrigen schöne) Konjunktivformen; G (?): die vom Duden genehmigten und überall verwendeten würde-Umschreibungen. Ü: Perioden in Nachahmung der lateinischen Perioden G: kürzere Sätze, weil die langen Sätze niemand mehr versteht oder anwendet (dass die Nachahmung lateinischer Perioden das Gefühl für Satzbau und die weiträumige Satzplanung ohne ständig eingeschobene „ähs“ und „ems“ schult, wird damit nicht bestritten). Ü: substantivierte Übersetzung des Abl. abs. (sogenanntes -(K)ung-Fu-fighting); G: Wiedergabe des Abl. abs. als eigener HS oder GS. Ü: die Übersetzung der substantivischen -nd-Form (sog. Gerundium) mit Substantiv: ars legendī, „die Fähigkeit des Lesens“). G: Die Übersetzung des Gerundivums mit Infinitiv: „die Fähigkeit zu lesen“. Die dahinter stehende Erklärung ist: nach „zu lesen“ fragt man: „was für eine Fähigkeit? – „zu lesen“ ist also Attribut, das Lateinische drückt das als Genitiv-Attribut aus, das Deutsche nicht. Ü: Die Übersetzung der adjektivischen -nd-Formen (Gerundivum) mit „zu“, obwohl keinerlei Notwendigkeit mit dieser -nd-Form ausgedrückt wird, sondern höchstens eine Finalität: Berühmtes Beispiel: librōs tibī legendōs dō, „ich gebe dir zu lesende Bücher“, G: „Ich gebe dir Bücher zu lesen“. Ü: liber mihi legendus est: „mir ist das Buch ein zu lesendes“ (tatsächlich immer noch auf Websites zu Stilübungen mancher Universitäten als sogenannte „Hilfe“ zu finden); G: Ich muss das Buch lesen.37 Ganz wichtig aber ist: Das Erfassen von Kola lässt dem Leser Zeit, sich innerhalb der Kola zu bewegen und den Sinnzusammenhang immer in Verbindung mit Inhaltserfassung bis ins letzte Detail erarbeiten. Grammatikarbeit und Sinnerfassung durchmischen sich und die Grammatik wird als Mittel der Sinnerfassung und der Interpretation erkannt und erlebt. Die Chance des Lateinunterrichts ist nicht das Übersetzen. Die Chance ist das genaue Nachvollziehen eines herausragend geplanten Textes mit vielen Sinnen (Hörsinn, Gesichtssinn, Sprechen), mit Gefühl und mit Verstand. Dazu das weitere Beispiel (Ovid Met 4,93–95):

37

Zu wenig im Unterricht rezipiert: der exzellente Aufsatz von K. Strunk: Über Gerundium und Gerundivum, in: Gymnasium 69,1962, 445–460.

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93 Callida per tenebrās versātō cardine Thisbē 94 ēgreditur fallitque suōs adopertaque vultum 95 pervenit ad tumulum dictāque sub arbore sēdit: Die Abfolge der Bilder und der bildlichen Eindrücke sind: – 93 Callida – Thisbe ist schlau oder handelt schlau, wie? – – per tenebrās – es ist dunkel, denn es ist Nacht, per tenebrās zeigt einen längeren Verlauf: durch die Dunkelheit hindurch: während es dunkel ist. – Da: versātō cardine: die Türangel dreht sich. Klar, das macht Thisbe, schlau und im Dunkeln, aber warum schlau? – Türangeln machen normalerweise ein quietschendes oder knarrendes Geräusch, das muss Thisbe vermeiden.38 Jeder Römer erwartet das Quietschen, Thisbe vermeidet es. – Und dann „S-C-H-R-E-I-T-E-T sie hinaus, langsam, leise“. Das bedeutet Thisbē 94 ēgreditur Der Übersprung des Satzes von v. 93 auf v. 94 ist in Fortsetzung der Hyperbata jetzt (metrisch gesehen) ein Enjambement. – Klar ist daher, dass niemand es merkt: Sie bleibt ihren Leuten unbemerkt: fallitque suōs. – Und dann erst scheint sie ihr Gesicht zu verhüllen; adopertaque vultum, adoperta ist eindeutig nicht auf ēgreditur bezogen, sondern auf pérvenit. Thisbe verhüllt also nicht ihr Gesicht, um ihren Leuten unbemerkt zu bleiben, das schafft das schlaue und vorsichtige Drehen der Türangel. Das ist ja auch klar, denn jeder, der beim Öffnen der Tür bemerkt würde, würde festgehalten, ob mit, ob ohne Verhüllung des Gesichts. Sie will nicht als Frau und als Thisbe in der Nacht erkannt werden, wenn sie durch die Stadt läuft. – Und so kommt sie nach einem längeren Weg (per- in pervenit) zum Grab des Ninus: pervenit ad tumulum. – Und da sieht sie den Baum, von dessen Schatten Pyramus und Thisbe gesprochen haben und den die Erzählerin genannt hat (dictāque sub arbore), und lässt sich unter ihm nieder (sēdit). Wie viel Weg, wieviel Schlauheit Thisbes, wie viel Treue zum Versprechen wird da geschildert! Das ist die Freude am Text. Sie wird nicht durch frühzeitiges Übersetzen und durch Behandlung der deutschen Übersetzung statt des lateinischen Textes erreicht. Es ist klar: Das ist genießendes Lesen. Es braucht Zeit. So sollten auch Überprüfungen erfolgen: Wenig Text, aber der soll ausgeschöpft werden. 38

Beispiel aus Komödien: Plautus, Mostellaria 1061: (Theopropides erscheint in der Tür von Simos Haus, Tranio hört das Quietschen der Tür) Sed quid hoc est, quod foris concrepuit proxima vicinia? (Er sieht Theopropides, aber wittert keine Gefahr) 1062/1063 Erus meus hic quidem est. Gustare ego eius sermonem volo.

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Vorbereitet wird dieses Ausschöpfen des Textes wieder durch das kolometrische Gliedern. Es kann auch mit der oben gezeigten Verbildlichung kombiniert werden. Nr

Grammatische Beschreibung

Lateinisches Kolon

S/B deutsch

Bezug auf

1

HS, Beginn, Prädika­ 93 Callida per tenebrās tivum und Adver­ biale

­

Schlau im Dunkeln der Nacht

3

2

Abl. abs. im HS

B

dreht Thisbe die Türangel

3

3

Subjekt und Prädikat Thisbē 94 ēgreditur,

S

und schreitet hinaus,



4

2. HS

fallitque suōs

S

und sie bleibt ihren Leuten unbemerkt



5

3. HS, p. c.

adopertaque vultum

B

und dann verhüllt sie ihr Gesicht

6

6

3. HS, Prädikat + Präpositionalobjekt

95 pervenit ad tumulum

S

und kommt endlich an den Grabhü­ gel



7

Adverbiale mit p. c. im 4. HS

dictāque sub arbore

B

und unter dem Baum, wie ausge­ macht,

8

8

4. HS, Prädikat

sēdit

S

setzte sie sich hin.



versātō cardine

Kurzfassung der kolometrischen Gliederung: 93 Callida per tenebrās / versātō cardine / Thisbē 94 ēgreditur / fallitque suōs / adopertaque vultum / 95 pervenit ad tumulum / dictāque sub arbore / sēdit Satzverlaufsbeschreibung: Der Satz beginnt mit einem Prädikativum, callida, in beherrschender und das Verständnis lenkender Anfangsstellung; man findet dann, dass Thisbe gemeint ist, ihre Aktion ist ēgreditur. Zunächst aber wird dem Leser vor Augen geführt, dass es dunkel und Nacht ist und Thisbe dies ausnutzt, deswegen steht die Adverbiale per tenebrās sogleich nach callida. Der Satz schildert sodann die erste Aktion Thisbes in einem Ablativus absolutus, durch die Voranstellung von callid-a ist deutlich geworden, dass es Thisbe ist, die dies tut, und dass es ein Teil des schlauen Vorgehens ist. Man muss sich dazu denken, dass das Drehen der Tür normalerweise Geräusche verursacht und This-

