Umweltbewußtsein von oben: Zum Verfassungsgebot demokratischer Willensbildung [1 ed.] 9783428481552, 9783428081554

Die frühe Umweltpolitik war gerade keine »Bewegungs-«, sondern eine ministerialbürokrativ-technokratische Elitenpolitik

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German Pages 645 Year 1994

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Umweltbewußtsein von oben: Zum Verfassungsgebot demokratischer Willensbildung [1 ed.]
 9783428481552, 9783428081554

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HANS-PETER VIERHAUS

Umweltbewußtsein von oben

Schriften zum Umweltrecht Herausgegeben von Prof. Dr. M i c h a e I K I o e p f e r, Berlin

Band 48

Umweltbewußtsein von oben Zum Verfassungsgebot demokratischer Willensbildung

Von

Dr. Hans-Peter Vierhaus

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme Vierhaus, Hans-Peter: Umweltbewusstsein von oben : zum Verfassungsgebot demokratischer Willensbildung I von Hans-Peter Vierhaus. Berlin : Duncker und Humblot, 1994 (Schriften zum Umweltrecht ; Bd. 48) Zug!.: Berlin, Humboldt-Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-08155-2 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1994 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Peinted in Germany ISSN 0935-4247 ISBN 3-428-08155-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier gemäß der ANSI-Norm ftir Bibliotheken

Meinen Eltern

"Der Grundgesetzgeber hat sich, indem er die freiheitliche demokratische Grundordnung geschaffen hat, für einen freien und offenen Prozeß der Meinungs- und Willensbildung des Volkes entschieden. Dieser Prozeß muß sich vom Volk zu den Staatsorganen, nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk hin, vollziehen. " BVerfG, Urt. v. 19. Juli 1966, Leitsatz 2

"Aus der Bevölkerung kam damals noch keine Resonanz, immer noch nicht. Wir haben unsere ersten Kämpfe gegen die Wirtschaft ohne Unterstützung einer Bürger-Lobby durchführen müssen. • Staatssekretär Hartkopf (BMI) zum Umweltprogramm der Bundesregierung von 1971

"Sie haben hier den relativ seltenen Fall, daß von der Politik der Anstoß zu einer gesellschaftlichen Grundsatzdiskussion gekommen ist". Ministerialrat Bohne (BMU) zum Entwurf eines Umweltgesetzbuchs von 1990

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1993/94 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin als Dissertation angenommen. Danken möchte ich zuerst Herrn Professor Dr. Michael Kloepfer, der mich zu dem spannenden Thema angeregt hat, für die Erstattung des Erstgutachtens sowie die Aufnahme in diese Reihe. Er hat die Arbeit zwar wohlwollend-kritisch begleitet, ihrem Entstehen aber durch das Gewähren völliger geistiger Freiheit die für jeden kreativen Meinungsbildungsprozeß notwendige Offenheit belassen. Herrn Professor Dr. Ulrich Battis habe ich für die zügige Erstattung des Zweitgutachtens zu danken. Mein besonderer Dank gilt Ulrich Sendler, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Humboldt-Universität zu Berlin. Als treuer Freund hat er die gesamte technische Bewältigung der Druckvorbereitung des Manuskripts in unzähligen aufwendigen Einzelschritten mit großem Sachverstand geleistet, nachdem er zuvor bereits für Formatierung und Druck des Dissertationsexemplars verantwortlich zeichnete. Die unzähligen Stunden dieser altruistischen Tätigkeit sind in die nun vorliegende Schrift sichtbar eingeflossen. Regina danke ich für ihre aktive Beteiligung, die den gesamten Entstehensprozeß begleitete und von der Literaturrecherche über das Korrekturlesen bis hin zur mühevollen Erstellung des Literatur- und Abkürzungsverzeichnisses reichte. Sie hat damit wesentlich zu dieser Publikation beigetragen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat die Erstellung der Arbeit durch Gewährung eines Promotionsstipendiums im Rahmen des Graduiertenkollegs "Umwelt- und Technikrecht" gefördert. Mein Dank gilt schließlich alljenen Einzelpersonen, Behörden der Umweltverwaltung, Verlagen und sonstigen Institutionen, die meine schriftlichen Anfragen bereitwillig beantwortet haben. Da ich sie wegen der großen Zahl hier nicht namentlich nennen kann, verweise ich auf die entsprechenden Fußnoten. Das Manuskript wurde im wesentlichen im April 1993 abgeschlossen. Es wurde versucht, danach erschienene Literatur und Rechtsprechung zumindest in den Fußnoten zu berücksichtigen. Berlin im Mai 1994

Hans-Peter Vierhaus

Inhaltsverzeichnis EiDleitung Erst~r

29

Teil

Die Etablierung des Umweltschutzes als Thema von Politik und öffentlicher MeinUDg in der Bundesrepublik A. Einfiihrung in die historische Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . I. Allgemeines Interesse fiir die "Umweltgeschichte" .... ........... .. ......... ... ..... .. ll. Datierung des Beginns von Umweltschutz und Umweltpolitik im Schrifttum

39 39 39 42

B. Nicht-regierungsamtliche frühe Ansätze einer Beschäftigung mit Umweltfragen in der Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Umweltbezogene Aktivitäten der Zweck- und Wasserverbände des Ruhrgebiets . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk (SVR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entstehung, Rechtsform und Aufgaben des SVR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Umweltbezogene Aktivitäten des SVR ... ....................... ........... aa) Grünflächenpolitik und Verkehrsplanung ............. ....... ... ...

ll.

45 45 45 46 46

bb) Waldsterben und Luftreinhaltung .. ................................. . 2 . Die Wasserverbände des Ruhrgebiets . . . . . .. .. . . . . . . ... ............. .. . . . . . . . . . . .. . 3. Zweck- und Wasserverbände als Teil staatlicher Verwaltung ...... ... ........ Thematisienmg der Ressourcenproblematik durch die Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft für naturgemäße Wirtschaft . . . . . . . . . . . 1. Entstehung und Mitgliederstruktur der IPA .... .... ................... ..... ....... 2. Ziele und Tätigkeit der IPA im Umweltbereich ........... ..... .............. .... a) Die "Grundsätze für eine naturgemäße Wirtschaft" ..... .... . ...... ......

48 50 52

Die Arbeit der IPA . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. .. aa) Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . .. .. . bb) Gewässerschutz .......... .... ...... ... ................... ... ..... .. ...... cc) Mitarbeit an der "Grünen Charta von der Mainau" .. .. ... .. ..... . dd) Edition der Vorschriftensammlung "Raum und Natur" ...... .. ...

59 59 61 62 64

3. Abgeordnetenmandat als staatliches Amt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Entwicklung der Umweltforschung . . . . . . . . . .. . .. . ... .. . . . . . . . . . . . . .. . . . .. . . . . . . . .. . . 1. Der Begriff "Umweltforschung" .... . . . . . . . ... . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . .. 2. Nicht-staatliche und staatliche Umweltforschung .. . . . . . . . . . . . . . .... . . . .. ........

64 66 66 68

b)

m.

45

55 55 56 56

12

Inhaltsverzeichnis a)

Nicht-staatliche Umweltforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa)

b)

und "Lärmminderung" .. .............. ..................... ....... ... .. 69 bb) Forschungsinstitute in privater Trägerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Staatliche Umweltforschung ............ .. ........................ .. .. ........ 71 aa) bb)

Bundesanstalten . . . . . . . .. . . .. .. . . . . . . . . . . .. .. . . . . .. . . .. .. .. . . . . . . . . . . . . . . . 71 Landesanstalten, insbesondere Landesanstalt für Immissions- und Bodenschutz NRW . . . .. . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . .

cc)

73

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft ........ .. .. ............. ....

75

dd) Großforschungseinrichtungen .. .. .. . . .. .. . .. .. . . . . . . .. . . .. . .. . .. .. . . . Dominanz staatlicher Umweltforschung ....... ......................... ...... .....

77 78

Die Rolle der politischen Parteien .. .. . .. . . . . . . . . . . . . . . .. .. . .. . .. .. . .. . .. .. . . . .. . . . . .. .. . . .

80

1.

80

3. IV.

69

VDI-Kommissionen "Reinhaltung der Luft"

Die CDU ............. ... ......................... .. ... ... .. ................ ...... .. ..... a)

Immissionsschutz-Initiative der CDU-Fraktion Nordrhein-Westfalen als Sonderfall ..... .. .................... .... ....... ... 80

b) 2.

Die Bundespartei- verpaßter Einstieg der CDU in die Umweltpolitik ........................ .. ... ......................... .... ... . Die SPD, insbesondere der "Blaue Himmel"- Wahlslogan 1961 .. .. .. . .... ..

81 85

3.

Die FDP- Partei des ersten "Umweltministers" .. ............... ... ..... .. ... ...

90

4.

Gesamtbewertung der Rolle der Parteien .............................. .... ..... .. .

91

V.

Naturschutzvereine, Bürgerinitiativen, Umweltverbände .. ........ ... ........ .. ..... .

93

VI.

Kirchen, Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

C. Die Besetzung des Themas "Umweltschutz" durch Bundesregierung und Ministerialbürokratie ........ .. ... ........................ .. .. ......................... ....... .

101

I.

Sektorale Ansätze im Bundesgesundheitsministerium ab 1962 ........... .. ........

101

ß.

Herausbildung eines eigenständigen Politikbereichs .. .. ... .......... .. .. ...... .... ...

103

1.

Regierungserklärung vom 28.10.1969 .... .. .... ... ...................... .. ......

103

2.

Institutionalisierung der Umweltpolitik ....... .. .... ..... ..................... .... a) Prägung des Leitbcgriffs "Umweltschutz" im Zusammenwirken

104

b)

104

der Bundesregierung für den Umweltschutz (1970) ......... .. .. .. .. ..

107

Umweltprogramm der Bundesregierung (1971) ........... .. ......... ..

108

d) Beginn planmäßiger Umweltgesetzgebung (1970-76) ........ ......... Impulse und Motive für die Besetzung des Themas durch die Bundesregierung . . . . . . . . . . . . .. . . . .. . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . .. . .. .

110

c)

m.

von Fachminister und Ministerialbürokratie am 7.11.1969 Kabinettsausschuß für Umweltfragen und Sofortprogramm

1.

internationaler Aktivitäten . . . . . .. . . .. . . . . . . . . . .. .. .. .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . .. .. .. . .. . . .

116

a) b)

116 119 121

c)

2.

115

Import aus den USA und Rezeption "Silent Spring" als Anstoß der US-Umweltpolitik ... ...... ... ... ... ... . "Vorwirkung" der Stockholmer Konferenz ... .... ..... ........ ... .... ... Rezeption durch die deutsche Beamtenelite

Reformbereitschaft der sozial-liberalen Koalition

122

Inhaltsverzeichnis

13

3.

IV.

Interesse und Ehrgeiz einzelner Ministerialbeamter und des Bundesinnenministers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 4. Expansionsdrang des Innenministeriums .... .................................. ... 125 5. Image-Aufwertung des Innenressorts und der F.D.P. ......................... 126 6. Kein Impuls durch die Einrichtung des bayerischen Staatsministeriums für Landesentwicklung und Umweltfragen . . .. .. .. .. .. .. 127 Aspekte einerneuen Qualität von Umweltschutz ab 1969/70 ..................... 129 1. Umgestaltung "vor-reformerischer" Umweltrechtsgebiete zu Umwelt-Schutz-Recht .. .. .. .. .... .. . .. .. . .. . . . . .. . .. .. . . .. . .. .. .. .. .. .. . . . .. .. . . . 129 a) Wasserrecht .. .... .. .. .. .. .. .. .. . .. .. ... ... . . ... .. ... .. ... .. .. .. .. .. .. . . .. . . ... . 129 b) Atomrecht ............................................................. .... ..... 130 c) Pflanzenschutzrecht .......................................................... 133 2. Umfassend-systematischer statt sektoraler Umweltschutz .................... 135 3. Vorsorgend-gestaltender statt reagierend-konservierender Umweltschutz .. 136 Zweiter Teil

Lenkung der öffentlichen Meinung durch die Bundesregienmg

139

A. Lenkungsanspruch: Bewußtseinsveränderung als Ziel der Regierungspolitik ........... I. Regierungsamtliche Äußerungen .. . .. .. . . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ß. Sonstige Einschätzungen von Politikern und Beamten .. ..................... ..... ...

139 139 141

B. Lenkungswirklichkeit Das Umweltthema in der öffentlichen Meinung .................. I. Das Umweltthema in der Belletristik .................................................... 1. Rezeption Carsons in Deutschland ................................................ 2. Schwabs "Tanz mit dem Teufel", FrühwerkeRobert Jungks ................ ß. Impulswirkung des administrativ geprägten Leitbcgriffs "Umweltschutz" ............... ........ ....................... .. ....................... ... ... m. Das Umweltthema in den Massenmedien und seine Wahrnehmung durch die Bevölkerung .. ...... .. .. ..... ...... .... .. .... ...... ... .............. .... .. ....... 1. Einflußnahme der Regierung auf die Presse .... ... ..................... .. ...... 2. Präsenz des Umweltthemas in den Massenmedien ............................. 3. Die Wahrnehmung des Themas durch die Bevölkerung .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 4. Vom Expertenwissen zum Gegenstand der öffentlichen Meinung .... ...... IV. Exkurs: Entwicklung von Umweltrechtund Umweltforschung .......... .. .. .... .. 1. Umweltschutz in der juristischen Fachliteratur ...... . .. . .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. 2. Steuerungswirkung der Forschungsförderung: Quantitativer und qualitativer Umschwung in der Umweltforschung .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .... . V. Gezielte administrative Lenkung von Verbänden ........................... .......... 1. Die Arbeitsgemeinschaft für Umweltfragen e.V. ........................ .. .. .. 2. Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. ...................

143 143 143 145 147 151 151 153 157 158 160 160 163 166 166 168

14

Inhaltsverzeichnis a)

Die "Geburtshilfe"-These- der BBU als staatlich gegründeter und anfangs finanzierter Umweltverband? ....... ..... . ... Personell-ideelle Unterstützung ...... ... ......................... .. ........

169

c)

d)

Staatsfinanzierung und Abhängigkeit ............................. ........ aa) Finanzielle "Geburtshilfe • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . bb) Laufende Unterstützung ............ ... .. ................. ............ Langjährige personelle Kontakte BMI I BBU ................. ... .......

170 170 173 174

e)

Angestrebte Zielparallelität zwischen BMI und BBU

als dessen "Kampfverband" in der Frühzeit der Umweltpolitik? . . . . Der BBU und der "Zauberlehrling-Effekt" .................... .... ...... Die Deutsche Umwelt-Aktion e.V. ......... .. ... ... ..................... .... ... .. t)

3.

168

b)

C. Zwischenergebnis der Teile 1 und 2

............................ ........................ .. .... .. .

175 178 179 180

DrinerTeil

Staatliche Umweltaußdlnmg als Unterfall der Umweltinformation heute

183

A. "Umweltbewußtsein" als Ziel der Umweltinformation -Ambivalenz eines Leitbcgriffs .. . ............ ... ........... ... .. ..................... .. .. .. .... . 183 I.

ß.

Fehlen einer allgemeingültigen Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . Der Begriff "Umweltbewußtsein" in der Rechtssprache .................... . .. ......

183 185

m.

Differenzierendes Verständnis des Begriffs "Umweltbewußtsein" .................

187

8. Typologie staatlicher Umweltinformation ............. .... ............................ ...... ...

188

Vermittlung von Umweltwissen .... .. ...... ...... .. .. .. ... ..................... .... . .....

188

Individuell: Umweltberatung ................. ... ... . ........................ . ......

188

2. Pauschal: Umweltberichterstattung . . . . . . . .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . ... . Umweltaufklärung . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . .. . . . ... . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . .

190 194

Umweltpädagogik ... ... .................. ...... ..... ...................... . ... .... ...

195

Umwelterziehung ...................... . .. ....... ................. ....... ... .. Umweltbildung ... .... ................. . .. ..... ............................. ...

195 199

Umweltbezogene Öffentlichkeitsarbeit . .. . . . . . . .. . . . .. . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Selbstdarstellerische Öffentlichkeitsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . b) Edukatorische Öffentlichkeitsarbeit . .. ... ... .. ................ . ... .. .. .... aa) Vermittlung von Einsichten, Verhaltensabsichten

202 202 203

und Werthaltungen ........... ..... ..... ..................... .. .. .. ....

204

Sonderfall: Produktinformation ... .... .................. ..... .. .....

206

I.

1.

ß.

1.

a) b) 2.

bb)

Inhaltsverzeichnis

15

Vierter Teil

Die Eiltdeckung des staatBeben IDformadonsbaadelas

209

A. Die inszenierte Information - vom aufgeklärten zum Aufldänmgsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

209

B. Formen und Gefahren staatlichen Informationshandeins

214

C. Geistige Einflußnahme als staatliche Machtausübung: Autoritäre Züge des Aufldirungsstaates ......... .... .... .... ... ... .... .. ...... ....... . .. ... ....

219

D. Verfassungspolitische Aspekte moderner Informationstätigkeit des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. "Public relations" vor Sachinformation . . . . . . . .. . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . .. . .. .. . II. Extensive Öffentlichkeitsarbeit und "kommunikative Kompetenz" . . . . . . . ......... .. . . . . . . . . . . . .. ... . . . . ... . . . .. . . . . . . . . . . . . . .. ...... .. . .. . ... ......

227

Aufldänmgskampagnen als Ausdruck eines schwachen "starken Staates" - der Kreislauf von Erwartungsweckung und -enttäuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

230

m.

222 222

Fünfter Teil

Der demokratische Gnmdsatz der freien und offenen Meinuap- und Willensbüdung vom Volk zu den Staatsorganen

236

A. Die Grundlegung des Prinzips im ersten Parteienfinanzierungsurteil (1966)

236

B. "Staatsfreiheit" der öffentlichen Meinungsbildung in der sonstigen Rechtsprechung des BVerfG .... .... ............. ... ... ................... ......... .. .

240

I.

II.

m. IV.

Der freie Prozeß der öffentlichen Meinungsbildung . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 Die "Staatsfreiheit" der Massenmedien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..... ..... .. . ... .. . . . 242 1. Das Gebot der "Staatsfreiheit" des Rundfunks . . . . . .. ............. . ..... .. . . . . . . 242 2. "Staatsfreiheit" der Presse .. ... ........ ... ..... .... ... ... ......... ........ ... ....... 245 Das Gebot der "Staatsfreiheit" der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . ... .. ... . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . 246 Bestätigung und Akzentuierung des Staatsfreiheitsprinzips und des "demokratischen Grundsatzes" im sechsten Parteienfinanzierungsurteil (1992) .. 248

C. Die Behandlung der Staatsfreiheitsdoktrin und des "demokratischen Grundsatzes" im Schrifttum ... ...... ... ................... ...... .. .. ........ I. Die Anerkennung der Rechtsprechung durch die herrschende Meinung . ... .. ... II.

251 251

Kritik durch die Gegner des Dualismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253

D. Kritik der Kritik am Gebot staatsfreier öffentlicher Meinungsbildung ........... ... ... ... I. Widersprüche und Dualismus-Fixierung .. . . ... . . . . . . . . . . . . .. ....... .... .. . . . .. . . . . . . .. . II. Die Entwicklung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, dem Grundansatz des BVerfG ........ ... ... .... .. ... ................... .. ... ... ......... .

255 255 259

16

Inhaltsverzeichnis 1.

Der klassische Dualismus als Trennung von Staat und Gesellschaft

260

2.

Sozialdemolaatische Rechtspolitik als Impuls zur Staatsfreiheits-Rechtsprechung des BVerfG .. ... ...................... ... .... ...

261

3.

Voraussetzung der Unterscheidung durch das Grundgesetz und andere Rechtsnormen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Moderates Konzept des heutigen Staatsrechts: Unterscheidung und Wechselwirkung . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . .. . .. . . .. .. . .. .

4.

a) b) c) d) e) ID.

Wechselwirkung von Staats- und Volkswillensbildung .... ... ......... Organisatorisch-funktionale Unterscheidung ................. . .......... Freiheitssichernde Funktion der Unterscheidung . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . Staat als Entscheidungseinheit der Gesellschaft I "Gewaltenteilung" zwischen Staat und Gesellschaft ,··.... ...... ......... Trennungsüberwindung durch sog. "Demolaatisierung"? .... ... .....

Verschwimmen der Unterscheidbarkeit von Staat und Gesellschaft im "Umweltstaat" ... .. . ....... .... .. .... .. .. ..... "Verstaatlichung der Gesellschaft" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . "Vergesellschaftung des Staates • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erosion der Unterscheidbarkeit durch lnformalisierung ........... ... .. .... ..

267 270 270 273 274 277 278

Exkurs: 1.

2. 3.

281 281 285 288

Sechster Teil

Staatliches Einwirken auf die öffentliche Meinungsbildung durch Öffentlichkeitsarbeit im Spiegel von Recbtspreclnmg und Literatur A. Rechtsprechung . . .................. ... .... ... ......... .. ... .. . . . . .. . .. . ..... ...... .. . . . . . ... . . . . . . . . . I. BVerfGE 20, 56 .. .......... ........ ................... ... ... ...................... ...... . ... ll. Die Urteile des VG Bremen vom 10.2.1978 und des VG Berlin vom 3.6.1993 ..... ......... ... ................. ................... ...

m. IV.

291 291 291 293

Die "Müllspartips"-Urteile des VerfGH NW ...... ............................ ......... 294 Das "Hessen ist sonnenaktiv"-Urteil des HessStGH ... ..................... .... ... ... 297

B. Die Kontroverse in der Literatur .... ................................... .......................... I. Restriktiv-differenzierende Auffassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ll. Der extensive Ansatz, insbesondere Schürmanns . .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . .. m. Kritik des extensiven Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

298 298 302 305

Inhaltsverzeichnis

17

Siebter Teil

Das Gebot der WiUensbildUDg von UDten nach oben als selbständiger demokratischer Grundsatz neben dem StaatsfreiheitspriDZip

311

A. Die Bedeutung einer freien öffentlichen Meinungsbildung ... ...................... ......... I. Begriff der "öffentlichen Meinung" ..................... ... ....................... . ...... II. Funktionen der öffentlichen Meinung in der repräsentativen Demokratie .... .... 1. Willensbildungs- und Kontrollfunktion ................................. .. ... ..... 2. Quasi-plebiszitäres Element ... ................ .... ...................... ... ... ... .. 3. Korrektiv der Staatswillensbildung ........................................... .....

311 311 314 314 315 319

B. Der Grundsatz der Willensbildung von unten nach oben .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . .. . .. . I. Besinnung auf die demokratische Dimension des Grundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. "Oben" und "unten" als tatsächliche Gegebenheit jedes Gemeinwesens

323 323 325

m.

Verfassungsrechtliche Positivierungen der - Demokratie von unten nach oben .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . .

C. Vier-Säulen-Modell der Willensbildung von unten nach oben I. Der Einzelne und seine Meinungsäußerung: Lebendige Demokratie als "Bürgerdemokratie" ............... .. ..... ...................... ......... II. Bürgerinitiativen, Vereine, Verbände, Koalitionen- Artikulation

m.

IV.

326 329 330

gruppenspezifischer oder lokaler Emotionen und Interessen .............. .......... 1. Kein Willensbildungsmonopol der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bürgerinitiativen als neue Dimension der Bürgerdemokratie . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vereine, Verbände und Koalitionen als institutionalisierte Interessenwahrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reform der politischen Parteien: Rückführung in die Gesellschaft und Demokratisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfassungsrechtliche Rolle der politischen Parteien ..... ... ..... ... . .... ..... 2. Quasi-Verstaatlichung der Parteien in der Verfassungswirklichkeit ..... ... 3. Ansätze zur Bürgerdemokratie im sechsten Parteienfinanzierungsurteil ... 4. Ausweg: Von den Bürgern her gedachte Parteien .................... ... .. .. ..

336 336 339

Medien und veröffentlichte Meinung ................. ........................... ... .....

353

342 344 344 346 348 351

D. Exkurs: Plebiszitäre Elemente? .. ..... . ...................... ... ... .. ..... ... ..................... 354 I. Beschränkung der Untersuchung auf das geltende Repräsentativsystem und die öffentliche Meinung als "quasi-plebiszitäres Element" ........ ...... ... .... 354 II. Öffentliche Meinung als Korrektiv des Staates - Repräsentativsystem als Korrektiv radikaler gesellschaftlicher Strömungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355

2 Vierhaus

18

Inhaltsverzeichnis Achter Teil

Meinungs- und Gruppenbildungsfreiheit als Willensbildung von unten naeh oben A. Informations- und Meinungsfreiheit als Ausprägung des Prinzips der Willensbildung von unten nach oben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bedeutung der Kommunikationsfreiheiten allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Informationsfreiheit als Verbot von Informationslenkung? ............... ....... .... 1. Problemstellung ..... ... ......... ...... ........ . ..... . .. ....... ............ . ........... 2. Gleichrangige Bedeutung der demokratiestaatlichen Komponente der Informationsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . a) Subjektive und objektive Komponente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Frage nach dem Rang des demokratie-konstitutiven Elements der Kommunikationsfreiheiten

3.

4.

5.

Verbot staatlicher Meinungslenkung als Teil der Informationsauswahlfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Informationsauswahlfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Subjektiv-teleologische Auslegung .. .. .......................... .. .... .... c) Grammatische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . d) Objektiv-teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . .. . . . . . . . e) Zwischenergebnis .... ................ ... ............ ................ ... .... .. Meinungslenkung durch staatliche Umweltautldärung als inszenierte Information? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Quantitative Lenkungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . .. . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Lenkungsanfälligkeit durch informationsflutbedingte Notwendigkeit der Informationsselektion . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Lenkungsmechanismen ........... ... ... .................. . ...... .... . cc) Erhöhter Wirkungsgrad staatlich-autorisierter Information? . . . b) Qualitative Lenkungswirkung ........ ...... ........... ... .......... ..... .. c) Fehlende Lenkungsanfälligkeit des sog. "mündigen Bürgers"? Annex: Sog. "Kontaktpflege" als staatliche Einwirkung auf Rundfunk und Presse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

359

359 359 361 361 362 362 363 368 368 369 371 371 373 374 374 374 376 378 379 380 384

B. Das Prinzip staatsfreier sozialer Gruppenbildung als verbandliehe Komponente des "demokratischen Grundsatzes" (Art. 9 I i.V.m. Art. 20 I GG) . ............ ... .... .... 386 I. Beispiele der lnstrumentalisierung von Verbänden durch die Regierung .... ..... 386 1. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 2 . Umweltbereich .... ...... ........ ... ... ... .. ... .. .... ... ......... ... ......... .... ... ... 388 II. Staatliche Gründung privater Verbände als Manipulation der öffentlichen Meinungsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Demokratische Komponente der Verbandsautonomie ................ ...... ... 2. "Geburtshilfe" und das Prinzip freier sozialer Gruppenbildung .. .. .. .......

391 391 392

Inhaltsverzeichnis

19

m.

Staatsfinanzierung als Instrument (finanz-) politischer Fremdbestimmung von Verbänden ....................... ... ... ... ..................... .... ... ... 1. Finanzielle Aspekte der Verbandssubventionierung in der Literatur und in der Rechtsprechung des BVerfG . .. ............. ... ... 2. "Einschaltung Privater" durch "finale Förderung" in der neueren verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Umgehung rechtlicher Bindungen als Zweck verdeckter Propaganda und die Lenkungsspirale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . 4. Lenkungsverbot als Verbot der Verbandssubventionierung ......... ... ... .. . a) Das Lenkungsverbot des Urteils zum Sammlungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . b) Vereinigungsfreiheit als Freiheit zu autonomer Sicherung der Existenzgrundlage des Vereins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die jüngere Rechtsprechung des BVerwG zum Sammlungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die verfassungsrechtliche Bedeutung des Spendenaufkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Das Verbot fmanzpolitischer Fremdbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Das Verbot parteinütziger Vorfeldfinanzierung ..... ... . .... .... c) Lenkungswirkung der Verbandssubventionierung in der Verfassungswirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Grundsätzliche Gleichbehandlung von Verbänden und Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Staatsfreiheit der Verbände und Modifikationen .... ... ..... ... ... .. .... Zwischenergebnis zu TeilS ............... ......................... .... ... ......................... .... .

396 396 398 400 402 402 404 404 405 405 406 407 411 412 416

Neunter Teil Edukatoriscbe Öffentlichkeitsarbeit A. Geeignetheit edukatorischer Öffentlichkeitsarbeit als Instrument der Verbaltenssteuerung? .................... .... .. ... .......... ............ .. .. ... .. I. Gesamtgesellschaftliche Funktionsanalyse von Öffentlichkeitsarbeit . . . . . . . . . . . . . . ß. Individualistische Funktionsanalyse von Umweltaufldärung: Zwischen Bewußtseins- und Verhaltenssteuerung ..... ........ .. ................... ... 1. Frage nach dem Erfolg von Öffentlichkeitsarbeit und Notwendigkeit einer differenzierten Sicht des Umweltschutzes .......... ... 2. Diskrepanz von Umwelt-Bewußtsein und umweltgerechtem Verbalten .... 3. Dezision als Zwischenglied ................. ... ... ... ................. ... ... ... .... 4. Wirkungsunsicherheit von Information zur Verhaltenssteuerung ..... ... ... B. Einstellungsbezogene Öffentlichkeitsarbeit . .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Änderung der inneren Einstellung als Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ß. Erwachsenenerziehung als Verfassungsproblem ... ..... ............. ... ..... ...... ...

418

418 418 421 421 423 424 425 428 428 428

20

Inhaltsverzeichnis

m.

IV.

Sonstige Fallgruppen staatlicher "Erziehung" erwachsener Bürger im Recht 1. Fallgruppen nicht-obligatorischer Einwirkung .............................. ... . a) Werbeverbote und Produkthinweispflichten in Bezug auf das Rauchen .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. b) Bewußtseinsbeeinflussung durch Erlaß von Strafrecht (Generalprävention) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . 2. Fallgruppen obligatorischer Einwirkung .. .. .. .. .... ............................ . a) Spezialpräventive Beeinflussung durch (Erwachsenen-) Strafvollzug und "Krise des Resozialierungsgedankens" ........ .. .... b) Erziehung Heranwachsender durch Maßnahmen nach JGG .......... c) Pflichtberatung abtreibungswilliger Frauen .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. d) Zwangsteilnahme am sog. Staatsbürgerlichen Unterricht im Wehr- oder Zivildienst .................................................. e) Verkehrsunterricht als zwangsweise Erwachsenenerziehung Schlußfolgerungen: Besonderer Legitimationsbedarf für staatliche Erziehung Erwachsener als gemeinsames Kriterium ...................

C. Öffentlichkeitsarbeit, die auf das ethische Moment abzielt I. Moralisierende Aspekte des Umweltschutzes - Dogma, Ideologie, Religion .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . D. Moralisierende Gehalte staatlicher Umweltaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . m. Verbot ethisch-weltanschaulicher Öffentlichkeitsarbeit durch das verfassungsrechtliche Neutralitätsprinzip .... .. .......... .. ...... .. ........

430 430 430 432 434 434 437 438 441 443 447 454 454 460 464

Zehnter Teil

Selbstdarstellerische Öffentlichkeitsarbeit, insbesondere im Parteienstaat

474

A. Bisherige Lösungskonzepte ........................................................................ 474 I. Die Rechtsprechung des BVerfG zur Abgrenzung von der Wahlwerbung ....... 474 D. Minderheitsvoten .. .. .. . . .. .. .. .. .... .. .. .. .. .. .. . . . . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. . 478 B. Völliges Verbot selbstdarstellerischer Öffentlichkeitsarbeit von Regierungen im Parteienstaat .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. I. Perpetuierung vorgegebener Benachteiligungen der Opposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . n. Selbstdarstellerische Öffentlichkeitsarbeit als langfristige Sympathiewerbung in einem permanenten Wahlkampf .............................. m. Fehlender Informationswert von "Primitivreklame" .................................. IV. Bevorzugung werbewirksamer Themen .......................................... .... ... C. Konkrete Erscheinungsformen unzulässiger Eigenwerbung .......................... ...... . I. Abdruck von Lichtbildern der Regierungsmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Reklamehafte Aufmachung in Layout und Inhalt .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . 1. Verbot optischer Angleichung an die kommerzielle Werbung ...............

482 483 484 489 491 494 494 495 495

21

Inhaltsverzeichnis

m.

2.

Verbot von Arbeits-, Leistungs- und Erfolgsbilanzen ............... ..........

497

Verbot des Einsatzes regierungsbezogener Privilegien zu Parteizwecken ... .. ...

499

Elfter Teil

Publizität und Konsens jenseits staatlicher Öffentlichkeitsarbeit

501

A. Das Publizitätsargument .......... ..... ...................... . .................................... .

502

I.

Generelle Schwäche des Publizitätsarguments .. . .. . .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..

502

n.

Informations- und transparenzgewährende Instrumente im bisherigen Umweltrecht . . . . .. . .. .. .. .. . .. . . . . . . .. . . . . . . . . . .. .. .. .. .. .. . . .. .. .. .. . .. . . ..

m. IV.

507

1.

Informationszugangsrechte .. . .. .. . .. .. . .. .. . .. .. . .. .. . .. . . . .. .. .. .. .. . . . . . . . .. . .. ..

507

2.

Berichtspflichten .. .. .. .. . . . .. .. .. .. .. . . .. .. .. .. . . .. .. . .. .. .. .. .. . . . . . .. .. . .. .. . . .. .. ..

508

3.

Transparenz durch Öffentlichkeitsbeteiligung ........................... .. .. .. .

510

Umweltbezogene Informationszugangsrechte im Verfassungsrecht

510

EG-Informationsrichtlinie und Leerlaufen des Publizitätsarguments für die umweltbezogene Öffentlichkeitsarbeit ..... ... ... ....... ... .. . . .. ...... ....... .. 511

V.

Demokratischer Vorrang der Aktenöffentlichkeit vor staatlicher Öffentlichkeitsarbeit .. .. . .. .. .. . .. .. .. .. . .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. . .. .. .. .. .

B. Das Grundkonsensargument ..... .... ........................ .... .. .. .................... .. .... ...

I. ll.

Die Bedeutung des Begriffs "Grundkonsens"

m.

5 13 515

..... ..... .. .. ..... :........ .. .. ..........

515

Umweltschutz und Grundkonsens .. ....... ...... ......... .. ... . ...... ....... ........ .....

517

Andere Institutionen mit Grundkonsensfunktion .. .. .. . .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .

520

Zwölfter Teil

Exkurs: Die RoDe der Ministerialbürokratie

523

A. Traditionelle Stärke der Verwaltung im deutschen Verfassungssystem

523

B. Ministerialbürokratie unter dem Grundgesetz .. . .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .

527

Dreizehnter Teil

Lösungskonzept

533

A. Individuelle Umweltberatung vor pauschaler Öffentlichkeitsarbeit

535

B. Umweltinformation in privater Trägerschaft vor behördlichem Handeln ........ .. . .. ....

538

Das Subsidiaritätsprinzip als Ausprägung des demokratischen Grundsatzes . . . . .

538

Subsidiarität und Demokratie .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..

538

I.

l. 2. 3.

Subsidiarität und Umweltschutz .. ........ .... .. .. .. ...... .... .... .... .. . .. .. .... ..

541

Subsidiarität und Meinungsbildung ..... ........ ..... .... ....... .. .......... ..... .

543

22

Inhaltsverzeichnis II.

m.

Differenzierung nach Arten der Umweltinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Vennittlung von Umweltwissen ................................................... a) Individuell: Umweltberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Pauschal: Umweltberichterstattung .............................. .... ...... 2. Umweltaufklärung ............................................................ .... ... a) Umweltpädagogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. .. .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Umwelterziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Umweltbildung ...... ....................................... .... ....... b) Herstellung von Publizität .................................................. Pflicht zur Kooperation mit privaten Trägem? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

546 546 546 547 548 548 548 549 551 553

ZusammenfassuDg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563

Blldanbang . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

623

Abkürzungsverzeichnis A.A. Abb. ABlEG ACDP AE

a. F. ähnl. allg. AGU ANL Anm. AöR APuZ Art. Aufl. ausdr.

BAH

BayLWF BB BBU Bd. BOI bearb. Beschl. BFANL BLAK/FUR BMELF BMFf BMGes

BMI

BMU BMWi BPA BR BReg BT BUND bzgl.

Anderer Ansicht Abbildung Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Archiv fiir Christlich-Demokratische Politik (Sankt Augustin) Alternativ-Entwurf alter Fassung ähnlich allgemein Arbeitsgemeinschaft fiir Umweltfragen e. V. Bayerische Akademie fiir Naturschutz und Landschaftspflege Anmerlrung Archiv des öffentlichen Rechts Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament Artikel Auflage ausdrücklich Biologische Anstalt Helgoland Bayerische Landesanstalt fiir Wasserforschung Betriebsberater Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e. V.

Band

Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. bearbeitet Beschluß Bundesforschungsanstalt fiir Naturschutz und Landschaftsökologie Bund-Länder-Arbeitskreis "Fachübergreifendes Umweltrecht" Bundesminister(ium) fiir Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Bundesminister(ium) fiir Forschung und Technologie Bundesminister(ium) fiir Gesundheit Bundesminister(ium) des Innem Bundesminister(ium) fiir Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Bundesminister(ium) fiir Wirtschaft Presse- und Informationsamt der Bundesregierung Bundesrat Bundesregierung Bundestag Bund fiir Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. bezüglich

24

Abkürzungsverzeichnis

CNN CDU

Cable News Network Christlich-Demokratische Union Christlich-Soziale Union

DAR dass. DDR dems. dens. ders. DFG DGB dies.

Deutsches Autorecht dasselbe Deutsche Demokratische Republik demselben denselben derselbe Deutsche Forschungsgemeinschaft e. V. Deutscher Gewerkschaftsbund dieselbe Deutscher Industrie- und Handelstag Deutsches Institut für Normung e. V. Dissertation Deutscher Juristentag Deutsche Mark Die Öffentliche Verwaltung Drucksache Deutsche Umwelt-Aktion e. V. Deutsches Verwaltungsblatt

csu

DlliT

DIN Diss.

DJT

DM DÖV Drucks. DUA DVBI.

EnEG Er!. EuGRZ e. V. EvKomm EvStL

Entscheidung Europa-Archiv Editor/s Evangelische Kirche in Deutschland Gesetz zur Einsparung von Energie in Gebäuden Erläuterung Europäische Grundrechtezeitschrift eingetragener Verein Evangelische Kommentare Evangelisches Staatslexikon

FAZ Fasz. ff. FG Fn. FR FDP FS

Frankfurter Allgemeine Zeitung Faszikel folgende Festgabe Fußnote Frankfurter Rundschau Freie Demokratische Partei Festschrift

GAZ gem. GFKF GLU GSF

Grüne Aktion Zukunft gemäß Gesellschaft zur Förderung der Kernphysikalischen Forschung e. V. Grüne Liste Umweltschutz Gesellschaft für Strahlenforschung mbH

E EA Ed./Eds.

EKD

Abkürzungsverzeichnis GVbO

Gesetz betreffend die Verbandsordnung fiir den Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk

Habil.schr. Halbb(l. HdBStR HdUR Hervorhebg. Hg. h.M. hrsg. HS

Habilitationschrift Halbband Handbuch des Staatsrechts Handwörterbuch des Umweltrechts Hervorhebung Herausgeber herrschende Meinung herausgegeben Halbsatz

i.A. IG incl. InfaS insbes. IPA

im Auftrag

25

IUUG

Industriegewerkschaft inclusive Institut fiir angewandte Sozialwissenschaft insbesondere Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft (fiir naturgemäße Wirtschaft) im Ergebnis im Sinne von International Union for Conservation of Nature and Natural Resources (dt.: Internationale Union fiir die Erhaltung der Natur und der natürlichen Hilfsquellen) Institut fiir Umwelt und Gesellschaft

JA JR Jura JuS JZ

Juristische Arbeitsblätter Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung

Kap.

Kapitel Kernforschungsanlage Jülich Kernforschungszentrum Karlsruhe Kraftfahrzeug Kultusministerkonferenz

i. Erg.

i. S.

V.

IUCN

KFA KFK Kfz

KMK

Lit. Ls. lt. LZU

Landesanstalt fiir Immissions- und Bodenschutz des Landes Nordrhein-Westfalen Getzt: Landesanstalt fiir Immissionsschutz) Literatur Leitsatz laut Landeszentrale fiir Umweltaufklärung- Um(welt)denken (Rh.- Pf.)

m. ab!. MDR

mit ablehnender/m Monatsschrift fiir Deutsches Recht

LIS

26

Abkürzungsverzeichnis

MDHS Mio MPG MS MSchrKrim m.w.N.

Maunz/Dürig/Herzog/Scholz (Grundgesetz-Kommentar) Million(en) Max-Pianck-Gesellschaft e. V. Manuskript Monatsschrift fiir Kriminologie und Strafrechtsreform mit weiteren Nachweisen

ND NG/FH NNA NJW Nr. NuR NVwZ

Nachdruck Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Norddeutsche Naturschutzakademie (Niedersachsen) Neue Juristische Wochenschrift Nummer Natur und Recht Neue Zeitschrift fiir Verwaltungsrecht Nordmein-westfälische Verwaltungsblätter

OBB OECD

ÖDP ÖPNV

Oberbayern Organization for Economic Cooperation and Development (dt.: Organisation fiir wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) Ökologisch-Demokratische Partei Öffentlicher Personen-Nahverkehr

PKW pr prGS prWG PR

Personenkraftwagen preußisch preußische Gesetzsammlung preußisches Wassergesetz Public Relations

RAL Rnr/n. Rspr.

Reichsausschuß fiir Lieferbedingungen und Gütesicherung e. V . Randnummer/n Rechtsprechung

S. Sitzg.

Seite Sitzung siehe oben sogenannte/nlr/s Spalte Sozialdemokratische Partei Deutschlands Süddeutsche Zeitung Sachverständigenrat fiir Umweltfragen ständige Staatsrecht Ständiger Abteilungsleiterausschuß Staatsgerichtshof Stenographisches Protokoll Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk

NWVBI.

s.

0.

sog. Sp. SPD

sz

SRU ständ. StaatsR STALA StGH Stenogr. Prot. SVR

Abkürzungsverzeichnis TA teilw. Tz.

Technische Anleittmg teilweise Teilziffer

UBA

Umweltbundesamt Umweltforschungsplan Umweltinformations- und -dokumentationssystem des Umweltbundesamtes Umweltgesetzbuch (Entwurf) Umweltinformationsgesetz des Bundes (Entwurf) Vereinte Nationen Urteil Schriftenreihe des Instituts für Umwelt- und Technikrecht unter Umständen

UFOPLAN UMPLIS UGB

UIG

UN Urt. UTR u. U. V.

VA VDI Verf VerfGH Verf. VerwArch Vgl./vgl. VR VVDStRL WP WRV WUR

wvvo WWF

zahlr.

ZfP zit. ZRP Zs. ZStW z. T. ZUE zugl.

27

von Verwaltungsakt Verein Deutscher Ingenieure e. V. Verfassung Verfassungsgerichtshof Verfasser Verwaltungsarchiv vergleiche Völkerrecht Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Wahlperiode Weimarer Reichsverfassung Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht Wasserverbandsverordnung World Wildlife Fund (heute: World Wide Fund for Nature) zahlreich Zeitschrift für Politik zitiert Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft zum Teil Zentralstelle für Umwelterziehung zugleich

Im übrigen wird verwiesen auf:

H. Kirchner I F. Kastner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 4. Auf!. , Berlin- New York 1992.

Einleitung Daß der Staat Umweltpolitik betreibt, erscheint heute als ebenso selbstverständlich wie das Vorhandensein gesellschaftlichen Umweltbewußtseins.1 Eine weit überwiegende Mehrheit der Bürger der Bundesrepublik sieht im Umweltschutz das vorrangige politische Ziel;2 der Befund einer in Umweltfragen "hochinformierten Öffentlichkeit"3 dürfte gerade für die Deutschen kennzeichnend sein. Ist der Umweltschutz für manche auf dem Wege, "zum Schlüsselthema dieses Jahrhunderts gekürt zu werden" ,4 so bemerken kritische Stimmen mittlerweile, es gebe heute "nichts Modischeres, als Öko-Bewußtsein zur Schau zu tragen". 5 Der hohe Stellenwert, den die öffentliche Meinung dem Umweltschutz einräumt, 6 wird inzwischen selbst von der Justiz als Faktum vorausgesetzt. Für das OLG Stuttgart "ist die Erhaltung, Schonung oder Wiederherstellung einer intakten Umwelt im Bewußtsein eines maßgeblichen Teils der Bevölkerung zum wichtigen, vorrangig schützenswerten Gut geworden. "7 Der Hessische Staatsgerichtshof mißt in seiner Entscheidung zur unzulässigen Wahlwerbung einer Landesregierung dem "positiv besetzten" Politikfeld des Umweltschutzes die Qualität "eines wichtigen, von Regierungs- und Oppositionsparteien besetzten Wahlkampfthemas" bei, "für das in der Öffentlichkeit ein hohes Maß an Interesse besteht. "8 Auch die Justiz selbst gibt sich umweltbewußt: So stellt der BGH fest, daß "wegen der hohen Bedeutung des Zum heutigen hohen Stand des Umweltbewußtseins der Bevölkerung Statistisches Bundesamt (Hg.), Datenreport 1989, S. 504. 2 Nach Meinungsumfragen 70 % (vgl. SiefTII)ns, FAZ Nr. 101 v. 30.4.1992, S. 33); eine

deutliche Bevölkerungsmehrheit hält den Umweltschutz neben der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit fiir "die wichtigste öffentliche Aufgabe" (Hucke, 1990, S. 392). 3 So der Präsident des Club of Rome Dlez-Hochleitner, zit. nach Kostede, Die Zeit Nr. 32 V. 31.7.1992, S. 2. 4 H. Timm, Umweltgläubig, FAZ Nr. 90 v. 15.4.1992, S. N 5.

