Traumberuf Altenpflege: Strategien für mehr Zufriedenheit 9783748601210

Engagement und Begeisterung gehören zum Altenpflegeberuf. Doch der mitunter belastende Berufsalltag kann auch zu Resigna

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German Pages 100 [102] Year 2015

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort „Soll ich die Spur wechseln?“
1. „Warum habe ich bloß diesen Beruf gewählt?“
2. Die „Tücken und Stolperfallen“ der Altenpflegeberufe
3. Die menschliche Persönlichkeit
4. Persönlichkeitsmodelle in der Theorie – Ein Überblick
5. Persönlichkeitsmodelle in der Praxis – Auswahl
6. Kommunikation
7. Die eigenen Ressourcen erkennen
8. Perspektiven entwickeln: „Was kann ich jetzt konkret ändern?“
9. Ausblick
Literaturliste
Die Autorin
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Traumberuf Altenpflege: Strategien für mehr Zufriedenheit
 9783748601210

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Ursula Beckmann

Traumberuf Altenpflege Strategien für mehr Zufriedenheit

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Sämtliche Angaben und Darstellungen in diesem Buch entsprechen dem aktuellen Stand des Wissens und sind bestmöglich aufbereitet. Der Verlag und die Autorin können jedoch trotzdem keine Haftung für Schäden übernehmen, die im Zusammenhang mit Inhalten dieses Buches entstehen.

© VINCENTZ NETWORK, Hannover 2015

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Satz: Heidrun Herschel, Wunstorf ISBN: 978-3-74860-121-0

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Inhalt Vorwort „Soll ich die Spur wechseln?“........................................................................... 9 Gebrauchsanweisung für dieses Buch................................................................................................. 10 1

„Warum habe ich bloß diesen Beruf gewählt?“................................................11

1.1

Anregung zur Selbstreflexion.................................................................................................... 11

1.2

Berufswahlmotivation Pflege..................................................................................................... 12

1.3

„Was hat meine Persönlichkeit damit zu tun?“.................................................................... 12

1.4

„Bin ich zufrieden? Womit?“....................................................................................................... 13

1.5

„Bin ich unzufrieden? Möchte etwas ändern? Aber wie?“............................................... 14

2 Die „Tücken und Stolperfallen“ der Altenpflegeberufe...................................15 2.1

Die Gefahren der beruflichen Deformation.......................................................................... 15 Praxis-Box: Fallbeispiel Dauerbelastung................................................................................... 17

2.2

Das Helfersyndrom........................................................................................................................ 19 Praxis-Box: Fallbeispiel Eva............................................................................................................ 20

3

Die menschliche Persönlichkeit.........................................................................21

3.1

„Wer bin ich? Wie bin ich so geworden, wie ich bin?“....................................................... 21 Theorie-Box: Die alten Griechen.................................................................................................. 21

3.2 Alltagspsychologie........................................................................................................................ 22 Theorie-Box: Hyperalignment-Studie......................................................................................... 22 3.3

Was versteht man unter „Persönlichkeit“? – Definition.................................................... 23

4 Persönlichkeitsmodelle in der Theorie – Ein Überblick...................................24 4.1

Typologien und traits-theoretische Ansätze........................................................................ 24 Theorie-Box: Familienkonstellationen....................................................................................... 26 Theorie-Box: Entwicklung der Traits-Theorien......................................................................... 27

4.2

Psychodynamische Theorien..................................................................................................... 27 Theorie-Box: Das Instanzenmodell nach Freud....................................................................... 29 Theorie-Box: Abwehrmechanismen........................................................................................... 30

4.3

Humanistische Theorien.............................................................................................................. 30 Theorie-Box: Bedürfnispyramide nach Maslow...................................................................... 31

4.4

Soziale Lerntheorien..................................................................................................................... 32 Theorie-Box: Lerntheorien............................................................................................................. 33

5

Persönlichkeitsmodelle in der Praxis – Auswahl................................................. 35

5.1

Das Riemann-Thomann-Modell................................................................................................ 35 Exkurs: Grundformen der Angst................................................................................................... 40

5.2

Das Fünf-Faktoren-Modell (= Big Five)................................................................................... 42

5.3

Das Enneagramm........................................................................................................................... 46

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6 Kommunikation..................................................................................................50 6.1

Update Grundlagen der Kommunikation............................................................................. 50

6.1.1 Wahrnehmung................................................................................................................................ 50 Theorie-Box: Haloeffekt – Blinder Fleck – Erster Eindruck..................................................... 51 6.1.2 Das Sender-Empfänger-Modell................................................................................................. 52 6.1.3 Die Axiome Watzlawiks................................................................................................................ 52 6.1.4 Das Kommunikationsquadrat.................................................................................................... 53 Theorie-Box: Das Kommunikationsquadrat............................................................................ 54 Praxis-Box: Fallbeispiel „Die Ohren der Kollegen T und P“.................................................... 55 6.1.5 Soziale Rollen und Rollenkonflikte.......................................................................................... 55 6.2

Kommunikationsstile als Teil der Persönlichkeit................................................................. 57

6.2.1 Der bedürftig-abhängige Stil..................................................................................................... 57 6.2.2 Der helfende Stil ............................................................................................................................ 58 6.2.3 Der selbst-lose Stil ......................................................................................................................... 58 6.2.4 Der bestimmende-kontrollierende Stil ................................................................................. 58 6.3

Die Partnerzentrierte Gesprächsführung.............................................................................. 60 Praxis-Box: Fallbeispiel Bianca..................................................................................................... 60

7

Die eigenen Ressourcen erkennen....................................................................62 Praxis-Box: Übung „Streicheleinheit“......................................................................................... 62

7.1

Coping-Strategien – oder was ich schon immer richtig gemacht habe..................... 62 Praxis-Box: Reflexionsaufgabe eigene Coping-Strategien................................................... 64

7.2

Soziale Unterstützungssysteme – Menschen, auf die ich mich verlassen kann...... 64 Praxis-Box: Fragen zur sozialen Unterstützung....................................................................... 67

7.3 Konzept der Selbstwirksamkeit – oder wie überzeugt ich von meinen eigenen Einflussmöglichkeiten bin................................................................ 67 Praxis-Box: Fallbeispiel Petra........................................................................................................ 68 Praxis-Box: Skala zur Erfassung der Selbstwirksamkeitserwartung (SWE)...................... 69 7.4

Resilienz – oder was ich von Haus aus schon mitbringe.................................................. 69 Theorie-Box: Resilienzforschung................................................................................................. 70

7.5

Stressbewältigung – oder was mir immer gut tut................................................................... 71 Theorie-Box: Stressvorgänge im Körper.................................................................................... 72 Praxis-Box: Testen Sie Ihre persönliche Stressbelastung....................................................... 73

8 Perspektiven entwickeln: „Was kann ich jetzt konkret ändern?“....................76 8.1

Was man unter „Entwicklung“ versteht.................................................................................. 76

8.2

Was man tun kann, um lästige oder schädliche Gewohnheiten zu ändern............. 77 Praxis-Box: Fallbeispiel Kollegin Uschi....................................................................................... 78 Praxis-Box: Gewohnheiten ändern in drei Schritten.............................................................. 79

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8.3 Was man tun kann, um sich selbst in einem schwierigen beruflichen Umfeld zu motivieren........................................................................................... 79 Theorie-Box: Das Zwei-Faktoren-Modell der Motivation................................................. 80 Praxis-Box: Zehn Ziele..................................................................................................................... 81 Praxis-Box: Ziele setzen mit dem SMART-Prinzip..................................................................... 82 Praxis-Box: Mein SMARTes Ziel..................................................................................................... 82 8.4

Was man tun kann, um die persönliche Richtung zu finden.......................................... 83 Theorie-Box: Werteentwicklungsquadrat................................................................................. 83 Praxis-Box: Fallbeispiel Markus – Suse....................................................................................... 84 Praxis-Box: Fallbeispiel Carpe Diem............................................................................................ 85 Praxis-Box: Konstruktion eines persönlichen Werteentwicklungsquadrats.................... 86

8.5 Mit dem „Inneren Team“ arbeiten, um Kommunikationsstörungen und Konflikte zu vermeiden................................................................................................................ 86 Praxis-Box: Fragebogen Inneres Team....................................................................................... 88 8.6

Wie man zu einem besseren Zeitmanagement gelangen kann................................... 89 Praxis-Box: Zeitmanagement – Matrix in Vier Quadranten................................................. 91 Praxis-Box: 10 typische „Zeitsünden“ identifizieren ............................................................... 91

8.7

Wie man Stress langfristig managen kann........................................................................... 92

8.8 Resilienztraining............................................................................................................................. 93 8.9

Wenn man keinen Ausweg mehr sieht und gar nicht mehr weiterweiß................... 94

9 Ausblick................................................................................................................96 Literaturliste..................................................................................................................97 Autorin...........................................................................................................................99

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Vorwort „Soll ich die Spur wechseln?“ „Pflege braucht Helden“ – unter diesem Motto stand die Imagekampagne für die Altenpflege des Landes Thüringen im Sommer 2014. Die peppig aufgemachte Homepage zeigte Pflegekräfte und Azubis, die ihre persönlichen Gründe dafür präsentieren, warum sie diesen Beruf gewählt haben und warum sie gern in der Pflege arbeiten. Der Begriff „Traumberuf “ fällt mehrfach.

Zum Glück erlebe ich auch Optimismus, Mitgefühl, Engagement und Begeisterung! Was kann man also tun? Oscar Wilde hat einmal gesagt: „Unzufriedenheit ist der erste Schritt zum Erfolg.“ Deshalb will dieses Buch die Pflegekräfte dort abholen, wo sie stehen, nämlich mitten in ihrem anstrengenden Berufsalltag. Folgende Fragen hat sich jeder in der Pflege Tätige schon einmal oder gar mehrfach gestellt: „„ „„ „„ „„ „„

Warum habe ich diesen Beruf eigentlich gewählt? Welche Entwicklung hat mein Berufsweg genommen? Stimmt die Position, stimmt die Richtung noch? Bin ich in diesem Arbeitsfeld überhaupt noch richtig? Was will und kann ich ändern?

In der Altenpflege werden diese Fragen allerdings immer lauter, eindringlicher und drängender. Eines meiner Lieblingszitate ist eine Zeile aus einem Song von Stefan Gwildis, einem Hamburger Liedermacher: „In den Rückspiegel schau’n, um die Spur wechseln zu können“. Dazu möchte dieses Buch anregen: Die Unzufriedenheit als Hinweis für sich persönlich zu erkennen, konkret zu überlegen, wie es dazu kommen konnte, und sich möglicherweise zu entscheiden etwas zu verändern, also die Spur zu wechseln. Wie jeder Autofahrer weiß, gibt es vielfältige Gründe für einen Spurwechsel. Man könnte bremsen, um auf eine langsamere Spur zu wechseln. Man

Vorwort „Soll ich die Spur wechseln?“

Seit fast 25 Jahren bilde ich Altenpfleger aus, veranstalte Fortbildungen und halte Vorträge vor Fach- und Führungskräften. Ich weiß also wovon ich schreibe, wenn ich behaupte, dass die überwiegende Mehrzahl der heute in der Pflege Arbeitenden das obige Motto für blanken Hohn halten könnte. In meinen Seminaren und Workshops begegne ich nämlich eher Frustration, Resignation, leider auch Zynismus und manchmal sogar echter Verzweiflung bei Pflegekräften, Wohnbereichs- und Pflegedienstleitungen.

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Traumberuf Altenpflege • Ursula Beckmann © Vincentz Network GmbH & Co. KG Hannover 2015 • ISBN: 978-3-86630-121-0

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könnte mehr Gas geben, um auf die Überholspur zu gelangen. Um in diesem Bild zu bleiben, gibt aber es noch mehr Möglichkeiten: Auf einen Parkplatz oder eine Raststätte abzubiegen, um sich zu erholen und aufzutanken, die Richtung zu ändern, wenn man sich verfahren hat. Oder man entscheidet sich für einen Umweg, um etwas Neues zu erleben. Nur eines darf man nie tun: Sich selbst oder andere durch Unachtsamkeit beim Spurwechsel gefährden! Gebrauchsanweisung für dieses Buch: 25 Jahre Erfahrung, gewonnen durch die Ausbildung von Altenpflegern und viele Fortbildungen für Mitarbeiter im Gesundheits- und Sozialwesen stecken in diesem Buch. Mehr als 800 Schüler und viele Seminarteilnehmer haben mich gelehrt, theoretisches Wissen praxisorientiert zu vermitteln. Dieses Buch ist daher in erster Linie für Praktiker geschrieben, dennoch eignet es sich durch die vielfältigen Literaturangaben und die praktischen Aufgaben im hinteren Teil auch für die Belange von Pflegepädagogen in der Aus- und Weiterbildung. Leider ist die Sprache der Theorie manchmal etwas „sperrig“, da muss man dann durch! Die Realität ist schließlich auch nicht immer einfach! Möglichkeiten von persönlicher und beruflicher Weiterentwicklung zu erkennen und zu nutzen, erleichtert das Berufsleben erheblich. Erste Schritte in die gewünschte Richtung ermöglicht dieses Buch. Um die Theorie weniger sperrig und verständlicher zu machen, arbeite ich mit Praxis- und Theorie-Boxen. Praxis-Boxen enthalten Fallbeispiele, die sich so oder so ähnlich tatsächlich zugetragen haben, sowie Tests und Übungen, die eine Auseinandersetzung mit eigenen Fragen oder Problemen ermöglichen. Theorie-Boxen vertiefen das jeweilige Thema bei Interesse oder dienen der Wiederholung. Sie können ohne Verlust eines „roten Fadens“ auch übersprungen werden. Es ist ausdrücklich erwünscht und vom Konzept so angelegt, dass man sich aus dem Angebot seine persönlichen „Rosinen“ herauspicken kann.

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1 „Warum habe ich bloß diesen Beruf gewählt?“ 1.1 Anregung zur Selbstreflexion

„Warum habe ich eigentlich den Beruf gewählt, den ich jetzt ausübe? Ich hätte ja auch stattdessen Verkäuferin, Primaballerina, Detektiv oder Bankdirektor werden können!“ Tatsächlich hat man in unserem Land die freie Wahl, denn der Artikel 12 Absatz 1 unserer Verfassung garantiert: „Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz geregelt werden.“ Also liegt es tatsächlich in der Verantwortung eines jeden Einzelnen, mit welchem Beruf er seinen Lebensunterhalt verdient. Manchmal ist die Wahl eines Berufs nur ein Zufall: Es war gerade kein anderer Praktikumsplatz frei oder das Altenheim lag so bequem um die Ecke. Häufig gibt es auch Familientraditionen. Da findet man in einer Familie zum Beispiel auffällig viele Lehrer, Techniker, Juristen oder eben Pflegeberufe, weil der Apfel ja bekanntlich nicht weit vom Stamm fällt. Als Fachseminarleitung habe ich viele Bewerbungsgespräche geführt. Auf meine Standardfrage: „Warum wollen Sie Altenpflegerin/Altenpfleger werden?“ habe ich meistens als Antwort erhalten: „Weil ich Menschen helfen will“, oder „Weil ich gern mit alten Menschen zusammen bin.“ „Weil meine Mutter/mein Bruder/ meine Nachbarin das auch ist. Ich habe mir das angeschaut und es hat mir gefallen.“ Oder auch: „Weil ich in unserer Familie bei der Pflege meines Großvaters geholfen habe und das war schön.“ Selten waren Antworten wie „Ich möchte einen krisensicheren Beruf und ein regelmäßiges Einkommen.“ (Zu dieser letzten Aussage möchte ich betonen, dass man diese eher materialistischen Motive nicht negativ bewerten sollte. Ich habe bei Schülern im Verlauf ihrer Ausbildung oft beobachtet, dass ein zu großer Idealismus schneller zu Enttäuschung beim Kontakt mit der beruflichen Realität führt als eine sachlich orientierte Einstellung.)

1 „Warum habe ich bloß diesen Beruf gewählt?“

Wer stellt sich diese Frage nicht hin und wieder? Zumeist gestresst, händeringend, mit rollenden Augen? Das geschieht in Zeiten, in denen es gerade nicht gut läuft. Als ernsthafte Fragestellung ist das jedoch eher selten gemeint. Anders sieht es aus, wenn man ständig um dieses Problem kreist, gesundheitliche Probleme auftreten und man ernsthaft an der Richtigkeit der Berufswahl zweifelt. Dann sollte man sich die Zeit nehmen und sich ehrlich um eine Antwort bemühen.

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1.2  Berufswahlmotivation Pflege Bei der Wahl eines Pflegeberufs stehen folglich oft altruistische Motive im Vordergrund. Selbstlosigkeit, Uneigennützigkeit und eine aufopfernde Haltung haben in allen helfenden Berufen eine lange Tradition. Meine Erfahrungen entsprechen den Ergebnissen, die in wissenschaftlichen Untersuchungen zur Berufswahlmotivation gewonnen wurden. „Das Helfen als Beruf wird oft von Menschen gewählt, die sehr einfühlungsbegabt sind. (…) Die meisten Praktiker der helfenden Berufe sind ihrem innersten Wesen nach Menschenfreunde. (…) Sie orientieren sich eher an Menschen als an Dingen. (…) beurteilen sich selbst als mitfühlend, verständnisvoll und hilfsbereit“.1 Diese Einstellung ist sehr menschlich und bis zu einem gewissen Grad auch notwendig, kann aber zu berufstypischen Problemen führen (mehr darüber im nächsten Kapitel „Tücken und Stolperfallen der Pflegeberufe“). Nicht ohne Grund gibt es den Begriff des Helfersyndroms, der von Wolfgang Schmidbauer bereits in den 1970er-Jahren mit seinem damals viel beachteten Buch „Die hilflosen Helfer“ eingeführt wurde. „Die Wahl eines Helferberufs bedeutet, das eigene Arbeitsleben in der Nähe von Erfahrungen mit Trauer, Wut, Schmerz, Zerwürfnis und Ohnmacht anzusiedeln. Wer das nicht kann oder wem das rasch zu viel wird, der sollte darüber nachdenken, ob er den richtigen Beruf gewählt hat.“2

1.3  „Was hat meine Persönlichkeit damit zu tun?“ „Wer bin ich? Wie bin ich so geworden, wie ich bin?“ Auch Menschen, die sich diese Fragen nicht stellen und kein Interesse an sich selbst haben, müssen sich während ihrer Altenpflegeausbildung entsprechend der Intention des Gesetzgebers damit auseinandersetzen. In der Ausbildungsordnung3 im Lernfeld 4 „Berufliches Selbstverständnis entwickeln“ finden sich deshalb folgende Lerninhalte: „„ Reflexion der beruflichen Rolle und des eigenen Handelns, „„ Berufstypische Konflikte und Befindlichkeiten, „„ Die eigene Gesundheit erhalten und fördern.

Unterricht und Ausbildung sollen also nicht nur Faktenwissen vermitteln, sondern auch eine persönliche Reflexion und Weiterentwicklung der eigenen Persönlichkeit ermöglichen. Ausbildung ist immer gleichzeitig auch Persönlichkeitsentwicklung. Das gilt grundsätzlich für alle Berufe, ist aber in den helfenden

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Pines, Aronson, Kafry, S. ?. Fengler, S. 33. Ausbildungs- und Prüfungsverordnung (AltPflAPrV) vom 26. November 2002.

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Die persönliche Lebens- oder Leidensgeschichte spielt für die Berufswahl eine entscheidende Rolle. Die gesamte Sozialisation und die Erziehung wirken dabei mit. Die zentrale Frage: „Wie bin ich so geworden, wie ich bin? Welche Werte leiten mein berufliches Handeln?“ sollte jeder für sich beantworten können, der mit Menschen zu tun hat. Insbesondere dann, wenn diese Menschen abhängig von ihm und damit in gewisser Hinsicht „ausgeliefert“ sind, so wie die Bewohner und Patienten in der Altenpflege. Auch kann man im Umkehrschluss anhand der Berufswahl Rückschlüsse auf die Persönlichkeit eines Menschen ziehen.

1.4 „Bin ich zufrieden? Womit?“ In den Jahren 2007 bis 2011 bin ich in Interviews mit Altenpflegerinnen und Altenpflegern der Frage nachgegangen: „Welche Faktoren führen zu einer langandauernden Zufriedenheit im Altenpflegeberuf?“ Die häufigsten Antworten waren: Die hohe Sinnhaftigkeit des Berufs und ein gut funktionierendes Team. Außerdem genannt wurden: Mitbestimmung beim Dienstplan, offene, rücksichtsvolle Kommunikation mit Kollegen und Vorgesetzten, und das Gefühl, etwas bewirken zu können bei der täglichen Arbeit. Zufriedene und engagierte Vorgesetzte, die ihre Mitarbeiter wertschätzen und sie in schwierigen Situationen motivieren können, sind ebenfalls wichtig für die lang andauernde Zufriedenheit im Beruf. Diese Antworten in meinen Interviews decken sich mit den Ergebnissen von weltweit durchgeführten Studien (Mercer „What‘s working?“), die der Frage nachgegangen sind, was Mitarbeiter zufrieden und engagiert arbeiten lässt. Eindeutig auf den vordersten beiden Plätzen in allen teilnehmenden Ländern standen: Respekt, der den Mitarbeitern vom Arbeitgeber entgegengebracht wird, und die Möglichkeit eine befriedigende Balance zwischen der Arbeit und den anderen Lebensbereichen wie Familie, gesellschaftlichem Engagement, Hobbies und Freizeit herstellen zu können. (Den Begriff der Work-Life-Balance, der heutzutage so gern verwendet wird, kann insofern irreführend sein, als er einen Gegensatz

1 „Warum habe ich bloß diesen Beruf gewählt?“

Berufen besonders wichtig. Auch bei weiteren Lerninhalten der Altenpflegeausbildung liegt es nahe, die eigene Person, die familiäre und kulturelle Herkunft einzubeziehen. Die Themen Biografiearbeit, Grundlagen der Psychologie, Kommunikation und Gesprächsführung sowie das Lernfeld 1.3. mit seinen teilweise existenziellen pflegerelevanten Inhalten bieten sich dafür an. Dementsprechend führen zum Beispiel die meisten Alten- und Krankenpflegeschulen zum Thema „Sterben und Tod“ Seminare durch, die eine persönliche Auseinandersetzung zulassen und fördern. Alle diese Themen sind nie von der eigenen Persönlichkeit zu trennen! Und nur wenn man den eigenen Standpunkt kennt, kann man eine angemessene Haltung im Umgang mit anderen Menschen entwickeln.

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von Arbeit und Leben, der im Gleichgewicht gehalten werden muss, impliziert.) Ebenfalls ganz weit vorne rangierte die „Art der Arbeit“, womit die Sinnhaftigkeit der Arbeit gemeint ist. Die übrigen Faktoren waren in den Ländern auf unterschiedlichen Rangplätzen, was durch kulturelle Einflüsse erklärbar ist.

1.5  „Bin ich unzufrieden? Möchte etwas ändern? Aber wie?“ Bei anhaltender Unzufriedenheit, die sich unter anderem in „Dienst nach Vorschrift“ oder auch „innerer Kündigung“ zeigen kann, ist es enorm wichtig, die Ursachen zu erkennen. Nicht nur der betroffene Mitarbeiter selbst, sondern auch der Arbeitgeber sollte ein Interesse daran haben! Nur dann kann man die richtigen Konsequenzen aus der Situation ziehen und etwas positiv verändern. Es ist nun einmal ein großer Unterschied, ob jemand den völlig falschen Beruf gewählt hat oder ob er die Auswirkungen der typischen Rahmenbedingungen wie Schichtdienst, Wochenend- und Feiertagsarbeit unterschätzt hat. Manchmal würde schon eine neue Stelle mit anderen Kollegen oder Vorgesetzten helfen. Es macht auch einen gewaltigen Unterschied, ob man ein halbes Jahr nach Berufseinstieg bereits völlig frustriert und verzweifelt ist oder ob man zwei Jahre vor der Rente steht. Auch die Intensität des Leidensdrucks spielt hier eine Rolle. Sollten sich bereits erste Anzeichen eines Burn-out-Syndroms zeigen, dann ist es höchste Zeit für einen „Blick in den Rückspiegel“. Erst danach ist eine reflektierte und fundiert zu begründende Entscheidung möglich. Soll ich die Spur wechseln? Eine Fortbildung machen? Mit welchem Ziel? Die Stelle wechseln? Ganz aussteigen? Umschulen? Stunden reduzieren? Richtig Urlaub machen? Oder? Oder? Oder? Das sind eine Menge Fragen! Dieses Buch möchte helfen, Antworten zu finden, konkrete Ideen für Veränderungen zu entwickeln ohne gleich alles hinwerfen zu müssen. Leider gibt es keine gute Fee, die die Herzenswünsche aller Pflegekräfte nach mehr Zeit für die alten Menschen und nach mehr Personal erfüllt. Um die gesetzlichen Rahmenbedingungen und die des Trägers oder Arbeitgebers zu verändern, braucht es einen langen Atem. Anfangen kann man deshalb zunächst einmal bei sich selbst: Bei der eigenen Persönlichkeit.

„Sei Du selbst die Veränderung, die Du Dir von der Welt wünschst.“ (Gandhi)

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Jeder Beruf stellt spezifische Anforderungen und verlangt bestimmte Fähigkeiten. Wissen und Kenntnisse kann man sich aneignen, aber persönliche Eigenschaften, die unverzichtbar sind, muss man mitbringen oder entwickeln. Ein Architekt ohne räumliches Vorstellungsvermögen, eine Floristin ohne handwerkliches Geschick, eine Pflegekraft ohne Geduld? Undenkbar! Pflegebedürftige benötigen Hilfe bei vielen Tätigkeiten in ihrem täglichen Leben. Die meisten wären vermutlich lieber noch selbständig. Aufgrund von Krankheit, Behinderung oder Alter ist das jedoch nicht mehr möglich. Das Verhalten von pflegebedürftigen Menschen ist je nach Persönlichkeit verschieden: Manche sind freundlich, einsichtig und dankbar, andere uneinsichtig, unzufrieden, leiden sehr unter der Situation und hadern mit ihrem Schicksal. Pflegende müssen also vor allem Einfühlungsvermögen, Geduld und Offenheit mitbringen, gleichzeitig müssen sie Nähe ertragen und Distanz wahren können, flexibel und dabei zuverlässig und gewissenhaft sein. Im Pflegeteam treffen dann Kollegen aufeinander, die sich im Hinblick auf die oben genannten Eigenschaften in ihrer Persönlichkeitsstruktur höchstwahrscheinlich sehr ähneln. Die täglichen Anforderungen und das langjährige berufliche Miteinander verstärken diese Wesensmerkmale noch zusätzlich. Und genau dadurch entstehen die spezifischen „Tücken und Stolperfallen“, in die Angehörige der Helferberufe hineintappen können, wenn sie diese nicht rechtzeitig erkennen. Die folgenden theoretischen Überlegungen zur Entstehung von „beruflichen Deformationen“ und einem „Helfersyndrom“ können hier Anregungen zur Selbstreflexion geben.

2.1  Die Gefahren der beruflichen Deformation Unter „beruflicher Deformationen“ versteht man sämtliche psychischen, seelischen und geistigen Verschleißerscheinungen und Abnutzungen, Fehlentwicklungen, Schädigungen und Entfremdungen, die durch die spezifischen Anforderungen des jeweiligen Berufs und die tägliche Realität bei der Ausübung desselben entstehen und auftreten.4

2 Die „Tücken und Stolperfallen“ der Altenpflegeberufe

2 Die „Tücken und Stolperfallen“ der Altenpflegeberufe

Die charakteristischen Anforderungen eines Berufes sind Teil der Ursache dieser Verformungen. Grundsätzlich gibt es diese Gefahr in allen Berufen. (Zum Bei4

Fengler, S. 125 ff.

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spiel verraten sich Lehrer manchmal durch eine typische Art von Besserwisserei oder Kellner oft durch eine übertriebene, manchmal fast unterwürfige Freundlichkeit.) In den helfenden Berufen können sich die Adressaten des beruflichen Handelns – die Patienten, Bewohner, Klienten – schlecht wehren, weil sie sich in belastenden, häufig existenziell bedrohten Lebenslagen befinden. Die Pflegebeziehung ist gekennzeichnet durch ein „asymmetrisches“ Verhältnis zwischen Pflegendem und Pflegebedürftigem. Die vielgepriesene Augenhöhe gibt es allein aufgrund des unterschiedlichen Wissens- und Informationsstandes nicht. Auch auf die institutionell vorgegebenen Abläufe hat der Patient oder Bewohner wenig Einfluss. Es gibt also eindeutig ein „Oben“ und ein „Unten“ in der Hierarchie der Interaktion. Oben ist die Pflegekraft, unten der Pflegebedürftige, angewiesen auf Hilfe – und manchmal auch ausgeliefert. Das macht eine sachliche, nüchterne Einstellung und Abgrenzung besonders schwierig. Routine erleichtert einerseits die tägliche Arbeit. Jeder Berufsanfänger ist zunächst froh darüber. Andererseits fördert die Vertrautheit mit den wiederkehrenden Abläufen ein starres Denken und Handeln. Sätze wie „Das haben wir schon immer so gemacht“ oder „So etwas funktioniert hier sowieso nicht“ verraten eine eingefahrene Einstellung. Deshalb sollte man dankbar sein für kritisches Feedback. Rückmeldungen dieser Art kommen in der Regel zuerst von Außenstehenden: Angehörige, Freunde, Bekannte, aber auch Patienten oder Bewohner geben oft erste Hinweise. Kollegen, die ja dieselbe „Berufsbrille“ aufhaben wie man selbst, sind diesbezüglich nicht so hilfreich, es sei denn, es handelt sich um „Querdenker“. Fengler beschreibt acht „charakteristische seelische Vorgänge“5 als Anzeichen für eine berufliche Deformation: 1. Dauerbelastung, 2. Überidentifikation, 3. Wahrnehmungsselektion, 4. Blinde Flecken,

5. Interessensverarmung, 6. Gedankliche Dürre, 7. Erstarrter Gestus und Ausdruck, 8. Abrufbare Gefühle.

„Die Zahl der möglichen Deformationen ist unendlich groß. Manche von ihnen haben den Charakter von Automatismen, treten also als (…) Posen, Verhaltenslücken und Verhaltensinflationen in Erscheinung, die in einer bestimmten Situation nahezu automatisch und für den aufmerksamen Beobachter vorhersehbar eintreten. Besonders auffallend sind diese Automatismen im privaten Kontakt. Dagegen geht in der beruflichen Begegnung manches unbemerkt durch, eben weil es zur beruflichen Rollenübernahme gut passt und das Erstarrte dort weni-

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Fengler, S. 126.