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be diese Geräusche vermeidet. Erst dann schließen sich das Subjekt und das Prädikat an. Der lange Abschnitt ab callida zielt auf Thisbe hin. Was sie endlich tut, ist zwar etwas Erwartetes, aber ēgreditur wird durch das Enjambement aufgewertet und in den Fokus gestellt: ē-gre-di-tur, sie schreitet schlau und leise aus dem Haus. Es schließt sich in einem 2. Hauptsatz eine Konsequenz aus dem schlauen Herausschreiten aus dem Haus an, einfach angereiht mit que: fallitque suōs, Thisbe bleibt von ihren Leuten im Haus unbemerkt. Es schließt sich, wieder mit que, ein weiterer Hauptsatz mit Vorhandlung an. Die schlichte Anreihung durch que zeigt eine gelassene Abfolge von Aktionen. Die Vorhandlung ist adoperta vultum, sie verhüllt ihr Gesicht. Jetzt will sie unerkannt bleiben (nicht unbemerkt vor ihren Angehörigen, wie in fallit gesagt, sondern als Frau und Thisbe unerkannt von allen, die nachts auf den Straßen sind). Diese Verhüllung des Gesichts bleibt mindestens bis dahin erhalten, wo sie zum Grab des Ninus kommt. Dies wird nach dem Participium coniunctum als Hauptsatz geschildert (es wird aber nicht gesagt, ob sie jetzt die Gesichtsverhüllung aufgibt). Erneut schließt sich mit que ein Hauptsatz an. Er beginnt mit einer Adverbialen oder einem Präpositionalobjekt: dictā sub arbore; nach dem Grabmal richtet sich der Blick auf den Baum; es wird daran erinnert, dass dieser verabredet war (dicta); und genau dort setzt sich nun die treue und brave und schlaue und zuverlässige Thisbe hin (sēdit). 15. Verfehlter Grammatikunterricht am Beispiel des Ablativus absolutus 15.1 Zur Wiedergabe des Ablativus absolutus sollte gelernt sein: – Der sogenannte Abl. abs. ist eine adverbiale Bestimmung und zwar ein verkürzter Adverbialsatz mit Substantiv im Ablativ und Prädikat im Ablativ. – Das Partizip Perfekt kennzeichnet meist die Vorzeitigkeit. – Das Partizip Perfekt ist normalerweise passivisch. Steht aber das Subjekt des Satzes vor dem Abl. abs., dann besagt dies: Die im vorangestellten Subjekt genannte Person ist auch verantwortlich für den im Abl. abs dargestellten Vorgang. Dann handelt es sich um einen sogenannten kryptoaktiven Ablativus absolutus und er muss aktivisch übersetzt werden. 15.2 Im Beispiel Ovid, Met 4,93–95 steht ein Teil des Subjekts – nämlich callida – vor dem Abl. abs., also ist dieser kryptoaktiv. 15.3 Zudem rahmen callida und Thisbē den Abl. abs. ein. Callida ist also kein Attribut sondern ein Prädikativum, es charakterisiert die Vorgehensweise Thisbes, hat einen Bezug auf versato und egreditur. Per tenebrās steht zwar nicht zwischen cardine und versātō, aber eben zwischen callida und versātō cardine, also lässt es sich zumindest gedanklich auch darauf beziehen.

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Die Reihenfolge der Wörter bestimmt das Satzverstehen: „Schlau dreht in der Dunkelheit die Tür Thisbe.“ 15.4 Falsche Übersetzungen Alles andere sind verkrampfte Übersetzungen, wie sie manche Textausgaben39 und viele Lehrbücher lehren. Sie sind weder deutsch noch adäquat zum Text. Sie sollten nicht präsentiert werden und ein Schüler sollte nicht einmal auf sie kommen dürfen, also die substantivische Übersetzung mit -ung (= Kung Fu fighting) gelernt haben. Aber Lateinbücher und Stilübungen haben möglicherweise Lateinlehrer und Lateinschüler daran gewöhnt, solche entsetzlichen „Verdeutschungen“ nicht als unnatürlich und schlecht zu empfinden. Auf die Übersetzungsvariante „Nach Drehung der Türangel ging Thisbe weg“ sollte überhaupt niemand kommen, denn sie liegt nicht im Bereich deutscher Normalsprache. Wenn jemand den Satz schildert, sagt er: „Thisbe ist schlau, es ist dunkel und sie dreht die Tür.“ Dass das alles in einem Satz und einer Zeile steht, führt auf die Übersetzung „Schlau dreht in der Dunkelheit die Tür Thisbe und geht bedächtig hinaus“; gradī meint ja eher ein langsames „Schreiten“; ēgreditur passt also zum Plan foribus excēdere, der in v. 85 geschildert wurde.40 16. Falsche Übersetzungen aus Lehrbüchern gehören auch nicht in Übungen für Schüler nicht-deutscher Herkunftssprache Es ist daher vorerst noch etwas unverständlich, wie mit solchem Deutsch Latein eine Brückensprache für den Erwerb einer besseren deutschen Sprachkompetenz durch Schüler mit Migrationshintergrund sein soll. Wenn alle sprachlichen Fächer so wie das Lateinische die Grammatikarbeit betrieben, würden sie dies möglicherweise auch erreichen. Aber dann würden sie manchmal die spontane Sprechbereitschaft in den neuen Sprachen behindern. Die Diskussion über eine richtige Wiedergabe und über korrektes oder gar gutes Deutsch kann in der Tat den Lateinunterricht zu einer „Brückensprache“ qualifizieren. Es erscheint mir aber der falsche oder kompliziertere Weg, den Schülern mit Migrationshintergrund erst eine schlechte und eine bessere Übersetzung eines lateinischen Texts vorzulegen und sie dann entscheiden zu lassen, welcher besser ist und aus wel-

39

40

Beispiel Friedrich Maier, Caesar. Weltherrscher. Ein literarisches Porträt, Bamberg 2007, 109 f. Die dort angegebenen Ablativi absoluti kommen zum Teil gar nicht bei Caesar vor oder sind kaum in eine Übersetzung einfügbar bzw. führen zu falschen Zuordnungen. In jedem Fall ist das Deutsch katastrophal. Es lohnt sich, die Wörter für „gehen“ zu beobachten: excēdere, exīre, relinquere, errāre, spatiārī, convenīre, discēdere, praecipitāre, exīre, ēgredī, pervenīre, sēdere, fugere (100).

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chen Gründen. Warum sollen sie mit einer schlechten Übersetzung und das meint in diesem Fall mit katastrophalem Deutsch überhaupt konfrontiert werden? Warum können sie nicht ihre Paraphrase oder Übersetzung eines lateinischen Texts vortragen, und diese wird dann besprochen und verändert? Und warum kann man nicht gleich auf die deutschen Äußerungen eingehen und muss den Umweg übers Lateinische wählen? Vielleicht, weil nur der Lateinunterricht Grammatik lehrt, untersucht und immer wieder bespricht. Das ließe sich als Grund akzeptieren, das Angebot schlechten Deutschs in schlechten Übersetzungen aber nicht. Beispiel41: Eine an sich begrüßenswerte Veröffentlichung über Lateinunterricht für Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache gibt als Beispiel, wie man Sprachkompetenz erreichen könne: „In v. 93 f. liegt mit versato cardine Thisbe egreditur ein Ablativus absolutus vor. Im Folgenden finden Sie drei Übersetzungsmöglichkeiten für diese Konstruktion: 1. Nachdem die Türangel gedreht worden war, ging Thisbe weg. 2. Nach Drehung der Türangel ging Thisbe weg. 3. Thisbe drehte die Türangel und ging weg. Welche Übersetzungsvariante halten Sie für stilistisch gelungen? Begründen Sie Ihre Ansicht.“ Das Beispiel ist aus dem Zusammenhang gerissen und verkürzt, lässt also den kryptoaktiven Ablativus absolutus gar nicht erfassen. Liest man versato cardine Thisbe egreditur und nimmt diesen Beispielsatz ernst, das heißt „beim Wort“, dann steht überhaupt nicht da, wer die Tür öffnet. Möglicherweise ein guter Geist oder ein nicht genannter Bediensteter, auf jeden Fall nicht Thisbe. Der Text Ovids ist also verfälscht. Auf die Übersetzungsvariante „2. Nach Drehung der Türangel ging Thisbe weg“ sollte überhaupt niemand kommen, denn sie liegt nicht im Bereich deutscher Normalsprache. Alle anderen Übersetzungen dürfen Menschen, die Deutsch beherrschen wollen oder sollen, nie angeboten werden. Selbst die offenbar (und im Vergleich mit den anderen Versionen zu Recht) bevorzugte Übersetzung „Thisbe drehte die Türangel und ging weg“ ist also die Übersetzung eines Einzelsatzes und passt nicht zum Textzusammenhang.