5

Mönninger, FAZ Nr. 69 v. 21.3.1992, Beilage "Bilder und Zeiten".

6 1m April 1987 sahen 71 % der Bundesbürger die wichtigsten politischen Probleme im Bereich des Umweltschutzes (Margeckmt, APuZ B 29/1987, 15 (28) unter Hinweis auf Emnid). 7 OLG Stuttgart, Beschluß v. 7.10.1988, NJW-RR 1989, 556. 8 HessStGH, Urt. v. 11.1.1991, HessStAnz 1991, 447 (451) = ESVGH auf das Thema "Solarenergie".

41, 1 (... )in Bezug

30

Einleitung

Umweltschutzes gerade bei Vergehen gegen die Umwelt" der - strafschärfende- "Gedanke der Verteidigung der Rechtsordnung besondere Bedeutung gewinnen kann. •9 In der öffentlichen Meinung herrscht seit geraumer Zeit die Ansicht vor, seitens der Bundesregierung würde zu wenig für den Umweltschutz getan; 10 die Statistiken weisen spätestens seit 1978 eine extrem hohe Unzufriedenheit der Bundesbürger mit dem staatlichen Umweltschutz aus. 11 Die Regierung sieht sich daher inzwischen allenthalben in umweltpolitischem Zugzwang, und die Verschärfung oder Neuschaffung von Umweltschutzgesetzen stellt sich zuweilen primär als Reaktion des Gesetzgebers auf den Druck der öffentlichen Meinung dar; das gestiegene Umweltbewußtsein der Gesellschaft zielt heute verstärkt darauf ab, staatliches Handeln auf dem Gebiet des Umweltschutzes zu erzwingen oder zu beschleunigen.12 So findet sich etwa in der amtlichen Begründung zum 2. UKG13 in Bezug auf die Schaffung eines Gefahrguttransport-Tatbestandes als potentielles Gefahrdungsdelikt die Aussage, daß im Zusammenhang mit spektakulären Unfcillen "in der Öffentlichkeit ( ... ) nachdrücklich die Forderung erhoben" worden sei, "Verstöße in diesem Bereich auch mit den Mitteln des Strafrechts wirksamer zu bekämpfen." 14 Die staatliche Umweltpolitik in Deutschland wird heute durch ein - auch im internationalen Vergleich- hochentwickeltes Umweltbewußtsein angetrieben. 15 Aus heutiger Sicht mutet daher die These, erst auf staatliche Initiativen hin sei auch in der Bevölkerung das Umweltbewußtsein erwacht, 16 einigermaßen gewagt an. Denn, so nimmt Edda Müller wohl zu Recht an: "Für die öffentliche Meinung steht fest, daß nur der Druck der Basis - von Medien, 9 BGH, NJW 1990, 194 (195). 10 Vgl. etwa H. Stern, Baum oder Zahl, Die Zeit Nr. 26 v. 21.6.1991, S. 52; Vorholz, Opfer des blinden Fortschritts, Die Zeit Nr. 31 v. 26.7.1991, S. 58, sowie die Mehnahl der Leserbriefautoren, Die Zeit Nr. 29 v. 12.7.1991, S. 41. II Statistisches Bundesamt (Hg.), Datenreport 1989, S. 496; näher zum Ganzen SRU, Umweltgutachten 1978, Tz. 1426 ff. Die Gruppe der im Umweltschutz engagierten Bürger war bereits 1972 zu 95 % dieser Ansicht, vgl. lnfaS (Hg.), Beiträge zur Umweltgestaltung, Heft A 20, Übersicht 3, S. 16. 12 Kloepfer, Auf dem Weg zum Umweltstaat?, in: ders. (Hg.), Umweltstaat (1989), S. 39 (40). 13 Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität. 14 BR-Drucks. 126/90, S. 67. 15 M. Schmidl, Regieren in der Bundesrepublik Deutschland (1992), S. 169 m.w.N. 16 Edingshaus, Bild der Wissenschaft 4/1980, 100 (101).

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Bürgerinitiativen und Umweltschutzverbänden - den politisch-administrativen Apparat in Bewegung gebracht hat. "17 "Ökologisches Bewußtsein" - so behauptet Erhard Eppler - "wuchs nicht von oben nach unten, sondern von unten nach oben. "18 Auch in der Fachliteratur wird bisweilen die These vom Bewegungscharakter der frühen Umweltpolitik vertreten: So geht Sieferle davon aus, "die Thematisierung der Umwelt als politisches Problem" sei vor allem in der Bundesrepublik "zunächst von Seiten sozialer Bewegungen vorgenommen" worden, "bevor der Staat und die herkömmliche Politik darauf reagieren konnten"; Umweltschutz hätte in den siebziger Jahren "einen ausgesprochen avantgardistisch-'kritischen' Charakter" gehabt, ja sei gar "ein 'linkes' Thema" der "Protestbewegung der Jahre nach 1968" gewesen. 19 Wenn demgegenüber der seit Ende 1969 für den Umweltschutz zuständige Staatssekretär im Bundesinnen.ministerium20 Hartkopf die Weckung des gesellschaftlichen Umweltbewußtseins als Verdienst der Bundesregierung preist, 21 mag man dies noch damit abtun, daß es sich bei ihm um "einen der Architekten des Umweltprogramms der Bundesregierung"22 handelt; für ihn stellt sich "offizielle Politik" entweder als Reaktion auf Vorgänge in der Gesellschaft oder als Anstoß von Ideen in die Gesellschaft hinein dar. 23 Aber auch im umweltpolitischen und umweltrechtlichen Fachschrifttum ist überwiegend die der o.g. "naheliegenden Annahme, die Umweltpolitik habe vor allem legitimatorischen Charakter•24 gehabt, diametral entgegengesetzte 17 APuZ B 47-48 V. 17.11.1989, s. 3. 18 Demokratie und Ökologie, in: Münkler (Hg.), Ferseher • FS (1992), S. 92 (93). Allerdings bleibt unklar, auf welchen Zeitpunkt sich diese Aussage bezieht: Während Eppler zunächst vom Kontext der Jahre 1974/75 spricht, scheint er seine These später verallgemeinem zu wollen (vgl. S. 100: "bislang"); ähnl. Habermas, Faktizität und Geltung (1992), S. 460 f. 19 Sieferle, Umweltpolitik nach dem Ende der Geschichte, in: Hassenflug (Hg.), Industrialismus und Ökoromantik (1991), S. 273; teilw. ähnlichE. U. v. Weizsäcker, Erdpolitik, 2. Aufl. (1990), S. 22, der den Studentenaufruhr von 1968 als einen der Faktoren ansieht, die die Umweltpolitik in Deutschland ausgelöst hätten. 20 Der Umweltschutz ressortierte bis zur Bildung des Umweltministerium am 6.6.1986 (vgl. den Organisationserlaß des Bundes~lers v. 5.6.1986, BGBI. I S. 864) im Gesundheits-, Landwirtschafts-, sowie im Innenministerium (vgl. Abs. 2 des Organisationserlasses sowie Glagow I Murswieck, APuZ B 27 v. 3.7.1971, S. 3 (12), wobei das Innenministerium eindeutig dominierte (vgl. Müller, APuZ B 47-48 v. 17.11.1989, S. 3 (4 f)) . 21 Interview, Bild der Wissenschaft 1980, 114 f; in dieselbe Richtung Genscher, in: v. Lersner- FS (1990), S. 17-19. 22 Interview, Bild der Wissenschaft 1980, 114 (1. Frage). 23 Hartkopf, Umweltpolitik, in: HdUR II (1988), Sp. 663 (667). 24 Küppers I Lundgreen I Weingart, Umweltforschung - die gesteuerte Wissenschaft. Eine empirische Studie zum Verhältnis von Wissenschaftsentwicklung und Wissenschaftspolitik (1978), S. 125.

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Ansicht zu fmden: 25 Der neue Politikbereich "Umweltschutz" sei in einem weitgehend von externen Faktoren unbeeinflußten, autonomen politischadministrativen Prozeß entstanden, an dessen Anfang der Regierungswille gestanden habe.26 Die ersten Schritte in die Öffentlichkeit hätten die Umweltexperten Anfang der 70er Jahre ohne jeglichen Druck der öffentlichen Meinung unternommen, 27 weshalb von der "technokratischen Phase" der Umweltpolitik gesprochen wird. 28 Vor allem der Initiative der Exekutive "und nicht der Umweltschutzbewegung- (komme) mithin das Erstgeburtsrecht an der · Umweltpolitik zu. •29 Die beträchtliche Steigerung des Umweltbewußtseins der Bevölkerung beruhe auch auf staatlicher lnformationstätigkeit.30 Die frühe Umweltpolitik sei "'von oben', als Elitenpolitik, zunächst ohne Rückhalt beim Publikum" erfolgt. 31 Diese augenfällige Diskrepanz zwischen der - aus heutiger Perspektive prima facie plausiblen Sicht der öffentlichen Meinung einerseits und der in der Fachliteratur überwiegenden Auffassung andererseits, läßt die nähere zeitgeschichtlichempirische Untersuchung des tatsächlichen Verlaufes des Willeosbildungsprozesses in Sachen Umweltschutz in der Bundesrepublik als ebenso reizvolle wie notwendige Aufgabe erscheinen, die in einem ersten Schritt dieser Untersuchung zu leisten ist. Ziel ist dabei also nicht die lückenlose und detailgenaue Darstellung der Geschichte des Umweltschutzes und Umweltrechts in der Bundesrepublik, sondern vielmehr die Untersuchung des Aufkommens von "Umweltschutz" als Gegenstand der öffentlichen Meinung, d.h. der "Politisierung", 32 soziologisch gesprochen der Entstehung eines 25 Eine Ausnahme bildet insofern die These von H. - J. Luhmann (Öko-Jahrbuch 1992, S. 294), daß "die Politik via Öffentlichkeit des 'Waldsterbens' gewahr wurde", wobei das Waldsterben "als pars pro toto" (S. 293) gesehen wird. Widersprüchlich jedoch insoweit, als Luhmann selbst an anderer Stelle von dem "kleinen Kreis der Umweltschütter im Innenministerium spricht und hinzufiigt: "Weder Widerstand noch Unterstützung waren damals organisiert." (Das Parlament Nr. 40-41 v. 30.9./7.10.1988, S. 18 Sp. 6). 26 Müller, Innenwelt der Umweltpolitik. Sozial-liberale Umweltpolitik - (Ohn)macht durch Organisation? (1986), S. 95; ähnl. das Resümee bei Wey, Umweltpolitik in Deutschland. Kurze Geschichte des Umweltschutzes in Deutschland seit 1900 (1982), S. 232. 27 Kloepfer, Umweltrecht (1989), § 1 Rnr. 37; Voss, Die veröffentlichte Umweltpolitik: ein sozio-ökologisches Lehrstück (1990), S. 10; Müller, S. 95; dies., APuZ B 47-48 v. 17.11.1989, S. 3 (4); Küppers I Lundgreen I Weingart, S. 125. 28 Voss, S. 10. 29 Kloepfer, Umweltrecht, § 1 Rnr. 30 Kloepfer, Umweltstaat, S. 39. 31 M. Schmidt, S.

158.

37; ähnl.

§ 4 Rnr.

150.

32 Vgl. Küppers I Lundgreen I Weingart, S. 125 sowie Sieferle, Erleben wir eine Politisierung der Technik?, in: Iaufmann I Kistler (Hg.), Einstellungen rum technischen Fortschritt (1991),

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politischen "issue" 33 oder - kommunikationswissenschaftlich gewendet - des "agenda setting"34 in Bezug auf den Umweltschutz. Die verfassungspolitische Bedeutung der Frage nach der Thematisierung des Umweltschutzes zeigt sich etwa darin, daß in der Verfassungsdiskussion auf der Grundlage der Behauptung, daß ökologisches Bewußtsein von unten nach oben gewachsen sei und seine Defizite auch heute nicht im Volk, sondern im politischen Vollzug finde, für die Einführung plebiszitärer Elemente argumentiert wird. 35 Aber auch die Behauptung Bohnes, daß es sich bei dem Projekt "Umweltgesetzbuch" um den "seltenen Fall" handele, daß von der Politik der Anstoß zu einer gesellschaftlichen Grundsatzdiskussion ausgegangen sei, 36 fordert eine Überprüfung anband der Umweltpolitik insgesamt heraus.

Verfassungsrechtliche Brisanz erhält die These von der administrativen Thematisierung des Unweitschutzes im Falle ihrer Bestätigung zumal dann, wenn man sich vergegenwärtigt, daß jedenfalls die Absicht der Staatsorgane dahin ging, mit den ersten Umweltprogrammen lenkend auf den Meinungsund Willensbildungsprozeß in der Bevölkerung Einfluß zu nehmen: Die Bundesregierung sah "in der Förderung des Umweltbewußtseins einen wesentlichen Bestandteil ihrer Umweltpolitik". 37 "Das Umweltprogramm" hatte u. a. zum "Hauptziel, in allen Teilen der Bevölkerung das 'Umweltbewußtsein' zu wecken oder zu stärken".38 Noch deutlicher kommt der gleichsam edukatoS. 135 (Fn. 1), nach dem "frühere Zentralbegriffe neutralisiert und ehemals neutrale Gebiete politisiert" werden können; er knüpft ausdr. an den Begriff des "Politischen" bei Carl Schmitt (1932) an; dazu eingehend Böckenförde, Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts, in: ders., Recht, Staat, Freiheit (1991), S. 344 ff. 33 Eingehend zur soziologischen Kategorie der "issue-formation" in Bezug auf dd Aufkommen des Umweltthemas Küppers I Lundgreen I Weingart, S. 98 ff. 34 Übersetzt also: "Thernatisierung" oder "Auf-die-Tagesordnung-Setzen" - vgl. Noelle-Neumann u.a. (Hg.), Publizistik - Massenkommunikation (1989), S. 130, 382; ferner ScheuchI Scheuch, Cliquen (1992), S. 144, die vom "Machen eines Themas", vom Anstoßen einer Diskussion sprechen. 35 So z. B. Eppler, S. 100. 36 Bohne, Verhandlungen des 59. DJT (1992), Bd. 2 Teil N, S. N 80; allerdings stellt Gill (Leviathan 1991, 411, 430) in Bezug auf die Gentechnik fest, "eigenartig" sei, "daß der Meinungsbildungsprozeß genau anders herum ablief als üblich", d.h. ebenfalls von oben nach unten. 37 Umweltprogramm der Bundesregierung v. 14.10.1971, Zusammenfassende Thesen, Punkt 5, BT-Drucks. VI I 2710, S. 6. 38 Umweltprogramm der Bundesregierung v. 14.10.1971, Ziele des Programms, Punkt 4, BT-Drucks. VI I 2710, S. 9; dieselbe Zielsetzung verfolgte bereits das Sofortprogramm für den Schutz der Umwelt v. 17.9.1970 (BT-Drucks. VI 11519), vgl. Hartkopf, Interview, Bild der Wissenschaft 1980, 114 (115). Dementsprechend faßten auch die Medien das Ziel des Umwelt3 Vierhaus

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rische Anspruch in der Äußerung eines Abgeordneten der Regierungsparteien in der Bundestagsdebatte zur Einbringung des Programms zum Ausdruck: "Dieses Programm erhebt den Anspruch, gesellschaftliches Bewußtsein in der Form von 'Umweltbewußtsein' zu bilden, und das ist gut so. •39 "Systematisches Schüren von Umweltbewußtsein durch die Bundesregierung"40 machte eine nähere verfassungsrechtliche Prüfung unumgänglich. Wenn in der Literatur unter Zugrundelegung der o. g. These festgestellt wird, "in einer Demokratie mit der Willensbildung von unten nach oben" sei ein solches Regierungshandeln "nicht unproblematisch und nicht unbegrenzt zulässig", 41 so wird dabei auf eine bestimmte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Demokratieprinzip angespielt: Mit Leitsatz Nr. 2 seiner Entscheidung zur Parteienfmanzierung vom 19. Juli 1966,42 die in Gesetzeskraft erwachsen ist, 4 3 hat der Zweite Senat den verfassungsrechtlichen Maßstab, an dem eine solche Staatspraxis u. a. zu prüfen wäre, mit besonderer Prägnanz folgendermaßen formuliert:

"Der Grundgesetzgeber hat sich, indem er die freiheitliche demokratische Grundordnung geschaffen hat, für einen freien und offenen Prozeß der Meinungs- und Willensbildung des Volkes entschieden. Dieser Prozeß muß sich vom Volk zu den Staatsorganen, nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk hin, vollziehen. Den Staatsorganen ist es grundsätzlich verwehrt, sich in bezugauf diesen Prozeß zu betätigen (Art. 20 Abs. 2, 21 GG). "44 Vor diesem Hintergrund ist die in der Literatur zu fmdende Aussage zu verstehen, die staatliche Herstellung von "Umweltbewußtsein" - unterstellt man diese einmal -sei eine "Umkehrung des demokratischen Prinzips" in eine "Willensbildung von oben nach unten" und als solche "bedenklich" .45 Das progranuns auf- so titelte die FAZ Nr. 227 v. 1.10.1971, S. 5: "Umweltschutzprogranun soll neues Bewußtsein schaffen". 39 Abg. Konrad (SPD) am 3.12.1971, Stenogr. Prot., BT 6. WP, 155. Sitzg., S. 8934. 40 So Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rnr. 150. 41 Kloepfer, ebenda. 42 BVerfGE 20, 56. 43 Es handelte sich um ein Verfahren der abstrakten Normenkontrolle (BVerfGE 20, 56, 59), so daߧ 31 li 1 BVerfGG Anwendung fmdet. 44 BVerfGE 20, 56 Ls. 2- ebenso aufS. 99 der Entscheidung. 45 Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rnr. 150; ähnl. Gill, (Leviathan 1991, 411 ff (430)), bzgl. der Besetzung des Themas "Gentechnik" von oben; für Gill ist der Verlauf des Meinungsbildungsprozesses über die Stationen Gesellschaft - Medien - Parteien - Parlament "von einigem de-

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demokratische "Verfassungsgebot der grundsätzlich staatsfreien Meinungsund Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen" (BVerfG)46 führt zu schwierigsten verfassungsrechtlichen und staatstheoretischen Problemen. Die damit zusammenhängende, kaum lösbare Grundfrage des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft, 47 die in die Allgemeine Staatslehre, die Politikwissenschaft und die Geistesgeschichte hinüberragt,48 ist lange, kontrovers und teilweise ergebnislos diskutiert worden. Thre Lösung kann und soll hier nicht geleistet werden. Die Untersuchung soll nicht bei einer retrospektiven Beurteilung der frühen Umweltpolitik der Bundesregierung stehenbleiben, und sie darf dies angesichtsder aktuellen umweltrechtlichen Diskussion um die sog. Instrumente der influenzierenden Umweltinformation49 auch gar nicht, harren diese doch nach wie vor einer intensiven rechtlichen - d.h. auch verfassungsrechtlichen Durchdringung.50 Die aktuelle Parallele zur frühen Umweltpolitik der Bundesregierung bildet dabei nicht der zur Gefahrenabwehr gehörige Bereich der staatlichen Produktinformation, sondern der sich immer stärker ausdehnende Komplex amtlicher Öffentlichkeitsarbeit in Form von Umweltaufklärung und -erziehung. SI Spätestens seit der massiven Aids-Kampagne der Bundesregierung52 und dem Einsetzen der höchstrichterlichen Jugendsekten-Rechtspre-

mokratischen Vorteil"; Schmitt Glaeser bezeichnet die Staatsfreiheit der Volkswillensbildung als Ausdruck der "demokratischen Kernidee, daß sich Herrschaft von unten nach oben" konstituieren muß (HdBStR ß § 31 Rnr. 29); BVerfGE 20, 56 selbst spricht in Ls. 3 insofern vom "demokratischen Grundsatz" . 46 BVerfGE 20, 56 (101 f) . 47 Vgl. statt aller Böckenförde, Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft

im demokratischen Sozialstaat der Gegenwart, in: ders., Recht- Staat- Freiheit (1991), S. 209 ff sowie Grimm, Der Wandel der Staatsaufgaben und die Krise des Rechtsstaates, in: ders. , Die Zukunft der Verfassung (1991), S. 159 (169 ff); ders., Die politischen Parteien, ebendaS. 263 (265 ff)- jeweils m.w.N. 48 R. Herzog, in: Maunz I Dürig, Grundgesetz, Art. 20 Abschn. I Rnr. 45. 49 Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rnr. 150 ("Information, Appell, Warnung"); nicht gemeint sind hier indes die "appellativen Wirkungen" einer Staatszielbestimmung "Umweltschutz" (Badura, FAZ Nr. 289 v. 13.12.1991, S. 8). 50 Kloepfer, Umweltrecht, § 4 Rnr.

150; ders. , JZ 1991, 737 (743).

51 Vgl. zu den unterschiedlichen Arten staatl. Umweltinformation eingehend unten Teil 3 B. 52 Dazu Gramm, NJW 1989, 2917; in Anlehnung an die Aids-Kampagne hat der Präsident der Bundesärztekammer eine Aufklärungsaktion gegen das Rauchen gefordert - vgl. FAZ Nr. 302 V. 31.12.1991 , S. 7.

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chung, 53 die in der Literatur zunehmend Kritik an einem weiten Begriff der Öffentlichkeitsaufklärung sowie die Frage nach deren Eingriffsqualität aufkommen läßt, steht das staatliche Informationshandeln im Blickpunkt der verfassungsrechtlichen Diskussion. 54 Die Omnipräsenz des Umweltthemas, das heute in keinem Parteiprogramm und keiner politischen Rede fehlen darf, 55 schlägt sich zudem in der wachsenden Beschäftigung der Landesverfassungsgerichte mit dem Wahlwerbungscharakter umweltpolitischer Anzeigenkampagnen der Landesregierungen nieder. 56 Kurz: Es scheint sich abzuzeichnen, daß die Frage der Information durch den Staat zu dem staatsrechtlichen Thema der neunziger Jahre werden wird.57 All dies wirft Fragen auf: Ist dem Staat und insbes. den Regierungen mehr an Werbung und Selbstdarstellung gelegen denn an Sachinformation? Welches ist die eigentliche Zielsetzung und Funktion staatlichen lnformationshandelns im Umweltbereich? Welche kann es aus verfassungsrechtlicher Sicht sein? Ist regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit, die ihre Legitimation in der Schaffung von "Grundkonsens" in der Bevölkerung haben soll, 58 angesichts bestehender "allgemeiner Akzeptanz des Zieles" (VerfGH NW)59 Umweltschutz in unserer Gesellschaft überhaupt noch sinnvoll? Oder sollten die für PR-Kampagnen ausgegebenen enormen öffentlichen Mittel besser direkt in praktische Umweltschutzprojekte investiert werden? Weiß nicht heute ohnehin jeder, daß Batterien, Glasflaschen und Altpapier nicht in den Hausmüll gehören, daß FCKW-haltige Sprays die Ozonschicht schädigen oder daß man einen Ölwechsel nicht im Wald durchführt, um nur einige wenige Beispiele zu 53 BVerwGE 82, 76- bestätigt durch BVerfG, NJW 1989, 3269 (Kammerbeschluß des 7. Senats); BVerwG, Beschl. v. 13.3.1991, NJW 1991, 1770; BVerwG, NJW 1992, 2496; zahlr. weitere Rspr.-Nachw. bei Rainer Scholz, NVwZ 1994, 127 (129 ff). 54 Vgl. nur Schatzschneider, NJW 1991, 3202; Gramm, NJW 1989, 2917; ders., Der Staat

1990, 51.

55 v. Lersner, in: Send/er- FS (1991), S. 259; ders. , Die ökologische Wende (1991), S. 11. 56 Vgl. HessStGH v. 11.1.1991, ESVGH 41 , 1 ff ("Hessen ist sonnenaktiv"); VerfGH NW 12/90 v. 15.10.1991, NWVBI. 1992, 14 ("Müllspartips" I); VerfGH NW 1/91 v. 28.1.1992, NWVBI. 1992, 129 ("Müllspartips" 57 Vgl. aus der Fülle neuerer Publikationen nur Schürmann, Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung (1992); Bi/stein, Rundfunksendezeiten fiir amtliche Verlautbarungen (1992); Fiebig, Rundfunk durch die Bundeswehr (1992); Hili (Hg.), Staatskommunikation (1993); ders., Staatskommunikation, JZ 1993, 330. 58 Statt aller BVerfG 44, 125 (147). 59 VerfGH NW, NWVBI. 1992, 14 (15) fiir das umweltpolitische Ziel der Abfallvermeidung und -Verwertung.

m.

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nennen? Wenn ja, woran liegt es wirklich, daß die umweltpolitischen Ziele trotzdem oft nicht in entsprechendes Verhalten umgesetzt werden? Basiert nicht eine Politik staatlicher Aufklärung der Öffentlichkeit in Umweltfragen auf dem Grundgedanken, daß die Adressaten dieser Maßnahmen überhaupt lernfähig sind? Sind sie dies? Sind sog. Empfehlungen und Hinweise u. ä. appellative Aufklärungsmaßnahmen überhaupt ein wirksames Instrument der Verhaltens-Steuerung? Und falls nicht, sind sie dann etwa nur ein solches der Bewußtseins-Steuerung? Wäre die Anwendung eines solchen Instruments durch den Staat überhaupt verfassungskonform? Erlaubt das Demokratieprinzip die Steuerung kollektiver Bewußtseinsinhalte, die Lenkung der öffentlichen Meinung durch den Staat? Oder geht es vom Leitbild einer Willensbildung von unten nach oben aus? Die "verfassungsrechtliche Notwendigkeit regierungsamtlicher Öffentlichkeitsarbeit" sei - so die jüngste einschlägige Untersuchung - seit der Entscheidung des BVerfG von 1977 "nicht mehr in Zweifel zu ziehen".60 Derart apodiktische Behauptungen lassen Zweifel aufkommen und provozieren Rückfragen: Hat es Sinn, daß der Staat die Voraussetzung, von der er lebt, das Vertrauen seiner Bürger, selbst künstlich zu garantieren sucht oder belügt er sich damit selbst? Schafft der Staat durch "geistige Rundumbetreuung" 61 den engagierten Aktivbürger oder einen passiven Lethargiker? Darf der Staat nicht nur Rechtsgehorsam verlangen, sondern darüber hinaus auch für eine bestimmte Sozialmoral werben? Ist Erziehung der Bürger durch den Staat überhaupt demokratisch machbar oder ist sie per se totalitär, d.h. gibt es einen mit Adenauer zu sprechen - "demokratischen Goebbels"? Was rechtfertigt es im Parteienstaat noch, den sog. "Regierungsparteien" das Privileg der staatsfinanzierten Sympathiewerbung in einem permanenten Wahlkampf zu belassen? Besteht angesichts des Umstandes, daß bereits die Medien "uns zu Tode informieren "62 - selbst Juristen sprechen vom "informationellen Overkill "63 überhaupt ein tatsächlicher Bedarf dafür, daß sich nun auch noch der Staat auf dem Informationsmarkt betätigt?

60 SchürmLJnn, S. 125. 61 Gramm, Der Staat 1991, 51 (72 f), der auch auf den "Freiheitspreis" von Betreuungsverhältnissen hinweist. 62 Neil Postman, Die Zeit Nr. 41 v. 2.10.1992, S. 61 f. 63 SchürmLJnn, S. 212.

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Wenn einerseits in bewußter Anknüpfung an die "aktive Politik" der frühen 70er Jahre das administrative "Umsteuem" als neues umweltpolitisches Konzept favorisiert wird64 und andererseits Warnungen vor dem "das 'richtige' Umweltbewußtsein" 65 zwangsweise durchsetzenden "totalen Umweltstaat"66 - der "Ökodiktatur•67 - die Frage nach "ökologischer Steuerung mit 'weniger Staat' "68 aufwerfen, zeigt sich, daß Bieber zutreffend analysiert, wenn er zur Vereinbarung beider Positionen "eine ernsthafte Diskussion über die Freiheit des einzelnen in der Industriegesellschaft" fordert. 69 Soll die Grundidee einer jeden Verfassung, die Begrenzung und Kontrolle staatlicher Macht, 70 auch auf umweltpolitischem Terrain ihre Geltung behalten, 71 so ist die Entwicklung zum omnipotenten Informations- und Aufklärungsstaat, namentlich im Hinblick auf das Staatsfreiheitsprinzip sowie den demokratiestaatlichen Gehalt der Kommunikationsgrundrechte, einer kritischen verfassungsrechtlichen Prüfung zu unterziehen. Angesichts der Vielzahl der offenen Fragen kann jedenfalls in einem Schürmann beigepflichtet werden, der am Schluß seiner Untersuchung zur Öffentlichkeitsarbeit resümiert, "der Diskussionsprozeß um das Thema" sei "keineswegs zu Ende".72 Dies gilt auch und gerade im Hinblick auf das vom BVerfG postulierte Verfassungsgebot der Willensbildung "von unten nach oben" .

64 So Böhret, Folgen. Entwurf für eine aktive Politik gegen schleichende Katastrophen (1990), S. 187 ff (207 ff); die Frage des "Umsteuems" in der Umweltpolitik war z.B. auch Gegenstand der Auseinandersetzung der Fraktionsvorsitzenden Klose und Schäuble in der Bundestagsdebatte vom 26.11.1991 (vgl. den Abdruck der Reden in: Das Parlament Nr. 50 v. 6.12.1991, S. 2 f). 65 Spiegler, Umweltbewußtsein und Umweltrecht (1990), S. 12. 66 Begriff von Kloepfer, DVBI. 1988, 305 (306); allgemein zum Problem ders., Umweltstaat, s. 39 ff. 67 E. U. v. Weizsäcker, S. 296 ff; Spiegler, S. 12; H. B. Bieber, Die Zeit Nr. 23 v. 31.5.1991,

s. 46.

68 Klöti, Ökologische Steuerung mit "Weniger Staat"?, in: Eilwein I Hesse I Mayn.tz I Scharpf (Hg.), Jb. zur Staats- u. Verwaltungswiss. Bd. 4/ 1990, S. 13 ff. 69 H. B. Bieber, Die Zeit Nr. 23 v. 31.5.1991, S. 46 Sp. 5; umweltschutzbedingte Konfliktlagen zwischen Freiheit des einzelnen und Gemeinwohl werden denn auch zunehmend thematisiert - vgl. etwa Baruui, Freiheit, Recht und Gemeinwohl. Grundfragen einer Rechtsphilosophie (1990); Kloepfer I Vierhaus, Freiheit und Umweltschutz (1994). 70 Kloepfer, DVBI. 1988, 305 (306); ähnl. Grimm (Verfassung, in: Die Zukunft der Verfassung, 1991, S. 13), der die Verfassung historisch "als neue Art der Herrschaftsbegründung und Herrschaftsbegrenzung" qualifiZiert. 71 Hierfür bereits Vierhaus, Verhandlungen des 59. DJT (1992), Bd. 2 Teil N, S. N 137 f. 12

1992, s. 402.

Erster Teil

Die Etablierung des Umweltschutzes als Thema von Politik und öffentlicher Meinung in der Bundesrepublik A. Einführung in die historische Fragestellung I. Allgemeines Interesse für die "Umweltgeschichte" "Historische Werke über die Umweltschutzbemühungen wurden, wenn überhaupt, überwiegend von Nicht-Historikern verfaßt, oft von Personen, die in der einen oder anderen Form selbst intensiv in die Bemühungen um einen besseren Umweltschutz eingeschaltet waren." 1 Diese Aussage Weys aus dem Jahre 1982 mag zum damaligen Zeitpunkt noch zutreffend gewesen sein; in der Tat dominierten anfangs die Chroniken von Institutionen und Verbänden, die auf dem Gebiet tätig waren, wie etwa die Arbeiten des Referenten für Öffentlichkeitsarbeit2 der Landesanstalt für Immissionsschutz NRW Koch, 3 des Naturschutzverbandspolitikers Klose4 sowie des Institutsmitarbeiters Naumann5 exemplarisch zeigen. 6 Zu erwähnen ist daneben die Studie der Bietefelder Soziologen Küppers, Lundgreen und Weingart1 , die im Zusammenhang mit der primär wissenschaftsgeschichtlichen Fragestellung auch die allgemeine Umweltgeschichte mit einbezieht. 8 Allgemein steht im - zuweilen eher populärwissenschaftlichen - Schrifttum naturgemäß die Geschichte des von jeher knappen und daher einer Bewirtschaftung unterworfenen Umweltgutes Wey, S. 9. 2 So H.- J. Luhmann, Das Parlament Nr. 40-41 v. 30.9. /7.10.1988, S. 18 Sp. 4. 3 E. Koch, Der Weg zum blauen Himmel über der Ruhr (1983). 4 Klose, Fünfzig Jahre staatlicher Naturschutz (1957). 5 Naumann, Sechzig Jahre Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene (1961). 6 Vgl. auch Banemann I Simon, Die Chronik eines Naturschutzverbandes von 1899- 1984 Deutscher Bund für Vogelschutz e.V. (1987). 7 Umweltforschung- die gesteuerte Wissenschaft? (1978).

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Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

Wasser im Vordergrund;9 vereinzelt werden jedoch auch Fragen der Luftverschmutzung historisch untersucht.10 Neben der älteren Technikgeschiehteil ist die "Umweltgeschichte" - will man diesen Begriff überhaupt verwenden - heute in verstärktem Maße zum Gegenstand der Forschung von Historikern geworden, wie etwa die zahlreichen Arbeiten von Sieferle belegen. 12 Der Trend der Sozialhistorie zur Erfassung sämtlicher Lebensbereiche des Alltagshandeins hat nunmehr nach der Krirninalität 13 auch die Entwicklung der Umweltbedingungen erfaßt, unter denen die Menschen gelebt haben, wobei die Zusammenhänge von Arbeit, Energieverbrauch und Umweltbeanspruchung im Vordergrund stehen.14 Selbst sozialhistorisch orientierte, epochenspezifische Gesamtdarstellungen räumen der Umweltgeschichte neuerdings breiten Raum ein.1 5 Durch das Aufzeigen 8 S. 21 -49 : Kap. "Umweltbelastung und Umweltforschung: Zur Geschichte des Umweltproblems"; Eine rein wissenschaftsgeschichtliche Darstellung bietet dagegen Trepl, Geschichte der Ökologie. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart (1987). 9 Schua I Schua, Wasser- Lebenselement und Umwelt (1981); Föhl I Hamm, Die Industriegeschichte des Wassers (1985); Kluge I Schramm, Zur Geschichte des Trinkwassers, 2. Aufl. (1988); rein kulturhistorisch-essayistisch Illich, H20 und die Wasser des Vergessens (1987) sowie Böhme (Hg.), Kulturgeschichte des Wassers (1988). 10 Vgl. Spelsberg, Rauchplage. Hundert Jahre Saurer Regen (1984); E. Koch (1983). 11 Vgl. etwa A. 11mm, Einführung in die Technikgeschichte (1972), mit einer bereits damals recht umfangreichen Bibliographie (S. 115 - 120); Troitvch (Hg.), Technologischer Wandel im 18. Jahrhundert (1981); ders. I Wohlauf (Hg.), Technik-Geschichte. Historische Beiträge und neuere Ansätze (1980); Troitvch I Weber (Hg.), Die Technik. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, 2. Aufl. (1987). 12 Sieferle, Der unterirdische Wald. Energiekrise und Industrielle Revolution (1982); ders., Fortschrittsfeinde? Opposition gegen Technik und Industrie von der Romantik bis zur Gegenwart (1984); ders. (Hg.), Fortschritte der Naturzerstörung (1988); ders., Bevölkerungswachstum und Naturhaushalt. Studien zur Naturtheorie der klassischen Ökonomie (1990); ders. , The Energy System - A Basic Concept of Environmental History, in: Brimblecombe I Pfister (Eds.), The Silent Countdown (1990), S. 9 ff; ders., Umweltpolitik nach dem Ende der Geschichte, in: Hassenflug (Hg.), Industrialismus und Ökoromantik (1991); ders., Erleben wir eine Politisierung der Technik?, in: Iaufmann I Kistler (Hg.), Einstellungen zum technischen Fortschritt (1991). 13 Vgl. Vierhaus, MSchrKrim 73 (1990), 137 (139- 142) m.w.N. 14 Brüggemeier I Rommelspacher (Hg.), Besiegte Natur. Geschichte der Umwelt im 19. und 20. Jahrhundert (1987); Mark/ (Hg.), Natur und Geschichte (1983); Radkau, Zur angeblichen Energiekrise des 18. Jahrhunderts. Revisionistische Betrachtungen über die "Holznot", VSWG 73 (1986), 1 ff; Her171UJ1111 (Hg.), Mensch und Umwelt im Mittelalter, 3. Aufl. (1987); ders., Umwelt in der Geschichte (1989); Al/mann, Der Wald in der frühen Neuzeit. Eine mentalitätsund sozialgeschichtliche Untersuchung am Beispiel des Pfälzer Raumes 1500- 1800 (1990); Andersen (Hg.), Umweltgeschichte. Das Beispiel Harnburg (1990); Brüggemeier, Zauberlehrlinge. Vom unbedachten Umgang mit der Natur, in: Niethammer (Hg.), Bürgerliche Gesellschaft in Deutschland (1990), S. 275 ff; Stürmer, Freiflächenpolitik in Berlin in der Weimarer Republik. Ein Beitrag zur Sozial- und Umweltschutzpolitik einer modernen Industriestadt (1991); Schümer, FAZ Nr. 198 v. 26.8.1992, S. N 5 m.w.N.

A. Einführung in die historische Fragestellung

41

der historischen Dimension von Nutzung und Gestaltung der natürlichen Umwelt durch den Menschen will die Umweltgeschichte dabei grundsätzliche Einsichten in die Langzeitwirkungen menschlicher Handlungen vermitteln.16 Auch die Rechtswissenschaft öffnet sich unter dem Schlagwort "Umweltrechtsgeschichte" allmählich dem historischen AspektP Der Begriff "Umweltgeschichte" ist unpräzise. Naturgüter hat es immer gegeben und diese sind selbstverständlich seit dem Eintritt des Menschen in die Geschichte auch als natürliche Lebensgrundlagen genutzt worden. Menschliche Bemühungen um den Schutz dieser Grundlagen sind dagegen jüngeren Datums:18 Erst die Industrialisierung dürfte den Paradigmenwechsel vom Schutz des Menschen vor der Umwelt zum Schutz der Umwelt vor dem Menschen in Gang gesetzt haben. An sich wäre heute zwischen der - bis in die Ur- und Frühzeit zurückreichenden - Geschichte der Umweltbedingungen (einschließlich deren Nutzung) als Naturgeschichte einerseits und der Geschichte des Umweltschutzes, d.h. der Geschichte der auf den Schutz der Umwelt gerichteten menschlichen Aktivitäten zu differenzieren. Letztere ist bezogen auf die Bundesrepublik-Gegenstand von Teil 1 dieser Untersuchung.

15 So Dipper, Deutsche Geschichte 1648-1789 (1991), der ein umfangreiches umweltgeschichtliches Kapitel an den Anfang seiner Darstellung stellt: "Die Herrschaft der Natur. Die Aneignung der Umwelt in der Frühen Neuzeit" (S. 9- 41). 16 Herrmann, Vorwort, S. 5, in: ders. (Hg.), Umwelt in der Geschichte (1989). 17 Vgl. den Lexikonartikel "Umweltrechtsgeschichte" von Ebel, in: Kimminich I v. Lersner I Storm, HdUR II (1988), Sp. 774 ff. 18 Vgl. zu dem 1881 anhängig gernachten Prozeß zweier Müller gegen die Abwässer der Rautheimer Zuckerfabrik Wilhelm Raabe, Pfisters Mühle. Ein Sommerferienheft (1884), Reclam Nr. 9988, vgl. darin das Nachwort von Denk/er sowie ferner Popp, "Pfisters Mühle". Schlüsselroman zu einem Abwasserprozeß, in: Städtehygiene 10 (1959), Heft 2, S. 21 ff. Um eines der ersten dokumentierten immissionsschutzrechtlichen Verwaltungsverfahren überhaupt dürfte es sich bei dem hochinteressanten Kampf handeln, den der Schriftsteller Carl Sternheim im Jahre 1910 gegen die Genehmigung der Errichtung "einer chemischen Fabrik in Höllriegelskreuth" durch den Ingenieur Pietzsch führte (Eingaben von Sternheim v. 23.3., 1.6., 15.6. u. 3.8.1910, Beschluß Nr. 890/10 des Königlichen Bezirksamtes München v. 18.8.1910).

42

Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

II. Datierung des Beginns von Umweltschutz und Umweltpolitik im Schrifttum

Die Lexikonliteratur zum Stichwort "Umweltpolitik" geht übereinstimmend davon aus, daß es eine eigenständige Umweltpolitik in der Bundesrepublik erst seit Anfang der 70er Jahre gibt, 19 wobei als Eckdatum das erste Umweltprogramm der Bundesregierung von 1971 genannt wird.20 Ebenso verfahren die meisten Umweltrechtslehrbücher. 21 Sowohl ältere als auch neuere Monographien zur Umweltpolitik gehen von einer "Umweltwelle" in den Jahren 1969 bis 1971 aus, 22 wobei die Regierungserklärung vom Oktober 1969, 23 die Bildung des Kabinettsausschusses für Umweltfragen 1970,24 das Sofortprogramm vom September 197025 oder das Umweltprogramm von 1971 26 als "Geburtsstunde" der bundesrepublikanischen Umweltpolitik bezeichnet werden. Eine Mehrheit der Autoren sieht dabei wohl das Ende des Jahres 1969 als den Beginn einer "programmatischen Etappe"27 der Umweltpolitik an. Zu einem ähnlichen Ergebnis führt ein Querschnitt durch die

19 Rittershafer (1991), S. 477; Humboldt-Umwelt-Lexikon (1990), Stichwort "Umweltschutz", S. 313 (314); KATALYSE e. V. (Hg.), Umwelt-Lexikon (1988), Stichwort "Umweltpolitik", S. 371; ANL, Begriffe (1991), S. 109; Czada I Tolksdorf I Yenal, Wirtschaftspolitik (1988), S. 109. Auch das Handbuch von Ellwein I Hesse (1988, S. 15) geht davon aus, daß erst mit Beginn der 70er Jahre von einem "verbreiteten Umweltbewußtsein und einer UmweltschutljJolitik gesprochen" werden könne. 20 Rittershofer, S. 447. 21 Vgl. Bender I Sparwasser, Umweltrecht, S. VII; Kloepfer, Umweltrecht, § 1 Rnr. 37, § 8

Rnr. 11.

