Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik [1 ed.] 9783428467648, 9783428067640


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German Pages 425 Year 1990

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Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik [1 ed.]
 9783428467648, 9783428067640

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BETTINA BOCK

Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik

Schriften zum Umweltrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Michael Kloepfer, Trier

Band 14

Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik

Von Dr. Bettina Bock

Duncker & Humblot · Berlin

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Bock, Bettina: Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik I von Bettina Bock. - Berlin: Duncker u. Humblot, 1990 (Schriften zum Umweltrecht; Bd. 14) Zugl.: Bayreuth, Univ., Diss., 1989 ISBN 3-428-06764-9 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1990 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Luck + Schulze GmbH, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0935-4247 ISBN 3-428-06764-9

Vorwort Die Arbeit wurde im Sommersemester 1989 von der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth als Dissertation angenommen. Wesentliche Änderungen sind nicht mehr erfolgt; Rechtsprechung und Literatur wurden bis zum Frühjahr 1989 berücksichtigt. Es ist mir ein aufrichtiges Bedürfnis, auch an dieser Stelleall jenen Dank zu sagen, die maßgeblich dazu beigetragen haben, daß diese Arbeit überhaupt (so) entstehen konnte. Zuallererst danke ich meinem verehrten Lehrer und Doktorvater, Herrn Senator Prof. Dr. Walter Schmitt Glaeser, von ganzem Herzen. Schon während meines Studiums hat er mich gefördert und geprägt, und erst sein Zuspruch hat mich ermutigt, diese Arbeit, deren Thema er anregte, zu beginnen. In meiner Zeit als seine Doktorandin und wissenschaftliche Hilfskraft ist er mir stets mit großem Vertrauen und geradezu vät~rlicher Güte, aber auch mit entsprechendem Anspruch begegnet. Immer wieder gab er mir Gelegenheit zu ausführlichen Gesprächen, die mir fachliche Anregung und menschliche Unterstützung zugleich waren. Er wird für mich - wissenschaftlich wie menschlich - stets Vorbild bleiben. Für die überaus freundliche Betreuung sowie für kritische Hinweise, die ich in der Druckfassung überwiegend berücksichtigt habe, danke ich auch Herrn Prof. Dr. Wilfried Berg, der das Zweitgutachten erstellte. Mein herzlicher Dank gilt ferner Herrn Prof. Dr. Peter Häberle. Vor allem durch sein Bayreuther Seminar, das ich parallel zur Arbeit an meiner Dissertation besuchen durfte, aber auch in manchem persönlichen Gespräch erfuhr ich hilfreiche Anregungen und Ratschläge. Mit tief empfundener Dankbarkeit erwähne ich sodann meine Freunde, die Rechtsreferendare Dr. iur. Rudolf Mackeprang und Dr. iur. Hans-Detlef Horn, die mich bereits seit dem ersten Semester begleiten. Auch sie haben mich entscheidend geprägt und sich durch zuverlässigen Beistand und ehrliche Kritik nicht nur im Zusammenhang mit dieser Arbeit stets als wahre Freunde erwiesen. Einen ebenso innigen wie aufrichtigen Dank richte ich schließlich an cand. inform. Gunter Horn, der mich mit unermüdlicher Geduld in computertechnischen

6

Vorwort

Fragen beraten, betreut und unterstützt hat. Ohne seine unschätzbare freundschaftliche Hilfe hätte ich diese Arbeit niemals in der kurzen Zeit (und wohl auch nicht in der vorliegenden Form) erstellen können. Ich widme diese Arbeit meiner Mutter. Bayreuth, im August 1989 Bettina Bock

Inhaltsverzeichnis Einleitung

13

Erster Teil

A.

Herausforderung Umweltschutz

22

Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

I.

B.

Die wichtigsten Prinzipien und Instrumente des Umweltrechts ... . . ..... . .

33

1.

Hauptprinzipien des Umweltschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

2.

Hauptinstrumente des Umweltschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

II.

Ansätze zu einer Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

111.

Umweltschutz und Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

Entwicklungslinien (in) der (verfassungs)politlschen Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . .

53

I.

II.

Diskussion und Vorschläge auf Bundesebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

1.

Die grundrechtliche Phase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

2.

Die objektiv-rechtliche Phase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

3.

Die Phase der Erörterungen der Sachverständigenkommission "Staatszielbestimmungen I Gesetzgebungsaufträge" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

4.

Die (anschließende) Phase der Gesetzesanträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

5.

Die aktuelle Phase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

Diskussion und Vorschläge auf Länderebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

1.

Die Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

2.

Die Ergänzungs(diskussions)phase... . .. . .. . ... . .. . ... .. ..........

75

a)

Baden-Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

b)

Freistaat Bayern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

c)

Saarland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

d)

Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

8

Inhaltsverzeichnis

111.

e)

Rheinland-Pfalz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

f)

Freie und Hansestadt Harnburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

g)

Freie Hansestadt Bremen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

. h)

Schleswig-Holstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

i)

Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

j)

Die übrigen Bundesländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

Rechtsvergleichende Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

1.

Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

94

2.

Griechenland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

3.

Portugal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

4.

Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

5.

Türkei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

6.

Niederlande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

7.

Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

Zweiter Teil

Umweltschutz im Grundgesetz A.

100

Bestehende grundgesetzliche Umweltschutzgehalte ..... . ........ . ... . ... . .. . .. 101

I.

Kompetenznormen und Umweltschutz ....... . .. . .............. . . .. . . .. 102

II.

Sozialstaatsprinzip und Umweltschutz ....... . .. . ........ . ..... . .... . .. 110

lll.

Volksgesundheit und Umweltschutz ........ .. . ... . . , . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116

IV.

Menschenwürde und Umweltschutz .. . .. .. ..... . .. . .. . . .. . . .. . . . . . ... . 117

V.

Grundrechtliche Umweltschutzgewährleistungen ....... . . . .. .. ... . . .. . .. 125 1.

Einschlägige Normbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 a)

Das Recht auf Leben, An. 2 Abs. 2 Satz I GG . .......... . .. . . . 126

b)

Das Recht auf körperliche Unversehnheit, An. 2 Abs. 2 Satz 1 GG . ....... . . . .... . .. . . .... . .. ... . . ...... .. ... ....... .. . . 128

c)

Das Recht a uf Freiheit der Person, An. 2 Abs. 2 Satz 2 GG .. .. . . 130

d)

Das Recht auf Eigentum, An. 14 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

e)

Das Recht auf freie Wahl und Ausübung des Berufes und des Arbeitsplatzes, An. 12 GG . ....... . .... . .... .. . .. ... .... ... . . .. 132

f)

Das Recht auf Heimat und Gemeinde, Art. 11 GG . . . . . . . . . . . . . 133

Inhaltsverzeichnis

2.

g)

Das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten, An. 5 Abs. I Satz I Halbsatz 2 GG . . . . . . . . . . . . . I34

h)

Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, Art. 2 Abs. I GG . . ... ... . .. . . . ..... . ... . .. . . .. . .. . .. . . . . ... . .. . . .... . . 135

i)

Das Recht auf allgemeine Gieichbehandlung, An. 3 Abs. 1 GG . . 142

j)

Zwischenergebnis ............ . . .. . . .. .... .......... ... .. .. . I43

Schutzdimensionen der umweltrelevanten Normbereiche ... . . . . . . .. . I43 a)

B.

C.

9

Staatliche Schutzpnichten .. . ...... . .. . ................ . .. . .. I43 aa)

Begründung und grundrechtliche Bedeutung .. . . . . . . . . . . . 144

bb)

Inhalt .... . ... . . . ..... . ...... ... . . . ... . .... . .... . ... . I59

cc)

Umfang . . ... .. ........... . . .. ........... . .. .. ...... . 160

dd)

Personenkreis ............ . . . . ........... . .. .. .. . . . .. I64

b)

Teilhaberechtliche Aspekte des Umweltschutzes . . . . . . . . . . . . . . . I66

c)

Umweltschutz und Mitwirkung .... . .. . . ..... .. . . ..... . . . ... . . I72

Verfassungsrechtliche Schranken des Umweltschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 I.

Grundrechte des Umweltbelasters. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

II.

Andere Verfassungsprinzipien ............. . .. .. .. . ....... .... .. . .. . .. I86

III.

Kompetenznormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I88

Zusammenfassung . .. . .. ..... . ... .. . . . .. ..... . . . . ... ... . .... .. . . . . . .. . . . . .. I90

Dritter Teil

Umweltschutz de constitutione ferenda

I95

A.

Ziel einer Positivierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I96

B.

Regelungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 I.

Bestehen einer Regelungslücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

II.

Keine Ausschlußgründe für die Schließung der (Umweltschutz-)Lücke . . .. . 207 1.

Keine beabsichtigte grundgesetzliche Lücke "Umweltschutz" .. .. .. .. . 207

2.

Keine faktische Unmöglichkeit des Verfassungsziels "Umweltschutz" . . 208

3.

Keine verfassungskonzeptionell nicht stimmig ausfüllbare Lücke "Umweltschutz" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 a)

Keine "Modeerscheinung" . . ........... .. . ..... ...... . ..... .. 209

b)

Kein "Fremdkörper" im System der Verfassungsnormen . .. . . .. . . 2IO

10

Inhaltsverzeichnis

4. 111.

C.

c)

Die Problematik eines Schutzes der Natur als solcher- das Verhältnis von Ökozentrik und Anthropozentrik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211

d)

Die Problematik einer "Aufwenung" des Umweltschutzes .. . .. . . 216

Kein substantieller (Umweltschutz-)Eigenbereich des Landesverfassungsrechts ....... . . .......... ; . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

Erforderlichkeil der Lückenschließung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 1.

Umweltschutz auf unterverfassungsrechtlicher Ebene ..... . .. . . . . . .. 220

2.

Umweltschutz in den Länderverfassungen . ..... .. .. . . . . .... .. . . ... 222

3.

Umweltschutz auf europäischer Ebene ..... .. . ... ... . . . . . .

223

Regelungsausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 I.

Auswahl des tauglichsten Mittels ...... . ... .. . .. . . .............. . ... . .. 225 1.

(Umwelt-)Grundrecht ....... . .. . ..... . .. . .............. . .. . . . .. 227 a) b)

2.

Umweltgrundrecht als Modell . ... .. .. . ... . .... . . .. . . . ....... 228 Bewenung ... . . .. . . . . . . .... . . . . . . . .. . . . . .. . . . .. .. ..... . ... 233 aa)

Voneile . . ..... . . ..... .. . . .. . .. . ........... . .. . .. . ... 234

bb)

Nachteile ................. . .. . ............. . . .... . .. 235

Andere materielle Regelungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 a)

Staatsgerichtete objektiv-rechtliche Regelungsformen . .. . . . .. .. 238 aa)

bb) b)

c)

Herkömmliche Unterscheidung . . ....... . ...... . .... . . . 238 (1)

Staatszielbestimmungen .. . ............. ·...... . .. 241

(2)

Programmsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247

(3)

Leitprinzipien oder Leitgrundsätze ....... . .. . . . . . 248

( 4)

Gesetzgebungsaufträge . . . . ... .. .... . .. . .. . ... . . 248

(5)

Verfassungsaufträge . .. . .. . .... . . .. . ..... . . . .. . . 249

(6)

Einrichtungsgarantien . .. . ..... . .. . .. . . . ..... . . . 250

(7)

Staatsstrukturbestimmungen ...... .. ...... . . . .. . . 250

Systematische Reduktion .. . .. . ................ . . ...... 251

Bürgergerichtete Regelungsform: (Umwelt-)Grundpllicht .. . . .. . 255 aa)

Ausgewählte staatstheoretische Ansätze ...... . . . . . . . . .. . 258

bb)

Grundpnichten im Lichte historischer und zeitgenössischer (Verfassungs-)Texte .. . . . . .. . . . . .. .. . .. .. .. . .. .. . .. . . 268

cc)

Konturen der Grundpnichten-Dimension . ... . . . .. . . ... . 278

dd)

Legitimation zur Grundptlichtenstatuierung ....... . .. . .. 288

Wirkungsanalyse einer Verfassungsnorm "Umweltschutz"

293

aa)

Vorgaben der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

294

bb)

Wirkungsanalyse .. .. . . .... . ... . ... . . .. .. . . .. . . ... .. .. 295

Inhaltsverzeichnis (1)

(2)

Staatszielbestimmung . . .. . . . .. .. .. .. . . . . . . .. . . . . (a) Interpretatorische Effekte ........... . ..... (aa) Andere Verfassungsnormen .. . ..... (bb) Einfaches Gesetzesrecht . . . .. .. . . .. (b) "Nachzieheffekte" ....................... . (c) Auswirkungen auf die staatliche Tätigkeit . . .. (d) Auswirkungen für den Bürger . . . . . . . . . . . . . . (aa) Staatsbürgerliche Pflichtenkomponente . . .............. .. . . .. . .. . .. (bb) Verstärkung der (Umwelt-)Rechtsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (cc) lntegrative oder desintegrative Wirkungen ..................... . .... (dd) Edukatorische Wirkungen ... . .. . .. .

II.

295 296 296 302 303 305 325 326 328 330 332

Kombinationsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 (a) Staatszielbestimmung im Verbund mit einer Staatsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 (b)

(3)

11

Staatszielbestimmung im Verbund mit einer Grundpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340

Ergebnis . . . .. .. .. . . . .. .. .. . . . . . . .. .. . . . . .. . . . . 347

Probleme der technischen Abfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 1.

Würdigung der bisherigen Diskussion über Inhalt und systematische Stellung der postulierten Verfassungsnorm zum Umweltschutz ... . . . . 350 a) b)

Bürgerpflicht . . ........ ... . . ....... ... . ... . . . ... . . . . .. . .. . . 351 Umweltstaatsziel . ................ . . . ............ . .. . . . . .. . . 353 aa)

Konkrete Zielformulierung .. ................ .. . .... . .. 354 (1)

bb) c) 2.

Normbereich ........ . .. . ............. .. .. . .. . . 354 (a) Zielobjekt ....... .. ..... . ....... .... . . . . . 354 (b) Zielverhalten . .. . . . .... .. . . .. .... . . . . . . .. 362

(2)

Verfassungsrechtliche Vorgaben .. . ....... . . ..... 367

(3)

Adressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372

Systematischer Normierungsort ........................ 374

Erweiterungen . .. . .............. . ................. .. . ...... 378

Eigener Positivierungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380

Zusammenfassung in Thesen

381

Literaturverzeichnis

386

Einleitung Der Umweltschutz ist inzwischen zu einem der "ersten" (und ernstesten) Themen in der juristischen und politischen Auseinandersetzung aufgestiegen. Kleine Rinnsale jahrzehntelanger Bemühungen sind angesichts zahlreicher Umweltkatastrophen der jüngsten Zeit, allen voran die Strahlenverseuchung im Gefolge des Reaktorunfalls von Tschernobyl und die Verschmutzung des Rheins, zu einem allseits mitreißenden Strom angeschwollen 1, dessen Mündung freilich noch unbekannt ist, dessen Quelle aber noch lange nicht zu versiegen scheint und der sich erst vor kurzem (wieder einmal) anschickte, (auch) in das (Werte-)Bassin des Grundgesetzes einzufließen. Indessen fehlt es in der Bundesrepublik Deutschland bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt nach wie vor an einer grundgesetzliehen Positivierung des Umweltschutzes. Insoweit scheint es also- jedenfalls auf politischer Ebene- mit der Ernsthaftigkeit nicht allzu weit her zu sein, wenn es auch nicht an entsprechenden rechtspolitischen Forderungen mangele. Schon 1971 verlangte die Fraktion der FDP in ihren "Freiburger Thesen" die Verankerung eines "Rechts auf menschenwürdige Umwelt"\ im selben Jahr stand ein solches Grundrecht im Umweltprogramm der sozialliberalen Koalition5 und 1973, im Wahlkampf, wurde es den Wählern vom damaligen Bundeskanzler W. Brandt6 und seinem Innenminister H.-D. Genscher7 verspro1

In diesem Sinne W Leisner, Umweltschutz durch Eigentümer, 1987, S. 11.

2 Siehe dazu ausführlich unten Erster Teil B. I.- Daneben finden sich freilich auch Versu-

che, aus dem Grundgesetz bereits auf interpretatorischem Wege einige Umweltaspekte, ja sogar. ein Umweltgrundrecht "herauszulocken", vgl. dazu etwa die Nachweise bei H.-G. Hmneke, Landwinschaft und Naturschutz, 1986, S. 75 ff.; 1 Lücke, in: Gedächtnisschrift für W. Martens, 1987, S. 153,164 Fn. 64;A. v.Mutius, WiVerw. 1987,51,51 f. Fn. 7 sowie 54 Fn. 18. 3

Hier wie im folgenden ist von den Fraktionen des Bundestages die Rede.

4

Siehe Die Freiburger Thesen der Liberalen, hrsg. von K.-H. Flach, W. Maihofcr, W. Scheel, 1972, S. 109 f. 5

Vgl. BT-Drucks. 6!2710, S. 9.

6

Siehe nur BT-Stenographische Berichte 7/7, S. 119, 127 D.

14

Einleitung

eben. Auch der nächste (liberale) Innenminister, W. Maihofer, verkündete noch 1974, er werde sich für ein solches Grundrecht einsetzen8 • Dann wurde es aber still um ein Umwelt-Grundrecht. Man wollte nicht, daß im Umweltschutz jeder klagen kann. Aus diesem Grunde sind unter anderem auch heute die Fraktionen der CDU!CSU, der FDP und der SPD gegen ein (wie auch immer geartetes) "Grundrecht" auf Umweltschutz; nur die Fraktion "Die Grünen" fordert es weiterhin9 • Dementsprechend bewegte sich die Diskussion der achtziger Jahre vornehmlich auf der Ebene einer rein objektivrechtlichen Verfassungsnorm "Umweltschutz". Doch obwohl sich die von den Bundesministern des Ionern und der Justiz 1981 einberufene unabhängige Sachverständigenkommission "Staatszielbestimmungen I Gesetzgebungsaufträge" 1983 mehrheitlich für die Aufnahme einer solchen objektiv-rechtlichen Verfassungsnorm (in Gestalt einer Staatszielbestimmung "Umweltschutz") aussprach 10, blieben konkrete Gesetzesinitiativen zunächst aus. Im Gegenteil: Ende 1983 gab Bundeskanzler H. Kohl der Öffentlichkeit zu verstehen, daß eine Grundgesetzänderung in Sachen "Umweltschutz" nicht zu erwarten sei 11 • Auch die Meinung juristischer Kreise, insbesondere die der in den Jahren 1984 bis 1987 immer wieder zu Rate gezogenen Staatsrechtslehrer, fiel eher skeptisch bis ablehnend aus 12• Offenbar schien (und 7 Dazu etwa ders., in: Das Bundesministerium des Innern (Hrsg.), Rede von Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher zur Eröffnung des dritten internationalen Kongresses "Reinhaltung der Lurt" am 8. Oktober 1973 in Düsseldorf, 1973, S. 4.

8 Vgl. W. Maihofer, in: Das Bundesministerium des Innern (Hrsg.), Umwelt, Hert 32, 05. Juni 1974, S. 1, 2. 9

Siehe zuletzt BT-Drucks. 11/604, 11/663.

Dazu Bericht der Sachverständigenkommission "Staatszielbestimmungen I Gesetzgebungsaufträge" von 1983, in: Der Bundesminister des lnncrn/Der Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Staatszielbestimmungen I Gesetzgebungsaurträge, 1983, Rn. 130. 10

11 12

Vgl. FAZ vom 16. Dezember 1983, S. 6.

Siehe vor allem die Stellungnahmen der Staatsrechtslehrer im Rahmen der öHentlichen Anhörung der CDUICSU-Bundestagsfraktion am 28. Mai 1984 in Bonn, in: W. Schäublc (Hrsg.), "Aufnahme des Umweltschutzes als Staatszielbestimmung in das Grundgesetz?", Öffentliche Anhörung der CDUICSU-Bundestagsfraktion am 28. Mai in Bonn, 1984, sowie die Äußerungen der Staatsrechtslehrer im Rahmen der öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuß und Innenausschuß des Bundesratesam 10. Juni 1985 zum Thema "Ergänzung des Grundgesetzes um eine Vorschrirt über den Umweltschutz", Anlage 1 zum Stenographischen Protokoll über die 551. Sitzung des Rechtsausschusses und die 544. Sitzung des Innenausschusses, SRDrucks. R 0055- Nr. R 59!85 und 0141 (544)- Nr. 51/85, und die schriftlichen Stellungnahmen der Staatsrechtslehrer und anderer zur Vorbereitung für die öffentliche Anhörung im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestagesam 14. Oktober 1987 zum Thema "Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz", Anlage zum Stenographischen Protokoll der 8. Sitzung

Einleitung

15

scheint) die Ansicht, daß mit einer objektiv-rechtlichen Umweltschutznorm die umweltpolitische Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland "um keinen Deut anders" verlaufen würde als ohne sie, weit verbreitet zu sein 13• Gleichwohl (oder vielleicht gerade deshalb) sind die politischen Parteien inzwischen alle für die Einführung einer Verfassungsbestimmung "Umweltschutz". Während sich die SPD-Fraktion (wohl mit Blick auf die ersten Erfolge der Fraktion "Die Grünen") bereits (oder erst?) 1983/1984 für eine Staatszielbestimmung "Umweltschutz" aussprach 14, gab die CDU!CSUFraktion (wohl mit Blick auf Tschernobyl und vor allem auf die seinerzeit bevorstehende Bundestagswahl Anfang 1987) erst 1986/1987 ihren anfänglich dezidierten Widerstand gegen eine Staatszielbestimmung "Umweltschutz" auf15 • Vor etwa zwei Jahren verständigten sich dann die Fraktionen der CDU!CSU und der FDP darauf, den Umweltschutz als "Staatsziel" im Grundgesetz festzuschreiben 16• Wenig später, im Juli 1987, beschloß der Bundesrat, einen entsprechenden, von den zuständigen Ausschüssen der Länderkammer formulierten Gesetzentwurf in den Bundestag einzubringen. Damit gelangte die verfassungspolitische Diskussion erneut in eine hochbrisante Phase. Endlich konnte wieder ernsthaft erwartet werden, daß der Umweltschutz den ihm gebührenden Rang bekommen würde. Jeder dachte, das Staatsziel "Umweltschutz" werde nun wohl kommen 17• Doch der Befund Anfang 1989 ist- wie schon so oft zuvor in der nahezu 20 Jahre währenden Diskussion- negativ. Die Verhandlungen über die Einfügung des Rechtsausschussesam Mittwoch, dem 14. Oktober 1987. Vgl. ferner etwa H. H. Rupp, DVBI. 1985,990 ff.; L. H. Michel, Staatszwecke, Staatsziele und Grundrechtsinterpretation unter besonderer Berücksichtigung der Positivierung des Umweltschutzes im Grundgesetz, 1986, S. 268 ff.; J Lücke, in: Gedächtnisschrift für W. Martens, 1987, S. 153, 173 ff.; U. Karpen, in: W. Thieme (Hrsg.), Umweltschutz im Recht, 1988, S. 9 ff.; D. Murswiek, ZRP 1988, 14, 14 ff. 13 So eine das Sozialstaatsprinzip betreffende Äußerung von J Isensee, Der Staat 19 (1980), 367,383. 14 Siehe nur den Entwurf eines Sechsunddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes der Fraklion der SPD im Bundestag, BT-Drucks. 10/1502. 15 Ein entsprechender Antrag der SPD-Fraktion wurde im Bundestag am 16. Januar 1986 abgelehnt, vgl. BT-Stenographische Berichte 10/187, S. 14254 ff. Nach D. Murswiek, ZRP 1988, 14, 14, soll sich allerdings der damalige Umweltminister W. Wallmann noch 1986 für die Aufnahme einer Staatszielbestimmung "Umweltschutz" ausgesprochen haben.