41

Aus: Maria Grosse / Katrin Siebel / Stefan Kipf: Zweitsprachenerwerb und lateinische Unterrichtspraxis, darin Kap, 4.6 „Originallektüre als Verbindung von sprachlichem und literarischem Lernen“, in: Stefan Kipf: Integration durch Sprache. Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache lernen Latein, Bamberg 2014, 93–106, Beispiel von S. 104.

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III. Teil Goethes und Schillers Übersetzungen Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass unsere deutschen Dichterfürsten in vielen Fällen genau dem Muster der Texterarbeitung durch Rohübersetzungen und Interlinearversionen folgten, bevor sie an eine eigene Übersetzung antiker Texte gingen. Goethe sprach und las fließend Lateinisch. Aber er übersetzte manche lateinische Texte lieber ins Italienische, weil er den Klang für besser hielt. Und für manche Übersetzungen suchte er Hilfe bei Philologen wie Knebel und Riemer42, die ihm eine wortgetreue Übersetzung liefern konnten. Obwohl er Griechisch nicht so gut konnte wie Lateinisch, es nicht sprach und es sich selbst beigebracht hatte, übersetzte er lieber griechische Dichtung, weil er sie mehr schätzte. Schiller übersetzte gerne lateinische Dichtung und er hatte umfassende Lateinkenntnisse seit seiner Schulzeit. Wenn es aber an griechische Dramen ging, dann griff er auf Übersetzungen in anderen Sprachen zurück. Die deutsche Übersetzung griechischer Tragiker durch Steinbrüchel 1713 „zog er nur gelegentlich zu Rate“. Ausgangspunkt war die französische Übersetzung von Brumoy „Théâtre des Grecs“, verbessert von Prévost, in dieser Fassung seit 1786 in Paris erschienen. Gerne nutzte er dabei Interlinearversionen, besonders die lateinische Interlinearversion griechischer Dramen von Josua Barnes (1694, neubearb. 1778). Am 9. März 1789 schreibt Schiller an seinen Freund und Förderer (manchmal auch finanziellen Förderer) Christian Gottfried Körner (1756–1831):43 „Dein Urtheil über die Iphigenia unterschreibe ich im Grunde ganz, und die Gründe, aus denen Du mich rechtfertigst, daß ich mich damit beschäftigte, sind auch die meinigen: mehr Simplicität in Plan und Stil daraus zu lernen. Setze noch hinzu, daß ich mir, bey mehrerer Bekanntschaft mit griechischen Stücken, endlich das Wahre, Schöne und Wirkende daraus abstrahiere und mir mit Weglaßung des Mangelhaften ein gewisses Ideal daraus bilde, wodurch mein jetziges corrigiert und vollends geründet wird – so wirst Du mich nicht tadeln, wenn ich zuweilen darauf verfalle, mich damit zu beschäftigen. Zeit und Mühe hat es mir allerdings gekostet, und das, was im Euripides schlecht war, bei weitem am meisten. Die Chöre haben durch mich gewonnen, d. h. was sie bey manchem anderen Übersetzer nicht gewonnen hätten; denn vielleicht sind sie im Original durch die Diction vortreflich. Wenn Du nun die 2 lezten Akte vollends hast (die Deine Idee sowohl vom Original als von der Uebersetzung vielleicht noch verbeßern), so mache Dir den Spaß meine Uebersetzung mit der lateinischen des Josua Barnes zusammenzuhalten; denn diese lateinische war, als

42 43

Vgl. Horst Rüdiger, Goethes und Schillers Übertragungen antiker Dichtungen. Mit dem Urtext herausgegeben von Horst Rüdiger, München (Heimeran) o. J. (1944), 414. Vgl.http://www.friedrich-schiller-archiv.de/briefe-schillers/briefwechsel-mit-gottfried-koerner/ schiller-an-gottfried-koerner-9-maerz-1789/(Stand 11.07.2018).

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die treueste, mein eigentliches Original. Dann wirst Du mir vielleicht eingestehen, daß ich einen großen Grad eigener Begeisterung nöthig hatte, und dass ich sehr von dem meinigen habe zusetzen müssen, um sie so leidlich zu liefern. Ich fordere viele unserer Dichter auf, die sich soviel auf ihr Griechisch und Latein zu gute thun, ob sie bey so wenig erwärmendem Text nur soviel geleistet hätten, als ich leistete. Ich konnte nicht wie sie mit den Feinheiten des Griechischen mir helfen – ich mußte mein Original errathen, oder vielmehr, ich mußte mir eins erschaffen.“

Dazu schreibt Horst Rüdiger: „Das ist eindeutig, und obwohl es nichts bedeutet bei der Bewertung der Euripides-Übertragungen als deutscher Sprachkunstwerke, kann man dem Philologen Schlegel nicht ganz Unrecht geben, wenn er Schiller boshafterweise über sein Werk sagen läßt: „Ohn alles Griechisch hab ich ja / Verdeutscht die Iphigenia.“ Ohne es im mindesten zu ahnen, hat Schlegel damit den Punkt getroffen, auf den sich nicht nur Schillers Übertragungen aus dem Griechischen beziehen, sondern sein Verhältnis zur Antike überhaupt: die innere Fremdheit gegenüber dem Griechentum in neuhumanistischer Interpretation, wie sie Winckelmann und Humboldt am eindeutigsten gegeben haben, die im tiefsten Grunde ablehnende Haltung gegen die von jenen erstrebte ideale Verbindung von deutschem und griechischem Geist. Die geringe Kenntnis des Griechischen und die Benutzung der französischen und lateinischen Medien (die ja gerade als sprachliche Gestaltungen und selbst als Interlinearversion nicht nur Medien, sondern gleichzeitig auch Geist waren) ist nur äußerlich sichtbarer Ausdruck dieser Haltung.“44

Es ist dringlich zu fragen: Welcher Schüler unseres Lateinunterrichts übersetzt heute nach Ende der Schulzeit selbst noch einen lateinischen Text? Welcher Schüler liest ihn? Wären nicht viele künftige Wissenschaftler und alle anderen, die durch den Lateinunterricht gegangen sind, besser dran, wenn sie Übersetzungen mit dem Original vergleichen könnten und die Übersetzungen als Hilfe, die Originale als Mittel des Genießens nutzen könnten? Dazu gehören neben den Texten auch die Wörter und die Grammatik. An all dem kann man Genuss haben und all dies kann im täglichen Leben helfen, bei der Ausdrucksweise, beim Verstehen fremder Äußerungen, bei der Analyse des sprachlichen Niveaus und des Denkniveaus fremder Äußerungen. Zwei Übersetzungen aus der Aeneis mögen das Plädoyer für das Verstehen und Lesen lateinischer Texte beschließen45:+

44 45

Horst Rüdiger (siehe Anm. 42), 416 f. Zitiert nach Horst Rüdiger (s. Anm. 42) in seiner Ausgabe S. 275 und 277; vgl. Friedrich Schiller, Sämtliche Werke in 5 Bänden. Mit einer Einführung von Benno von Wiese, Bd. III Gedichte Erzählungen Übersetzungen, Mit Anmerkungen von Helmut Koopmann, München o. J. (Winkler Dünndruck-Ausgabe), 646 f.