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Folgende vier Arten von beruflichen Deformationen kann man im Alltag der Altenpflege häufig beobachten: Dauerbelastung. Sie gilt in den Pflegeberufen als „normaler“ Zustand. Nicht ohne Grund ist der „Pflegenotstand“ in aller Munde. Viele Belastungen im Berufsleben wie Zeitdruck, Überstunden, unklare Vorgaben von Vorgesetzten sind real und unvermeidbar. „Aber an allen Arbeitsplätzen lohnt es sich zu prüfen, welcher Teil davon selbsterzeugt, durch Untätigkeit geduldet oder wegen anderer Vorteile geradezu angestrebt wird.“7 Viele Menschen entwickeln leider eher Überlebensstrategien, um trotz des Drucks einigermaßen über die Runden zu kommen, anstatt Energie in Veränderungsstrategien zu investieren.

Fallbeispiel Dauerbelastung

Praxis-Box

Während einer Fortbildung für Pflegedienstleitungen aus dem Bereich der stationären Altenhilfe wurde lang und breit geklagt über unbesetzte Fachkraftstellen, hohe Krankenstände und die immer schlechter werdende Qualität der Mitarbeiter. O-Ton: „Wir nehmen inzwischen jeden, Hauptsache wir bekommen zwei zusätzliche Hände“! Alle machten ihrem Herzen einmal so richtig Luft. „Wir sind heute mit einer Fachkraft und zwei Hilfskräften im Wohnbereich, wo wir früher zu fünft waren!“ In diesem Stil ging es eine Zeitlang weiter, bis plötzlich ein Teilnehmer bemerkte: „Aber wisst ihr noch? Vor 20 Jahren haben wir schon genauso über Zeitnot und schlechte Besetzung geklagt wie heute! Und da war es doch objektiv noch viel besser!“ Zunächst machte sich betretenes Schweigen breit, dann folgte zögernde Zustimmung und schließlich eine ernsthafte Diskussion über de facto veränderte Rahmenbedingungen und mögliche eigene Wahrnehmungsprobleme.

Wahrnehmungsselektion. In Pflegeberufen muss man bestimmte Regeln zur Wahrnehmung von pflegerelevanten Fakten befolgen. So ist zum Beispiel „Krankenbeobachtung“ ein wichtiges Thema gleich zu Beginn der Ausbildung: Temperatur, Blutdruck, Puls, Stuhlgang und anderes mehr werden in der Dokumentation notiert und ausgewertet für die Pflegeplanung. Es besteht dadurch 6 7

Fengler, S. 132. a.a.O.

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2 Die „Tücken und Stolperfallen“ der Altenpflegeberufe

ger auffällt. (…) Stets geht es um Reduktion, (…) Urteilsschwäche, Realitätsferne, nicht wahrgenommene Absurdität, unangemessenen Mitteleinsatz, Fehleinschätzung der im Beruf begründeten Kompetenz, Selbst- und Fremdschädigung, Verleugnung und Verbiegung – eben um Deformationen im Denken, Fühlen und Handeln.“6

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die Gefahr, vorrangig die Auffälligkeiten und Defizite bei den Pflegebedürftigen wahrzunehmen, und nicht mehr den ganzen Menschen. So werden vielleicht Familienfotos an der Wand über dem Pflegebett und andere persönliche Gegenstände im Zimmer nicht mehr bewusst gesehen, Gespräche im Pflegealltag verarmen dadurch. Zusätzlich läuft die Pflegekraft auch für ihre eigene Person Gefahr, „von der Fülle des Lebens (…) nur noch berufsbezogene Aspekte zur Kenntnis [zu nehmen]“8. Ein schönes Beispiel für diese Form einer beruflichen Deformation gab eine Physiotherapeutin, die regelmäßig in einem Fitnessstudio trainierte und bemerkte: „Wenn ich mir die anderen anschaue, sehe ich in ihnen immer meine Patienten von morgen.“ Erstarrter Gestus und Ausdruck. „Menschen, die täglich mit vielen Personen in ähnlichen Angelegenheiten zu sprechen haben, entwickeln oft ein Repertoire starrer Redewendungen“9. Den berüchtigten Satz „Na, wie geht’s uns denn heute?“ hört man zum Glück nicht mehr so häufig im Pflegealltag. Aber bestimmte Floskeln und ein ganz spezifischer Tonfall in der häufig nicht einfachen Kommunikation mit alten Menschen schleichen sich mit der Zeit bei fast jedem ein. Bei der nonverbalen Kommunikation fällt auf, wie oft einige Pflegekräfte alte Menschen streicheln und in den Arm nehmen, ohne auf deren individuelle Bedürfnisse oder die aktuelle Befindlichkeit zu achten. Dasselbe geschieht mit Kollegen oder Angehörigen. Auf Außenstehende wirkt ein solch gedankenloser Körperkontakt dann distanzlos und unpassend. Abrufbare Gefühle. „So wie Sprache, Gestus und Ausdruck unterliegen auch (…) Gefühle einer berufsspezifischen Normierung und gelegentlich einer entsprechenden Schädigung. So vermögen viele Helferinnen und Helfer [auf Abruf] Wärme und Zuversicht zu verströmen;“10 Im Pflegebereich kann man oft einen kummervollen, bemitleidenden Tonfall im Umgang mit traurigen Patienten oder Bewohnern beobachten. Oder man erlebt das Gegenteil: betont aufmunternde, schwungvolle Äußerungen wie zum Beispiel: „Aber wer wird sich denn solche Sorgen machen? Das wird schon wieder!“ Auch wenn man die Entwicklung der beschriebenen Deformationen nicht ganz verhindern kann, so wäre bereits ein Erkennen von eingefahrenen und zu routinierten Verhaltensweisen – verbunden mit einem leichten Augenzwinkern – hilfreich. Kollegen könnten sich gegenseitig humorvoll auf standardisierte Sätze oder Handlungen aufmerksam machen.

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8 Fengler, S. 127. 9 Fengler, S. 130. 10 Fengler, S. 131.

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Dieser Begriff wurde in den 1970er Jahren von Wolfgang Schmidbauer durch sein Buch „Die hilflosen Helfer“ geprägt. Ein typischer Helfersyndrom-Helfer ist unfähig, eigene Gefühle und Bedürfnisse zu äußern, kann eigene Schwächen nicht akzeptieren und kompensiert diese durch eine Fassade übertriebener Hilfsbereitschaft.11 Als Ursache nennt Schmidbauer einen Mangel an elterlicher Liebe in der Kindheit: Das Kind wurde nicht als ganze Person angenommen, sondern nur für seine Leistungen anerkannt, Versagen und Hilflosigkeit wurden nicht akzeptiert. Daraus entwickelte sich ein übertriebenes Bedürfnis nach Anerkennung und Zuneigung durch andere. Gleichzeitig identifizierte sich das Kind mit dem idealisierten Elternteil. Helfen dient somit der Bewältigung von traumatischen Erfahrungen in der Kindheit.12 Es gibt durchaus Kritik an dieser Theorie: Sie sei empirisch nicht belegt und es würden lediglich zwanghafte Verhaltensweisen beschrieben. Dadurch gerate das Helfen insgesamt in den „Verdacht, etwas (…) Neurotisches (…) oder Dummes zu sein. [Dennoch ist es sicher das Verdienst Schmidbauers auf die Problematik von] Verpflichtungen, Verstrickungen und Verbiegungen mancher Helfer hingewiesen und zu ihrer Bewusstmachung eingeladen zu haben.“13 Ein Helfersyndrom ist eine ernstzunehmende Persönlichkeitsstörung. Menschen, die auffällig besitzergreifend und überzeugt von ihrer Unersetzbarkeit sind, können sich nicht abgrenzen und eigene Überbelastungen nicht mehr erkennen. Sie sind im höchsten Grade burn-out-gefährdet und stellen eine Gefahr für sich und andere dar. In solchen Fällen dürfen Kollegen und Vorgesetzte nicht wegschauen! Man sollte sich aber vor einer inflationären Verwendung des Begriffs hüten. In Dienstzimmern und auf den Fluren der Altenheime hört man häufig Sätze wie „Ach, ich wieder mal mit meinem Helfersyndrom!“, auch dann, wenn es sich nur um ein ganz normales mitmenschliches Verhalten handelt, das im sozialen Zusammenleben üblich und erwünscht sein sollte.

11 Stanjek, S. 67. 12 Schmidbauer, Vortrag 2002. 13 Fengler, S. 38.

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2 Die „Tücken und Stolperfallen“ der Altenpflegeberufe

2.2  Das Helfersyndrom

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Fallbeispiel Eva

Praxis-Box

Altenpflegerin Eva hat immer ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte ihrer Bewohner. Auch Bitten von Kollegen, Dienste zu übernehmen, Überstunden zu machen oder kurzfristig einzuspringen, schlägt sie nie ab. „Ich kann einfach nicht ‚Nein‘ sagen.“ Das ist ihr Standardsatz. Sie opfert Teile ihrer Freizeit, um Besorgungen zu machen. Insbesondere eine Bewohnerin ist mittlerweile schon sehr auf sie fixiert. Eva ist der Meinung, dass nur sie mit dieser alten Frau gut klar kommt und niemand sonst. Deshalb schaut sie auch an ihrem dienstfreien Wochenende immer kurz rein, um zu sehen, wie es der Bewohnerin geht und um ihr Gesellschaft zu leisten. Als es dieser Bewohnerin besonders schlecht geht, verschiebt Eva sogar ihren lange geplanten Urlaub, weil sie sich für unentbehrlich hält. Wenn sie von Kollegen angesprochen wird, dass sie müde und erschöpft wirkt, reagiert sie mit den Worten: „Das macht mir Spaß. Auf mich wartet zu Hause sowieso niemand.“ Angeregt durch eine Fortbildung beschäftigte Eva sich näher mit ihrem eigenen Verhalten und erkannte nach und nach die Problematik, die sich für sie selbst, für die Bewohner, aber auch für die Kollegen im Team aus ihrer übergroßen Hilfsbereitschaft entwickeln könnten. Zum Glück war das Verhältnis zwischen den Kollegen und der Vorgesetzten sehr offen und vertrauensvoll, so dass in den Monaten nach der Fortbildung immer mal wieder hilfreiche Gespräche entstanden. Dadurch erkannte Eva nach und nach, dass in ihrer Familie bei der Erziehung sehr strenge Leistungsanforderungen gegolten hatten: Lob gab es immer nur für ein absolut perfektes Ergebnis. Als älteste von drei Geschwistern hatte sie außerdem früh gelernt Verantwortung zu übernehmen, durch ihre Gewissenhaftigkeit, Hilfsbereitschaft und Zuverlässigkeit erhielt sie positive Rückmeldungen. Eva wurde klar, dass sie mit ihrem persönlichen Hintergrund sicherlich gefährdet ist, ein Helfersyndrom zu entwickeln.

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3 Die menschliche Persönlichkeit 3.1  „Wer bin ich? Wie bin ich so geworden, wie ich bin?“ Das Regal „Lebenskunst“ einer großen Buchhandlung unserer Stadt ist reich bestückt mit Ratgeberliteratur. Die Titel lauten zum Beispiel: „Der Selbstentwickler“, „Günther, der innere Schweinehund“, „Raus aus der Grübelfalle“, „Erfolgsprinzip Persönlichkeit“, „Fels in der Brandung statt Hamster im Rad“, „Das neue 1x1 der Persönlichkeit“, „Selbstmanagement – ressourcenorientiert“, aber auch: „Ich bleib so scheiße wie ich bin“!14 Die Buchhändlerin bestätigte mir, dass eine rege Nachfrage nach all diesen Themen besteht.

Menschen haben sich seit alters her mit den Fragen: „Wer bin ich?“, „Wie bin ich so geworden?“ und „Ist das wirklich mein wahres Ich?“ beschäftigt. 15

Die alten Griechen

Theorie-Box

Hippokrates, griechischer Arzt im 5. Jahrhundert vor Christus, nahm an, dass der Körper vier wesentliche Flüssigkeiten enthält und diese sogenannten Körpersäfte mit einem bestimmten Muster von Emotionen und Verhaltensweisen, den Temperamenten, in Verbindung stehen. Galenus, 2. Jahrhundert nach Christus, entwickelte diese Theorie weiter; seiner Meinung nach hängt die Persönlichkeit eines Menschen davon ab, welcher Körpersaft vorherrscht. Er unterschied folgende vier Temperamente: nn Choleriker, aufbrausend und leicht reizbar, viel gelbe Galle, nn Melancholiker, traurig und grüblerisch, viel schwarze Galle, nn Phlegmatiker, träge und apathisch, viel Schleim, nn Sanguiniker, fröhlich und aktiv, viel Blut15. Auch wenn die Begründung nicht mehr dem neuesten wissenschaftlichen Stand entspricht, so haben sich die Temperamente nach Galenus bis heute im Sprachgebrauch erhalten, und die Mediziner verdanken Hippokrates immerhin ihren hippokratischen Eid.

14 Corssen, Der Selbstentwickler; Frädrich, Günther, der innere Schweinehund; Fritze, Raus aus der Grübelfalle; Hansch, Erfolgsprinzip Persönlichkeit; Wellensiek, Fels in der Brandung statt Hamster im Rad; Seiwert, Das neue 1x1 der Persönlichkeit; Storch/Krause, Selbstmanagement – ressourcenorientiert; Niaz-Shahabi, Ich bleib so scheiße wie ich bin. 15 Gerrig/Zimbardo, S. 505.

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3 Die menschliche Persönlichkeit

Auch das Internet zeigt viele Angebote: 737.00 Ergebnisse finden sich unter dem Stichwort „Persönlichkeitsentwicklung“ (Google Stand 18.9.2014). Vom Persönlichkeits-Blog über die Website „www.zeitzuleben.de“ bis zum pferdegestützten Coaching – der Markt der Möglichkeiten ist riesig.

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3.2 Alltagspsychologie Die meisten Menschen entwickeln ein eigenes System der Persönlichkeitsbewertung. Viele sind stolz auf ihre gute Menschenkenntnis, und sie liegen tatsächlich oft richtig mit ihren Erklärungen für ein bestimmtes Verhalten oder der Vorhersage desselben bei anderen Menschen in ihrem Umfeld. „Die Alltagspsychologie ist ein System kulturell tradierter Überzeugungen über menschliches Erleben und Verhalten und dessen Ursachen.“16 Diese basieren jeweils auf dem Menschenbild, das jeder Mensch unbewusst oder bewusst während seiner Sozialisation erworben hat. Bereits kleine Kinder sind so pfiffig zu erkennen, ob die Eltern großzügig gelaunt sind oder eher nicht. Sie können dann ihr Quengelverhalten an der Tagesform der Mutter oder des Vaters orientieren. Manche Menschen entwickeln sehr eigenwillige Persönlichkeitstheorien: Zum Beispiel die sogenannte „Über-Kreuz-Vererbungstheorie“, wonach die Eigenschaften der Mutter sich auf die Söhne vererben und die des Vaters auf die Töchter. – Auch Sprichwörter versuchen Hilfestellung zu geben: „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.“ „Gleich und gleich gesellt sich gern.“ „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, auch wenn er dann die Wahrheit spricht.“ All diesen Versuchen liegt der – verständliche – Wunsch zugrunde, das eigene Verhalten und das der Mitmenschen verstehen, einschätzen und möglicherweise beeinflussen zu können. Es ist mit der Alltagspsychologie ähnlich wie mit der Alltagsphysik: Als die Menschen noch nicht wussten, wie Blitze entstehen, haben sie geglaubt, Blitze seien ein Zeichen für den Zorn der Götter. Inzwischen lernt jedes Schulkind im Physikunterricht, wie Blitze zustande kommen. Und so ähnlich ist es auch mit der Persönlichkeitspsychologie: Viele Theorien und Modelle sind inzwischen wissenschaftlich belegt und bewiesen durch empirische Untersuchungen. In neuerer Zeit haben insbesondere die verschiedenen Sparten der Hirnforschung teilweise bahnbrechende neue Erkenntnisse bei der Erforschung menschlichen Erlebens und Verhaltens erbracht.

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Hyperalignment-Studie

Theorie-Box

Eine Gruppe von Wissenschaftlern der Universität Magdeburg, aus den Niederlanden und den USA untersuchen in einem aktuellen Forschungsprojekt17 die Fragen „Wann ticken alle Menschen gleich? Und welche Abläufe im Hirn sind dagegen individuell verschieden?“18 Dafür wurden die Probanden für zwei Stunden in die „Röhre“ gesteckt und schauten sich den Film „Forrest Gump“ an.

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16 Asendorpf, Psychologie der Persönlichkeit, S. 2. 17 Hanke. 18 Eberhart.

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Dabei wurden Aktivierungsmuster des Gehirns mittels fMRT (= funktionelle Magnetresonanztomographie) aufgezeichnet. Ziel dieses Versuchs ist es mit Hilfe dieses sogenanntes Hyperalignments (= Vergleich unterschiedlicher Gehirne bei der Verarbeitung der exakt gleichen Reize) weitere Erkenntnisse zur Funktionsweise des menschlichen Gehirn zu erhalten.

3.3  Was versteht man unter „Persönlichkeit“? – Definition

„Persönlichkeit“ ist ein zentraler Begriff, der nicht einheitlich definiert wird. Von den zahlreichen Definitionen sollte man sich nicht irritieren lassen, zeigen sie doch lediglich, dass die Auffassungen, das Menschenbild und die Ziele der Autoren, sich diesem Phänomen zu nähern, sehr unterschiedlich sind. Die Epoche, in der eine Theorie entstanden ist, der jeweilige Wissenschaftsbegriff und der Geltungsbereich spielen hierfür eine wesentliche Rolle. Manche Modelle haben einen eher beschreibenden Ansatz, können aber nicht erklären, warum der Mensch so geworden ist und wie er sich weiterentwickeln wird. Das versuchen dann eher andere Modelle. Deshalb ist die Vielfalt der theoretischen Ansätze nicht ein Zeichen für die Zerrissenheit oder gar Unfähigkeit der Wissenschaft. Sie zeigt vielmehr, dass sowohl eher beschreibende, statische Modelle als auch eher dynamische Persönlichkeitstheorien ihre Berechtigung haben und verschiedene Funktionen erfüllen können. Die verschiedenen Theorien ergänzen sich somit gegenseitig. Hier werden beispielhaft zwei Definitionen vorgestellt: „Unter der Persönlichkeit eines Menschen wird die Gesamtheit seiner Persönlichkeitseigenschaften verstanden: die individuellen Besonderheiten in der körperlichen Erscheinung und in Regelmäßigkeiten des Verhaltens und Erlebens.“20 „Persönlichkeit ist die dynamische Ordnung derjenigen psychophysischen Systeme im Individuum, die seine einzigartigen Anpassungen an seine Umwelt bestimmen.“21 19 Asendorpf, Psychologie der Persönlichkeit, S. 10/11. 20 Asendorpf, Persönlichkeitspsychologie, S. 2. 21 Allport, 1959, S. 49 zit. n. Wikipedia.org/wiki/Persönlichkeit, Stand 08.07.2014.

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3 Die menschliche Persönlichkeit

„Persönlichkeitspsychologie ist die empirische Wissenschaft von den überdauernden, nicht pathologischen, verhaltensrelevanten, individuellen Besonderheiten von Menschen, (…) sie beschäftigt sich mit Normalvarianten der Persönlichkeit einschließlich verhaltensrelevanter genetischer und neuronaler individueller Besonderheiten.“19

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4 Persönlichkeitsmodelle in der Theorie – Ein Überblick Die Theorien und Modelle der Persönlichkeitspsychologie weichen teilweise erheblich voneinander ab. Sie entstanden zum einen in verschiedenen Epochen und stammen zum anderen aus unterschiedlichen Fachgebieten (zum Beispiel der Psychologie, Medizin, Pädagogik, Biologie, Anthropologie oder Ethnologie). Sie wurden im Laufe der Jahre immer wieder von anderen Autoren aufgegriffen und weiterentwickelt. Das erklärt die Vielfalt der Ansätze. Der Überblick über die vier wichtigsten Richtungen dient auf den folgenden Seiten als Orientierungsrahmen. Daneben gibt es noch eine Reihe weiterer Theorien und Modelle, die zu einzelnen Aspekten der Persönlichkeitspsychologie Erklärungsansätze bieten. (Zum Beispiel zur Entstehung von Identität, Selbstwertgefühl (vgl. Kapitel 7.3) und Motivation (vgl. Kapitel 8.3) die „Theorien des Selbst“22.) Auch die neurowissenschaftlichen Forschungsansätze aus den Bereichen der Medizin, Psychologie und Biologie werden hier nur erwähnt. Die moderne Hirnforschung und die Erforschung der genetischen Grundlagen menschlichen Verhaltens wird in den nächsten Jahren sicherlich noch vieles innerhalb der menschlichen Persönlichkeit erklären können, was uns bis heute verborgen ist.

4.1  Typologien und traits-theoretische Ansätze Aus der Praxis: Im Wohnbereich Kastanienhof treffen völlig unterschiedliche Charaktere aufeinander: Altenpfleger Tom ist oft sehr aufbrausend im Umgang mit seinen Kollegen. Hinterher entschuldigt er sich immer gerne mit den alten Griechen: „Kannste schon bei Hippokrates nachlesen, ich kann nix dafür, hab‘ einfach zu viel gelbe Galle in meinem Körper, ich bin eben ein richtiger Choleriker!“ Seine Kollegin Sandra hingegen kann so leicht nichts aus der Ruhe bringen, bereits in der Ausbildung sagte ihre Mentorin über sie: „Na, der Sandra kann man aber beim Laufen die Schuhe besohlen…“ (Sandras Verhalten würden die alten Griechen ebenfalls mit einem Ungleichgewicht der Körpersäfte erklären - in diesem Fall mit zu viel Schleim. Sie ist damit eine typische Phlegmatikerin.) Auch ein Melancholiker (zu viel schwarze Galle) ist im Team vertreten in der Person des Wohnbereichsleiters Ernst, er beendet fast jede Besprechung mit den Worten: „Das bringt doch alles

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22 Gerrig/Zimbardo, S. 531 ff.

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Unter Typologien versteht man klar umgrenzte, sich nicht überlappende Kategorien, mit deren Hilfe versucht wird, die menschliche Persönlichkeit in bestimmte Typen einzuteilen. Bekannte Beispiele hierfür sind Theorien, die von körperlichen Merkmalen ausgehen, wie die Lehre der vier Temperamente nach Hippokrates und Galenus (vgl. Kapitel 3.1) oder die Versuche von Kretschmer und Sheldon, die Menschen anhand ihres Körperbaus in Charaktertypen einzuordnen: So unterteilte Sheldon die Menschen in drei Kategorien: endomorphe Menschen (= adipös, weich, rund) seien entspannt und gesellig, mesomorphe Menschen (= muskulös, athletisch, stark) körperbetont, voller Energie und Durchsetzungswillen und ektomorphe Menschen (dünn, groß, anfällig) intellektuell, künstlerisch begabt und introvertiert23. Eine ganz andere Art von Typologie entwickelte Sulloway: Er stellte Kategorien auf der Basis der jeweiligen Stellung in der Geschwisterreihenfolge auf und ordnete diesen dann grundlegende Verhaltensweisen zu; seiner Meinung nach identifizieren sich zum Beispiel erstgeborene Kinder in der Regel mit ihren Eltern und treten häufig in deren Fußstapfen, wohingegen danach folgende Geschwister eher dazu neigen, gegen ihre Eltern zu rebellieren und eigene Wege zu gehen24. Aus der Praxis: Die neue Kollegin im Team des ambulanten Dienstes hat sich bereits ganz gut eingearbeitet. In einem kurzen Plausch nach der Dienstbesprechung stellen sie und ihre Kolleginnen erstaunt fest, dass die Mehrzahl von ihnen jüngere Geschwister hat. Die „Neue“ behauptet, dass sei typisch für Pflegeberufe, man würde ja als Älteste oder Ältester bereits durch dem Umgang mit den Geschwistern viele passende Eigenschaften für einen Pflegeberuf mitbringen: Verantwortungsbewusstsein, Fürsorge für Schwächere, Verlässlichkeit, Selbständigkeit. Man könne eigene Bedürfnisse hinter den Bedürfnissen von Schwächeren zurückstellen. Außerdem hätte man in dieser Geschwisterposition gelernt, den Überblick zu behalten und sich durchzusetzen. „Ich habe mal irgendwo gelesen, dass älteste Schwestern von Brüdern besonders häufig Krankenschwester werden! Klar hängt das im Einzelfall auch von den Umständen ab, zum Beispiel vom Altersunterschied oder von der Persönlichkeit des Einzelnen. Ich hatte in der Grundschule eine Freundin, die war zwar drei Jahre jünger als ihr Bruder. Aber der war häufig krank, körperlich schwach und ziemlich klein, sie dagegen kräftig, groß und durchsetzungsstark. Also die war überhaupt 23 Gerrig/Zimbardo, S. 505. 24 Gerrig/Zimbardo, S. 506.

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4 Persönlichkeitsmodelle in der Theorie – Ein Überblick

nix. Ich weiß echt nicht, warum ich mir das hier immer noch antue!“ Zum Glück gibt es noch die nette Evi, die Auszubildende im Team. Sie ist stets gut gelaunt, fröhlich und hat für alle ein nettes Wort übrig. Laut der Lehre der vier Temperamente von Hippokrates und Galenus gehört sie damit zum Typ der Sanguiniker (Menschen mit viel Blut).

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keine typische jüngste Schwester. Die war mit ihren neun Jahren sogar einen Kopf größer als ihr älterer Bruder! Also über die Frage, ob älteste Geschwister wirklich besonders häufig in Pflegeberufen zu finden sind, müsste eigentlich mal jemand eine Doktorarbeit schreiben!“ 25

Familienkonstellationen

Theorie-Box

Walter Toman25, ein österreichischer Psychologe, der in Harvard und später an der Universität Erlangen lehrte, hat den Einfluss von Familienkonstellationen auf das Verhalten des einzelnen in zahlreichen empirischen Untersuchungen genau erforscht. Unter Familienkonstellation versteht man den gesamten Familienverband wie Eltern, Großeltern, Kinder, Tanten, Onkel und so weiter, außerdem Faktoren wie zum Beispiel die Vollständigkeit einer Familie, dominierende Personen oder auch Ersatzfamilien. Wichtigste Bedeutung in diesem Kontext hat die jeweilige Stellung eines Kindes in der Geschwisterreihe. Es gibt fünf grundsätzlich unterschiedliche Rangplätze: Einzelkind, ältestes, zweites, mittleres und jüngstes Kind. Toman unterscheidet folgende Haupttypen von Geschwisterpositionen mit ihrem jeweiligen charakteristischen Rollenverhalten: Ältester Bruder von Brüdern Jüngster Bruder von Brüdern Ältester Bruder von Schwestern Jüngster Bruder von Schwestern Das männliche Einzelkind Das weibliche Einzelkind Jüngste Schwester von Schwestern Älteste Schwester von Schwestern Älteste Schwester von Brüdern Jüngste Schwester von Brüdern Gemischte und mittlere Geschwisterpositionen Toman zeigte auf, wie sich dieses frühzeitig in der eigenen Herkunftsfamilie erlernte Rollenverhalten im weiteren Leben auswirkt. So konnte er nachweisen, dass die Beziehung von Elternpaaren immer dann relativ stabil ist, wenn sich die Geschwisterposition der jeweiligen Partner ergänzt: Also wenn zum Beispiel die ältere Schwester eines Bruders mit dem jüngsten Bruder von Schwestern verheiratet ist. In seinem Buch erfährt man dezidiert, welche typischen Eigenschaften sich mit den einzelnen Geschwisterpositionen verbinden. Auch wenn sich einiges, gerade was die Beschreibung von typisch männlichem und typisch weiblichem Rollenverhalten betrifft, inzwischen überholt hat, so ist dieser theoretische Ansatz sicher geeignet, den einen oder anderen Denkanstoß zu geben.

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25 Tomann, 2005.

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Entwicklung der Traits-Theorien

Theorie-Box

Allport/Odbert trugen bereits 1936 über 18 000 Adjektive, mit denen sich individuelles menschliches Verhalten beschreiben lässt, aus einem Lexikon zusammen. Sie hielten diese sogenannten „Traits“ für Bausteine der Persönlichkeit und versuchten aus diesem riesigen Wortschatz grundlegende übergeordnete Dimensionen abzuleiten. Catell entwickelte diesen Ansatz weiter, nutzte diese Adjektivliste als Ausgangspunkt und behielt 16 Faktoren übrig, die seiner Meinung nach für die Beschreibung einer Persönlichkeit ausreichen. Eysenck benötigte sogar nur drei Dimensionen, kombinierte diese mit den Temperamenten von Hippokrates und entwickelte daraus seinen Persönlichkeitskreis in vier Quadranten.26 Neuere Forschungen stützen weite Teile dieser Ansätze und kommen zu der Meinung, dass fünf Faktoren ausreichen, die individuelle Persönlichkeit eines Menschen angemessen zu beschreiben. Dieses Fünf-Faktoren-Modell von McCrae/Costa ist als „Big Five“ inzwischen sehr populär geworden (ausführliche Beschreibung im nächsten Kapitel).