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Dies geschah nach der Bundestagswahl im Januar 1987 und wurde vom Bundeskanzler H. Kohl in seiner Regierungserklärung vom 18. März 1987 bekräftigt, dazu Bulletin der Bundesregierung Nr. 27 vom 19. März 1987, S. 205,212. 17 Siehe nur die entsprechende Erwartungshaltung bei 0 . Depenheuer, DVBI. 1987, 809, 809; H.-J Peters, NuR 1987,293, 293.

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eines Staatsziels "Umweltschutz" in das Grundgesetz stagnieren wieder einmal18. Das Thema wird wohl erst im Wahlkampf (für die Bundestagswahl 1990) wieder "ausgegraben" werden -eine traurige Perspektiveangesichts des elementaren Charakters des Umweltschutzes und der Umweltvorsorge. Auch wenn es sich "nur" um die verfassungsrechtliche Stellung dreht, ist die Angelegenheit "Umweltschutz" zu ernst und zu wichtig, als daß sie der (häufig polemischen) (Pseudo-)Auseinandersetzung auf Wahlkampfplattformen vorbehalten bleiben könnte. Freilich kommt dieser stets negative Befund nicht von ungefähr. Zwar ist die Frage nach der Aufnahme des Umweltschutzes in das Grundgesetz eine rein politische Entscheidung, doch sind damit vielfältige und bis heute kaum bewältigte zentrale Probleme verfassungsrechtlicher Art verbunden, die sich immer wieder als "Hemmschuh" erwiesen haben. So ist schon die (Vor-)Frage nach den Umweltschutzgehalten im geltenden Verfassungsrecht bis heute nicht restlos geklärt, weil damit noch zahlreiche ungelöste Einzelfragen zusammenhängen. Nicht nur, daß der Charakter der Kompetenznormen sowie der materielle Gehalt des Sozialstaatsprinzips und der Menschenwürdegarantie19 immer noch offen sind; überdies ergibt sich, was die umweltrelevanten Grundrechte betrifft, die Schwierigkeit, daß diese in ihrer Funktion als Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe keinen Schutz gegen die (im Ergebnis viel gravierenderen) grundrechtsübergreifenden Umweltbeeinträchtigungen privater Dritter zu bieten scheinen. Verfassungsrechtlich ist mithin zu klären, ob die Grundrechtsnormen des Grundgesetzes auch zu diesen Fällen nicht-staatlicher Beeinträchtigungen hinreichende Aussagen enthalten. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht hierzu seit Mitte der siebziger Jahre unter dem Stichwort der "grundrechtlichen Schutzpflicht" einige wichtige Anknüpfungspunkte entwickelt20, doch sind Begründung, Inhalt, Umfang, betroffener Personenkreis und Grenzen dieser "neuen" grundrechtsdogmatischen "Figur" erst in Umrissen erkennbar. Auch in der rechtswissenschaftliehen Literatur finden 18 Immerhin nahm Bundeskanzler H. Kohl das Thema jüngst in seiner Regierungserklärung vom 27. April1989 wieder auf, vgl. FAZ vom 28. April1989, S. 1 und S. 5.

19 Siehe aber neuerdings P. Häberle, in: J. Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 1987, § 20, S. 815,839 ff. Rn. 46 rr. 20 Beginnend mit BVerfGE 39, 1, 41 (Fristenregelung); vgl. ferner etwa BVerfGE 46, 160, 164 f. (Schleyer); 49, 89, 140 ff. (Kalkar); 53, 30, 57 ff. (Mülheim-Kärlich); 56, 54, 73 ff. (Fluglärm); zuletzt BVerfGE 77,170,214 f. (C-Waffen).

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sich nur wenige genauere Untersuchungen hierüber21 • Daher ist es auch nicht verwunderlich, daß bereits die Ansichten über den verfassungsjuristischen Bedarf an einer ausdrücklichen Verfassungsbestimmung zum Umweltschutz divergieren. Während die einen eine Grundgesetzänderung in Sachen "Umweltschutz" schlicht für überflüssig erachten, weil in Anbetracht der Gesetzgebungskompetenzen, der grundrechtliehen Gesetzesvorbehalte, des Sozialstaatsprinzips und des grundrechtliehen Schutzpflichtgedankens insoweit keine verfassungsrechtliche Schutz- oder Regelungs"lükke" festgestellt werden könne 22 , melden die anderen erhebliche Zweifel an, ob dem Grundgesetz befriedigende Antworten auf den "ökologischen Strukturwandel"23 entnommen werden können 24 : Ein Grundrecht auf Umweltschutz sei aus dem Grundgesetz ebensowenig ableitbar wie eine entsprechende Staatszielbestimmung25 ; vielmehr würden sich aus dem geltenden Verfassungsrecht nur punktuell justitiable Schutzpflichten, vor allem in bezug auf das "ökologische Existenzminimum"26 ergeben 27 • Es blieben daher erhebliche grundgesetzliche Schutzlücken, "namentlich hinsichtlich des Lebens- und Gesundheitsschutzes der Nachwelt ... , des Schutzes von öffentlichem Land, öffentlichen Gewässern, Ökosystemen, der Artenvielfalt und des Klimas, ... der Ressourcenbewirtschaftung, der Erholung und ästhetischer Werte" 28• 21 Siehe etwa J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, 1983; D. Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 88 ff.; G. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987; G. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, 1987. 22 In diesem Sinne etwa H. H. Rupp, JZ 1971, 401, 402; W Weber, DVBI. 1971,806, 806; H. H. Klein, in: FS für W. Weber, 1974, S. 643, 644 ff.; 1 Lücke, DÖV 1976, 289, 289 ff.; D. Rauschning, DÖV 1985, 489,489 f.; H. H. Rupp, DVBI. 1985, 990, 990 f.; L. H. Michel, Staatszwecke, Staatsziele und Grundrechtsinterpretation unter besonderer Berücksichtigung der Positivierung des Umweltschutzes im Grundgesetz, 1986, S. 310, 267, 146 ff.; K Stern, NWVBI. 1988, 1, 3; R Stober, JZ 1988, 426, 427. Vgl. ferner die nahezu einhellige Richtung der Stellungnahmen im Rahmen der öffentlichen Anhörung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion am 28. Mai 1984 in Sonn, in: W. Schäuble (Hrsg.), "Aufnahme des Umweltschutzes als Staatszielbestimmung in das Grundgesetz?", Öffentliche Anhörung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion am 28. Mai in Sonn, 1984.

23 A.

v.Mu.tius, WiVerw. 1987,51,54.

24

Siehe z.B. A. v.Mutius, ebd., 54 f.

25

So etwa M. Kloepfer, DVßl. 1988, 305, 311.

26

Begriffsprägend R Scholz, JuS 1976, 232, 234.

27

Vgl. oben Fn. 25.

28

Bericht der Sach~·erständigenkommission "Staatszielbestimmungen I Gesetzgebungsaufträ-

ge" von 1983, in: Der Bundesminister des lnnern/Der Bundesminister der Justiz (Hrsg.), 2 Bock

Einleitung

18

Des weiteren ist ungeklärt, ob sich die Regelungslücke "Umweltschutz" überhaupt (und gegebenenfalls auch in verfassungskonzeptionell stimmiger Weise) schließen läßt. Zudem wird angesichts der vielfältigen Umweltschutzbemühungen auf unterverfassungsrechtlicher und europäischer Ebene ebenso wie im Bereich der Länderverfassungen die Frage nach der Erforderlichkeit unterschiedlich beantwortet. Die größte Schwierigkeit bereitet allerdings die Entscheidung über die geeignete Art und Weise einer Positivierung. Als materiellrechtliche Normen zur Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz bieten sich prinzipiell drei Kategorien an: Grundrecht, Grundpflicht oder objektivrechtliche Bestimmung. Vom Umwelt-Grundrecht freilich wird schon seit langem abgeraten, da es die mit ihm verbundenen Erwartungen kaum erfüllen könne. Während hierüber viel geredet und geschrieben wurde, hat man die Möglichkeit der Normierung einer Umwelt-Grundpflicht offenbar nahezu völlig vergessen, was in Anbetracht der Tatsache, daß es vorwiegend Private sind, die die Umwelt verschmutzen 29, verwunderlich ist, sich aber dadurch erklärt, daß die Kategorie der Grundpflicht - im Gegensatz zu den Grundrechten als "der Verfassungsrechtier 'liebstes Kind'" 30 - das "Stiefkind"31 der deutschen Staatsrechtswissenschaft zu sein scheint; die Entwicklung ihrer dogmatischen Strukturen wurde zumindest stark vernachlässigt32. Über die verbleibende Normierungsform einer objektivrechtlichen Umweltschutzbestimmung wurde (und wird) zwar viel geredet, doch auch hier steht man eher noch auf unsicheren Beinen. Nicht nur, daß insoweit eine geradezu "babylonische Sprachverwirrung" zu beobachten ist, auch bei ihrer inhaltlichen Erfassung bewegt man sich bisweilen wie in einem Irrgarten. So ist etwa von einer "Staatszielbestimmung"33 , "Staatsauf-

Staatszielbestimmungen I Gesetzgebungsaufträge, 1983, Rn. 142. Siehe ferner etwa H. Soe/1, NuR 1985,205,208 f.; M. Kloepfa, DVBI. 1988,305,311. 29 Zutreffend so schonE. Fn'esmhalm , in: Verhandlungen des 50. DJT, Bd. II, 1974, S. G 1, G 25; ferner W Schmill Glaeser, AöR 107 (1982), 337,368 f. 30

W Schmill Glaeser, ebd., 368.

31

Th. Maunz spricht in diesem Zusammenhang treffend und daher viel zitiert von einer "stiefmütterlichen" Behandlung, vgl. den Nachweis bei 0. Luchtahandl, Grundpflichten als Verfassungsproblem in Deutschland, 1988, S. 22 Fn. 6. 32

33

Siehe aber nunmehr die Untersuchung von 0. Luchterhandl, ebd., insbesondere S. 431 ff.

Dazu nur den Bericht der Sachl'erständigenkommission "Staatszie/bestimmungen I Gesetzgcbungsaufträge" von 1983, in: Der Bundesminister des Innern/Der Bundesminister der Justiz

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gabe" 34 oder von einem "Verfassungs-"35 bzw. "Gesetzgebungsauftrag"36 sowie von einem "Programmsatz"37 Umweltschutz oder auch von einem Umweltschutz-"Grundsatz"38 die Rede, ohne daß diese Begriffe näher erläutert, geschweige denn voneinander abgegrenzt werden. Möglicherweise sprechen alle von derselben Sache, ermüden nur in ihrem schier unerschöpflichen Einfallsreichtum nicht, sie beständig mit neuen Namen zu versehen. In der Tat sind diese Normtypen, insbesondere ihr Verhältnis zueinander, noch nicht hinlänglich untersucht worden. Dieses Defizit hat sich nicht zuletzt bei der Diskussion um die Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz niedergeschlagen. So ist etwa die bereits in dem Bericht der Sachverständigenkommission "Staatszielbestimmungen I Gesetzgebungsaufträge" von 1983 zutage getretene Kontroverse über die textliche Fassung sowie über den systematischen Ort einer Umweltschutznorm auch auf die inhaltlich-begriffliche Unklarheit dieser Termini zurückzuführen. Noch immer ist beispielsweise nicht geklärt, welchen "Rang" eine Umweltschutzklausel im Gefüge der Verfassungsnormen einnehmen würde bzw. wie man diese Rangfrage technisch beeinflussen könnte. Zudem müssen Fragen nach dem Normadressaten, nach der rechtlichen Verpflichtungskraft sowie nach Inhalt und Auswirkungen einer Umweltschutznorm nach wie vor als nicht hinreichend beantwortet angesehen werden. So wird zwar etwa in bezug auf eine Staatszielbestimmung "Umweltschutz" ganz allgemein davon (Hrsg.), Staatszielbestimmungen I Gesetzgebungsaufträge, 1983, Rn. 130, 130 ff.; H. Soell, NuR 1985,205, 211;A. v.Mutius, WiVerw. 1987,51,51 ff.

34 So etwa H. P. Bu/1, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, Taschenbuchausgabe der 2. Aufl. 1977, I977, S. 224, 224 ff.; D. Rauschning, WDStRL 38 (1980), I67 ff. 35 Vgl. z.B. H. Sendler, UPR 1983, I, 2; J. Lücke, in: Gedächtnisschrift für W. Martens, I987, s. 153, I 54, 173.

36 In diesem Sinne etwa Bericht der Sachverständigenkommission "Staatszie/bestimmungen I Gesetzgebungsaufträge" von 1983, in: Der Bundesminister des Innem/Der Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Staatszielbestimmungen I Gesetzgebungsaufträge, I983, Rn. 161. 37 Siehe etwa H. H. Rupp, Äußerung im Rahmen der öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuß und Innenausschuß des Bundesrates am IO. Juni I985 zum Thema "Ergänzung des Grundgesetzes um eine Vorschrift über den Umweltschutz", Anlage I zum Stenographischen Protokoll über die 551. Sitzung des Rechtsausschusses und die 544. Sitzung des Innenausschusses, BR-Drucks. R 0055- Nr. R 59185 und 0141 (544)- Nr. SI/85, S. 20, 20.

38 Dazu nur H. H. Rupp, ebd., S. 21. W Leisner, Schriftliche Stellungnahme zur Vorbereitung für die öffentliche Anhörung im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestagesam 14. Oktober 1987 zum Thema ''Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz", Anlage zum Stenographischen Protokoll der 8. Sitzung des Rechtsausschussesam Mittwoch, dem 14. Oktober 1987, S. 110, 116, spricht vergleichbarvon einer "Staatsgrundsatznorm". 2•

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ausgegangen, daß sie alle drei Staatsgewalten unmittelbar binde, doch zugleich nach Möglichkeiten gesucht, diese Bindung zu relativieren, insbesondere sie auf den Gesetzgeber zu beschränken. Konstruktiv soll dies über eine Abwägungsklausel und die Beifügung eines Gesetzesvorbehalts ermöglicht werden- beides bislang freilich eher systemfremde Elemente einer Staatszielbestimmung. Hinter all diesen Fragen stehen selbstverständlich auch politische Ansinnen. Diesbezüglich kann man sich allerdings des Eindrucks nicht ganz erwehren, daß die einen zwar am liebsten keine Grundgesetzänderung wollen, weil sie befürchten, das Grundgesetz könne so zum "Warenhauskatalog" werden und die verfassungsrechtliche Inkorporierung des Umweltschutzes werde eine weitere Politisierung der Justiz und Verrechtlichung der Politik mit sich bringen, doch auch nicht als Umweltfeinde angesehen werden möchten und daher aus Gründen politischer Opportunität eine rein deklaratorische Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz (mithin eine rechtliche Nicht-Entscheidung) anstreben (dies allerdings wiederum möglichst zu verbergen suchen, also nach der Devise "Vollmundige Worte und allenfalls viertelherzige Taten" 39 verfahren), und daß die anderen die Grundgesetzänderung vor allem als Hebel für einen öko-sozialistisch inspiderten Staatsinterventionismus, als "Trojanisches Pferd" für eine staatlich erzwungene Gesellschaftsveränderung betrachten 40 - beides keine besonders glücklichen Vorzeichen für eine sachliche Diskussion. Die angedeuteten Probleme verfassungsrechtlicher Art geben Anlaß, die Frage nach der Aufnahme des Umweltschutzes in das Grundgesetz erneut zu stellen und die damit verbundenen Schwierigkeiten zu erörtern. Im ersten Teil dieser Untersuchung wird im Anschluß an einige Vorüberlegungen (A.) zunächst eine Einführung in die bisherige Diskussion um die A~fnahme des Umweltschutzes in die Verfassung (B.) gegeben. Anschließend soll im zweiten Teil das geltende Verfassungsrecht eingehend nach seinen Umweltschutzgewährleistungen (A.), aber auch nach eventuellen Schranken (B.) befragt werden. Hier werden der materiale Gehalt von Kompetenznormen, Sozialstaatsprinzip und Menschenwürdegarantie sowie Inhalt und Bedeutung des "ökologischen Existenzminimums" und der "Freiheit von Furcht" untersucht werden. Ferner ist die prinzipielle Um39

Abg. Mann , Das Parlament vom 01. Februar 1986, S. 2, 2.

40

So K Angst, Politische Studien 38 (1987), 83, 84, in bezugauf die Sache Natur allgemein.

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21

weltrelevanzder Grundrechte sowie vor allem ihre Reichweite zu erörtern. In diesem Zusammenhang müssen insbesondere Strukturen der staatlichen Schutzpflicht herausgearbeitet werden. In bezug auf die Grenzen einer (staatlichen) Umweltschutzverpflichtung sind Kriterien für einen angemessenen Ausgleich zwischen der grundrechtliehen Position des Umweltbelasters (bzw. anderen Verfassungsprinzipien) einerseits und der des durch die Umweltbelastung Betroffenen andererseits zu entwickeln sowie zu diskutieren, ob die Kompetenzvorschriften Grundrechte unmittelbar begrenzen können. Das Ergebnis des zweiten Teils (C.) wird dann zum dritten Teil der Arbeit überleiten. Dort ist das ebenso aktuelle wie schwierige Problem "Umweltschutz de constitutione ferenda" in Angriff zu nehmen. Dabei muß vorab das Ziel einer Grundgesetzergänzung (A.) klar herausgestellt werden. Sodann ist nach dem Regelungsbedarf überhaupt (B.) zu fragen. Hier wird insbesondere die auch für Juristen immer wichtigere Problematik der "Mensch-Natur-Beziehung" aufzugreifen sein. Schließlich muß sich dem schwierigsten Kapitel, d.h. der Frage nach der Regelungsausgestaltung (C.) zugewendet werden. In diesem Rahmen sind zuerst und vor allem die verschiedenen materiellen Regelungsmöglichkeiten auf ihre Tauglichkeit hin zu überprüfen. Neben einer grundrechtliehen Lösung muß insbesondere eine staatsgerichtete objektiv-rechtliche Regelungsform sowie eine bürgergerichtete Grundpflicht eingehend untersucht werden. Hinsichtlich einer objektiv-rechtlichen Lösung sind grundlegende Ausführungen, insbesondere die Entwicklung eines systematischen Konzepts erforderlich. Für das sich schließlich als das tauglichste erweisende Positivierungsmittel wird eine ausführliche Wirkungsanalyse vorgenommen werden. Sodann müssen (in Anlehnung an die bisher geführte verfassungspolitische Diskussion) zahlreiche Probleme der technischen Abfassung einer Umweltschutznorm erläutert werden. Ihre Lösung wird auf der Basis der vorstehenden Erörterungen erfolgen. Den Abschluß der Untersuchung soll ein so entwickelter eigener Positivierungsvorschlag bilden.

Erster Teil

Herausforderung Umweltschutz "Umweltschutz": ein Novum am "Himmel der Begriffe"\ kaum zwei Jahrzehnte alt 2; "Um-Welt" hingegen hat es schon immer gegeben. Stets mußte sich der Mensch mit der Natur auseinandersetzen 3 , hat seine Umwelt gemäß dem Auftrag der Heiligen Schrift, der da lautet "Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch Untertan ... " (Das erste Buch Mose 1, 28), genutzt, gestaltet und bceinflußt 4 • Um in kultivierter Weise leben zu können, muß der Mensch die Natur bearbeiten, aus ihr "seine" Welt bauen 5• Bereits im Neolithikum lebte der Mensch in einer künstlichen Umwelt 6 , nutzte seine Umwelt getreu dem Motto: "Nur auf Kosten der Schöpfung kann der Mensch (ein) Schöpfer sein"7 • Freilich hatte nicht jeder dieser "Eingriffe" in die natürliche Umwelt einen Umweltschaden zur Folge. In gewissem Umfang kann die natürliche Umwelt Eingriffe selbsttätig ausgleichen. Allerdings nahmen diese Eingrif-

1 Zur Terminologie vgl. P. -Ch. Stonn, in: Deutsche Richterakademie (Hrsg.), Wirtschaft und Umweltschutz, I986, S. I, 2. 2

In diesem Sinne P.-Cil. Stonn, ebd.

Siehe K-G. Wey, Umweltpolitik in Deutschland, I982, S. I8; H. Hulpke, in: Deutsche Richterakademie (Hrsg.), Wirtschaft und Umweltschutz, I986, S. 45, 48; H. Hofmann, JZ I988, 265,266 ff. 3

4 Dazu vor allem E. Fels, Der Mensch als Gestalter der Erde, I935, S. 4, 9 ff., und dcrs., Der wirtschaftende Mensch als Gestalter der Erde, 2. Aufl. I967, S. 23 ff.; vgl. ferner etwaA. 1hienemarm, Leben und Umwelt- Vom Gesamthaushalt der Natur, I956, S. 26 ff.

5 Siehe K Löwith (I957), in: ders., Sämtliche Schriften, hrsg. von K. Stichweh, M. B. Laurnay, Bd. I, 1981, S. 259,281. 6 7

Vgl. dazu J. Lüning, in: H. Markl (Hrsg.), Natur und Geschichte, I983, S. I29, 137 ff.

P. Valery (I87I-I945), zitiert nach K Löwith (I971), in: ders., Sämtliche Schriften, hrsg. von K. Stichweh, M. B. Laurnay, Bd. 9, I986, S. 229,313 m.w.N.