Texte lesen, verstehen, interpretieren

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Vergil, Aeneis 1,90 f.: 90 Intonuēre polī et crēbrīs micat ignibus aether 91 praesentemque virīs intentant omnia mortem. Übersetzung 1: 90 Donnernd krachen die Pole, es flammt von Blitzen der Äther, 91 nah, ganz nah umdroht mit Tod rings alles die Mannen. Übersetzung 2: 90 Himmel donnert und Himmel flammt auf in Tausendgeblitze, 91 Tod, Tod flammt der Himmel entgegen dem bebenden Schiffer, Tod entgegen heult ihm der Sturm! Tod brüllen die Donner! Vergil, Aeneis 1,118 f. 118 Appārent rārī nantēs in gurgite vāstō, 119 arma virum tabulaeque et Trōia gāza per undās. Übersetzung 1: 118 Schwimmer treiben vereinzelt empor aus Wogengewühle, 119 Waffen der Mannen und Planken und Trojas Schätze im Meere. Übersetzung 2: 118 Wenige sinds, die oben noch schwimmen am greulichen Schlunde, 119 Waffen, Bretter und Iliums Schätze dahin durch die Wellen. Die erste Übersetzung stammt aus der zuverlässigen und gern verwendeten Übersetzung von von Johannes Götte.46 Die zweite Übersetzung ist eine „Probe von einem Jüngling, die nicht übel geraten ist. Kühn, viel, viel dichterisches Feuer“. So schreibt der Herausgeber Haug in Haugs Schwäbischem Magazin von 1780. Dort sind längere Teile des 1. Buches der Aeneis unter dem Titel abgedruckt: „Der Sturm auf dem / Tyrrhener Meer“. Der Jüngling ist kein anderer als Jenas Lokalmatador oder Lokalheros Friedrich Schiller. Diese Übersetzung hat Schiller (1759–1805) im Jahr 1780 geschrieben, also im Alter von etwa 20 Jahren oder noch früher. Er überträgt bildhafte Vorstellungen, er ist dramatisch. Er interpretiert.

46

Vergil, Aeneis. Lateinisch-Deutsch. In Zusammenarbeit mit Maria Götte herausgegeben und übersetzt von Johannes Götte, München 11965, 11 und 13.

Dokumentenanhang Dokumente zur Gründung des philologischen Seminars in Jena aus dem Nachlass „Heinrich Carl Abraham Eichstädt – Lateinische Gesellschaft“ (UAJ, Bestand V, Abt XLIV) UAJ, Bestand V, Abt. XLIV, Akte 1, Nr. 35 (8 Blätter) „Da das Meiste in dem Ent-/wurf eines Reglements für/ das neu zu errichtende Seminari-/um philologicum, welchen mein/ ständiger Collega, Herr Profes-/sor Hand, niedergeschrieben/ und mir mitzuteilen die Ge/fälligkeit gehabt, mit den fünf/ Plänen übereinstimmt, welche/ ich selbst in den Jahren 1803./ 1804. 1805. 1810. und 1817. zur/ Stiftung eines solchen Instituts/ und zur Verbindung desselben/ mit der großherzoglichen latei-/nischen Gesellschaft entwor-/fen und höchsten Orts ein-/gereicht habe: so bleiben mir/ nur wenige Bemerkungen/ oder Zusätze zu jenem Ent-/wurf zu machen übrig, vor-/nehmlich solche, die sich auf/ die von Anfang an bezweck-/ te Aufrechterhaltung der nun-/mehr 83 Jahr hier bestehen-/den lateinischen Gesell-/ schaft und deren Verein/ mit der neuen Anstalt be-/ziehen. ad §. 6 „Die Wahl geschieht in der Re-/ gel aus der Zahl f. ordentlicher/gewesen“ Namentlich werden die-/ Bl. 2 jenigen Mitglieder der/ lateinischen Gesellschaft, wel-/ che sich mit der alten Litera-/ tur vertrauter gemacht ha-/ ben, \auch/ in das Seminarium auf/ genommen werden, und dadurch/ zu häufigen Uebungen und/ einer schnelleren(?) Ausbildung/ erwünschte Gelegenheit fin-/den./ ad §. 9. Ueber die für Bestreitung/ anderer Ausgaben bestimm-/ ten 25 rt. [=Reichsthaler] bekenne ich nicht im/ Klaren zu sehen./ Das großherz. Weimari. Re-/script befiehlt, „den über die/ „Vertheilung der für das Seminar-/ „ium ausgelegten 300 rt. zu/ „entwerfenden Plan auch auf/ „die nöthige Geldunterstützung/ „der mit dieser Anstalt in Ver-/ „bindung zu setzenden lateinischen/ „Gesellschaft mit zu erstreck.“/ In dem mit-

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geschickten Protokoll/ bestimmt S. Gotha die übrigblei-/ benden 25 rt. für Holz d. d. gz(?),/ „1/0 wie für die nothwendig/ „mit der lateinischen Gesellschaft/ „verbundenen Ausgaben,/ „insoweit solche nicht, als was/ „vom Director der Gesellschaft/ „zuvor genau nachzuweisen/ „wäre, von den Beiträgen der/ „Mitglieder zu bestreiten sind.“/Bl. 3 Unter diesen Beiträgen/ sind wahrscheinlich die Gebüh-/ ren zu verstehen, welche ein/ für allemal bey der Recap/Recep(?)-/ tion entrichtet werden, diese/ betrugen ehemals, unter der/ Direction des sch.(?) Walch,/ einen Ducaten, dagegen [marg während] meiner/ Direction, anfangs, d. f 5 Jahre/ hindurch, 1. Laubthaler, nachher,/ bey verring‚e‘rter Anzahl der/ Beytretenden, 2 Laubthaler,/ welche diejenigen bezahlten,/ die sie bezahlen konnten/könnten(?)./ Beym sch. Walch ward jenes/ Geld als Honorar des Directors/ betrachtet; die Gesellschaft/ hatte überdieß ihre eigene Cas-/ se, (marg Casse,) aus welcher die vorfallen-/ den Ausgaben bestritten wur-/ den: es fanden damals wirk-/ liche Beyträge der Mitglieder/ statt./ Nach Walchs Tode ward Hof-/ rath Schütz zum Director/ gewählt, der die Direction/ aber nur unter der Bedingung,/ daß ihm jährlich 100 rt. Gehalt/ dafür zuge-sagt (korr zu -sichert) würden, über-/ nehmen wollte./ Ich übernahm die Direction,/ (marg aus Liebe zur Universität,) unentgeltlich, und sah, aus gute/ (marg gutem) Willen, aus Liebe zur Universi-/ tät, jedoch nicht die Pflicht einer/ Bl. 4 Verechnung(?) voraussetzend, jene/ Receptionsgebühren nicht mehr als Honorar, sondern als einige/wenige(?) Zuschläge(?) zu den Ausgaben an, welche ich von 1800–1813 aus meinen Mitteln bestritt//. Denn besondere Beträge der/ Mitglieder, überhaupt eine/ Gesellschaftscasse, konnte und woll-/ te ich nicht einführen, um die/ meistens armen Mitglieder/ nicht von der Theilnahme abzu-/ schrecken./ Die Ausgaben betrafen meh-/ rere Jahre hindurch; das Local/ aus dem akademischen Rosen-/ saal, wofür ich halbjährlich 5 rt./ bezahlen musste; die Oelheizung/ Beleuchtung und ‚Rheinigung‘ Wohnung darne-(?)/ben, jährlich ohngefähr 7 rt.; die/ Besoldung des Gesellschafts-die/ ners, jährlich 3 rt. bgl.; den Druck/ der Diplome, ein Jahr ins andere/ gerechnet, 6 rt.; mehrmals ver-/langte Ehrendiplome (für […]/ mehrere französisch. Marschälle cc)/ auf Pergament gedruckt mit/ vergoldeter Siegelkapsel, wo/ die Kosten von jedem 2_3. Caro-/ lin betrugen; den Aufwand/ für Druckschriften, von denen/ gewöhnlich Eine alljährlich er-/schien; das Porto für Uebersen-/ dung der Diplome an auswärti-/ge Mitglieder, so wie über-/haupt für die Korrespondenz,/ welche besonders die vielen/aus Holland/Halland(?) und Ungarn einge-/henden Briefe, Bücher- oder/ Bl. 5 Manuscript (subscr en-) Paquete kostspielig/ machte/macht. (?)/ Seit 1813 wurden für solche/ Ausgaben, und wohl auch für/ Entschädigung des dreyzehn-/ jährigen Aufwandes 50 rt. aus-/ gesetzt, die nun nach dem neuen/ Verbesserungs(?)-Etat der Univer-/sität, wieder zurück gezogen/ werden sollen./ Die dafür verlangte genaue/ Nachweisung solcher (marg der so noth-wendigen) Ausgaben/ würde Mühseligkeiten für mich/ und selbst für den zweyten/ Direktor, der zu folge des Proto-/ kolls ‚und‘ nach § 11 des Planes die/ Berechnung (marg darüber-)