Küppers I Lundgreen I Weingart, S. 115. S. 51, 55; Bungarten (1978), S. 27 f ("entscheidender Durchbruch"); Bechmann (1984), S. 54 ("Wende"); Voss, S. 74 ("ökologische Wende"); ähnl. Hartkopf I Bohne (1983), S. 84 ("seit 1969/70"); Wey, S. 154 (Koalitionsbildung als "Wendepunkt"); E. U. v. Weizsäcker, S. 24. 24 G. Timm, S. 105 f, der sich explizit gegen die Regierungserklärung als Ausgangspunkt wendet (vgl. S. 105 Fn. 2). 25 Nach Comelsen (S. 21) gilt 1970 "als das Datum des Aufbruchs im Natur- und Umweltschutz in der Bundesrepublik". 26 Buchwald (in: Buchwald I Engelhardt, Hg., Bd. 4, 1980, S. 74) beginnt sein Kapitel "Umweltpolitik" wie selbstverständlich mit dem 7ler Programm. 27 So kennzeichnet Voss (S. 70) die erste Phase der Umweltpolitik (1969- 71). 22

23 Müller,

A. Einführung in die historische Fragestellung

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einschlägige Aufsatzliteratur, wonach die Umweltproblematik erst mit dem Beginn der sozial-liberalen Koalition Ende 1969 zu einer "political issue" geworden sei. 28 Die These vom Jahr 1969 bzw. 1970 als der "Geburtsstunde" der Umweltpolitik in der Bundesrepublik29 wird nicht nur im wissenschaftlichen Schrifttum im engeren Sinne, sondern auch in mehr populärwissenschaftlichen Äußerungen vertreten. So fmdet sich etwa im Rahmen des im Sommer 1991 auf der Wissenschaftsseite der "Zeit" ausgetragenen UmweltDisputs30 die Aussage, die Umweltpolitik sei keine Erfindung von Grünen oder Journalisten, sondern "ein Produkt der Bonner Administration", was mit einem Zitat des damals für den Umweltschutz zuständigen Bundesinnenministers Genscher aus dem Jahre 1970 belegt wird.31 Insgesamt dürfte damit die Jahreswende 1969 I 10 die communis opinio über den Beginn bundesrepublikanischer Umweltpolitik darstellen. 32 Nimmt man hinzu, daß der Beginn der "allgemeinen Umweltdiskussion" auf "etwa 1970" datiert zu werden pflegt,33 so läßt sich die Ausgangsthese von der "Umkehrung des demokratischen Dogmas" dahingehend konkretisieren, daß behauptet wird, vor 1970 habe der Umweltschutz in der öffentlichen Meinung der Bundesrepublik keine nennenswerte Rolle gespielt; zum Gegenstand einer

28 Malunat, APuZ B 29 v. 18.7.1987, S. 29 (30); Müller, APuZ B 47-48 v. 17.11.1989, S. 3 f; Weidner, APuZ B 47-48 v. 17.11.1989, S. 16; ähnl. Höfer, APuZ B 6 v. 2.2.1990, S. 35 ("Anfang der siebziger Jahre"); Edingshaus, Bild der Wissenschaft 4 /1980, S. 100 f. 29 M. Schmidt (1992, S. 157) sieht 1969 als "Geburtsjahr der Umweltpolitik" an, auf das Jahr 1970 stellen hingegen ab: G. nmm, S. 105; ähnl. Mrass, Organisation des Umweltschutzes und der Umweltplanung, in: Buchwald I Engelhardt (Hg.), HdB für Planung, Gestaltung und Schutz der Umwelt, Bd. 4 Umweltpolitik (1980), S. 139, unter Hinweis auf das Europäische Naturschutzjahr. 30 Vgl. die Reihe "Angst um die Natur. Angst vor der Natur", Die Zeit Nr. 26 v. 21.6.1991, S. 74; Nr. 29 v. 12.7.1991, S. 62; Nr. 31 v. 26.7.1991. 31 Vorholz, Die Zeit Nr. 31 v. 26.7.1991, S. 58 Sp. 2. Ebenso H. B. Bieber, Die Zeit Nr. 23 v. 31.5.1991, S. 46, Sp. 4, der darauf hinweist, aus den Reihen der Liberalen seien "so vor zwanzig Jahren etwa die ersten Anstöße des administrativen Umweltschutzes" gekommen. 32 So etwa Hankopf I Bohne, S. 84. Dies bestreiten auch Mitglieder der damaligen Oppositionsparteien nicht - vgl. Geißler, Die Zeit Nr. 47 v. 15.11.1991, S. 7: "Vor 20 Jahren: Umweltschutz". 33 Vgl. etwa Kloepfer; Umweltrecht, § 8 Rnr. 11; Eilwein I Hesse, S. 15.

44

Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

breiten gesellschaftlichen Diskussion sei das Thema erst auf Grund der zeitlich früher einsetzenden Initiative der Bundesregierung geworden. Daraus ergeben sich zwei Aspekte der zunächst zu verfolgenden Fragestellung. Zum einen ist die Geschichte des Umweltschutzes in der Bundesrepublik nachzuzeichnen und zwar mindestens bis zum Ende des Jahres 1974; dieser Zeitpunkt wird ganz überwiegend als Ende einer ersten Etappe der Umweltpolitik bezeichnet, unabhängig davon, ob diese als Phase 11 aktiver Politikgestaltung II durch den Regierungsapparat,34 als "programmatische" und "legislative Phase"35 oder als "Etablierungsphase, in der eine offensive, weitgehend autonome Umweltpolitik praktiziert" wurde,36 charakterisiert wird.3 7 Dabei soll das Hauptaugenmerk auf einschlägige Ansätze vor 1969 I 10 gelegt werden. Zum anderen ist zur Beurteilung des tatsächlichen Verlaufes der Willensbildung vor dem Hintergrund des Verfassungsgebots der grundsätzlich staatsfreien Volkswillensbildung jeweils zu klären, welche Ansätze eher dem staatlichen und welche eher dem gesellschaftlichen Bereich zuzuordnen sind. Die Unterscheidung der zwei Sphären legt die Position des BVerfG dabei zunächst als Arbeitshypothese zugrunde; eine verfassungsrechtliche Würdigung dieser Rechtsprechung hat später zu erfolgen.

34 Müller, APuZ B 47-48 v. 17.11.1989, 3 (4); ähnl. dies. (1986), S. 51 :"1969 - 1974: Phase offensiver 'autonomer' Umweltpolitik"; mit dem Begriff der "aktiven Politik" kennzeichnet auch Böhret (1990), S. 207, 261, das Konzept der frühen 70er Jahre. 35 Voss, S. 70, 76 f, der auf eine "programmatische" (1969- 71) und eine "legislative Etappe" (1972 -74) eine "restriktive" (1975- 78) folgen läßt; in der Tat sind die Umweltgesetze nach 1974 (vgl. Kluth, Jura 1991, 289 (291)) eher "Nachzügler", die auf das vorzeitige Ende der 6. WP 1972 zurückzuführen sind (vgl. filr die WHG-Novelle Breuer, Wasserrecht, Rnr. 7). 36 M. Schmidt, S. 158, in Bezug auf den Zeitraum von 1969- 1974. 37 Der filr den Umweltschutz zuständige damalige Bundesinnenminister Genscher sieht die Errichtung des UBA im Jahr 1974 als "Schlußstein in diesem neuen Umwelt-Design von Politik und Verwaltung" an (in: v. Lersner- FS, S. 19).

B. Nicht-regierungsamtliche frühe Ansätze

45

B. Nicht-regienmgsamtliche frühe Ansätze einer Beschäftigung mit Umweltfragen in der Bundesrepublik Im Zusammenhang mit der hier verfolgten Fragestellung des aus dem Grundgesetz (Art. 20 II, 21) vom BVerfG abgeleiteten "Verfassungsgebots der grundsätzlich staatsfreien und offenen Meinungs- und Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen" 1 ist hier nur derjenige Zeitraum von Belang, dessen Beginn durch das Inkrafttreten des Grundgesetzesam 23. Mai 1949 markiert wird.

I. Umweltbezogene Aktivitäten der Zweck- und Wasserverbände des Ruhrgebiets Wichtige Beispiele einer frühen Beschäftigung mit bestimmten Umweltproblemen bietet die Arbeit der Zweck- und Wasserverbände mit Schwerpunkt im Ruhrgebiet, insbesondere des Siedlungsverbandes Ruhrkohlenbezirk, 2 aber auch der Emschergenossenschaft, des Ruhrtalsperrenvereins, des Ruhrverbandes und des Lippeverbandes, deren Einsatz für die Erholungsfunktion der Landschaft und die wasserwirtschaftliche Sanierung der stark industriell genutzten Region beachtlich war. 3 1. Der Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk (SVR)

a) Entstehung, Rechtsform und Aufgaben des SVR

Bei dem im Jahre 1920 gegründeten SVR,4 handelt es sich um den Zusammenschluß von 15 "Stadtkreisen" und 11 Landkreisen des Ruhrgebietes I BVerfGE 20, 56 Ls. 2 (101, 98 f); vgl. auch die Negativformulierung in BVerfGE 73, 40 II (87) und BVerfG, NJW 1992, 2545 (2546). 2 Vgl. H. - J. Luhmann, Geschichte der Umweltpolitik in Deutschland, Das Parlament Nr. 40-41 v. 30.9. /7.10.1988, S. 18, Sp. 2 f. 3 Dornheim, Wasser- und Bodenverband, in: HdUR II, Sp. 1100 ff (1102 f). 4 Gesetz betreffend die Verbandsordnung für den Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk (GVbO) v. 5.5.1920, PrGS S. 286; gem. § 29 I 1 GVbO in Kraft getreten am 15.6.1920.

46

Tei11 Die Etablierung des Umweltschutzes

(vgl. § 2 I GVb0)5 zur besseren administrativen Bewältigung "der Förderung der Siedlungstätigkeit im Verbandsgebiete" (§ 1 I 1 GVbO). Die eigentliche Initiative zur Gründung des SVR ging nicht vom preußischen Gesetzgeber, sondern von führenden Kommunalpolitikern des Reviers aus, die die Notwendigkeit der zwischen- und übergemeindlichen Lösung der Besiedelungsprobleme dieses industriellen Ballungsraumes frühzeitig erkannten. 6 Von der Rechtsform her ist der SVR eine Körperschaft des öffentlichen Rechts7 ( § 1 I 2 GVbO) und zwar ein kommunaler Zweckverband; 8 seit 1936 auch eine Landesplanungsgemeinschaft.9 Generell läßt sich die Wahrnehmung übergreifender Planungsaufgaben10 als Verbandsziel bezeichnen, wozu neben der bereits in§ 1 I 3 Nr. 1 GVbO vorgesehenen Mitwirkung an der Bauleitplanung11 seit 1962 auch die Landes- und Regionalplanung gehört. 12 Der SVR kann als der "erste deutsche· raumordnungsbezogene Sonderverband auf regionaler Stufe" 13 angesehen werden.

b) Umweltbezogene Aktivitäten des SVR

aa) Grünflächenpolitik und Verkehrsplanung Schon das GVbO von 1920 betonte die besondere Bedeutung von "Grüngebieten"14 und "Verbandsgrünflächen", die in ein spezielles Verbands-

PrGS 1920 S. 286; im Jahre 1966 waren es bereits 18 kreisfreie Städte, 6 Landkreise sowie 3 "Kreisanteile" - vgl. die genaue Auflisnmg der Mitglieder in: SVR (Hg.), Gebietsentwicklungsplan 1966, S. 11 sowie bei Neufang, DÖV 1963, 812. 5

6 Neufang, DÖV 1963, 812, der den Essener Oberbürgermeister Dr. Luther, den Stadtbaurat Dr. Robert Schmidt und den Stadtkämmerer Dr. Bucerius hervorhebt. Neufang, ebenda. Körber, Geographische Rundschau 17 (1965), 215 f; vgl. zu Rechtsfragen der Zweckverbände Vogelsang I Lübldng I Jahn, Kommunale Selbstverwaltung (1991), Rnr. 709 ff. 9 Körber, Geographische Rundschau 17 (1965), 215 (218 f); vgl. dazu heute§§ 11-23 Landesplanungsgesetz NRW vom 7.5.1962 (GVBI. S. 229). 10 Andersen I Brüggemeier, S. 73. II Körber, Geographische Rundschau 17 (1965), 215 (218). 7 8

12 Körber, ebenda, S. 219 f; vgl. etwa den Gebietsentwicklungsplan 1966 des SVR

(u. Fn. 21).

13 Küppers I Lundgreen I Weingart, S. 32. 14 Vgl. dazu Neufang, DÖV 1963, 812 (815) sowie§ 16 I Nr. 1 b GVbO.

B. Nicht-regierungsamtliche frühe Ansätze

47

verzeichnisaufzunehmen seien. 15 § 1 I 3 Nr. 3 GVbO bestimmt, daß der Verband insbesondere für "die Sicherung und Schaffung größerer, von der Bebauung freizuhaltender Flächen (Wälder, Heide-, Wasserflächen und ähnlicher Erholungsflächen)" Sorge zu tragen habe, was dieser von Anbeginn als "eine wesentliche Aufgabe" 16 ansah. Auch das vom preußischen Landtag 1922 verabschiedete "Gesetz zur Erhaltung des Baumbestandes und Erhaltung und Freigabe von Uferwegen im Interesse der Volksgesundheit" 17 ging auf eine Initiative des SVR zurück.l8 Nicht nur mittels Aufnahme geeigneter Gebiete in das Verbandsverzeichnis, sondern auch durch Ankauf von Grundstücken19 entwickelte sich eine "Verbandsgrünflächenpolitik"20, deren Ziele der SVR im "Gebietsentwicklungsplan 1966" so umschreibt :"Die regionalen Grünflächen sollen zwischen den dicht besiedelten Gebieten zusammenhängende Freizonen bilden und in ihrem Charakter als freie Landschaft die innerstädtischen Grünund Erholungsgebiete ergänzen. "21 Daß der SVR sich diesem Bereich insbesondere in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre verstärkt genähert hat, belegen auch die von ihm in Auftrag gegebenen Studien über "Haldenbegrünung im Ruhrgebiet" (1968)22 und über "Sanierung im regionalen Grünflächensystem des Ruhrgebiets" (1970). 23 Besonders erfolgreich war der Verband bei der Sicherung und Schaffung eines stadtnahen Erholungswaldes, 24 also im Bereich der Landschaftspflege. 25 Seit Mitte der sechziger Jahre beschäftigt sich der SVR zunehmend auch mit dem Bereich der Verkehrsplanung, wenngleich sich auch frühere Ansätze

15 Vgl. dazu Körber, Geographische Rundschau 17 (1965), 215 (217 f), sowie § 16 I Nr. 3 GVbO; zum Verhältnis beider Begriffe Neufang, DÖV 1963, 812 (815 Fn. 16; 816). 16 S"IIR (Hg.), Die Tätigkeit des Siedlungsverbandes Ruhrkohlenbezirk, nach einem Vortrag der Verbandsleitung am 20. Juli 1926 vor dem Wohnungsausschuß des Preußischen Landtages, S. 4. 17 Gesetz vom 29.7.1922, PrGS S. 213. 18 Küppers I Lundgreen I Weingart, S. 32; näher dazu Neufang, DÖV 1963, 812 (817). 19 Neufang, ebenda, S. 816. 20 Körber, Geographische Rundschau 17 (1965), 215 (216 f). 21 S"IIR (Hg.), Gebietsentwicklungsplan 1966, S. 63. 22 Knabe I Mellinghoff I Meyer I Schmidt-Lorenz, Schriftenreihe SVR Nr. 22 (1968). 23 Hirt, Schriftenreihe SVR Nr. 30 (1970).

24 Vgl. etwa Mellinghoff I Stolzenwald, Die Naherholungswälder des Ruhrgebiets, Schriftenreihe SVR Nr. 26 (1969). 25 Küppers I Lundgreen I Weingart, S. 32; im Vorwort zu SVR Nr. 22 weist Verbandsdirektor Neufang ausdrücklich auf die Landschaftspflege als Aufgabe des SVR hin.

48

Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

finden. 26 Der Gebietsentwicklungsplan 1966 postulierte insbesondere die intensive Förderung des öffentlichen Nahverkehrs27 , befaßte sich aber auch mit dem Straßen- und Eisenbahnnetz sowie den künstlichen Wasserstraßen; die Errichtung eines Großflughafens wurde "wegen der damit verbundenen Lärmbelästigung" abgelehnt. 28 Zudem sah der Gebietsentwicklungsplan die Erstellung eines Generalverkehrsplans vor. Im Jahre 1967 legte der SVR dann unter dem Titel "Generalverkehrsplan Ruhrgebiet" sowohl eine vierbändige Untersuchung "Öffentlicher Personenverkehr•29 als auch eine zweibändige Analyse zum "Individualverkehr•30 vor.

bb) Waldsterben und Luftreinhaltung Das Problem der Luftverschmutzung stellte sich zweifellos im Ruhrgebiet besonders drängend.3 1 Bereits vom 15. März 1954 stammt eine Schrift des Verbandsdirektors des SVR Kegel zur Luftreinhaltung;32 sie gilt als der erste in der Bundesrepublik bekanntgewordene Vorschlag zur gesetzlichen (Neu-)Regelung der Reinhaltung der Luft.33 Dabei wurde an eine -bereits mit Beschluß der Verbandsversammlung vom 28.10.1924 vom SVR in Auftrag gegebene34- "Denkschrift über die Walderhaltung im Ruhrkohlenbezirk" von 26 Vgl. die Studie des SVR-Beigeordneten Hansing, Der SVR und seine verkehrstechnischen Arbeiten, Schriften der Volkswirtschaftlichen Vereinigung im rheinisch-westfälischen Industriegebiet, Heft 3, Jena 1924. 27 Schriftenreihe SVR Nr. 5, S. 46; schon der Aufgabenkatalog von 1920 nannte in§ 1 I 3 Nr. 2 GVbO "die Förderung des Kleinbahnwesens, insbesondere des zwischengemeindlichen Verkehrs, im Verbandsgebiete"- vgl. dazu Neufang, DÖV 1963, 812 (816). 28 Schriftenreihe SVR Nr. 5, S. 45- 55. 29 Wehner, Schriftenreihe SVR Nr. 7- 10 (1967). 30 Mäcke I Hölsken, Schriftenreihe SVR Nr. 11 u. 12 (1967). 31 Die Smog-Katastrophe im Ruhrgebiet vom Dezember 1962 zeigte S02-Spitzenbelastungen von 5 mg/qm (H. - J. Luhmann, Das Parlament Nr. 40-41 v. 30.9. /7.10.1988, S. 18 Sp. 2); dementsprechend erließ NRW bereits 1962 ein LlmSchG, während die anderen Bundesländer erst in den Jahren 1966-74 folgten (Nachw. bei Kloepfer, Umwe1trecht, § 7 Rnr. 7). 32 Kegel, Die Luft im Industriegebiet muß sauberer werden!, Essen, den 15.3.1954, abgedr. als Anhang zu !PA-Drucks. Nr. 20 v. 3.6.1954. 33 Glagow/Murswieck, APuZ B 27 v. 3.7.1971, S. 3 (10 Fn. 53) unter Hinweis auf !PADrucks. Nr. 20 vom 3.6.1954; auf diesen Vorschlag bezieht sich offenbar auch Margedant, APuZ B 29 V. 18.7.1987, s. 15 (16). 34 SVR (Hg.), Bisherige Tätigkeit des Ausschusses für Rauchgasbekämpfung beim SVR (1928), S. 5; vgl. auch Margedant, APuZ B 29 v. 18.7.1987, S. 15 (16).

49

B. Nicht-regierungsamtliche frühe Ansätze

192735 angeknüpft.36 Zudem war bereits 1928 ein Bericht über die "Bisherige Tätigkeit des Ausschusses für Rauchbekämpfung beim SVR "37 veröffentlicht worden, der die Ursachen des Sterbens der Wälder im Ruhrgebiet untersuchte. Die "den Pflanzen so schädliche schweflige Säure aus den Rauchgasen von Feuerungsanlagen" 38 sei es - so der Bericht -, die "die Tannenwälder verwüstet", wobei hinzugefügt wird, "daß es bis jetzt kein Mittel gibt, diese Säure aus den Verbrennungsgasen auszuscheiden"39, weshalb man die alleinige Lösung des Problems im Pflanzen "säurefester Baumarten"40 erblickte. 41 Beachtenswert an alledem sind weniger inhaltliche Aussagen, als vielmehr die überraschend frühe Beschäftigung des SVR mit dem Phänomen des Waldsterbens überhaupt. Die These H. - J. Luhmanns, das Thema "Waldsterben" sei erst durch eine Artikelserie des Nachrichtenmagazins Der Spiegel vom November 1981 entdeckt worden, 42 ist danach in ihrer Allgemeinheit ebenso unzutreffend wie der vom BGH in den achtziger Jahren geprägte Begriff der "neuartigen Waldschäden" .43 Richtig daran ist nur, daß das Problem des Waldsterbens auf breiter Front erst seit den achtziger Jahren diskutiert wird, 44 zu diesem Zeitpunkt also für die öffentliche Meinung "entdeckt" worden ist. Bei seiner Initiative zur Luftreinhaltung aus dem Jahr 1954 stellte Verbandsdirektor Kegel mit Blick auf die "gesundheitlichen Schäden an den Menschen" und die "häßlich" werdende Landschaft fest, die 35 36 37 38 39

SVR (Hg.),

1927.

SVR (Hg.),

1928.

40

SVR, ebenda.

Margedant, APuZ B 29 v. 3.7.1987, S.

15 (16).

SVR, ebenda, S. 11 , 14, 16 - Teilabdruck auch bei Andersen I Brüggemeier, S. SVR (Hg.), 1928, S. 16 -abgedruckt auch bei Andersen I Brüggemeier, S. 74.

73.

41 Eingehend zum Ganzen Spelsberg, S. 119 f, und Andersen I Brüggemeier, S. 73 ff Geweils mit Zitaten aus den SVR-Publikationen); Margedant, APuZ B 29 v. 18.7.1987, S. 15 (16); Wey, 118 ff. 42 Warum hat nicht der Sachverständigenrat für Umweltfragen, sondern der SPIEGEL das Waldsterben entdeckt?, in: Altner u.a. (Hg.), Jahrbuch Ökologie 1992 (1991), S. 292 ff; ebenso bereits ders. , Das Parlament Nr. 40-41 v. 30.9. /7.10.1988, S. 18 Sp. 6; auch im Detail ist Luhmanns Aussage insofern unzutreffend, als andere Zeitungen vor dem "Spiegel" das Thema aufgriffen: SZ v. 7.7.1981; Die Welt v. 9.9.1981; hingegen "Der Spiegel" v. 16.11.1981 (Margedant, APuZ B 29 v. 18.7.1987, S. 27 fFn. 54).

s.

43 BGH, NJW

1988, 478 - Waldschadensurteil.

44 Nach v. Osten, HdUR I, Sp. 568 (577) werden die Waldschäden seit 1982 beobachtet, die Umweltforschung beschäftigt sich damit verstärkt seit 1984 (Sp. 573 f) ; vgl. zur juristischen Diskussion insbes. Breuer I Kloepfer I Marburger I Sehröder (Hg.), Waldschäden als Rechtsproblem, UTR Bd. 2 (1987). 4 Vierhaus

50

Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

Luftverschmutzung habe sich durch Verfeuerung feingemahlener Staubkohle sowie das dauernde Anwachsen der Stahlerzeugung und den damit verbundenen Anstieg des Koksverbrauchs ständig erhöht; zu dem Problem der erheblichen Staub- und Rußmassen aus der Luft kämen Schwierigkeiten bei der Unterbringung von Aschen, Schlacken und Schutt der lndustrie.45 Abhilfe sollten daher am Vorbild des Wasserbewirtschaftungskonzeptes orientierte Genossenschaften zur Luftreinhaltung schaffen, 46 ein Gedanke, den Kegel Anfang der 60er Jahre noch einmal in die Diskussion um ein nordrheinwestfälisches lmmissionsschutzgesetz47 einbrachte;48 auch wurde der Vorschlag bei der Formulierung eines Initiativantrages zur Verschärfung des Luftreinhalterechts durch den Landtagsabgeordneten Schmidt, der später Mitglied der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft war, 49 aufgegriffen, den dieser 1955 an die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen gerichtet hatte.so Schließlich sah der Gebietsentwicklungsplan 1966 des SVR vor, die Luftbelastung solle durch "siedlungsstrukturelle Maßnahmen entscheidend herabgesetzt werden. "51

2. Die Wasserverbände des Ruhrgebiets

Die zeitliche Priorität umweltbezogener Problemlösungsversuche im industriellen Ballungsraum Ruhrgebiet52 zeigt sich auch in der Frage der Abwasserreinigung und -beseitigung. 53 Bereits lange vor Gtiindung der Bundesrepublik wurden hier Maßnahmen zur Reinigung der mit Schadstoffen extrem belasteten Flüsse durch kommunale Wassergenossenschaften und -ver45 Kegel (1954); Margedant, APuZ B spruch seitens des BOI hin.

27 v. 18.7.1987, S. 15 (16) weist insofern auf Wider-

46 Kegel (1954), S. 4; dazu Wey, S. 182; zu den Wassergenossenschaften unten Teil 1 BI 2. 47 Gesetz zum Schutz vor Luftverunreinigungen, Geräuschen und ähnlichen Umwelteinwirkungen (LimSchG) v. 30.4.1962, GVBI. NW S. 225. 48 Wey , S. 189. 49 Vgl. /PA, Liste der ordentlichen Mitglieder, Stand: 15. März 1958, S. 03 /4; vgl. eingehend zur IPA unten Teil 1 B II. 50 Wey, S. 184; vgl. auch Margedant, APuZ B 27 v. 18.7.1987, S. 15 (17). 51 SVR (Hg.), Gebietsentwicklungsplan 1966, S. 66.

52 Vgl. Wey , S.

16.

53 Einführend dazu Borscheid, Energie und Wasserwirtschaft, in: W. Kohl (Hg.), Westfälische Geschichte, Bd. 3 (1984), S. 396 ff.

B. Nicht-regierungsamtliche frühe Ansätze

51

bände durchgeführt. 54 Die Initiative zur Bildung dieser Zweckverbände ging von Aufsichtsbehörden, Kommunen, Wasserwerken oder Bürgern aus;55 Mitglieder waren - der genossenschaftlichen Struktur entsprechend - einerseits die Anliegergemeinden als Genossen und andererseits die Beitragspflichtigen, also die gewerbliche Wirtschaft. 56 Zwar stellte § 246 des in weiten Teilen Deutschlands bis 1957 geltenden Preußischen Wassergesetzes (PrWG)57 jedenfalls für die nach 1913 gegründeten Verbände ein ausreichendes Verfahren zur Verfügung, 58 in sämtlichen Fällen wurden jedoch durch den Landtag Sondergesetze zur Gründung der jeweiligen Wassergenossenschaft erlassen. 59 Vorbildcharakter hatte auch die 1904 gegründete Emschergenossenschaft. 60 Im Mittelpunkt ihrer verstärkten Gewässerschutzbemühungen standen Fragen der Vorfluterverhältnisse und der Abwasserklärung; die Verbesserung der Klärung gelang insbesondere durch die Erfindung des sog. Emscherbrunnens, einer kombiniert biologisch-mechanischen Kläranlage, durch den technischen Leiter der Genossenschaft. 61 Von Bedeutung war zudem der Bau großer Kläranlagen wie der "Alten Emscher" bei Duisburg von 1928 bis 1952. 62 Der Emschergenossenschaft folgten die Linksrheinische Entwässerungsgenossenschaft (1913)63 sowie die Genossenschaften zur Bewirt-

54 Eingehend Wey, S. 77- 101; vgl. zur geschichtlichen Entwicklung des Wasserverbandsrechts Löwer, in: Achterberg I Püttner (Hg.), BesVerwR I, Kap. 2 I 6 Rnr. 1041 - 1061. 55 Wey, S. 86. 56 Wey, S. 80. 57 PrWG v. 7.4.1913 (PrOS S. 53); die §§ 206-283 enthielten Bestimmungen über das Recht der Wassergenossenschaften; vgl. zum PrWG auch Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip (1984), S. 153 f. 58 Vgl. Wey, S. 96.

59 Domheim, Wasser- und Bodenverband, in: Kimminich I v. Lersner I Storm, HdUR II, Sp. 1100 (1102); eingehend ders. , Das Recht der Wasser- und Bodenverbände, 2. Auf!. (1980);

ferner Wey, S. 86. 60 Gesetz, betreffend Bildung einer Genossenschaft zur Regelung der Vorflut und zur Abwässerreinigung im Emschergebiet v. 14.7.1904 (PrOS S. 175), i.d.F. v. 7.11.1961, GVBI. NW S. 325; dazu Wey, S. 52; vgl. zu ersten Ansätzen einer Abwasserbeseitigung und -reinigung im 19. Jh. Brüggemeier, in: Niethammer u.a. (Hg.), Bürgerliche Gesellschaft in Dtld. (1990),

s. 275-284. 61

Wey, S. 78 f .

62 Wey, S.

85.

63 Entwässerungsgesetz für das linksrheinische Industriegebiet v.

29.4.1913 (Pr. GS S. 251).

52

Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

schaftung der Ruhr (1913),64 der Lippe (1926),65 der Niers (1927)66 und der Wupper (1930).67 Dabei ging im Ruhrverband von 1913 auch der die "Förderung von Talsperrenanlagen im Niederschlagsgebiet der Ruhr" (§ 1 der Vereinssatzung) bezweckende Ruhrtalspe"enverein auf,68 ein bereits am 15.4 .1899 durch die privaten und städtischen Wasserwerke sowie sämtliche Triebwerksbesitzer zwischen Herdecke und Ruhrort gegründeter freiwilliger Zusammenschluß.69 Im Jahre 1937 erfolgte eine reichseinheitliche Regelung der Wassergenossenschaften durch die auf das Gesetz über Wasser- und Bodenverbände70 gestützte erste Wasserverbandsverordnung (WVV0). 71 Die Sondergesetze zur Gründung der Wassergenossenschaften und -verbände sind jedoch teilweise bis heute für die Rechtsform dieser Körperschaften maßgeblich.72 In die Zeit nach 1945 fallt die Gründung des Großen Erftverbandes.13 Insgesamt bleibt jedoch festzustellen, daß bei den Wassergenossenschaften seit jeher der Bewirtschaftungsgedanke im Vordergrund stand, sie also nicht als Vorreiter eines modernen Umweltschutzes fungierten.

3. Zweck- und Wasserverbände als Teil staatlicher Verwaltung Von entscheidender Bedeutung für die Untersuchung ist schließlich die Frage, ob die umweltpolitischen Anstöße der Zweck- und Wasserverbände, namentlich des SVR, dem staatlichen oder dem gesellschaftlichen Bereich zuzuordnen sind. Nur einen vagen Anhaltspunkt liefert der Umstand, daß es sich

64 Ruhrreinhalb.mgsgesetz v. 5.6.1913 (PrGS S. 305), i.d.F. v. 7.11.1961 (GVBI. NW s. 325). 65 Gesetz v. 19.1.1926 (PrGS S. 13), i.d.F. v. 7.11.1961 (GVBI. NW S. 325). 66 Gesetz v. 2.7.1927 (PrGS S. 139). 67 Vgl. im einzelnen Wey, S. 86- 101. 68 Ruhrtalsperrengesetz v. 5.6.1913 (PrGS S. 317), i.d.F. v. 7.11.1961 (GVBI. NW S. 325). 69 Kluge I Schramm, Wassernöte, S. 160, 178 f; vgl. zum Ruhrtalsperrenverein auch Borscheid, S. 401. 70 Wasserverbandsgesetz v. 10.2.1937, RGBI. I S. 188. 71 Erste Verordnung über Wasser- und Bodenverbände v. 3.9.1937, RGBI. I S. 933. 72 Domheim, HdUR II, Sp. 1100 (1102). 73 Gesetz über den Erftverband v. 3.6.1958 (GVBI. NW S. 253); zur Verfassungsmäßigkeit vgl. BVerfGE 10, 89.

B. Nicht-regierungsamtliche frühe Ansätze

53

bei Zweckverbänden um öffentlich-rechtliche Körperschaften handett.74 Auch die gerade staatsfrei zu haltenden Rundfunkanstalten sind als Körperschaften öffentlichen Rechts strukturiert. Auszugehen ist vielmehr von der Regelung in § 1 1 2 GVbO, wonach dieses Gesetz die Aufgaben auf kommunalem Gebiet (Selbstverwaltungsangelegenheiten) und auf staatlichem Gebiet (Auftragsangelegenheiten) bestimmt. Die in dieser Vorschrift der GVbO von 1920 erkennbare Qualifikation der Selbstverwaltungsangelegenheiten als nichtstaatliches Handeln ist inzwischen grundsätzlich überholt, sieht man einmal von kommunal- und landesverfassungsrechtlich begründeten Besonderheiten in Bayern ab. 75 Wenn Carlo Schmid im Parlamentarischen Rat mit Blick auf das alte antagonistische Verständnis von Gemeinden und Staat forderte, "die Gemeinden in ganz anderer Weise als bisher zu allgemeinen Trägem der ersten Stufe der Obrigkeit zu machen", 76 wollte er damit die Kommunen in den vertikalen Staatsaufbau inkorporieren. Daß das Grundgesetz dem gefolgt ist, macht die- in Abkehr zu Art. 127 WRV zu lesende77 - Systematik des Art. 28 GG, insbes. die Erstreckung des Homogenitätsprinzips in Absatz 1 Satz 2 auf die Gemeinden deutlich. Stellt das BVerfG in seinem Beschluß über den Volksentscheid im Lande Baden fest, das Verfassungsgebot der staatsfreien Willensbildung des Volkes gelte nicht nur für die Landesregierung, sondern ebenso für Gemeinden und Gemeindeverbände,78 so ordnet auch das Gericht diese dem Staat zu. Auch die Gemeindeordnungen der Länder sehen die Gemeinden als "in den Staat eingeordnete Gemeinwesen" ,79 als "Glied des demokratischen Staates•80 an. Ist also davon auszugehen, daß der Rechtsstatus

74 Vogelsang I Lübking I Jahn, Rnr. 709; § 1 I 2 GVbO (PrGS 1920 S. 286) stellt dies für den SVR ausdrücklich fest. 75 Die Verortung der bayerischen Gemeinden außerhalb des eigentlichen Staatsaufbaus könnte sich dort u.U. auf Art. 10 III, 11 III BayVerf sowie Art. 109 GO stützen. 76 Zit. nach Jahrbuch des Öffentlichen Rechts in Deutschland, Neue Folge, Bd. 1 (1951),

s. 254.

77 Art. 127 WRV, der das Recht der gemeindlichen Selbstverwaltung enthielt, war im 2. Hauptteil "Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen" enthalten, gab den Gemeinden also ein Abwehrrecht gegen den Staat, der damit als etwas von den Gemeinden zu Unterscheidendes angesehen wurde. 78 BVerfGE 37, 84 (91) 79 § 1 I 1 saarl. Kommunalverwaltungsgesetz v. 15.1.1964 i.d.F. der Bek. v. 18.4.1989, Amtsbl. S. 123. 80 § 1 I ba.-wü. Gemeindeordnung i.d.F. v. 3.10.1983, GBI. S. 578; ebenso § I I rh.-pf. GemO.

54

Teilt Die Etablierung des Umweltschutzes

der Gemeinden und Kreise innerhalb der "organisierten Staatlichkeit" liegt, 81 so gilt dies auch für den Zweckverband, ist dieser doch nichts anderes als ein Zusammenschluß kommunaler Körperschaften zu einem rechtsfähigen Kommunalverband zwecks gemeinsamer Wahrnehmung bestimmter kommunaler Aufgaben. 82 Speziell in bezug auf den SVR sprechen noch zwei andere Erwägungen für eine Verortung im staatlichen Bereich. Zum einen ging, wiegezeigt, die eigentliche Initiative zur Gründung des Verbandes von Hauptverwaltungsbeamten - also Angehörigen der Exekutive - aus. Zum anderen ist bei einer enormen flächenmäßigen Ausdehnung, 83 wie sie der sich über das gesamte Ruhrgebiet erstreckende SVR aufweist, der Bezug zur örtlichen Gemeinschaft, der eventuell für eine Zuordnung zum gesellschaftlichen Bereich sprechen könnte, äußerst gering. Mit der Literatur ist der SVR, geht man einmal von der Unterscheidung Staat I Gesellschaft aus, nach alledem dem staatlichen Bereich zuzuordnen, 84 nämlich der staatlichen Administration. Die vorstehenden Überlegungen sind auf die Wasserverbände übertragbar, die in der Literatur "zum staatlich-administrativen Bereich" gezählt werden. 85 Auch sie sind Körperschaften des öffentlichen Rechts (vgl. § 1 WVVO). Strukturell weisen die Wasser- und Bodenverbände Parallelen zu den Zweckverbänden auf. 86 Zudem wird das Gründungsverfahren stets von Amts wegen eingeleitet, wobei die Aufsichtsbehörde (Landkreis, kreisfreie Stadt) Gründungsbehörde ist, 87 was für die Einordnung als Impuls aus der Exekutive spricht.

81 Schröder, in: Achterberg I Püttner (Hg.), BesVerwR ß (1992), Kap. 5 /1 Rnr. 5, der damit eine bekannte Formulierung aus der Parteien-Rspr. des BVerfG aufgreift, wonach das Staatsfreiheitsprinzip jede Einfügung der Parteien "in den Bereich der organisierten Staatlichkeit" verbietet (BVerfGE 20, 56, 102); ebenso i.Erg. die Schaubilder Staat I Gesellschaft bei Wey, S. 206 u. Mrass, in: Buchwald I Engelhard (Hg.), S. 140 f. 82 Dittmann, in: Achterberg I Püttner (Hg.), BesVerwR U (1992), Kap. 5 /3 Rnr. 264. 83 Zu diesem Kriterium der Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft vgl. Vogelsang I Lübking I Jahn, Rnr. 62 unter Hinweis auf BVerfGE 79, 126 (151). 84 Wey (S. 206) ordnet in seiner Zweiteilung die Gemeindeverwaltungen nicht der "Gesellschaft", sondern dem "staatlichen Bereich" zu; ebenso Hartkopf I Bohne (S. 131) in ihrem "Aktorensystem der Umweltpolitik". 85 Statt aller Rapsch, DÖV 1992, 657 (664). 86 Domheim (1980), S. 29 Fn. 28 m.w.N.; eingehend zur Rechtsnatur der Wasserverbände Weller, Aufgaben, Organisation und Finanzierung der Wasser- und Bodenverbände (1991). 87 Domheim (1980), S. 28.

B. Nicht-regierungsamtliche frühe Ansätze

55

II. Thematisierung der Ressourcenproblematik durch die Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft für naturgemäße Wirtschaft 1. Entstehung und Mitgliederstruktur der IPA

Schon im Jahr 1952 gründeten Abgeordnete aller Länderparlamente sowie des Bundestages die "Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft für naturgemäße Wirtschaft"88 als Arbeitskreis der sich vor allem mit parlamentsrechtlichen Fragen befassenden IPA_89 Es handelte sich dabei um eine Initiative quer durch die Fraktionen,90 bei der Sachprobleme im Vordergrund standen91 und die Abgeordneten jenseits parteipolitischer Profilierungsinteressen arbeiteten.92 Unter den 73 !PA-Mitgliedern, die die Mitgliederliste für Anfang 1953 ausweist, befanden sich lediglich zwei Bundestagsabgeordnete;93 somit dominierten eindeutig die Abgeordneten der Länderparlamente, wobei rund die Hälfte der Mitglieder aus Hessen, Baden-Württemberg und Bayern Ge 12) stammten. Auffällig ist, daß die Abgeordneten der Stadtstaaten Berlin (9) und Bremen (7) überrepräsentiert waren, während Nordrhein-Westfalen (3) - angesichts des erhöhten Problemdrucks überraschend - stark unterrepräsentiert war. 94 Der Anteil der Bundestagsabgeordneten am Mitgliederbestand der IPA,

88 Küppers I Lundgreen I Weingart, S. 102 sowie Malunat, APuZ B 29 v. 18.7.1987, S. 29 (30) und Wey, S. 156, bei denen sich allerdings die Bezeichnung "Interparlamentarische Arbeits-

gemeinschaft fiir naturgemäße Wirtschaftsweise" fmdet, die unzutreffend ist (vgl. etwa !PADrucks. Nr. 20 v. 3.6.1954). 89 Vgl. insbes. die Vorschriftensammlung: Recht und Organisation der Parlamente. Systematische Sammlung des Verfassungs- und Wahlrechts, der Geschäftsordnungen und aller sonstigen Materialien der Parlamente des Bundes und der Länder, der europäischen Institutionen und der Vereinten Nationen, hrsg. im Auftrag der IPA v. Wolfgang Burhenne unter Mitarbeit v. Carlo Würtenberger, Bd. 1-4 (Loseblatt) sowie die sog. !PA-Regeln von 1969: Antrag der Abg. Dr. Schmidt (Wuppertal), Bading, Mertes, Hirsch und Genossen zum Entwurf eines Gesetzes über Einsetzung und Verfahren von Untersuchungsausschüssen des Bundestages, BT-Drucks. V /4209. 90 Müller, APuZ B 47-48 v. 17.11.1989, S. 3 (6); Wey, S. 156. 91 Glagow I Murswieck, APuZ B 27 v. 3.7.1971, S. 3 (10). 92 Müller, B 47-48 v. 17.11.1989, S. 3 (6). 93 MdB Fürst Fugger v. Glött und MdB Ruhnke, die aber interessanterweise den Vorsitzenden und deren Stellvertreter stellten. 94 Vgl. die Mitgliederliste vom 8.2.1953.

56

Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

die damit anfangs eine Länderinitiative war, erhöhte sich kontinuierlich,95 so daß der Zusammenschluß später zutreffend als "Brücke zwischen Bund und Ländern "96 gekennzeichnet wurde. Während der fünfziger Jahre standen an der Spitze der IPA W. Burhenne (Geschäftsführer), MdB Fürst Fugger v. Glött (Vorsitzender) sowie MdB Ruhnke (stellv. Vorsitzender).97 Eine Rolle bei der gesetzgebungsberatenden Tätigkeit der IPA spielte u. a. der Bundestagsabgeordnete Dr. 0. Schmidt (CDU) aus Wuppertal. 98 Mitglied der IPA war Anfang der 70er Jahre auch MdB H. Gruhl,99 der 1975 durch sein Buch "Ein Planet wird geplündert• 100 bekannt wurde und 1978 aus der CDU austrat und die ÖDP gründete.101

2. Ziele und Tätigkeit der IPA im Umweltbereich

a) Die "Grundsätze für eine naturgemäße Wirtschaft" Am 7. Februar 1953 beschloß die Vollversammlung der IPA ihre "Grundsätze für eine naturgemäße Wirtschaft". In diesem Zielkatalog der IPA 102 fmdet sich das folgende, überraschend aktuelle Programm einer auf die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen gerichteten Politik:

"Alles, was der Mensch benötigt, beruht auf der Nutzung der natürlichen Hilfsquellen der Erde. (... ) Die Begrenztheit der erschöpfbaren Mittel erfordert sparsamsten Verbrauch. Mit den sich erneuernden Hilfsquellen muß eine naturgemäße Wirtschaft betrieben werden, so daß sie nach dem Grundsatz der Nachhaltigkeil auch noch von den kommenden Generationen für die Deckung des Bedarfs der zahlenmäßig zunehmenden Menschheit herangezogen werden 1954 waren nur ein Drittel der Mitglieder MdB, 1966 bereits fast die Hälfte (vgl. die IPAMitgliederlisten v. 15.6.1954 bzw. 20.12.1966). 96 So 0. Schmidt, Das Parlament Nr. 35-36 v. 30.8.1969, S. 16, der selber IPA-Mitglied war (vgl. IPA-Mitgliederliste v. 20.12.1966). 97 Vgl. die IPA-Mitgliederlisten 1954- 1958. 98 So gilt der maßgeblich von ihm initiierte Entwurf eines Detergentiengesetzes (vgl. Wey, S. 178) insoweit als "welterste Vorlage" (Burhenne I Kehrhahn, S. 324 f Fn. 3). 99 Vgl. IPA-Mitgliederliste v. 1.1.1973. 100 Gruhl, Ein Planet wird geplündert. Die Schreckensbilanz unserer Politik (1975). 101 Vgl. Müller, S. 81. 102 Wey, S. 156. 95

B. Nicht-regierungsamtliche frühe Ansätze

57

können. Nutzung und unzureichende Pflege verursachten bisher Schäden. Da die HUfsquellen jedoch in unmittelbarem Wirkungszusammenhang stehen, kann schon die Schädigung eines Teiles das Gleichgewicht im Gesamthaushalt der Natur nachhaltig stören. (... ) Unbedachte Nutzung der natürlichen Hilfsquellen, also Verbrauch, der mit ihrer Erneuerung nicht Schritt hält, beeinträchtigt die Lebensmöglichkeiten (... ). Politische Pflicht ist es deshalb, mit Maßnahmen im Sinne naturgemäßer Wirtschaft die Lebensgrundlagen zu schaffen und zu sichern. •103 Diese Grundsätze machen die Begrenztheit der natürlichen Ressourcen zum Ausgangspunkt und nehmen mit dem Erfordernis des "sparsamsten Verbrauchs" den Gedanken der Ressourcenökonomie 104 vorweg, der in die Gesetzgebung erst in den siebziger und achtziger Jahren eingeflossen ist (vgl. EnEG,l05 § 5 I Nr. 4 BlmSchG,106 § 2 I Nr. 3 BNatSchG,l07 § 3 II 3 AbfG, 108 § 1 a II WHG109). Der ursprünglich aus dem preußischen Forstrecht stammende sog. Grundsatz der Nachhaltigkeit110- heute in den§§ 1 I, 2 I Nr. 3 BNatSchG, § 1 Nr. 1 BWaldG positiviert- wird im Interesse der "kommenden Generationen" in den !PA-Grundsätzen ausdrücklich postuliert. Besondere Beachtung verdient freilich die frühe Erkenntnis des "Gleichgewichts im Gesamthaushalt der Natur" und damit des Zusammenhängens der Umweltfaktoren. Die Terminologie dieser Erklärung, insbes. der Topos der "natürlichen Hilfsquellen", 111 läßt es als denkbar erscheinen, daß die IPA durch die vier 103 Beschluß der Vollversammlung der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft, 7. Februar nach Burhenne I Kehrhahn, S. 324 Fn. 1.

1953, zit.