1. Teil: Herausforderung Umweltschutz

23

fe stetig zu. Mit Beginn der Seßhaftigkeit des Menschen wuchs auch seine Einflußnahme auf die Natur. Schon im Mittelalter nahmen die Eingriffe in den Naturhaushalt bedrohliche Ausmaße an. Vor allem die Erweiterung der landwirtschaftlichen Nutzflächen und Entwaldungen führten zu tiefgreifenden, wenngleich räumlich begrenzten Störungen der Natur8 und riefen die ersten Waldschutzmaßnahmen auf den Plan. Die Stadt Nürnberg etwa forstete den von ihr im 13. Jahrhundert erworbenen Reichswald auf und gab sich bereits 1294 eine Waldordnung9 • Die industrielle Revolution 10 , die Entwicklung von Wissenschaft und Technik, stetiges, wenngleich durch wiederholte Kriege gehemmtes Bevölkerungswachstum und individuelles Gewinnstreben schließlich brachten eine weltweite 11 Gefährdung des ökologischen Gleichgewichts mit sich 12 • Die teilweise bedrohlichen Umweltbelastungen waren den Menschen des 19. Jahrhunderts immerhin nicht gänzlich unbekannt. So wiesen bereits damals Biologen wie A. E. Brehm, C. Koch, G. Giebel und F. von Tschudi auf die Gefährdungen bestimmter Tierarten hin und betonten zugleich deren Nutzen für die Ökotope. E. Haeckel nahm ihre Überlegungen auf und verwendete 1866 erstmals den Begriff "Ökologie" im heutigen Sinne. Chemiker und bakteriologisch orientierte Mediziner beschäftigten sich anläß-

8 Siehe K -G. Wey, Umwe ltpolitik in Deutschland, 1982, S. 20 ff. 9

So H. Hoftrwnn, J Z 1988, 265, 266.

10

Welche in England vor zweihundert Jahren begann, Mitte des 19. Jahrhunde rts Mitteleuropa vollerfaßte und anschließend auch auf die kommunistischen industriellen Staaten und die in industrieller Entwicklung begriffenen Länder übergriff. 11 Zum Problem der weltweiten Gefährdung etwa bereits/. 1•.Münch, ArchVR 15 (1971/ 1972), 385, 385; M. Bothe, ZaÖRV 32 (1972), 483, 489 Cf.; D. Rauschning, Europa-Archiv 1972, 567, 567 ff.; H. Steiger, in: FS für H. U. Scupin, 1973, S. 343, 345 f.; M. P. v. Wa/terskirchen, in: C. Hom/M. P. v.Walterskirchen/J. Wolff, Umweltpolitik in Europa, 1973, S. 9, 9 ff. m.w.N.; ebenfalls den weltweiten Charakter betonend W Maus, JA 1979, 287, 288; B. Bendß, UPR 1982, 241 , 241; A. Eser, in: H. Mark! (Hrsg.), Natur und Geschichte, 1983, S. 349, 388 f.; Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, Umweltgutachten 1987, BT-Drucks. 11/1568, S. 18 Nr. 27.

12 In diesem Sinne K-G. Wey, Umweltpolitik in Deutschland, 1982, S. 24; vgl. in diesem Zusammenhang auch G. Kode, in: M. Glagow (Hrsg.), Umweltgefährdung und Gesellschaftssystem, 1972, S. 124, 127 ff.

1. Teil: Herausforderung Umweltschutz

24

lieh schwerer Choleraepidemien mit dem Problem der Gewässerverunreinigung13. Dennoch gelang es nicht, das Umweltproblem allgemein bewußt zu machen. Es fehlte zu dieser Zeit - ebenso wie noch in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts - am vitalen Interesse breiter Bevölkerungsschichten14 . Allgemeine Wertvorstellungen marktwirt$Chaftlicher Prägung ließen das Thema über einen Expertenkreis hinaus nicht aktuell werden. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich zunächst kein öffentliches Umweltbewußtsein. Die Zeit nach 1945 war vielmehr geprägt vom sozialen Zwang zum Wiederaufbau. Erst mit dem Erreichen der "Wohlstandsgesellschaft" konnte- ja mußte vielleichtts- das Augenmerk auch auf den Umweltschutz gerichtet werden. Zudem trat die äußerlich erkennbare Umweltverschmutzung in massiver Form erst in den sechziger Jahren auf. Als Ausgangspunkt für das allmähliche Bewußtwerden des Problems "Umweltschutz" wird das 1962 erschienene Buch "The Silent Spring" der amerikanischen Biologin R. Carson angesehen16. Anfang der siebziger Jahre war der Begriff "Umweltschutz" jedenfalls in aller Munde 17• Zunehmend wird der Menschheit die Aufgabe bewußt, die bereits in der Heiligen Schrift- wenn auch für das Paradies, so doch auf die Erde übertragbar- ihren Ausdruck fand: "Und Gott der Herr nahm den

13

Siehe dazu näher K-G. Wey, Umweltpolitik in Deutschland, 1982, S. 27 ff.

14 In diesem SinneP. C. Mayer-Tasch, Umweltrecht im Wandel, 1978, S. 9 (.

15 So spricht H. Hulpke, in: Deutsche Richterakademie (Hrsg.), Wirtschaft und Umweltschutz, 1986, S. 45, 46, von einem emotionalen Vakuum, welches es aufzufüllen galt.

16 Vgl. den Hinweis bei W. Hoppe, VVDStRL38 (1980), 211 , 218.

17 Bereits 1972 sollen 92 % der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland etwas mit dem Begriff"Umweltschutz" anzufangen gewußt haben, siehe W. Hoppe, VVDStRL 38 (1980), 211,218 Fn. 12 m.w.N. - Das Umweltbewußtsein spiegelt sich auch in einer Reihe von Untersuchungen wider, die etwa von 1970 an erschienen sind und von denen vor allem der Bericht des Club of Rome, "Die Grenzen des Wachstums", zu nennen ist, dazu Dennis MeackJws/ Donella Meadows/ E. Zahn/P. Milling, Die Grenzen des Wachstums, 1973. Zu weiteren Untersuchungen vgl. ferner G. Picht, ZRP 1971, 152 (f.; H. Schultze (Hrsg.), Umwelt-Report, 1972; B. Weilmann (Hrsg.), Die Umwelt-Revolte, 1972; H. E. Richter (Hrsg.), Wachstum bis zur Katastrophe?, 1974; G. R. Taylor, Das Selbstmordprogramm (1971), 1975; D. Gabor/U. Co/ombo/A. King/R. Ga/li, Das Ende der Verschwendung, 1976; H. Gruhl, Ein Planet wird geplündert (1978), 1982.

A. Vorühcrlcgungl'n

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Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, daß er ihn baute und bewahrte" (Das erste Buch Mose 2, 15). Heute jedenfalls hat sich die fundamentale Erkenntnis, daß ein effektiver Schutz der Umwelt als der natürlichen Grundlage des Lebens zu den zentralen Herausforderungen unserer Zeit gehört 18, aus der Reihe der Außenseiterpositionen herausgelöst, ist unbestreitbar als Allgemeingut anzusehen. Dementsprechend hat sich der Umweltschutz in den letzten Jahren auch zu einem herausragenden Thema jeglichen staatlichen Handeins entwickelt. In diesem Zusammenhang interessiert hier ausschließlich die Frage, ob und gegebenenfalls wie die Herausforderung "Umweltschutz" auch auf Verfassungsebene angenommen werden sollte. Im Anschluß an einige Vorbemerkungen (A.) sollen daher zunächst die verschiedenen Vorstöße (auf Bundes- wie auf Landesebene) zur Aufnahme des Umweltschutzes in die Verfassung sowie einige Positivierungsbcispiele auf europäischer Ebene vorgestellt werden (B. ).

A. Vorüberlegungen Bereits 1949 warnte 0. Kraus: "Fährt man weiter fort, die Forderungen einer biologisch begründeten Landschaftspflege zu mißachten, so wird es zuletzt die Natur selbst sein, die über den Fortschritt und über uns alle rächend hinweggehen wird. Soll aber die Zerstörung der Natur unser Schicksal von morgen sein?" 19 1957 schrieb F. R. Fosberg: "Es ist sehr wohl möglich, daß der Mensch die von ihm verursachten Veränderungen seiner Umgebung nicht überlebt, entweder weil ihm die Rohstoffe ausgehen wegen der Kriege, die er um die schwindenden Vorräte führen wird, oder einfach weil sein Nervensystem nicht in der Lage ist, sich so schnell auf die verän-

18 Siehe dazu etwa schon den Dritten Immissionsschutzbericht der Bundesregierung aus de m Jahre 1984, der zu Beginn davon spricht, daß der "Schutz der Umwelt ... nach der Sicherung des Friedens die wichtigste Aufgabe unserer Zeit" sei, BT-Drucks. 10/1354, S. 5; ähnlich führt M. Kloepfer, in: R. Herzog/H. Kunst/K. Schlaich/ W. Sehneerneicher (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, Bd. II, 3. Auf!. 1987, Sp. 3639, 3640, aus, daß sich die Abwehr von durch den Menschen verursachten Gefährdungen seiner Umwelt als eine grundsätzliche Herausforderung an das moderne Gemeinwesen erweist.

19 0. Kraus

(1949), in: ders., Zerstörung der Natur, 1966, S. 10, 15.

26

1. Teil: A. Vorüberlegungen

derten Umweltbedingungen einzustellen, wie dies erforderlich wäre. "20 Zwei Jahre später sagte D. Price: "Wir alle leben in der beklemmenden Furcht, daß irgend etwas unsere Umgebung so weit zerstören könnte, daß der Mensch, wie seinerzeit die Dinosaurier, als veraltet ausrangiert wird", und: "Was diese Gedanken ganz besonders unangenehm macht, ist die Vorstellung, daß unser Schicksal schon besiegelt sein könnte, lange bevor sich die entscheidenden Symptome zeigcn" 21 • Trotz dieser eindeutigen Warnungen blieb die Welt noch bemerkenswert unberührt 22 • Gleichwohl hörten entsprechende "Kassandrarufe" nicht etwa auf. Ende der sechziger Jahre wurde wiederholt vom Untergang des Lebens auf der Erde gesprochen: 1968 führte F. Darling aus: "Uns alle erfüllt jetzt die Furcht, ob wir die Verhältnisse noch in den Griff bekommen oder ob Ursache und Wirkung sich schon so weit verselbständigt haben, daß wir nicht mehr eingreifen können." 23 Noch eindringlicher sprach U. Thant 1969 die Befürchtung aus, daß das Problem der Umweltverschmutzung innerhalb der nächsten zehn Jahre derartige Ausmaße erreicht haben könnte, daß seine Bewältigung menschliche Fähigkeiten übersteigen werde 24 • Entsprechende Mahnungen finden sich in der Bundesrepublik Deutschland mit Beginn der siebziger Jahre auch im rechtswissenschaftliehen Schrifttum. So schrieb etwa E. Rehbinder 1970, wenn nicht zunehmend energischere Abhilfe geschaffen werde, ließe es sich keineswegs mehr ausschließen, "daß wir eines nicht allzu fernen Tages vor einem plötzlichen gigantischen 'ökologischen Bankrott' infolge 'Umkippens' der Balance des Naturhaushalts stehen werden" 25 • Dennoch wurden Anfang der siebziger Jahre solche Äußerungen, wie etwa auch die von G. Picht aus dem Jahre 1971: "Beim Umweltschutz geht es um die einfache Frage, ob das Überleben der Gattung Mensch auf diesem Planeten noch gesichert werden kann,

20

Zitiert nach G. R Taylor, Das Selbstmordprogramm (1971), 1975, S. 11.

21

Vgl. soeben Fn. 20.

22

Siehe G. R Taylor, Das Selbstmordprogramm (1971 ), 1975, S. 11.

23

Vgl. oben Fn. 20.

24 Siehe bei Dcnnis Mcadows/Donel/a Mcadows/E. Zahn/P. Milling, Die Grenzen des

Wachstums, 1973, S. 11 . 25

E. Rchbindcr, ZRP 1970, 250, 250.

A. Vorüberlegungen

27

oder ob es dafür bereits zu spät ist" 26, noch mit dem bagatellisierenden Hinweis auf "Umwelthysterie"27 abgetan. Dem breiten Desinteresse entsprechend hatten diese schon frühzeitigen Umweltschutz-Appelle im Ergebnis nur wenig Einfluß auf den Raubbau der Natur. "Die Selbsterneuerungskräfte der Natur sind (heute) teilweise erschöpft, ökologische Kreisläufe vielfach zerstört." 28 Bisweilen hat die Umweltbelastung schon derartige Ausmaße erreicht, daß ihre Beseitigung ernsthaft für (menschen)unmöglich erachtet wird; so werden etwa die Umweltschäden in Polen bereits als schlechthin irreparabel eingestuft 29• Obwohl das Umweltbewußtsein heute allgemein recht hoch ist - "Umweltschutz wird als äußerst dringliche politische Aufgabe angesehen" 30 und die prinzipiell existentielle Bedeutung des Umweltschutzes unbestritten ist, lag nach einer Umfrage von 1980 der Anteil derer, die die Entwicklung der Umweltsituation als lebensbedrohlich empfanden, lediglich bei knapp 20%31 • Dementsprechend lebt der Mensch immer noch nicht so, als drohe unser Planet in Kürze unbewohnbar zu werden. Die Folge ist eine stete Zunahme an Umweltproblemen und Umweltschäden. Die Umweltprobleme wurden allgemein erst spät erkannt32 , ja Ursachen und Auswirkungen sind heute noch nicht in ihrer Gesamtheit hinreichend bekannt. Um Prognosen erstellen zu können, bedarf es noch vielfältiger, insbesondere interdisziplinärer Forschungsarbeiten. Niemand vermag beispielsweise heute im einzelnen darzulegen, welche die entscheidenden Ursachen für das zunehmende Waldsterben 33 oder für die beunruhigende

26

G. Picht, ZRP 1971, 152, 152.

27

So etwa der Staatssekretär des Bundesministeriums des Innern G. Hankopf laut FR vom 20. Mai 1971, S. 3. 28 M. Kloepfer, in: R. Herzog!H. Kunsl/K. Schlaich/W. Sehneerneicher (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, Bd. II, 3. Aun. 1987, Sp. 3639, 3640. 29

So FAZ vom 01. Dezember 1988, S. 12.

30 Rat

von Sachverständigen für Umweltfragen, Umweltgutachten 1987, BT -Drucks. 11/1568,

S. 49 Nr. 47. 31

Dazu Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, ebd. m.w.N.

32

Vgl. zur Entwicklung allgemein bereits oben vor A

33 Dazu aber neuerdings FAZ vom 02. März 1989, S. 9: Einigkeit besteht nunmehr unter den Wissenschartlern darüber, "daß Luftschadstoffe an de n Waldschäden ursächlich beteiligt sind".

28

1. Teil: A. Vorüberlegungen

Vernichtung der Ozonhülle34 sind. Daher ist oftmals lediglich ein Kausalverdacht (bisweilen auch in Form eines dringenden Tatverdachts) möglichH, über den zudem selbst unter den kompetenten Wissenschaftlern nicht immer Einmütigkeit bestehe6• Auch die Auswirkungen, die das umweltintensive Leben für die einzelnen Rechtsgüter mit sich bringt, "werden nur allmählich erkannt, und das Recht kann in seiner Entwicklung dem Leben niemals vorauseilen, sondern muß ihm nachfolgen" 37• Es fehlen immer noch ausreichende wissenschaftliche Erkenntnisse über das Gefahrenpotential von Umwelteinwirkungen 38• Verschärft wird das Bewältigungsproblem durch "die Komplexität der Ursache-Wirkungsbeziehungen, die vielfach auftretende zeitliche Verzögerung der Schadenswirkungen von Umwelteinwirkungen und die Verlagerung der Belastungen auf spätere Generationen, ... die fehlende Sichtbarkeit vieler Umweltschäden, die Schwierigkeit, Umweltschäden oder umgekehrt: den Nutzen von Umweltschutzmaßnahmen in Geldeinheiten auszudrücken" 39. Hinzu kommt der starke Schutz, den die Rechtsordnung, insbesondere die Verfassung (Art. 12, 14 GG), gegenläufigen, vor allem wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Interessen verleiht40 • Diese Probleme haben unter anderem dazu geführt, daß heute eine "notorische Durchsetzungsschwäche des Umweltschutzes"41 gegenüber gegenläufigen, kurzfristigeren respektive deutlicher sichtbaren Allgemein- oder Privatinteressen zu verzeichnen ist bzw. daß die Umweltprobleme bisweilen bedrohliche und von jedermann spürbare Aus34 Hierzu jüngst etwa K Adilm, FAZ vom 21. März 1989, S. 1, 1; zur Problematik des sog. "Ozonlochs" aus naturwissenschaftlicher Sicht etwa R S. S10larski, Spektrum der Wissenschaft, Sonderdruck 2/88, S. 2 ff.

35 G. Dürig, JöR 36 (1987), 91 , 98, spricht in diesem Zusammenhang zutreffend davon, "daß hier ganze geometrische oder arithmetische Reihen von Kausalitäten aufeinander prassen". 36 Zudem warnt G. Dürig, ebd., 99, die Juristen: "Meine Herren, erwarten Sie keine Hilfe von den Naturwissenschaftlern. Die arbeiten nie mit 0 Prozent und nie mit 100 Prozent, sondern immer nur mit Zwischenwerten."

37 0 . Kimminich, Der Staat

3 (1964), 61, 84.

38

So der Bericht der Sachverständigenkommission "Staatszielbestimmungrn I Gesetzgebungsaufträge" von 1983, in: Der Bundesminister des Innern/Der Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Staatszielbestimmungen I Gesetzgebungsaufträge, 1983, Rn. 143.

39 Bericht der Sachverständigenkommission "Staatszielbestimmungen I Gesetzgebungsaufträ-

ge" von 1983, ebd. 40

Siehe soeben Fn. 39.

41 D. Murswiek, ZRP 1988, 14, 20.

A Vorüberlegungen

29

maßeerreicht haben. Zu nennen sind hier unter anderem42 die Luft- und Gewässerverunreinigung, der Grundwasserverbrauch, Klimaveränderungen, Bodenverbrauch und Bodenverschmutzung, die Landschaftszersiedlung, die Artenvernichtung, radioaktive Strahlung, Lebensmittelvergiftung, Abfall und Lärm 43 • Das Ausmaß der Umweltzerstörung mögen die immens hohen Umweltschäden vage andeuten. Soweit sie überhaupt monetär bewertbar sind, werden sie in der Bundesrepublik Deutschland jährlich zur Zeit auf etwa 100 Milliarden DM geschätzt 4 \ wovon ungefähr die Hälfte der Luftverschmutzung, ein Drittel der Lärmbelastung sowie ein Fünftel der Gewässerverschmutzung und der Bodenzerstörung zugerechnet werden45 • Für den Zeitraum von 1984 bis 2060 erwarten Experten einen wirtschaftlichen Schaden durch das Waldsterben in Höhe von 442 Milliarden DM46• Das Umweltbundesamt bezifferte zu Beginn des Jahres 1986 allein die Kosten für die Untersuchung, Bewertung und Sanierung der früheren 30.000 Abfalldeponien und 5000 Industriestandorte in der Bundesrepublik Deutschland einschließlich West-Berlin auf ca. 17 Milliarden DM unter Zugrundelegung der Annahme, daß etwa zehn Prozent der Altdeponien und jeder zweite der ehemaligen Industriestandorte sanierungsbedürftig sind47 • Mit abweichenden Bewertungen zum Gefahrenrisiko gelangen andere Schätzungen auf einen Betrag von bis zu 50 Milliarden DM48, wobei sonstige Umweltschäden 42 Es ist kaum möglich alle Umweltgefahren und -probleme aufzuzeigen; bereits 1972 wies 0. Kimminich darauf hin, daß "die Flut der Veröffentlichungen" (hierüber) ... "ein Ausmaß erreicht (hat), das sich mit den Abwasser-, Abgas- und Abfallmengen, die ihren Gegenstand bilden, durchaus vergleichen läßt" (ders., Das Recht des Umweltschutzes, 2. Aun. 1972, S. 14); tadelnd fügte er hinzu: "Man kann sich jedoch des Eindrucks nicht erwehren, daß die politischen und publizistischen Aktivitäten vielfach nur Alibifunktionen erfüllen und von der wahren Situation und der Notwendigkeit zu handeln ablenken. Man nennt die Dinge in aller Offenheit beim Namen und läßt im wesentlichen alles beim alten" (dcrs., ebd.). 43 Beispiele beiM. Klocpfer, in: R. Herzog/H. Kunst/K. Schlaich/W. Sehneerneicher (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, ßd. II, 3. Aun. 1987, Sp. 3639, 3640. 44

Dazu nur L. Wicke, Die ökologischen Milliarden, 1986, S. 123, 125 und S. 130.

45

Vgl. L. Wicke, ebd., S. 123 sowie S. 55 ff., 120 f., 84 ff. und S. 106 ff.

46

Dazu FAZvom 21. September 1988, S. 34.

So P. Selmer, in: W. Thicmc (Hrsg.), Umweltschutz im Recht, 1988, S. 25, 25, unter Verweis auf die Angaben bei S. Dietrich, FAZ vom 07. Januar 1986, S. 4, sowie in BT·Drucks. 10/5529, S. 1, und bei Allg. Schmidbaua, BT-Stenographische Berichte 10!225, S. 17503, 17504 (B). 47

48

Siehe ßT-Drucks. 10/5527, S. l.

