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German Pages 303 Year 2016
Beiträge zum Internationalen und Europäischen Strafrecht Studies in International and European Criminal Law and Procedure Band / Volume 24
Transnationales „ne bis in idem“ zwischen staatlicher Schutz- und Achtungspflicht Grundlagen der „ne bis in idem“-Problematik
Von Dimitrios Voulgaris
Duncker & Humblot · Berlin
DIMITRIOS VOULGARIS
Transnationales „ne bis in idem“ zwischen staatlicher Schutz- und Achtungspflicht
Beiträge zum Internationalen und Europäischen Strafrecht Studies in International and European Criminal Law and Procedure Herausgegeben von / Edited by Prof. Dr. Dr. h.c. Kai Ambos, Richter am Landgericht Göttingen
Band / Volume 24
Transnationales „ne bis in idem“ zwischen staatlicher Schutz- und Achtungspflicht Grundlagen der „ne bis in idem“-Problematik
Von Dimitrios Voulgaris
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München hat diese Arbeit im Jahre 2013 als Dissertation angenommen.
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Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: Buch Bücher de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 1867-5271 ISBN 978-3-428-14842-4 (Print) ISBN 978-3-428-54842-2 (E-Book) ISBN 978-3-428-84842-3 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Meinen Großeltern, Dimitrios und Maria
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2013 von der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation angenommen. Sie wurde zum Teil durch ein aus Mitteln des Erbes von Leontios Oikonomidis bestehendes Promotionsstipendium der Universität Athen finanziert. Ein ganz besonderer Dank gilt zunächst meinem Doktorvater, Professor Dr. Klaus Volk, für seine engagierte Unterstützung bei der Betreuung der Arbeit. Seine jederzeitige Diskussionsbereitschaft und seine konstruktiven Anmerkungen haben einen entscheidenden Beitrag ausgemacht. Bedanken möchte ich mich auch bei Professor Dr. Ralf Kölbel für die Erstellung des Zweitgutachtens sowie bei Professor Dr. Matthias Krüger für seine Mitwirkung an der Durchführung der mündlichen Prüfung. Ebenfalls danke ich Professor Dr. Kai Ambos sowie dem Verlag Duncker & Humblot für die Aufnahme der Arbeit in die vorliegende Schriftenreihe „Beiträge zum Internationalen und Europäischen Strafrecht“. Herzlicher Dank gebührt weiterhin Professor Dr. Nikolaos Livos, Professor an der Nationalen und Kapodistrias-Universität Athen, der mir mit seinen gezielten Ratschlägen in mehrfacher Hinsicht geholfen hat; er ist für mich ein akademisches Vorbild. Mein aufrichtiger Dank gilt ebenfalls allen meinen Freunden, die mich während meiner Promotionszeit durch ihr offenes Ohr aber auch durch unsere gemeinsamen außerakademischen Aktivitäten unterstützt haben. Dazu gehören insbesondere Dr. Vasileios Petropoulos, Dr. Nikolaos Simantiras und Dr. Anastasios Andrianessis. Ohne sie wäre die Erstellung der Arbeit nicht möglich gewesen. Mein größter Dank gilt schließlich meiner Familie, meinem Vater Lambros, meiner Mutter Theodora, meinem Bruder Georgios und meiner Schwester Maria, für ihre stete liebevolle Unterstützung. Gewidmet ist die Arbeit meinen Großeltern und insbesondere meiner Großmutter, die geduldig auf die Vollendung der Arbeit gewartet hat. Athen, im Juli 2016
Dimitrios Voulgaris
Inhaltsverzeichnis A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 I. Allgemeines – Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 II. Allgemeine begriffliche Konkretisierungen – Umgrenzung der Arbeit . . . . . . . . . 20 III. Überblick über die Meinungslage in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 1. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2. Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 IV. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 B. Begründung im Deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 I. Art. 103 III GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2. Die (Doppel-)Natur des Art. 103 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 3. Grundrechtsdogmatische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 a) Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 aa) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 bb) Geschichte und vorverfassungsrechtliches Gesamtbild . . . . . . . . . . . . . . 29 cc) Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 dd) Auswirkungen des grundrechtlichen Charakters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 b) Eingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 4. Art. 103 Abs. 3 GG als Schranken-Schranke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 5. Zwischenergebnis: Transnationales „ne bis in idem“ in Art. 103 Abs. 3 GG
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II. Grundlagen des transnationalen „ne bis in idem“ (jenseits des Art. 103 Abs. 3 GG) 40 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 3. Geschichtliche Darstellung der Grundlegungstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 a) Billigkeitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 b) Verbrauch des staatlichen Strafklagerechts bzw. Strafanspruchs . . . . . . . . . . 43 c) Fiktionstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 d) Begründung durch den Prozesszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
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Inhaltsverzeichnis 4. Heutiger Meinungsstand: „ne bis in idem“ zwischen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 a) Allgemeines zum heutigen Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 b) Analyse und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 aa) Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 bb) Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 cc) Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 dd) Kritik an der Rolle von Gerechtigkeit und Rechtssicherheit im Strafprozessrecht allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 ee) Kritik an der Anwendung auf das „ne bis in idem“ . . . . . . . . . . . . . . . . 60 (1) Die Rolle der Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 (2) Die Rolle der Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 (3) Fehlende Funktionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 (4) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 5. „Ne bis in idem“ im Widerstreit zwischen staatlicher Schutzpflicht und Achtungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 a) Allgemeines zum Doppelauftrag des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 b) Der Dipol im Strafverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 c) Der Konflikt beim innerstaatlichen und transnationalen „ne bis in idem“ 71 6. Zusammenfassung: Grundlagen der „ne bis in idem“-Problematik . . . . . . . . . . 72 III. Begriffliche Konkretisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 1. Achtungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 a) Begriffsfassung der Achtungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 b) Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 c) Achtungspflicht und Justizförmigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 2. Die staatliche Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 a) Grundlagen und Begriffsgehalt der staatlichen Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . 76 b) Bedeutungsinhalt der Schutzpflicht im Strafprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . 78 c) Schutzinteresse und „Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege“ . . . . . . . . 79 IV. Abwägung beim transnationalen „ne bis in idem“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 1. Methodologische Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 a) Abwägung als Methode – Verhältnismäßigkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . 81 b) Rechtsstaatliches Verteilungsprinzip – Die prima facie Ablehnung des transnationalen „ne bis in idem“ als Umkehrung dieses Prinzips . . . . . . . . . 83 c) In dubio pro libertate? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 d) Vorgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 2. Das Achtungsinteresse im Falle einer erneuten Verfolgung nach ausländischer Aburteilung derselben Straftat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 a) Die Einleitung eines Strafverfahrens als Grundrechtseingriff . . . . . . . . . . . . 88 aa) Die Inkulpationshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
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bb) Grundrechtseingreifende Merkmale der Inkulpation . . . . . . . . . . . . . . . 90 (1) Inkulpation und Tatverdacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 (2) Inkulpation und Beschuldigtenstatus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 (3) Inkulpation und Bestrafungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 cc) Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 (1) Verankerung und Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 (2) Eingriffscharakter der Inkulpation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 b) Die Eingriffsintensität der Verfolgung im Falle einer vorherigen ausländischen Aburteilung der Straftat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3. Das Schutzinteresse bei der Verfolgung von im Ausland abgeurteilten Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 a) Konkretisierung anhand der Anknüpfungsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 aa) Territorialitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 bb) Flaggenprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 cc) Aktives Personalitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 dd) Staatsschutzprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 ee) Passives Personalitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 ff) Von deutschen Amtsträgern sowie gegen sie begangene Delikte . . . . . . 121 gg) Stellvertretende Strafrechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 hh) Weltrechtspflegeprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 ii) Vertragsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 jj) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 b) „lex loci“ und „ne bis in idem“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 4. Grenzen des transnationalen Doppelverfolgungsverbots – „ordre public“ . . . . 141 5. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 V. Exkurs: Transnationales „ne bis in idem“ und Internationales Strafprozessrecht
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1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 2. Rechtshilferecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 a) Auslieferungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 b) Vollstreckungshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 3. Individuumsorientierte Betrachtungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 VI. Zwischenergebnis zu der Begründung des transnationalen „ne bis in idem“ im Deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 C. Begründung im Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 1. Internationale Erscheinungsformen des „ne bis in idem“-Prinzips . . . . . . . . . . 151
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Inhaltsverzeichnis 2. Kriminalpolitische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 3. Rechtsquellen des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 II. Begründungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 1. Internationale Rechtsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 a) EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 aa) Art. 6 EMRK und Art. 4 des 7. ZP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 bb) Erniedrigende Behandlung – Art. 3 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 b) Art. 14 Abs. 7 IPbpR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 2. Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 3. Allgemeine Rechtsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 b) Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 c) Allgemeines Erzeugungs- bzw. Feststellungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 d) Zwischenstaatliches Doppelverfolgungsverbot als allgemeiner Rechtsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 e) Menschenrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze und transnationales „ne bis in idem“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 f) Methodologische Analogie zum Fremdenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 g) Die allgemeinen Rechtsgrundsätze im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . 178 III. Geltungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 1. Keine grenzenlose Anerkennung fremder Strafentscheidungen . . . . . . . . . . . . . 179 2. Das Souveränitätsprinzip als Schranke des transnationalen „ne bis in idem“ 180 a) Souveränitätsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 b) Souveränität und „ne bis in idem“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 3. Völkerrechtliche Prinzipien des Internationalen Strafrechts als (völkerrechtliche) Grenze des transnationalen „ne bis in idem“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
D. Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 I. Misstrauen gegenüber der fremden Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 1. Problemdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 2. Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 II. Forum-Shopping . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 III. „Wettrennen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
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E. Einbau des Konzepts in die deutsche StPO – Rechtsstaats- und völkerrechtskonforme Auslegung des § 153c StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 II. Opportunitätsprinzip und Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 1. Entscheidungsspielraum der Staatsanwaltschaft bei § 153c StPO . . . . . . . . . . . 197 2. Exkurs: Opportunitätsregelungen als Ermächtigung zur Abwägung nach vorgeschriebenen Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 III. § 153c StPO und transnationales „ne bis in idem“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 1. Analyse des § 153c StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 a) § 153c Abs. 1 Nr. 1 (Alt. 1) StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 b) § 153c Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 2. Anpassung der Ergebnisse an §153c StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 3. Fälle, in denen die Doppelverfolgung im Ermessen der Staatsanwaltschaft liegt 209 a) Auswirkungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 b) Teilnahmehandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 c) Minderschwere Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 4. Gerichtliche Nachprüfbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 F. Charakteristika des transnationalen Doppelverfolgungsverbots . . . . . . . . . . . . . . 219 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 II. Tatidentität (das „idem“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 1. Bestimmung durch den Erstverfolgerstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 2. Dasselbe Delikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 3. Derselbe historische Lebenssachverhalt (faktische Betrachtungsweise) . . . . . . 224 4. Faktisch-normative Betrachtungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 5. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 6. Stellungnahme – prozessuale Tat als Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 7. Bedeutung für das transnationale ne bis in idem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 III. Vorherige Aburteilung (das „bis“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 1. Entscheidendes Organ bzw. Urteilsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 2. Rechtskraft nach dem Recht des Ersturteilsstaats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 3. Meistbegünstigungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 4. Wiederaufnahme „propter nova“ (Minimal-Niveau-Lösung) . . . . . . . . . . . . . . . 240 5. Vertrauen des Angeklagten (Qualifizierte Verfahrensbeendigung) . . . . . . . . . . 241 6. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
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Inhaltsverzeichnis 7. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 IV. Vollstreckungselement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 V. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
G. Weitere Lösungsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 I. Vermeidung von positiven Kompetenzkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 1. Hierarchisierung der Anknüpfungspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 a) Meinungsdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 b) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 2. Einzelfallorientierte Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 a) Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 aa) Charakteristisches Unrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 bb) Qualitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 cc) Deliktischer Schwerpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 b) Entscheidungszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 3. Kompetenzverteilungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 4. Kritik und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 a) Vorrang des Hierarchisierungsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 b) Vermeidung von positiven Kompetenzkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 II. Vertragsvorschläge zur Vermeidung einer Doppelverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . 262 1. Initiative der Hellenischen Republik vom 13. 2. 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 2. Freiburg-Proposal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 3. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 H. Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
Abkürzungsverzeichnis a.A. Abs. AcP a.F. AIDP AJIL AK Alt. Anm. AnwK AO AöR ARSP Art. AT AVR BayObLG BayVerfGH Bd. BGBl. BGH BGHSt BGHZ BK BMJ BRD BT-Drs BVerfG BVerfGE BVerwG BYIL bzw. CCPR CLP CMLR DAV DDR ders. d. h. DJT DÖV
anderer Ansicht Absatz Archiv für civilistische Praxis alte Fassung Association Internationale de Droit Penale American Journal of International Law Alternativkommentar Alternative Anmerkung Anwaltskommentar Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Artikel Allgemeiner Teil Archiv des Völkerrechts Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerischer Verfassungsgerichtshof Band Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes für Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes für Zivilsachen Bonner Kommentar Bundesministerium der Justiz Bundesrepublik Deutschland Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts British Yearbook for International Law beziehungsweise Covenant on civil and political rights Current Legal Problems Common Market Law Review Deutscher Anwaltverein Deutsche Demokratische Republik derselbe das heißt Deutscher Juristentag Die Öffentliche Verwaltung
16 DR DRiZ DVBl. EGBGB EGGVG EGMR Einl. EMRK EPIL EU EuGH EuGRZ EuR EUV EuZW EvStL f. ff. FG FlaggRG FS GA GG GRCh GS GS HK h.M. HRRS HStR ICJ ICLQ i. d. F. i. e.S. IGH ILJ insb. IPbpR IRG IRuD IStGH i.V.m. i.w.S. JA JICJ JöR JR
Abkürzungsverzeichnis Deutsches Recht Deutsche Richterzeitung Deutsches Verwaltungsblatt Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einleitung Europäische Menschenrechtskonvention Encyclopedia of Public International Law Europäische Union Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechte-Zeitschrift Europarecht Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Evangelisches Staatslexikon folgende fortfolgende Festgabe Gesetz über das Flaggenrecht der Seeschiffe und die Flaggenführung der Binnenschiffe Festschrift Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Grundgesetz Grundrechtecharta Gerichtssaal Gedächtnisschrift Heidelberger Kommentar herrschende Meinung Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht Handbuch für Staatsrecht International Criminal Justice International and Comparative Law Quarterly in der Fassung im engeren Sinne Internationaler Gerichtshof International Law Journal insbesondere Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen Internationales Recht und Diplomatie Internationaler Strafgerichtshof in Verbindung mit im weiteren Sinne Juristische Arbeitsblätter Journal of International Criminal Justice Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Juristische Rundschau
Abkürzungsverzeichnis JStGH JuS JZ Kap. KK KMR KritJ Lfg. LG LK LR MDR MK MLR m.w.N. NJW NK Nr. NStZ NStZ-RR NVwZ ÖJZ OLG OWiG PCIJ RdC RGSt RIDP RiStBV Rn. RStGB RStGH RStPO s. S. SchwZStR SDÜ SJZ SK sog. SRÜ SSW StGB StIGH StPO StraFo StV u.
Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien Juristische Schulung Juristenzeitung Kapitel Karlsruher Kommentar Kleinknecht-Müller-Reitberger-Kommentar zur Strafprozessordnung Kritische Justiz Lieferung Landgericht Leipziger Kommentar Löwe-Rosenberg-Kommentar Monatsschrift für Deutsches Recht Münchener Kommentar Modern Law Review mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ-Rechtsprechungs-Report Strafrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Österreichische Juristenzeitung Oberlandesgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Permanent Court of International Justice Recueil des Cours Entscheidungen des Reichsgerichts für Strafsachen Revue Internationale de Droit Pénal Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren Randnummer Reichsstrafgesetzbuch Internationaler Strafgerichtshof für Ruanda Reichsstrafprozessordnung siehe Satz oder Seite Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht Schengener Durchführungsübereinkommen Süddeutsche Juristenzeitung Systematischer Kommentar sogenannt(e) Seerechtsübereinkommen Satzger/Schmitt/Widmaier-Kommentar zum Strafgesetzbuch Strafgesetzbuch Ständiger Internationaler Gerichtshof Strafprozessordnung Strafverteidiger-Forum Strafverteidiger und oder unten
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18 u. a. UC UN USA v. VaJIL VerwArch vgl. VO vs. VStGB VVDStRL VwVfG wistra WiVerw YIL ZaöRV z. B. ZgS ZIS ZP ZPöR ZRP ZSchwR ZStW ZZP
Abkürzungsverzeichnis unter anderem University of California United Nations United States of America von Virginia Journal of International Law Verwaltungsarchiv vergleich Verordnung versus Völkerstrafgesetzbuch Veröffentlichungen der Vereinigung deutscher Staatsrechtslehrer Verwaltungverfahrensgesetz Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht Wirtschaft und Verwaltung Yearbook of International Law Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik Zusatzprotokoll Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Schweizerisches Recht Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Zeitschrift für Zivilprozess
A. Einführung I. Allgemeines – Ziel der Arbeit Trotz allen Fortschritten im Bereich der Menschenrechte scheint die Frage des transnationalen Doppelverfolgungsverbots auf internationaler Ebene seit Jahrzehnten zu stagnieren. Schon 1935 hat die Juristische Fakultät von Harvard eine Studie durchgeführt, die auf die Gefahr einer mehrmaligen internationalen Verfolgung und Bestrafung hingewiesen hat. Als Konsequenz wurde ein Völkerrechtsvertrag zur Regelung des Problems vorgeschlagen. Seither ist die Diskussion über die Frage des transnationalen „ne bis in idem“ sowohl international als auch in Deutschland zwar aktiv geblieben, im Ergebnis ist jedoch keine besondere Entwicklung zu beobachten. Die Anerkennung des Lösungsbedarfs und der Doppelverfolgungsgefahr als ein internationales Problem hat sich bisher auf die theoretische Ebene begrenzt. Die vorliegende Arbeit versucht das Problem des transnationalen „ne bis in idem“ aus einem Blickwinkel zu präsentieren, der die Annahme einer international akzeptablen Lösung ermöglichen könnte. Das Hauptanliegen besteht in erster Linie in der Begründung des transnationalen „ne bis in idem“-Prinzips und an zweiter Stelle in seiner Umgrenzung. Das Ziel der Arbeit besteht vor allem darin, die Leserschaft davon zu überzeugen, dass man von der Existenz eines transnationalen Doppelverfolgungsverbots ausgehen muss, wenngleich man über die Reichweite und die genauen Voraussetzungen eines solchen Verbots unterschiedlicher Meinung sein kann. Dafür wird die „ne bis in idem“-Problematik auf eine Basis gestellt, die für die Begründung eines transnationalen Doppelverfolgungsverbots nützlich sein kann, anhand derer aber gleichzeitig nachvollziehbare Grenzen für ein solches Verbot gesetzt werden können. Das bedeutet, dass im Unterschied zu anderen Lösungsansätzen, die für ein transnationales „ne bis in idem“ plädieren, hier versucht wird, das zwischenstaatliche Doppelverfolgungsverbot de lege lata zu begründen und nicht einen Vorschlag über einen zukünftigen Völkerrechtsvertrag oder eine Gesetzesänderung zu formulieren. In diesem Sinne ist herauszufinden, ob nach dem geltenden Recht ein transnational geltendes Doppelverfolgungsverbot existiert bzw. anerkannt werden muss und, wenn dies der Fall sein sollte, unter welchen Voraussetzungen bzw. in welchen bestimmten Fällen. Die Grundlage der folgenden Überlegungen bildet das Spannungsverhältnis zwischen Schutzpflicht und Achtungspflicht des Staates. Die Frage der Zulässigkeit einer erneuten Verfolgung, sei es auf zwischenstaatlicher oder auf nationaler Ebene, wird als ein typischer Fall dargestellt, in dem diese zwei staatlichen Pflichten mit-
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A. Einführung
einander kollidieren. Die Lösung des „ne bis in idem“-Problems kann sich nur durch ihre optimale Koordination ergeben. Bezüglich dieses Konzepts kann als allgemeine Anmerkung gesagt werden, dass dem vorliegenden Lösungsansatz eine individuums- und nicht – wie geläufig – eine staatsorientierte Betrachtungsweise des „ne bis in idem“-Prinzips zugrunde liegt1. Es stellt sich nämlich die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Mensch für die gleiche Straftat transnational erneut verfolgt werden darf, und nicht etwa ob und unter welchen Voraussetzungen ein Staat fremde Strafentscheidungen anerkennen muss. Untersucht wird in diesem Sinne die Beziehung zwischen Verfolgtem und Zweiturteilsstaat und nicht zwischen Ersturteils- und Zweiturteilsstaat. In Anbetracht dieser Feststellung wird gleichzeitig aus methodologischer Sicht versucht, die Frage über das Bestehen eines zwischenstaatlichen Doppelverfolgungsverbots umzukehren: Das Ziel ist somit zu zeigen, dass man nicht das Recht des Menschen auf eine international einmalige Strafverfolgung begründen muss, sondern im Gegenteil die international erneute Verfolgung seitens des Staates gerechtfertigt werden soll.
II. Allgemeine begriffliche Konkretisierungen – Umgrenzung der Arbeit Damit das Ziel dieser Arbeit besser verstanden werden kann, muss von Anfang an klargestellt werden, was genau mit dem Begriff transnationales „ne bis in idem“ gemeint ist. Der Begriff „ne bis in idem“ wird hier zunächst mit der Bedeutung eines Doppelverfolgungs- und nicht einfach eines Doppelbestrafungsverbots verstanden. Durch ein zwischenstaatlich geltendes „ne bis in idem“ soll nämlich eine erneute Verfolgung verhindert werden, prinzipiell unabhängig davon, wie hoch die erste Strafe war oder ob die zu erwartende Strafe ungefähr das gleiche Ausmaß hätte. Das Ziel ist nicht, eine unangemessen hohe Gesamtstrafe für den mehrmals Verfolgten zu verhindern, sondern ihn schon vor einem erneuten Strafprozess zu schützen. In diesem Sinne kann das Anrechnungsprinzip2, nämlich die Anerkennung einer in einem anderen Staat verhängten und vollstreckten Strafe, nicht als partielle Anerkennung eines transnationalen „ne bis in idem“ angesehen werden, denn das Anrechnungsprinzip gewährleistet keinen Schutz vor einem erneuten Prozess. Ebenso wenig kann man von einem transnationalen „ne bis in idem“ sprechen, wenn die erneute Verfolgung dem freien Ermessen eines bestimmten Organs überlassen wird. Ein transnationales Doppelverfolgungsverbot bedeutet, dass in den Fällen, in denen es greift, ein Verfahrenshindernis besteht und die erneute Verfolgung 1 2
Vgl. Anagnostopoulos, Ne bis in idem, 2009, S. 2 f. s. § 51 Abs. 3 StGB; vgl. Jung, in: FS-Schüler-Springorum, 1993, S. 493 ff. (495).
II. Allgemeine begriffliche Konkretisierungen – Umgrenzung der Arbeit
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ausgeschlossen ist. Eine auf dem basierende Regelung, die unter bestimmten Voraussetzungen die Nichtverfolgung von im Ausland abgeurteilten Straftaten lediglich ermöglicht, wie § 153c StPO3, kann daher nicht als eine Art transnationales „ne bis in idem“ angesehen werden4 – es sei denn die Verfolgungsbehörden sind bei ihrem „Ermessen“ an feste Regeln gebunden. Auf der anderen Seite muss aber das Doppelverfolgungsverbot keine absolute Wirkung haben. Die Annahme eines transnationalen „ne bis in idem“ bedeutet nicht unbedingt, dass jede ausländische Entscheidung eine Sperrwirkung im Inland entfaltet. Es sind Grenzen und Ausnahmen festzulegen, die eventuell sogar von dem innerstaatlichen „ne bis in idem“-Prinzip abweichen können. Verleiht man dem zwischenstaatlichen Doppelverfolgungsverbot eine ebenso umfangreiche Wirkung wie dem innerstaatlichen, wird nicht nur die unterschiedliche Natur eines solchen Prinzips auf transnationaler Ebene missachtet, sondern es wird darüber hinaus seine Annahme erschwert. Gegenüber einem sehr umfangreichen, sogar absoluten transnationalen Doppelverfolgungsverbot darf man eine noch zögerlichere Haltung erwarten. Die Relativierung des transnationalen „ne bis in idem“ könnte somit seine Anerkennung erleichtern und den Schwerpunkt der Diskussion von der Geltung auf die Grenzen und die Voraussetzungen dieses Prinzips verlagern. Was den Begriff „transnational“ anbelangt, wird er absichtlich an Stelle des Begriffs „international“ benutzt, denn zu den internationalen Entfaltungen eines Doppelverfolgungsverbots zählt nicht nur die horizontale Dimension, nämlich die zwischenstaatliche, sondern auch die vertikale5. Letztere betrifft die Frage einer erneuten Verfolgung des Betroffenen in einem Staat nach seiner Aburteilung durch ein internationales Gericht und umgekehrt. Die Arbeit konzentriert sich auf die horizontale, d. h. die zwischenstaatliche Dimension des internationalen „ne bis in idem“-Prinzips. Des Weiteren wird hier die Geltung des zwischenstaatlichen Doppelverfolgungsverbots auf universaler Ebene untersucht, nämlich unabhängig davon, aus welchem Staat die Erstentscheidung stammt, ob dieser Staat eine vergleichbare Rechtstradition wie der Zweiturteilsstaat hat oder ob er generell ähnliche strafrechtliche Standards erfüllt. Es geht um die Frage eines universal geltenden „ne bis in idem“, das zwischen allen Staaten Geltung beansprucht. Aus diesem Grund wurde auch der Bereich des europäischen „ne bis in idem“ aus dieser Arbeit ausgeklammert. Berücksichtigt wurden die das europäische „ne bis in idem“ betreffenden Diskussionen nur in dem Maße, wie sie auf ein universal geltendes „ne bis in idem“ übertragbar sind.
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s. weiter unten, E.III. Vgl. in Bezug auf das transnationale „ne bis in idem“ im europäischen Raum die Stellungnahme des DAV zum Grünbuch der Kommission, EuZW 2006, S. 325 f. 5 Dazu s. Kniebühler, Transnationales „ne bis in idem“, 2005, S. 374 ff. 4
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A. Einführung
III. Überblick über die Meinungslage in Deutschland 1. Rechtsprechung Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG können ausländische Entscheidungen eine erneute Verfolgung im Inland nicht ausschließen6. Weder aus dem deutschen Strafverfahrensrecht noch aus dem Grundgesetz ergebe sich ein Gebot, das die Anerkennung fremder Strafentscheidungen erfordere. Mit der Frage des transnationalen „ne bis in idem“ hat sich das BVerfG in seiner Entscheidung vom 31. 3. 1987 intensiv beschäftigt7. Es ist zunächst zu dem Schluss gekommen, dass Art. 103 Abs. 3 GG einer neuerlichen Strafverurteilung in Deutschland nach einer Auslandsverurteilung nicht entgegenstehe. Art. 103 Abs. 3 GG gelte nur für Entscheidungen deutscher Gerichte8. Ebenso wenig soll nach der Meinung des BVerfG zur Zeit der Entscheidung eine allgemeine Regel des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG existiert haben, die eine Person, welche in einem dritten Staat zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde und diese Strafe auch verbüßt hat, davor schütze, in einem anderen Staat neuerlich angeklagt oder verurteilt zu werden9. Zu diesem Ergebnis ist das BVerfG gekommen, nachdem es verschiedene relevante internationale oder regionale Regelungen, wie z. B. Art. 14 Abs. 7 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, Art. 8 Abs. 4 der amerikanischen Menschenrechtskonvention oder Art. 4 des siebten Zusatzprotokolls zur EMRK, geprüft hat. Berücksichtigt wurden auch die Rechtsordnungen einer Vielzahl von Staaten10. Obwohl diesbezüglich eine zunehmende Tendenz festgestellt wurde, im Ausland ergangene Verurteilungen, die verbüßt wurden, oder auch Freisprüche bei der Durchführung neuerlicher Strafverfahren teilweise als Verfahrenshindernisse zu werten, habe diese Entwicklung damals nach Ansicht des Gerichts noch nicht die erforderliche weltweite Verbreitung gehabt, um das Bestehen einer allgemeinen Regel des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG annehmen zu können. Im Ergebnis hat zwar das BVerfG mit dieser Entscheidung die Geltung eines transnationalen „ne bis in idem“-Prinzips verneint, es hat sich jedoch gleichzeitig die Möglichkeit offengehalten, diese Meinung in einem späteren Zeitpunkt zu ändern. Diese Rechtsprechung wurde jedoch mit einem späteren Beschluss des BVerfG gefestigt. 2007 hat das BVerfG erneut judiziert, dass selbst unter Berücksichtigung der inzwischen eingetretenen zwischenstaatlichen Entwicklungen ein „ne bis in idem“-Grundsatz mit zwischenstaatlicher Geltung als allgemeine Regel des Völ-
6 BVerfGE 3, S. 248 ff.(252); BVerfGE 12, S. 62 ff. (66); BVerfGE 56, S. 22 ff. (27); BVerfGE 75, S. 1 ff.; vgl. auch BVerfG StraFo 2008, 151 ff. m.w.N. 7 BVerfGE 75, S. 1 ff. 8 BVerfGE 75, S. 1 ff. (15 f.). 9 BVerfGE 75, S. 1 ff. (18 ff.). 10 BVerfGE 75, S. 1 ff. (21 ff. und 25 ff.).
III. Überblick über die Meinungslage in Deutschland
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kerrechts nicht feststellbar sei11. Die nach 1987 in Kraft getretenen Statuten Internationaler Gerichtshöfe, die Regelungen zum Verbot des „ne bis in idem“ enthalten (Art. 10 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien v. 25. 5. 1993, Art. 9 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda v. 8. 11. 1994 und Art. 20 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs v. 17. 7. 1998) sowie die auf europäischer Ebene zu beobachtenden Bemühungen zu einer vertraglichen Regelung des zwischenstaatlichen Doppelverfolgungsverbots vermögen nach der Ansicht des BVerfG nicht, diese Feststellung zu ändern. Der BGH hat im Jahre 1987 die gleiche, ablehnende Meinung vertreten. Eine frühere Verurteilung des Angeklagten schließe die Verfolgbarkeit der Tat nach deutschem Recht nicht aus. Nach dem Inhalt des § 51 Abs. 3 StGB und des § 153c Abs. 1 Nr. 3 StPO seien Zweifel daran nicht möglich12.
2. Theorie Die verschiedenen Meinungen, die in der Theorie über das Bestehen eines zwischenstaatlichen Doppelbestrafungsverbots existieren, werden im Laufe der Arbeit detailliert erläutert. Als allgemeine Feststellung kann aber hier bereits angemerkt werden, dass auch in der Literatur das Bestehen eines universell eingreifenden transnationalen „ne bis in idem“ überwiegend verneint wird. Die Mehrheit der Autoren, seien sie aus dem strafrechtlichen, dem völkerrechtlichen oder dem verfassungsrechtlichen Bereich, erkennt zwar an, dass eine Notwendigkeit zum Schutz des Täters vor einer wiederholten internationalen Verfolgung aufgrund dergleichen Tat besteht, gleichzeitig bemerkt sie aber, dass ein solches Prinzip sich weder aus dem deutschen noch aus dem internationalen Recht ergibt13. Oft wird dafür die de lege ferenda Anerkennung des transnationalen „ne bis in idem“ entweder durch einen Völkerrechtsvertrag14 oder durch eine Änderung der inländischen Vorschriften15 gefordert. De lege lata wird aber die Geltung des zwischenstaatlichen Doppelverfolgungsverbots überwiegend verneint. Nur vereinzelt wird die Meinung vertreten, dass die Anerkennung fremder Strafentscheidungen – 11
BVerfG StraFo 2008, S. 151 ff. (152). BGHSt 34, S. 334 ff. (340); vgl. auch davor BGHSt 33, S. 26 ff. (33). 13 s. beispielsweise aus straf(verfahrens)rechtlicher Sicht Ambos, in: MK-StGB2, Vor §§ 3 – 7 Rn. 65 ff.; Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, Vor §§ 3 – 7, Rn. 340 ff. (insb. 348); Eser, in: Schönke/Schröder, StGB29, Vor §§ 3 – 9 Rn. 78; Aus verfassungsrechtlicher Sicht SchmidtAßmann, in: Maunz/Dürig, GG8, Art. 103 Rn. 303 ff. Aus völkerrechtlicher Sicht Doehring, Völkerrecht2, Rn. 1153; Radtke/Busch, EuGRZ 2000, S. 421. 14 So z. B. Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 347 ff. 15 Vgl. Baumann/Weber, Strafrecht-AT9, S. 83; Oehler, Internationales Strafrecht2, S. 463 f. und 491 f. 12
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A. Einführung
zumindest in bestimmten Fällen – eine Pflicht des Staates nach dem geltenden Recht sei16.
IV. Gang der Untersuchung Die vorliegende Arbeit gliedert sich im Großen in acht Teile. Nach diesem ersten einführenden Teil (A.) wird im zweiten Teil (B.) untersucht, ob und wie das transnationale „ne bis in idem“ im deutschen Recht begründet werden kann. In Betracht kommt zunächst Art. 103 Abs. 3 GG. Größeres Gewicht kommt hier jedoch der Begründung des transnationalen „ne bis in idem“ jenseits von Art. 103 Abs. 3 GG zu. Für diesen Zweck wird das Rechtsstaatsprinzip herangezogen. Dabei ist eine Untersuchung der dogmatischen Grundlagen des „ne bis in idem“-Prinzips im Allgemeinen nötig, so dass daraus nützliche Schlüsse auch für seine zwischenstaatliche Geltung gezogen werden können. Da jedoch der vorliegende Lösungsversuch nicht – wie die herkömmliche Meinung – auf die Prinzipien der Gerechtigkeit und Rechtssicherheit, sondern auf die staatliche Schutz- und Achtungspflicht gestützt wird, ist eine nähere Analyse dieser Begriffe erforderlich. Aus ihrer Konkretisierung ergeben sich auch die Grenzen und der Umfang des transnationalen Doppelverfolgungsverbots. Darauf folgend wird das zwischenstaatliche „ne bis in idem“-Prinzip im dritten Teil (C.) der Arbeit aus der Sicht des Völkerrechts untersucht. Es wird konkreter auf die anerkannten Völkerrechtsquellen, nämlich das Vertrags- und Gewohnheitsrecht sowie auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze eingegangen. Der vierte Teil (D.) der Arbeit befasst sich mit Einwänden, die oft gegen das transnationale „ne bis in idem“ angebracht werden. Es geht um Einwände, die nicht direkt mit der dogmatischen Begründung des zwischenstaatlichen Doppelverfolgungsverbots zu tun haben (diese werden im Rahmen des zweiten und dritten Teils der Arbeit analysiert), sondern eher mit seiner praktischen Durchsetzung, und um die eventuellen Schwierigkeiten, die daraus entstehen können. Im fünften Teil (E.) der Arbeit werden die vorherigen Ergebnisse zur Geltung und zum Umfang des transnationalen Doppelverfolgungsverbots in das System der StPO eingebaut. Als Basis dient dafür § 153c StPO. Des Weiteren wirft die Annahme eines transnationalen „ne bis in idem“-Prinzips und ihr Einbau in das deutsche Strafverfahrenssystem die Frage auf, wann genau von einer „Aburteilung“ einer „gleichen Tat“ ausgegangen werden soll, sowie ob darüber hinaus im Falle einer ausländischen Verurteilung eine Vollstreckung der Strafe erforderlich ist – wie das bei entsprechenden internationalen Verträgen oft der Fall ist. Diese Fragen, d. h. die besonderen Merkmale des transnationalen „ne bis in idem“, bilden den Gegenstand des sechsten Teils (F.) der Arbeit. 16
So z. B. angesichts des Art. 103 Abs. 3 GG Schorn, JR 1964, S. 205 ff. (206).
IV. Gang der Untersuchung
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Nach der vollständigen Darstellung des vorliegenden Konzepts zu Geltung, Umfang, Voraussetzungen und Merkmalen des transnationalen „ne bis in idem“, sowie zu dessen konkreter Anwendung im Rahmen der deutschen StPO erfolgt im siebten Teil (G.) eine Auseinandersetzung mit weiteren Vorschlägen, welche ebenfalls auf die Beseitigung der transnationalen Doppelverfolgungsgefahr – sei es auf internationaler oder auf lokaler Ebene – abzielen. Schließlich werden im achten Teil (H.) die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst.
B. Begründung im Deutschen Recht I. Art. 103 III GG 1. Einführung Im deutschen Recht ist das „ne bis in idem“-Prinzip in Art. 103 Abs. 3 GG verankert. Trotz des eindeutig engeren Wortlauts der Vorschrift wird nach allgemeiner Auffassung die Einmaligkeit nicht nur der Bestrafung wegen derselben Tat, sondern auch der Strafverfolgung nach einer sachlichen Aburteilung gewährleistet1. Es ist zunächst zu prüfen, ob Art. 103 Abs. 3 GG eine transnationale Wirkung hat, indem er eine deutsche Strafverfolgung aufgrund einer im Ausland schon abgeurteilten Tat verhindert. Die Rechtsprechung hat diese Frage schon vor längerem verneint2, was auch der herrschenden Meinung in der Literatur entspricht3. Trotzdem vermehren sich die Stimmen der Autoren, die, wenn sie nicht eindeutig die jurisdiktionsübergreifende Wirkung des Art. 103 Abs. 3 GG bejahen, zumindest Bedenken gegen die diese verneinende Meinung äußern4. Um eine begründete Antwort auf diese Frage geben zu können, ist zunächst eine Analyse der Natur bzw. des Charakters des in Art. 103 Abs. 3 GG verbürgten Prinzips notwendig. 1 BVerfGE 12, S. 62 ff. (66); BVerfGE 56, S. 22 ff. (32); BGHSt 5, S. 323 ff. (330); BGHSt 15, S. 259; BGHSt 20, S. 292 ff. (293); BGHSt 35, S. 60 f.; BGHSt 38, S. 54 ff. (57); s. auch u. a. Nolte, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG6, Art. 103 Rn. 173; Kunig, in: v. Münch/Kunig GG6, Art. 103 Rn. 35; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG8, Art. 103 Rn. 293. 2 BVerfGE 12, S. 62 ff. (66); ausführlicher BVerfGE 75, S. 1 ff. (15 f.); BGHSt 6, S. 176 ff. (177 f.); BGH StV 1986, S. 292; BGH StV 1988, S. 18 f. 3 s. z. B. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG8, Art. 103 Rn. 303 ff.; Nolte, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG6, Art. 103 Rn. 187 ff.; Kunig, in: v. Münch/Kunig GG6, Art. 103 Rn. 44; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG13, Art. 103 Rn. 78; Degenhart, in: Sachs, GG7, Art. 103 Rn. 86; Wasserman, in: Denninger, GG-Kommentar3, Art. 103 Rn. 61; Fischer, in: KK-StPO7, Einl. Rn. 483. 4 Schorn, JR 1964, S. 205 (206); Oehler, Internationales Strafrecht2, 1983, S. 463; Grützner, NJW 22 (1969), S. 345 ff. (346), Jung, Heike, in FS-Schüler-Springorum, S. 493 ff.; Specht, Zwischenstaatliche Geltung des Grundsatzes ne bis in idem, 1999, S. 37; Endriß/Kinzig, StV 1997, S. 665 (667); Mayer, Ne-bis-in-idem-Wirkung europäischer Strafentscheidungen, 1992, S. 40; früher auch Baumann/Weber, Strafrecht AT9, S. 83; Lagodny, Empfiehlt es sich, eine europäische Gerichtskompetenz für Strafgewaltskonflikte vorzusehen? – BMJ Gutachten, 2001, S. 58; vgl. auch Nolte, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG6, Art. 103 Rn. 198 ff.; Sax, in: Müller/Sax, KMR-Kommentar zur StPO6, S. 20; Rüping, in: BK-GG, Art. 103 Abs. 3 GG Rn. 68 ff.; Jung, Heike, in: FS-Schüler-Springorum, 1993, S. 493 ff. (495 ff.); s. auch den Resolutionsentwurf des Vorkolloquiums des XVII. Internationalen Kongresses der AIDP, abgedruckt bei Biehler, ZStW 116 (2004), S. 256 (258 ff.).
I. Art. 103 III GG
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2. Die (Doppel-)Natur des Art. 103 Abs. 3 GG Nach traditioneller Ansicht enthält Art. 103 Abs. 3 GG einen strafprozessualen Verfahrensgrundsatz5. Er hat eine objektive Verfahrensnorm, die im Strafprozessrecht schon seit Langem anerkannt ist, in den Rang eines Verfassungssatzes erhoben. In diesem Sinne stellt Art. 103 Abs. 3 GG einerseits ein Prozesshindernis dar, indem es einem neuen Verfahren mit dem gleichen Prozessgegenstand (in eadem res) entgegensteht6, und ist andererseits aber auch eine verfassungsrechtliche institutionelle Garantie der Rechtskraftsperrwirkung, die eine Aushöhlung durch die Prozessgesetzgebung verbietet7. Nunmehr wird aber über diese objektive Seite hinaus eine subjektive Funktion anerkannt: Trotz der kleinen terminologischen Unterschiede in der Literatur gilt Art. 103 Abs. 3 GG als (Prozess-)Grundrecht8 mit abwehrrechtlicher Funktion. Sein Inhalt besteht im Anspruch des Einzelnen auf Unterlassung einer zweiten staatlichen Verfolgung aufgrund derselben Tat9. Auf diese subjektive Seite verweist sowohl die wörtliche Formulierung der Vorschrift („niemand“) als auch der historische Hintergrund, nämlich die Verankerung des „ne bis in idem“ im Grundgesetz als Reaktion auf die Missbräuche des nationalsozialistischen Regimes10. Systematisch betrachtet deutet auch die Einordnung des Prinzips neben andere Justizgrundrechte auf den grundrechtlichen Charakter hin. Es befindet sich zwar außerhalb des Abschnitts „Grundrechte“, dies hat aber weder für die Natur noch für die Qualität der Gewährleistung eine Bedeutung11. Art. 103 Abs. 3 GG stützt sich auf das Rechtsstaatsprinzip und insbesondere auf das Recht der Person auf Rechtssicherheit. Es steht aber darüber hinaus in unmittelbarem Zusammenhang mit der Menschenwürde12 und dient dem Schutz der individuellen Freiheit des Betroffenen13. 5 BVerfGE 3, S. 250 ff.; BVerfGE 9, S. 96; BVerfGE 23, S. 202; vgl. auch Sax, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, Grundrechte, Bd. III/2, S. 972; Schäfer, in: LR-StPO24, Einl. Kap. 12 Rn. 25 f. 6 Meyer-Goßner, StPO58, Einl. Rn. 145, 171; Kühne, in: LR-StPO26, Einl. K Rn. 75 m.w.N. 7 Kühne, in: LR-StPO26, Einl. K Rn. 77; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG8, Art. 103 Rn. 271. 8 BVerfGE 56, S. 22 ff. (32); Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG8, Art. 103 Rn. 271; Specht, Die zwischenstaatliche Geltung des Grundsatzes ne bis in idem, 1999, S. 20 f.; Rüping, in: BK-GG, Art. 103 Abs. 3 GG Rn. 15; Kunig, in: v. Münch/Kunig GG6, Art. 103 Rn. 35; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG13, Art. 103 Rn. 71. 9 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG8, Art. 103 Rn. 271 ff.; Starck, in: Mangoldt/ Klein/Starck, GG6, Art. 1 Abs. 3, Rn. 173. 10 Specht, Zwischenstaatliche Geltung des Grundsatzes ne bis in idem, 1999, S. 20 f. 11 Starck, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG6, Art. 1 Abs. 3, Rn. 150; Nolte, in: Mangoldt/ Klein/Starck, GG6, Art. 103 Rn. 187 ff.; Rüping, in: BK-GG, Art. 103 Abs. 3 GG Rn. 15. 12 s. u. a. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG8, Art. 103 Rn 258 ff.; Specht, Zwischenstaatliche Geltung des Grundsatzes ne bis in idem, 1999, S. 17 ff.; Nolte, in: Mangoldt/
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B. Begründung im Deutschen Recht
3. Grundrechtsdogmatische Auslegung Der grundrechtliche Charakter des Art. 103 Abs. 3 GG muss als Ausgangspunkt für seine Auslegung dienen. Eine analytische Darstellung der verschiedenen Grundrechtstheorien wäre hier überflüssig, da sie mehr strukturell als inhaltlich auf die anschließenden Erläuterungen wirken. Das folgende Auslegungsverfahren basiert auf dem traditionellen Prüfungsschema „Schutzbereich – Eingriff – verfassungsrechtliche Rechtfertigung“14 und stellt einen Versuch dar, das Problem des transnationalen Doppelverfolgungsverbots und die darauf bezogenen Aspekte und Argumente unter einem grundrechtsdogmatischen Blickwinkel zu betrachten und sich damit entsprechend auseinanderzusetzen. Im Folgenden wird daher geprüft, ob zum Schutzbereich des Art. 103 Abs. 3 GG auch das Verbot einer mehrmaligen Strafverfolgung nach Aburteilung der Tat im Ausland gehört. Damit wären aber noch keine Erkenntnisse über die endgültige Anwendung des „ne bis in idem“-Prinzips auf transnationaler Ebene gewonnen. Selbst wenn dies zuträfe, würde es insbesondere nicht bedeuten, dass im Rahmen des Art. 103 Abs. 3 GG das transnationale „ne bis in idem“ den gleichen Inhalt wie das nationale besitzt. Umfang und Grenzen des transnationalen „ne bis in idem“ würden sich vielmehr nach einer Prüfung auf der Schranken-Ebene ergeben. a) Schutzbereich Wenn die herkömmliche Auffassung die transnationale Wirkung des Art. 103 Abs. 3 GG verneint, ist damit gemeint, dass entweder die ausländischen Strafentscheidungen nicht vom Schutzbereich dieses Grundrechts erfasst werden, oder dass der Schutzbereich sich zwar auch auf sie erstreckt, aber ein kollidierendes Prinzip die Anwendung des bestimmten Grundrechts in transnationalen Konstellationen in vollem Umfang verhindert. Die erste Aufgabe ist folglich, die Richtigkeit der beiden Auffassungen zu prüfen, indem man zunächst den Inhalt des Schutzbereichs anhand der klassischen Auslegungsmethoden, zugleich aber unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Grundrechtsauslegung erforscht. aa) Wortlaut Der Wortlaut des Art. 103 Abs. 3 GG enthält keine direkten Indizien, die auf die eine oder andere Meinung hindeuten. Lediglich die Formulierung „allgemeine Klein/Starck, GG6, Art. 103 Rn. 230; Starck, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG6, Art. 1 Abs. 1, Rn. 13. 13 Rüping, in: BK-GG, Art. 103 Abs. 3 GG Rn. 11 ff.; Büchner, Der Begriff der strafprozessualen Tat, 1976, S. 108; BayVerfGH 16, S. 15 ff. (16); BGHSt 3, S. 13 ff. (15). 14 s. u. a. Alexy, Theorie der Grundrechte2, 1994, S. 273 ff.; Zippelius/Würtenberger, Staatsrecht32, S. 204 ff.; Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Staatsrecht II31, Rn. 220 ff.; Hufen, Staatsrecht II5, § 6 Rn. 2 ff.
I. Art. 103 III GG
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Strafgesetze“ könnte eventuell einen Anhaltspunkt für eine Einengung des Doppelverfolgungsverbots auf Inlandsebene bieten, wenn darunter nur die deutschen Strafgesetze zu verstehen wären. Dafür findet sich aber keine Begründung. Den Gegensatz zu den allgemeinen Strafgesetzen sollten nach dem Willen des Parlamentsrates „das Disziplinarstrafrecht, das Ordnungsstrafrecht und das Polizeistrafrecht“ bilden15. Mit dieser Formulierung wollte der Grundgesetzgeber das Doppelverfolgungsverbot auf den Bereich des Kriminalstrafrechts begrenzen und damit die Anwendung von Strafen neben Maßnahmen oder Sanktionen nicht strafrechtlicher Natur offen lassen. Die Diskussion in der Literatur konzentriert sich hier folglich darauf, die Kriterien zu bestimmen, welche die Grenzen zwischen Sanktionen strafrechtlicher Natur und solchen, die keine Strafzwecke verfolgen, festlegen können16. Die Aufgabe des Begriffs „allgemeine Strafgesetze“ ist somit nicht, das „ne bis in idem“-Prinzip auf die nationale Rechtsordnung zu beschränken, sondern die Gewährleistung des Art. 103 Abs. 3 GG im Hinblick auf den besonderen Anspruch und Belastungsgehalt staatlichen Strafens17 auf Sanktionen strafrechtlicher Natur zu begrenzen. Nach dem Wortlaut des Art. 103 Abs. 3 GG kann folglich eine zwischenstaatliche Anwendung des Prinzips nicht ausgeschlossen werden18. bb) Geschichte und vorverfassungsrechtliches Gesamtbild Bei der historischen Auslegung des Art. 103 Abs. 3 GG stößt man zwangsläufig auf die Theorie des „vorverfassungsrechtlichen Gesamtbilds“. Das „ne bis in idem“Prinzip galt früher lediglich als ein im Prozessrecht ausgebildeter Grundsatz, welchem „wegen seines grundrechtsähnlichen Charakters in dem Grundgesetz Ausdruck verliehen wurde“19. Es sei mithin in dem Umfang rezipiert worden, den es nach Praxis und Lehre bei Inkrafttreten des Grundgesetzes gehabt habe und deswegen müsse man bei seiner Interpretation nur von dem „vorverfassungsrechtlichen Gesamtbild des Prozessrechts“ und hauptsächlich von der vorkonstitutionellen Rechtsprechung ausgehen20. Diese Auffassung wirkte sich auf verschiedene Fragen
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v. Doemming, JöR 1 (1951), 741 ff. (744). s. u. a. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG8, Art. 103 Rn. 286 ff; Rüping, in: BK-GG, Art. 103 Abs. 3 GG Rn. 28 ff.; Fliedner, AöR 99 (1974), S. 242 ff. (248 ff.); Nolte, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG6, Art. 103 Rn. 211 ff. 17 Vgl. Hill, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. 6, 1989, § 156 Rn. 71; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG8, Art. 103 Rn. 275 und 165. 18 So auch Specht, Zwischenstaatliche Geltung des Grundsatzes ne bis in idem, 1999, S. 26. 19 BVerfGE 3, 248 (252); 9, 89 (96); 12, 62 (66); vgl. auch BGHSt 5, 323 (328). 20 BVerfGE 9, 89 (96); 12, 62 (66); BGHSt 5, 323 (328). Sax, in: Bettermann/Nipperdey/ Scheuner, Grundrechte, Bd. III/2, S. 972; Schäfer, in: LR-StPO24, Einl. Kap. 12 Rn. 25 f.; Schmidt-Bleibtreu, in: ders./Klein GG9, Art. 103 Rn. 11; anders aber in der aktuellen Auflage desselben Kommentars Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG13, Art. 103 Rn. 82. 16
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B. Begründung im Deutschen Recht
bezüglich des „ne bis in idem“ aus21, wie z. B. den Begriff der Tat22, die Konkurrenz zwischen Strafe und Disziplinarmaßnahme23, oder die beschränkte Rechtskraft des Strafbefehls24. Dieser Auffassung zufolge wurde auch die transnationale Wirkung des Art. 103 Abs. 3 GG in der Rechtsprechung abgelehnt. Das BVerfG stellte in einer Entscheidung von 196125 fest, dass das Doppelverfolgungsverbot vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes keinerlei ausländische Entscheidungen gedeckt hatte. Die Anwendung des Art. 103 Abs. 3 GG auf Strafurteile der ehemaligen DDR wurde in dieser Entscheidung jedoch nicht aus diesem Grund abgelehnt, sondern weil die Gerichte in der Sowjetzone eine Gewalt ausgeübt hätten, die sich nicht an rechtsstaatlichen Grundsätzen orientiert habe26. Deutlicher war die Formulierung in einer Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs aus dem Jahre 1963, worin er eine jurisdiktionsübergreifende Funktion des Doppelbestrafungsverbots mit der Begründung verneinte, „dass ihm eine so weitgehende Bedeutung in der Zeit vor dem Inkrafttreten der Verfassung nicht zuerkannt wurde“ und deswegen eine solche Auslegung gegen das „vorverfassungsrechtliche Gesamtbild“ des Prinzips verstoße27. Nach den ausführlichen Erörterungen Mayers28 sprach aber das „vorverfassungsrechtliche Gesamtbild“ nicht so eindeutig, wie etwa der BayVerfGH und das BVerfG angenommen haben, gegen eine transnationale Anwendung des „ne bis in idem“. Ausländische Urteile waren zwar nach den Bestimmungen des RStGB oder RStPO nicht den inländischen gleichgestellt; wegen der strengen Anknüpfung an das Territorialitätsprinzip war jedoch die Gefahr einer doppelten Verurteilung geringer. Des Weiteren verlieh § 5 Nr. 1 RStGB ausländischen Entscheidungen, die aufgrund einer im Ausland begangenen Tat erlassen wurden, eine „ne bis in idem“-Wirkung unter der Voraussetzung, dass der Angeklagte freigesprochen wurde, oder, im Falle einer Verurteilung, dass die Strafe vollstreckt war29. Im Gegensatz also zu dem von der Rechtsprechung gezogenen Schluss, kann man bei der Rechtslage bis 1940 zumindest von einer begrenzten Anerkennung des Grundsatzes „ne bis in idem“ ausgehen. Selbst wenn man behaupten will, dass diese Argumente für die Annahme einer vorkonstitutionellen Existenz des transnationalen Doppelverfolgungsverbots nicht
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s. Rüping, in: BK-GG, Art. 103 Abs. 3 GG Rn. 17. BVerfGE 56, S. 22 ff. (28, vgl. aber auch S. 34). 23 BVerfGE 27, S. 180 ff. (185). 24 BVerfGE 3, S. 248 ff. (252). 25 BVerfGE 12, S. 62 ff. 26 BVerfGE 12, S. 62 ff. (66). 27 BayVerfGH 16, S. 15 ff. (17). 28 Mayer, Ne-bis-in-idem-Wirkung europäischer Strafentscheidungen, 1992, S. 22 ff.; zust. Specht, Zwischenstaatliche Geltung des Grundsatzes ne bis in idem, 1999, S. 20 f. 29 Mayer, Ne-bis-in-idem-Wirkung europäischer Strafentscheidungen, 1992, S. 26 ff. 22
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genügen, würde das trotzdem kein Hindernis für die heutige Anerkennung dieses Grundsatzes darstellen, und zwar aus folgenden Gründen: Die zuvor genannte traditionelle Meinung zu den verbindlichen Auswirkungen des vorverfassungsrechtlichen Gesamtbilds auf die Auslegung des Art. 103 Abs. 3 GG erscheint nunmehr als überholt und als mit dem grundrechtlichen Charakter dieser Vorschrift unvereinbar. Im Beschluss vom 8. 1. 198130 nahm das BVerfG an, dass Art. 103 Abs. 3 GG zwar auf die bei Inkrafttreten des Grundgesetzes geltende prozessrechtliche Lage Bezug nehme, aber „dies bedeute[…] nicht, dass das überlieferte Verständnis des Rechtssatzes „ne bis in idem“ für jede auftauchende Zweifelsfrage bereits eine verbindliche Auslegung durch die Rechtsprechung bereithielte […]“31. Diese Meinung wird heutzutage auch von den meisten Autoren vertreten32. Art. 103 Abs. 3 GG kommt eine eigenständige, das einfache Prozessrecht überragende Bedeutung zu33. Wie schon erläutert, wurde das „ne bis in idem“-Prinzip durch seine Aufnahme in das Grundgesetz nicht nur als Institut verfassungsrechtlich verankert, sondern zugleich in ein Grundrecht umgewandelt. Jeder Versuch Art. 103 Abs. 3 GG an das vorverfassungsrechtliche Gesamtbild der Rechtskraftsperrwirkung zu ketten, verkennt diese Umwandlung und dadurch die Natur des Doppelverfolgungsverbots als Prozessgrundrecht34. Außerdem ist im Rahmen einer historischen Auslegung, wie bei jeder verfassungsrechtlichen Vorschrift, die Entstehungsgeschichte und der vorkonstitutionelle Gehalt des beinhalteten Prinzips zu berücksichtigen. Es gibt aber keinen Grund, weder hier noch bei einer anderen Verfassungsvorschrift, den Interpretationsvorgang auf die Vorstellungen des historischen Verfassungsgebers zu begrenzen35. Eine solche Meinung könnte die Auslegung „versteinern“36 sowie überholte und unzeitgemäße Positionen verfestigen37. Die absolute Ablehnung eines transnationalen „ne bis in idem“ scheint nunmehr tatsächlich überholt und unzeitgemäß. Selbst wenn man behaupten möchte, die 30
BVerfGE 56, 22 ff. BVerfGE 56, 22 (34). 32 s. u. a. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG8, Art. 103 Rn. 263 ff.; Rüping, in: BKGG, Art. 103 Abs. 3 GG Rn. 16 ff.; Wasserman, in: Denninger, GG-Kommentar3, Art. 103 Rn. 55; Nolte, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG6, Art. 103 Rn. 198 ff.; Niemöller/Schuppert, AöR 107 (1982), 387 (411 f.); Degenhart; in: Sachs, GG7, Art. 103 Rn. 76; Kunig, in: v. Münch/ Kunig GG6, Art. 103 Rn. 37. 33 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG8, Art. 103 Rn. 263 ff.; Rüping, in: BK-GG, Art. 103 Abs. 3 GG Rn. 16 ff.; Wasserman, in: Denninger, GG-Kommentar3, Art. 103 Rn. 55. 34 Wasserman, in: Denninger, GG-Kommentar3, Art. 103 Rn. 55; Rüping, in: BK-GG, Art. 103 Abs. 3 GG Rn. 18; vgl. auch Starck, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG6, Art. 1 Abs. 3, Rn. 165; Degenhart, in: Sachs, GG7, Art. 103 Rn. 76. 35 s. Rüping, in: BK-GG, Art. 103 Abs. 3 GG Rn. 18. 36 Christensen, Was heißt Gesetzesbindung, 1990, S. 54 f. 37 Schneider, Hans, in: FS-Stern, 1997, S. 912 f.; vgl. auch Müller, Friedrich, in Enzyklopädie der geisteswissenschaftlichen Arbeitsmethoden11, Teil I, S. 166. 31
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Entstehungsgeschichte des Art. 103 Abs. 3 GG spreche für ein national-orientiertes „ne bis in idem“, könnte eine darauf bezogene Auslegung angesichts der internationalen Entwicklungen irreführend und mit dem dynamischen Charakter des Grundgesetzes38 unvereinbar sein. Der Grund dafür ist die große Veränderung, welche sowohl die internationale Kriminalität als auch die Strafverfolgung seit dem Inkrafttreten des deutschen Grundgesetzes erfahren hat. Die zunehmende Vereinfachung der internationalen Mobilität und Kommunikation und die Verflechtung der international tätigen Straftätergruppen39 haben die Staaten zu einer engeren Zusammenarbeit gezwungen, was wiederum zu einem Fortschritt bei der Harmonisierung der internationalen Strafverfolgungsstandards geführt hat. Damit hängen auch die Entwicklungen im nationalen Bereich und hauptsächlich hinsichtlich des „Internationalen Strafrechts“ zusammen. Kennzeichnend ist beispielsweise die Erweiterung des Katalogs der dem Weltrechtspflegeprinzip unterliegenden Delikte, die im Interesse der Staatengemeinschaft und unabhängig von Tatort und Staatsangehörigkeit von Täter bzw. Opfer weltweit verfolgt werden können40. Diese Faktoren haben für den Täter die Gefahr einer Doppelbestrafung auf internationaler Ebene wesentlich erhöht, eine Tatsache, die bei der Verfassungsinterpretation in Kauf genommen werden muss41. cc) Telos Nach herkömmlicher Auffassung beruhen das Doppelbestrafungs- und Doppelverfolgungsverbot auf den Grundprinzipien sowohl der Rechtssicherheit als auch der materiellen Gerechtigkeit42. Richtigerweise sind sie zugleich eng mit der Freiheit und Würde des Menschen verbunden43. Sie dienen mithin dazu, dass der Bürger nicht dauernd unter dem Damoklesschwert einer möglichen Strafverfolgung und Bestrafung steht und folglich nicht zum Objekt staatlicher Gewalt herabgewürdigt wird44. Es gibt aber hier angesichts der Verletzung der Menschenwürde keinen Grund 38
Wasserman, in: Denninger, GG-Kommentar3, Art. 103 Rn. 55. s. u. a. Sieber, in: ders., Internationale Organisierte Kriminalität, 1997, S. 269 ff. (273); Rüping, in: BK-GG, Art. 103 Abs. 3 GG Rn. 70. 40 Vgl. den Katalog der diesbezüglichen internationalen Abkommen von Amnesty International, in: Universal Jurisdiction: The duty of states to enact and implement legislation, chapter 15, S. 18 ff.; Zum Weltrechtspflegeprinzip s. u.a. Oehler, Internationales Strafrecht2, S. 519 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht4, § 3 Rn. 92 ff.; dens., in: MK-StGB2, Vor §§ 3 – 7, Rn. 47 ff.; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht7, S. 80. 41 A. A. Mayer, Ne-bis-in-idem-Wirkung europäischer Strafentscheidungen, 1992, S. 23 und insb. Fn. 16. 42 s. weiter unten, B.II.4. 43 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG8, Art. 103 Rn 258 ff.; Specht, Zwischenstaatliche Geltung des Grundsatzes ne bis in idem, 1999, S. 17 ff.; Nolte, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG6, Art. 103 Rn. 230; Starck, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG6, Art. 1 Abs. 1, Rn. 13. 44 Dürig, in: Maunz/Dürig, GG5, Art. 103 Rn. 124 (zit. nach Schmidt-Aßmann, in: Maunz/ Dürig, GG8, Art. 103 Rn. 260); vgl. auch Berner, GA 1855, 472 ff. (475). 39
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zu unterscheiden, ob die erste Aburteilung im Ausland oder im Inland stattgefunden hat. Von welchem Staat die Gefahr einer erneuten Strafverfolgung ausgeht, ob es nämlich derselbe ist, der die erste Strafentscheidung getroffen hat oder nicht, ändert für die betroffene Person nichts am belastenden Charakter dieses schwebenden „Damoklesschwerts“. Damit Art. 103 Abs. 3 GG seinem Schutzzweck gerecht wird, muss aus diesem Grund die vorherige Aburteilung der Tat, unabhängig davon, ob sie im Inland oder im Ausland stattgefunden hat, als Faktor gegen eine erneute Strafverfolgung berücksichtigt werden. Teleologisch betrachtet spricht also auch der Schutzzweck des Art. 103 Abs. 3 GG dafür, die ausländischen Entscheidungen in seinen Schutzbereich miteinzubeziehen. dd) Auswirkungen des grundrechtlichen Charakters Neben den vorgenannten „traditionellen“ Auslegungsmethoden sind im Rahmen der Prüfung des Art. 103 Abs. 3 GG die Besonderheiten, welche sich aus seinem grundrechtlichen Charakter ergeben, und vor allem die im Rahmen der Grundrechtsdogmatik entwickelten Grundsätze zu berücksichtigen. In Betracht kommt die von einem großen Teil der Literatur vertretene Meinung, dass der Schutzbereich der Grundrechte weit zu interpretieren sei, damit diese ihre größtmögliche Effektivität erreichen können. Die Grenzen seien eher auf der Schrankenebene durch Abwägungen mit anderen Verfassungsprinzipien oder Grundrechten zu suchen. Andere Autoren sprechen sich dagegen für einen engen Schutzbereichsbegriff aus, was die Grundrechtsprüfung oft schon auf der ersten Prüfungsebene beenden würde. Die Annahme der einen oder anderen Meinung ist für die Auslegung des Art. 103 Abs. 3 GG ausschlaggebend. Es ist deshalb notwendig, sich mit dieser Problematik auseinanderzusetzen und diesbezüglich Stellung zu beziehen. In einer Reihe von Entscheidungen hat das BVerfG bei der Auslegung des Schutzbereichs verschiedener Grundrechte den Grundsatz der Grundrechtseffektivität entwickelt45. Dabei ist derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben, die die stärkste juristische Wirkungskraft der betreffenden Norm entfaltet46. Diesem Grundsatz zufolge hat das BVerfG beispielsweise in den Wirkungsbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG unter dem Wort „jeder“ das ungeborene Leben einbezogen47 oder den Begriff „Wohnung“ in Art. 13 Abs. 1 GG auch auf Arbeits-, Betriebs-, und Geschäftsräume ausgedehnt48.