104 Vgl. dazu Kloepfer, Umweltrecht, §

1 Rnr. 26, § 6 Rnr. 75; § 10 Rn. 11. 22.6.1976, BGBI. I S. 1873.

105 Gesetz zur Einsparung von Energie in Gebäuden v.

106 Das Abwärmenutzungsgebot dient der Energieeinsparung (Kloepfer, Umweltrecht, § 8 Rn. 74) und wurde durch Art. 1 des Zweiten ÄndG v. 4.10.1985, BGBI. I S. 1950 eingeführt. 107 Neufassung auf Grund des Art. BGBI. I S. 2349. 108 § 3 li 3 des neuen AbfG v. sonstigen Entsorgung."

2

des ErstenG zur Änd. des BNatSchG v.

27.8.1986 lautet

:"Die Abfallverwertung hat Vorrang vor der

109 Mit dem 5. ÄndG v. 25.7.1986 (BGBI. I S. "sparsamen Verwendung des Wassers" eingeführt. 110 Kloepfer, Umweltrecht, §

10.12.1986,

1165)

wurde eine Jedermann-Pflicht zur

3 Rn. 23.

111 Dieser Begriff entwickelte sich zu einem typischen IPA-Begriff, der auch in der Burhennesehen Vorschriftensammlung "Raum und Natur" (später: "Umweltrecht") bis heute verwendet wird (dazu sogleich unten Teil 1 B li 2 b dd).

58

Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

Jahre vorher, nämlich am 5. Oktober 1948 mit Sitz (zunächst) in Brüssel gegründete Union internationale pour la conservation de la nature et de ses ressources (IUCN) 112 beeinflußt worden ist. Für einen derartigen Impuls spricht folgendes: Der Begriff der "natürlichen Hilfsquellen" stellt die exakte Übersetzung der in den offiziellen Sprachen der IUCN verwendeten Termini "ressources" (frz.) bzw. "natural resources" (engl.) dar.113 Der Gebrauch des Begriffes "Ressourcen" im Sinne von "natürliche Ressourcen I natural resources" war dem deutschen Sprachgebrauch zu dem Zeitpunkt, zu dem ihn die IPA bereits benutzte (1953), - und auch geraume Zeit danach - noch völlig fremd; Lexika von 1956 und sogar noch von 1969 geben für das Wort "Ressourcen" ausschließlich zwei Bedeutungen an, nämlich zum einen diejenige als Hilfsquellen i. S. v. "Geldmittel" und zum anderen diejenige als (veralteter) Name geselliger Vereinigungen.11 4 Daß die IPA den auffälligen Topos der "natürlichen Hilfsquellen" von der IUCN übernommen hat, liegt danach zumindest sehr nahe. Weitere terminologische Parallelen sind derart frappant, daß die Beeinflussung als sicher gelten kann. Dies gilt insbes. für die Entlehnung des Begriffspaares "renewable I exhaustible natural resources" aus dem IUCN-Statut, 11 5 die die IPA als "sich erneuernde I erschöpfbare natürliche Hilfsquellen" nicht nur in den Grundsätzen von 1953, sondern von Beginn an auch zur Systematisierung ihrer Vorschriftensammlung116 benutzt. Die IUCN nennt als "renewable resources" "soils, water, forests (and) wild life", die IPA die "sich erneuernden Hilfsquellen, wie Kulturboden, Wasser, Pflanzen- und Tierwelt". Ferner korrespondieren "economic, social (and) cultural reasons" mit den "wirtschaftlichen", "kulturellen und sozialen" Bereichen; wo die IUCN die Natur als gemeinsamen Nenner eines "spirituallife" preist, warnt die IPA für den Fall ihrer unbedachten Nutzung vor "geistigem 112 Die Satzung der IUCN v. 5.10.1948 in ihrem 1958 revidierten Wortlaut ist im französischen Original sowie in der deutschen Übersetzung aus Anlaß des Beitritts der Bundesrepublik am 17.4.1958 abgedr. im BAnz. Nr. 2 v. 6.1.1960, S. 1 ff; vgl. ferner den Abdruck derselben Fassung in englischer Sprache in Rüster I Simma, International Protection of the Environment, Vol. I (1975), S. 8 ff. 113 Vgl. den Parallelabdruck der IUCN-Satzung in englischer, französischer und deutscher Sprache in BGBI. 1985 ß S. 1048 - der Name der Organisation lautet auf deutsch "Union für die Erhaltung der Natur und der natürlichen Hilfsquellen"; Art. XVß der Satzung v. 4.10.1948 (BAnz. Nr. 2 v. 6.1.1960, S. 1 ff) legt Französisch und Englisch als "offiZielle Sprachen" fest.

114 Vgl. Stichwort "Ressourcen" in Der Grosse Brockhaus, 16. Aufl. (1956), Bd. 9, S. 691; Das Große Duden-Lexikon, 2. Aufl. (1969), S. 699 f.

115 Vgl. Text of the Constitution of the International Union for the Protection of Nature 1991, S. 16- 23.

(v. 5.10.1948), in: IUCN (Hg.),

116 Vgl. dazu näher sogleich unter Teil 1 B ß 2 b dd.

B. Nicht-regierungsamtliche frühe Ansätze

59

Verfall". Die Beispiele für Parallelen lassen sich fortsetzen.117 Die für den Beginn der siebziger Jahre in der Literatur vertretene These vom "Import" der Umweltpolitik und der Rezeption internationaler Aktivitäten118 läßt sich danach für die fünfziger Jahre- in abgeschwächter Form- in Bezug auf die frühe IPA-Umweltpolitik vertreten.

b) Die Arbeit der /PA Um diese Ziele den gesetzgebenden und vollziehenden Körperschaften nahezubringen, erarbeitete die IPA zu den entsprechenden von ihr festgelegten Themenbereichen11 9 Gutachten, Warnungen und vor allem Gesetzentwürfe. 120

aa) Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung

Hervorzuheben sind insbesondere die seit Gründung der IPA unternommenen Vorstöße zur Verbesserung des Zustandes der Luft, bei der die IPA zunächst den o.g. Vorschlag des SVR von 1953 einbezog.121 Der auf Nordrhein-Westfalen bezogene Entwurf für ein "Gesetz zur Reinhaltung der Luft in Industriegebieten" von 1954 sah die Bildung von Genossenschaften vor, in denen industrielle und gewerbliche Emittenten, Gemeinden und die zuständige Landesplanungsgemeinschaft zwecks Durchführung von Luftreinhalte-

117 Eng!. I dt. = IUCN v. 5.10.1948 IIPA v. 7.2.1953: "man's natural environrnent (... ) on which rests the foundation of human civilization" I "Alles. was der Mensch benötigt, beruht auf der Nutzung der natürlichen Hilfsquellen der Erde" - "standards of living are being depressed" I "beeinträchtigt die Lebensmöglichkeiten" - "exploiting these resources ( ...) becoming inadequate" I "Verbrauch, der mit ihrer Erneuerung nicht Schritt hält" - "wise and informed administration" I "naturgemäße Wirtschaft" - "the future peace" I "Friede bedroht" - "prosperity of mankind may be assured" I "Lebensgrundlagen zu schaffen und zu sichern". 118 Siehe dazu eingehend unten Teil 1 C III a. 119 Vgl. !PA-Drucksache Nr. 5, abgedr. bei Küppers I Lundgreen I Weingart, S. 103. 120 Küppers I Lundgreen I Weingart, S. 102 f; so weist der Abg. Prinz zu Sayn-WittgensteinHohenstein (CDU I CSU) in der ersten Umweltdebatte des BT am 16.12.1970 darauf hin, daß zu Fragen des Umweltschutzes dem BT von Seiten der IPA bereits "hervorragende Initiativen" vorgelegt worden seien (Stenogr.Prot., 6. WP, 87. Sitzg., S. 4817)- Sayn-Wittgenstein war von 1973-1980 Vorsitzender der IPA (vgl. Das Parlament Nr. 7-8 v. 7. 114.2.1992, S. 16). 121 IPA-Drucks. Nr. 20 v. 3.6.1954 - die Drucksache enthält neben dem Gesetzentwurf v. l.l0.1953 eine Stellungnahme des SVR-Verbandsdirektors Kegel, "Die Luft im Industriegebietmuß sauberer werden!" v. 15.3.1954.

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Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

maßnahmen zusammengeschlossen werden sollten. 122 Auf Bundesebene arbeitete man lange an einer gesetzlichen Konzeption zur Luftreinhaltung. Schließlich wurde nach Durchführung einer internen Sachverständigenanhörung123 am 25.4.1958 der Entwurf zur Änderung der aus dem Jahre 1869 stammenden Gewerbeordnung 124 und des BGB durch die IPA dem Bundestag vorgelegt. 125 Bereits im Vorfeld der parlamentarischen Beratung dieses Gesetzes war das Bedürfnis nach technisch-wissenschaftlicher Beratung entstanden, weshalb auf eine Anregung der IPA hinl26 und mit Zustimmung der Regierung am 7 .11. 1955 die VDI-Kommission Reinhaltung der Luft gegründet worden war; 127 der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) hatte sich bereiterklärt, dieses Gremium zu schaffen, das Unterlagen zur Reinhaltung der Luft erarbeiten und "in einem Richtlinienwerk dem Gesetzgeber, der Verwaltung und der Praxis vorlegen" sollte. 128 Auf der Grundlage des !PA-Entwurfs wurden dann auch im Jahre 1959 drei wesentliche Änderungen - sie betrafen die §§ 16, 25 GewO und § 906 BGB - vom Bundestag verabschiedet, die insbes. eine Verschärfung der Regelungen über die gefahrliehen Anlagen in der GewO bedeuteten. 129 Die Neuerungen betrafen im wesentlichen die gewerblichen Emissionen, ein später von der IPA eingebrachter Änderungsentwurf, der auch Emissionen durch Verkehr und private Haushalte einbezog, scheiterte hingegen. 130 Immerhin war aber auf dem Gebiet der Luftreinhaltung etwas in Bewegung geraten, wie der darauffolgende Erlaß der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen nach § 16 der Gewerbeordnung v. 4 .8.1960131 und der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft v. 8.9.1964132 zeigen.

122 §§ 1-3 des Gesetzentwurfs, !PA-Drucks. Nr. 20 v. 3.6.1954. 123 Glagow I Murswieck, APuZ B 27 v. 3.7.1971, S. 3 (10). 124 Gewerbeordnung für das Deutsche Reich v. 21.6.1869 - i.d.F. der Bek. v. 26.7.1900 (RGBI. S. 871). 125 Wey, S. 185. 126 Burhenne I Kehrhahn, S. 324 f Fn. 3. 127 Hanning, Umweltschutz und überbetriebliche technische Normung (1976), S. 82 m.w.N. 128 VDI-Kommission Reinhaltung der Luft, Aufgaben, Aufbau, Arbeitsergebnisse, Forschung

(1969), s. 3.

129 Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung und Ergänzung des Bürgerlieben Gesetzbuches v. 22.12.1959, BGBI. I S. 781; vgl. dazu näher Wey , S. 185 f. 130 Wey, S. 186. 131 BGBI. I S. 690. 132 GMBI. S. 433; vgl. auch unten Teil 1 C I.

B. Nicht-regierungsamtliche frühe Ansätze

61

Der IPA war es gleich, über welche Fraktion sie ihre Vorschläge in den Bundestag einbrachte. Es scheint zu einem nicht unerheblichen Anteil das Verdienst der Abgeordneten Dr. Otto Schmidt und Bading gewesen zu sein, sich immer wieder Abgeordnete oder Fraktionen gesucht zu haben, die sie bei der Einbringung von Gesetzesinitiativen unterstützten. So brachte man im Jahre 1964 zusammen mit den Fraktionen der CDU I CSU und der FDP den Entwurf eines Gesetzes über Vorsorgemaßnahmen zur Luftreinhaltungl33 sowie zusammen mit der SPD-Fraktion eine Initiative zugunsten von Richtlinien zur StVZO ein, 134 die im Zusammenhang mit einer !PA-Initiative zur Änderung von § 47 StVZO zwecks Entgiftung der Kfz-Abgase stand.l35 1965 folgte eine erfolgreiche Gruppeninitiative für einen von der IPA vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Baulärms, das der zunehmenden Gesundheitsbeeinträchtigungdurch Baulärm u. a. durch konstruktive Verbesserungen der Baumaschinen zur Lärmminderung entgegenwirken sollte. 136 Hingegen wirkten sich Vorarbeiten der IPA von 1965 für ein Fluglärmgesetz137 erst langfristig aus.138

bb) Gewässerschutz In den 60er Jahren engagierten sich die vergleichsweise wenigen IPAAbgeordneten139 besonders auch in Fragen des Gewässerschutzes : So legten sie 1960 zur Verbesserung der Trinkwasserqualität die "welterste Vorlage" 140

133 BT-Drucks. IV 12097; vgl. auch Ausschußdrucksache IV 145 des Ausschusses für Gesundheitswesen v. 3.12.1964, Archiv für christlich-demokratische Politik (im folgenden zit. : ACDP) vm 002 Nr. 045 1 6. 134 BT-Drucks. IV 12329; vgl. auch Ausschußdrucksache IV 144 des Ausschusses für Gesundheitswesen v. 3.12.1964, ACDP vm 002 Nr. 04516; an !PA-Mitgliedern waren neben Schmidt auch die Abg. Lange (Essen) beteiligt (vgl. IPA-Mitgliederliste v. 20.12.1966). 135 IPA-Drucks. Nr. 359 v. 6.11.1964, ACDP Vßi 002 Nr. 04516. 136 Protokoll über die Sitzung des Arbeitskreises VI der CDU I CSU-Fraktion am 23.2.1965, S. 3, ACDP Vßi 002 Nr. 04515 ; vgl. Gesetz zum Schutz gegen Baulärm v. 9.9.1965, BGBI. I

s . 1214.

137 Küppers I Lundgreen I Weingart, S.

103.

138 Vgl. Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm v. 139 Wey, S. 178.

30.3.1971, BGBI. I S. 282.

140 Burhenne I Kehrhahn, S. 324 f Fn. 3; das "Europäische Übereinkommen über die Beschränkung der Verwendung bestimmter Detergentien in Wasch- und Reinigungsmitteln" folgte erst 1968 (dazu: Burhenne, in: Sa/zwedel, Grundzüge (1982), S. 659 ff (670)).

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Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

eines Detergentiengesetzes 141 -es wurde 1961 Realitätl42 - sowie in den Jahren 1955, 1961, 1964 und 1965 Vorschläge zur Änderung des WHG vor.l43 Dabei wurde der als Gruppeninitiative eingebrachte Antrag des Jahres 1965 damit begründet, die bestehenden Vorschriften des WHG reichten zur Wiedergesundung und Gesunderhaltung der Flüsse und Bäche in absehbarer Zeit nicht aus; vielmehr seien einheitliche und verbindliche Maßstäbe für die Gewässerreinhaltung festzusetzen. 144 Hinzu kommt, daß sechs der elf schriftlichen Anfragen zum Thema Gewässerreinhaltung, die in der Legislaturperiode 1965-69 gestellt wurden, unter Beteiligung des !PA-Parlamentariers Schmidt zustandekamen. 145 Die Resultate der Bemühungen um die Gewässerreinhaltung waren jedoch äußerst gering.146 Immissions- und Gewässerschutz waren nicht die einzigen Schwerpunkte der IPA-Arbeit;147 vielmehr zählten dazu auch die Flurbereinigung (1953), die Kernenergie (1955- 57), der Verkehr (1960, 1967), der Naturschutz (1961) sowie die Wissenschaftsförderung (1966). 148

cc) Mitarbeit an der "Grünen Charta von der Mainau" Am 20. April 1961 verabschiedete ein Gremium aus Persönlichkeiten des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens und der Landschaftspflege anläßtich des fünften Mainauer Rundgesprächs die "Grüne Charta von der Mainau", 149 an der u.a. der Deutsche Rat für Landespflege150 und die IPA

141 Dazu näher Wey, S. 178 f. 142 Gesetz über Detergentien in Wasch- und Reinigungsmitteln v. 143 Burhenne I Kehrhahn, S. 324 f Fn. 3.

5.9.1961, BGBI. I S. 1653.

144 Protokoll über die Sitzung des Arbeitskreises VI der CDU I CSU-Fraktion am S. 2, ACDP Vill 002 Nr. 045 I 5. 145 Wey, S. 180. 146 Wey, S. 179. 147 So aberwohl Müller, APuZ B 47-48 v.

23.2.1965,

17.11.1989, S. 3 (6).

148 Küppers I Lundgreen I Weingart, S. 103. 149 Abgedr. in: Schriftenreihe des Deutschen Rates für Landespflege Heft 34 I

1980, S. 292 f.

150 Wey, S. 169 f. Beim "Deutschen Rat für Landespflege" handelte es sich um einen Zusammenschluß von Wissenschaftlern und Waldgroßgrundbesitzern. Zweifelhaft insofern Olschowy, in: ders., Narur und Umweltschutz in der Bundesrepublik Deutschland (1978), S. 7, wonach der Rat erst 1962 gegrundet worden sei.

B. Nicht-regierungsamtliche frühe Ansätze

63

mitwirkten.l5l Nicht die Umweltrechtswissenschaft, sondern diese Erklärung war es, die zuerst die Sicherung der "Umwelt" des Menschen - der Begriff wird wohl hier erstmalig von deutschen Autoren im Sinne von "natürliche Umwelt" 152 verwendet 153 -aus Sorge "um unser aller Schicksal" anging und damit als Schicksalsaufgabe begriff. Auch die frühe Verwendung des Begriffs der natürlichen Umwelt deutet im übrigen darauf hin, daß die IPA Impulse von der IUCN erhielt. 154 Auf der Grundlage der Art. 1, 2 und 14 II GG postulierte die Charta ein Menschenrecht "auf ein gesundes und menschenwürdiges Leben". Zum Aufbau und zur Sicherung einer gesunden Wohn-, Erholungs-, Agrar- und Industrielandschaft erhebt sie zwölf politische Forderungen, 155 die wegen ihrer teilweise noch heute hohen Aktualität überraschen. So wurden neben einer wirksamen Raumordnung und Landschaftsplanung ein nachhaltiger Landbau sowie die Erhaltung und Wiederherstellung eines gesunden Naturhaushaltes durch "Verhinderung vermeidbarer, landschaftsschädigender Eingriffe" und "Wiedergutmachung unvermeidbarer Eingriffe" gefordert- ein Modell, das die heutige Regelung des§ 8 BNatSchG fast vorwegzunehmen scheint. Besonders modern erscheint rückblickend die ausdrückliche Erwähnung von Boden- und Klimaschutz. Hinzuweisen ist im Kontext dieser Untersuchung ferner auf die geforderte "Umstellung im Denken der gesamten Bevölkerung durch verstärkte Unterrichtung der Öffentlichkeit", durch eine entsprechende Ausgestaltung des Erziehungs- und Bildungswesens sowie durch einen Ausbau der Forschung. Interessant ist schließlich, daß Technik und Wirtschaft als "unerläßliche Voraussetzungen unseres heutigen Lebens" ausdrücklich anerkannt werden.l56 Wie gering demgegenüber die öffentliche Beachtung der Charta war, belegt schon der Umstand, daß sie bis heute lediglich in der Schriftenreihe des Deutschen Rates für Landespflege (1980) selbst abgedruckt ist. Die Charta wurde damals von keiner namhaften gesellschaftlichen Organisation aufgegriffen und vermochte keine Wende im

151 Burhenne I Kehrhahn, S. 324 f Fn. 3; Küppers I Lundgreen I Weingan, S. 103. 152 Abschnitt ß der Charta; der Terminus "Umweltschutz" findet sich in der Charta hingegen noch nicht. !53 Wie hier Comelsen, S. 13; die IPA-Grundsätze von 1953 enthielten den Begriff nicht. 154 Der Begriff "natürliche Umwelt" taucht als Übersetzung von "milieu nature! de l'homme" aus der französischen Originalfassung der 1958 revidierten IUCN-Satzung bereits im BAnz. Nr. 2 v. 6.l.l960, S. 4 (vgl. zur IUCN oben Teil! B II 2 a), auf. !55 Abschnitt V der Charta. 156 Ebenda.

64

Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

öffentlichen Problembewußtsein herbeizuführen; sie blieb eine "Aktion über die Köpfe der Menschen hinweg" .157

dd) Edition der Vorschriftensammlung "Raum und Natur" Schließlich gibt die IPA bereits seit Sommer 1962 unter Federführung ihres langjährigen Geschäftsführers BurhenneiSS unter dem Gesamttitel "Raum und Natur" eine umfassende Sammlung von der Sache nach umweltrechtlichen Vorschriften des Bundes und der Länder heraus, wenngleich der Begriff "Umweltrecht" erst später geprägt wurde.l59 Der an die Grundsätze von 1952 anknüpfende, erstaunlich aktuellel 60 Kernsatz des Burhennesehen Vorworts lautete: "Nicht zuletzt müssen mit einer Mensch und Natur gerecht werdenden Ordnung auch die Lebensgrundlagen unserer künftigen Generationen gesichert und die Tatsache berücksichtigt werden, daß die Menschheit zahlenmäßig zunimmt. "161 Die heute sechsbändige, inzwischen unter dem Titel "Umweltrecht" erscheinende Sammlung baut in ihrer Systematik immer noch streng auf der Unterscheidung "sich erneuernder" und "sich nicht erneuernder Hilfsquellen" von 1952 auf.l62

3. Abgeordnetenmandat als staatliches Amt

Zu klären bleibt abschließend -um den Verlauf der Willensbildung feststellen zu können - die Frage, ob die umweltpolitischen Impulse aus der IPA dem staatlichen oder dem gesellschaftlichen Bereich zuzuordnen sind. Da es Wey, S. 169. Vgl. die Listen der ordentlichen Mitglieder der IPA für naturgemäße Wirtschaft von 1954 bis 1958. 159 Vgl. Stich, GeleilWort zur 100. Lieferung (1982), in: Umweltrecht. Systematische Sammlung der Rechtsvorschriften des Bundes und der Länder, hrsg. im Auftrage der IPA v. Wolfgang Burhenne, Ergänzungslieferung 4/91 Mai 1991, Bd. 1. 160 So dringt der Konnex Überbevölkerung I Umweltprobleme frühestens in den 80er Jahren in das allgemeine Bewußtsein - vgl. e!Wa E. U. v. Weiväcker, S. 112-128 - dort auch zum Brundtland-Bericht - oder die Anzeigenserie des BMU "Umwelt weilWeit zu schützen verlangt, Armut zu bekämpfen", FAZ Nr. 257 v. 5.11.1991, S. B 9. 161 Burhenne, Vorwort (1962), abgedr. in: Umweltrecht, hrsg. im Auftrag der IPA von dems., Ergänzungslieferg. 4/91 Mai 1991, Bd. 1. 162 Vgl. e!Wa Bd. 1, Inhaltsverzeichnis (Nachw. wie vorstehend). 157 158

B. Nicht-regierungsamtliche frühe Ansätze

65

sich bei der IPA um einen interfraktionellen Zusammenschluß von Abgeordneten handelte, ist an den Abgeordnetenstatus anzuknüpfen. Wenn Art. 48 II 1 GG vom "Amt" des Abgeordneten spricht, mag dies als mißverständlich angesehen werden. 163 Die Auslegung, die Art. 48 GG durch das BVerfG erfahren hat, ist hingegen deutlich: Zwar sei der Abgeordnete durch sein zur Hauptbeschäftigung gewordenes Mandat nicht "Beamter" geworden, er beziehe jedoch als "Inhaber eines öffentlichen Amtes" statt einer echten Aufwandsentschädigung ein Einkommen im Sinne einer Alimentation aus der Staatskasse. 164 Wenn das BVerfG diese Aussage in jüngerer Zeit relativiert hat, so bezieht sich dies auf die Gewährung eines verfassungsrechtlichen Anspruchs auf Vollalimentation, 165 nicht aber auf die Einordnung des Abgeordnetenmandats als öffentliches Amt. Auch die berechtigte Kritik am Diätenurteil richtet sich weniger hiergegen, als vielmehr gegen das - davon zu trennende - verfassungsgerichtliche Verständnis des Mandats als Hauptbeschäftigung und die damit verbundene Zementierung der "Politik als Beruf" (mit voller Versorgung) bei gleichzeitiger Abkehr vom Bild des im Leben stehenden Teilzeitabgeordneten.166 Ohne die Anerkennung des Mandats als öffentliches Amt wäre schließlich nicht zu erklären, daß der Abgeordnete überhaupt aus der Staatskasse versorgt wird - sei es durch Entschädigung oder durch Alimentation und daß er gern. § 12 AbgG eine "Amtsausstattung" erhält. Der Abgeordnete ist zudem ein mit eigenen Rechten (Art. 38 I 2 GG) ausgestatteter Teil des Verfassungsorgans Bundestag167 und dementsprechend im Organstreitverfahren antragsberechtigt i.S.v. § 63 BVerfGG. Ist der repräsentative verfassungsrechtliche Abgeordnetenstatus Grundlage für die repräsentative Stellung des Bundestages, der als "besonderes Organ" die Staatsgewalt ausübt, 168 so ist es konsequent, davon auszugehen, daß auch der Abgeordnete kraft seines

3. Aufl. (1991), Art. 38 Rnr. 70. 296 Ls. 1 - Diäten (Hervorhebg.v.Verf.). 165 BVerfGE 76, 256 (351 ff) - § 55 Beamtenversorgungsgesetz; vgl. zur Kritik beider Entscheidungen v. Mangoldt I Klein I Achterberg I Schulte, GG, 3. Aufl. (1991), Art. 48 Rnr. 45-49 m.w.N. 166 Kritisch dazu Kloepfer, DVBI. 1979, 378; Vierhaus, ZRP 1991, 468 (474) m.w.N. 167 Badura, in: BK, GG, Art. 38 Rnr. 33; Hamann I Lenz, GG, Art. 38 Anm. B 8; H. H. Klein, HdBStR II, § 41 Rnr. 1; Degenhart, Staatsrecht 1, Rnr. 404. 168 BVerfGE 80, 188 II Ls. 2 a- Wüppesahl. 163 So v. Mangoldt I Klein I Achterberg I Schulte, GG,

164 BVerfGE 40,

5 Vierhaus

66

Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

"öffentlichen Amtes" 169 öffentliche Gewalt ausübt.170 Somit ist der Abgeordnete zwar kein Beamter, sein Amt (Art. 48 II 1 GG) nach alledem aber "ein oberstes Staatsamt" . 171 Entsprechendes gilt -relevant für Teile der IPA - unter dem Homogenitätsgebot (Art. 28 I GG) auch in Bezug auf die Abgeordneten der Länderparlamente. 172 Die im Zentrum der IPA-Arbeit stehenden Bemühungen, über die in der IPA organisierten Abgeordneten ihre Ziele in das Gesetzgebungsverfahren einzubringen, bedeuten somit den Versuch, einen Willensbildungsprozeß innerhalb des Bereichs der organisierten Staatlichkeit in Gang zu setzen.

ID. Die Entwicklung der Umweltforschung 1. Der BegritT "Umweltforschung"

"Umweltforschung" ist die "Erforschung der Lebensbedingungen des Menschen und deren Veränderungen durch menschliche Eingriffe"1 73 -so die Definition des DFG-Senatsausschusses für Umweltforschung, die dieser als den seit 1970 geläufigen Sinn des Begriffs bezeichnet.174 Sie verdeutlicht, daß es sich nicht um eine methoden-, sondern eine problemorientierte Forschung handelt, genauer um die Zusammenfassung von Forschungen verschiedener Disziplinen zum gleichen, oben umschriebenen Untersuchungsgegenstand, 175

169 BVerfGE 40, 296 Ls. 1 S. 2; v. Münch, in: ders., GO-Kommentar Bd. 2 (1983), Art. 38 57 a; Hamann I Lenz, GO, Art. 38 Anm. B 8 a; H. H. Klein, HdBStR II, § 41 Rnr. 1. 170 Pieroth, in: Jarras I Pieroth, GO, Art. 38 Rn. 25 a. 171 Maunz, in: Maunz I Dürig, GO, Art. 38 Rnr. 8; von einem "staatlichen Amt" sprechen auch Mahrenholz, in: Stern (Hg.), 40 Jahre Grundgesetz, S. 93 ff (102) sowie K. Hesse, Stichwort "Abgeordneter" in: Ev. Staatslexikon, Bd. I , Sp. 11 (15); ähnl. Badura, in: BK, GO, Art. 38 Rnr. 33 ("dem Staat ... zuzurechnen"); Anschütz, Die Verf. des Dt. Reiches, 14. Aufl. (1933), Art. 21 Anm. 2. 172 So betrifft die o.g. Entscheidung BVerfGE 40, 296 die Diäten der saarländischen Landtagsabgeordneten; die Schaubilder bei Wey, S. 206, u. Mrass, S. 140 f, ordnen Bundestag und Rnr.

Länderparlamente ebenfalls dem "staatlichen Bereich" zu.

173 DFG-Mitteilungen 1973 Heft 2, S. 8. 174 DFG, Senatsausschuß für Umweltforschung (Hg.), Beiträge zur Umweltforschung (1976),

s. 11.

175 Hanf, Umweltprobleme - Betrachtungsweisen und methodische Ansätze, in: Umweltprobleme, Kieler Ringvorlesung 1975 /76 (1976), S. 1.

8. Nicht-regierungsamtliche frühe Ansätze

67

kurz: um eine typische Brücken- oder Querschnittswissenschaft.176 Das Umweltprogramm der Bundesregierung von 1971 steckte das forschungspolitische Ziel dahingehend ab, daß "alle Umweltbelastungen und ihre Wirkungen ( ... ) systematisch erforscht werden (müßten)"; ferner sei "eine Erfassung aller auf die Umwelt bezogenen Daten sowie deren Zusammenfassung und Aufbereitung in einem Informationssystem" erforderlich. 177 Heute wird neben den menschgemachten Umweltveränderungen die Erforschung "der komplexen Wechselwirkungen zwischen dieser künstlichen Umwelt und dem natürlichen Ökosystem" 178 betont. Das Ziel der Umweltforschung besteht insbes. darin, zunächst Wirkungsmechanismen und Reaktionsketten für Umweltschäden zu erkennen sowie Möglichkeiten und Grenzen von Wissenschaft und Technik bei der Sicherung und Wiederherstellung der Umwelt zu ermitteln.179 Umweltforschung wird dementsprechend unterteilt in ökologische Wirkungsforschung einerseits und umwelttechnologische Forschung andererseits. 180 Inhaltlich läßt sich die Umweltforschung nach dem jeweiligen Umweltmedium Luft, Wasser, Boden-, auf das sie Bezug nimmt, 181 sowie nach Teilgebieten, orientiert an der o. g. Zweiteilung und an den Wissenschaftsdisziplinen, unterscheiden: Ökologische Forschung, Klima- und Atmosphärenforschung, Gesundheitsforschung, Technikfolgenabschätzung, Umweltschutztechnologie etc.182 Der Versuch, den Terminus "Umweltforschung" in Bezug auf den Zeitraum vor 1970 als "Suchbegriff" zu verwenden, wirkt insofern leicht gekünstelt, als der Leitbegriff "Umweltschutz" überhaupt erst Ende 1969 geprägt wurde.183 Zutreffend wird auf die Gefahr hingewiesen, daß vielen der "ungeheuer spezialisierten wissenschaftlichen Aktivitäten( ... ) nachträglich das 176 Lundgreen I Horn I Krohn I Küppers I Paslack, Staatliche Forschung in Deutschland 18701980 (1986), S. 168; BMFI (Hg.), Umweltforschung und Umwelttechnologie, 3. Auf!. (1990),

s. 33.

177 BT-Drucks. VI /2710, S. 6 Pkt. 7 . 178 Stichwort "Umweltforschung", in: Wegmann u.a. (Hg.), Humboldt-Umwelt-Lexikon (1990), S. 312. 179 BMFI (Hg.), Umweltforschung. Eine Ausstellung des Bundesministers für Forschung und Technologie (1991), S. 10; ähnl. BMFI (Hg.), Umweltforschung und Umwelttechnologie. Programm 1989 bis 1994, 3. Auf!. (1990), S. 9. 180 BMFI(1991), S. 11; BMFI(1990), S. 8 181 BMFI(1991), Inhaltsverzeichnis. 182 BMFI(1990), Inhaltsverzeichnis. 183 Siehe dazu eingehend unten Teil 1 C II 2 a.

68

Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

Etikett 'Umweltforschung' umgehängt•184 werden könnte, ohne daß diese dem systematisch-umfassenden Verständnis moderner Umweltforschung gerecht werden. Je nachdem, wie weit der Umwelt- und Umweltschutzbegriff gefaßt wird, kann rückblickend eine fast beliebige Anzahl von Forschungsbereichen herauskristallisiert werden. Entsprechend reicht das, was die Deutsche Forschungsgemeinschaft in ihrem 1971 als rechtfertigende Antwort auf den Beginn der offiziellen Umweltpolitik herausgegebenen Bericht "Umweltforschung - Aufgaben und Aktivitäten der DFG 1950 bis 1970" retrospektiv als "Umweltforschung" deklariert, von der Beschäftigung mit Lebensmittel-Farbstoffen und Ernährungsforschung über medizinische Epidemiologie bis hin zur Ozeanographie. 185

2. Nicht-staatliche und staatliche Umweltforschung

In dieser Untersuchung wird zwischen nicht-staatlicher und staatlicher Umweltforschung differenziert, wobei als staatlich die "staatlich durchgeführte oder fmanzierte Umweltforschung" anzusehen ist. 186 Staatlich durchgeführt wird Umweltforschung insbes. von Bundes- und Landesforschungsanstalten; staatlich fmanziert ist die an Hochschulen und anderen öffentlichen Forschungsinstitutionen (z. B. Großforschungseinrichtungen) betriebene Forschung, sowie die von den öffentlichen Trägerorganisationen der Forschung (DFG, MPG, Fraunhofer-Gesellschaft) getragene Umweltforschung.187 Nichtstaatliche Umweltforschung ist in erster Linie solche von Forschungseinrichtungen der Trägerorganisationen der Wirtschaft und sonstiger privater Träger.

184 Küppers I Lundgreen I Weingart, S. 43. 185 Vgl. die tabellarische Zusammenfassung des DFG-Berichts bei Küppers I Lundgreen I Weingart, S. 39. 186 Kloepfer I Rehbinder I Schmidt-Aßmann I Kunig, UGB-AT, 2. Aufl. (1991), S. 394. 187 Vgl. dazu dies. , S. 394.

B. Nicht-regierungsamtliche frühe Ansätze

69

a) Nicht-staatliche Umweltforschung aa) Die VDI-Kommissionen "Reinhaltung der Luft" und "Lärmminderung" Der Verein Deutscher Ingenieure e. V. (VDI)188 besitzt mit den Kommissionen "Reinhaltung der Luft" und "Lärmminderung" bereits seit 1955 bzw. 1965 zwei Fachgliederungen, die auf dem Gebiet des Immissionsschutzes Forschungsarbeit leisten. In den Kommissionen arbeiteten zunächst 450 Sachverständige und Wissenschaftler, die von Bundes- und Landesinstituten, Universitäten, Interessengruppen und anderen Instituten entsandt wurden.189 Wie bereits erwähnt, erfolgte die Gründung der VDI-Kommission Reinhaltung der Luft am 7. November 1955 im Zusammenhang mit der Beratung der Änderungen von GewO und BGB, die Beratungsbedarf bei Regierung und Parlament ergab. 190 An der Gründung der Kommission war die IPA maßgeblich beteiligt, 191 wie bereits der Umstand zeigt, daß die Anbahnung auf der von Burhenne geleiteten !PA-Sitzung vom 5. Juli 1955 unter Beteiligung von Vertretern der Fachgruppe Staubtechnik des VDI erfolgte.192 An der eigentlichen Gründungsversammlung nahmen neben Vertretern aus Wissenschaft und Wirtschaft ebenfalls der !PA-Generalsekretär sowie Funktionäre des Siedlungsverbands Ruhrkohlenbezirk und Ministerialdirigent Stephany vom Bundesarbeitsministerium teiJ.193 Die Bundesregierung stimmte der Einsetzung der Kommission als Gremium sachverständiger Beratung von Exekutive und Legislative ausdrücklich zu.194 Auf Grund einer "besonderen Anregung" des Bundesministers für Arbeit erfolgte dann im März 1965 die Gründung der VDI-Kommission "Lärmminderung". Von 1956 bis 1969 betrugen die staatlichen Zuwendungen durch Bund, Länder und DFG für die Forschungstätigkeit des VDI rund 14 Mio DM; im Bundeshaushalt 1970 waren für die Finanzierung der beiden VDI-Kommissionen insgesamt 455.000 DM ausgewicsen. 195

188 Zur VDI-Geschichte vgl. Marburger, Die Regeln der Technik im Recht (1979), S.

189 Glagow I Murswieck, APuZ B 27 v.

3.7.1971, S. 3 (23) m.w.N.

190 Siehe oben Teil 1 B II 2 b aa. 191 E. Koch, S.

83; Burhenne I Kehrhahn, S. 324 f Fn. 3.

192 E. Koch, S. 70. 193 ders., S. 70 f . 194 Hanning , S. 82. 195 Glagow I Murswieck, APuZ B 27 v.

3.7.1971 , S. 3 (23).

183 ff.

70

Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

Fachlich erfolgte schon vor 1962 eine Zusammenarbeit zwischen dem VDI und dem Ausschuß für angewandte Forschung der DFG196 als staatlicher Forschungsförderungsorganisation. Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß die von den VDI-Kommissionen erarbeiteten Richtlinien der Handbücher "Reinhaltung der Luft" und "Lärmminderung" die betriebliche und behördliche Praxis des Immissionsschutzes weitgehend beherrschen, insbes. soweit sie durch gesetzliche und administrative Verweisungen in das staatliche Immissionsschutzrecht integriert werden. 197 Die geschilderte Art und Weise von Gründung, Finanzierung und Verwertung der Forschungsergebnisse lassen es als berechtigt erscheinen, von einer "engen Bindung zwischen Staat und VDI" 198 zu sprechen; die in den beiden VDI-Kommissionen betriebene Forschung erfolgt zwar in privater Trägerschaft, ist jedoch gleichzeitig von einer gewissen Staatsnähe gekennzeichnet. Dies scheint auch Wey ausdrücken zu wollen, wenn er in einem in "Staatlicher Bereich" und "Gesellschaft" unterteilten Schaubild den VDI zwischen beiden Bereichen lokalisiert. 199

bb) Forschungsinstitute in privater Trägerschaft In den fünfzigerund sechziger Jahren spielten Forschungsinstitute in privater Trägerschaft auf dem Gebiet der Umweltforschung in der Bundesrepublik keine bedeutende Rolle. Zu erwähnen istjedoch200 das von dem 1902 gegründeten Verein für Wasser-, Boden- und Lufthygiene e. V. in Berlin-Dahlem unterhaltene Institut für Boden-, Wasser- und Lufthygiene,2°1 in dessen Schriftenreihe bereits während der fünfziger und sechziger Jahre zahlreiche

196 DFG- Senatsausschuß für Umweltforschung, Beiträge zur Umweltforschung (1976), S. 18 197 Marburger, S. 225; dies war vor der Schaffung des eigentlichen Immissionsschutzrechts in den 70er Jahren insbes. bei der Verwaltungsvorschrift TA Luft von 1964 der Fall. 198 Glagow I Murswieck, APuZ B 27 v. 3.7.1971, S. 3 (23). 199 Wey, S. 206; diese Zuweisung zur "Schnittmenge" ist insofern beachtlich, als Wey damit seine Vorlage, das von Kölble entworfene "Entscheidungssystem der Umweltpolitik" (abgedr. bei Mrass, S. 140 t), bewußt modifiziert. 200 Vgl. ferner zu den privatrechtlich organisierten Vorläufer-Instituten der Landesanstalt for Immissions- und Bodenschutz in Essen unten Teil 1 B m 2 b bb. 201 Dazu umfassend NauT11il1111, Sechzig Jahre Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene

(1961).

B. Nicht-regierungsamtliche frühe Ansätze

71

Studien zu einzelnen Fragen des Immissions-, Gewässer- und Bodenschutzes veröffentlicht wurden. 202 Erst am 5. November 1977 wurde das sich als unabhängiges "Institut für angewandte Ökologie" verstehende Öko-Institut e. V. in Freiburg gegründet. 203 Dieses sich ganz überwiegend aus Spenden und Beiträgen finanzierende Institut erhielt an staatlichen Zuwendungen in dem Zeitraum von 1978 bis Juni 1981 lediglich einen Betrag in Höhe von 1,6 Mio DM für die dort ab 1.9.1980 durchgeführte Auftragsstudie "Analytische Weiterentwicklung zur Deutschen Risikostudie Kernkraftwerke" .204

b) Staatliche Umweltforschung

aa) Bundesanstalten Die Bundesforschungsanstalt für Naturschutz und Landschaftsökologie (BFANL) wurde 1962 mit Sitz in Bonn-Bad Godesberg gegründet und unterstand dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. 205 Die Geschichte der BFANL verdeutlicht die Entwicklung des Naturschutzes. Ihr erster Vorläufer war die 1906 in Preußen unter Leitung von 202 Vgl. Beyreis u.a., Beiträge zur Außenlufthygiene (1955); Oberste-Brink u.a., Steinkohlenflugasche. Einfluß auf Boden, Pflanzen und Milchkühe (1956); Löbner, Ergebnisse von Staubniederschlagsmessungen an verschiedenen Orten Deutschlands in den Jahren 1953 bis 1959 (1960); A. Heller, Luftverunreinigung und Abhilfemaßnahmen (1960); Aurand u.a., Bestimmung der mit Niederschlag und Staub dem Boden zugeführten Radioaktivität (1960); Naumann, Probleme der Verunreinigung von Grund- und Oberflächenwasser durch Mineralöle und Detergentien (1960); SatteliTUJcher, Methämogrobinämie durch Nitrate im Trinkwasser (1962); Althaus u.a., Abgasreinigung als Abwasserproblem (1963); l.Angner, Die Lagerung von Stadtmüll und Industrieabfallen und ihre Gefahren für Wasser und Luft (1964); l.Ahmann u.a., Luftverunreinigungen in den Vereinigten Staaten von Amerika (1965); ders. u.a., Schwefeldioxyd-Immissionen im Raum Mannheim I Ludwigshafen (1967); Kempf u.a., Versehrnutzung der Gewässer durch motorischen Betrieb, insbes. durch Außenbordmotoren (1967); N. N., Neuzeitliche Wasser-, Boden- und Lufthygiene (1968). 203 Vgl. Öko-Institut e.V., Öko-Institut- Institut für angewandte Ökologie e.V. Arbeit und Ziele, S. 3. 204 Antwort der BReg. v. 3.7.1981 auf die schriftl. Frage des Abg. Dr. lAufs v. 29.6.1981, BT-Drucks. 9/ 635, S. 39 f, Fragen Nr. 85, 86. 205 Lundgreen I Horn I Krohn I Küppers I Paslack, S. 171; vgl. ferner Olschowy, Zur Entwicklung des Natur- und Umweltschutzes in Deutschland, S. 1 (6); Wey, S. 196 (mit unzutreffender Datierung).

72

Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

Hans Conwentz eingerichtete Staatliche Stelle für Naturden/mulispflege in Danzig (ab 1910 in Berlin), die sich mit der Inventarisierung schützenswerter Pflanzen, der Erforschung ihrer Lebensbedingungen und der Überwachung von Schutzmaßnahmen befaßte. 206 Es folgten 1931 die Arbeitsstelle für theoretische und angewandte Pflanzensoziologie unter Reinhold Tüxen, die 1939 zur Zentralstelle für Vegetationskartierung des Reiches in Hannover wurde2°7 und nach dem Krieg die Bundesanstalt für Vegetationskunde, Naturschutz und Landschaftspflege in Bad Godesberg.208 Die BFANL setzte die Tradition des Datensammelns, Kartierens und der Beratung der Verwaltung zunächst- wenngleich koordiniert- fort, erfuhr dann aber seit den frühen siebziger Jahren eine starke Erweiterung ihres Tätigkeitsfeldes, das nunmehr insbes. auch Landschaftspflege, -ökologie und -planung sowie Erholungsvorsorge umfaßte. 209 Eine andere Bundesanstalt, deren Forschungsaktivitäten sich zur Umweltforschung zählen lassen, ist die seit 1972 dem Geschäftsbereich des Bundesministeriutns für Forschung und Technologie zugeordnete Biologische Anstalt Helgoland (BAH). Sie wurde bereits 1892 als Königliche Biologische Anstalt auf Helgoland durch das preußische Kultusministerium gegründet und betreibt neben meeresbiologischer auch hydrographische, meteorologische und ornithologische Grundlagenforschung. 210 Die Entwicklung der BAH läßt sich in drei Phasen einteilen: Zunächst standen morphologisch-evolutionistische Fragen im Vordergrund, ab ca. 1914 ökologische Themen, insbes. Fragen der Nutzfischpopulation, und dann nach 1945 physiologische Untersuchungen von Meeresorganismen, ab ca. 1959211 schwerpunktmäßig auch deren Beeinflussung durch Küsten- und Meeresverschmutzung.212

206 Wey, S. 131 f; Lundgreen I Horn I Krohn I Küppers I Paslack, S. 170 f. 207 Dies., S. 171. 208 Olschowy, S. 6. 209 Lundgreen I Horn I Krohn I Küppers I Paslack, S. 171.