30

1. Teil: A. Vorüberlegungen

wie vor allem die "emittentcnfcrnen Waldschäden"49 oder auch die erforderlichen finanziellen Aufwendungen zur Vermeidung künftiger Altlasten50 nicht einmal mitgerechnet werden 51 . Freilich sind die Umweltgüter sehr schwer zu bewerten. Wenn sie auch prinzipiell für den Menschen nützlich sind und somit einen Wert besitzen, so haben sie doch keinen Marktpreis, weil die Nutznießer sie in aller Regel kostenlos in Anspruch nehmen (sog. "freie Güter" 52). Ihr Wert kann deshalb nur auf Umwegen beziffert werden, etwa über die Kosten für ihre Wiederherstellung oder für technische Ersatzleistungen. Daß die Umweltzerstörung ein derart bedrohliches Ausmaß annehmen konnte, ist vornehmlich die Folge einer fahrlässigen Umweltblindheit der auf Konsum- oder Gewinnziele fixierten "Normalbürger", die sich der umweltbelastcnden Auswirkungen ihres Tuns oft nicht bewußt oder denen ausreichende umweltschützende Handlungsalternativen nicht bekannt sind. Die allgemeine Umweltblindheit ist in Anbetracht der Tatsache, daß die einzelnen Teilursachen der Umweltzerstörung für sich genommen nicht als schädlich erscheinen und zudem nur als Nebenfolge eines erstrebten Nutzens und damit eines an sich legitimen Zieles in Erscheinung treten, durchaus verständlich53 . Der Umweltschutz steht von vornherein im Konflikt mit 49 Dazu vor allem BGH NJW 1988,478 ff. (Waldsterben); vgl. aus dem Schrifttum etwa W Leisner, Waldsterben, 1983; L. v.Usslar, NuR 1983, 289 ff.; K Roth·Stielow, NJW 1984, 1942 ff.; Eike v.Hippel, NJW 1985,30 ff.; ders., NJW 1988,482, 482; J. Hofmann, ZRP 1985, 164 ff.; W. Baumann, in: ders. (Hrsg.), Rechtsschutz für den Wald, 1986, S. 127 ff.; 8 . Bender, Verw.Arch. 77 (1986), 335 ff.; ders., in: R. Breuer/M. Kloepfer/P. Marburger/M. Sehröder (Hrsg.), Umwelt- und Technikrecht, Bd. 2, S. 83 ff.; H.-F. Frhr. v.Dömberg, NuR 1986, 45 ff. und 153 ff.; H. Ebersbach, NuR 1985, 165 ff.; K H. Ladeur, DÖV 1986, 445 ff.; D. Murswiek, NVwZ 1986, 611 ff.; R Schmidt, ZRP 1987, 345 ff.; P. Schüu, in: W. Baumann (Hrsg.), Rechtsschutz für den Wald, 1986, S. 1 ff.; D. Suhr, Immissionsschäden vor Gericht, 1986; G. Feldhaus, UPR 1987, 1 ff. 50 Zur Altlastenproblematik siehe etwa H.-J. Koch, Bodensanierung nach dem Verursacherprinzip, 1985, S. 1 bisS. 24; H.-1. Papier, Altlasten und polizeiliche Störerhaftung, 1985; ders., NVwZ 1986, 256 ff.; A. Schi11k, DVBI. 1985, 1149 ff.; ders., DVBI. 1986, 161 ff.; R Stegmmm, in: R. Breuer/M. Kloepfer/P. Marburger/M. Sehröder (Hrsg.), Umwelt- und Technikrecht, Bd. I, 1985, S. 1, 3 ff.; R Breuer, JuS 1986,359 ff.; ders. , NVwZ 1987,751 ff.; H. Hmmanll, DVBI. 1986, 135 ff.; P. Slriewe, ZfW 1986,273 ff.; M. Kloepfer, NuR 1987,7 ff.; P. Kothe, ZRP 1987, 399 ff.; jeweils m.w.N.

51

SoP. Selmer, in: W. Thieme (Hrsg.), Umweltschutz im Recht, 1988, S. 25, 25.

52 Kritisch zur Terminologie W

Berg, in: Th. MaunzJK. Obermayer/W. Berg!F.-L. Knemeyer (Hrsg.), Staats- und Verwaltungsrecht in Bayern, 5. Aun. 1988, S. 477,493 Fn. 40.

53 Siehe A . Eser, in: H. Markl (Hrsg.), Natur und Geschichte, 1983, S. 349, 364 r.

A Vorüberlegungen

31

ökonomischen und technischen Zielvorstellungen und Zwangsläufigkeiten54. Je stärker Konsum und Produktion ausgeweitet werden, um so stärker werden natürliche Hilfsquellen, biologischer Lebensraum und Lebensvielfalt reduziert55 . Dabei ist die Bereitschaft zum Umweltschutz gegenüber dem Streben nach zivilisatorischem Wohlstand deutlich kleiner. Dieser Tendenz entsprechend sind alleinige volkswirtschaftliche Leitlinien immer noch reine Kosten-Nutzen-Analysen, die Verluste und Beeinträchtigungen von Natur und Umwelt weitgehend unberücksichtigt lassen56• Solchen Entwicklungen hat das Recht entgegenzusteuern. Angesichts des Ausmaßes an Umweltschäden genügt es heute nicht mehr, lediglich die Interessen der Betroffenen zu berücksichtigen, mithin eingetretene Schäden zu reparieren oder zu sanieren. Neben der reinen Schadensbeseitigung werden insbesondere Maßnahmen zum präventiven Umweltschutz auf staatlicher ebenso wie auf privater Ebene erforderlich sein. Dieser Gedanke findet sich auch in den Prinzipien57 und Instrumenten58 des Umweltschutzes wieder. Neben nationalen Bemühungen zum Umweltschutz werden vor allem internationale Anstrengungen unentbehrlich sein. Die Umweltverschmutzung ist ein weltweites Problem 59• Nationale Gegenmaßnahmen sind wegen der geographischen Begrenzung in vielen Bereichen wenig wirksam, wenn nicht die anderen Staaten gleichzeitig die gleichen Anstrengungen unternehmen. Umweltschutzbestimmungen können zudem Handelshemmnisse bilden und den freien Wettbewerb beeinträchtigen60• Der internationalen

54 So zutreffendA. Eser, ebd., S. 365. Das bedeutet aber nicht, daß die Ziele "Ökologie" und "Ökonomie" schlechthin unvereinbar wären. Nach dem verfassungsrechtlichen Prinzip des "schonendsten Ausgleichs" (P. Lache, Übermaß und Verfassungsrecht, 1961, S. 153) sind beide zu harmonisieren, d.h. es ist im Einzelfall nach der "ökonomischsten Ökologie" sowie nach der "ökologischsten Ökonomie" zu fragen und anschließend eine Art "Mittelwert" zu bilden; dazu auch später ausführlich Zweiter Teil B. I. und II. 55

SoA. Esa, in: H. Markl (Hrsg.), Natur und Geschichte, 1983, S. 349, 365.

56

SieheA. Esa, ebd., S. 365 f.

57 Dazu unten AI. 1. 58

Vgl. unten A. I. 2.

59

Siehe oben Fn. 11.

60 So Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, Umweltgutachten 1987, BT-Drucks. 11!1568, S. 18 Nr. 27.

1. Teil: A Vorüberlegungen

32

Harmonisierung von Umweltschutzvorschriften kommt daher besondere Bedeutung zu61 • Letztlich dürfte auf lange Sicht ein effektiver Umweltschutz aber nur dann zu erreichen sein, wenn die Bevölkerung der Erde insgesamt umweltbewußterwird. Es gilt, die Allgemeinheit und den einzelnen davon zu überzeugen, daß der bisherige Umgang mit der natürlichen Umwelt zu bedenklichen Schäden geführt hat, und zu verdeutlichen, wie im alltäglichen Umgang mit ihr solche Beeinträchtigungen künftig vermieden oder jedenfalls auf ein Minimum reduziert werden können62 . Wirksamer Umweltschutz kann nur gelingen, "wenn mehr als bisher in der Allgemeinheit und bei den speziell betroffenen Kreisen, z.B. bei der Industrie, das Bewußtsein geweckt bzw. erhalten wird, daß eine rücksichtsvolle Behandlung der Umwelt mehr als jede rechtliche Maßnahme geeignet ist, die natürlichen Lebensgrundlagen für uns alle zu erhalten und zu fördern" 63 • Ein Weg zur Bewußtseinsbildung oder -verstärkung kann die Aufnahme des Umweltschutzes in das Grundgesetz sein64 • Allerdings kann eine Verfassungsbestimmung nicht schon selbst konkrete Konflikte zwischen Belangen des Umweltschutzes und anderen Individual- oder Gemeinwohlinteressen lösen. Diese Wertkonflikte muß der Gesetzgeber nach wie vor auf einfach-gesetzlicher Ebene lösen. Da das einfache Gesetzesrecht demzufolge eine entscheidende Rolle spielt, sollen als Grundlegung zunächst die elementaren Prinzipien und Instrumente des unterverfassungsrechtlichen Umweltrechts (I.) vorgestellt werden. Anschließend muß die Frage nach dem Begriffsinhalt von Umwelt und Umweltschutz (II.) gestellt werden. Schließlich ist der Zusammenhang von Umweltschutz und Verfassung (III.) zu untersuchen.

61 Auf internationale Aspekte des Umweltschutzes kann hier dennoch nicht eingegangen werden, denn dies erforderte eine eigenständige Monographie, vgl. dazu etwa H. Steiger, in: FS für H. U. Scupin, 1973, S. 343 ff.; W E. Burhenne, in: J. Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, 1982, S. 659 ff. 62

Siehe 0. Triffterer, Umweltstrafrecht, 1980, S. 28 f.

63

0. Triffterer, ebd., S. 29.

64

Zum Zusammenhang von Umweltschutz und Verfassung unten A JII.

I. Die wichtigsten Prinzipien und Instrumente des Umweltrechts

33

I. Die wichtigsten Prinzipien und Instrumente des Umweltrechts

Die Normen des Umweltrechts finden sich zum Teil in umweltspezifischen Gesetzen, zum Teil in nur umweltrelevanten Gesetzen; sie sind mit anderen Worten über große Bereiche der gesamten Rechtsordnung verstreut. Daher läßt sich das Umweltrecht als problembezogenes Querschnittsrecht6\ der Umweltschutz als ubiquitär begreifen. Das Umweltrecht strebt die Verwirklichung bestimmter Umweltqualitätsziele auf der Basis tragender, allgemeiner Prinzipien (I.) und eines bestimmten Instrumentariums (2.) an. 1. Hauptprinzipien des Umweltschutzes

Über die jeweils in den einzelnen Gesetzen zum Ausdruck kommende Zwecksetzung hinaus können acht allgemeine Grundsätze des Umweltrechts herausgehoben werden 66 : Umweltschutz ist zunächst Gefahrenabwehr. Der Staat muß Umweltbelastungen verhüten und bei entsprechender Gefahr, erheblichen Nachteilen oder Belästigungen für Leib, Gesundheit, Leben und Umwelt schützend eingreifen. Beispielhaft können für das Gefahrenabwehrprinzip § 5 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 BlmSchG sowie § 7 Abs. 2 Nr. 2 AtG angeführt werden67 . Verantwortliche Umweltpolitik beschränkt sich jedoch nicht auf die Abwehr von Gefahren für Mensch und Umwelt, sondern handelt vorausschauend bereits im Vorfeld der Gefahrenabwehr68• Das Vorsorgeprinzip als materielles Leitbild einer modernen Umweltpolitik69 umfaßt zunächst die Ri65 Vgl. R Breuer, in: I. v.Münch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 8. Aufl. 1988, S. 601 , 622 ("problembezogene Querschnittsaufgabe"); 8. Bender!R Sparwasser, Umweltrecht, 1988, Rn. 8 ("Querschnittsrecht").

66 Siehe dazu die Übersicht bei 8. Bender!R Sparwasser, ebd., Rn. 20 ff.; ausführlich und eingehend ·neuerdings etwa M. Kloepfer!K MeßerschmidJ, Innere Harmonisierung des Umweltrechts, 1987, S. 67 ff. 67 Weitere Beispiele bei 8. Bender!R. Sparwasser, Umweltrecht, 1988, Rn. 20.

68 Vgl. Der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Realaarsicherheit (Hrsg.), Umweltbrief Nr. 33: Leitlinien Umweltvorsorge, 1986, S. 12.

69

So R. SchmidJ/H. Müller, Einführung in das Umweltschutzrecht, 1987, S. 3.

3 Bock

34

1. Teil: A. Vorüberlegungen

sikovorsorge, die auf die Vermeidung oder Verminderung von Risiken für die Umwelt gerichtet ist, die noch keine Gefahr begründen oder gegenwärtig nicht genau abschätzbar sind 70. Es erstreckt sich ferner auf die aktive Gestaltung der Umwelt als Zukunftsvorsorge bzw. als langfristige Sicherung der ökologischen Grundlagen 71 . Der Vorsorgegedanke kommt häufig in der allgemeinen Zwecksetzung eines Gesetzes wie etwa in § 1 BlmSchG oder in § 1 a WHG sowie in einer Vielzahl von Planungsvorschriften (beispielsweise in § 2 Abs. 1 Nr. 7 BROG, § 1 Abs. 5 BauGB oder § 50 BlmSchG) zum Ausdruck. Darüber hinaus ist das Bestandsschutzprinzip zu nennen. Dieses ist nicht nur Bestandteil des Eigentums-, sondern auch des Umwellrechts. Hier ist es bestrebt, den vorhandenen Bestand der Umwelt zu sichern72 • Deutlich wird dieses Prinzip etwa in§ 8 BNatSchG73 • Ferner ist das Verursacherprinzip für das Umweltrecht von großer Bedeutung. Dabei unterscheidet man die Inpflichtnahme des individuellen Verursachcrs und die der kollektiven Verursacher. Das individuelle Verursacherprinzip als prinzipiell vorrangiger Grundsatz des umweltrechtlichen Instrumentariums74 soll dafür Sorge tragen, daß primär der Verursacher einer von seinem Verhallen drohenden Umweltstörung vorbeugt oder aber ihre Folgen beseitigt75 . Vornehmlich wird es allerdings als Kostenzurechnungsprinzip verstanden 76 . Es besagt, daß derjenige die Kosten der Vermeidung oder Beseitigung einer Umweltbelastung tragen muß, der für ihre Entstehung verantwortlich ist 77 • Darüber hinaus will es aber als "ökonomischer Hebel"- etwa in Form von ordnungsrechtlichen Vorgaben- auch zur Ver70 Siehe Da Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaklorsicherheit (Hrsg.), Umweltbrief Nr. 33: Leitlinien Umweltvorsorge, 1986, S. 12. 71 Vgl. Da Bundesminister für

13.

Umwelt, Naturschutz und Reaklorsicherheit (Hrsg.), ebd., S.

7'

·So B. BenderIR Sparwasser, Umweltrecht, 1988, Rn. 22.

73

Beispiel bei B. BenderIR Sparwasser, ebd.

74

Sie heR Schmidt!H. Müller, Einführung in das Umweltschutzrecht, 1987, S. 5.

75Vgl. B. Bender!R Sparwasser, Umweltrecht, 1988, Rn. 23. 76 Dazu schon Umweltbericht der Bundesregierungvom 14. Juli 1976, BT-Drucks. 7/5684, S.

8; P.-Ch. Storm , Umweltrecht, 3. Aun. 1988, S. 14; Da Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaklorsicherheit (Hrsg.), Umweltbrief Nr. 33: Leitlinien Umweltvorsorge, 1986, S. 21; B. Bender!R Sparwasser, Umweltrecht, 1988, Rn. 23.

77 Siehe Da Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaklorsicherheit (Hrsg.), Umweltbrief Nr. 33: Leitlinien Umweltvorsorge, 1986, S. 21.

I. Die wichtigsten Prinzipien und Instrumente des Umweltrechts

35

meidung von Umweltbelastungen beitragen78. Beim kollektiven Verursacherprinzip werden Folgekosten nicht einem einzelnen, sondern der Gruppe von Rechtssubjekten auferlegt, die typischerweise eine Umweltbeeinträchtigung verursacht hat. Dieses Prinzip wäre etwa im Falle des Waldsterbens79 (über sog. Fondslösungen80) durchführbar, für das bekanntlich aller Wahrscheinlichkeit nach vor allem Heiz- und Kraftwerke, andere technische Anlagen sowie Hausfeuerungen und Kraftfahrzeuge verantwortlich sind81 • Die Anwendung des Verursacherprinzips setzt stets seine Positivierung durch eine entsprechende Norm voraus 82 • Weiterhin können die Folgekosten nach dem Gemeinlastprinzip auch der Allgemeinheit, d.h. dem Staatshaushalt auferlegt werden. Das gilt zunächst dann, wenn der Verursacher nicht feststellbar ist oder wenn akute Notstände beseitigt werden müssen und dies anderweitig nicht schnell genug erreicht werden kann 83 . Es legitimiert sich aber auch aus einer Verantwortung des Staates für den Umweltschutl4 • Zur Durchsetzung der Umweltvorsorge ist eine wirksame Anwendung des Kooperationsprinzips unentbehrlich. Als politisches Verfahrensprinzip ist es auf eine möglichst einvernehmliche Verwirklichung umweltpolitischer Ziele durch Staat und Gesellschaft gerichtet. Freilich kann und darf es staatliche Regelungsbefugnisse nicht ersetzen85 • Vielmehr geht es darum, die Informationslage der Beteiligten sowie die Wirksamkeit umweltpolitischer Entscheidungen durch Einbringung von Sachverstand zu ver-

78 So zu Recht M. Kloepfer, in: R. Herzog!H. Kunst/K. Schlaich/W. Sehneerneicher (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, Bd. II, 3. Aun. 1987, Sp. 3639, 3646; vgl. auch R Schmidt/H. Mül· /er, Einführung in das Umweltschutzrecht, 1987, S. 4 mit Fn. 15. 79 Dazu bereits oben Fn. 49.

80

Vgl. dazu nur Eike v.Hippel, ZRP 1986, 233, 234 f. m.w.N.

81

So H. Ebersbach, NuR 1985, 165, 165.

82

Siehe B. BenderIR Sparwasser, Umweltrecht, 1988, Rn. 23.

83 So Der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Realaarsicherheit (Hrsg.), Umweltbrief Nr. 33: Leitlinien Umweltvorsorge, 1986, S. 22. 84

Zutreffend M. Kloepfer, in: R. Herzog!H. Kunst/K. Schlaich/W. Sehneerneicher (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, Bd. II, 3. Aun. 1987, Sp. 3639, 3646. Siehe zur staatlichen Umweltverantwortung ausführlich unten Zweiter Teil. 85 So zu Recht R Schmidr/H. Müller, Einführung in das Umweltschutzrecht, 1987, S. 6; vgl. auch die Bedenken bei B. Bender/R Sparwasser, Umweltrecht, 1988, Rn. 26 mit Fn. 14a.

3•

1. Teil: A Vorüberlegungen

36

bessern und damit letztlich die Akzeptanz staatlicher Entscheidungen zu erhöhen86• Die Umweltprobleme beschränken sich selbstverständlich nicht auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland; ihnen kommt vielmehr ein transnationaler Charakter zu. So sind beispielsweise der "Kreislauf des Wassers und der Luft ... der Verfügungsgewalt von souveränen Regierungen nicht unterworfen. Die chemische Vergiftung unseres Planeten (etwa) macht nicht an den Grenzen eines Landes halt"87 • Daher werden in Zukunft zahlreiche weitere Maßnahmen zum Schutz vor grenzüberschreitenden Umweltverschmutzungen auf allen Rechtsgebieten (etwa auf dem Gebiet des Völker- und Europarechts, des internationalen Verwaltungs-, Privat- und Prozeßrechts) unverzichtbar sein88 (Prinzip des grenzüberschreitenden Umweltschutzes).

2. Hauptinstrumente des Umweltschutzes

Die Instrumente der Umweltpolitik89 lassen sich in sieben Gruppen gliedern: Zur Erreichung bestimmter Umweltqualitätsziele bedient sich der Staat zunächst einmal der klassischen Instrumente des Verwaltungshandelns. Dabei kommen als Mittel der direkten Verhaltenssteuerung vornehmlich ordnungsrechtliche Vorschriften in Betracht, die auf unmittelbare Abwehr von Umweltgefahren oder auf Verhinderung bzw. Abwehr von Umwelt86 Siehe Ikr Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Realaarsicherheit (Hrsg.), Umweltbrief Nr. 33: Leitlinien Umweltvorsorge, 1986, S. 19; R Schmidt!H. Müller, Einführung in das Umweltschutzrecht, 1987, S. 6. 87

G. Picht, ZRP 1971, 151, 157.

88

In diesem Sinne B. BenderIR Spall'tlasser, Umweltrecht, 1988, Rn. 27.

89

Vgl. allgemein zum (umwelt)staatlichen Handlungssystem etwa E. Rehbinder, in: J. Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, 1982, S. 81, 105 ff.; M. Kloepfer, in: R. Breuer/M. Kloepfer/P. Marburger/M. Sehröder (Hrsg.), Umwelt- und Technikrecht, Bd. 3, 1987, S. 3 ff.; ders./K Meßerschmidt, Innere Hannonisierung des Umweltrechts, 1987, S. 102 ff.; J. Kölble, in: K. G. A Jeserich/H. Pohi/G.-Ch. v.Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 5, 1987, § 18, S. 844, 849 ff.; G. Kette/er, in: ders./K. Kippels, Umweltrecht, 1988, S. 84 ff.; R Schmidt!H. Müller, Einführung in das Umweltschutzrecht, 1987, S. 6 ff.; B. Bmder/R Spall'tlasser, Umweltrecht, 1988, Rn. 38 ff.; W Berg, in: Th. Maunz/K. Obennayer/W. Berg!F.-L. Knemeyer (Hrsg.), Staats- und Verwaltungsrecht in Bayern, 5. Aun. 1988, S. 477, 491 ff.; P.-Ch. Storm , Umweltrecht, 3. Aun. 1988, S. 43 ff.

I. Die wichtigsten Prinzipien und Instrumente des Umweltrechts

37

schädigungen gerichtet sind. Kennzeichnend für dieses Instrumentarium sind vor allem normative Verhaltensgebote90 , Erlaubnisvorbehalte jeder Art9 \ Ermächtigungen zum Erlaß von Einzelanordnungen92 sowie unter Umständen auch öffentlich-rechtliche Verträge unter den allgemeinen Voraussetzungen der§§ 54 ff. VwVfG. Neben dem ordnungsrechtlichen Instrumentarium kommt dem planungsrechtlichen als Mittel vorsorgender Umweltpolitik eine erhebliche 90 Sie legen ihren Adressaten bestimmte Unterlassungs-, Duldungs- oder Leistungspflichten hinsichtlich Mensch und Umwelt auf, die Haupt- oder aber auch Nebenpflichten sein können, siehe etwa § 22 BlmSchG einerseits und § 52 Abs. 2 BlmSchG andererseits; vgl. ferner die 13. BlmSchV über Großfeuerungsanlagen vom 22. Juni 1983 (BGBI. I S. 719), § 42 BundeswaldG, §§ 4, 13, 14, 15, 16 ChemG vom 16. September 1980 (BGBI. I S. 1718), zuletzt geändert durch Gesetz vom 15. September 1986 (BGBI. I S. 1505; hierzu insbesondere § 42 PfiSchG), § 11 AbfG. Ihre Einhaltung ist zu überwachen und kann gegebenenfalls durch "unselbständigen" Verwaltungsakt erzwungen werden, so B. Bmda!R Sparwasser, Umweltrecht, 1988, Rn. 42. Zu den normativen Verhaltensge boten zählen vor allem Auskunfts-, Anmelde-, Anzeige- und Sicherungspflichten. Umfassende Auskunftspflichten zum Zwecke der Datenerfassung enthält das Gesetz über Umweltstatistiken, das die Rechtsgrundlage für statistische Erhebungen bestimmter Daten aus den Bereichen Abfallentsorgung, Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung, über Unfälle bei der Lagerung und beim Transport wassergefährdender Stoffe und über Investitionen für Umweltschutz im produzierenden Gewerbe bildet, § 2 Abs. 1 Nr. 1-9 UmweltstatistikG vom 15. August 1974 (BGBI. I S. 1938), in der Fassung vom 14. März 1980 (BGBI. I S. 311); zusätzlich bestehen Anzeige-, Melde- und Mitteilungspflichten in nahezu allen umweltrelevanten Gesetzen, sieheR Schmidt!H. Müller, Einrührung in das Umweltrecht, 1987, S. 9 mit Fn. 38; vgl. auch W. Berg, in: Th. Maunz/K. Obcrmayer/W. Berg!F.-L. Knemeyer (Hrsg.), Staats- und Verwaltungsrecht in Bayern, 5. Aufl. 1988, S. 477,492.