45
BVerfGE 6, S. 55 ff. (72); BVerfGE 32, S. 54 ff. (71); BVerfGE 39, S. 1 (38); BVerfGE 48, S. 376 (388); BVerfGE 51, S. 97 (110); vgl. auch Müller Friedrich, in: Enzyklopädie der geisteswissenschaftlichen Arbeitsmethoden11, Teil I, S. 167. 46 BVerfGE 6, 55 (72). 47 BVerfGE 39, 1 (38); vgl. auch Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, 1987, S. 182. 48 BVerfGE 32, 54 (71).
34
B. Begründung im Deutschen Recht
Die vorgenannte Rechtsprechung entsprach der bislang als herrschend bezeichneten49 Auffassung, dass der Schutzbereich der Grundrechte weit zu interpretieren sei50. Diese Meinung versucht die Effektivität der Grundrechte zu optimieren, indem sie all das, was von dem jeweiligen grundrechtlichen Prinzip geschützt werden muss, in den Schutzbereich subsumiert und dadurch prima facie (d. h. in dem Stadium vor der Schrankenprüfung) zu einer Bejahung des Grundrechtstatbestands gelangt51. Dadurch wird der Weg zur Abwägung verschiedener Verfassungsprinzipien im Rahmen der Eingriffs- bzw. Schrankenebene geöffnet. Grundrechtliche Urteile sollen nur dann richtig sein, wenn sie das Ergebnis einer zutreffenden Abwägung sein können52. Wendet man diese Auffassung auf Art. 103 Abs. 3 GG an, muss man davon ausgehen, dass die ausländischen Entscheidungen prima facie vom Schutzbereich des verfassungsrechtlichen Doppelverfolgungsverbots gedeckt werden, soweit sich nichts anderes aus dem Wortlaut dieser Vorschrift ergibt. Eine Ablehnung oder Eingrenzung könnte dann nur auf der Schranken-Ebene erfolgen. Im Gegensatz zu der weiten Tatbestandstheorie versuchen jedoch manche Autoren, die Anwendbarkeit eines Grundrechtstatbestands schon zu Beginn der Grundrechtsprüfung durch einen engeren Schutzbereichsbegriff festzustellen. Die verschiedenen Auffassungen zur Einengung des Schutzbereichs werden allgemein als „enge Tatbestandstheorien“ bezeichnet53. Ein Beispiel stellt die neuerlich verbreitete „Lehre vom engen Gewährleistungsgehalt“ dar. Sie schreibt jedem Grundrecht einen bestimmten Gewährleistungsgehalt zu, welcher entweder als eine vierte Prüfungsstufe zwischen Schutzbereich und Eingriff zu verstehen ist54, oder sogar den Schutzbereich verdrängt55. Kennzeichnend ist aber hier, dass statt eines umfassenden Schutzbereichsbegriffs eine begrenzte Präzisierung des Gewährleistungsinhalts
49 s. Kahl, Der Staat 43 (2004), S. 167 ff. (168); dens., AöR 131 (2006), S. 579 ff. (605 und Fn. 155); Dreier, in: ders., GG3, Vor Art. 1 Rn. 120. 50 s. u. a. Alexy, Theorie der Grundrechte2, 1994, S. 278 ff. (290 ff.); Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, 1987, S. 175 ff.; Sachs, in: Stern/ders., Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/2, 1994, S. 63; Hillgruber, in: Umbach/Clemens, GG, 2002, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 34 f.; Hufen, Staatsrecht II5, § 6 Rn. 15; Kahl, Der Staat 43 (2004), S. 167 ff.; ders., AöR 131 (2006), S. 579 ff. (605 ff.); jeweils m.w.N. 51 Alexy, Theorie der Grundrechte2, 1994, S. 291; Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, 1987, S. 175 ff. 52 Alexy, Theorie der Grundrechte2, 1994, S. 291. 53 s. z. B. Müller Friedrich, Die Positivität der Grundrechte2, S. 40 ff., der eine „immanente“ Beschränkung durch die Rechtsqualität der Grundrechte annimmt; Ipsen, JZ 1997, 473 ff. (479 f.), der über eine immanente Nichtstörungsschranke und einen Vorbehalt sozialer Unschädlichkeit spricht; Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG3, 1983, der den allgemeinen Gesetzen eine den grundrechtlichen Schutzbereich begrenzende Funktion zuschreibt. Für weitere Beispiele und Kritik s. Hufen, Staatsrecht II5, § 6 Rn. 15 ff. 54 Böckenförde, Der Staat 42 (2003), 165 ff. (181 ff.); Enders, Jura 2003, S. 34 (37); Papier, in: FS-Mußgnug, 2005, S. 45 ff. (49). 55 Hoffmann-Riem, in: Bäuerle, Haben wir wirklich Recht?, 2003, S. 53 ff. (60).
I. Art. 103 III GG
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hauptsächlich anhand von subjektiv-historischen Gründen befürwortet wird56. Ziel dieser Theorie ist es, den Abwägungsbedarf und die damit zusammenhängende Unsicherheit, zu denen ein umfassender Schutzbereichsbegriff geführt hat, zu minimieren und im Namen des Demokratieprinzips (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 GG) und des Gewaltenteilungsgrundsatzes (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG) den großen Ermessensspielraum, den die weite Tatbestandstheorie den Gerichten eingeräumt hat, zugunsten des Verfassungsgebers zu begrenzen57. Darüber hinaus sollen enge Gewährleistungsgehalte den Grundrechten „Umgrenzung und Profil“ geben, sowie einen festen Boden für die verfassungsrechtliche Beurteilung schaffen58. Das würde auch eine große Arbeitsentlastung für das Bundesverfassungsgericht bedeuten, welches sich nur auf die sog. „big cases“ konzentrieren könnte59. Angesichts des Art. 103 Abs. 3 GG könnte man mit dieser Theorie behaupten, dass die Einbeziehung von fremden Strafurteilen in den Schutzbereich des Art. 103 Abs. 3 GG nicht zum Gewährleistungsgehalt dieses Grundrechts gehöre, obwohl dies vom Wortlaut dieser Vorschrift her nicht ausgeschlossen werden kann. Somit könnte das transnationale „ne bis in idem“ nicht auf Art. 103 Abs. 3 GG gestützt werden; eine weitere Prüfung würde sich erübrigen. Neuere Entscheidungen des BVerfG erwecken tatsächlich den Anschein, dass sie von der Theorie des „engen Gewährleistungsgehalts“ inspiriert sind60. Wichtige Beispiele bilden die Entscheidungen Osho und Glykol. Im ersten Fall hat das BVerfG judiziert, dass Äußerungen wie „Sekte“, „Jugendreligion“, „Jugendsekte“ und „Psychosekte“ nicht einmal den Schutzbereich des Grundrechts der Religions- oder Weltanschauungsfreiheit berühren61, während im zweiten Fall die Anwendung des Art. 12 Abs. 1 GG, der die Wettbewerbsfreiheit betrifft, mit der Begründung abgelehnt wurde, dass der Schutzbereich dieser Vorschrift nicht vor der Verbreitung zutreffender und sachlich gehaltener Informationen auf dem Markt schütze, die für das wettbewerbliche Verhalten der Marktteilnehmer von Bedeutung sein können62.
56 Vgl. zum Ganzen Böckenförde, Der Staat 42 (2003), 165 ff.; Hoffmann-Riem, in: Bäuerle, Haben wir wirklich Recht?, 2003, S. 53 ff.; aber auch Forsthoff, in: FS-Schmitt Carl, 1959, S. 35 ff.; zur Kritik dieser Theorie s. u.a. Alexy, Theorie der Grundrechte2, 1994, S. 280 ff.; Kahl, Der Staat 43 (2004), 167 ff.; Möllers, NJW 2005, S. 1973 ff.; Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, 1987, S. 176 ff. 57 Böckenförde, Der Staat 42 (2003), 165 ff. (187 ff.); Schuppert/Bumke, Die Konstitutionalisierung der Rechtsordnung, 2000, S. 66; Hochhuth, JZ 2002, S. 743 ff. (752); Bryde, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Bd. 1, 2004, § 10, Rn. 29. 58 Bumke, Die Verwaltung 37 (2004), S. 3 ff. (28 ff.); Hoffmann-Riem, in: Bäuerle, Haben wir wirklich Recht?, 2003, S. 53 ff. (64); Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, 1997, S. 61 f.; Fischer/Groß, DÖV 2003, S. 932 ff. (933, 939). 59 Böckenförde, Der Staat 42 (2003), 165 ff. (191); Kritisch dazu Benda, NJW 1997, 560 ff. (562). 60 s. Kahl, Der Staat 43 (2004), 167 ff. (169 ff.); Möllers, NJW 2005, S. 1973 ff (1974 ff.). 61 BVerfGE 105, S. 279 ff. 62 BVerfGE 105, S. 252 ff.
36
B. Begründung im Deutschen Recht
Diese Konstellation ist auch in anderen Entscheidungen des BVerfG zu finden63, ohne dass jedoch von einer deutlichen Hinwendung zu einer allgemeinen engen Tatbestandstheorie die Rede sein könnte64. In der Literatur ist diese Rechtsprechungstendenz zu Recht auf Kritik gestoßen und zwar aus folgenden Gründen: Der Versuch zur Verengung des Schutzbereichsbegriffs birgt eine gewisse Willkür65 und untergräbt die Kontrollierbarkeit des Gedankengangs bei der Grundrechtsprüfung. Eine dogmatische Strukturierung der Grundrechtsprüfung in vordefinierte Stufen (Schutzbereich, Grundrechtsschranken und Schrankenschranken) bietet Einsichtigkeit und Berechenbarkeit des juristischen Argumentierens66. Die Schutzbereichsbegrenzung eines Grundrechts aus Gründen, die sich nicht auf seinen Wortlaut stützen, birgt die Gefahr, dass Bewertungen und Abwägungen, die bisher im Eingriffsbereich durchzuführen waren und dadurch einer besonderen Begründung bedurften67, sowie bestimmten Regeln und Grenzen (Schrankenschranken) unterlagen, durch eine eher arbiträre und latente Vorentscheidung68 und vor allem „unter Verzicht auf die rationalitätssichernde Kraft des Verhältnismäßigkeitsprinzips“69 auf die Schutzbereichsebene verlagert werden70. In dieser Hinsicht führt die Lehre vom engen Gewährleistungsgehalt genau zum Gegenteil dessen, was sie bezweckt, nämlich zu Rechtsunsicherheit und Intransparenz. Dies verfestigt sich dadurch, dass für die Begrenzung des Gewährleistungsgehalts in großem Maße auf historische Argumente und den oft unklaren subjektiven Willen des Grundgesetzgebers abgestellt wird71, was die bisherige dogmatische Entwicklung und inhaltliche Ausgestaltung der Grundrechte durch Literatur und Judikatur gefährdet72.
63
Vgl. BVerfG, NJW 1984, 1293 ff.; BVerfG, NJW 2006, 596 ff.; BVerfGE 104, 92 ff. Kahl, AöR 131 (2006), S. 579 ff. (608 ff.); Möllers, NJW 2005, S. 1973 ff (1974 ff.). 65 s. Starck, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. 7, 1992, § 164 Rn. 36. 66 Kloepfer, in: FS-BVerfG, 1976, Bd. 2, S. 405 ff. (407). 67 Zum damit zusammenhängenden „rechtsstaatlichem Verteilungsprinzip“, nach dem der Staat seine Eingriffe rechtfertigen muss und nicht umgekehrt der Bürger die Ausübung seiner Freiheit, s. weiter unten, B.IV.1.b); s. auch Schmitt, Carl, Verfassungslehre, 1928, S. 166; Schlink, EuGRZ 1984, S. 457 ff. (467); Sachs, in: Stern/ders., Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/2, 1994, § 77, S. 66; Isensee, in: ders./Kirchhof, HStR3, Bd. 2, 2004, § 15 Rn. 89 ff.; Klein, Hans Hugo, Der Staat 14 (1975), S. 153 ff. (157). 68 Kahl, Der Staat 43 (2004), S. 167 ff. (192). 69 Huber, Peter, JZ 2003, S. 290 ff. (293). 70 s. Dreier, in: ders., GG3, Vorb. Rn. 120; Kahl, Der Staat 43 (2004), 167 ff. (192); Alexy, Theorie der Grundrechte2, 1994, S. 259 f.; Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, 1987, S. 183 f.; ders., in: FS-Rüfner, 2003, S. 329 ff. (334); Huber, Peter, JZ 2003, S. 290 ff. (293); Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 160; Starck, in: Mangoldt/Klein/ Starck, GG6, Art. 1 Abs. 3 Rn. 229. 71 s. Böckenförde, Der Staat 42 (2003), 165 ff. (178 ff.). 72 Dreier, in: ders., GG3, Vorbemerkungen Rn. 122. 64
I. Art. 103 III GG
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Darüber hinaus ist fraglich, ob die von dieser Lehre verkündete73 Vermeidung oder Verminderung des Abwägungsbedarfs bei der Grundrechtsprüfung tatsächlich als Vorteil anzusehen ist. Das Gebot der Einzelfallgerechtigkeit zwingt zu einer negativen Antwort. Eine sachadäquate und gerechte Entscheidung setzt die Berücksichtigung aller im bestimmten Fall divergierenden Interessen voraus. Diese Aufgabe kann durch die „akzentuierte Stufung“74 zwischen Schutzbereich und Schranken und das „Spiel von Grund und Gegengrund“75 erfüllt werden. Die (wenn auch indirekte) Preisgabe der Auseinandersetzung mit den verfassungsrechtlichen Rechtfertigungen und insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsprinzip durch abstrakt-generelle Regeln auf der Schutzbereichsebene gefährdet die Anpassungsfähigkeit und Flexibilität des Rechts76. Wenn man außerdem an der Verlässlichkeit und Objektivität des Abwägungsergebnisses in einem Einzelfall zweifelt77, dann besteht die Lösung nicht darin, die Abwägung als solche zu vermeiden, sondern die geeigneten Kriterien für eine objektive und verlässliche Bewertung zu finden. So können sowohl Einzelfallgerechtigkeit als auch Rechtssicherheit gewährleistet werden. Aus diesen Feststellungen ergibt sich, dass man die engen Tatbestandstheorien ablehnen muss. Für Art. 103 Abs. 3 GG bedeutet das konkreter, dass eine Einengung seines Schutzbereichs auf deutsche Strafentscheidungen, was den Vorgaben einer engen Tatbestandstheorie entspricht, willkürlich und unbegründet wäre. Weder aus dem Wortlaut noch aus einem anderen Grund ergibt sich eine solche Auslegung. Ist man von den teleologischen und historischen Argumenten, die weiter oben dargestellt wurden und für eine weite Fassung des Art. 103 Abs. 3 GG sprechen, nicht überzeugt, dann muss man trotzdem, der weiten Tatbestandstheorie zufolge, von einer umfassenden Auslegung des Schutzbereichs ausgehen, sodass das verfassungsrechtliche Prinzip des „ne bis in idem“ prima facie auch vor einer Doppelverfolgung nach Aburteilung der Tat im Ausland schützt. Dementsprechend ist die Wiederaufnahme eines im Ausland abgeschlossenen Verfahrens durch den deutschen Staat als Eingriff in das Grundrecht der Einmaligkeit der Strafverfolgung anzusehen, dessen Rechtfertigung durch eine Abwägung mit anderen verfassungsrechtlichen Prinzipien und vor allem in Anlehnung an das Verhältnismäßigkeitsprinzip mittels der folgenden Prüfungsstufen zu erfolgen hat.
b) Eingriffe Da die Frage nach der Einbeziehung ausländischer Urteile in den Schutzbereich des Art. 103 Abs. 3 GG bejaht wurde, muss jede strafrechtliche Verfolgung eines Menschen wegen einer schon im Ausland abgeurteilten Tat als Eingriff in sein 73 74 75 76 77
s. Böckenförde, Der Staat 42 (2003), 165 ff. (166). Kloepfer, in: FS-BVerfG, 1976, Bd. 2, S. 405 ff. (407). Alexy, Theorie der Grundrechte2, 1994, S. 290 f., 296, 469. Kahl, Der Staat 43 (2004), 167 ff. (192 f.). Böckenförde, Der Staat 42 (2003), 165.
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B. Begründung im Deutschen Recht
(Grund-)Recht zur Einmaligkeit der Strafverfolgung betrachtet werden. Zwar ist Art. 103 Abs. 3 GG ohne Schrankenvorbehalt abgefasst, dies bedeutet jedoch nicht, dass eine solche Verfolgung stets verfassungswidrig ist. Eingriffe sind zulässig, solange sie durch verfassungsrechtlich anerkannte Prinzipien gerechtfertigt sind und verhältnismäßig erscheinen78. Was die Verfolgung von Straftaten betrifft, für die eine Entscheidung eines deutschen Gerichts vorliegt, sind als gerechtfertigte Eingriffe in den Schutzbereich des Art. 103 Abs. 3 GG die Gründe der Wiederaufnahme des Strafverfahrens zuungunsten des Angeklagten anzusehen (§ 362 StPO). Diese Wiederaufnahmegründe stützen sich nach der herkömmlichen Auffassung auf das Rechtsstaatsprinzip und zwar auf das Prinzip der materiellen Gerechtigkeit. Letzteres könne Eingriffe in das Rechtssicherheitsprinzip, auf welches sich wiederum das Doppelverfolgungsverbot stütze, rechtfertigen79. So wie beim innerstaatlichen „ne bis in idem“ kann sich auch die Frage, ob und in welchem Grad ein anderes verfassungsrechtliches Prinzip das in Art. 103 Abs. 3 GG verankerte zwischenstaatliche Doppelverfolgungsverbot zu durchbrechen vermag, erst dann beantwortet werden, wenn die entsprechenden konkurrierenden Prinzipien festgestellt worden sind. Es ist zunächst klarzustellen, auf welches Prinzip sich das Doppelverfolgungsverbot im Allgemeinen stützt, welches Prinzip ihm entgegensteht und in welcher Hinsicht diese Prinzipien auf transnationaler Ebene aufeinander einwirken. Das erfolgt im nächsten Kapitel dieser Arbeit. Hier ist nur anzumerken, dass keines dieser konkurrierenden Prinzipien ein anderes vollständig verdrängen kann. Die Lösung für diese Konkurrenz ist vielmehr auf der Basis der Verhältnismäßigkeit zu suchen.
4. Art. 103 Abs. 3 GG als Schranken-Schranke Entgegen der herrschenden Auffassung zur dogmatischen Einordnung des Art. 103 Abs. 3 GG (und Abs. 2) als eigenständiges Grundrecht wird die Garantie des Doppelverfolgungsverbots (und des Gesetzlichkeitsprinzips) neuerlich als Schranken-Schranke angesehen80. Dieser Meinung liegt der Gedanke zugrunde, dass es sich bei Art. 103 Abs. 3 GG um eine „strafrechtliche Verfassungsgarantie“ handle, deren Zweck darin besteht, die Art und Weise, wie der Staat von strafrechtlichen Mitteln Gebrauch macht, zu 78 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG8, Art. 103 Rn. 269 f.; s. auch u. a. Hufen, Staatsrecht II5, § 8 Rn. 5 und § 9 Rn. 1; Sachs, in: ders., GG7, Vor Art. 1 Rn. 118 ff.; Jarass, in: ders./Pieroth GG13, Vor Art. 1 Rn. 24 ff. und 38 ff. 79 s. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG8, Art. 103 Rn. 270; Nolte, in: Mangoldt/Klein/ Starck, GG6, Art. 103 Rn. 221; Kunig, in: v. Münch/Kunig GG6, Art. 103 Rn. 47; Rüping, in: BK-GG, Art. 103 Abs. 3 GG Rn. 12. 80 Zum Ganzen s. Appel, Jura 2000, 571 ff., m.w.N.
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begrenzen. Alle strafrechtlichen Maßnahmen stellen aber immer einen Grundrechtseingriff dar, entweder hinsichtlich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder der allgemeinen Handlungsfreiheit. Dies führe zu dem Schluss, dass die Garantie des Art. 103 Abs. 3 GG nicht als eigenständiges Grundrecht, sondern als Beschränkung für den Staat aufgefasst werden müsse, wenn er den Grundrechten durch Strafmaßnahmen Schranken setzt. In diesem Sinne handele es sich hier um eine Schranken-Schranke81. Das bestätige auch der enge sachliche Zusammenhang der Vorschrift mit den allgemeinen rechtsstaatlichen Garantien (dem Rechtsstaatsprinzip und der Verhältnismäßigkeit), die grundrechtsdogmatisch als Schranken-Schranke behandelt werden82. Art. 103 Abs. 3 GG sichere also keinen eigenständigen Freiheitsbereich und stelle deswegen kein klassisches Grundrecht dar, sondern habe eine den staatlichen Eingriff begrenzende Funktion. Diese Feststellung ist auch für die transnationale Funktion des Art. 103 Abs. 3 GG relevant. Dadurch wird die Prüfung der Anwendbarkeit des Doppelverfolgungsverbots auf ausländische Strafentscheidungen unmittelbar auf die Schrankenebene übertragen und jede Antwort muss das Ergebnis einer Abwägung auf Basis des Rechtsstaatsprinzips und der Verhältnismäßigkeit sein. Will man der Bezeichnung des Art. 103 Abs. 3 GG als Schranken-Schranke zustimmen, kommt man angesichts der Ableitung des transnationalen Doppelverfolgungsverbots wieder zum gleichen Ergebnis: Der Verfassungsgeber hat es für unverhältnismäßig gehalten, dass der Bürger für die gleiche Tat mehrmals verfolgt werden darf und hat deswegen der staatlichen Strafgewalt ausdrücklich Grenzen gesetzt. Solange sich weder aus dem Wortlaut noch aus der Verfassungsgeschichte etwas anderes ergibt, erscheint es willkürlich, die Voraussetzung, es müsse sich um inländische Entscheidungen handeln, hinzuzufügen und somit die Eingriffsgrenzen angesichts ausländischer Strafentscheidungen anders zu gestalten. Ausnahmen können sich nur aus dem Rechtsstaatsprinzip selbst ergeben. Sie können dem deutschen Staat gestatten, in bestimmten Fällen auf die Strafentscheidung eines fremdes Staates zu verzichten, aber nicht zu einer pauschalen und verallgemeinerten Verneinung des Doppelverfolgungsverbots führen. Die Grenzen sind durch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung zu ziehen. Inwiefern dieser Verzicht verhältnismäßig ist, hängt in großem Maße von der Funktion des Rechtsstaatsprinzips als rechtfertigendem Faktor und Grundlage der staatlichen Strafverfolgung ab83.
81 82 83
Appel, Jura 2000, 571 ff. (576). Appel, Jura 2000, 571 ff. (576 f.). s. weiter unten, B.III.2.a).
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B. Begründung im Deutschen Recht
5. Zwischenergebnis: Transnationales „ne bis in idem“ in Art. 103 Abs. 3 GG Die bisherige Analyse hat gezeigt, dass der Schutzbereich des Art. 103 Abs. 3 GG – will man der herrschenden Meinung folgen und den Art. 103 Abs. 3 GG als eigenständiges Grundrecht behandeln – auch vor einer Doppelverfolgung nach ausländischer Aburteilung der Tat schützt. Dies ergibt sich aus dem Prinzip, dass der Schutzbereich der Grundrechte, solange der Wortlaut nichts anderes bestimmt, weit zu verstehen ist, und lässt sich auch im Hinblick auf den Zweck und die Geschichte der Vorschrift begründen. Diese prima facie Bejahung der jurisdiktionsübergreifenden Wirkung des „ne bis in idem“ ist auf der Schrankenebene zu überprüfen. Eingriffe in den Schutzbereich des Art. 103 Abs. 3 GG können eventuell bis zu einem gewissen Grad durch das Rechtsstaatsprinzip gerechtfertigt werden und ausnahmsweise eine erneute Verfolgung in Deutschland ermöglichen. Sie können jedoch nicht das „ne bis in idem“-Prinzip vollständig beseitigen. Es bedarf hier einer Abwägung der in Betracht kommenden konkurrierenden Prinzipien auf der Basis der Verhältnismäßigkeit. Zum gleichen Schluss, nämlich dass die Anwendung des Doppelverfolgungsverbots von der vorerwähnten Abwägung abhängt, kommt man, wenn man die – dogmatisch richtigere – Behandlung des Art. 103 Abs. 3 GG als SchrankenSchranke annimmt. Diese Meinung hält Art. 103 Abs. 3 GG für eine Konkretisierung der rechtsstaatlichen Garantien in den Fällen der Auferlegung staatlicher Strafmaßnahmen und überträgt somit die ganze Problematik direkt auf die Schrankenebene, wo eine Abwägung nötig ist.
II. Grundlagen des transnationalen „ne bis in idem“ (jenseits des Art. 103 Abs. 3 GG) 1. Einleitung Die Feststellung der Grundlagen der „ne bis in idem“-Problematik, nämlich der fundamentalen Prinzipien, die bei der Frage einer erneuten transnationalen Verfolgung miteinander konkurrieren, ist, wie schon angemerkt wurde, notwendig, um die entsprechende Abwägung im Rahmen des Art. 103 Abs. 3 GG vorzunehmen und die Rechtmäßigkeit eines solchen Staatsaktes als Eingriff in das Grundrecht der Einmaligkeit der Strafverfolgung zu prüfen. Darüber hinaus dient aber die Feststellung dieser grundlegenden Prinzipien auch der subsidiären Begründung des transnationalen „ne bis in idem“ jenseits von Art. 103 Abs. 3 GG. Sie bietet nämlich eine weitere Stütze für die Annahme eines zwischenstaatlichen Doppelverfolgungsverbots.
II. Grundlagen des transnationalen „ne bis in idem“
41
2. Ausgangspunkt Die bisherige Analyse bezog sich auf Art. 103 Abs. 3 GG, wo der Grundsatz „ne bis in idem“ ausdrücklich verankert ist. Der Wortlaut dieser Vorschrift erlaubt die Anwendung des Grundsatzes nur auf strafrechtliche Verfahren. Das schließt jedoch die Geltung des „ne bis in idem“ in anderen Verfahren nicht aus. Für Sanktionen, die nicht von Art. 103 Abs. 3 GG erfasst werden, wie z. B. diejenigen, welche sich aus dem Disziplinar- oder dem Ordnungswidrigkeitenrecht ergeben, sowie für das Verhältnis zwischen Maßnahmen unterschiedlicher Natur, kann das Doppelverfolgungs- und Doppelbestrafungsverbot direkt aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitet werden84. In diesem Sinne dient das Rechtsstaatsprinzip nicht nur als allgemeine Grundlage des „ne bis in idem“, es weist diesbezüglich zugleich einen Auffangcharakter auf. Wenn also viele Autoren zögern, den Art. 103 Abs. 3 GG auch auf ausländische Entscheidungen anzuwenden, bleibt immer die Möglichkeit, auf die Grundlagen des „ne bis in idem“ zurückzugreifen und das transnationale Doppelverfolgungsverbot eventuell direkt auf das Rechtsstaatsprinzip zu stützen85. Das ist der Gegenstand folgender Erörterungen. Zunächst werden die rechtsstaatlichen Grundlagen des innerstaatlichen „ne bis in idem“ konkretisiert. Anschließend wird geprüft, ob diese Grundlagen für das zwischenstaatliche Doppelverfolgungsverbot gleichermaßen gültig sind wie für das inländische.
3. Geschichtliche Darstellung der Grundlegungstheorien Die Konkretisierung der heutigen dogmatischen Grundlagen des Doppelverfolgungsverbots, kann besser nachvollzogen werden, wenn man die verschiedenen Grundlegungstheorien miteinander vergleicht, auf die dieses Verbot im Laufe der Zeit gestützt wurde. Verfassungsrechtliche Geltung hat das „ne bis in idem“ erst im Jahr 1949 gefunden. Rechtsprechung und Literatur haben es jedoch schon viel früher mithilfe der Rechtskraftlehre als tragendes Prinzip des Strafprozessrechts anerkannt. Seine Begründung deckte sich in dieser Hinsicht mit der Begründung der Rechtskraft. Eine detaillierte Analyse aller im Laufe der Zeit vertretenen Meinungen ist wegen deren Vielzahl und deren oft kleinen Unterschiede im Rahmen dieser Arbeit unmöglich. Es ist außerdem schwierig, alle Meinungen in streng voneinander getrennte 84 s. BVerfGE 21, S. 378 ff. (388); BVerfGE 27, S. 180 ff. (185 ff.); BVerfGE 28, S. 264 ff. (276 f.); Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG8, Art. 103 Rn. 275 ff.; Kunig, in: v. Münch/ Kunig GG6, Art. 103 Rn. 42; Rüping, in: BK-GG, Art. 103 Abs. 3 GG Rn. 78 ff.; Nolte, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG6, Art. 103 Rn. 231 ff. Vgl. über die Frage der Grundlagen der Rechtskraft, Greco, Strafprozesstheorie und materielle Rechtskraft, 2015, S. 328 ff. 85 So auch Mayer, Ne-bis-in-idem-Wirkung europäischer Strafentscheidungen, 1992, S. 58 ff.
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B. Begründung im Deutschen Recht
Kategorien einzuordnen. In den folgenden Paragraphen werden lediglich die im Hinblick auf Dauer und Anzahl der Anhänger wichtigsten theoretischen Ansätze verkürzt dargestellt86. a) Billigkeitstheorie Eine große Verbreitung erfuhr früher die so genannte Billigkeitstheorie. Sie ist aus den Ideen der französischen Revolution und der Aufklärung entstanden, als eine Tendenz zur Abschaffung des Absolutismus und zur größtmöglichen Ausdehnung der Freiheit des Individuums herrschte87. Die Anhänger dieser Theorie betrachten die Rechtskraft als eine Forderung der Billigkeit und Humanität88. Zwar sei es die Pflicht eines jedes Staates, den schuldigen Verbrecher mit einer Strafe von solchem Umfange zu bestrafen, dass sie der Größe der Verletzung der staatlichen Rechtsordnung entspricht. Aber die Verwirklichung des Ideals, das absolut wahre Recht zu schaffen, und die Herstellung eines dem materiellen Recht vollständig entsprechenden Zustandes sei jedoch bei der Unvollkommenheit aller menschlichen Einrichtungen nicht möglich. Ein erneutes Verfahren mit diesem Zweck wäre wieder der Gefahr eines falschen Resultats ausgesetzt, was zu dem Ergebnis führen würde, ein drittes und viertes Verfahren zulassen zu müssen89. Es wäre jedoch eine ungerechtfertigte Härte, wenn derjenige, welcher wegen einer Tat einem Strafverfahren unterworfen und in diesem rechtskräftig freigesprochen oder verurteilt worden ist, noch jahrelang immer darauf gefasst sein müsse, wegen derselben Tat noch einmal vor Gericht gestellt zu werden90. Dieser Zustand würde sogar seine Freiheit verletzen, da er immer „unter dem Damoklesschwerte einer eigentlich nur suspendierten Anklage leben müsste“91. Die aus der Rechtskraft möglicherweise zu Lasten der materiellen Gerechtigkeit hervorgehenden Wirkungen sind in dieser Hinsicht durch das Gebot der Billigkeit gerechtfertigt. Über die Bedeutung dieses Begriffs und dessen Verhältnis zum Recht bestand keine Einigkeit92. Zusammengefasst kann die Billigkeit als das Prinzip bezeichnet werden, das „bald als Ergänzung, bald als Gegensatz“ zum positiven 86
s. darüber auch Greco, Strafprozesstheorie und materielle Rechtskraft, 2015, S. 328 ff. Barbarino, Die Rechtskraft des Strafurteils und ihre Wirkungen, 1902, S. 14; vgl. auch Berner, GA 3 (1855), 472 ff. (475). 88 Berner, GA 3 (1855), 472 ff. (474 ff.); Heffter, Non bis in idem, 1873, S. 15; Heinze, GA 24 (1876), 283 ff. (284); Eichhorn, GS 38 (1886), S. 401 ff. (407); Pfizer, GS 40 (1888), S. 335 ff. (340); Lammasch, GS 41 (1889), S. 1 ff. (4); Bindokat, GA 115 (1967), S. 362 ff. 89 Eichhorn, GS 38 (1886), 401 ff. (407); vgl. auch Barbarino, Die Rechtskraft des Strafurteils und ihre Wirkungen, 1902, S. 16 f. 90 Pfizer, GS 40 (1888), S. 335 ff. (340). 91 Berner, GA 3 (1855), S. 472 ff. (475); vgl. auch Glaser, ZpöR 12 (1885), S. 303 ff. (306). 92 Vgl. Sauer, Juristische Methodenlehre, 1970, S. 274 f.; Rümelin, Die Billigkeit im Recht, 1921; Jung, Erich, AcP 118 (1920), S. 1 ff. (9 ff.). 87
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Recht aufgefasst wurde93, oder das als „Maßstab für die Kritik des geltenden Rechts neben der Gerechtigkeit“ sowie als „leitendes Prinzip bei der Auslegung und Fortbildung des Rechts durch die Rechtsprechung“ erschien94. Nach herrschender Meinung wurzelte der Begriff der Billigkeit in der römischen „aequitas“95 (dem „aequum et bonum“) und wurde mit der Humanität im Sinne der Schonung und Rücksichtnahme96 sowie dem Naturrecht97 in Zusammenhang gebracht. Die Billigkeitstheorie blieb lange Zeit unwidersprochen98. Erst im Jahre 1892 unternahm es v. Kries, diese Lehre in eingehender Weise zu widerlegen99. Er wies darauf hin, dass nach dieser Theorie die Fälle vollends unerklärlich blieben, in denen die Rechtskraft zuungunsten des Angeklagten wirkt. Würde das Gebot der Billigkeit die einzige Grundlage der Rechtskraft bilden, dann müsste im Falle einer irrtümlichen oder zu harten Bestrafung jedes Mal ein wiederholtes Verfahren zugunsten des ungerecht Verurteilten zugelassen werden; das ist aber nach dem positiven Recht nicht immer statthaft. Wäre außerdem die Rücksicht auf den Angeklagten maßgebend, so müsste auch der Einwilligung desselben in die Wiederholung des Verfahrens eine Bedeutung zukommen, was aber weder nach der StPO noch nach irgendeiner früheren Gesetzgebung der Fall war. Der Grundsatz der Rechtskraft ist deshalb nach v. Kries nicht aus Erwägungen der Billigkeit hervorgegangen, wohl aber deren Ausnahmen, nämlich die im Gesetz für zulässig erklärten Fälle der Wiederaufnahme des Verfahrens. Die Rechtskraft selbst hat ihre Wurzeln nicht im naturrechtlichen Gebot der Billigkeit sondern im strengen Recht100. b) Verbrauch des staatlichen Strafklagerechts bzw. Strafanspruchs Die Lehre vom Verbrauch des staatlichen Strafklagerechts wurde unter dem Einfluss des zivilistischen Denkens entwickelt101. Sie geht auf die Lehre der Pro93
Sauer, Juristische Methodenlehre, 1970, S. 275. Rümelin, Die Billigkeit im Recht, 1921, S. 17 f. 95 Rümelin, Die Billigkeit im Recht, 1921, S. 21; Gramsch, Die Billigkeit im Recht, 1938, S. 37; Eichhorn, Non bis in idem und das Reichsgericht, GS 38 (1886), 401 ff. (406); Rüping, in: BK-GG, Art. 103 Abs. 3 GG Rn. 9. 96 Leist, Civilistische Studien, 4. Heft, 1877, S. 192. 97 Rümelin, Die Billigkeit im Recht, 1921, S. 20; Cathrein, Recht, Naturrecht, positives Recht, 1964, 291 f. 98 Barbarino, Die Rechtskraft des Strafurteils und ihre Wirkungen, 1902, S. 17; Vogler, Die Rechtskraft des Strafbefehls – Ein Rechtskraftproblem, 1959, S. 37. 99 v. Kries, Lehrbuch des deutschen Strafprozessrechts, 1892, S. 593 ff.; vgl. Barbarino, Die Rechtskraft des Strafurteils und ihre Wirkungen, 1902, S. 17. 100 v. Kries, Lehrbuch des deutschen Strafprozessrechts, 1892, S. 594; Vogler, Die Rechtskraft des Strafbefehls – Ein Rechtskraftproblem, 1959, S. 37. 101 Vgl. Binding, Strafrechtliche und strafprozessuale Abhandlungen, Bd. 2, 1915, S. 307 f.; Schroeder/Verrel, Strafprozessrecht6, S. 13. 94
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zessvoraussetzungen zurück102, die als Rechtsfolge des Gegebenseins sämtlicher positiver Bedingungen und des Fehlens von Prozesshindernissen, die Befugnis des Staats zum „Procedere“ anerkannt hat, d. h. dem Staat ein subjektives Strafprozessrecht, oder, anders formuliert, ein Strafklagerecht eingeräumt hat103. Diesem Strafklagerecht entsprach die Pflicht des Beschuldigten, den Prozess über sich ergehen zu lassen104. Der ganze Strafprozess galt somit wie der Zivilprozess als ein Rechtsverhältnis105. Mit der Beendigung des Strafprozesses durch den Erlass eines formell rechtskräftigen Urteils werde dieses Rechtsverhältnis aufgelöst und dadurch das Strafklagerecht sowie die Zulässigkeit eines neuen Prozesses mit demselben Prozessgegenstand vernichtet106. Dem prozessrechtlichen Strafklagerecht entsprach im materiellrechtlichen Bereich der staatliche Strafanspruch. Die Erfüllung der vom materiellen Strafrecht vorgesehenen Bedingungen sollte zum Recht der Staatsgewalt führen zu strafen (auch subjektives Strafrecht genannt)107. Der Straftäter war hier verpflichtet, die Strafe zu dulden. Ob das formell rechtskräftige Strafurteil außer der oben genannten, auf das Strafprozessrecht einwirkenden Funktion über das zuvor erwähnte materiellrechtliche Rechtsverhältnis und den staatlichen Strafanspruch hinaus wirkte, war umstritten108. Die bejahende Meinung, die auch vom Reichsgericht vertreten wurde, wollte die Schuld durch die Strafe als getilgt ansehen und den Strafanspruch (und nicht nur das Strafklagerecht) durch das Urteil als konsumiert betrachten. Die Rechtskraft sollte folglich eine Doppelnatur haben: Einerseits stellte sie durch den Verbrauch der Strafklage ein Verfahrenshindernis dar; gleichzeitig aber wirkte sie auf das materielle Strafrecht, indem sie den staatlichen Strafanspruch verbrauchte und auf diese Weise dem Angeklagten ein materielles Schutzrecht verlieh109. Die Lehre vom Strafklagerecht und Strafanspruch gilt seit Langem als überholt. Die Bezeichnung der staatlichen Pflicht zum Schutz der Rechtsgüter durch Verhängung von Strafen als „Recht“ und das damit zusammenhängende Rechtsver-
102 103 104 105 106
303 ff.
s. Bülow, Die Lehre von den Prozesseinreden und die Prozessvoraussetzungen, 1868. Vgl. Beling, Deutsches Reichsstrafprozessrecht, 1928, S. 97. Beling, Deutsches Reichsstrafprozessrecht, 1928, S. 97. v. Kries, ZStW 5 (1885), S. 1 ff. (2). Beling, Deutsches Reichsstrafprozessrecht, 1928, S. 266; Glaser, ZpöR 12 (1885),
107 s. Binding, Grundriss des deutschen Strafrechts – AT, 1913, S. 85 ff.; ders., Handbuch des Strafrechts, 1885, S. 192 ff.; Glaser, Handbuch des Strafprozesses, Bd. 1, 1883, S. 12 ff.; Bierling, ZStW 10 (1890), S. 251 ff. 108 Binding, Strafrechtliche und strafprozessuale Abhandlungen, Bd. 2, 1915, S. 268; Beling, Deutsches Reichsstrafprozessrecht, 1928, S. 266 ff. 109 s. RGSt 13, S. 146 f.; RGSt 25, S. 27 ff.; RGSt 35, S. 367 ff. (370); RGSt 41, S. 152 ff. (153 ff.); Dagegen Binding, Strafrechtliche und strafprozessuale Abhandlungen, Bd. 2, 1915, S. 285; Beling, Deutsches Reichsstrafprozessrecht, 1928, 272.
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hältnis zwischen Täter bzw. Beschuldigtem und Staat ist heutzutage ohne Zweifel als unsachgemäß und lebensfremd zu betrachten110. c) Fiktionstheorie Die sogenannte Fiktionstheorie stammte auch aus dem Zivilprozessrecht und war mit der Lehre vom Verbrauch des Strafklagerechts verbunden. Sie wollte dem Prinzip der materiellen Wahrheit eine allgemeine Geltung verschaffen. Sie sah als notwendige Voraussetzung der Rechtskraft die Übereinstimmung des Urteils mit Wahrheit und Recht an. Für die Fälle, in welchen das Urteil mit dem objektiven Recht nicht in Einklang stand, stellte sie diese Übereinstimmung in künstlicher Weise her, indem sie die absolute Wahrheit des rechtskräftigen Urteils fingierte111. Wichtigster Anhänger der Fiktionstheorie war von Savigny112. Er formulierte seine Lehre dahingehend, die Rechtskraft des richterlichen Urteils sei nichts anderes als die Fiktion der Wahrheit, wodurch das rechtskräftige Urteil gegen jeden künftigen Versuch der Anfechtung oder Entkräftung gesichert werde. Diese dem rechtskräftigen Urteil innewohnende Fiktion der Wahrheit habe eine starke Rückwirkung auf die subjektiven Rechte zur Folge, da es durch diese Fiktion geschehen könne, dass ein vorher nicht vorhandenes Recht neu erzeugt oder ein vorhandenes Recht zerstört, vermindert oder in seinem Inhalt verändert werde113. Zur Begründung seiner Theorie beruft sich Savigny auf eine Stelle bei Ulpian: res iudicata pro veritate accipitur114. Die materielle Wahrheit wurde in manchen Fällen auch vom Reichsgericht im Hinblick auf den Grundsatz „ne bis in idem“ in Betracht gezogen115. Nach der reichsgerichtlichen Theorie ist der Eintritt der Rechtskraft von der allseitigen Prüfungsmöglichkeit abhängig; nur wo die Gewähr für eine vollständige und richtige Beurteilung des Sachverhalts vorliege, sei die Unabänderlichkeit der Entscheidung vertretbar. Im Unterschied zur Fiktionstheorie wird aber hier die absolute Wahrheit des rechtskräftigen Urteils nicht fingiert, sondern bei nachträglicher Feststellung der Unrichtigkeit die Preisgabe der Rechtskraft vorgezogen und die Wiederaufnahme 110 Volk, Grundkurs StPO7, S. 3; Schroeder/Verrel, Strafprozessrecht6, S. 13 ff.; ders., JuS 1997, S. 227 ff. (229). 111 v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. 7, 1848, S. 261; Vogler, Die Rechtskraft des Strafbefehls – Ein Rechtskraftproblem, 1959, S. 34. 112 Vogler, Die Rechtskraft des Strafbefehls – Ein Rechtskraftproblem, 1959, S. 34; Barbarino, Die Rechtskraft des Strafurteils und ihre Wirkungen, 1902, S. 12. 113 v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, 1848, S. 261 114 Ulpian L. 207 de regulis iuris 50,17 (zit. nach Barbarino, Die Rechtskraft des Strafurteils und ihre Wirkungen, 1902, S. 12). 115 RGSt 4, S. 243 ff. (245); RGSt 22, S. 232 ff. (233); RGSt 28, S. 83 ff. (84); RGSt 34, S. 165 ff. (166); vgl. auch Gerland, Der deutsche Strafprozess, 1927, S. 432 ff.; Kohler, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, Bd. 1, 1906, S. 216; Pagenstecher, Zur Lehre von der materiellen Rechtskraft, 1905, S. 302 ff.; v. Kries, Lehrbuch des deutschen Strafprozessrechts, 1892, S. 595.
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des Verfahrens ermöglicht116. Im Strafprozess könne man nur eine durch die tatsächliche Richtigkeit der Entscheidung bedingte Rechtskraft annehmen117. Beiden Theorien ist vorgeworfen worden, dass sie den Begriff der Rechtskraft ungerechtfertigterweise nach der materiellen Seite ausdehnen. Die Richtigkeit der Entscheidung sollte für die Rechtskraft ohne Bedeutung sein118. Die Unbestreitbarkeit der Entscheidung tritt nicht ein, weil ihr Inhalt auf der Wahrheit beruht, sondern gerade dann, wenn er sich als irrig erweist119. Der innere Grund der Rechtskraft liegt folglich weder darin, dass das Urteil als staatliche Entscheidung absolute Richtigkeit für sich in Anspruch nehmen kann, noch in der Fiktion einer solchen Richtigkeit120 ; das Urteil hat, richtig oder unrichtig, mit der Rechtskraft unbedingte Geltung erlangt121. d) Begründung durch den Prozesszweck Einige Autoren haben versucht, die Institution der Rechtskraft durch den Prozess als solchen und durch dessen Ziel zu erklären122. Die dadurch entwickelte, auf Schanze zurückgehende123 Lehre erkennt den Zweck des Prozesses darin, dass eine Rechtssache ihrer endgültigen Erledigung zugeführt und dem Widerstreit der Interessen eine feste Form gegeben wird, welche jede Fortsetzung und Wiederholung des Streits ausschließt. Zweck des Prozesses ist somit, endgültige Vergewisserung herbeizuführen124. Das Urteil als Ergebnis des Prozesses soll zu einer definitiven Entscheidung und Feststellung des konkreten Rechtes führen („finem controversiarum pronuntiatione iudicis“)125. Die Rechtskraft erscheint hier als eine logische und notwendige Voraussetzung, damit der Prozess als Institution seine Zwecke erfüllen kann. Diese Theorie betrachtet die Institution der Rechtskraft unter einem rechtspolitischen Aspekt. Wenn sie dem Prozess die Rolle zuschreibt, eine definitive Entscheidung zu erreichen und das konkrete Recht festzustellen, gibt sie der Rechtskraft 116
Vogler, Die Rechtskraft des Strafbefehls – Ein Rechtskraftproblem, 1959, S. 34 f. Gerland, Der deutsche Strafprozess, 1927, S. 436. 118 v. Kries, Lehrbuch des deutschen Strafprozessrechts, 1892, S. 595 f. 119 Schanze, ZStW 4 (1884), S. 437 ff. (452); Vogler, Die Rechtskraft des Strafbefehls – Ein Rechtskraftproblem, 1959, S. 34 f. 120 Ullman, Lehrbuch des deutschen Strafprozessrechts, 1893, S. 627. 121 Glaser, ZpöR 12 (1885), S. 303 ff. (323). 122 Schanze, ZStW 4 (1884), S. 437 ff. (451 f.); Ullmann, Lehrbuch des deutschen Strafprocessrechts, 1893, S. 626 f.; v. Kries, Lehrbuch des deutschen Strafprozessrechts, 1892, S. 593; Bülow, AcP 62 (1879), S. 1 ff. (90 f.). 123 Schanze, ZStW 4 (1884), S. 437 ff. (451 ff.); vgl. Barbarino, Die Rechtskraft des Strafurteils und ihre Wirkungen, 1902, S. 18. 124 Schanze, ZStW 4 (1884), S. 437 ff. (451). 125 Barbarino, Die Rechtskraft des Strafurteils und ihre Wirkungen, 1902, S. 18 f. 117
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eine rechtspolitische Funktion. Das durch das richterliche Urteil geschaffene Recht müsse irgendwann eine unzweifelhafte und unbestrittene Geltung erlangen. Möchte man dem Institut der Rechtskraft die Geltung versagen, dann wäre die unmittelbare Folge eine unerträgliche Ungewissheit aller rechtlichen Beziehungen. Ein solch ordnungsloser Zustand würde den Bestand der ganzen Rechtsordnung in Frage stellen126. In diesem Sinne sei alleiniger Grund und Zweck des Institutes der Rechtskraft die Erhaltung der Rechtsordnung und Rechtssicherheit. Alle anderweitigen, zur Rechtfertigung desselben geltend gemachten Momente seien dieser Meinung nach sogar falsch, nichtssagend oder bloße Folgerungen aus diesem richtigen Aspekt127. Natürlich verneinen die Anhänger der rechtspolitischen Theorie nicht die Möglichkeit, dass die Wirkungen der Rechtskraft auch einem Urteil zukommen, das auf einem Irrtum oder bösen Willen des Richters beruht. Die Möglichkeit eines objektiv ungerechten Urteils sei aber das „kleinere Übel“128, das man im Namen der Rechtssicherheit annehmen müsse. Und hier gewinnt die rechtspolitische Theorie einen Vorteil. Denn sie erklärt auch die Fälle, in denen die Rechtskraft zuungunsten des Angeklagten wirksam ist. In solchen Fällen wird dem Einzelnen ein unter Umständen schweres Opfer zugemutet. Dieses Opfer kann und muss jedoch vom Staat im Interesse der Aufrechterhaltung der ganzen Rechtsordnung verlangt werden129. Auf rechtspolitischen Gründen sollen auch die Durchbrechungen des Grundsatzes der Rechtskraft beruhen. In gewissen Fällen erachte die Rechtsordnung die Ungerechtigkeit des Urteils für ein größeres Übel, das durch den Vorzug der Beständigkeit der einmal getroffenen Entscheidung aufgewogen werden könne130. Die Wiederaufnahme des Verfahrens sei ein Mittel, um in diesen Fällen eines besonders groben Verstoßes des Urteils gegen das materielle Recht, einen Ausgleich herzustellen131. Das ganze Institut der Rechtskraft wird folglich nach der rechtspolitischen Theorie auf dessen Notwendigkeit gestützt und als Resultat von Zweckmäßigkeitserwägungen betrachtet, die sowohl die Regel als auch deren Ausnahmen im Rechtssystem rechtfertigen. Dieser Gedanke ähnelt der Theorie, mit welcher einige Jahre später Sauer versucht hat, das Institut der Rechtskraft zu begründen132. Er geht davon aus, dass der Prozess eine „richterliche Gestaltung der Rechtsidee im Ein-
126
Barbarino, Die Rechtskraft des Strafurteils und ihre Wirkungen, 1902, S. 20. Schanze, ZStW 4 (1884), S. 437 ff. (452). 128 Vgl. Beling, Deutsches Reichsstrafprozessrecht, 1928, S. 269. 129 Barbarino, Die Rechtskraft des Strafurteils und ihre Wirkungen, 1902, S. 21. 130 Schanze, ZStW 4 (1884), S. 437 ff. (456 f.). 131 Barbarino, Die Rechtskraft des Strafurteils und ihre Wirkungen, 1902, S. 23. 132 Sauer, Grundlagen des Prozessrechts2, 1919, S. 40, 111, 239, 249; Goldschmidt, Prozess als Rechtslage, 1925, S. 151; Kopkow, Rechtskraft und Rechtskraftfähigkeit, 1928, S. 13 ff.; Baur, Freiwillige Gerichtsbarkeit, Bd. 1, Allgemeines Verfahrensrecht, 1955, S. 264. 127
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zelfall“ ist133. Er soll das Recht durch ein rechtskräftiges Urteil bewähren, verwirklichen und durchführen. Was aber hier als Recht zu verstehen ist, ist nicht das rein formal in Gesetzen niederlegte „objektive Recht“, allenfalls auch noch das Gewohnheitsrecht, sondern der sich in der Rechtsordnung äußernde Gemeinschaftswille; und da dieser im Einzelfall nicht etwa fertig in einer formalen Satzung vorliegt, hat ihn der Richter zu gestalten, so wie es der vorliegende Fall erfordert134. Ein jeder Prozess strebt deshalb seinem Sinn gemäß zu einem Abschluss, der durch die konkrete Gestaltung des objektiven Rechts einen Rechtszustand herbeiführt, den die Beteiligten künftig als Recht für die bisher strittige Lebenslage ansehen. Die Rechtskraft ist gerade die Fähigkeit zu dieser abschließenden Gestaltung und gilt deshalb zum Teil selbst als Prozesszweck (prozessrechtliche Gestaltungstheorie)135. Im Unterschied zur rechtspolitischen Theorie ist aber hier der Rückgriff auf die Rechtspolitik nicht nur unnötig, sondern auch falsch. Die Rechtskraft sei keine neue Eigenschaft, die dem Urteil erst vom Gesetz aus Gründen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens beigelegt wird. Ihr Wesen sei ein Element des Wesens des Rechts selbst als lebenden Rechts. Würde die Rechtskraft fehlen, so würde das Urteil seine Aufgabe verfehlen136.
4. Heutiger Meinungsstand: „ne bis in idem“ zwischen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit Seit der Aufnahme des „ne bis in idem“ in das Grundgesetz wurde die Diskussion über seine Grundlagen zum größten Teil auf den verfassungsrechtlichen Bereich übertragen. Meistens erschöpfen sich die diesbezüglichen Erläuterungen darin, es als Ausfluss des einen oder des anderen Prinzips zu bezeichnen137. Aber statt einer bloßen Einordnung des „ne bis in idem“-Prinzips unter ein bestimmtes Grundprinzip gebietet die Thematik eine detaillierte Analyse. Hierbei ist es notwendig, auf das Verfassungsrecht zurückzugreifen. Strafverfahrensrecht und Verfassungsrecht stehen in einer sehr engen Beziehung zueinander138. Das lässt sich einerseits dadurch erklären, dass die Strafrechtspflege als Pflicht 133
Sauer, Allgemeine Prozessrechtslehre, 1951, S. 3. Sauer, Allgemeine Prozessrechtslehre, 1951, S. 7 f. 135 Sauer, Grundlagen des Prozessrechts2, 1919, S. 249; Vogler, Die Rechtskraft des Strafbefehls – Ein Rechtskraftproblem, 1959, S. 39. 136 Sauer, Allgemeine Prozessrechtslehre, 1951, S. 233 f. 137 Kritisch dazu Schroeder, JuS 1997, 227 ff. (228). 138 Zum Ganzen s. Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht27, § 2 Rn. 1; Müller Ingo, Rechtsstaat und Strafverfahren, 1980, S. 7 ff.; Peters, Strafprozeß4, S. 20 ff.; Kühne, LRStPO26, Einl. H Rn. 1 ff.; Krey, JA 1983, S. 506 ff.; Sax, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, Grundrechte, Bd. III/2, S. 909 ff. (966 ff.); Tiedemann, Verfassungsrecht und Strafrecht, 1991, S. 56 ff.; Rieß, StraFo 1995, S. 94 ff.; Wolter, NStZ 15 (1993), S. 1 ff. 134
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des Staates zum Schutz von Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit139 Ausfluss der Staatsgewalt ist und sich deswegen jede justizielle Tätigkeit auf das Verfassungsrecht stützt140. Andererseits stellen sowohl die zu verhängende Strafe als auch die Ermittlungsmaßnahmen die größte Gefahr seitens des Staates für die verfassungsrechtlich gesicherten Freiheitsinteressen des Bürgers dar. Nach Roxin treten im Strafverfahren die Kollektiv- und Individualinteressen in nirgendwo sonst anzutreffender Schärfe miteinander in Widerstreit und deswegen kann das Strafverfahrensrecht als „Seismograph der Staatsverfassung“141 oder, wie es früher formuliert wurde, sogar als „angewandtes Verfassungsrecht“142 bezeichnet werden. Aus diesen Gründen versteht sich, dass die Suche nach den Grundlagen des Doppelverfolgungsverbots nur mit Rückgriff auf das Verfassungsrecht geschehen kann.
a) Allgemeines zum heutigen Meinungsstand Dass der Grundsatz der Einmaligkeit der Strafverfolgung seine Wurzeln im Rechtsstaatsprinzip hat, wird nicht mehr143 bestritten. Das Prinzip des Rechtsstaats besteht aber aus mehreren Elementen, die wiederum als einzelne Prinzipien gelten. Die Meinungen über die Grundlagen des „ne bis in idem“ fangen deshalb an sich zu differenzieren, sobald man versucht, das Verhältnis zwischen dem Doppelverfolgungsverbot und den Einzelelementen des Rechtsstaatsprinzips oder allgemeiner dessen Funktion im Hinblick auf den Rechtsstaat konkreter zu untersuchen. Üblicherweise wird das Doppelbestrafungsverbot auf das Recht der Person auf Rechtssicherheit zurückgeführt144. Aus Gründen der Rechtssicherheit wird der Verurteilte davor geschützt, mehrmals gerichtlich belangt zu werden. Dieser Meinung nach befinden sich materielle Gerechtigkeit und Rechtssicherheit in einem Spannungsverhältnis145. Während die materielle Gerechtigkeit ein unendliches 139
Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht27, § 2 Rn. 1. s. u. a. Peters, Strafprozeß4, S. 21; Schmidt, Eb., Lehrkommentar zur StPO, Bd. I2, S. 35 ff. 141 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht27, § 2 Rn. 1; zustimmend Niemöller/Schuppert, AöR 107 (1982), 387 ff. (389 ff.). 142 Henkel, Das deutsche Strafverfahren, 1943, S. 123; Sax, in: Bettermann/Nipperdey/ Scheuner, Grundrechte, Bd. III/2, S. 909 ff. (966); So auch BVerfGE 32, S. 373 ff. (383); BGHSt 19, S. 325 ff. (330); vgl. auch Rieß, in: LR-StPO24, Einl. G, Rn. 1 m.w.N. 143 s. aber Schanze, ZStW 4 (1884), 437 ff. (452). 144 s. u. a. Rüping, in: BK-GG, Art. 103 Abs. 3 GG Rn. 11; Nolte, in: Mangoldt/Klein/ Starck, GG6, Art. 103 Rn. 178; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG8, Art. 103 Rn. 258 ff.; Fliedner, AöR, 99 (1974), S. 242 ff. (255); Hill, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. 6, 1989, § 156 Rn. 68; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG13, Art. 103 Rn. 71; Peters, Fehlerquellen im Strafprozess, Bd. 3, 1974, S. 32 f.; Henkel, Strafverfahrensrecht2, 1968, S. 385 f.; Schmidhäuser, in FSSchmidt, Eb., 1961, S. 511 ff. (515); Fischer, in: KK-StPO7, Einl. Rn. 480; Mayer, Ne-bis-inidem-Wirkung europäischer Strafentscheidungen, 1992, S. 58 ff. 145 Hill, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. 6, 1989, § 156 Rn. 68; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG13, Art. 103 Rn. 71. 140
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Streben nach einer richtigen Entscheidung und somit die ewige Wahrheitserforschung verlange, zwinge das Gebot der Rechtssicherheit dazu, dass die Sache zu einem bestimmten Zeitpunkt endgültig geklärt wird. Mit dem Verbot der Doppelbestrafung werde zu Gunsten des Einzelnen prinzipiell (d. h. mit Ausnahme des Wiederaufnahmerechts) der Rechtssicherheit der Vorrang eingeräumt. In dieser Hinsicht hat das BVerfG zwar das Spannungsverhältnis zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit bestätigt und das „ne bis in idem“ auf das Rechtssicherheitsprinzip zurückgeführt146, ohne jedoch immer diese Meinung zu vertreten. Die Gefahr einer Doppelbestrafung aufgrund unterschiedlicher Sanktionsordnungen (z. B. Disziplinarrecht und Strafrecht) hat es unter Bezugnahme auf die Idee der Gerechtigkeit147 oder der Verhältnismäßigkeit148 geprüft. Gegen eine pauschale Unterscheidung zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit und eine entsprechende Bezeichnung des Doppelbestrafungsverbots als Ausfluss der einen oder der anderen sind Einwände erhoben worden. Nach Dürig sind im „ne bis in idem“ sowohl Elemente der Rechtssicherheit als auch der Gerechtigkeit angesiedelt. Beide sind wichtige Komponenten des Rechtsstaatsprinzips, die Rechtssicherheit formaler, die Gerechtigkeit materieller Natur. Sie können in bestimmten Fällen in dialektischen Widerstreit geraten. Beim Doppelverfolgungsverbot fällt des Bürgers wegen die Entscheidung zugunsten der formalen Rechtssicherheit aus; das fordern die Freiheit und die Würde des Menschen als grundrechtlich abgesicherte, personale Werte, die wiederum der materiellen Seite des Rechtsstaatsprinzips entsprechen149. Schmidt-Aßmann fügt hinzu, dass Art. 103 Abs. 3 GG in einer weiteren Hinsicht Charakteristika materieller Gerechtigkeit aufweist und zwar in seiner Ausprägung als Verhältnismäßigkeit: Neben Rechtssicherheits- und Vertrauensschutzgründen, die eine erneute staatliche Verfolgung untersagen, sind es Verhältnismäßigkeitsgründe, die konkreter eine erneute staatliche Sanktion verhindern150. Die Ansicht, dass die Grundlage des „ne bis in idem“ sowohl in der Rechtssicherheit als auch in der Gerechtigkeit besteht, wird auch von Schroeder vertreten, jedoch unter einem anderen Blickwinkel151. Er hat dem Verbot mehrmaliger Bestrafung eine gespaltene Natur zugeschrieben, indem er es in drei unterschiedliche Verbote aufgeteilt hat: das Verbot erneuter Bestrafung nach Ausschöpfung des Unrechts- und Schuldgehalts, das Verbot erneuter Bestrafung innerhalb des Un146
383). 147
BVerfGE 3, S. 248 (253 f.); BVerfGE 56, S. 22 (31 f.); BVerfGE 65, S. 377 (380 und
BVerfGE 21, S. 362 (388); BVerfGE 28, S. 264 (277). BVerfGE 27, S. 175 (188). 149 Dürig, in: Maunz/Dürig, GG5, Art. 103 Rn. 124 (zit. nach Schmidt-Aßmann, in: Maunz/ Dürig, GG8, Art. 103 Rn. 260). 150 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG8, Art. 103 Rn. 261. 151 Zum Ganzen s. Schroeder, JuS 1997, 227 ff.; s. auch Schulze-Fielitz, in: Dreier GG2, Art. 103 III, Rn. 12 ff. 148
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rechts- und Schuldgehalts („Nachschlagverbot“) und das Verbot erneuter Strafverfolgung nach Freispruch. Alle drei seien Bestandteile des „ne bis in idem“, beruhen aber auf unterschiedlichen Grundlagen. Das erste materiellrechtliche Verbot sei selbst in den Vorschriften des StGB enthalten. Wenn eine Vorschrift mit einer bestimmten Strafe drohe, sei gleichzeitig damit gemeint, dass diese Strafe nur ein Mal verhängt werden dürfe. Das fordere das Schuld- und Gerechtigkeitsprinzip und werde auch dadurch bestätigt, dass das Anrechnungsprinzip (§ 51 Abs. 2 – 4 StGB) als Teil des „ne bis in idem“ aufgrund seines materiellrechtlichen Gehalts richtigerweise im StGB geregelt sei. Das zweite Verbot betrifft Fälle, in denen sich nach einer späteren Untersuchung ergibt, dass durch die schon verhängte Strafe der Unrechts- und Schuldgehalt der Straftat nicht ausgeschöpft wurde. Hier würde eine erneute Bestrafung weder das Gerechtigkeits- noch das Verhältnismäßigkeitsprinzip verletzen. Das gleiche gilt für das dritte Verbot, im Falle eines falschen Freispruchs des Täters. Eine erneute Verfolgung wäre hier aus Sicht des Schuld- und Gerechtigkeitsprinzips nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten. Was in den zwei letztgenannten Konstellationen eine erneute Verfolgung ausschließe, seien Gründe der Rechtssicherheit, die Vorrang vor der Gerechtigkeit hätten. In diesem Sinne könnte man nach Schroeder sagen, dass Art. 103 Abs. 3 GG und das Doppelbestrafungsverbot in seiner Entfaltung als Verbot erneuter Bestrafung nach Ausschöpfung des Unrechts- und Schuldgehalts durch § 51 Abs. 1 StGB für ausländische Strafurteile gelte. Bei der Grundlegung des Doppelverfolgungsverbots verweisen manche Autoren, wie schon erwähnt, zusätzlich auf den Schutz der Person und genauer gesagt auf die Freiheit und Würde des Menschen152. Der Grundsatz „ne bis in idem“ soll „eine konkretisierende Ausgestaltung des Prinzips der Menschenwürde“ sein, „da er es verbietet, wegen derselben Tat ein oft in die Freiheit, stets in die Menschenwürde des Betroffenen eingreifendes Strafverfahren zweimal einzuleiten und durchzuführen“153. Oft ist auch die Meinung Dürigs zitiert, dass Freiheit und Würde des Menschen empfindlich getroffen wären, „wenn der Freigesprochene oder Bestrafte ständig damit rechnen müsste, erneut strafgerichtlich belangt zu werden. Der Bürger würde damit […] zum Objekt staatlicher Gewalt und staatlichen Geschehens herabgewürdigt“154.