210 Dies., S. 173 f. 21 I Biologische Anstalt Helgoland (Hg.), Die Wiedereröffnung der BAH auf der Insel Helgoland. in: Helgoländische Wissenschaftliche Meeresuntersuchungen Bd. 7, Heft 1/1959. 212 BMFT (1991), S. 52 mit näheren Angaben zum aktuellen Forschungsprogramrn; Lundgreen I Horn I Krohn I Küppers I Paslack, S. 174 f.

73

B. Nicht-regierungsamtliche frühe Ansätze

bb) Landesanstalten, insbesondere Landesanstalt für Immissionsund Bodenschutz NRW Die Bayerische Landesanstalt für Wasserforschung (BayLWF), die als Biologische Versuchsanstalt bis Februar 1971 dem Bayerischen Kultusministerium, danach dem neu geschaffenen Umweltministerium nachgeordnet ist213 und ihren heutigen Namen erst 1977 erhielt, betreibt Umweltforschung auf dem Gebiet der Abwasserreinigung und des Gewässerschutzes.214 Ein Blick auf ihre Vorläufer-Institute macht den engen Zusammenhang zwischen Wasserforschung und Fischereiwirtschaft deutlich. Direkter Vorgänger der BayLWF war die 1934 so benannte Bayerische Biologische Versuchsanstalt, die wiederum aus der 1913 gegründeten Bayerischen Biologischen Versuchsanstalt für Fischerei hervorgegangen war, einem Zusammenschluß aus der Königlich Bayerischen Versuchsstation für Fischerei in München (1900) und der Königlich Bayerischen Teichwinschaftlichen Abteilung in Wielenbach (1912). 21 5 Schon früh wurden hier der Einfluß von Abwässern auf das Selbstreinigungsvermögen von Gewässern sowie Fischkrankheiten und andere Fragen der Fischereibiologie untersucht, 21 6 wobei die beiden letztgenannten Forschungsgebiete "mit den Problemen des Umweltschutzes nicht in unmittelbarem Zusammenhang" 217 stehen. Eine erwähnenswerte, den Vorläufern der BayLWF vergleichbare Institution stellte die am 1.4.1901 gegründete Königlich preußische Versuchsanstalt für Wasser- und Bodenhygiene dar, die der Ministerialabteilung des preußischen Kultusministeriums angegliedert war. 218 Staatliche Forschung auf dem Gebiet der Luftreinhaltung wurde in intensiver Form zuerst in Nordrhein-Westfalen betrieben. Die Schadstoffbelastung der Luft war im industriellen Ballungsraum Ruhrgebiet besonders groß, wie die 150 Menschenleben fordernde Smog-Situation vom Dezember 1962 mit 213 Vgl. Art. 10 II des Gesetzes über die Zuständigkeiten in der Landesentwicklung und in den Umweltfragen v. 19.2.1971 (BayGVBI. 1971, 65), das gern. Art. 13 I am 1.3.1971 in Kraft trat; vgl. zum Verbleib der Teichwirtschaftlichen Abteilung die Amt!. Begründung, LT-Drucks. 7 /48, s. 5 f. 214 Lundgreen I Horn I Krohn I Küppers I Paslack, S. 215 Dies., S. 172 f 216 BayLWF

(München,

ohne

Jg.,

ca.

green I Horn I Krohn I Küppers I Paslack, S. 172).

173.

1978),

S.

103

217 Amt!. Begründung zur o.g. Zuständigkeitsregelung, LT-Drucks. 7 218 Dazu näher Wey, S. 69.

(zit.

/48, S. 5 f.

nach

Lund-

74

Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

S02-Spitzenbelastungen von 5 mg/qm belegt.219 Daß der höhere Problemdruck in Immissionsfragen in Nordrhein-Westfalen die Entwicklung beschleunigte,220 zeigt auch die Tatsache, daß dort bereits am 30.4.1962- und damit 12 Jahre vor dem BlmSchCJ221 - ein Landes-Immissionsschutzgesetz erlassen wurde. 222 Dementsprechend ist auch die Gründung der Landesanstalt für Immissions- und Bodenschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (LIS)223 in Essen am 1.12.1963,224 deren Forschungen auf dem Gebiet der Luftreinhaltung moderner Umweltforschung am ehesten nahekommen, im Zusammenhang der speziellen Ruhrgebietssituation zu sehen. Mit der Gründung der Landesanstalt wurden die privatrechtlich organisierten Vorläufer-Institute, nämlich die Kohlenstoffbiologische Forschungsstation (1946- 60)225 und das Forschungsinstitut für Luftreinhaltung (1960- 63)226 in staatliche Rechtsträgerschaft überführt. Koch zieht in seiner Chronik dieser Institutionen den Schluß, die "Aktivitäten des Staates, die zur so schnellen Gründung der Landesanstalt geführt " hätten, seien "nicht anders als beispiellos zu bezeichnen. n227 Auch personell ist die nordrhein-westfälische Luftreinhaltepolitik der Nachkriegszeit insgesamt eng mit dem Wirken des Präsidenten der Landesanstalt Heinrich Stratmann verknüpft, der auch Leiter der yorläufer-lnstitute war.228 Ursprünglicher Anlaß für die 1946 erfolgte Gründung der Kohlenstoffbiologischen Forschungsstation, die viele staatliche Forschungsa~fträge

219 H. - J. Luhmann, Das Parlament Nr. 40-41 v. 30.9. /7.10.1988, S. 18 Sp. 2; v. Prittwitz, Das Katastrophen-Paradox (1990), S. 17. 220 Wey, S. 187 f. 221 Bundes-Immissionsschutzgesetz v. 15.3.1974, BOB!. I S. 721, 1193. 222 Zu weitgehend ist dagegen E. U. v. Weiuäckers (S. 24) Aussage "In den fünfziger Jahren entstand der moderne Umweltschutz im Bundesland Nordrhein-Westfalen." Es handelte sich lediglich um den Beginn des modernen lmmisionsschutzes (vgl. dens.: "kam es zum ersten Gesetz zur Reinhaltung der Luft."). 223 Seit 1977 lautet die Bezeichnung Landesanstaltfür Immissionsschutz. 224 Gerneinsame Bekanntmachung des Arbeits- und Sozialministers und des Ministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vorn 15.10.1963, MB!. NRW, S. 1821; de facto bestand die LIS schon das ganze Jahr 1963 (E. Koch, S. 122). 225 Mitglieder waren v. a. die großen Unternehmen des Ruhrgebiets (Übersicht bei E. Koch, S. 152), insbes. die Ruhrgas AG (E. Koch, S. 19). 226 Abdruck der Vereins-Satzung v.18.2.1960 bei E. Koch , S.148-151; Mitglieder konnten nach § 3 I auch Behörden sein, wie z.B. die Stadt Essen (E. Koch, S. 104 f) . 227 E. Koch, S. 122. 228 E. U. v. Weiuäcker, S. 24; H. - J. Luhmann, Das Parlament Nr. 40-41 v. 30.9. /7.10. 1988, S. 18 Sp. 4 f; E. Koch, S. 59 ff.

B. Nicht-regierungsamtliche frühe Ansätze

75

erhielt,229 waren die akuten Ernährungsprobleme der Nachkriegszeit gewesen; entsprechend dem in § 1 II der Satzung festgelegten Vereinszweck, der Allgemeinheit durch die kohlenstoffbiologischen Forschungen namentlich auf ernährungswissenschaftlichem und -wirtschaftlichem Gebiet zu nützen, 230 standen bis ca. 1952 derartige Forschungen im Vordergrund. 231 Ab 1953 konzentrierte sich die chemische Abteilung der Institution auf Abgasuntersuchungen und Forschungen zur Rauchgasreinigung, wobei sicher auch nachfolgende Forschungsaufträge aus dem nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministerium von 1952 zur technischen Entwicklung der Abwärme-Verwertung sowie formaldehydfreier Verbrennungsanlagen für Heizgas und Rauchgasreinigung eine Rolle spielten. 232 Zu diesem Zeitpunkt begann man auch, die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Vegetationsschäden und Schadstoffmenge bzw. -konzentration zu stellen und - insbesondere Stratnrann - an Grenzwertvorschlägen für die Schwefeldioxydkonzentration der Luft zu arbeiten.233 Zu Beginn der sechziger Jahre erstellte das Institut dann einen "Farbtafelatlas über Schwefeldioxyd-Wirkungen an Pflanzen" .234 Erschienen ist dieser dreisprachige Atlas jedoch erst 1970, herausgegeben von der Landesanstalt für lmmisissionsschutz. 235

cc) Die Deutsche Forschungsgemeinschaft Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) förderte bereits ab Ende der fünfziger Jahre umweltbezogene Forschungen.236 Hierzu wurden Schwerpunktprogramme gebildet, wie etwa zu den Problemfeldern "Rein-

S.73. Zit. nach E. Koch, S. 18 f. 231 Vgl. dazu bei E. Koch die Kapitel "Ernährungsversuchsfeld - eine moderne Robinsonade" (S.20 ff) und •Algen- eine Wunderwaffe gegen den Hunger?" (S.25). 232 Ders., S . 49. 233 Ders. , S. 13 f unter Verweis auf Kilbinger, I Jacoby I Penningsfeld I Urban I Rempe I Stratmann: Bericht der Deutschen Forschungsgemeinschaft für Gewächshaus- und Hydrokultur e.V. über Ergebnisse der Jahre 1951/1952. Schriftenreihe der Kohlenstoffbiologischen Forschungsstation e.V. , Heft 4, S. 27, Essen 1953. 234 E. Koch , S. 14. 235 van Haut IStratmann (1970). 236 Vgl. etwa DFG, Die Arbeit der Senatskommission für Wasserforschung 1957- 1977 (1978).

229 E. Koch, 230

76

Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

haltungder Luft", "Energiehaushalt und Zirkulation in der Atmosphäre" oder "Physikalische Grundlagen für Zirkulations- und Klimamodelle" sowie Sonderforschungsbereiche eingerichtet, beispielsweise zum Thema "Atmosphärische Spurenstoffe". 237 Auch wurden Senatskommissionen - so die Bezeichnung der Gremien der DFQ238- für die Erforschung bestimmter Umweltmedien eingesetzt. So existierte, in der Tradition staatlicher Wasserforschung stehend,239 bereits ab 1956 die "Kommission für Wasserforschung" der DFG,240 ein Zusammenschluß der 1952 berufenen Kommissionen für "Trinkwasseraufbereitung" und für "Wasserwirtschaft und Landeskultur" .241 Im Jahre 1964 wurde dann die "Kommission zur Erforschung der Luftverunreinigung" eingesetzt, die ihre Arbeit mit einem Meßstellen-Projekt begann. 242 Besondere Hervorhebung verdienen erste vorsichtige Ansätze gegen Ende der sechziger Jahre in Richtung auf eine über die traditionelle, sektorale Umweltforschung hinausweisende "Ökosystemforschung", d.h. zu einer Forschung, die die Bedeutung und Funktionsweise der Einzelteile im Zusammenspiel des Systems untersucht. 243 Hierbei hatte die Waldschadensforschung Modellcharakter: Etwa im Jahre 1965 initiierte die DFG mit dem sog. Sollingprojekt244 eines der weltweit ersten Ökosystemprojekte.245 Es handelte sich um ein Projekt der Universität Göttingen, die heute über ein "Forschungszentrum Waldökosysteme" verfügt, das auf eine seit über zwei Jahrzehnten betriebene Waldschadenforschung aufbauen kann; nach Angaben des BMFT bestehen die entsprechenden Meß- und Versuchsflächen zum Teil seit 1968.246 Der systemorientierte, gesamthafte Ansatz dieser Art von (1976), S. 19 ff, 22, 25. 1982 bestanden 27 Senatskommissionen; ihre Aufgabe ist die Beratung der DFG selbst so-

237 DFG, Beiträge zur Umweltforschung 238

wie der öffentlichen Hand bei der Forschungsplanung und Mittelvergabe (vgl. Letzelter, DFG, in: Flämig I Grellert I Kimminich, Hg., HdBWissR II, 1982, S. 1185). 239 Siehe oben zur BayLWF Teil 1 B m 2 b bb; vgl. ferner zur weit zurückreichenden Entwicklung von Wasserwirtschaftsrecht und Abwasserbeseitigung Wey, S. 33 ff. 240 Zu deren Arbeitsbereichen vgl. DFG, Wasserforschung, S. 11 ff. 241 DFG, Wasserforschung, S. 8; vgl. auch DFG, Internationale hydrologische Dekade (1974). 242 Dazu DFG, Kommission zur Erforschung der Wirkungen luftverunreinigender Stoffe, Mitteilungen I (1964), II (1966) u. m (1968); vgl. überblicksweise DFG, Über die Luftverunreinigung in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1967-1972 (1974). 243 Schulze, Ökosystemforschung - die Entwicklung einer jungen Wissenschaft, in: Gerwin (Hg.), Wie die Zukunft Wurzeln schlug (1989), S. 55 f. 244 DFG, Beiträge (1976), S. 124; vgl. dazu die aktuellen Berichte des Forschungszentrums Waldökosysteme der Universität Göttingen, Reihe A, Bd. 2. 245 Schulze, S. 55 f. 246 BMFT(l991), S. 95.

B. Nicht-regierungsamtliche frühe Ansätze

77

Umweltforschung manifestierte sich in Bezug auf das "Sollingprojekt" in der Beteiligung von Biologen, Forstwirten, Landwirten, Bodenkundlern und Meteorologen. 247

dd) Großforschungseinrichtungen Die Großforschungseinrichtungen der Bundesrepublik konzentrieren sich im wesentlichen auf die Bereiche Datenverarbeitung, Plasmaphysik, Luft- und Raumfahrtforschung, biomedizinische Forschung sowie die im Umweltzusammenhang relevante Kern- und Strahlenforschung. 248 Am 11.12. 1956 faßte der nordrhein-westfälische Landtag den Beschluß, eine "Gemeinsame Atomforschungsanlage des Landes Nordrhein-Westfalen" zu errichten, deren Erbauer das Land sein sollte,249 im Januar 1958 konstituierte sich der Wissenschaftliche Rat der Gesellschaft zur Förderung der Kernphysikalischen Forschung e. V. (GFKF), 250 und am 28.9.1961 wurde die Kernforschungsanlage Jülich (KFA) des Landes Nordrhein-Westfalen eingeweiht. 251 Die KFA entstand nicht allein in Konkurrenz zum Kernforschungszentrum Karlsruhe (KFK), wohl aber ist ein Wechselspiel zwischen KFA und KFK bzgl. der Entstehung zu sehen. 252 Kernforschung betrieb und betreibt weiterhin das HahnMeitner-Institut Berlin, das 1956 als nicht-rechtsfabige Anstalt des Landes Berlin gegründet und am 1.1.1971 in eine GmbH umgewandelt wurde, an der die Bundesrepublik 90 % der Gesellschaftsanteile erwarb.253 Zu nennen ist schließlich die am 22.5 .1964 in Neuherberg bei München gegründete Gesellschaft für Strahlenforschung mbH (GSF), deren Vorläufer bis in das Jahr 1957 zurückreichen.254 Obgleich die Öffentlichkeitsarbeit des BMFT heute gern betont, daß die Großforschungseinrichtungen sich nach der Lösung vieler Aufgaben im Nuklearbereich "seit einiger Zeit" in zunehmendem Maße der 247 DFG, Beiträge (1976), S. 124. 248 Eingehend zum Ganzen G. Ri"er, Großforschung und Staat in Deutschland. Ein historischer Überblick (1992); Reuter-Boysen, Von der Strahlen- zur Umweltforschung. Geschichte der GSF 1957-1972 (1992). 249 Szölli-Janze I Trischier (Hg.), Großforschung in Deutschland (1990), S. 40, 51. 250 Szölli-Janze I Trischler, S. 56. 251 Dies. , S. 59. 252 Dies., S.

38.

253 Dies. , S . 178.

254 Umfassend dazu Reuter-Boysen.

78

Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

Umweltforschung zugewandt hätten, 255 wird dem entgegengehalten, daß die Umweltaktivitäten der Großforschungseinrichtungen zu einem guten Teil auch der Besetzung neuer Aufgabenfelder zur Selbstlegitimation der Institutionen an sich dienten und die klare Linie eines durchgängigen systematischen Zusammenhanges bis heute vermissen ließen.256 Jedenfalls hat in der Atomeuphorie derfünfzigerund sechziger Jahre kaum echte Umweltforschung im Sinne von Strahlenschutz den Schwerpunkt gebildet, 257 meinte man doch noch in den sechziger Jahren, die "Anstrengungen zur Förderung der Kernforschung und zum Aufbau einer Atomwirtschaft fortsetzen" sowie Weltraumforschung und Raumfahrttechnik forcieren zu müssen. 258 Küppers I Lundgreen I Weingart berücksichtigen in ihrer tabellarischen Übersicht zur Verteilung der Umweltforschungsprojekte nach Institutionen auch die Forschung der Großforschungsinstitute - obwohl "vornehmlich stark anwendungsorientiert bis angewandt" 259 - und geben deren Anteil an der gesamten Umweltforschung mit nur 2 % an. 260

3. Dominanz staatlicher Umweltforschung Für den Zeitraum vor 1970 liegt der Schwerpunkt der Umweltforschung somit bei den Bundes- und Landesanstalten. Der staatlichen Forschung sind ferner die Großforschungseinrichtungen zuzurechnen, und zwar auch dann, wenn sie nicht öffentlich-rechtlich (Hahn-Meitner-Jnstitut bis 1971), sondern privatrechtlich organisiert sind (z.B. GFK e. V.). Die hohe Staatsquote ihrer Finanzierung ist bereits daran ersichtlich, daß die nach Art. 95 b GG von Bund und Ländern getroffene "Rahmenvereinbarung Forschungsförderung" vom 28.11.1975 für die Großforschungseinrichtungen in Art. 6 I Nr. 3 grund255 BMFT (1990), S. 22, allerdings unter Hinweis insbes. auf die neu gegründete Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung (GSF). 256 Adam, FAZ Nr. 144 v. 24.6.1992, S. 33 unter Berufung auf die Beurteilung des KFK durch eine wissenschaftliche Konunission. 257 Näher Reuter-Boysen; vgl. zum atomrechtlichen Paradigmenwechsel vom Förder- zum Schutzzweck näher unten Teil 1 C IV 1 b. 258 Regierungserklärung von Vizekanzler Erhard vor dem BT, Stenogr. Prot. 4 . WP, 5. Sitzg. am 29.11.1961, S. 22 ff (24).

Küppers I Lundgreen I Weingart, S. 219. 260 Dies., S. 220 in modifizierender Anknüpfung an den Umweltforschungskatalog des UBA aus dem Jahr 1976 (zur Methode vgl. ebenda, S. 215 f).

~59

B. Nicht-regierungsamtliche frühe Ansätze

79

sätzlich eine 90 %ige Finanzierung durch den Bund festlegt.261 Es handelt sich somit um staatlich finanzierte, d.h. im obigen Sinne262 staatliche Umweltforschung. Daher gilt das, was die Begründung des UGB-Entwurfes für die gegenwärtige Forschungslandschaft feststellt, erst recht für den Zeitraum vor 1970, nämlich daß "die staatliche Umweltforschung an der Umweltforschung insgesamt einen erheblichen, wenngleich schwer quantifizierbaren Anteil" hat, "auch wenn man die institutionelle Förderung durch die großen öffentlichen Trägerorganisationen nicht einrechnet. "263 Die Quote erhöht sich, wenn man die DFG tatsächlich einrechnet, wofür einiges spricht. Die DFG ist eine sog. Mittlerorganisation, die in enger Verbindung zum Staat Verwaltungsaufgaben wahrnimmt, die auch von der staatlichen Verwaltung selbst wahrgenommen werden könnten. 264 Wenngleich in die Rechtsform eines eingetragenen Vereins gekleidet, sind ihre wesentlichen Merkmale das Handeln im öffentlichen Interesse, eine zu über 95 %ige staatliche Finanzierung sowie eine "staatliche Sanktionierung" .265 Gerade in Bezug auf die frühe Umweltforschung offenbart sich der Charakter der DFG als Teil staatlicher Forschungspolitik zudem in der Person des DFG-Vizepräsidenten und späteren niedersächsischen Wissenschaftsministers Pestel, der als deutsches Mitglied des Club of Rome Umweltfragen ausgesprochen aufgeschlossen gegenüberstand.266 Berücksichtigt man schließlich die gewisse Staatsnähe der VDI-Kommissionen "Reinhaltung der Luft" und "Lärmminderung" sowie den Umstand, daß das Öko-Institut e.V. erst 1977 gegründet wurde, so läßt sich insgesamt zumindest für den Zeitraum vor 1970 das Resümee einer starken Dominanz staatlicher gegenüber privater Umweltforschung ziehen. Dementsprechend hieß es in der Gründungserklärung des Öko-Instituts e. V. von 1977, man wolle die Forschung "nicht länger nur Staat und Industrie überlassen. "267 Hat 261

Dittmann, S.

265 Fn. 106.

Kloepfer I Rehbinder I Schmidt-AjJmann I Kunig, UGB-AT, 2. Aufl. (1991), S. 394. 263 Ebenda; ähnl. Wey, S. 206, der in seinem Schaubild Staat I Gesellschaft die wiss. Forschung. der "Schnittmenge" zuordnet (entgegen der Vorlage von Kölble, abgedr. bei Mrass, s. 140 f). 264 Dittmann, S . 123 f, 125 Fn. 74.

262

Letzelter, S. 1186; letztere folgt aus der "Rahmenvereinbarung zwischen Bund und Ländern über die gemeinsame Förderung der Forschung", BAnz. v. 30.12.1975 Nr. 240, S. 4. 266 Vgl. etwa Mesarovic I Pestet, Menschheit am Wendepunkt. 2. Bericht an den Club of Rome zur Lage der Menschheit (1974). 267 Auszugsweise abgedr. in: Öko-Institute. V., S. 3. 265

80

Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

die Umweltforschung trotz ihres Wissenschaftscharakters überhaupt Einfluß auf die Etablierung des Umweltthemas in der öffentlichen Meinung gehabt, so sind diese Impulse demnach dem staatlichen Bereich zuzurechnen.

IV. Die Rolle der politischen Parteien Die Frage nach dem Anteil der politischen Parteien an der Thematisierung des Umweltschutzes ist vor dem Hintergrund der demokratischen Willensbildung von besonderer Relevanz, sollen doch diese in der Gesellschaft wurzelnden Mittler als "ständige lebendige Verbindung zwischen dem Volk und den Staatsorganen" (§ 1 II ParteiG) idealiter die in der Bevölkerung vorhandenen Meinungen bündeln und artikulieren, sie also "von unten nach oben" transportieren. 268

1. Die CDU

a) Immissionsschutz-Initiative der CDU-Fraktion- Nordrhein-Westfalen als Sonderfall Angesichts der Probleme des industriellen Ballungsraumes an der Ruhr überrascht es kaum, daß Nordrhein-Westfalen auch in Bezug auf frühes wenngleich bescheidenes - Engagement der politischen Parteien eine Sonderstellung einnimmt, was insbesondere für Ansätze zu einer Luftreinhaltepolitik gilt.269 So brachte die CDU-Fraktion 1955 im nordrhein-westfälischen Landtag eine Initiative zur Verbesserung der Meßmethoden für Luftbelastungen und für ein Gesetz zur Reinhaltung der Luft ein.270 Angeblich soll die nordrhein-westfalische CDU im Immissionsschutz eine "zentrale Aufgabe der mo-

268 Zur Rolle der Parteien im verfassungsrechtlichen Soll-Zustand vgl. zusammenfassend Vierhaus, ZRP 1991, 468 ff m.w.N., aus der Rspr. zuletzt BVerfG, NJW 1992, 2545 sowie eingehend unten Teil 5 Au. B m I IV. 269 Wey, S. 187 f. 270 H.- J. Luhmann, Das Parlament Nr. 40-41 v. 30.9. /7.10.1988, S. 18 Sp. 4; Margedant, APuZ B 29 V. 18.7.1987, s. 15 (17).

B. Nicht-regierungsamtliche frühe Ansätze

81

demen Sozialpolitik"271 gesehen haben. Initiiert wurde dieser Vorstoß jedoch - wie gezeigt272 - weniger durch die Partei, als vielmehr zum einen durch den Direktor des Ruhrsiedlungsverbandes Kegef273 sowie zum anderen durch den wenig später als MdB der IPA angehörenden274 damaligen CDU-Landtagsabgeordneten 0. Schmidt, der- angeregt durch einen Besuch beim Forschungsinstitut für Luftreinhaltung in Pittsburgh - den SVR-Vorschlag aufgriff und den Initiativantrag formulierte. 275 Erwähnung verdient ferner auch der Entwurf eines Gesetzes über Vorsorgemaßnahmen zur Luftreinhaltung, den einige Bundestagsabgeordnete um 0. Schmidt zusammen mit den Fraktionen von CDU I CSU und FDP im Jahre 1964 einbrachten.276

b) Die Bundespartei- verpaßter Einstieg der CDU in die Umweltpolitik

In der Literatur wird bezweifelt, daß sich die Bundes-CDU ohne die Herausforderung durch die 1969 begonnene, systematische regierungsamtliche Umweltpolitik überhaupt zu programmatischen Aussagen zum Umweltschutz durchgerungen hätte. 277 Der generellen programmatischen Schwäche der Adenauer-Partei entsprechend habe das "Berliner Programm" von 1971 nur einige leerformelhafte Forderungen zur Umweltpolitik enthalten, das "Mannheimer Programm" von 1975 den Umweltschutz sogar völlig ausgespart. 278 Wirkliche umweltpolitische Grundsätze enthielt tatsächlich erst das sog. Grundsatzprogramm von 1978279 sowie das darauf aufbauende spezielle

271 Ders., S. 18, allerdings ohne Angabe einer Fundstelle für dieses Zitat. 272 Eingehend dazu oben Teil 1 B I 1 b bb. 273 E. Koch, S. 71; H. - J. Luhfflllllll, Das Parlament Nr. 40-41 v. 30.9. /7.10.1988, Sp. 4 274 IPA (Hg.), Ordentl. Mitglieder, Stand: 15. März 1958: "Dr. 0. Schmidt (Wuppertal), Min. a.D., MdB". 275 Wey, S. 184. 276 Antrag der Abgeordneten Dr. Schmidt (Wuppertal), Dr. Dittrich, Frau Funcke (Hagen), Frau Dr. Heuser und der Fraktionen der CDU I CSU, FDP v. 19.3.1964, BT-Drucks. IV/2097. 277 Wey, S. 162. 278 Malunat, APuZ B 29 v. 18.7.1987, S. 29 (31); Wey, S. 162 f unter Hinweis auf die Punkte 126- 131 des "Berliner Programms". 279 CDU, Grundsatzprogramm: Freiheit, Solidarität, Gerechtigkeit, beschlossen auf dem 26. Bundesparteitag in Ludwigshafen vom 23.-25.10.1978. 6 Vierhaus

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Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

"Umweltprogramm" von 1979. 280 Beide Programme entstanden zu einem Zeitpunkt, als der Umweltschutz in der Öffentlichkeit längst zum Modethema avanciert und die erste "Welle" einer intensiven Umweltgesetzgebung281 bereits abgeschlossen war. In der hier besonders interessierenden Frühzeit der Umweltpolitik war es in der CDU vor allem der 1969 in den Bundestag gewählte Abgeordnete Herben Gruhl, der sich von Beginn an nachdrücklich auf dem Gebiet engagierte, in der Fraktion dabei jedoch auf wenig Gegenliebe stieß; Gruhl schrieb 1975 den Ökobestseller "Ein Planet wird geplündert", trat 1978 aus der CDU aus,282 gründete im selben Jahr die Grüne Aktion Zukunft (GAZ) und 1982 die Ökologisch-Demokratische Panei (ÖDP).283 Als CDU-Abgeordneter verfaßte Gruhl im Jahre 1973, also zu Beginn der zweiten "umweltpolitischen Legislaturperiode", ein zwölfseitiges Schreiben an den Vorsitzenden der CDU I CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages Karl Carstens, 2 84 in dem er für mehr umweltpolitisches Engagement der Fraktion eintritt. Dieses mit dem Titel "Die Stellung unserer Partei zum Bereich 'Umwelt'" überschriebene Papier enthält einen genauen Zustandsbericht zur umweltpolitischen Diskussion in den politischen Parteien, insbes. in der CDU. Aus zwei Gründen kann dieser Lagebeschreibung eine hohe Authentizität und Objektivität zugemessen werden: Zum einen handelt es sich um ein internes Papier, das nicht auf Öffentlichkeitswirksamkeit bedacht ist; sein Charakter als innerparteilicher "Klartext" zeigt sich auch darin, daß es an Carstens "persönlich" adressiert ist. Zum anderen stammt es aus der parlamentarischen Frühzeit Gruhls, in der dieser - das Schreiben belegt dies eindeutig - noch fest davon überzeugt war, innerhalb der CDU etwas bewegen zu können; seine Entwicklung zum CDUAußenseiter begann erst zwei Jahre nach dem Schreiben mit der Veröffentlichung des "geplünderten Planeten".

280 CDU, Umweltpolitisches Programm: Umweltpolitik aus·Verantwortung - Teil der Gesamtpolitik, beschlossen vom Bundesparteiausschuß am 10.12.1979. 281 Siehe unten Teil 1 C II 2 d.

282 H. - J. Luhmann, Das Parlament Nr. 40-41 v. 30.9. /7.10.1988, S. 18 (19); Malunat, APuZ B 29 v. 18.7.1987, S. 29 (31). 283 Ein kurzfristiges Zusammengehen der GAZ mit den GRÜNEN beendete Gruhl wegen des Linksrucks der Grünen Bewegung 1981 wieder (vgl. eingehend zum Ganzen Olzog I Liese, Die politischen Parteien, 18. Auf!. 1990, S. 179 ff). 284 Schreiben Gruhl an Carstens v. 5. Juli 1973, ACDP VID 002 Nr. 052/5.

B. Nicht-regierungsamtliche frühe Ansätze

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Aus dem äußerst aufschlußreichen Papier vom 5. Juli 1973 seien daher zur Charakterisierung des Verhältnisses der CDU zum aufkommenden Umweltthema einige Passagen wiedergegeben. Wenn Gruhl zunächst feststellt, das Umweltthema sei "erst in den letzten 3 Jahren in das öffentliche Bewußtsein gerückt - und das noch sehr vereinzelt", 285 so datiert er den Beginn der öffentlichen Umweltdiskussion auf die Mitte des Jahres 1970. "Bisher" habe "auch nur eine kleine Minderheit von Politikern verschiedener Parteien" - es könnten die !PA-Parlamentarier gemeint sein- "die Umweltproblematik in ihrer ganzen Tragweite erfaßt. •286 Die Tatsache, daß die Fraktion nach ihrer Tagung in Berlin (Anm.: vermutlich 1971) zehn Arbeitsgruppen für alle möglichen Sachbereiche, aber keine für Umweltfragen eingesetzt habe, bezeichnet Gruhl als "grotesk"; einerseits bemühe man "sich in geradezu rührender Weise, alte Probleme" endlos hin und her zu wälzen, andererseits habe er das Gefühl, daß umweltpolitische "Forderungen in unserer Fraktion noch nicht genügend Verständnis fmden. "287 Deutlich bringt er zum Ausdruck, daß die CDU das umweltpolitische Schlußlicht unter den Parteien sei: "Bisher überließen wir dieses neue und entscheidende Problem weitgehend den anderen Parteien", während die CDU die "einmalige Gelegenheit bisher nicht ergriffen (hat), die eine so konservative Idee wie die Bewahrung der natürlichen Umwelt ihr" biete.288 Seine eigenen "Bemühungen, die gesunde Umwelt bereits im letzten Wahlkampf (Anm.: 1972) stärker als unser Ziel herauszustellen", hätten "wenig Unterstützung in der Führung der CDU" gefunden. 2 89 Dementsprechend fordert Gruhl, daß die Tätigkeit der von ihm mitinitiierten "Arbeitsgruppe für Umweltvorsorge" "eine viel stärkere Unterstützung von seitender Fraktion fmden müsse" und kritisiert indirekt den Fraktionsvorsitzenden Carstens als Adressaten seines Schreibens: "Es wird nötig sein, daß sich auch der Fraktionsvorsitzende in unüberhörbar deutlicher Weise zu den Fragen äußert". In seiner Darstellung der zu unternehmenden "praktischen Schritte" setzt sich Gruhl mit der Haltung der CDU I CSU-Fraktion zum umweltpolitischen Gesetzgebungsprogramm der Bundesregierung auseinander. Dabei kritisiert er 285 286 287 288 289

Ebenda, S. 3. Ebenda, S. 3. Ebenda, S. 4. Ebenda, S. 5. Ebenda, S. 5.

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Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

insbesondere die Haltung zu der von der Regierung Ende 1970 vorgeschlagenen Grundgesetzänderung, 290 durch die dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für Luftreinhaltung, Lärmbekämpfung, Wasserhaushalt und Naturschutz verliehen werden sollte: "Die CDU I CSU- regierten Länder haben mit der Ablehnung in der ersten Lesung unsere Partei in eine fatale Situation gebracht. "291 Da ihn die gesamte Fraktion ausdrücklich ermächtigt habe, am 16.12.1970 im Bundestag die Zustimmung zu der von der Bundesregierung beantragten Verfassungsänderung in Aussicht zu stellen,292 sehe man sich nun bei den Koalitionsparteien des Vorwurfs eines Wortbruchs ausgesetzt und "auch in der eigenen Partei findet die Haltung der CDU-Länder kein Verständnis. "293 Zudem legt Gruhl eine detaillierte Liste der einzelnen Gesetzgebungsvorhaben, insbes. der Bundesregierung vor294 und weist darauf hin, daß "allein die fundierte sachliche Mitberatung an den zum Teil in der Materie sehr schwierigen Gesetzen" von der Fraktion "große Anstrengungen" erfordern werde; an eigene Gesetzentwürfe sei kaum zu denken: "Dazu fehlen z.Z. die arbeitsmäßigen und personellen Voraussetzungen fast ganz. "295 Die Fraktion sei "noch weit entfernt" davon, die Umweltproblematik in ihre Planungen und Aussagen einzuarbeiten, weshalb es gelte, "den Informationsstand unserer Fraktion bedeutend zu verbessern. •296 Das Gruhl-Papier bestätigt und konkretisiert also die Einschätzung der Literatur vom verpaßten umweltpolitischen Einstieg der CDU, die von der Etablierung des neuen Politikfeldes durch die Bundesregierung überrascht und zu einer angemessenen und eigenständigen Reaktion zunächst kaum in der Lage war. Wie gering die Bereitschaft der Parteiführung zur Verbesserung dieser Situation war, macht der folgende Umstand deutlich. Zur Verringerung der konstatierten Defizite regt Gruhl in dem Schreiben eine "Klausurtagung" 290 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 74 GO - Umweltschutz), Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 20.10.1970, BT-Drucks. VI /1298; vgl. dazu die Beratung des Bundestages, Stenogr. Prot. 6. WP, 87. Sitzg. am 16.12.1970, S. 4797 ff. 291 Gruhl an Carstens (1973), S. 9. 292 Dazu Gruhls Debattenbeitrag im BT, Stenogr. Prot. 6. WP, 87. Sitzg. am 16.12.1970, S. 4804. 293 Gruhl an Carstens (1973), S. 9. 294 Ebenda, S. 8-11 - um Vorschläge der Bundesregierung handelt es sich danach bei den Novellen zum WHG (incl. der dazu erforderlichen Verfassungsänderung), zum DetergentienG und zum Atom- und Strahlenschutzrecht sowie bei den Gesetzentwürfen zum AbwAG, zum BNatSchG und zur Einführung eines Umweltgrundrechts. 295 Ebenda, S. 11. 296 Ebenda, S. 11.

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der Fraktion an, in der sich diese "mit der Gesamtproblematik etwas mehr vertraut macht", und zu der er als Referenten die deutschen Mitglieder des Club of Rome Pestel und von Kortlfteisch gewinnen wollte. Die ablehnende Reaktion des Fraktionsvorsitzenden Carstens ist bezeichnend; in seiner handschriftlichen Randnotiz heißt es schlicht: "Dort werden doch nur wenige mitarbeiten. "297 Wie recht Gruhl zudem mit seiner Befürchtung hatte, es werde der CDU "schwerfallen", ihre Position in der Frage der Umweltkompetenzen im Grundgesetz "in der Öffentlichkeit zu verteidigen", 298 belegen zahlreiche kritische Zuschriften aus der Bevölkerung, die die Fraktion 1971 I 72 zu diesem Thema erhielt und in denen sie aufgefordert wurde, dem Regierungsentwurf zur Schaffung von umfassenden Kompetenztiteln für den Umweltschutz zuzustimmen.299

2. Die SPD, insbesondere der "Blaue Himmel"-Wahlslogan 1961

Zu den in der Literatur häufig genannten Ansätzen einer frühen "Umweltpolitik" gehört der Brandtsche Wahlslogan vom "Blauen Himmel über der Ruhr" aus dem Jahr 1961.300 Daß ein Antrag der SPD-Bundestagsfraktion vom 4. Juli 1956,301 in dem ein Bericht der Bundesregierung über die Verunreinigung der Luft durch Industriebetriebe gefordert wurde, 302 keine Erwähnung findet, deutet auf die fehlende öffentliche Beachtung des Antrags hin, der überdies keine Initiative der Partei selbst war. Motiviert wurde er vielmehr durch den bereits erwähnten Initiativantrag des Abg. 0. Schmidt (CDU) auf Landesebene, der wiederum eine Anregung des SVR-Verbandsdi297 Ebenda, S. 7. 298 Ebenda, S. 10. 299 Vgl. die Eingaben und Stellungnahmen von Bürgern und Naturschutzverbänden an die CDU I CSU-Fraktion aus den Jahren 1970-74, ACDP Vlll 002 Nm. 0521 3, 05214, 052 I 5 u. 107 12. 300 Vgl. etwa Kloepfer, Umweltrecht, § 1 Rn. 13; Müller, S. 51; Wey, S. 154, 158; E. U. v. Weiuäcker, S. 24 (allerdings fälschlich auf 1969 datiert); Margedanl, APuZ B 29 v. 18.7.1987, S. 15 (17); GlagowiMurswieck, APuZ B 27 v. 3.7.1971, S. 3 (9); Küppers I Lundgreen I Weingart, S. 103 f . 301 BT-Drucks. li 12598. 302 Diesen legte der Bundesminister fur Arbeit am 31.7.1957 vor: Bericht der Bundesregierung zum Beschluß des Deutschen Bundestages vom 11. Januar 1957 auf Grund des Antrags der Fraktion der SPD betreffend die Verunreinigung der Luft durch Industriebetriebe und andere Ursachen, BT-Drucks. li 13757.

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rektors Kegel aufgriff, als er 1955 im Landtag von NRW einen solchen Regierungsbericht forderte;303 SPD-Sprecher Jochern war damals der Ansicht, das Problem sei nur auf Bundesebene zu lösen, was letztlich zu der ähnlichen Entschließung führte. 304 Über den Bereich der Luftreinhaltung hinaus ging die SPD dann 1961 in ihrem Wahlkampf. Obwohl es sich um einen Bundestagswahlkampf handelte, war die Forderung, die erst als Punkt 9 im Brandischen Wahlprogramm auftauchte, 305 primär auf die Ruhrgebiets-Situation und daher auf die nordrheinwestfälischen Wähler zugeschnitten ("Himmel über der Ruhr"). Der Text des Programmpunktes, von dem Kanzlerkandidat Brandtauf dem außerordentlichen Kongreß der SPD in Bonn am 28.4.1961 nur den ersten und letzten Satz vortrug, 306 lautete vollständig so:

"9. 'Reine Luft', 'reines Wasser' und 'weniger Lärm' dürfen keine papierenen Forderungen bleiben. Erschreckende Untersuchungsergebnisse zeigen, daß im Zusammenhang mit der Versehrnutzung von Luft und Wasser eine Zunahme von Leukämie, Krebs, Rachitis und Blutbildveränderungen sogar schon bei Kindem festzustellen ist. Es ist bestürzend, daß diese Gemeinschaftsaufgabe, bei der es um die Gesundheit von Millionen Menschen geht, bisher fast völlig vernachlässigt wurde. Der Himmel über dem Ruhrgebiet muß wieder blau werden! "3°7 Die Tatsache, daß die ersten drei Schlagworte offensichtlich als Zitate verstanden werden, wirft die Frage auf, an welcher Stelle diese "papierenen Forderungen" zum damaligen Zeitpunkt bereits erhoben worden waren. Es deutet einiges darauf hin, daß das Programm hier an den Aufruf des SVRVerbandsdirektors Kegel "Die Luft im Industriegebiet muß sauberer werden!" vom 15. März 1954 anknüpft, der im Zusammenhang mit dem bereits zitierten IPA-Gesetzentwurf zur Luftreinhaltung stand. 308 Zum einen forderte der

303 Siehe oben Teil 1 B I 1 b bb. 304 Wey, S. 184. 305 Brandt, Regierungsprogramm, in: SPD, Regierungsprogramm der SPD (Broschüre zur Bundestagswahl1961), S. 19 (25). 306 Die Rede ist abgedr. in: Archiv der Gegenwatt 1961, S. 9066 (9067). 307 Brandt, Regierungsprogramm (1961), S. 19 (25).

308 !PA-Drucks. Nr. 20 V. 3.6.1954; eingehend dazu oben Teil1 B n 2 b aa.

B. Nicht-regierungsamtliche frühe Ansätze

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Zweckverband in seinem Aufruf die "Reinhaltung der Luft in Industriegebieten" nach dem Vorbild der "Reinhaltung des Wassers im Ruhrgebiet" durch die Wasserverbände,309 stellte also auf dieselben Umweltmedien (Luft und Wasser) und dieselbe geographische Region ab. Zum anderen kommt auch in dem SVR-Aufruf deutlich der Bezug "zu den gesundheitlichen Schäden an den Menschen"3 10 zum Ausdruck. Dafür, daß der Programmpunkt Nr. 9 auf den Aufruf des Ruhrsiedlungsverbandes zurückgeht, spricht insbesondere die in beiden Texten zu fmdende Verwendung der auffälligen Formulierung "diese Gemeinschaftsaufgabe". 311 Bei der scheinbaren SPD-Erfmdung dürfte es sich also um das Aufgreifen von etwas durch die Exekutive (hier: den SVR) bereits Vorgedachtem handeln, wobei es die SPD - im Gegensatz zum Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk -lange Jahre tatsächlich bei "papierenen Forderungen" belassen hat. Daß die SPD selbst den Slogan heute gern als "Geburtsstunde der (SPD-) Umweltpolitik"312 verstanden wissen will, ist nachvollziehbar. Dabei wird jedoch eingeräumt, daß er seine Wirkung "erst längerfristig" entfaltete, nämlich "beispielsweise im Bundestagswahlkampf 1972 ( ... ), wo er als Anzeige geschaltet wurde•313, d.h. also nach dem Umweltprogramm der Bundesregierung von 1971. Möglicherweise ist jedoch ein Vorgang in der Exekutive als Reaktion auf die - ansonsten ungehörte - Forderung zu deuten. So bildete nämlich ausgerechnet im Jahre 1962 die neu berufene Bundesministerin für Gesundheit Elisabeth Schwarzhaupt eine neue Abteilung, die sich "Gewässerschutz, Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung" nannte, 314 eine Maßnahme, die für das jedenfalls in Ansätzen früh entwickelte Problembewußtsein der Exekutive in diesem Bereich spricht. Auch die Tatsache, daß die Zuweisung dieser Aufgaben an das neu zu gründende Bundesministerium für Gesundheit bereits in der Erhardschen Regierungserklärung von 1961

309 Kegel, Anhang zur !PA-Drucks. Nr. 20, S. 4. 310 Ebenda, S. 1. 311 Ebenda, S. 4; so wurde der Tenninus "Gemeinschaftsaufgaben" in das Grundgesetz erst später mit Art. 91 a durch das 21. ÄndG v. 12.5.1969 (BGBI. I S. 359) eingefügt.

312 SPD-Parteivorstand (Referat Arbeit, Technik, Umwelt), Schriftliche Auskunft v. 3.12.1990. 313 Ebenda. 314 Schriftliche Auskunft von Ministerialdirektor a. D. Berg (Hamburg) v. 18.1.1992, der damals aus der Abteilung "Wasserbau" des Bundesverkehrsministeriums geholt und zum Leiter der neuen Abteilung bestellt wurde.