91 Umweltverbote untersagen im Interesse des Umweltschutzes vor allem die Errichtung und den Betrieb bestimmter Anlagen, das Herstellen, Inverkehrbringen oder Verwenden bestimmter Stoffe und die Vomahme bestimmter Handlungen in Schutzgebieten (so R Schmidt!H. Müller, Einführung in das Umweltrecht, 1987, S. 9 f.) ; sie lassen sich wiederum unterteilen in präventive Verbote mit Erlaubnisvorbehalt (siehe etwa § 4 BlmSchG i.V.m. 4. BlmSchV, § 12 AbfG), d.h. hier besteht bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen ein Anspruch auf eine möglicherweise umweltschädliche Verhaltensweise, dessen Erfüllung gegebenenfalls mit Auflagen oder sonstigen Nebenbestimmungen versehen werden kann (vgl. etwa § 12 BlmSchG, § 36 VwVfG), und repressive Verbote mit Be freiungsvorbehalt , d .h. es kann bei Vo rliege n bestimmter Voraussetzungen Befreiung von einem an sich bestehenden Verbot der umweltschädlichen Verhaltensweise erteilt werden (siehe etwa § 2 WHG, § 31 BNatSchG, § 9 BundeswaldG); vgl. dazu auch R Schmidt!H. Müller, Einführung in das Umweltrecht, 1987, s. 10.

92 Sie ermöglichen der jeweils zuständigen Behörde den Erlaß von Einzelfallanordnungen, für die entweder das Legalitäts- oder das Opportunitätsprinzip gilt, siehe B. Benda!R Sparwasser, Umweltrecht, 1988, Rn. 43. Als Beispiele lassen sich etwa anführen §§ 17, 20, 21 BlmSchG, §§ 7, 12 WHG, § 18 ArzneimittelG, §§ 2, 4 LuftVG, Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 und 3 BayLStVG, §§ 48, 49 VwVfG.

38

1. Teil: A Vorüberlegungen

Relevanz zu. Dabei reichen die unterschiedlichen Planungsformen von umfassenden (gezielten93 ) Umweltschutzplanungsmodellen (über Fachplanungen94) bis zur Berücksichtigung umweltschutzspezifischer Planungsziele bei der raumbezogenen Gesamtplanung95 • Um den Nachteilen der administrativen, auf direkte Verhaltenssteuerung gerichteten Kontrollinstrumente96 zu entgehen, sieht man als weitere Möglichkeit die indirekte Verhaltenssteuerung über wirtschaftliche Anreize bzw. Kostennachteile an, um die Betroffenen von vornherein zu einem umweltfreundlicheren Verhalten zu veranlassen 97• Hierfür kommen wiederum verschiedene Methoden in Betracht, so etwa direkte oder indirekte Subventionen, Ausgleichsabgaben, Kompensationen 98 oder auch neuartige marktwirtschaftliche Methoden99 wie beispielsweise die Umweltlenkungsabgaben oder die Zertifikate100• 93 Hierfür kommen also nur die Fachplanungen in Betracht, bei denen das Ziel "Umweltschutz" im Mitleipunkt steht. Fachplanungen, bei denen tangierte Umweltschutzbelange nur mitberücksichtigt werden müssen, können dagegen nicht als eigentliches Instrument des Umweltschutzes begriffen werden, so zu Recht R Schmidt!H. Müller, Einführung in das Umweltrecht, 1987, S. 8. 94 Beispielsweise die Abfallentsorgungspläne, § 6 AbfG, oder die Planfeststellung für Ab-

fallentsorgungsanlagen, §§ 7 ff. AbfG.

95 Da Raumplanung als Qucrschnillsaufgabe eine Vielzahl von Belangen zum Ausgleich bringen muß, ist die Durchsetzungsfähigkeit der Umwellschutzbelange eher gering, so R. Schmidt!H. Müller, Einführung in das Umwellrecht, 1987, S. 8 f. Zu Recht spricht daher W. Berg davon, daß der Umweltschutz bei einem Großteil der raumbezogenen Gesamtplanung nur ein nachgeordneter Belang sei, solange nicht- wie etwa spezifisch in§§ 2 Abs. 1 Nr. 5, 8 Abs. 2 BNatSchG, §§ 8 Abs. 2, 10 Abs. 2 AbfG, Art. 12 Nr. 12 Satz 2 BayLplG, Art. 6 a Abs. 1 BayNatSchG vorgeschrieben- jeder Raumverbrauch davon abhängig gemacht werde, daß entsprechende Flächen zum Ausgleich rekultiviert würden, vgl. ders., in: Th. Maunz/K. Obermayer/W. Berg/F.·L Knemeyer (Hrsg.), Staats· und Verwallungsrecht in Bayern, 5. Aufl. 1988, S. 477, 491.

96 Siehe dazu H. Sieben, Analyse der Instrumente der Umweltpolitik, 1976, S. 65 ff.; ders., in: L. Wegehenkel (Hrsg.), Marktwirtschaft und Umwelt, 1981, S. 28, 32 ff. 97

Vgl. B. Baukr!R Sparwasser, Umweltrecht, 1988, Rn. 46.

98 Siehe dazu

W. Berg, in: Th. Maunz/K. Obermayer/W. Berg/F.·L Knemeyer (Hrsg.), Staats- und Verwaltungsrecht in Bayern, 5. Aufl. 1988, S. 477, 494 f.; B. Brnder!R Sparwasser, Umweltrecht, 1988, Rn. 49 f.

99 Dazu L Wegehrnkel (Hrsg.), Umweltprobleme als Herausforderung der Marktwirtschaft,

1983; G. Feldhaus, DVBI. 1984,552,553 f.

100 Vgl. in diesem Zusammenhang den Überblick bei B. Brnder!R Sparwasser, Umwellrecht, 1988, Rn. 48; siehe auch W. Berg, in: Th. Maunz/K. Obermayer/W. Berg/F.-L. Knemeyer (Hrsg.), Staats· und Verwaltungsrecht in Bayern, 5. Aufl. 1988, S. 477,494.

I. Die wichtigsten Prinzipien und Instrumente des Umweltrechts

39

Ein besonderes, umweltvorsorgerechtlich geprägtes Instrument (zur direkten Verhaltenssteuerung) stellt die in einer EG-Richtlinie vom 27. Juni 1985101 vorgesehene und bis zum 03. Juli 1988 umzusetzende 102 Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) 103 für bestimmte, möglicherweise umweltrelevante öffentliche und private Projekte (vor allem Autobahnen, größere Flugplätze oder Kraftwerke) dar, die sich insbesondere durch ihren frühzeitigen Beginn sowie durch ihre ganzheitliche Sicht, d.h. bereichsübergreifende, integrative Betrachtungsweise, auszeichnet. Umweltschutz kann nur dann wirksam sein, wenn er auch auf die Einsicht der Verursacher in die Notwendigkeit von entsprechenden Maßnahmen trifft. Entscheidend für einen dauerhaften Erfolg der Umweltpolitik ist ein allgemein verbreitetes Umweltbewußtsein. Dieses kann durch ein bislang nur wenig beachtetes und möglicherweise neues 104 administratives (ebenfalls direktes) Steuerungselement weiterentwickelt werden, nämlich das des informalen bzw. informellen Verwaltungshandelns, mithin durch Verhaltensweisen, wie Beratungen, Empfehlungen, Warnungen und Appelle, die "in der formellen Ordnung des Entscheidungsprozesses nicht vorgesehen sind" 105 • 101

Abgedruckt z.B. in DVBI. 1987, 829 ff.

102

Leider wurde diese Richtlinie von der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1988 noch nicht umgesetzt. Allerdings hat die Bundesregierung (unmittelbar vor Ablauf der Anpassungsfrist) am 29. Juni 1988 einen "Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (851337/EWG)" beschlossen (abgedruckt in BR-Drucks. 335188); dazu erläuternd R Steinberg, DVBI. 1988, 995 ff. 103 Vgl. zur Umweltverträglichkeitsprüfung nur J. Cupei, DVBI. 1985, 813 ff.; ders., Umweltverträglichkeitsprüfung, 1986; Th. Bunge, Die Umweltverträglichkeitsprüfung im Verwaltungsverfahren, 1986; ders., DVBI. 1987,819 ff.; R Banlsperger, DVBI. 1987, 1 ff.; H. D. Jarass, Umweltverträglichkeitsprüfung bei lndustrievorhaben, 1987, S. 13 ff.; E. Schmüh-Aßmann/W. Erbguth, DVBI. 1987, 826 ff.; J. Schroer, DVBI. 1987, 1096 ff.; Deutscher Rat für Landespflege (Hrsg.), Zur Umweltverträglichkeitsprüfung, Heft 56 der Schriftenreihe des Deutschen Rates für LandespOege, 1988; W. Hoppe/G. Püche/, DVBI. 1988, 1 ff.; Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, DVBI. 1988,21 ff.; R Wahl, DVBI. 1988,86 ff. 104 In diesem Sinne wohl J. Becla:r, DÖV 1985, 1003, 1005 ff.; ders. , JA 1986, 359, 363; E. Bohne, Der informale Rechtsstaat, 1981, S. 28, 42; weitere Nachweise bei H. Bauer, VerwArch. 78 (1987), 241, 258 Fn. 100. - Anders D. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, S. 491 f.; H.-U. Erichsen/W. Manens (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aun. 1988, § 33; M. Schulte, DVBI. 1988, 512, 513. 105 F. Ossenbühl, in: R. Breuer/M. Kloepfer/P. Marburger/M. Sehröder (Hrsg.), Umweltund Technikrecht, Bd. 3, 1987, S. 27, 29, mit Hinweis auf H. Quaritsch, in: FS für C. H. Ule, 1977, S. 135, 152 ff.; siehe dazu auch H. Schulze-Fielitz , Der informale Verfassungsstaat, 1984,

40

1. Teil: A Vorüberlegungen

Ferner kommen Selbstverpflichtungen und Zusagen in Betracht. Sie ermöglichen den Verursachern auch aus eigener Initiative ihrer persönlichen Verantwortung für die Umwelt gerecht zu werden 106• Der Staat kann dann im Vorfeld der Gefahrenabwehr auf den Erlaß von Geboten und Verboten verzichten; umweltfreundliche Entscheidungen können schnell und unbürokratisch getroffen werden 107 • Um die vor allem erforderliche Neuorientierung im Denken und Handeln sowie eine dauerhafte Festigung des Umweltbewußtseins der Bürger zu erreichen, kann auf eine effektive, langfristig angelegte Umwelterziehung nicht verzichtet werden 108 • Ihre Aufgabe ist es, das Verantwortungsbewußtsein des einzelnen für den persönlichen Umgang mit der Umwelt, vor allem im Bildungsbereich, zu intensivieren 109•

II. Ansätze zu einer Begriffsbestimmung "Umwelt und Umweltschutz- diese beiden Worte sind seit einigen Jahren so verbreitet, daß die Gefahr droht, ihnen mit Überdruß und mit ... Gleichgültigkeit zu begegnen. "110 Dennoch fehlt im rechtswissenschaftliehen Schrifttum bislang sowohl für den Begriff "Umwelt" als auch für den des "Umweltschutzes" eine allgemein anerkannte Definition. Vielmehr ist unter anderem "herausgearbeitet" worden, daß der "schillernde Begriff' 111 "Umwelt" eigentlich ein "Unbegriff"

S. 14. - Zum informalen VeJWaltungshandeln als Mitlei staatlicher Umweltpnege vgl. M. Schulte, DVBI. 1988,512 ff. 106 Siehe Der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Realaarsicherheit (Hrsg.), Um· weltbriefNr. 33: Leitlinien Umweltvorsorge, 1986, S. 25.

107 In diesem Sinne Der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Realaarsicherheit (Hrsg.), ebd. 108 So zu Recht Der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Realaarsicherheit (Hrsg.), ebd., S. 26; Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, Umweltgutachten 1987, BT-Drucks. 11/1568, S. 17 Nr. 16 und S. 53 Nr. 71.

109 Vgl. Der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Realaarsicherheit (Hrsg.), Umweltbrief Nr. 33: Leitlinien Umweltvorsorge, 1986, S. 26. 110 A . Portmann, An den 111

Grenzen des Wissens, 1974, S. 235.

SoA. Rest, Internationaler Umweltschutz und Haftung, 1978, S. 17.

II. Ansätze zu einer Begriffsbestimmung

41

ist 112 , ein "modisches Wort", "ein Sammelname für eine schier unerschöpfliche Vielfalt innerhalb der gegenwärtigen Gefahrensituation" 113 • Eine eingrenzbare Umwelt des Menschen könne es nicht geben, denn der Mensch sei nicht an einen begrenzten Raum gebunden; als weltoffenes Wesen gestalte und verändere er die Welt114 • Daher erscheine als seine Umwelt letztlich die gesamte Weltm. Das ändert aber nichts daran, daß der Gesetzgeber den Umweltbegriff in vielfältiger Weise verwendet, so daß von einem Rechtsbegriff ausgegangen werden muß 116 • Im Bundes-Immissionsschutzgesetz ist der Begriff Umwelt zwar kein selbständiger Rechtsbegriff, kommt aber immerhin in der Wortverbindung "schädliche Umwelteinwirkungen" vor(§§ 1, 3 Abs. 1, §§ 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2, §§ 17, 19, 20 Abs. 3, §§ 22 Abs. 1, 23 Abs. 1, §§ 25, 33 Abs. 1 Nr. 1, 34, 35, 38, 40, 41, 43, 44, 47, 53 Abs. 1, 60 Abs. 1 und 61 Nr. 1 BimSchG), wobei -wie sich aus§ 1 BlmSchG ergibt- die Einwirkung auf Menschen sowie Tiere, Pflanzen und andere Sachen zu prüfen ist. Gleiches gilt für das Abfallrecht (§§ 2 Abs. 1 Nr. 4, 11 b Abs. 1 Nr. 3 AbfG) 117, in dem darüber hinaus Begriffe wie "umweltverträgliche Entsorgung" (§§ 14 Abs. 1, 14 Abs. 2 Satz 3, 14 Abs. 2 Satz 3 Nr. 4 AbfG). "umweltfreundliches Verfahren"(§ 11 b Abs. 1 Nr. 4 a AbfG) sowie "umweltschonende Wiederverwendung"(§ 14 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 AbfG) erscheinen, die freilich keinen neuen Bedeutungsgehalt aufweisen. Auch im Baugesetzbuch findet sich die Wendung "schädliche Umwelteinwirkungen" (§ 35 Abs. 3 2. Spiegelstrich BauGB). Zudem spricht das Gesetz in § 1 Abs. 5 Satz 1 davon, "eine menschenwürdige Umwelt zu sichern und die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen". In § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 7 BauGB ist von den "Belange(n) des Umweltschutzes" die Rede. 112 J. Touscoz beschreibt trefflich: "L'environnement c'est peut-~tre un mot, qui ne veut Iien dire parce qu'il veut tout dire", das., Revue tlimestlielle de droit Euro(Xen 1973, 29, 31. 113 H. Huber, in: FS für H . KlecatsJ,:y, Bd. 1, 1980, S. 353, 356; vgl. auch F Ossenbühl, in: Bitburger Gespräche, Jahrbuch 1983, S. 5, 8 ff.

114

SieheH. Huber, in: FS für H. Klecatsl.:y, Bd. I, 1980, S. 353, 354.

115

Dazu H. Huber, ebd., S. 355.

116

Vgl. zur folgenden Aufzählung V. Dempfle/H.-1. Müggenborg, NuR 1987, 301, 302 ff.

117 Zwar finden sich hier keine näheren Ausführungen über den Begriff "Umwelteinwirkungen", doch kann man in Anlehnung an die Entstehungsgeschichte des Gesetzes den Begriff des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zugrunde legen, so V. Dempfle/H.-J. Müggenborg, ebd., 302 mit Fn. 13.

42

1. Teil: A. Vorüberlegungen

Ob diese vielfältigen Begriffe einen unterschiedlichen Gehalt aufweisen, kann hier nicht beantwortet werden. Jedenfalls im Hinblick auf§ 35 Abs. 3 2. Spiegelstrich BauGB besteht Einigkeit darüber, daß die Wendung "schädliche Umwelteinwirkungen" genauso zu verstehen ist wie im Immissionsschutzrecht118. Die Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaft vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten 119 läßt einen (weiten) Umweltbegriff erkennen, der sich auf die Faktoren Mensch, Fauna und Flora einerseits, Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft andererseits, die Wechselwirkungen dieser Bereiche sowie auf Sachgüter und das kulturelle Erbe bezieht. Das Gesetz über die Errichtung eines Umweltbundesamtes nimmt sowohl auf den Immissionsschutz als auch auf die Umweltverträglichkeitsprüfung und damit auf zwei völlig verschiedene Umweltbegriffe Bezug 120• In§ 11 des Gesetzes über Umweltstatistiken kommt ein sehr enger Umweltbegriff zum Ausdruck: Die Umwelt besteht danach lediglich aus einer geordneten Abfallbeseitigung, Wasser, Ruhe und Luft. Dagegen ist die Umwelt im Sinne des Bundeswaldgesetzes ein umfassend zu verstehender Begriff. Gemäß § 1 dieses Gesetzes umfaßt er unter anderem "die dauernde Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes, das Klima, den Wasserhaushalt, die Reinhaltung der Luft, die Bodenfruchtbarkeit, das Landschaftsbild, die Agrar- und Infrastruktur und die Erholung der Bevölkerung". Sehr viel enger, wenn auch im Lichte des § 3 Nr. 3 lit n ChemG wohl nicht für das gesamte Chemikalienrecht bestimmend 121 , umschreibt § 1 Abs. 1 Nr. 15 der Verordnung über die Gefährlichkeitsmerkmale von Stoffen und Zubereitungen nach dem Chemikaliengesetz122 die Umwelt als 118 Siehe etwa W Cholewa/J. David!H. Dyong!H.-J. v.der Heide, Das neue Baugesetzbuch, 1987, § 35, Anm. 7 a; G. Schlez, BauGB, Kommentar, 3. Aun. 1987, § 35, Rn. 40; H. Dü", in: H. Brügelmann (Mitbegr.), Baugesetzbuch, Kommentar, Stand: August 1988, § 35, Rn. 84; H. Dyong, in: W. Emst/W. Zinkhahn/W. Bielenberg, Baugesetzbuch, Bd. I, Stand: März 1988, § 35, Rn. 108. 119

Dazu oben Fn. 101.

120

SoU. Dempfle/H. -1. Miiggenborg, NuR 1987,301,304.

121

Dazu U. Dempfle/H.-1. Miiggenborg, ebd., 305.

122

ChemG Gefährlichkeitsmerkmale-Vvom 18. Dezember 1981 (BGBI. I S. 1487).

II. Ansätze zu einer Begriffsbestimmung

43

"Wasser, Luft und Boden sowie die Beziehungen unter ihnen einerseits und zu allen Lebewesen andererseits". Auch in allgemeinen Rechtsvorschriften kommt der Begriff "Umweltschutz" bzw. "Umwelt" vor, so etwa in § 7 Abs. 3 EStG oder auch im Strafgesetzbuch in Gestalt der Abschnittsüberschrift "Straftaten gegen die Umwelt". Anband der Beispiele wird deutlich, daß von einer einheitlichen Begriffsverwendung in der Gesetzessprache (noch) nicht ausgegangen werden kann 123 ; ein Konsens über die Bedeutung der Umwelt als Rechtsbegriff existiert mithin bislang nicht. Auf einen einheitlichen außerjuristischen Umweltbegriff kann ebenfalls nicht zurückgegriffen werden. Als "Beziehungsbegriff" 124 läßt sich "Umwelt" in beliebigen Zusammenhängen verwenden. "Im soziologischen Sinne ist die Umwelt die den Menschen umgebende Wirklichkeit, die anderen Menschen, die natürlichen und menschengemachten Gegenstände, die Institutionen, in die der Mensch eingegliedert ist. Von diesem weiten Begriff her gesehen wäre alles Recht 'Umweltrecht'; denn das Recht regelt das Verhalten des Menschen zu der ihn umgebenden Welt: zu anderen Menschen, gegenüber natürlichen und gemachten Gegenständen, in den Institutionen"125. Der ökologische Umweltbegriff etwa ist demgegenüber enger. Er begreift die Umwelt als Gesamtheit der existenzbestimmenden 126 , äußeren Lebensbedingungen, die auf eine bestimmte Lebenseinheit oder Lebensgemeinschaft an deren Lebensstätte einwirken 121• Im juristischen Schrifttum finden sich ebenfalls einige (wenige) Versuche, den Begriff "Umwelt" zu definieren. Dabei können prinzipiell ein extensiver, ein eingeschränkt-extensiver sowie ein restriktiver Umweltbegriff un-

123 Vgl. aber die Studie über die Möglichkeilen einer Vereinheillichung des geltenden Um· weilrechts von M. Kloepfer!K Mefkrschmidl, Innere Harmonisierung des Umweltrechts. 1987, insbeso ndere S. 102 ff. 124 Dazu G. Küppers/P. Lundgreen/P. Weingan, Umweltforschung- die gesteuerte Wissenschaft?, 1978, S. 70 f. m.w.N. 125 H.

Steiger, in: J. Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, 1982, S. 1, 3 f.

126

Dazu W. Haber, in: K. Buchwald/W. Engelhardt (Hrsg.), Handbuch für Planung, Gestaltung und Schutz der Umwelt, Bd. 1, 1978, S. 74, 74. 127 Siehe K Buchwald, in: ders./W. Engelhardt (Hrsg.), Handbuch für Planung, Gestaltung und Schutz der Umwelt, Bd. 1, 1978, S. 1, 1.