152 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG8, Art. 103 Rn. 258; Nolte, in: Mangoldt/Klein/ Starck, GG6, Art. 103 Rn. 230; Stern, in ders./Sachs, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, 1988, S. 651; Rüping, in: BK-GG, Art. 103 Abs. 3 GG Rn. 11; Oehler, in: FS-Rosenfeld, 1949, S. 139 ff. (141 f.); Sax, in: Müller/Sax, KMR-Kommentar zur StPO6, Einl. 1 c (S. 19 f.); Schmidt, Eb., Lehrkommentar zur StPO, Bd. I2, 1964, Rn. 312. 153 Sax, in: Müller/Sax, KMR-Kommentar zur StPO6, Einl. 1 c (S. 20). 154 Dürig, in: Maunz/Dürig, GG5, Art. 103 Rn. 124 (zit. u. a. nach Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG8, Art. 103 Rn. 260).
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b) Analyse und Kritik Die Frage nach den Grundlagen des „ne bis in idem“ dient nicht nur der Begründung und Anwendung des Verbots in Bereichen, die von Art. 103 Abs. 3 GG nicht gedeckt werden – wie es z. B. beim transnationalen „ne bis in idem“ der Fall sein könnte – sondern sie ist auch eng mit der Frage seiner Grenzen und Ausnahmen verbunden, was bei der diesbezüglichen Untersuchung in Kauf genommen werden muss. Es ist klar, dass die unbegrenzte Geltung des „ne bis in idem“ in manchen Fällen zu für die Rechtsordnung unerträglichen Ergebnissen führen könnte. Der Gesetzgeber hat deshalb durch das Wiederaufnahmerecht einige Ausnahmen davon festgelegt. Für die Begründung der Grenzen und die verfassungsrechtliche Rechtfertigung dieser Ausnahmen vom Grundsatz der Einmaligkeit der Strafverfolgung ist es zweckdienlich, nach einem entsprechenden (dem Doppelverfolgungsverbot entgegenwirkenden) Prinzip zu suchen. So lässt sich erklären, warum die diesbezügliche Problematik oft als „Dipol“ zweier möglicherweise miteinander kollidierender Prinzipien geschildert wird. Nach der heutigen Meinung in der verfassungs- und strafprozessrechtlichen Literatur, und abgesehen von den vereinzelten Unterschieden, sollen die im Rechtsstaat verankerten Prinzipien der Rechtssicherheit und der materiellen Gerechtigkeit diese Rolle einnehmen155. Vor einer Kritik dieser Meinung müssen die diesbezüglichen Prinzipien näher erläutert und ihre Funktion aus einem verfassungs- und strafprozessrechtlichen Gesichtspunkt analysiert werden. Im Folgenden wird aus diesem Grund versucht, den Bedeutungsinhalt dieser Begriffe zu konkretisieren, damit anschließend festgestellt werden kann, ob und in welchem Sinne diese beiden Begriffe im Rahmen der „ne bis in idem“-Problematik benutzt werden, sowie ob sie bei der Auslegung und Anwendung des „ne bis in idem“-Prinzips behilflich sein können. aa) Rechtsstaatsprinzip Obwohl das GG ausdrücklich von dem Rechtsstaatsbegriff Gebrauch macht (Art. 28 Abs. 1 Satz 1, Art. 23 Abs. 1 Satz 1 und Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG), enthält es trotzdem keine nähere Erläuterung zu seinem Inhalt. Als „Sitz“ des rechtsstaatlichen Prinzips gelten Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG156, wobei jedoch auch andere Meinungen in der Literatur vertreten werden157. Nach dem BVerfG ergibt sich das Prinzip „aus einer Gesamtschau der Bestimmungen des Art. 20 Abs. 3 GG […],
155 s. z. B. Gössel, in: LR-StPO25, Vor § 359 Rn. 11; Bauer, JZ 1952, S. 209 ff. (211); Deml, Zur Reform der Wiederaufnahme des Strafverfahrens, 1979, S. 39 ff. 156 So Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HStR3, Bd. 2, 2004, § 26 Rn. 3; Sachs, in: ders., GG7, Art. 20 Rn. 76; Schulze-Fielitz, in: Dreier GG3, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 38 ff. und Rn. 40. 157 Vgl. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 72 f.; Sommermann, in: Mangoldt/Klein/ Starck, GG6, Art. 20 Abs. 3 Rn. 227; Schnapp, in: v. Münch/Kunig GG6, Art. 20 Rn. 32.
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Art. 1 Abs. 3, 19 Abs. 4, 28 Abs. 1 Satz 1 GG, sowie aus der Gesamtkonzeption des Grundgesetzes“. Noch mehr Schwierigkeiten als die Verortung des rechtsstaatlichen Prinzips bereitet aber der Versuch, diesen Begriff präzise zu definieren158. Eine überwiegend akzeptierte Definition des Rechtsstaatsbegriffs konnte sich nicht durchsetzen159. Auch das BVerfG benutzt keine Definition. Nach ihm handelt es sich beim Rechtsstaatsprinzip um einen verbindenden, innerlich zusammenhaltenden allgemeinen Grundsatz und eine Leitidee, die der Verfassungsgesetzgeber zwar nicht in einem besonderen Rechtssatz konkretisiert hat, von der er aber ausgegangen ist160. Aufgrund der Schwierigkeiten, die bei der Definition des Rechtsstaatsbegriffs auftreten, sehen viele Autoren von einem Definitionsversuch ab und versuchen den Inhalt dieses Prinzips durch die ihm zuzurechnenden Elemente zu konkretisieren. Hierbei handelt es sich um Einzelausprägungen der Rechtsstaatlichkeit, die über das ganze Grundgesetz verstreut sind, aber nicht der Eigenständigkeit des Rechtsstaatsprinzips schaden. Selbst wenn die an das Rechtsstaatsprinzip anknüpfenden Probleme punktuell, mittels einzelner Gewährleistungen des Verfassungsrechts gelöst werden könnten, so bleibt der Rechtsstaat trotzdem ein Prinzip mit eigenständigem, über die positivrechtlichen Konkretisierungen hinausgehendem dogmatischem Gehalt (sog. integrales Rechtsstaatsverständnis)161. Man kann natürlich die von der Offenheit des Begriffs verursachten dogmatischen Probleme nicht ignorieren. Über hundert Einzelnormen sollen in der Literatur dem Rechtsstaatsbegriff zugeschrieben worden sein. Gerade deshalb kann man aber dieses Prinzip nicht von der Konstruktion des Grundgesetzes trennen, ohne sie gleichzeitig zu destabilisieren162. Zusätzlich muss man auch die grundgesetzlich nicht positivierten Normen in Kauf nehmen, die durch die Rechtsstaatlichkeit gestützt werden und ohne diese Stütze ihre Verfassungsrechtsqualität verlieren würden163. Unter diesen Normen findet sich z. B. das hier in Betracht kommende Prinzip 158
Vgl. Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, 1975, S. 12; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG8, Art. 20 Abschn. VII, Rn. 3. 159 s. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I2, 1984, S. 781 (Fn. 114) sowie Herzog, in: Maunz/Dürig, GG8, Art. 20 Abschn. VII, Rn. 3; vgl. ferner Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, 1997, S. 21 ff.; Huber, Ernst Rudolf, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 6, 1981, S. 83. Vgl. aber auch Klein, Friedrich, ZgS 106 (1950), S. 390 ff. (395); Kritik gegen diesen Definitionsversuch von Kaegi, in: FS-Giacometti, 1953, S. 132 ff. (178); Scheuner, in: Forsthoff, Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, 1968, S. 461 ff. (488); Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 433. 160 BVerfGE 2, S. 308 (403). 161 So die h.M.: Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HStR3, Bd. 2, 2004, § 26 Rn. 8; Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, 1997, S. 399 ff. und 527 f.; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I2, 1984, S. 776 f.; a.A. (für das sog. summative Rechtsstaatsverständnis) Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 72 f. 162 Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, 1997, S. 527. 163 Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, 1997, S. 527.
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der Rechtssicherheit oder das Recht auf ein faires Verfahren164; beide können nur unter dem Rechtsstaatsprinzip einen verallgemeinerungsfähigen Gehalt erhalten165. Wichtig ist des Weiteren die Feststellung, dass das Rechtsstaatsprinzip das Strafprozessrecht vielfältig geprägt hat166. Traditionell wird dem Rechtsstaatsprinzip und seinen besonderen Merkmalen eine Vielzahl von Prozessmaximen und allgemein von prozessrechtlichen Regelungen zugeschrieben. Deswegen überrascht es nicht, dass man einer Reihe von Rechtsstaatselementen, sowie der Problematik ihrer Beziehung zueinander sowohl in der verfassungsrechtlichen als auch in der strafprozessrechtlichen Theorie begegnet. Ein Beispiel ist eben das Doppelverfolgungsverbot und seine Beziehung zu den Prinzipien der Gerechtigkeit und Rechtssicherheit. bb) Gerechtigkeit Das Gerechtigkeitsprinzip stützt sich im System des deutschen GG auf den Rechtsstaat und gilt als eine seiner wichtigsten Komponenten167. Juristisch kann man den Begriff der Gerechtigkeit nicht in einem subsumtionsfähigen Tatbestand erfassen sondern nur als Ziel begreifen168. Traditionell wird eine auf Aristoteles169 zurückgehende Unterscheidung zwischen austeilender oder Verteilungsgerechtigkeit (diamelgtij|m) und ausgleichender oder Tauschgerechtigkeit (dioqhytij|m) vorgenommen170. Für das Strafrecht deuten die nunmehr weitgehend anerkannten generalpräventiven Zwecke der Strafe171 eher auf den austeilenden Charakter der Strafgerechtigkeit im Sinne einer gerechten Auferlegung seitens des Staates von Pflichten bzw. Lasten auf die Täter einer bestimmten Straftat hin172.
164 s. Tettinger, Fairneß und Waffengleichheit – Rechtsstaatliche Direktiven für Prozeß- und Verwaltungsverfahren, 1984; Dörr, Faires Verfahren, 1984; Goerlich, Grundrechte als Verfahrensgarantien, 1981. 165 Für die Rolle des Rechtsstaatsprinzips als Gewährleistung verallgemeinerungsfähiger Lösungen s. Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HStR3, Bd. 2, 2004, § 26 Rn. 8. 166 Zum Ganzen s. Müller Ingo, Rechtsstaat und Strafverfahren, 1980, S. 7 ff.; Lange, Der Rechtsstaat als Zentralbegriff der neuesten Strafrechtsentwicklung, 1952; Niemöller/Schuppert, AöR 107 (1982), 387 ff. (394 ff.); Arnold, StraFo 2005, S. 2 ff. 167 s. Robbers, Gerechtigkeit als Rechtsprinzip, 1980, S. 23 ff.; Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, 1997, S. 90 ff.; Sachs, GG7, Art. 20 Rn. 78 und 103 ff.; BVerfGE 7, S. 89 ff. (92); BVerfGE 20, S. 323 ff. (331); BVerfGE 84, S. 90 ff. (121). 168 Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 433. 169 Aristoteles, Nikomachische Ethik, 5. Buch, Kapitel V, 1130b ff. (Ausgabe: Nickel Rainer /Gigon Olof, Übersetzung von Gigon Olof, 2. Aufl., 2007). 170 Vgl. Dreier, Recht – Staat – Vernunft, 1991, S. 12 f. 171 s. u. a. Jakobs, Strafrecht AT2, S. 20 ff.; Roxin, Strafrecht AT, Bd. I4, S. 85 ff.; Jescheck/ Weigend, Lehrbuch des Strafrechts AT5, S. 4 ff.; Schmidhäuser, Strafrecht AT2, S. 18. 172 So Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie, 1964, S. 317 f.; vgl. auch Neumann, in: FS-Jung, 2007, S. 655 ff. (662 f.); ders., ZStW 101 (1989), S. 52 ff. (63).
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Die Frage der gerechten Bestrafung des Täters bezieht sich aber nicht nur auf die zu verhängende Strafe als solche, sondern auch auf den Prozess. Aufgabe des Staates im Falle einer Straftatbegehung ist, nicht nur eine gerechte, d. h. der Schuld entsprechende Strafe aufzuerlegen, sondern auch, dass diese Strafe das Ergebnis eines gerechten Prozesses ist173. Darauf basiert die für das Strafprozessrecht bedeutsamere Unterscheidung zwischen prozessualer und materieller Gerechtigkeit. Das Gebot materieller Gerechtigkeit bezieht sich hauptsächlich auf das Strafurteil und verlangt die richtige Anwendung des materiellen Strafrechts im Einzelfall im Sinne einer dem Sachverhalt entsprechenden und der Schuld des Täters angemessenen Aburteilung der Tat. Der Schuldige muss bestraft und der Unschuldige freigesprochen werden174. Das Erreichen eines materiell gerechten Urteils setzt die vollständige Feststellung der relevanten Tatsachen voraus und in diesem Hinblick fordert die materielle Gerechtigkeit die vollständige Wahrheitsfindung175. Die prozessuale Gerechtigkeit hat im Gegenteil mehr mit dem Verfahren als solchem zu tun und weniger mit der Beziehung des Ergebnisses zum Sachverhalt. Sie bedeutet „Justizförmigkeit“176 oder „Fairneß im Strafverfahren“177 und stellt die Grenzen des staatlichen Eingriffs in die Rechte des Angeklagten dar. Sie verlangt, dass die richterliche Entscheidung grundwertkonform zustande gekommen ist und garantiert dem Betroffenen eine effektive Teilhabe am Verfahren178. Neumann unterscheidet zwischen prozessualer Gerechtigkeit im engeren und im weiteren Sinne. Im weiteren Sinne umfasst der Begriff alle „allgemeine[n] Probleme gerechter Interessenabwägung im Bereich des Strafverfahrens“179. Um die prozessuale Gerechtigkeit im engeren Sinne zu beschreiben, vergleicht er den Prozess mit einem Spiel und bezeichnet als Regeln prozeduraler Gerechtigkeit die „Fairneßregeln, die sich auf die Möglichkeit beziehen, den Spielstand zu beeinflussen“180. Für das Gebot des „ne bis in idem“ und allgemein die Rechtskraftlehre erscheint in diesem Sinne als entgegenwirkendes Prinzip in erster Linie die materielle Gerech-
173 BVerfGE 26, S. 66 ff. (71); BVerfGE 38, S. 105 ff. (111); BVerfGE 41, S. 246 ff. (249); BVerfGE 57, S. 250 ff. (275); Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht27, § 1 Rn. 1 ff.; Niemöller/Schuppert, AöR 107 (1982), S. 387 ff. (397 f.); Dörr, Faires Verfahren, 1984. 174 Neumann, ZStW 101 (1989), S. 52 ff. (insb. 53 f.); Krey, Deutsches Strafverfahrensrecht, Bd. 1, 2006, Rn. 15; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht27, § 1 Rn. 2 ff. 175 Schmidt, Eb., Lehrkommentar zur StPO, Bd. I2, Rn. 10 ff.; Kühne, in LR-StPO26, Einl. H Rn. 23 ff.; Krey, Deutsches Strafverfahrensrecht, Bd. 1, 2006, Rn. 15 ff.; Müller-Dietz, Zeitschrift für evangelische Ethik 15 (1971), 257 ff.; Bottke, Materielle und formelle Verfahrensgerechtigkeit im demokratischen Rechtsstaat, 1991, S. 13. 176 Vgl. Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht27, § 1 Rn. 2. 177 Neumann, ZStW 101 (1989), S. 52 ff. (58). 178 Bottke, Materielle und formelle Verfahrensgerechtigkeit im demokratischen Rechtsstaat, 1991, S. 63 f. 179 Neumann, ZStW 101 (1989), S. 52 ff. (63). 180 Neumann, ZStW 101 (1989), S. 52 ff. (67).
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tigkeit181. Sie fordert ein ewiges Streben nach Wahrheitsfindung, was im Falle eines Fehlurteils die Wiederaufnahme des Verfahrens bedeuten würde, sodass das Ergebnis des Prozesses dem (neu festgestellten) richtigen Sachverhalt entsprechen würde. Betrachtet man die materielle Gerechtigkeit als das alleinige Ziel des Strafverfahrens, ist die endgültige Erledigung der Strafsache angesichts der menschlichen Unvollkommenheit ausgeschlossen182. Die Institution der Wiederaufnahme des Verfahrens in der deutschen StPO zeigt jedoch, dass die Durchbrechung der materiellen Rechtskraft nicht nur aus Gründen materieller sondern auch (wenn nicht vor allem) prozessualer Gerechtigkeit zugelassen ist. Das indizieren die Gründe zur Wiederaufnahme des Verfahrens, die vornehmlich Verfahrensmängel betreffen – so z. B. § 359 Nr. 1 und § 362 Nr. 1 (Urkundenfälschung), § 359 Nr. 2 und § 362 Nr. 2 (Fehler bei Aussagen oder Gutachten) oder § 359 Nr. 3 und § 362 Nr. 3 (Amtspflichtverletzung eines Richters oder Schöffen) – und kein materiellrechtliches Kriterium, wie die Schwere des Delikts oder die Höhe der zu erwartenden Strafe, enthalten183. Es ist also festzuhalten, dass, wenngleich in der Theorie die materielle Gerechtigkeit als ein der Rechtskraft gegenläufiges Prinzip verstanden wird, sich das heutige Wiederaufnahmerecht sowohl auf die materielle als auch auf die prozessuale Seite der Gerechtigkeit stützt. cc) Rechtssicherheit Die Rechtssicherheit gilt auch als eines der wichtigsten Elemente der Rechtsstaatlichkeit184. Sie ist eine Grundvoraussetzung sowohl für die Funktionsfähigkeit einer jeden Rechtsordnung185 als auch für die Freiheit der Person186. Ihre Begriffsdefinition ist genauso schwer wie die des Rechtsstaatsbegriffs. Das Interesse besteht
181 Deml, Zur Reform der Wiederaufnahme des Strafverfahrens, 1979, S. 40 ff.; Neumann, in: FS-Jung, 2007, S. 655 ff. (660 ff.); Schöneborn, Strafprozessuale Wiederaufnahmeproblematik, 1980, S. 4; Meyer-Goßner, StPO58, Einl. Rn. 18 und Vor § 359 Rn. 1. 182 Deml, Zur Reform der Wiederaufnahme des Strafverfahrens, 1979, S. 41. 183 Ausführlicher dazu Neumann, ZStW 101 (1989), S. 52 ff. (56 ff.); ders., in: FS-Jung, S. 655 ff. (660 ff.). 184 BVerfGE 2, S. 380 ff. (403); BVerfGE 15, S. 313 ff. (319); BVerfGE 49, S. 148 ff. (164); BVerfGE 63, S. 215 ff. (223); BVerfGE 88, S. 384 ff. (403); s. auch Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 1984, S. 831; Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, 1997, S. 154; Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HStR3, Bd. 2, 2004, § 26 Rn. 81; Arnauld, Rechtssicherheit, 2006, S. 665; Münch, in: FS-Hahn, 1997, S. 673 ff. (674); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG3, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 146; Germann, in: SchwZStR 49 (1935), S. 257 ff. (269); s. aber Herzog, in: Maunz/Dürig, GG8, Art. 20 Abschn. VII, Rn. 61, der über die Verfassungsrechtsqualität der Rechtssicherheit zweifelt. 185 Zippelius, Rechtsphilosophie6, S. 131; ders., Das Wesen des Rechts6, S. 103. 186 s. BVerfGE 97, S. 67 ff. (80); vgl. auch Rümelin, Die Rechtssicherheit, 1924, S. 10 ff.; Kunig, in: FS-BVerfG, Bd. 2, 2001, S. 421 ff. (440).
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hier überwiegend an den Diktaten der Rechtssicherheit und ihren Komponenten und weniger daran, was mit diesem Begriff zu verstehen ist187. Die Aufgliederung der verschiedenen Strukturelemente basiert oft auf zeitlichen Kriterien. So wird in der Rechtsprechung des BVerfG188 und teils auch in der Literatur der Rechtssicherheitsbegriff in die Elemente der Verlässlichkeit und der Berechenbarkeit der Rechtsordnung aufgegliedert. Die Verlässlichkeit bezieht sich auf vergangene staatliche Akten und besagt, dass sie beständig bleiben müssen oder im Falle einer Änderung nicht beliebig, sondern nur in bestimmter Weise und unter bestimmten, vorher bekannten Voraussetzungen geändert werden können. Die Berechenbarkeit betrifft hingegen die künftigen staatlichen Entscheidungen und gebietet, dass sie den Bürger nicht überraschen sondern für ihn möglichst voraussehbar sind. Im Hinblick auf die geltende Rechtsordnung wird oft als drittes Merkmal der Rechtssicherheit die Feststellbarkeit oder Erkennbarkeit des Rechts genannt, nach der das Recht wahrgenommen und erfasst werden können muss189. Nach einer anderen Klassifizierung zerfällt die Rechtssicherheit in zwei Komponenten: die Orientierungssicherheit und die Realisierungssicherheit190. Die Erstere trägt dazu bei, dass der Einzelne hinreichend genau weiß, welches Verhalten man von ihm erwarten darf; was er tun und was er unterlassen soll. Das ist aber nicht genug. Man muss sich darüber hinaus auf die Regeln der Rechtsordnung verlassen können, so dass man glauben kann, dass die Normen befolgt und durchgesetzt werden. Das ist der Inhalt der Realisierungssicherheit. Die Unterscheidung zwischen Orientierungs- und Realisierungssicherheit ähnelt schließlich der Unterscheidung zwischen „Sicherheit des Rechts“ und „Sicherung durch das Recht“191. Sicherheit des Rechts bedeutet Rechtsgewissheit und spaltet sich in Beständigkeit und Klarheit des Rechts auf. Die „Sicherung durch das Recht“ dient dem Schutze des Individuums vor Eingriffen, sowohl seitens anderer Individuen als auch seitens des Staates. Die Darstellung der verschiedenen Strukturelemente, welche der Rechtssicherheit zugeschrieben werden, zeigt den Umfang des Bedeutungsinhalts dieses Begriffs und dadurch auch seine Rolle im Bereich des Strafrechts und Strafprozessrechts. Im 187
s. Arnauld, Rechtssicherheit, 2006, S. 102 m.w.N. BVerfGE 8, S. 274 ff. (325); BVerfGE 60, S. 253 ff. (268); BVerfGE 63, S. 343 ff. (357); BVerfGE 101, S. 239 ff. (262); BVerfGE 105, S. 17 ff. (37); BVerfGE 109, S. 133 ff. (180). 189 Für die Unterscheidung zwischen Verlässlichkeit, Berechenbarkeit und Erkennbarkeit s. Arnauld, Rechtssicherheit, 2006, S. 104 ff.; Ähnlich auch die entsprechende Einteilung in Beständigkeit, Vorhersehbarkeit und Messbarkeit von Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HStR3, Bd. 2, 2004, § 26 Rn. 81; so auch Sommermann, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG6, Art. 20 Abs. 3 Rn. 288; vgl. auch Herzog, in: Maunz/Dürig, GG8, Art. 20 Abschn. VII, Rn. 57 ff. 190 s. Geiger, Theodor, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts4, 1987, S. 64 f.; Zippelius, Rechtsphilosophie6, S. 132 f.; ders., Das Wesen des Rechts6, S. 103 ff.; Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie, 1964, S. 335 ff. 191 s. Bendix, Das Problem der Rechtssicherheit, 1914, S. 4; Herschel, JZ 1967, S. 727 ff. (728); Kaufmann Arthur, Grundprobleme der Rechtsphilosophie, 1994, S. 170; v. Münch, in: FS-Hahn, 1997, S. 673 ff. (674). 188
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Hinblick auf die zuvor erwähnte Unterscheidung kann man eine doppelte Funktion der Rechtssicherheit in Bezug auf das Strafrecht feststellen. Einerseits hat sie die Aufgabe des Gestaltungs- und Auslegungsfaktors der strafrechtlichen Normen: Das materielle Strafrecht muss klar und zukunftsbezogen sein (Rückwirkungsverbot). Die Analogie ist verboten (nullum crimen sine lege). Die Strafprozessordnung muss formal und gebunden sein und aus strikten Regeln bestehen192 (Sicherheit des Rechts). Zugleich lässt sich aber das Rechtssicherheitsprinzip durch das materielle und prozessuale Strafrecht verwirklichen. Denn die Sanktionierung eines Rechtsverstoßes dient der Durchsetzung des Rechts und bekräftigt das Vertrauen der Allgemeinheit in die Bewahrung der Rechtsordnung193 (Sicherung durch das Recht). Auch bei der materiellen Rechtskraft und dem Doppelverfolgungsverbot kommt diese doppelte Rolle der Rechtssicherheit zum Ausdruck. Sie schützt „das Vertrauen des Einzelnen und der Allgemeinheit in den Bestand einer als endgültig getroffenen gerichtlichen Entscheidung“194, während sie gleichzeitig ein Hindernis für wiederholte Eingriffe des Staates in die Individualsphäre des Einzelnen darstellt. dd) Kritik an der Rolle von Gerechtigkeit und Rechtssicherheit im Strafprozessrecht allgemein Gerechtigkeit und Rechtssicherheit haben in der Strafprozesslehre eine lange Tradition. Viele Autoren stellen diese Begriffe in den Mittelpunkt des Strafprozesses und verknüpfen sie sogar mit dem Ziel des Strafverfahrens195. Oft heißt es, sie befänden sich in einem Spannungsverhältnis, welches das ganze Normensystem der Prozessordnung durchziehe196. Geraten Rechtssicherheit und Gerechtigkeit in Konflikt, soll dieser im Rahmen einer Abwägung zwischen den beiden Prinzipien gelöst werden. Der erste Einwand gegen dieses Konzept betrifft die Abwägung der beiden Prinzipien. Abgesehen von dem weiten Inhalt und den vielen Interpretationsmöglichkeiten beider Begriffe lässt sich ein deutlicher Vorrang des einen oder des anderen Prinzips weder dem Grundgesetz noch dem Strafprozessrecht entnehmen197. Für eine 192
Peters, Strafprozess4, S. 84. Vgl. Germann, in: SchwZStR 49 (1935), S. 257 ff. (265). 194 Schmidhäuser, in FS-Schmidt, Eb., 1961, S. 511 ff. (515); ähnlich Deml, Zur Reform der Wiederaufnahme des Strafverfahrens, 1979, S. 41 m.w.N.; Peters, Fehlerquellen im Strafprozess, Bd. 3, 1974, S. 1. 195 Vgl. Schmidt, Eb., Lehrkommentar zur StPO, Bd. I2, S. 43 f. und S. 164; Peters, Strafprozeß4, S. 82 und 83 f.; Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 1950, S. 16; Henkel, Strafverfahrensrecht2, S. 89 f.; Schmidhäuser, in FS-Schmidt, Eb., 1961, S. 511 ff. 196 Gaul, Die Grundlagen des Wiederaufnahmerechts und die Ausdehnung der Wiederaufnahmegründe, 1956, S. 64; vgl. auch Deml, Zur Reform der Wiederaufnahme des Strafverfahrens, 1979, S. 39. Vgl. auch Maurach/Zipf, Strafrecht AT 8, S. 120. 197 s. die analytische Untersuchung von Deml, Zur Reform der Wiederaufnahme des Strafverfahrens, 1979, S. 44 ff. mit den diesbezüglichen weiteren Nachweisen. 193
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solche Abwägung wird oft (wenn nicht explizit dann wohl indirekt198) auf die sog. Radbruchsche Formel zurückgegriffen. Obwohl Radbruch seine Formel in Bezug auf den Konflikt zwischen Rechtssicherheit im Sinne des positiven Rechts und Gerechtigkeit im Sinne des überpositiven Rechts formulierte, hielt er sie entsprechend auch im Rahmen des Strafprozessrechts für anwendbar199. Diese Formel besagt, dass „das positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, dass der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, dass das Gesetz als ,unrichtiges Recht‘ der Gerechtigkeit zu weichen hat“200. Der Vorzug der Rechtssicherheit zu Lasten der Gerechtigkeit in der Radbruchschen Rechtsphilosophie kann im Hinblick auf die Rolle, die in der nationalsozialistischen Zeit dem Begriff der Gerechtigkeit zugeschrieben wurde – und welche unter anderem als Rechtfertigung für die extreme Ausweitung der Wiederaufnahmemöglichkeiten zu Lasten des Angeklagten dient201 – verstanden und gerechtfertigt werden202. Unter dem Aspekt des heutigen Grundgesetzes und Strafprozessrechts findet aber diese Meinung keine Grundlage. Jeder Versuch, zwei so abstrakte Begriffe in eine Vorrangrelation zu bringen, enthält daher zwangsläufig eine gewisse Willkür. Darüber hinaus bleibt ungeklärt, wann ein „unerträglicher“ Widerspruch vorliegt und welche Kriterien darauf hindeuten könnten. Dem Gesetzgeber die Abwägung unter einem Willkürvorbehalt zu belassen203, stellt auch keine Lösung des Problems dar, sondern verschiebt es einfach auf eine andere Ebene. Natürlich hat der Gesetzgeber bei der Gestaltung des Wiederaufnahmerechts, solange er innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen bleibt, einen gewissen Ermessensspielraum. Dieses Ermessen wird sogar „stark von politischen und weltanschaulichen Faktoren beeinflusst“204. Das bedeutet aber nicht, dass für diese Entscheidung keine nachvollziehbaren und überprüfbaren Kriterien benutzt werden müssen. Hier muss schließlich angemerkt werden, dass die Begriffe Rechtssicherheit und Gerechtigkeit, wenngleich sie im Mittelpunkt des Strafprozesses stehen, trotzdem keinen verallgemeinerungsfähigen Gehalt haben, da sie nicht in der Lage sind, den Sinn bestimmter prozessualer Vorschriften wiederzugeben. Das gilt z. B. für § 155a StPO und den dort geregelten Täter-Opfer-Ausgleich. Dass diese Institution dem Prinzip der materiellen Gerechtigkeit entgegensteht, kann man nicht bezweifeln. Der ganze Prozess kann schon am Anfang durch eine Absprache zwischen Beschul198
Saliger, Radbruchsche Formel und Rechtsstaat, 1995, S. 54 f. Radbruch, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 1914, S. 174 f. 200 Radbruch, SJZ 1 (1946), S. 105 ff. (107). 201 Vgl. Neumann, in: FS-Jung, 2007, S. 655 ff. (663 f.) m.w.N. 202 s. Saliger, Radbruchsche Formel und Rechtsstaat, 1995, S. 33 ff. m.w.N. 203 So Meyer-Goßner, StPO58, Einl. Rn. 18; Maurach/Zipf, Strafrecht AT 8, S. 120; vgl. ferner BVerfGE 25, S. 269 ff. (290); BVerfG NJW 2004, S. 739 ff. (741). 204 Hanack, JZ 28 (1973), S. 393 ff. (394). 199
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digtem und Verletztem beendet werden, ohne dass die Sachlage offiziell geklärt ist. Das Prinzip der Wahrheitsfindung wird im Namen eines beschleunigten Strafprozesses aufgegeben. Des Weiteren kann auch die Rechtssicherheit nicht als Hintergrund dieser Vorschrift betrachtet werden. Natürlich steht ihr der Täter-OpferAusgleich nicht in dem Sinne entgegen, dass entweder der Täter oder das Opfer vom Ablauf der Verhandlung überrascht werden können. Das ganze Verfahren läuft nach dem Willen der Beteiligten ab. Die Rechtssicherheit verlangt aber ein möglichst gebundenes Verfahren205, was hier nicht der Fall ist. Es werden im Gegenteil viele Möglichkeiten eröffnet, die zu einem Ausgleich zwischen Beschuldigtem und Verletztem führen sollen. Eine solche Institution kann sich also weder auf die Gerechtigkeit noch auf die Rechtssicherheit stützen. Das gleiche ist auch bezüglich anderer Vorschriften anzunehmen, die an das Opportunitätsprinzip anknüpfen und/ oder die Beschleunigung des Prozesses bezwecken, wie z. B. § 153a StPO (Einstellung des Verfahrens nach Erfüllung von Auflagen) oder die §§ 407 ff. StPO (Strafbefehlsverfahren). Bezüglich der Fragen, die in diesen Fällen entstehen können, können die zwei Begriffe keine besondere Hilfe leisten. Die mangelnde verallgemeinerungsfähige Funktion von Gerechtigkeit und Rechtssicherheit im Strafverfahrensrecht betrifft zwar das „ne bis in idem“ nur mittelbar, sie stellt aber eine allgemeine Schwäche der Gegenüberstellung der zwei Prinzipien dar und muss daher auch in Kauf genommen werden. ee) Kritik an der Anwendung auf das „ne bis in idem“ Nach traditioneller Meinung soll der Widerstreit zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit am deutlichsten in der Rechtskraftproblematik und im Wiederaufnahmeverfahren zum Ausdruck kommen. „Ne bis in idem“ und materielle Rechtskraft sollen, wie schon erläutert, der Rechtssicherheit dienen, während das Wiederaufnahmeverfahren ein Gebot der Gerechtigkeit sei206. Diese äußerst verbreitete Meinung, die das Prinzip „ne bis in idem“ und seine Durchbrechungen auf der Basis einer Abwägung zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit erklärt, wurde aber vereinzelt in Zweifel gezogen207. Die meines Er205
Peters, Strafprozeß4, S. 84. Beling, Deutsches Reichsstrafprozessrecht, S. 268 f.; Peters, Strafprozeß4, S. 83 f.; Henkel, Strafverfahrensrecht2, 1968, S. 384; Schmidt, Eb., Lehrkommentar zur StPO, Bd. I2, 1964, Rn. 312; Niese, Doppelfunktionelle Prozesshandlungen, 1950, S. 111; Oehler, in; FSRosenfeld, S. 139; Kühne, in: LR-StPO26, Einl. K Rn. 65; Meyer-Goßner, StPO58, Vor § 359 Rn. 1; Fischer, in: KK-StPO7, Einl. Rn. 480 ff. und 487 ff.; Geppert, GA 1972, S. 165 ff. (170). 207 s. Meyer, Jürgen, Wiederaufnahmereform, 1977, S. 37 ff.; Grünwald, Beiheft zur ZStW 1974, S. 94 ff. (103 ff.); Hanack, JZ 28 (1973), S. 393 ff. (394); Schöneborn, Strafprozessuale Wiederaufnahmeproblematik, 1980, S. 6 ff.; Radtke, Zur Systematik des Strafklageverbrauchs verfahrenserledigender Entscheidungen im Strafprozess, 1994, S. 38 ff. und vor allem S. 40 ff.; vgl. auch Schmidt, Eb., JZ 23 (1968), S. 681 ff. (683); Deml, Zur Reform der Wiederaufnahme des Strafverfahrens, 1979, S. 42 f.; Gegen diese Kritik argumentiert Saliger, Radbruchsche Formel und Rechtsstaat, 1995, S. 55 ff. 206
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achtens zutreffende Kritik hat sich eher auf die Anwendung und die Nützlichkeit dieser Abwägung für die Rechtskraftlehre konzentriert und richtet sich nicht generell gegen die Existenz einer solchen Antinomie in der Rechtsordnung und der Rechtsidee208. Dass im Falle eines richtigen Urteils, was auch den Regelfall darstellen muss, die zwei Prinzipien nicht in Widerspruch zueinander stehen, sondern vielmehr zusammenfallen209, begrenzt natürlich die Anwendung des traditionell angenommenen Spannungsverhältnisses der zwei Prinzipien auf den Ausnahmefall des fehlerhaften Urteils, stellt aber nicht unbedingt einen Einwand gegen die herkömmliche Auffassung dar. Die Feststellung eines Spannungsverhältnisses zwischen zwei Werten und das Erfordernis einer Abwägung der beiden setzt nicht voraus, dass sie in allen ihren Entfaltungen im gegensätzlichen Verhältnis zueinander stehen müssen. Die Begründung der Rechtskraft und der Wiederaufnahme des Verfahrens anhand der Prinzipien der Rechtssicherheit und Gerechtigkeit ist vielmehr aus folgenden Gründen abzulehnen: (1) Die Rolle der Rechtssicherheit Unzutreffend ist vor allem die pauschale Gleichsetzung von Rechtskraft und Rechtssicherheit. Zunächst ist festzustellen, dass man in manchen Fällen der Rechtskraft eine der Rechtssicherheit schadende und der Wiederaufnahme eine ihr dienende Rolle einräumen muss. Sieht man die Wiederaufnahme des Verfahrens nur als Postulat der Gerechtigkeit an, missachtet man eine der zwei – zuvor erwähnten – Komponenten der Rechtssicherheit, nämlich die Realisierungssicherheit. Die Behebung eines Urteilsfehlers mittels eines zweiten Verfahrens bekräftigt das Vertrauen der Allgemeinheit und auch des Angeklagten in die Bewahrung und Durchsetzung der Rechtsordnung, während im Gegenteil die Rechtskraft eines Fehlurteils gegen die Realisierungssicherheit und somit die Rechtssicherheit selbst wirkt210. In diesem Sinne erscheint die Rechtskraft als Kontrahent der Rechtssicherheit, während die Wiederaufnahme hingegen zu ihren Gunsten funktioniert. Gegen diese These, nämlich dass die Rechtskraft eines Fehlurteils sich gegen einen Aspekt der Rechtssicherheit richtet, ist eingewandt worden, dass eine solche Feststellung eher empirischer Natur sei und deswegen dem normativ zu verstehenden 208 Vgl. Meyer, Jürgen, in: Jescheck/ders., Die Wiederaufnahme des Strafverfahrens im deutschen und ausländischen Recht, 1974, S. 729 ff. (745); Deml, Zur Reform der Wiederaufnahme des Strafverfahrens, 1979, S. 42 f. 209 So Deml, Zur Reform der Wiederaufnahme des Strafverfahrens, 1979, S. 43 f.; Radtke, Zur Systematik des Strafklageverbrauchs verfahrenserledigender Entscheidungen im Strafprozess, 1994, S. 41 f. 210 Ausführlich dazu Meyer, Jürgen, Wiederaufnahmereform, 1977, S. 39 ff.; Volk, Prozessvoraussetzungen im Strafrecht, 1978, S. 199.
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Charakter der traditionellen Gegenüberstellung zwischen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit keine Rechnung trage. Die Fehlurteilsproblematik sei prinzipiellen Charakters. Empirisch gesehen lasse auch ein materiell richtiges Urteil unter Umständen den Rechtsfrieden nicht eintreten211. Der Fehler dieser Kritik liegt darin, dass sie Rechtssicherheit und Rechtsfrieden gleichsetzt, und zwar in dem Sinne, dass der Rechtsfrieden als die empirische Seite der Rechtssicherheit begriffen wird. Diesbezüglich ist zweierlei anzumerken: Für die Begründung der These, dass die Wiederaufnahme eines schon erledigten Verfahrens nicht nur der Gerechtigkeit, sondern auch einem Aspekt der Rechtssicherheit dient, und dass die Rechtskraft eines Fehlurteils sich gegen die Rechtssicherheit richtet, muss man nicht auf den Begriff des Rechtsfriedens zugreifen. Noch weniger darf man ihn mit der Rechtssicherheit gleichsetzen oder sogar als ihren Bestandteil bezeichnen212. Der Rechtsfrieden ist von den Begriffen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit zu unterscheiden213. Es handelt sich „im Hinblick auf den Verdacht eines mit Strafe bedrohten Rechtsbruches um einen Zustand, bei dem sich die Gemeinschaft über den Rechtsbruch beruhigen kann“214. Der Rechtsfrieden erscheint in diesem Sinne als ein der Rechtssicherheit und der Gerechtigkeit übergeordneter Begriff. Des Weiteren ist sowohl der Rechtsfrieden als auch die hier in Betracht kommende Rechtssicherheit normativ zu verstehen. Mit dem Rechtsfrieden ist nämlich nicht ein „sozialpsychologisches Phänomen“215 gemeint, sondern ein Zustand, „bei dem von der Gemeinschaft vernünftigerweise erwartet werden kann, dass sie sich über den Verdacht einer Straftat beruhige“216. Wenn von der Verwirklichung der Rechtssicherheit (hier als Realisierungssicherheit) durch die Wiederaufnahme die Rede ist, dann handelt es sich um die prinzipielle Fähigkeit des zweiten Prozesses, gegenüber der Allgemeinheit den Eindruck zu erwecken, dass dadurch das Gesetz realisiert und durchgesetzt wird. Eine empirische Feststellung, ob und in welchem Grade dieser Eindruck in jedem bestimmten Fall tatsächlich erzeugt wird (Rechtssicherheit in empirischem Sinne), oder ob und in welchem Grade sich die Allgemeinheit mit der zweiten Entscheidung tatsächlich über den Rechtsbruch beruhigen kann (Rechtsfrieden in empirischem Sinne), spielt hier keine Rolle. Gegen die Meinung, dass im Falle eines rechtskräftigen Fehlurteils die materielle Rechtskraft eher gegen als für die Rechtssicherheit funktioniert, weil sie in diesem 211
Vgl. Saliger, Radbruchsche Formel und Rechtsstaat, 1995, S. 56 ff. So aber Meyer, Jürgen, Wiederaufnahmereform, 1977, S. 39. 213 Schmidhäuser, in FS-Schmidt, Eb., 1961, S. 511 ff. (513 ff.); zustimmend Volk, Prozessvoraussetzungen im Strafrecht, 1978, S. 200 ff.; anders aber Radbruch, Rechtsphilosophie3, S. 165; Sauer, Allgemeine Prozessrechtslehre, 1951, S. 3; Niese, Doppelfunktionelle Prozesshandlungen, 1950, S. 111; Schmidt, Eb., Lehrkommentar zur StPO, Bd. I2, 1964, Rn. 312; Henkel, Strafverfahrensrecht2, 1968, S. 384. 214 Schmidhäuser, in FS-Schmidt, Eb., 1961, S. 511 ff. (513 ff.); zustimmend Volk, Prozessvoraussetzungen im Strafrecht, 1978, S. 200 ff. 215 Volk, Prozessvoraussetzungen im Strafrecht, 1978, S. 200 f. 216 Schmidhäuser, in FS-Schmidt, Eb., 1961, S. 511 ff. (513 ff.). 212
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Fall Unrecht und nicht Recht durchsetzt, wurde des Weiteren vorgebracht, dass für jedes rechtskräftige Urteil eine „widerlegbare Richtigkeitsvermutung“217 vorliege. Es sei zwar anzunehmen, dass die Rechtssicherheit notwendigerweise zur Unrechtssicherheit werde, solange sie auch die Geltung des unrichtigen Urteils rechtfertige; diese Verschleifung von Rechts- und Unrechtssicherheit sei aber wegen der Richtigkeitsvermutung des Urteils nicht aktuell, sondern bleibe tendenziell latent218. „Tendenziell latent“ heißt aber nicht inexistent. Die Annahme einer Richtigkeitsvermutung kann nicht zu dem Schluss führen, dass alle rechtskräftigen Urteile tatsächlich richtig sind oder dass sie sogar normativ immer als richtig betrachtet werden können, solange der Prozess nicht wiederaufgenommen wird. Sofern die Wiederaufnahme eines Verfahrens nur aus bestimmten Gründen erlaubt ist, sind sogar Fälle denkbar, in denen trotz eines hohen Verdachts der Unrichtigkeit des ersten Urteils die Wiederaufnahme nicht möglich ist. Es wäre in diesem Fall unsachgemäß und realitätsfremd, von der Richtigkeit des Urteils in einem solchen Sinne auszugehen, dass diese Entscheidung trotz des hohen Verdachts der Unrichtigkeit der Realisierungssicherheit dienen könnte. Oder umgekehrt formuliert: Folgt man der Meinung der „widerlegbaren Richtigkeitsvermutung“, dann darf man gerade aufgrund dieser Richtigkeitsvermutung nur im Falle einer Wiederaufnahme von einem falschen Urteil sprechen; man dürfte dann nicht davon ausgehen, dass ein falsches Urteil in Kraft bleibt. Aber selbst die Anhänger des Dipols Rechtssicherheit Gerechtigkeit gehen von der Annahme falscher Urteile aus, die nicht wiederaufnahmefähig sind219, vor allem um dadurch den Vorrang der Rechtssicherheit vor der Gerechtigkeit zu begründen. Die Feststellung, dass im Falle eines rechtskräftigen Urteils keine Gewissheit, sondern nur Zweifel über seine Richtigkeit vorliegen können220, muss man tatsächlich in Kauf nehmen. Sie lässt aber erkennen, dass der angenommene Widerstreit zwischen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit nur auf einer Vermutung basiert, was eine Abwägung der zwei Prinzipien noch schwieriger macht221.
217 Deml, Zur Reform der Wiederaufnahme des Strafverfahrens, 1979, S. 44; Saliger, Radbruchsche Formel und Rechtsstaat, 1995, S. 60. 218 Saliger, Radbruchsche Formel und Rechtsstaat, 1995, S. 59 f. 219 s. Beling, Deutsches Reichsstrafprozessrecht, S. 268 f.; Henkel, Strafverfahrensrecht2, 1968, S. 385 f.; Meyer-Goßner, StPO58, Vor § 359 Rn. 1; Deml, Zur Reform der Wiederaufnahme des Strafverfahrens, 1979, S. 42; Saliger, Radbruchsche Formel und Rechtsstaat, 1995, S. 59; vgl. auch Sax, ZZP 67 (1954), S. 21 ff. (28 ff.). 220 Volk, Prozessvoraussetzungen im Strafrecht, 1978, S. 196 f. 221 Hanack, JZ 28 (1973), S. 393 ff. (394); Grünwald, Beiheft zur ZStW 1974, S. 94 ff. (104); Radtke, Zur Systematik des Strafklageverbrauchs verfahrenserledigender Entscheidungen im Strafprozess, 1994, S. 42 und 390.
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(2) Die Rolle der Gerechtigkeit Auf der anderen Seite darf auch der Begriff der Gerechtigkeit nicht ausschließlich mit der Wiederaufnahme verknüpft werden. Aus der Sicht der Behandlung des Angeklagten verwirklicht auch die Rechtskraft in gewisser Weise Gerechtigkeit, und zwar im Sinne der prozessualen Gerechtigkeit. Denn ein Verfahren, dessen Ende immer unter dem Vorbehalt der Richtigkeit steht und von dem kein endgültiges Ergebnis zu erwarten ist, stellt kein faires Verfahren dar. Die prozessuale Gerechtigkeit, die notwendig mit der Eigenständigkeit des Strafprozessrechts gegenüber dem materiellen Strafrecht verknüpft ist, verlangt, dass, abgesehen von der Übereinstimmung des Ergebnisses mit dem materiellen Strafrecht, der Prozess irgendwann ein endgültiges Ende nimmt. Es wird also deutlich, dass die prozessuale Gerechtigkeit, die nach dem heutigen Strafprozessrecht als Basis eines großen Teils der Wiederaufnahmegründe dient, auch als Faktor gegen die Wiederaufnahme eines Verfahrens betrachtet werden kann. (3) Fehlende Funktionalität Die beschriebenen begrifflichen Überschneidungen der zwei Prinzipien sind aber nicht der einzige Grund, warum das Spannungsverhältnis zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit nicht auf die „ne bis in idem“-Problematik anwendbar ist. Die Preisgabe des Dipols Gerechtigkeit-Rechtssicherheit und des Versuchs, Rechtskraft und Wiederaufnahmerecht durch die Abwägung der zwei Prinzipien zu erklären, wird vielmehr von der geringen Nützlichkeit dieses Konzepts gefordert. Es wurde schon angemerkt, dass eine Abwägung sich aufgrund des umfangreichen und unbestimmten Inhalts dieser Begriffe als ein äußerst schweres Vorgehen erweist. Die Anwendung der Radbruchschen Formel kann auch hier keine besondere Hilfe leisten. Für das Doppelverfolgungsverbot würde sie bedeuten, dass eine richterliche Entscheidung aufgrund des Vorrangs der Rechtssicherheit selbst dann in Kraft bleiben muss, wenn sie einen Fehler aufweist, es sei denn, dass der Widerspruch zur Gerechtigkeit unerträglich ist222. Eine solche Abwägung stützt sich aber nicht auf das geltende Strafprozessrecht. Das geltende Wiederaufnahmerecht stellt, wie schon angemerkt, nicht auf die Schwere der Tat und die Höhe der erwarteten Strafe ab, so dass man von einem Unerträglichkeitsvorbehalt ausgehen könnte223. Abgesehen davon bleibt auch hier die Frage offen, wann das fehlerhafte Strafurteil einen unerträglichen Widerspruch zur Gerechtigkeit darstellt.
222 Zu der „Unerträglichkeitsklausel“ vgl. Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht27, § 57 Rn. 1 ff.; Henkel, Strafverfahrensrecht2, S. 394; Peters, Strafprozessrecht4, S. 668; Schmidt Wilhelm, in: KK-StPO7, Vor § 359 Rn. 4 f.; Zum Verfassungsrecht vgl. Degenhart, in: Sachs, GG7, Art. 103 Rn. 84; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG8, Art. 103 Rn. 270. 223 s. Neumann, in: FS-Jung, 2007, S. 655 ff. (661 f.).
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Die Lehre der gespaltenen Natur224 vermag schließlich auch keine bessere Lösung zu bieten. Selbst wenn die Einordnung der verschiedenen Aspekte des „ne bis in idem“ (Doppelbestrafungsverbot, Nachschlagverbot und Doppelverfolgungsverbot) unter die Prinzipien Gerechtigkeit, Verhältnismäßigkeit und Rechtssicherheit als zutreffender angesehen wird, kann man dadurch nicht zu einem konkreteren Ergebnis über die Grundlagen des „ne bis in idem“ gelangen, so dass seine Anwendung auf anderen Gebieten oder seine Grenzen und Ausnahmen näher erleuchtet werden könnten. Außerdem würde hier das Argument Schroeders, dass die gespaltene Natur des „ne bis in idem“ sich besonders bei ausländischen Entscheidungen zeigt, wo aufgrund des Anrechnungsprinzips nur das Doppelbestrafungsverbot und nicht das Nachschlag- und Doppelverfolgungsverbot gelte225, einen zirkulären Gedankengang darstellen. Gerade dies, nämlich die Geltung des Doppelverfolgungsverbots und nicht nur des Doppelbestrafungsverbots auf transnationaler Ebene, ist das Objekt der vorliegenden Untersuchung. (4) Ergebnis Im Ergebnis ist also festzuhalten, dass der bisherige Versuch, die Grundlagen und Grenzen des „ne bis in idem“ und allgemein der Rechtskraft mittels Begriffen wie Gerechtigkeit und Rechtssicherheit festzulegen, theoretisch unzutreffend und praktisch unmöglich ist. Auf diesem Schluss basiert der anschließende Vorschlag einer alternativen Betrachtung der „ne bis in idem“-Problematik, welche für die Grundlegung auch des transnationalen Doppelverfolgungsverbots nützlich sein kann.
5. „Ne bis in idem“ im Widerstreit zwischen staatlicher Schutzpflicht und Achtungspflicht Die „ne bis in idem“-Problematik kann tatsächlich am besten als ein Dipol zweier entgegenwirkender „Kräfte“ verstanden werden, die einer Abwägung bedürfen. Das Dilemma zwischen einer zweiten Verfolgung (unabhängig davon, ob das erste Strafurteil im Inland oder im Ausland erlassen worden ist) und dem Verzicht auf eine Wiederaufnahme des Verfahrens bringt meines Erachtens freilich den Widerstreit zwischen zwei grundsätzlichen Staatspflichten zum Ausdruck: einerseits die Pflicht des Staates zum Schutz bestimmter verfassungsrechtlich abgesicherter Rechtsgüter und andererseits seine entgegenwirkende Pflicht, Menschenwürde, Freiheit und allgemein sämtliche Grundrechte des Einzelnen zu respektieren. Es geht hier um den „Widerspruch zwischen den zwei Rollen des Staates, der des Garanten und der des
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Schroeder, JuS 1997, S. 227 ff. Schroeder, JuS 1997, S. 227 ff. (229).
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potentiellen Widersachers der Grundrechte“226. Betrachtet man eine (zweite) Verfolgung als Ausfluss der staatlichen Schutzpflicht und das Prinzip „ne bis in idem“ einfach als Ausfluss eines Abwehrrechtes des Einzelnen gegen den Staat, kann man durch die Analyse dieses Dipols und Konkretisierung ihrer Funktion in der diesbezüglichen Problematik eine Abwägung vornehmen, die als Lösungsansatz dienen könnte.
a) Allgemeines zum Doppelauftrag des Staates Der hier beschriebene Doppelauftrag des Staates kommt zunächst durch die Grundrechte zum Ausdruck. Die Hauptfunktion227 der Freiheitsrechte des Grundgesetzes bestehe zunächst darin, die Freiheitssphären des Einzelnen vor staatlichen Eingriffen zu sichern. Freiheitsrechte sind nach der geistesgeschichtlichen Entwicklung der Grundrechtsidee in erster Linie Abwehrrechte228 und gewähren dem Grundrechtsträger einen „status negativus“ im Sinne der Abwesenheit staatlichen Zwangs229. Die Freiheit des Bürgers gilt in diesem Sinne als dem Staat vorgegeben und untersagt jedes ungerechtfertigte Eindringen der öffentlichen Gewalt. Die Rolle des heutigen Staates erschöpft sich aber nicht mehr in einer Pflicht reinen Unterlassens. Gefahren für die Freiheit und allgemein die verfassungsrechtlich garantierten Rechtsgüter können sich auch durch Dritte ergeben. Der Staat als alleiniger Träger des Gewaltmonopols hat die Aufgabe, die Menschen auch vor solchen Gefahren zu schützen, indem er seine ihm zur Verfügung stehenden Mechanismen aktiviert und die erforderlichen Maßnahmen ergreift230. Erst durch diese Schutzpflicht des Staates, die den Rechten des Einzelnen einen „status positivus“ vermittelt231, erhält der Freiheitsbegriff den Sinn einer „geordneten Freiheit“ und nicht bloß eines „Raumes eigenen Beliebens“232. In diesem Sinne kann von dem Doppelauftrag233 des Staates gesprochen werden, der zwar staatliches Handeln fordert, ihm aber 226
Isensee, in: ders./Kirchhof, HStR, Bd. 5, 1992, § 111, Rn. 4. s. Stern, in: ders./Sachs, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, 1988, § 66, S. 620; „klassische Grundrechtsfunktion“ nach Isensee, in: ders./Kirchhof, HStR, Bd. 5, 1992, § 111 Rn. 21. 228 s. z. B. BVerfGE 7, S. 198 ff. (204 f.); BVerfGE 50, S. 290 ff. (337); BVerfGE 68, S. 193 ff. (205). 229 Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte2, 1905, S. 103; Isensee, in: ders./ Kirchhof, HStR, Bd. 5, 1992, § 111 Rn. 2. 230 Vgl. zum Ganzen Isensee, in: ders./Kirchhof, HStR, Bd. 5, 1992, § 111; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten2, passim; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996; Calliess, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 2004, § 44; Klein, Eckart, NJW 1989, S. 1633 ff. 231 Isensee, in: ders./Kirchhof, HStR, Bd. 5, 1992, § 111 Rn. 3. 232 Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HStR3, Bd. 2, 2004, § 26 Rn. 31; vgl. auch Starck, in: Mangoldt/Klein/Starck-GG5, Art. 1 Abs. 3, Rn. 309 ff.; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 12, 1984, S. 789 f. 233 Calliess, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 2004, § 44, Rn. 3. 227
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zugleich Grenzen setzt. Aufgrund der Erfahrungen des Nationalsozialismus und die ihm als Reaktion folgende individualistische Konzeption der Grundrechte, wurde diese Zwiespältigkeit der staatlichen Rolle nach 1945 ausgeblendet, heute wird sie jedoch beständig in Betracht gezogen234. Das BVerfG hat sogar anerkannt, dass der Betroffene sich im Falle einer Verletzung grundrechtlicher Schutzpflichten mit Hilfe der Verfassungsbeschwerde wehren kann, da dies zugleich eine Verletzung des entsprechenden Grundrechts darstellen könnte235. Explizit wird diese doppelseitige staatliche Verpflichtung auch im Rahmen der verfassungsrechtlichen Menschenwürdegarantie erwähnt. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG schreibt vor, dass die Achtung und der Schutz der Menschenwürde Verpflichtung aller staatlichen Gewalt ist. Mit der „Achtung“ soll negatorisch die Unantastbarkeit der Menschenwürde seitens des Staates gesichert werden. Die Schutzpflicht fördert dagegen aktives staatliches Tun, in erster Linie als Garantie gegen Gefahren, die durch Dritte entstehen können236. Als Hauptstütze für den Doppelauftrag des Staates ist aber das Rechtsstaatsprinzip zu betrachten. Obwohl das BVerfG staatliche Schutzpflichten und Abwehrrechte, sowie die Frage der daraus entstehenden Konflikte nicht an das Rechtsstaatsprinzip geknüpft hat237, ist eine solche Annahme richtig. Das folgt in erste Linie aus der Menschenwürdegarantie, die als Grundlage des Rechtsstaates gilt und im Mittelpunkt des Rechtsstaatsbegriffs steht238. Mit ihrer Verankerung im Gebot der Rechtsstaatlichkeit werden die zwei zuvor erwähnten grundsätzlichen Staatsaufgaben des Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG in den Rechtsstaat miteinbezogen. Aber die Rechtsstaatlichkeit begrenzt sich nicht nur auf die Pflicht des Staates, die Menschenwürde zu schützen und zu achten. Sie umfasst vielmehr sämtliche Grundrechte, welche ihrerseits durch ihre zwei gegenläufigen Funktionen als Abwehrrechte und staatliche Schutzpflichten denselben Dipol vermitteln239. Das Rechtsstaatsprinzip schreibt also dem Staat vor, dass er die verfassungsrechtlichen Rechtsgüter ausreichend schützen muss, ohne zugleich unverhältnismäßig in die Grundrechte des Einzelnen einzugreifen. Von diesen zwei oft gegenläufigen „Kräften“ hängt letztendlich die Rechtsstaatlichkeit eines Staatsaktes ab. Zu Recht verkürzt Scheuner also 234 s. Klein, Eckart, NJW 1989, S. 1633 ff. (1634); Merten, in: GS-Burmeister, S. 227; Calliess, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 2004, § 44, Rn. 3. 235 BVerfGE 77, S. 170 ff. (214). 236 Starck, in: Mangoldt/Klein/Starck-GG5, Art. 1 Abs. 1, Rn. 39. 237 s. z. B. BVerfGE 35, S. 79 ff. (114); BVerfGE 39, S. 1 ff. (42); BVerfGE 46, S. 160 ff. (164 f.); BVerfGE 77, S. 381 ff. (402 f.); Für die diesbezügliche Rechtsprechung des BVerfG vgl. auch Klein, Eckart, NJW 1989, S. 1633 ff. (1636 f.); Calliess, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 2004, § 44, Rn. 5 ff. 238 s. u. a. Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HStR3, Bd. 2, 2004, § 26 Rn. 30; Sommermann, in: Mangoldt/Klein /Starck GG5, Art. 20 Abs. 3 Rn. 238; Sachs, in: ders., GG7, Art. 20, Rn. 77. 239 s. Isensee, in: ders./Kirchhof, HStR, Bd. 5, 1992, § 111 m.w.N.; vgl. auch Alexy, Theorie der Grundrechte2, S. 415 ff.