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angekündigt worden war, 315 könnte dafür sprechen, daß es sich um eine Reaktion auf den SPD-Wahlslogan desselben Jahres gehandelt hat. Eine Thematisierung des Umweltschutzes in der öffentlichen Meinung ist dem Slogan jedoch zum damaligen Zeitpunkt nicht gelungen. So führt Wey aus, die CDU habe sich 1961 - ungestraft durch das Wählerverhalten - über die SPD-Forderungen nach dem 'blauen Himmel über der Ruhr' lustig machen können; angesichts der Untätigkeit der Mehrheit der Bundespolitiker könne der geringe Grad des öffentlichen Interesses an Umweltschutzbelangen kaum überraschen, wobei die Zurückhaltung der Politiker ein Reflex auf das nicht vorhandene Problembewußtsein in der Bevölkerung gewesen sei.316 Tatsächlich wurde der Slogan damals belächelt31 7 und blieb in Bezug auf den erhofften Wahlwerhe-Effekt und die öffentliche Meinung völlig erfolglos.3 18 So konnte es sich etwa Bundeswirtschaftsminister Ludwig Ehrhard erlauben festzustellen, die SPD verspräche mit ihrem "blauen Himmel" "Hustenbonbons", und der CDU-Vorstandssprecher Dr. Heinz Pellenberg erklärte sogar: "Wenn man dieses Programm der SPD tatsächlich ernst nimmt, muß man feststellen, daß es eine Freikarte für eine gefährliche Fahrt ins Blaue, das sichere Rezept für den Bankrott des Staates und ein Dokument der Verantwortungslosigkeit ist" .319 Dies macht verständlich, warum die SPD-Fraktion im Bundestag Erhards Kehrtwende Ende 1961 mit Überraschung aufnahm. 320 Interessanterweise wird der Slogan vom "Blauen Himmel über der Ruhr", der mittlerweile

315 Vizekanzler Erhard, Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag, Stenogr. Prot.

4. WP, 5. Sitzg. am 29.11.1961, S. 22 ff (24); näher zur Rolle des Bundesgesundheitsministe-

riums unten Teil 1 C I. 316 Wey, S. 187. 317 Dies zeigt noch die Reaktion auf die Brandische Regierungserklärung von 1968; vgl. ferner lnfaS (1973), S. 1: "Seitdem sind vielfache Forderungen, wie zum Beispiel die ehemals verhöhnte SPD-Parole vom 'blauen Himmel über der Ruhr', zum Allgemeingut geworden." (Hervorhebg. v. Verf). 318 Küppers I Lundgreen I Weingart, S. 103 f. 319 Zit. nach: SPD-Information Nr. 3 ("Reaktion"), Anzeige zur Bundestagswahl, abgedr. in: Der Spiegel Nr. 36 v. 28.8.1972, S. 11. 320 Auf die Ankündigung der neuen Abteilung in der Regierungserklärung Erhards erfolgt ein zweimaliger Zwischenruf von Wehner "Hört! Hört!"; das Protokoll verzeichnet an dieser Stelle zudem "weitere Zurufe und Lachen bei der SPD" (Stenogr. Prot. 4. WP, 5. Sitzg. am

29.11.1961, s. 24.

B. Nicht-regierungsamtliche frühe Ansätze

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Realität geworden ist, heute hingegen vielfach aufgegriffen und als Schlagwort so oder in ähnlicher Form verwendet.321 Abgesehen von der damals verfehlten Wirkung war das, was die SPD 1961 forderte, inhaltlich eher konventionell und in keiner Weise mit dem anspruchsvollen Umweltprogramm der Exekutive von 1971 vergleichbar. So wurde etwa angekündigt, die SPD werde "den 'Goldenen Sportplan' tatkräftig verwirklichen helfen und dafür sorgen, daß die anerkannten Pläne zur Erweiterung von Erholungsgebieten und Naturparks Wirklichkeit werden"322, was den tradierten Kontext der "Volksgesundheit" deutlich macht, der auch in der oben zitierten Passage zum Ausdruck kommt. Im übrigen hatte Brandt 1960 zwar vom "Kampf gegen die Gefahren des Atoms" gesprochen, jedoch ausschließlich die Gefahren der militärischen Nutzung der Kernenergie gemeint.323 Frühe rechtspolitische Initiativen der SPD-Fraktion- wie etwa ein Antrag für ein Kreditprogramm zur Reinhaltung der Luft aus dem Jahr 1965324 oder für eine StVZO-Richtlinie zur Abgasminderung aus dem Jahr 1964325 - blieben sektoral und bildeten die Ausnahme. Später gab es auch in der SPD-Bundestagsfraktion einzelne Abgeordnete, die sich - wie vor allem Erhard Eppler - umweltpolitisch engagierten;326 auch Gruhl erkennt an, die "Reden der Minister Vogel und Eppler (ließen) auch eine ernsthafte Beschäftigung mit dem Gesamtproblem erkennen"327 und bezieht sich damit offenbar auf den Bun-

321 Vgl. z.B. einen Bericht über die Bundesgartenschau in Dortmund unter der Titelzeile "Das grüne Gegenstück zum blauen Himmel über der Ruhr" , Janik, FAZ Nr. 139 v. 19.6.1991,

S. 11; Schmidt, FAZ Nr. 236 v. 11.10.1991, S. 35: "... präsentiert sich die Ruhr mit blauem Himmel über grasgrünen Revieren."; E. Koch, Der Weg zum blauen Himmel über der Ruhr

(1983).

322 Brandtals Kanzlerkandidat in dem am 28.4.1961 auf dem Außerordentlichen Kongreß der SPD in Bonn vorgelegten "Regierungsprogramm der SPD", zit. nach: Archiv der Gegenwart

1961, s. 9066 (9067). 9. Ordentlichen Parteitag der SPD in Hannover v. 21.-25.11.1960, zit. nach: Archiv der Gegenwart 1960, S. 8776. 324 BT-Drucks. IV /2328 u. VI /2630. 325 BT-Drucks. IV /2329; der Antrag geht vermutlich auf die IPA-Initiative zu § 47 StVZO zur Reinigung der Abgase von Verbrennungsmotoren zurück, IPA-Drucks. Nr. 359 v. 6.11.1964,

323 Rede auf dem

ACDP VIII-002 Fasz.-Nr. 045 I 6. 326 Malunat, B 29 v. 18.7.1987, S. 29 (31); Wey, S. 161 f. 327 Schreiben Gruhl an Carstens v. 5.7.1973, ACDP VIII 002 Nr. 052/ 5, S. 5; Anm.: E. Eppler war von 1968- 74 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.

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destagswahlkampf 1972.328 Zwar hatte die theoriefreudige SPD bereits 1968 in ihren "Perspektiven im Übergang zu den siebziger Jahren" und bald darauf im "Orientierungsrahmen für die Jahre 1975-1985" umweltpolitische Themen angeschnitten, den Diskussionsstand jedoch nicht hinreichend verarbeitet; nach Malunat war die SPD noch zu sehr darauf fixiert, die Ausbeutung des Menschen durch verstärkte Ausbeutung der Ressourcen zu kompensieren. 329 Auch Wey weist darauf hin, bezeichnend für den damaligen umweltpolitischen Bewußtseinsstand der SPD sei nicht die Argumentation mit ökologischen, "sondern mit ökonomischen Überlegungen" gewesen.330 Noch der umweltpolitische Leitbegriff des SPD-Bundestagswahlkampfs von 1972, die "Lebensqualität", 331 macht deutlich, daß man - sozialdemokratischer Tradition entsprechend - auch hier vom Menschen und insbes. vom arbeitenden Menschen aus gedacht hat: "Qualität des Lebens", für die auch der DGB eintrat, bedeutete auch "Humanisierung der Arbeitswelt" und Priorität der Arbeitsplatzsicherung; 332 mit diesem Begriff von 1972 hatte das Thema also noch eine andere Dynamik.333 Ihr erstes "wirkliches" Umweltprogramm beschloß auch die SPD erst spät, nämlich Ende 1979.334

3. Die F.D.P.- Partei des ersten "Umweltministers"

Dieses zunächst reaktive Grundmuster gilt auch für die FDP; sie stellte zwar mit ihrem Parteivorsitzenden Genscher den für die Umweltpolitik maßgeblichen und gestalterisch tätigen Bundesinnenminister; seine umwelt328 Das bei Gruhl (ebenda, S. 5) zitierte Schlagwort von der "Qualität des Lebens" wurde von der SPD 1972 geprägt- vgl. die SPD·Wahlwerbung in: Der Spiegel Nr. 36 v. 28.8.1972, S. 11 sowie Wey, S. 160. 329 APuZ B 29 V. 330 S.

162.

18.7.1987, s. 29 (30 f).

331 Beispiel aus der SPD-Annonce "Die Wirtschaft blüht" (in: Der Spiegel Nr. 36 v. 28.8.1972, S. 11): "Wir haben Zeichen für mehr Lebensqualität gesetzt. Beispiel München: die neue Fußgängerzone ist zu einer Oase mitten in der City geworden. Und die U-Bahn bringt Sie bequem durch die Innenstadt. Allerdings: Wer von Lebensqualität redet, ohne den Mut zu haben, auch zu sagen, daß dafür der Staat mehr Geld braucht, der ist unglaubwürdig."

332 Malunat, B 29 v. 18.7.1987, S. 29 (31) für den DGB-Siogan; kritisch zum SPD-Schlagwort Gruhl, Schreiben an Carstens v. 5.7.1973, ACDP VID 002 Nr. 052/5, S. 5; teilweise skeptisch auch Wey, S. 161 f.

333 Bloemer I Seitz I Strasser, NG I FH 1992, 505. 334 SPD, Sicherheit für die 80er Jahre: Ökonomie, Ökologie, Umweltschutz, beschlossen auf dem Bundesparteitag in Berlin v. 3.-7.12.1979.

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politischen Impulse erhielt dieser jedoch keineswegs aus der Partei, sondern von außen sowie von seinen Ministerialbeamten. 335 Die Parteiprogrammatik der FDP vollzog den exekutivischen Auftakt zur Umweltpolitik erst 1971 in den Freiburger Thesen zur Gesellschaftspolitik nach. Dafür war ihre Umweltprogrammatik wesentlich deutlicher und konsequenter ausgeformt als diejenige der großen Volksparteien. 336 So wurde etwa verfassungsrechtlich eine große Lösung gefordert, d .h. sowohl ein in Art. 2 GG angesiedeltes Grundrecht "auf eine menschenwürdige Umwelt" als auch eine Staatszielbestimmung, durch die die natürlichen Lebensgrundlagen unter den "besonderen Schutz der staatlichen Ordnung" gestellt werden sollten.337 Gerade die Formulierung des Umweltgrundrechts läßt die Vorbildfunktion des Umweltprogramms der Bundesregierung von 1971 für die POP-Programmatik deutlich werden, sprach doch auch das Regierungsprogramm vom "Recht auf menschenwürdige Umwelt" und vom Umweltschutz als "vorrangiger Aufgabe staatlicher Daseinsvorsorge". 338 Ein spezielles Umweltprogramm beschloß auch die FDP erst Ende der siebziger Jahre.339Immerhin dürfte es ihrem zwar auch verspäteten, aber dann doch deutlichen umweltpolitischen Engagement zuzuschreiben sein, daß die FDP unter den etablierten Parteien vom BUND noch 1980 die besten Noten für ihr Umweltprogramm erhielt.340

4. Gesamtbewertung der Rolle der Parteien

Die Gesamtbewertung der Rolle der politischen Parteien bei der Etablierung des "Umweltschutzes" als Politikbereich fällt im Schrifttum negativ aus. Bis zum Beginn der Umweltpolitik der Bundesregierung 1969/70 seien die Parteien in diesem Bereich weitgehend desinteressiert und inaktiv gewesen;341 Vgl. dazu eingehend unten Teil1 C 112 a u. 111. 163 f. 337 Vgl. Malunat, APuZ B 29 v. 18.7.1987, S. 29 (31). 338 BT-Drucks. VI /2710, S. 9. 339 FDP, F.D.P. und Umweltschutz: Umweltpolitische Beschlüsse des 30. ordentlichen Bundesparteitags in Bremen v. 15.-17.6.1979. 340 BBU e. V. I BUNDe. V., Parteien zur Umwe1tpolitik. Vergleich der Wahlprogramme für die Bundestagswahl am 5.10.1980, ACDP Vill 002 Nr. 052/5; BUND-Landesverband Ba.-Wü., Parteien auf dem Öko-Prüfstand, Natur & Umwelt Heft 2/ 1980. 341 Bungarten, S. 27; Glagow I Murswieck, APuZ B 27 v. 3.7.1971, S. 3 (17); eingehend zur Parteiprogrammatik Wiehn, Die Umweltprogrammatik deutscher Parteien (1978).

335

336 Wey, S.

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dasselbe gelte für die Parlamentsfiihrungen.342 In den Wahlkämpfen 1965 und 1969 habe das Umweltthema keine Rolle gespielt343 und sich auch nicht in entsprechenden Presseberichten widergespiegelt;344 zum zugkräftigen Wahlkampfthema sei der Umweltschutz in der Bundesrepublik vielmehr erst 1972 geworden, 345 und Eingang in die Parteiprogramme habe er erst ab 1971 gefunden. Dementsprechend fmdet sich zur Kennzeichnung der Parteiarbeit in der Anfangsphase der Umweltpolitik das Wort von der "Umweltabstinenz" der Parteien; die Regierungsaktivitäten seien nicht etwa von den "Regierungsparteien", 346 sondern entscheidend von der Exekutive selbst angestoßen worden.347 Man stellt eine "zunächst träge" Reaktion auf die Umweltprobleme durch die Parteien fest, die erst spät "opportunistisch reagierten", indem sie die Forderung nach mehr Umweltschutz in die Parteiprogramme aufnahmen. 348 Dieser Gesamtbewertung ist im wesentlichen zuzustimmen. Ein Vergleich der Programmarbeit der Bundesregierung im Umweltschutz mit den frühen umweltprogrammatischen Aktivitäten der politischen Parteien geht eindeutig zu Lasten der politischen Parteien aus. Insbesondere haben die Parteien vor 1971 - im Gegensatz zur Exekutive - die Dimension der Gesamtproblematik "Umweltschutz" verkannt. Gruhl stellt immerhin noch 1973 fest, daß in den politischen Parteien "die ganze Tragweite dessen, was da kommt, noch nicht begriffen worden ist". 349 Auch die geschilderten punktuellen, zumeist ruhrgebietsspezifischen Ansätze, die i.d.R. den Immissionsschutz betreffen, rechtfertigen es nicht, von einer Politisierung des Umweltschutzes insgesamt zu sprechen, zumal die Programmatik der Parteien davon unberührt blieb; noch 342 343

Glagow I Murswieck, APuZ B 27 v. 3.7.1971, S. 3 (17). Müller, S. 55.

Umweltgutachten 1978, Tz. 1400. Vgl. DIE GRÜNEN, Programm zur 1. gesamtdeutschen Wahl 1990, S. 4: "Spätestens 1972 wurde in der Bundesrepublik der Umweltschutz als Wahlkampfthema entdeckt und ausgeschlachtet. " 346 Der eingebürgerte Begriff "Regierungsparteien" (vgl. etwa die Verwendung in den Stenographischen Protokollen des BT, z.B. 6. WP 5. Sitzg. v. 28.10.1969, S. 20) ist staatsrechtlich verfehlt, da es der Regierung, die dem Gemeinwohl verpflichtet ist (Art. 64 ß, 56 GG), gerade verwehrt ist, sich mit bestimmten politischen Parteien zu identifizieren - vgl. näher Vierhaus, ZRP 1991, 468 ff. 347 Glaeser, S. 41; Hartkopf I Bohne, S. 137. 348 Höfer, Die Natur als neuer Mythos, APuZ B6 v. 2.2.1990, S. 35. 349 Schreiben Gruhl an Carstens v. 5.7.1973, S. 5, ACDP Vill-002 CDU I CSU-BT-Fraktion, Fasz.-Nr. 052 I 5.

344 SRU, 345

93

B. Nicht-regierungsamtliebe frühe Ansätze

1969 gab es in keiner Partei Ansätze eines umweltpolitischen Programms.350 Es bleibt daher festzuhalten, daß die Parteien es nicht verstanden haben, die bereits früh vorhandenen programmatischen Ansätze wie etwa die "Grundsätze für naturgemäße Wirtschaftsweise" oder die "Grüne Charta" von der Mainau aufzugreifen, konzeptionell auszuformen und wirksam in den politischen Raum zu übersetzen oder an die breite Öffentlichkeit zu tragen, und dies, obwohl etwa die !PA-Mitglieder selbst dem parlamentarischen Bereich angehörten. Mit dem Sachverständigenrat ist somit für die sechziger Jahre zu resümieren: "Die Probleme waren parteipolitisch nicht besetzt. •351 Als Erklärung bleibt nur, daß im gesellschaftlich-politischen Raum, dem die Parteien angehören, 352 Interesse an Umweltfragen zum damaligen Zeitpunkt noch kaum vorhanden war. Erst gegen Ende der siebziger Jahre fand der Umweltschutz verstärkt in die Programmatik der sog. etablierten Parteien Eingang.353 Grüne Parteien entstanden ebenfalls erst Ende der siebziger, manche erst Anfang der achtziger Jahre: Gegründet wurden an grünen Splitterparteien die Grüne Liste Umweltschutz (GLU) 1977, die Grüne Aktion Zukunft (GAZ) im Juli 1978 und die Ökologisch Demokratische Partei (ÖDP) im März 1982.354 Wichtige Impulse für die Umweltpolitik der achtziger Jahre gingen von der Partei DIE GRÜNEN aus, die am 13.1.1980 auf Bundesebene gegründet wurde, 355 also erst ein Jahrzehnt nach dem Beginn der Umweltpolitik der Bundesregierung entstand und von 1983 bis 1990 im Bundestag vertreten war.

V. Naturschutzvereine, Bürgerinitiativen, Umweltverbände Die traditionellen Naturschutzvereine existierten bereits lange vor der Gründung der Bundesrepublik, so etwa der Deutsche Verein zum Schutz der

350 Müller, S. 55 . 351 SRU, Umweltgutachten

1978, Tz. 1400.

352 BVerfG, NJW 1992, 2545, Ls. 1.

353 Vgl. die oben zitierten Parteiprogramme.

354 0/zog I Liese, S. 178 ff. 355 Dies., S. 136; als Landespartei zogen DIE GRÜNEN zwischen Oktober 1982 in sechs Landtage ein (vgl. Müller, S. 117).

1979 und September

94

Teilt Die Etablierung des Umweltschutzes

Vogelwelt (1875), der Bund für Vogelschutz (1899)356 oder der Bund Naturschutz in Bayern (1913). 357 Dabei blieb der konventionelle Heimat- und Naturschutz im allgemeinen eine lokal und regional verwurzelte vorpolitische Bewegung. 358 Im Nationalsozialismus sind der Naturschutzgedanke und die Wandervogel- und Jugendherbergsbewegung dann von der Blut-und-BodenIdeologie durchsetzt und pervertiert worden. 359 Nach Gründung der Bundesrepublik wurde als Dachverband auf dem Gebiet des Naturschutzes im weiteren Sinne im Jahr 1950 der Deutsche Naturschutzring (DNR) ins Leben gerufen, der allerdings auch Vereine von Jägern, Anglern, Wanderern und Reitern umfaßte.360 1957 zählte der DNR 60 Vereine mit etwa 900.000 Mitgliedern.361 1963 erfolgte die Gründung der deutschen Organisation des World Wildlife Fund (WWF), 362 dessen Zielsetzung es ist, bedrohte Tier- und Pflanzenarten vor dem Aussterben zu bewahren363 - ein Gedanke, dem in den 60er Jahren in der deutschen Öffentlichkeit noch keine große Bedeutung beigemessen wurde.364 Teilweise geht man davon aus, daß bereits Ende der sechziger Jahre zahlreiche Bürgerinitiativen entstanden;365 anderer Ansicht zufolge soll die Mehrzahl der Gründungen hingegen in den Zeitraum von 1970 bis 1972 fallen.366 Nach Küppers I Lundgreen I Weingart entstehen in Deutschland die Bürgerinitiativen in nennenswertem Umfang erst, nachdem sich das Umweltproblem zur "issue" kristallisiert hat.367 Einigkeit besteht jedenfalls dahingehend, daß

356 Später "Deutscher Bund für Vogelschutz", ab Mai 1990 "Naturschutzbund Deutschland" (vgl. Comelsen, S. 12). Vgl. zum Vogelschutzbund eingehend Honemann I Simon, Die Chronik eines Naturschutzverbandes von 1899-1984 - Deutscher Bund für Vogelschutz e .V. (1987). 357 Comelsen, S. 11 f . 358 Wey, S. 134. 359 Lob, Deutscher Heimatbund Info-Dienst, Sonderausgabe 1991 I 1992, S. 21; vgl. zum Naturschutz im Nationalsozialismus auch Wey, S. 147 ff. 360 Comelsen, S . 13. 361 Lob, s. 21. 362 Comelsen, S. 13; der Name wurde 1986 geändert in World Wide Fund for Nature (ebenda,

s. 99).

363 Comelsen, S. 364 Lob,

s. 21 f.

98 ff.

365 Hankopf I Bohne, S. 164; eingehend MalUIUll, Bürgerinitiative, in: Kimminich I v. Lersner I Storm (Hg.), HdUR I, Sp. 283 - 290. 366 Margedanl, APuZ B 29 v. 18.7.1987, S. 15 (24 Fn. 34); Lob, S. 22 ("seit ca. 1970"). 367 Küppers I Lundgreen I Weingan, S. 112.

B. Nicht-regierungsamtliche frühe Ansätze

95

diese anfangs überwiegend kein ausgeprägtes ökologisches Profil hatten, 368 sondern das Umweltthema verstärkt erst in den 70er Jahren aufgriffen.J69 Vielmehr lagen die thematischen Schwerpunkte der Bürgerinitiativen anfangs im Bildungsbereich sowie bei regionalen Planungsaufgaben. 370 Ein Erstarken der Bürgerinitiativen ist Mitte der siebziger Jahre, insbes. im Zusammenhang mit den Vorgängen in Wyhl 1975 festzustellen.371 Nach empirischen Untersuchungen befaßten sich erst 1975 I 16 vierzig bis fünfundvierzig Prozent der Bürgerinitiativen mit Umweltschutzfragen. 372 Noch während der 68er Studentenbewegung beschränkten sich die Bürgerinitiativen auf den Protest gegen sie unmittelbar betreffende lokale Großprojekte, 373 so daß die eher beiläufige Aussage E. U. von Weizsäckers, zusammen mit anderen Faktoren habe der "Studentenaufruhr von 1968" in Deutschland "den Beginn der Umweltpolitik zustande" gebracht, 374 wohl der Korrektur bedarf. Auch E. Müller kommt in der wohl umfangreichsten Untersuchung der Entstehung des neuen Politikbereiches zu dem Ergebnis, daß die Bürgerinitiativbewegung das Umweltthema verstärkt erst in den 70er Jahren aufgegriffen habe. 375 Für die sog. 68er Bewegung standen andere Themen ganz im Vordergrund, wie etwa "Demokratisierung", 376 Bürgerrechte, Vietnamkrieg, sexuelle Revolution, 377 Hochschulreform, Protest gegen die Verfassungsänderungen der Großen Koalition, insbes. die Notstandsverfassung378, und die "Springer-Presse". Die Studentenbewegung ignorierte das Umweltthema noch weitgehend. 379 In diesem Zusammenhang wird auch auf ihre sozialpsychologische Orientierung an 368 Margedant, APuZ B 29 v. 18.7.1987, S. 24, der dies auf den Zeitraum von 1970-75 bezieht.

369 Müller, APuZ B 47-48 v. 17.11.1989, S. 7. 370 Dierkes I Fietkau, Umweltbewußtsein-Umweltverhalten (1988), S. 116. 371 Olzog I Liese, S. 135; unhaltbar insofern die Behauptung von Sieferle (in: Hassenpjlug,

1991, S. 273), die Umweltpolitik sei in der Bundesrepublik durch die Bürgerinitiativbewegung angestoßen worden, die er mit dem Hinweis auf Wyhl (Anm.: So dürfte der Druckfehler "Wahl" aufS. 294 in Anm. 1 zu deuten sein) zu untermauem sucht. 372 Wey, S. 171; Margedant, APuZ B 29 v. 18.7.1987, S. 15 (24). 373 Höfer, APuZ B 6 v. 2.2.1990, S. 35 ff (38); ebenso Müller, APuZ B 47-48 v. 17.11.1989, S. 3 ff (7); Dierkes I Fietkau, S. 116. 374 E. U. v. Weizsäcker, S. 22. 375 Innenwelt der Umweltpolitik (1986); vgl. den Kurzbericht in APuZ B 47-48 v. 17.11.1989, S. 3 ff(7). 376 Jesse, Die Demokratie der Bundesrepublik Deutschland, 7. Aufl. (1986), S. 30. 377 Margedant, APuZ B 29 v. 18.7.1987, S. 15 (19). 378 Malunat, HdUR II, Sp. 283 (284). 379 Margedant, APuZ B 29 v. 18.7.1987, S. 15 (19).

96

Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

der amerikanischen Konsumgesellschaft verwiesen, 380 die einer besonderen Öko-Ideologie eher entgegensteht. Die frühe Bürgerinitiativbewegung der späten sechzigerund auch noch der ganz frühen siebziger Jahre war weit mehr Ausdruck einer allgemeinen "Politisierung" denn Speerspitze einer "Umweltbewegung". 381 Soweit sich Bürgerinitiativen bereits mit Umweltproblemen befaßten, taten sie dies in der Anfangsphase mit überwiegend "egoistischen Zielen": Die Bewegung war zunächst durch das Aufgreifen konkreter lokaler und regionaler Probleme "vor der Haustür" geprägt, ehe sich der Blick allmählich für grundsätzliche Fragen weitete. 382 Dies wird zum Teil damit erklärt, ein erheblicher Teil der Umweltbewegung sei noch Anfang der siebziger Jahre im Kern konservativ und dem Heimatschutzmotiv verhaftet gewesen. 383 Die Gründung eines Dachverbandes der Bürgerinitiativen sowie des ersten modernen Umweltverbandes erfolgte vergleichsweise spät. So schlossen sich die im Umweltschutz engagierten Bürgerinitiativen erst im Jahr 1972 im "Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz" (BBU) zusammen, 384 der "Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland" (BUND) entstand sogar erst 1975.385 Die Umweltverbände wurden also zu einem Zeitpunkt gegründet, in dem entsprechende staatliche Aktivitäten längst begonnen hatten und der Umweltschutz schon zum politischen Thema avanciert war. 386 Erst 1990 schließlich benannte sich der "Deutsche Bund für Vogelschutz" (s.o.) in "Naturschutzbund Deutschland" um.387 Was die inhaltliche Ausrichtung der Verbände betrifft, ist darauf hinzuweisen, daß es noch zu Beginn der 70er Jahre selbst unter engagierten Umweltschützern kaum jemanden gab, der sich intensiv mit den Problemen der Kernenergienutzung befaßt hätte. 388 So gehörte etwa der "Bund Naturschutz in Bayern" bis 1972 zu den Befürwortern der 380 Höfer, APuZ B 6 v.

2.2.1990, S. 35 ff (38). 18.7.1987, S. 15 (24).

381 Margedant, APuZ B 29 v.

382 Lob, S. 22; von einer zunächst nur lokalen Bedeutung spricht auch Pick, The Nuclear Controversy. Germany, in: Bullio (1971/72), S. 14 f; ähnl. Dierkes I Fietkau, S. 116, die erst "in der jüngsten Entwicklung" eine Hinwendung zur Beschäftigung mit allgemeinen ökologischen Problemen sehen. 383 Lob, s. 22. 384 Comelsen, S.

14.

385 Comelsen, S. 22 - der Vereinsname lautete zunächst "Bund Natur- und Umweltschutz Deutschland e.V. ". 386 Ellwein, Umweltverbände, in: Kimminich I v. Lersner I Storm, HdUR ll, Sp. 862 (863). 387 Comelsen, S. 63. 388 Wey, S. 221.

B. Nicht-regierungsamtliche frühe Ansätze

97

zivilen Nutzung der Kernenergie. 389 Der Widerstand formierte sich zu Beginn der siebziger Jahre zunächst zögerlich; einer großen Zahl von Kernkraftbefürwortern stand noch Mitte 1971 eine sehr kleine Gruppe von Kernkraftgegnern gegenüber, die im Weltbund zum Schutze des Lebens" oder im "Waerland-Verein" organisiert waren. 390 Die Kernkraftdebatte begann mit der Entscheidung zum Bau des Atomkraftwerks Würgassen. 391 Wenn Malunat behauptet, die Bürgerinitiativ- und Ökologiebewegung habe den umweltpolitischen Paradigmenwechsel in Gang gebracht und die politischen Parteien in Zugzwang gesetzt,392 so bezieht er sich offensichtlich auf einen wesentlich späteren Zeitpunkt, vermutlich auf die "grüne" Bewegung der 80er Jahre. 393 Die Behauptung, die Politisierung des Umweltschutzes in Deutschland sei das Verdienst sozialer Bewegungen 394 ist nach alledem nicht haltbar. Vielmehr gab es zu Anfang der siebziger Jahre weder eine akauf tive Umweltbewegung, noch reagierte die Bevölkerung Umweltbelastungen besonders sensibel; vom Druck der öffentlichen Meinung kann 1969 I 10 keine Rede sein. 395 Richtig ist vielmehr, daß die Umweltverbände Anfang der 70er Jahre ganz gezielt von Seiten einiger Ministerialbeamter gefördert, beeinflußt und teilweise sogar mitinitiiert worden sind.396 Von einer Impulsfunktion der Verbände für staatliche Umweltschutzaktivitäten kann danach keine Rede sein. 11

11

II ,

VI. Kirchen, Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände

Beide Kirchen haben sich mit Umweltfragen erst erstaunlich spät befaßt.397 Die früheste Aktivität auf diesem Gebiet fällt in das Jahr 1973, in 389 Comelsen, S.

22.

390 Pick, The Nuclear Controversy, S.

16.

391 Ders., S. 15, der zugleich darauf hinweist, daß in Stade, Brunsbüttel, Biblis, Philippsburg

und Ohu (bei Landshut) zu diesem Zeitpunkt noch kein Widerstand zu verzeichnen gewesen sei. 392 Malunat, APuZ B 29 v. 18.7.1987, S. 29. 393 Dafür spricht der nachfolgende Halbsatz ".. . als die programmatischen Forderungen der 'grünen' Partei immer mehr Anhänger fanden." (Malunat, S. 29); vgl. eingehend zur Geschichte der Grünen die Dissertation ihres ehemaligen Bundestagsabgeordnteten Kleinen, Aufstieg und Fall der Grünen. Analyse einer alternativen Partei (1992). 394 Sieferle, Umweltpolitik nach dem Ende der Geschichte, S. 273. 395 Voss, S. 10. 396 Vgl. dazu eingehend unten Teil Z B V. 397 Hartkopf I Bohne, S. 138. 7 Vierhaus

98

Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

dem der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) erstmals einen Beauftragten für Umweltfragen bestellte; es handelte sich um den Pfarrer Kurt Oeser (Mörfelden), der 1979 und 1985 wiederberufen wurde;398 Oeser war als Mitglied der "Interessengemeinschaft zur Bekämpfung des Fluglärms" im Jahre 1972 Beisitzer im Vorstand des damals gerade gegründeten BBU gewesen.399 Die Deutsche Bischofskonferenz äußerte sich im Jahre 1980 zu Fragen der Umwelt und der Energiepolitik. 400 Die erste programmatische Stellungnahme der Evangelischen Kirche zur Aufgabe "Umweltschutz", der in der kirchlichen Terminologie zumeist unter den Topos "Bewahrung der Schöpfung" gefaßt wird, 401 ist die 1985 mit der Deutschen Bischofskonferenz herausgegebene gemeinsame Erklärung "Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung" .402 Seither läßt sich eine rege Beschäftigung der Kirchen auch mit speziellen Teilbereichen der Umweltpolitik konstatieren, etwa mit dem Schutz der "Mitgeschöpfe" (Tier- und Pflanzenschutz),403 mit dem Problem der Klimagefahrdung404 oder mit ethischen Fragen der Gentechnik. 405 Kirchliches Engagement im Bereich des Umweltschutzes ist jedoch nicht auf die Ebene von Erklärungen und schriftlichen Stellungnahmen beschränkt, sondern erfolgt daneben durch vielfältige praktische Schritte auf regionaler und lokaler Basis.406 Ein solches Engagement erfolgte bereits 1972 in Form der Unterstützung der Gründung des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz, dessen erster Vorsitzender im Gründungsjahr der Leiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD Zilleßen gewesen ist, oder auch durch die unentgeltliche Überlassung kirchlicher Tagungsräume an Bürgerinitiativen. 407

398 Schriftliche Auskunft des Kirchenamtes der EKD v. 399 Kaczor, S.

19 f, 170.

400 Vgl. Hartkopf I Bohne, S. 138. 401 Schriftliche Auskunft des Kirchenamtes der EKD v.

16.12.1991. 16.12.1991.

402 Kirchenami der EKD I Sekretariat der Dt. Bischoftkonferenz, Verantwoi1Ung wahrnehmen

für die Schöpfung. Gemeinsame Erklärung des Rates der EKD und der Dt. Bischofskonferenz, 2. Aufl. (1985). 403 Vgl. Kirchenami der EKD I Sekretariat der Dt. Bischoftkonferenz, Gott ist ein Freund des Lebens (1990), S. 37 f (Kap. "Der Eigenwert der Milgeschöpfe des Menschen"); Kirchenami der EKD, Zur Verantwoi1Ung des Menschen für das Tier als Milgeschöpf (1991). 404 Vgl. Kirchenami der EKD, Energieeinsparung - Umrisse einer umwellgerechten Politik im Angesicht der Klimagefährdung (1990). 405 Vgl. Kirchenami der EKD, Einverständnis mit der Schöpfung. Ein Beitrag zur ethischen Urteilsbildung im Blick auf die Gentechnik (1991). 406 Schriftliche Auskunft des Kirchenamtes der EKD v. 16.12.1991. 407 Kaczor, S. 19.

99

8. Nicht-regierungsamtliche friihe Ansätze

Die Gewerkschaften reagierten erst in den 70er Jahren auf das neue Thema.408 Im Jahre 1970 bestellte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) einen Sachbearbeiter für Umweltschutz, der institutionell beim DGB-Bundesvorstand in der Abteilung Gesellschaftspolitik beheimatet war; im selben Jahr erfolgte die Gründung des Arbeitskreises "Sachbearbeiter für Umweltfragen" beim DGB-Bundesvorstand, dem die Umweltschutzsachbearbeiter der Einzelgewerkschaften angehörten. Programmatische Aktivitäten hingegen sind erst später zu verzeichnen, beginnend mit einem im April 1972 abgehaltenen Umweltkongreß der /G-Metall409 und der Verabschiedung von Leitsätzen zum Umweltschutz durch den DGB-Bundesausschuß im Mai 1972.410 Die Verabschiedung eines speziellen, 49 Thesen umfassenden Umweltprogramms durch den DGB-Bundesausschuß erfolgte schließlich im Jahr 1974. 411 Dieses wird jedoch inhaltlich als "plakatives Umweltschutz-Glaubensbekenntnis mit Leerformelcharakter" kritisiert.412 Trotz programmatischer Bekenntnisse zum Umweltschutz habe in der von den Gedanken der "Humanisierung der Arbeitswelt" und der "Qualität des Lebens" geprägten konkreten Gewerkschaftspolitik die Arbeitsplatzsicherung bis heute Vorrang vor strengeren Umweltschutzanforderungen behalten.41 3 Letzteres erscheint angesichts des Zwecks von Gewerkschaften konsequent. Die großen Wirtschaftsverbände (DIHT, BDI) hatten sich in den fünfziger und sechziger Jahren zumeist als "Bremser" umweltpolitischer Ansätze, insbes. der Luftreinhalte-Initiativen hervorgetan. 414 So sprach sich der BDI, als die IPA bereits 1954 I 55 an Vorschlägen für ein eigenständiges Immissionsschutzgesetz arbeitete, gegen eine spezialgesetzliche Regelung aus und wollte die Materie in der GewO belassen. Als daraufhin die IPA eine Verschärfung der GewO erarbeitete, lehnten BDI und DIHT diese als unnötig ab, da die bis-

408 Gross I Graw, Politik und Umwelt, in: Walletschek I Graw

(1991), Stichwort "Umweltschutz". S. 478 (479).

(1991),

S.

69 (73); Rittershafer

409 Vgl. IG Metall, Aufgabe Zukunft, Qualität des Lebens, Bd. 4: Umwelt, Beitrag zur 4. internationalen Arbeitstagung der IG Metall (1973).

410

Vgl. die Leitsätze des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum Umweltschutz, in: Gewerkschaftliche Monatshefte 9 (1972), S. 588- 594.

411 Vgl. Deutscher Gewerkschaftsbund, Umweltprogramm (1974). 412 Wey, S. 168. 413 Wey, S. 152 ff; Malunat, APuZ 8 29 v. 18.7.1987, S. 29 (31). 4l4Glagow1Murswieck, APuZ 8 27 v. 3.7.1971, S. 3 (11); Malunat, APuZ v. 18.7.1987, S. 29 (31); vgl. die Beispiele bei Wey, S. 165 ff, 174, 182, 191 f, 194.

8

29

100

Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

herigen Regelungen ausreichten. 415 Eine Ausnahme bildet die bereits geschilderte Kooperation von Staat und VDI in Gestalt der Kommissionen "Reinhaltung der Luft" und "Lärmminderung" ,416 wobei allerdings zu berücksichtigen ist, daß der VDI kein Wirtschaftsverband im engeren Sinne, sondern eine technisch-wissenschaftliche Vereinigung zur Förderung und Fortbildung der Ingenieure ist. 417 Wenngleich die Wirtschaftsverbände mit Beginn der offiziellen Politik 1969 I 10 den Umweltschutz verbal unterstützten,418 weist Staatssekretär Hartkopf aus dem BMI darauf hin, "der Kampf gegen die Industrie" sei "im Anfang insgesamt schwierig" gewesen.419 Die Stellungnahmen der Interessenverbände zu den Gesetzentwürfen der siebziger Jahre waren i.d.R. so aufgebaut, daß zunächst "die Zielsetzung des Gesetzes" (z.B. Gewässerschutz) begrüßt, der dazu vorgelegte Entwurf dann aber in zahlreichen Einzelpunkten abgelehnt und mit Änderungsvorschlägen versehen wurde. 420 Die Selbstdarstellung deutscher Großunternehmen siedelt den Beginn ihrer Umweltschutzbemühungen Anfang der siebziger Jahre an. So gibt z.B. die BASF in einer Informationsschrift über ihre heutige Umweltüberwachungsabteilung an, es seien "schon Anfang der 70er Jahre Schritte eingeleitet" worden, sich "einen Überblick über die allgemeine Luft-, Wasser- und Lärmsituation des Werks und dessen Umgebung zu verschaffen", seit 1972 werde ein Lärmkataster erstellt, seit 1974 eine zentrale Kläranlage betrieben. 421 Zeitlich gesehen stellt sich die Beschäftigung mit dem Thema "Umweltschutz" in der Wirtschaft als Reaktion auf die vorangehende Politisierung auf staatlicher Seite dar.

415 Glagow I Murswieck, A.PuZ B 27 v. 3.7.1971, S. 3 (10 f); Bungarten, S. 27. 416 Siehe dazu eingehend oben Teil 1 B m 2 a aa. 417 Vgl. dazu Marburger, S. 195, 222. 418 Müller, A.PuZ B 47-48 v. 17.11.1989, S. 3 (7 f). 419 Hartkopf, Bild der Wissenschaft Heft 4/1990, 114 (123); ähnl. ders., Umweltverwaltung, S. 101 f; vgl. auch Wey, S. 208 f. 420 Vgl. etwa Verband der Chemischen Industrie e. V., Stellungnahme zum Regierungsentwurf für ein Wasclunittelgesetz (BT-Drucks. 7/2271 v. 18.6.1974) vom 17.9.1974 sowie die Stellungnahmen des DIHT v. 16.10.1974 und des BDI v. 14.8.1974, alle ACDP Vill 002 Nr. 189/2 . 421 BASF, Umweltüberwachung (Broschüre ZOAG 904 40 He), S. 3; dies., Umweltschutz. Denken, Planen, Handeln. Fakten und Beispiele, 9. Aufl. (1990), S. 5, 24.

C. Die Besetzung des Themas "Umweltschutz"

101

C. Die Besetzung des Themas "Umweltschutz" durch Bundes~enmg und Ministerialbürokratie I. Sektorale Ansätze im Bundesgesundheitsministerium ab 1962 Auffällig ist, daß bereits die Vorläufer einer umfassenden Umweltpolitik relativ früh auf Regierungsebene institutionalisiert wurden. 1 Erste Ansätze einer regierungsamtlichen, noch ganz im Zeichen der sog. Volksgesundheit stehenden, sektoralen "Umweltpolitik" finden sich im Bundesministerium für Gesundheit während der sechziger Jahre schon bevor der Terminus "Umweltschutz" geprägt wurde. So wird in der von Vizekanzler Erhard im Namen von Bundeskanzler Adenauer am 29. November 1961 abgegebenen Regierungserklärung bei der Ankündigung der Einrichtung eines Gesundheitsministeriums dessen Arbeitsbereich wie folgt beschrieben: "Zu dessen vordringlichen Aufgaben wird es gehören, sich der Fragen der Reinhaltung des Wassers und der Luft sowie der Bekämpfung des Lärms anzunehmen. Vor allem in den Ballungsgebieten haben die negativen Begleiterscheinungen unserer Zivilisation einen besorgnise"egenden Umfang angenommen. Es wird alles getan werden müssen, um die auf diesem Gebiet notwendigen Maßnahmen mit Energie voranzutreiben. "2

Konkret wurde im Rahmen der "Gesundheitsgesetze" eine - tatsächlich dann erst 1976 erlassene - Regelung "des gesundheitlichen Schutzes gegen Strahlengefahren" in Aussicht gestellt;3 dies ist im Zusammenhang mit der gleichzeitigen Ankündigung zu sehen, die Bundesregierung werde "ihre Anstrengungen zur Förderung der Kernforschung und zum Aufbau einer Atomwirtschaft fortsetzen. n4

Nicht institutionalisiert, sondern ein sehr punktueDer Vorläufer blieb der vom Bundesministerium für Arbeit 1957 erstellte Bericht der Bundesregierung betreffend die Verunreinigung der Luft durch Industriebetriebe und andere Ursachen vom 31.7.1957, BT-Drucks. II /3757; vgl. zur Motivation des Berichts oben Teil 1 B IV 2. 2 Erhard, Stenogr. Prot. 4. WP, 5. Sitzg. am 29.11.1961 , S. 24; vgl. zur möglichen Motivation dieser Ankündigung oben Teil 1 B IV 2. 3 Das Atomrecht des AtG von 1959 entwickelte sich erst 1976 durch den Erlaß der StrJSchV (BGBI. I 2905) sowie eine Novellierung des AtG zu einem Atom- und Strahlenschutzrecht, vgl. näher unten Teil 1 C IV 3 b. 4 Erhard, Stenogr. Prot. 4. WP, 5. Sitzg. am 29.11.1961, S. 24.