Kritiker dieser Richtungen bemängeln, dass die Kategorisierung und Beschreibung von Verhalten noch nichts über die individuelle Persönlichkeit aussagt, weil sie deren Entstehung und Entwicklung nicht erklären kann.27

4.2  Psychodynamische Theorien Aus der Praxis: Der Altenpfleger Sebastian, der aus einem sehr strengen Elternhaus stammt, das stark religiös geprägt war, berichtete seinen Kollegen bei einer Teamsitzung: 26 Gerrig/Zimbardo, S. 508. 27 Gerrig/Zimbardo, S. 513.

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4 Persönlichkeitsmodelle in der Theorie – Ein Überblick

Unter „Traits“ versteht man dauerhafte Merkmale und Eigenschaften einer Person wie zum Beispiel „Zuverlässigkeit“, die dazu führen, dass sich jemand konstant verhält. Viele herkömmliche Tests in Zeitschriften oder Büchern arbeiten mit Elementen dieser Theorie. In solchen Tests hat man in der Regel eine Liste mit Eigenschaften, die man in einer Skala von “passt genau“ bis „trifft überhaupt nicht zu“ ankreuzen muss, um ein Persönlichkeitsprofil für sich zu erhalten. Das kann als Übung zur Selbstreflexion durchaus interessant und hilfreich sein. Noch aufschlussreicher wird eine solche Übung, wenn man dieselbe Eigenschaftsliste zusätzlich von einem guten Bekannten, Freund oder Kollegen ausfüllen lässt. Dann erhält man auch noch ein Feedback darüber, wie andere einen sehen, neben dem Selbstbild also noch ein Fremdbild, und diese beiden Bilder sind durchaus nicht immer deckungsgleich!

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„Wir mussten jeden Sonntag in die Kirche, vor dem Essen und dem Schlafengehen wurde selbstverständlich gebetet! Wenn die Großtante zum Geburtstagskaffee eingeladen hatte, musste man mitgehen, weil ‚sich das so gehört‘. Dadurch habe ich als 14jähriger das wichtigste Aufstiegsspiel meiner Fußballmannschaft verpasst, was mir damals das völlige Unverständnis meiner Mannschaftskameraden und meines Trainers eingebracht hat!“ Sätze wie: „Das macht man so und nicht anders. Das ist eben normal. Das gehört sich nun einmal so.“, hörte er als Kind ständig. Sebastian hat dadurch sehr starre Wert- und Moralvorstellungen mitbekommen. Er durfte selten seinen eigenen Bedürfnissen nachgehen oder einfach nur einmal das tun, wozu er Lust hatte. Heute befolgt er immer alle Regeln genau und arbeitet streng nach Vorschrift, ist wenig tolerant und großzügig. Wenn es zum Beispiel in Urlaubszeiten oder, wenn viele Kollegen krank sind, sehr eng wird bei der Versorgung der Pflegebedürftigen, dann ist er wenig flexibel und kann nicht „Fünfe gerade sein lassen“, wie es seine Vorgesetzte ihm dann empfiehlt. Stattdessen macht er lieber Überstunden, damit alles so abläuft wie immer. Eigene Bedürfnisse hat er (vermeintlich) gar nicht, immer kommen die Bewohner an erster Stelle, oft springt er für Kollegen ein. Sein „Ich-Ideal“ ist die Selbstlosigkeit und Aufopferung für seinen Beruf. Mit der Theorie von Freud könnte man also bei ihm von einem stark ausgeprägten „Über-Ich“ sprechen, er hat die Werte und Normen seiner Kindheit sozusagen internalisiert (= verinnerlicht). Einfach nur einmal das zu tun, was ihm Spaß macht (also um mit Freud zu sprechen, seinem „Es“ folgen), würde er sich nie erlauben. Man kann nur hoffen, dass Sebastian Kollegen oder Vorgesetzte hat, die die latente BurnoutGefahr, die durch sein Verhalten entstehen könnte, rechtzeitig erkennen! Die psychodynamischen Persönlichkeitstheorien hingegen haben Modelle der menschlichen Persönlichkeit entwickelt, die die Fragen „Warum ist jemand so geworden, wie er ist? Und wie könnte er sich weiterentwickeln?“ beantworten sollen. Der bekannteste Vertreter dieser Richtung ist Sigmund Freud. Als Begründer der Psychoanalyse, einer Therapieform zur Behandlung psychischer und psychiatrischer Krankheiten, übte er großen Einfluss auf nachfolgende Vertreter dieser Richtung wie zum Beispiel Jung aus.

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Das Instanzenmodell nach Freud

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Das ES enthält alle triebhaften Impulse und Bedürfnisse des Menschen, die auf sofortige Befriedigung drängen; sie sind angeboren, ein Neugeborenes besitzt ausschließlich diesen Bereich der Psyche. Das Verlangen nach direkter Bedürfnisbefriedigung nannte Freud „Lustprinzip“ (= Libido) und leitete daraus die alles umfassenden Beweggründe für menschliches Verhalten und Erleben ab. Weil der Mensch nicht alle Triebe uneingeschränkt befriedigen kann, prägte Freud den Begriff der „Ersatzbefriedigung“, zum Beispiel das Daumenlutschen bei Kleinkindern oder beim Erwachsenen das Rauchen. Das ICH ist die Vermittlungsinstanz zwischen dem Es, als Sitz der triebhaften Wünsche, und dem Über-Ich, als Sitz der gesellschaftlichen Wert- und Moralvorstellungen. Das Ich regelt das bewusste Verhalten und Erleben, es ist somit der rationale Teil der menschlichen Persönlichkeit. Das Ich orientiert sich an der Realität der Umwelt im weitesten Sinn, Freud spricht deshalb von „Realitätsprinzip“. Das ÜBER-ICH enthält die Normen und Werte, die einem Menschen im Laufe der Erziehung durch die Eltern und andere gesellschaftliche Instanzen vermittelt werden. Es übt als Gewissen eine Kontrolle über das Verhalten aus und wird auch als das „Moralitätsprinzip“ bezeichnet. Ein Teilbereich des Über-Ich ist das ICH-IDEAL, darunter versteht man die idealtypische Vorstellung von der eigenen Persönlichkeit.

Ein weiteres wichtiges Element dieser Theorie sind die sogenannten psychosexuellen Entwicklungsphasen. Am bekanntesten sind die orale und anale Phase, danach folgen laut Freud die phallische Phase, die Latenzphase und die genitale Phase. Verbunden sind diese jeweils mit bestimmten Entwicklungsaufgaben und der Möglichkeit einer Fixierung oder Fehlentwicklung. Auch wenn die Lehre von Freud nicht unumstritten ist und sich in weiten Teilen nicht empirisch beweisen lässt, so hat er sich dennoch große Verdienste im Bereich der Persönlichkeitspsychologie erworben. Er erkannte erstmals, dass der Mensch einen Bereich des Unbewussten innerhalb der Persönlichkeitsstruktur besitzt und prägte mit der Ableitung seiner Abwehrmechanismen bis heute nicht nur unseren Sprachgebrauch im Alltag, sondern auch die Methode der Psychoanalyse als eine auch von den gesetzlichen Krankenkassen erstattungsfähige Form der Psychotherapie.

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4 Persönlichkeitsmodelle in der Theorie – Ein Überblick

Dieses Modell beschreibt drei Bereiche der Persönlichkeit:

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Abwehrmechanismen

Theorie-Box

Mit den Abwehrmechanismen bezeichnet Freud verschiedene Möglichkeiten des Ich, auf belastende Situationen zu reagieren. Beispiele: Die Verdrängung läuft als unbewusster Prozess ab, indem unerwünschte oder gefährliche Impulse, zum Beispiel aus unlösbaren zwischenmenschlichen Konflikten, ins Unterbewusstsein verschoben werden. Sie werden dann bewusst überhaupt nicht mehr wahrgenommen, können aber dennoch als Störungen psychische oder auch körperliche Auswirkungen haben. Als Projektion bezeichnet man die Übertragung der Missbilligung eigener Unzulänglichkeiten oder unmoralischer Wünsche auf andere Menschen; dadurch können diese Verhaltensweisen oder Vorstellungen dann bei den anderen bewusst wahrgenommen und konfliktfrei abgelehnt werden. Mit Rationalisierung ist eine Scheinbegründung gemeint, die es ermöglicht, das eigene Verhalten rational, also verstandesgemäß, zu erklären und zu rechtfertigen, obwohl die wahren Gründe unbewusste Wünsche oder Emotionen sind, die aber von anderen oder vom eigenen Ich-Ideal abgelehnt würden. Regression meint den Rückfall in eine Phase menschlichen Verhaltens, die dem Entwicklungsstand vom Alter her gesehen nicht mehr angemessen ist. Dieser Rückzug wird häufig in schweren Konflikt- oder Krankheitsphasen oder nach anderen traumatischen Belastungssituationen beobachtet.

4.3 Humanistische Theorien

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Aus der Praxis: Paula ist mit ihren 56 Jahren die älteste Kollegin im Team, sie entspricht dem Idealbild einer Pflegekraft: geduldig, verständnisvoll und einfühlsam. Sie hat einen guten Überblick über die wichtigen Dinge, die zu erledigen sind. In jedem Bewohner sieht sie das Positive, selbst wenn das Verhalten noch so provozierend oder aggressiv ist, nimmt sie das nie persönlich. Während einer Fortbildung zum Thema „Nähe und Distanz“ erzählt sie, dass sie nicht immer so war. Ihre schwierige Ehe, die Scheidung, dann ihre eigene schwere Erkrankung hätten zu einer Umorientierung in ihrem Leben geführt. Sie sei früher eher ungeduldig gewesen, alles habe immer flott gehen und möglichst perfekt sein müssen. Aber durch ihre Krankheit und die lange Zeit in der Reha habe sie Geduld gelernt. Dort habe sie auch mit der AquarellTraumberuf Altenpflege • Ursula Beckmann © Vincentz Network GmbH & Co. KG Hannover 2015 • ISBN: 978-3-86630-121-0

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Die bekanntesten Vertreter dieser Richtung sind Rogers und Maslow. Jeder, der eine Pflegeausbildung gemacht hat, kennt die Maslowsche Bedürfnispyramide und die Partnerzentrierte Gesprächsführung nach Rogers. Die humanistischen Theorien gehen von einem sehr optimistischen Menschenbild aus, demzufolge jeder Mensch von innen heraus das Bestreben nach einer positiven Weiterentwicklung, Selbstverwirklichung genannt, mitbringt. „Selbstverwirklichung ist ein konstantes Streben nach der […] vollständige(n) Entwicklung der eigenen Möglichkeiten und Talente.“28 29

Bedürfnispyramide nach Maslow

Theorie-Box

Maslow entwickelte eine Hierarchie von Bedürfnissen, durch die ein Mensch zu Handlungen motiviert wird. Diese ordnete er als Pyramide an. Die breite Basis bilden die biologischen Bedürfnisse wie zum Beispiel Hunger, Durst, Schlaf, Sexualität. Erst wenn diese Grundbedürfnisse erfüllt seien, so nahm Maslow an, komme das Streben nach Sicherheit als nächste Stufe, danach dann Bedürfnisse nach Zusammengehörigkeit, Bindung und Liebe. Auf der nächsthöheren Stufe stehen die Bedürfnisse nach Vertrauen, Selbstwertschätzung und Anerkennung durch andere. Und ganz oben an der Spitze der Pyramide findet sich die Selbstverwirklichung, also das Bedürfnis, sinnvolle Ziele im Leben zu haben und das eigene Potenzial voll ausschöpfen zu können.29

28 Gerrig/Zimbardo, S. 522. 29 Gerrig/Zimbardo, S. 421.

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4 Persönlichkeitsmodelle in der Theorie – Ein Überblick

malerei angefangen und gespürt, dass sie sich dabei wunderbar entspannen könne. Und als sie dann wieder ganz gesund gewesen sei, habe sie 3 Jahre in einem Hospiz gearbeitet. Dort habe sie andere Werte und neue Schwerpunkte im Sinn ihrer Arbeit entwickelt, das würde ihr jetzt in ihrem Berufsalltag sehr helfen, gelassener zu sein und die wirklich wesentlichen Dinge im Leben zu sehen. Dabei ist sie im Hinblick auf ihre Kollegen sehr wohlwollend: „Nicht jeder ist ein Naturtalent in Bezug auf Empathie und Geduld, und das ist ja auch gut so. Menschen sind nun einmal unterschiedlich. Manche tragen eben ihr Herz auf der Zunge und treten durch unüberlegte Kommentare auch mal jemandem „auf die Füße“. Das darf dann nur nie verletzend oder beleidigend sein. Man kann ja auch hinterher immer noch einiges geraderücken! Andererseits meine ich schon, dass man sein ganzes Leben lang an sich arbeiten sollte, um sein eigenes Potenzial wirklich auszuschöpfen. - In den 1970er Jahren nannte man das ‚Selbstverwirklichung‘! -“

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Rogers hat aus seiner praktischen Arbeit als Psychotherapeut die „Klientenzentrierte Gesprächsführung“ entwickelt. Er selbst sprach dabei ungern von einer „Methode“, sondern hielt es für wichtig, eine bestimmte „Haltung“ im Gespräch mit seinen Klienten einzunehmen. Er war davon überzeugt, dass jeder im Grunde genommen selbst dazu in der Lage ist, wenn nötig mit Hilfe psychotherapeutischer Unterstützung, die Ursachen für eigene Probleme zu erkennen und Wege zu Lösungen zu finden. Er entwickelte eine Theorie der Psychotherapie, der Persönlichkeit und der zwischenmenschlichen Beziehungen, mit der er großen Einfluss auf die Kommunikationspsychologie – sowohl auf die Psychotherapie als auch auf andere Lebensbereiche – ausübte. Als Partnerzentrierte Gesprächsführung findet sich sein Ansatz heute sowohl im pädagogischen und sozialen Bereich als auch in der Managementlehre wieder (ausführliche Beschreibung im Kapitel 6.3).

4.4 Soziale Lerntheorien Aus der Praxis: Die junge Altenpflegerin Vera fühlt sich in ihrem Beruf und in der Einrichtung, einem mittelgroßen Haus in ländlicher Umgebung, sehr wohl. Auf die Frage nach dem ‚Warum‘ erklärt sie: „Wir wohnen zusammen mit meinen Großeltern in einem Haus. Nach dem Schlaganfall meines Opas mussten alle mit anpacken bei der Pflege. Das hat gut geklappt und durchaus auch Spaß gemacht. Außerdem ist mein Vater OP-Pfleger und hat mir immer ein positives Bild von seinem Berufsalltag vermittelt. Klar, manchmal war es auch stressig, z.B. bei Glatteis, wenn plötzlich viele Oberschenkelhalsbrüche eingeliefert wurden und er viele Überstunden machen musste. Aber die verständnisvollen und humorvollen Schilderungen über seine Patienten, die Kollegen und die Ärzte standen immer im Vordergrund. Und auch meine Mutter arbeitet im sozialen Bereich mit Behinderten. Ich glaube, ich habe in meiner Familie bereits im Hochstühlchen am Küchentisch miterlebt, dass eine Arbeit, die Menschen hilft, sehr befriedigend sein kann, weil sie sinnvoll ist. Und weil ich in meinem Schulpraktikum im Altenheim gemerkt habe, dass ich gut mit älteren Menschen klarkomme, habe ich den Weg in die Altenpflege gewählt.“

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Die bisher vorgestellten Theorien gingen von angeborenen Anlagen oder inneren Antrieben aus als Erklärung für die Grundlage einer Persönlichkeit und deren Entwicklungs- und Veränderungspotenziale. Dagegen sind die Lerntheoretiker davon überzeugt, dass Verhalten und Eigenschaften durch die Umwelt, also Elternhaus, Kindergarten, Schule und weitere Sozialisationsinstanzen, gelernt werden. Psychologie, Soziologie und Pädagogik haben in vielen empirischen Studien und Experimenten fundierte Ergebnisse erbracht für Fragen nach Verhaltensunterschieden beim Lernen und Lehren, zur Funktion von zwischenmenschlichen Beziehungen und sozialen Gruppen, Entstehung von Werten und Normen in Gesellschaften und anderes mehr. In verschiedenen theoretischen Ansätzen Traumberuf Altenpflege • Ursula Beckmann © Vincentz Network GmbH & Co. KG Hannover 2015 • ISBN: 978-3-86630-121-0

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wird der Frage nachgegangen, welche Umstände in der Umwelt menschliches Verhalten und damit auch die individuelle Persönlichkeit steuern.

Theorie-Box

Die Klassische Konditionierung gilt als einfachste Form des Lernens. In seinem bekannten Experiment mit einem Hund verdeutlichte der russische Wissenschaftler Pawlow, dass man die angeborene Reaktion des Hundes auf Futtergeruch – nämlich Speichelfluss – auch an fremde Auslösereize koppeln kann. In Pawlows Experiment erhielt der Hund über einen längeren Zeitraum sein Futter, während gleichzeitig eine Glocke ertönte. In der Folge löste bereits der Klang der Glocke allein den Speichelfluss des Hundes aus, ohne dass er Futter erhielt. Der Hund war auf ein bestimmtes Verhalten „konditioniert“ worden. In vielen Experimenten wurde nachgewiesen, dass auch menschliches Verhalten durch Konditionierung erworben werden kann, dies gilt insbesondere für gefühlsmäßige Reaktionen wie zum Beispiel Ekel oder Angst. Die Instrumentelle Konditionierung bedeutet „Lernen am Erfolg“, also eine Handlung dann beizubehalten, wenn sie sich als zweckmäßig, eben erfolgreich, erwiesen hat. Für die Lernprozesse spielen Belohnungen – entweder als angenehme Konsequenzen oder als Wegfall unangenehmer Konsequenzen – und Bestrafungen eine wichtige Rolle, wobei sich in Experimenten gezeigt hat, dass Belohnungen, auch als „Verstärker“ bezeichnet, erfolgreicher sind als Bestrafungen. Ein Umlernprozess kann aktiv durch „Löschung“ herbeigeführt werden, damit ist das völlige Ausbleiben von Konsequenzen – zum Beispiel durch bewusstes Ignorieren von unerwünschtem Verhalten in der Erziehung – gemeint. Durch Imitationslernen werden insbesondere motorische Abläufe (zum Beispiel beim Erlernen einer Sportart), aber auch soziale Verhaltensweisen und Handlungsabläufe (zum Beispiel in den Praxisanteilen von Berufsausbildungen) erlernt. Dabei ist es interessant zu wissen, dass die hirnphysiologische Aktivierung bereits bei bloßer Beobachtung einer Handlung nachweisbar ist, sodass zum Beispiel allein die Demonstration eines Ablaufs durchaus Lerneffekte hat, ohne dass man die Handlung selbst durchführt.

4 Persönlichkeitsmodelle in der Theorie – Ein Überblick

Lerntheorien

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Das Lernen durch Einsicht stellt die höchste Stufe von Lernprozessen dar. Im Gegensatz zur Konditionierung und zum mechanisch-assoziativen Lernen wird die Verhaltensänderung hier durch die Herstellung von Sinnzusammenhängen und der eigenständigen Suche nach einer Lösung erreicht. Der wichtigste Unterschied liegt in der Rolle, die der Lernende einnimmt: Er reagiert nicht nur, sondern er handelt und organisiert selbständig. Als Modelle des entdeckenden oder entwickelnden Lernens hat diese Form eine besondere Bedeutung in Schule, Ausbildung und Erwachsenenbildung erhalten.

Persönlichkeit entsteht nach Meinung der Vertreter der Lerntheorien (u. a. Thorndike, Bandura, Skinner) erst im Laufe der Jahre durch die Summe des gelernten Verhaltens. Gegen diese Theorien wird oft vorgebracht, dass unbewusste Einflüsse auf das Verhalten und Emotionen nicht hinreichend als wichtige Komponenten der Persönlichkeit berücksichtigt werden, sondern die kognitiven Aspekte überwiegen.

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5 Persönlichkeitsmodelle in der Praxis – Auswahl

Zur Erinnerung: Es geht hier immer noch um den „Blick in den Rückspiegel“, der unverzichtbar ist, wenn man verstehen will, was die eigene individuelle Persönlichkeit mit der beruflichen Problematik zu tun hat und um zu überlegen, wo man denn ansetzen kann, wenn man etwas verändern will. Jedes Modell kann einen anderen Schwerpunkt erklären, und das ist auch gut so. Die Bedingungen, unter denen jemand Fragen stellt, sind so verschieden wie die konkreten Situationen, der jeweilige Gesamtzusammenhang, die Ziele und das einzelne Individuum. Nicht jeder Denkansatz passt immer und überall. Deshalb ist es durchaus gerechtfertigt, sich das jeweils passende Puzzleteil aus den vorgestellten Modellen herauszusuchen, um ein eigenes, persönliches Erklärungsmuster für sich zu erstellen.

5.1 Das Riemann-Thomann-Modell Aus der Praxis: Hanna ist seit zwei Jahren Pflegedienstleiterin in einer großen stationären Einrichtung. Mit viel Schwung und Idealismus hatte sie ihre Arbeit als PDL begonnen. Jetzt ist sie an einem Punkt angekommen, an dem sie am liebsten alles hinwerfen würde. Sie fühlt sich seit Monaten völlig erschöpft und ausgelaugt; sie ärgert sich über sich selbst, wenn sie in Gesprächen mit Mitarbeitern gereizt reagiert anstatt sich deren – meistens berechtigte Anliegen - in Ruhe anzuhören. Auch die kurzen Gespräche mit Bewohnern oder Angehörigen auf dem Flur sind ihr eher lästig geworden. Dabei hat ihr das immer so viel Spaß gemacht! Sie war stolz darauf, für jeden, der ihr begegnete, ein passendes, nettes Wort parat zu haben. Sie überlegt: „Ich habe mir diesen Beruf ausgesucht, weil ich schon immer mit Menschen zu tun haben wollte. Ich bin freundlich, herzlich, offen, ich kann zupacken. Schon während meiner Ausbildung hat man meine außergewöhnlich gute Teamfähigkeit gelobt, meine Kollegen haben sich positiv über meine ausgleichende und verständnisvolle Art geäußert. Ich bin immer mit allen Menschen gut ausgekommen. Das kann doch nicht alles weg sein!“ Gemeinsam mit ihrer Einrichtungsleiterin überlegt sie: „Meine Stärken sind meine offene, verständnisvolle und einfühlsame Art, mit meinen Mitarbeitern umzugehen, sie kommen mit ihren Sorgen und Nöten zu mir und gemeinsam versuchen wir, Lösungen für ihre Probleme zu finden. Ich versuche, Konflikte zwischen einzel-

5 Persönlichkeitsmodelle in der Praxis – Auswahl

Der Titel „Traumberuf Altenpflege“ verspricht eine gewisse Hoffnung, dass es Mittel und Wege gibt, dass der Traumberuf auch Traumberuf bleibt. Allein das Wissen über die verschiedenen Denksätze von Theorien der Persönlichkeitspsychologie nützt zunächst einmal nicht viel weiter. Deshalb werden jetzt Modelle vorgestellt, die sich für eine konkrete Umsetzung in die Praxis besonders gut eignen.

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Traumberuf Altenpflege • Ursula Beckmann © Vincentz Network GmbH & Co. KG Hannover 2015 • ISBN: 978-3-86630-121-0

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nen Grüppchen im Haus zu schlichten. Ein gutes Arbeitsklima ist mir wichtig, ich gehe überflüssigen Streitereien gerne aus dem Weg. Und zur Not springe ich auch selbst in der Pflege ein, denn die Pflegebedürftigen stehen für mich nach wie vor an erster Stelle. Dann bleibt der Schriftkram eben liegen, oder ich nehme mir Arbeit mit nach Hause.“ Ihre Chefin erkennt die Problematik und schlägt Hanna vor, sich Unterstützung durch Coaching zu holen: „Zum Glück gibt es dieses Angebot für Führungskräfte bei unserem Träger. Ich klär‘ das mit der Geschäftsführung und organisiere dir einen Termin.“ In den nächsten Wochen erfährt Hanna einiges über sich selbst. Zum Beispiel erklärte der Coach ihr, dass sie auch mal Konflikte aushalten muss. Sie müsse lernen, sich besser abzugrenzen, und konsequenter bestimmte Arbeiten von ihren Mitarbeitern einfordern. Es nütze ihr nichts, Arbeiten zu delegieren, um sie später doch selbst zu erledigen. Sie war in ihrer Sehnsucht nach Harmonie den meisten Konflikten bisher eher ausgewichen, anstatt sie aktiv anzugehen. Auf die Dauer hatte ihr das so nach und nach immer mehr Arbeit beschert. Der Persönlichkeitstest, den sie im Rahmen ihres Coachings machte, ergab, dass sie ein ausgesprochener „Nähe-Typ“ ist. „Diese Menschen sind natürlich für die Arbeit im Pflegebereich wie geschaffen, weil ihre typischen Eigenschaften gerade im Umgang mit kranken oder alten Menschen gebraucht werden“, erklärt ihr der Coach. „Man muss sich allerdings darüber im Klaren sein, dass diese eigentlich sehr positiven Eigenschaften auch eine Kehrseite der Medaille haben: Zu selbstlos und harmoniebedürfig zu sein, nicht „Nein“ sagen und sich nicht abgrenzen zu können, ist in diesem Arbeitsbereich mit der Gefahr verbunden, von eben dieser Arbeit verschlungen zu werden!“ „Du musst lernen, dich auch mal unbeliebt zu machen!“, rät ihr der Coach. Das Ergebnis von Hannas Persönlichkeitstest hat ergeben, dass sie zu 70% ein Nähe- und zu 30% ein Distanz-Typ ist. Und auch ihre Verortung zwischen den beiden anderen Polen, nämlich zu 50% ein Dauer- und zu 50% ein Wechsel-Typ zu sein (siehe Wikipedia-Schaubild), ist eine gute Basis für ihre Arbeit als PDL. Denn einerseits muss sie Umstrukturierungen im Haus durchsetzen können, andererseits sollte sie aber auch Bewährtes nicht aus den Augen verlieren und Verständnis haben für unwillige Mitarbeiter (mit dem Motto „Das haben wir noch nie so gemacht!“). Mit ihrer ausgewogenen Persönlichkeit hat sie gute Chancen auch schwierige Mitarbeiter bei der Einführung neuer Konzepte erfolgreich „mitzunehmen“.

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Ein recht übersichtliches Modell, das jeder ohne große Vorkenntnisse und unkompliziert zur Selbstreflexion nutzen kann, ist das sogenannte RiemannThomann-Modell. Basis ist die von Riemann entwickelte Charakterkunde „Grundformen der Angst“ (s. Theorie-Box). Dieser Ansatz wurde von Thomann zu einem ressourcenorientierten Persönlichkeitsmodell weiterentwickelt.

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Ebenso entgegengesetzt wie die Bedürfnisse Nähe und Distanz, stehen sich die Bedürfnisse nach 3. Dauer einerseits und 4. Wandel bzw. Wechsel andererseits gegenüber. Unter „Dauer“ wird das Streben nach Kontinuität, Ordnung und Regelmäßigkeit verstanden; ein Mensch mit einer starken Ausprägung in dieser Hinsicht fährt vielleicht 50 Jahre lang an denselben Urlaubsort und ist froh über eine Arbeitsplatzgarantie in seinem Ausbildungsbetrieb bis zur Rente. Für jemanden, der eher den Wandel benötigt, ist genau dieses eine Horrorvorstellung! Ein solcher Mensch benötigt Abwechslung, Spontaneität, neue Ideen und Herausforderungen im Leben, um zufrieden zu sein. Dauer, Beständigkeit Nähe, Anpassung

Distanz, Individuation Wandel, Wechsel, Veränderung

Jeder Mensch besitzt Anteile an allen vier Dimensionen allerdings in unterschiedlicher Intensität. Kein Mensch ist also ein „Reintyp“ 30, aber jeder hat Schwerpunkte. Aus der Verortung zwischen den Polen setzt sich dann das ungefähre „Heimatgebiet“ zusammen. Dieses Heimatgebiet hat eine Mitte, die durch den Persönlichkeitsschwerpunkt repräsentiert wird.

30 Hugo-Becker/Becker, S. 21.

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5 Persönlichkeitsmodelle in der Praxis – Auswahl

Das Modell beschreibt vier Grunddimensionen der menschlichen Persönlichkeit, die das individuelle Verhalten prägen: Jeder Mensch hat einerseits ein Bedürfnis nach 1. Nähe zu anderen Menschen und nach sozialen Kontakten. Andererseits hat aber auch jeder ein Bedürfnis nach 2. Distanz, Ruhe und Unabhängigkeit. Zwischen diesen beiden Polen gibt es verschieden starke Ausprägungen. Was der eine „einsam“ nennen würde, das ist für den anderen das richtige Maß des Alleinseins, und er hat das Gefühl, endlich einmal Zeit für sich zu haben und tun und lassen zu können, was er will. Ein Mensch braucht Trubel, viele Leute um sich herum, kommt mit allen gut aus und ist gern unterwegs. Der andere genügt sich selbst als Gesellschaft und möchte genau „sein Ding“ machen, ohne dass andere ihm reinreden.

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Beispiel:31 Zusammensetzung aus 70 % Nähe und 30 % Distanz sowie jeweils 50 % Dauer und Wechsel bzw. Wandel. Dauer

Nähe

Distanz

Wechsel

Will man sich selbst auf den Prüfstand stellen, dann lassen sich grob vier Persönlichkeitstypen unterscheiden, die jeweils eine positive Sonnenseite und eine negative Schattenseite haben:32 Nähetyp (sucht Kontakt, Vertrauen, Sympathie, Geborgenheit, Harmonie)

„„ Sonnenseiten:

–– zu allen freundlich, herzlich und offen, teambereit –– denkt an andere, einfühlsam, verständnisvoll –– ausgleichend, friedfertig, kommt mit allen gut aus –– schenkt und genießt Vertrauen

„„ Schattenseiten:

–– übermäßig harmoniebedürftig, vermeidet Spannungen und Konflikte –– selbstlos bis zur Selbstaufgabe, Opfermentalität –– übermäßig anhänglich, ungern allein –– kann nicht gut „Nein“ sagen –– kann sich nicht gut abgrenzen –– Distanztyp (sucht Unabhängigkeit, Freiheit, Individualität) „„ Sonnenseiten: –– sachlich-kritischer Beobachter –– unabhängig, kann sich gut abgrenzen –– löst Konfliktsituationen sachlich –– kann gut „Nein“ sagen

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31 http://de.wikipedia.org/wiki/Riemann-Thomann-Modell, Stand 15.10.2014. 32 Schmidt, S. 114.