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führen soll, In-/ convenienzen haben. Auch durf-/ te die lateinische Gesellschaft/ mit dem Seminario Philologi-/ co, dessen Aufwand von die-/sen 25 rt ebenfalls(?) bestritten/ werden sollen (marg zu bestreiten ist), ins Gedränge/ kommen./ Es ist demnach wohl der sub-/[…] Wunsch verzeihlich,/ daß entweder der großher-/zogl. lateinischen Gesellschaft,/ mit einem ehrenden […]/ […] zu ihrem Director, und /ohne Einmischung eines frem-/ den Rechnungsführers, eine/ bestimmte Summe ausgesetzt,/ werde, für ihren Aufwand (marg allein ausgesetzt)/ oder daß höchsten Orts ausge-/sprochen werde, der Director/ derselben solle den Aufwand/ so wie ehemals v. 1800–1813,/ Bl. 6 so auch künftig wieder aus/ seinen eigenen Mitteln/zu bestreiten./ ad §. 10. „Die zwey ersten Seminari-/„sten erhalten jährl. 50 rt./ und sollen dieselben zu Biblio-/ theksarbeiten gebraucht wer-/den, wodurch sie aber, […]/ bedünken, schlechter stehen/ als die zwey nächsten, denen/ ohne solche Arbeit eine reine(?)/ Unterstützung von 40 rt. zu/ Theil wird./ 20 rt. für die ‚den‘ letzten möchte/ wohl gar zu wenig seyn./ ad §. 15. „Bisweilen wird der Director/ „selbst dies/das(?) Geschäft – – – auf-/zustellen“ dies […] achte ich […]/ für nöthig, weil die akade-/mischen (marg akademischen) Vorlesungen bestimmt/ sind, welche die Seminaristen/ bey beyden Directoren zu/besuchen haben./ §. 16. würde ich so fassen:/ In Besehung der schriftlichen/ Drucksätze tritt besonders die/ Verbindung dieses neuen/ Instituts mit der lateinischen/ Sozietät ein. Diese wird/ nunmehr die eigentlichen/ Interpretationesuebungen(?),/ welche sie seither aus Mangel/ an einen Seminarium mit über-/nehmen, aus ihrer Sphäre/ Bl. 7 wieder ausschließen, und/ sich bloß auf Uebungen im/ Lateinschreiben & Lateinsprechen/ beschränken. An diesen wö-/ chentl. Uebungen nahmen alle/ Seminaristen ‚Antheil‘ obgleich nicht/ alle Mitglieder der lateini-/schen Gesellschaft Seminari-/sten werden können, \sondern/ (suprascripsit) bloß/ diejenigen, welche nicht bloß/ in der römischen Sprache/ sondern in den Studien/ der alten Litteratur über-/haupt \sich/ (suprascripsit) ausbilden wollen./ In Bezug auf diese Übungen/ gelten die Regeln, welche im/ J. 1800 in der Acroasis pro/ Instauratione societatis latin(ae)/ festgesetzt, von urtheilsfähigen/Männern gebilligt und durch einen/ nunmehr siebzig (marg siebenzehn-) jährige Anwen-/ dung bewährt gefunden worden/ Laut diesen mit der lateinischen/ Gesellschaft verbundenen Ue-/bungen, ist der erste Director/ von der Hand, bis auf günstigere/ Zeiten genöthigt, sich zu beschen-/ken./ marg Von der Hand bin ich/ ???/bereit, diese mit der la-/teinischen Gesell (subscripsit schaft) an verbundenen Uebun-/gen unentgeltlich zu leisten./ […] Umständen/ so […] Unter günsti-/gen Umständen […]/ Misstände(?) die Arbeit […] […] […]über. […])/

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Demnach würde der Schluß/ des §. 14: „In die Leitung der/ „Übungen – wechseln“, ganz/ wegfallen, und die Bedeutung(?)/ des §. 20 keiner weiteren Aus-/ führung bedürfen/ ad §. 17. Geldstrafen bey Studium/ (marg Studien,) welche mit liberalem Sinne/getrieben werden müssen, / Bl. 8 wenn sie gedeihen sollen, liebe(?)/ ich nicht; ich habe sie bey der/ lateinischen Gesellschaft, so-/fort nach Uebernehmung der/ Direction, aufgehoben, und/ wünsche, daß wenigstens die/ von mir anzustellenden, kurz/ vorher angedeuteten Uebungen/ davon verschont bleiben mög-/ mögen./ ad §. 21. Die praktischen Uebungen in/ der Stadtschule, welche ich ehe-/mals, unter andere Umständen/ vorschlagen hatte, fallen nun/ weg, da ausgesprochen wurde,/ daß die hiesige Stadtschule/ nur eine Bürger- keine gelehr-/te(?) Schule seyn solle. […]/ dereinst wieder ein solches/ privat [marg Privat]-Institut, wie sonst/die DD. […], Klein, Gens-/ler d. s. w. für den Unterricht/ und die Bildung solcher Zög-/linge angelegt hatten, die sich/ dem Studium widmen wollen./ So könnte alsdann das Semi-/narium mit diesen viel-/leicht in eine zweckmäßige/ Verbindung gesetzt werden./ Jena/ den 17. Juny/ 1817. UAJ, Bestand V, Abt. XLIV, Akte 1, Nr. 42 (5 Blätter) Leges/ Seminarii philologici/ Ienensis Praemissa est/ Henr Caroli Abr Eichstadii/ Seminarii Directoris/ de causis neglecti patrum memoria (suprascriptum; deletum: per aliquod tempus)/ in Academia Ienensi/ Studii philologiae/ oratio/ in ipsa Seminarii inauguratione/ dicta die XV Ianuarii anno MCCCXVII / Ienae Praefatio Bl.2 Inaugurando Seminario philo-/logico, quod \diu desideratum/ (in margine) proxime superiore/ anno in hac litterarum Univer-/sitate conditum est, quum de/ more praefandum aliquid esset,/ de causis neglecti apud nos/ (delevit: per aliquod tempus) philolo-/gi (corrigendum: philologiae sive philologici) studii dixi quaedam com-/mentatus, pleraque ex tempo-/re; chartis enim praeter ini-/tium illius sive acroasis sive/ orationis vix quicquam manda-/tum habebam Neque animus/ erat, quae urgente necessita-/te festinaveram, in publicum/ \emitt/ere (suprascripsit), siquidem et parum/ otii obtigerat ad meditandum,/ et animus propter casus, fami-/liaribus meis non ignoti, iniqui-/tatem tanta tum erat aegri-/tudine affectus, ut totum/ illud Seminarii vel auspicandi/ vel moderandi negotium, si fieri/ honeste posset, lubenter depo-/suissem Nam quum omnino/ ad res prospere (suprascripsit; delevit: fauste) ordiundas pro-/spereque gerendas opus fit animi/ Bl. 3 qua-