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B. Begründung im Deutschen Recht
den Rechtsstaatsbegriff auf die folgenden Komponenten: „den Schutz der persönlichen und politischen Freiheit des Bürgers und die Mäßigung und rechtliche Bindung aller öffentlichen Machtausübung“240. Wenn sowohl Schutzpflichten als auch Abwehrrechte gemeinsame und gleichrangige Komponenten des Rechtsstaatsbegriffs sind, folgt daraus, dass keine der beiden von der anderen völlig verdrängt werden kann. Diese zwei Staatsaufgaben sind je nach ihrer Intensität optimal auszugleichen. Bei staatlichen Maßnahmen, welche bestimmte Rechtsgüter und Grundrechte des Einzelnen berühren, aber zugleich auf den Schutz anderer Rechtsgüter zielen (wie z. B. bei der Strafverfolgung), ist immer zu untersuchen, was genau die staatliche Schutzpflicht verlangt und in welchem Maße dadurch andererseits die Grundrechte des Einzelnen beeinträchtigt werden können. Je optimaler die zwei entgegenwirkenden „Kräfte“ ausgeglichen werden, umso mehr kommt der fragliche Staatsakt den verfassungsrechtlichen Belangen der Rechtsstaatlichkeit nach. Wird durch das staatliche Handeln oder Unterlassen die eine Seite des Doppelauftrags völlig oder in großem Maße verdrängt, so liegt ein Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit vor. Genau diese Abwägung ist auch im Falle der Verfolgung einer im Ausland schon abgeurteilten Tat vorzunehmen. Es ist zu prüfen, ob die (zweite) Verfolgung einen Eingriff in die Grundrechte des Angeklagten darstellt, wie stark dieser Eingriff ist und ob sowie in welchem Maße er durch die staatliche Schutzpflicht gerechtfertigt werden kann. b) Der Dipol im Strafverfahrensrecht Die enge Beziehung zwischen Rechtsstaat und Strafverfahrensrecht ist hier erneut sehr deutlich zu erkennen. Der in den Mittelpunkt der Rechtsstaatlichkeit gestellte Dipol zwischen staatlicher Schutzpflicht und Achtungspflicht kommt auch im Strafverfahrensrecht zum Ausdruck. Obwohl dies auch in der Literatur sehr oft
240 Scheuner, in: Forsthoff, Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, 1968, S. 461 ff. (486 ff.). Zu der Verankerung von staatlichen Schutzpflichten und Abwehrrechten im Rechtsstaatsprinzip s. Calliess, ZRP 35 (2002), S. 1 ff. (5); ders., in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Bd. 2, 2004, § 44, Rn. 1 ff.; Scheuner, in: Forsthoff, Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, 1968, S. 461 ff. (486 ff.); Klein, Hans Hugo, DVBl. 109 (1994), S. 489 ff. (493); Huber, Ernst Rudolf, in: Forsthoff, Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, 1968, S. 259 ff. (280 ff.); Schulze-Fielitz, in Dreier-GG2, Art. 103 III, Rn. 45; Hesse, in: Forsthoff, Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit, 1968, S. 557 ff. (560 f.); ders., Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland20, Rn. 186 ff. und insb. Rn. 191; Sachs, in: ders., GG7, Art. 20 Rn. 77; Böckenförde, in: FS-Arndt, 1969, S. 72 ff.; Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 1997, S. 213 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HStR3, Bd. 2, 2004, § 26 Rn. 31 f.; Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, 1975, S. 35 ff.; ders., in: GS-Burmeister, S. 227; Bähr, Der Rechtsstaat, 1961, S. 4 ff. Vgl. aber Frankenberg, in: Denninger, GG-Kommentar3, 2001, Rn. 54, der die Frage als offen bezeichnet.
II. Grundlagen des transnationalen „ne bis in idem“
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betont wird241, wurde es in der „ ne bis in idem“-Problematik noch nicht ausreichend nutzbar gemacht. Vor einer Erläuterung zur Funktion dieses Dipols angesichts des Doppelverfolgungsverbots und der Suche nach einer Lösung für das transnationale „ne bis in idem“ sind einige allgemeine Anmerkungen zu dem Konflikt zwischen Schutzpflicht und Achtungspflicht im Rahmen des Strafprozessrechts zu machen. Ohne an dieser Stelle ausführlich auf die Frage nach dem Ziel des Strafprozesses eingehen zu können, muss angenommen werden, dass dem Strafprozessrecht eine rechtsgüterschützende Funktion zukommt242. Der Staat hat als Träger des Gewaltmonopols zum Zwecke der Friedensbewahrung die Befugnis, die Rechtsgüter der Bürger zu schützen. Er muss deshalb präventiv eingreifen, indem er die gravierenden Rechtsgutsverletzungen unter Strafe stellt. Damit diese Strafe keine leere Drohung bleibt, muss er außerdem den Täter durch den Strafprozess verfolgen, um eine angemessene Strafe zu verhängen bzw. zu vollstrecken. Das Strafrecht in seiner Gesamtheit und daher auch das Strafprozessrecht243 wirken also präventiv zum Zwecke der Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht244. Diese Schutzpflicht hat im Rahmen des Strafprozessrechts weitere Teilaspekte. Sie schreibt dem Staat untergeordnete Pflichten vor, die im Strafprozessrecht den Charakter von einzelnen Grundsätzen erhalten haben, und räumt den Staatsorganen verschiedene grundrechtseingreifende Befugnisse ein (z. B. § 152 StPO – Legalitätsprinzip, § 163 Abs. 1 StPO – Aufklärungsgrundsatz, §§ 94 ff. StPO – Beschlagnahme, §§ 102 ff. StPO – Durchsuchung, 112 ff. StPO – Untersuchungshaft). Diese Feststellung entspricht aber nicht dem Sinn aller strafprozessualen Regelungen. Sie vermag auch nicht die oben genannten Vorschriften in vollem Umfang zu rechtfertigen. Denn Letztere räumen den Staatsorganen nicht nur eine Befugnis zum Eingreifen ein, sondern bestimmen zugleich die Voraussetzungen, unter denen die entsprechenden Maßnahmen vorgenommen werden dürfen. Eine Reihe von strafprozessualen Vorschriften, wie z. B. die Beweisverbote, das Zeugnisverweigerungsrecht bestimmter Personen, die Begrenzung des Auskunftsanspruchs der Staatsanwaltschaft durch das Fernmelde-, Bank- oder Steuergeheimnis, mäßigen bzw. hindern die zuvor angenommene Schutzpflicht in großem Maße. Das Strafprozessrecht ist somit nicht nur ein Instrument zur Realisierung der staatlichen 241 s. Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht27, § 1 Rn. 2 ff.; Vogel, Hans-Jochen, NJW 1978, S. 1217 ff. (1218 f.); Wolter, in: SK-StPO (Loseblatt-Ausgabe), Vor § 151, Rn. 27 ff.; Schmidt, Eb., Lehrkommentar zur StPO, Bd. I2, 1964, S. 15 ff.; Karras, Strafprozessrecht3 (auf Griechisch), S. 8; Peters, Strafprozeß4, S. 80 f.; Kühne, in: LR-StPO26, Einl. H Rn. 13 m.w.N.; Rieß, in: LR-StPO25, Einl. B Rn. 2; vgl. aber auch die Anmerkungen von Grünwald zu BGHBeschluss v. 22. 10. 1975, JZ 1976, 762 ff. (772 f). Aus der Sicht der Staatslehre: Starck, in: FSCarstens, Bd. 2, 1984, S. 867 ff. (878 f.). 242 Analytische Begründung weiter unten, B.III.2.; s. auch Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht27, § 1 Rn. 1 ff. 243 Zu der Schutzaufgabe als vereinheitlichender Faktor des gesamten Strafrechts s. Henkel, Strafverfahrensrecht2, 1968, S. 15. 244 s. Roxin, JuS 1966, S. 377 ff. (386); Starck, in: FS-Carstens, Bd. 2, 1984, S. 867 ff. (878); Rieß, in: LR-StPO25, Einl. B Rn. 2 und Einl. G Rn. 16 ff.
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B. Begründung im Deutschen Recht
Schutzpflicht. Es hat vielmehr als zusätzliches Ziel dem staatlichen Eingriff angesichts der Grundrechte des jeweils Betroffenen Grenzen zu setzen. Es konkretisiert also gleichzeitig die Pflicht des Staates, die Abwehrrechte des Einzelnen im Rahmen eines Strafprozesses zu achten. Das ganze Strafverfahren ist also gemäß dem zuvor erwähnten rechtsstaatlichen Doppelauftrag gestaltet245. Es erscheint als ein dauerndes Ausbalancieren: „Aktivieren und Disziplinieren staatlichen Handelns“246 ; Eingriffe zur Realisierung der staatlichen Schutzpflicht und die Eingrenzung des Eingriffs aufgrund der Grundrechte des Einzelnen. Manchen prozessrechtlichen Institutionen kommt eine parallele, den beiden Pflichten dienende Rolle zu, wie z. B. bei Institutionen, die auf den Beschleunigungsgrundsatz zurückzuführen sind247. In den meisten Fällen tauchen die zwei Pflichten im Strafprozessrecht aber als kollidierende Kräfte auf, die einer Abwägung bedürfen. Diese Kollision ist hier sogar stärker als in jedem anderen Rechtsbereich. Das ergibt sich einerseits daraus, dass das Strafrecht die gravierendsten Rechtsgutsverletzungen betrifft, wodurch das Schutzinteresse hier verstärkt wird, so dass der Staat Maßnahmen ergreifen muss, die bis hin zur Bestrafung des Täters reichen können. Dies führt andererseits aber auch dazu, dass der Betroffene dieser Maßnahme – vor allem als Adressat einer möglichen Strafe – weitgehend in seinen Grundrechten und vor allem in seinen Freiheitsrechten verletzt werden kann, was das Interesse an der Disziplinierung des staatlichen Handelns noch intensiviert. Diese Konstellation ist auch für den Begriff des Rechtsfriedens von Nutzen, der von vielen Autoren mit dem Ziel des Strafverfahrens in Zusammenhang gebracht wird248. Roxin betrachtet den Rechtsfrieden als eine dritte Größe, die neben den zwei zuvor erwähnten Interessen steht – obgleich er anscheinend die Schutzpflicht des Staates mit der materiellen Richtigkeit und die Pflicht zur Beachtung der Grundrechte mit der Justizförmigkeit ausgleicht249. Fasst man aber den Rechtsfrieden als einen normativ zu betrachtenden Begriff auf, nämlich wie schon angemerkt als den Zustand, „bei dem von der Gemeinschaft vernünftigerweise erwartet werden kann, dass sie sich über den Verdacht einer Straftat beruhige“250, muss man davon ausgehen, dass er eine übergeordnete Aufgabe hat, die von den zwei kollidierenden Interessen abhängt. Dieser Zustand kann meines Erachtens nur dann als erreicht 245
s. Androulakis, Grundbegriffe des Strafprozesses3 (auf Griechisch), S. 26 ff. Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HStR3, Bd. 2, 2004, § 26 Rn. 32. 247 Für die Bedeutung des Beschleunigungsgrundsatzes sowohl zugunsten des öffentlichen Interesses als auch zugunsten des Angeklagten s. BGHSt 26, S. 228 ff. (232 f.); vgl. des Weiteren Fischer, in: KK-StPO7, Einl. Rn. 33; Androulakis, Grundbegriffe des Strafprozesses3 (auf Griechisch), 2007, S. 27 f. 248 Schmidhäuser, in: FS-Schmidt, Eb., 1971, S. 511 ff. (515 ff.); Meyer-Goßner, StPO58, Einl. Rn. 4; Volk, Prozeßvoraussetzungen im Strafrecht, 1978, S. 200 ff.; Kühne, in: LR-StPO26, Einl. B Rn. 48; Murmann, GA 151 (2004), 65 ff.; Fischer, in: KK-StPO7, Einl. Rn. 1. 249 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht27, § 1 Rn. 1 ff. 250 Schmidhäuser, in: FS-Schmidt, Eb., 1971, S. 511 ff. (515 ff.). 246
II. Grundlagen des transnationalen „ne bis in idem“
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angesehen werden, wenn der Staat seiner Pflicht zum Rechtsgüterschutz nachgekommen ist, ohne dabei unverhältnismäßig in die Grundrechte des Einzelnen eingegriffen zu haben. c) Der Konflikt beim innerstaatlichen und transnationalen „ne bis in idem“ Der Widerstreit zwischen Schutzpflicht und Achtungspflicht gibt die „ne bis in idem“-Problematik im Allgemeinen am besten wieder. Stellt sich heraus, dass ein rechtskräftiges Strafurteil auf einem prozessualen oder materiellen Fehler basiert, ergibt sich der Verdacht, dass der Staat durch seine Entscheidung über den konkreten Fall eine seiner beiden Pflichten vernachlässigt hat, nämlich entweder, dass die staatlichen Schutzzwecke durch die auferlegte Sanktion nicht erfüllt werden oder im Gegenteil, dass der Staat durch das Urteil unverhältnismäßig in die Grundrechte des Angeklagten eingegriffen hat. Im ersteren Fall ergibt sich die Frage einer Wiederaufnahme des Verfahrens zu Lasten, im zweiten zu Gunsten des Angeklagten. Bei der Frage, ob das Verfahren zugunsten des Angeklagten wiederaufgenommen werden muss oder nicht, ist es nicht sehr problematisch, den Widerstreit zwischen Schutzpflicht und Achtungspflicht zu erkennen. Auf der einen Seite stehen die möglicherweise durch das falsche Urteil verletzten Grundrechte des Angeklagten, vor allem sein Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit und auf Freiheit251. Die Achtungspflicht des Staates verlangt also die Wiederaufnahme des Verfahrens, damit der den Grundrechten des Verurteilten schadende Zustand abgeschafft wird. Die Schutzinteressen des Staates könnten dagegen die Aufrechterhaltung der Entscheidung rechtfertigen, aber nur wenn die staatlichen Schutzmechanismen ohne Grund oder wegen minderwertiger Fehler in Anspruch genommen werden, was das allgemeine Schutzinteresse beeinträchtigen würde. Obwohl also hier das Übergewicht auf der Seite der Wiederaufnahme liegt – was durch die relativ weite Fassung der Wiederaufnahmegründe des § 359 gerechtfertigt ist –, ist der Gesetzgeber trotzdem verpflichtet, selbst bei der Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten des Angeklagten Grenzen zu ziehen. Bei der Frage der Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten des Angeklagten ist die Konstellation umgekehrt. Besteht der Verdacht, dass die auferlegte Strafe aufgrund eines materiellen oder prozessualen Fehlers zu niedrig war, so fordert die staatliche Schutzpflicht eine Wiederaufnahme des Verfahrens, damit der mögliche Fehler beseitigt und der Angeklagte angemessen bestraft werden kann. Da jedoch ein erneutes Verfahren die Grundrechte des Angeklagten und vor allem sein Persönlichkeitsrecht, aber auch seine Menschenwürde sehr stark berühren würden252, verlangt die Achtungspflicht die Aufrechterhaltung des möglicherweise fehlerhaften Urteils. 251 252
s. weiter unten, B.IV.2.a). Dazu s. weiter unten, B.IV.2.a).
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B. Begründung im Deutschen Recht
Im Falle des transnationalen „ne bis in idem“ liegt zwar kein Urteilsfehler vor, aber der Konflikt zwischen Achtungs- und Schutzpflicht ist ähnlich. Während die Schutzpflicht prinzipiell den Eingriff des Staates zur Verfolgung des (im Ausland schon abgeurteilten) Täters fordert, verlangt die Achtungspflicht das Absehen von diesem die Grundrechte des Angeklagten beeinträchtigenden Staatsakt. Beide Pflichten sind, wie schon erwähnt, Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips, und somit würde die Verletzung der einen oder der anderen Pflicht einen Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit darstellen. Sie müssen deshalb beide optimal erfüllt werden. Die „ne bis in idem“-Problematik durch die Gegenüberstellung von Achtungsund Schutzpflicht zu erklären, ist nicht nur treffender, sondern zugleich auch dienlicher als die Nutzung von Begriffen wie Gerechtigkeit und Rechtssicherheit. Der Inhalt von Achtungs- und Schutzinteressen ist im Gegensatz zu den bisher benutzten Begriffen leichter konkretisierbar. Ob und in welchem Grade ein Grundrecht durch das staatliche Handeln beeinträchtigt wird, und in welchem Maße dieser Staatsakt vom Schutzinteresse gerechtfertigt ist, kann man nachvollziehbar begründen, ohne auf apriorische Vorrangvermutungen zurückzugreifen. Darüber hinaus entspricht diese Konstellation der zuvor angenommenen Bezeichnung des Doppelverfolgungsverbots als Schranken-Schranke gegenüber den staatlichen Grundrechtseingriffen und in diesem Sinne ist ihr auch aus grundrechtsdogmatischen Gründen der Vorzug zu geben.
6. Zusammenfassung: Grundlagen der „ne bis in idem“-Problematik Nach der herkömmlichen Auffassung stellt die „ne bis in idem“-Problematik einen Widerstreit zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit dar. Diese zwei Prinzipien stehen im Mittelpunkt der strafprozessualen Dogmatik und sollen auch der Konkretisierung der Grenzen und Ausnahmen sowie des Anwendungsbereichs des Doppelverfolgungsverbots dienen. Das rechtsstaatliche Gebot der Gerechtigkeit verlange eine erneute Verfolgung, während das Gebot der Rechtssicherheit eine neue Eröffnung des Prozesses verhindern solle. Meines Erachtens ist aber die Gegenüberstellung dieser zwei Termini aufgrund deren unbestimmbaren Inhalts und deren begrifflicher Überschneidungen unzutreffend und eine Abwägung zwischen ihnen letztendlich nicht möglich. Die Begründung des Doppelverfolgungsverbots und dessen Anwendung auf transnationaler Ebene ergibt sich vielmehr aus dem ebenfalls im Rechtsstaatsprinzip verorteten Doppelauftrag des Staates: einerseits die verfassungsrechtlich garantierten Rechtsgüter zu schützen und andererseits die Grundrechte des Einzelnen zu respektieren. Dieser Doppelauftrag prägt das ganze Strafverfahren. Im Unterschied zu den Prinzipien der Gerechtigkeit und Rechtssicherheit, kann aber hier eine nachvollziehbare Abwägung vorgenommen werden, da die entsprechenden Inter-
III. Begriffliche Konkretisierungen
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essen, nämlich das Schutz- und Achtungsinteresse, wie weiter unten gezeigt wird, konkretisierbare Größen darstellen.
III. Begriffliche Konkretisierungen Den bisherigen Feststellungen zufolge bezweckt der folgende Teil der Arbeit die Begriffe „Achtungspflicht“ und „Schutzpflicht“ sowie ihre Bedeutung im Rahmen des Strafprozessrechts zu konkretisieren.
1. Achtungspflicht a) Begriffsfassung der Achtungspflicht Schon im vorherigen Paragraphen wurde klar, dass die Achtungspflicht als die Kehrseite des Abwehrgehalts sämtlicher Grundrechte anzusehen ist. Nach der traditionellen Unterscheidung der Grundrechtsfunktionen gleicht dies dem sogenannten status negativus. Man könnte nämlich die Achtungspflicht als die (auch vom Rechtsstaatsprinzip vorausgesetzte) Pflicht des Staates begreifen, einen im klassischen Sinne ungerechtfertigten Eingriff in die Grundrechte des Einzelnen zu vermeiden. Das heißt aber nicht, dass die Achtungspflicht sich in einer Pflicht des reinen staatlichen Unterlassens erschöpft253. Die Vermeidung eines ungerechtfertigten Eingriffs kann auch ein aktives Tun des Staates verlangen (so z. B. die Pflicht des Staates zur Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten des Verurteilten im Falle des § 359 StPO oder die Pflicht zur Einstellung des Verfahrens, wenn kein genügender Anlass zur Klageerhebung besteht). Ihr Unterscheidungsmerkmal gegenüber der Schutzpflicht liegt darin, dass die Achtungspflicht Gefahren betrifft, welche vom Staat selbst ausgehen. Der Vorzug des Begriffs der Achtungspflicht im Vergleich zum Abwehrrecht liegt nur darin, dass er die Gegenüberstellung zwischen den zwei Staatsaufgaben (Rechtsgüterschutz und Grundrechtsbeachtung), welche den ganzen Strafprozess prägen und die Basis des hier vertretenen Lösungsansatzes bilden, betont. Bei der Prüfung der Rechtsstaatlichkeit und Verfassungsmäßigkeit einer deutschen Verfolgung aufgrund einer im Ausland abgeurteilten Straftat muss folglich untersucht werden, ob diese Verfolgung den Schutzbereich eines Abwehrrechts des Verfolgten tangiert und dadurch einen Grundrechtseingriff im klassischen Sinne darstellt. Dafür wird erst der Eingriffscharakter einer jeden strafrechtlichen Verfolgung aufgezeigt (die Verfolgung einer im Ausland abgeurteilten Straftat bleibt für das deutsche Recht eine „normale“ erste Verfolgung) und anschließend wird die 253 s. Dreier, in: ders. GG3, Art. 1 Rn. 131; Nipperdey, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, Grundrechte, Bd. 2, 1954, S. 26 f.
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B. Begründung im Deutschen Recht
Auswirkung des ausländischen Strafurteils auf diesen Eingriffscharakter untersucht. Die Feststellung eines Grundrechtseingriffs bedeutet aber nicht zwangsläufig eine Grundrechtsverletzung und somit eine Verletzung der rechtsstaatlichen Achtungspflicht. Das kann sich erst nach einer Analyse der Funktion der Schutzpflicht ergeben, die hier als Rechtfertigung des möglichen Eingriffs dienen könnte. Zunächst muss somit nur der a priori grundrechtstangierende Charakter der strafrechtlichen Verfolgung geprüft werden. b) Einwände Amelung betont schon seit 1976 die grundrechtliche Bezogenheit strafprozessualer Vorschriften, insbesondere hinsichtlich der sogenannten Zwangsmaßnahmen254. Er hat den Begriff „strafprozessuale Grundrechtseingriffe“ für die entsprechenden Zwangsbefugnisse der Staatsorgane befürwortet, um das einheitliche Merkmal dieser Maßnahmen, nämlich deren Charakter als Grundrechtseingriffe, hervorzuheben und dadurch die Aufmerksamkeit auf grundrechtliche Garantien, wie z. B. das Übermaßverbot, den Gesetzesvorbehalt oder die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, zu lenken255. Dagegen sind Einwände erhoben worden, die über die bloße begriffliche Charakterisierung dieser Maßnahmen hinausgehen256. Das Kriterium des „Grundrechtseingriffs“ solle ein völlig prozessexterner Gesichtspunkt sein, der die prozessuale Funktion der Zwangsmaßnahmen nicht zum Ausdruck bringe257. Diese Argumentation überzeugt aber nicht. Es ist zu Recht angemerkt worden, dass eine „Zwei-Welten-Lehre“, nach der Grundrechts- und Strafverfahrensdogmatik prinzipiell voneinander getrennt sind, weder mit der Rechtsprechung des BVerfG noch mit der heutigen verfassungsrechtlichen Literatur übereinstimmt258. Eine solche Meinung erscheint heutzutage als überholt. Außerdem lassen sich meines Erachtens die „Funktionen“ der strafprozessualen Vorschriften durch ihre grundrechtsdogmatische Betrachtung besser erklären. Denn, was aus strafprozessrechtlicher Hinsicht als Zweck jeder in die Grundrechte des Einzelnen eingreifenden Vorschrift gilt (z. B. die Beweissicherung oder das Ermittlungsinteresse259), kann (und muss, damit es gerechtfertigt ist) aus grundrechtsdogmatischer Hinsicht unter ein verfassungsrechtliches Prinzip subsumiert werden. Auf diese Weise werden die Grundlagen dieser „Funktionen“ ersichtlicher, was ihre dogmatische Bearbeitung auch im Strafprozessrecht erleichtert. 254
Amelung, Rechtsschutz gegen strafprozessuale Grundrechtseingriffe, 1976. Amelung, JZ 42 (1987), S. 737 ff. 256 Amelung, JZ 42 (1987), S. 737 ff.; vgl. ferner Kühne, Strafprozessrecht9, Rn. 394 ff. 257 Schroeder, JZ 40 (1985), S. 1028 ff. (1029). 258 Amelung, JZ 42 (1987), S. 737 ff. (738) m.w.N. 259 s. Schroeder, JZ 40 (1985), S. 1028 ff. (1029 ff.); Amelung, JZ 42 (1987), S. 737 ff. (738 ff.). 255
III. Begriffliche Konkretisierungen
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Die Ansicht, dass der Begriff „Grundrechtseingriff“ für das Strafprozessrecht irrelevant und für die Klärung strafprozessualer Fragen untauglich ist, konnte sich nicht durchsetzen. Die diesbezügliche Diskussion konzentriert sich nunmehr auf die Frage, ob und wie man gegen strafprozessuale Grundrechtseingriffe rechtlich geschützt werden kann. Ob nämlich der Betroffene über ein Rechtsmittel, wie z. B. das des § 23 EGGVG oder § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO, verfügt260. Im Rahmen dieser Diskussion bleibt die Frage, ob schon die Einleitung eines Strafverfahrens einen Eingriff in die Grundrechte des Angeklagten darstellt, umstritten. Hier muss man aber unterscheiden: Die Frage, ob die Einleitung einer Verfolgung einen Eingriff in die Grundrechte des Verfolgten darstellt, besagt nichts darüber, ob und wie der Verfolgte sich dagegen wehren kann. Die Feststellung eines Grundrechtseingriffs führt nicht zwangsläufig zu der Bejahung eines bestimmten Rechtsmittels261. Letzteres, nämlich die Frage, ob der Betroffene des Grundrechtseingriffs über ein bestimmtes Rechtsmittel verfügt, ist getrennt zu prüfen262. c) Achtungspflicht und Justizförmigkeit Der Begriff Achtungspflicht steht dem Begriff der „Justizförmigkeit sehr nahe, dem man oft in der strafprozessrechtlichen Literatur begegnet263. Die Justizförmigkeit soll auch als ein Prinzip mit die Strafverfolgungsbehörde limitierender Funktion verstanden werden und wird oft an die rechtsstaatliche Justizgewährungspflicht264 geknüpft265. Sie schreibe allen Strafprozessbeteiligten die Einhaltung bestimmter prozessualer Formen vor. Diese Förmlichkeiten seien nicht lediglich prozesstechnischer Natur in dem Sinne, dass sie einfach den Prozess mit bestimmten Regeln gestalten266, sondern hätten auch eine materielle Bedeutung. Sie seien als „schützende Formen“ zu verstehen267. Die Justizförmigkeit sorge für ein rechts260 Vgl. Amelung, NJW 32 (1979), S. 1687 ff.; Riess, in: FS-Geerds, 1995, S. 501 ff.; Eisenberg/Conen, NJW 51 (1998), S. 2241 ff.; Nagel, StV 2001, S. 185 ff.; Kölbel, JR 2006, S. 322 ff.; Heinrich, NStZ 1996, S. 110 ff.; Hilger, in: GS-Meyer, 1990, S. 209 ff.; vgl. auch OLG Karlsruhe, NStZ 1982, S. 434 ff.; BVerfG, NStZ 1982, 430. 261 s. u. a. Jorzik/Kunze, Jura 1990, S. 294 ff. (295 f.). 262 s. weiter unten, E.III.4. 263 s. Schmidt, Eb., Lehrkommentar zur StPO, Bd. I2, 1964, Rn. 22 ff.; Kühne, LR-StPO26, Einl. H Rn. 19 ff.; Rüping, Das Strafverfahren3, S. 6; Peters, in: FS-Dünnebier, 1982, S. 53 ff. (55 f.); Schlüchter, in: Symp.-Rudolphi, 1995, S. 205 ff. (219 ff.); ders., in: SK-StPO (Loseblatt-Ausgabe), Vor § 213 Rn. 21 ff.; Gollwitzer, in: FS-Kleinknecht, S. 147 ff. (160 f.). 264 Goldschmidt, Der Prozeß als Rechtslage, 1925, 78 ff.; Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 1950, 59 f. 265 Schmidt, Eb., Lehrkommentar zur StPO, Bd. I2, 1964, Rn. 20 ff.; Kühne, LR-StPO26, Einl. H Rn. 21. 266 Für eine nur formale Bedeutung des Begriffs der Justizförmigkeit Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht27, § 1 Rn. 2. 267 Schmidt, Eb., Lehrkommentar zur StPO, Bd. I2, 1964, Rn. 22 ff.; ders., Deutsches Strafprozessrecht, 1967, S. 17; Niese, ZStW 63 (1951), S. 199 ff. (214 f.).
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B. Begründung im Deutschen Recht
staatliches Verfahren268 und solle auch den Normgeber zur Schaffung und Einhaltung bestimmter Mindeststandards bei der Ausgestaltung des Prozessrechts verpflichten269. Aber selbst wenn man diesen Begriff so weit fasst, dass er sowohl formale als auch materielle Merkmale umfasst, kann er trotzdem nicht den Inhalt des Achtungsinteresses bzw. der Achtungspflicht in vollem Umfang widerspiegeln. Denn der Schutz des Einzelnen vor den Gefahren der staatlichen Gewalt geht nicht immer mit der Einhaltung von prozessualen Förmlichkeiten einher. Letztere mäßigen zwar meistens die staatliche Willkür, sie können aber – und zwar nicht selten – auch zu Lasten des Einzelnen funktionieren (so z. B. die verschiedenen Fristen). Umgekehrt können auch Interessen des Beschuldigten eine Auflockerung des Verfahrens fordern, z. B. zum Zweck eines beschleunigten Prozesses. Zu Recht ist außerdem betont worden, dass die Formstrenge des Strafverfahrens keine absolute Geltung erlangen darf, da sie den Grenzen der Sachgerechtigkeit unterliegt270. Sie ist daher auf einer anderen Ebene Zweckmäßigkeitserwägungen ausgesetzt und bleibt immer „nur ein Mittel zum Zweck, niemals ein Selbstzweck“271.
2. Die staatliche Schutzpflicht a) Grundlagen und Begriffsgehalt der staatlichen Schutzpflicht Der Begriff der staatlichen Schutzpflicht wird in der verfassungsrechtlichen Literatur sowie in der Rechtsprechung des BVerfG benutzt, um eine weitere und im Vergleich zum „status negativus“ relativ neue Grundrechtsfunktion zu bezeichnen. Damit ist die Pflicht des Staates gemeint, grundrechsbewehrte Rechtsgüter vor Verletzungen oder Gefährdungen durch Dritte zu schützen272. Die grundrechtliche Schutzpflicht geht über das bloße Verbot ungerechtfertigter staatlicher Eingriffe hinaus und gebietet dem Staat, sich schützend und fördernd vor jedes Grundrecht zu stellen und vor allem rechtswidrige Eingriffe von Seiten anderer zu verhindern273. 268 Schmidt, Eb., Lehrkommentar zur StPO, Bd. I2, 1964, Rn. 22 ff.; Krey, Deutsches Strafverfahrensrecht, Bd. 1, 2006, Rn. 35. 269 Kühne, in: LR-StPO26, Einl. H Rn. 21. 270 Kühne, in: LR-StPO26, Einl. H Rn. 22; Schlüchter, in: SK-StPO (Loseblatt-Ausgabe), Vor § 213 Rn. 21 ff. 271 Gollwitzer, in: FS-Kleinknecht, S. 147 ff. (161). 272 Klein, Eckart, NJW 1989, S. 1633; Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 410; Klein Hans Hugo, DVBl 1994, S. 489 ff. (490); Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 20; Isensee, in: ders./Kirchhof, HStR, Bd. 5, 1992, § 111 Rn. 1 und 3; Stern, Das Staatsrecht der BRD, Bd. III/1, 1988, S. 931 f.; ders., in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. 5, 1992, § 109 Rn. 59 ff. 273 BVerfGE 39, S. 1 ff. (42); BVerfGE 46, S. 160 ff. (162); BVerfGE 53, S. 30 ff. (57 ff.); BVerfGE 56, S. 54 ff. (63); BVerfGE 77, S. 170 ff. (214); vgl. aber auch die früheren Entscheidungen BVerfGE 1, S. 97 ff. (104); BVerfGE 9, S. 338 ff. (347); BVerfGE 35, S. 79 ff. (114).
III. Begriffliche Konkretisierungen
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Obwohl die Geltung dieser Grundrechtsfunktion nicht mehr in Zweifel gezogen wird, besteht über ihre Grundlage keine Einigkeit. Ausdrücklich ist im Grundgesetz keine allgemeine Pflicht des Staates zum Schutz sämtlicher Grundrechte oder auch anderer verfassungsrechtlicher Rechtsgüter enthalten. Das BVerfG leitet die staatliche Schutzpflicht einerseits aus der objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte, andererseits aus der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG ab274. Richtiger ist jedoch von der sogenannten „ideengeschichtlichen Herleitung“ auszugehen, die auf staatstheoretische Gedanken und sogar auf die Ideen von Thomas Hobbes abstellt. Dieser Meinung nach ist die staatliche Schutzpflicht direkt auf die Staatszwecke zurückzuführen. Der Legitimationsgrund des modernen Staates ist die Herstellung und Gewährleistung eines Zustandes effektiven Bürgerfriedens, einer Gesamtordnung von Sicherheit. Um dieses Ziel zu erreichen, verfügt der Staat über das Gewaltmonopol und der Bürger ist der staatlichen Macht unterworfen. Daraus ergibt sich, dass der Staat der Sicherheit und Friedensordnung halber verpflichtet ist, sein Gewaltmonopol zum Schutz des Bürgers auszuüben275. Im Laufe der Jahre ist dieser Aspekt hinter dem Bemühen, die Gefahren eines übermächtigen Staates zu mäßigen und der entsprechenden Betonung der abwehrrechtlichen Seite der Grundrechte, vielleicht aber auch aufgrund der Selbstverständlichkeit der staatlichen Schutzpflicht in Vergessenheit geraten und wurde erst vor wenigen Jahrzehnten wiederentdeckt276. Die verfassungsrechtliche Diskussion über die staatlichen Schutzpflichten konzentriert sich auf die Grundrechte, die diesbezüglich sogar als positiv-rechtliche Grundlage angesehen werden277. Abwehrrecht und staatliche Schutzpflicht seien gegenläufige Funktionen des Freiheitsgrundrechts278. Deswegen wird der Begriff „grundrechtliche Schutzpflicht“ weithin als Synonym für die „staatliche Schutzpflicht“ benutzt. Doch gehört meines Erachtens zu den Staatsaufgaben auch der Schutz von Rechtsgütern, die keinen oder nur einen indirekten Bezug zu den Grundrechten haben. Das lässt sich vor allem angesichts von Eingriffen, die sich gegen den Staat selbst und seine Souveränität richten, feststellen (z. B. bei dem Hochverrat). Dass der Staat die Pflicht hat, sich auch gegen solche Eingriffe zu wehren, kann nicht bestritten werden. Es kann auch nicht bezweifelt werden, dass der Staat z. B. die Umwelt, die Tiere, den Kapitalmarkt oder den Sport zu schützen hat 274
s. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, 1987, S. 129; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 31 ff.; Erichsen, Jura 1997, 85 ff. (86). 275 Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, 1983, S. 3 ff. und passim; Klein Eckart, NJW 1989, S. 1633 ff. (1635 f.); Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 102 ff.; ders., WiVerw 1986, S. 179 ff. (184); Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten2, 2005, S. 21 ff.; Stern, Das Staatsrecht der BRD, Bd. III/1, 1988, S. 932 f.; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, 1987, S. 121; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 37 ff.; Calliess, ZRP 35 (2002), S. 1 ff. (3). 276 Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, 1983, S. 33; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 39. 277 Vgl. Klein, Eckart, NJW 1989, S. 1633 ff. (1636). 278 Isensee, in: ders./Kirchhof, HStR, Bd. 5, 1992, § 111 Rn. 1 und 3.
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B. Begründung im Deutschen Recht
und zwar als eigenständige Rechtsgüter. Die einzelnen Grundrechte kommen in solchen Fällen nur mittelbar in Betracht und daher ist es zweifelhaft, ob sie als positiv-rechtliche Grundlage dienen können. Aus diesem Grund wird hier der Begriff „staatliche Schutzpflicht“ aus der Perspektive des Staates und nicht des Individuums aufgefasst. Von Bedeutung ist in diesem Sinne nicht der Schutzanspruch des Bürgers, sondern die Pflicht des Staates. Sie ist direkt von dem Begriff des Staates abzuleiten und findet ihre verfassungsrechtliche Grundlage im Rechtsstaatsprinzip279. b) Bedeutungsinhalt der Schutzpflicht im Strafprozessrecht Das Strafrecht stellt eines der Mittel dar, die der Staat zur Verfügung hat, um die Friedensordnung zu gewährleisten. Die Schutzfunktion des Strafrechts besteht in seiner (spezial- und general-)präventiven Wirkung, nämlich der durch die Strafdrohung erzielten Vorbeugung kriminellen Verhaltens und der Resozialisierung des Täters durch die Strafverhängung und den Strafvollzug280. Diese Ziele sind auch dem Prozessrecht zuzuschreiben, weil „der Zweck des Prozesses der Zweck des Rechts ist“281. Damit ist jedoch nicht gemeint, dass das Strafverfahrensrecht dem materiellen Strafrecht untergeordnet ist und somit also ersteres eine sekundäre Rolle im Vergleich zum zweiten hat. Die Besonderheiten des Strafprozessrechts, wie z. B. seine Bedingtheit empirischer Feststellungen, welche an ein konkretes Tatgeschehen anknüpfen und u. a. die Konfrontierung mit Gewissheitsfragen voraussetzen, deuten auf seinen Charakter als eigenständige Ordnung hin. Beide Bereiche stehen aber trotzdem in einem Ergänzungsverhältnis zueinander282. Das Strafprozessrecht soll der Durchsetzung283, oder, anders ausgedrückt, der Umsetzung284 oder der Bewährung285 des Strafrechts dienen. Das ist aber kein Selbstzweck des Prozessrechts, sondern steht unter der Voraussetzung, dass durch die Umsetzung des Strafrechts die präventive Schutzfunktion des materiellen Rechts erfüllt werden kann. Das lässt sich z. B. bei den Fällen des Opportunitätsprinzips (§§ 153 ff. StPO) feststellen, wo die Einstellung des Verfahrens durch die Merkmale der „geringen Schuld“ und des „öffentlichen Interesses“ dahingehend von den Strafzwecken abhängig gemacht wird, dass das Verfahren auch entgegen der im materiellen Strafrecht vorgesehenen
279
Vgl. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, 1983, S. 60; Calliess, ZRP 35 (2002), S. 1 ff. (5). 280 s. Roxin, Strafrecht AT, Bd. I4, S. 85 ff. und vor allem Rn. 42 f. m.w.N. 281 Volk, Prozessvoraussetzungen im Strafrecht, 1978, S. 202. 282 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht27, § 1 Rn. 10 ff. 283 Rieß, NStZ 1981, S. 2 ff. (5); Rudolphi, in: SK-StPO (Loseblatt-Ausgabe), Vor § 94, Rn. 1 ff.; Wolter, GA 1985, S. 48 ff. (53 ff.); vgl. aber auch Vormbaum, in: FS-Eisenhardt, 2007, S. 155 ff. (157 ff.); Hobe, in: FS-Leferenz, 1983, S. 628 ff. (631). 284 Kühne, Strafprozessrecht9, Rn. 1 ff. 285 Volk, Prozessvoraussetzungen im Strafrecht, 1978, S. 200 ff.
III. Begriffliche Konkretisierungen
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Fälle eingestellt wird286. Das gleiche ist auch angesichts der Prozessvoraussetzungen anzunehmen, deren Fehlen jeden Anlass zur Bewährung der Strafrechtsordnung entkräften287. Hier schlagen sich auch Kriterien strafrechtlicher Zwecksetzung nieder288. In diesem Sinne verlangt das Schutzinteresse im Strafprozessrecht zwar die Durchsetzung des Strafrechts, aber nur solange damit die Erfüllung der präventiven Strafzwecke erwartet werden kann. Unter diesem Aspekt sind auf der Seite des Schutzinteresses im Strafprozessrecht materiellrechtliche Faktoren und Zwecksetzungen zu berücksichtigen, die von dem präventiven Charakter des Strafrechts abzuleiten sind. c) Schutzinteresse und „Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege“ Der hier benutzte Begriff „Schutzinteresse“ entspricht nicht der „Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege“ oder anderen Topoi (z. B. der „Effektivität der Strafverfolgung“ oder der „Effizienz der Strafrechtspflege“289), denen zwar eine ähnliche Funktion wie dem Schutzinteresse zugeschrieben wird, nämlich die Rechtfertigung von strafprozessrechtlichen Grundrechtseingriffen, die jedoch im Grunde genommen diese Seite a priori zu Lasten des Individuums bevorteilen. Der Begriff der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege wurde hauptsächlich vom BVerfG entwickelt290, aber ihm ist auch in der Rechtsprechung des BGH291 zu begegnen. Er soll sich auf das Rechtsstaatsprinzip und insbesondere auf die Idee der Gerechtigkeit gründen292 und wurde als Abwägungskriterium für die Einschränkung verschiedener prozessrechtlicher Individualrechte oder die Auflockerung von Verfahrensförmlichkeiten verwendet293, wie z. B. für die Eingrenzung des Zeugnisverweigerungsrechts294, die Verwendung privater Tonaufnahmen295 und die Verwertbarkeit von Tagebuchaufzeichnungen296 oder den Einsatz von Lockspitzeln297. Der 286 s. dazu Roxin, Strafrecht AT, Bd. I4, S. 1056; Beulke, in: LR-StPO26, § 153 Rn. 23; Hobe, in: FS-Leferenz, 1983, S. 628 ff. 287 Volk, Prozessvoraussetzungen im Strafrecht, 1978, S. 204. 288 Roxin, Strafrecht AT, Bd. I4, S. 1055 f. 289 Landau, NStZ 2007, S. 121; Patz, Die Effektivität der Strafrechtspflege, 2008, S. 8 ff. 290 s. z. B. BVerfGE 33, S. 367 ff. (383); BVerfGE 34, S. 238 ff. (248 f.); BVerfGE 38, S. 105 ff. (115 ff.); BVerfGE 39, S. 156 ff. (163); BVerfGE 46, S. 214 ff. (222); BVerfGE 64, S. 108 ff. (116); BVerfGE 80, S. 367 ff. (375). 291 BGHSt 26, S. 228 ff. (230). 292 BVerfGE 33, S. 367 ff. (383). 293 s. Landau, NStZ 2007, S. 121 ff. (123). 294 BVerfGE 64, S. 108 ff. (116). 295 BVerfGE 34, S. 238 ff. (248 f.). 296 BVerfGE 80, S. 367 ff. (375). 297 BVerfG NStZ 1987, S. 276.
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B. Begründung im Deutschen Recht
Begriff wurde auch von der prozessrechtlichen Literatur übernommen298, zugleich ist er aber – berechtigterweise – auf Kritik gestoßen299. Der Kernpunkt der Kritik besteht darin, dass mit dem Topos der funktionstüchtigen Strafrechtspflege die Strafverfolgungsinteressen zu Lasten der Justizförmigkeit und der Freiheitsrechte des Betroffenen überbewertet werden. Die Individualgrundrechte werden als „Positionen minderen Ranges“ wahrgenommen und den übergewichtigen staatlichen Interessen gegenübergestellt. Bei dieser Abwägung haben die Individualgrundrechte keine argumentative Chance mehr. In diesem Sinne stellt die „Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege“ einen gegenreformatorischen300, antiliberalen301 Argumentationstopos dar. Als weiterer Einwand wurde angebracht, dass eine funktionstüchtige, effiziente Strafrechtspflege nicht nur die Verwirklichung des staatlichen Strafanspruchs als Ziel haben soll. Die Effektivität der Strafrechtspflege ist kein absoluter Wert. Auf Dauer kann nur eine mit formalisierten Regeln ausgestaltete Strafrechtspflege effektiv sein, die auch den individuellen Freiheiten Rechnung trägt302. Aber selbst die Kritiker dieses Topos bestreiten nicht generell die Existenz eines staatlichen Interesses an der Verfolgung von Straftaten, das verfassungsrechtlichen Rang besitzt und den individuellen Grundrechten des Betroffenen entgegenstehen kann. Die Kritik konzentriert sich auf das „Wie“ der Abwägung und nicht auf das „Dass“303. Die gerechtfertigten Einwände gegen die Abwägungsmethode, mit denen das BVerfG auf Basis der „funktionstüchtigen Strafrechtspflege“ vorgeht, trägt dieser Aufgabe Rechnung, indem hier von einem prinzipiellen Gleichgewicht der zwei kollidierenden Interessen ausgegangen wird. Weder besitzen die Freiheitsrechte des Betroffenen einen höheren Rang gegenüber den staatlichen Schutzinteressen – im Sinne z. B. des Prinzips „in dubio pro libertate“304 – noch wird der staatlichen Schutzpflicht apriorisch eine gewichtigere Rolle zugeschrieben. Es wird vielmehr versucht, den hier als Kontrahent der Individualgrundrechte verwendeten Begriff des Schutzinteresses inhaltlich näher zu bestimmen und ihn anhand von zweckbezogenen Faktoren zu konkretisieren, die für die Abwägung ausschlaggebend sind. In diesem Sinne stellt er keinen inhaltsleeren und verabsolutierten Topos dar, sondern einen funktionalen Begriff. 298 s. z. B. Meyer-Goßner, StPO-Kommentar58, Einl. Rn. 18; Hilger, FS-Salger, 1995, S. 319 ff. (323 ff.); Beulke, StV 1990, S. 180. 299 s. Grünwald, JZ 1976, S. 767 ff. (772); Hassemer, StV 1982, S. 275 ff.; ders., StV 1990, S. 328 ff. (330 f.); Lorenz, GA 1992, S. 254 ff.; Riehle, KritJ 1980, S. 316 ff.; Rieß, LR-StPO25, Ein. G Rn. 10 ff.; Patz, Die Effektivität der Strafrechtspflege, 2008, S. 140 f.; vgl. auch Landau, NStZ 2007, S. 121 ff.; Zeidler, in: Verhandlungen des 53. DJT, Bd. 2, 1980, S. 5 ff. (23 ff.). 300 Hassemer, StV 1982, S. 275. 301 Lorenz, GA 1992, S. 254 ff. (278). 302 Hassemer, StV 1982, S. 275 ff. (279); ders., StV 1990, S. 328 ff. (331); Lorenz, GA 1992, S. 254 ff. (278). 303 So ausdrücklich Hassemer, StV 1982, S. 275 ff. (277); vgl. auch ders., StraFo 2005, S. 312 ff. (314 ff.); Rieß, LR-StPO25, Einl. G Rn. 10 ff.; Lorenz, GA 1992, S. 254 ff. (278 f.); Patz, Die Effektivität der Strafrechtspflege, 2008, S. 140 f. 304 s. weiter unten, B.IV.1.c).
IV. Abwägung beim transnationalen „ne bis in idem“
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IV. Abwägung beim transnationalen „ne bis in idem“ 1. Methodologische Bemerkungen a) Abwägung als Methode – Verhältnismäßigkeitsprinzip Die Abwägung zwischen Achtungs- und Schutzinteressen muss auf Basis des Verhältnismäßigkeitsprinzips erfolgen. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit wird vom Rechtsstaatsprinzip abgeleitet305 und prägt auch das ganze Strafprozessrecht306. Es ist generell bei der Rechtfertigung jedes staatlichen Grundrechtseingriffs zu beachten. Traditionell werden dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit drei Elemente zugeschrieben. Eine grundrechtseingreifende Maßnahme muss geeignet sein, den angestrebten Zweck zu erreichen (Geeignetheit), erforderlich in dem Sinne, dass kein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht nicht oder zumindest weniger fühlbar einschränkendes Mittel existiert (Erforderlichkeit) und angemessen, nämlich dass die Nachteile für den Betroffenen nicht außer Verhältnis zu dem angestrebten Zweck und den erwarteten Vorteilen für das Gemeinwohl stehen dürfen (Verhältnismäßigkeit i. e.S.)307. Die größten Schwierigkeiten bereitet die letzte Voraussetzung, nämlich das Gebot der Verhältnismäßigkeit i. e.S. Um herauszufinden, ob ein Grundrechtseingriff ein angemessenes Mittel für den jeweils verfolgten Zweck darstellt, muss man eine umfassende Güter- und Interessenabwägung vornehmen. Das Schwierige ist hier aber, die kollidierenden Interessen nachvollziehbar zu gewichten. Dafür muss man alle möglichen Faktoren, welche einen Einfluss auf die Abwägung haben können, in Betracht ziehen und deren Bedeutung für den konkreten Fall anschaulich analysieren. Die zunehmende Nutzung der Abwägungsmethode als Beurteilungskriterium für viele juristische und darunter auch strafprozessrechtliche Fragen (z. B. angesichts der Zulässigkeit bestimmter Ermittlungsmaßnahmen) wurde von manchen Autoren kritisiert308. Durch die Zuflucht zur Abwägung verschiedener Interessen soll das Rechtsstaatsprinzip in mehrfacher Hinsicht untermauert werden309. Das „Gewicht“ 305 Grabitz, AöR 98 (1973), S. 568 ff. (584 f.); Sommermann, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG-Kommentar5, Bd. 2, Art. 20 Rn. 308 ff.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG13, Art. 20 Rn. 80; Degener, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, 1985, S. 46; BVerfGE 20, S. 45 ff. (49 f.); BVerfGE 61, S. 126 ff. (134); BVerfGE 80, S. 109 ff. (120). 306 Kühne, in: LR-StPO26, Einl. I Rn. 96 ff.; Wolter, SK-StPO (Loseblatt-Ausgabe), Vor § 151 Rn. 38; Meyer-Goßner, StPO-Kommentar58, Einl. Rn. 20; Fischer, in: KK-StPO7, Einl. Rn. 161; Niemöller/Schuppert, AöR 107 (1982), S. 387 ff. (484 ff.). 307 Grabitz, AöR 98 (1973), S. 568 ff. (571 ff.); Sommermann, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG-Kommentar5, Bd. 2, Art. 20 Rn. 308 ff. 308 s. Leisner, NJW 1997, S. 636 ff.; Hassemer, StraFo 2005, S. 312 ff.; vgl. auch Kühne, in: LR-StPO26, Einl. H Rn. 8 und Einl. I Rn. 98; Gassner, NJW 1998, S. 119 ff.; Schmidt, Eb., JZ 23 (1968), S. 354 ff. (359 f.); Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, 1976, S. 127 ff. 309 Zum Folgenden s. Leisner, NJW 1997, S. 636 ff. (638); s. auch ders., Der Abwägungsstaat. Verhältnismäßigkeit als Gerechtigkeit?, 1997, S. 230 ff.
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B. Begründung im Deutschen Recht
der in Betracht kommenden Abwägungsfaktoren könne nie präzise definiert werden. Die Bewertung der auszugleichenden Interessen durch den jeweiligen Rechtsanwender erfolge daher relativ willkürlich. Das führe zur Rechtsunsicherheit. Darüber hinaus relativiere die extensive Anwendung einer solchen Methode durch die Gerichte deren Gesetzesgebundenheit. Die Entscheidungen erfolgen nicht mehr auf Basis von Normen, sondern hängen ausschließlich von der Meinung des Richters ab. Dadurch werde er zum eigentlichen Gesetzgeber. Schließlich sei der Abwägungsvorgang nicht von höheren Instanzen überprüfbar. Sie müssten sich lediglich auf Randkorrekturen beschränken. In dieser Hinsicht könne die rechtsprechende Gewalt nicht mehr kontrolliert werden. Kritik hat die Interessenabwägung als Lösungsansatz juristischer Probleme und die damit zusammenhängende Verbreitung des Verhältnismäßigkeitsprinzips insbesondere im Rahmen der strafprozessualen Eingriffsmaßnahmen erfahren. Eb. Schmidt hat die Gefahr einer Auflockerung der prozessualen Formen hervorgehoben310. Die Bedenken betreffen hauptsächlich die Verwendung eines Abwägungsvorgangs in einer solchen Weise, dass dadurch Abwehrrechte des Betroffenen im Namen von Allgemeininteressen und ohne nachvollziehbare Begründung gebeugt werden können311. Aus diesem Grund wird oft betont, dass eine Abwägungsmethode und das Verhältnismäßigkeitsprinzip nur zu Gunsten des von der Strafverfolgung Betroffenen wirken dürfen, nämlich als ein zusätzliches Mittel zur Beschränkung staatlicher Grundrechtseingriffe312. All diese Einwände können trotzdem nur den Umfang und die genaue Anwendung, nicht aber die generelle Notwendigkeit eines Abwägungsmodells betreffen. Der Ausgleich verschiedener Interessen ist für eine Entscheidung in konkreten Einzelfällen unvermeidbar. Man muss nur die oben genannten Bedenken berücksichtigen313. Angesichts des transnationalen „ne bis in idem“ und des Versuchs, die Frage der erneuten Verfolgung einer schon im Ausland abgeurteilten Person durch einen Ausgleich zwischen Schutz- und Achtungsinteressen zu beantworten, kann nicht gerügt werden, dass ein solcher Vorgang zur Rechtsunsicherheit führen könnte. Weder im Grundgesetz noch in der StPO ist die Frage der Rechtsstaatlichkeit und Zulässigkeit einer erneuten Verfolgung nach ausländischer Aburteilung der Straftat ausdrücklich geregelt. Selbst wenn hier § 153c Abs. 2 StPO in Betracht gezogen wird, geht es um eine Vorschrift, welche der Staatsanwaltschaft der herrschenden 310 Schmidt, Eb., JZ 23 (1968), S. 354 ff. (359 f.); ders., ZStW 80 (1968), S. 567 ff. (575 ff.); ders., NJW 1969, S. 1137 ff (1141 ff.). 311 Vgl. Hassemer, StV 1990, 330 ff. 312 Kühne, Strafprozessrecht9, Rn. 406 ff.; Loos, AK-StPO, 1988, Einl. III, Rn. 26; Wolter, SK-StPO (Loseblatt-Ausgabe), Vor § 151, Rn. 38; Rudolphi, in: SK-StPO (Loseblatt-Ausgabe), Vor § 94, Rn. 69; Degener, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, 1985, S. 57; Hillenkamp, NJW 1989, S. 2841 ff. (2849 f.). 313 Vgl. auch die Ergebnisse der Kritik von Leisner, NJW 1997, S. 636 ff. (639); So auch ausdrücklich Gassner, NJW 1998, S. 119 ff.; Wolter, SK-StPO (Loseblatt-Ausgabe), Vor § 151 Rn. 38.
IV. Abwägung beim transnationalen „ne bis in idem“
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Meinung nach nur die Möglichkeit einer Einstellung des Verfahrens gibt, während darüber hinaus die genauen Voraussetzungen einer solchen Einstellung nicht näher festgelegt sind. Von einer Gefährdung der Rechtsklarheit, die durch den folgenden Abwägungsvorgang entstehen könnte, kann hier nicht die Rede sein. Die hier vorgenommene Untersuchung dient im Gegenteil der Konkretisierung der erwähnten Vorschrift314. Noch weniger ist zu befürchten, dass Grundrechte des Betroffenen gefährdet werden könnten. Solange Theorie und Rechtsprechung die Geltung eines transnationalen Doppelverfolgungsverbots verneinen, kann der folgende Abwägungsvorgang faktisch nur zu Gunsten und nicht zu Lasten der verfolgten Person wirken. Jegliche Bedenken gegen die Abwägung als Methode oder die Verwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips können nicht in Bezug auf die Frage des transnationalen „ne bis in idem“ geltend gemacht werden. b) Rechtsstaatliches Verteilungsprinzip – Die prima facie Ablehnung des transnationalen „ne bis in idem“ als Umkehrung dieses Prinzips Das gesamte Abwägungsverfahren ist nach dem rechtsstaatlichen Verteilungsprinzip315 vorzunehmen, welches das Verhältnis zwischen Freiheit des Individuums und Staatsgewalt regelt. Demnach gilt die Freiheit des Einzelnen prinzipiell umfassend. Sie stellt die Regel dar und bedarf keiner besonderen Begründung. Die staatliche Beschränkung ist im Gegenteil eine „prinzipiell begrenzte und meßbare, generell geregelte Ausnahme“316 und steht unter einem Rechtfertigungszwang317. Dieses Regel-Ausnahme-Modell, das nur die Beziehung des Einzelnen zum Staat betrifft und nicht auf das horizontale Verhältnis der Individuen zueinander anwendbar ist318, stützt sich auf die Vorstaatlichkeit und Vorverfassungsmäßigkeit der Grundrechte. Die Bedeutung dieser Begriffe lässt sich am besten erklären, wenn man sie der positivistischen Grundrechtsauffassung, die auch die Weimarer Verfassung und Staatslehre prägte, gegenüberstellt. Nach der damaligen herrschenden Meinung galten die Grundrechte als vom Staat verliehene Rechte. Der allmächtige Staat hatte mit der Verfassung dem Einzelnen freiwillig bestimmte Freiheiten zugebilligt, über die er grenzenlos verfügte. Der Gesetzgeber konnte diese Freiheiten im Wege einer Verfassungsänderung beliebig einschränken und aufheben319. In der Praxis war die Einschränkung der persönlichen Freiheit durch alle Arten von Rechtsnormen zu314
s. weiter unten, E.III. Schmitt, Carl, Verfassungslehre, 1928, S. 12; Isensee, in: ders./Kirchhof, HStR3, Bd. 2, 2004, § 15 Rn. 174 ff.; ders., in: ders./Kirchhof, HStR, Bd. 5, 1992, § 115 Rn. 184 ff.; Klein, Hans Hugo, Der Staat 14 (1975), S. 153 ff. (157 f.); Hofmann, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. 5, 1992, § 114 Rn. 41.; vgl. auch Dürig, AöR 40 (1953/1954), S. 57 ff. (62 f.). 316 Schmitt, Carl, Verfassungslehre, 1928, S. 166. 317 Isensee, in: ders./Kirchhof, HStR3, Bd. 2, 2004, § 15 Rn. 174. 318 Isensee, in: ders./Kirchhof, HStR3, Bd. 2, 2004, § 15 Rn. 176. 319 Jerusalem, SJZ 1950, S. 1 ff. (3); Uber, Freiheit des Berufs, 1952, S. 20 ff. 315
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B. Begründung im Deutschen Recht
gelassen320. Die Grundrechte waren also nicht prinzipiell unbegrenzte Individualrechte, sondern eher als objektive Schranke der Staatsgewalt zu verstehen321. Unter dem Einfluss der Naturrechtslehre, die dem Menschen einen Naturzustand völliger Freiheit und Gleichheit zuschrieb, wurde diese Auffassung aufgegeben322. Die Grundrechte sind in das heutige Grundgesetz als dem Staat vorgegebene Rechte übernommen worden, „die der Staat schon antrifft, wenn er entsteht, und die er lediglich zu gewährleisten und zu beachten hat“323. Daraus folgt, dass im heutigen Rechtsstaat der Einzelne nicht zur Begründung seiner Freiheitsrechte verpflichtet ist. Die heutige Verfassung geht von der prinzipiell unbegrenzten menschlichen Freiheit aus. Im Gegensatz dazu steht die Staatsgewalt immer unter einem Rechtfertigungsvorbehalt und ist zur Rationalität verpflichtet324. Betrachtet man das Problem des transnationalen „ne bis in idem“ unter dem Blickwinkel des rechtsstaatlichen Verteilungsprinzips, erweist sich die Frage danach, ob der Einzelne ein Recht darauf hat, in Deutschland nicht noch ein zweites Mal verfolgt zu werden, als irreführend. Solange eine staatliche Verfolgung einen Eingriff in die Freiheitsrechte des Angeklagten darstellt, sollte man zuerst nach einer Begründung für diesen Eingriff suchen und nicht für das entgegenwirkende Recht des Angeklagten. Die Frage besteht hier darin, ob und in welchem Maße es verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist, dass der Staat einen vermutlichen Straftäter, der im Ausland schon abgeurteilt wurde, erneut verfolgen kann. Meines Erachtens ist die Ablehnung eines transnationalen Doppelverfolgungsverbots gerade der (latenten) Umkehrung dieser Frage zuzuschreiben. Es wird nämlich indirekt als Ausgangspunkt angenommen, dass die Strafverfolgung unter den Voraussetzungen der StPO (z. B. beim Vorliegen eines Anfangsverdachts) im Allgemeinen einen gerechtfertigten Eingriff darstellt; dessen Rechtsstaatlichkeit wird nicht in Zweifel gezogen. Daher geht man fälschlicherweise im Falle einer im Ausland abgeurteilten Straftat von einer prima facie gerechtfertigten deutschen Strafverfolgung aus, die nur ausnahmsweise rechtsstaatswidrig wäre, falls der Angeklagte über ein entgegenwirkendes Recht – im Sinne des transnationalen Doppelverfolgungsverbots – verfügte. Solange die Verfassung ein solches „besonderes“ Recht nicht ausdrücklich enthalte, solange sie nämlich das transnationale Doppelverfolgungsverbot nicht ausdrücklich vorsehe, sei die erneute Strafverfolgung rechtsstaatlich erlaubt. Abgesehen davon, dass diese methodologische Umkehrung in gewisser Weise der überholten Lehre eines allgemeinen subjektiven staatlichen Strafrechts entspricht, 320
Apelt, Geschichte der Weimarer Verfassung2, 1964, S. 291 ff. und 312 f. Leibholz, Die Auflösung der liberalen Demokratie in Deutschland und das autoritäre Staatsbild, 1933, S. 24; Huber, Ernst Rudolf, AöR 23 (1933), 1 ff. (8 f. und 34). 322 Vgl. Zippelius, Allgemeine Staatslehre16, S. 266 f.; Uber, Freiheit des Berufs, 1952, S. 20. 323 Abgeordneter Schmid zitiert in JöR N.F. Bd. 1 (1951), S. 42. 324 Vgl. Isensee, in: ders./Kirchhof, HStR3, Bd. 2, 2004, § 15 Rn. 174 ff. 321
IV. Abwägung beim transnationalen „ne bis in idem“
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stellt sie zugleich eine Umgehung des rechtsstaatlichen Verteilungsprinzips dar. Wenn man die staatliche Verfolgung als von vornherein gerechtfertigt annimmt und nur nach einem verfassungsrechtlich vorgesehenen Doppelverfolgungsverbot sucht, dann ist dies so, als ob man von dem Angeklagten verlangen würde, sein Grundrecht, in das durch die staatliche Verfolgung eingegriffen wird, zu begründen. Die prinzipiell begrenzte Befugnis des Staates, in die Grundrechte des Einzelnen einzugreifen, verpflichtet zu einer Überprüfung ihrer Rationalität in dem Falle, dass zusätzliche Faktoren (hier die ausländische Aburteilung) in einer bestimmten Konstellation eintreten, ansonsten würde das zuvor angenommene Regel-AusnahmeModell keine Bedeutung mehr haben. Das Hauptgewicht der Untersuchung muss also auf die Rechtfertigung der staatlichen Verfolgung gelegt werden, und nicht auf die Begründung eines verfassungsrechtlichen Doppelverfolgungsverbots325. c) In dubio pro libertate? In engem Zusammenhang mit dem rechtsstaatlichen Verteilungsprinzip steht die Maxime „in dubio pro libertate“. Geltung und Inhalt dieses Grundsatzes sind umstritten. In seiner „radikalsten“ Formulierung besagt er, dass, wenn Zweifel über die Auslegung einer Norm, das Vorliegen von Tatsachen im Rahmen eines Prozesses oder über eine gesetzgeberische Entscheidung bestehen, immer derjenigen Lösung der Vorrang zu geben sei, die die Freiheit des Individuums gegenüber dem Staat am effektivsten gewährleisten kann. An diese Regel seien Gesetzgeber, Gerichte und jeder Rechtsanwender gebunden326. Als Grundlage für den Grundsatz „in dubio pro libertate“ gelten die freiheitlich-demokratische Orientierung der Verfassung327 sowie der präponderierende Charakter des Art. 2 Abs. 1 GG328. Das BVerfG ist auch von einer „grundsätzlichen Freiheitsvermutung“, die aus Art. 2 Abs. 1 GG hervorgehe, ausgegangen, ohne aber diesen Begriff näher zu erläutern329. Die Bedeutung dieses Grundsatzes tritt für die Abwägung zwischen Achtungs- und Schutzinteresse klar zutage, da eine solche Annahme das Achtungsinteresse und somit die Annahme eines Doppelverfolgungsverbots von vornherein privilegieren würde. Aus diesem Grund ist die Richtigkeit dieser Ansicht zu untersuchen. 325
Vgl. dazu genereller Walther, in: FS-Eser, 2005, S. 925 ff. (935 f.). Ausführlich Schneider, Peter, in: FS-Deutscher Juristentag, Bd. 2, S. 263 ff.; ders., Prinzipien der Verfassungsinterpretation, in: VVDStRL 20 ( 1963), S. 1 ff.; Giacometti, Die Auslegung der schweizerischen Bundesverfassung, 1925, S. 22; Für die Maxime „in dubio pro libertate“ plädieren auch Klug, in: Bauer/Bürger-Prinz/Giese/Jäger, Sexualität und Verbrechen, 1963, S. 27 ff. (31 f.); Rudolphi, in: FS-Honig, 1970, S. 151 ff. (161 Anm. 42); Wintrich, in: FS-Apelt, 1958, S. 1 ff. (6 f.); Uber, Freiheit des Berufs, 1952, S. 28 ff.; Nipperdey, in: Bettermann/ders., Die Grundrechte, Bd. IV/2, 1962, S. 789 ff. 327 Schneider, Peter, Prinzipien der Verfassungsinterpretation, in: VVDStRL 20 ( 1963), S. 1 ff. (29 und 31 ff.). 328 Nipperdey, in: Bettermann/ders., Die Grundrechte, Bd. IV/2, 1962, S. 789 ff. 329 BVerfGE 6, S. 32 ff. (42); BVerfGE 13, S. 97 ff. (105); BVerfGE 17, S. 306 ff. (313); BVerfGE 32, S. 54 ff. (72). 326
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Selbst die Befürworter der Ausgangsvermutung der Freiheit des Individuums sind sich über deren Wirkungskraft nicht einig. Mal gilt sie als der oberste Auslegungsgrundsatz der Verfassung330, mal wird ihr eine Auffangfunktion zugeschrieben für den Fall, dass die anderen Auslegungsmethoden zu keinem deutlichen Ergebnis führen können331. Trotz solcher Unterschiede lässt sich der Grundsatz „in dubio pro libertate“ im Allgemeinen durch zwei wichtige Merkmale kennzeichnen: Es ist offensichtlich, dass er nicht einfach den Charakter einer apodiktischen Beweislastverteilung hat, die sich auf Tatsachenzweifel beschränkt, wie z. B. die strafprozessuale Maxime „in dubio pro reo“; er berührt darüber hinaus den normativen Bereich, indem er voraussetzt, dass Zweifel bezüglich einer Norm bestehen. Des Weiteren stellt er in dieser Zweifelslage mehr als eine methodologische Regel zwischen zwei gleichwertigen kollidierenden Normen dar, wie etwa das rechtsstaatliche Verteilungsprinzip; er bringt vielmehr Mensch und Staat in eine Vorrangrelation, indem er ein qualitatives Kriterium zu Gunsten des Menschen umschreibt. Durch die Maxime „in dubio pro libertate“ wird zwar das Regel-AusnahmeVerhältnis zwischen Freiheit und Staatsgewalt festgestellt, dieses Spannungsverhältnis wird aber als eine Kollision zwischen zwei ungleichen Normen begriffen, einer stärkeren, extensiv auszulegenden „lex generalis“ (Freiheit) und einer schwächeren, restriktiv auszulegenden „lex specialis“ (Staatsgewalt). Die Freiheitsvermutung funktioniert in diesem Sinne konfliktlösend als Entscheidungsregel, indem sie die lex generalis gegenüber der lex specialis favorisiert332. Diese beiden Bemerkungen bilden die wichtigsten Anhaltspunkte der meines Erachtens treffenden Gegenkritik333. Die Gegner des Grundsatzes „in dubio pro libertate“ machen nämlich zunächst geltend, dass die Begriffe „Vermutung“ und „Zweifel“ sich nicht auf Normen, sondern nur auf Tatsachen beziehen können334. Die Auslegung einer Norm ist aber ein syllogistischer Gedankengang. Bezüglich der Richtigkeit eines Gedankengangs sind weder Zweifel noch Vermutungen denkbar. Auch der für die Anwendung der Maxime „in dubio pro libertate“ oft geforderte „Schwebezustand“ im Sinne einer „Unentschiedenheit“335 stellt keine wissenschaftliche Größe dar, deren Existenz nachvollziehbar begründet werden kann. Der Grundsatz „in dubio pro libertate“ kann in diesem Sinne nur eine innerliche, psy330
Uber, Freiheit des Berufs, 1952, S. 27. Bleckmann, Staatsrecht II4, 1997, S. 118 f. 332 Schneider, Peter, in: FS-Deutscher Juristentag, Bd. 2, S. 263 ff. (267 f. und 271). 333 Gegen den Grundsatz „in dubio pro libertate“ Ehmke, Prinzipien der Verfassungsinterpretation, in: VVDStRL 20 (1963), S. 53 ff. (86 ff.); Keller, Adolf, Die Kritik, Korrektur und Interpretation des Gesetzeswortlautes, 1960, S. 278 f.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts20, 1999, S. 28; Huber, Hans, in: ZSchwR 55 (1936), S. 1a ff. (S. 119a); Hegnauer, Das Sprachenrecht der Schweiz, 1947, S. 204 ff. und 212 ff. 334 Huber, Hans, in: ZSchwR 55 (1936), S. 1a ff. (S. 119a); Ehmke, Prinzipien der Verfassungsinterpretation, in: VVDStRL 20 ( 1963), S. 53 ff. (86 ff.); vgl. aber auch Schneider, Peter, in: FS-Deutscher Juristentag, Bd. 2, S. 263 ff. (270). 335 Schneider, Peter, in: FS-Deutscher Juristentag, Bd. 2, S. 263 ff. (266 f. und 268); So auch Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 517 f. 331
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chologische336 Funktion haben. Der Rechtsanwender, der die Freiheitsvermutung als Auslegungsregel benutzt, favorisiert in Wirklichkeit von vornherein indirekt die Argumente der „liberaleren“ Lösung und versucht nachträglich durch den Grundsatz „in dubio pro libertate“ eine theoretische Stütze dafür zu finden. Eine echte Zweifelslage besteht für ihn nicht. Für eine „metaphorische“ Nutzung des Wortes „Vermutung“ im Sinne eines bestimmten Verhältnisses zwischen zwei Normen, nämlich zwischen einer „stärkeren“ lex generalis und einer „schwächeren“ lex specialis337, bleibt des Weiteren auch kein Raum. Es wurde zwar weiter oben angenommen, dass die Freiheit des Menschen prinzipiell umfassend ist, während die staatliche Eingriffsbefugnis prinzipiell begrenzt ist, und zwar in dem Sinne, dass der Staatseingriff und nicht die Individualfreiheit gerechtfertigt werden muss. Das kann als ein Regel-AusnahmeModell angesehen werden, das in einem Normensystem tatsächlich als ein Verhältnis zwischen lex generalis und lex specialis bezeichnet werden könnte. Mehr kann man aber aus diesem Verhältnis selbst nicht ableiten. Es existiert nämlich keine allgemeine Regel, welche eine differenzierte Behandlung der Normen erlaubt, so dass der lex generalis ein qualitativ höherer Rang im Vergleich zu der lex specialis zugeschrieben werden könnte. Das Regel-Ausnahme-Modell stellt in diesem Sinne ein methodologisches Auslegungskriterium und nicht eine qualitative Einstufung dar. Es bedeutet, dass der Rechtsanwender zunächst nach der Begründung der lex specialis suchen und im negativen Fall die lex generalis anwenden muss. Außerdem muss man beachten, dass die Begründung des staatlichen Eingriffs immer in einer verfassungsrechtlichen Norm zu suchen ist (so z. B., wenn wie hier der Staat in die Grundrechte eines Menschen eingreift um dadurch die Grundrechte eines Anderen zu schützen). Eine prima facie Privilegierung der freiheitlicheren Lösung zu Lasten des staatlichen Eingriffs würde in diesem Fall eine hierarchische Gliederung der verschiedenen (Grundrechts-)Normen darstellen und, wie Hesse betont, gegen die Einheit der Verfassung und das Prinzip der „praktischen Konkordanz“ verstoßen338. Aus diesen Gründen kann man weder im Bereich des Verfassungsrechts noch des Strafprozessrechts von einer allgemeinen Freiheitsvermutung sprechen. Angesichts einer auf internationaler Ebene wiederholten Verfolgung und deren Charakter als Eingriff in die Grundrechte des Angeklagten besteht die Begründungslast zwar erst auf der Seite des staatlichen Eingriffs, was aber gleichzeitig nicht heißt, dass dieser Eingriff prinzipiell und von vornherein eine minderwertige Bedeutung im Vergleich zu den Grundrechten des Angeklagten hat.