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„„ Schattenseiten:

Dauertyp (sucht Ordnung, Struktur, Grundsätze, Sicherheit) „„ Sonnenseiten: –– pünktlich, verfügt über perfektes Zeitmanagement –– zuverlässig, treu, korrekt, hat Aufgaben und Ziele stets im Blick –– ordentlich, schafft klare Strukturen –– vorsichtig, vermittelt und benötigt Sicherheit „„ Schattenseiten: –– pedantisch, überkorrekt, erwartet Ordnung auch von anderen –– unbeweglich, kann nicht gut mit Neuem und Unvorhersehbarem umgehen –– konservativ, neigt zur Prinzipienreiterei –– langweilig, stur Wandeltyp (sucht Abwechslung, Spontaneität, Flexibilität, Kreativität) „„ Sonnenseiten: –– flexibel, innovativ, neugierig –– begeisterungsfähig und spontan, bringt „Farbe“ in den Alltag –– liebt das Risiko, das Neue und Unkonventionelle –– charmant und unterhaltsam „„ Schattenseiten:

–– weicht Verpflichtungen, Regeln und Vorschriften aus –– vermeidet Konsequenzen, findet oft Ausreden –– wenig zuverlässig –– unsystematisch, chaotisch, vernachlässigt Ordnung –– sprunghaft, launisch

Je nach Ausprägung der Grundausrichtungen sind entsprechende Bedürfnisse, Wertvorstellungen und Lebensphilosophien vorherrschend und zeigen sich im zwischenmenschlichen Verhalten. Zwar verändert sich dieses in unterschiedlichen Lebensphasen und mit unterschiedlichem Alter. Zum Beispiel ist im Kindesalter der Aspekt der Dauer stark ausgeprägt (zum Beispiel erleichtern bei Kindern Rituale das Einschlafen). Im Jugendalter versucht man sich auszuprobieren und tendiert eher zum Wandel. Es gibt jedoch Präferenzen, die relativ stabil bleiben. Dieses Persönlichkeitsmodell bietet hinreichend Möglichkeiten, flexibel auf sich verändernde lebensgeschichtliche oder situative Phasen zu reagieren, ist somit ein dynamisches Modell.

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5 Persönlichkeitsmodelle in der Praxis – Auswahl

–– wirkt oft kühl, unpersönlich –– unbeholfen im emotionalen Bereich –– vermeidet zu enge Kontakte und Bindungen, wirkt abweisend –– kann schlecht Hilfe annehmen

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Grundformen der Angst

Exkurs

Ausgangspunkt für das obige Modell ist die von Fritz Riemann (1902–1979) entwickelte sogenannte Charakterkunde „Grundformen der Angst“ (1961). Wenngleich er diese in seiner Arbeit als Psychotherapeut mit Klienten entwickelte, sieht sich seiner Meinung nach jeder Mensch mit diesen Ängsten konfrontiert (hier soll Fritz Riemann vorrangig selbst zu Wort kommen. Auch wenn seine Sprache stellen weise ein wenig antiquiert wirkt, so bringt er seine Theorie doch erstaunlich aktuell und klar auf den Punkt.): „Angst gibt es (…) unabhängig von der Kultur und der Entwicklungshöhe eines Volkes oder eines Einzelnen – was sich ändert, sind lediglich die Angstobjekte, das, was jeweils die Angst auslöst, und andererseits die Mittel und Maßnahmen, die wir anwenden, um die Angst zu bekämpfen.“ (S. 8) „(…) unsere persönliche Angst hängt mit unseren persönlichen Lebensbedingungen, mit unseren Anlagen und unserer Umwelt zusammen; sie hat eine Entwicklungsgeschichte, die praktisch mit unserer Geburt beginnt.“33 Dieser Einschätzung entsprechend hält er die folgenden vier Persönlichkeitsstrukturen zunächst für „Normalstrukturen mit gewissen Akzentuierungen“ (S. 8): 1. Die Angst vor der Hingabe (= Bedürfnis nach Distanz) „Wir alle haben den Wunsch ein unverwechselbares Individuum zu sein. (...) Das Bestreben, uns von anderen zu unterscheiden, ist uns ebenso mitgegeben wie das dazu gegensätzliche, als soziale Wesen zu Gruppen (…) dazuzugehören.“ (S. 9) Ein Mensch mit einer übergroßen Angst vor Hingabe jedoch möchte auf niemanden angewiesen sein und auch niemandem verpflichtet sein, deshalb braucht er Abstand und Distanz innerhalb von sozialen Beziehungen; insbesondere bei dem Eingehen einer festen Bindung ist ein solcher Mensch sehr vorsichtig. „Wird diese Distanz überschritten, betrachtet er das als Bedrohung…“ (S. 20) 2. Die Angst vor der Selbstwerdung (= Bedürfnis nach Nähe) Unter „Selbstwerdung“ versteht Riemann die Entwicklung zu einem eigenständigen Wesen mit einer individuellen Identität. Sie wird von einem Menschen mit übergroßer Angst vor eben dieser Selbstwerdung als zutiefst existenziell bedrohlich erlebt. Ständige Nähe, Geborgenheit, Liebe und vertrauter, enger Kontakt zu anderen Menschen bieten aus der Sicht eines derartig strukturierten Menschen Schutz vor eben dieser Angst; er ist somit das genaue Gegenteil eines Menschen mit übergroßer Angst vor Hingabe. „Abhängigkeit scheint ihm eine solche Sicherheit zu geben; entweder indem er sich von einem anderen oder diesen von sich abhängig zu machen sucht. (…) mit der Abhängigkeit steigert sich aber die

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33 Riemann, S. 9.

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3. Die Angst vor der Veränderung (= Bedürfnis nach Dauer) „Die Sehnsucht nach Dauer ist eine sehr frühe und tiefe in uns. (…) die verlässliche Wiederkehr des Gewohnten und Vertrauten in unserer Kindheit [ist] ungemein wichtig für unsere Entwicklung. Sie ermöglicht uns erst die Entfaltung spezifisch menschlicher Eigenschaften, unserer Gefühls- und Gemütsseite (…); Dauer und verlässliche Wiederkehr der gleichen Eindrücke sind aber ebenso wichtig für die Entwicklung unseres Gedächtnisses, für Erkenntnis und Erfahrung, überhaupt für unsere Orientierung in der Welt.“ (S. 23) Wenn dieses Bedürfnis nach Dauer und damit die Angst vor Veränderung allerdings übergroß wird, lehnt eine derartig strukturierte Persönlichkeit geradezu zwanghaft jeden Wandel ab, weicht neuen Erfahrungen aus oder versucht, sie an das Bekannte anzupassen. Jeder Wandel geht mit existenziell bedrohlich erlebter Unsicherheit einher. „Die gleiche Tendenz (…) finden wir wieder im starren Festhalten am Überkommenen, auf allen möglichen Gebieten, Traditionen familiärer, gesellschaftlicher, moralischer, politischer, wissenschaftlicher und religiöser Art führen zu Dogmatismus, Konservativismus, zu Prinzipien, Vorurteilen und zu verschiedenen Formen des Fanatismus. Je starrer man sie vertritt, desto intoleranter wird man jedem gegenüber, der sie angreift oder in Frage stellt. (…) Je enger der eigene Horizont und Lebensraum ist, (…) umso mehr muss man fürchten, seine Sicherheit zu verlieren durch neue Entwicklungen. (…) Natürlich hat Tradition (…) eine durchaus positive Bedeutung (…) Aber hier geht es um das Zuviel.“(S. 71) 4. Die Angst vor der Notwendigkeit (= Bedürfnis nach Wandel) „Damit kommen wir zur vierten und letzten Grundform der Angst, der Angst vor dem Endgültigen, Unausweichlichen, vor der Notwendigkeit und vor der Begrenztheit unseres Freiheitsdranges. (…) Wenn der zwanghafte Mensch die Freiheit, die Wandlung und das Risiko scheute, geht es bei den nun zu schildernden (…) Persönlichkeiten um genau Gegensätzliches. Sie streben nach Veränderung und Freiheit, bejahen alles Neue, sind risikofreudig, (…). Dementsprechend fürchten sie alle Einschränkungen, Traditionen und festlegenden Gesetzmäßigkeiten, die gerade die Werte für zwanghafte Menschen waren. (…) Sie leben nach dem Motto „einmal ist keinmal“ – das heißt, nichts ist letztlich verbindlich und verpflichtend, (…) Was geschieht nun, wenn man gültige Spielregeln des zwischenmenschlichen Zusammenlebens, wenn man Natur- und Lebensgesetzlichkeiten nicht anzunehmen bereit ist? Dann lebt man wie in einer Gummiwelt, die scheinbar beliebig nachgiebig und willkürlich dehnbar ist, deren Ordnung man letztlich nicht ernst zu nehmen braucht, weil ja auch sie sich immer wieder verändert. In einer solchen Welt findet man immer ein Hintertürchen, um sich etwaigen Konsequenzen seines Handelns zu entziehen.“34

34 Riemann, S. 179 ff.

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Verlustangst, daher wollen sie so dicht wie möglich an anderen haften, reagieren deshalb schon bei kurzen Trennungen mit Panik.“ (S. 22)

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5.2 Das Fünf-Faktoren-Modell (= Big Five)

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Aus der Praxis: Das Team des ambulanten Dienstes „Care mobil“ trifft sich zur Fortbildung im gemütlichen Seminarraum unter dem Dach des Einfamilienhauses, in dem das kleine Unternehmen seit 3 Jahren residiert. 18 Mitarbeiter plus Chefin Erika wuseln munter durcheinander. Der Pflegedienstleiter und stellvertretende Geschäftsführer Gerd zählt die Stühle durch: „Einer zu wenig, Steffi, hol‘ doch bitte noch einen Stuhl. Und bring‘ eine Verlängerungsschnur für den Beamer mit! Und ein Wasser für unsere Referentin, bitte!“ Gerd hat – wie immer - den Überblick und alles fest im Griff, er ist ein Muster an Zuverlässigkeit und Kompetenz. Leider ist er gleichzeitig ein wenig unbeweglich und auch nicht besonders locker im Umgang. Aber trotz seiner eher zurückhaltenden und etwas steifen Art ist er bei allen gleichermaßen beliebt, denn man kann sich immer auf ihn verlassen, und er ist gleichzeitig freundlich, entgegenkommend und ausgleichend. Seine Chefin Erika hält große Stücke auf ihn: „Was sollte ich nur ohne dich anfangen? Ich bin ja die Chaotin hier im Laden. Wie gut, dass er mir gehört, sonst wäre ich schon längst rausgeflogen! Ständig neue Ideen, immer auf der Suche nach wichtigen Unterlagen und überall komme ich zu spät! Wie gut, dass du mich immer mal wieder bei den Kunden „raushaust“! Wir beide ergänzen uns wirklich gut.“ Im Rahmen dieser Fortbildung zum Thema „Teamentwicklung“ füllt jeder Teilnehmer einen ausführlichen Fragebogen aus. „Mit diesem Test lässt sich sehr gut ein Persönlichkeitsprofil ermitteln, das eine differenzierte Beschreibung der wichtigen fünf Dimensionen des Verhaltens abbildet“, erklärt die Referentin. Erika zum Beispiel ist ziemlich extrovertiert, sie trägt ihr Herz auf der Zunge und eckt damit auch manchmal an, dabei ist sie immer gut gelaunt und kann schnell neue Kontakte knüpfen. Sie ist sehr durchsetzungsfähig, dabei gleichzeitig aber auch emotional recht ausgeglichen und verträglich. Ihre besondere Stärke ist ihre Offenheit für alles Neue, weshalb sie auch immer wieder originelle Geschäftsideen hat und innovative Wege zur Kundenakquise ausprobiert. Deutliche Schwächen hat sie in den Bereichen von Gewissenhaftigkeit und Selbstdisziplin. Gerd hingegen ist eher zurückhaltend, bescheiden und sehr, sehr ordentlich. Manchmal gehen ihm die ständigen Neuerungen und Umstrukturierungen seiner Chefin auf die Nerven, er hätte es gerne beständiger und ist wenig flexibel. Aber im Team ergänzen sie sich prima. “Bei einem solchen Test gibt es kein „richtig“ oder „falsch“, das Ergebnis kann nie hundertprozentig Ihre Persönlichkeit abbilden. Er soll lediglich Denkanstöße geben und zur Reflexion anregen“, erklärt ihnen die Referentin am Ende der Auswertung. Und genauso ist es auch in diesem Fall: In der anschließenden Pause ereifert sich eine Kollegin über ihr Ergebnis: „So bin ich doch gar nicht!“, worauf es ihr im Chor entgegenschallt: „Aber natürlich bist du so!“ Aus dieser Diskrepanz zwischen dem Selbstbild der Mitarbeiterin und dem Bild, das ihre Kollegen von ihr haben, entstehen angeregte Diskussionen, die sogar noch nach Beendigung der Fortbildung auf dem Parkplatz weitergeführt werden. Traumberuf Altenpflege • Ursula Beckmann © Vincentz Network GmbH & Co. KG Hannover 2015 • ISBN: 978-3-86630-121-0

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Die fünf Grundzüge der Persönlichkeit 1. Extraversion und das Gegenteil, die Introversion, sind die augenfälligsten und am besten erforschten Dimensionen dieses Persönlichkeitskonzepts, sozusagen „die Mutter der Big Five“37. Bereits Jung charakterisierte 1921 dieses Gegensatzpaar. Die Extraversion wird beschrieben anhand von sechs Facetten des Verhaltens: Herzlichkeit, Geselligkeit, Durchsetzungsfähigkeit, Aktivität, Erlebnishunger und Glückserleben. Dem stehen auf der anderen Seite die typischen Eigenschaften der Introversion gegenüber. Allerdings muss man sich darunter nicht das sprachliche Gegenteil der Extraversion vorstellen. Introvertierte Menschen sind also nicht etwa kalt und abweisend, ungesellig, passiv, faul, uninteressiert und unfähig zum Glückserleben. Sie sind eher reserviert, verschlossen, unabhängig, abwartend und neigen nicht zu euphorischem oder spontanem Verhalten. „Extravertierte haben ihre Schokoladenseite außen, Introvertierte innen.“38 Wissenschaftler haben die Mentalitäten ganzer Nationen erforscht, und es gibt interessante Studien zu diesem Thema. Überraschenderweise steht Deutschland in der „Extraversionshitparade“39 bereits an 18. Stelle. Wer hätte gedacht, dass wir noch vor Italien (o.k. 19. Stelle!), Frankreich, Brasilien und den Niederlanden liegen? 2. Neurotizismus wird auch „emotionale Labilität“ genannt und schlägt sich in einer selbstabwertenden Grundstimmung nieder. Die sechs Facetten dieser Grundstimmung werden beschrieben mit: Ängstlichkeit, Reizbarkeit, Depression, soziale Befangenheit, Impulsivität und Verletzlichkeit. Unter „sozialer Befangenheit“ versteht man, dass derartig veranlagte Menschen sich häufig anderen unterlegen fühlen und dann dünnhäutig, schnell beleidigt, 35 36 37 38 39

Gerrig/Zimbardo, S. 508. Saum-Aldehoff, S. 9. Saum-Aldehoff, S. 50. a.a.O. Saum-Aldehoff, S. 63.

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5 Persönlichkeitsmodelle in der Praxis – Auswahl

Dieses Modell gehört zu den sogenannten Traits-Theorien und hat eine lange Entwicklungsgeschichte hinter sich (vgl. Kapitel 4.1). Es eignet sich besonders gut zur Beschreibung der Persönlichkeit und wird deshalb in verschiedenen Testverfahren sowohl zur Selbst- als auch zur Fremdeinschätzung eingesetzt. „Mit Hilfe dieser Methode kamen mehrere unabhängige Forschungsteams zur gleichen Schlussfolgerung: Es gibt nur fünf grundlegende Dimensionen, die den Eigenschaftsbegriffen zugrunde liegen, mit welchen Menschen sich und andere beschreiben.“35 Zwar ist jeder Mensch „ein Unikat“, (…) Doch das Gewimmel der Merkmale ist nicht so regellos, wie es scheint. Die Vielfalt hat ein Gerüst, einen verborgenen Ordnungsrahmen.“36

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beschämt oder verlegen reagieren. Menschen mit einer geringen Ausprägung dieser Verhaltensdimension sind emotional stabil, entspannt, gelassen, verfügen über eine hohe Frustrationstoleranz und Resilienz, sind unempfindlich gegenüber Stress.40 3. Verträglichkeit – auch Umgänglichkeit genannt – äußert sich in den folgenden sechs Facetten: Vertrauen, Freimütigkeit, Altruismus, Entgegenkommen, Bescheidenheit und Gutherzigkeit. Umgängliche Menschen sind die, die man gern als Kollegen oder Nachbarn hat: Freundlich, mitfühlend, rücksichtsvoll, großzügig und hilfsbereit. Sie sind unsere Helden in Märchen und Filmen, unsere Vorbilder wie der Dalai Lama oder Nelson Mandela im wirklichen Leben. Es sind die Eigenschaften, die in sozialen Beziehungen, ja in der gesamten Organisation des sozialen Lebens überhaupt, eine elementare Rolle spielen. Das Gegenteil sind misstrauische, egoistische oder boshafte Mitmenschen, die auf ihren Vorteil achten, das Leben als ständigen Wettbewerb und Kampf betrachten und dabei anderen stets dasselbe unterstellen. Darunter kann zum Beispiel auch die Gesundheit leiden: Es ist erwiesen, dass unverträgliche Menschen zu hohem Blutdruck mit all seinen negativen Folgen neigen.41 Und auch wenn in unserer heutigen Leistungsgesellschaft zuweilen der Eindruck entsteht, dass sich eher das Gegenteil von Verträglichkeit auszahlt, so gibt es Studien, die zeigen, dass Menschen mit hoher Ausprägung in diesem Bereich im Durchschnitt beruflich sogar erfolgreicher sind als unverträgliche. „Vor allem in punkto ‚Teamfähigkeit‘ erzielten [sie] günstigere Beurteilungen.“42 4. Gewissenhaftigkeit – auch Zuverlässigkeit genannt – setzt sich zusammen aus den folgenden sechs Facetten: Kompetenz, Ordnungsliebe, Pflichtbewusstsein, Leistungsstreben, Selbstdisziplin und Besonnenheit. Kompetente Menschen sind leistungsfähig und effektiv, stets informiert, gut vorbereitet und fühlen sich dadurch in ihren Entscheidungen relativ sicher. Auf der Gegenseite stehen Menschen mit wenig Vorausschau und Planung, ihnen mangelt es weniger an Intelligenz als an Ausdauer und Motivation. Pflichtbewusste Menschen sind der Überzeugung, dass das Befolgen von sozialen Regeln einem moralischen Anspruch entspricht, so gehen sie zum Beispiel zur Wahl, nicht weil sie politisch interessiert, sondern der Meinung sind, „dass ein guter Staatsbürger seinem Gemeinwesen diesen Dienst nun einmal zu erbringen habe.“43 Gewissenhafte Menschen sind häufig ehrgeizig, bringen eine Aufgabe pünktlich zu Ende und geben auch bei Schwierigkeiten nicht schnell auf. Sie bereiten sich gut vor, sind aber auf der anderen Seite auch wenig spontan. „Man kann darüber streiten, ob einem nun eher pflichtbewusste Ehrgeizlinge von hoher oder aber tollpatschige Leichtfüße von geringer

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Saum-Aldehoff, S. 71 ff. Saum-Aldehoff, S. 108. a.a.O. Saum-Aldehoff, S. 117.

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5. Offenheit für neue Erfahrungen, darunter versteht man die folgenden sechs Facetten: Offenheit für Fantasie, für Ästhetik, für Gefühle, für Handlungen und für Ideen. Menschen mit hoher Ausprägung in diesen Bereichen möchten ihre eigenen Erfahrungen, Erlebnisse und Eindrücke erweitern, „nicht bloß viel und tief fühlen, sondern auch viel und tief wissen.“45 Dabei sind die Objekte und Ziele auf völlig verschiedenartigen Gebieten zu finden, und Offenheit hängt auch nicht mit der Intelligenz des einzelnen zusammen. Manche Menschen sind nun einmal neugieriger, offener, fantasievoller, experimentierfreudiger, bei manchen verbunden mit einem Hang zum Widerspruch. Sie können nicht genug bekommen von Musikerlebnissen, Museumsbesuchen, Büchern, Theater, Kino, kreativen Tätigkeiten, Hobbies, Städten, Landschaften und Begegnung mit Menschen aus anderen Kulturen. Sie sind bereit, Normen und Wertvorstellungen zu hinterfragen, sind eher unkonventionell und übernehmen schnell neue Ideen. Andere hingegen sind bodenständig, bevorzugen Bewährtes, scheuen Experimente und wirken dabei vielleicht auch manchmal ein wenig eingefahren, unflexibel oder kleinkariert.46 Im Alltag verwenden wir bevorzugt diese Art der Beschreibung der Persönlichkeit oder des „Charakters“ eines Menschen. Typische Situationen sind Bewerbungsschreiben oder Kontaktanzeigen. Jeder kennt außerdem Tests; zum Beispiel aus Zeitschriften beim Friseur: Da muss man sich entweder anhand von Fotos für seinen Lieblingsurlaubsplatz, sein Lieblingsessen oder sein Lieblings-Outfit entscheiden. Oder man muss Fragen beantworten wie zum Beispiel: „Machen mich Erfolge anderer neidisch? Wie steht es mit meiner Liebe zum Abenteuer? Wie groß ist mein Wunsch, dabei sein zu wollen? Wie ausgeprägt ist meine Neigung, mich durch Versprechungen und Planungen auf längere Zeit festzulegen? Halte ich an einmal getroffenen Urteilen eher fest oder probiere ich auch gern spontan etwas Neues aus?“ Außerdem wird die Einstellung zu Pflichtgefühl, Selbstlosigkeit, Mitgefühl, Umgang mit Kritik und Konflikten und vieles andere mehr abgefragt und in Form einer Skala klassifiziert. Viele Tests arbeiten mit den „Big Five“, auch wenn diese nicht unbedingt so benannt werden. Seriöse Tests müssen wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, indem die Kriterien eindeutig definiert und empirisch überprüfbar sind.47 Tests in einschlägigen Fachbüchern erfüllen diese Kriterien. So enthält das Buch von Thomas Saum-Aldehoff „BIG FIVE – Sich selbst und andere erkennen“ im 44 45 46 47

Saum-Aldehoff, S. 119. Saum-Aldehoff, S. 132. Saum-Aldehoff, S. 129 ff. Schmitt/Altstötter-Gleich, S. 66.

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5 Persönlichkeitsmodelle in der Praxis – Auswahl

Gewissenhaftigkeit als liebenswerter erscheinen. Kein Zweifel besteht indes daran, welcher der beiden Typen im Leben erfolgreicher ist.“44

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Anhang einen Selbsttest für Interessierte. Aber auch über entsprechende Tests in Frauenzeitschriften sollte man nicht ungeprüft die Nase rümpfen; man findet auch dort durchaus ernstzunehmende wissenschaftlich abgesicherte Tests wie zum Beispiel „Der große Charakter-Test: Nutzen Sie ihre Chancen im Leben?“ in der BRIGITTE (5/99).

5.3 Das Enneagramm Aus der Praxis: Frank ist seit sechs Jahren als Altenpfleger in der stationären Pflege tätig. Bei seinen Kollegen ist er sehr beliebt. Leider ist er in letzter Zeit zunehmend unzufrieden mit seinem Beruf. Die ständige Hetze und die zunehmende Arbeitsverdichtung in seinem Wohnbereich machen es ihm unmöglich, so zu arbeiten, wie es seinen Idealvorstellungen entsprechen würde. Auch mit den strukturellen Neuerungen im Haus tut er sich schwer. „Du solltest das lockerer sehen. Tu doch mal was für dich!“, raten seine Kollegen. Auf Empfehlung seiner Kollegin Mia meldet er sich zu einem Wochenendseminar zum Thema „Zufrieden bleiben im Beruf “ an. Dort erfährt er einiges über das „Enneagramm“ als Möglichkeit, die eigene Persönlichkeit besser kennenzulernen und weiterentwickeln zu können. Neugierig geworden macht Frank einen Test, den er im Internet findet. „Mensch, Mia, ich bin ein typischer „Einser“!“, verkündet er am Montag im Dienstzimmer. „Hab‘ ich mir doch schon lange gedacht! Du mit deinen idealistischen Vorstellungen von der Altenpflege, deinem Perfektionsdrang und deinen ständigen Ideen, was wir hier bei uns noch verbessern könnten. Damit reibst du dich doch im Alltag nur auf, und ändern kannst du hier sowieso nichts!“ entgegnet Mia. „Na ja, aber ich habe durch den Test Anregungen bekommen, was ich ändern könnte: nämlich mich. Mit der Figur des Enneagramms kann man eine „Integrationsrichtung“ für den eigenen Typ bestimmen. Bei mir ist das der Typ 7, der Optimist; ich muss nur aufpassen, dass ich nicht die „Desintegrationsrichtung“ einschlage, das wäre bei mir der Typ 4, der Romantiker, der neben vielen positiven Eigenschaften leider Gefahr laufen kann, sich aus der Realität zu flüchten. Damit mir das nicht passiert, denke ich ernsthaft darüber nach, ob ich nicht vielleicht noch Pflegepädagogik studieren sollte. Dann könnte ich meine Begeisterungsfähigkeit und meinen Perfektionsanspruch an den Schülern auslassen. Und meine beiden „Flügeltypen“, den Typ 2, den Helfer, und den Typ 9, den Vermittler, könnte ich im Unterricht auch ganz gut gebrauchen.“

46 Traumberuf Altenpflege • Ursula Beckmann © Vincentz Network GmbH & Co. KG Hannover 2015 • ISBN: 978-3-86630-121-0

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„Das Enneagramm stammt aus einer Zeit, als die Psychologie noch gar nicht erfunden war (…).“48 Schon vor mehr als 2000 Jahren soll es im zentralasiatischen Raum genutzt worden sein, über Jahrhunderte wurde es lediglich mündlich weitergegeben. Gesichert ist, dass das Modell von Gurdjieff (1877–1940), einem spirituellem Lehrer griechisch-armenischer Abstammung, in den Westen gebracht und von ihm als „kosmisches Symbol und Modell für Prozesse der Bewusstseinstransformation“49 verwendet wurde. Der Bolivianer Ichazo entwickelte auf der Grundlage der „Neuner-Figur“ ein Modell, mit dem er versuchte die Elemente der östlichen Mystik mit westlicher Psychologie und Psychotherapie zu verbinden. „So dient es dem interkulturellen und interreligiösen Dialog.“50 Beide, Gudjieff und Ichazo, waren auf ihren Reisen durch Zentralasien mit dem Enneagramm in Kontakt gekommen. Bekannt wurde das Modell erstmals in den USA durch verschiedene Veröffentlichungen in den 1980er Jahren. Es wurde dann vor allem durch Jesuiten für ihre Exerzitien verwandt und kam über diesen Weg auch nach Deutschland.

48 Gallen/Neidhardt, S. 15. 49 Gallen/Neidhardt, S. 14. 50 Rohr/Ebert, S. 12.

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5 Persönlichkeitsmodelle in der Praxis – Auswahl

Das Enneagramm ist ein Erklärungssystem der menschlichen Persönlichkeit, das die neun Grundtypen des menschlichen Charakters in Form einer geometrischen Figur darstellt (gr. „ennéa“ = neun). Die Figur besteht aus einem Kreis, in dem sich zusätzlich ein Dreieck und ein Sechseck befinden:

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Die neun Typen des Enneagramms Typ 1: Der Reformer. Menschen mit diesem Verhaltensmuster werden meistens als Perfektionisten beschrieben, auch die Begriffe Kritiker und Idealisten werden verwandt; sie wollen stets alles richtig machen und streben ihr Leben lang nach Idealen. Typ 2: Der Helfer, wird auch als Geber und Fürsorger bezeichnet. Solche Menschen möchten vorrangig gebraucht werden, indem sie sich für die Bedürfnisse anderer Menschen einsetzen. Typ 3: Der Erfolgsmensch widmet sich mit all seiner Energie der ihm gestellten Aufgabe, solange sie erfolgversprechend ist. Diese „Macher“ möchten vorrangig für ihre Leistungen anerkannt und bewundert werden. Typ 4: Der Romantiker – oder auch Melancholiker – liebt die Sehnsucht nach dem Besonderen, nach Schönheit und Sinnhaftigkeit. Diese absoluten Individualisten sind ihr Leben lang auf der Suche nach sich selbst, häufig verbunden mit künstlerischen Neigungen. Typ 5: Der Beobachter ist offen und interessiert an neuen Informationen, Fakten, Gedanken und Theorien, kann klar und analytisch denken. Dabei benötigen diese Menschen eine gewisse Distanz von anderen Menschen und zum Leben insgesamt. Typ 6: Der Loyale liebt und sucht die Gemeinschaft mit seinen Mitmenschen. Dabei sind loyale Menschen zuverlässig, verantwortungsbewusst, kooperativ, anpassungsbereit und im höchsten Maße teamfähig. Typ 7: Der Optimist – auch Glückssucher oder Epikureer (= Genussmensch) genannt – ist ein heiterer Mensch, der Freude am Leben, Spontaneität, Neugier und Lebendigkeit ausstrahlt. Genießer sind dabei meistens aufgeschlossen, vielseitig und begeisterungsfähig. Typ 8: Der Boss ist kraftvoll, offen und entschieden in Konflikten. Diese Menschen werden auch als Führer oder Beschützer bezeichnet, sie sind selbstbewusst, verantwortungsvoll, lieben Herausforderungen und eignen sich deshalb gut für leitende Positionen.