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dam hilaritate quae plus (nonnullas litteras delevit)/ saepenumero quam virium/ summa contentio \potest/ (suprascripsit), tum/ haec potissimum studia no-/stra, quae ad iuventutem/ erudiendam conferuntur, ut/ recte et utiliter procedant,/ tranquillam et pacatam men-/tem requirunt, reformidantque/ offensionum eas molestias, qui-/bus tamquam fluctibus iacta-/ri \civilium/ (in margine) hominum vita perturba-/rique solet Qua \et/ (suprascripsit) fortunae et mentis/ serenitate quum ego carerem,/ muneris tamen memor cona-/ tus sum efficere, quantum illa/ tempestate potui, ut simplici/ certe et incompta oratione/ ad novas scholas excitarem/ adolescentes, Seminarii cau-/sa apud nos nomina sua/ professos, ut leges, Seminarii/ ( delevit) Sodalibus praescriptas/ proponerem, ut, quale/ (nonnullas litteras delevit) consilium sit, et quanti/ (habendum: delevit) aestimandum \novum/ (suprascripsit) hoc/ principum beneficium, ad fac-/iliorem fortunatioremque studio-/rum cursum ipsis concessum,/ breviter demonstrarem Coepta/ Bl. 4 bene successerunt: per hibernum/ Semestre assidue sunt Semi-/narii scholae frequentatae:/ crebrae fuerunt et consilio/ accommodatae exercitationes:/ cognitis legibus obtemperatum/ est mox quum novo se-/mestri ineunte novi sodales/ ascessissent, quamquam pos-/sent seniorum consilio et ex-/perientia uti, iterata tamen/ opus esse promulgatione legum/ animadvertimus Instabat/ iam tum Fernandus Han-/dius, collega eruditissimus,/ qui inaugurationem praesentia (3)/ sua (2) ornatiorem solemnio-/remque reddiderat, identidem/monens, inchoati illud officii/ fuisse, non perfecti, non reci-/tandas esse leges, sed palam/ ante oculos omnium profe-/rendas typisque exscriben-/das, ut et mentibus inhae-/rerent eorum qui \adhuc/ (suprascripsit) Seminario/ nomina dedissent, et ab/ aliis qui in posterum cooptari/ cuperent, facili negotio cogno-/scerentur Cuius quidem rei/ Bl. 5 necessitatem ipse et/ tum sensi, et nunc, tertium/ Semestre ingressus, magis in/ dies intellego Quapropter,/ ne nudae omnique comitatu/ instructuque destitutae fo-/ras protruderentur leges quan-/doquidem academica quaeque officia/ coniungi cum litteris/ (delevit) consentaneum est,/ tandem adduci me passus sum,/ ut repeterem orationis aditialis/ satis adhuc explicatam recorda-/tionem, et quae tunc aut/ extemporali quadam licentia/ effuderam, aut velociore stilo/ exararam, iam paulo dili-/gentius subiecta etiam/ passim annotatione, litteris/ consignarem Quamquam/ subvereor, ne parum oblittera-/ta sint vestigia illius aegrimo-/niae, qua praepeditus ad di-/cendum processeram Caeterum/ totus libellus non est nisi/ Seminarii nostri sodalibus desti-/natus: alios si forte lectores/ invenerit, hos, ut et consilium/ edendi respiciant, et veniam/ condonent inserviendi (subscripsit) illorum studii (~) voluntati,/ etiam atque etiam rogo / Dat Ienae, die (… … spatium reliquit) a MCCCXVIII

Register Namen Abbe, Ernst 59, 68, 74 Achenwall, Gottfried 47 Achenwall, Sophie Eleonore 47 Alexander (russ. Zar) 85 Anna Amalia, Herzogin von Sachsen-WeimarEisenach 30, 51, 56

Daru, Pierre Antoine Noel Bruno Graf 86 Darwin, Charles 67 Döring, Detlef 40 Döring, Heinrich 43, 73 Donop, Charlotte Wilhelmine Amalie von 47 Droysen, Gustav 74

Bachmann, Carl Friedrich 71 Bagge, Ehregott Nikolaus 47 Baggesen, Jens 64 Balthasar, Anna Christina Ehren 47 Balthasar, Augustin von 45 Bandini, Angelus Maria 57 Basch, Siegmund 56 Batsch, August Johann Georg Karl 63–66, 120 Bechstein, Johann Matthäus 65 Bertuch, Friedrich Justin 64, 79, 91, 96 Blaufus, Charlotte Marie 47 Blaufus, Jakob Wilhelm 51 Blumenbach, Johann Friedrich 64 Böttiger, Karl August 64, 85, 96 Bose, Johann Andreas 40–41 Braun, Emil 118, 122–23 Buder, Christian Gottlieb 49, 51 Bünau, Heinrich von 45–46, 50, 108

Eckhard, Christian Heinrich 55 Eichstädt, Heinrich Carl Abraham 7–11, 15–17, 30, 32, 57–59, 79–106, 111, 193 Ernst August Constantin, Erbprinz von Sachsen-Weimar-Eisenach 45, 50, 76

Campana, Giovanni Pietro 122–25, 128 Carl August, Erbprinz, später (Groß-)Herzog von Sachsen-Weimar-Eisenach 30, 51, 56, 66, 69, 70, 76, 79, 81, 83–85, 87, 91–92, 96, 100, 102–3, 106 Cramer, Johann Friedrich 52 Dalberg, Carl von 16 Darjes, Johann Georg 49, 53

Fabricius, Johann Andreas 41, 43–44, 52–53, 56, 75 Fernow, Carl Ludwig 85 Fichte, Johann Gottlieb 30, 33–36, 60, 64, 93 Fischer, Gustav 67 Fischer, Johann Christian 53 Friedrich III., Herzog von Sachsen-Gotha und Altenburg 21, 56 Friedrich (IV.), Erbprinz von Sachsen-Gotha und Altenburg 56 Fries, Jakob Friedrich 35–36, 73, 93 Fritsch, Ahasver 41 Fritsch, Jakob Friedrich 69 Gall, Franz Joseph 61 Gallitzin, Dimitri Alexejewitsch von 69 Gedicke, Friedrich 31 Gegenbaur, Karl 68 Gellert, Christian Fürchtegott 51 Gerhardt, Carl 68 Gersdorff, Ernst Christian August Freiherr von 96

200

Register

Gesner, Johann Matthias 7, 11, 17, 90–91, 105 Geuther, Anton 68 Gmelin, Eberhard 65 Goebel, Karl Christoph Traugott Friedemann 72 Goethe, Johann Wolfgang von 7–9, 11, 16–17, 30, 64–66, 69, 71–72, 76, 79–88, 93–96, 103, 107–11, 113–17, 128–29, 133, 138–39, 189 Göttling, Carl Wilhelm 64, 72, 74, 112, 118 Goetz, Georg 57, 97–98, Gottsched, Johann Christoph 16, 43 Graef, Botho 129–30 Gries, Johann Diederich 72 Griesbach, Johann Jakob 95 Güldenapfel, Georg Gottlieb 62 Günther, Erbprinz von SchwarzburgSondershausen 42 Gundling, Nikolaus Hieronymus 22, 25 Hallbauer, Friedrich Andreas 55 Harsdörfer, Georg Philipp von 43 Haeckel, Ernst 67–68 Haeser, Heinrich 67 Hand, Ferdinand Gotthelf 7, 9, 90, 97, 100–6, 193 Heinrich XXIV. von Reuß-Ebersdorf 55 Heinrich IX. von Reuß-Köstritz 55 Heinrich X. von Reuß-Köstritz 55 Heinrich XXIV. von Reuß-Köstritz 55 Herbart, Johann Friedrich 60, 74 Herder, Johann Gottfried 64 Herzog, Albert Christian Carl 54 Herzog, Georg Ludwig 54–55 Heyne, Christian Gottlob 18, 28 Hoven, Friedrich Wilhelm von 65 Hufeland, Christoph Wilhelm 64, 94 Humboldt, Alexander von 16, 64, 71, 98, 190 Huschke, Emil 72 Kaltschmied, Karl Friedrich 44, 49, 56 Kant, Immanuel 33, 91, 93 Klopstock, Friedrich Gottlieb 51 Knebel, Karl Ludwig von 17, 64, 189 Köcher, Johann Christoph 41 Koethe, Friedrich August 71 Kotzebue, August v. 80–81