44

1. Teil: A Vorüberlegungen

terschieden werden. Der vorherrschende restriktive Umweltbegriff begrenzt die Umwelt auf die biologisch-physischen (natürlichen) Lebensgrundlagen des Menschen 128• Eine solche Restriktion kommt bereits im Umweltprogramm der Bundesregierung von 1971 zum Ausdruck, wenn dort als Schutzgüter der Umweltpolitik die Umweltmedien Boden, Wasser und Luft, die Biosphäre und deren Beziehungen untereinander sowie zum Menschen bezeichnet werden 129, die inzwischen allerdings um das Klima, die natürlichen Ressourcen und den Naturhaushalt ergänzt sein dürften 130• Dagegen umfaßt der eingeschränkt-extensive Umweltbegriff auch die bebaute Umwelt insgesamt 131 (wie etwa Siedlungskerne, Städte, Dörfer, Häuser, Wohnungen, Verkehrswege, Industrieanlagen, Fabriken, Maschinen, Fahrzeuge 132) oder jedenfalls die Sachgüter und das kulturelle Erbc133 • Das

128 Vgl. nur J. Kölble, DÖV 1979, 470, 470 f.; D. Rauschning, VVDStRL 38 (1980), 167, 169; Bericht der Sachverständigenkommission "Staatszielbestimmungen I Gesetzgebungsau[träge" von 1983, in: Der Bundesminister des lnnern/Der Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Staatszielbestimmungen I Gesetzgebungsaufträge, 1983, Rn. 144 ff. 129 Siehe BT-Drucks. 6!2710, S. 6. Freilich dürfte es sich hierbei (wohl) nicht um eine abschließemle Definition handeln; jedenfalls spricht die daneben auch vorgenommene Rückbeziehung auf die Bedürfnisse des Menschen für einen tendenziell "offenen" Umwelt begriff, der sich in den einzeln aufgeführten Umweltgütern nicht erschöpft, so zutreffend M. KloepferiK Meßerschmidl, Innere Harmonisierung des Umweltrechts, 1987, S. 15. 130 Vgl. nur 0. Triffterer, Umweltstrafrecht, 1980, S. 25 f.; Bericht der Sachverständigenkommission "Staatszielbestimmungen I Gesetzgebungsau[träge" von 1983, in: Der Bundesminister des Innern/Der Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Staatszielbestimmungen I Gesetzgebungsaufträge, 1983, Rn. 144; Der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaklorsicherheit (Hrsg.), Umweltbrief Nr. 33: Leitlinien Umweltvorsorge, 1986, S. 10 f. 131 Siehe dazu nur H. Steiger, Mensch und Umwelt, 1975, S. 21 ff.; ders., in: J. Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, 1982, S. 1, 6 f.; M. Kloepfer, in: R. Herzog!H. Kunst/K. Schlaich/W. Sehneerneicher (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, Bd. II, 3. Aun. 1987, Sp. 3639, 3639; ders./K Bosse/mann, Zentralbegriffe des Umweltchemikalienrechts, 1985, S. 137 f.; K Meßerschmidl, Umweltabgaben als Rechtsproblem, 1986, S. 31 ff.; neuerdings Rat ~·on Sachverständigen für Umweltfragen, Umweltgutachten 1987, BT-Drucks. 11!1568, S. 38 ff., insbesondere S. 42 Nr. 1 Cf., insbesondere Nr. 19 f.

132 Vgl. die Beispiele bei H. Steiger, Mensch und Umwelt, 1975, S. 21, sowie bei K Buchwald, in: ders. /W. Engelhardt (Hrsg.), Handbuch für Planung, Gestaltung und Schutz der Umwelt, Bd. 1, 1978, S. 1, 2. 133 So die oben bereits erwähnte (A. I. 2. mit Fn. 101) Richtlinie des Rates der EG zur Um· Weltverträglichkeitsprüfung vom 27. Juni 1985; siehe ferner die Leitlinien der Bundesregierung zur Umweltvorsorge vom 17. Dezember 1986, in: Der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaklorsicherheit (Hrsg.), Umweltbrief Nr. 33: Leitlinien Umweltvorsorge, 1986, S. 10 f.

II. Ansätze zu einer Begriffsbestimmung

45

extensive Umweltverständnis will zusätzlich die soziale Umwelt des Menschen miteinschließen 134 • Darüber hinaus wird vor allem auch im Zusammenhang mit der verfassungspolitischen Diskussion über die Aufnahme des Umweltschutzes in das Grundgesetz und zur Bekräftigung eines eher restriktiven Verständnisses die Wendung "Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen" zur Umschreibung des eigentlichen Anliegens verwandt. Sie ist auf die biologisch-physische Lebenssphäre bezogen m und umfaßt etwa Wasser, Boden, Luft sowie nutzbare natürliche Ressourcen und bezieht auch die Tier- und Pflanzenwelt mit ein 136• Der Blick auf die verschiedenen Auffassungen zum Begriff der Umwelt bzw. des Umweltschutzes hat deutlich werden lassen, daß von einem einheitlichen Verständnis nicht die Rede sein kann. Es läßt sich hierbei lediglich feststellen, daß die Beschreibungen überwiegend auf die Umwelt des Menschen zurückgreifen. Die Rückbeziehung auf die Bedürfnisse des Menschen weist bereits den Weg zu einem tendenziell offenen, dynamischen Umweltbegriff. Dies mag als Rahmen vorerst genügen. Weiteres wird später im Zusammenhang mit dem Zielgehalt einer Verfassungsnorm "Umweltschutz" unter Beachtung der spezifisch verfassungsrechtlichen Vorgaben zu erörtern sein 137 •

134 Dazu etwa Mitteilung der Kommission an den Rat über ein Umweltschutzprogramm derEuropäischen Gemeinschaften vom 24. März 1972, Abi. Nr. C 52 vom 26. Mai 1972, S. 1, 4: Umwelt als die "Gesamtheit der Elemente, die ... in ihrem komplexen Zusammenwirken den Lebensrahmen, das Milieu und die Lebensbedingungen des Menschen und der Gesellschaft bilden"; vgl. auch H. Steiger, Mensch und Umwelt, 1975, S. 21 fr., insbesondere S. 21: ''Diese natürlichen Gegebenheiten sind aber nur ein Teil der menschlichen Um-Welt. Zu dieser gehören auch die bereits genannten, von Menschen gemachten, d.h. fabrizierten oder artifiziellen Gegebenheiten: Städte, Dörfer, Verkehrswege, Industrieanlagen, Nachbarschafren (Hervorhebung des Verfassers!) etc.", und K Buchwald, in: ders. /W. Engelhardt (Hrsg.), Handbuch für Planung, Gestaltung und Schutz der Umwelt, Bd. 1, 1978, S. 1, 2: "Auf die menschliche Gesellschaft bezogen ist Umwelt zunächst einmal alles, was uns umgibt, das uns bceinnussen kann und auf das wir E innuß nehmen können. Diese äußerst komplexe Umwelt umgibt uns in dreifacher Hinsicht: als natürliche Umwelt ... als gebaute Umwelt ... und schließlich als mitmenschliche oder soziale Umwelt".

m So etwa K Stern, NWVßl. 1988, 1, 5. 136

Dazu nur Bericht der Sach1·erständigenk.ommission "Staacszielbestimmu11gen I Gesetzgebungsaufträge" von 1983, in: Der Bundesminister des lnnem/Der Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Staatszielbestimmungen I Geset1.gebungsauflräge, 1983, Rn. 144. 137

Dazu unten Dritter Teil A.

1. Teil: A Vorüberlegungen

46

111. Umweltschutz und Verfassung

Zu untersuchen bleibt der Zusammenhang zwischen Umweltschutz und Verfassung. Alle Überlegungen zur Frage nach der Einfügung des Umweltschutzes in die Verfassung müssen vom Rechtsgehalt, von der Funktion und Systematik des Grundgesetzes sowie den Bedeutungen seiner Regelungen ausgehen. Das Grundgesetz erfüllt mit seinem differenzierten System von offenen, aber verbindlichen Normen die Funktion, dem Leben des Gemeinwesens Form zu geben, einen freien politischen Prozeß zu konstituieren und zu stabilisieren. Durch die Ordnung des Verfahrens politischer Einheitsbildung wirkt die Verfassung zugleich auch rationalisierend, begrenzt die Ausübung staatlicher Macht und sichert in alledem die Freiheit der Bürger138. Dabei werden insbesondere die Grundlagen der Ordnung des Gemeinwesens festgelegt: Sie sollen durch die verbindliche Fixierung von Leitprinzipien und Grundzügen aufgegebener rechtlicher Gesamtordnung dem ständigen Kampf der Richtungen und Gruppen entrückt werden; es soll ein fester Bestand dessen geschaffen werden, was nicht mehr in Frage zu stellen ist und daher einer Verständigung und Entscheidung nicht mehr bedarf139. Die Verfassung als rechtsnormativ verbindlicher Gesamtrahmen ist bestrebt, daß sich alle unterschiedlichen Meinungen und Gruppierungen in ihr wiederfinden 140• Sie gibt der Politik leitende Richtpunkte, aber auch Raum für das heterogene Wirken der politischen Kräfte innerhalb seiner Grenzen 141 • "Die Verfassung ist (insoweit) der hervorragendste Ausdruck der Rechtskultur einer Gesellschaft." 142

138 Siehe K Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 16. Aufl. 1988, Rn. 31; dazu auch ders., in: E. Benda/W. Maihofer/H.-J. Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Studienausgabe, Teil 1, 1984, S. 1, 15 ff. 139 So K Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 16. Aufl. 1988, Rn. 25. 140 Vgi.A. 141

v.Mutius, WiVerw. 1987, 51 , 53 mit Fn.11.

SoA. v.Mutius, ebd., 53.

142 P. Badura,

in: FS für U. Scheuner, 1973, S. 19, 33.

III. Umweltschutz und Verfassung

47

Zugleich ist die Verfassung "(Fahr-)Plan" 143 für die Zukunft, ein "Entwurf"14\ der Leitprinzipien und Aufgaben normiert, dessen dauernde und erfolgreiche Verwirklichung aber nur als ein "acte de foi constamment renouvele"w der Rechtsgemeinschaft insgesamt möglich ist 146. "Als Fundamentalnorm der Rechtsgemeinschaft stellt die Verfassung (mithin) die Einheit der Rechtsordnung her" 147, legt dauerhaft und kodifik:itorisch Rechtsgrundsätze fest "und bestimmt die Erzeugung und Fortentwicklung des Rechts" 148. Die Verfassungssätze sollen "die Werte, Ziele und grundsätzlichen Verfahren des Staatslebens weisen" 149. Die Frage einer Verfassungsänderung entsteht demnach erst dort, wo nicht schon Weite und Offenheit des Verfassungstextes einer (mehrheitlich als wesentlich erachteten) staatlichen oder gesellschaftlichen Konfliktlage gerecht werden. Der gewiesene Weg für die Ergänzung des Grundgesetzes um einen Umweltschutzartikel ist die verfassungsändernde Gesetzgebung nach Art. 79 GG. Gemäß Art. 79 Abs. 2 GG bedarf ein das Grundgesetz änderndes Gesetz der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages sowie zwei Dritteln der Stimmen des Bundesrates. Zudem muß das Gesetz nach Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändern oder ergänzen. Vor allem aber muß es die materiellen Grenzen des Art. 79 Abs. 3 GG beachten. Diese, die Verfassungsänderung erschwerenden Schranken haben unter anderem den Sinn, allzu voreilige Verfassungsnovellierungen zu verhindern 150. Daß dem Umweltschutz existentielle Bedeutung zukommt und er damit selbstverständlich zu den genannten Grundlagen des Gemeinwesens gehört, unterliegt keinen Zweifeln. Im Hinblick auf das Ziel und die Aufgabe "Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen" hat sich in den 143 W Hennis, Verfassung und Verfassungswirklichkeit, 1968, S. 23; häufiger noch spricht W Hennis von einem (sozialen und geistigen) "Eisenbahnfahrplan", ders., ebd., S. 11, 23. 144 U. Schrunu (1963), in: ders., Staatstheorie und Staatsrecht, hrsg. von J. Listl und W. Rüfner, 1978, S. 161, 173. 145 M.

Hauriou, Precis de Droit constitutionnel, 1923, S. 7.

146

Siehe P. Badura, in: FS für U. Scheuner, 1973, S. 19,33 f.

147

P. Badura, ebd., S. 34.

148 Vgl. soeben Fn. 147. 149 Huben Krüger,

150 SoA.

Allgemeine Staatslehre, 2. Aull. 1966, S. 293.

v.Mutius, WiVerw. 1987,51,53.

1. Teil: A Vorüberlegungen

48

letzten zwei Jahrzehnten ein "ökologischer Strukturwandel"151 vollzogen. Diese Tatsache könnte dafür sprechen, den Umweltschutz in die Verfassung aufzunehmen. Allerdings gibt es auch zentrale Probleme, die nicht zum Thema der Verfassung gemacht wurden, wie etwa der innere Friede bzw. das staatliche GewaltmonopoL Dieses Ziel ist zwar unbestreitbar Voraussetzung der Verfassung152, nicht aber ihr Thema 153• Der Grund dafür liegt wohl darin, daß der Bürgerfrieden - jedenfalls noch im Jahre der Verfassunggebung 1949154 - als selbstverständlich 155 erscheint (erschien). Staatliches Gewaltmonopol und bürgerliche Friedenspflicht sind nicht nur unverzichtbare Voraussetzungen der Verfassung, sondern bereits "jeglicher Rechtsordnung als innerer Friedensordnung, zu der es nur eine Alternative gibt: Anarchie und Chaos" 156• Gesetze, die unfriedliche Demonstrationen verbieten, stellen schon keine echten Grundrechtsbeschränkungen dar. Kein Grundrecht gibt die Freiheit, die unabdingbaren Voraussetzungen der Verfassung bzw. des Staates überhaupt anzugreifen 157• Mit dem Umweltschutz könnte es sich ähnlich verhalten. Die Erhaltung der existentiell notwendigen natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen 151 A. v.Murius, ebd., 54. Diese Formulierung ist angelehnt an den "sozialen Struktmwandel", siehe dazu nur 1 Habennas, StruktuiWandel der Öffentlichkeit, 17. Aufl. 1987, S. 172 ff. 152 In diesem Sinne auch K. Stern, in: Bitburger Gespräche, Jahrbuch 1984, S. 5, 16, der von "in der Staatlichkeil Vorausgesetzen Aufgaben", von "geborenen Staatsaufgaben" (gegen diesen Begriff aber etwa P. Häberle, AöR 111 (1986], 595, 600 f.) spricht. Zu den Verfassungsvoraussetzungen allgemein, allerdings in einem weiteren als hier gemeinten Sinne, Herben Krüger, in: FS für U. Scheuner, 1973, S. 285 ff. 153 So zutreffend/. Isensee, DÖV 1982,609, 616 f.; dcrs., in: FS für K. Eichenherger, 1982, S. 23, 31. 154 Freilich "bröckelt" der Rechtskonsens über den Bürgerfrieden; das Gewaltmonopol ist in Deutschland geistigen und tätlichen Angriffen ausgesetzt, vgl. dazu1 Jsensee, ebd., S. 32,35 ff.; siehe ferner zu den Versuchen, das staatliche Gewaltmonopol grundsätzlich in Frage zu stellen, die Nachweise bei W Schmitt Glaeser, BayVBI. 1988,454, 458 f. 155 Zutreffend weist W Schmill Glaeser, BayVBI. 1988, 454, 458, darauf hin, daß die "Einrichtung des staatlichen Gewaltmonopols als die große Errungenschaft des modernen Staates und sein Wesensmerkmal ... nicht nur eine unmittelbar einleuchtende Selbstverständlichkeit humanen Zusammenlebens in einer staatlichen Gemeinschaft (darstellt,) ... (sondern) auch als eine Institutionalisierung bitterer Erfahrungen vornehmlich aus den konfessionellen Bürgerkriegen des 16. Jahrhunderts eine unverzichtbare Notwendigkeit ... (ist)".

156 157

W Schmitt Glaeser, cbd.

Die Friedenspflicht ist umfassend und gilt selbstverständlich für jedwede Grundrechtsausübung, in diesem Sinne etwa 1 Isensee, DÖV 1982, 609, 617.

Ill. Umweltschutz und Verfassung

49

ist zweifellos unverzichtbare Voraussetzung für das Verfassungssubstrat Gleichwohl ist der Umweltschutz in den letzten drei Jahrzehnten nicht annähernd so selbstverständlich erschienen wie etwa -jedenfalls bis vor kurzem 158 - der innere Friede. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Zunächst ist das Umweltproblem überhaupt erst seit Beginn der siebziger Jahre allgemein bewußtt 59• Sodann blieben (und bleiben) die komplexen UrsacheWirkungszusammenhänge lange Zeit unerforscht. Darüber hinaus besteht und bestand -anders als (jedenfalls bis vor kurzem 160) beim Bürgerfrieden- keine Einigkeit über Inhalt und Reichweite des Schutzobjekts. Vor allem aber ist der Umweltschutz im Unterschied zum Bürgerfrieden Abstufungen zugänglich. So ist nur ein kleiner Teil dessen, was sich hinter dem Schutz der natürlichen Umwelt verbirgt, auch existentiell, mithin unverzichtbare Voraussetzung der Verfassung. Lebensnotwendige Voraussetzung wäre beispielsweise die Luft zum Atmen, nicht hingegen auch die "saubere" Luft. Gerade aber für die Verbesserung der Luftqualität (wenn auch um der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen willen) soll mit einer entsprechenden Verfassungsänderung ein Zeichen gesetzt bzw. ein Anstoß gegeben werden. Der über die existentiellen Voraussetzungen hinausgehende Umweltschutz ist nach alledem nicht mehr nur Voraussetzung der Verfassung, sondern bereits ihr Thema. Freilich muß sich nicht jede "Herausforderung der Lage" sofort in einer förmlichen Verfassungsnorm niederschlagen; dies zeigt etwa die Problematik des Datenschutzes. Das Grundgesetz nimmt aber - wie noch näher zu zeigen sein wird 161 - die aus dem "ökologischen Strukturwandel" 162 resultierenden Konfliktlagen in seinen Kompetenznormen, Zielbestimmungen und Grundrechtsverbürgungen nur partiell und damit unvollständig auf, so daß eine entsprechende Verfassungsergänzung unter dem Gesichtspunkt der Regelungslücke sinnvoll erscheint. Möglicherweise ist aber die verfassungsrechtliche Positivierung des Umweltschutzes schädlich, da er auf Verfassungsebene in seiner Gesamtheit gar nicht regelbar ist, womit die Erwartungen, die mit seiner Aufnahme in 158

Dazu oben Fn. 154.

159

Siehe schon oben vor A.

160

Vgl. oben Fn. 154.

161

Dazu unten Zweiter Teil.

162

Siehe oben Fn. 151.

4 Bock

50

1. Teil: A Vorüberlegungen

das Grundgesetz verbunden sind, zwangsläufig enttäuscht werden müßten. Eine Verfassungsenttäuschung könnte wiederum schnell in eine Staatsverdrossenheit umschlagen und damit den Bürgerfrieden gefährden. Dieser Gefahr könnte jedoch möglicherweise schon mit einer weitgefaßten Grundsatzklausel begegnet werden, jedenfalls aber mit einem zusätzlichen (Umwelt-)Appell an den einzelnen Bürger. Letztlich wird die Realisierung einer solchen Gefahr vor allem auch davon abhängig sein, inwieweit der Staat eine solche Verfassungsnorm "Umweltschutz" dann tatsächlich verwirklicht. Sicherlich verlangen Bewahrung, Wiederherstellung und Herstellung der natürlichen Umweltelemente vielgestaltige Maßnahmen von Zivilpersonen und Staat163 , die von einer wie auch immer ausgestalteten Verfassungsnorm "Umweltschutz" nicht ersetzt werden können, denn auch "... die bestgemeinte Verfassung kann nie mehr als ein Versprechen sein, das durch die lebendige Praxis des staatlichen Lebens eingelöst werden muß" 164 • Die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der natürlichen Umwelt bedürfen aber einer differenzierten rechtlichen Regelung durch den Staat, wobei sich die Verpflichtung zu ihrer Steuerung und Beeinflussung aus der Verfassung bzw. aus einer Verfassungsnorm "Umweltschutz" ergeben kann. Denn im System der Rechtsquellen rangiert das Grundgesetz an erster Stelle. Andere allgemein verbindliche Rechtsvorschriften des Bundes- und Landesrechts (Gesetze, Verordnungen, Satzungen) dürfen ihm nicht widersprechen. Sie müssen vielmehr die verfassungsrechtlichen Vorgaben strikt beachten und sie so gut wie möglich in die Wirklichkeit umsetzen. Als "grundlegende(r) Strukturplan" 165 setzt die Verfassung die Voraussetzungen der Schaffung, Geltung und Durchsetzung der Normen der übrigen Rechtsordnung fest und bestimmt weitgehend deren Inhalt. Dadurch wird sie zu einem "einheitlichen Plan" 166, zu einem Element der Einheit der Gesamtrechtsordnung des Gemeinwesens 167 •

163

Vgl. dazu näher etwa schon H. Steiger, Mensch und Umwelt, 1975, S. 27 ff.

164

Expenenlwmmission für die Vorbereitung einer Totalrevision der Bundesverfassung

(Hrsg.), Bericht, 1977, S. 14. 165 A.

166

Hol/erbach, in: W. Maihafer (Hrsg.), Ideologie und Recht, 1968, S. 37, 46.

H. Heller, Staatslehre (1934), 6. Aun. 1983, S. 307.

167 Siehe K Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 16. Aufl. 1988, Rn. 18.

Ill. Umweltschutz und Verfassung

51

Der Verfassung als rechtlicher Grundordnung des Gemeinwesenst 68 kommt das "höchste Niveau" aller Rechtsnormen zu. Zwei Drittel des Volkes sprechen sich für ihre "Sinnprinzipien"169 aus, an die künftig - jedenfalls bis zur entsprechenden Änderung der Mehrheitsverhältnisse -alle gebunden sind, von denen sich niemand mehr dispensieren kann: Mit der Aufnahme des Umweltschutzes in die Verfassung kann "eine Wertrichtung vorgezeichnet werden, die nicht mehr so ohne weiteres 'zur Disposition' steht" 170. Zugleich werden durch die Positivierung Rechtsklarheit und Rechtsgewißheit geschaffen, die zudem noch die angeführten Integrationsund Stabilisationswirkungen verstärken können. Freilich wird gerade eine allumfassende Grundsatzklausel, welche zwingend näherer Konkretisierung bedürfte, die Möglichkeit eines unterschiedlichen Verständnisses bieten. Gleichwohl begrenzt die geschriebene Verfassung die Interpretationsalternativen171 und gibt konkretisierender Aktualisierung feste Richtpunkte17z. Darüber hinaus kann von der grundgesetzliehen Positivierung des Umweltschutzes ein plakativer Effekt im Sinne eines ständigen Appells an Staat und Bürger zu umweltgerechtem Verhalten ausgehen und ihr insofern eine spezifisch edukatorische, mithin ebenfalls richtungsweisende Funktion zukommen. Im Hinblick auf die stabilisierende, rationalisierende, integrierende, appellative und edukatorische Funktion der Verfassung erscheint es auch als Ziel und Aufgabe der Verfassungs- und nicht nur der Gesetzgebungspo/itik, durch Aufnahme einer Umweltschutznorm auf den "ökologischen Strukturwandel"173 zu reagieren und der Menschheit eine (Sinn-)Perspektive zur Lösung dieser elementaren Aufgabe zu bieten 174 • Dabei kann eine Umweltschutznorm prinzipiell so gefaßt werden, daß der dezidierte Wille zum Schutz der (natürlichen) Umwelt erkennbar wird und klare Handlungs168 So das Verfassungsverständnis bei W Kägi, Die Verfassung als rechtliche Grundordnung des Staates, 1945, S. 39 ff. 169 A. Hollerbach, in: W. Maihofer (Hrsg.), Ideologie und Recht, 1968, S. 37, 46. lW

DOV 1965,433,437. 171 Zu den Grenzen der Verfassungsinterpretation vgl. K Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 16. Aufl. 1988, Rn. 77 f. 172 Siehe K Hesse, ebd., Rn. 32. 173 Dazu oben Fn. 151. 174 So zutreffendA. v.Mutius, WiVerw. 1987,51,55.