336
s. Keller, Adolf, Die Kritik, Korrektur und Interpretation des Gesetzeswortlautes, 1960, S. 279. 337 Schneider, Peter, in: FS-Deutscher Juristentag, Bd. 2, S. 263 ff. (267 f. und 270). 338 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts20, 1999, S. 28; so auch Wolter, in: SK-StPO (Loseblatt-Ausgabe), Vor § 151 Rn. 27, s. aber auch Rn. 34.
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B. Begründung im Deutschen Recht
d) Vorgang Gemäß den bisherigen Erörterungen wird im Folgenden untersucht, welches Grundrecht die Einleitung einer (erneuten transnationalen) Strafverfolgung tangiert und wie tief ein solcher Eingriff im Falle einer vorherigen ausländischen Aburteilung derselben Tat ist. Dafür muss der fragliche Staatsakt, mit dem die Strafverfolgung eingeleitet wird, konkretisiert und näher analysiert werden. Anschließend wird auf der Basis der Verhältnismäßigkeit untersucht, ob und in welchem Umfang das entgegenwirkende Prinzip, nämlich das Schutzinteresse, den zuvor angenommenen Eingriff rechtfertigen kann.
2. Das Achtungsinteresse im Falle einer erneuten Verfolgung nach ausländischer Aburteilung derselben Straftat a) Die Einleitung eines Strafverfahrens als Grundrechtseingriff Dass eine strafrechtliche Verfolgung vor allem im Rahmen der Ermittlungen viele Grundrechtseingriffe nach sich ziehen kann, kann man nicht bestreiten. Typisch sind die Grundrechtseingriffe, die sich auf die sogenannten strafprozessualen Zwangsmaßnahmen beziehen, wie z. B. Eingriffe in das Post- und Fernmeldegeheimnis des Art. 10 GG (§ 99 ff. StPO), in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (§ 98a oder § 163 StPO), in die Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 GG (§ 102 ff. StPO) oder in das Eigentumsgrundrecht des Art. 14 GG (§ 94 ff. StPO). Die Frage ist jedoch hier nicht, ob eine Strafverfolgung den Weg für unterschiedliche Grundrechtseingriffe öffnet, sondern ob deren Einleitung „per se“ einen Eingriff in die Grundrechte des Verfolgten darstellt. Da es sich um die Auswirkungen einer Strafverfolgung auf die Grundrechte des Verfolgten handelt, muss man auf die erste Verfolgungshandlung „in personam“ abstellen. Diese Verfolgungshandlung wird in der strafprozessualen Literatur als Inkulpation bezeichnet339. aa) Die Inkulpationshandlung Die Inkulpation ist der staatliche Akt, in dem zum ersten Mal in einem Prozess der staatliche Verfolgungswille gegen eine Person zum Ausdruck kommt und mit dem somit die Ermittlung anfängt „in personam“ zu erfolgen. Mit dem Inkulpationsakt werden dem Verfolgten der Beschuldigtenstatus und die damit zusammenhängenden Rechte zugesprochen. Im Gegensatz zu anderen Strafprozessordnungen erfolgt die Inkulpation im deutschen Strafprozessrecht nicht aufgrund eines bestimmten formalisierten Staatsaktes, sondern sie kann in jeder Ermittlungshandlung bestehen. 339 s. Fincke, ZStW 95 (1983), S. 918 ff. (947 und 954); Rogall, in: SK-StPO4, Vor § 133 Rn. 11.
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Für die Feststellung derjenigen Prozesshandlung, die einen Inkulpationscharakter aufweist, stellt die h.M. auf eine Mischung von subjektiven und objektiven Kriterien ab (subjektiv-objektive Beschuldigtentheorie340). Ein Merkmal des Inkulpationsaktes ist zunächst der Verfolgungswille des jeweils zuständigen staatlichen Organs. Die Inkulpation ist also ein Willensakt341. Als Willensgegenstand ist hier natürlich nicht die Verleihung des Beschuldigtenstatus zu verstehen. Der Verfolgungswille besteht darin, dass der Verfahrensleiter „die These der Täterschaft einer bestimmten Person […] seinem weiteren Vorgehen zur Falsifizierung oder Verifizierung zugrunde legt“342. Es kommt nämlich nicht darauf an, ob der Verfahrensleiter jemanden als Beschuldigten behandeln will oder nicht343. Das ist nur das Ergebnis der Inkulpation. Wichtig ist vielmehr, ob er die Ermittlungen gegen eine bestimmte Person richten will. Der Sinngehalt der Inkulpation kann sich jedoch nicht in dem subjektiven Element des Verfolgungswillens des Verfahrensleiters erschöpfen. Wenn das der Fall wäre, würde die Inkulpation von einem innerlichen und daher intransparenten Geschehen abhängen, was zur Rechtsunsicherheit führen würde344. Problematisch wäre dann auch der hypothetische Fall, in dem der Verfolgungswille des Verfahrensleiters falsch zum Ausdruck kommt und dadurch statt der Person, gegen die er ermitteln wollte, die Verfolgung fälschlicherweise objektiv gegen eine Person gesteuert wird, die bis dahin als Zeuge angesehen wurde. Es bedarf hier also einer Objektivierung. Die h.M. stellt aus diesem Grund nunmehr auf die Manifestation des Verfolgungswillens in einer Prozesshandlung ab. Ausschlaggebend für die Feststellung des Inkulpationsaktes ist nicht der Verfolgungswille an sich, sondern das „nach außen wirkende Zeichen dieses Willens“345. Demnach ist als Inkulpationsakt die erste Maßnahme anzusehen, die erkennbar darauf abzielt, gegen jemanden wegen einer Straftat vorzugehen346, unabhängig davon, ob diese Maßnahme offenkundig oder verborgen ist, oder ob der unmittelbar Betroffene ein Verdächtiger oder ein Dritter ist 340
Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 27 ff.; ders., SKStPO4, Vor § 133 Rn. 31 ff.; Gerlach, NJW 1969, S. 776 ff. (777 ff.); Bruns, Hans-Jürgen, FSSchmidt-Leichner, 1977, S. 1 ff.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht27, § 25 Rn. 11; Erb, LR-StPO26, § 163a Rn. 11; Eisenberg, Beweisrecht der StPO9, Rn. 505; vgl. auch BGHSt 37, S. 48 ff.; BGHSt 38, S. 214 ff. (228); BGH NJW 47 (1994), S. 2907; BGH NStZ 1997, 399; Müller-Dietz, ZStW 93 (1981), S. 1177 ff. (1221 ff.). 341 Fincke, ZStW 95 (1983), S. 918 ff. (945); Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 25. 342 Fincke, ZStW 95 (1983), S. 918 ff. (946). 343 Vgl. Gerlach, NJW 22 (1969), S. 776 ff. (779). 344 So Rogall, in: SK-StPO4, Vor § 133 Rn. 27; ders., MDR 1977, 978 f.; Gleß, in: LRStPO26, § 136 Rn. 5. 345 Schlüchter, Das Strafverfahren2, Rn. 85. 346 Entsprechend § 397 Abs. 1 AO. s. Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, 1977, S. 27; ders., in: SK-StPO4, Vor § 133 Rn. 27; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht27, § 25 Rn. 11; Schlüchter, Das Strafverfahren2, Rn. 85; Müller-Dietz, ZStW 76 (1981), S. 1177 ff. (1224 f.), jeweils m.w.N.
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(z. B. Durchsuchung der Wohnung eines Unverdächtigen mit dem Ziel, Beweise gegen den Beschuldigten zu finden347). Die Rechtsstaatlichkeit dieses Staatsaktes soll für den Fall geprüft werden, dass für dieselbe Tat im Ausland bereits eine Entscheidung getroffen worden ist. bb) Grundrechtseingreifende Merkmale der Inkulpation Drei besondere Merkmale kennzeichnen den grundrechtseingreifenden Charakter der Inkulpation und somit der Verfolgungseinleitung, nämlich ihre stigmatisierende Funktion durch den Tatverdacht, das Versetzen der inkulpierten Person in die belastende Rechtslage des Beschuldigten sowie die Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen Bestrafung dieser Person. (1) Inkulpation und Tatverdacht Die Inkulpationshandlung knüpft vor allem an den Tatverdacht an. Dadurch wird der inkulpierten Person immer ein Vorwurf gemacht. Ihr wird zur Last gelegt, dass sie (möglicherweise) eine bestimmte Straftat begangen hat. Nach Fincke ist aber der Verdacht kein Merkmal des Beschuldigtenbegriffs und der Inkulpation sondern nur eine Voraussetzung der Inkulpationspflicht348. Damit betont er, dass die Beschuldigtenrolle vom Vorliegen eines Tatverdachts unabhängig ist, und sie nur an die Tatsache der Verfolgung anzuknüpfen ist. Bestehe nämlich der Verdacht gegen jemanden, dass er eine Straftat begangen hat, sei der Staatsanwalt aufgrund des Legalitätsprinzips verpflichtet, den Verdächtigen zu verfolgen (§ 152 Abs. 2 i.V.m. § 160 Abs. 1 StPO) und ihn gleichzeitig als Beschuldigten zu behandeln, ihn also zu „inkulpieren“. Wenn sich die Ermittlungen jedoch gegen eine Person richten, ohne dass dafür hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, werde diese Person trotz des mangelnden Tatverdachts inkulpiert, weswegen er als Beschuldigter zu behandeln sei. Diese These, die der materiellen Beschuldigtentheorie entgegensteht, soll den Bedenken wegen möglicher Manipulationsgefahren besser Rechnung tragen sowie den Einzelnen wirksamer schützen, denn dadurch werden vom Beschuldigtenbegriff auch die Personen erfasst, die ohne einen objektiv gegen sie vorliegenden Verdacht rechtswidrig verfolgt werden349. Die Inkulpation und den Beschuldigtenstatus allein an die Tatsache der Verfolgung einer bestimmten Person anzuknüpfen, ist meines Erachtens tatsächlich richtig. Das rechtfertigt jedoch nicht eine vollkommene Loslösung des Tatverdachts vom Begriff der Inkulpation. Ein Missverständnis bereitet vielleicht die Tatsache, dass der 347
s. Fincke, ZStW 95 (1983), S. 918 ff. (952). Fincke, ZStW 95 (1983), S. 918 ff. (919 ff.). 349 Fincke, ZStW 95 (1983), S. 918 ff. (920 ff.); vgl. auch Rogall, in: SK-StPO4, Vor § 133 Rn. 14. 348
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Begriff „Tatverdacht“ in der strafprozessrechtlichen Dogmatik mit zwei unterschiedlichen Bedeutungen benutzt wird. Wie auch Fincke anmerkt350, wird im Gesetz und in der Literatur von einem objektiven oder objektivierbaren Verdachtsbegriff ausgegangen. Der Verdacht soll als etwas objektiv Vorliegendes begriffen werden, das die Staatsorgane feststellen müssen oder von dem sie Kenntnis erhalten können (§ 160 Abs. 1 StPO)351. Manche Autoren gehen dagegen von einem subjektiven Verdachtsbegriff aus. Der Verdacht stelle keine Eigenschaft einer Person dar. Er sei keine Disposition des Beschuldigten, die mittelbar, etwa durch Indikatoren, wahrgenommen werden könne352. Er sei im Gegenteil eine retrospektive Prognose des Staatsorgans353 und enthalte daher immer einen Wahrscheinlichkeitsgehalt. Eine Prognose könne nicht automatisch aufgrund von bestimmten Tatsachen (Indizien) substanziiert werden. Ebenso wenig könne sie objektiv vorliegen oder festgestellt werden. Eine Prognose basiere auf der Bewertung von Tatsachen und daher sei sie immer subjektiv oder im besten Fall intersubjektiv354. Wenn Fincke die Anknüpfung der Inkulpation an den Verdacht ablehnt, dann kann das nur bei einem objektiven Verdachtsbegriff gelten. Ob eine solche Begriffsfassung möglich oder richtig ist, hat vor allem mit der Kontrollierbarkeit der Verdachtsbildung zu tun und kann hier dahingestellt bleiben. Der subjektive Gehalt des Verdachts bleibt aber immer der Inkulpation immanent. Der Inkulpationsakt ist das Ergebnis eines Zuschreibungsprozesses355 und hat gerade die Hypothese der Täterschaft einer Person zum Gegenstand. Ob diese Hypothese in den vorliegenden Tatsachen eine ausreichende Stütze finden kann und ob sie daher objektiv richtig oder vertretbar ist, spielt für ihre faktische Existenz keine Rolle. In diesem Sinne ist der Verdacht immer ein Merkmal der Inkulpation. Darüber hinaus wird hier klar, dass der Inkulpationsakt nicht wertneutral ist. Wenn der Verfahrensleiter die Verifizierung oder Falsifizierung der Täterschaft einer Person zum Gegenstand seiner Untersuchungen macht, dann sondert er diese Person von den anderen Verdächtigen ab und äußert faktisch die Behauptung, dass diese Person möglicherweise der Täter ist. Die Manifestation des staatlichen Verfolgungswillens enthält daher zwangsläufig einen Vorwurf gegen den Beschuldigten und hat eine stigmatisierende Funktion356.
350
Fincke, ZStW 95 (1983), S. 918 ff. (923). Vgl. Hindte, Die Verdachtsgrade im Strafverfahren, 1973, S. 34 ff. 352 s. Schulz L., Normiertes Misstrauen, 2001, 231 ff. 353 Kühne, Strafprozessrecht9, Rn. 327 ff. 354 Fincke, ZStW 95 (1983), S. 918 ff. (923). 355 Jung, Heike, Straffreiheit für den Kronzeugen, 1974, S. 74; Rogall, MDR 1977, S. 978. 356 Fincke, ZStW 95 (1983), S. 918 ff. (955); Schulz L., Normiertes Misstrauen, 2001, vor allem S. 546 ff.; vgl. auch Bringewat, JZ 36 (1981), S. 290 ff. (293); Müller-Dietz, ZStW 1981, S. 1177 ff. (1217 ff.). 351
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(2) Inkulpation und Beschuldigtenstatus Mit der Inkulpation erlangt die inkulpierte Person den Beschuldigtenstatus. Das hat nicht nur eine Bedeutung für die verschiedenen Rechte und Pflichten, die dem Betroffenen dadurch zugeschrieben werden. Der Begriff „Beschuldigtenstatus“ gibt vielmehr die besondere Rechtsstellung des Einzelnen gegenüber dem Staat und den Strafverfolgungsorganen wieder357. Das Strafverfahren richtet sich ab diesem Zeitpunkt gegen diese bestimmte Person. Es wird oft gesagt, dass der Beschuldigte zum Objekt staatlicher Strafverfolgung wird358. Diese Aussage stellt aber einen offensichtlichen Widerspruch zur Menschenwürde der Person dar, daher ist diesbezüglich der Begriff „passives Prozesssubjekt“ oder „Passivbeteiligter“ zu bevorzugen359. Trotzdem trifft sie insofern zu, als sie die belastende Position des Beschuldigten zum Ausdruck bringt. Gleiches gilt für die Bezeichnung der Beschuldigtenbelehrung als „Kriegserklärung“ (declaration of war)360. Die Strafverfolgungsorgane sind verpflichtet, sowohl die zur Belastung als auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln (§ 160 Abs. 2 StPO), und haben daher eine neutrale Stellung im Strafverfahren. Deswegen darf hier nicht die Rede von einem „Krieg“ sein. Trotzdem hat der Prozess für den Beschuldigten eine negative Richtung genommen. Die Straftat wird ihm zur Last gelegt (vgl. § 136 Abs. 1 StPO). Selbst von ihrer Definition her ist die Inkulpation kein Übel in spe, sondern ein bereits eingetretenes. Denn sie stellt eine Maßnahme gegen den Verdächtigen dar; eine Maßnahme in personam. Kennzeichnend sind hier auch die verschiedenen Zwangsmaßnahmen, die dem Beschuldigten auferlegt werden können. Obwohl sie natürlich nicht in jedem Prozess eintreten, indiziert trotzdem die bloße Möglichkeit ihrer Auferlegung den besonderen Status des Verfolgten. Bereits mit der Beschuldigung wird der in personam Verfolgte zum Unterworfenen des staatlichen Strafverfolgungsmechanismus. (3) Inkulpation und Bestrafungsmöglichkeit Als wichtiges Merkmal der Inkulpation ist schließlich meines Erachtens die Tatsache anzusehen, dass mit ihr offiziell die Gefahr einer Verurteilung und Bestrafung des Verfolgten eintritt. Denn das Einschreiten der Strafverfolgungsbehörden durch Ermittlungshandlungen gegen eine bestimmte Person setzt nicht nur einen Verdacht bezüglich des Begehens einer rechtswidrigen und schuldhaften Handlung 357 Vgl. Bauer, Die Aussage des über das Schweigerecht nicht belehrten Beschuldigten, 1972, S. 33. 358 Gerlach, NJW 22 (1969), S. 776 ff. (777); Rogall, in: SK-StPO4, Vor § 133, Rn. 15 f.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht27, § 18 Rn. 1; Kühne, in: LR-StPO26, Einl. J Rn. 66.; Müller-Dietz, ZStW 93 (1981), S. 1216. 359 Gegen die Verwendung des Begriffs „Objekt“: Schmidt, Eb., Lehrkommentar zur StPO, Bd. I2, S. 80 Fn. 170; Henkel, Strafverfahrensrecht2, 1968, S. 172 Fn. 7; Peters, Strafprozessrecht4, 1985, S. 203. 360 Devlin, The criminal prosecution in England, 1960, S. 31; Gerlach, NJW 22 (1969), S. 776 ff. (777).
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voraus, sondern erfordert darüber hinaus, dass alle Strafprozessvoraussetzungen erfüllt sind oder erfüllt werden können und keine unbehebbaren Strafausschließungsgründe vorliegen, so dass eine Verurteilung des Verfolgten mehr als nur möglich erscheint361. Die Beschuldigung einer Person und das Vornehmen von Ermittlungshandlungen, die sich gegen sie richten, sind daher mit einer Verurteilungswahrscheinlichkeit – am Anfang zumindest kleinen Grades – verbunden362. Für die Frage, ob die öffentliche Klage erhoben wird oder nicht, zu deren Aufklärung ja die Ermittlungen durchgeführt werden, ist es sogar nötig, dass die Verurteilung wahrscheinlicher erscheint als der Freispruch363. cc) Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht Als Nächstes soll geprüft werden, ob die Inkulpationshandlung mit dem zuvor angenommenen Bedeutungsinhalt den Schutzbereich eines Grundrechts tangiert. In Betracht kommt das allgemeine Persönlichkeitsrecht. (1) Verankerung und Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Das Grundgesetz sieht zwar ein allgemeines Persönlichkeitsrecht nicht ausdrücklich vor; es wird jedoch nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG und des BGH als unbenanntes Freiheitsrecht364 aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitet365. Primäre Grundlage des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist Art. 2 Abs. 1 GG366. Der Schutzgehalt dieser Vorschrift umfasst nicht nur das menschliche Tun und Unterlassen im Sinne der allgemeinen Handlungsfreiheit sondern auch das Sein der Person. Als „Schutz eines Zustandes“367 stellt das allgemeine Persönlich-
361
Vgl. Bach, Jura 2007, S. 12 ff.; Weßlau, in: SK-StPO4, § 152 Rn. 17; Beulke, in: LRStPO , § 152 Rn. 29 f. 362 Bach, Jura 2007, S. 12 ff. (14). 363 Wohlers, in: SK-StPO4, § 170 Rn. 25. 364 s. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 328 ff. 365 BVerfGE 54, S. 148 ff. (153); BVerfGE 54, S. 208 ff. (217); BVerfGE 63, S. 131 ff. (142); BVerfGE 67, S. 213 ff. (228); BVerfGE 72, S. 155 ff. (170); BVerfGE 75, S. 369 ff. (375); BVerfGE 95, S. 220 ff. (241); BGH NJW 18 (1965), S. 2395 f. (2396); vgl. auch schon BGHZ 13, S. 334 ff. (338). 366 BVerfGE 54, S. 148 ff. (153); Jarass, NJW 42 (1989), S. 857 ff.; Starck, in: Mangoldt/ Klein/Starck, GG6, Art. 2 Abs. 1, Rn. 89; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG8, Art. 1 Abs. 1, Rn. 128; Kunig, in: v. Münch/Kunig GG6, Art. 2 Rn. 30. 367 s. Murswiek, in: Sachs, GG7, Art. 2 Rn. 62 und 64; Starck, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG6, Art. 2 Abs. 1, Rn. 15; Jarass, NJW 42 (1989), S. 857 ff.; Glaeser, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. 6, 1989, § 129 Rn. 26. 26
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keitsrecht somit neben dem aktiven Element eine zweite (ungeschriebene) Komponente des Art. 2 Abs. 1 GG dar368. Wenn Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG gebracht wird, ist das nicht in dem Sinne zu verstehen, dass beide Vorschriften hier kumulativ in Betracht kommen. Wäre das der Fall, könnten keine Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht gerechtfertigt werden, da sie gleichzeitig die Menschenwürde tangieren würden369. Art. 1 Abs. 1 GG dient in erster Linie zur Bestimmung des materiellen Wertgehalts des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Damit sollen Verhaltensweisen geschützt werden, die in enger Beziehung zur Menschenwürde stehen und vom Schutz des aktiven Handelns nach Art. 2 Abs. 1 GG nicht erfasst werden370. Darüber hinaus verleiht die Heranziehung des Art. 1 Abs. 1 GG dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht eine verstärkte Kontur. Ein Eingriff in das Sein der Person lässt sich aufgrund seines unmittelbaren Zusammenhangs mit der Menschenwürde schwieriger rechtfertigen. Dieser Gesichtspunkt soll bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht als zusätzlicher Abwägungsfaktor in Betracht kommen371. Ob die Unterschiede zwischen der allgemeinen Handlungsfreiheit und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht solchermaßen ausgeprägt sind, dass sie die Einstufung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als eigenständiges Grundrecht erfordern372, oder ob im Gegenteil beide Grundrechte als Teilaspekte der freien Persönlichkeitsentfaltung des Art. 2 Abs. 1 GG anzusehen sind, die eine etwa die aktive, dynamische und die andere die passive, statische Entfaltung betreffend373, kann dahingestellt bleiben. Wichtig ist, dass das hier in Betracht kommende allgemeine Persönlichkeitsrecht ein klassisches Abwehrrecht ist, das den Einzelnen in erster Hinsicht vor staatlichen Eingriffen schützt374. Dadurch soll „die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen“ gewährleistet werden375. 368 BVerfGE 54, S. 148 ff. (153); Glaeser, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. 6, 1989, § 129 Rn. 19; Jarass, NJW 42 (1989), S. 857 ff. (859); vgl. auch schon Dürig, JR 1952, S. 259 ff. (261). 369 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG8, Art. 1 Abs. 1, Rn. 128; Jarass, NJW 42 (1989), S. 857 f. 370 Murswiek, in: Sachs, GG7, Art. 2 Rn. 63 ff.; Starck, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG6, Art. 2 Abs. 1, Rn. 15; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG8, Art. 1 Abs. 1, Rn. 128; vgl. auch BVerfGE 27, S. 344 ff. (351). 371 Murswiek, in: Sachs, GG7, Art. 2 Rn. 62 und 103; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG8, Art. 1 Abs. 1, Rn. 130; Vogelgesang, Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung?, 1987, S. 128 f. 372 Vogelgesang, Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung?, 1987, S. 127 f.; Jarass, NJW 42 (1989), S. 858. 373 Degenhart, JuS 32 (1992), S. 361; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG8, Art. 1 Abs. 1, Rn. 128; Murswiek, in: Sachs, GG7, Art. 2 Rn. 62 und 103; Glaeser, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. 6, 1989, § 129 Rn. 18 f.; vgl. auch Dürig, JR 1952, S. 259 ff. (261). 374 Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG8, Art. 1 Abs. 1, Rn. 132; Kunig, in: v. Münch/Kunig GG6, Art. 2 Rn. 40.
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Die Präzisierung des Schutzbereichs des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bleibt aber sowohl in der Rechtsprechung des BVerfG als auch in der Literatur offen. Denn die genaue Ausformung des Schutzgehalts dieses Abwehrrechts erfolgt eher punktuell und kasuistisch376. In der Theorie wird trotzdem versucht, die einzelnen Rechte, die nach der Rechtsprechung des BVerfG zum Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gehören, in verschiedene Fallgruppen einzuordnen. Zu diesen Kategorien, die eher den Zwecken der dogmatischen Ordnung dienen, gehört das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Sexualität und Ehe, das Recht auf Resozialisierung, oder das Recht auf Darstellung der Person in der Öffentlichkeit377. Von Bedeutung ist hier Letzteres, nämlich das Recht auf Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit, das sich auf den Gedanken der Selbstbestimmung stützt. Es gewährleistet dem Einzelnen die Freiheit über Umfang und Inhalt seines sozialen Geltungsanspruchs zu entscheiden, d. h. sein Recht, selbst zu bestimmen, ob und wie er sich Dritten oder der Öffentlichkeit gegenüber darstellen will. Damit ist auch die persönliche Ehre erfasst. Der herrschenden Meinung nach gehört sie auch zum Schutzbereich des Persönlichkeitsrechts378. Darüber, was genau unter dem Begriff „Ehre“ zu verstehen ist, besteht jedoch in der Literatur keine Einigkeit. In der Verfassung begegnet man diesem Begriff in Art. 5 Abs. 2 GG als Schranke für die Meinungs- und Pressefreiheit. In Anlehnung an §§ 185 ff. StGB und die strafrechtliche Theorie379 wird zwischen einer inneren und einer äußeren Ehre unterschieden380. Die sog. innere Ehre betrifft den inneren Wert der Person, die jedem Menschen von Natur aus zuteilgewordene persönliche Würde. Sie garantiert ein Ehrenminimum, unabhängig vom individuellen Verhalten oder den bestimmten Eigenschaften einer Person. Die äußere Ehre erfasst im Gegenteil die soziale Geltung des Einzelnen, seinen Ruf innerhalb der Gesellschaft, sein Ansehen. Sie knüpft an das soziale Verhalten und den individuellen Geltungswert des Menschen an. Es darf aber hier nicht angenommen werden, dass strafrechtlicher und
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BVerfGE 54, S. 148 ff. (153). Glaeser, in: Isensee/Kirchhof, HStR3, Bd. 6, 1989, § 129 Rn. 29; Kunig, in: v. Münch/ Kunig GG6, Art. 2 Rn. 31. 377 s. zum Ganzen Jarass, NJW 42 (1989), S. 857 f.; Brandner, JZ 38 (1983), S. 689 ff. (690 f.); Glaeser, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. 6, 1989, § 129 Rn. 30 ff. 378 s. z. B. Kriele, NJW 47 (1994), S. 1897 ff. (1898); Stark, Ehrenschutz in Deutschland, 1996, S. 35; Mackeprang, Ehrenschutz im Verfassungsstaat, 1990, S. 24 f. und vor allem S. 27 ff.; Tettinger, JZ 38 (1983), S. 317 ff. (318); Degenhart, JuS 32 (1992), S. 361 ff. (365 f.); s. aber auch Glaeser, AöR 113 (1988), S. 52 ff. (98); s. auch BVerfGE 54, S. 208 ff. (217). 379 BVerfGE 47, S. 130 ff. (143); Starck, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG6, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 210; Tettinger, JZ 38 (1983), S. 317 ff. (318); Herzog, in: Maunz/Dürig, GG8, Art. 5, Rn. 289. 380 BGHSt 11, S. 67 ff. (70 f.); Regge, in: MK-StGB, 2003, Vor § 185 ff., Rn. 18 ff.; Hilgendorf, in: LK-StGB11, Vor § 185, Rn. 2; Tettinger, JZ 38 (1983), S. 317 ff. (318); Mackeprang, Ehrenschutz im Verfassungsstaat, 1990, S. 176 ff., Stark, Ehrenschutz in Deutschland, 1996, S. 25, Starck, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG6, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 211. 376
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verfassungsrechtlicher Ehrbegriff deckungsgleich sind381. Der verfassungsrechtliche Ehrbegriff ist umfassender als der strafrechtliche, so dass er auch straflose Ehrverletzungen erfasst. Das ist auch logisch, denn nur die schwerwiegenderen Ehrminderungen werden unter Strafe gestellt. Des Weiteren muss hier angemerkt werden, dass, wenn das allgemeine Persönlichkeitsrecht dem Menschen einen Zustand garantiert, mit dem die Grundbedingungen der freien Persönlichkeitsentfaltung gewährleistet werden sollen, dann damit unzweifelhaft auch ein Zustand psychischer Ruhe und Sicherheit gemeint ist. Denn zu den Grundbedingungen der engeren persönlichen Lebenssphäre gehört auch, wenn nicht vor allem, die seelische und psychische Integrität des Menschen382. Staatsakte, die die psychische Integrität eines Menschen beeinträchtigen, stellen daher einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar und bedürfen einer Rechtfertigung. (2) Eingriffscharakter der Inkulpation Aus den bisherigen Erörterungen ergibt sich, dass eine Strafverfolgung bereits mit ihrem Beginn in Form der Inkulpation stets und auf vielseitige Weise den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts tangiert. Im Mittelpunkt steht vor allem die Tangierung des Ehranspruchs des Verfolgten durch die mit der Inkulpation geäußerte Verdachtszuschreibung383. Dass der Vorwurf hier in einer Hypothese und nicht wie bei einem Strafurteil in einer Feststellung besteht, ändert nichts am Eingriffscharakter der Inkulpation. Selbst der bloße Verdacht einer Straftat beeinträchtigt den sozialen Ruf und Geltungsanspruch des Einzelnen. Das wird außerdem auch in der strafrechtlichen Literatur in Bezug auf § 186 StGB (Üble Nachrede) angenommen, wo auch das Aussprechen eines Verdachts zur Strafbarkeit führen kann384. Dagegen spricht auch nicht, dass die Verdachtsäußerung, so wie das ganze Ermittlungsverfahren, geheim und nicht öffentlich erfolgt. Der Grund ist nicht nur, dass es praktisch unvermeidbar ist, dass auch Dritte (z. B. Zeugen oder Sachverständigen) von der Verfolgung des Betroffenen erfahren, sondern vielmehr, dass auch die Staatsorgane als Dritte in Betrachten kommen. Der Ruf und das soziale Bild des Einzelnen sind auch gegenüber ihnen als Personen wie auch gegenüber dem Staat zu schützen. Wie sich aus § 185 StGB (Beleidigung) ergibt, muss eine Ehrminderung außerdem nicht unbedingt öffentlichen Charakter haben.
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Glaeser, AöR 113 (1988) S. 52 ff. (97); Stark, Ehrenschutz in Deutschland, 1996, S. 27 ff. 382 Vgl. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG8, Art. 2 Abs. 1, Rn. 34. 383 s. Appel, Jura 2000, S. 571 ff. (575 f.). 384 Fischer, StGB63, § 186 Rn. 8 f.; Regge, in: MK-StGB, 2003, § 186 Rn. 16; Amelung, Ehre als Kommunikationsvoraussetzung, 2002, S. 64 ff.
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Darüber hinaus wird der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dadurch tangiert, dass der Beschuldigte einer belastenden Lage ausgesetzt wird, in der, wie zuvor erklärt, die Gefahr von Freiheitsverkürzungen durch Zwangsmaßnahmen oder aufgrund einer Verurteilung besteht, was sein Sicherheitsgefühl und sein Recht, „in Ruhe gelassen zu werden“, beeinträchtigt. Diese Beeinträchtigung des Schutzbereichs des allgemeinen Persönlichkeitsrechts stellt einen „klassischen“ Grundrechtseingriff dar385. Für die Annahme eines klassischen Grundrechtseingriffs sind nach herrschender Meinung drei Merkmale erforderlich: Finalität, Unmittelbarkeit und Imperativität des staatlichen Rechtsaktes386. Die Finalität der Beschuldigung ist unproblematisch anzunehmen, da sie, wie schon erklärt, einen Willensakt darstellt. Die Inkulpation wirkt auch unmittelbar, da sie einerseits keines weiteren staatlichen Rechtsaktes bedarf und sich andererseits direkt gegen den Verdächtigen wendet. Das gilt selbst dann, wenn sich die inkulpierende Ermittlungshandlung gegen einen Dritten und nicht direkt gegen den Beschuldigten richtet (wie in dem zuvor erwähnten Beispiel der Durchsuchung der Wohnung eines Dritten mit dem Ziel, Beweise gegen einen Verdächtigen zu finden), denn auch in diesem Fall stellt die Inkulpation, wenn auch verborgen in der Ermittlungshandlung, einen selbständigen, gegen den Inkulpierten gerichteten Staatsakt dar. Schließlich ist auch die Imperativität zu bejahen. Damit ist gemeint, dass der fragliche Staatsakt mit Befehl und Zwang angeordnet bzw. durchgesetzt wird387. Bei Grundrechten, die nicht eine Art Verhaltensfreiheit schützen, nimmt die Imperativität die Form des rechtsgestaltenden Zwangs an. „Rechtsgestaltende Regelungen, die ohne willentliches Zutun des Betroffenen Rechtspositionen seiner Individualsphäre verändern, werden meist ohne Weiteres dem klassischen imperativen Grundrechtseingriff zugeordnet“388. Das ist auch der Fall bei der Inkulpation. dd) Zwischenergebnis Aus der bisherigen Analyse ist festzuhalten, dass jede Strafverfolgung an sich einen klassischen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Verfolgten darstellt. Der Eingriff tritt schon mit der Inkulpationshandlung ein. Anschließend muss die Intensität dieses Eingriffs im Falle einer transnationalen Doppelverfolgung festgestellt werden, d. h. ob und in welchem Maße eine vorherige ausländische 385 So auch Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, 1996, S. 98 ff.; ders., in: FS-Trechsel, 2002, S. 253 ff. (256 ff). 386 s. Sachs, JuS 1995, S. 303 f., Stern, in: Stern/Sachs, Das Staatsrecht der BRD, Bd. III/2, 1994, § 78, S. 82 ff.; Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte31, Rn. 259 ff.; Hufen, Staatsrecht II5, § 8 Rn. 5. 387 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte31, Rn. 259 ff.; BVerfGE 105, S. 279 ff. (300). 388 Stern, in: Stern/Sachs, Das Staatsrecht der BRD, Bd. III/2, 1994, § 78, S. 113 f.; Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen im Bereich der Grundrechte, 1970, S. 11; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, 1996, S. 98 ff.
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Aburteilung der fraglichen Straftat die Eingriffsintensität einer (erneuten) Verfolgung im Inland beeinflusst. b) Die Eingriffsintensität der Verfolgung im Falle einer vorherigen ausländischen Aburteilung der Straftat Es ist schwierig, die Eingriffsintensität einer staatlichen Maßnahme genau zu bestimmen. Ob ein Eingriff „sehr schwer“ oder „sehr tief“ ist, kann man nicht beweisen. Man kann trotzdem einen Maßstab festlegen und zu einem nachvollziehbaren Ergebnis kommen, wenn man Abwägungen und Bewertungen des Gesetzgebers in vergleichbaren Fragen berücksichtigt, welche in bestimmten Normen und Institutionen des Strafprozessrechts Ausdruck gefunden haben. Diese Rolle könnte hier das innerstaatliche „ne bis in idem“ spielen. Mit der Verankerung des (nationalen) Doppelverfolgungsverbots in der Verfassung und – durch die Regelungen zur Wiederaufnahme des Verfahrens – in der StPO hat der Verfassungs- und Gesetzgeber eine Abwägung vorgenommen und die Eingriffsintensität einer erneuten Verfolgung des (im Inland) Verurteilten/Freigesprochenen auf bestimmte Weise bewertet389. Es ist auf dieser Basis möglich, das Ausmaß eines Grundrechtseingriffs, wie die Verfolgung eines im Ausland schon Verurteilten/ Freigesprochenen, festzustellen, indem man diesbezüglich nach Parallelen zu dem inländischen Doppelverfolgungsverbot sucht. Als Erstes muss man aber klarstellen, ob die ausländische Entscheidung für das deutsche Recht überhaupt relevant ist. Es könnte nämlich eingewandt werden, dass die Suche nach Parallelen zwischen dem inländischen Doppelverfolgungsverbot und einer zweiten Verfolgung auf internationaler Ebene von Anfang an unzutreffend ist, weil die ausländische Entscheidung für das deutsche Recht gar nicht existiere, da sie von einer anderen Rechtsordnung erlassen wurde. Es ist aber davon auszugehen, dass es für die Intensität eines Eingriffs – wenn nicht hauptsächlich so zumindest auch – darauf ankommt, wie dieser Eingriff vom Individuum empfunden wird. So wie z. B. für die Bestimmung der Höhe einer Geldbuße oder einer Geldstrafe die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters maßgeblich sind390, oder für die Zulassung einer körperlichen Untersuchung der Gesundheitszustand des Beschuldigten mitberücksichtigt werden muss391, genauso muss man für die Bewertung der Eingriffsintensität einer Verfolgung die Tatsache beachten, dass der Verfolgte schon im Ausland für dieselbe Straftat zur Rechenschaft gezogen wurde. Aus seiner Sicht hat die ausländische Verfolgung ohne Zweifel stattgefunden. Außerdem zeigt das Anrechnungsgebot (§ 51 StGB) sowie die Regelungen des deutschen Auslieferungsrechts, nach denen eine ausländische Strafentscheidung als Auslieferungshindernis wirken 389
Vgl. Nolte, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG-Kommentar5, Bd. 3, Art. 103 Rn. 180. s. § 17 Abs. 3 S. 2 OWiG und § 40 Abs. 3 StGB. 391 Degener, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, 1985, S. 64. 390
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kann392, dass die ausländischen Strafentscheidungen gegenüber der deutschen Rechtsordnung nicht als inexistent angesehen werden können. Es ist aus diesen Gründen falsch, im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung die Tatsache einer ausländischen Aburteilung der Tat außer Betracht zu lassen. Wegen der Aufnahme des Doppelverfolgungsverbots in das Grundgesetz und der strengen Voraussetzungen, unter denen eine Wiederaufnahme des Verfahrens stattfinden kann, ist des Weiteren davon auszugehen, dass in der deutschen Rechtsordnung eine zweite (oder mehrfache) Verfolgung des Einzelnen für dieselbe Tat prinzipiell als ein tief greifender Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Verfolgten bewertet wird. Wenn die erste Verfolgung einen bloßen Eingriff in das Recht des Menschen, „in Ruhe gelassen zu werden“, darstellt, gilt die zweite Verfolgung als Verletzung dieses Rechts. Der Grund ist, dass dem Einzelnen nicht zuzumuten ist, dass er zweimal wegen derselben Tat der Unsicherheit eines Strafverfahrens ausgesetzt wird393. Im Mittelpunkt der „ne bis in idem“-Problematik steht in dieser Hinsicht das Individuum. Das Doppelverfolgungsverbot wird somit nicht als die Auswirkung eines Strafurteils begriffen oder als eine Eigenschaft betrachtet, welche die Strafentscheidungen – und zwar nur die deutschen – besitzen, sondern vielmehr als eine Garantie gegenüber dem Einzelnen. In diesem Sinne spielt es hier keine Rolle, wo die erste Strafverfolgung stattgefunden hat. Für den Verfolgten bedeutet eine zweite Verfolgung die gleiche Belastung und birgt die gleiche Unsicherheit in sich, gleichgültig ob das erste Urteil im Inland oder im Ausland erlassen wurde394. Eine differenzierte Bewertung der Eingriffsintensität einer Verfolgung nach ausländischer Aburteilung der Tat könnte aber eventuell aufgrund der Auswirkungen des inländischen Doppelverfolgungsverbots auf das Vertrauen des Verurteilten oder Freigesprochenen in die Rechtsordnung gerechtfertigt werden. Das (inländische) „ne bis in idem“ kann nämlich dazu dienen, dass der Freigesprochene oder Verurteilte auf die Endgültigkeit des Strafurteils und dadurch auf die gesamte Rechtsordnung vertrauen kann. Eine zweite (inländische) Verfolgung würde auch deswegen einen unangemessenen Eingriff darstellen, weil sie dieses Vertrauen verletzen würde. Man könnte, diesem Gedanken folgend, den Einwand gegen die Eingriffsintensität einer transnational zweiten Verfolgung erheben, dass sie dieses Vertrauen gar nicht berührt, weil es sich um Staatsakte verschiedener Rechtsordnungen handelt und aus diesem Grund der eine keinen Einfluss auf den Wirkungsgehalt des anderen haben kann. 392 Vgl. BVerfGE 75, S. 1 ff. (16 f.); BVerfG, Beschluss v. 24. 6. 2003, abrufbar unter http:// www.bverfg.de/entscheidungen/rs20030624_2bvr068503.html, Rn. 31; Lagodny, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, IRG-Kommentar4, § 73 Rn. 95. 393 Nolte, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG-Kommentar5, Bd. 3, Art. 103 Rn. 178 unter Bezugnahme auf den fünften Zusatzartikel zur US-Verfassung; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG2, Art. 103 III, Rn. 12 ff.; Fliedner, AöR, 99 (1974), S. 242 ff. (254); Zierlein, in: Umbach/ Clemens, GG-Kommentar, Bd. 2, 2002, Art. 103 Rn. 167. 394 So auch Markees, Schweizerisches Jahrbuch für Internationales Recht 1985, S. 121.
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Meiner Meinung nach ist dem Doppelverfolgungsverbot tatsächlich eine solche Funktion zuzuschreiben. Das ist aber eher als Nebenzweck und nicht als Grundlage des „ne bis in idem“-Grundsatzes zu betrachten. Das Doppelverfolgungsverbot gilt unabhängig davon, ob der Verurteilte oder Freigesprochene sich auf das Bestehen des Urteils verlassen kann oder nicht. Bei dem klassischen Beispiel des Täters, der wegen Wilderns verurteilt wird, der aber, wie es sich später herausstellt, durch denselben Schuss vorsätzlich einen Menschen getötet hat, oder im Fall des Angeklagten, der nur wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt wird, obwohl er während der Fahrt auch schwerere Straftaten begangen hat395, ist es sehr zweifelhaft, ob diese Menschen auf dermaßen falsche Urteile vertrauen können und ob dieses Vertrauen für die Rechtsordnung schutzwürdig ist. Dass ein transnationales Doppelverfolgungsverbot keine Wirkung auf das Vertrauen des Einzelnen in die inländische Rechtsordnung hat, ist daher meines Erachtens für die Bestimmung der Eingriffsintensität einer erneuten Verfolgung nicht maßgeblich. Aus diesen Gründen ist festzuhalten, dass die Eingriffsintensität einer zweiten Verfolgung nach ausländischer Aburteilung derselben Straftat ebenso stark ist wie die Eingriffsintensität einer inländischen Doppelverfolgung. Im Bereich des Achtungsinteresses ist daher keine Differenzierung zu machen.
3. Das Schutzinteresse bei der Verfolgung von im Ausland abgeurteilten Straftaten Dass die Eingriffsintensität einer erneuten Verfolgung beim Vorliegen einer inländischen Entscheidung genauso hoch wie beim Vorliegen einer ausländischen Strafentscheidung ist, bedeutet nicht ohne Weiteres, dass für das transnationale Doppelverfolgungsverbot das Gleiche gelten soll wie für das nationale „ne bis in idem“. Ob und unter welchen Voraussetzungen eine ausländische Strafentscheidung eine erneute Verfolgung in Deutschland ausschließen kann, wird sich nach der Konkretisierung des Schutzinteresses, das als Rechtfertigung von strafprozessrechtlichen Eingriffen dient, ergeben. Nur in den Fällen, in denen das Schutzinteresse sehr hoch ist, kann eine erneute Verfolgung als gerechtfertigt angesehen werden. In diesem Zusammenhang ist gleich eine Differenzierung nötig. Ob eine erneute Verfolgung nach einer inländischen oder, im Gegenteil, nach einer ausländischen Entscheidung erfolgt, spielt zwar, wie zuvor angenommen, für die Bestimmung der Eingriffsintensität und daher für das Achtungsinteresse bei dieser Verfolgung keine wichtige Rolle, wohl aber für die Bestimmung des Schutzinteresses. Denn beim innerstaatlichen „ne bis in idem“ ist anzunehmen, dass die erste (inländische) Strafentscheidung dem Schutzinteresse prinzipiell genüge getan hat. Das heißt, dass in diesem Fall eine zweite Verfolgung nicht nur deswegen ausgeschlossen ist, weil deren Eingriffsintensität in das allgemeine Persönlichkeitsrecht sehr stark wäre, 395
Beispiel von Roxin, Prüfe dein Wissen16, S. 412 ff.
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sondern auch weil das Schutzinteresse aufgrund der ersten Strafentscheidung vermindert erscheint und es aus diesem Grund eine zweite Verfolgung nicht rechtfertigen kann. Dies gilt aber nicht für den Fall einer ausländischen Entscheidung. Da es angesichts der fraglichen Straftat keine (inner-)staatliche Reaktion gab, kann man nicht von dem gleichen Schutzinteresse ausgehen. Daraus folgt aber nur, dass beim Vorliegen einer ausländischen Entscheidung das Schutzinteresse eine erneute Verfolgung im Inland selbst in den Fällen rechtfertigen könnte, in denen diese Verfolgung nach dem nationalen Doppelverfolgungsverbot ausgeschlossen wäre. Umgekehrt kann es aber auch Fälle geben, in denen das Schutzinteresse nach einer ausländischen Strafentscheidung trotz des Fehlens einer (inner-)staatlichen Reaktion aufgrund von anderen Faktoren vermindert erscheint, so dass eine erneute Verfolgung nicht als verhältnismäßig angesehen werden kann. Diese Faktoren, welche den Wirkungsgehalt des Schutzinteresses beeinflussen, sind im Folgenden zu analysieren. a) Konkretisierung anhand der Anknüpfungsprinzipien Für den Versuch, das Schutzinteresse eines Staates zur erneuten Verfolgung eines vorher im Ausland Verurteilten oder Freigesprochenen zu konkretisieren, ist die Tatsache von Bedeutung, dass die fragliche Straftat – da sie im Ausland abgeurteilt wurde – immer einen gewissen Auslandsbezug aufweist. Daher ist es nötig, das Schutzinteresse unter dem Aspekt des Internationalen Strafrechts zu untersuchen. Dabei spielen die sog. Anknüpfungsprinzipien eine wichtige Rolle. In völkerrechtlicher Hinsicht funktionieren sie als Schranke für die staatliche Kompetenz zur Bestimmung des Anwendungsbereichs des nationalen Strafrechts. Damit nämlich eine Straftat mit Auslandsbezug verfolgt werden darf, ist nach dem Völkerrecht eine gewisse Nähebeziehung, ein hinreichender Anknüpfungspunkt zwischen der Straftat und dem Staat, der die Strafgewalt beansprucht, nötig396. Dieser legitimierende Anknüpfungspunkt bestimmt sich nach den völkerrechtlichen Prinzipien des Internationalen Strafrechts (auch Anknüpfungsprinzipien genannt)397. Die §§ 3 – 7 StGB, die das deutsche Strafanwendungsrecht konstituieren, müssen aus diesem Grund im Einklang mit diesen Prinzipien stehen. Es ist jedoch falsch, die in diesen Paragraphen enthaltenen nationalen Prinzipien des Internationalen Strafrechts mit den völkerrechtlichen Anknüpfungsprinzipien zu verwechseln. Erstere beantworten die Frage, wann der Staat sein Strafrecht für anwendbar hält, und bringen das staatliche Interesse zur Verfolgung von bestimmten Straftaten mit Auslandsbezug zum Ausdruck.
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Vgl. dazu die IGH-Entscheidungen in den Fällen „Nottebohm“, ICJ Reports 1955, S. 3 ff. (23) und „Barcelona Traction“, ICJ Reports 1970, S. 1 ff. (42). 397 Ambos, Internationales Strafrecht4, § 2 Rn. 6; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht7, S. 39 ff.; Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, Vor § 3 Rn. 24.
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Letztere bilden hingegen aus der Sicht des Völkerrechts eine Grenze für dieses Interesse398. Die in den §§ 3 – 7 StGB enthaltenen nationalen Prinzipien des Internationalen Strafrechts sind in diesem Sinne als Ausdruck des Schutzinteresses zu betrachten399. Sie bestimmen, wann nach der Meinung des Gesetzgebers genügende Gründe vorliegen, welche einen staatlichen Eingriff zur Sanktionierung der fraglichen Straftat rechtfertigen oder sogar gebieten (jurisdiction to prosecute400). Selbst bei diesen Prinzipien sind aber die Strafrechts- und Strafprozesszwecke zu beachten. In dieser Hinsicht ist daher auch hier das Ziel die Durchsetzung des Strafrechts zum Zweck des präventiven Schutzes von Rechtsgütern. Es ist aber davon auszugehen, dass das staatliche Interesse an der Verfolgung von Straftaten mit Auslandsbezug nicht in jedem Fall so hoch ist. Obwohl die Frage der Anwendung des deutschen Strafrechts immer eine „entweder-oder-Lösung“ verlangt401, heißt das nicht, dass in jedem Fall, in dem das deutsche Strafrecht anwendbar und eine Straftat nach den deutschen Strafgesetzen verfolgbar ist, auch das Interesse an der Verfolgung dieser Straftat gleich stark ist. § 153c StPO, welcher der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit einräumt unter bestimmten Voraussetzungen von der Verfolgung von Straftaten mit Auslandsberührung abzusehen, deutet darauf hin, dass das Schutzinteresse in diesen Fällen variieren kann. Im Folgenden werden demgemäß die nationalen Prinzipien des Internationalen Strafrechts und deren Beziehung zum Schutzinteresse im Einzelnen geprüft. Dabei ist auf die Grundlage und den Zweck jedes Anknüpfungspunkts sowie auf den über diesen Anknüpfungspunkt vermittelten Bezug der Straftat zu der jeweiligen strafrechtlichen Norm, der nationalen Rechtsordnung oder der schützenden Funktion des Strafrechts abzustellen. Obwohl aber die Prinzipien des Internationalen Strafrechts hier aus der nationalen Sicht, nämlich, wie erörtert, als Ausdruck des Schutzinteresses des Staates und nicht als völkerrechtliche Grenze des staatlichen „Verfolgungswillens“ betrachtet werden, ist die Feststellung ihres Sinngehalts ohne Zugriff auf völkerrechtliche Kriterien unmöglich, da diese Prinzipien auch auf völkerrechtlicher Ebene ausgestaltet wurden. Des Weiteren muss angemerkt werden, dass die folgende Prüfung des staatlichen Schutzinteresses bei dem jeweiligen Prinzip des Internationalen Strafrechts nicht das Ziel hat, die Richtigkeit und Völkerrechtskonformität des entsprechenden Anknüpfungspunkts zu prüfen, sondern bloß festzustellen, wie „stark“ diese Anknüpfung ist. Da die Geltung des transnationalen „ne bis in idem“ davon abhängig ge398 Ambos, Internationales Strafrecht4, § 3 Rn. 1; vgl. auch Pappas, Stellvertretende Strafrechtspflege, 1996, S. 81 ff.; Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht nach der Reform, 1977, S. 27 ff. 399 s. Maurach/Zipf, Strafrecht AT8, Bd. 1, S. 138; Jescheck, in: FS-Maurach, 1972, S. 579 ff. (580). 400 s. Walther, in: FS-Eser, 2005, S. 925 ff. (928 ff.). 401 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht7, S. 34.
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macht wird, ob die jeweils verfolgte Straftat auf Basis des einen oder des anderen Prinzips erfolgt, müssen Reichweite und Anwendungsbereich dieser Prinzipien untersucht und klargestellt werden. Erfolgt die Verfolgung des schon im Ausland Abgeurteilten aufgrund eines Anknüpfungspunkts, bei dem das Schutzinteresse nicht besonders hoch ist, erscheint der Eingriff des Staates durch eine erneute Verfolgung aufgrund des hohen Achtungsinteresses als unverhältnismäßig. Auf diese Weise werden Geltung und Reichweite des transnationalen „ne bis in idem“ von dem Anknüpfungspunkt abhängig gemacht, auf den der (zweit-)verfolgende Staat seine Strafgewalt gründet402. Aufgrund welchen Anknüpfungspunkts der erst-verfolgende Staat seine Strafgewalt ausgeübt und den Täter verfolgt hat, ist hier prinzipiell403 gleichgültig. Denn selbst wenn er seine Strafgewalt auf einen Anknüpfungspunkt gestützt hat, der, wie im Folgenden gezeigt wird, nur einem niedrigen Verfolgungsinteresse dient, ändert das nichts an der Tatsache, dass der Verfolgte trotzdem der „Qual“ eines Strafverfahrens unterworfen wurde. aa) Territorialitätsprinzip Das Territorialitätsprinzip oder auch Gebietsgrundsatz ist international am weitesten verbreitet404. Für viele (vor allem sog. common law) Länder galt es sogar als alleiniger Anknüpfungspunkt405. In Deutschland hat es sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts und bis zur GeltungsbereichsVO vom 6. 5. 1940, mit der dem aktiven Personalitätsprinzip der Vorrang gegeben wurde, als Leitprinzip des Strafanwendungsrechts durchgesetzt. Seit dem Inkrafttreten des neuen AT des StGB ist es in § 3 StGB verankert406. Die weiteren Anknüpfungsprinzipien gelten entweder als Ausnahmen407 oder als Ergänzung408 des Territorialitätsprinzips.
402 So auch Feller, Israel Law Review 1981, S. 40 ff. (69 f.). Das bedeutet jedoch nicht die Annahme einer Rangfolge der Anknüpfungsprinzipien. Dazu s. weiter unten, G.I.1. 403 Für die Ausnahmen im Falle des Weltrechtspflegeprinzips s. weiter unten, B.IV.3.a)hh). 404 Oehler, Internationales Strafrecht2, S. 156. 405 Oehler, Internationales Strafrecht2, S. 161 ff.; vgl. aber auch Ambos, Internationales Strafrecht4, § 3 Rn. 5, nach dem das Territorialitätsprinzip nirgendwo mehr „absolut“ anerkannt ist. 406 Zu der historischen Entwicklung des Prinzips s. Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, Vor § 3 Entstehungsgeschichte; Eser, in: FS-Jescheck, 1985, S. 1353 ff. (1362 ff.); Zu der Entwicklung auf internationaler Ebene s. auch Oehler, in: FS-Mezger, 1954, S. 83 ff.; ders., Internationales Strafrecht2, S. 54 ff. 407 Oehler, Internationales Strafrecht2, S. 155; Kelsen/Tucker, Principles of International Law2, S. 309; Ambos, Internationales Strafrecht4, § 3 Rn. 24. 408 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht7, S. 48 ff.