Kromayer, Johann Heinrich 54–55, 77 Krüger, Wilhelm Georg 64 Lafontaine, August 61 Lalande, Joseph Jérôme Le Français de 64 Lange, Anne Dorothee 47 Lange, Samuel Gotthold 47 Leibniz, Gottfried Wilhelm 21, 39–41 Lenz, Johann Georg 69–71, 75 Lessing, Gotthold Ephraim 16, 51 Liebe, Karl Theodor 71, 75 Lincker (Lyncker) von Lützenwick, Johann Daniel Christoph 48–50 Lindner, Friedrich Ludwig 60, 64 Loder, Justus Christian 64, 66, 94 Löber, Traugott Christiane Dorothee 47 Luden, Heinrich (sen.) 35–36, 73, 87–88, 95 Ludewig, Johann Peter von 22 Ludwig, Fürst von Anhalt-Köthen 50 Luise Dorothea, Herzogin von SachsenGotha und Altenburg 56 Luther, Martin 16, 72 Martin, Christoph Reinhard Dietrich 73 Meister, Johann Heinrich (II) 52, 59 Michelsen, Andreas Ludwig Jacob 74 Moritz, Carl Philipp 111 Mosheim, Johann Lorenz von 47 Müller, Carl Gotthelf 45, 47–52, 75 Freiherr von Münchausen, Gerlach Adolf 24 Musäus, Johann Carl August 51 Mylius, Christian Friedrich 60, 74 Napoleon 35, 84–86, 95 Naumann, Karl Friedrich 72 Niebuhr, Barthold Georg 36 Nietzsche, Friedrich 20–21, 36–37 Oken, Lorenz 35–36, 73 Ortloff, Friedrich 72 Osann, Friedrich Gotthilf 72 Ostein, Johann Friedrich Carl 49 Otto, Martin Heinrich 59 Pansner, Heinrich Lorenz 71 Paullini, Christian Franz 41 Pawlowna, Maria 84, 126

Namen

Perard, Jacques de 47 Pütter, Johann Stephan 28 Reinhold, Karl Leonhard 16, 64 Reusch, Johann Peter 44, 48–49, 51 Reyher, Benjamin Gottfried 45 Roux, François 44 Rühlmann, Gottfried 41–42 Šafárik, Pavel Josef 58 Schaubert, Johann Wilhelm 53 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 64, 82, 93–94 Scherer, Alexander Nikolaus 63, 65–66 Schiller, Friedrich 16, 31, 33, 64–65, 81, 92–93, 138–39, 189–91 Schlegel, August Wilhelm 83, 94, 190 Schleiden, Matthias Jakob 67 Schleiermacher, Friedrich 36 Schlettwein, Johann August 53 Schliemann, Heinrich 129 Schlözer, August Ludwig 26–28, 33, 36 Schmeizel, Martin 41 Schmid, Carl Christian Erhard 62 Schmid, Ernst Erhard 71, 72 Schoemann, Xaver Ignaz 67 Schramm, Gotthelf Hartmann 49 Schütz, Christian Gottfried 8, 17, 18, 79, 81, 91–94, 97, 102, 105, 194 Schütz, Johann Gottfried 16, 17 Schwabe, Johann Friedrich Heinrich 70 Siebert, August Friedrich 67 Simon, Manfred 8, 57, 89 Sinclaire, Alexander Adam von 55 Smidt, Johann 60 Stark, Karl Bernhard 74 Steffens, Henrik 35, 64 Stegmann, Ludwig Reinhold von 64 Stolle, Gottlieb 44 Stoy, Karl Volkmar 74 Struve, Burkhard Gotthelf 41

201

Suckow, Gustav 71 Suckow (Succow), Lorenz Johann Daniel 44, 49, 51 Suckow (Succow), Wilhelm Carl Friedrich 66 Teleki von Szék, Dominik 69 Thomasius, Christian 21–23, 25, 34, 36 Titius (Tietz), Johann Daniel 57 Ulrich, Johann August Heinrich 92 Verch, Johann Samuel 45, 57, 63 Voigt, Christian Gottlob von 7–8, 11, 16, 69, 79, 81 ff., 103 Voigt, Friedrich Sigismund 66, 72 Voß, Johann Heinrich 17–18, 82–84, 94 Wahl, Friedrich Wilhelm Ludwig 72 Waitz, Carl Friedrich 61, 75 Walch, Johann Ernst Immanuel 56 Walch, Karl Friedrich 51, 57, 92, 102, 194 Wegele, Franz Xaver von 74 Weigel, Erhard 41 Werner, Daniel Gottfried 40 Wiedeburg, Basilius Christian Bernhard 44, 51 Wieland, Christoph Martin 16–17 Winckelmann, Johann Joachim 107 ff., 190 Windheim, Christian Ernst von 47 Windheim, Dorothee Auguste Margarethe von 47 Wolf, Friedrich August 57, 90, 98 Wolff, Christian 23–24, 34, 36 Zäunemann, Sidonia Hedwig 48 Załuski, Jozef Andrzej von 51 Zeiß, Carl 67 Ziegesar, A. v. 118 Ziegler, Christiana Mariana von 48 zur Linden, Johann Georg 44

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Register

Sachen Accademia della crusca, Florenz 50 Akademie – der freien Künste, Augsburg 44 – der freien Künste, Roveredo 44 – nützlicher Wissenschaften, Erfurt 43, 49–50, 52 – der Wissenschaften und schönen Künste, Jena 45, 60 Allgemeine Literatur-Zeitung (ALZ) 79–82, 91, 94 Archäologisches Museum 119–20, 130 Atheismusstreit 93 Athenaeum 17 Aufklärung 8, 12, 16, 26, 28–30, 32, 39, 75, 93

Frühkantianismus 91

Bildungsgesellschaften 52

Gedankenaustausch 39, 73, 76 Gelegenheitsdrucke 44 Gelehrte (Bürger-)Gesellschaft 23, 39 ff. – Arnstadt 41–42 – Nordhausen 52 Gelehrte Gesellschaft zum Nutzen der Künste und Wissenschaften, Frankfurt/Oder 49 Gesellschaft zur Übung des Verstandes, Jena 53 Gesellschaftsbibliothek 52, 71 Gesellschaftsleben 39, 43–44, 46, 51, 66, 68, 72 Görlitzische poetische Gesellschaft, Leipzig 43 Gründerkreis 67, 71, 74

Collegium artis consultorum, Erfurt 41 Collegium Gellianum, Leipzig 40 Collegium quaerentium, Jena 40

Herzogl. Gesellschaft der höhern Wissenschaften, Jena 45, 51, 75 Historische Gesellschaft, Jena 71

Deutschübende poetische Gesellschaft, Leipzig 43 Deutsche Gesellschaft 43 ff. – Göttingen 47 – Greifswald 45 – Helmstedt 47 – Jena → Teutsche Gesellschaft – Königsberg 47 – Wittenberg Deutscher Idealismus 30, 93 Die der deutschen Sprache beflissene Gesellschaft, Jena 44 Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt 94

Instituto della Corrispondenza 116, 118 Institutum Litterarium Academicum 52

Ehrenamtliche Tätigkeit 75 Ehrenmitgliedschaft 57, 65 Extraordinäre Universität 32 Frauenmitgliedschaften 47–48 Frauenzimmer-Gesellschaft, Rudolstadt 41 Frommannsches Haus, Jena 42 Fruchtbringende Gesellschaft, Weimar 17, 50 Fruchtbringende Jesus-Gesellschaft, Rudolstadt 41

Jenaische Allgemeine Literaturzeitung ( JALZ) 16–17, 57, 79 ff., 94–95 Jenaer Maler 127 Journalistikum 72 Kaiserl. Gesellschaft zur Pflege von Technik und Wissenschaft, Erfurt 41 Kollegien 39 Korrespondenznetz 75 Langes 18. Jahrhundert 12 Lateinische Gesellschaft 51, 80, 90, 95, 100 ff. – Halle 59 – Jena 54 ff. Lesegesellschaften 59 Lesehallenverein, Jena 74 Literarische Gesellschaften (allgemein) 62 – Altenburg 61 – Arnstadt (1792) 42 – Jena (um 1785) 60 – der freien Männer, Jena 60 ff.