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Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

Im Jahr 1962 bildete die erste Bundesministerin für Gesundheit Elisabeth Schwart.haupt (14.11.1961 - 1.12.1966) im Ministerium die bereits erwähnte Abteilung, 5 zu deren Leiter der bisherige Leiter der Abteilung für Wasserrecht in der Abteilung "Wasserbau" des Bundesverkehrsministeriums Berg bestellt wurde. 6 Zu den nennenswerten Ergebnissen der frühen Gesundheitsschutzpolitik zählt die am 8. September 1964 von der Bundesregierung erlassene "TALuft", 7 in der "für den mengenmäßig bedeutendsten gasförmigen Luftverunreiniger, das Schwefeldioxyd (S02), das insbesondere aus den Feuerungsanlagen kommt, Immissionsgrenzwerte festgelegt" wurden. 8 Zu nennen sind ferner das Gesetz über Vorsorgemaßnahmen zur Luftreinhaltung vom 17.5.1965,9 das Gesetz zum Schutz gegen Baulärm vom 9.9.1965, 10 die dem Lebensmittelrecht zuzuordnende Trinkwasserverordnung 11 sowie der Anfang 1965 geäußerte Vorschlag der Gesundheitsministerin zum Einbau von Auspuff-Filtern in Kraftfahrzeuge nach amerikanischen Vorbild. 12 Mit der Bildung der Großen Koalition 1966 und dem Kabinett Kiesinger I Brandt setzte die neue Bundesministerin für Gesundheit Käte Strobel (1.12.1966 15.12.1972) diese Politik fort; aus dem Ministerium kamen Anstöße für Maßnahmen zum Schutz gegen Lärm- 1968 wurde die TA Lärm erlassen13 -und es wurden Kampagnen zur Vorbeugung gegen Zivilisationskrankheiten durchgeführt.14 Insgesamt waren diese Ansätze im Vergleich zur späteren Umweltpolitik noch punktuell, wenig koordiniert und eher vorsichtig.15 Siehe oben Teil 1 B IV 2. 6 Schriftliche Auskunft von Ministerialdirektor a.D. Joachim Berg (Hamburg) v. 18.1.1992. 7 Allgemeine Verwaltungsvorschrift über genehmigungsbedürftige Anlagen nach § 16 der Gewerbeordnung (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft) v. 8.9.1964, GMBI. Nr. 26 I 1964, S. 433. 8 Bundesministerium für Gesundheit (Hg.), Mitteilungen aus dem Gesundheitswesen Nr. 43 v. 9.11.1964, ACDPVffi002 Nr. 045/6. 9 BGBI. I S. 413. 10 BGBI. I S. 1214. 11 Die Verordnung über Trinkwasser und über Wasser für Lebensmittelbetriebe erging auf Grund der Ermächtigung in § 3 des Gesetzes über die Sicherstellung von Leistungen auf dem Gebiet der Wasserwirtschaft für Zwecke der Verteidigung v. 24.8.1965, BGBI. I S. 1225. 12 Margedant, APuZ B 29 v. 18.7.1987, S. 15 (18). 13 Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm, Beil. BAnz. 1968 Nr. 137. 14 Goyke, Käte Strobel wird 85, Das Parlament Nr. 29-30 v. 17.7.1992, S. 20; in diese Zeit fällt außerdem das Gesetz über Maßnahmen zur Sicherung der Altölbeseitigung (Altölgesetz) v. 23.12.1968 (BGBI. I S. 1419), das sich auf Vorarbeiten der IPA v. 1966 stützen konnte (vgl. Burhenne I Kehrhahn, S. 324 f Fn. 3). 15 M. SchmidJ, S. 157. 5

C. Die Besetzung des Themas "Umweltschutz"

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ll. Herausbildung eines eigenständigen Politikbereichs 1. Regierungserklärung vom 28.10.1969

Überwiegend wird die Brandtsche Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 16 als Geburtsstunde bundesrepublikanischer Umweltpolitik angesehenP Abgesehen davon, daß das Gewicht des Umweltschutzes in der Regierungserklärung teilweise auch geringer veranschlagt wird, 18 blieb diese naturgemäß eine Absichtserklärung, deren Umsetzung erst mit der Bildung des Kabinettsausschusses für Umweltfragen am 6. Juli 1970 und dann mit dem Sofortprogramm vom 17. September 1970 begann. 19 Die Regierungserklärung fordert nicht nur mehr Aufmerksamkeit für den Natur- und Tierschutz sowie für Erholungsgebiete, sondern stellt die Gesetzgebung zum Schutz der Umwelt erstmals als eigenständigen Bereich neben die - ebenfalls propagierte "Gesundheitsgesetzgebung":

"Zum ausreichenden Schutz vor Luft- und Wasserverunreinigung und vor Lärmbelästigung werden entsprechende Gesetze vorgelegt. "20 Welch geringen Stellenwert das Thema noch zum damaligen Zeitpunkt in der öffentlichen Meinung gehabt haben muß, zeigt der Versuch der Opposition, diese Ankündigung lächerlich zu machen: Das Stenographische Protokoll verzeichnet als Reaktion auf den zitierten Satz den Zuruf von der CDU I CSU "Blauer Himmel!" sowie weitere Zurufe.21 Brandts spontane Entgegnung erhellt schlaglichtartig das Wissen um die Erfolglosigkeit des Slogans von 1961 und den - im Gegensatz zur damaligen Situation - unbedingten Willen, das

16 Stenogr. Prot. 6. WP, 5. Sitzg. am 28.10.1969, S. 19 (28 f). 17 Bechmann, S. 54; Baum in: Crunen I Müller, S. 216; Bunganen, S. 27 f ("entscheidender Durchbruch"). 18 So v. a. G. Timm, S. 105 Fn. 2. 19 Auch Küppers I Lundgreen I Weingan, S. 98, ziehen bei der Entstehung des Umweltschutzes als einer politischen "issue" eine Linie von Oktober 1969 bis September 1970.

20 Stenogr. Prot. 6. WP, 5. Sitzg. am28.10.1969, S. 28 f. 21 Ebenda, S. 29; der Zuruf erinnert fatal an die spöttische Reaktion der SPD auf die oben ausgeführte Passage der Erhardschen Regierungserklärung v. 29.12.1961, die Wehner mit dem Zwischenruf "Ein Energieminister!" quittierte (Stenogr. Prot. 4. WP, 5. Sitzg. am 29.12.1961. s. 24).

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Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

Umweltproblem, nunmehr von höchster Ebene aus, anzupacken und auf die politische Tagesordnung zu setzen:

"Wenn ich jetzt doch einmal eine Zwischenbemerkung machen darf: Hier kommt wieder einer mit dem 'blauen Himmel' und hat noch immer nicht gemerkt, wie sehr er sich mit den törichten Bemerkungen von 1961 blamiert hat; denn damals wurde von dem gesprochen, was längst notwendig war und heute notwendig ist. w22 Im übrigen fallt, unabhängig von den Meinungsverschiedenheiten über den Stellenwert des Umweltthemas innerhalb der Regierungserklärung, 23 auf, daß der Begriff "Umweltschutz" darin noch keine Verwendung findet. Er ist erst zehn Tage später geprägt worden, und zwar auf eine Art und Weise, die für die Etablierung der gesamten Umweltpolitik in der Bundesrepublik charakteristisch ist.

2. lnstitutionalisierung der Umweltpolitik

a) Prägung des Leitbegriffs "Umweltschutz" im Zusammenwirken von Fachminister und Ministerialbürokratie am 7.11.1969 Nach allgemeiner Meinung soll der Begriff "Umweltschutz" erst "ziemlich genau um die Jahreswende 1969 I 10" aufgekommen24 sein. Der am 22. Oktober 1969 ernannte Bundesinnenminister Genscher legte Wert darauf, das von seinen Ministerialbeamten Hartkopf und Menke-Glückert maßgeblich vorangetriebene neue Politikfeld zu einer Kompetenzerweiterung des Innenministeriums zu nutzen. Bei den Koalitionsverhandlungen im Herbst 1969 war es ihm gelungen, die Verlagerung der dem Gesundheitsministerium zugehörigen Abteilung III "Gewässerschutz, Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung"25 in

22 Ebenda, S.

29.

23 Vgl. G. Timm, S. 105 Fn. 2 m.w.N.

24 Erz, Geographische Rundschau 39 (1987), S. 307 (308); ebenso Müller, S. 55; v. Lersner, Sendler- FS, S. 259 (263); Comelsen, S. 11, 14; Storm, Umweltrecht, 3. Aufl. (1988), S. 6 Vorwort zur dritten Auflage. 25 Bezeichnung laut schriftlicher Auskunft des damaligen Leiters dieser Abteilung Ministerialdirektor a.D. Joachim Berg (Hamburg) v. 18.1.1992; nach Müller (S. 56) soll die Abteilung hingegen "Wasserwirtschaft, Reinhalnmg der Luft, Lännbekämpfung" geheißen haben.

C. Die Besetzung des Themas "Umweltschutz"

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das Innenressort durchzusetzen, 26 was durch einen Organisationserlaß des Bundeskanzlers vom 11. "lovember 1969 realisiert wurde. 27 Was die Begriffsprägung anbelangt, so geht man allgemein davon aus, daß im Zuge der Übertragung der Abteilung III im Januar 197()28 das Problem auftrat, daß die Abteilungen des Innenministeriums nicht mit römischen Ziffern, sondern mit von der Aufgabe abgeleiteten Buchstaben bezeichnet zu werden pflegten. 29 Genscher habe daher den Abteilungsleiter um einen Namensvorschlag gebeten. 30 Die Lösung habe in der - wörtlichen - Übersetzung des in den USA bereits eingebürgerten Begriffes "environment protection" mit "Umweltschutz" durch einen Beamten bestanden,31 dessen Name bis heute unbekannt sei.32 Diese Version läßt sich anband der Aussagen des damaligen Leiters der betroffenen Abteilung III Berg konkretisieren und teilweise modifizieren. 33 Diesen ist ein großes Maß an Glaubwürdigkeit beizumessen, da Berg, später als "Einzelpersönlichkeit" Mitglied der Arbeitsgemeinschaft für Umweltfragen34 und heute im Ruhestand befmdlicher Beamter, keinerlei Abhängigkeiten unterliegt und zudem das Verdienst der Begriffsfmdung eher anderen als sich selbst zuschreibt, was für eine neutral-bescheidene Darstellung der Vorgänge spricht. Danach ging die Übertragung der Abteilung III, in deren Verlauf die Begriffsprägung fallt, wie folgt vonstatten: Am 6. November 1969 erfolgte die förmliche Verabschiedung der Abteilung durch die Bundesgesundheitsministerin Strobel. Am Nachmittag des 7. November 1969 stattete Ministerialdirektor Berg als Leiter der überstellten Abteilung seine Antrittsbesuche im BMI bei Staatssekretär Hartkopf und anschließend bei Bundesinnenminister FS, S. 263. S. 56 unter Hinweis auf das Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 140 I 1969, S. 1199.

26 v. Lersner, Sendler27 Müller,

28 Müller, S. 55.,

FS, S. 263. Die ökologische Wende, S. 11. 31 Müller, S. 55; v. Lersner, Send/er- FS, S. 263; ders., Die ökologische Wende, S. 11; E. U. v. Weizsäcker, S. 23 f. 32 Vgl. v. Lersner, in: Sendler-FS, S. 263, der für den Urheber des Begriffs einen Umweltpreis auslobt. 33 Schriftliche Auskünfte von Ministerialdirektor a.D. Joachim Berg (Harnburg) v. 18.1.1992 und 11.2.1992. 34 Mitgliederverzeichnis der Arbeitsgemeinschaft für Umweltfragen e. V. (AGU) Bonn, S. 12 ("C. Einzelpersönlichkeiten"), abgedr. als Anhang zum Wortprotokoll der Mitgliederversammlung der AGU arn 27.9.1974 in Bonn, ACDP Vill-002 Fasz.-Nr. 181/1; zur Funktion der AGU vgl. unten Teil 2 8 V 1 a. 29 v. Lersner, Send/er30 v. Lersner,

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Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

Genscher ab. In der in diesem Zusammenhang entscheidenden Besprechung mit Genscher, bei der Hartkopf nicht anwesend war,35 berichtete der Abteilungsleiter dem Minister über Aufgaben und bisherige Arbeiten der Abteilung. Genscher war von der vielseitigen, interdisziplinären Problematik fasziniert, beanstandete aber sofort den umständlichen Namen der Abteilung ("Gewässerschutz, Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung"), der nicht zu den üblichen Kurzbezeichnungen der anderen Abteilungen des Hauses paßte. Der Abteilungsleiter erklärte darufbin, daß es üblich geworden sei, den gesamten Komplex der natürlichen Lebensgrundlagen als "Umwelt" zu bezeichnen, und hieraus ergab sich dann der gemeinsame Beschluß, die Abteilung in "Umweltschutz" umzubenennen - der Begriff "environment protection" war den Beteiligten aus der amerikanischen Literatur bekannt. In der betroffenen Abteilung war man mit dem neuen Namen sehr zufrieden, weil er prägnant, umfassend und kurz war. Daß er auch sofort verwendet wurde, belegt der Umstand, daß Berg bei seiner ersten Teilnahme an der BMI-Abteilungsleiterbesprechung am 11. November 196936 als Leiter der neu in das BMI versetzten Abteilung "Umweltschutz" vorgestellt wurde. Spätestens mit der Begrüßung der versammelten Mitarbeiter der Abteilung durch Genscher am 25. November 1969 kann die Übertragung als abgeschlossen angesehen werden. 37 Somit ist die Version unzutreffend, der Begriff habe im Januar 1970 Eingang in das deutsche politische Vokabular gefunden.38 Vielmehr läßt sich die Begriffsprägung wie gezeigt sowohl zeitlich (7. November 1969) als auch was ihre geistige Urheberschaft betrifft (Genscher I Berg) ziemlich genau einordnen. Zu letzterer äußert sich Berg selbst dahin, daß seines Erachtens Genscher das Verdienst zuzusprechen sei, Initiator der Wortschöpfung zu sein. Nach dem geschilderten Verlauf der Entsehungsgeschichte liegt jedoch die Bewertung näher, daß der Begriff im Zusammenwirken von Minister und

35 Die erste Besprechung fand um 15.30 Uhr, die zweite um 16.15 Uhr statt; auch MenkeGlückert - zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht im BMI tätig - war nicht anwesend. Möglicherweise nahm jedoch der Leiter der Zentralabteilung des BMI teil. Aus der Abteilung ill selbst war Berg der einzige Vertreter. 36 Daß im übrigen der erwähnte, die Übertragung der Abteilung regelnde Organisationserlaß des Bundeskanzlers von diesem Tag datiert, steht dem früheren Beschließen und Umsetzen der Umorganisation nicht entgegen (vgl. zu den Gründen der Verzögerung des Erlasses Müller, s. 56). 37 Die Ausführungen beruhen auf den schriftlichen Auskünften von Ministerialdirektor a.D. Joachim Berg (Hamburg) v. 18.1.1992 und 11.2.1992 (in teilweise wörtlicher Wiedergabe). 38 So aber Müller, S. 55.

C. Die Besetzung des Themas "Umweltschutz"

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Ministerialbürokratie entstanden ist. 39 Jedenfalls ist diese Genesis zum einen ein weiterer Beleg für cten Einfluß, den die US-Umweltpolitik auf die Politisierung des Themas in der Bundesrepublik gehabt hat und zum anderen für die in Bezug auf die Ministerialbürokratie aufgestellte These von deren "Erstgeburtsrecht an der Umweltpolitik"40 in der Bundesrepublik.

b) Kabinettsausschuß für Umweltfragen und Sofortprogramm der Bundesregierung für den Umweltschutz (1970) Mit der programmatischen Arbeit wurde innerhalb der Exekutive ein eigens geschaffenes Gremium betraut, nämlich der am 9. Juni 1970 vom Bundeskanzler eingesetzte Kabinettsausschuß für Umweltfragen. 41 Diesem sog. Umwelt-Kabinett sollte ein Lenkungsausschuß zuarbeiten, der nach zwei Sitzungen in den Ständigen Abteilungsleiterausschuß Bund (STALA-Bund) umgewandelt wurde, dessen Aufgabe die Abstimmung zwischen den verschiedenen an Umweltfragen beteiligten Ressorts war. 42 Zu dieser Zeit begannen die Vorarbeiten für ein Sofortprogramm, die von Bundesinnenminister Genscher energisch vorangetrieben wurden; bei einer Klausurtagung soll er den beteiligten Mitarbeitern des BMI und der anderen Ressorts erklärt haben, sie dürften nicht eher nach Hause, als bis das Programm fertig sei. 4 3 Am 17. September 1970 schließlich verabschiedete das Bundeskabinett das Sofortprogramm der Bundesregierung für den Umweltschutz, 44 das seine Themen so charakterisiert: "In diesem Sofortprogramm werden zu ausgewählten dringenden Fragen des Umweltschutzes weitere Maßnahmen vorgeschlagen, u.a. zu den Problemen der Luft- und Wasserverunreinigung, des Lärms, der Biozide, des Naturschutzes und der Landschaftspflege und zur 39 v. Lersner, Semtier- FS, S. 263, geht noch davon aus, daß es sich um "eine Erfindung der Ministerialbürokratie" allein handelt. 40 Kloepfer, Umweltrecht, § 1 Rnr. 37. 41 BT-Drucks. VI I 1519, S. 9 . 42 Eingehend Müller, S. 59 f. 43 Müller, S. 61. 44 Maschinenschriftliches Manuskript, ACDP Vill 002 Nr. 107 12; einen ausführlichen Bericht über den Inhalt des Sofortprogramms enthält die Antwort der BReg. v. 4 . 12.1970 auf die große Anfrage der Fraktionen der SPD und FDP zum Umweltschutz (BT-Drucks. VI 11275), BTDrucks. VI I 1519, S. 9 ff.

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Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

technologischen Umwelt-Forschung. "45 An konkreten Gesetzesvorhaben zum Umweltschutz wurden das Benzinbleigesetz, das Baulärmgesetz, das BlmSchG, das AbfG sowie Novellierungen des WHG und des PflSchG angekündigt sowie ein Programm der Förderung von technologischer Forschung und Grundlagenforschung auf dem Gebiet des Umweltschutzes umrissen. 46 Im Abschnitt "Öffentlichkeitsarbeit" wurde die Notwendigkeit einer "umfassenden Unterrichtung und Aufklärung der Öffentlichkeit" betont, weshalb die beteiligten Ressorts "unter Federführung des Bundespresseamtes eine Konzeption für die Informationspolitik und Öffentlichkeitsarbeit" zu erstellen hatten. 47 Schließlich wurde bereits im Sofortprogramm die Vorlage eines "umfassenden Regierungsprogramms, das die verschiedenen wirtschaftsund gesellschaftspolitischen und verfassungsrechtlichen Aspekte behandelt", durch die Bundesregierung bis April 1971 angekündigt. Ziel des Sofortprogramms war somit in erster Linie die Ankündigung von Gesetzesvorhaben und die Mobilisierung der öffentlichen Meinung, um den Umweltschutz ins Gespräch zu bringen.48

c) Umweltprogramm der Bundesregierung (1971) Die programmatischen Arbeiten des Bundesministeriums des Innem, insbes. aber des Kabinettsausschusses für Umweltfragen kulminierten in dem am 14. Oktober 1971 vorgelegten, 64 Seiten starken Umweltprogramm der Bundesregierung.49 Das Regierungsprogramm wird durch einen 660 Seiten umfassenden Materialbandso ergänzt, in dem in umfangreichen Berichten mehrere von der Bundesregierung aus Sachverständigen in Wissenschaft, Ländervertretungen und Wirtschaft zu den Teilbereichen des Umweltschutzes gebildete Projektgruppen zum Problemstand sowie zu den erforderlichen Maßnahmen und deren Kosten gutachterlieh Stellung nehmen. Kernpunkt dieses in 45 Sofortprogramm, S. 1, ACDP Vill 002 Nr. 107 12. 46 Vgl. BT-Drucks. VI I 1519, S. 9 ff. 47 Sofortprogramm, S. 44, ACDP Vill 002 Nr. 107 I 2. 48 Müller, S. 61 49 BT-Drucks. VI 12710. 50 BMI (Hg.), Materialien zum Umweltprogramm der Bundesregierung 1971 (Zu BundestagsDrucksache VI 12710), Schriftenreihe des Bundesministeriums des lnnem Bd. I (ohne Datum, höchstwahrscheinlich jedoch 1971 ).

C. Die Besetzung des Themas "Umweltschutz"

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seiner "politischen Impulswirkung" für die Entwicklung des Umweltschutzes in der Bundesrepublik Deutschland "außerordentlich bedeutsamen" Regierungsprogramms51 ist die darin wie folgt formulierte richtungweisende Konzeption einer Umweltpolitik:

"Umweltpolitik ist die Gesamtheit aller Maßnahmen, die notwendig sind, um dem Menschen eine Umwelt zu sichern, wie er sie für seine Gesundheit und für ein menschenwürdiges Dasein braucht und um Boden, Luft und Wasser, Pflanzen- und Tierwelt vor nachteiligen Wirkungen menschlicher Eingriffe zu schützen und um Schäden oder Nachteile aus menschlichen Eingriffen zu beseitigen. "52 Auch aus heutiger Sicht wirkt dieser Ansatz, der immerhin mehr als zwei Jahrzehnte alt ist, noch erstaunlich modern, nimmt er doch bereits den Beginn der Diskussion um ein Umweltgrundrecht, 53 den aus Medientrias sowie Fauna und Flora zusammengesetzten klassischen UmweltbegrifP4 sowie das Prinzip des Eingriffsausgleichs55 vorweg. Als Kronprinzip der Umweltpolitik verstand das Umweltprogramm das Verursacherprinzip. 56 Bestandteile des umfassenden umweltpolitischen Konzepts waren ferner u.a. die Flankierung durch finanz- und steuerpolitische Maßnahmen, die Entwicklung umweltfreundlicher Technik, die wissenschaftliche Beratung, die Förderung und Koordinierung einer systematischen Umweltforschung und der Aufbau eines Informationssystems, die Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Gemeinden sowie auf 51 Kloepfer, in: Achterberg I Püttner (Hg.), BesVerwR ß (1992), Kap. 7 I 3 Rnr. 604; als Ausgangspunkt der Umweltpolitik wird das Programm bewertet bei dems., Auf dem Weg zum Umweltstaat?, S. 40. 52 BT-Drucks. VI I 2710, S. 6. 53 Auf ihrem Freiburger Bundesparteitag vom 25.-27.10.1971 forderte die FDP, Art. 2 GG um ein "Recht auf eine menschenwürdige Umwelt" zu ergänzen (vgl. FDP, Freiburger Thesen, hrsg. v. Flach u.a., 1972, S. 109); vgl. auch den Diskussionsentwurf des ASJ v. 6.11.1971, ZRP 1972, 76 (77); Brandt sprach sich in seiner Regierungserklärung vom 13.1.1973 für ein "elementares Recht auf eine menschenwürdige Umwelt" aus, "dem Verfassungsrang zukommen sollte." (Stenogr. Prot. 7. WP, 7. Sitzg., S. 127)- Hervorhebg. jeweils v. Verf. 54 Vgl. etwa die Defmition bei Triffterer, ZStW 91 (1979), 303 (311); Dreher I Tröndle, vor §§ 324 ff Rnr. 3 m.w.N. 55 Vgl. z.B. § 8 II BNatSchG, § 16 UmweltHG. 56 Als Nr. 2 der zusammenfassenden Thesen folgt dies direkt im Anschluß an die zitierte Definition, vgl. BT-Drucks. VI I 2710, S. 6.

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Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

internationaler Ebene; auf die "Förderung des Umweltbewußtseins", den "wesentlichen Bestandteil" der regierungsamtlichen Umweltpolitik, wird noch näher einzugehen sein. 57

d) Beginn planmäßiger Umweltgesetzgebung (1970- 76) Wenngleich eine punktuelle Umweltgesetzgebung in der Bundesrepublik bereits seit Mitte der sechziger Jahre erfolgte, 58 bildeten das Sofortprogramm von 1970 und das Umweltprogramm von 1971 den Ausgangspunkt und die Grundlage für umfassende und planmäßige Aktivitäten des Gesetzgebers auf dem Gebiet des Umweltschutzes, die sich sich auf den Zeitraum von 1970 bis 1976 konzentrieren.59 Während dieser "Welle" der Umweltrechtssetzung wurden das WHG,60 das AtG6 1 und das PflSchG62 entscheidend novelliert sowie vor allem - in chronologischer Reihenfolge - die folgenden Gesetze, Verordnungen, Verwaltungsvorschriften und Erlasse neu geschaffen: 1970: Verordnung zur Aufhebung der Verordnung zur Schädlingsbekämpfung im Obstbau v . 27.1.197063 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Schutz gegen Baulärm v. 19.8.197064 Zweite Verordnung zur Änderung der Atomanlagen-Verordnung v. 29.10.197065 Bekanntmachung der Neufassung der Verordnung über das Verfahren bei der Genehmigung von Anlagen nach § 7 des Atomgesetzes (AtomanlagenVerordnung) v. 29.10.197066 57 Vgl. BT-Drucks. VI /2710, S. 6.

58 Rehbinder (ZRP 1970, 250) weist insofern auf RaumordnungsG, DetergentienG, PipelineG, AltöiG, LuftvorsorgeG und AbgasVO hin; vgl. auch die oben in Teil 1 CI genannten Beispiele. 59 Übersicht bei Kluth, Jura 1991, 289 (291) m.N.; unzutreffend Hildenstab , S. 1, der den Beginn erst "Mitte der siebziger Jahre" ansetzt. 60 Wasserhaushaltsgesetz v. 27.7.1957, BGBI. I S. 1110. 61 Atomgesetz v. 23.12.1959, BGBI. I S. 814. 62 Pflanzenschutzgesetz v. 10.5.1968, BGBI. I S. 352. 63 BGBI. I S. 141. 64 Beilage zum BAnz. Nr. 65 BGBI. I S. 1517. 66 BGBI. I S. 1518.

160.

C. Die Besetzung des Themas "Umweltschutz"

111

1971: Achte Verordnung zur Änderung der Düngemittelverordnung v.

25.3.197167

-

Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm v. 30.3.197168 Verordnung zur Bekämpfung der Scharkakrankheit v. 7.6.197169 Bekanntmachung der Neufassung der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen nach§ 16 der Gewerbeordnung (VgA) V. 7.7.197170

Verordnung über Anwendungsverbote und-beschränkungenfür Pflanzenschutzmittel v. 23.7.197171 Gesetz zur Änderung des Planzenschutzgesetzes v. 27.7.197172 Gesetz zur Verminderung von Luftverunreinigungen durch Bleiverbindungen in Ottokraftstoffen für Kraftfahrzeugmotore (Benzinbleigesetz BzBlG) v. 5.8.197173 Erlaß über die Errichtung eines Rates von Sachverständigen für Umweltfragen bei dem Bundesminister des lnnem v. 28.12.1971 74

1972: Dreißigstes Gesetz zur A.iulerung des Grundgesetzes (Artikel 74 GG Umweltschutz) v. 12.4.197275 Gesetz über die Beseitigung von Abfällen (Abfallbeseitigungsgesetz AbfG) V. 7.6.197276 Gesetz über den Verkehr mit DDT (DDT-Gesetz) v. 7.8.197277 Verordnung zum Schutz der Bienen vor Gefahren durch Pflanzenschutzmittel (Bienenschutzverordnung) v. 19.12.197278 67 68 69 70

BGBI. I S. 271. BGBI. I S. 282. BGBI. I S. 804. BGBI. I S. 888. 71 BGBI. I S. 1117. 72 BGBI. I S. 1161. 73 BGBI. I S. 1234. 74 BAnz. 1972 Nr. 8. 75 BGBI. I S. 593; diesem Gesetz kommt eine besondere Bedeutung zu, weil mit der eingefügten Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Abfallbeseitigung, die Luftreinhaltung und die Lärmbekämpfung (Art. 74 Nr. 24) die Grundlage für wichtige Kerngesetze des Umweltrechts (AbfG, BlmSchG) geschaffen worden ist; der Gesetzestitel enthält soweit ersichtlich die erste legislatorische Verwendung des Begriffs "Umweltschutz". 76 BGBI. I S. 873. 77 BGBI. I S. 1385. 78 BGBI. I S. 2515.

112

Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

1973: Verordnung über die Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße (GefahrgutVStr) v. 10.5.197379 Verordnung über Pflanzenschutz-, Schädlingsbekämpfungs- und Vorratsschutzmittel in oder auf Lebensmitteln pflanzlicher Herkunft (Höchstmengenverordnung Pflanzenschutz, pflanzliche Lebensmittel) v. 14.6.197380

Verordnung über Ausnahmen von den Vorschriften der Verordnung über die Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße (AusnahmeV zur GefahrgutVStr) v. 20.6.197381 Verordnung über Höchstmengen an DDT und anderen Pestiziden in oder auf Lebensmitteln tierischer Herkunft (Höchstmengenverordnung, tierische Lebensmittel) v. 15.11.197382 Verordnung über wassergefährdende Stoffe bei der Beförderung in Rohrleitungsanlagen v. 19.12.197383

1974: Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (BundesImmissionsschutzgesetz) v. 15 .3.197484 Verordnung über bauliche Schallschutzanforderungen nach dem Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm (Schallschutzverordnung - SchallschutzV) v. 5.4.197485

Verordnung zur Neufassung der Verordnung über Anwendungsverbote und -beschränkungen für Pflanzenschutzmittel v. 31.5.197486 Verordnung über das Halten von Hunden im Freien v. 6 .6 . 197487

Gesetz über die Errichtung eines Umweltbundesamtes v.

22.7.197488

Verordnung über den Nachweis von Abfallen (Abfallnachweis-Verordnung - AbfNachwV) v. 29.7 . 197489 79 BGBI. I S. 449.

80 BGBI. 81 BGBI. 82 BGBI. 83 BGBI. 84 BGBI. 85 BGBI. 86 BGBI. 87 BGBI. 88 BGBI. 89 BGBI.

I S. 537. I S. 617. I S. 1710. I S. 1946, geänd. durch VO v. 5.4.1976, BGBI. I S. 915. I S. 721, 1193. I S. 903. I S. 1204. I S. 1265. I S. 1505. I S. 1574.

C. Die Besetzung des Themas "Umweltschutz"

-

113

Verordnung über das Einsammeln und Befördern von Abfällen (Abfallbeförderungs-Verordnung- Abffietv) v. 29.7.197490 Verordnung über die Einfuhr von Abfällen (Abfalleinfuhr-VerordnungAbfEintv) V. 29.7.197491 Gesetz über Umweltstatistiken v. 15.8.197492 Erste Verordnung zur Durchführung des BlmSchG (Verordnung über Feuerungsanlagen- 1. BlmSchV) v. 28.8.197493 Zweite Verordnung zur Durchführung des BlmSchG (Verordnung über Chemischreinigungsanlagen- 2. BlmSchV) v. 28.8.197494 Verordnung über Gashochdruckleitungen v. 17.12. 197495

-

1975: -

Dritte Verordnung zur Durchführung des BlmSchG (Verordnung über Schwefelgehalt von leichtem Heizöl und Dieselkraftstoffen -3. BlmSchV) V. 15.1.197596 Vierte Verordnung zur Durchführung des BlmSchG (Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen- 4. BlmSchV) v. 14.2.197597 Fünfte Verordnung zur Durchführung des BlmSchG (Verordnung über Immissionsschutzbeauftragte- 5. BlmSchV) v. 14.2.197598 Sechste Verordnung zur Durchführung des BlmSchG (Verordnung über die Fachkunde und Zuverlässigkeit der Immissionsschutzbeauftragten 6. BlmSchV) v. 12.4.197599 Gesetz zur Erhaltung des Waldes und zur Förderung der Forstwirtschaft (Bundeswaldgesetz) v. 2.5.1975100 Gesetz über die Beförderung gefahrlieber Güter v. 6. 8.19751o1 Gesetz über die Umweltverträglichkeit von Wasch- und Reinigungsmitteln (Waschmittelgesetz) v. 20.8.1975102

-

BGBI. I S. 1581. 91 BGBI. I S. 1584. 92 BGBI. I S. 1938. 93 BGBI. I S. 2121. 94 BGBI. I S. 2130. 90

95 BGBI. I S. 96 BGBI. I S. 97 BGBI. I S. 98 BGBI. I S.

3591. 264. 499. 504.

99 BGBI. I S. 957. 100 BGBI. I S. 1037. 101 BGBI. I S. 2121. 102 BGBI. I S. 2255. 8 Vierhaus

114 -

Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

Bekanntmachung der Neufassung des Pflanzenschutzgesetzes v. 2.10.1975 103 Siebente Verordnung zur Durchführung des BlmSchG (Verordnung zur Auswurfbegrenzung von Holzstaub- 7. BlmSchV) v. 18.12.19751'04

1976: - 4. Gesetz zur Ä·nderung des Wasserhaushaltsgesetzes v. 26.4.1976105 Gesetz zur ~derung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes v. 4.5.1976106 Gesetz zur Anderung des Altölgesetzes v. 4.5.1976107 Gesetz zur Änderung des Abfallbeseitigungsgesetzes v. 21.6.1976108 - Gesetz zur Einsparung von Energie in Gebäuden (Energieeinsparungsgesetz - EnEG) v. 22.7.1976109 Achte Verordnung zur Durchführung des BlmSchG (Rasenmäherlärm8. BlmSchV) v. 28.7.1976110 Viertes Gesetz zur Ä·nderung des Atomgesetzes (AtG) v. 30.8.1976111 Gesetz über Abgaben für das Einleiten von Abwasser in Gewässer (Abwasserabgabengesetz- AbwAG) v. 13.9.1976112 Verordnung über den Schutz vor Schäden durch ionisierende Strahlen (Strahlenschutzverordnung- StrlSchV) v. 13.10.1976113 - Bekanntmachung der Neufassung des Gesetzes zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz- WHG) v. 16.10.1976114 Bekanntmachung der Neufassung des Gesetzes über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) v. 31.10.1976115 - Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (BNatSchG) v. 20.12.1976116

103 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113

BGBI. BGBI. BGBI. BGBI. BGBI. BGBI. BGBI. BGBI. BGBI. BGBI. BGBI.

I S. 2591. I S. 3133. I S. 1109. I S. 1148. I S. 1147. I S. 1601. I S. 1873. I S. 2024. I S. 2573. I S. 2721. I S. 2905.

114 BGBI. I S. 3017. 115 BGBI. I S. 3053. 116 BGBI. I S. 3574; § 35 BNatSchG ordnete gleichzeitig eine Änderung der§§ 2 Nr. 7 S. 1, 9 II des Raumordnungsgesetzes an, durch die erstmals Umweltschutzbelange in dieses vom 8.4.1965 (BGBI. I S. 306) stammende Gesetz aufgenommen wurden.

C. Die Besetzung des Themas "Umweltschutz"

115

Das erstaunliche an diesem halben Jahrzehnt der Rechtssetzung auf dem Gebiet des Umweltschutzes ist, daß diese in ihren Grundzügen bereits durch das Sofortprogramm von 1970 und v.a. das Umweltprogramm der Bundesregierung von 1971 skizziert worden war, was für die vorausschauende Kreativität der Ministerialbürokratie spricht.117 Eine große Bedeutung für die staatliche Umweltpolitik hat das durch das o.g. Gesetz 1974 in Berlin errichtete Umweltbundesamt als Bundesoberbehörde (Art. 87 III GG); seine Aufgaben liegen weniger im Verwaltungsvollzug (vgl. § 2 II UBAG), sondern in der wissenschaftlichen Unterstützung des Bundesinnenministers (seit 1986: des Bundesumweltministers), auf dem Gebiet der Umweltforschung sowie in der Führung eines Informations- und Dokumentationssystems zur Umweltplanung (UM PLIS) . 118 Entscheidend ist im Zusammenhang mit der staatlichen Öffentlichkeitsarbeit, daß mit § 2 I Nr. 2 UBAG erstmals die "Aufklärung der Öffentlichkeit in Umweltfragen" einer staatlichen Behörde durch Gesetz ausdrücklich als Aufgabe zugewiesen wird. 119

m.

Impulse und Motive für die Besetzung des Themas durch die Bundesregierung

Von einer "Willensbildung von oben nach unten" könnte nur dann die Rede sein, wenn die Bundesregierung zu ihrer Umweltpolitik nicht durch den Druck der öffentlichen Meinung, sondern durch andere Faktoren veranlaßt worden wäre. Somit ist nach den Impulsen und Motiven der Bundesregierung für die Besetzung des Umweltthemas zu fragen.

117 Kloepfer, Umweltrecht, § 1 Rnr. 37. 118 Vgl. näher Kloepfer, Umweltrecht, § 2 Rnr. 68, § 4 Rnr. 16. 119 Vgl. zum Ganzen auch netmann, Aufklärung der Öffentlichkeit in Umweltfragen, in: HdUR I, Sp. 154 ff.

116

Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

1. Import aus den USA und Rezeption internationaler Aktivitäten

a) "Silent Spring" als Anstoß der US-Umweltpolitik Zumindest für die USA kann als Ausgangspunkt des Umweltschutzgedankens120 das dort 1962 erschienene populärwissenschaftliche Buch "Silent Spring" der Biologin Rachel Louise Carson gelten, 121 wenngleich Mu"ay Bookchin die darin behandelte Thematik in seinen relativ unbekannt gebliebenen Büchern "The Problems of Chemieals in Fooo•122 (1952) und "Our Synthetic Environment" (1962) zeitlich früher aufgegriffen hatte 123 und auch das Pestizid-Problem bereits vereinzelt thematisiert worden war.1 24 Mit "Silent Spring", in dem sie anband einer ftktiven amerikanischen Gemeinde eindringlich die Folgen der Belastung der Nahrungskette mit DDT schildert, spielte Carson eine herausragende Rolle bei der Begründung der amerikanischen New-Conservation-Bewegung Ende der sechziger Jahre.l25 Welch breite Diskussion das Buch in den USA auslöste, belegt der Umstand, daß bereits am 15. Mai 1963, also im Jahr nach dem Erscheinen des Buches in den USA,126 von der US-Regierung im Auftrag Präsident Kennedys eine Schrift über den Gebrauch von Pflanzenschutzmitteln herausgegeben wurde (sog. Kennedy-Bericht), 127 und zwar obwohl seine Wirkung dort zunächst dadurch gemindert wurde, daß die Chemieindustrie die gesamte Auflage aufkaufte. 128 Der

120 Vance Packards "The Waste Makers" (1960) behandelt hingegen lediglich einen Teilausschnitt der Problematik, nämlich die Abfallfiage, nicht aber den Umweltschutz allgemein. 121 Kloepfer, Umweltrecht, § 1 Rnr. 14; ders. , in: Achterberg I Püttner (Hg.), BesVerwR II (1992), Kap. 7 I 3 Rnr. 603 Fn. 6; Bacher I Cramer I Lorenz I Rufkies (1990), S. 25 f ; Rehbinder, ZRP 1970, 250. 122 Zunächst publiziert unter dem Pseudonym "Lewis Herber".

123 Nach Angaben von Ditfurth (ZEIT-Magazin Nr. 12 v. 13.3.1992, S. 48 ff (52)) erschien letzteres sechs Monate vor Carsons "Silent Spring"; ferner ist hinzuweisen auf eine spätere Schrift von Bookchin, Ecology and Revolutionary Thought (1965). 124 Etwa bei Robert L. Rudd, Pesticides: The Real Peril, The Nation 1959 (vol. 189), S. 401. 125 Flemming, Wurzeln der New-Conservation-Bewegung (1988), S. 216, 221; vgl. eingehend zur Biographie Carsons sowie zur Entstehung von "Silent Spring" ebendaS. 220-222. 126 Rache[ L. Carson, Silent Spring (1962). 127 Bericht über den Gebrauch von Pestiziden des Wissenschaftlichen Beratungsausschusses des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, in deutscher Übersetzung hrsg. von der IPA Bonn; dazu Löbsack, Vorwort, in: Carson, Der stumme Frühling (1970), S. VII ff (X t); Micklitz, in: Rehbinder (Hg.), S. 44 (45). 128 E. U. v. Weiz.fäcker, S. 18.

C. Die Besetzung des Themas "Umweltschutz"

117

umfangreiche Bericht der von Kennedy eingesetzten Kommission unter Vorsitz des Biologen Wiesner bedeutete im wesentlichen eine Bestätigung der Carsonschen Aussagen.129 Somit zeigt sich, daß die Willensbildung zum Umweltthema in den USA tatsächlich "von unten nach oben" verlaufen ist130- im Sinne der Ausgangsthese also im Gegensatz zur deutschen Entwicklung. Die folgende Aussage von Moltkes belegt dies: "But Earth Day 1970 tumed a topic that had received sporadic govemment attention into an important political issue as millions ofpeople took to the streets to demonstrate their concem for the environment. "131 Zwar bildete für den- durch eine Kampagne des Senators Nelson und des Kongreßabgeordneten McClosky initiierten - auf Beschluß des Kongresses veranstalteten "Tag der Erde" am 22.4.1970, an dem prominente Politiker in landesweiten Veranstaltungen strengere Umweltgesetze sowie eine zentrale Umweltbehörde ankündigten, 132 eine staatliche Initiative den unmittelbaren Anlaß. Der Umstand aber, daß die breite Bevölkerung für den Umweltschutz auf die Straße ging -es waren landesweit 20 Mio. Teilnehmer - zeigt, daß die eigentliche Politisierung des Umweltschutzes in den USA jedoch zu diesem Zeitpunkt bereits erfolgt war: Die durch David Browers "Sierra Club" 133 und Rahel Carsons Buch ausgelöste lebhafte gesellschaftliche Diskussion, die dann als sog. New-Conservation-Bewegung gegen Ende der 60er Jahre "explosionsartig" aufflackerte, 134 hat nicht nur denKennedy-Bericht (1963) und Präsident Johnsons "Message on Natural Beauty" an

129 Olschowy, in: ders. (Hg.), Natur- und Umweltschutz in der Bundesrepublik Deutschland

(1978), s. 1 (6).

130 So bezeichnet Turner (Sierra Club, 1991, S. 197) den National Environmental Policy Act vom 1.1.1970 als "formal response by the federal govemment to the public demand for action, as evidenced by rallies and protests across the country." 131 v. Moltke, Global Environment- A Planet in Stress, in: 1991 Britannica. Book of the Year, s. 5. 132 Menke-Glückert, Stockholm-Deklaration, HdUR II (1988), Sp. 397 f; Schütze, Merkur 1971, 470 (473 t); eingehend Turner, S. 196 f. 133 Der 1892 u.a. von lohn Muir (1838-1914) als Naturschutzverband gegriindete "Sierra Club" wurde unter dem von 1952 bis 1969 währenden Direktoriat von David Brower zu einer 77.000 Mitglieder zählenden Organisation (Flemming, S. 216 (217-219)), die heute zu den einflußreichsten privaten "public interest-Organisationen" auf dem Gebiet des Umweltschutzes zählt; vgl. näher die eingehende Chronik von Turner, Sierra Club. 100 Years of Protecting Nature

(1991).

134 Flemming, S. 216, der beide Persönlichkeiten als die "besten Repräsentanten der transzendentalistischen Komponente in der New-Conservation-Bewegung" bezeichnet (ebenda, S. 222); zum Übergang vom klassischen zum modernen Naturschutz in der Zeitspanne 1950-70, insbes. in den 60er Jahren, eingehend Turner, S. 186 ff (179); für die USA stellt daher Farresters "Der teuflische Regelkreis" (1971) bereits einen "Nachzügler" dar.

118

Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

den Kongress vom 8.2.1965, 135 sondern auch eine rege Gesetzgebungsaktivität136 zum Schutz der Umwelt nach sich gezogen (u.a.137 "Clean Air Act" 1963 138; "Wildemess Act of 1964"139; "Water Quality Act of 1965"140; "Motor Vehicle Air Pollution Control Act" 1965 141 ; "Solid Waste Disposal Act of 1965"142; "Marine Resources and Engineering Act" 1966143; "Air Quality Act of 1967144 ; "Air Act to Require Aircraft Noise Abatement Regulation" 1968145; "Radiation Control for Health and Safety Act" 1968146; "National Environmental Policy Act" 1969147). Der in der Bundesrepublik 1970 einsetzende "legislative Schub•148 ist somit in den USA ca. acht Jahre vorher zu beobachten. Zudem wurde dort bereits am 2.12.1970 mit der "Environmental Protection Agency" (EPA)149 eine oberste Bundesbehörde gegründet, die von Anfang an wichtige Gebiete des Umweltschutzes zusammenfaßte (Luft, Wasser, Strahlenschutz, Pestizide, Abfall) und bereits Anfang 1973 über 8000 Beschäftigte zählte.150

135 The White House Message on Natural Beauty to the Congress of the United States, February 8, 1965; vgl. dazu Küppers I Lundgreen I Weingart, S. 106. 136 Vgl. zum Beginn der US-Umweltgesetzgebung Müller-Stahel, SJZ 1972, 49. 137 Eine umfassende tabellarisch-chronologische Aufstellung der US-Umweltgesetzgebung findet sich bei Rona, Environmental Permits (1988), S. 4 - 6. Danach wurden allein im Zeitraum 1963 - 69 zwanzig Umweltgesetze erlassen. 138 PL (= Public Law) 88-206, 42 USC (= United States Code) 7401 et seq. 139 PL 88-577, 78 Stat (= Statute Law) 890, 16 USC 1131-36. 140 PL 89-234, 33 USC 1151. 141 PL 90-148, 42 USC 7401 et seq. 142 PL 89-272, 42 USC 7401 et seq. 143 PL 89-454, 80Stat 203, 30 USC 1101-08. 144 PL 90-148, 81 Stat 485, 42 USC 1857. 145 PL 90-411, 49 USC 1431. 146 Vgl. Rona, S. 7 (ohne Fundstelle); ebenso Kloepfer, Umweltrecht, § 6 Rnr. 114. 147 42 USC 4321 et seq; in dt. Übersetzung abgedruckt bei Bothe (1972), S. 4 ff. Dieses eigentlich vom 1.1.1970 stammende Gesetz gilt als das grundlegende Umweltschutzgesetz der USA (Kloepfer, Umweltrecht, § 6 Rnr. 110 f). 148 E. Ritter, NVwZ 1987, 929. 149 Vgl. Reorganization Plan No. 3 of 1970, 35 Fed. Reg. 15623, 84 Stat 2086 (effective December 2, 1970). 150 Eingehend Dolgin I Guilbert (ed.), Federal Environmental Law (1974), S. 140 f; Turner, S. 238 f; vgl. auch Mayda, "Vereinigte Staaten", HdUR D, Sp. 993 (1004 f).