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Der Gebietsgrundsatz knüpft an den Tatort an und gilt als Ausdruck der Souveränität des Staates. Der Staat darf und muss409 alle Straftaten, die auf seinem Hoheitsgebiet begangen werden, unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Täters oder des Opfers verfolgen. Die innerstaatliche Rechtsordnung muss gegenüber jedermann durchgesetzt werden, der sich im Inland aufhält410. Dieser Gedanke wurde in der Aufklärungszeit mit dem Gesellschaftsvertrag und der Fassung des modernen Staatsbegriffs in Verbindung gebracht411. Nach Oehler bildet das Territorialitätsprinzip „logisch und praktisch die Grundlage für das Strafanwendungsrecht“, sowohl weil das Territorium zum Wesen des Staates gehört und daher selbstverständlich ist, dass es zum Ausgangspunkt für die Anknüpfung des Geltungsbereichs des Strafrechts gemacht wird, als auch weil jede Norm des Staates, solange sie keine unverbindliche Äußerung bleiben soll, begriffsnotwendig an einen bestimmten Bereich geknüpft ist, in dem sie ihre Geltung entfaltet412. „Täter und strafrechtliche Norm haben im Rahmen des Territorialprinzips die stärkste Beziehung zueinander“413. Daraus ergibt sich ein ebenfalls starkes Interesse an der Verfolgung von Inlandstaten. Das hohe Interesse an der Anwendung und Durchsetzung des Strafrechts auf der Basis des Territorialitätsprinzips lässt sich auch auf die generalpräventiven Zwecken des Strafrechts zurückführen. Der Bedarf nach einer Strafe, die die Bürger zur Befolgung der Strafrechtsnormen motiviert (Lerneffekt der Generalprävention), ihren Glauben an die Durchsetzung des Rechts bekräftigt (Vertrauenseffekt) und das durch die Straftat erschütterte allgemeine Rechtsbewusstsein beruhigt (Befriedungseffekt)414, ist an dem Ort, wo die Straftat stattgefunden hat, am höchsten. Gleichzeitig lassen sich diese Strafzwecke im Rahmen der betroffenen Rechtsordnung am effektivsten erreichen, denn die Verknüpfung zwischen Straftat und Strafe ist dort sehr eng. In diesem Sinne ist auch davon auszugehen, dass die Verfolgung von Straftaten seitens des Staates, in dessen Territorium sie stattgefunden haben, die Erreichung des Rechtsfriedens am besten garantieren kann. Aus diesen Gründen ist anzunehmen, dass für inländische Straftaten das Schutzinteresse so hoch ist, dass die vorherige Aburteilung des Täters im Ausland eine erneute Verfolgung im Inland prinzipiell nicht ausschließen kann. Das staatliche Interesse an der Verfolgung des Täters übersteigt in diesem Fall das aufgrund des 409
Vgl. dazu bereits Hegler, Prinzipien des internationalen Strafrechts, 1906, S. 104 f.; Weber, in: FS-Rittler, 1957, S. 111 ff. (114). 410 Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, Vor § 3 Rn. 222; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht7, S. 41 f.; Lemke, in: NK-StGB, Bd. 12, Vor §§ 3 – 7, Rn. 9. 411 Oehler, in: FS-Mezger, 1954, S. 83 f. 412 Oehler, Internationales Strafrecht2, S. 155 f.; s. auch Kelsen/Tucker, Principles of International Law2, S. 309. 413 Oehler, Internationales Strafrecht2, S. 132; s. auch Markees, Schweizerisches Jahrbuch für Internationales Recht 1985, S. 121 ff. (122). 414 Über die Ziele und Wirkungen der Generalprävention s. Roxin, Strafrecht AT, Bd. 14, S. 80 f. m.w.N.
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ausländischen Strafurteils entstandene und auf dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht basierende Interesse am Absehen von einer erneuten Verfolgung415. Das kann aber nicht für jede Verfolgung, die aufgrund des Territorialitätsprinzips erfolgt, angenommen werden. Denn vom Territorialitätsprinzip sind nicht nur Handlungen erfasst, die innerhalb des Staatsgebiets vorgenommen werden, sondern – nach dem Auswirkungsgrundsatz – auch ausländische Straftaten, welche im Inland Wirkung entfalten416. Sowohl den Handlungsort als auch den Erfolgsort als Tatort anzusehen (Ubiquitätsprinzip417), sieht auch das deutsche Strafrecht in § 9 Abs. 1 StGB vor. Darüber hinaus wird das deutsche Strafrecht nach § 9 Abs. 2 StGB auch auf inländische Teilnahmehandlungen an Auslandstaten sowie auf ausländische Teilnahmehandlungen an Inlandstaten erstreckt. Somit wird der Begriffsgehalt des Territorialitätsprinzips sehr weit gefasst und der Anwendungsbereich des deutschen Strafrechts wesentlich erweitert. Aus diesem Grund ist eine Differenzierung nötig. Was oben über das hohe Schutzinteresse im Rahmen des Territorialitätsprinzips angenommen wurde, kann nur die Fälle betreffen, in denen der Handlungsort der Straftat sich im Inland befindet. Eine allgemeingültige Aussage über den Grad des Schutzinteresses in dem Fall, dass die Strafgewalt auf Basis des Auswirkungsgrundsatzes begründet wird, nämlich wenn der Handlungsort außerhalb Deutschlands liegt, oder angesichts von bloßen (Distanz-)Teilnahmehandlungen ist hingegen nicht möglich. In diesen Fällen hängt die Stärke des Schutzinteresses von den Auswirkungen der jeweiligen Straftat (oder Teilnahmehandlung) auf die deutsche Rechtsordnung ab, was von vornherein schwer zu konkretisieren ist. Ob und wie dieses Problem gelöst werden kann (z. B. auf Basis des § 153c StPO und des Opportunitätsprinzips), wird weiter unten behandelt418. bb) Flaggenprinzip Mit dem Flaggengrundsatz wird die Strafgewalt eines Staates auf die ihm zugehörigen Schiffe und Luftfahrzeuge ausgedehnt, die sich außerhalb seines Territoriums befinden. Auf die Staatsangehörigkeit des Täters oder des Opfers kommt es nicht an. Das Flaggenprinzip gilt in Deutschland nach § 4 StGB für alle Schiffe und Luftfahrzeuge, die berechtigt sind, die Bundesflagge oder das Staatszugehörigkeitszeichen der Bundesrepublik Deutschland zu führen. Bei der Beurteilung der Frage, ob bei Straftaten, die aufgrund des Flaggengrundsatzes verfolgt werden, ein hohes staatliches Schutzinteresse besteht oder nicht, könnte man in Betracht ziehen, dass eine besondere Beziehung zwischen dem 415
Vgl. Wyngaert/Stessens, ICLQ 1999, S. 779 ff. (802 f.). Herdegen, Völkerrecht15, § 26 Rn. 5 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht4, § 3 Rn. 8; vgl. auch Heinrich, in: FS-Weber, 2004, S. 91 ff. 417 s. Oehler, Internationales Strafrecht2, S. 211 ff.; Eser, in: Schönke/Schröder, StGB29, § 9 Rn. 3 ff.; Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, § 9 Rn. 3 ff. 418 s. weiter unten, E.III.3. 416
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Territorialitätsprinzip und dem Flaggengrundsatz besteht419. Früher wurde die Meinung vertreten, dass durch den Flaggengrundsatz das Inlandsgebiet erweitert wird. Schiffe auf offener See420 oder sogar in fremden Gewässern421 gehörten in diesem Sinne zum Inland. Sie galten als Stück des Heimatstaates (sog. Theorie der „schwimmenden Gebietsteile“)422. Wäre diese Meinung richtig, könnte man, wie bei dem Territorialitätsprinzip, auch hier von einem ebenfalls hohen Schutzinteresse ausgehen, was wiederum eine (erneute) Verfolgung rechtfertigen könnte. Diese Theorie ist aber nunmehr überholt423. Auch von fingierten Inlandsteilen424 kann nicht die Rede sein. Wenn sich ein Schiff oder ein Luftfahrzeug in einem fremden Gebiet befindet, dann führen beide Ansichten dazu, dass auf dem gleichen Raum mehrere Territorialhoheiten existieren. Das verstößt aber gegen das Völkerrecht425. Mit dem Flaggenprinzip wird daher nicht das jeweilige Staatsgebiet erweitert, auch nicht fiktiv, sondern bloß die Hoheitsgewalt auf die Schiffe und Luftfahrzeuge eines Staates erstreckt426. Eine in fremden Gewässern aber auf einem deutschen Schiff begangene Tat bleibt also eine Auslandstat. Die Beziehung zwischen Territorialitätsprinzip und Flaggengrundsatz besteht daher nur darin, dass beide Prinzipien nur an den Tatort und nicht an weitere Tat- bzw. Tätermerkmale anknüpfen427. In Bezug auf das Verhältnis zwischen Territorialitäts- und Flaggenprinzip wird ferner entgegen der herrschenden Meinung vertreten428, dass § 4 dem § 3 StGB vorgeht, sodass für Inlandstaten, die an Bord eines deutschen Schiffs oder Flugzeugs begangen sind, das deutsche Strafrecht aufgrund des § 4 und nicht des § 3 anwendbar 419 s. Entscheidung des StIGH vom 7. 9. 1927 (Lotus), PCIJ Series A, Nr. 10, S. 25; Werle/ Jeßberger, in: LK-StGB12, § 4 Rn. 7; Weber, in: FS-Rittler, S. 111 ff. (114); Böse, in: NKStGB4, § 4 Rn. 2. 420 Frank, RStGB18, S. 39 (§ 8 Anm. I). 421 v. Liszt/Schmidt, Strafrecht AT26, S. 126 (§ 22 II 4 b); Joseph, Das Schiff in fremden Gewässern, 1934, S. 55; So auch angesichts der deutschen Staatsschiffe Mettgenberg, ZStW 52 (1932), S. 802 ff. (823 ff. und 829). 422 Wille, Die Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, 1974, S. 28 f.; vgl. ferner RGSt 50, S. 218 ff. (220); RGSt 23, S. 266 ff. (267). 423 Ambos, in: MK-StGB2, § 4 Rn. 5. 424 So Maurach/Zipf, Strafrecht AT8, Bd. I, S. 140 f.; Hoyer, in: SK-StGB, § 4 Rn. 1; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht7, S. 75; vgl. auch Jescheck/Weigend, Strafrecht AT5, S. 172. 425 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/12, S. 317 und 475 f.; Wille, Die Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, 1974, S. 28 f.; Oehler, Internationales Strafrecht2, S. 313 f.; Hoog, Deutsches Flaggenrecht, 1982, S. 232 ff.; vgl. auch LG Mannheim, NStZ-RR 1996, S. 147. 426 Ambos, in: MK-StGB2, Vor §§ 3 – 7 Rn. 26; Eser, in: Schönke/Schröder, StGB29, § 4 Rn. 4; Böse, in: NK-StGB4, § 4 Rn. 2; Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, § 3 Rn. 70 ff. und § 4 Rn. 12; Wille, Die Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, 1974, S. 30 ff. 427 Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, § 4 Rn. 7; vgl. auch Weber, in: FS-Rittler, S. 111 ff. (114 f.). 428 Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, § 4 Rn. 13 ff.
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ist. Auf diese Weise sei es gleichgültig, ob das Schiff sich zur Zeit der Tat im Inland bewegte oder nicht. Als erstes Argument wird hier die Entstehungsgeschichte der Vorschrift angebracht, und zwar die Tatsache, dass es abgelehnt wurde, die Wörter „im Ausland“ in den Text des § 4 StGB einzubeziehen, was klarstellen könnte, dass die Vorschrift nur ausländische Straftaten erfasst, während für Inlandstaten § 3 (Territorialitätsprinzip) anwendbar ist. Darüber hinaus wird auf § 153c Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StPO verwiesen, der die Einstellung des Verfahrens ermöglicht, wenn die Straftat zwar im Inland, jedoch von einem Ausländer auf einem ausländischen Schiff oder Luftfahrzeug begangen wurde. Dieser Meinung zufolge könnte man behaupten, dass für den deutschen Gesetzgeber der Flaggengrundsatz generell Vorrang gegenüber dem Territorialitätsprinzip genießt, was wiederum auf ein höheres Verfolgungsinteresse für die entsprechenden Straftaten hindeuten könnte. Das ist aber meiner Meinung nach nicht nachhaltig. Die Formulierung der Vorschrift – des § 4 StGB – ohne die Wörter „im Ausland“ kann tatsächlich der Behebung von Beweisschwierigkeiten dienen, wenn nicht klar ist, ob sich ein Schiff oder Luftfahrzeug zur Zeit der Tat im Inland bewegte oder nicht. Das reicht aber nicht, um einen generellen Vorrang des Flaggengrundsatzes gegenüber dem Territorialitätsprinzip zu rechtfertigen. Das Gleiche gilt auch angesichts des § 153c StPO. Der Gesetzgeber hat erkannt, dass es Fälle geben kann, in denen das Interesse an der Verfolgung eines Ausländers wegen einer im deutschen Territorium auf einem fremden Schiff begangenen Straftat sehr niedrig ist, und dafür hat er eine Möglichkeit zur Einstellung des Verfahrens vorgesehen. Daraus aber den generellen Schluss zu ziehen, dass der Flaggengrundsatz ein höheres Verfolgungsinteresse begründet als das Territorialitätsprinzip, würde ein „non sequitur“ darstellen. Nicht unbedeutend ist diesbezüglich, wie dieser Grundsatz historisch entstanden ist. Das Ziel bestand darin, dadurch Lücken zu schließen, die zu „negativen Kompetenzkonflikten“429 und daher zur Straflosigkeit eines Täters führen könnten. Das Problem war einerseits, dass Schiffe und Flugzeuge oft über Gebiete fahren, die keiner staatlichen Hoheit unterstehen. Es ist auch oft schwierig zu bestimmen, wo genau das Schiff oder das Luftfahrzeug sich bei der Begehung der Straftat befand. Die Verfolgung der Straftat aufgrund des Territorialitätsprinzips ist in solchen Fällen ausgeschlossen430. Andererseits weigern sich Staaten häufig, eine Straftat zu ahnden, die an Bord eines fremden Schiffs oder Luftfahrzeugs begangen wurde, während dieses sich in ihrem Hoheitsgebiet aufhielt, sofern keine eigenen Rechtsgüter berührt werden431. Um die Gefahr auszuschließen, dass der Täter in solchen Fällen unverfolgt bleibt, haben die meisten Länder das Flaggenprinzip adoptiert und somit Schiffe und 429 Zum Begriff „negativer Kompetenzkonflikt“ s. Ambos, Internationales Strafrecht4, § 4 Fn. 17. 430 Weber, in: FS-Rittler, S. 111 ff. (113 f.); Wille, Die Verfolgung strafbarer Handlungen an Bord von Schiffen und Luftfahrzeugen, 1974, S. 31 f. 431 Lemke, in: NK-StGB, Bd. 12, § 4 Rn. 1; s. auch Entwurf eines StGB E 1962 mit Begründung (BT-Drs IV/650), 1962, S. 109.
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Luftfahrzeuge ihrer Strafgewalt unterworfen, unabhängig davon, wo diese sich aufhalten. Natürlich stellt nunmehr der Flaggengrundsatz kein subsidiäres Anknüpfungsprinzip dar, das nur dann eingreift, wenn auf der Basis des Territorialitätsprinzips keine Strafgewalt begründet werden kann oder generell wenn eine Straftat im Ausland sonst unverfolgt bleiben würde. Es genießt Eigenständigkeit gegenüber den anderen Prinzipien und kann mit dem Verfolgungsinteresse anderer Staaten in Konflikt geraten und dadurch zu Kompetenzkonflikten führen432. Diese Eigenständigkeit wird hier nicht bestritten. Für eine Straftat, die an Bord eines im Ausland befindlichen deutschen Schiffs begangen wurde, besteht die Möglichkeit, dass sie sowohl von Deutschland – aufgrund des Flaggengrundsatzes – als auch von einem fremden Land – z. B. aufgrund des Territorialitätsprinzips – verfolgt wird. Wenn aber Deutschland oder auch ein anderes Land das Flaggenprinzip mit dem Ziel adoptiert hat, Lücken im Strafanwendungsrecht bezüglich bestimmter Taten zu schließen, dann darf dieses Prinzip nicht zu der Gefahr führen, dass der Täter mehrmals verfolgt bzw. bestraft wird. Die geschichtliche Entstehung des Flaggenprinzips zeigt, dass der Grundgedanke für seine Annahme nicht darin bestand, dass die entsprechenden Straftaten unbedingt vom Flaggenstaat verfolgt werden sollten, weil das Interesse an ihrer Verfolgung so hoch war, sondern einfach dass diese Straftaten generell auf internationaler Ebene nicht unverfolgt bleiben durften. Das deutet auf eine lose Beziehung zwischen der Straftat und der Rechtsordnung des Staates hin, unter dessen Flagge das Schiff oder das Luftfahrzeug fährt. Man kann also in diesem Fall von einem relativ niedrigen Schutzinteresse ausgehen. Dafür spricht auch die Formulierung des § 4 StGB, der besagt, dass der Flaggengrundsatz nicht nur für Schiffe und Luftfahrzeuge gilt, die die deutsche Flagge tatsächlich führen, sondern auch dann Anwendung findet, wenn ein Schiff oder Luftfahrzeug dazu berechtigt ist. Eine solche Berechtigung besteht nach § 8 FlaggRG zum Beispiel schon dann, wenn ein Seeschiff in Deutschland angefertigt wurde. Es ist aber sehr zweifelhaft, ob eine Straftat, die im Ausland auf einem Schiff fremder Flagge und fremder Besatzung stattgefunden hat, die deutsche Rechtsordnung in besonderem Maße berührt, nur weil das Schiff in Deutschland angefertigt worden ist. Das staatliche Interesse an der Verfolgung einer Straftat auf Basis des Flaggengrundsatzes ist somit so niedrig, dass dieses Interesse eine erneute Verfolgung im Zweiturteilsstaat nicht rechtfertigen könnte, wenn der Täter von einem anderen Staat schon abgeurteilt wurde (auf Basis welches Anknüpfungspunkts auch immer). So etwas würde einen unverhältnismäßigen Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht darstellen und deswegen ist es rechtsstaatlich geboten, von einer erneuten Verfolgung abzusehen, wie es schon in der Literatur vereinzelt vertreten wird433. 432
Ambos, in: MK-StGB2, Vor §§ 3 – 7 Rn. 26. Oehler, Internationales Strafrecht2, S. 137; So auch Lemke, in: NK-StGB2, § 4 Rn. 13, jedoch ohne weitere Begründung; vgl. auch Rudolf, NJW 7 (1954), S. 219 f. (220). 433
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cc) Aktives Personalitätsprinzip Das aktive Personalitätsprinzip knüpft an die Staatsangehörigkeit des Täters an. Das inländische Strafrecht wird auf diese Weise auf Auslandstaten von eigenen Staatsangehörigen erstreckt. Der Grundsatz ist völkerrechtlich anerkannt und international sehr verbreitet434. Er gilt sogar als der „geschichtlich früheste Anknüpfungspunkt“ des Internationalen Strafrechts435. Vor einer Bewertung des staatlichen Schutzinteresses bei dem aktiven Personalitätsprinzip ist notwendigerweise festzustellen, welche Ziele dadurch angestrebt werden, also warum ein Staat eigene Staatsangehörige wegen ihrer Auslandstaten verfolgt. Dem aktiven Personalitätsprinzip begegnet man in drei Formen. Beim sog. „absoluten aktiven Personalitätsprinzip“436 wird sowohl bei Inlandstaten als auch bei Auslandstaten von eigenen Staatsbürgern auf die Nationalität des Täters abgestellt. In diesem Sinne werden die eigenen Staatsbürger selbst bei Straftaten im eigenen Staatsgebiet nicht aufgrund des Territorialitätsprinzips, sondern aufgrund ihrer Nationalität verfolgt. Diese Form des aktiven Personalitätsgrundsatzes, der auch dem deutschen Internationalen Strafrecht von 1940 bis 1974 zugrunde lag437, ist sowohl aus nationaler als auch aus völkerrechtlicher Sicht bedenklich. Da die Ausländer angesichts von Inlandstaten anders behandelt werden als die Inländer, die ersteren nämlich aufgrund des Territorialitätsprinzips, die anderen aufgrund des aktiven Personalitätsprinzips, ist diese Form des aktiven Personalitätsprinzips mit dem einheitlichen Ziel des Strafrechts zur Aufrechterhaltung des Rechtsfriedens im eigenen Staatsgebiet nicht vereinbar438. Dem aktiven Personalitätsprinzip begegnet man auch in der sog. „uneingeschränkten“ Form, die der „absoluten“ Variante sehr nahe steht. Als „uneingeschränkt“ wird das aktive Personalitätsprinzip bezeichnet, wenn die Verfolgung von Staatsbürgern wegen Auslandstaten unabhängig von der Existenz einer entsprechenden Tatortnorm („lex loci“) erfolgt439. Beim eingeschränkten aktiven Personalitätsprinzip hingegen kann der Täter nur unter der Voraussetzung bestraft werden, dass die Tat auch im Tatortstaat mit Strafe bedroht ist440. Gegen den Verzicht einer identischen Tatortnorm und die uneingeschränkte Form des aktiven Personalitätsprinzips sind mehrere Einwände erhoben worden. Es ist zunächst für den „Täter“ 434
s. Ambos, Internationales Strafrecht4, § 3 Rn. 39. Jescheck/Weigend, Strafrecht AT5, S. 169; vgl. auch Schmitz Alexandra, Das aktive Personalitätsprinzip im Internationalen Strafrecht, 2002, S. 147 ff. 436 Oehler, Internationales Strafrecht2, S. 444 f.; vgl. auch Ambos, Internationales Strafrecht4, § 3 Rn. 40, der aber mit diesem Begriff eine Form des aktiven Personalitätsprinzips bezeichnet, bei der nicht an eine identische Tatortnorm angeknüpft wird. 437 Vgl. § 3 Abs. 1 und § 4 Abs. 2 StGB i. d. F. von 1940. 438 Oehler, Internationales Strafrecht2, S. 445. 439 Für das Verhältnis zwischen der „lex loci“ und dem transnationalen „ne bis in idem“Prinzip s. auch weiter unten, B.IV.3.b). 440 Oehler, Internationales Strafrecht2, S. 445 ff. 435
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ungerecht, dass er wegen einer Tat verfolgt wird, die im Empfangsstaat gar nicht mit Strafe bedroht ist. Jeder Fremde akzeptiert mit seinem freiwilligen Eintritt in ein anderes Land die Rechtsordnung dieses Staates und muss sich darauf verlassen können, dass er sein Verhalten auf die sozialen und rechtlichen Verhältnisse des Empfangsstaates einstellen kann441. Durch das uneingeschränkte aktive Personalitätsprinzip wird aber die Entscheidung des Tatortstaates, ein bestimmtes Verhalten nicht zu bestrafen, missachtet, was sich auf die gesamte Rechtsordnung auswirkt und angesichts des Nichteinmischungsgrundsatzes völkerrechtliche Bedenken hervorruft442. Das Wichtigste ist aber, dass der Verzicht auf die sog. „lex loci“ eine überholte Vorstellung von den Grundlagen des aktiven Personalitätsprinzips impliziert. Die Bestrafung eines Menschen wegen einer Auslandstat ohne Rücksicht auf das Tatortsrecht basiert auf dem Gedanken, dass zwischen dem Bürger und seinem Heimatstaat eine besondere Beziehung besteht. Dem Bürger obliege eine Treuepflicht gegenüber der heimischen Rechtsordnung in dem Sinne, dass, wo immer er sich aufhält, er an die Gebote und Verbote des eigenen Landes gebunden ist. Als Gegenleistung ist der Heimatstaat verpflichtet, seine Bürger im Ausland zu beschützen443. Dieser Gedanke, der bis auf das Mittelalter und die alten Stammesrechte zurückgeht, stimmt weder mit dem Begriff des modernen Nationalstaats noch mit der heutigen Strafrechtsdogmatik überein444. Die Staatsangehörigkeit stellt heutzutage einfach ein Rechtsverhältnis zwischen Staat und Staatsangehörigen dar und darf nicht in dem Sinne ideologisch überhöht werden445, dass daraus moralische Pflichten für die Staatsbürger entstehen könnten. Eine solche Meinung geht von einem autoritären Staatsdenken aus, da sie den Einzelnen „vollkommen dem Staatswillen unterordnet“446. Es ist kein Zufall, dass der Personalitätsgrundsatz während der nationalsozialistischen Zeit zum grundlegenden Anknüpfungspunkt des deutschen Internationalen Strafrechts wurde447. Des Weiteren ist anzumerken, dass die Ausdehnung der staatlichen Strafgewalt durch das (uneingeschränkte) aktive Personalitätsprinzip am Anfang des 19. Jahrhunderts ein Ausfluss absolutistischer Straftheorien war. Er war Ausdruck der Meinung, dass das Verbrechen ohne Rücksicht auf
441
Vgl. Ambos, in: MK-StGB2, Vor § 3 – 7, Rn. 28; Oehler, Internationales Strafrecht2, S. 456 f. 442 Ambos, in: MK-StGB2, Vor § 3 – 7, Rn. 28. 443 Oehler, Internationales Strafrecht2, S. 456 f.; Jescheck, IRuD 1956, S. 75 ff. (83); Vogler, in: FS-Maurach, 1972, S. 595 ff. (597); Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht7, S. 42 f.; Ambos, in: MK-StGB2, Vor § 3 – 7, Rn. 28; Schröder, JZ 23 (1968), S. 241 ff.; Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, Vor § 3 Rn. 232. 444 Jescheck, IRuD 1956, S. 75 ff. (80). 445 Ambos, in: MK-StGB2, Vor § 3 – 7, Rn. 28. 446 Ambos, in: MK-StGB2, Vor § 3 – 7, Rn. 29; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT5, S. 169. 447 s. die Geltungsbereichsverordnung v. 6. 5. 1940; vgl. auch Jescheck, IRuD 1956, S. 75 ff. (78 ff.).
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Zweckmäßigkeitserwägungen bestraft werden sollte448. Das heutige Strafrecht dient aber nicht als „blinde“ Antwort auf die Ungehorsamkeit des Bürgers, sondern stellt ein Mittel zum Schutz bestimmter Rechtsgüter dar449. Aus diesen Gründen ist davon auszugehen, dass das aktive Personalitätsprinzip als Anknüpfungspunkt des Internationalen Strafrechts auf einen anderen Gedanken gestützt werden muss. Als Grundlage wurden mehrere Gesichtspunkte vorgeschlagen450. Zum einen ist vertreten worden, dass das aktive Personalitätsprinzip auf eine internationale Solidarität der Staaten zurückzuführen ist, das heißt, dass jedes Land die Pflicht hat Auslandstaten von eigenen Staatsangehörigen zu bestrafen, da sie dadurch Rechtsgüter aller zivilisierten Rechtsstaaten verletzen. Der Täter werde in diesem Sinne für seine Auslandstat bestraft, weil er Rechtsgüter angegriffen hat, die von jeder rechtsstaatlichen öffentlichen Ordnung anerkannt und allen Menschen wichtig sind451. Der Gedanke der Solidarität der Staaten wird aber auch anders verstanden. Der eigene Staatsangehörige werde in seinem Heimatstaat bestraft, weil er für seine Auslandstat im fremden Staat nicht abgeurteilt worden ist oder die dort ausgesprochene Strafe nicht vollstreckt oder erlassen wurde. In diesem Sinne hat das aktive Personalitätsprinzip bloß eine subsidiäre Rolle gegenüber einer erfolgten Auslandsaburteilung. Es geht hier ausschließlich um den Rechtsfrieden des Tatortstaates. Der Täter wird verfolgt, weil er gegen das fremde Recht verstoßen hat und dafür nicht abgeurteilt wurde452. Ähnlich ist auch die Meinung, die das aktive Personalitätsprinzip als die Folge des Auslieferungsverbots eigener Staatsangehörigen betrachtet. In den meisten Staaten ist die Auslieferung eigener Staatsangehörigen untersagt. Ein im Ausland agierender Täter könnte also in seine Heimat zurückkehren und aufgrund des Auslieferungsverbots unbestraft bleiben. Ein Staat, der die Auslieferung eigener Staatsangehörigen verbietet, müsse diese Gefahr in Kauf nehmen und an Stelle des fremden Staates selber den Täter verfolgen453. In diesem Sinne ist das aktive Personalitätsprinzip ein besonderer Fall des Stellvertretungsprinzips. Schließlich wurden als Begründung auch reine innerstaatliche Interessen angebracht, nämlich die Gefahr, die für den Rechtsfrieden und die generalpräventiven Zwecken des heimischen Strafrechts entstehen könnte, wenn der eigene Staatsangehörige für seine Auslandstat unverfolgt bleiben würde454. Alle diese Meinungen setzen denknotwendig die Berücksichtigung des Tatortrechts voraus und 448
(597). 449
Oehler, in: FS-Mezger, 1954, S. 83 ff. (84 f.); Vogler, in: FS-Maurach, 1972, S. 595 ff.
Oehler, in: FS-Mezger, 1954, S. 83 ff. (96). Für eine Zusammenfassung s. Scholten, Das Erfordernis der Tatortstrafbarkeit in § 7 StGB, 1995, S. 108 ff. 451 Oehler, in: FS-Mezger, 1954, S. 83 ff. (98); s. auch Schröder, JZ 23 (1968), S. 241 ff. 452 Oehler, Internationales Strafrecht2, 1983, S. 142 f. und 458 f. 453 Jescheck/Weigend, Strafrecht AT5, S. 174 f.; Ambos, Internationales Strafrecht4, § 3 Rn. 40. 454 Forkel, Grenzüberschreitende Umweltbelastungen und deutsches Strafrecht, 1988, S. 139 ff. und insb. 145 ff.; Vogler, in: FS-Grützner, 1970, S. 149 ff. (157). 450
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führen aus diesem Grund zu der Annahme des „eingeschränkten“ aktiven Personalitätsprinzips. Die Annahme der einen oder der anderen Theorie als Grundlage des aktiven Personalitätsprinzips hängt von dem jeweiligen nationalen Recht ab und davon, wie das aktive Personalitätsprinzip in jedem Land zum Ausdruck kommt. In Deutschland werden die Auslandstaten von Deutschen nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB bestraft. Darüber, ob das tatsächlich auf das aktive Personalitätsprinzip455 oder (auch) auf den Grundsatz der stellvertretenden Strafrechtspflege456 zurückzuführen ist, besteht in der Literatur keine Einigkeit. Die Frage ist vor allem für die Bestimmung der Reichweite der Tatortnorm bei der Aburteilung der Tat in Deutschland von Bedeutung, z. B. ob die „fremden“ Strafrahmen bei der Strafzumessung berücksichtigt werden müssen oder nicht457. Die genaue Zuordnung der Vorschrift zu dem einen oder dem anderen Prinzip hat hier nicht so eine große Bedeutung. Wie bei der zuvor erwähnten Meinungsverschiedenheit über die Grundlagen des aktiven Personalitätsprinzips, ist es hier vielmehr wichtig festzustellen, aus welchem Grund der deutsche Staat die Auslandstaten der eigenen Staatsangehörigen verfolgen will und ob diese Verfolgung zwecks eigener oder fremder staatlicher Interessen erfolgt. Verfolgt Deutschland die eigenen Staatsbürger z. B. ausschließlich stellvertretend für den fremden Staat, da es nicht möglich ist sie auszuliefern, so bedeutet das, dass in Wirklichkeit kein staatliches Verfolgungsinteresse seitens Deutschlands besteht. Ist der deutsche Täter in diesem Fall in einem anderen Staat schon verfolgt und abgeurteilt worden (gemeint ist hier nicht nur der Tatortstaat, sondern jeder Staat, der aufgrund eines legitimierenden Anknüpfungspunkts vor Deutschland eingeschritten ist), so erscheint eine erneute Verfolgung in Deutschland aufgrund mangelnden Verfolgungsinteresses ungerechtfertigt. Die Begründung des aktiven Personalitätsprinzips auf den Gedanken der Aufrechterhaltung einer internationalen Ordnung trifft für das deutsche Recht nicht zu. Wenn das der Fall wäre, dann sollte die deutsche Strafgewalt durch das aktive Personalitätsprinzip nur auf bestimmte Taten erstreckt werden, über deren Qualifikation als Straftaten in der Völkergemeinschaft eine gewisse Einigkeit besteht. Mit § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB findet aber das gesamte deutsche Strafrecht auf Auslandstaten von Deutschen Anwendung, und nicht nur eine bestimmte Reihe international anerkannter Verbrechen. Darüber hinaus wird nicht darauf abgestellt, ob die fragliche Straftat ein gemeinsames Gut aller zivilisierten Staaten verletzt hat oder nicht, sondern nur ob sie auch am Tatort mit Strafe bedroht ist458. 455 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht7, S. 84; Eser, in: Schönke/ Schröder, StGB29, § 7 Rn. 1; Ambos, in: MK-StGB2, § 7 Rn. 1. 456 Jescheck/Weigend, Strafrecht AT5, S. 174 f.; Hoyer, in: SK-StGB, § 7 Rn. 3; Lackner/ Kühl, StGB28, § 7 Rn. 1; Böse, NK-StGB, Bd. 14, § 7 Rn. 11. 457 s. Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht7, S. 84; Bock, HRRS 2010, S. 92 ff. (93 ff.). 458 Scholten, Das Erfordernis der Tatortstrafbarkeit in § 7 StGB, 1995, S. 113.
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Sehr verbreitet ist die Anknüpfung des aktiven Personalitätsprinzips an das Auslieferungsverbot für eigene Staatsangehörige. Selbst Anhänger der Meinung, dass § 7 Abs. 1 Nr. 1 (1. Alt.) StGB nur auf das aktive Personalitätsprinzip und nicht auf das Stellvertretungsprinzip zurückzuführen ist, gehen von einem engen Verhältnis der Vorschrift zu dem Auslieferungsverbot des Art. 16 Abs. 2 GG aus459. Trotz dieses unbestreitbar engen Verhältnisses vermag jedoch das Auslieferungsverbot nicht als generelle Grundlage für das aktive Personalitätsprinzip zu dienen. Nach Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG ist die Auslieferung von Deutschen an Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie an internationale Gerichtshöfe ausnahmsweise möglich. Wenn das aktive Personalitätsprinzip von dem Auslieferungsverbot abhängen würde, müsste man davon ausgehen, dass es angesichts von Straftaten von Deutschen in anderen EU-Mitgliedstaaten nicht anwendbar ist, da für diese Fälle die Auslieferung möglich ist. Eine solche Meinung wird aber kaum vertreten. Überzeugender erscheint die Auffaussung, dass das aktive Personalitätsprinzip auf eine Art Solidarität der Staaten zu stützen sei, das heißt, auf den Gedanken, der Staat wolle nicht erlauben, dass eigene Staatsbürger, die für ihre Auslandstat nicht abgeurteilt wurden, unverfolgt bleiben460. Das Auslieferungsverbot spielt natürlich eine große Rolle, da es die Verfolgung im fremden Staat verhindern kann, stellt aber keine Voraussetzung für das Eingreifen des aktiven Personalitätsprinzips dar. Selbst wenn die Auslieferung eigener Staatsbürger möglich ist, die Verfolgung im fremden Staat jedoch aus anderen Gründen nicht erfolgt, bleibt es dem Heimatstaat verwehrt, die Auslandstat zu verfolgen. In diesem Sinne hat das aktive Personalitätsprinzip eine subsidiäre Rolle gegenüber der Auslandsaburteilung und trägt einfach dazu bei, dass der Täter nicht unverfolgt bleibt461. Folglich ist die Verfolgung eigener Staatsbürger, die in einem anderen Staat abgeurteilt wurden, mit den Grundlagen des aktiven Personalitätsprinzips unvereinbar. Wenn die Verfolgung auf das aktive Personalitätsprinzip gestützt wird, ergibt sich ein Verbot der erneuten Verfolgung schon aus dem Sinn des aktiven Personalitätsprinzips. Abgesehen davon ist aber eine erneute, auf das aktive Personalitätsprinzip gestützte Verfolgung auch aufgrund des mangelnden Verfolgungsinteresses ausgeschlossen. Es wurde richtig angemerkt462, dass mit dem aktiven Personalitätsprinzip ausschließlich fremde Rechtsgüter geschützt werden. § 7 Abs. 2 StGB erfasst nur Auslandstaten von Deutschen gegen Ausländer. Ist ein Deutscher von der Straftat betroffen, so erfolgt die Verfolgung aufgrund des § 7 Abs. 1 StGB (passives Personalitätsprinzip), der gegenüber § 7 Abs. 2 StGB als „lex specialis“ gilt, was aus dem Wortlaut des Abs. 2 zu entnehmen ist („für andere Taten“). Der Täter wird in 459 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht7, S. 42 f.; Eser, in: Schönke/ Schröder, StGB29, § 7 Rn. 16; Ambos, in: MK-StGB2, § 7 Rn. 1. 460 Oehler, Internationales Strafrecht2, 1983, S. 458 ff. 461 Oehler, Internationales Strafrecht2, 1983, S. 458. 462 Scholten, Das Erfordernis der Tatortstrafbarkeit in § 7 StGB, 1995, S. 113.
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seiner Heimat verfolgt, weil er mit seiner Tat den örtlichen Rechtsfrieden verletzt hat463. Das deutsche Verfolgungsinteresse erscheint in diesem Sinne als gering, ja inexistent. Trotzdem wird ebenso die Meinung vertreten, dass auch ein eigenes Interesse des Heimatstaats zur Verfolgung des Täters besteht. Durch das aktive Personalitätsprinzip soll auch verhindert werden, dass der Heimatstaat zum Asyl für Verbrecher wird464. Das Zusammenleben mit Tätern, die nicht abgeurteilt werden können, würde sich nachteilig auf die Schutz- und Friedensordnung des Rechts auswirken465. Zunächst muss in Bezug auf die Bedenken gegen die Anwesenheit eines Verbrechers in Deutschland angemerkt werden, dass in Wirklichkeit und aufgrund des Prinzips „in dubio pro reo“ nicht von Verbrechern die Rede sein kann, sondern bloß von Verdächtigen. Somit wird die Angst vor den Auswirkungen des Zusammenlebens mit „Verbrechern“ auf den deutschen Rechtsfrieden schon abgeschwächt. Die Frage ist nämlich nicht, ob der deutsche Staat z. B. einen Mörder oder Räuber freilassen wird, sondern ob das Schutzinteresse in einem solchen Fall genügt, um ein Strafverfahren gegen einen wegen einer bestimmten Tat Verdächtigen einzuleiten. Darüber hinaus verstößt diese Meinung meines Erachtens gegen den Charakter des deutschen Strafrechts als Tatstrafrecht. Im Mittelpunkt des deutschen Strafrechts steht die Tat. Jede Sanktion erfolgt als Antwort auf diese bestimmte Tat und nicht als Antwort auf den Charakter des Täters als Verbrecher466. Die Ausweitung der deutschen Strafgewalt auf der Basis des aktiven Personalitätsprinzips mit dem Ziel, dadurch die Gefahren auszuschließen, die sich aus dem Täter als Person und seiner Existenz innerhalb der deutschen Rechtsordnung ergeben können, entspricht einem Täterstrafrecht und ist aus diesem Grund mit dem modernen Strafrecht nicht vereinbar. Auch die Anknüpfung an die Auslandstat als Gefahr für die Normtreue und daher für die generalpräventiven Zwecke des Strafrechts im Inland467 ist unhaltbar. Denn, was die Auslandstat verursachen kann, ist vielleicht eine Missachtung der fremden Norm und der fremden Rechtsordnung. Die Nichtverfolgung des Täters wegen einer Auslandstat könnte höchstens die eigenen Staatsbürger dazu antreiben, ins Ausland zu gehen um Straftaten zu begehen. Eine Gefahr für die innere Friedensordnung besteht in diesem Sinne nicht. Generell erscheint die Verfolgung eigener Staatsinteressen durch das aktive Personalitätsprinzip als nicht mit dem Völkerrecht vereinbar. Denn die Erstreckung des inländischen Strafrechts zwecks eigener Interessen auf Auslandstaten von Deutschen, mit denen nur ausländische Rechtsgüter verletzt werden, würde bedeuten, dass dadurch bezweckt wird, den Menschen, die sich in 463
Oehler, Internationales Strafrecht2, 1983, S. 458. Oehler, Internationales Strafrecht2, 1983, S. 459. 465 Vogler, in: FS-Grützner, 1970, S. 149 ff. (157). 466 Vgl. Roxin, Strafrecht AT, Bd. 14, S. 178 ff.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT5, S. 54 f. 467 Forkel, Grenzüberschreitende Umweltbelastungen und deutsches Strafrecht, 1988, S. 145 ff. 464
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dem fremden Land aufhalten ein bestimmtes Verhalten vorzuschreiben. Das würde aber gegen den Nichteinmischungsgrundsatz verstoßen und ist folglich abzulehnen. Aus all diesen Gründen ist anzunehmen, dass beim aktiven Personalitätsprinzip die deutsche Verfolgung eine subsidiäre Rolle gegenüber der fremden Aburteilung hat. Das deutsche Interesse an der Verfolgung der Auslandstat ist im Allgemeinen gering, im Falle einer schon erfolgten Aburteilung im Ausland fehlt es sogar. Eine erneute Verfolgung in Deutschland aufgrund des aktiven Personalitätsprinzips erscheint aus diesem Grund als unverhältnismäßiger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen468. dd) Staatsschutzprinzip Durch das Staatsschutzprinzip (auch Realprinzip genannt469) wird die staatliche Strafgewalt auf alle Taten erstreckt, die sich gegen den Staat als solchen richten, unabhängig von der Nationalität des Täters oder dem Tatort. Hiermit wird der Schutz höherer staatlicher Interessen bezweckt. Völkerrechtlich ist das Prinzip weitgehend anerkannt470 und wird nur vereinzelt bestritten471. Die Beziehung des Täters zu der Strafgewalt des betroffenen Staates wird durch die Richtung seines Angriffs hergestellt472. Der legitimierende Anknüpfungspunkt liegt in diesem Sinne in der Natur der Rechtsgüter, die durch die Straftat des Täters verletzt werden473. Der zugrundeliegende Gedanke ist, dass es keinem Staat verwehrt sein kann, seine Existenz vor ebendiese bedrohende Angriffe zu schützen474. Mit dem Staatsschutzprinzip kommt das „Notwehrrecht“ des Staates zum Ausdruck475. 468 Gegen eine erneute Verfolgung aufgrund des aktiven Personalitätsprinzips auch Oehler, Internationales Strafrecht2, 1983, S. 458 f. und 463 f. 469 Für die Terminologie sowie die Geschichte des Prinzips s. Cameron, The protective principle of international criminal jurisdiction, 1994, S. 35 ff. 470 BVerfGE 92, S. 277 ff. (317 f.); Oehler, Internationales Strafrecht2, 1983, S. 367 ff.; Ambos, in: MK-StGB2, Vor §§ 3 – 7, Rn. 32; Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht nach der Reform, 1977, S. 78 f. und 104; Rosswog, Das Problem der Vereinbarkeit des aktiven und passiven Personalgrundsatzes mit dem Völkerrecht, 1965, S. 187 m.w.N. in der Fn. 328; Brownlie, Principles of public international law7, 2008, S. 304 f.; s. auch Harvard University, Draft Convention on jurisdiction with respect to crimes, AJIL 29 (1935) Suppl., S. 439 ff. (543 ff.). 471 Gegen das Recht eines Staates Auslandstaten von Ausländern zu bestrafen Jennings/ Watts, Oppenheim’s International Law, Bd. I9, 1996, S. 467 f.; vgl. auch in der Lotus-Entscheidung des IStGH die abweichende Meinung des Richters Finlay, PCIJ Series A Nr. 10, S. 50 ff. (56 ff.). 472 Jescheck/Weigend, AT5, S. 169. 473 Schultz, in: FS-Weber, 1963, S. 311; vgl. auch Traub, Das universelle Schutzprinzip und das Prinzip der identischen Norm als ein regulierender Faktor der staatlichen Strafkompetenz, 1913, S. 11. 474 Schultz, in: FS-Weber, 1963, S. 311; Ambos, in: MK-StGB2, Vor §§ 3 – 7, Rn. 32. 475 Ambos, in: MK-StGB2, Vor § 3 – 7, Rn. 33; vgl. auch Cameron, The protective principle of international criminal jurisdiction, 1994, S. 45 ff.
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Umstritten ist, ob das Staatsschutzprinzip die Erstreckung der Strafgewalt auf beliebig viele Rechtsgüter rechtfertigen kann, oder ob eine Begrenzung auf bestimmte, gravierende Angriffe notwendig ist. Diese Frage ist auch für den Umfang des transnationalen Doppelverfolgungsverbots relevant. Die Annahme der Meinung, dass durch dieses Prinzip jeder Staat dazu legitimiert wird, seinen Strafrechtsschutz auf alle Inlandsgüter zu erstrecken476 (Staatsschutzprinzip im weiten Sinne), würde zu einer grenzenlosen Erweiterung der staatlichen Strafgewalt führen, was als Verletzung des Nichteinmischungsgrundsatzes zu betrachten wäre477. Selbst wenn man das Schutzprinzip nur mit Rechtsgütern des Staates in Zusammenhang bringen möchte, während Rechtsgüter des Individuums ausgeschlossen wären, könnte das nicht zu einem konkreten, abgrenzbaren Anwendungsbereich des Prinzips führen478. Zu Recht wird also von vielen Autoren verlangt, dass die Tat sich gegen elementare, wesentliche Rechtsgüter des Staates richten muss479. Wenn durch das Staatsschutzprinzip ein Notwehrrecht des Staates zum Ausdruck kommt, muss diese Notwehr sich auf Angriffe beziehen, die den Staat in seinem Bestand gefährden können. Erfasst wird in diesem Sinne nur ein Kernbereich essenzieller Staatsinteressen, die mit der inneren und äußeren Sicherheit, der territorialen Integrität und der politischen Unabhängigkeit des Staates verbunden sind (sog. Staatsschutzprinzip im engeren Sinne). Als Beispiele sind die Spionage, der Hoch-, Friedens- oder Landesverrat, die staatsgefährdenden Gewalttaten des neuen § 89a StGB sowie Delikte gegen die staatliche Währung zu nennen, da dadurch die wirtschaftliche Stabilität und somit auch die Sicherheit eines Landes gefährdet werden kann480. Gemeinsames Merkmal dieser Straftaten ist, dass sie nicht nur Auswirkungen auf staatliche Rechtsgüter haben, sondern dass sie sich objektiv gegen den Staat als solchen, gegen Institutionen, die elementare Bestandteile des Staatsbegriffs darstellen, richten. Dazu gehören hingegen nicht Delikte wie der Meineid oder die Fälschung öffentlicher Urkunden. Ebenso wenig rechtfertigt das Staatsschutzprinzip eine Erweiterung der Strafgewalt zum Schutz von Geschäftsund Betriebsgeheimnissen481. 476
Eser, in: Schönke/Schröder, StGB29, Vor § 3 – 9, Rn. 7. Doehring, Völkerrecht2, 2004, S. 508; vgl. die Beispiele von Jessup, Transnational Law, 1956, S. 49 ff. 478 Vgl. Schroeder, NJW 1969, S. 81 ff. (82 f.). 479 Ambos, in: MK-StGB2, Vor § 3 – 7, Rn. 33; Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, Vor § 3 Rn. 227; Jescheck, IRuD 1956, 75 ff. (86); Rosswog, Das Problem der Vereinbarkeit des aktiven und passiven Personalgrundsatzes mit dem Völkerrecht, 1965, S. 187 f.; Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht nach der Reform, 1977, S. 78; Doehring, Völkerrecht2, 2004, S. 508; Cameron, The protective principle of international criminal jurisdiction, 1994, S. 32 ff., Vgl. auch Blakesley/Lagodny, in: Eser/Lagodny, Principles and procedures for a new transnational criminal law, 1992, S. 47 ff. (52), sowie BGHSt 30 (1982), S. 1 ff. (3), der unter dem Staatsschutzprinzip „den Schutz des Staates und wichtiger Rechtsgüter des Volkes“ versteht. 480 s. Oehler, Internationales Strafrecht2, 1983, S. 386. 481 A.A. Oehler, Internationales Strafrecht2, 1983, S. 387, der sowohl den Meineid als auch die Verletzung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen unter das Schutzprinzip zieht. 477
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Da das Staatsschutzprinzip nur auf solche elementare Rechtsgüter anzuwenden ist, muss gleichgültig sein, ob der Tatort eine entsprechende Tatortsnorm vorsieht oder ob der Täter In- oder Ausländer ist. Es ist zwar so, dass der Schutz solcher Rechtsgüter im Ausland, sei es wegen mangelnden Interesses oder sogar weil die Straftat gerade Interessen fremder Staaten dient (z. B. bei der Spionage), meistens nicht genügend gewährleistet werden kann482. Das ist jedoch keine Voraussetzung für die Geltung des Staatsschutzprinzips483. Selbst wenn ein fremder Staat bereit ist, solche Straftaten zu verfolgen, kann das nicht das Recht des betroffenen Staates beeinflussen, sich gegen Angriffe gegen sich selbst zu wehren. Die geeignete Reaktion auf solche gravierende Angriffe und somit der Schutz von essenziellen staatlichen Rechtsgütern bleibt immer eine Angelegenheit des betroffenen Staates484. Es wurde außerdem zutreffend angemerkt, dass jeder Staat in solchen Fällen nur seinem eigenen Strafverfahren genügendes Vertrauen entgegenbringen kann485. Aus der Natur der vom Staatsschutzprinzip erfassten Rechtsgüter sowie aus dem Ziel dieses Prinzips selbst ergibt sich ohne Weiteres ein intensives Interesse des betroffenen Staates an der Verfolgung von entsprechenden Straftaten. In diesen Fällen erscheint das Schutzinteresse des Staates so hoch, dass das Achtungsinteresse trotz vorheriger Aburteilung der Tat in einem anderen Staat einen erneuten Prozess nicht verhindern kann. Das gilt aber nur, soweit man dem Staatsschutzprinzip – wie zuvor erörtert – einen engen Anwendungsbereich zuschreibt, d. h. es betrifft nur das Staatsschutzprinzip i. e.S. Folgt man der Meinung, dass jeder Staat das Recht hat, seine Strafgewalt auf alle Inlandsgüter zu erstrecken, dann muss angesichts des transnationalen „ne bis in idem“ eine Differenzierung vorgenommen werden: Eine erneute Verfolgung wäre nur dann möglich, wenn die Straftat Rechtsgüter betreffen würde, die essenziell für die innere und äußere Sicherheit, die territoriale Integrität sowie generell die Existenz des Staates sind. Das deutsche Strafrecht macht in § 5 StGB vom Staatsschutzprinzip Gebrauch und erstreckt die deutsche Strafgewalt auf Auslandstaten gegen inländische Rechtsgüter. Auf eine identische Tatortsnorm wird hier verzichtet. Von den verschiedenen Auslandstaten, die in § 5 StGB erfasst sind, entsprechen die Straftaten der Nr. 1 – 5 den Merkmalen des Schutzprinzips i. e.S. (Vorbereitung eines Angriffskrieges, Hochverrat, Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates, Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit sowie Straftaten gegen die Landesvertei-
482 Vgl. Harvard University, Draft Convention on jurisdiction with respect to crimes, AJIL 29 (1935) Suppl., S. 439 ff. (552); Cameron, The protective principle of international criminal jurisdiction, 1994, S. 31. 483 So aber Jescheck, IRuD 1956, 75 ff. (86); Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, Vor § 3 Rn. 227; Böse, in: NK-StGB, Bd. 14, Vor § 3 Rn. 19. 484 Vogler, FS-Grützner, 1970, S. 155; Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht nach der Reform, 1977, S. 78; Nowakowski, JZ 20 (1971), S. 633 ff. (637). 485 Schroeder, NJW 1969, S. 81 ff. (83).
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digung)486. Somit werden staatliche Kerninteressen geschützt, welche den Verzicht auf die Nationalität des Täters und auch auf das Tatortrecht rechtfertigen. Bei diesen Straftaten muss dem deutschen Staat immer verwehrt bleiben, den Täter zu verfolgen, selbst wenn er für dieselbe Straftat schon im Ausland abgeurteilt worden ist. Die übrigen Delikte des § 5 StGB sind hingegen auf das Realprinzip i.w.S. zurückzuführen, in bestimmten Fällen auch in Verbindung mit dem passiven Personalitätsprinzip. Delikte wie die falsche uneidliche Aussage, der Meineid und die falsche Versicherung an Eides Statt (Nr. 10)487, die Verletzung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen eines deutschen Unternehmens (Nr. 7), die Verschleppung und die politische Verdächtigung (Nr. 6), die Abgeordnetenbestechung (Nr. 14a), der Organhandel (Nr. 15), der unerlaubte Umgang mit radioaktiven Stoffen (Nr. 11a) sowie Straftaten gegen die Umwelt (Nr. 11) betreffen, wie letztendlich jede Straftat, staatliche Interessen, können aber nicht als Angriffe gegen den Staat als solchen angesehen werden. Das Gleiche gilt noch deutlicher für die anderen Straftaten, wie z. B. den Schwangerschaftsabbruch (Nr. 9), die Entziehung eines Kindes (Nr. 6a), oder die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (Nr. 8). In diesen Fällen ist, zumindest aus der Sicht des Realprinzips, nicht von einem so hohen Schutzinteresse auszugehen, dass es eine erneute Verfolgung rechtfertigen könnte. ee) Passives Personalitätsprinzip Das passive Personalitätsprinzip knüpft an die Staatsangehörigkeit des Opfers an. Dadurch wird die staatliche Strafgewalt auf Auslandstaten gegen eigene Staatsangehörige erstreckt. Oft wird das passive Personalitätsprinzip mit dem zuvor erwähnten Staatsschutzprinzip in Zusammenhang gebracht, und zwar in dem Sinne, dass beide Prinzipien auf das allgemeine Schutzprinzip zurückzuführen sind, da sie die Gesamtheit der im Inland und den Inländern gehörenden Güter schützen488. Als Grundlage zur Erstreckung der Strafgewalt auf ausländische Straftaten gegen Inländer gilt die als Korrelat zur Treuepflicht des Bürgers angesehene Schutzpflicht des Staates gegenüber seinem Staatsangehörigen489 in Verbindung mit dem Misstrauen 486 Ausführlich zu der Beziehung zwischen den in § 5 StGB enthaltenen Delikten und den verschiedenen Anknüpfungsprinzipien Ambos, in: MK-StGB2, § 5 Rn. 13 ff.; Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, Vor § 5 Rn. 75 ff.; Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht nach der Reform, 1977, S. 108 ff.; s. auch Böse, in: NK-StGB, Bd. 14, § 5 Rn. 7 ff. 487 A.A. Ambos, Internationales Strafrecht4, § 3 Rn. 84, der auch die Delikte des § 5 Nr. 10 dem Realprinzip i. e.S. zuordnet. 488 Wendt, Das passive Personalitätsprinzip, 1965, S. 22 f.; Werle/Jeßberger, in: LKStGB12, Vor § 3 Rn. 228; Ambos, in: MK-StGB2, Vor §§ 3 – 7, Rn. 31; Eser, in: Schönke/ Schröder, StGB29, Vor § 3 – 9, Rn. 7; Gegen die Verbindung der zwei Prinzipien Jescheck, IRuD 1956, 75 ff. (86); Henrich, Das passive Personalitätsprinzip im deutschen Strafrecht, 1994, S. 31 f. 489 s. Weber, in: Wolff, Beiträge zum öffentlichen Recht, 1950, S. 122 ff. (127 f.) m.w.N.; Eser, in: FG-BGH, Bd. IV, 2000, S. 3 ff. (25); vgl. auch Ambos, in: MK-StGB2, Vor §§ 3 – 7, Rn. 37, der das passive Personalitätsprinzip auf die Pflicht des Staates zum (diplomatischen) Schutz der eigenen Staatsangehörigen stützt.
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gegenüber fremden Rechtsordnungen und dem (möglicherweise mangelnden) Schutz, den sie für ausländische Bürger gewähren. Der Staat sorgt aufgrund dieses Misstrauens selbst dafür, dass seine Staatsangehörigen auch im Ausland genügend geschützt werden, indem er seine Strafgewalt entsprechend ausdehnt490. Wie bei dem aktiven Personalitätsprinzip wird auch hier zwischen absolutem und eingeschränktem passivem Personalitätsprinzip unterschieden, je nachdem ob die Tat am Tatort unter Strafe steht (lex loci). Aus völkerrechtlicher Sicht genießt das passive Personalitätsprinzip die geringste Anerkennung. Es gilt als der umstrittenste und am wenigsten begründete Anknüpfungspunkt491. Die meiste Kritik konzentriert sich auf das absolute passive Personalitätsprinzip492. Ihm wird zurecht vorgeworfen, dass durch die allein auf der Nationalität des Opfers beruhende und ohne Berücksichtigung des Tatortrechts erfolgende Ausdehnung des nationalen Strafrechts auf Auslandstaten von Ausländern in Wirklichkeit verlangt wird, dass die Ausländer selbst in ihrem eigenen Land die Regeln eines fremden Staates (nämlich die des möglichen Opfers) berücksichtigen und sich diesen Regeln entsprechend verhalten müssen. Dadurch werden die Verhaltensnormen des inländischen Strafrechts auf jede Rechtsordnung erstreckt, in der sich eigene Staatsangehörige aufhalten, was mit der Verwirklichung der Ordnung des Tatortstaates kollidieren kann493. Die Unvereinbarkeit des Prinzips mit dem Nichteinmischungsgrundsatz ist in dieser Hinsicht offensichtlich. Auch individualrechtliche Argumente sowie Gerechtigkeitserwägungen sind gegen das absolute passive Personalitätsprinzip erhoben worden. Der Täter kann meistens nicht von vornherein wissen, ob das Opfer In- oder Ausländer ist. Er wird, ohne sein Wissen, einer fremden Rechtsordnung unterworfen, was auch mit dem Schuldgrundsatz nicht zu vereinbaren ist494. Zu Recht muss man aus diesen Gründen davon ausgehen, dass das absolute passive Personalitätsprinzip völkerrechtswidrig ist. Aber auch das eingeschränkte passive Personalitätsprinzip, obgleich von vielen Autoren als völker490 Schultz, in: FS-Weber, 1963, S. 312; Oehler, Internationales Strafrecht2, 1983, S. 134 und 421; Scholten, Das Erfordernis der Tatortstrafbarkeit in § 7 StGB, 1995, S. 39 f.; Cassese, International Criminal Law2, S. 337 (Fn. 3). 491 s. Harvard University, Draft Convention on jurisdiction with respect to crimes, AJIL 29 (1935) Suppl., S. 439 ff. (579), Brownlie, Public International Law7, 2008, S. 304; Watson, Texas ILJ 28 (1993), s. 1 ff.; Cryer/Friman/Robinson/Wilmshurst, An introduction to international criminal law and procedure, 2009, S. 42; Kunig/Uerpmann, Jura 1994, S. 186 ff. (193); Oxman, in: EPIL, Bd. 3, 1997, Jurisdiction of States, S. 55 ff. (58). 492 Im Gegensatz zur h.M. plädieren für das absolute Personalitätsprinzip Henrich, Das passive Personalitätsprinzip im deutschen Strafrecht, 1994, S. 189 ff. und 194; Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, Vor § 3 Rn. 230; Cassese, International Criminal Law2, S. 337 (Fn. 3). 493 Rosswog, Das Problem der Vereinbarkeit des aktiven und passiven Personalgrundsatzes mit dem Völkerrecht, 1965, S. 179 f.; Wendt, Das passive Personalitätsprinzip, 1965, S. 45; Ambos, in: MK-StGB2, Vor §§ 3 – 7, Rn. 36; vgl. auch in der Lotus-Entscheidung des IStGH die abweichende Meinung vom Richter Moore, PCIJ Series A Nr. 10, S. 65 ff. (92). 494 Ambos, in: MK-StGB2, Vor §§ 3 – 7, Rn. 35; Eser, in: FS-Jescheck, 1985, S. 1371; vgl. auch Plutte, Zum Umfang der nach § 7 StGB erforderlichen Prüfung ausländischen Strafrechts, 1982, S. 41 ff.
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rechtskonform angesehen495, ist nicht unkritisiert geblieben. Als Hauptargument wird die Tatsache angebracht, dass dadurch Jurisdiktionskonflikte provoziert werden496. Das deutsche Strafrecht macht im § 7 Abs. 1 StGB vom eingeschränkten passiven Personalitätsprinzip Gebrauch. Folgt man der Meinung, dass die Vorschrift völkerrechtskonform ist, bleibt angesichts der Geltung eines transnationalen Doppelverfolgungsverbots fraglich, wie hoch das deutsche Schutzinteresse im Falle einer Auslandstat eines Ausländers gegen einen Deutschen ist. Zunächst ist anzumerken, dass die strafrechtliche Schutzpflicht des Staates gegenüber seinen Bürgern, die, wie schon oben erwähnt, als Grundlage des passiven Personalitätsprinzips angesehen wird, nicht einen Selbstzweck darstellt, sondern auch der Erreichung der allgemeinen Strafzwecke dienen muss. § 7 Abs. 1 StGB darf nicht in dem Sinne verstanden werden, dass er es dem deutschen Strafrecht ermöglicht, eine gerechte Antwort in Bezug auf die ausländische Straftat zu geben. Das würde einem überholten, an absoluten Zwecken orientierten Strafrecht entsprechen497. Die Verfolgung des Täters auf der Basis des § 7 Abs. 1 StGB soll wie das gesamte Strafrecht der Spezial- und Generalprävention dienen. Die Erstreckung des deutschen Strafrechts auf Auslandstaten von Ausländern lässt sich aber meines Erachtens wenig mit dem negativen Aspekt der Generalprävention einigen498. Denn es ist sehr zweifelhaft, ob eine im deutschen Strafrecht vorgesehene Strafe, die durch § 7 Abs. 1 StGB auf ausländische Straftaten angewandt werden soll, die Menschen, die einer fremden Rechtsordnung unterworfenen sind, von dem Verstoß gegen die entsprechende deutsche Strafrechtsnorm abhalten kann. Gegen diese Zweifel kann nicht das Erfordernis einer identischen Tatortnorm eingewandt werden, in dem Sinne, dass diese Norm und nicht die deutsche den Ausländer von der Begehung der fraglichen Straftat abhalten soll, denn auch unter der Voraussetzung der „lex loci“ gilt als Grundlage für die Bestrafung des Täters durch § 7 Abs. 1 StGB das deutsche und nicht das Tatortrecht. Selbst dann erfolgt nämlich die Verfolgung aufgrund des Verstoßes gegen die deutsche und nicht die fremde Vorschrift. Des Weiteren kann man davon ausgehen, dass das Interesse des deutschen Staates an die Resozialisierung eines Täters, dessen alleiniger Bezugspunkt zu Deutschland die Nationalität seines Opfers ist, gering ist. Im Allgemeinen kann es keine Zweifel daran geben, dass beim passiven Personalitätsprinzip und dem § 7 Abs. 1 StGB sowohl der Täter als auch die Straftat an sich einen sehr schwachen Bezug zur deutschen Rechtsordnung aufweisen, sodass das 495 Vgl. z. B. Ambos, in: MK-StGB2, Vor §§ 3 – 7, Rn. 37; Oehler, Internationales Strafrecht2, 1983, S. 421; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts AT5, S. 169 f.; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht7, S. 44. 496 Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht nach der Reform, 1977, S. 78; MendelssohnBartholdy, in: Aschrott, Reform des Strafrechts, 1926, Abschnitt 1, S. 41 ff. 497 Wendt, Das passive Personalitätsprinzip, 1965, S. 31; vgl. auch Henrich, Das passive Personalitätsprinzip im deutschen Strafrecht, 1994, S. 64 f. 498 s. dazu Scholten, Das Erfordernis der Tatortstrafbarkeit in § 7 StGB, 1995, S. 101 ff.