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Typ 9: Der Vermittler wird auch als Friedensstifter, Mediator oder Bewahrer bezeichnet. Solche Menschen können sich gut in andere einfühlen, sind frei von Vorurteilen und sehr anpassungsfähig und harmoniebedürftig.

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Dieses Modell will „nicht nur auf die Haken und Ösen, Schwächen und Gefahren des jeweiligen Typus aufmerksam machen, sondern auch und im Besonderen auf die Begabungen, Vorzüge und Möglichkeiten“54. Auf keinen Fall soll ein Mensch damit in Schubladen einsortiert werden, sondern die in mühevoller Arbeit gewonnene Selbsterkenntnis soll zum Ausgangspunkt für den Weg zu den höheren Entwicklungsstufen des Daseins werden.

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Riso/Hudson, S. 25 ff. Gallen/Neidhardt, S. 32 ff. Gallen/Neidhardt, S. 37 ff; Riso/Hudson, S. 38. Böschmeyer, S. 9.

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5 Persönlichkeitsmodelle in der Praxis – Auswahl

Es gibt eine Reihe von Tests51, mit denen man seinen eigenen Typus erkennen kann. Kompliziert wird dieses Modell dadurch, dass die neun Typen – manche Autoren sprechen lieber von „Charaktermuster“ – noch in drei verschiedene Gruppen eingeteilt (Herz-, Bauch- und Kopfmenschen52) und dem jeweiligen Typus sogenannte „Flügel“ zugeordnet werden. Diese Flügel der beiden rechts und links im Kreis neben dem eigentlichen Typus liegenden Nebentypen bestimmen in unterschiedlicher Ausprägung das Denken, Fühlen und Handeln mit. Außerdem gehört zu jedem Typ ein bestimmter Motivationshintergrund (= „Leidenschaften“53), der als Antriebskraft dient.

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6 Kommunikation „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.“ Dieses Sprichwort gibt uralte zwischenmenschliche Erfahrungen wieder. Professionelle Kommunikation geht allerdings über solche Weisheiten der Alltagspsychologie hinaus. Die eigene, individuelle Art zu kommunizieren ist ein wesentlicher Bestandteil der Persönlichkeit. Kommunikation stellt die Verbindung zu anderen Menschen her, fördert oder behindert die Beziehungen. In Berufen, in denen Kommunikation einen wichtigen Teil der täglichen Arbeit ausmacht, sollte man wissen, wie man bei anderen „ankommt“, sollte Selbstreflexion als unverzichtbarer Bestandteil zum beruflichen Handeln gehören. Wichtige Grundlagen werden im folgenden „Update“ wiederholt, um danach näher auf praxisrelevante Aspekte eingehen zu können.

6.1 Update Grundlagen der Kommunikation 6.1.1 Wahrnehmung Grundlage jeder zwischenmenschlichen Kommunikation ist die Wahrnehmung von Informationen, die als Reize über die Sinnesorgane an das Gehirn weitergeleitet werden. Dieser Wahrnehmungsprozess funktioniert nach bestimmten Organisationsprinzipien (zum Beispiel nach dem Prinzip der Vereinfachung und dem der Gruppierung), die wie Filter wirken, um eine Reizüberflutung zu vermeiden. So werden viele Informationen gar nicht erst zur Kenntnis genommen und viele sofort oder später wieder vergessen (Ultrakurzzeit-, Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis). Jeder Mensch trifft aus der unendlichen Vielzahl der ununterbrochen auf ihn einströmenden Reize aus seiner Innenwelt und der Außenwelt eine individuelle Auswahl, die auf der Basis der persönlichen Erfahrungen herausgefiltert, bewertet, und bei Interesse gespeichert wird. Wahrnehmung ist also immer selektiv und subjektiv. Weisheit des Tages: „Wahrnehmung ist …wie ein Stück Torte!“ Person A Person B Person C

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Wahrnehmung ist subjektiv: Alle Personen nehmen dieselbe Sache war, aber Person A als Dreieck, Person B als Quadrat und Person C als Rechteck. Die Wahrnehmung aller Personen ist Traumberuf Altenpflege • Ursula Beckmann © Vincentz Network GmbH & Co. KG Hannover 2015 • ISBN: 978-3-86630-121-0

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richtig, aber das bedeutet nicht, dass es neben der subjektiven Wahrnehmung nicht noch eine andere, ebenfalls richtige Wahrnehmung geben kann. Dessen sollte man sich bewusst sein. In vielen Studien und Experimenten wurde nachgewiesen, wie störanfällig dieser Prozess ist. Gut erforscht in der sozialen Wahrnehmung sind zum Beispiel Beurteilungsfehler wie der „Haloeffekt“, ferner die Mechanismen von Selbst- und Fremdwahrnehmung wie der „Blinde Fleck“ und der „Erste Eindruck“, die Entstehung von Vorurteilen und vieles andere mehr. Bei der Kompliziertheit dieser Vorgänge sollte man sich lieber über jedes halbwegs gelungene Gespräch freuen, als sich ständig über Missverständnisse in der Kommunikation zu ärgern!

Haloeffekt – Blinder Fleck – Erster Eindruck

Theorie-Box

Ein Blinder Fleck ist der Bereich in der eigenen Selbstwahrnehmung, den man selbst nicht wahrnimmt und von sich selbst nicht kennt, der aber von anderen wahrgenommen wird. Wissenschaftler entwickelten ein Modell eines Fensters mit vier Flügeln, das sogenannte „JoHaRi-Fenster“, das den Rahmen der zwischenmenschlichen Beziehungen darstellen soll: Der erste Flügel stellt den Teil unserer Persönlichkeit dar, der uns selbst und den anderen bekannt ist, also den öffentlichen Bereich, hier können wir frei handeln und müssen nichts vor anderen verbergen. Der zweite Flügel ist der „Blinde Fleck“. Hier sehen andere einen Teil unseres Verhaltens, den wir selbst nicht wahrnehmen. In diesem Bereich liegen also die Unterschiede zwischen unserem Selbstbild und dem Fremdbild. Der dritte Flügel ist der Bereich unserer heimlichen Wünsche, des Denkens und Handelns, den wir bewusst vor anderen verbergen wollen. Der vierte Bereich ist der, der weder uns selbst noch anderen bekannt und zugänglich ist, also die unbewussten Anteile unserer Persönlichkeit.

6 Kommunikation

Haloeffekt: Ein „Halo“ ist zunächst einmal ein physikalisches Phänomen. Rund um eine Lichtquelle, zum Beispiel bei bestimmten Witterungsverhältnissen um die Sonne oder den Mond, gibt es einen strahlenden „Hof“, der durch Reflexion von Licht hervorgerufen wird. In der Psychologie meint man damit eine negative oder positive Beeinflussung bei der Beurteilung einer Person dadurch, dass ein Persönlichkeitsmerkmal (zum Beispiel eine Behinderung, ein Dialekt, eine Tätowierung oder eine Haarfarbe) so viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, dass andere Eigenschaften und der Gesamteindruck davon überstrahlt werden.

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Erster Eindruck: Bereits im ersten Moment einer Begegnung mit einem Fremden, zum Beispiel an einer Bushaltestelle, können wir schon nach wenigen Sekunden sagen, ob uns dieser Mensch „sympathisch“ oder „unsympathisch“ ist. Meistens ist uns auch gar nicht bewusst, worauf sich unsere Meinung gründet. Die moderne Hirnforschung ist in der Lage mit bildgebenden Verfahren die vielfältigen Aspekte zu untersuchen, die bei der Entstehung eines Ersten Eindrucks eine Rolle spielen: In Sekunden werden nämlich Merkmale wie Alter, Geschlecht, Gang, Mimik, Gestik, Kleidung und Sprechweise von unserem Gehirn „gescannt“ und daraus eine Einschätzung gebildet. Wer hat das nicht schon erlebt: Man „kennt“ jemanden vom Telefon und ist beim ersten persönlichen Treffen völlig überrascht von dessen Aussehen, Alter etc.? Es war für Menschen schon seit Urzeiten wichtig, über die Fähigkeit einer blitzschnellen Einschätzung des anderen zu verfügen, manchmal war es sogar entscheidend für das Überleben. Aber auch heute bildet der Erste Eindruck oft die Basis über den weiteren Verlauf einer Beziehung. Da der Erste Eindruck die Tendenz zur Verfestigung in Form eines Vorurteils hat, das im weiteren Verlauf einer Beziehung nur schwer korrigierbar ist, ist es gerade für Angehörige von sozialen Berufen besonders wichtig, über diese Mechanismen Bescheid zu wissen.

6.1.2  Das Sender-Empfänger-Modell

Sender

Nachricht

Empfänger

Dieses Modell entnimmt seine Begriffe der Sprache der Technik: „Sender, Empfänger, Nachricht, Signale und Code“. Der Sender „codiert“ (= verschlüsselt) seine Nachricht, indem er bestimmte Wörter, Satzbau, Tonfall und Mimik auswählt; der Empfänger muss die Nachricht „entschlüsseln“. Verwenden die Gesprächspartner nicht denselben Code, also zum Beispiel Sprache, Fremdsprache, gehobene Sprache, Umgangssprache, Slang, Dialekt oder Fachsprache, dann sind Probleme bei der Verständigung quasi vorprogrammiert. 6.1.3  Die Axiome Watzlawiks Paul Watzlawik stellte fünf Axiome (= Grundsätze) auf55:

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55 http://www.paulwatzlawik.de/axiome.html, Stand 06.11.2014.

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„„ „„ „„ „„ „„

Man kann nicht nicht kommunizieren. Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt. Kommunikation ist immer Ursache und Wirkung zugleich. Menschliche Kommunikation ist entweder analog oder digital. Kommunikation ist entweder symmetrisch oder komplementär.

Watzlawiks erstes Axiom von der Unmöglichkeit der „Nicht-Kommunikation“ ist mittlerweile zu einem geflügelten Wort geworden und ist eines der am häufigsten benutzten Zitate im Bereich der Kommunikation überhaupt. Der Beziehungsaspekt überlagert im zweiten Axiom in der Regel den Inhaltsaspekt: Wenn die Beziehung zwischen den Gesprächspartnern nicht stimmt, hat das immer auch negative Auswirkungen auf die sachliche Aussage. Jeder kennt das: Bei einer schlechten Stimmung im Team (Beziehungsaspekt) wird in Dienstbesprechungen bereits eine einfache Sachabsprache (Inhaltsaspekt) schwierig und führt zu unsachlichen Diskussionen.

Die Unterscheidung zwischen „analoger“ und „digitaler“ Kommunikation im vierten Axiom hat nichts mit Computern zu tun! Vereinfachend wird dieses Axiom meistens mit dem Unterschied zwischen nichtsprachlicher und sprachlicher Kommunikation erklärt. Symmetrische Kommunikation im fünften Axiom ist die zwischen gleichberechtigten Partnern. Komplementäre Kommunikation ist die zwischen Partnern, die in einer hierarchischen, sich gegenseitig ergänzenden (= komplementären) Beziehung zueinander stehen: Mutter – Kind, Chef – Mitarbeiter, Pflegekraft – Pflegebedürftiger. 6.1.4  Das Kommunikationsquadrat Das Kommunikationsquadrat mit seinen vier Seiten, den „4 Schnäbeln und 4 Ohren“, ist eines der bekanntesten Modelle zwischenmenschlicher Kommunikation.56 56 Schulz-von-Thun, 1.

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6 Kommunikation

Das Dilemma von Ursache und Wirkung im dritten Axiom lässt sich an folgendem Dialog eines Ehepaars verdeutlichen: „Ich muss immer so viel reden, weil du so wenig redest.“ – „Weil du immer so viel redest, komme ich kaum zu Wort.“ In diesem Fall denkt jeder der beiden, er reagiere nur auf den anderen. In Wirklichkeit bedingt das Verhalten des einen das Verhalten des anderen. Jeder ist der Meinung, der andere habe „angefangen“, beide geben sich gegenseitig die „Schuld“ für das Ergebnis. Eine solche Kommunikation verläuft dann im Kreis, der manchmal zu einem gefährlichen „Teufelskreis“ wird. Das bringt natürlich niemanden weiter.

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Das Kommunikationsquadrat

Theorie-Box

Das Modell wurde von Prof. Dr. Friedemann Schulz von Thun, ehemals Professor an der Universität Hamburg und Begründer einer humanistisch-systemischen Kommunikationspsychologie57, entwickelt. Jede Nachricht hat vier Seiten: Sache, Selbstkundgabe, Beziehung und Appell. Die Sachseite drückt aus, worüber informiert wird, also den sachlichen Inhalt einer Nachricht. Hier geht es um Daten, Fakten und Sachverhalte nach den Kriterien: „Richtig oder falsch? Wahr oder unwahr? Wichtig oder unwichtig? Ausreichend oder unvollständig?“ Der Sender muss sich klar und verständlich ausdrücken, der Empfänger kann entsprechend reagieren. Die Selbstkundgabeseite drückt aus, was der Sender durch seine Äußerung gleichzeitig über sich selbst kundgibt – bewusst oder unbewusst, freiwillig oder unfreiwillig. Wenn zum Beispiel die Pflegekraft während der Grundpflege sagt, sie habe ein offenes Ohr für die Sorgen des anderen, und dabei völlig abgehetzt wirkt, dann wird der Eindruck von Zeitnot unbeabsichtigt auf der Selbstkundgabeseite mitvermittelt. Oder wenn jemand im Vorstellungsgespräch zwar nach außen souverän und selbstbewusst auftritt, bei der Begrüßung aber dem Personalchef eine schweißnasse, kalte Hand reicht, verrät er damit ungewollt seine Nervosität. Die Beziehungsseite sagt etwas darüber aus, wie man zu seinem Gegenüber steht und was man von ihm hält. Dieses geschieht durch Mimik, Gestik, Tonfall, Wortwahl, die Art der Formulierung oder andere körpersprachliche Mittel. Der Empfänger reagiert auf diese Seite einer Nachricht in der Regel sehr aufmerksam, weil hier Wertschätzung, Achtung und Respekt oder Misstrauen, Ablehnung und Ignoranz vermittelt werden. Wenn man sich über eine Äußerung ärgert, so ist das meistens ein Indiz dafür, dass man als Empfänger mit dem Beziehungsohr hingehört hat. Die Appellseite drückt aus, was man durch das Gesagte bei seinem Gesprächspartner erreichen möchte. Der Empfänger fragt sich: „Was soll ich jetzt tun, denken oder fühlen?“ Ein Appell kann entweder offen „Bitte mach‘ die Tür zu!“ oder verdeckt „Mensch, ist das hier kalt!“ geäußert werden. 57

Viele Missverständnisse in Gesprächen können mit diesem Modell erklärt werden. Ein Empfänger kann zum Beispiel auf eine Seite der Nachricht reagieren, die dem Sender in diesem Moment gar nicht wichtig war. Oder ein Sender hat sich irreführend ausgedrückt, Tonfall oder Mimik passen nicht. Dadurch, dass

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57 www.schulz-von-thun.de, Stand vom 05.11.2014.

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der Sender mit „vier Schnäbeln“ spricht und der Empfänger mit „vier Ohren“ hört, sind der Interpretationsspielraum und die Gefahr für Missverständnisse sehr groß. Sender und Empfänger sind somit beide für ihre Kommunikation verantwortlich.

Fallbeispiel „Die Ohren der Kollegen T und P“

Praxis-Box

Kollege T fühlt sich häufig bereits kritisiert, wenn lediglich eine sachliche Frage gestellt wird: „Wo hast du die Pflegecreme von Frau A hingelegt?“ Seine Antwort lautete in diesem Fall: „Ja, sag‘ doch gleich, dass du mich für schlampig hältst.“ Anstatt: „Oberstes Regal links im Bad.“ Er ist mit einem übergroßen und sehr empfindlichen Beziehungsohr ausgestattet. Solche Menschen liegen ständig auf der „Beziehungslauer“, sie beziehen alles auf sich persönlich und verwenden viel Energie darauf zu prüfen, was andere von ihnen halten.

Beide Extreme sind schwierig im Umgang: Während Kollege T immer mit seiner eigenen Befindlichkeit beschäftigt ist, überlegt, was der andere wohl gemeint haben könnte und wie er bei anderen ankommt, ist Kollege P mit seiner Aufmerksamkeit immer bei den anderen und „diagnostiziert“ eher die Befindlichkeit und das Verhalten seines Gesprächspartners, anstatt zu überlegen, wie er selbst betroffen ist oder sein sollte. Was der eine zu viel hat, hat der andere zu wenig.

6.1.5  Soziale Rollen und Rollenkonflikte Jeder Mensch nimmt in seinem Leben verschiedene soziale Rollen ein: Jeder ist zunächst das Kind seiner Eltern, vielleicht auch Schwester oder Bruder und später möglicherweise selbst einmal Mutter oder Vater. Daneben gibt es viele weitere mögliche soziale Rollen, die ein Mensch im Laufe seines Lebens für begrenzte Zeiträume innehaben kann: Schüler, Freund, Freundin, Nachbar, Kollege, (Ehe-)Partner, Chef, Vereinsmitglied und viele andere mehr. Soziale Rollen werden definiert durch typische Aufgaben und Eigenschaften, die der jeweiligen

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6 Kommunikation

Das völlige Gegenteil ist sein Kollege P, er zieht sich nicht einmal eindeutige Kritik an: „Könntest du bitte die Creme von Frau A immer an denselben Platz legen, damit ich sie nicht ständig suchen muss?“ – „Ach, bist du pingelig, hast wohl schlechte Laune, dass du immer an mir rummeckerst?“ P hört hier mit dem Selbstkundgabeohr hin, ist mit seiner Aufmerksamkeit beim Gegenüber und fühlt sich persönlich überhaupt nicht betroffen.

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Rolle durch gesellschaftliche Normen und Werte zugeordnet werden; sie sind also kulturabhängig. Zu einem Rollenkonflikt kommt es immer dann, wenn die Anforderungen aus verschiedenen Rollen nicht miteinander in Einklang zu bringen sind: Jemand soll Überstunden machen, muss aber sein Kind pünktlich vom Kindergarten abholen. Hier kollidiert die Rolle eines Arbeitnehmers mit der Rolle als Vater oder Mutter, ein typischer „Interrollenkonflikt“ (inter = zwischen), also ein Konflikt zwischen verschiedenen Rollen. Demgegenüber liegt ein „Intrarollenkonflikt“ (intra = innerhalb) immer dann vor, wenn eine Person einen Konflikt mit den Anforderungen innerhalb einer Rolle hat. Verschiedene Menschen, mit denen man es bei der Ausübung eben dieser Rolle zu tun hat, haben abweichende Erwartungen darüber, wie die Rolle auszufüllen ist. Im Bereich der Pflege können das sein: der Geschäftsführer, die Heimleitung, die Pflegedienstleitung, die Wohnbereichsleitung, die Kollegen, die Angehörigen und die Bewohner oder Patienten. Zum Beispiel möchte eine Altenpflegerin in Ruhe mit einem Angehörigen eines Bewohners reden, der sich nach mehreren vergeblichen Versuchen endlich Zeit für ein Beratungsgespräch nehmen will, soll/ muss aber zugleich dringend eine Bewohnerin zur Toilette begleiten. Derartige Rollenkonflikte können oftmals zu einer unklaren Kommunikation führen. (Was man dagegen tun kann s. Kapitel 8.5.)

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6.2  Kommunikationsstile als Teil der Persönlichkeit Unter „Stil“ wird die Art des sprachlichen Ausdrucks eines Individuums verstanden, durch den sich die Persönlichkeit nach außen vermittelt. Der Kommunikationsstil eines Menschen „verrät“ somit wesentliche Teile seiner Persönlichkeit. Schulz von Thun beschreibt acht verschiedene Kommunikationsstile:58 1. Der bedürftig-abhängige, 2. der helfende, 3. der selbst-lose, 4. der aggressiv-entwertende, 5. der sich beweisende, 6. der bestimmend-kontrollierende, 7. der sich distanzierende und 8. der mitteilungsfreudig-dramatisierende Stil.

Hier werden die Stile vorgestellt, die im Pflegealltag, bedingt durch die Anforderungen in diesem speziellen Arbeitsfeld und aufgrund der Persönlichkeitsstruktur der in diesem Bereich arbeitenden Menschen (vgl. Kapitel 1.2 und 2), besonders häufig zu beobachten sind: 6.2.1  Der bedürftig-abhängige Stil ist typisch für die Situation von Patienten, Bewohnern oder Angehörigen: „Sie müssen mir helfen, ich kann das nicht mehr allein!“ Dieser so oder so ähnlich meistens in einem bedauernden, klagenden Tonfall ausgesprochene Satz bestärkt den Angesprochenen in seiner Stärke und Kompetenz. Aber nicht nur Pflegebedürftige sprechen in diesem Kommunikationsstil; auch Menschen ohne Selbstvertrauen haben ein solches Verhaltensmuster entwickelt, verlassen sich gern auf stärkere Personen in ihrem Umfeld und trauen sich Vieles nicht zu.

58 Schulz von Thun, 2, S. 65 ff. 59 Schulz von Thun, 2, S. 65. 60 Schulz von Thun, 2, S. 76.

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6 Kommunikation

„Mit jedem Stil verbinden sich bestimmte innere Verfassungen: ein Gemisch aus Bedürfnissen, Gefühlen, Stimmungen und Absichten“59, die sich nicht gegenseitig ausschließen. Das bedeutet, dass ein Mensch durchaus in verschiedenen Stilen kommunizieren kann. Denn einerseits erklärt sich der persönliche Kommunikationsstil eines Einzelnen zwar aus seiner Vergangenheit und ist dadurch untrennbar mit seiner Persönlichkeit verbunden, andererseits spielen aber die „gegenwärtige Beziehungsdynamik“60 und die aktuelle Gesamtsituation eine entscheidende Rolle für die „Auswahl“ des Kommunikationsstils.

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6.2.2  Der helfende Stil ist – als Ergänzung des bedürftig-abhängigen Stils – zwar nicht ausschließlich auf Menschen in Helferberufen beschränkt, aber in diesem Arbeitsfeld weit verbreitet. Grundsätzlich kann jeder als geduldiger Zuhörer und Ratgeber fungieren, sich für Schwache und Hilflose einsetzen, sich kümmern und mit Rat und Tat zur Seite stehen und kundtun: „Ich bin immer für dich da.“ Durch eine solche Haltung erwirbt man sich immer Dankbarkeit und Anerkennung. Problematisch wird diese Einstellung erst dann, wenn ein Helfer ständig über seine eigenen Belastungsgrenzen hinausgeht, ohne dies wahrzunehmen. „Von der helfenden Strömung können wir umso leichter erfasst werden, je mehr wir mit unseren eigenen schwachen und hilfsbedürftigen Anteilen auf Kriegsfuß stehen.“61 Schmidbauer spricht in einem solchen Fall von einem „innerseelischen ‚Vorteil‘ des souveränen und altruistischen Verhaltens, [der darin besteht], dass der Helfer sich auf diese Weise etwas vom Halse halten kann, wovor er große Angst hat: sein eigenes Anlehnungsbedürfnis, seine schwachen Anteile.“62 Für den Helfer besteht in diesen Fällen die Gefahr von beruflichen Deformationen, psychosomatischen Erkrankungen oder eines Burn-out-Syndroms. Für den Pflegebedürftigen entsteht ebenfalls ein Problem, weil er Dinge nicht mehr selbst erledigt, die er eigentlich noch selbständig tun könnte. Auf die Dauer traut er sich immer weniger zu und gerät in den Zustand einer „erlernten Hilflosigkeit“. 6.2.3  Der selbst-lose Stil ist ein enger Verwandter des helfenden Stils. Wesentlicher Unterschied zu diesem ist die innere Verfassung desjenigen, der diesen Stil bevorzugt: Ein solcher Mensch fühlt sich als ein „Nichts“ ohne den anderen, er hat keinerlei Selbstwertgefühl – ist also im wahrsten Wortsinn ‚selbst-los‘ – und gewinnt nur durch seine aufopfernde Haltung eine gewisse Aufwertung seiner eigenen Person durch andere. „Ebenso wie der Helfende vermeidet es auch der Selbst-lose, sich mit seinen Problemen und Sorgen zu offenbaren, allerdings aus einem anderen Grund. Möchte jener nicht schwach und bedürftig dastehen, so ist es diesem undenkbar, derart in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu geraten.“63 Der Selbst-lose möchte um keinen Preis auffallen, sagt deshalb so gut wie nie seine eigene Meinung und geht jedem Konflikt aus dem Weg. 6.2.4  Der bestimmende-kontrollierende Stil entsteht aus der Angst vor „Chaos und Kontrollverlust, vor ‚bösen‘ Überraschungen und überhaupt vor den Wechselfällen des Lebens“.64 Ein solcher Mensch gehört damit zu den Persönlichkeiten, die nach dem Riemann-Thomann-Modell (vgl. Kapitel 5.1) eine übergroße Tendenz zur Dauer und eine Neigung zu zwang-

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Schulz von Thun, 2, S. 88. Schulz von Thun, 2, S. 89. Schulz von Thun, 2, S. 111. Schulz von Thun, 2, S. 201.

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haftem Verhalten in sich tragen. Alles sollte so sein und möglichst auch bleiben, wie es richtig ist. Und „richtig“ ist es so, wie der Mensch mit dieser Grundhaltung es einmal entschieden hat. Damit ist keine Herabsetzung der anderen – wie bei dem aggressiv-abwertenden Stil – verbunden, sondern das Ziel, die anderen zu lenken, zu erziehen und zu kontrollieren. Typisch sind Appelle, die bei einer solchen Haltung besonders häufig im Alltag vorkommen. Sie werden in der Regel als allgemeine Norm und nicht als persönliche Meinung formuliert, zum Beispiel: „Das gehört sich so!“, „Das macht man so!“, Das haben wir hier schon immer so gemacht!“, „Man wäscht den Patienten immer von oben nach unten!“ „Zuerst das Bett lüften, dann erst aufschütteln!“

6 Kommunikation

Der aggressiv-entwertende, der sich beweisende, der sich distanzierende und der mitteilungsfreudig-dramatisierende Stil werden hier deshalb nicht ausführlich erklärt, weil sie im Pflegealltag nicht typisch sind. Das soll aber nicht heißen, dass Patienten, Bewohner oder auch Kollegen nicht auch mitteilungsfreudig-dramatisch oder aggressiv-entwertend sein können, weil es ihrer individuellen Persönlichkeit entspricht.

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6.3  Die Partnerzentrierte Gesprächsführung Carl Rogers (vgl. Kapitel 4.3) entwickelte die „Klientenzentrierte Gesprächsführung“ aus seiner psychotherapeutischen Arbeit heraus. Die Überzeugung Rogers‘, dass jeder Mensch von innen heraus nach positiver Weiterentwickelung strebt, ist die Basis dieser Gesprächsführung. Durch die Arbeit von Gordon („Familienkonferenz“, 1972) und anderen bildete sich daraus die Partnerzentrierte Gesprächsführung. Man findet diese Methode mittlerweile nicht nur im therapeutischen Bereich, sondern in allen beratenden psycho-sozialen, pflegerischen und pädagogischen Arbeitsfeldern und im Managementsektor. Der Gesprächspartner steht hierbei immer im Mittelpunkt; der Gesprächsführende trägt die Verantwortung für den Ablauf und die Einhaltung der „Regeln“. Jedes Gespräch gewinnt durch die wesentlichen Elemente der Partnerzentrierten Gesprächsführung. Für lösungsorientierte Problemgespräche sind die Grundhaltungen Empathie, Kongruenz und Akzeptanz unverzichtbar. Empathie (= einfühlendes Verstehen oder Verbalisieren emotionaler Erlebnisinhalte) bedeutet, sich in das Erleben des anderen einzufühlen und zu versuchen, ihm seine Gefühle möglichst präzise und zugleich in einer offenen Form wiederzugeben, wenn man das für angebracht hält. Wichtig ist es dabei zu versuchen, den Blickwinkel des anderen einzunehmen, um dessen Bezugsrahmen zu verstehen. Dabei geht es vor allem um die emotionale Bedeutung, denn viele Probleme liegen auf einer emotionalen Ebene und lassen sich deshalb rational nicht lösen. Manche Menschen sind von Natur aus einfühlungsbegabt, ihnen fällt Empathie von Natur aus leichter als sehr aktiven und impulsiven Menschen.

Fallbeispiel Bianca

Praxis-Box

„Schwester, immer muss ich Sie um Hilfe bitten. Ich kann fast nichts mehr alleine machen!“ – „Aber dafür bin ich doch da! Das mach‘ ich doch gern!“, antwortet Bianca in fröhlichem Ton. Diese gutgemeinte, tröstende Antwort ignoriert die Befindlichkeit des Bewohners, die hinter seiner Äußerung stecken kann. Mancher Mensch würde sich bei einer solchen Reaktion wie die Biancas nicht ernst genommen fühlen. Denn hinter der Äußerung des Bewohners können ganz verschiedenartige Gefühle stehen: Trauer (über seine verlorenen Fähigkeiten), Hoffnungslosigkeit (weil sich daran nichts mehr ändern wird), Wut (über seine Abhängigkeit) oder Angst (vor einer weiteren Verschlimmerung seines Zustands). Eine mögliche bessere Antwort Biancas im Sinne der partnerzentrierten Gesprächsführung wäre bei einer derartigen Äußerung eines Bewohners: „Sie sind traurig/enttäuscht/ wütend, nachdem Sie früher immer so aktiv waren und vieles selber gemacht

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haben?“ Diese offene Form der Antwort – möglichst in einem leicht fragenden Tonfall geäußert – könnte ein hilfreiches Gespräch einleiten. Der Bewohner könnte seine Gefühle zumindest einmal aussprechen, und möglicherweise wäre sogar eine tiefergehende Klärung seiner Sorgen oder seines Ärgers möglich.