4.

W Schmill (Glaeser),

52

I. Teil: A Vorüberlegungen

richtlinienvorgezeichnet werden. Nur so kann von der verfassungsrechtlichen Umweltschutzbestimmung auch die für einen verbesserten Umweltschutz erforderliche "Schubwirkung" ausgehen. Freilich sind die Auswirkungen von der jeweiligen Normkategorie abhängig; die Verfassur.gsnormen wirken unterschiedlich stark. Nicht alle Verfassungsbestandteile sind von gleicher Aktualität und Durchschlagskraft. Vielmehr sind Verfassungssätze einer gewissen Abstufung zugänglichm. Hinsichtlich ihres Wirkungsgrades unterscheidet man aktuelle Normen mit unmittelbarer Bindungswirkung für Staat und Bürger von Programmsätzen (bzw. Gesetzgebungsaufträgen) und diese wiederum von bloßen Deklamationen des Verfassungsgesetzgebers. Die aktuellen Normen, die sofortige unmittelbare Geltungskraft beanspruchen, lassen sich wiederum unterteilen in objektive Rechtssätze, die zwar neues Recht schaffen, aber den einzelnen Bürgern keinen Anspruch verleihen (so etwa das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG) bzw. ihn regelmäßig nicht unmittelbar in die Pflicht nehmen (vgl. etwa die Dienstleistungspflicht des Art. 12 Abs. 2 GG oder die Sozialbindung des Eigentums in Art. 14 Abs. 2 GG), und Rechtssätze, die den Bürgern Berechtigungen in der Form einklagbarer öffentlicher Ansprüche (subjektiv-öffentliche Rechte) gewähren (so die in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG erwähnten (Verfahrens-] Grundrechte). Programmsätze (bzw. Gesetzgebungsaufträge) haben zwar ebenfalls Normcharakter, zeichnen sich aber im Unterschied zum aktuellen Recht dadurch aus, daß sie lediglich Absichtserklärungen des Verfassungsgesetzgebers mit mehr oder weniger großer Bindungswirkung für den einfachen Gesetzgeber beinhalten, die ohne weiteren gesetzgeberischen Akt, ohne Transformation der Verfassungsnorm in das subkonstitutionelle Recht, also aus sich selbst heraus nicht vollzugsfähig sind 176 (etwa Art. 6 Abs. 5 GG). Bloße Deklamationen (beispielsweise Art. 125 Abs. 1 Satz 1 BV), die den Standpunkt des Verfassungsgesetzgebers zu einer bestimmten politischen Frage wiedergeben, besitzen dagegen keinen Normcharakter und damit auch keine Rechtsverbindlichkeit Sie können bestenfalls als Ausle175 Vgl. Th. Maunz, in: Veröffentlichungen des Instituts für Staatslehre und Politik, Bd. 3, FS für W. Laforet, 1952, S. 141, 147. 176

Siehe Th. Maunz, ebd.

I. Diskussion und Vorschläge auf Bundesebene

53

gungskriterien herangezogen werden, sind aber dem Grundgesetz bislang fremd. Ob jedoch eine Rahmensteuerung zum Schutz der natürlichen Umwelt auf höchster Ebene wirklich erforderlich und welche Regelungsform in bezug auf Diktion, Systematik und normative Struktur des Grundgesetzes sowie insbesondere angesichts möglicher Auswirkungen mit welchem Inhalt und an welcher Stelle ratsam ist, wird noch näher zu untersuchen sein (Zweiter und Dritter Teil). Zuvor aber soll ein Blick auf die bislang geführte Diskussion über die Aufnahme des Umweltschutzes in die (Bundes- und Landes-)Verfassung(en) sowie auf die gegenwärtige verfassungsrechtliche (Umweltschutz-)Situation in den übrigen europäischen Staaten geworfen werden.

B. Entwicklungslinien (in) der (verfassungs)politischen Diskussion Im Gegensatz zu der an (meist unerfüllt gebliebenen) Programmsätzen reichen Weimarer Reichsverfassung von 1919t enthält das mehr rechtssalzhafte Grundgesetz kaum programmatische, vor allem kaum umweltschutzspezifische Aussagen 2• Über ihre Aufnahme aber ist schon viel diskutiert worden (I.). Bislang steht freilich die Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz- anders als in den Verfassungen zahlreicher deutscher Bundesländer (II.) und in den Verfassungen anderer (west)europäischer Staaten (III.)- noch aus.

I. Diskussion und Vorschläge auf Bundesebene

Mit dem Erwachen des allgemeinen Umweltbewußtseins (Anfang der siebziger Jahre) entstand auch die Forderung nach einer grundgesetzliehen t Vgl. zum Umweltschutz Art. ISO Abs. I WRV: "Die Denkmäler der Kunst, der Geschichte und der Na tur sowie die Landschaft genießen den Schutz und die Pflege des Staates." 2

Siehe aber die in der Zuweisung von Gesetzgebungskompetenzen an den Bund enthaltenen umweltschutzspezifischen Aussagen, und zwar insbesondere bezüglich der Abfallbescitigung, Luftreinhallung und Lärmbekä mpfung (Art. 74 Nr. 24 GG - Gesetz vom 12. April 1972 (ßGBI. I S. 593]) sowie zum Naturschutz (Art. 75 Nr. 3 GG), Wasserhaushalt (Art. 75 Nr. 4 GG) und zum Tierschutz (Art. 74 Nr. 20 G G ).

54

1. Teil: B. Entwicklungslinien der politischen Diskussion

Positivierung des Umweltschutzes. In diesem Zusammenhang lassen sich

fünf Diskussionsphasen 3 unterscheiden: In einer ersten Phase wurde überwiegend die Einfügung eines Umwelt-Grundrechts propagiert (1. ). Dage-

gen zeichnet sich die zweite Phase durch einen Rückzug aus; hier ist "nur" noch von einer Staatszielbestimmung "Umweltschutz" die Rede (2.). Die dritte Phase ist durch die Erörterungen der Sachverständigenkommission "Staatszielbestimmungen I Gesetzgebungsaufträge" gekennzeichnet (3. ). Im Anschluß daran sind in der vierten Phase eine Reihe von Gesetzesanträgen in den Deutschen Bundestag sowie in den Bundesrat eingebracht worden, die unter Einbeziehung der Ergebnisse der öffentlichen Anhörung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Mai 1984 sowie der Sachverständigenanhörung des Innen- und Rechtsausschusses des Bundesrates im Juni 1985 zu dem vom Bundesrat im Juli 1987 in den Bundestag eingebrachten Gesetzentwurf geführt haben (4.). Die fünfte (und vorläufig letzte) Phase der Diskussion über die Aufnahme des Umweltschutzes in das Grundgesetz schließlich wurde durch die Sachverständigenanhörung des Rechtausschusses des Deutschen Bundesstages im Oktober 1987 eingeleitet und mündet bislang in zwei weitere Formulierungsvorschläge des Bundesjustizministers H. Engelhard und des Bremer Justizsenators V. Kröning (S.t 1. Die grundrechtliche Phase

Den Ausgangspunkt der politischen Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland bildeten die umweltpolitische Forderung der FDP-Fraktion nach Verankerung eines "Rechts auf menschenwürdige Umwelt" in ihren "Freiburger Thesen" von 1971 sowie das Umweltprogramm der Bundesregierung vom 14. Oktober 1971, das die Überprüfung der Einfügung eines "Umweltgrundrechts" vorsah.

3 Vgl. neuerdings auch L. H. Michel, NuR 1988, 272, 273, der für die Entwicklung der Diskussion vier Phasen unterscheidet. Er übersieht dabei jedoch, daß sich zwischen dem Vorschlag des damaligen Bundesinnenministers H.-D. Genscher und den Erörterungen der Sachverständigenkommission "Staatszielbestimmungen I Gesetzgebungsaufträge" noch eine (wohl) eigenständige, den Erörterungen der Kommission vorgelagerte Phase befindet. 4 Zudem äußerte sich Bundeskanzler H. Kohl in seiner Regierungerklärung vom 27. April 1989 (wiederholt) dahin, daß die Koalition den Umweltschutz als Staatsziel in die Verfassung aufnehmen wolle, vgl. F AZ vom 28. April1989, S. 1 und S. 5.

I. Diskussion und Vorschläge auf Bundesebene

55

Im vierten Teil der "Freiburger Thesen" der Liberalen hieß es unter der Überschrift "Umweltpolitik": 'These 1: Umweltschutz hat Vorrang vor Gewinnstreben und persönlichem Nutzen. Umweltschädigung ist kriminelles Unrecht. An. 2 GG ist wie folgt zu ergänzen: 'Jeder hat ein Recht auf eine menschenwürdige Umwelt. Die Naturgrundlagen stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Die Grenze der im Allgemeininteresse zulässigen Umweltbelastung wird durch Gesetz bestimmt'.',s

Im Umweltprogramm der Bundesregierung ist bei den Zielen des Programms unter der Überschrift "Recht auf menschenwürdige Umwelt" zu lesen: "Maßstab jeder Umweltpolitik ist der Schutz der Würde des Menschen, die bedroht ist, wenn seine Gesundheit und sein Wohlberinden jetzt oder in Zukunft gefährdet werden. Unser Grundgesetz gewährt weder ein ausdrücklich festgelegtes Grundrecht auf eine menschenwürdige Umwelt noch enthält der Grundrechtskatalog einen Anspruch auf Erhaltung der Gesundheit. Daher gilt es, auch anhand ausländischer Vorbilder zu prüfen, wie dem Bürger ein Anspruch gegenüber dem Staat gewährt werden kann, der diesen verpflichtet, gegen die Verursacher schwerer Umweltschäden vorzugehen. Die Bundesregierung begrüßt das Eintreten der Internationalen Parlamentarierkonferenz vom 2.-4. Juni 1971 in Bonn für ein Recht auf eine bessere Umwelt, das nach Meinung der Abgeordneten in die All§emeine Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen aufgenommen werden sollte."

Dieser Ankündigung folgten allerdings keine konkreten Vorschläge seitens der politischen Parteien. Der Diskussionsentwurf der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristen (ASJ) vom 06. November 1971 fand keine offizielle Billigung durch die Partei7• Dieser sah ebenso wie die umweltpolitische Forderung der FDP-Fraktion in ihren "Freiburger Thesen" vor, den Art. 2 GG (durch einen Absatz 3) um ein (soziales) Grundrecht folgenden (vergleichbaren) Inhalts zu ergänzen: "Jeder hat ein Recht auf ein Leben in menschenwürdiger Umwelt. Die natürlichen Grundlagen stehen unter dem besonderen Schutz des sozialen Rechtsstaates. Die Grenze der zu· lässigen Umweltbelastung wird durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes geregelt. Die gesetzliche Grenzwertfestlegung richtet sich nach dem Gemeinwohl.''8

5 Die Freiburger Thesen der Liberalen, hrsg. von K. -H. Flach, W. Maihofer, W. Scheel, 1972, s. 109 f.

6

BT-Drucks. 6/2710, S. 9.

7 So H. 8

Steigu, Mensch und Umwelt, 1975, S. 16.

Zitiert nach H. Steiger, ebd., S. 79.

56

1. Teil: B. Entwicklungslinien der politischen Diskussion

Der damalige Bundeskanzler W. Brandt sprach dann in seiner Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 von einem "Recht auf menschenwürdige Umwelt", dem Verfassungsrang zukommen solle: "Wir brauchen umweltfreundliche Produkte und neue Technologien, aber auch Siedlungs· Strukturen, die das notwendige Gleichgewicht des Naturhaushaltes beachten und die Lebensbedingungen des Menschen verbessern. Die Menschen insgesamt haben ein elementares Recht auf eine menschenwürdige Umwelt, dem Verfassungsrang zukommen sollte."9

Diese Regierungserklärung zog noch im selben Jahr zahlreiche Äußerungen des damaligen Bundesministers des Ionern H.-D. Genscher sowie eine Anregung desselben zur Frage eines "Rechts auf menschenwürdige Umwelt" nach sich. So erklärte H.-D. Genscher auf einer Veranstaltung der "Arbeitsgemeinschaft für Umweltfragen" am 26. März 1973 zum Thema "Soziales Grundrecht auf eine gesunde Umwelt": "Dem Recht auf ungestörten Schlaf, auf sauberes Wasser und auf reine Luft muß Verfassungsrang eingeräumt werden. Nur so kann das verfassungspolitische Leitbild für die schwierige Aufgabe gewonnen werden, Umweltsicherung und Umweltgestaltung als Schwerpunkte staatlichen Handeins neu zu definieren. Es kommt jetzt darauf an, dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen die erforderliche Gewichtung bei der Abwägung von Zielkonflikten zwischen Umweltschutz einerseits und Produktion und Konsum andererseits zu geben. Ein soziales Grundrecht bzw. ein 'Menschenrecht' auf menschenwürdige, gesunde Lebensbedingungen löst folgerichtig eine Pflicht aus, deren Inhalt und Umfang ich allen Beteiligten zu Beginn eines notwendigen Entwicklungsprozesses zu bedenken geben möchte: die Pflicht zur ständigen, kritischen Würdigung aller Planungsentscheidun9en sowohl der öffentlichen Hand wie auch der Wirtschaft auf ihre Umweltverträglichkeit." 0

In einer Rede vom 28. September 1973 vor der "Beratenden Versammlung des Europarates" regte H.-D. Genscher dann eine verfassungsrechtliche Positivierung des Umweltschutzes entsprechend dem Vorbild des Art. 6 Abs. 1 GG an: "Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland hat bereits Anfang dieses Jahres erklärt, daß die Menschen insgesamt ein elementares Recht auf eine menschenwürdige Umwelt haben, dem Verfassungsrang zukommen sollte. Demgemäß wird zur Zeit ein Gesetz zur Ergänzung unserer Verfassung - das Grundgesetz -vorbereitet. Es soll die Grundrechte in dem Sinne erweitern, daß die natürlichen Lebensgrundlagen unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung gestellt werden. Damit wird der neue Maßstab für Gesetzgebung und Verwaltung geschaffen, der endlich den ökologischen Erfordernissen den ihnen gebührenden Rang in der Wertordnung unserer Gesellschaft einräumen soll." 11

9

BT-Stenographische Berichte, 7{7, S. 119, 127 (D).

10

Bulletin der Bundesregierung Nr. 34 vom 28. März 1973, S. 305, 306.

11

Bulletin der Bundesregierung Nr. 122 vom 02. Oktober 1973, S. 1207, 1209.

I. Diskussion und Vorschläge auf Bundesebene

57

Die Forderung nach dem Verfassungsrang für eine gesunde Umwelt wurde von H.-D. Genscher schließlich noch einmal in seiner Rede zur Eröffnung des dritten internationalen Kongresses "Reinhaltung der Luft" vom 08. Oktober 1973 bekräftigt: "Wie das Recht der anderen das Verhalten des einzelnen bestimmen muß, so muß das Recht des einzelnen das Verhalten der Allgemeinheit, konkret auch das Verhalten des Staates, bestimmen. Das Recht des einzelnen auf eine Umwelt im bestmöglichen Zustand fehlt bisher in der Aufzählung der Menschenrechte. Es gehört aber in die Reihe dieser vornehmsten, unveräußerlichen Rechte, weil es nur dann das staatliche und gesellschaftliche Handeln auf den Umweltschutz positiv verpflichtet. Die Bundesregierung hat sich daher entschlossen, dem Recht auf eine Umwelt im bestmöglichen Zustand Verfassungsrang zu verleihen. Sie wird einen entsprechenden Gesetzesvorschlag einbringen. Unser Grundrechtskatalog ist in den bald 25 Jahren seiner Gültigkeit nicht ganz unverändert geblieben; diese Verfassungsänderung wird jedenfalls die erste Ausdehnung unserer garantierten Grund- und Freiheitsrechte bedeuten. Damit ist dann eine Voraussetzung für wirkungsvolle Umweltpolitik erfüllt, aber eben erst eine Voraussetzung, noch nicht das Ziel der Politik selbst." 12

Im Gesetzgebungsprogramm von 1974 (Stand 01. Apri11974) wurde daraufhin die Einfügung eines neuen Art. 6 a GG mit folgender Formulierung vorgesehen t 3 : "Die natürlichen Lebensgrundlagen stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Das Nähere regeln die Gesetze." 14

Auch der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen vom März 197415 sowie der Arbeitskreis für Umweltrecht (AKUR) vom 11. März 197416 forderten (noch) ein Umweltgrundrecht So sah etwa der Vorschlag desAKUR eine Änderung des Art. 2 Abs. 2 GG wie folgt vor:

12 H.-D. Genscher, in: Das Bundesministerium des Innem (Hrsg.), Rede von Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher zur Eröffnung des dritten internationalen Kongresses "Rein· haltungder Luft" am 8. Oktober 1973 in Düsseldorf, 1973, S. 4. 13 So heißt es in Umweltgesetze (1), Textsammlung der in Kraft getretenen Gesetze, Umweltschutzmaßnahmen des Bundesministeriums des Innem, hrsg. vom Bundesministerium des Innem, Juni 1974, Umweltschutzmaßnahmen des Bundesministeriums des Innem nach dem Stand vom 1. April 1974, Abschnitt I. 3, Gesetze in Vorbereitung, Nr. 11, S. 54: "Referentenentwurf für ein Gesetz zur Änderung/Ergänzung des Grundgesetzes liegt vor und wird im Mai 1974 im Kabinett beraten. Gesetzgebungsverfahren im Laufe des Jahres 1974". 14

Zitiert nach J. Lücke, AöR 107 (1982), 15, 34 mit Fn. 125.

15

Siehe Umweltgutachten 1974, BT-Drucks. 7{2802, S. 172 f.

16

Vgl. bei H. Steiger, Mensch und Umwelt, 1975, S. 80 ff.

58

1. Teil: B. Entwicklungslinien der politischen Diskussion

"Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheil in einer menschenwürdigen Umwelt, deren natürliche Grundlagen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden."17

2. Die objektiv-rechtliche Phase

Im Gegensatz zur bisherigen Entwicklung enthielt die Regierungserklärung des ehemaligen Bundeskanzlers H Schmidt vom 13. Mai 1974 in dem auf die Umweltpolitik bezogenen Abschnitt kein Wort mehr über ein "Recht auf menschenwürdige Umwelt" 18• Lediglich der (damals) neue Bundesminister des Innern W. Maihafer erklärte zum Tag der Umwelt am 05. Juni 1974: "Das Recht auf menschenwürdige Umwelt ist nach unserem liberalen Verständnis ein Grundrecht. Entsprechend haben wir eine Vorlage erarbeitet, dieses Recht in das Grundgesetz aufzunehmen. Recht setzt man durch, indem man es in Anspruch nimmt. Achten wir auf unser Recht, frei atmen zu können, ohne befürchten zu müssen, mit jedem Atemlug Giftstoffe aufzunehmen. Achten wir auf unser Recht, Wasser trinken zu können, U'lS mit sauberem Wasser waschen zu können. Beanspruchen wir unser Recht, unseren Schlaf nicht durch Motoren und Maschinen stören zu lassen. Bestehen wir darauf, daß ein Leben in Wüsten aus Stein und Stahl zwischen wachsenden Müllbergen unserer nicht würdig ist." 19

Auch in seiner Regierungserklärung von 1976 schwieg sich H. Schmidt in Sachen "Umweltschutz" aus 20• Ganz diesem allgemeinen Trend zum "Rückzug" entsprechend sah der Umweltbericht der Bundesregierung vom 14. Juli 197621 "nur noch" die verfassungsrechtliche Verankerung des Umweltschutzes in Form einer Staatszielbestimmung vor. Dort hieß es: "Die Bundesregierung hält es auf weitere Sicht für erwägenswert, den Umweltschutz im Wege einer systemgerechten Ergänzung des Grundgesetzes in der Verfassung ausdrücklich zu verankern. Dies könnte auf angemessene und bis auf weiteres allein praktikable Weise durch Schaffung einer Staatszielbestimmung geschehen. Eine solche Bestimmung würde als Verfassungsauftrag für die Legislative- unter Wahrung des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers - die Verpflichtung enthalten, einen wirksamen und möglichst umfassenden 17

Zitiert nach H. Külz, DVBI. 1975, 189, 189.

18

Siehe H. Steiger, Mensch und Umwelt, 1975, S. 15.

19

W Maihofer, in: Das Bundesministerium des Innern (Hrsg.), Umwelt, Heft 32, 05. Juni

1974, S. 1, 2. 20

In diesem SinneE. Bentk, UPR 1982,241, 244.

21

BT-Drucks. 7/5684.

I. Diskussion und Vorschläge auf Bundesebene

59

Umweltschutz zu schaffen; ihr käme gleichzeitig als Auslegungsmaßstab auch für andere Bereiche des Rechts eine Ausstrahlungswirkung zu."22

Eine objektiv-rechtliche Verankerung des Umweltschutzes in Form einer Staatsaufgabe empfahl dann unter Darlegung der Nachteile eines Umweltgrundrechts auch der Rat von SachverstlJndigen für Umweltfragen in seinem Gutachten vom Februar 197823 : "Der Rat empfiehlt daher die Verankerung des Umweltschutzes als Staatsaufgabe im Grundgesetz. Er stimmt hierin weitgehend mit der Bundesregierung überein, die eine 'Staatszielbestimmung' befürwortet, die als 'Verfassungsauftrag für die Legislative' die Verpflichtung zu einem 'wirksamen und möglichst umfassenden Umweltschutz' enthalten würde und gleichzeitig 'als Auslegungsmaßstab auch für andere Bereiche des Rechts eine Ausstrahlungswirkung' entfalten könnte (Umweltbericht 1976). Allerdings sollte sich eine sol· ehe grundgesetzliche Bestimmung nicht nur an die Legislative richten. Darüber hinaus hält er den Begriff 'Staatszielbestimmung' insoweit für ungeeignet, da mit diesem Begriff meist Ziele von solcher Bedeutung angesprochen werden, die den Gesamtcharakter des Staates prägen sollen. Daher ist der Begriff der Staatsaufgabe hier angemessener."24

Zur (politischen) Begründung einer solchen Empfehlung verwies der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen auf vermeintlich positive Wirkungen für die Umweltpolitik, wie etwa die allgemein verstärkte Berücksichtigung der Staatsaufgabe "Umweltschutz", die Erhöhung ihres Ranges25, stellte aber zugleich klar, daß es sich beim Umweltschutz um eine Querschnittsaufgabe handele, die nicht nur in den Aufgabenbereich eines Ressorts falle 26. 3. Die Phase der Erörterungen der Sachverständigenkommission "Staatszielbestimmungen I Gesetzgebungsaufträge"

Die Regierungserklärung H. Schmidts vom 24. November 1980 enthielt zwar keine Ausführungen über die verfassungsrechtliche bzw. -politische Bedeutung des Umweltschutzes 27 , doch kündigte der ehemalige Bundeskanzler darin immerhin eine Prüfung an, ob detaillierte Staatszielvorstellungen oder Gesetzgebungsaufträge in das Grundgesetz aufgenommen wer22 BT-Dr11cks. 7/5684, S. 23. 23

BT-Drucks. 8/1938.