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deutsche Interesse an die Aburteilung der Tat sehr niedrig erscheint499. Die völkerrechtlichen Bedenken gegen das passive Personalitätsprinzip bestätigen diese Ansicht, selbst wenn sie nicht bis zur Völkerrechtswidrigkeit dieses Prinzips zu führen vermögen. Aus diesem Grund ist festzuhalten, dass, wenn der Täter für seine Tat schon im Ausland abgeurteilt wurde, eine neue auf § 7 Abs. 1 gestützte Verfolgung in Deutschland als unverhältnismäßig anzusehen wäre500. ff) Von deutschen Amtsträgern sowie gegen sie begangene Delikte Eine Besonderheit weisen die von deutschen Amtsträgern sowie gegen sie begangenen Delikte im Ausland auf, da diese Personen in einem besonderen Verhältnis zum deutschen Staat stehen. Umstritten ist, unter welches Prinzip des internationalen Strafrechts die Verfolgung solcher Straftaten einzuordnen ist oder ob sie aufgrund eines besonderen, von den anderen Prinzipien unabhängigen Anknüpfungspunkts erfolgt. Was die von Amtsträgern begangenen Delikte anbelangt, ist eine Beziehung zum aktiven Personalitätsprinzip offensichtlich. Jedoch knüpft das aktive Personalitätsprinzip, wie schon oben erörtert, an die Nationalität des Täters an. Aber die Erweiterung des Geltungsbereichs des nationalen Strafrechts auf Straftaten von Amtsträgern wird oft unabhängig davon gemacht, ob der Täter Staatsangehöriger des beauftragenden Staates war oder nicht501. In diesem Sinne kann also das aktive Personalitätsprinzip eine solche Erweiterung nicht in vollem Umfang rechtfertigen502. Trotzdem ist eine Anknüpfung an das aktive Personalitätsprinzip möglich, wenn letzteres einfach als ein Prinzip angesehen wird, nach dem für die Ausdehnung des nationalen Strafrechts nicht unbedingt auf die Nationalität, sondern generell auf eine persönliche Eigenschaft des Täters abgestellt wird, die eine besondere Beziehung zu dem betroffenen Staat impliziert. Dieser Bezugspunkt kann hier im Dienstverhältnis zwischen Amtsträger und beauftragendem Staat gesehen werden. Nach dieser Sichtweise könnte die Ausdehnung des Geltungsbereichs des nationalen Strafrechts auf Delikte von eigenen Amtsträgern als eine besondere Erscheinungsform des aktiven Personalitätsprinzips betrachtet werden503. Ein Teil der Literatur sieht diese Ausdehnung hingegen als einen Ausfluss des Schutzprinzips an. Da oft nicht nur Delikte von Amtsträgern erfasst werden, die einen gewissen Bezug zum öffentlichen Dienst haben, sondern auch Straftaten, die lediglich während des dienstlichen Aufenthalts des Amtsträgers im Ausland stattge499
So auch Ambos, in: MK-StGB2, Vor §§ 3 – 7, Rn. 35; vgl. Oehler, Internationales Strafrecht2, 1983, S. 135. 500 Vgl. auch Watson, Texas ILJ 28 (1993), S. 1 ff. (3). 501 Vgl. § 5 Nr. 13 StGB. 502 So auch Schmitz Alexandra, Das aktive Personalitätsprinzip im Internationalen Strafrecht, 2002, S. 207. 503 Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, § 5 Rn. 199; Hoyer, in: SK-StGB, § 5 Rn. 28 f.
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funden haben, wird nicht nur die Staatsverwaltung oder die Amtsführung als geschützt angesehen, sondern vor allem das Ansehen des Entsendestaates, das durch das rechtswidrige Verhalten seiner „Repräsentanten“ negativ beeinträchtigt werden könnte504. Schließlich wird auch die Meinung vertreten, dass die Erweiterung des Geltungsbereichs des nationalen Strafrechts auf Straftaten der eigenen Amtsträger weder auf das aktive Personalitätsprinzip noch auf das Schutzprinzip zurückzuführen ist. Grund für diese Erweiterung sei die Durchsetzung einer Sonderpflicht, der der Amtsträger auch im Ausland unterliege und die besage, dass er in Ausübung seines Amtes oder im Hinblick auf sein Amt keine Straftaten begehen dürfe505. Die Unterscheidung dieser Theorie von den anderen beiden, die das Schutzprinzip oder das aktive Personalitätsprinzip als Grundlage akzeptieren, bleibt meines Erachtens unklar. Wenn die Ausdehnung des Strafrechts auf Straftaten von deutschen Amtsträgern nur aufgrund einer (Sonder-)Pflicht des Amtsträgers erfolgen und kein weiteres Ziel verfolgen würde, dann entspräche das dem Sinn des zuvor erwähnten „sui generis“ aktiven Personalitätsprinzips, welches gerade aus dem Dienstverhältnis des Amtsträgers (und nicht aus seiner Staatsangehörigkeit) eine Treuepflicht des Letzteren gegenüber dem Staat annimmt. Wenn diese Sonderpflicht hingegen dem Schutz eines besonderen staatlichen Rechtsguts, wie z. B. der gesunden Amtsfunktion oder dem Ansehen des Staates, dienen sollte (was auch richtiger ist), wäre das als eine besondere Erscheinungsform des Schutzprinzips zu verstehen506. Das deutsche Strafrecht erstreckt seinen Geltungsbereich durch § 5 Nr. 12 StGB auf Auslandstaten von deutschen Amtsträgern mit deutscher Staatsangehörigkeit, bzw. durch § 5 Nr. 13 StGB auf Taten von Amtsträgern mit ausländischer Staatsangehörigkeit. Als Grundlage werden die zuvor erörterten Meinungen vertreten507, oft auch in einer Kombination, je nachdem, ob der Amtsträger ein Deutscher ist oder nicht, oder ob die erfassten Straftaten in einem inneren Zusammenhang mit dem Dienst stehen oder nicht. So wird § 5 Nr. 12 StGB (Auslandstaten deutscher Amtsträger) grundsätzlich als Ausfluss des aktiven Personalitätsprinzips und, solange es um Straftaten geht, die im Zusammenhang mit dem Dienst stehen, auch des Schutzprinzips betrachtet508, während § 5 Nr. 13 StGB (Straftaten von Ausländern, 504
Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht nach der Reform, 1977, S. 123 f.; Schmitz Alexandra, Das aktive Personalitätsprinzip im Internationalen Strafrecht, 2002, S. 207; vgl. auch Böse, in: NK-StGB, Bd. 14, § 5 Rn. 16 f. 505 Oehler, Internationales Strafrecht2, 1983, S. 402; gleicher Meinung, jedoch ohne nähere Begründung, Welzel, Das deutsche Strafrecht11, 1969, S. 27. 506 Vgl. auch Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht nach der Reform, 1977, S. 123 f., der auch in der Sonderpflicht des Amtsträgers eine Erscheinungsform des Schutzprinzips sieht. 507 Für die Einordnung beider Vorschriften (§ 5 Nr. 12 und Nr. 13 StGB) unter das aktive Personalitätsprinzip Hoyer, in: SK-StGB, § 5 Rn. 28 f.; Eser, in: Schönke/Schröder, StGB29, § 5 Rn. 20. 508 Ambos, in: MK-StGB2, § 5 Rn. 34; Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, § 5 Rn. 185 ff.; vgl. auch Fischer, StGB63, § 5 Rn. 12 f.
IV. Abwägung beim transnationalen „ne bis in idem“
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die als deutsche Amtsträger im Ausland tätig sind) jedoch ausschließlich entweder auf dem aktiven Personalitätsprinzip509 oder, einer anderen Auffassung nach, auf dem Schutzprinzip510 basieren soll. Es muss angemerkt werden, dass das aktive Personalitätsprinzip in seiner absoluten Form gemeint ist, da die Ausdehnung in diesem Fall ohne das Erfordernis einer identischen Tatortnorm erfolgt. Gleichgültig welches Prinzip als Grundlage für die Ausdehnung des Strafrechts auf Auslandstaten von deutschen Amtsträgern angenommen wird, ist in jedem Fall von einem geringen Verfolgungsinteresse auszugehen. Für den Fall des (absoluten) aktiven Personalitätsprinzips kann konkreter auf die zuvor dargestellte Argumentation verwiesen werden, vor allem aber auch auf die völkerrechtlichen Bedenken dagegen511. Insofern man die Grundlage der betreffenden Vorschriften im Schutzprinzip sieht, kann nur das Schutzprinzip i.w.S. gemeint sein. Es werden Straftaten verfolgt, welche zwar die amtliche Funktion und in dieser Hinsicht auch staatliche Rechtsgüter verletzen oder in Gefahr bringen, sich aber nicht unbedingt gegen staatliche Kerninteressen richten. Wenn die Straftat des deutschen Amtsträgers wesentliche, elementare staatliche Rechtsgüter in dem weiter oben erörterten Sinne berührt (z. B. wenn ein Konsul Staatsgeheimnisse im Sinne des § 93 StGB illegal veröffentlicht oder weitergibt), erfolgt seine Verfolgung in Deutschland allerdings nicht nach § 5 Nr. 12 oder 13 StGB, d. h. nicht weil er eine Straftat als deutscher Amtsträger begangen hat, sondern nach § 5 Nr. 1 – 5 StGB. Nur in diesem Fall wäre eine erneute Verfolgung trotz vorheriger ausländischer Aburteilung der Tat möglich. Mutatis mutandis sind die Überlegungen zu den Auslandstaten von deutschen Amtsträgern auf die umgekehrte Konstellation, nämlich auf die ausländischen Straftaten gegen sie zu übertragen (§ 5 Nr. 14 StGB). Während auch die Meinung vertreten wird, dass diese Ausdehnung auf das (absolute) passive Personalitätsprinzip zu stützen sei512, sieht die herrschende Auffassung hier einen Ausfluss des Schutzprinzips513. Solange die Amtsträger als „Repräsentanten“ des Entsendestaates angesehen werden, sollen die Straftaten gegen sie auch die Integrität dieses Staates verletzen oder zumindest gefährden514. Obwohl man daher den Schluss ziehen könnte, dass hier das Schutzprinzip i. e.S. gemeint ist und somit von einem hohen Schutzinteresse auszugehen ist, ist diese Formulierung übertrieben, denn z. B. ein Diebstahl von persönlichen Sachen des Amtsträgers während seines Dienstes kann nicht als Verletzung der Integrität des Entsendestaates angesehen werden. Das entscheidende Kriterium für die Annahme, dass die Verfolgung einer Straftat nach 509
Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, § 5 Rn. 199. Ambos, in: MK-StGB2, § 5 Rn. 36. 511 s. weiter oben, B.IV.3.a)cc). 512 Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, § 5 Rn. 205; Hoyer, in: SK-StGB, § 5 Rn. 31. 513 Dafür Ambos, in: MK-StGB2, § 5 Rn. 37; Henrich, Das passive Personalitätsprinzip im deutschen Strafrecht, 1994, S. 43; Oehler, Internationales Strafrecht2, 1983, S. 388; Eser, in: Schönke/Schröder, StGB29, § 5 Rn. 21; Böse, in: NK-StGB, Bd. 14, § 5 Rn. 18. 514 Ambos, in: MK-StGB2, § 5 Rn. 37; Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht nach der Reform, 1977, S. 125. 510
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dem Schutzprinzip i. e.S. erfolgt, kann nicht alleinig die Eigenschaft des Opfers als Amtsträger des deutschen Staates sein. Dieser Fall wäre höchstens als Erscheinungsform des Schutzprinzips i.w.S. zu betrachten. Nur falls die Straftat an sich eine im zuvor erörterten Sinne gravierende Verletzung von elementaren Interessen des Entsendestaates zur Folge hätte (§ 5 Nr. 1 – 5 StGB), könnte man von einem hohen Verfolgungsinteresse des Staates ausgehen, sodass auch eine erneute Verfolgung im Entsendestaat trotz vorheriger Aburteilung der Tat im Ausland gerechtfertigt wäre. Die bloße Tatsache, dass die Straftat gegen einen deutschen Amtsträger gerichtet war, kann keine erneute Verfolgung rechtfertigen, wenn der Täter im Ausland schon abgeurteilt worden ist. gg) Stellvertretende Strafrechtspflege Nach dem Grundsatz der stellvertretenden Strafrechtspflege können Auslandstaten von Ausländern gegen Ausländer verfolgt werden, wenn die Auslieferung des Täters in den eigentlich zuständigen Staat aus rechtlichen oder faktischen Gründen ausgeschlossen ist. Der Ergreifungsstaat agiert in diesem Falle nicht aus eigenem Verfolgungsinteresse, sondern stellvertretend für den Staat, in den die Auslieferung nicht möglich ist. Somit werden Verfolgungslücken gefüllt, die aufgrund der Nichtauslieferung und mangels eines sonstigen Anknüpfungspunkts des Staates, in dem sich der Täter aufhält, zur Straflosigkeit führen könnten. Als Grundlage für das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege gilt die internationale Solidarität der Staaten bei der Verbrechensbekämpfung im Interesse eines weltweiten Schutzes der Rechtsgüter515. Der Grundsatz wird oft an die von Hugo Grotius formulierte Regel „aut dedere aut punire“ angeknüpft516. Der die Auslieferung ersuchende Staat muss nicht unbedingt der Tatortstaat sein. Stellvertretend kann der Ergreifungsstaat auch für Länder agieren, die aufgrund von anderen Prinzipien, wie z. B. das passive Personalitätsprinzip, das Schutzprinzip oder das aktive Personalitätsprinzip, ein Verfolgungsinteresse haben517. Weil die Verfolgung im Aufenthaltsstaat nur davon abhängt, ob der vertretene Staat durch die Nichtauslieferung an der Durchsetzung seines Strafrechts gehindert wird, spricht man von der Subsidiarität des Stellvertretungsprinzips gegenüber der Auslieferung. Umstritten ist, ob diese Subsidiarität für die Anwendung des Prinzips der stellvertretenden Strafrechtspflege genügt, ob nämlich allein die Nichtauslieferung des Täters eine Strafverfolgung im Aufenthaltsstaat begründen kann, oder ob 515 Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht nach der Reform, 1977, S. 85; Oehler, Internationales Strafrecht2, 1983, S. 145; Pappas, Stellvertretende Strafrechtspflege, 1996, S. 11 f.; Eser, in: FS-Jescheck, Bd. 2, 1985, S. 1353 (1374). 516 s. z. B. Pappas, Stellvertretende Strafrechtspflege, 1996, S. 103 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht4, § Rn. 117. 517 Oehler, Internationales Strafrecht2, 1983, S. 510; Henrich, Das passive Personalitätsprinzip im deutscher Strafrecht, 1994, S. 38 (Fn. 10); s. auch Ambos, Internationales Strafrecht4, § 3 Rn. 116, der auch den Heimatstaat erwähnt.
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darüber hinaus der ausdrückliche Wille des vertretenen Staates nötig ist. Da durch das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege ausschließlich Interessen des vertretenen Staates verfolgt werden, würde die Verfolgung eines Täters wider den Willen des eigentlich zuständigen Staates einen Verstoß gegen den Nichteinmischungsgrundsatz darstellen. Zu Recht wird daher oft ein ausdrückliches Einverständnis des eigentlich berechtigten Staates verlangt. Selbst eine identische Tatortnorm reicht nicht, um den Verfolgungswillen des vertretenen Staates zu bejahen518. In diesem Sinne ähnelt die stellvertretende Strafrechtspflege der Rechtshilfe und wird deswegen eher dem „Kooperationsmodell“ als dem nationalen Strafanwendungsrecht zugerechnet519. In Deutschland dient das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege als Grundlage für § 7 Abs. 2 S. 2 StGB, nach dem das deutsche Strafrecht auf Auslandstaten von Ausländern angewendet werden kann, wenn der Täter in Deutschland betroffen und nicht ausgeliefert wird520. Aus der Natur des Prinzips der stellvertretenden Strafrechtspflege wird in der Literatur ein transnationales Doppelverfolgungsverbot in Bezug auf Entscheidungen des Tatortstaates weitgehend anerkannt. Da die Verfolgung des Täters im Namen des Tatortstaates erfolgt und sie ausschließlich dem fremden Verfolgungsinteresse dient, sei es logisch, dass eine Erledigungsentscheidung des Tatortstaates berücksichtigt werden müsse und somit ein erneuter Prozess im Ergreifungsstaat ausgeschlossen sei521. Das ergebe sich schon aus der Subsidiarität des Stellvertretungsprinzips. Aus dem gleichen Grund müsse auch umgekehrt die Entscheidung des Ergreifungsstaates eine erledigende Wirkung für den Tatortstaat haben522. Diese Meinung ist natürlich richtig, gibt aber keine Antwort auf die Frage der Geltung des transnationalen „ne bis in idem“, wenn die zwei Staaten, nämlich der, in dem der Täter abgeurteilt wurde, und der vom Ergreifungsstaat vertretene Staat, nicht identisch sind. Das ist z. B. der Fall, wenn der Täter in seinem Heimatstaat auf Basis des aktiven Personalitäts518 So Henrich, Das passive Personalitätsprinzip im deutscher Strafrecht, 1994, S. 97 f.; Ambos, Internationales Strafrecht4, § 3 Rn. 116; Ambos, in: MK-StGB2, § 7 Rn. 30; Pappas, Stellvertretende Strafrechtspflege, 1996, S. 95 ff. und vor allem S. 98 f.; vgl. auch Eser, JZ 48 (1993), S. 875 (883); Oehler, Internationales Strafrecht2, 1983, S. 509, anders jedoch auf S. 506. A.A. Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, Vor § 3 Rn. 249. 519 Henrich, Das passive Personalitätsprinzip im deutschen Strafrecht, 1994, S. 99 f.; Ambos, Internationales Strafrecht4, § 3 Rn. 116. 520 s. beispielsweise Ambos, Internationales Strafrecht4, § 3 Rn. 119 ff.; Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, § 7 Rn. 5; BGH StV 2001, S. 504 f. (505); Kritisch Schmitz Roland, in: FSGrünwald, 1999, S. 619 ff. (630 f.); Scholten, NStZ 1994, S. 266 ff. (268 ff.); Pappas, Stellvertretende Strafrechtspflege, 1996, S. 66. 521 s. Ambos, Internationales Strafrecht4, § 3 Rn. 120; Pappas, Stellvertretende Strafrechtspflege, 1996, S. 11; Für die Berücksichtigung von Verfahrenshindernissen und in diesem Sinne auch von einer vorherigen Entscheidung des Tatortstaates Eser, JZ 48 (1993), S. 875 ff. (876 ff.); Schmitz, Roland, in: FS-Grünwald, 1999, S. 619 ff. (630 f.); Hoyer, SK-StGB, § 7 Rn. 5. 522 So ausdrücklich Lemke, AK-StGB, 1990, Vor § 3 Rn. 11.
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prinzips verfolgt und freigesprochen wurde, ein anderer Staat seine Verfolgung aufgrund des Territorialitäts- oder des passiven Personalitätsprinzips beansprucht und er in einem dritten Staat, der keinen Anknüpfungspunkt zu der Tat hat, festgenommen wird und gleichzeitig nicht ausgeliefert werden kann. Die Frage ist also allgemeiner formuliert, ob der Ergreifungsstaat nur Entscheidungen des von ihm vertretenen Staates berücksichtigen muss, oder ob vorherige Aburteilungen anderer Staaten eine erneute Verfolgung auf jeden Fall ausschließen. Aus dem hier vertretenen Lösungsansatz, nach dem eine erneute Verfolgung von dem Schutzinteresse des jeweils (zweit-)verfolgenden Staates abhängig gemacht wird, kann man den Schluss ziehen, dass der Ergreifungsstaat stellvertretend handelt und daher nur ein geringes (wenn nicht gar kein) Verfolgungsinteresse hat523 eine erneute Verfolgung auf Basis des Stellvertretungsprinzips in jedem Fall ausgeschlossen ist524. Trotzdem könnte man hier einwenden, dass das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege sich von den übrigen Anknüpfungsprinzipien in der Hinsicht differenziert, dass es „keinen eigenen Anknüpfungspunkt im strafanwendungsrechtlichen Sinne vermittelt“525. Da die Verfolgung hier im Interesse des vertretenen Staates erfolge, wäre für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer erneuten Verfolgung das Schutzinteresse dieses Staates maßgeblich. Deswegen wäre dieser Meinung nach wiederum auf das Anknüpfungsprinzip zu verweisen, auf das der vertretene Staat sein Verfolgungsinteresse stützt. Würde z. B. der Ergreifungsstaat den Tatortstaat vertreten, wäre eine vorherige Aburteilung derselben Tat in einem dritten Land aufgrund des schon oben angenommenen hohen Schutzinteresses bei dem Territorialitätsprinzip unbeachtlich. Sollte der Ergreifungsstaat hingegen im Namen des Heimatstaates des Opfers agieren, d. h. im Ergebnis auf Basis des passiven Personalitätsprinzips, wäre eine erneute Verfolgung als unverhältnismäßig anzusehen. Eine solche Meinung stellt jedoch meines Erachtens das Ergebnis einer einseitigen Betrachtungsweise dar. Sobald ein Staat sich auf die internationale Solidarität beruft, um eine Person zu verfolgen, muss er die gesamte internationale Lage berücksichtigen. Er darf nicht einerseits den Verfolgungswillen des einen Staates befriedigen und andererseits die aburteilende Entscheidung eines anderen Staates ignorieren können. Es wird in diesem Sinne richtigerweise betont, dass es mit Hilfe des Prinzips der stellvertretenden Strafrechtspflege nie dazu kommen darf, dass der Täter ein zweites Mal nach einem im Ausland ausgesprochenen und vollzogenen Urteil abgeurteilt wird526. Eine erneute Verfolgung aufgrund des Stellvertretungsprinzips nach ausländischer Aburteilung der gleichen Tat wäre in jedem Fall unverhältnismäßig. 523 524 525 526
A.A. Scholten, NStZ 1994, S. 266 ff. (268 ff.). Vgl. Schmitz Roland, FS-Grünwald, 1999, S. 619 ff. (640). Ambos, Internationales Strafrecht4, § 3 Rn. 116. Oehler, Internationales Strafrecht2, S. 510 f.
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hh) Weltrechtspflegeprinzip Das Weltrechtspflege- oder Universalitätsprinzip unterscheidet sich wie auch das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege von den anderen Anknüpfungsprinzipien, indem es ausnahmsweise die Verfolgung eines Täters ermöglicht, obwohl die Tat keinen inländischen Anknüpfungspunkt zum verfolgenden Staat aufweist. Anders als beim Stellvertretungsprinzip spielt aber hier das Tatortrecht keine Rolle. Die Besonderheit des Weltrechtspflegeprinzips liegt gerade darin, dass es die Verfolgung eines Täters unabhängig davon ermöglicht, wo die Tat stattgefunden hat, ob der Täter oder das Opfer Staatsangehörige des verfolgenden Staates sind oder ob die Tat am Tatort mit Strafe bedroht wird527. Der Grund für die Verfolgung des Täters liegt ausschließlich in der Natur des begangenen Delikts. Als klassisches Beispiel wird die Piraterie erwähnt, aber auch Delikte wie Menschen- oder Drogenhandel, sowie Völkerrechtsverbrechen zählen oft dazu. Für die nach dem Weltrechtspflegeprinzip verfolgbaren Delikte seien alle Staaten zur Strafverfolgung legitimiert. Das Universalitätsprinzip stützt sich auf den Gedanken, dass die Verfolgung und Bestrafung von bestimmten Delikten nicht nur im Interesse eines einzelnen Staates liegen kann, sondern eine Sache der Weltgemeinschaft ist. Es gibt nämlich Straftaten, die aufgrund ihrer Schwere oder ihrer Natur nicht (nur) die inländische Rechtsordnung eines bestimmten Staates tangieren, etwa die des Tatortstaates oder des Heimatstaates des Täters, sondern die Staatengemeinschaft als Ganze. In diesem Fall sei jeder Staat berechtigt, treuhänderisch bzw. vertretend für die gesamte Staatengemeinschaft tätig zu werden und unabhängig von zusätzlichen Voraussetzungen den von ihm gefassten Täter als hostem humani generis528 zu bestrafen529. Parallel zu diesem „idealistischen“ Begründungsansatz, wird das Weltrechtspflegeprinzip auch auf praktische Gründe gestützt. Es wird nämlich als ein über die staatliche Souveränität hinausgehender Durchsetzungsmechanismus angesehen, der für den Schutz bestimmter gemeinsamer Interessen der internationalen Gemeinschaft nötig ist530. Gegen das Weltrechtspflegeprinzip und die sich daraus ergebende Möglichkeit, einen Täter ohne jegliche Verbindung zum Ergreifungsstaat zu verfolgen und eventuell zu bestrafen, werden hauptsächlich aufgrund des Nichteinmischungsgrundsatzes und der staatlichen Souveränität beachtliche Bedenken erhoben531. 527
s. beispielsweise Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, Vor § 3 Rn. 237 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht4, § 3 Rn. 92; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht7, S. 44 f. 528 Randall, Texas Law Review 66 (1988), S. 785 ff. (789); Bassiouni, VaJIL 42 (2001), S. 81 ff. (96). 529 Merkel, in: Lüderssen, Aufgeklärte Kriminalpolitik oder Kampf gegen das Böse, Bd. 3, 1998, S. 237 ff. (252); Kreß, ZIS 2007, S. 515 ff. (517); Ambos, Internationales Strafrecht4, § 3 Rn. 92; Böse, in: NK-StGB, Bd. 14, Vor § 3 Rn. 21; Weigend, in: FS-Eser, 2005, S. 955 ff. (965); Gierhake, ZStW 120 (2008), S. 375 ff. (386). 530 Für diese zweiseitige Begründung s. Bassiouni, VaJIL 42 (2001), S. 81 ff. (96 und 104). 531 Fletcher, George, JICJ 1 (2003), S. 580 ff.; Oehler, Internationales Strafrecht2, S. 543; Bassiouni, VaJIL 42 (2001), S. 81 ff. (96); vgl. auch Gärditz, Weltrechtspflege, 2006, S. 121 ff.;
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Trotzdem ist der Universalitätsgrundsatz auf internationaler Ebene sowohl in der Literatur als auch in der Rechtsprechung weitgehend anerkannt532. Die Diskussion konzentriert sich nicht so sehr auf die Geltung, sondern vielmehr auf die Reichweite dieses Prinzips bzw. auf die Festlegung eines deutlichen Kriteriums für die Bestimmung der nach dem Weltrechtsprinzip verfolgbaren Delikte. Nach einer weit verbreiteten Ansicht können davon Straftaten erfasst werden, durch die „gemeinsame, in allen Kulturstaaten anerkannte Rechtsgüter verletzt werden“533. Gegen diese Meinung wird vorgebracht, dass es, abgesehen davon, dass die Unterscheidung zwischen Kulturstaaten und Nicht-Kulturstaaten unzeitgemäß und immer willkürlich ist, bei dem Weltrechtspflegeprinzip nicht auf die internationale Anerkennung eines Rechtsguts ankommt. Als international anerkannte Rechtsgüter können das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Eigentum betrachtet werden. Es besteht jedoch kein Zweifel daran, dass die Erstreckung des nationalen Strafrechts auf jedes Delikt wie Mord, Körperverletzung, Freiheitsberaubung oder Diebstahl unabhängig von jeglichem Anknüpfungspunkt an die inländische Rechtsordnung aus Sicht des Völkerrechts unzulässig wäre534. Wenn das Universalitätsprinzip jedem Staat das Recht verleiht, vertretend für die ganze Staatengemeinschaft zu agieren, dann kann das nur angesichts von Straftaten gerechtfertigt werden, die sich nicht lediglich gegen Rechtsgüter eines oder auch mehrerer Staaten richten, sondern diese Gemeinschaft als solche verletzen. Das entscheidende Kriterium muss in diesem Sinne sein, ob durch die Tat der Frieden und die Sicherheit der gesamten Menschheit gefährdet wird535, also ob generell in der Straftat aufgrund ihrer Schwere und ihrer Natur über das innerstaatliche Kriminalunrecht hinaus ein Weltunrecht zu erkennen ist536. Als typische Beispiele werden Völkerrechtsverbrechen wie Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen genannt. Dass eine Straftat Rechtsgüter vieler verschiedener Staaten tangiert, könnte eventuell ein Indiz für deren „Weltunrechtsgehalt“ sein, reicht aber allein für die Anwendbarkeit des Weltrechtsgrundsatzes nicht aus. Denn die Gefährdung oder Verletzung von Rechtsgütern der Staatengemeinschaft als solche hängt nicht unbedingt von den gemeinsamen Interessen und dem „rationalWeigend, in: FS-Eser, 2005, S. 955 ff. (962); Hilgendorf, FS-Würzburger Juristenfakultät, 2002, S. 333 ff. (346 ff.). 532 s. z. B. JStGH Urteil v. 10. 12. 1998, § 156; JStGH (Berufungskammer), Beschluss v. 2. 10. 1995, § 62; Für eine Übersicht über die Rechtsprechung internationaler Gerichten s. Behrendt, Verfolgung des Völkermordes in Ruanda durch internationale und nationale Gerichte, 2005, S. 88 ff. 533 Eser, in: Schönke/Schröder, StGB29, Vor §§ 3 – 7 Rn. 8; Lemke, in: AK-StGB, 1990, Vor § 3, Rn. 10; Hoyer, in: SK-StGB, Vor § 3 Rn. 13; Fischer, StGB63, Vor §§ 3 – 7 Rn. 3. 534 Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, Vor § 3 Rn. 238; Ambos, MK-StGB2, Vor §§ 3 – 7 Rn. 9. 535 Merkel, in: Lüderssen, Aufgeklärte Kriminalpolitik oder Kampf gegen das Böse, Bd. 3, 1998, S. 237 ff. (passim); Ambos, in: MK-StGB2, Vor §§ 3 – 7 Rn. 41; Werle/Jeßberger, in: LKStGB12, Vor § 3 Rn. 238. 536 Gierhake, ZStW 120 (2008), S. 375 ff. (386).
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egoistischen Verhalten“ mehrerer Einzelstaaten ab537. Ein, wenn auch schwerwiegender, Kartellrechtsverstoß oder Internet-Betrug kann beispielsweise zwar die Interessen mehrerer einzelner Staaten verletzen, nicht aber als Delikt gegen die Staatengemeinschaft als solche eingestuft werden. Sowohl in der internationalen als auch in der deutschen Literatur wird zwischen einem bedingten oder echten Weltrechtspflegeprinzip und einem absoluten oder unechten unterschieden538. Im ersteren Fall wird über die zuvor angenommenen Voraussetzungen zur Natur und Schwere der Straftat hinaus ein Anknüpfungspunkt der Tat zum verfolgenden Staat verlangt. Gemeint ist hier nicht ein enger Bezug im Sinne der den restlichen Prinzipien des Internationalen Strafrechts zugrunde liegenden Anknüpfungspunkte (z. B. Nationalität des Täters oder des Opfers). So etwas würde vielmehr ein eigenes nationales Verfolgungsinteresse begründen, welches die Berufung auf das Weltrechtspflegeprinzip unnötig machen würde. Vielmehr soll hier die Anwesenheit des Täters im Ergreifungsstaat genügen539. Aus diesem Grund ist oft auch die Rede von einem Weltrechtspflegeprinzip in Anwesenheit im Gegensatz zum Weltrechtspflegeprinzip in absentia540. Ob und inwiefern das Universalitätsprinzip in absentia und ein damit zusammenhängendes Versäumnisverfahren mit dem jeweiligen nationalen Recht des verfolgenden Staates sowie mit dem Völkerrecht generell vereinbar ist541, aber auch umgekehrt, ob es überhaupt völkerrechtskonform ist, dass die völkerrechtliche Verfolgungsbefugnis eines Staates angesichts von schwerwiegenden Völkerrechtsverbrechen von einem zusätzlichen Anknüpfungspunkt abhängig gemacht wird542, kann dahingestellt bleiben. Von Bedeutung ist nur, dass die Anwesenheit des Täters oder auch jeder andere ähnliche Anknüpfungspunkt im Rahmen des Weltrechtsgrundsatzes nur als zusätzliche Voraussetzung betrachtet werden kann. Sie darf nämlich nicht als eine Bedingung verstanden werden, welche die Verfolgung von Straftaten ermöglicht, die zwar einen internationalen Charakter haben, sich entgegen dem zuvor erwähnten Sinne aber nicht gegen die Staatengemeinschaft als solche richten. Dieser weitere, im Prinzip lockerere Anknüpfungs537
Merkel, in: Lüderssen, Aufgeklärte Kriminalpolitik oder Kampf gegen das Böse, Bd. 3, 1998, S. 237 ff. (250 f.); Ambos, in: MK-StGB2, Vor §§ 3 – 7 Rn. 41. 538 Ambos, Internationales Strafrecht4, § 3 Rn. 94; Cryer/Friman/Robinson/Wilmshurst, An introduction to international criminal law and procedure, 2009, S. 44 f.; Wang, Der universale Strafanspruch des nationalen Staates, 2005, S. 22. 539 Vgl. auch Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, § 6 Rn. 31. 540 Vgl. O’Keefe, JICJ 2 (2004), S. 735 ff. (744 ff.). 541 s. Behrendt, Verfolgung des Völkermordes in Ruanda durch internationale und nationale Gerichte, 2005, S. 150 ff.; Reydams, Criminal Law Forum 11 (2000), S. 183 ff. (211); Keller, Rainer, GA 2006, S. 25 ff. (27 ff.). 542 s. Bungenberg, AVR 2001, S. 170 ff. (185 ff.); Ambos, NStZ 1999, S. 226 und 404; Werle, ZStW 109 (1997), S. 808 ff. (814 f.); Eser, in: FS-Meyer-Goßner, 2001, S. 3 ff. (19 ff.); Gegen eine Verfolgungspflicht aber Ambos, Internationales Strafrecht4, § 3 Fn. 263; Behrendt, Verfolgung des Völkermordes in Ruanda durch internationale und nationale Gerichte, 2005, S. 148 ff.; Werle/Jeßberger, JZ 2002, S. 725 ff. (733); Tomuschat, in: FS-Steinberger, 2002, S. 315 ff.; vgl. auch Werle, Völkerstrafrecht3, S. 227 ff.
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B. Begründung im Deutschen Recht
punkt ist eher als eine praktische Voraussetzung für eine erfolgreiche Verfolgung der Straftat anzusehen543, oder auch als zusätzliches Kriterium, das die zwischenstaatlichen Konflikte mindern kann, die zwangsläufig aufgrund der prinzipiell gleichzeitigen Zuständigkeit aller Staaten im Falle einer dem Weltrechtsprinzip unterfallenden Tat entstehen können544. Er kann aber nicht als Kompensation für die fehlende weltweite Gefährlichkeit der Straftat funktionieren, sodass ein Staat mithilfe dieses Anknüpfungspunkts eine weltweite Strafkompetenz im Sinne des Weltrechtsgrundsatzes begründen kann, obwohl die Tat an sich keine Gefahr für die Staatengemeinschaft als solche darstellt. In diesem Fall könnte gar nicht von einem Weltrechtspflegeprinzip die Rede sein. Kurz gefasst ist die Anwesenheit des Täters im Ergreifungsstaat nur als eine völkerrechtliche, die Strafkompetenz des Staates einschränkende Bedingung angesichts von Straftaten zu betrachten, welche an sich von ihrer Natur und Schwere her dem Weltrechtspflegeprinzip unterfallen. Aus dem dargestellten Charakter des Universalitätsprinzips ergibt sich die Geltung eines transnationalen Doppelverfolgungsverbots für die entsprechenden Delikte. Wenn einem Staat völkerrechtlich die Befugnis anerkannt wird, in bestimmten Fällen stellvertretend und treuhänderisch für die ganze Staatengemeinschaft zu agieren, dann muss seine Entscheidung zwangsläufig für diesen bestimmten Fall auch gegenüber der ganzen Staatengemeinschaft gelten. Jede nationale Aburteilung der Tat führt in diesem Sinne zur internationalen Erledigung. Anderenfalls, und vor allem wenn man vom Weltrechtspflegeprinzip eine staatliche Verfolgungspflicht bestimmter Straftaten ableiten will545, könnte bzw. müsste der Täter von allen Staaten kumulativ abgeurteilt werden546. Die Geltung des transnationalen „ne bis in idem“ erfolgt mithin in diesem Fall nicht aufgrund eines niedrigen Verfolgungsinteresses sondern sie „gehört mit zum Wesen des Weltrechtsprinzips“547. Eine Ausnahme ist hier jedoch zwingend. Einer sehr verbreiteten Meinung nach hat die Weltrechtspflege einen subsidiären Charakter gegenüber dem Territorialitätsprinzip548. Das heißt, dass die Zuständigkeit, welche jedem Staat zur Bestrafung 543
Cassese, International Criminal Law2, S. 338 (Fn. 4). Vgl. Ambos, in: MK-StGB, Bd. 6/2, VStGB, § 1 Rn. 7 und insb. Rn. 14; ders., Internationales Strafrecht2, 2008, S. 54; Weigend, in: FS-Eser, 2005, S. 955 ff. (970). 545 s. Bungenberg, AVR 39 (2001), S. 170 ff. (200); Gärditz, Weltrechtspflege, 2006, S. 174; Eser, in: FS-Meyer-Goßner, 2001, S. 3 ff. (22 ff.); Werle, Völkerstrafrecht3, Rn. 224; vgl. dagegen Gribbohm, in: LK-StGB11, § 6 Rn. 3 ff. 546 Oehler, Internationales Strafrecht2, S. 545; s. auch Princeton University, Princeton principles on universal jurisdiction, 2001, S. 33 (principle 9 Nr. 3) und S. 54; a.A. Merkel, in: Lüderssen, Aufgeklärte Kriminalpolitik oder Kampf gegen das Böse, Bd. 3, 1998, S. 237 ff. (241 und 243). 547 Oehler, Internationales Strafrecht2, S. 545; vgl. auch Kniebühler, Transnationales „ne bis in idem“, 2005, S. 95 ff. 548 So Gärditz, Weltrechtspflege, 2006, S. 174; Gierhake, ZStW 2008, S. 375 ff. (395 ff.); vgl. auch Keller, Rainer, GA 2006, 25 ff. (34 ff.); Oehler, Internationales Strafrecht2, S. 148; Kleffner, JICJ 1 (2003), 86 ff. (109), die jedoch die Subsidiarität des Weltrechtspflegeprinzips gegenüber allen Staaten, die einen näheren Bezugspunkt zur Straftat haben, bejahen. 544
IV. Abwägung beim transnationalen „ne bis in idem“
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von internationalen Straftaten völkerrechtlich zuerkannt wird, nicht das „ius puniendi“ des Territorialstaates überwältigen kann. Denn abgesehen von ihrem eventuellen internationalen Charakter verletzt eine Straftat immer auch die innerstaatliche positivierte Rechtsordnung des Tatortstaates. Aus diesem Grund bleibt die Bestrafung von den – im zuvor erwähnten Sinne – internationalen Straftaten primär eine Angelegenheit des „betroffenen Staates“549. Dieser Meinung ist zwar zuzustimmen, sie muss aber in der Hinsicht ergänzt werden, dass als betroffener Staat nicht nur der Tatort- sondern auch und vielleicht vor allem derjenige Staat angesehen werden muss, dessen innere oder äußere Sicherheit, territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit durch die begangene Straftat gefährdet wird, der Staat also, der sein Verfolgungsinteresse auf das Staatsschutzprinzip i. e.S. stützt. In diesen beiden Fällen, in denen, wie weiter oben erörtert wurde, das Verfolgungsinteresse sehr stark ist, muss eine Ausnahme von der Sperrwirkung des Weltrechtspflegeprinzips gemacht werden und das „Recht“ des (im Sinne des Territorialitäts- oder Staatsschutzprinzips) betroffenen Staates zur erneuten Verfolgung der Straftat anerkannt werden. Entgegen der Annahme einer Sperrwirkung des Weltrechtsprinzips ist auch die umgekehrte Meinung vertreten worden, nach der die Gefahr einer Doppelbestrafung nicht zu einem transnationalen Doppelverfolgungsverbot, sondern im Gegenteil zur Ablehnung des Universalitätsprinzips zwingt. Da nämlich das Universalitätsprinzip immer die Gefahr einer Doppelbestrafung mit sich bringe und diese Gefahr sich nie beseitigen lasse, solle man von einer völkerrechtlichen Unzulässigkeit des Weltrechtspflegeprinzips ausgehen550. Dagegen ist aber richtig eingewandt worden551, dass das Problem der Doppelbestrafung nicht ausschließlich das Weltrechtsprinzip betrifft, sondern bei allen Anknüpfungsprinzipien auftritt. Die Gefahr mehrfacher Bestrafung ist eine allgemeine Folge der konkurrierenden Strafgewalten. Selbst wenn alle Staaten ihre Strafgewalt ausschließlich auf das Territorialitätsprinzip stützen würden, könnte die Gefahr einer erneuten Verfolgung nicht ausgeschlossen werden (z. B. aufgrund des Auswirkungsgrundsatzes oder angesichts von Dauerdelikten). Das Problem lässt sich also nur durch die Bejahung und Konkretisierung des „ne bis in idem“-Prinzips und nicht durch die Ablehnung des jeweiligen Anknüpfungsprinzips lösen. Die Feststellung, dass im Falle des Weltrechtsprinzips die Geltung des transnationalen Doppelverfolgungsverbots nicht mit dem hier vertretenen Modell begründet wird, nämlich aufgrund eines fehlenden oder niedrigen Verfolgungsinteresses seitens des verfolgenden Staates, ist logisch und beeinträchtigt nicht die Richtigkeit dieses Lösungsansatzes, da das Universalitätsprinzip – wie auch das Stellvertretungsprinzip
549 550 551
Gierhake, ZStW 2008, S. 375 ff. (396). Fletcher, George, JICJ 1 (2003), S. 580 ff. Eser, Tulsa Law Review 39 (2004), S. 955 ff.
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B. Begründung im Deutschen Recht
– keinen klassischen nationalen Anknüpfungspunkt darstellt, mit dem staatliche Verfolgungsinteressen zum Ausdruck kommen552. Im deutschen Recht soll das Weltrechtspflegeprinzip § 6 StGB zugrunde liegen, welcher, wie der Titel dieser Vorschrift besagt, das deutsche Strafrecht auf international geschützte Rechtsgüter erstreckt. Des Weiteren sieht § 1 VStGB vor, dass das deutsche Völkerstrafrecht für alle in ihm bezeichneten Verbrechen gilt, auch wenn die Tat im Ausland begangen wurde und keinen Bezug zum Inland aufweist. Nach der Rechtsprechung des BGH wird aber trotz des deutlichen Wortlauts des § 1 VStGB in beiden Fällen das Universalitätsprinzip in seiner bedingten Form verstanden, sodass die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts und Völkerstrafrechts auch hier von einem legitimierenden inländischen Anknüpfungspunkt abhängig gemacht wird, wie z. B. die Verhaftung oder der ständige Aufenthalt des Täters in deutschem Territorium. Keinen legitimierenden Anknüpfungspunkt würden jedoch der Aufenthalt des Opfers oder des Anzeigeerstatters in Deutschland darstellen553. Wie oben erläutert wurde, beeinflusst diese zusätzliche Voraussetzung, welche auch in der Literatur zumindest angesichts der Völkerrechtsverbrechen auf Kritik gestoßen ist554, nicht die Legitimation eines Staates, ein bestimmtes Delikt nach dem Weltrechtsgrundsatz zu verfolgen. Dafür muss vielmehr an erster Stelle festgestellt werden, ob die jeweils vorgesehene Straftat eine Gefahr für die Staatengemeinschaft als solche, nämlich für die Sicherheit und den Frieden aller Staaten, darstellt. Ohne Zweifel kann die Frage in Bezug auf § 1 VStGB und die Völkerverbrechen bejaht werden. Auch die Kernenergie- und Strahlungsverbrechen (§ 6 Nr. 2 StGB) sowie die nuklearen555 Sprengstoffverbrechen, aber auch die Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr (§ 6 Nr. 3 StGB) können auf Basis des Weltrechtsprinzips verfolgt werden, da die Auswirkungen dieser Delikte und somit auch deren Gefährlichkeit sich nicht auf ein bestimmtes Territorium begrenzen lassen und somit unabhängig vom Tatort die internationale Sicherheit beeinträchtigen556. Weniger überzeugend erscheint die Bejahung einer weltweiten Gefährlichkeit angesichts der übrigen Delikte des § 6 StGB. Die Gefahr eines nicht-nuklearen Sprengstoffverbrechens begrenzt sich auf einen bestimmten Bereich und hat als solche keine weltweiten Konsequenzen. Der Menschenhandel (Nr. 4), der unbefugte Vertrieb von Betäubungsmitteln (Nr. 5) und die Verbreitung pornographischer Schriften (Nr. 6), sind zwar Straftaten, die meistens von Verbrechern und kriminellen Organisationen be552
Vgl. Ambos, Internationales Strafrecht4, § 3 Rn. 7. BGHSt 45, S. 64 ff. (68 f.); BGHSt 46, S. 292 (306 f.); BGH StV 1999, S. 240; BGH NStZ 1999, S. 236; BGH NStZ 1994, S. 232 f. (233). 554 Eser, in: FS-Meyer-Goßner, 2001, S. 3 ff. (8 ff.); Lagodny/Nill-Theobald, JR 2000, 205 ff.; Ambos, NStZ 1999, S. 226 und 404; vgl. auch Hilgendorf, JR 2002, S. 82 ff. 555 Merkel, in: Lüderssen, Aufgeklärte Kriminalpolitik oder Kampf gegen das Böse, Bd. 3, 1998, S. 237 ff. (243 f.); Differenzierend auch Lemke, in: AK-StGB, 1990, § 6 Rn. 5. 556 Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht nach der Reform, 1997, S. 147 f. und 151 f.; Ambos, in: MK-StGB2, § 6 Rn. 10 f.; Gribbohm, in: LK-StGB11, § 6 Rn. 30 f. und 40; a.A. Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, § 6 Rn. 45 f. und 55 f. 553
IV. Abwägung beim transnationalen „ne bis in idem“
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gangen werden, die international vernetzt sind. Ihre Bekämpfung erfordert aus diesem Grund in der Tat eine zwischenstaatliche Zusammenarbeit. Die Straftaten an sich berühren aber nicht die Staatengemeinschaft als solche, sondern betreffen ausschließlich Rechtsgüter der Staaten, in denen die Täter agiert haben557. Der internationale Charakter eines Delikts bedeutet nicht unbedingt eine Gefahr für Rechtsgüter der ganzen Staatengemeinschaft. Auch die effektive zwischenstaatliche Kooperation für die Bekämpfung solcher Delikte kann keine Basis für die Erweiterung des Weltrechtsgrundsatzes bieten. So etwas könnte vielmehr ohne Probleme auf das Stellvertretungsprinzip gestützt werden558. Ebenso wenig lässt sich die Ausdehnung des deutschen Strafrechts auf Straftaten wie die Geld-, Wertpapier- und Zahlungskartenfälschung (§ 6 Nr. 7 StGB) oder den Subventionsbetrug (§ 6 Nr. 8 StGB) mit dem Universalitätsprinzip rechtfertigen, da diese Delikte sich ausschließlich gegen rein nationale Rechtsgüter richten. Die Verfolgung könnte anhand des Staatsschutzprinzips und unter den entsprechenden Voraussetzungen erfolgen559. Aus all dem ergibt sich, dass für die Verbrechen des § 6 Nr. 2 StGB (Kernenergie-, Strahlungs- und -nukleare- Sprengstoffverbrechen) und § 6 Nr. 3 StGB (Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr) sowie für die Völkerverbrechen (§ 1 VStGB), die in Deutschland nach dem Weltrechtsprinzip verfolgt werden, ein transnationales Doppelverfolgungsverbot gilt, so dass jede vorherige Entscheidung eines ausländischen Gerichts zu einem Verfahrenshindernis führt. Da das Universalitätsprinzip keine Basis für die restlichen in § 6 enthaltenen Delikte bietet, hängt die Frage des „ne bis in idem“ in diesen Fällen von dem Anknüpfungspunkt ab, auf den die Verfolgung gestützt wird. Diesbezüglich ist auf die vorherigen Erörterungen angesichts der anderen Prinzipien des Internationalen Strafrechts zu verweisen. Andere Anknüpfungspunkte, wie der Aufenthalt des Verdächtigen in Deutschland, können aber eine erneute Verfolgung nicht rechtfertigen. Denn, wenn in der Literatur selbst die Ausdehnung des deutschen Strafrechts über den von den anerkannten Prinzipien zulässigen Rahmen hinaus als völkerrechtswidrig angesehen wird560, d. h. wenn in diesen Fällen kein genügendes Schutzinteresse für eine (erstmalige) Verfolgung der Straftat überhaupt anerkannt wird, dann kann dieses Interesse erst recht nicht für eine zweite Verfolgung ausreichen.
557 Merkel, in: Lüderssen, Aufgeklärte Kriminalpolitik oder Kampf gegen das Böse, Bd. 3, 1998, S. 237 ff. (243 f.); Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, § 6 Rn. 64 f., 79 f. und 88; a.A. in Bezug auf den Menschenhandel Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht nach der Reform, 1997, S. 155; Ambos, in: MK-StGB2, § 6 Rn. 12 f.;Vgl. auch Gärditz, Weltrechtspflege, 2006, S. 310; Lemke, in: AK-StGB, 1990, § 6 Rn. 7 ff.; Hilgendorf, in: FS-Würzburger Fakultät, 2002, S. 333 ff. (346); Eingehend Wang, Der universale Strafanspruch des nationalen Staates, 2005, S. 127 ff., der das Weltrechtspflegeprinzip nur für Völkerverbrechen und die Seeräuberei akzeptiert. 558 s. Oehler, Internationales Strafrecht2, S. 541 ff. (vor allem Rn. 899). 559 Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, § 6 Rn. 14 und 92; Ambos, in: MK-StGB2, § 6 Rn. 17 f. 560 Ausdrücklich Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, § 6 Rn. 25; Wang, Der universale Strafanspruch des nationalen Staates, 2005, S. 127 ff.
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B. Begründung im Deutschen Recht
ii) Vertragsprinzip § 6 Nr. 9 StGB erstreckt das deutsche Strafrecht unabhängig vom Recht des Tatorts auf ausländische Straftaten, die aufgrund eines für Deutschland verbindlichen zwischenstaatlichen Abkommens auch dann zu verfolgen sind, wenn sie im Ausland begangen worden sind. Obwohl die Regelung in § 6 StGB enthalten ist, lässt sie sich weder mit dem Weltrechtspflege- noch mit einem anderen Prinzip des Internationalen Strafrechts erklären561. Sie stellt vielmehr ein eigenständiges Prinzip, das sog. Vertragsprinzip562, dar und wird als ein Kooperationsmodell angesehen, das neben den klassischen Anknüpfungspunkten ein Kompetenzverteilungssystem begründet563. Die Vertragsstaaten übernehmen die Pflicht die vereinbarten Straftaten auch dann zu verfolgen, wenn die Straftat von einem Ausländer außerhalb ihres Territoriums begangen wurde. Es handelt sich somit um eine gegenseitige Zuständigkeitsverteilung zwecks Lückenfüllung und effektiver Verbrechensbekämpfung auf internationaler Ebene564. Beim Vertragsprinzip ist zu beachten, dass die völkerrechtlichen Einschränkungen, die sich aus dem Nichteinmischungsgrundsatz ergeben und sich auf die NichtVertragsstaaten beziehen, nicht von den Vertragsstaaten beseitigt werden können, da ein internationaler Vertrag nur „inter partes“ wirkt. Das bedeutet, dass sie ihre Strafgewalt nicht auf Straftaten erstrecken können, für die keiner von ihnen einen legitimierenden Anknüpfungspunkt hat. Damit die im Vertrag vorgesehene Verfolgungspflicht bzw. Verfolgungszuständigkeit überhaupt in Betracht kommt, muss einer der Vertragsstaaten einen legitimierenden Anknüpfungspunkt für die jeweilige Straftat im Sinne der zuvor dargestellten Prinzipien des Internationalen Strafrechts aufweisen. Erst wenn einer der Vertragsstaaten zur Verfolgung der Tat völkerrechtlich legitimiert ist, kann er über seine Verfolgungsbefugnis verfügen und in Zusammenarbeit mit den anderen Vertragsstaaten wirksam Zuständigkeitsregelungen vereinbaren. Es ist in diesem Sinne falsch zu behaupten, dass die nach dem Universalitätsprinzip verfolgbaren Straftaten einfach durch internationale Abkommen erweitert werden können565. Was die Vertragsstaaten dadurch vielmehr erzielen können, ist ein „Weltrechtspflegeprinzip inter partes“, ein „vertragliches Univer-
561 Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht nach der Reform, 1997, S. 169; Henrich, Das passive Personalitätsprinzip im deutschen Recht, 1994, S. 75; Ambos, in: MK-StGB2, § 6 Rn. 19; vgl. aber Wang, Der universale Strafanspruch des nationalen Staates, 2005, S. 145 ff. 562 Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, § 6 Rn. 138. 563 Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht nach der Reform, 1997, S. 86 ff. und 169 f.; Behrendt, Verfolgung des Völkermordes in Ruanda durch internationale und nationale Gerichte, 2005, S. 87 und 124 ff. 564 Vgl. Eser, in: Schönke/Schröder, StGB29, Vor § 3 – 9 Rn. 10. 565 So aber Fischer, StGB-Kommentar63, § 6 Rn. 9.
IV. Abwägung beim transnationalen „ne bis in idem“
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salitätsprinzip“, das aber eigentlich dem Stellvertretungsprinzip näher steht als dem Weltrechtspflegeprinzip566. Für die Geltung des transnationalen „ne bis in idem“ muss in dieser Hinsicht differenziert werden, ob die erste Aburteilung in einem Drittstaat oder in einem Vertragsstaat stattgefunden hat. Im ersten Fall hängt die Zulässigkeit einer erneuten Verfolgung im Geltungsbereich des Vertrages von dem zuvor erwähnten Konzept ab. Eine erneute Verfolgung kommt nämlich nur dann in Frage, wenn einer der Vertragsstaaten genügendes nationales Interesse an der Verfolgung der Tat hat, wie z. B. wenn er seine Verfolgung auf das Territorialitäts- oder das Staatsschutzprinzip stützt. Anderenfalls besteht für ihn aufgrund des transnationalen Doppelverfolgungsverbots keine Strafverfolgungsbefugnis, über die er verfügen kann, und daher ist die Verfolgung auch in den anderen Vertragsstaaten aufgrund des Vertragsprinzips ausgeschlossen. Eine erneute Verfolgung aufgrund des Vertragsprinzips nach einer Aburteilung der Tat in einem anderen Vertragsstaat, ist hingegen direkt wegen des Sinngehalts dieses Prinzips auszuschließen. Die Erstreckung der nationalen Strafgewalt auf Taten, die von Ausländern außerhalb des nationalen Territoriums begangen wurden, erfolgt in diesem Fall weder aus nationalen Verfolgungsinteressen noch – wie beim Weltrechtspflegeprinzip – aus einem universalen Unrechtsgehalt der Straftat. Die Verfolgung dient ausschließlich dem gemeinsamen Interesse der Vertragsstaaten an einer effektiven Bekämpfung bestimmter Straftaten. Dieser internationale Versuch einer effektiven und lückenlosen Verbrechensbekämpfung darf aber nicht zu einer Gefahr der mehrfachen Aburteilung des Täters führen. Mit der ersten Aburteilung der Tat in einem anderen Vertragsstaat scheidet der Grund für die Erstreckung der Strafgewalt durch das Vertragsprinzip aus. Eine erneute Verfolgung wäre völkerrechtlich ungerechtfertigt und auf nationaler Ebene mangels eines genügenden Verfolgungsinteresses unverhältnismäßig. Als klassische Beispiele, in denen das Vertragsprinzip in Deutschland Anwendung findet, gelten567 die vier Genfer Rot-Kreuz-Abkommen von 1949568, das Europäische Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus von 27. 1. 1977569, das Internationale Übereinkommen gegen die Geiselnahme von 18. 12. 1979570 und die Diplomatenschutzkonvention von 14. 12. 1973571. Diese Internationalen Übereinkommen fallen aber nur unter § 6 Nr. 9 StGB, solange sie eine Verpflichtung für Deutschland zur Ahndung der in ihnen beinhalteten Straftaten auch dann vorsehen, wenn die Taten im Ausland begangen wurden. Solange sie keine besondere Be566 Behrendt, Verfolgung des Völkermordes in Ruanda durch internationale und nationale Gerichte, 2005, S. 124; Merkel, in: Lüderssen, Aufgeklärte Kriminalpolitik oder Kampf gegen das Böse, Bd. 3, 1998, S. 237 ff. (246 f.). 567 s. Eser, in: Schönke/Schröder, StGB29, § 6 Rn. 11; Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, § 6 Rn. 133 ff.; Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht nach der Reform, 1997, S. 171 f. 568 BGBl. II 1954, S. 781 ff. 569 BGBl. II 1978, S. 321 ff. 570 BGBl. II 1981, S. 1361 ff. 571 BGBl. II 1976, S. 1745.
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B. Begründung im Deutschen Recht
stimmung für die Erstreckung des deutschen Strafrechts auf Auslandstaten enthalten, haben sie keinen Einfluss auf das deutsche Strafanwendungsrecht, sondern erlegen Deutschland lediglich eine völkerrechtliche Pflicht materiellrechtlicher Natur auf. Für diese Fälle gelten also die klassischen Prinzipien des Internationalen Strafrechts. Anwendung findet § 6 Nr. 9 StGB nur, wenn die Pflicht auch in der Erstreckung des nationalen Strafrechts auf Auslandstaten besteht, wie z. B. bei den vier Genfer RotKreuz-Abkommen572. In diesem Fall wird das deutsche Strafrecht auf die entsprechenden Straftaten erstreckt, auch wenn sie im Ausland zwischen Ausländern begangen wurden. Da aber, wie oben erläutert, das Universalitätsprinzip nicht durch einen internationalen Vertrag erweitert werden kann und solange die relevanten Straftaten nicht von ihrer Natur her dem Universalitätsprinzip unterfallen, ist es nötig, dass einer der Vertragsstaaten nach den klassischen Strafanwendungsprinzipien einen Bezug zur Straftat aufweist. Hat eine Aburteilung in einem Drittstaat stattgefunden, kann Deutschland die Straftat stellvertretend für die anderen Vertragsstaaten nur dann verfolgen, wenn einer der Vertragsstaaten einen starken Anknüpfungspunkt zur Straftat (z. B. aufgrund des Staatsschutzprinzips) aufweist. Hat eine Aburteilung im Gegenteil in einem anderen Vertragsstaat stattgefunden, kann Deutschland eine erneute Verfolgung nicht mehr auf § 6 Nr. 9 StGB stützen. jj) Zwischenergebnis Als Ergebnis des zuvor Erläuterten ist festzuhalten, dass ein hohes Schutzinteresse, welches eine erneute Verfolgung im Inland und dadurch einen zweiten und deswegen tieferen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des schon im Ausland abgeurteilten Täters rechtfertigen könnte, nur angesichts von Straftaten vorliegt, die auf der Basis des Territorialitätsgrundsatzes oder des Schutzprinzips verfolgt werden573. Als Territorialitätsprinzip ist hier nur der Fall zu verstehen, in dem sich der Handlungsort im Inland befindet. Für das durch den Auswirkungsgrundsatz erweiterte Territorialitätsprinzip ist die Frage einer erneuten Verfolgung aufgrund des variierenden Schutzinteresses auf einer anderen Ebene zu lösen574. Das Staatsschutzprinzip betrifft Delikte, die essenzielle Staatsinteressen beeinträchtigen, die mit der inneren und äußeren Sicherheit, der territorialen Integrität und der politischen Unabhängigkeit des Staates verbunden sind. Das Schutzinteresse für Delikte, die im Ausland begangen wurden und aufgrund des aktiven oder passiven Personalitätsprinzips oder der stellvertretenden Strafrechtspflege und des Weltrechtsprinzips verfolgt werden, bleibt hingegen gering. Eine erneute Verfolgung wäre in solchen Fällen als unverhältnismäßig anzusehen. Das Verbot einer erneuten Strafverfolgung ergibt sich angesichts des Prinzips der stellvertretenden Strafrechtspflege und des Weltrechtspflegeprinzips auch aus der 572 573 574
s. Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, Vor § 3 Rn. 87 f. So auch Feller, Israel Law Review 1981, S. 40 ff. (69 f.). Dazu s. weiter unten, E.III.3.a).
IV. Abwägung beim transnationalen „ne bis in idem“
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Natur der beiden Prinzipien. Für Delikte gegen deutsche Amtsträger hängt das transnationale „ne bis in idem“ davon ab, ob die Tat auch als Delikt gegen Kerninteressen des Staates betrachtet werden kann und somit aufgrund des Staatsschutzprinzips erneut verfolgt werden kann. Beim Vertragsprinzip, wenn nämlich die Strafverfolgung eine Auslandstat betrifft, die in keinem anderen Zusammenhang zu der inländischen Rechtsordnung steht, sondern nur aufgrund eines internationalen Vertrags verfolgt werden muss, stellt eine vorherige Aburteilung in einem Drittstaat kein Hindernis dar, außer wenn ein anderer Vertragsstaat einen starken Anknüpfungspunkt im Sinne des Territorialitäts- oder des Staatsschutzprinzips zur Tat aufweist und Deutschland aufgrund des Vertrags stellvertretend für diesen und die übrigen Vertragsstaaten agiert.
b) „lex loci“ und „ne bis in idem“ Bei manchen der zuvor erwähnten Prinzipien wird die Erweiterung des Anwendungsbereichs des nationalen Strafrechts davon abhängig gemacht, dass die im Ausland begangene Straftat auch nach dem Recht des Tatortstaates unter Strafe steht. Diesem Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit, der sog. „lex loci“, begegnet man auch im Bereich der internationalen Rechtshilfe575. Für das Geltungsbereichsrecht wird die Berücksichtigung einer identischen Tatortnorm in bestimmten Fällen sogar als völkerrechtlich geboten angesehen576. In Deutschland verlangt § 7 StGB, sowohl im Abs. 1 als auch im Abs. 2, dass die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist und somit wird die „lex loci“ als Voraussetzung für das aktive und passive Personalitätsprinzip sowie das Stellvertretungsprinzip festgelegt. Für die Frage des transnationalen „ne bis in idem“ könnte diese Voraussetzung auf zwei Arten von Bedeutung sein. Zunächst könnte die Berücksichtigung der Tatortstrafbarkeit zu einer partiellen Anerkennung fremder Strafurteile führen, wenn sie auch die Nichtverfolgbarkeit der Tat am Tatort aufgrund eines innerstaatlichen Doppelverfolgungsverbots erfassen würde. Müsste nämlich der Ergreifungsstaat bei der Prüfung der „lex loci“ auch die Frage berücksichtigen, ob die Verfolgung der Straftat am Tatort aufgrund eines dort vorangegangenen Urteils ausgeschlossen ist, würde das eine Teilanerkennung eines transnationalen Doppelverfolgungsverbots bedeuten, nämlich in Bezug auf Strafentscheidungen des Tatortstaates. Es stellt sich in diesem Sinne die Frage, ob zur sog. „lex loci“ auch die (Nicht-)Verfolgbarkeit der Straftat aufgrund eines vorherigen Strafurteils am Tatort gehört. Die Reichweite der „lex loci“ als Voraussetzung für die Erstreckung des deutschen Strafrechts auf Auslandstaten hängt mit der Funktion dieser Institution zusammen. Es wird zwischen einer begrenzenden und einer begründenden Funktion 575
s. § 3 und 43 IRG. Vgl. auch Zeidler, Der Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit im Auslieferungsrecht, 2008, S. 61 ff., Gardocki, Israel Law Review 27 (1993), S. 288 ff. 576 So Ambos, Internationales Strafrecht4, § 3 Rn. 55 und Rn. 76; Werle/Jeßberger, in: LKStGB12, § 5 Rn. 2 und 113.