Kongruenz (= Echtheit) bedeutet, sich während des Gesprächs seiner eigenen Gefühle und Einstellungen bewusst zu sein und dieses auch zeigen oder äußern zu können, wenn man dieses für sinnvoll und angemessen hält. In seiner beruflichen Rolle echt zu sein, heißt, die Motivation für das eigene Verhalten zu kennen, reflektieren zu können und sich bewusst für eine bestimmte Reaktion im Gespräch zu entscheiden. Es geht also nicht darum, um jeden Preis ehrlich zu sein, sondern zu wissen, dass man Probleme nicht auf Dauer hinter einer professionellen „Fassade“ verstecken kann.

Nicht jedem ist einfühlsames, geduldiges und wertschätzendes Verhalten gegenüber seinen Mitmenschen in die Wiege gelegt. Aber selbst wenn man ein aktiver, spontaner und direkter Typ ist, der felsenfest davon überzeugt ist, immer für alle und alles das Richtige zu wissen und zu wollen (und sich dadurch vielleicht gut als Führungskraft eignet), so sollte man dennoch in einem Beruf, in dem man viel mit Menschen zu tun hat, über ein Mindestmaß an Empathie und Akzeptanz verfügen; und um Kongruenz sollte sich eigentlich jeder innerhalb seiner beruflichen Rolle bemühen.

6 Kommunikation

Akzeptanz (= positive Wertschätzung) bedeutet, dem anderen eine nicht an Bedingungen gebundene Achtung als Person entgegenzubringen und ihn mit seinen Stärken und Schwächen als Mensch zu sehen. Es bedeutet nicht, inhaltlich einer Meinung zu sein. Das Bemühen, den anderen mit all seinen Fehlern und Schwächen anzunehmen, ist für Rogers von zentraler Bedeutung für jede konstruktive zwischenmenschliche Beziehung. Man kann dabei zwar inhaltlich unterschiedlicher Ansicht sein, doch muss der andere spüren, dass das persönliche Verhältnis davon nicht beeinträchtigt wird.

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7 Die eigenen Ressourcen erkennen Viele Menschen gehen durch ihr Leben, ohne sich ihrer eigenen Stärken bewusst zu sein. Häufig ist ein geringes Selbstwertgefühl die Ursache. Sie sind wahrscheinlich aufgewachsen mit Sätzen wie „Eigenlob stinkt“ oder „Nicht geschimpft, ist genug gelobt“. Diese Redewendungen verdeutlichen Erziehungsprinzipien, die leider immer noch weit verbreitet sind. Das folgende Kapitel dient der Überprüfung der eigenen Reserven (= Ressourcen). Ein erster Schritt zur Reflexion sowie Entlastung und damit gleichzeitig Streicheleinheit für das eigene Ego ist es, sich über seine Stärken klar zu werden. Es beginnt mit einer einfachen Übung, die trotzdem erfahrungsgemäß vielen Menschen große Schwierigkeiten bereitet, nämlich sich selbst zu loben:

Übung „Streicheleinheit“

Praxis-Box

Schreiben Sie Ihre fünf positivsten Eigenschaften auf einen Zettel und stecken Sie ihn in Ihr Portemonnaie! Bitten Sie zusätzlich eine gute Freundin, Kollegin oder einen anderen vertrauenswürdigen Menschen, auf die Rückseite dieses Zettels die deren Meinung nach besten Eigenschaften für Sie zu notieren. Schreiben Sie Ihren größten Erfolg in Ihrem bisherigen Leben auf einen weiteren Zettel. Mit „Erfolg“ kann vieles gemeint sein: Zum Beispiel sich in einer bestimmten Angelegenheit gegen eine andere Person zum Beispiel die Eltern, den Partner oder den Vorgesetzten durchgesetzt zu haben. Eine Ausbildung beendet zu haben. Oder eine schwierige persönliche Situation gemeistert zu haben.

7.1  Coping-Strategien – oder was ich schon immer richtig gemacht habe

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Ein Mensch, der bewusst wahrnimmt, was er unbewusst in Belastungssituationen schon lange richtig macht, erlebt sich als handlungsfähig und fühlt sich Problemen nicht mehr ausgeliefert. Diese Fähigkeiten nennt man „Coping“ (engl. to cope with = mit etwas fertig werden). Diese individuellen Strategien, mit denen Menschen auf Belastungen reagieren, sind jeweils situationsbezogen und damit entsprechend variabel. Jeder Mensch verfügt also bereits über eine eigene Palette von Handlungsweisen, die er je nach Art und Schwere des Problems einsetzt. Traumberuf Altenpflege • Ursula Beckmann © Vincentz Network GmbH & Co. KG Hannover 2015 • ISBN: 978-3-86630-121-0

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Fengler65 nennt zehn verschiedene Coping-Strategien:

Diese Sätze sind mit Absicht als Handlungsanweisungen im Rahmen der CopingStrategien so allgemein formuliert, damit sie auf möglichst viele Situationen und Probleme anwendbar sind. Es leuchtet jedem ein, dass zum Beispiel die Strategie 1 „Sich zusätzliche Informationen beschaffen“ nicht immer passt: Um eine Pflegeplanung zu schreiben, wäre sie gut geeignet; um die Ursachen für das veränderte Verhalten eines Bewohners zu erkennen, wären eher die Strategie 2 „Mit anderen über das Problem sprechen“ oder die Strategie 6 „Einen konstruktiven Vorschlag machen“ angebracht. Bei Strategie 3 „Mit Humor reagieren“ ist in der Pflege zur Vorsicht zu raten, da viele Bewohner oder Patienten ihre Lage nicht als lustig oder komisch empfinden und auf humorvolle Bemerkungen eher ärgerlich, beleidigt oder verstört reagieren könnten. Auch im Kollegenkreis kommt nicht jede humorvolle Bemerkung bei jedem gleich gut an. Eine spitze Bemerkung des Kollegen einfach zu ignorieren (Strategie 4 „Sich nichts daraus machen“), ist durchaus angemessen, wenn solche Spitzen nur manchmal vorkommen. Bei andauernden, ernsten Mobbingversuchen von Kollegen sollte man sich jedoch eine andere Strategie überlegen, zum Beispiel das Problem mit Hilfe eines dritten kompetenten Gesprächspartners zu lösen (Strategie 2). „Auf das Schlimmste vorbereitet sein“ (Strategie 7) ist eine Möglichkeit, um sich in ausweglosen Situationen wie zum Beispiel bei schweren Erkrankungen oder einem zwar harmlosen, aber unangenehmen Zahnarztbesuch zu beruhigen. Man tröstet sich selbst, weil man dann hinterher sagen kann: „War ja nur halb so schlimm.“ Diese Strategie würde jedoch in vielen Situationen und ständig angewandt dazu führen, dass man dem Problem ausweicht. „Sich auf frühere Erfahrungen zu stützen“ (Strategie 9) ist in beruflichen Problemsituationen natürlich für einen Berufsanfänger schwierig, hier empfiehlt es sich, den Rat von erfahrenen Kollegen einzuholen.

65 Fengler, S. 211.

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7 Die eigenen Ressourcen erkennen

1. Sich zusätzliche Informationen suchen 2. Mit anderen über das Problem sprechen 3. Mit Humor reagieren 4. Sich nichts daraus machen 5. Andere Aktivitäten anfangen 6. Einen konstruktiven Vorschlag machen 7. Auf das Schlimmste vorbereitet sein 8. Verschiedene Vorschläge machen 9. Sich auf frühere Erfahrungen stützen 10. Versuchen die Spannung zu reduzieren.

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In kurzfristig stressigen Situationen, wenn zum Beispiel in der Urlaubszeit auch noch zwei Kollegen krank geworden sind, deshalb in der Pflege nur noch das Allernötigste getan werden kann, jeder nach getaner Arbeit erschöpft nach Hause schleicht und erleichtert ist, wenn keine schweren Pflegefehler passiert sind, dann sind sicherlich die Strategien 3 und 4 (häufig zu beobachten in Form von Galgenhumor und einer „Augen zu und durch!“– Mentalität) kurzfristig hilfreich. Die langfristig wirksameren Formen von Coping-Strategien sind aber sicherlich, sich nach Feierabend bei einem Hobby zu entspannen (Strategie 5 „Andere Aktivitäten anfangen“) oder eine der vielen angebotenen Stressbewältigungsstrategien zu erlernen (Strategie 10 „Versuchen die Spannung zu reduzieren“).

Reflexionsaufgabe eigene Coping-Strategien

Praxis-Box

Schreiben Sie auf, welche Coping-Strategie Sie am häufigsten und in welchen Situationen verwenden!

7.2 Soziale Unterstützungssysteme – Menschen, auf die ich mich verlassen kann „Warum hat mir das nicht jemand schon früher mal erklärt?“, fragte eine 43-jährige Altenpflegeschülerin, nachdem sie die – zugegebenermaßen – zunächst sehr abstrakt wirkende Theorie von den sozialen Unterstützungssystemen verstanden und mit Hilfe einer Übung für sich erkannt hatte, dass sie bisher an einige Personen in ihrer persönlichen Umgebung – im konkreten Fall vor allem an ihren Ehemann – zu hohe Erwartungen gehabt hatte.

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„Soziale Unterstützung“ nennt man das, was sich Menschen im Alltag und besonders in Notfällen gegenseitig an praktischer Hilfe und emotionalem Halt geben. Jeder Mensch kennt im Idealfall einen Kreis von anderen Menschen, zu denen er in einer verlässlichen Beziehung steht und der ihm in einem Notfall Schutz und Hilfe anbietet. Damit können völlig unterschiedliche Situationen gemeint sein: Der vollgelaufene Keller muss leergepumpt und ausgeräumt werden, man ist vom Chef ungerecht kritisiert worden, das Kind oder der Vater sind schwer erkrankt. Die Anzahl der Personen des persönlichen Unterstützungssystems ist nicht so wichtig. Entscheidend ist, ob alle „Funktionen“ (= Aufgaben) im sozialen Umfeld abgedeckt werden können. „Aus unseren Untersuchungen wissen wir (…), dass die meisten Menschen potentiell verTraumberuf Altenpflege • Ursula Beckmann © Vincentz Network GmbH & Co. KG Hannover 2015 • ISBN: 978-3-86630-121-0

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fügbare soziale Unterstützungssysteme gar nicht voll ausnützen; sie verzichten vielmehr leichtfertig auf diese wertvolle Hilfe, weil ihnen nicht klar ist, welche Bedeutung ihr zukommt, welche Funktionen sie hat und wie man sie einsetzen kann“66. Die verschiedenen Funktionen der sozialen Unterstützungssysteme werden von Pines/Aronson/Kafry in sechs Grundkategorien eingeteilt:

2. Sachliche Anerkennung Anerkennung in einer bestimmten Sache können nur diejenigen geben, die sich auf dem jeweiligen Gebiet wirklich gut auskennen. Wenn es um berufliche Themen geht, dann sind zum Beispiel die eigene Mutter, der Ehepartner oder der Freund nicht geeignet, es sei denn sie sind ebenfalls „vom Fach“. Wenn das nicht der Fall ist, ist anzunehmen, dass die sachliche Anerkennung eher als eine Art Tröstungsversuch beim Adressaten ankommen wird und damit natürlich nichts „wert“ ist im Sinne der Erfüllung dieser einen Funktion. „Sachliche Anerkennung ist besonders wirkungsvoll und förderlich, wenn sie von kenntnisreichen Vorgesetzten kommt“67, das gilt aber in der täglichen Praxis natürlich auch, wenn sie von einem qualifizierten Kollegen kommt. 3. Sachliche Herausforderung Eine neue sachliche Herausforderung wird immer dann notwendig, wenn man seine Arbeitsaufgaben routiniert erledigt, glaubt, alles zu kennen und zu wissen und das Gefühl hat, auf der Stelle zu treten. Dann wird es Zeit für neue Herausforderungen, die man am besten durch „gute“ Arbeitskollegen erhalten kann, die ebenso viel oder noch mehr über das gemeinsame Tätigkeitsfeld wissen. Herausforderungen können dann zum Beispiel in einer Fort- oder Weiterbildung bestehen oder möglicherweise auch in der Bewerbung um ein neues Tätigkeitsfeld. 4. Emotionale Unterstützung Emotionale Unterstützung kann jeder geben, der bereit ist, dem anderen ohne Bedingungen zur Seite zu stehen, der auch mal die schlechte Laune des Kollegen, Partners oder Freundes erträgt. Dabei ist es noch nicht einmal erforderlich, dass 66 Pines/Aronson/Kafry, S. 145 67 Pines/Aronson/Kafry, S. 147

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7 Die eigenen Ressourcen erkennen

1. Zuhören Jeder Mensch braucht hin und wieder andere Menschen, denen er sowohl banale Erlebnisse aus dem Alltag als auch Erfolge, Enttäuschungen, Kummer, Ärger oder Freude mitteilen kann, bei denen er sich im wahrsten Sinne des Wortes „aussprechen“ kann. Von einem guten Zuhörer erwartet man Sympathie und Verständnis; er sollte einfach nur zuhören, ohne sofort gute Ratschläge zu geben.

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der Unterstützer inhaltlich einer Meinung mit dem Hilfe oder Rat Suchenden sein muss. Für emotionale Unterstützung sind keine Fachkenntnisse erforderlich; sie kann also gut von einem Menschen aus dem Familien- oder Freundeskreis gegeben werden. In der Regel reicht ein Mensch, der diese Funktion übernimmt, bereits aus. 5. Emotionale Herausforderung Es gibt Situationen, in denen man sich etwas vormacht oder sich völlig in eine Sache verrannt hat. Dann braucht man jemanden, der diese Beobachtung offen anspricht, ohne Scheu davor, dass der Angesprochene sehr emotional reagieren und eventuell sofort in eine Abwehrhaltung gehen könnte. Kritik annehmen zu können, verlangt vor allen Dingen Vertrauen zum Unterstützer. Man muss sich in der Beziehung angenommen fühlen als Person, um sich auch einmal infrage stellen lassen zu können. 6. Geteilte soziale Realität Eine wichtige Funktion der sozialen Unterstützungssysteme ist die sogenannte „geteilte soziale Realität“. Sie bedeutet, Menschen um sich herum zu haben, die ähnliche Ansichten und Wertvorstellungen haben wie man selbst. Diese Funktion können auch Fremde erfüllen, zum Beispiel ein Referent eines Fachvortrags, der die eigenen Erfahrungen aus der Praxis bestätigt. Umgekehrt kann es aber auch vorkommen, dass man während einer Fortbildung einen Vortrag hört, der keinerlei Bezug zur Praxis hat und den man kaum versteht, alle anderen jedoch interessiert und ernsthaft zuhören. Dann zweifelt man vielleicht am eigenen Verstand. Wenn man dann in dieser Situation von einem anderen Zuhörer – vielleicht durch dessen Mimik – signalisiert bekommt, dass dieser den Vortrag offensichtlich ebenfalls für völligen Unsinn hält, dann fühlt man sich sofort wohler. Fazit: Es ist klar, dass eine Person überfordert wäre, wenn sie als einzige Bezugsperson sämtliche Aufgaben übernehmen müsste. Ein einzelner Mensch, der sämtliche Aufgaben erfüllen wollte, würde sich damit zu viel zumuten Die Eltern, der Ehepartner oder Freunde sind sicherlich in vielen Situationen sehr wichtige und hilfreiche Menschen. Im beruflichen Alltag ist besonders die Unterstützung von kompetenten „guten“ Kollegen wichtig.

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Fragen zur sozialen Unterstützung68

Praxis-Box

1. Wem können Sie jederzeit von Ihren kleinen und großen Sorgen und Problemen berichten? Wem können Sie vertrauen? Wer hält sich dabei mit eigenen Ratschlägen zurück? 2. Wer kann Ihre fachlichen Qualitäten beurteilen und gibt Ihnen Rückmeldungen? Wem können Sie in beruflichen Angelegenheiten vertrauen?

4. Wer ist für Sie da, wenn es Ihnen wirklich schlecht geht? Wer nimmt auch Mühen auf sich, um Ihnen bei Schwierigkeiten zu helfen? 5. Von wem lassen Sie sich auch einmal unangenehme Dinge sagen? Wer „darf“ Sie kritisieren? Von wem nehmen Sie Kritik an? 6. Wer „schwimmt“ mit Ihnen auf derselben „Wellenlänge“? Mit wem teilen Sie dieselben Werte und Ansichten?

7.3  Konzept der Selbstwirksamkeit – oder wie überzeugt ich von meinen eigenen Einflussmöglichkeiten bin Auf der Basis der sozialen Lerntheorie (vgl. Kapitel 4.4) entwickelte Bandura sein Konzept der „Selbstwirksamkeit“. Menschen sind eben keine „hilflosen Spielzeuge“69 ihrer genetischen Anlagen, inneren Triebe, ihrer Sozialisation oder der Umweltbedingungen. Selbstwirksamkeit bezeichnet die subjektive Überzeugung, in einer bestimmten Situation durch eigenes Handeln angemessene Ergebnisse kompetent erzielen zu können. Ein Mensch mit einer hohen Selbstwirksamkeitserwartung (= SWE) ist fest davon überzeugt, dass er gezielt Einfluss auf die Dinge nehmen kann. Ein anderer mit einer niedrigen SWE sieht die Ursache für den Ablauf und das Ergebnis von Geschehnissen eher in äußeren Umständen wie zum Beispiel Glück, Schicksal, Zufall oder dem Handeln anderer. 68 Fengler, S. 221. 69 Gerrig/Zimbardo, S. 528 ff.

7 Die eigenen Ressourcen erkennen

3. Von welchen Kollegen erhalten Sie neue Ideen und Anregungen? Wer bringt Sie fachlich weiter?

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Fallbeispiel Petra

Praxis-Box

Petra wohnt mit ihrem Mann und zwei kleinen Kindern in einem Vorort. Aus einem Zeitungsartikel erfährt sie, dass der Spielplatz um die Ecke demnächst Sparmaßnahmen der Stadt zum Opfer fallen soll. Sie ist empört und berichtet auch im Kollegenkreis davon: „So ein schöner kleiner Spielplatz zwischen den Häusern mit einem Zaun, so dass man die Kleinen wirklich immer gut im Blick hat. Die Stadt hat Zahlen ermittelt, wonach die Anzahl der Kinder im Vorschulalter in unserem Stadtteil stark zurückgegangen ist. Immer diese Zahlen! Wer denkt eigentlich mal an die Kinder und die Eltern? In unserer Nachbarschaft gibt es drei Tagesmüttergruppen, die den Spielplatz auch immer nutzen. Das lassen wir uns nicht gefallen!“ Ihr Kollege Tobias meint: „Ach, das bringt ja doch nichts. Die da oben machen ja sowieso, was sie wollen!“ Petra gibt sich damit nicht zufrieden und organisiert mit Hilfe der Lokalzeitung ein Treffen für Interessierte, die sich für den Erhalt des kleinen Spielplatzes einsetzen wollen: 25 Personen kommen! Mit Unterschriftslisten, die Petra in den Geschäften, in der Apotheke und im Kindergarten ausgelegt hatte, mit Briefen der Unterstützer an die Stadtratsmitglieder, die Verwaltung und die Presse hatten sie schließlich Erfolg: Der Spielplatz blieb erhalten.

„Untersuchungen zeigen, dass Menschen mit einem starken Glauben an die eigene Kompetenz größere Ausdauer bei der Bewältigung von Aufgaben, eine niedrigere Anfälligkeit für Angststörungen und Depressionen und mehr Erfolge in Ausbildung und Berufsleben aufweisen.“70 Menschen mit einer geringen SWE vermeiden schwierige Situationen oder geben bei Problemen schneller auf. Zur Entstehung von Selbstwirksamkeit gibt es viele wissenschaftliche Untersuchungen. Sicher erwiesen ist, dass eigene Erfolgserlebnisse, erfolgreiche Vorbilder und positives Feedback aus dem persönlichen Umfeld die Selbstwirksamkeitserwartung erhöhen.

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70 http://de.wikipedia.org/Selbstwirksamkeitserwartung Stand: 25.11.2014.

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Praxis-Box

Skala71 zur Erfassung der Selbstwirksamkeitserwartung (SWE)

nn Wenn sich Widerstände auftun, finde ich Mittel und Wege, mich durchzusetzen. nn Die Lösung schwieriger Probleme gelingt mir immer, wenn ich mich darum bemühe. nn Es bereitet mir keine Schwierigkeiten, meine Absichten und Ziele zu verwirklichen. nn In unerwarteten Situationen weiß ich immer, wie ich mich verhalten soll. nn Auch bei überraschenden Ereignissen glaube ich, dass ich gut mit ihnen zurechtkommen kann. nn Schwierigkeiten sehe ich gelassen entgegen, weil ich meinen Fähigkeiten vertrauen kann. nn Was immer auch passiert, ich werde schon klarkommen. nn Für jedes Problem kann ich eine Lösung finden. nn Wenn eine neue Sache auf mich zukommt, weiß ich, wie ich damit umgehen kann. nn Wenn ein Problem auftaucht, kann ich es aus eigener Kraft meistern.

7.4  Resilienz – oder was ich von Haus aus schon mitbringe Der Fachbegriff „Resilienz“ stammt ursprünglich aus den Ingenieurwissenschaften, genauer gesagt aus der Werkstoffkunde, und war bis vor wenigen Jahren im allgemeinen Sprachgebrauch eher unbekannt. Resilienz gibt an, in welchem Ausmaß ein Stoff nach Verformungen, die zum Beispiel durch hohen Druck oder veränderte Temperaturen entstanden sind, wieder in seine ursprüngliche Form zurückkehren kann. Im psychologischen und pädagogischen Bereich ist der Begriff seit einigen Jahren auch bei uns recht populär geworden. Hier bedeutet „resilient sein“ eine gewisse Widerstandsfähigkeit und -kraft72 zu haben. Menschen, die über ein hohes Ausmaß an Resilienz verfügen, werden oft mit „Stehaufmännchen“ verglichen. Das bedeutet aber nicht unbedingt, nach einer Krise unverändert zur Tagesordnung 71 Schmitt/Allstötter-Gleich, S. 64. 72 Duden 1, 24. Aufl. 2006, S. 849.

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7 Die eigenen Ressourcen erkennen

Klassifizieren Sie die folgenden Aussagen für sich auf einer Skala von 0 bis 3 0 = Stimmt nicht. 1 = Stimmt selten. 2 = Stimmt manchmal. 3 = Stimmt genau.

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zurückzukehren, so als sei nichts geschehen, wie es der Postkartenspruch empfiehlt: „Hinfallen. Aufstehen. Krönchen richten. Weitermachen.“ „Wir Menschen verfügen (…) über eine weitaus höhere Fähigkeit. Wenn uns Belastungen, Lebenskrisen oder gar Schicksalsschläge zu Boden drücken (…), können wir durch Verarbeitung dieses leidvollen Geschehens nicht nur in eine alte, ‚gesunde‘ Form unserer selbst zurückkehren, sondern uns eine weitaus höhere Lebensqualität erschließen.“73 Es ist zudem fraglich, ob es erstrebenswert oder gesund ist, nach Krisen oder traumatischen Erlebnissen möglichst schnell wieder „ganz der Alte“ zu werden, oder ob man nicht auch einer schweren Krankheit oder anderen Schicksalsschlägen etwas Positives abgewinnen kann. Das Positive kann darin bestehen, dass man den Blickwinkel auf manche Dinge des Lebens verändert oder motiviert genug ist, schädliche Gewohnheiten abzulegen (vgl. Kapitel 8.2). 74

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Resilienzforschung

Theorie-Box

Die wissenschaftliche Untersuchung von „Resilienz“ (von lat. „resilere“= zurückspringen, abprallen) begann in den 1950er Jahren in den USA,74. In einer Gruppe von 700 Kindern, die über 40 Jahre lang im Hinblick auf bestimmte Verhaltensweisen, schulische Leistungen und Zufriedenheit beobachtet und getestet wurde, waren 200 Kinder mit einem erhöhten Entwicklungsrisiko (= geringes Geburtsgewicht, angeborene Krankheiten oder Behinderungen, unvollständige Familien, Vater oder Mutter kriminell oder drogenabhängig). Zwei Drittel der Kinder entwickelten sich erwartungsgemäß verhaltensauffällig: Viele brachen die Schule ab, die Jungen wurden häufig kriminell, die Mädchen zum Beispiel früh schwanger. Erfreulicherweise wuchs aber auch ein Drittel dieser Kinder zu glücklichen, erfolgreichen und optimistischen Erwachsenen heran. Welches waren die Gründe dafür? Die „sieben echten Resilienzfaktoren“ sind:75 1. Emotionssteuerung = Wahrnehmung und Lenkung der eigenen Emotionen anstatt Unterdrückung. 2. Impulskontrolle = Disziplin, überlegt handeln zu können, sich nicht ablenken lassen, Ziele zu Ende bringen können.

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73 Wellensiek/Galuska, S. 21/22 74 Mourlane, S. 43. 75 Mourlane, S. 45 ff.

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3. Kausalanalyse = Eine Situation oder einen Zustand gründlich analysieren können, Ursachen zum Beispiel für die eigene Unzufriedenheit identifizieren können, um richtige Entscheidungen treffen zu können. 4. Realistischer Optimismus = Basierend auf den tatsächlichen Umständen. 5. Selbstwirksamkeitsüberzeugung = Überzeugung, die Kontrolle über sich und das eigene Leben zu haben, etwas bewirken zu können. 6. Zielorientierung = Sich Ziele setzen, an sich glauben, dazulernen, Ziele ändern können, sich weiterentwickeln. 7. Empathie = Sich in die Gedanken und Gefühlswelt eines anderen Menschen hineinversetzen können.

7.5 Stressbewältigung – oder was mir immer gut tut Zuviel Stress macht krank! Das weiß inzwischen jedes Kind. Durch Stress wird – unter anderem - das klare Denken verhindert. Unser Gehirn schaltet nämlich in einem Zustand negativer Gefühle wie Frustration, Resignation, Überforderung oder Ärger als erstes das rationale Denken ab. „Blind vor Wut“ sein, diese Redewendung sagt bereits, was der Volksmund schon lange weiß: Der Blick für Entlastungsmöglichkeiten geht in Situationen, in denen Stress und Unzufriedenheit sich häufen, als erstes verloren. Dann geht es uns so wie der Frau, die den ganzen Tag lang ihre Hühner einfängt und, als der Nachbar ihr den Rat gibt, doch einen Zaun zu bauen, antwortet: „Dafür habe ich keine Zeit. Ich muss ja schließlich meine Hühner einfangen!“ Man sollte also zunächst einmal Zeit – zum Beispiel in den Bau eines Zauns, natürlich im übertragenen Sinne – investieren, um danach für wirklich wichtige Dinge und für echte Entlastung noch Reserven zu haben (vgl. Kapitel 8.8).

7 Die eigenen Ressourcen erkennen

Diese sehr komplexen Faktoren zeigen, dass Resilienz offensichtlich s owohl angeboren beziehungsweise in der frühen Kindheit entstanden als auch erlernbar ist. Mehr über Resilienztrainings finden sich im nächsten Kapitel 8 „Was kann ich konkret tun? – Perspektiven entwickeln“.

71 Traumberuf Altenpflege • Ursula Beckmann © Vincentz Network GmbH & Co. KG Hannover 2015 • ISBN: 978-3-86630-121-0

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Stressvorgänge im Körper76

Theorie-Box

Definition = Anpassungsreaktion des Körpers auf innere und äußere Reize, die je nach Auswirkungen auf die Situation negativ oder positiv bewertet werden. Disstress = Reize werden als unangenehm und bedrohlich bewertet: Überforderung. Eustress = Reize werden als motivierend und leistungsfördernd bewertet: Herausforderung. Stressfaktoren = Ereignisse, die vom Organismus verschiedene Anpassungsreaktionen auf physiologischer, emotionaler, kognitiver Ebene erforderlich machen, um gegebenenfalls eine Handlung einleiten zu können. Stressreaktionen im Körper werden durch eine Abfolge von Aktivitäten in Nerven und Drüsen (vor allem durch die Stresshormone Adrenalin, Noradrenalin, TSH und ACTH) in Gang gesetzt, die auf Organe einwirken und deren Funktionen verändern. Zum Beispiel werden der Blutdruck erhöht, die Atmung beschleunigt und gleichzeitig verflacht, der Muskeltonus verstärkt, Verdauungsvorgänge gedrosselt, die Immunabwehr verringert und insgesamt mehr Energie zur Verfügung gestellt. Dieses System stammt noch aus der Urzeit des Menschen und diente der Vorbereitung von Flucht oder Kampf. Evolution des Menschen: Vor ungefähr 400 000 Jahren waren die ersten Menschen (Homo sapiens) als Jäger und Sammler unterwegs. Stress bei ihrer täglichen Arbeit entstand für sie durch die Begegnung mit wilden Tieren oder feindlichen Menschenhorden. Um zu überleben, mussten sie fliehen oder kämpfen können („flight or fight“). Dafür benötigten sie die oben beschriebenen Anpassungsfähigkeiten ihres Körpers. 1500 v.Chr., also vor ca. 3700 Jahren, wurden die Menschen sesshaft und begannen mit Ackerbau und Viehzucht. Aber erst durch die Industrielle Revolution veränderten sich die Lebensumstände der Menschen erheblich. Das Zeitalter der Industrialisierung begann mit der Erfindung der Dampfmaschine im Jahr 1712, also vor ungefähr 300 Jahren. Und das Zeitalter der Digitalisierung begann erst vor wenigen Jahren: 2002 wird als das Jahr angenommen, in dem es erstmals möglich war, mehr Informationen digital als analog zu speichern.77 Der menschliche Organismus stammt also aus einer bewegungsreichen und reizarmen Vorzeit. Wenn man 30 Jahre als Berechnungszeitraum für eine Generation annimmt, dann waren die Menschen über 13.300 Generationen lang Jäger, Sammler, Viehzüchter und Ackerbauern! Demgegenüber hatten die Menschen bis heute erst ungefähr 10 Generationen

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76 Gerrig/Zimbardo, S. 468 ff. 77 http://de.wikipedia.org/wiki/Digitale_Revolution Stand: 25.11.2014.