Sachen

203

Literarische Kränzchen, Jena 42, 62 Literarisches Museum, Jena 67, 72, 73

Rosensäle, Jena 42, 128 Rosenvorlesungen 128

Mathematik 41, 57, 137 Medizinisch-Naturwissenschaftliche Gesellschaft, Jena 67 ff. Mitgliederliste 64 Museen 28, 76, 124, 132

Sammeltätigkeit 76 Sanktionierung 66, 70 Schriftentausch 68 Seminare 12, 96, 97, 105 seminarium philologicum → philologisches Seminar 15, 16, 57, 80, 102, 103 Seminarordnung 100, 102, 103, 106 Societät für die gesammte Mineralogie, Jena 66, 69 f. Societas disquirentium, Jena 40 Societas exquirentium, Jena 40 Societas latina 95, 99, 101–6 – Societas Latina Halensis 59 – Societas Latina Jenensis → Lateinische Gesellschaft 54, 57, 98 Societas Litteraria (1708), Jena 41 Societas Pythagorea, Jena 41 Sozietät der Unternehmer des RosenInstituts, Jena 42 Sprachgesellschaften 54 Staats- und Kriegs-Akademie (Konzept) 41 Statuten 25, 29, 45, 54, 60, 63, 67, 71, 96, 100–6 Stiftungstag 55, 56, 68

Naturforschende Gesellschaft – Altenburg 63 – Berlin 63 – Danzig 57 – Erfurt 63 – Frankfurt a. M. 65 – Gera 63 – Görlitz 65 – Halle 63 – Hanau 65 – Jena 63 – Marburg 65 Naturwissenschaften 15, 63, 68 Nutritorenstruktur 90, 96, 105 Ökonomische Gesellschaft (Entwurf), Jena 49 Pädagogische Gesellschaft, Jena 74 Philologiegeschichte 16, 98 Philologisches Seminar – Göttingen 11, 90 – Halle 91 – Jena 11–13, 89 ff. Philosophische Gesellschaft, Jena 53 Physiokratische Gesellschaft, Jena 53 Preisfragen 46 Protektoren 42, 52, 56, 66 Protokollbücher 49, 61

Teutsche Gesellschaft, Jena 43–45, 51, 55

Reformorden, studentischer 61 Rhetorik 15, 16, 138 Römische Hyperboräer 116 Romantiker 17, 84, 93

Wissenschaftsgeschichte 9, 27, 97 Wissenschaftsorganisation 39 Wörterbuchprojekt 52

Übungsgesellschaften 44, 55 Urburschenschaft 35 Veranstaltungen 74, 92, 95, 104 Verein für Thüringische Geschichte und Altertumskunde, Jena 74 Verein für Wissenschaft und Kunst, Jena 72 Vertraute Redner-Gesellschaft in Thüringen 52

a lt e rt u m s w i s s e n s c h a f t l i c h e s ko l l o q u i u m Interdisziplinäre Studien zur Antike und zu ihrem Nachleben Herausgegeben von Rainer Thiel und Meinolf Vielberg. Wissenschaftlicher Beirat: Walter Ameling (Köln), Susanne Daub (Jena), Michael Erler (Würzburg), Angelika Geyer (Jena), Jan Dirk Harke (Jena), Christoph Markschies (Berlin), Norbert Nebes (Jena), Tilman Seidensticker (Jena), Timo Stickler (Jena) und Christian Tornau (Würzburg).

Franz Steiner Verlag

ISSN 1438–0552

15.

Sabine Hübner Der Klerus in der Gesellschaft des spätantiken Kleinasiens 2005. 318 S. mit 3 Ktn., kt. ISBN 978-3-515-08727-8 16. Jürgen Dummer Philologia sacra et profana Ausgewählte Beiträge zur Antike und zu ihrer Wirkungsgeschichte. In Verb. mit Roderich Kirchner und Claudia Sode hg. von Meinolf Vielberg 2006. 408 S. mit 5 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08663-9 17. Johannes Hahn / Meinolf Vielberg (Hg.) Formen und Funktionen von Leitbildern 2007. 321 S. mit 1 Abb., kt. ISBN 978-3-515-08998-2 18. Dagmar Hofmann Suizid in der Spätantike Seine Bewertung in der lateinischen Literatur 2007. 250 S., kt. ISBN 978-3-515-09139-8 19. Jürgen Dummer / Meinolf Vielberg (Hg.) Leitbilder im Spannungsfeld von Orthodoxie und Heterodoxie 2008. 178 S., kt. ISBN 978-3-515-09241-8 20. Stefan Freund / Meinolf Vielberg (Hg.) Vergil und das antike Epos Festschrift für Hans Jürgen Tschiedel. Hg. in Verbindung mit Volker Michael Strocka und Raban von Haehling 2008. XV, 565 S. mit 18 Abb., 4 Diagr., 5 Tab. und 1 farb. Falttaf., geb. ISBN 978-3-515-09160-2 21. Walter Ameling (Hg.) Topographie des Jenseits

22.

23.

24.

25.

26.

Studien zur Geschichte des Todes in Kaiserzeit und Spätantike 2011. 193 S. mit 3 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09882-3 Oliver Ehlen Venantius-Interpretationen Rhetorische und generische Transgressionen beim „neuen Orpheus“ 2011. 479 S. mit 5 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09872-4 Meinolf Vielberg (Hg.) Die klassische Altertumswissenschaft an der Friedrich-SchillerUniversität Jena Eine Ringvorlesung zu ihrer Geschichte 2011. 256 S. mit 23 Abb. und 1 Tab., kt. ISBN 978-3-515-09865-6 Peter Kritzinger Ursprung und Ausgestaltung bischöflicher Repräsentation 2016. 340 S. mit 16 Abb., kt. ISBN 978-3-515-11499-8 Judith Hagen Die Tränen der Mächtigen und die Macht der Tränen Eine emotionsgeschichtliche Untersuchung des Weinens in der kaiserzeitlichen Historiographie 2017. 356 S., kt. ISBN 978-3-515-11852-1 Lydia Merkel Von der Fabeldeutung mit dem Zauberstab zum modernen Mythenverständnis Die Mythentheorie Christian Gottlob Heynes 2019. 350 S. mit 1 Abb. und 23 Diagr., kt. ISBN 978-3-515-12489-8

1817 gründete Heinrich Karl Abraham Eichstädt im Zusammenwirken mit den Ministern Johann Wolfgang v. Goethe und Christian Gottlob v. Voigt das philologische Seminar in Jena. Die Autorinnen und Autoren des Bandes stellen die historischen Umstände und politischen Voraussetzungen der Seminargründung dar und beleuchten diese neu. Anlass bietet der bislang unbekannte Nachlass

„Heinrich Carl Abraham Eichstädt – Lateinische Gesellschaft“, der 2006 aus dem Stadtarchiv Erfurt in das Universitätsarchiv gelangte. Dazu gehört auch die Einschätzung der Rolle Eichstädts bei der Konsolidierung der Universität in der von Napoleon ausgelösten Krise der Universitäten im Alten Reich und der damit einhergehenden Umgestaltung der deutschen Bildungslandschaft.

ISBN 978-3-515-12580-2

www.steiner-verlag.de

9 783515 125802

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