C. Die Besetzung des Themas "Umweltschutz"

119

b) wvorwirkungw der Stockholmer Konferenz Vieles deutet darauf hin, daß das Ergreifen der umweltpolitischen Initiative durch Bundesregierung und Ministerialbürokratie letztlich zu einem ganz erheblichen Teil einerseits durch das von der US-Regierung gelieferte Vorbild, 151 andererseits durch Aktivitäten internationaler Organisationen motiviert worden ist, insbesondere durch die Vorbereitung der - auf schwedische Initiativen vom 3. Dezember 1968152 und vom Juni 1969153 zurückgehendenKonferenz der Vereinten Nationen über die Umwelt des Menschen, die vom 5. - 16.6.1972 in Stockholm stattfand. Der UNO-Resolution 2398 (XXIII) vom 3 .12.1968,154 die den Schutz der Umwelt als Gemeinschaftsaufgabe postulierte, kommt offensichtlich eine Anstoßfunktion zu, 155 die über das Hinarbeiten auf die Stockholmer Konferenz hinausgeht. Die Aussage, der Umweltschutz sei durch die Bundesregierung "in die Bundesrepublik gleichsam importiert", 156 die Umweltpolitik "in der Anfangsphase von außen angestoßen•157 worden, ist in der Literatur so oder ähnlich vielfach zu finden:158 Der "Import von Begriff und Praxis der Umweltpolitik rührte von der Vorreiter-Rolle" der USA her.159 Eine Rolle spielten in diesem Zusammenhang auch Aktivitäten des Europarates, der im Jahre 1968 eine Wassercharta und eine Charta zur Luftreinhaltung verkündete und das Jahr 1970 zum Europäischen Naturschutzjahr erklärte; ferner war der

151 Zur "Vorbildwirkung" des amerikanischen Umweltrechts vgl. Kloepfer, Umweltrecht, § 6 Rnr. 120, der zudem das Umweltschutz-Programm des US-Präsidenten von 1971 (Abdruck bei Rauball, S. 254ft) als "richtungweisend" für die dt. Umweltpolitik ansieht (ebenda, Rnr. 107); Auch nach Rehbinder (ZRP 1970, 250 f) gab die "amerikanische Aktivität" der BReg. "Auftrieb". 152 Unterbreitung des Vorschlages für eine UN-Umweltkonferenz durch den schwedischen Botschafter bei der UN-Vollversammlung (Schütze, Merkur 1971, 470 (471 f)). 153 Stattfmden einer ersten internationalen Konferenz zum Umweltschutz in Baden-Baden auf Einladung des schwedischen Botschafters in der Bundesrepublik (Schütze, Merkur 1971 , 470

(471)).

154 Abgedr. bei Rüster I Simma, Vol. I (1975), S. 102. 155 Randel'lhofer, Jura 1992, 1 (2). 156 Müller, S. 53. 157 Voss, S. 69. 158 G. 71mrn, S. 105 f ; Küppers I Lundgreen I Weingan, S. 123; E. U. v. Weizsäcker, S. 19 ff; Kluth, Jura 1991, 289 (290 f) ; Wey, S. 153; Bechmann, S. 52 ff; zur bewußtseinsverstärkenden Wirkung der internationalen Aktivitäten auch Rehbinder, ZRP 1970, 250 (255). 159 M. Schmidt, S. 157.

120

Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

Umweltschutz in diesem Zeitraum Thema internationaler Kongresse, wie etwa des UNESCO-Symposiums "Mensch und Biosphäre" 1968 in Paris oder des Kongresses der Internationalen Union zum Schutz der Natur und der natürlichen Ressourcen 1969 in Neu Delhi.l60 Auch der aufklärerischerzieherische Impetus des deutschen Umweltprogramms vom 14.10.1971 stimmt letztlich mit internationalen Vorgaben überein; so ist etwa in Prinzip 19 der Stockholmer Deklaration der Gedanke der Umwelterziehung formuliert.l6 1 Wenngleich die Stockholmer Konferenz erst im Juni 1972 stattfand, kann wegen der vierjährigen Vorbereitungsphasel62 eine "Vorwirkung" auf die Umweltpolitik der Teilnehmerstaaten nicht bestritten werden.l63 Bestätigt wird dies gerade für den Aspekt "Umweltaufklärung" durch den Umstand, daß auf einer bereits im Juni 1969 im Vorlauf von Stockholm stattfmdenden internationalen Konferenz nach Konzepten gesucht wurde, um in der Öffentlichkeit ein Bewußtsein für die Notwendigkeit des Umweltschutzes zu wecken164 - im übrigen ein Beleg dafür, daß man ein solches Bewußtsein zu diesem Zeitpunkt noch nicht für gegeben ansah. Daß zu dieser Konferenz neben Wissenschaftlern, Beamten und Politikern auch Journalisten hinzugezogen wurden, 165 ist eine Praxis, die Menke-Glücken später- bewußt oderunbewußt-aufgegriffen hat, als er Anfang 1971 im BMI regelmäßige Umweltschutz-Gespräche mit ausgewählten Journalisten plante.l 66 Was die Motivation der deutschen Exekutive zum Beginn einer nationalen Umweltpolitik angeht, wird man festhalten können, daß die in den sechziger Jahren in Japan, Schweden und vor allem den USA verabschiedeten S. 52 Fn. 3; eingehend Küppers I Lundgreen I Weingan, S. 122. "Eine auch benachteiligte Gruppen angemessen betiicksichtigende Umwelterziehung, für die jüngere Generation sowie für Erwachsene, ist von großer Bedeutung dafür, daß die Grundlage für eine aufgeklärte öffentliche Meinung und ein verantwortungsvolles Verhalten von Individuen, Unternehmen und Gemeinden beim Schutz und bei der Verbesserung der Umwelt in ihrer gesamten menschlichen Dimension erweiten wird. Genauso grundlegend ist es, daß die Massenmedien nicht zur Verschlechterung der Umwelt beitragen, sondern - im Gegenteil Informationen erzieherischer An über die Notwendigkeit von Umweltschutz und -Verbesserung verbreiten, damit eine Entwicklung des Menschen in jeder Hinsicht möglich ist. • (eigene Übersetzung), Abdruck der engl. Originalfassung bei Rüster I Simma, Vol. I (1975), S. 118. 162 Mit der näheren Gestaltung der geplanten Konferenz befaßten sich bereits die UNO-Resolutionen 2581 (XXIV) v. 15.12.1969 und 2850 (XXVI) v. 20.12.1971, abgedr. bei Rüster I Simma, Vol. I (1975), S. 102, 113. 163 So etwa fiir die Beeinflussung des Zeitplans fiir das deutsche Umweltprogramm durch die bevorstehende Stockholmer Konferenz Küppers I Lundgreen I Weingan, S. 123; Müller, S. 53. 164 Schütze, Merkur 1971, 470 (471). 165 Ebenda. 160 Müller, 161

166 Dazu Küppers I Lundgreen I Weingan, S. 116.

C. Die Besetzung des Themas "Umweltschutz"

121

Umweltschutzgesetze als Vorbild dienten und das Naturschutzjahr 1970 den unmittelbaren Anlaß darstellte.167

c) Rezeption durch die deutsche Beamtenelite

Der damalige Leiter des Referats "Umweltkoordinierung" im BMI Menke-Glückert, der das Umweltprogramm von 1971 entscheidend gestaltet hat 168 und als dessen "wichtigster interner Promoter" 169 gilt, stellt im Hinblick auf dieses Programm fest, daß umweltpolitisch "die Bundesregierung dem amerikanischen Beispiel durch Formulieren eines Politikkonzeptes" gefolgt sei.170 Nimmt man hinzu, daß Menke-Glückert 1970 mit einem Forschungsauftrag der OECD, die sich sehr früh Umweltproblemen widmete, 171 ins BMI geholt worden war 172 und schon von daher ein besonderes Interesse für die internationale Entwicklung mitbrachte, so liegt die Vermutung nahe, daß eine der Ursachen für die Inangriffnahme der Umweltfragen durch die Bundesregierung das verstärkte Interesse der Beamtenelite für derartige Entwicklungen gewesen ist. Auch Kanzleramtsminister Ehmke, der dem neuen Politikfeld Rückendeckung verschaffte, 173 soll von dem Vorbild der US-Umweltpolitik beeinflußt gewesen sein. 174 Der damals für den Umweltschutz zuständige Staatssekretär im BMI Hartkopfbetont ebenfalls die Anstöße von außen, namentlich aus den USA.175 Genscher schließlich weist darauf hin, daß etwa der Sachverständigenrat für Umweltfragen 1971 nach dem amerikanischen Vorbild des Council of Environmental Quality geschaffen worden sei. 176 Die Aussage von Küppers I Lundgreen I Weingart, wonach von den an 167 Hucke, in: M. Schmidt (Hg.), Westliche Industriegesellschaften. Pipers Wörterbuch zur Politik Bd. 2 (1983), S. 434. 168 Müller, S. 61. 169 Küppers I Lundgreen I Weingart, S.

129.

(1988), Sp. 397 (398) unter Hinweis auf die Signalwirkung des "Tages der Erde". 171 Der Anhang der OECD-Empfehlung C (74) 224 vom 14.11.1974 (abgedr. in: EA 1975, D 86) gilt als einer der ersten grundlegenden Texte zur grenzüberschreitenden Umweltbeeinträchtigung überhaupt(/. /psen, §54 Rnr. 20). 172 Müller, S. 61. 170 Menke-Glückert, "Stockholm-Deldaration", HdUR ll

173 M. Schmidt, S. 174 Müller, S.

58.

158.

175 Interview, Bild der Wissenschaft Heft 4/ 176 In: v. Lersner- FS, S.

19.

1980, 114 (115).

122

Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

der Programmformulierung Beteiligten ein Einfluß der amerikanischen Umweltdiskussion abgestritten und stattdessen ausschließlich auf die Vorbereitung der Stockholmer Konferenz rekurriert wurde, 177 ist somit im Hinblick auf spätere Äußerungen Menke-Glückerts und Hartkopfs heute überholt. Auch Müller, deren umfangreiche Studie der sozial-liberalen Umweltpolitik u.a. auf Interviews der Beteiligten beruht, weist darauf hin, daß die Programmschreiber im BMI bei der Erfüllung ihrer Aufgabe vom Studium amerikanischer Programmansätze beeinflußt gewesen seien.l78

2. Reformbereitschaft der sozial-liberalen Koalition

Daß die von der US-Regierung seit 1963 systematisch betriebene Umweltpolitik in der Bundesrepublik nicht früher rezipiert wurde, dürfte seine Ursache zu einem nicht unerheblichen Teil auch in dem allgemeinen politischen Klima begründet sein. Die Politisierung des Umweltschutzes begann nicht zufällig mit der Ende 1969 ins Amt gekommenen, außerordentlich reformfreudigen sozial-liberalen Bundesregierung, 179 die sich- in bewußter Abkehr von der Adenauer-Ära und der großen Koalition - innenpolitisch ehrgeizige reformerische Ziele setzte ("Wir stehen nicht am Ende unserer Demokratie, wir fangen erst richtig an. •180).181 Der Zusammenhang zwischen der 1969 herrschenden Autbruchstimmung182 und der Bereitschaft, neue Aufgaben wie den "Umweltschutz" systematisch in Angriff zu nehmen, läßt sich auch daran ablesen, daß die Bundesregierung "dem Kampf gegen Umweltgefahren in ihrem Programm innerer Reformen Vorrang• 183 einräumte, ihn S. 123. S. 65; dies., APuZ B 47- 48 v. 17.11.1989, S. 3 (5). 179 M. Schmidl, S. 158 f. 180 Bundeskanzler Brandt, Regierungserklärung, Stenogr. Prot. 6. WP, 5. Sitzg. am 28.10.1969, S. 34; Genscher (in: v. Lersner- FS, S. 17) ordnet die neue Umweltpolitik in den Kontext des "Demokratisierungsschubs" Anfang der 70er Jahre ein. 181 Auf den Zusammenhang von Reformära und Umweltprogramm weist auch Müller (APuZ B 47 · 48 V. 17.11.1989, S. 5) hin. 182 Vgl. Eilwein I Hesse, S. 15. 183 Antwort der BReg. auf die Große Anfrage der Fraktionen der SPD und FDP zum Umweltschutz, BT-Drucks. VI /1519 v. 4.12.1970, S. 8; im Vorwort zum Umweltprogramm von 1971 bezeichnet Brandt die Umweltpolitik als einen "Schwerpunkt des Arbeitsprogramms dieser Bundesregierung zur Einleitung innerer Reformen" (BT-Drucks. VI /2710, S. 2. 177 Küppers I Lundgreen I Weingart,

178 Müller,

C. Die Besetzung des Themas "Umweltschutz"

123

gleichsam als "Kernstück ihres Reformprogramms•184 ansah. Die Programmschreiber im Bundesinnemninisterium profitierten beim Verfassen des 71er Umweltprogramms vom allgemeinen Reformklima in der Regierung, die ihnen die Durchsetzung anspruchsvoller Programmziele ermöglichte.185 Die Umweltgesetzgebung der ersten Hälfte der siebziger Jahre läßt sich somit als "sozialliberale Reformgesetzgebung" ,186 die moderne Umweltschutzpolitik als ein "Kind der sozialliberalen Koalition" kennzeichnen.187

3. Interesse und Ehrgeiz einzelner Ministerialbeamter und des Bundesinnenministers

Wenn Bundesinnenminister Baum im Jahre 1980 mit Blick auf die Beamten des BMI feststellt, die Umweltpolitik sei "gerade und nicht zuletzt auf die tatkräftige und über das normale Engagement weit hinausgehende Tätigkeit dieser hochqualifizierten Fachleute zurückzuführen" ,188 mag dies als Öffentlichkeitsarbeit erscheinen. Auch im Schrifttum fmdet sich jedoch die Aussage, die Ministerialbürokratie des BMI, die zunächst für einen erheblichen Teil der Umweltpolitik verantwortlich gewesen sei, habe über "konzeptionelle Vordenker" verfügt, die den "philosophischen Überbau" des Umweltschutzes entwickelt hätten. 189 Wie schon angedeutet, waren die Aktivitäten bei der Politisierung des Umweltschutzes - insbes. was die Programmatik anbelangt "anfänglich stark durch die Eigeninitiative einzelner Referenten geprägt", 190 die sich dabei allerdings stets der - oft übersehenenl91 - anspornenden Unter184 Genscher, in: v. Lersner- FS, S. 185 Müller, S .

65 f .

17.

186 Begriffsprägend- in anderem Zusammenhang- Biehler, Sozialliberale Reformgesetzgebung und Bundesverfassungsgericht (1990). 187 M. Schmidt, S.

158; ähnl. Küppers I Lundgreen I Weingart, S. 124; G. Timm, S. 106.

188 Schreiben des Bundesministers des Innem Baum an das GeschäftsfUhrende Vorstandsmit-

glied des BBU e.V. H. - G. Schumacher v. 16.10.1980, veröffentlicht v. Pressedienst des BMI in: "Der Bundesminister des Innem teilt mit:", ACDP Vill 002 Nr. 165 I 1. 189 M. Schmidt, S. 158. 190 Glagow I Murswieck, APuZ B 27 3.7.1971, 3 (12); ähnl. Müller, APuZ B 47-48 v. 17.11.1989, S. 3 (5); auch H. - J. Luhmann (Das Parlament Nr. 40-41 v. 30.9. /7.10.1988, S. 18 Sp. 6) hebt hier Hartkopfund Menke-Glückert besonders hervor. 191 So wurde in den Würdigungen Genschers anläßtich der Bekanntgabe seines Rücktritts am 27.4.1992 dessen Zeit als Bundesinnenminister (1969-74) nur gestreift und die Umweltpolitik völlig übersehen - vgl. etwa Nonnenmacher, FAZ Nr. 99 v. 28.4.1992, S. 3; Reinhardt I Winter, FR Nr. 99 v. 28.4.1992, S. 3; SZ Nr. 98 v. 28.4.1992, S. 6; Conrad, Die Welt

124

Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

stützungdurch Bundesinnenminister Genscher192 und der Sympathie des Bundeskanzlers193 gewiß sein konnten.194 Treibende Kraft bei der Erarbeitung des Sofortprogramms und insbes. des 71er Umweltprogramms war Peter MenkeGlückert, ein Studienfreund Genschers, den dieser Ende 1970 ins BMI holte.195 Das auf die gemeinsame Herkunft aus Halle zurückgehende gute Verhältnis der beiden dürfte für den Erfolg der letzlieh nur aus wenigen Beamten bestehenden Programmschreibergruppe, die ihre Aufgabe im wesentlichen als intellektuelle Herausforderung begriff, mitverantwortlich gewesen sein, 196 denn Genschers Unterstützung sicherte ihr den nötigen "intellektuellen Freiraum" ,197 Genschers "sichere Witterung für Zukunftsthemen" dürfte mit dafür verantwortlich zeichnen, daß er sich als Innenminister des Umweltschutzes annahm.198 An Einzelpersonen aus der Exekutivspitze, die die frühe Umweltpolitik maßgeblich geprägt haben, ist vor allem aber auch Dr. Günter Hartkopf, vom 21.10.1969 an Beamteter Staatssekretär im Bundesinnenministerium, 199 zu nennen, in dessen Aufgabenbereich die umweltpolitischen Unterabteilungen des BMI fielen.200 Hartkopfwar als Vorsitzender des sog. Lenkungsausschusses, einem Gremium zur Vorbereitung der Beschlüsse des vom Bundeskanzler eingesetzten Kabinettsausschusses für Umweltfragen (Umwelt-Kabinett), für die Koordinierung der Arbeiten zum Umweltprogramm verantwortlich. 201 Darüberhinaus war Hartkopf während der gesamten Zeit der sozial-liberalen Koalition sowohl Schlüsselfigur der Arbeitsgemeinschaft Umweltfragen

Nr. 99 v. 28.4.1992, S. 3; Hofmann, Die Zeit Nr. 19 v. 1.5.1992; eine Ausnahme bildet Fromme, Die Frühzeit des Politikers Genscher, FAZ Nr. 114 v. 16.5.1992, S. 12. 192 Müller, S. 61; dies., APuZ B 47-48 v. 17.11. 1989, S. 3 (5); M. Schmidt, S. 158. 193 Müller, S. 58, 66; dies., APuZ B 47-48 v. 17.11.1989, S. 3 (5). 194 Zur Rolle Genschers bei der Begriffsprägung eingehend oben Tei11 C II 2 a. 195 Müller, S. 67. 196 Vgl. Küppers I Lundgreen I Weingan, S. 128 f; Müller, S. 62, 65. 197 Müller, APuZ B 47-48 v. 17.11.1989, S. 3 (5). 198 Fromme, FAZ Nr. 114 v. 16.5.1992, S. 12. 199 Vgl. Müller, S. 546; Hankopf gehörte unter den Staatssekretären des Regierungswechsels 1969 zur Gruppe "überwiegende Verwaltungslaufbahn I Richter", die gegenüber der Gruppe "wirtschaftliche Management-Erfahrung" erstmals die Minderheit stellte (v. Beyme, Regierungswechsel 1969, in: 171. Eschenburg- FS, hrsg. v. Lehmbruch I v. Beyme I Fetscher, 1971, S. 255 ff (265)). 200 Vgl. BMI (Hg.), betriffi: Bundesministerium des Innem (1973), S. 23. 201 Müller, S . 62, 59.

C. Die Besetzung des Themas "Umweltschutz"

125

(AGU), einem 1971 gegründeten umweltpolitischen Diskussionsforum,202 als auch Vorsitzender des Ständigen Bund/Länder-Abteilungsleiter-Ausschusses für Umweltfragen (STALA-Bund/Länder), einem Gremium zur Vorbereitung der Beschlüsse der ab 1972 tagenden Umweltministerkonferenz (UMK).203

4. Expansionsdrang des Innenministeriums

Die Einbeziehung des Umweltschutzes in den Aufgabenbereich des primär für Innere Sicherheit und Verfassungsschutz zuständigen Ministeriums überrascht zunächst. Vom Sachzusammenhang her wäre wegen der Konnexität von Gesundheits- und Umweltschutz204 eine Eingliederung in das Gesundheitsministerium plausibler gewesen, zumal dort, wie gezeigt, 205 bereits seit 1962 eine Abteilung "Gewässerschutz, Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung" bestand. Somit ist es naheliegend, daß auch sachfremde Kriterien für die Entscheidung zugunsten des BMI mitbestimmend waren. Mit dem Anspruch der FDP als liberale Partei verbindet sich seit jeher ein besonderes Interesse für eine der Freiheit des einzelnen Rechnung tragende Innen- und Rechtspolitik, was sich auch daran ablesen läßt, daß während der gesamten sozial-liberalen Ära von 1969-82- mit Ausnahme der letzten Wochen- der Innenminister von der FDP gestellt wurde.206 Stand damit von vornherein das Innenministerium als FDP-Domäne fest, so stellte sich für Genscher die Frage, wie er diesem Ressort mehr Gewicht verleihen und seinen eigenen politischen Einfluß stärken könnte.207 Die Entdeckung der neuen Staatsaufgabe "Umweltschutz" u.a. anband des Vorbilds USA kam somit als Chance zur sachlich begründbaren208 202 Siehe unten Teil 2 B IV 1. 203 Eingehend Müller, S. 71 -74. Seine langjährigen Erfahrungen hat Hartkopf in das 1983 zusammen mit Bohne veröffentlichte Buch "Umweltpolitik, Bd. 1" einfließen lassen, das als Standardwerk auf diesem Gebiet bezeichnet werden kann. 204 Vgl. Kloepfer, Umweltrecht, § 1 Rnr. 59. 205 Vgl. eingehend dazu oben Teil 1 C ß l. 206 21.10.1969- 15.5.1974 Genscher; 16.5.1974- 8.6.1978 Maihofer; 8.6.1978- 17.9.1982 Baum; 17.9.1982- 4.10.1982 durch den Bruch der Koalition bedingt Schmude (SPD). 207 Zu derartigen Motiven vgl. Küppers I Ll.uulgreen I Weingart, S. 128; ihnen folgend G. 11mm, S. 106; ähnl. Bechmann, S. 55. 208 Küppers I Ll.uulgreen I Weingart (S. 128) weisen insofern auf den Zusammenhang zwischen Innerer Sicherheit und den Bemühungen um die Reaktorsicherheit hin; die Projektgruppe Regierungs- und Verwaltungsreform nennt in ihrem l. Bericht von 1969 (S. 30) die Verbindung von Raumordnung und Umweltschutz (vgl. Müller , S. 57).

126

Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

Realisierung der avisierten Kompetenzerweiterung gelegen, so daß Mutmaßungen über nachdrückliche Forderungen der FDP in den Koalitionsverhandlungen nach einer Aufstockung des BMI um den Umweltschutz209 durchaus plausibel sind. Dies umso mehr, als Genscher seine Fähigkeiten als professioneller "Taktiker" und "Stratege" in seiner insgesamt dreiundzwanzigjährigen Zeit als Bundesminister auch später immer wieder unter Beweis gestellt hat.2 10 Tatsächlich erfuhr das Innenministerium im November 1969 mit dem Neuzugang der - dann in Abteilung "U" umbenannten211 "Abteilung III" aus dem BMGes, die dann in zwei Unterabteilungen mit insgesamt zwölf Referaten untergliedert wurde, eine erhebliche Erweiterung.212 Zutreffend hat Winter im Zusammenhang mit dem Thema "Normentstehung" darauf hingewiesen, welche Bedeutung das Interesse des politisch-administrativen Systems an der Erhaltung von Machtpositionen für die politische Willensbildung hat und dabei die "aktiven Ressorts" als Beispiel genannt. 21 3 Hartkopf selbst hat später darauf hingewiesen, Änderungen der Organisationsstrukturen in der Umweltverwaltung entsprächen nicht rationalen Überlegungen, sondern fielen als politische Entscheidungen aufgrund von Machtverhältnissen und infolge des persönlichen Interesses der Entscheidungsträger.214

5. Image-Aufwertung des Innenressorts und der F.D.P.

Mit der Führung des Innenministeriums Wählersympathien zu gewinnen, mußte zunächst als schwieriges Unterfangen angesehen werden, da mit diesem Ressort klassischerweise Polizei, Bundesgrenzschutz und Verfassungsschutz assoziiert werden. Die Besetzung des Umweltthemas konnte daher dazu geeignet sein, das BMI von seinem Ruf als "Polizeiministerium" mit "law and order"-Aufgaben zu befreien und ihm ein neues, freundlicheres Image zu ver209 So Küppers I Lundgreen I Weingart, S. 128. 210 Dazu Genrich, Osmotiker, Taktiker, Stratege - Deutscher. Der Außenminister Genscher, FAZ Nr. 114 v. 16.5.1992, S. 12. 211 Siehe oben Teil 1 C ß 2 a. 212 Vgl. den Organisationsplan des BMI vom Januar 1970 bei Müller, Anhang 3.1 , S. gehend BMI (Hg.), betrifft: Bundesministerium des Innem (1973), S. 15 f, 54-64. 213 Winter, Umweltrechtssoziologie, in: HdUR ß, Sp. 793 (796). 214 Hartkopj, Umweltverwaltung, S. 109.

547; ein-

C. Die Besetzung des Themas "Umweltschutz"

127

leihen. 215 Zudem war der neue Akzent in der Lage, dem Bestreben der FDP nach dem Wechsel zur SPD ein neues, mehr gesellschaftsreformerisches Profil zu gewinnen, Ausdruck zu verleihen und Wählersympathien zu binden.216 Daher ist es wahrscheinlich, daß auch derartige Erwägungen der parteipolitischen Profliierung Genscher bewogen haben, sich und seine Partei zu "Promotoren"217 der Umweltpolitik zu machen.218 Dementsprechend suchte die Öffentlichkeitsarbeit des BMI dem Bürger die Kompetenzerweiterung zu verdeutlichen; sie bezeichnete das Ressort nunmehr als "Verfassungs-, Sicherheits-, Zivilverteidigungs-, Vertriebenen-, Sport- und Umweltschutzministerium" . 21 9 Noch heute verweist die FDP darauf, daß "unter der Verantwortung liberaler Umweltminister" die wichtigsten Umweltgesetze verabschiedet und die umweltpolitische Prinzipientrias eingeführt wurden. 220 Daß diese Strategie teilweise aufgegangen ist, jedenfalls aber Kenner der Umweltpolitik die FDP quasi als die erste Umweltschutzpartei ansehen, zeigt sich etwa dann, wenn BBU und BUND noch 1980 in einer Analyse der Bundestagswahlprogramme feststellen, die FDP habe "von den Bundestagsparteien die umfangreichsten Sachaussagen zur Umweltpolitik in ihr Wahlprogramm aufgenommen" sowie den "Umweltschutz als Querschnittsaufgabe ( ... ) gedanklich weit aufgearbeitet. "221

6. Kein Impuls durch die Einrichtung des bayerischen Staatsministeriums für Landesentwicklung und Umweltfragen

Die Geschichte der Einrichtung des bayerischen Staatsministeriums für Landesentwicklung und Umweltfragen, des ersten deutschen "Umweltmini215 Müller, S.

58.

216 Bechmann, S. 53; Müller, S. 217 Müller, S. 58. 218 M. Schmidt, S. 158.

58.

219 Vgl. BMI (Hg.), betriffl: Bundesministerium des Innem. Geschichte, Aufbau, Aufgaben (1973), S. 16; speziell zur Umweltpolitik ebendaS. 54-64. 220 Vgl. FDP, Ökologisches Programm für die 90er Jahre (1990), S. 4; Genscher, in: v. Lersner- FS, S. 17-19. 221 BBU e.V. I BUND e.V., Parteien zur Umweltpolitik. Vergleich der Wahlprogramme für die Bundestagswahl am 5. Oktober 1980, ACDP Vill 002 Nr. 16511; ebenso für die Landes-FDP der BUND-Landesverhand Baden-Württemberg, Parteien auf dem Öko-Prüfstand, in: Natur & Umwelt. Zs. des BUND Heft 2 I 1980.

128

Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

steriums", beginnt mit einem Schreiben des bayerischen Ministerpräsidenten Goppel vom 7. Dezember 1970 an den Präsidenten des Landtags.222 Darin macht dieser von seinem Recht aus Art. 49 III BayVerf Gebrauch, dem Landtag den Vorschlag zu unterbreiten, durch Beschluß die Zahl der Geschäftsbereiche der Staatsregierung zu erhöhen. "Da die Landesentwicklung ohnehin weitgehend auch die Umweltfragen erlaßt," sollten dem neu zu schaffenden Staatsministerium die Aufgaben Landesentwicklung, Landesplanung, Raumordnung und Umweltfragen zugeteilt werden. 223 Mit der Zustimmung des Landtags vom 8. Dezember 1970 war die Errichtung beschlossen.224 Zum ersten Staatsminister für Landesentwicklung und Umweltfragen wurde Max Streibl ernannt; sein persönlicher Referent war Edmund Stoiber.225 Nach einem entsprechenden Gesetzentwurf des Ministerpräsidenten vom 20.1.1971226 wurde ein am 1. 3.1971 in Kraft getretenes Gesetz erlassen, das die Verwaltungskompetenzen im Hinblick auf das neue Ministerium änderte und dem neuen Staatsministerium in Art. 9 ein Landesamt für Umweltschutz nachordnete. 227 Auf Grund der zeitlichen Abfolge - das Schreiben Goppels datiert über ein Jahr nach der Brandtschen Regierungserklärung und zwei Monate nach dem Sofortprogramm - liegt eine Motivation des bayerischen Schritts durch die Umweltaktivitäten der Bundesregierung - und nicht umgekehrt- auf der Hand.228 Der Vorgang ist ein Indiz dafür, daß die 1969 von der Bundesregierung begonnene Arbeit einen "Startschuß"229 für die Politisierung des Umweltschutz insgesamt bildete, wenngleich sie natürlich nicht die Entstehung der konkreten umweltpolitischen Institutionen auf Länderebene vorzeichnete.

222 Az. MP- 1524- 17, Betreff: Änderung der Zahl und der Abgrenzung der Geschäftsbereiche der Staatsregierung, LT-Drucks. 7 14. 223 Schreiben des Ministerpräsidenten v. 7.12.1970, LT-Drucks. 714.

224 Beschluß des Bayerischen Landtags v. 8.12.1970, LT-Drucks. 7 17. 225 Vgl. Finkenzeller, FAZ Nr. 255 v. 2.11.1991, Beilage "Bilder und Zeiten". 226 LT-Drucks. 7 I 48. 227 Gesetz über die Zuständigkeiten in der Landesentwicklung und in den Umweltfragen v. 19.2.1971, BayGVBI. 1971, 65; das Inkrafttreten regelt Art. 13 I des Gesetzes. 228 Der Antrag des Ministerpräsidenten v. 7.12.1970, der nur eine Seite umfaßt (LT-Drucks. 7 14) könnte sogar als spontane Reaktion auf die am 4.12.1970, also drei Tage zuvor, in Bonn vorgelegte Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Regierungsfraktionen zum Umweltschutz zu verstehen sein, in der das Sofortprogramm eingehend erläutert wird (BTDrucks. VI I 1519). 229 Müller, S. 53.

C. Die Besetzung des Themas "Umweltschutz"

129

IV. Aspekte einer neuen Qualität von Umweltschutz ab 1969 I 10 Ausgehend von der These, daß es "der moderne Umweltschutz" war, der in der Bundesrepublik seinen Ausgang im wesentlichen vom Umweltprogramm 1971 nahm, 230 stellt sich die Frage, ob der Umweltschutz mit dem Beginn der siebziger Jahre tatsächlich "eine neue Qualität gewonnen•231 hat, ob also wirklich etwas Neues begonnen wurde.

1. Umgestaltung "vor-reformerischer" Umweltrechtsgebiete zu Umwelt-Schutz-Recht

Gegen die These vom qualitativ Neuen des Umweltrechts der siebziger Jahre könnte zunächst eingewandt werden, es habe auch vorher in der Bundesrepublik bereits einzelne Umweltgesetze gegeben, an die das Umweltprogramm von 1971 anknüpfe, wenn es davon ausgeht, daß bestimmte Bereiche "teilweise auf langer, guter Tradition beruhen", insbesondere das Wasser-, Gewerbe- und Lebensmittelrecht. 232 Daher ist die Frage aufzuwerfen, ob die 1970 bereits existierenden Umweltgesetze überhaupt schon Umwelt-SchutzGesetze waren, und welche Wandlungen sie durch die programmatischen Reformen der siebziger Jahre erfahren haben. Dabei sollen hier nur die wichtigsten "vor-reformerischen" Rechtsgebiete herausgegriffen werden. 233

a) Wasse"echt Das Phänomen des "Wandels des Schutzzwecks" 234 bestimmter älterer Gesetze hin zu einem Umweltschutzrecht läßt sich u. a. anband der einschneidenden Veränderung des WHG aufzeigen, die dem Wasserrecht seinen Cha230 Kloepfer, Umweltrecht, § 1 Rnr. 16 (Hervorhebg. v. Verf.); ders., in: Achterberg I Püttner, BesVeiWR II (1992), Kap. 7 I 3 Rnr. 604; ähnl. Hauber, VR 1992, 265 (266), der feststellt, "daß die moderne Umweltgesetzgebung in den friihen 70er Jahren einsetzt". 231 So E. Ritter, NVwZ 1987, 929. 232 BT-Drucks. VI/2710, S. 7. 233 Ausgespart bleibt im folgenden das Lebensmittelrecht, das als Nachbargebiet des Umweltrechts allenfalls punktuelle Beliihrungspunkte mit dem Umweltrecht aufweist (vgl. Kloepfer, Umweltrecht, § 1 Rnr. 59) sowie das Gewerberecht, das primär WirtschaftsveiWaltungsrecht ist. 234 Micklitz, S. 52. 9 Vierhaus

130

Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

rakter als reines Bewirtschaftungsrecht nahm. Erst durch seine fünf Novellierungen ist das aus dem Jahre 1957 stammende WHCJ235 in die Rolle eines echten Gewässerschutzgesetzes hineingewachsen,236 d. h. zu einem Umweltschutzgesetz im eigentlichen Sinne geworden. Dabei besteht Einigkeit darüber, daß die entscheidende Prägung dieses Charakters durch das 4. Änderungsgesetz vom 26.4.1976231 erfolgt ist, 238 das von der Verabschiedung des Abwasserabgabengesetzes begleitet wurde. 239 Die Novelle brachte insbesondere Regelungen zur Abwassereinleitung und -beseitigung (§§ 7 a, 18 a f WHG) und zum Lagern, Abfüllen und Umschlagen wassergefährdender Stoffe, führte den Gewässerschutzbeauftragten ein (§ 21 a-g WHG) und sah Bewirtschaftungspläne als immissionsbezogene Regelungen der Gewässergüte vor(§ 36 b WHG). 240 Der Grund dafür, daß die Novelle nicht alsbald nach dem Umweltprogramm von 1971 verabschiedet wurde, war das vorzeitige Ende der 6. Legislaturperiode im Jahre 1972.241

b) Atomrecht Für das Atomrecht und die Atompolitik ist mit dem Beginn der modernen Umweltpolitik Ende 1969 ein Paradigmenwechsel vom Förder- zum Schutzzweck verbunden. 242 In den fünfzigerund sechziger Jahren reichte die Einigkeit über die Förderung der zivilen Nutzung der Kernenergie quer durch alle Parteien und gesellschaftlichen Gruppen;243 die Zeit war vom Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Atomtechnologie geprägt, von der man erwartete, sie würde die Probleme der fossilen Energieversorgung lösen. 244 In ihrer Regierungserklärung vom 29. November 1961 bekräftigte die Bundesregierung, "ihre Anstrengungen zur Förderung der Kernforschung und zum Aufbau 235 Gesetz v. 27.7.1957, BGBI.I S. 1110. 236 Kloepfer, Umwelttecht, § 11 Rnr. 8. 237 BGBI. I S. 1109. 238 Kloepfer, Umweltrecht, § 11 Rnr. 27; Breuer, Wasserrecht, S. 5 ("breiter und tiefer angelegte Reformen"). 239 AbwAG v. 13.9.1976, BGBI. I S. 2721, ber. S. 3007. 240 Breuer, Wasserrecht, S. 5 f; Kloepfer, Umwelttecht, § 11 Rnr. 27. 241 Breuer, Wasserrecht, S. 5 unter Hinweis auf den Entwurf der BReg. für ein 4. ÄndG, BTDrucks. VI /2869. 242 So i. Erg. auch Wey, S. 221. 243 Ders. , S. 221; Comelsen, S. 22.

C. Die Besetzung des Themas "Umweltschutz"

131

einer Atomwirtschaft fortsetzen" zu wollen. 245 Dementsprechend stand zunächst der zügige Bau vo1.1 Atomreaktoren im Vordergrund. Um dies voranzutreiben wurde beispielsweise am 26. 5. 1959 das Deutsche Atomforum e. V. in Bonn gegründet, dessen erster Präsident Prof. Dr. Ing. Karl Winnacker war. 246 Kritik richtete sich in den fünfziger und sechziger Jahren allenfalls gegen die militärische Nutzung der Kernenergie. 247 So waren "Gefahren des Atoms", mit denen sich der damalige Berliner Regierende Bürgermeister Brandt am 24.11.1960 auf dem 9. ord. Partei-tag der SPD auseinandersetzte, ausschließlich solche, die von Atomwaffen ausgehen; 248 auch das dort gehaltene Grundsatzreferat Ollenhauers bezieht sich allein auf "das atomare Wettrüsten" .249 Selbst insofern bestand keine Einigkeit: So wurde der ab 1965 ausgehandelte, von den USA, der UdSSR und Großbritannien am 1.7.1968 gebilligte "Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen•250 noch 1967 von Adenauer als "Morgenthau-Plan im Quadrat" kritisiert. 251 Die positive Einstellung zur zivilen Kernenergienutzung teilten auch die wissenschaftlichen Experten auf dem Gebiet. So protestierten mit der maßgeblich auf die Initiative C. F. v. Weizsäckers zurückgehenden sog. Göttinger Erklärung im Jahre 1957 - in diese Zeit fällt auch Robert Jungks "Heller als tausend Sonnen"252 führende deutsche Atomphysiker (u.a. Born, Hahn, Heisenberg, v. Laue), sich in der Tradition der Göttinger Sieben fühlend, zwar gegen die von 244 Pehnt, FAZ Nr. 178 v. 3.8.1991, Beilage "Bilder und Zeiten", S. 1, Sp. 4. 245 Vizekanzler Ehrhard, Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag, Stenogr. Prot. 4. WP, 5. Sitzg. am 29.11.1961 , S. 22 ff (24). 246 Vgl. Forum Atomique Europeen (Juli 1970), S. 3; danach zählten im Jahre 1970 zu den Mitgliedern 105 Unternehmen, 61 Verbände und Institute, 17 Behörden und 443 Einzelmitglieder. 247 Aufschlußreich zum Zeitgeist der Klappentext des Buches von Maifeld, Atomenergie in Krieg und Frieden (1966): "Atomenergie im Frieden meint das große Problem, die Lücke der Energiewirtschaft der Welt, nicht nur in den Entwicklungsländern, durch Kernenergie zu schließen. Was als Bombe das Unheil für die Welt bringen könnte, gibt hier zum Segen der Menschheit eine neue Grundlage ihrer Ernährung und Kultur." 248 Brandt: "Wir wissen ganz genau, daß der Kampf gegen die Gefahren des Atoms das Atom nicht aus der Welt schafft. (Verf. : Es wird) hoffentlich nie mehr anders als bei friedlichen Vorhaben sichtbar werden ( ... ) Es gibt heute niemanden ( ...), der eine eigene Produktion von atomaren Waffen in Deutschland verlangt." (zit. nach: Archiv der Gegenwart 1960, S. 8776). 249 Zit. nach: Archiv der Gegenwart 1960, S. 8775. 250 Vgl. BGBI. 1974 ß S. 786; dazu ferner Stichwort "Kernwaffensperrvertrag", in: Brockhaus, Vorauslexikon zur 19. Auf!., Bd. 3 (1986), S. 131. 251 Der Spiegel Nr. 10 I 1967, S. 21. 252 1956; Jungk ließ 1977 das Buch "Der Atornstaat" folgen- vgl. näher zu Jungks Werk unten Tei12 BI 2.

132

Teil 1 Die Etablierung des Umweltschutzes

Adenauer erwogene Bewaffnung der Bundeswehr mit taktischen Atomwaffen.253 Gleichzeitig aber plädierten sie in dieser Erklärung dafür, "die friedliche Verwendung der Atomenergie mit allen Mitteln zu fördern". 254 Eine zunächst eher verhaltene - Kontroverse über die Kernkraft setzte erst zu Beginn der siebziger Jahre ein. 255 Zutreffend kommt das Umweltgutachten 1978 daher zu dem Ergebnis, daß "vor 1970 ( ... )Kernenergie kaum unter dem Gesichtspunkt des Umweltschutzes diskutiert" worden sei; vielmehr habe "erst seit 1972 ( ... ) die Betrachtung der Gefahren der Radioaktivität durch Kernenergie" zugenommen. 256 Diesen Befund spiegelt auch eine Aussage des BVerfG im Mülheim-Kärlich-Urteil aus dem Jahre 1979 wider.257 Darin heißt es im Hinblick auf Art. 74 Nr. 11 a GG, die Vorschrift sei "bereits im Jahre 1959 in die Verfassung aufgenommen (worden), also zu einem Zeitpunkt, in dem die Problematik einer friedlichen Nutzung der Atomenergie noch wenig erörtert, diese vielmehr als grundsätzlich positiv der damals besonders umstrittenen militärischen Nutzung gegenübergestellt wurde. "258

Die Rechtsentwicklung verlief parallel. 1970 wurde die AtomanlagenVerordnung in Richtung auf mehr Öffentlichkeitsbeteiligung zaghaft novelliert. 259 Durch ein Forschungsprogramm kam die Reaktorsicherheitsforschung nach 1972 verstärkt in Gang. 260 Dies war auch für die Entwicklung des Atomrechts zu einem wirklichen Umweltschutzrecht von großer Bedeutung, weil es durch seine Wissenschafts- und Technikklauseln der Forschung akzessorisch ist. Am 25.5.1973 wurde durch die Bundesregierung die Reaktorsicherheitskommission, am 19.4.1974 die Strahlenschutzkommission und am 15.9.1974 der Kerntechnische Ausschuß eingesetzt. 261 War das Atom- und 253 Vgl. Stichwort "Göttinger Erklärung" in: Brockhaus Bd. 9, 19. Aufl. (1989), S. 20 f; eingehend H. K. Rupp, Außerparlamentarische Opposition in der Ära Adenauer: Der Kampf gegen die Atombewaffnung in den fiinfziger Jahren (1970); der Text der Erklärung ist abgedr. in: Archiv der Gegenwart 1957, S. 6385. 254 zit. nach Adam, Die siegreichen Verlierer, FAZ Nr. 187 v. 13.8.1992, S. 21. 255 Pick, The Nuclear Controversy, S. 14 ff. 256 SRU, Umweltgutachten 257 BVerfGE 53, 30. 258 BVerfGE 53,

30 (56).

1978, Tz. 1412.

259 Zweite Verordnung zur Änderung der Atomanlagen-Verordnung v. 29.10.1970, BGBI. I S. 1517 mit Neubekanntmachung S. 1518. 260 Wey, S. 227. 261 Wey, S. 227; zur Bedeutung der von diesen Institutionen ausgearbeiteten technischen Regelwerke vgl. Kloepfer, Umweltrecht, § 8 Rnr. 9.

C. Die Besetzung des Themas "Umweltschutz"

133

Strahlenschutzrecht in der Anfangsphase des 1959 geschaffenen Atomgesetzes262 primär Atomrecht, so entwickelte es sich in den siebziger Jahren namentlich auch durch die Str1Schv263 und die Neufassung des At( zu entwickeln, um den oft zeitraubenden Prozeß der Umsetzung von Foßchungsergebnissen in das Bildungssystem erheblich zu verkürzen. Die Kooperation zwischen Staat und privaten Stiftungen, vor allem der

.

1990 gegründeten Deutschen Bundesstiftung Umwelt, sowie die internationale Zusammenarbeit in der Umweltbildung gewinnen zunehmend an Bedeutung.

,()(,

Abbildung 12: Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hg.): Umweltschutz in Deutschland (1992), S. 100.

638

Bildanhang UMWELT

WIR HABEN DIE WELT VON UNSEREN KINDERN NUR GELIEHEN Die Konferenz in Rio de Janeiro hat gezeigt, daß Umweltschutz weltweit durch-

gesetzt werden muß, gemeinsames Handeln von Industrie- und Entwicklungsländern notwendig ist. Denn wir haben die Welt von unseren Kindern nur geliehen. Wir alle müssen mit den natürlichen

Ressourcen weit sorgsamer umgehen als bisher. Unsere Kenntnisse und Möglichkeiten werden wir nutzen, um den Ländern der 3. Weh bei ihrer Entwicklung zu helfen. Die Treibhausgose müssen reduziert

werden. Als erstes großes Industrieland hat Deutschland mit der Reduzierung von

(o 1-

Emissionen ernstgemacht. Die nächste Klimo-

schutzkonferenz, nach der Konferenz von Rio, wird in Deutschland stattfinden. Dort wollen wir trotz aller s,hwierigkeitcn zu einer internotianalen Waldkonvention kommen. Diese wird zusammen mit der be· absichtigten Wüstenkonvention zur Erhol· tung unserer globalen lebensgrundlogen beitragen.

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Abbildung 13: CDU (Hg.): Union. Das Magazin der CDU Deutschlands, Nr. 3 ill. Quartal1992.

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Solarautos bni'Ucbcn rk.o grljßten Mut und 1liiSttt UammitzwJ&. Deshalb bsbezl wir zwei Solarautos gekauft Hmte, llicbt erst JD0f5ft1,

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Investitionen in die Zukunft.

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