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Zeit, um sich an die modernen, technischen Lebensbedingungen anzupassen. Für die Evolution ist das sicher nicht genug, um den Körper für ein Leben mit Auto, Fernseher, Computer und Smartphone „umzukonstruieren“. Das erklärt viele gesundheitliche Probleme, die durch Bewegungsmangel und permanente Reizüberflutung im Alltag unserer westlichen Zivilisation entstehen.

Negative und – überraschenderweise – auch positive Lebensereignisse wirken sich als Stressfaktoren schädigend auf unsere Gesundheit aus. Amerikanische Wissenschaftler78 entwickelten eine Skala, mit der man einen Punktewert für die eigene Stressbelastung ermitteln kann. Nach den Untersuchungsergebnissen zeigten 37 % der Testpersonen innerhalb eines Jahres Überlastungssymptome, wenn sie 150 bis 199 Punkte erreicht hatten; bei über 300 Stresspunkten wurden 79 % der Probanden innerhalb von 12 Monaten ernsthaft krank.79

Testen Sie Ihre persönliche Stressbelastung

Praxis-Box

Punkteskala für Stress-Reize: 43 Ereignisse 1. Tod des Partners 2. Scheidung 3. Trennung vom Partner 4. Haftstrafe 5. Tod eines nahen Familienangehörigen 6. Eigene Verletzung oder Krankheit 7. Heirat 8. Verlust des Arbeitsplatzes

78 Gerrig/Zimbardo, S. 474; http://de.wikipedia.org/wiki/Stressor, Stand 19.11.2014. 79 Brigitte Nr.3/92, “Ziehen Sie Ihre persönliche Bilanz”, S. 126.

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Punkte 100 73 65 63 63 53 50 47

7 Die eigenen Ressourcen erkennen

Stresssymptome können als körperliche, psychische, emotionale, seelische, kognitive und geistige Reaktionen auftreten: Zum Beispiel in Form von Muskelverspannungen, Kopf- und Rückenschmerzen, Zähneknirschen, Magen- und Darmbeschwerden, zu hohem Blutdruck, Schlafstörungen, Gereiztheit, Stimmungsschwankungen, Schuldgefühlen, Wutanfällen, Gefühlen von Wertlosigkeit, sozialem Rückzug, Vergesslichkeit, Konzentrationsstörungen, Unentschlossenheit oder verringerter Arbeitsleistung.

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9. Versöhnung mit dem Partner 10. Pensionierung 11. Krankheit in der Familie 12. Schwangerschaft 13. Sexuelle Probleme 14. Geburt eines Kindes 15. Arbeitsplatzwechsel 16. Erhebliche Einkommensveränderung 17. Tod eines nahen Freundes 18. Berufswechsel 19. Änderung der Streithäufigkeit in der Ehe 20. Aufnahme eines Kredits über 8000 € 21. Kündigung eines Kredits 22. Neuer Verantwortungsbereich im Beruf 23. Kinder verlassen das Elternhaus 24. Ärger mit der angeheirateten Verwandtschaft 25. Großer persönlicher Erfolg 26. Anfang oder Ende der Berufstätigkeit der Frau 27. Schulbeginn oder -abschluss 28. Änderung des Lebensstandards 29. Änderung persönlicher Angewohnheiten 30. Ärger mit dem Vorgesetzten 31. Änderung der Arbeitszeit und -bedingungen 32. Wohnungswechsel 33. Schulwechsel 34. Änderung der Freizeitgewohnheiten 35. Änderung der kirchlichen Gewohnheiten 36. Änderung der gesellschaftlichen Gewohnheiten 37. Aufnahme eines Kredits unter 8000 € 38. Änderung der Schlafgewohnheiten 39. Änderung der Häufigkeit familiärer Kontakte 40. Änderung der Essgewohnheiten 41. Urlaub 42. Weihnachten 43. Geringfügige Gesetzesübertretungen

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45 45 44 40 39 39 39 38 37 36 35 31 30 29 29 29 28 26 26 25 24 23 20 20 20 19 19 18 17 16 15 15 13 12 11

Ob die negativen Folgen von Stress tatsächlich eintreten, hängt von den eigenen Bewältigungsmethoden ab. Jeder Mensch entwickelt im Laufe seines Lebens gewisse Stressbewältigungsstrategien, die für ihn persönlich wirksam sind. Dabei sind die Vorlieben sehr unterschiedlich: Von lauter Musik hören, in die Bade-

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7 Die eigenen Ressourcen erkennen

wanne legen, auspowern beim Joggen, putzen (gar nicht so selten!), mit dem Kind spielen, shoppen, naschen, eine Runde Fahrrad fahren bis hin zur Beruhigungszigarette ist alles dabei. Die wenigsten Menschen unterscheiden dabei zwischen gesunden und ungesunden, zwischen kurzfristigen oder langfristigen Methoden. Dazu mehr im nächsten Kapitel.

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8 Perspektiven entwickeln: „Was kann ich jetzt konkret ändern?“ Am Anfang dieses Buches standen viele Fragen. Die eine oder andere ist inzwischen hoffentlich beantwortet. Vielleicht hat so manche Erkenntnis bereits zu einem „Aha-Erlebnis“ in Bezug auf die eigene Persönlichkeit („Wer bin ich? Warum bin ich so und nicht anders?“) geführt. Wenn nicht, so gibt es jetzt weitere konkrete und praktische Tests und Aufgaben, um weitere Antworten zu finden beziehungsweise die schon gefundenen Antworten zu vertiefen. Der „Stein des Weisen“ lässt sich hier zwar auch nicht finden, aus dem einfachen Grund, weil es ihn ebenso wenig gibt wie die gute Fee, die alle Wünsche erfüllt und alle Fragen beantwortet. Stattdessen bietet dieses Kapitel einen ganzen „Bauchladen“ voller „weiser“ Steine an. Ziel ist es, den eigenen „Königsweg“ mit den persönlich geeigneten Steinen zu bauen. Der Mensch ist nun einmal ein einzigartiges Individuum – warum und wieso haben die vorangegangenen Kapitel dieses Buches zu erklären versucht – und er kann deshalb auch immer nur seinen persönlichen Weg zu seinem persönlichen Ziel gehen.

8.1  Was man unter „Entwicklung“ versteht „Entwicklung“ bedeutet zugleich auch: Entfaltung, Ausbau, Heranbildung und Entstehung. Durch innere Motivation und den eigenen Willen oder durch äußere Bedingungen wie Elternhaus und Umfeld kann Entwicklung beeinflusst werden. Im Gegensatz dazu steht die „Reife“, die ohne eigenes Zutun zu einer höheren Stufe des Daseins führt: Ein Apfel ist dann reif, wenn es seinem natürlichen Reifungsprozess entspricht. Ein Kind lernt erst laufen, wenn bestimmte neurologische Prozesse abgeschlossen sind. Oder wie ein afrikanisches Sprichwort sagt: „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.“ Bis vor einigen Jahren herrschte in der Persönlichkeitspsychologie die Auffassung, dass mit spätestens 30 Jahren die Entwicklung der Persönlichkeit abgeschlossen sei und, dass sich danach der Charakter eines Menschen nicht mehr verändern kann. Neuere Studien haben aber gezeigt, dass diese Ansicht überholt ist und sich die Persönlichkeit während des gesamten Lebens verändern kann.80 Der Mensch befindet sich eigentlich immer in einem persönlichen Entwicklungsprozess. (...) Persönlichkeitesentwicklung ist ein lebenslanger, dynamischer

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80 Staudinger, S. 1.

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8.2  Was man tun kann, um lästige oder schädliche Gewohnheiten zu ändern Der Mensch ist bekanntlich ein Gewohnheitstier. Schätzungsweise 30% bis 50% unseres täglichen Handelns werden durch regelmäßige Abläufe wie selbstverständlich gesteuert.82 Gewohnheiten sind gelernte Verhaltensweisen, die wir regelmäßig ausüben, ohne groß darüber nachzudenken. Diese quasi automatischen Handlungen werden durch komplexe Vorgänge im Gehirn ermöglicht und dienen einer energiesparenden Arbeitsweise des Körpers. Sie sind „sowohl stoffwechselbiologisch als auch neuronal billig“ (Hirnforscher Gerhard Roth). Weil die Steuerung dieser Vorgänge nicht bewusst kontrolliert werden kann, ist es so schwer, sie zu verändern. Selbst wenn die eigene Motivation wirklich groß ist, so ist es häufig doch sehr schwer, die Macht der Gewohnheit zu durchbrechen oder den „inneren Schweinehund“ zu besiegen. Eine gewohnheitsmäßige Handlung läuft unbewusst auf drei Stufen ab: „„ Auslösereiz, „„ Routinehandlung (= Gewohnheit), „„ Belohnung83. Dabei muss eine Belohnung nicht immer eine konkrete Sache oder Handlung sein, sondern kann auch lediglich in einem guten Gefühl bestehen. Man muss den Gesamtzusammenhang (= Kontext) der Gewohnheit wahrnehmen und erkennen. Dann erst lässt sich entscheiden, auf welcher der drei Stufen man am wirkungsvollsten ansetzen kann. Häufig muss man den gesamten Kontext ändern, um zu dauerhaftem Erfolg zu gelangen. Schädliches Verhalten zu verlernen oder ein neues positives Verhalten zu erlernen, ist mühsam und benötigt viel Durchhaltevermögen. „Echte Veränderung erfordert Arbeit“.84 Wissenschaftler fanden heraus, dass zum Beispiel veränderte Essgewohnheiten drei Jahre benötigen, bevor sie stabil sind.85

81 82 83 84 85

Simon, S. 12 Zeug, S. 13. Duhigg, S. 92. Duhigg, S. 110. Zeug, S. 21.

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8 Perspektiven entwickeln: „Was kann ich jetzt konkret ändern?“

Prozess, an dem die innere (körperliche und geistige) Konstitution, die genetische Struktur und die äußere Realität (Umwelt) aktiv beteiligt sind. Je besser die Passung zwischen innerer und äußerer Realität, umso besser gelingt die Persönlichkeitesentwicklung.81

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Fallbeispiel Kollegin Uschi

Praxis-Box

Kollegin Uschi trinkt gern zur Entspannung manchmal ein Glas Wein. Weil sie sich oft ziemlich schlapp fühlt, hat sie beschlossen, ihren Lebensstil zu verändern, sie will sich gesünder ernähren und mehr bewegen. Beim Alkohol will sie anfangen und zukünftig auf den Wein verzichten. „Kein Problem, ich bin ja schließlich nicht süchtig. Mineralwasser ist auch lecker und hat zudem auch keine Kalorien“, denkt sie spontan. Das erweist sich jedoch als Irrtum. Wenn die Kinder im Bett sind, und sie gemütlich vor dem Fernseher sitzt oder Zeitung liest, dann fehlt ein schönes Glas Wein zur Entspannung und zum Genießen mehr, als sie gedacht hatte. Auch bei den Treffen mit Freunden fällt es ihr schwer, auf diese Gewohnheit zu verzichten, zumal die meisten für ihren Verzicht kein Verständnis haben und ihr immer wieder etwas angeboten wird. Nach einigem Nachdenken darüber, warum ihr der Verzicht so schwer fällt, kommt sie darauf, was ihr eigentlich fehlt: Es ist das Gefühl, sich eine Belohnung nach der Arbeit verdient zu haben und sich diese auch zu gönnen. Seitdem sie das weiß, kauft sie sich bewusst teure und ausgefallene Säfte und ist damit jetzt (fast) genauso zufrieden wie vorher mit ihrem Glas Wein. Und wenn sie mit ihrem Mann ausgeht, dann bestellt sie sich in ihrer Lieblingsbar einen leckeren alkoholfreien Cocktail!

Wenn man sich erst einmal bewusst gemacht hat, dass Gewohnheiten Verhaltensweisen sind, die über einen längeren Zeitraum erlernt wurden, dann wird auch deutlich, dass man sie nicht durch Einsicht und gute Vorsätze einfach und schnell verändern kann. Deshalb scheitern auch meistens gute Vorsätze für das neue Jahr, die viele Menschen in der Silvesternacht fassen. Klar ist aber auch: Was man einmal erlernt hat, das kann man auch wieder verlernen (vgl. Kapitel 4.4). Das gilt übrigens sowohl für das Ablegen von lästigen oder schädlichen Gewohnheiten, als auch für das angestrebte Erlernen von neuem Verhalten. Wer Rückenprobleme hat – und wer hat die nicht? – weiß, was er eigentlich tun müsste: Regelmäßige Bewegung, spezielle Übungen zu Hause auf dem Teppich, jeden Tag nur eine Viertelstunde, und Vermeidung von Stress! Und wer hält das durch? Nur wenige! Gewohnheiten „fahren“ wie auf einer breiten Autobahn durch unser Gehirn, wohingegen neues Verhalten sich mühsam mit der Machete einen schmalen Pfad durch den Dschungel schlagen muss. Und wenn man diesen Pfad nicht regelmäßig begeht, so wächst er rasch wieder zu!

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Praxis-Box

Was kann man zum Beispiel praktisch tun gegen „Dickmacher“ am Arbeitsplatz? Die Beantwortung folgender Fragen kann helfen: Schritt 1: Welcher Auslösereiz lässt mich zu Schokolade (Bonbons, Chips oder ähnlichem) greifen? Ist es Langeweile, das Bedürfnis nach einer Pause, nach einem Plausch mit Kollegen oder einfach nur Hunger? Oder liegt es daran, dass im Dienstzimmer immer etwas „Schnuckeliges“ herumliegt? Schritt 2: Wodurch lässt sich diese Angewohnheit ersetzen? Dafür sollte man ruhig mit neuem Verhalten experimentieren: Bei Langeweile könnte man fünf Minuten mit Kollegen bei einer Tasse Kaffee plaudern und die Kekse vorher aus dem Blickfeld verschwinden lassen. Oder man könnte einen kurzen interessanten Artikel in einer Zeitschrift lesen. Als Pause könnte man einen kleinen Gang vor die Tür machen oder sich ans offene Fenster stellen, bewusst das Wetter wahrnehmen und einige tiefe Atemzüge machen. Und bei Hunger könnte man auch einen Apfel, ein paar Nüsse oder einen Joghurt essen. Schritt 3: Fühlt man sich danach zufrieden? Hat die „Ersatz“-Belohnung gewirkt? Ist das Bedürfnis gestillt? Wenn nein: Weiter experimentieren und durchhalten! Und immer daran denken: Zu Anfang besteht die Belohnung manchmal nur in dem guten Gefühl, wenigstens für dieses eine Mal den inneren Schweinehund besiegt zu haben. Und das ist doch auch schon ein Erfolg!

8.3  Was man tun kann, um sich selbst in einem schwierigen beruflichen Umfeld zu motivieren Bei fast allen bisher angesprochenen Themen schwingt immer die Frage nach der Motivation mit. Ein Mensch braucht einen Grund, um aktiv zu werden und sich in Bewegung zu setzen. Das kann ein Bedürfnis sein wie zum Beispiel „Hunger“ oder auch ein Gefühl wie „Unzufriedenheit“. Die Beweggründe (lat. movere = sich bewegen), die einen Menschen zu Handlungen antreiben, sind vielfältig. Es gibt umfangreiche Studien dazu. Die sogenannte „intrinsische“ Motivation kommt von innen, die „extrinsische“ Motivation bezeichnet die Anreize, die von außen herangetragen werden. Den Unterschied kennt jeder aus seiner Schulzeit: Es gab Fächer, in denen man gute Noten hatte, weil einen das Wissensgebiet interessiert und Spaß gemacht hat. Dann gab es Fächer, in denen man gute Noten

8 Perspektiven entwickeln: „Was kann ich jetzt konkret ändern?“

Gewohnheiten ändern in drei Schritten

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Traumberuf Altenpflege • Ursula Beckmann © Vincentz Network GmbH & Co. KG Hannover 2015 • ISBN: 978-3-86630-121-0

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hatte, weil man der netten Lehrerin gefallen wollte oder die Eltern eine hohe Belohnung versprochen hatten. 86

Das Zwei-Faktoren-Modell der Motivation

Theorie-Box

Durch breit angelegte Studien in der Arbeitswelt entwickelte Herzberg auf der Basis umfangreicher Befragungen von Arbeitnehmern seine „Motivator-HygieneTheorie“85. Er hat herausgefunden, dass es verschiedene Umstände gibt, die zur Zufriedenheit oder Unzufriedenheit mit der Arbeit führen: die „Hygienefaktoren“ und die „Motivatoren“. Die wichtigsten Hygienefaktoren – man könnte sie besser „Rahmenbedingungen“ nennen – sind ein angemessenes Gehalt, vorschriftsgemäße Arbeitsbedingungen und das Arbeitsklima. Sind diese Faktoren in einem befriedigenden Ausmaß vorhanden, werden sie zwar nicht immer bemerkt, weil sie für selbstverständlich gehalten werden; sie führen nicht automatisch zur Zufriedenheit. Fehlen sie allerdings, führt das immer zu großer Unzufriedenheit. Die Motivatoren hängen laut Herzberg mit dem eigentlichen Inhalt der Arbeit zusammen: persönliche und fachliche Anerkennung, Wertschätzung, Sinnhaftigkeit der Arbeit, Verantwortung, Aufstiegsmöglichkeiten und Leistung. Diese Faktoren führen zu einer höheren Zufriedenheit bei den Mitarbeitern, wobei die Rangfolge jeweils individuell verschieden ist. Durch die Kombination von Rahmenbedingungen und Motivationsfaktoren sind vier mögliche Situationen vorstellbar: 1.  Gute Rahmenbedingungen + viele Motivationsfaktoren = Idealzustand. 2.  Schlechte Rahmenbedingungen + wenige Motivationsfaktoren = schlechteste Situation. 3. Gute  Rahmenbedingungen + wenige Motivationsfaktoren = Mitarbeiter äußern zwar kaum Beschwerden, sind aber auch wenig engagiert.  Rahmenbedingungen + viele Motivationsfaktoren = Mitarbeiter sind 4. Schlechte zwar engagiert, äußern aber viele Klagen wegen der schlechten Rahmenbedingungen. Vielleicht kommt dem einen oder anderen die letzte Situation irgendwie bekannt vor!

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86 http://de.wikipedia.org/wiki/Zwei-Faktoren-Theorie_(Herzberg) Stand 29.11.2014.

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Auf die Rahmenbedingungen im oben genannten Sinn haben die Einrichtungsund Pflegedienstleitungen in der Regel nur wenig Einfluss. Erst wenn man sich in einer entsprechenden Position befindet, kann man bestimmte Bedingungen ändern. Hier sind in der Regel die „höheren Etagen“ oder auch die Verbandsvertreter und der Gesetzgeber gefordert. Man benötigt also Strategien, mit denen man sich selbst motivieren kann, auch dann wenn die Rahmenbedingungen nicht optimal sind und zu wünschen übrig lassen. Dazu benötigt man realistische Ziele, die man sich selbst setzen kann.

Zehn Ziele

Praxis-Box

Schreiben Sie auf einen Zettel zehn Ziele, die Sie in den letzten drei Monaten erreicht haben! Falls Ihnen das leicht gefallen ist: „Herzlichen Glückwunsch!“, denn dann sind Sie bereits ein guter „Selbstmotivator“. Falls Ihnen das schwer gefallen ist, Sie lange gegrübelt haben und Ihnen dann doch weniger als zehn eingefallen sind, geht es Ihnen wie den meisten anderen Personen auch, die diese Übung durchgeführt haben.

Zehn Ziele zu nennen, fällt uns deswegen so schwer, weil wir entweder etwas, das wir erreicht haben, gar nicht als bemerkenswertes Ziel erkennen, oder weil wir unsere Ziele viel zu hoch ansetzen. Zum Beispiel haben Sie sich vielleicht zu Beginn Ihrer Pflegeausbildung das Ziel gesetzt: „Ich will in drei Jahren mein Examen bestehen.“ Ein solches Ziel ist viel zu weit weg und zu wenig konkret, um für das tägliche Handeln motivierend zu sein. Stattdessen hätten Sie sich besser vornehmen können: 1. Bücher besorgen 2. Arbeitsplatz zu Hause einrichten 3. Arbeitsmaterialien kaufen 4. Aktenordner beschriften 5. Anatomie lernen 6. Fahrgemeinschaft gründen 7. Berufskunde lernen und so weiter. Eine Methode, sich effektiv Ziele zu setzen, ist das SMART-Prinzip.

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8 Perspektiven entwickeln: „Was kann ich jetzt konkret ändern?“

Eine der bekanntesten Theorien zur Arbeitsmotivation beziehungsweise zur Frage, wie man Zufriedenheit im Beruf gewinnen kann, stammt von Frederick Herzberg.

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Ziele setzen mit dem SMART-Prinzip

Praxis-Box

Specific = spezifisch Measurable = messbar Achieveable = erreichbar = realistisch Realistic Timed = terminiert

Damit ein Ziel auch tatsächlich motivierend wirkt, muss es die oben genannten fünf Bedingungen erfüllen: Das Ziel muss 1. „Specific“, also spezifisch, sein, das heißt es muss ganz genau definierbar sein (zum Beispiel: „Ich möchte wieder meine alte Kleidergröße erreichen.“). Dann muss es 2. „Measurable“, also messbar sein („Dafür müsste ich sechs Kilo abnehmen.“). Außerdem muss das Ziel 3. „Achieveable“, also erreichbar sein (davon ist in unserem Beispiel bei der geringen Kilozahl auszugehen). Grundsätzlich muss es für den Einzelnen auch 4. „Realistic“, also realistisch sein („Bei meiner Willensstärke schaffe ich das.“), und das Ziel muss 5. „Timed“, also terminiert sein („innerhalb eines Jahres.“).

Mein SMARTes Ziel

Praxis-Box

Formulieren Sie auf einem Zettel ein SMARTes Ziel und heften Sie sich dieses an die Pinnwand, oder stecken Sie den Zettel in Ihr Portemonnaie.

Für jeden Personalverantwortlichen ist die Motivation der Mitarbeiter eine zentrale Frage. Mit welchen Motivationsfaktoren sich der einzelne Mitarbeiter gut ansprechen lässt, muss am besten in einem Mitarbeitergespräch jeweils individuell besprochen und geklärt werden. Manche Unternehmen setzen mittlerweile zusätzlich auf Methoden, mit denen sich die Mitarbeiter gegenseitig beurteilen und motivieren können, zum Beispiel mit Hilfe von einfachen Fragebögen oder dem sogenannten „360-Grad-Feedback“ (= Fragebögen, die vom Vorgesetzten, von den Kollegen und vom jeweiligen Mitarbeiter selbst beantwortet werden sollen). Es gibt auch bereits Smartphone-Apps, mit denen sich die Kollegen schnell und einfach durch Anklicken von entsprechenden „Buttons“ ein kurzes Feedback zur Motivation geben können („Kollegen, Ihr seid super!“, Überschrift in der SZ vom 22./23.11.2014).

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8.4  Was man tun kann, um die persönliche Richtung zu finden Es kommt vor, dass man unzufrieden ist mit einer bestimmten Eigenschaft seiner Persönlichkeit oder einer Verhaltensweise, man aber nicht genau weiß, welchen Weg man einschlagen soll, in welche Richtung man sich eigentlich entwickeln will. In solchen Situationen ist das „Werteentwicklungsquadrat“88 von Schulz von Thun ein hilfreiches Instrument. „Werte“ meint hier bestimmte Verhaltensweisen, die auf Grund von Überzeugungen entstanden sind und die die eigenen Handlungen beeinflussen. Man kann das Werteentwicklungsquadrat benutzen, um damit die Richtung seiner persönlich angestrebten Entwicklung zu ermitteln.

Werteentwicklungsquadrat

Theorie-Box

Für die Ableitung der persönlichen Werte im oben genannten Sinn werden vier Begriffe oder Beschreibungen der jeweiligen Verhaltensweisen (= Werte) in der Form eines Quadrats angeordnet. An jeder Ecke des Quadrats steht also ein Wert: Großzügigkeit

Sparsamkeit

Verschwendungssucht

Geiz

Die beiden positiven Werte stehen sich an den oberen Ecken gegenüber, die beiden dazu entgegengesetzten negativen Begriffe stehen sich an den unteren Ecken gegenüber. Hat zum Beispiel jemand Probleme, mit seinem Geld auszukommen, kauft ständig überflüssige Dinge und ist immer schon am 20. eines Monats pleite, dann will er seine „Verschwendungssucht“ (= negativer Wert unten) bekämpfen und beschließt: „Ab morgen wird alles anders, da kaufe ich nichts Überflüssiges mehr. Ich werde so richtig geizig.“ (Geiz = negativer „Gegenwert“ ebenfalls unten). Dieser „Jemand“ würde dann von einem negativen Extrem ins andere negative Extrem wechseln. Das wäre eine Art der „Überkompensation“, die nicht erstrebenswert ist und wahrscheinlich auch nicht klappen würde.

87 Spenner-Schlupeck, Pflegezeitschrift 1/2001, S. 37.. 88 Schulz von Thun, 2, S. 38 ff.

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8 Perspektiven entwickeln: „Was kann ich jetzt konkret ändern?“

Auch heute noch verdient nachfolgendes Zitat aus der „Pflegezeitschrift“ von 1/2001 uneingeschränkte Zustimmung: „Bevor Motivation überhaupt möglich ist, müssen die Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass sie gleichzeitig den Zielen der Einrichtung und den Bedürfnissen der Mitarbeiter dienen.“87

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Sinnvoller ist es, eine positive Richtung der gewünschten Entwicklung zu bestimmen. Dem „Geiz“ steht dann der positive Wert „Sparsamkeit“ (oben) und der „Verschwendungssucht“ als positiver Wert die „Großzügigkeit“ gegenüber (ebenfalls oben). Unser „Jemand“ könnte also versuchen, sich von seiner Verschwendungssucht in die Richtung der „Sparsamkeit“ zu bewegen und gleichzeitig versuchen, eine gewisse „Großzügigkeit“ beizubehalten. Dann hat er höchstwahrscheinlich mehr Erfolg als bei einem extremen Richtungswechsel im Sinne einer Überkompensation.

„Beim Werte[entwicklungs]quadrat ist die Vorstellung eines optimalen Fixpunktes aufgegeben und durch die Vorstellung einer dynamischen Balance ersetzt, was (…) besonders für psychische Phänomene fruchtbringender scheint.“89 Das bedeutet, es wäre ideal, wenn dem Einzelnen grundsätzlich beide Verhaltensmöglichkeiten – in unserem Beispiel also sowohl die Sparsamkeit als auch eine gewisse Großzügigkeit, je nachdem was angemessen erscheint – zur Verfügung stünden und er sich der Situation entsprechend flexibel verhalten könnte.

Fallbeispiel Markus – Suse

Praxis-Box

Pfleger Markus ist ein gutmütiger, bescheidener und hilfsbereiter Mensch. Er neigt dazu, die Bewohner von vorne bis hinten zu „betütern“. Manchmal ärgert er sich deshalb über sich selbst, und leider gerät er deswegen oft mit seiner Kollegin Suse aneinander. Suse ist der Meinung, dass er die alten Leute durch sein Verhalten entmündigt und wie kleine Kinder behandelt: „Du musst sie auch mal fordern, die werden richtig unselbständig und bequem. Merkst du denn gar nicht, dass du von vielen nur ausgenutzt wirst?“ Auch die Wohnbereichsleitung steht seinem Verhalten kritisch gegenüber und vertritt eher die Meinung von Suse. Markus weiß nicht, wie er’s richtig machen soll: „Ich kann die Bewohner doch nicht vernachlässigen und ihnen die gewünschte Hilfe verweigern. So hartherzig kann ich nicht sein.“ Er sieht für sich also nur die Möglichkeit von einem Extrem ins andere zu verfallen*: „Betütern“ contra „hartherzige Vernachlässigung“.

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89 Schulz von Thun, 2, S. 45.

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Angemessene Betreuung, Hilfe

Aktivierung zur Selbständigkeit

Betütern, ständiges Verwöhnen

Hartherzige Vernachlässigung

*= Überkompensation

Fallbeispiel Carpe Diem

Praxis-Box

Im Team des ambulanten Dienstes „Carpe Diem“ herrscht ein rauer Umgangston. Er wird hauptsächlich von den Kollegen Annegret und Bernhard verursacht: „Wieso, das wird man doch mal ehrlich so sagen dürfen? Wir können doch hier wohl offen sprechen! Man kann doch nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Seid doch nicht immer so empfindlich!“ Einige Kollegen haben sich in den Teambesprechungen bereits völlig zurückgezogen und sagen kaum noch etwas, weil sie befürchten, schonungslos niedergemacht zu werden. Die übrigen Kollegen fordern einen höflicheren Umgangston ein – leider bisher vergeblich. Hier stehen sich also die folgenden negativen und positiven Werte gegenüber:

Offenheit, Ehrlichkeit, Echtheit in den Teambesprechungen

Höflichkeit, Takt, Rücksicht, diplomatisches Geschick

Verletzender, schonungsloser, naiv spontaner Umgangston

Konflikte völlig vermeiden, hinter‘m Rücken Einzelner reden

8 Perspektiven entwickeln: „Was kann ich jetzt konkret ändern?“

Was wären jetzt die positiven Gegenwerte? Dem ständigen Verwöhnen könnte man die „angemessene Betreuung“ entgegenstellen; und der Vernachlässigung eine „Aktivierung zur Selbständigkeit“:

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Praxis-Box

Konstruktion eines persönlichen Werteentwicklungsquadrats

Wenn Sie Ihr persönliches Werteentwicklungsquadrat konstruieren wollen, gehen Sie am besten wie folgt vor: Identifizieren/Benennen Sie zunächst die Eigenschaft oder Verhaltensweise, mit der Sie unzufrieden sind, die Sie ändern möchten und setzen Sie diese auf die untere Seite des Quadrats (= negativer Wert unten). Identifizieren/Benennen Sie dann den negativen Gegenwert und setzen diesen ebenfalls auf die untere Seite des Quadrats in die andere Ecke. Suchen Sie jetzt nach den positiven Werten für die oberen Ecken. Manchmal kann es einem selbst schwerfallen, die passenden Gegenbegriffe zu finden, weil man „den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht“. Daher kann es hilfreich sein, andere Personen zu bitten, passende Gegenbegriffe zu benennen.