24

BT-Drucks. 8/1938, S. 579.

2S

Vgl. BT-Drucks. 8/1938, S. 579.

26

Siehe BT·Drucks. 8/1938, S. 579.

27

Vgl. BT-Stenographische Berichte, 9/5, S. 25, 39 (D).

60

1. Teil: B. Entwicklungslinien der politischen Diskussion

den sollten. In der Erklärung der Bundesregierung zur Rechtspolitik am 19. März 1981 wurde diese Absicht dann vom damaligen Bundesminister der Justiz, J. Schmude, vor dem Deutschen Bundestag näher erläutert 28 • "Er hob dabei die fortschreitende Verwirklichung des Verfassungsgebotes der Sozialstaatlichkeil sowie eine Verdeutlichung und Ergänzung der im Grundgesetz bereits enthaltenen Staatszielvorstellungen hervor." 29 Als Beispiel nannte J. Schmude unter anderem auch ausdrücklich den Schutz der Umwelt 30• Zur Durchführung dieser Prüfung beriefen die Bundesminister des Innern und der Justiz im Herbst 1981 eine aus sieben Professoren der Rechtswissenschaft zusammengesetzte unabhängige Sachverständigenkommission "Staatszielbescimmungen I Gesetzgebungsaufträge" ein, die am 12. Februar 1982 zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammentreten konnte 31 und im August 1983 ihren Bericht 32 vorlegte. Zur Diskussion stand in der Kommission zum einen eine Kurzfassung, die Art. 20 Abs. 1 GG um eine Staatszielbestimmung "Umweltschutz" ergänzen und auch Art. 28 Abs. 1 GG entsprechend erweitern wollte. Danach sollte Art. 20 GG wie folgt lauten: "Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Sie schützt und pflegt die Kultur und die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen. "33

Für Art. 28 Abs. 1 GG war eine entsprechende Änderung vorgesehen: "Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes und der Veranrworrung des Staates für Kultur und natiirliche Umwelt cntsprechen."34

28 So E. Denninger, in: Der Bundesminister des Innern/Der Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Staatszielbestimmungen I Gesetzgebungsaufträge, 1983, Vorwort, S. 5. 29

E. Dcnninger, ebd.

30

Siehe E. Denninger, ebd.

31

Dazu soeben Fn. 30.

32

Bericht der Sachverständigenkommission "Staatszic/bcstimmungcn I Gesetzgebungsaufträge" von 1983, in: Der Bundesminister des Innern/Dcr Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Staatszielbestimmungen I Gesetzgebungsauftriige, 1983. 33 Bericht der Sachverständigenkommission "Staatsziclbestimmungen I Gcsctzgebungsaufträge" von 1983, ebd., Rn. 130. 34 Bericht der Sachverständigenkommission "Staatszielbestimmungen I Gesetzgebungsaufträge" von 1983, ebd.

I. Diskussion und Vorschläge auf Bundesebene

61

Dieser Änderungsvorschlag stellte zugleich den Mehrheitsvorschlag der Sachverständigenkommission dar35 und übte eine nachhaltige Wirkung auf die spätere umweltschutzverfassungsrechtliche und -politische Diskussion aus 36• Zur Begründung führte die Kommission im wesentlichen aus, daß sie einen zufriedenstellenden Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen im geltenden Verfassungsrecht nicht gewährleistet sehe, insbesondere gerate das allgemeine Interesse am Umweltschutz allzu leicht in Gefahr, gegenüber anderen, kurzfristigeren oder stärker sichtbaren Allgemein- oder Privatinteressen zurückgesetzt zu werden 37 • Dies könne im Hinblick auf die Bedeutung des Umweltschutzes nicht hingenommen werden. Beim Umweltschutz handele es sich nämlich um ein existentielles, langfristiges Interesse; die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen sei zu einer grundlegenden und hochrangigen Aufgabe geworden, zu der der Staat einen wesentlichen Beitrag zu leisten habe 38 • Dieser fundamentalen Bedeutung entspreche dann auch eine Plazierung des Umweltschutzes in Art. 20 GG39. Zur Diskussion stand zum anderen eine ausführlicher und differenzierter formulierte Fassung der Minderheit der Kommisssion, die die Einfügung eines neuen Art. 37 a in das Grundgesetz mit folgendem Wortlaut vorsah: "(1) Die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen stehen unter dem besonderen Schutz des Staates.

35

Dazu soeben Fn. 34.

So L. H. Michel, Staatszwccke, Staatsziele und Grundrechtsinterpretation unter besonderer Berücksichtigung der Positivierung des Umweltschutzes im Grundgesetz, 1986, S. 270 mit Fn. 4; vgl. auch die schriftlichen Stellungnahmen der Staatsrechtslehrer und anderer zur Vorbereitung für die öffentliche Anhörung im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestagesam 14. Oktober 1987 zum Thema "Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz", Anlage zum Stenographischen Protokoll der 8. Sitzung des Rechtsausschussesam Mittwoch, dem 14. Oktober 1987. 36

37 Siehe Bericht der Sach verständigenkommission "Staatszielbestimmungen I Gesetzgebungs· aufträge" von 1983, in: Der Bundesminister des Innem/Der Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Staatszielbestimmungen I Gesetzgebungsaufträge, 1983, Rn. 142, 143.

38 Vgl. Bericht der Sach1•erständigenkommission "Staatszielbestimmungen I G esetzgebungs· aufträge" von 1983, ebd., Rn. 141.

39 Siehe Bericht der Sachverständigenkommission "Staatszie/bestimmungen I G esetzgebungsaufträge" von 1983, ebd., Rn. 153.

62

I. Teil: B. Entwicklungslinien der politischen Diskussion

(2) Natur und Umwelt sowie die Denkmäler der Kunst und der Geschichte sind der Obhut und Pflege von jedermann anvertraut. Das Gesetz bestimmt die notwendigen Bindungen und Pflichten; es ordnet den Ausgleich der betroffenen öffentlichen und privaten Belange und regelt die staatlichen und kommunalen Aufgaben."40

Dieser von der Minderheit getragene Vorschlag sollte die Relativität des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen sowie die Umweltpflichtigkeit auch jedes einzelnen Bürgers betonen4 t. Zugleich negierte er jede Verbindung zu den in Art. 20 GG niedergelegten Staatszielbestimmungen42 • Darüber hinaus wurden zwei Langfassungen vorgeschlagen. Die eine zielte darauf ab, die zentralen Inhalte der Umweltpolitik und eine relative Priorität für den Umweltschutz festzuschreiben. Im wesentlichen lautete sie: "(1) Die staatliche Umweltpolitik hat im Interesse der Allgemeinheit und künftiger Generationen Schäden, Gefahren und erhebliche Belästigungen des Menschen durch schädliche Umwelteinwirkungen zu verhüten und Wasser, Boden, Luft und Klima, Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen, den Naturhaushalt und die Landschaft zu schützen, zu erhalten und zu entwickeln. (2) Die staatliche Umweltpolitik hat Vorsorge gegen das Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen zu treffen, die nachhaltige Nutzungsfähigkeit erneuerbarer Umweltgüter ohne Beeinträchtigung des natürlichen Gleichgewichts und der Artenvielfalt zu sichern, die schonende Nutzung des Bodens zu fördern und für den sparsamen Gebrauch und die Wiederverwendung nichterneuerbarer Rohstoffe und die sparsame Nutzung von E nergie zu sorgen. (3) Eine schwere Beeinträchtigung oder Gefährdung der natürlichen Umwelt darf nur in dem Umfang zugelassen werden, als dies zum Schutz überragend wichtiger Interessen der Allgemeinheit oder des einzelnen unerläßlich ist."43

Die andere Langfassung sah dagegen eine Verbindung von Verbotsnorm und Staatszielbestimmung in folgender Formulierung vor: "(1) Niemand darf durch nachteilige Veränderungen der natürlichen Lebensgrundlagen in seiner Gesundheit verletzt oder unzumutbar gefährdet oder in seinem Wohlbefinden unzumutbar beeinträchtigt werden. 40

Vgl. Bericht der Sachverständigenkommission "Staatszielbestimmungcn I Gesetzgebungsaufträge" von 1983, ebd., Rn. 130. 4 t Siehe -Bericht der Sach1•erständigenkommission "Staatszielbestimmungen I Gesetzgebungsaufträge" von 1983, ebd., Rn. 158.

42 Vgl. Bericht der Sachverständigenkommission "Staatszielbestimmungen I Gesetzgebungsaufträge" von 1983, ebd., Rn. 156. 4 3 Siehe Bericht der Sachverständigenkommission "Staatszielbestimmungcn I Gesetzgebungsaufträge" von 1983, ebd., Rn. 148.

I. Diskussion und Vorschläge auf Bundesebene

63

Eine Beeinträchtigung des Wohlbefindens kann auch unzumutbar sein, wenn diese zur Erhaltung und Entwicklung der wirtschaftlichen Grundlage des Gemeinwesens erforderlich und die Beeinträchtigung durch andere Maßnahmen nicht abzuwenden ist. (2) Jedennano hat das Recht, von den zuständigen Organen Überprüfung und unter den Voraussetzungen des Abs. 1 Abhilfe zu verlangen, wenn nachteilige Veränderungen der natürlichen Lebensgrundlagen durch das Handeln anderer eintreten können.

(3) Das Nähere regelt ein Gesetz. Das Gesetz legt auch fest, in welcher Weise einer künftige Generationen treffenden nachteiligen Veränderung der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen vorzubeugen und für die Erhaltung der Pflanzen- und Tierwelt zu sorgen ist."44

Die beiden Langfassungen stießen jedoch ganz überwiegend auf Ablehnung. Zur Begründung wurde angeführt, daß erstere, indem sie wesentliche Inhalte der Umweltpolitik und die relative Priorität des Umweltschutzes festschreibe, der Systematik und Struktur des Grundgesetzes widerspreche sowie den politischen Prozeß vorwegnehme45• Letztere könne nicht akzeptiert werden, weil eine verfassungsrechtliche Verbotsnorm zu sehr in der Nähe subjektiver Ansprüche liege und das Kriterium der Unzumutharkeit verfassungsrechtlich schwer handhabbar sei46• Schließlich war eine "Kombinationslösung" vorgeschlagen worden, die eine Ergänzung des Art. 20 GG durch eine Kurzformel, aber zugleich eine detailliertere Beschreibung der Schutzgüter an anderer Stelle im Grundgesetz anstrebte. Dieser Entwurf wurde aber - aus unterschiedlichen Gründen- von allen Mitgliedern der Kommission nicht akzeptiert. Während die einen in der Konkretisierungsklausel einen Widerspruch zum Stil des Grundgesetzes sowie eine Abschwächung der Bedeutung einer Staatszielbestimmung sahen, war den anderen die Änderung des Art. 20 GG selbst in abgeschwächter Form noch zu weitreichend 47 •

44 Vgl. soeben Fn. 43. Siehe dazu näher Bericht der Sachverständigenkommission "Staatszielbestimmungen I Gesetzgebungsaufträge" von 1983, in: Der Bundesminister des lnnem/Der Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Staatszielbestimmungen I Gesetzgebungsaufträge, 1983, Rn. 149. 45

46 Vgl. Bericht der Sachverständigenkommission "Staatszielbestimmungen I Gesetzgebungsaufträge" von 1983, ebd., Rn. !50. 47 So Bericht der Sachverständigenkommission "Staatszielbestimmungen I Gesetzgebungsaufträge" von 1983, ebd., Rn. 151.

64

1. Teil: 8. Entwicklungslinien der politischen Diskussion

4. Die (anschließende) Phase der Gesetzesanträge

Obwohl sich die Sachverständigenkommission - wenn auch mit unterschiedlichen Formulierungs- und Positionierungsvorschlägen - eindeutig für die Aufnahme des Umweltschutzes in die Verfassung aussprach, betonte Bundeskanzler H Kohl noch am 13. Dezember 1983 in einem Gespräch mit dem 1988 verstorbenen bayerischen Ministerpräsidenten F. J. Strauß, daß eine den Umweltschutz betreffende Ergänzung des Grundgesetzes nicht zu erwarten sei 48 • Gleichwohl wurden seitdem wiederholt Sachverständigenanhörungen zur Frage einer Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz durchgeführt49. Parallel dazu sind bislang zahlreiche konkrete Änderungsvorschläge für seine grundgesetzliche Positivierung gemacht worden. So forderte die Fraktion "Die Grünen" in einem Entwurf zum Sechsunddreißigsten Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 09. Februar 198450 eine doppelte verfassungsrechtliche Absicherung des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagcn. Art. 2 GG sollte über die Einfügung eines ncuen Absatzes 3 um folgendes Umweltgrundrecht erweitert werden: "Jeder Mensch hat das Recht auf eine gesunde Umwelt und den Erhalt seiner natürlichen Lebensgrundlagen."51

Zusätzlich war die Ergänzung des Grundgesetzes um einen Art. 37 a mit nachstehendem Inhalt vorgesehen: 48 Siehe F AZ vom 16. Dezember 1983, S. 6. Danach soll diese Äußerung den Anlaß dafür gegeben haben, dem Umweltschutz im Freistaat Bayern Verfassungsrang zu verleihen.

49 Ygl. vor allem die Stellungnahmen der Staatsrechtslehrer im Rahmen der öffentlichen

Anhörung der CDU/CSU-ßundestagsfraktion am 28. Mai 1984 in Bonn, in: W. Schäuble (Hrsg.), "Aufnahme des Umweltschutzes als Staatszielbestimmung in das Grundgesetz?", Öffentliche Anhörung der CDU!CSU-Bundestagsfraktion am 28. Mai in Bonn, 1984, sowie Äußerungen der Staatsrechtslehrer im Rahmen der öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuß und Innenausschuß des Bundesratesam 10. Juni 1985 zum Thema "Ergänzung des Grundgesetzes um eine Vorschrift über den Umweltschutz", Anlage 1 zum Stenographischen Protokoll über die 551. Sitzung des Rechtsausschusses und die 544. Sitzung des Innenausschusses, SRDrucks. R 0055- Nr. R 59/85 und 0141 (544)- Nr. 51/85, und die schriftlichen Stellungnahmen der Staatsrechtslehrer und anderer zur Vorbereitung für die öffentliche Anhörung im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestagesam 14. Oktober 1987 zum Thema "Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz", Anlage zum Stenographischen Protokoll der 8. Sitzung des Rechtsausschussesam Mittwoch, dem 14. Oktober 1987. 50

BT-Drucks. 10/990.

51

BT-Drucks. 10/990, S. 2.

I. Diskussion und Vorschläge auf Bundesebene

65

"(1) Umwelt, Natur und Landschaft sind als Lebensgrundlagen des Menschen der Obhut und Pflege von jedermann anvertraut. Sie stehen unter dem besonderen Schutz des Staates. (2) Geschützt werden insbesondere Wasser, Boden, Luft, Klima, Tiere, Pflanzen, natürliche Ressourcen und ihr Zusammenwirken im Naturhaushalt. Die natürliche Artenvielfalt ist zu erhalten und zu fördern. (3) Näheres wird durch das Gesetz bestimmt. Insbesondere wird durch Gesetz bestimmt, in welcher Weise einer künftige Generationen treffenden nachteiligen Veränderung der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen vorzubeugen ist."52

Zur Begründung53 wurde ausgeführt, daßangesichtsder drohenden Umweltkatastrophe endlich auf der Ebene der Verfassung eine für die Gesellschaft richtungsweisende, allgemeingültige Wertentscheidung zugunsten des Schutzes der Umwelt getroffen werden müßte54 • Dabei werde durch das neue Grundrecht des Art. 2 Abs. 3 GG dem tatsächlich gegebenen, fundierenden Zusammenhang zwischen Leben und Gesundheit einerseits und natürlichen Umweltbedingungen in ihrer Gesamtheit andererseits Rechnung getragen und durch Art. 37 a GG der Eigenwert der Natur, deren Schutz jedermann aufgegeben sei, klargestellt 55 • Zudem müsse sichergestellt werden, daß stets auch die Belange zukünftiger Generationen beachtet werden 56• Der Entwurf eines Sechsunddreißigsten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes der SPD-Fraktion im Bundestag vom 25. Mai 198457 sah dagegen "nur" die Einfügung einer Staatszielbestimmung "Umweltschutz" als Art. 20 a mit folgendem Wortlaut vor: "Die natürlichen Lebensgrundlagen stehen unter dem besonderen Schutz des Staates."58

Entsprechend sollte auch Art. 28 Abs. 1 um einen neuen Satz 2 ergänzt werden: "Sie muß auch59der Verantwortung des Staates für die natürlichen Lebensgrundlagen gerecht werden."

52

BT-Drucks. 10/990, S. 2.

53

Siehe BT-Drucks. 10/990, S. 3 ff.

54

Vgl. BT-Drucks. 10/990, S. 3.

55

So BT-Drucks. 10/990, S. 4.

56

Dazu BT-Drucks. 10/990, S. 5.

57

BT-Drucks. 10/!502.

58

BT-Drucks. 10/1502, S. 2.

59

BT-Drucks. 10/1502, S. 3.

5 Bock

66

1. Teil: B. Entwicklungslinien der politischen Diskussion

Zur Begründung60 wurde auf die "elementare Gemeinwohlbedeutung" des Umweltschutzes verwiesen61 , der ranggleich mit anderen grundgesetzliehen Staatszielen zu beachten sei62• Ein Änderungsentwurf des Landes Hessen, den das Land 1984 im Bundesrat eingebracht hatte, stimmte positions- und (in etwa) wortgleich mit dem Mehrheitsvorschlag der SachversUJndigenkommission "Staatszielbestimmungen I Gesetzgebungsauftr11ge" überein63• Die Begründung entsprach nahezu der der SPD-Fraktion im Bundestag64 • Ein Gesetzesantrag des Landes Schleswig-Holstein von 198465 lehnte sich dagegen eng an den Wortlaut des Minderheitsvorschlags der Sachverstlindigenkommission "Staatszielbestimmungen I Gesetzgebungsaufträge" an. Als Normierungsort war allerdings ein neuer Art. 20 a vorgesehen: "(1) Die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen stehen unter dem besonderen Schutz des Staates. (2) Natur und Umwelt sind der Obhut und Pflege von jedermann anvertraut. Das Gesetz bestimmt die notwendigen Bindungen und Pflichten und ordnet den Ausgleich der t>ctroffenen öffentlichen und privaten Belange."

Abgewandelt lauteten die Vorschläge des Landes Schleswig-Holstein vom September und Dezember 198566 dann: "Die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen stehen unter dem Schutz und der Pflege der staatlichen Ordnung. Inhalt und Ausmaß dieser Verantwortlichkeit werden durch die Gesetze bestimmt." "Die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen stehen unter dem Schutz und der Pflege des Staates. Das Nähere regeln die Gesetze; sie bestimmen insbesondere den Ausgleich der betroffenen Interessen der Allgemeinheit und des einzelnen."

60 Siehe

BT-Drucks. 10/1502, S. 3 ff.

61

Dazu BT-Drucks. 10/1502, S. 3.

62

Vgl. BT-Drucks. 10/1502, S. 4.

63

BR-Drucks. 247/84.

So auch L. II. Michel, Staatszwecke, Staatsziele und Grundrechtsinterpretation unter besonderer Berücksichtigung der Positivierung des Umweltschutzes im Grundgesetz, 1986, S. 274 mit Fn. 2. 64

65

Dazu BR-Drucks. 307/84.

66 Siehe

BT-Rechtsausschuß-Drucks. 11/04.

I. Diskussion und Vorschläge auf Bundesebene

67

Eine Kabinettsvorlage des Landes Schleswig-Holstein vom 24. September 1986 sah schließlich die Einfügung eines neuen Art. 20 a GG in folgender Formulierung vor67 : "(1) Die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen stehen unter dem Schutz und der POege des Staates. (2) Das Nähere regeln die Gesetze. Sie treffen die Abwägung mit anderen Rechtsgütern."

Einen ähnlich formulierten Vorschlag zur Einfügung eines neuen Art. 20 a GG hatte auch das Land Berlin in den Bundesrat eingebracht68: "(1) Die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen stehen in Abwägung mit anderen Rechtsgütern unter dem Schutz und der Pnege des Staates. (2) Das Nähere regeln die Gesetze."

Zudem findet sich ein gemeinsamer Vorschlag des Berliner Ausschusses Christdemokratischer Jugend (BACDJ) und des Staatsrechtslehrers R. Scholz zur Verankerung des Umweltschutzes in Art. 109 Abs. 2 GG. Dieser sollte nunmehr lauten69: "Bund und Länder haben bei ihrer Haushaltswirtschaft und bei Maßnahmen der Wirtschafts· und Finanzpolitik den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen. Maßnahmen sind so zu treffen, doß sie im Rahmen der marktwirtschaftliehen Ordnung und des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen."

Den Umweltschutz eher etwas weiter hinten im Grundgesetz verankert wissen wollten auch der Freistaat Bayern und das Bundesland Niedersachsen. Gemeinsam schlugen sie die Einfügung eines neuen Art. 26 a GG in fast wortgleicher Formulierung mit der Kabinettsvorlage Sch/eswig-Holsteins vör: "(1) Die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen stehen unter dem Schutz und der Pnege des Staates. (2) Das Nähere regeln die Gesetze. Sie treffen die Abwägung mit anderen Rechtsgütern und Staatsaufgaben."70

5•

67

Vgl. soeben Fn. 66.

68

Siehe Fn. 66.

69

Dazu Fn. 66.

70

Siehe Fn. 66.

68

1. Teil: B. Entwicklungslinien der politischen Diskussion

Ebenfalls für eine Lösung, die dem Normierungsort des Art. 20 GG ferner liegt, hat sich der Staatsrechtslehrer H.-P. Schneider11 1985 ausgesprochen. Er strebte einen neuen Art. 30 a, 31 a oder 32 a GG in folgender Fassung an: "(1) Bund, Länder und Gemeinden sind zum Schutz