8.5  Mit dem „Inneren Team“ arbeiten, um Kommunikationsstörungen und Konflikte zu vermeiden Wenn man sich häufig i n G esprächen n icht v erstanden f ühlt o der Z iele i m Gespräch nicht erreicht; wenn man sich in schwierigen Situationen nur schwer entscheiden kann, dann ist möglicherweise eine eigene, unklare, innere Befindlichkeit die Ursache – entsprechend Goethes geflügelten Worten von den „zwei Seelen, die, ach, in meiner Brust wohnen“. Man wirkt dann im Gespräch nicht authentisch, nicht echt. Dahinter können zum Beispiel Rollenkonflikte oder auch fehlende Kongruenz innerhalb der Berufsrolle stecken (vgl. Kapitel 6.3). Als Gesprächspartner merkt man das in der Regel intuitiv. Man ist irritiert, weil die verbalen und die nonverbalen Kommunikationsanteile – zum Beispiel Gestik oder Mimik – einer Äußerung nicht zusammen passen. Dann weiß man nicht, wie man sich nun seinerseits richtig verhalten soll. Da geht zum Beispiel die Wohnbereichsleitung zum ersten Mal mit der neuen Mitarbeiterin über den Bereich und sagt zu ihr: „Und wenn du Fragen hast, kannst du dich jederzeit an mich wenden.“ Dabei wirkt sie hektisch und nervös. Sicherlich meint sie ihre Worte in dem Moment ehrlich, ist sich aber nicht bewusst, dass sie nonverbal ausdrückt: „Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht, also lass‘ mich bloß zufrieden!“. Höchstwahrscheinlich wird die neue Kollegin sie in Zukunft nicht mit Fragen belästigen wollen oder zumindest dabei ein schlechtes Gefühl haben.

86 Traumberuf Altenpflege • Ursula Beckmann © Vincentz Network GmbH & Co. KG Hannover 2015 • ISBN: 978-3-86630-121-0

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Wenn man in diesem Bild vom Team bleibt, so hat jeder in sich:

„„ einen Hauptdarsteller oder Chef, manchmal auch mehrere,

je nach Situation,

„„ Teammitglieder im Vordergrund, die „Stammspieler“, „„ Teammitglieder im Hintergrund, die „Auswechselspieler“, und „„ Teammitglieder, die aus dem Untergrund heraus wirken und oft stören.

In jedem Inneren Team gibt es Früh- und Spätmelder, also solche, die sich sofort in der jeweiligen Situation melden, und solche, die sich erst nach einigen Stunden, Tagen oder Wochen bemerkbar machen. Es gibt laute und leise Stimmen, also solche, die nicht zu überhören sind, und solche, die man erst hört, wenn man die nötige Ruhe zum Zuhören hat. Es gibt willkommene und unwillkommene Stimmen, also solche, die man gern hört, und solche, denen man lieber nicht zuhören möchte. Alle haben ihre Berechtigung. Es handelt sich bei diesem Inneren Team um eine ganz normale „menschliche und letztlich auch wünschenswerte ‚innere Pluralität‘“ (aus: www.schulz-von-thun.de), die zwar manchmal lästig sein kann, aber keinesfalls mit einer ernsthaften Persönlichkeitsstörung (zum Beispiel Schizophrenie) verwechselt werden darf.

90 Schulz von Thun, 3.

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8 Perspektiven entwickeln: „Was kann ich jetzt konkret ändern?“

Laut Schulz von Thun90 hat jeder nicht nur zwei Seelen in seiner Brust, sondern sogar mehrere: Nach seinem Modell des Inneren Teams setzt sich die Persönlichkeit eines Menschen aus vielen „Teammitgliedern“ zusammen, die in unterschiedlicher Stärke und Häufigkeit eine Rolle spielen. Man kann sich das wie eine Theaterbühne vorstellen, auf der es verschiedene Darsteller gibt: Hauptrollen, Nebenrollen, Mitarbeiter hinter den Kulissen, die nur selten zu sehen sind, und Mitspieler, die in den Keller unter der Bühne verbannt wurden, weil sie eigentlich nicht mitspielen sollen. Gerade letztere stören dann gern aus dem Untergrund heraus! Wenn wir aufmerksam in uns hineinhorchen, können wir die verschiedenen Stimmen hören, die sich in einer bestimmten Situation oder nach einem Ereignis zu Wort melden: Da will – um ein paar einfache Beispiele zu nennen – der Faule in uns morgens noch länger im Bett liegenbleiben, während der Gesundheitsbewusste das schöne Wetter draußen nutzen möchte, um noch vor dem Frühstück zu joggen. Oder der Konfliktscheue in uns ärgert sich, weil er in der Teamsitzung mal wieder den Mund nicht aufgemacht hat, während der Friedliebende ihn zu beschwichtigen versucht.

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Fragebogen Inneres Team

Praxis-Box

Aufgabe: Kennzeichnen Sie Ihre persönlichen Teammitglieder! (Sie können auch neue erfinden.) Identifizieren Sie Ihre Stammspieler, Früh- und Spätmelder, laute und leise Stimmen, willkommene und unwillkommene Stimmen. Der Idealist Der Perfektionist Der Kämpfer Der Aktive Der sachliche Abwäger Der Eifersüchtige Der Angsthase Der Übergangene Die beleidigte Leberwurst Der Romantiker Der Sicherheitsbedürftige Der Arrogante Der Lernbegierige Der Bescheidene Der Pessimist Der Väterliche Der Schadenfrohe Der Streber Der Realist

Der Selbstzweifler Der Besserwisser Der Unternehmungslustige Der Dominierende Der Neidhammel Der Einsame Der bequeme Sesselhocker Der Distanzierte Der Abenteurer Der Anlehnungsbedürftige Der Passive Der Neugierige Der Egoist Der Optimist Der Skeptiker Die Mütterliche Der Schlampige Der Faule Der Hilfsbereite

Typische Teammitglieder für Führungskräfte: Der Verantwortliche Der Manager Der Mitarbeitercoach Der Experte Der Leitwolf Der Prügelknabe Der Chef der Abteilung Der Teamentwickler Der Löwenbändiger Der Angestellte/Untergebene Der Organisator Der Koordinator Der einsame Wolf Die gute Seele Der Alleskönner Der Stratege

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Das Modell des Inneren Teams ist gut geeignet, sich selbst besser kennenzulernen oder sich mit sich selbst zu versöhnen: Vielleicht gibt es ja für ein unbeliebtes Teammitglied ab und zu einmal eine passende Situation zum Mitmachen?!

8.6  Wie man zu einem besseren Zeitmanagement gelangen kann Die Frau, die den ganzen Tag lang ihre Hühner einfangen muss, weil sie keine Zeit hat, einen Zaun zu bauen (vgl. Kapitel 7.5), hat ein großes Problem: Sie kommt nie dazu, die wirklich wichtigen Dinge in ihrem Leben zu tun. Sie erkennt nämlich nicht, dass ihr nach dem Zaunbau und mit dem dadurch gewonnenen Mehr an Zeit und Ruhe das Erkennen und Lösen ihrer eigentlichen und wichtigen Probleme, insbesondere auch bei ihrer Arbeit, deutlich leichter fallen würde! Menschen, die in ihrem Beruf viel arbeiten müssen, dabei möglicherweise auch noch mehrfach belastet sind durch Aufgaben aus ihren unterschiedlichen Rollen zum Beispiel als Pflegedienstleiter, Eltern, (Ehe-)Partner, benötigen ein gutes Zeitmanagement. Damit ist hier ausdrücklich nicht gemeint, durch ausgeklügelte Organisationsmethoden (zum Beispiel ABC- oder ALPEN-Methode) immer mehr in den Tag hineinzupressen. Gesünder und sinnvoller ist es, ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Belastungen und Entlastungen zu finden. „Mehr Dinge schneller zu tun ist kein Ersatz dafür, das Richtige zu tun.“91 Für die Suche nach der Balance und dem Richtigen muss man sich zunächst ein wenig Zeit nehmen. Zwischen „Zeit nehmen“ und „Zeit haben“ gibt es nämlich einen großen Unterschied: „Ach, dafür habe ich keine Zeit“, sagt sich schnell, gemeint ist aber dann oft: „Dafür möchte ich mir keine Zeit nehmen, ich gebe 91 Covey/Merrill/Merril, S. 67.

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8 Perspektiven entwickeln: „Was kann ich jetzt konkret ändern?“

Schulz von Thun empfiehlt, bei Problemen und Konflikten eine interne „innere Mannschaftsbesprechung“ einzuberufen, um aus dem zerstrittenen Haufen ein funktionierendes Team zu formen. Wenn man in dem Bild einer „Mannschaftsaufstellung“ bleibt, so kann man sich vorstellen, je nach Stärke der gegnerischen Mannschaft – also entsprechend der Situation – ein eigenes schlagkräftiges Team zusammenzustellen: Bei einem Spiel benötigt man mehr Verteidiger, ein anderes Mal mehr Stürmer, und vielleicht muss auch mal ein Spieler ganz zu Hause bleiben, weil er im vorherigen Spiel eine „rote Karte“ erhalten hat und deswegen gesperrt ist. Das können dann zum Beispiel bei der nächsten Teamsitzung der „Besserwisser“ oder „die beleidigte Leberwurst“ sein, die dann mal zu Hause bleiben müssen.

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sie lieber für etwas anderes her. Andere Dinge sind mir wichtiger.“ Kein Problem, solange eine bewusste Entscheidung dahintersteht. Schwierig wird es erst, wenn man das Gefühl von Getriebensein gar nicht mehr loswird. Das berühmte „Hamsterrad“ wird zwar gern als Bild für diese Situation angeführt, aber ich persönlich kenne keinen Hamster, und es gibt auch wohl keinen, der bis zur Erschöpfung rennt! Er hört damit auf, wenn er keine Lust mehr hat oder müde ist, und wendet sich dann anderen wichtigen Beschäftigungen zu: Fressen, Schlafen und vielleicht mal ein wenig Klettern. Ganzheitliches Zeit- und Lebensmanagement92 sollte die vier wesentlichen Lebensbereiche berücksichtigen: „„ Familie/Freunde, „„ Beruf, „„ Gesundheit, „„ Sinn. Diese vier Bereiche sollten sich irgendwo im Alltag wiederfinden. Nicht in jeder Lebensphase können sie in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen, aber man sollte sie auch niemals aus den Augen verlieren. Ziel dieser ganzheitlichen Sichtweise ist es, „Zeitsouveränität“ zu erlangen, also das Leben nach eigenen Vorstellungen und Wünschen innerhalb der vorhandenen Rahmenbedingungen zu gestalten. Den Weg vom einfachen Terminkalender zum ganzheitlichen Zeit-, Ziel- und Lebensmanagement beschreibt Seiwert in seinem Buch „Wenn du es eilig hast, gehe langsam“. Man findet in diesem Buch viele weitere praktische Tipps zum Zeitmanagement auf unterhaltsame Weise vermittelt. Diese Grundsätze kommen treffend auch in dem bekannten alten Sprichwort „Eile mit Weile“ zum Ausdruck. Es empfiehlt sich, ein ganzheitliches Zeit- und Lebensmanagement mit einem Zeitprotokoll zu beginnen, dass man für einige – typische – Tage führt, um die eigenen Zeiträuber zu identifizieren. Dafür genügt ein einfaches DIN-A4-Blatt, auf dem man Uhrzeit und Stichworte der einzelnen Tätigkeiten notiert (alternativ gibt es sicher hierfür auch schon eine App); man wird sich dafür teilweise mit nachträglich geschätzten Angaben begnügen müssen. Weitreichender und langfristig hilfreicher ist eine Reflexion der eigenen Aktivitäten nach folgendem Schema93:

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92 Seiwert, Wenn du es eilig hast, gehe langsam, S. 68. 93 Covey/Merrill/Merrill, S. 34.

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Wichtig

Praxis-Box

Dringend

Nicht dringend

Krisen, Notfälle, Arbeiten mit Frist

Planung, Vorbereitung, echte Erholung, Sinn

viele Anrufe, Post, Nicht Wichtig Unterbrechungen

Zeitverschwendung, Fluchtaktivitäten

Die meisten Menschen verwenden leider zu wenig Zeit auf den zweiten Quadranten („Wichtig“ aber „Nicht dringend“), weil sich die Aufgaben, die dort anstehen, im Alltag nicht drängend bemerkbar machen. Versäumnisse aus diesem Bereich wirken sich jedoch immer langfristig negativ in allen Lebensbereichen aus.

10 typische „Zeitsünden“ identifizieren

Praxis-Box

Zu viel auf einmal tun wollen. Auf klare Prioritäten verzichten. Zu wenig Zeit für Unvorhersehbares einplanen. Keine Erholungspausen reservieren. Chaos auf dem Schreibtisch. Zu wenig Zeit für Telefonate/Gespräche vorsehen. Unangenehme Aufgaben aufschieben. Unfähigkeit, „Nein!“ zu sagen. Alles perfekt erledigen wollen. Mangelnde Konsequenz und Selbstdisziplin.

Empfehlenswerte Bücher bei näherem Interesse an diesem Thema sind: Lothar Seiwert, Wenn du es eilig hast, gehe langsam, 9. Aufl., Frankfurt a.M. 2005, und, wenn man wirklich ernsthafte Probleme mit dem Aufschieben von zu erledigenden Dingen (= „Prokastination“) hat: Hans-Werner Rückert, Schluss mit dem ewigen Aufschieben, 3. Aufl., Frankfurt a.M. 2000.

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Zeitmanagement – Matrix in Vier Quadranten

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8.7  Wie man Stress langfristig managen kann Im Kapitel 7.5 wurden unter Stressbewältigung vereinfachend die „persönlichen Wege und Methoden“ verstanden, die der einzelne aus der Erfahrung heraus für sich als angenehm und hilfreich empfindet. Diese kleinen Momente tun im Alltag gut und helfen kurzfristig. Wenn man aber immer wieder viel Stress hat, ist es lohnend, sich mit den verschiedenen Möglichkeiten eines gesunden und langfristig wirksamen Stressmanagements zu beschäftigen. Diese Strategien können auf drei verschiedenen Ebenen ansetzen: 1. Man  kann die Situation stressfreier gestalten, indem man die Rahmenbedingungen verändert oder den Stressfaktor ausschaltet. 2. Man kann die mentale Stresskompetenz erhöhen, indem man die eigene Wahrnehmung bezüglich eigener stressverstärkender Einstellungen einer selbstkritischen Prüfung unterzieht und dadurch zu einer Verringerung von Stress gelangt. 3. Und schließlich kann man die eigene Belastbarkeit erhöhen durch eine gesunde Lebensweise und das Erlernen von Entspannungstechniken. Auf welcher der drei Ebenen man ansetzen kann, hängt von der jeweiligen Situation ab. Zu 1: Es ist im Alltag, insbesondere im Pflegealltag, oft nicht möglich, den Stressfaktor selbst auszuschalten, weil es Rahmenbedingungen gibt, die man nicht verändern kann. Wenn der Stressfaktor allerdings im eigenen Bereich liegt, zum Beispiel eine schwache Batterie in seinem geliebten alten Pkw, und man deswegen immer wieder unpünktlich zur Arbeit kommt, kann man das natürlich relativ einfach durch den Einbau einer neuen Batterie ändern. Zu 2: Die Bedeutung der persönlichen Wahrnehmung und Bewertung von äußeren Faktoren spielt eine ganz entscheidende Rolle bei der Definition von Stress. So werden ganz normale Alltagsgeräusche, zum Beispiel durch Rasenmäher, Baulärm, den Klavier übenden Nachbarn, spielende Kinder oder bellende Hunde, völlig unterschiedlich empfunden. Dabei spielen die eigene Einstellung und Bewertung dieser speziellen Form des Stressfaktors „Lärm“ sowie die eigene momentane Befindlichkeit eine wesentliche Rolle. Auf dieser persönlichen Ebene kommen bestimmte Stressverstärker hinzu: Innere Einstellungen, wie sie in Sätzen wie „Sei perfekt! Sei beliebt! Sei stark! Sei vorsichtig! Ich kann das nicht!“ zum Ausdruck kommen, sind geeignet, den persönlichen Stress zu verstärken.94

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94 Kaluza: Stressbewältigung, S.

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Zu 3: Um die eigene Belastbarkeit zu erhöhen, reicht es oft bereits aus, auf eine – zumindest einigermaßen – gesunde Lebensweise zu achten. Während der Arbeit ausreichend und rechtzeitig Pausen zu machen, ist wichtig. Es ist erwiesen, dass regelmäßige kleinere Pausen effektiver sind, als eine große Mittagspause. Jegliche Form von regelmäßiger Bewegung – egal ob als Sport oder auch einfach als Spazierengehen mit tiefem Ein- und Ausatmen („Durchatmen“) – baut Stress ab. Auch ein leichtes gesundes Mittagessen, eventuell im Kreis netter Kollegen, kann erheblich zum Stressabbau beitragen. Zu diesem Thema gibt es viele hilfreiche Informationen bei Krankenkassen (kostenlose Broschüren und CDs mit Übungen zur Entspannung). In Kursen können zum Beispiel Autogenes Training oder Progressive Muskelentspannung erlernt und später im Alltag einfach angewandt werden. In Sportvereinen, Volkshochschulen und Familienbildungsstätten kann man Thai Chi, Quigong oder Yoga als bewährte aktive Entspannungstechniken lernen.

8.8 Resilienztraining Seit einiger Zeit gibt es Bücher, Vorträge oder Seminare zum Thema Resilienz in großer Anzahl. Von „Resilienz ist lernbar“95 bis „Resilienztraining ist Unsinn!“96 findet man eine breite Palette verschiedener Meinungen. Es ist also umstritten, ob man die Resilienzfaktoren überhaupt trainieren kann. Die im Kapitel 7.4 dargestellten sieben Resilienzfaktoren – Emotionssteuerung, Impulskontrolle, Kausalanalyse, realistischer Optimismus, Selbstwirksamkeitsüberzeugung, Zielorientierung und Empathie – sind hochkomplexe Verhaltensfelder, die sich nicht „mal eben“ erlernen lassen. Deshalb sollte man die Inhalte von angebotenen Trainings sorgfältig prüfen. Die eher rationalen Faktoren wie zum Beispiel Kausalanalyse oder Zielorientierung sind sicher in einem Training leichter zu erlernen als die Faktoren, die im emotionalen Verhaltensbereich liegen, wie Emotionssteuerung, Impulskontrolle und Selbstwirksamkeitsüberzeugung. In Seminaren zu Stressbewältigungsstrategien, zu Kommunikation und Gesprächsführung oder auch in der Auseinandersetzung mit einem ganzheitlichen Zeitmanagement sind bereits viele Elemente der oben genannten Resilienzfaktoren enthalten, so dass für viele Teilnehmer ein besonderes Resilienztraining überflüssig erscheint.

95 Ahl, K./Ahl, P., Vortrag im Gesundheitshaus Münster am 24.11.2014. 96 Vomberg-Mizori, in Training aktuell 07/2013, S. 50.

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Weitergehend ist allerdings der Ansatz der Autoren Wellensiek/Galuska, die eine Auseinandersetzung auf drei Ebenen, nämlich 1. der persönlichen Grundhaltung (Reflexionsfähigkeit, Konfliktfähigkeit, lösungsorientiertes Denken), 2. den sozialen Ressourcen sowie 3. den umwelt- und arbeitsbezogenen Ressourcen verlangen: „Unserer Erfahrung nach können Menschen ihre innere Widerstandskraft, ihr Selbstbewusstsein, ihr Gefühl für Selbstwirksamkeit und ihre Souveränität am intensivsten fördern, wenn sie auf diesen drei Ebenen gleichzeitig ansetzen und sich mit deren Einflussfaktoren konstruktiv auseinandersetzen.“97 Es leuchtet ein, dass ein Training, das diese Anforderungen erfüllt, schon fast als Therapie des Einzelnen anzusehen ist, mindestens aber in der Nähe einer Therapie anzusiedeln ist.

8.9  Wenn man keinen Ausweg mehr sieht und gar nicht mehr weiterweiß Fast jeder kennt wohl das Gefühl, die eigenen Grenzen erreicht zu haben, nicht mehr weiter zu wissen oder sich in einem Kreis zu bewegen, ohne einen Ausweg zu finden. Freunde und Kollegen sind in solchen Situationen vielleicht ebenfalls überfordert und das eigene soziale Unterstützungssystem reicht einfach nicht mehr aus. Berufliche Probleme, Ärger mit den Kindern, Schwierigkeiten in der Partnerschaft, finanzielle Sorgen oder schwierige gesundheitliche Fragen – manchmal erscheint es wie ein Knäuel, das man ohne professionelle Unterstützung nicht alleine entwirren kann – sind so erdrückend, dass man weder aus noch ein weiß. In einer solchen Situation sollte man sich nicht scheuen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es gibt in Deutschland in jedem größeren Ort Beratungsstellen als Anlaufpunkte. Dort kann man in aller Ruhe über alles sprechen. Träger der Beratungsstellen sind in der Regel die großen Wohlfahrtsverbände, zum Beispiel Caritas, Diakonie, AWO oder DRK. Obwohl die Träger einen bestimmten religiösen oder weltanschaulichen Hintergrund haben, arbeiten diese Stellen unabhängig und sind für jeden Ratsuchenden offen. Die Beratung dort ist kostenlos und muss auch nicht – im Gegensatz zu einer Therapie – bei einer amtsärztlichen Untersuchung oder bei einem Versicherungsabschluss angegeben werden. Denn gerade Hilfebedarf im psychischen Bereich gilt immer noch in weiten Teilen unserer Gesellschaft als Zeichen von Schwäche oder mangelndem Willen. Wer einen Herzinfarkt oder einen Bandscheibenvorfall erleidet, kann mit Verständnis und Mitleid seiner Mitmenschen rechnen. Bei einer Depression ist das schon nicht

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97 Wellensiek/Galuska, S. 79.

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so selbstverständlich; da müssen sich die Betroffenen häufig immer noch Ratschläge anhören wie: „Jetzt reiß‘ dich doch mal zusammen!“ oder „Lass‘ dich doch nicht so hängen!“ Dadurch findet mancher nicht den Weg zu einer an sich notwendigen Therapie. Hier ist mehr Akzeptanz auf breiter gesamtgesellschaftlicher Ebene angesagt.

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9 Ausblick „Soll ich die Spur wechseln?“ Diese Frage aus dem Vorwort kann jeder Einzelne nur nach sorgfältigem Abwägen für sich beantworten. Und um nicht falsch verstanden zu werden: Dieses Buch fordert zwar auf, bei einer Veränderung mit der eigenen Persönlichkeit anzufangen. Aber es fordert nicht dazu auf, dabei stehenzubleiben! Auch institutionelle und gesamtgesellschaftliche Rahmenbedingungen können sich weiterentwickeln. Sie müssen es sogar dringend angesichts der Verhältnisse vor Ort! Und auch daran kann jeder in seinem Bereich und mit seinen Möglichkeiten mitwirken! In diesem Buch geht es allerdings zunächst einmal um den Einzelnen. Es hilft niemandem, wenn sich die einzelne Pflegekraft im Alltag völlig aufreibt und dabei ihr persönliches Entwicklungspotenzial aus den Augen verliert. Und vielleicht ist für den einen oder anderen tatsächlich der Weg in die Politik denkbar, um die Interessen der Pflegenden und auch der Pflegebedürftigen zu vertreten. Ein paar Pflegekräfte me hr in de n Pa rlamenten, St adt- un d Ge meinderäten könnten sicher nicht schaden! Ich hoffe sehr, dass die engagierten Menschenfreunde in ihrem schwierigen, anspruchsvollen und herausfordernden Beruf weitermachen, ohne zu verschleißen, dass sie ihre eigenen Bedürfnisse und Interessen wahrnehmen, ihren eigenen Rhythmus finden und das Leben genießen können, denn in der Zeile aus einem Lied von Konstantin Wecker: „Wer nicht genießt, wird ungenießbar“ steckt mehr als nur ein Körnchen Wahrheit!

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Literaturliste Asendorpf, Jens B./Neyer, Franz J.: Psychologie der Persönlichkeit, 4. Aufl., Heidelberg 2007 Asendorpf, Jens B.: Persönlichkeitspsychologie, Heidelberg 2009 Bachmair, Sabine/Faber, Jan/Hennig, Claudius/Kolb, Rüdiger/Willig, Wolfgang: Beraten will gelernt sein, 3.Aufl. 1985 Böschemeyer, Uwe, Das heitere Enneagramm, 2. Aufl., Hamburg 2009 BRIGITTE 5/99, Dossier: Nutzen Sie Ihre Chancen im Leben? Corssen, Jens: Der Selbstentwickler, 2004 Covey, Stephen R./Merrill, A. Roger/Merrill, Rebecca, R., Der Weg zum Wesentlichen – Zeitmanagement der vierten Generation, 5. Aufl., Frankfurt a.M. 2003 Duden 1, 24.Aufl.,Mannheim 2006 Duhigg, Charles: Die Macht der Gewohnheit, München 2014 Eberhart, Bernd: Freie Daten für freie Forscher, in: Süddeutsche Zeitung 15.9.2014 Fengler, Jörg: Helfen macht müde, 5. Aufl., München 1998 Frädrich, Stefan: Günther, der innere Schweinehund, 2004 Fritze, Nicola/Hörnke-Trieß, Andrea: Raus aus der Grübelfalle, 2011

Hanke, http://www.ipsy.ovgu.de/Abteilungen/Psychoinformatik/Forschung, Stand 09.10.2014 Hansch, Dietmar: Erfolgsprinzip Persönlichkeit, Heidelberg 2006 Hugo-Becker, Annegret/Becker, Henning: Psychologisches Konfliktmanagement, 4.Aufl., München 2004 Mercer, What’s Working-Studie, http://www.mercer.de, Stand 16.09.2009 Mercer, Inside Employees‘ Minds, Germany survey summary – October 2011

Literaturliste

Gallen, Maria-Anne/Neidhardt, Hans: Das Enneagramm unserer Beziehungen, 9. Aufl., Reinbek, 2005 Gerrig, Richard J./Zimbardo, Philip G.: Psychologie, 18. Aufl., München 2008 Gordon, Thomas: Familienkonferenz, 5. Aufl., Hamburg 1974 Gwildis, Stefan, CD „Heut ist der Tag“ aus: Amelie, 2007

Niaz-Shahabi, Rebecca: Ich bleib so scheiße wie ich bin, 2013 Pines, Ayala M./Aronson, Elliot/Kafry, Ditsa: Ausgebrannt, 10. Auflage, 2006

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Riemann, Fritz: Grundformen der Angst, 37. Aufl., 2006 Riso, Don Richard/Hudson, Russ: Die Weisheit des Enneagramms, München 2000 Roth, Eugen: Ein Mensch – Heitere Verse, München 1960 Rohr, Richard/Ebert, Andreas: Das Enneagramm, 42. Aufl., München 2006 Rückert, Hans-Werner: Schluss mit dem ewigen Aufschieben, 3. Aufl., 2000 Schmidt, Thomas: Konfliktmanagement-Trainings erfolgreich leiten, 4. Aufl., Bonn 2013 Schmidbauer, Wolfgang: Dranbleiben – die gelassene Art Ziele zu erreichen, Freiburg 2009 Schmidbauer, Wolfgang: Helfersyndrom und Burnout-Gefahr, Vortrag 11. Pflegewerkstatt, 3.7.2004 in Münster Schmitt, Manfred/Altstötter-Gleich: Differentielle Psychologie und Persönlichkeitspsychologie, 1. Aufl., Basel 2010 Schulz von Thun, Friedemann, Miteinander reden: 2 – Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung, Reinbek 2011 Seiwert, Lothar/Gay, Friedbert: Das neue 1x1 der Persönlichkeit, 10. Aufl., München 2012 Seiwert, Lothar: Wenn du es eilig hast, gehe langsam, 9. Aufl., Frankfurt a. M. 2005 Simon, Walter (Hrsg.): Persönlichkeitsmodelle und Persönlichkeitstests, Offenbach 2006 Spenner-Schlupeck, Gabriele: „Betroffene zu Beteiligten machen“, Pflegezeitschrift 1/2001 Storch, Maja/Krause, Frank: Selbstmanagement – ressourcenorientiert, 2007 Schulz von Thun, Friedemann, Miteinander reden 1 – Störungen und Klärungen, Reinbek 1991

Wellensiek, Sylvia: Fels in der Brandung statt Hamster im Rad, 2012 Wellensiek, Sylvia: Handbuch Resilienz-Training, Weinheim 2011 Wellensiek, Sylvia/Galuska, Joachim: Resilienz – Kompetenz der Zukunft, Weinheim 2014 Zeug, Katrin: Mach es anders! aus: ZEITWISSEN, 02/2013, S.12 – 26

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Die Autorin

Die Autorin

Ursula Beckmann hat Altenpfleger ausgebildet und war als Leiterin eines staatlich anerkannten Fachseminars für Altenpflege in Herten und in Münster tätig. Ferner hat sie langjährige Erfahrungen in der Fort- und Weiterbildung im Pflegebereich. Seit 2007 arbeitet sie freiberuflich und unterstützt Pflegeeinrichtungen durch Beratung und Fortbildung in den Bereichen Teamentwicklung und Kommunikation. Seit 2008 ist sie Trainerin von Kollegialen Beratungsgruppen mit Systemischen Beratungsmethoden. Sie hat Sozialwissenschaften, Germanistik und Pädagogik studiert und ist von Haus aus Realschullehrerin.

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ISBN 978-3-86630-121-0