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unterschieden. Beim aktiven und passiven Personalitätsprinzip hat nämlich die „lex loci“ das Ziel, die Anwendung des deutschen Strafrechts einzuschränken. Das wird einerseits aus völkerrechtlichen Gründen vorgeschrieben, d. h. aus der Achtung fremder Souveränität, andererseits aber auch aus täterbezogenen Gründen, nämlich wegen des Gedankens, dass der Täter die entsprechende Verhaltensnorm hätte erkennen können (Erkennbarkeitsprinzip)577. Beim Stellvertretungsprinzip hat das Erfordernis der Tatortstrafbarkeit dagegen die Rolle einer „logischen Voraussetzung“578 für die Anwendung des nationalen Strafrechts. Ein Staat kann eine Tat stellvertretend verfolgen, wenn und soweit der vertretene Staat selber ein Interesse an der Verfolgung der Straftat hat579. Nicht bestritten wird, dass man für die Bejahung der identischen Tatortnorm in beiden Fällen auf die materielle Strafbarkeit abstellen muss, also darauf, ob der Tatortstaat eine Kriminalstrafe580 für die konkrete Tat (im Sinne des prozessualen Tatbegriffs) vorsieht. Dabei sind sowohl Rechtfertigungs- als auch Entschuldigungsgründe zu berücksichtigen581. Bezüglich der Berücksichtigung von eventuellen Verfahrenshindernissen, wie das (innerstaatliche) Doppelverfolgungsverbot, besteht hingegen keine Einigkeit. Nach der Rechtsprechung und einem Teil der Literatur sind prozessuale Verfolgungshindernisse generell unbeachtlich. Das soll sich aus dem Wortlaut des § 7 StGB ergeben, der verlangt, dass die Tat am Tatort „mit Strafe bedroht ist“ und somit nur auf die materielle Seite abstellt582. Eine in der Theorie sehr verbreitete Ansicht geht jedoch davon aus, dass anhand der zwei unterschiedlichen Funktionen der „lex loci“ eine entsprechende Differenzierung im Bereich des § 7 StGB vorgenommen werden muss583. Da beim Stellvertretungsprinzip die identische Tatortnorm eine begründende Funktion habe, indem sie zur Berücksichtigung des Verfolgungsinteresses des originären Tatortstaates zwinge, dürfe der Ergreifungsstaat die even577
Scholten, Das Erfordernis der Tatortstrafbarkeit in § 7 StGB, 1995, S. 65 ff. und 72 ff. Liebelt, Zum deutschen internationalen Strafrecht, 1978, S. 85. 579 Zur ganzen Differenzierung Scholten, Das Erfordernis der Tatortstrafbarkeit in § 7 StGB, 1995, S. 72 ff.; Eser, JZ 1993, S. 875 ff.; ders., FS-Jescheck, Bd. II, 1985, S. 1353 ff. (1359); Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht7, S. 88 ff. 580 Dazu s. BGHSt 27, S. 5 ff. 581 BGHSt 2, S. 160 (161), Ambos, in: MK-StGB2, § 7 Rn. 9 ff.; Grünwald, StV 1991, S. 31 ff.; Krey, JR 1980, S. 45 ff. (49); Eser, in: Schönke/Schröder, StGB29, § 7 Rn. 9; Scholten, Das Erfordernis der Tatortstrafbarkeit in § 7 StGB, 1995, S. 145 ff.; Henrich, Das passive Personalitätsprinzip im deutschen Strafrecht, 1994, S. 89 ff.; A.A. aber Woesner, ZRP 1976, 248 ff. (250); vgl. auch Liebelt, Zum deutschen internationalen Strafrecht, 1978, S. 244 ff. 582 BGHSt 2, S. 160 ff. (161); BGH NJW 1954, S. 1086; BGHSt 20, S. 22 ff. (27); BGH GA 1976, S. 242 ff.; Fischer, StGB63, § 7 Rn. 7; vgl. auch Oehler, Internationales Strafrecht2, S. 491 ff.; Lemke, in:AK-StGB, 1990, § 7 Rn. 9. 583 Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, § 7 Rn. 44 ff.; Ambos, in: MK-StGB2, § 7 Rn. 13; Eser, JZ 1993, S. 875 ff. (878 ff.); Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts – AT5, S. 175; Böse, in: NK-StGB, Bd. 14, § 7 Rn. 8; vgl. auch OLG Düsseldorf MDR 1992, S. 1161; BGH NJW 1992, S. 2775 ff.; BGH NStZ-RR 2000, S. 208 f. 578
IV. Abwägung beim transnationalen „ne bis in idem“
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tuellen Verfolgungshindernisse nicht unberücksichtigt lassen, denn auch durch sie komme das Verfolgungsinteresse des Tatortstaates zum Ausdruck. Eine so enge Fassung der „lex loci“, nach der die prozessualen Voraussetzungen unberücksichtigt bleiben, führe zu einer Missachtung der souveränen Entscheidung des Tatortstaates584. Die begrenzende Funktion der identischen Tatortnorm beim aktiven und passiven Personalitätsprinzip verlangt dagegen derselben Meinung nach keine derart umfangreiche Auslegung dieses Merkmals. Historische Gründe sprechen sogar für die Nichtbeachtung des ausländischen prozessualen Rechts in diesen Fällen, denn im RStGB war die Berücksichtigung von Verfahrenshindernissen ausdrücklich durch eine andere als die dem heutigen § 7 StGB entsprechende Vorschrift geboten, woraus der Schluss gezogen werden könnte, dass das Merkmal „mit Strafe bedroht“ rein materiellrechtlich zu verstehen war. Die Abschaffung der die Beachtung von Verfahrenshindernissen vorsehenden Vorschrift solle deswegen so verstanden werden, dass prozessuale Voraussetzungen nunmehr für das aktive und passive Personalitätsprinzip unerheblich sind585. Eine dritte Meinung verlangt schließlich, dass der Verfolgung der Straftat am Tatort keine Verfahrenshindernisse entgegenstehen586. Ihr ist der Vorrang zu geben. Abgesehen davon, dass selbst in der deutschen Strafrechtswissenschaft keine Einigkeit über die Natur vieler strafrechtlicher Institutionen, wie z. B. der Verjährung, besteht, also darüber, ob sie dem materiellen oder dem prozessualen Recht zuzuordnen sind, kann man nicht davon ausgehen, dass alle Staaten eine solche Differenzierung überhaupt kennen. Darüber hinaus wird in § 7 StGB nicht nach dem jeweiligen Anknüpfungspunkt differenziert, sondern es wird in allen Fällen verlangt, dass „die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist“, was für eine einheitliche Lösung spricht587. Außerdem wird meines Erachtens eine solche Auslegung dem Wortlaut dieser Vorschrift gerechter, denn z. B. angesichts der Verjährung, ist eine Straftat, die vor zwanzig Jahren begangen wurde, nicht mehr mit Strafe bedroht. Allgemeiner formuliert ist eine Tat nur dann mit Strafe bedroht, wenn alle Voraussetzungen für eine Bestrafung des Täters vorliegen588. Die Entstehungsgeschichte von § 7 StGB steht dieser Auslegung nicht entgegen, denn, wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt, wurde die Berücksichtigung von prozessualen Verfolgungshindernissen absichtlich nicht ausdrücklich geregelt, nicht weil sie nach der Meinung des Gesetz-
584
Ambos, in: MK-StGB2, § 7 Rn. 13. s. dazu Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, § 7 Rn. 45; Scholten, Das Erfordernis der Tatortstrafbarkeit in § 7 StGB, 1995, S. 79 ff. und 159. 586 Satzger, SSW-StGB, 2009, § 7 Rn. 22; Hoyer, SK-StGB, § 7 Rn. 5; Schröder, JZ 1968, S. 241 ff. (243). 587 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht7, S. 91 f.; Für eine einheitliche Lösung auch Plutte, Zum Umfang der nach § 7 StGB erforderlichen Prüfung ausländischen Strafrechts, 1982, 65 ff. 588 Schröder, JZ 1968, S. 241 ff. (243). 585
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B. Begründung im Deutschen Recht
gebers unbeachtet bleiben müssten, sondern weil man sich über den genauen Regelungsstandort nicht einigen konnte589. Folgt man der letztgenannten Meinung, so kommt man zu dem Ergebnis, dass ein transnationales Doppelverfolgungsverbot für Auslandstaten gilt, die nach dem aktiven oder passiven Personalitätsprinzip sowie dem Stellvertretungsprinzip verfolgt werden (§ 7 StGB) und im Tatortstaat schon abgeurteilt worden sind (partielle transnationale Sperrwirkung der Tatortentscheidung). Die „lex loci“ könnte aber meines Erachtens nicht nur zu der Annahme eines im zuvor erwähnten Sinne partiellen Doppelverfolgungsverbots führen, sondern sie bietet auch ein weiteres Argument für das transnationale „ne bis in idem“ und vor allem gegen das Misstrauen gegenüber ausländischen Strafentscheidungen. Steht nämlich hinter der Ablehnung eines transnationalen Doppelverfolgungsverbots (auch) der Gedanke, dass die generelle Anerkennung fremder Strafentscheidungen zu einer Bestätigung von Strafurteilen führen könnte, die eventuell den rechtsstaatlichen Prämissen der deutschen Rechtsordnung nicht entsprechen, dann ist darin ein Widerspruch mit der Institution der „lex loci“ zu sehen. Das ist leicht zu erkennen, wenn man die Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens in einem Staat und die gerichtliche Entscheidung über die Bestrafung oder den Freispruch eines Täters als zwei gleich zu behandelnde staatliche Entscheidungen über die Strafbarkeit eines im ersten Fall abstrakten, im zweiten Fall konkreten Verhaltens ansieht. Während man also im Falle der „lex loci“ die Berücksichtigung einer fremdstaatlichen abstrakten (gesetzgeberischen) Entscheidung über die Strafbarkeit oder Nichtstrafbarkeit eines Verhaltens ohne große Bedenken akzeptiert und die inländische Verfolgung von dieser Entscheidung abhängig macht, zögert man damit, diese Entscheidung zu berücksichtigen, wenn eine ebenfalls staatliche, diesmal aber konkrete (gerichtliche) Entscheidung über ein bestimmtes Verhalten vorliegt. Hat also, anders formuliert, ein fremder Staat abstrakt eine unterschiedliche Einstellung zur Strafbarkeit eines Verhaltens als Deutschland, wird dies im Falle der „lex loci“ prinzipiell akzeptiert und schließt die Verfolgung des Verdächtigen aus. Wenn dieser Staat jedoch eine ähnliche Einstellung wie Deutschland hat, das betreffende Verhalten unter Strafe gestellt hat und darüber hinaus sogar versucht hat, diese Einstellung durch einen Prozess gegen den Verdächtigen durchzusetzen, dann ist nicht ersichtlich, warum die Nichtverfolgbarkeit des Täters aufgrund eines transnationalen ne bis in idem-Prinzips in diesem Fall größere Bedenken erregen sollte als in ersterem Fall. Die Parallele zur „lex loci“ könnte in diesem Sinne als eine Antwort auf das Misstrauen gegenüber fremden Rechtsordnungen und den von ihnen ergangenen Strafurteilen angesehen werden. Sie könnte aber darüber hinaus zur Begrenzung des transnationalen Doppelverfolgungsverbots beitragen, indem man den für die „lex loci“ ausgearbeiteten Begriff des „ordre public“ auf das transnationale „ne bis in
589 Ambos, in: MK-StGB2, § 7 Rn. 13; Eser, JZ 1993, S. 875 ff. (880); vgl. Scholten, Das Erfordernis der Tatortstrafbarkeit in § 7 StGB, 1995, S. 155 ff.
IV. Abwägung beim transnationalen „ne bis in idem“
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idem“ überträgt und ihn, wie weiter unten erörtert, als „Sicherheitsventil“ für den Ausschluss von extrem inakzeptablen Strafurteilen benutzt.
4. Grenzen des transnationalen Doppelverfolgungsverbots – „ordre public“ Die Zögerung bei der Annahme eines transnationalen ne bis in idem-Prinzips ist in großem Maße auf die Befürchtung zurückzuführen, ein solches Prinzip berge die Gefahr in sich, dass dadurch Urteile anerkannt werden müssten, die in krassem Widerspruch zu inländischen rechtsstaatlichen Maßstäben stehen. Im Mittelpunkt wären Strafentscheidungen zu sehen, die den Täter entweder freisprechen oder ihm eine im Vergleich zur deutschen Strafrechtsordnung sehr niedrige Strafe auferlegen. Der Begriff des „ordre public“ könnte diesbezüglich als „Sicherheitsventil“ funktionieren und eventuelle Hemmungen bei der Annahme des transnationalen „ne bis in idem“ wegen des Misstrauens gegenüber fremden Rechtsordnungen mäßigen. Da dieser Begriff alleine aber sehr unpräzise ist, entsteht die Gefahr, dass dadurch der Umgehung des transnationalen Doppelverfolgungsverbots Tür und Tor geöffnet werden. Aus diesem Grund ist es nötig, den Inhalt des „ordre public“ so präzise wie möglich zu konkretisieren. Gleichzeitig muss jedoch angemerkt werden, dass Begriffe mit einer ähnlichen, die Berücksichtigung fremder Rechtsordnungen begrenzenden Funktion schon in anderen Bereichen weitgehend akzeptiert werden. So können, wie schon erwähnt worden ist, im Bereich des Strafanwendungsrechts ausländische Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe nur dann berücksichtigt werden, und somit die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts ausschließen, wenn sie nicht „universal anerkannten Rechtsgrundsätzen“ widersprechen590. § 73 IRG sieht des Weiteren vor, dass die Leistung von Rechtshilfe unzulässig ist, wenn sie wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde. Ausdrücklich geregelt ist die öffentliche Ordnung darüber hinaus in Art. 6 EGBGB für das Internationale Privatrecht591. Die Durchsetzung eines solchen Ordre-publicVorbehalts in verschiedenen Rechtsbereichen führt zu dem Schluss, dass eine generelle Ablehnung dieses Begriffs de lege lata verfehlt wäre592. Über den genauen Inhalt des „ordre public“ besteht keine Einigkeit. Umstritten ist vor allem, ob man bei der relevanten Prüfung auf Regeln des nationalen Rechts, des Völkerrechts oder beider Rechtsordnungen abstellen muss. Diese Frage stellt sich in 590 s. beispielsweise BGHSt 42, S. 275 ff. (279); Eser, in: Schönke/Schröder, StGB29, § 7 Rn. 9; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht7, S. 90; Hoyer, in: SK-StGB, § 7 Rn. 4; Nowakowski, JZ 1971, S. 633 ff. (636). 591 In Bezug auf den „ordre public“ im Zivilrecht s. auch Simitis, Gute Sitten und ordre public, 1960. 592 Gegen einen Ordre-public-Vorbehalt Jakobs, Strafrecht AT2, S. 116; Plutte, Zum Umfang der nach § 7 StGB erforderlichen Prüfung ausländischen Strafrechts, 1982, S. 67 f.
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B. Begründung im Deutschen Recht
jedem der zuvor erwähnten Bereiche jeweils mit unterschiedlichen und nicht immer generalisierbaren Argumenten. So sieht ein Teil der Literatur als Grenze für die Berücksichtigung fremden Rechts das Grundgesetz an. Dieser Meinung nach verbietet der effektive Schutz des Grundgesetzes die Anwendung fremden Rechts, wenn dies zu einer Beeinträchtigung der Grundrechte führen würde593. Bei § 7 StGB wird deutsches Recht angewandt und deswegen müsse die Anwendung dieser Vorschrift immer unter Berücksichtigung der deutschen Rechtsordnung erfolgen594. Selbst wenn der deutsche Richter fremdes Recht berücksichtigen muss, dürfe er seine Entscheidung nicht auf verfassungswidrige Normen stützen. Unterstützt wird diese Auffassung vom Wortlaut des Art. 6 EGBGB, der angesichts des Internationalen Privatrechts die Anwendung ausländischer Rechtsnormen ausschließt, wenn sie zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts und vor allem mit den Grundrechten offensichtlich unvereinbar ist. Das BVerfG hat in früheren Entscheidungen diese Auffassung bestätigt und unter Abstellung auf das deutsche Grundgesetz die Berücksichtigung ausländischer Rechtsnormen abgelehnt595. Ebenso wie diese Meinung, die auf die innerstaatliche Rechtsordnung abstellt, ist auch die Auffassung zu behandeln, die sowohl den inländischen als auch den internationalen „ordre public“ für maßgeblich hält596. Denn zumindest in Bezug auf die deutsche Rechtsordnung geht der durch das nationale Recht gewährleistete „Schutzrahmen“ weit über das Minimum der international anerkannten Rechtsgrundsätzen und Menschenrechten hinaus, so dass letztendlich kein Raum für die Berücksichtigung der internationalen Rechtsordnung bleiben würde. Fälle, in denen zwar die internationale nicht aber die inländische Rechtsordnung von der Anwendung einer ausländischen Rechtsnorm verletzt wird, sind nämlich kaum vorstellbar. Die herrschende Meinung in der Literatur will im Gegensatz dazu die Anerkennung fremder Rechtsnormen ausschließlich durch einen internationalen „ordre public“ begrenzen597. Ausschlaggebend sind nach dieser Auffassung die universell anerkannten Rechtsgrundsätze und vor allem die Menschenrechte. Die innerstaatliche Rechtsordnung und das Grundgesetz bieten einen sehr engen Raum für die Berücksichtigung fremden Rechts. Denn dazu gehören nicht nur die Grundrechte und grundlegenden Prinzipien der deutschen Rechtsordnung, die ein Schutzminimum garantieren, sondern auch speziellere Vorschriften. So wird z. B. im Bereich des § 7 StGB angesichts der Grenzen der Berücksichtigung fremder Rechtfertigungs- und 593
Küpper/Wilms, ZRP 1992, S. 91 ff. (93); Wilms/Ziemske, ZRP 1994, S. 170 ff. (171 f.). Vgl. Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht7, S. 90. 595 BVerfGE 12, S. 62 ff. (66); BVerfGE 11, S. 150 ff. (161). 596 Tröndle, in: LK-StGB10, § 7 Rn. 5. 597 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht7, S. 90; Werle/Jeßberger, in: LKStGB12, § 7 Rn. 38; Hoyer, in: SK-StGB, § 7 Rn. 4; Ambos, in: MK-StGB2, § 7 Rn. 15; Eser, in: Schönke/Schröder, StGB29, § 7 Rn. 9; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts AT5, S. 174; Lemke, in: AK-StGB, 1990, § 7 Rn. 7; Böse, in: NK-StGB, Bd. 14, § 7 Rn. 7. 594
IV. Abwägung beim transnationalen „ne bis in idem“
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Entschuldigungsgründe zutreffend angemerkt, dass jede ausländische Vorschrift, die einen längeren als den in Art. 104 Abs. 2 Satz 3 GG erlaubten Zeitraum für die Haft eines Verdächtigen vorsieht, ungültig wäre, so dass der Polizeibeamte eines fremden Staates, der einen Deutschen nach dem Tatortrecht zwar gesetzmäßig, jedoch länger als es die deutsche verfassungsrechtliche Frist erlaubt, festhalten würde, eine Freiheitsberaubung begehen würde, ohne dass die ausländische rechtfertigende Vorschrift Anwendung finden könnte598. Oft wird auch auf Art. 103 Abs. 2 GG und die dort garantierte Rechtssicherheit hingewiesen, da der Täter meistens weder einen Anlass noch die Möglichkeit dazu haben wird, sich über den deutschen „ordre public“ Gedanken zu machen599. Bei der Berücksichtigung fremden Rechts ist davon auszugehen, dass es zu Abweichungen im Vergleich zum deutschen Recht kommen kann. Was hier als Grenze garantiert werden muss, ist der Schutz eines Kernbereichs, insbesondere von Menschenrechten und elementaren rechtsstaatlichen Prinzipien. Dieses Minimum kann nicht durch die nationale Rechtsordnung und das Grundgesetz, sondern nur durch einen internationalen „ordre public“ vermittelt werden. Was also zu diesem Minimum gehört, bestimmt sich nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts600 und vor allem unter Berücksichtigung des sog. „jus cogens“. Das Abstellen auf die internationale Rechtsordnung entspricht auch dem Willen des historischen Gesetzgebers, der in der Begründung zu § 6 StGB die Berücksichtigung von willkürlichen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründen ausgeschlossen hat, die den von den zivilisierten Völkern anerkannten Rechtsgrundsätzen widersprechen601. Der BGH hat sich dieser Meinung angeschlossen. Er hat in seinem Mauerschützen-Urteil vom 3. 11. 1992 ausdrücklich judiziert, dass der Verstoß eines Rechtfertigungsgrundes gegen den „ordre public“ der Bundesrepublik Deutschland für sich allein kein ausreichender Grund ist, ihm die Berücksichtigung zu versagen. „Ein zur Tatzeit angenommener Rechtfertigungsgrund kann vielmehr nur dann wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht unbeachtet bleiben, wenn in ihm ein offensichtlich grober Verstoß gegen Grundgedanken der Gerechtigkeit und Menschlichkeit zum Ausdruck kommt; der Verstoß muss so schwer wiegen, dass er die allen Völkern gemeinsamen, auf Wert und Würde des Menschen bezogenen Rechtsüberzeugungen verletzt.“602 Auch das BVerfG hat diese Auffassung bestätigt und die Berücksichtigung von fremden Rechtfertigungsgründen, welche die in der
598
Scholten, Das Erfordernis der Tatortstrafbarkeit in § 7 StGB, 1995, S. 174 f. Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht7, S. 90. 600 Vgl. auch Art. 25 GG; Koenig, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG6, Art. 25 Rn. 15 ff. 601 Entwurf eines StGB E 1962 mit Begründung (BT-Drs IV/650), 1962, S. 113; s. auch Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, § 7 Rn. 38; Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht7, S. 91. 602 BGHSt 39, S. 1 ff. (15 f.); vgl. auch BGH NJW 1993, S. 1932 ff.; BGHSt 42, S. 275 ff. (279); BGHSt 2, S. 234 ff. (239). 599
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B. Begründung im Deutschen Recht
Völkerrechtsgemeinschaft allgemein anerkannten Menschenrechte in schwerwiegender Weise missachten, verneint603. Zu dieser in der höchstrichterlichen Rechtsprechung enthaltenen Formulierung und Begründung muss nur eine Anmerkung gemacht werden. Die Berufung auf die Gerechtigkeit, sowie auf Kriterien wie „grober Verstoß“ oder „krasses Missverhältnis“ ist für die Beurteilung der Frage nach der Gültigkeit einer ausländischen Norm (oder anderer Hoheitsakte fremder Staaten, wie im Falle des transnationalen „ne bis in idem“) unnötig. Zum internationalen „ordre public“ und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehört wie schon oben beschrieben ein Schutzminimum, das von allen Staaten gewährleistet werden muss und im Völkerrecht als ius cogens bezeichnet wird604. Wenn die fremde Rechtsnorm oder der fremde Hoheitsakt dieses Minimum missachtet bzw. gegen eine zum „ius cogens“ gehörende Regel verstößt, ist dies genug für ihre Nichtberücksichtigung. Eine Abwägung der Schwere des Verstoßes erübrigt sich in diesem Fall. Auf diese Weise ist der internationale „ordre public“ auch als Grenze des transnationalen „ne bis in idem“ zu verstehen. Entscheidungen, welche die internationale Rechtsordnung verletzen, können nicht von dem erneut verfolgenden Staat berücksichtigt werden. Dadurch können die Bedenken gegen die Anerkennung ausländischer Entscheidungen beseitigt werden. In diesem Sinne darf also eine Entscheidung, die dem Täter eine sehr niedrige Strafe für eine festgestellte Straftat auferlegt, die sogar unterhalb des Rahmens der im entsprechenden deutschen Tatbestand vorgesehenen Strafe steht, nicht von vornherein unberücksichtigt bleiben. Die auferlegte Strafe muss vielmehr so niedrig sein, dass sie einen Verstoß gegen den Kernbereich eines international anerkannten und zum internationalen „ordre public“ gehörenden Menschenrechts darstellt. Der Verstoß gegen die internationale Rechtsordnung kann aber nicht nur materiellrechtlicher Natur sein, also in einer im Vergleich zu der begangenen Straftat extrem niedrigen Strafe bestehen, sondern er kann sich auch auf prozessuale Rechtsgrundsätze beziehen. Das ist der Fall, wenn die Aburteilung des Täters unter Missachtung elementarer Prozessregeln erfolgte, so dass, selbst wenn die durch das ausländische Gericht bewiesene Tat mit der auferlegten Strafe in grobem Maße übereinstimmt, trotzdem davon auszugehen ist, dass das Ergebnis den internationalen „ordre public“ verletzt. Ein solches Beispiel stellen die „Schauprozesse“ von totalitären Regimen dar. Entsprechend ist aber auch hier zu beachten, dass nicht jeder Verstoß gegen prozessuale Regeln die Anerkennung des fremden Strafurteils rechtfertigen kann, sondern nur derjenige, der das rechtsstaatliche Minimum verletzt, zu dessen Gewährleistung alle Staaten verpflichtet sind. Was genau zu diesem Minimum gehört bestimmt sich nach den Regeln des Völkerrechts.
603 604
BVerfGE 95, S. 96 ff. (133); vgl. auch BVerfG vom 20. 12. 2007, 2 BvR 1996/07. Vgl. Mosler, ZaöRV 1976, S. 6 ff. (33).
IV. Abwägung beim transnationalen „ne bis in idem“
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Es versteht sich von selbst, dass als Verstoß gegen den internationalen „ordre public“, der eine erneute Verfolgung im Inland trotz ausländischer Aburteilung ermöglichen kann, nur solche Fälle in Betracht kommen können, in denen, wie in den zuvor erwähnten Beispielen, die Verletzung der relevanten Regel zur Missachtung des Schutzinteresses im Sinne einer extrem niedrigen Strafe oder eines falschen Freispruchs führt. Denn nur dieses Interesse bildet die Basis für die erneute Verfolgung. Ein Verstoß gegen einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, wie z. B. das Folterverbot, der zur Missachtung des Achtungsinteresses im Sinne einer strengeren als der ohne diesen Verstoß erwarteten Strafe führt, tangiert das Verfolgungsinteresse nicht und bleibt aus diesem Grund für die Frage des transnationalen „ne bis in idem“ ohne Bedeutung.
5. Zusammenfassung in Thesen Die bisherige Untersuchung lässt sich in folgenden Thesen zusammenfassen: (1) Kein transnationales „ne bis in idem“, wenn die – erneute – Verfolgung auf Basis des Territorialitätsprinzips erfolgt: Eine erneute inländische Verfolgung nach ausländischer Aburteilung ist als verhältnismäßig anzusehen und somit ist kein Verfolgungsverbot anzunehmen, wenn es sich um eine Inlandstat handelt. (2) Kein transnationales „ne bis in idem“, wenn die – erneute – Verfolgung auf Basis des Schutzprinzips i. e.S. erfolgt: Eine erneute inländische Verfolgung nach ausländischer Aburteilung ist als verhältnismäßig anzusehen und somit ist ebenfalls kein Verfolgungsverbot anzunehmen, wenn es sich um eine Auslandstat handelt, die sich gegen die innere und äußere Sicherheit, die territoriale Integrität sowie generell die Existenz des Staates richtet. (3) Bejahung eines transnationalen „ne bis in idem“, wenn die – erneute – Verfolgung auf Basis eines der restlichen Prinzipien des Internationalen Strafrechts erfolgt: In den restlichen Fällen (Auslandstaten, die auf Basis des aktiven oder passiven Personalitätsprinzips, des Flaggen-, Weltrechts- oder Stellvertretungsprinzips verfolgt werden) ist eine erneute inländische Verfolgung nach ausländischer Aburteilung der gleichen Tat hingegen als unverhältnismäßig anzusehen und führt somit zu einem inländischen Verfolgungsverbot. (4) Nicht-Berücksichtigung fremder Aburteilungen, wenn sie gegen den internationalen „ordre public“ verstoßen: Von einer Ausnahme vom transnationalen Doppelverfolgungsverbot ist auszugehen, wenn die ausländische Aburteilung gegen den internationalen „ordre public“ verstößt, d. h. wenn er das rechtsstaatliche Minimum verletzt, zu dessen Gewährleistung alle Staaten verpflichtet sind.
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B. Begründung im Deutschen Recht
V. Exkurs: Transnationales „ne bis in idem“ und Internationales Strafprozessrecht Der Vollständigkeit halber ist eine Betrachtung des transnationalen „ne bis in idem“ im Rahmen des sog. Internationalen Strafprozessrechts nötig. Daraus können nützliche zusätzliche Schlüsse zur Begründung des zwischenstaatlichen Doppelverfolgungsverbots aus nationaler Sicht gezogen werden.
1. Allgemeines Der Begriff „Internationales Strafprozessrecht“, ist zwar relativ neu, wird in der Literatur aber mit zunehmender Verbreitung benutzt605. Damit sind die Rechtsnormen gemeint, welche „auslandsbezogene strafprozessuale Sachverhalte zum Gegenstand haben“606. Hierzu gehören Fragen, die z. B. mit der Immunität, der Internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, oder der Verwertbarkeit von (illegal) im Ausland erworbenen Beweismitteln zusammenhängen. So wie beim Internationalen Strafrecht oder beim Internationalen Privatrecht, handelt es sich auch hier um im Inland geltendes Recht. Der Begriff „international“ weist lediglich auf die Auslandsbezogenheit der Frage hin. Er bezieht sich nicht auf die Natur bzw. die Herkunft der relevanten Rechtsnormen. So aufgefasst gehört zu der Materie des Internationalen Strafprozessrechts in erster Linie auch die Frage des transnationalen „ne bis in idem“. Gegen die Nutzung des Begriffs des „Internationalen Strafprozessrechts“ wurde eingewandt, dass er entbehrlich sei607. Was das Strafanwendungsrecht betrifft, seien relevante Fragen von Verfahrenshindernissen oder -voraussetzungen so eng damit (d. h. mit dem Strafanwendungsrecht) verknüpft, dass sie gar nicht selbständig behandelt werden könnten. Die restlichen Fragen seien dem Rechtshilferecht oder dem üblichen Strafprozessrecht zuzuordnen. Dagegen ist aber wiederum zu Recht entgegengebracht worden, dass selbst wenn es zutreffen würde, dass die Unterscheidung zwischen Internationalem Strafrecht und Internationalem Strafprozessrecht entbehrlich ist, dies nicht automatisch hieße, dass sie auch falsch ist608. Vielmehr sei aber diese Unterscheidung gar nicht entbehrlich. Abgesehen davon, dass sie der herkömmlichen Trennung zwischen ma605 s. Vogel, Joachim, in: Vogel/Grotz, Perspektiven des internationalen Strafprozessrechts, 2004, S. 1 ff.; Meyer-Goßner, StPO58, Einl. Rn. 208 ff.; vgl. auch v. Carolsfeld, in: FS-Maurach, 1972, S. 615 ff.; 606 Vogel, Joachim, in: Vogel/Grotz, Perspektiven des internationalen Strafprozessrechts, 2004, S. 1; so auch nunmehr Meyer-Goßner, StPO58, Einl. Rn. 208 ff. 607 Oehler, Internationales Strafrecht2, S. 6 (Fn. 21a). 608 Vogel, Joachim, in: Vogel/Grotz, Perspektiven des internationalen Strafprozessrechts, 2004, S. 8 f.
V. Transnationales „ne bis in idem“ und Internationales Strafprozessrecht
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teriellem und formellem Strafrecht entspricht, könnte man durch die Subsumtion von zwar gestreuten, von ihrer Natur her aber relevanten Einzelfragen unter dieselbe wissenschaftliche Disziplin Widersprüche oder zumindest Spannungen ausfindig machen und korrigieren609. Mit eben diesem Ziel wird hier der Begriff des Internationalen Strafprozessrechts in Zusammenhang mit dem transnationalen „ne bis in idem“ gebracht. Im Folgenden wird demgemäß versucht, durch die Betrachtung des transnationalen „ne bis in idem“ unter dem Aspekt des Internationalen Strafprozessrechts einerseits Widersprüche bzw. Spannungen vor allem im Vergleich zum Rechtshilferecht aufzuzeigen, und andererseits die individuumsorientierte Betrachtungsweise des zwischenstaatlichen Doppelverfolgungsverbots zu profilieren.
2. Rechtshilferecht a) Auslieferungsrecht Obwohl man der herrschenden Meinung zufolge behaupten könnte, dass der deutschen Strafprozessordnung ein transnationales „ne bis in idem“ völlig fremd ist, kann im Bereich der Internationalen Rechtshilfe in Strafsachen nicht das Gleiche gesagt werden. Dort und vor allem beim Auslieferungsrecht ist – zumindest in gewissem Umfang – ein transnationales „ne bis in idem“ festzustellen. Man spricht diesbezüglich auch von einem „auslieferungs- und rechtshilferechtlichen ne bis in idem“, und zwar in den folgenden Konstellationen610 : Zunächst schließt die vorherige Aburteilung der Straftat im ersuchenden Staat eine Auslieferung des Täters nach dem deutschen Recht aus. Der Grund ist, dass die Auslieferung aber auch jegliche Rechtshilfe nur unter der Voraussetzung gewährleistet werden kann, dass die relevante Straftat im ersuchenden Staat verfolgbar ist611. War in diesem Sinne die Tat im ersuchenden Staat Gegenstand eines anderen Strafprozesses, dann ist die Auslieferung des Täters in diesen Staat unzulässig, da die Straftat aufgrund des (inländischen) Doppelverfolgungsverbots dort nicht mehr verfolgbar ist. Darüber hinaus regelt § 9 Nr. 1 IRG den Fall, in dem eine deutsche Entscheidung über die gleiche Straftat vorliegt. Nach dieser Vorschrift ist die Auslieferung einer Person nur dann zulässig, wenn für die gleiche Tat kein deutsches Urteil bzw. keine Entscheidung mit entsprechender Rechtswirkung erlassen worden ist. Zwar handelt 609 Vogel, Joachim, in: Vogel/Grotz, Perspektiven des internationalen Strafprozessrechts, 2004, S. 9. 610 Vogel, Joachim, in: Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen3, Vor § 1 Rn. 92 ff. und § 9 Rn. 2 und 19. 611 Vogel, Joachim, in: Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen3, Vor § 1 Rn. 76.
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B. Begründung im Deutschen Recht
es sich dabei um eine (transnationale) Sperrwirkung von deutschen Urteilen und nicht um die Anerkennung fremder Strafentscheidungen; trotzdem besteht das Ziel dieser Vorschrift offensichtlich darin, eine erneute Verfolgung des Täters im Ausland aufgrund der gleichen Tat zu verhindern, was in diesem Sinne eine Art transnationales Doppelverfolgungsverbot bewirkt612. Was die Auswirkungen von Drittstaatenentscheidungen auf die Zulässigkeit der Auslieferung betrifft, ist anzumerken, dass solche Entscheidungen grundsätzlich im Rahmen des IRG zwar unbeachtlich sind, sie aber immer häufiger in bilateralen oder multilateralen Auslieferungsverträgen berücksichtigt werden613. Art. 4 Abs. 2 des Auslieferungsvertrages zwischen Deutschland und Australien614 bestimmt beispielsweise, dass die Auslieferung abgelehnt werden kann, wenn der Verfolgte wegen der Straftat, derentwegen um Auslieferung ersucht wird, von den zuständigen Behörden eines dritten Staates bereits freigesprochen oder verurteilt worden ist. Eine ähnliche Regelung enthält Art. 6 Abs. 2 des Auslieferungsvertrages zwischen Deutschland und Kanada615. Man könnte behaupten, dass auch beim Auslieferungsrecht und trotz dieser Vorschriften die Gefahr einer transnational mehrmaligen Strafverfolgung nicht ausgeschlossen ist. Trotzdem stehen diese Regelungen und vor allem das dadurch zum Ausdruck kommende Ziel des Gesetzgebers, die mehrmalige Verfolgung des Täters auf transnationaler Ebene zu verhindern, zu der absoluten Ablehnung des transnationalen „ne bis in idem“ im Bereich des Strafverfahrensrechts im Gegensatz. b) Vollstreckungshilfe Für die zuvor erwähnten Regelungen über die Auslieferung sind meines Erachtens auch die §§ 48 ff. IRG relevant, die die Vollstreckung von ausländischen Strafentscheidungen ermöglichen. Laut § 48 IRG kann somit Rechtshilfe auch für ein Verfahren in einer strafrechtlichen Angelegenheit durch Vollstreckung einer im Ausland rechtskräftig verhängten Strafe oder sonstigen Sanktion geleistet werden. In diesem Fall wäre die erneute Verfolgung des Täters in Deutschland für die gleiche Tat ausgeschlossen. Das gilt zwar nur im Falle einer verurteilenden Entscheidung, es entspricht aber einer partiellen Anerkennung von ausländischen Urteilen, was ein ebenfalls partielles transnationales Doppelverfolgungsverbot bedeutet. 612 Vgl. Lagodny/Schomburg, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, IRG-Kommentar5, § 9 Rn. 2 ff. 613 Vogel, Joachim, in: Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen3, § 9 Rn. 50. 614 Vertrag vom 14. April 1987 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Australien über die Auslieferung, BGBl. 1990 II, S. 111 ff. und 716 ff., abgedruckt auch in Kutsch/ Hengstler, Internationale strafrechtliche Zusammenarbeit2, S. 363 ff. 615 Vertrag vom 11. Juli 1977 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada über die Auslieferung, BGBl. 1979 II, S. 665 ff., abgedruckt auch in Kutsch/Hengstler, Internationale strafrechtliche Zusammenarbeit2, S. 441 ff.
VI. Zwischenergebnis zu der Begründung des transnationalen „ne bis in idem“
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Es erscheint in diesem Sinne widersprüchlich, einerseits den Behörden eines fremden Staates die Möglichkeit zu geben, ein transnationales „ne bis in idem“ durch Vollstreckungshilfe in Deutschland zu bewirken, während andererseits dem Verurteilten diese Möglichkeit verwehrt wird, obwohl in diesem Fall auch menschenrechtliche Gründe dafür sprechen würden.
3. Individuumsorientierte Betrachtungsweise Durch die Einordnung des transnationalen „ne bis in idem“ unter das Internationale Strafprozessrecht könnte schließlich auch die individuumsorientierte Betrachtung dieser Frage betont werden. Denn das Hauptanliegen des Strafverfahrensrechts ist (unter anderem) der Schutz der verfolgten Person vor ungerechtfertigten Eingriffen in ihre Grundrechte durch die Verfolgungsbehörden. Selbst wenn das nicht als eines der Hauptzwecke des Strafprozessrechts angesehen wird, gehört es ohne Zweifel zu seinen primären Funktionen. Da das Internationale Strafprozessrecht eine strafprozessuale Disziplin ist, sollte das Gleiche auch diesbezüglich gelten. Fundamentales Ziel einer solchen Disziplin sollte nämlich ebenfalls die Konkretisierung des Grundrechtsschutzes bei auslandsbezogenen strafprozessualen Sachverhalten sein. Betrachtet man in diesem Sinne das zwischenstaatliche Doppelverfolgungsverbot unter dem Aspekt des Internationalen Strafprozessrechts, muss man davon ausgehen, dass die Frage, ob ein solches Verbot existiert oder nicht, durch eine individuumsorientierte bzw. grundrechtsbezogene Betrachtung der entsprechenden Argumente und Normen gelöst werden soll (was genau dieser Arbeit zugrunde liegt) und nicht aus dem Aspekt der zwischenstaatlichen Beziehungen. Man kommt nämlich dadurch wieder zu dem schon wiederholt betonten Ergebnis, dass die Frage des transnationalen „ne bis in idem“ an die Beziehung zwischen Verfolgtem und (zweit-)verfolgendem Staat und nicht an das Verhältnis zwischen Ersturteilsund Zweiturteilsstaat anknüpft.
VI. Zwischenergebnis zu der Begründung des transnationalen „ne bis in idem“ im Deutschen Recht So wie jede Verfolgung stellt eine erneute Verfolgung nach ausländischer Aburteilung der Straftat einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Verfolgten dar. Die Tatsache, dass die erste Aburteilung in einem fremden Land stattgefunden hat, rechtfertigt die Missachtung dieser ersten Verfolgung nicht. Letztere ist vielmehr für die Gewichtung der Schwere des Eingriffs genauso maßgeblich, wie eine vorherige Aburteilung im Inland, da bei jedem Eingriff auch dessen Empfindung seitens des Betroffenen zu berücksichtigen ist.
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B. Begründung im Deutschen Recht
Damit dieser Grundrechtseingriff zulässig ist, muss er von einem verfassungsrechtlichen Prinzip gerechtfertigt werden. Diese Rolle soll hier die im Rechtsstaat verankerte Pflicht des Staates zum Schutze des jeweiligen Rechtsguts spielen. In diesem Sinne erscheint die ganze „ne bis in idem“-Problematik nicht als ein Widerstreit zwischen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit, wie die herkömmliche Meinung annimmt, sondern als das Ergebnis einer Ausbalancierung der zwei staatlichen Grundpflichten, die das ganze Strafverfahren prägen: einerseits der Pflicht zur Achtung der Grundrechte und hier konkreter des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Verfolgten (Achtungspflicht) und andererseits der Pflicht zum präventiven Schutz bestimmter Rechtsgüter durch die Strafverfolgung (Schutzpflicht). Der Widerstreit zwischen diesen zwei Staatspflichten ist anhand des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu lösen. Dafür ist es nötig, alle in Betracht kommenden Faktoren zu berücksichtigen. Vor allem ist zu beachten, dass die Fälle, in denen sich die Frage des transnationalen „ne bis in idem“ stellt, immer einen gewissen Auslandsbezug aufweisen. Die staatliche Schutzpflicht hängt in diesen Fällen von der jeweiligen Anknüpfung der Tat zur inländischen (hier der deutschen) Rechtsordnung ab. Die Frage, ob eine erneute Strafverfolgung nach ausländischer Aburteilung der Tat rechtsstaatlich gerechtfertigt ist, wird somit von dem jeweiligen Anknüpfungspunkt abhängig gemacht. Wird die Tat aufgrund des Territorialitätsgrundsatzes oder des Schutzprinzips i. e.S. verfolgt, ist von einem starken Schutzinteresse auszugehen und daher kann eine erneute Verfolgung trotz vorheriger (ausländischer) Aburteilung derselben Tat als verhältnismäßig angesehen werden. Erfolgt die Verfolgung hingegen auf der Basis der Prinzipien der aktiven oder passiven Personalität, des Prinzips der stellvertretenden Strafrechtspflege oder des Weltrechtsgrundsatzes, dann ist eine erneute Verfolgung als unverhältnismäßig zu betrachten. Ausnahmen können nur dann gerechtfertigt werden, wenn die vorherige Aburteilung aus materiell- oder prozessrechtlichen Gründen gegen den internationalen „ordre public“ verstößt. In diesem Fall ist die erneute Verfolgung ausnahmsweise gerechtfertigt. Die Begründung des transnationalen „ne bis in idem“ kann aber auch direkt anhand von Art. 103 Abs. 3 GG erfolgen. Der Wortlaut der Vorschrift hindert nicht an einer solchen Annahme. Im Gegenteil, die geschichtliche Entwicklung, vor allem aber der grundrechtliche Charakter der Norm spricht für eine weite Fassung des Schutzbereichs, so dass auch ausländische Entscheidungen davon erfasst werden. Die Annahme, dass unter Art. 103 Abs. 3 GG auch fremde Strafentscheidungen fallen, führt jedoch nicht zu einem unbegrenzten transnationalen „ne bis in idem“. So wie beim innerstaatlichen „ne bis in idem“ können auch im zwischenstaatlichen Bereich Grenzen gesetzt bzw. Ausnahmen festgelegt werden. Somit ist die Annahme des zuvor erwähnten Modells durch eine Abwägung im Rahmen der Eingriffsrechtfertigung bzw. der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch durch Art. 103 Abs. 3 GG möglich.
C. Begründung im Völkerrecht I. Allgemeines Bei der bisherigen Untersuchung wurde das transnationale „ne bis in idem“Prinzip als eine Frage des nationalen Rechts behandelt und es wurde versucht, einen auf der deutschen Rechtsordnung basierenden Lösungsansatz zu begründen. Im Folgenden wird das gleiche Phänomen ausschließlich unter dem Aspekt des Völkerrechts untersucht. Das Hauptanliegen ist die Frage, ob bzw. wie ein zwischenstaatliches Doppelverfolgungsverbot auf die Prinzipien des Völkerrechts gestützt werden könnte. Das BVerfG hat mit seiner Entscheidung von 19871 judiziert, dass „zumindest derzeit noch“ keine allgemeine Regel des Völkerrechts bestünde, welche die Berücksichtigung von Entscheidungen fremder Staaten gebiete, und somit die Geltung des Grundsatzes „ne bis in idem“ auf völkerrechtlicher Ebene verneint. Obwohl es mit seiner Formulierung die Möglichkeit offengelassen hat, diese Rechtsprechung zu einem späteren Zeitpunkt zu ändern, ist es zwanzig Jahre später bei der gleichen Meinung geblieben und hat sich erneut gegen ein völkerrechtlich anerkanntes zwischenstaatliches Doppelverfolgungsverbot geäußert2. Ob diese Meinung richtig ist, ist im Folgenden zu prüfen.
1. Internationale Erscheinungsformen des „ne bis in idem“-Prinzips Gleichgültig welche Antwort man auf die Frage nach der universalen Geltung eines zwischenstaatlichen Doppelverfolgungsverbots gibt, muss man anerkennen, dass der Grundsatz „ne bis in idem“ mittlerweile keine rein innerstaatliche Angelegenheit geblieben ist. Im internationalen Bereich ist es vor allem in vertikaler Hinsicht anerkannt, nämlich bei dem Verhältnis zwischen internationalen und nationalen Gerichtshöfen zur Vermeidung der Gefahr einer Doppelverfolgung, die aus der parallelen Zuständigkeit dieser Organe entstehen könnte. Die Statuten der Internationalen Ad-hoc-Gerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien (JStGH) und Ruanda (RStGH) sowie das Statut des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) enthalten alle Regelungen, welche die Vermeidung einer doppelten Verfolgung und 1 2
BVerfGE 75, 1 ff. BVerfG, StraFo 2008, 151 ff.
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C. Begründung im Völkerrecht
Bestrafung bezwecken3. Auch auf horizontaler Ebene ist das Doppelverfolgungsverbot in gewissem Umfang durch zwischenstaatliche Übereinkommen anerkannt. Das markanteste Beispiel bildet zwar das SDÜ, es gibt aber auch andere bilaterale oder multilaterale Übereinkommen, die „ne bis in idem“-Regelungen enthalten, wie z. B. das Nato-Truppen-Statut von 1951 (Art. VII Abs. 8)4. Wie vorher gezeigt wurde, ist auch im Bereich des Auslieferungsrechts eine weitergehende Anerkennung des transnationalen „ne bis in idem“-Prinzips zu beobachten. Selbst Staaten wie Deutschland, die eine allgemeine oder prinzipielle Sperrwirkung von ausländischen Strafentscheidungen ablehnen, verlangen oft für die Zulässigkeit der Auslieferung, dass die verfolgte Person in dem ersuchenden bzw. dem ersuchten Staat nicht für dieselbe Sache schon abgeurteilt worden ist5. Alle diese internationalen Aspekte können dem „ne bis in idem“-Prinzip auf völkerrechtlicher Ebene Kontur geben und sind aus diesem Grund zu berücksichtigen.
2. Kriminalpolitische Aspekte Vor einer Prüfung der möglichen dogmatischen Grundlagen eines universalen Doppelverfolgungsverbots ist es nötig, dieses Verbot unter dem Lichte des internationalen kriminalpolitischen Status zu betrachten. Dabei sind drei Faktoren von besonderer Bedeutung: die steigende „Internationalisierung“ der Kriminalität, die parallele Intensivierung der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit in Strafsachen und schließlich die Erweiterung des Geltungsbereichs des nationalen Strafrechts seitens vieler Staaten im Vergleich zu der Vergangenheit. Es ist keine kriminologische Studie nötig um zu verstehen, dass die Begehung einer Straftat mit internationalen Aspekten heutzutage keine Ausnahme mehr darstellt. Die Steigerung des internationalen Verkehrs, welche die zwischenstaatliche Mobilität von Person deutlich erleichtert hat, ist nur einer von mehreren Faktoren, die dazu beigetragen haben6. Vor allem die Entwicklungen im Bereich des Internets, eines Raums, wo die staatlichen Grenzen nur geringe Bedeutung haben, führten dazu, dass viele Straftaten internationale Auswirkungen haben können, eventuell sogar ohne die Kenntnis oder den Willen des Täters. Daneben ist auch die internationale 3
Art. 10 JStGH-Statut, Art. 9 RStGH-Statut und Art. 20 IStGH-Statut. Vgl. Kniebühler, Transnationales „ne bis in idem“, 2005, S. 374 ff.; Specht, Die zwischenstaatliche Geltung des Grundsatzes „ne bis in idem“, 1999, S. 54 ff. 4 Vgl. dazu auch Specht, Die zwischenstaatliche Geltung des Grundsatzes ne bis in idem, 1999, S. 106 ff.; Eicker, Transstaatliche Strafverfolgung, 2004, S. 242 ff.; Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 90 ff. 5 § 9 IRG. Vgl. auch Cassese, The Oxford companion to international criminal justice, 2009, S. 321 f., der das „ne bis in idem“ als „typical bar“ für die Auslieferung bezeichnet. 6 Vgl. Kniebühler, Transnationales „ne bis in idem“, 2005, S. 8 f.
I. Allgemeines
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Wirtschaftslage zu berücksichtigen, welche im Falle von Wirtschaftsdelikten und aufgrund der Komplexität des heutigen Finanzsystems oft zu der gleichzeitigen Verwicklung von verschiedenen Staaten führt. Als typisches Beispiel können hier die Kartell- oder Kapitalmarktdelikte erwähnt werden, welche zwar ausschließlich in einem bestimmten Land durchgeführt werden, die aber trotzdem Auswirkungen auf verschiedene Märkte haben können. Diese „Internationalisierung“ der Kriminalität, die zu der parallelen Zuständigkeit von mehreren Staaten führt, erhöht die Gefahr einer mehrmaligen Verfolgung und Bestrafung des Täters. Des Weiteren ist eine internationale Tendenz zu einer näheren und intensiveren zwischenstaatlichen Zusammenarbeit zu bemerken. Bi- und multilaterale Rechtshilfeübereinkommen in Strafsachen sowie internationale Strafverfolgungsorgane (Europol, Interpol) lassen die internationale Staatengemeinschaft gegenüber dem Täter oft als „eine Person“ erscheinen7. Gleichzeitig koordinieren die Staaten ihre Tätigkeit in verschiedenen Bereichen der Verbrechensbekämpfung (Drogen- und Menschenhandel, Geldwäsche, Korruptionsbekämpfung, Organisierte Kriminalität, Terrorismus), indem sie unter anderem Handlungen unter Strafe stellen, die eventuell keine unmittelbare Wirkungen im Inland wohl aber auf internationaler Ebene haben können. Kennzeichnend ist die Verbreitung des Vertragsprinzips8 sowie die zahlreichen relevanten Abkommen, welche auch Deutschland unterschrieben hat und auf die sich viele Straftaten des § 6 StGB beziehen9. Damit hängt eine seit Langem zu beobachtende Neigung seitens vieler Staaten zur Erweiterung des Anwendungsbereichs ihres nationalen Strafrechts zusammen. Im angloamerikanischen Rechtsraum war für lange Zeit der Territorialitätsgrundsatz und das Prinzip der aktiven Personalität Mittelpunkt des Strafanwendungsrechts. Andere Anknüpfungspunkte wurden nicht akzeptiert, ja als völkerrechtswidrig angesehen. Heutzutage ist das Schutzprinzip, das passive Personalitätsprinzip sowie der Auswirkungsgrundsatz weitgehend anerkannt10. In Deutschland ist eine umfassende „Ergänzung“ des Territorialitätsprinzips durch die anderen Anknüpfungsprinzipien des Internationalen Strafrechts nicht neu, sondern wird schon seit mehreren Jahrzehnten vertreten11. Der ständig wachsende Straftatenkatalog der §§ 5 und 6 StGB zeigt, dass eine solche Tendenz auch hierzulande bemerkbar ist. Als Ergebnis ist also festzuhalten, dass, während auf der Seite der Verbrechensbekämpfung Entwicklungen zu beobachten sind, welche direkt oder indirekt die parallele Zuständigkeit mehrerer Staaten immer mehr fördern und folglich die Gefahr einer international mehrmaligen Verfolgung und Bestrafung erhöhen, es auf der Seite des Individualschutzes an entsprechenden Bestrebungen fehlt, die diese Gefahr mäßigen könnten. Solche kriminalpolitischen Betrachtungen stellen zwar 7
Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 136 f. s. weiter oben, B.IV.3.a)ii). 9 Vgl. Eser, in: Schönke/Schröder, StGB29, Vor § 3 – 9 Rn. 10 und § 6 Rn. 10 f. 10 s. Oehler, Internationales Strafrecht2, S. 125 ff. 11 Vgl. Jescheck, IRuD 1956, S. 75 ff. 8
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C. Begründung im Völkerrecht
keine dogmatischen Argumente dar, welche allein von der Annahme eines zwischenstaatlichen „ne bis in idem“ überzeugen könnten, sie können aber zu einer prima facie Anerkennung des universalen Doppelverfolgungsverbots auf internationaler Ebene beitragen bzw. sie sprechen gegen seine a priori Ablehnung. Um dieses Verbot auf völkerrechtlicher Ebene dogmatisch zu begründen, muss man aber auf die Rechtsquellen des Völkerrechts zurückgreifen.
3. Rechtsquellen des Völkerrechts Die Annahme einer völkerrechtlichen Regel, die das zwischenstaatliche „ne bis in idem“ zum Inhalt hätte, kann sich nur aus völkerrechtlich anerkannten Rechtsquellen ergeben. Traditionell werden als solche die Völkerrechtsverträge, das Völkergewohnheitsrecht und die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Völkerrechts angesehen. Das basiert grundsätzlich auf Art. 38 Abs. 1 des IGH-Statuts, der die Grundlagen für die Entscheidungen des Gerichts festlegt und ist nahezu einhellig anerkannt12. Umstritten ist jedoch, ob die Aufzählung dieser Rechtsquellen in der genannten Vorschrift einen lediglich deklaratorischen oder festlegenden Charakter hat sowie ob sie als erschöpfend angesehen werden soll oder auch andere Rechtsquellen anerkannt werden könnten13. Eine Stellungnahme zu diesen Meinungsunterschieden im Rahmen dieser Arbeit erübrigt sich, zumindest solange man das „ne bis in idem“-Prinzip auf eine der vorgenannten Rechtsquellen stützen kann. Dahingestellt kann auch die Frage bleiben, ob zwischen den verschiedenen Rechtsquellen ein bestimmtes Rangverhältnis besteht14. Angesichts der vorgenannten Rechtsprechung des BVerfG und der als herrschend bezeichneten Meinung in der deutschen Literatur, die das transnationale „ne bis in idem“ ablehnt, ist hier anzumerken, dass die nationalen und internationalen Gerichtsentscheidungen sowie die Äußerungen aus der Völkerrechtslehre, obwohl sie in Art. 38 Abs. 1 IStGH-Statut erwähnt werden, keine Völkerrechtsquellen darstellen, sondern eine sekundäre Rolle (Rechtserkenntnisquellen) spielen und als völkerrechtliche Hilfsmittel die Ermittlung von Völkerrechtsregeln gestatten15.
12 Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht6, S. 388; Bleckmann, Völkerrecht, 2001, S. 73; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, S. 321 ff. 13 Doehring, Völkerrecht2, S. 125; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, S. 323 ff. 14 Dazu s. Doehring, Völkerrecht2, S. 123 f.; Bleckmann, Völkerrecht, 2001, S. 88 f.; vgl. auch Mosler, ZaöRV 1976, S. 1 ff. (46). 15 Herdegen, Völkerrecht15, § 14 Rn. 1; vgl. Strebel, ZaöRV 1976, S. 301 ff. (311); Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, S. 395 ff.
II. Begründungsansätze
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II. Begründungsansätze 1. Internationale Rechtsverträge Die Anerkennung des zwischenstaatlichen Doppelverfolgungsverbots im Rahmen von internationalen multilateralen Abkommen hat in doppelter Hinsicht eine wichtige Bedeutung. Zunächst ist natürlich auf die unmittelbare Wirkung des internationalen Vertrags zu verweisen, nämlich darauf, dass der Vertragsinhalt durch die Ratifizierung des Abkommens in innerstaatliches Recht transformiert wird, während die vertragschließenden Staaten gegenseitig unmittelbar gebunden werden. Bei internationalen Abkommen, die von vielen Staaten unterschrieben worden sind, könnte das eine weitgehende Anerkennung des Grundsatzes „ne bis in idem“ bedeuten, wenn auch nur „inter partes“. Aber abgesehen von dieser unmittelbaren „inter partes“-Wirkung, kann die Aufnahme eines Prinzips in verschiedene und von vielen Staaten unterzeichnete internationale Abkommen auch darauf hindeuten, dass dieses Prinzip zu einem festen Bestandteil des Internationalen Rechts geworden ist (als Völkergewohnheitsrecht oder als allgemeiner Rechtsgrundsatz), und kann somit als Indiz für seine universale Anerkennung dienen16. Aus diesem Grund ist im Folgenden zu überprüfen, ob das zwischenstaatliche „ne bis in idem“ Bestandteil solcher weitgehend anerkannten Völkerrechtsverträgen ist. In Betracht kommen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR). Für das deutsche Recht werden die internationalen Abkommen durch Ratifizierung in innerstaatliches Recht umgewandelt, aber im Gegensatz zu anderen Ländern17 bekommen sie keinen übergeordneten Rang, sondern gelten nach der herrschenden Meinung in der Form eines einfachen Bundesgesetzes18. Das bedeutet vor allem, dass die Regelungen eines ratifizierten internationalen Vertrags einfach durch ein neues Gesetz geändert oder abgeschafft werden könnten („lex posterior derogat legi priori“), obwohl das dem Sinn und Ziel jedes Völkervertrags und insbesondere dem der EMRK und des IPbpR widerspricht19. Den ratifizierten Übereinkommen durch den allgemeinen Grundsatz des Völkerrechts „pacta sunt servanda“, der nach
16 Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, S. 365 f.; Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 136 f. 17 Für eine Übersicht zu der EMRK s. Frowein, in: Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar3, 2009, Einf. Rn. 7. 18 BVerfGE 74, S. 358 ff. (370); BVerfGE 82, S. 102 ff. (120); BVerfG, NJW 2004, 3407; Gollwitzer, Kommentar zu MRK und IPbpR, 2005, Einf. Rn. 39; Bernhardt, EuGRZ 1996, S. 339 ff.; Herzog, EuGRZ 1990, S. 483 ff. (486); Weigend, StV 2000, S. 384 ff. (386). 19 Kühne, Strafprozessrecht9, Rn. 29 ff.; vgl. auch Bleckmann, EuGRZ 1994, S. 149 ff. (152 ff.); Klein, Eckart, in: Mahrenholz/Holf/Klein, Entwicklung der Menschenrechte innerhalb der Staaten des Europarates, 1987, S. 43 ff. (50 ff.); Czerner, EuR 2007, S. 537 ff.
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C. Begründung im Völkerrecht
Art. 25 GG wiederum Verfassungsrang besitzt, einen dem einfachen Recht übergeordneten Rang zu verleihen, wird vom BVerfG auch abgelehnt20. a) EMRK Die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 ist bisher von 47 Ländern unterzeichnet worden21. Eine Regelung über das transnationale „ne bis in idem“ ist weder in der Konvention selbst noch in den dazu gehörenden Zusatzprotokollen zu finden. Trotzdem wurde vorgeschlagen, aus Art. 6 EMRK mittelbar ein zwischenstaatliches Doppelverfolgungsverbot abzuleiten. Seit dem Inkrafttreten des 7. Zusatzprotokolls, das in Art. 4 ein rein innerstaatliches „ne bis in idem“ vorsieht, lehnt jedoch die Mehrheit der Autoren eine solche Interpretation ab. Als Grundlage des transnationalen „ne bis in idem“ wurde auch das Verbot erniedrigender Strafe (Art. 3 EMRK) eingefügt. Vor einer näheren Betrachtung der einschlägigen Vorschriften muss angemerkt werden, dass nach der Europäischen Kommission für Menschenrechte die EMRK objektiv und nicht im Hinblick darauf interpretiert werden soll, was die Vertragsparteien sich bei ihrer Formulierung vorgestellt haben, und dass die einzelnen Bestimmungen so auszulegen sind, dass sie dem Zweck der Konvention gerecht werden22. aa) Art. 6 EMRK und Art. 4 des 7. ZP Die einzige Regelung der Konvention, die das Verbot der Doppelverfolgung vorsieht, befindet sich im 7. Zusatzprotokoll23. Art. 4 dieses Protokolls besagt, dass niemand wegen einer Straftat, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut verfolgt oder bestraft werden darf. Dass diese Garantie sich nicht auf Strafverfahren anderer Staaten erstreckt, ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut der Vorschrift und wird nicht bestritten. Schon vor dem 7. ZP zur EMRK wurde aber versucht, das Verbot erneuter Strafverfolgung nach Aburteilung der Tat in einem fremden Staat auf Art. 6 EMRK
20 BVerfGE 31, S. 145 ff. (178); Koenig, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG-Kommentar5, Bd. 2, Art. 25 Rn. 18; Kimminich, AöR 93 (1968), S. 485 ff. (501). 21 Stand Mai 2012. 22 Frowein, in: Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar3, 2009, Einf. Rn. 8. 23 Protokoll Nr. 7 vom 22. 11. 1984 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Von Deutschland wurde das 7. Protokoll gezeichnet aber noch nicht ratifiziert (Stand März 2012).
II. Begründungsansätze
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und das „fair trial“-Prinzip zu stützen24. Aus einer teleologisch-systematischen Kombination des Abs. 1 und Abs. 2 wird gefolgert, dass diese Vorschrift alle Voraussetzungen eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens gewährleiste. Zu diesen Voraussetzungen gehöre auch die Umsetzung des Rechtskraftprinzips. Eine erneute Verfolgung wegen derselben Straftat könnte in diesem Sinne, gleichgültig in welchem Staat die erste Strafverfolgung stattgefunden hat, als rechtsstaatswidrig angesehen werden und gegen das in Art. 6 EMRK verankerte Gebot des fairen Verfahrens verstoßen25. Diese Meinung wurde auch auf die undeutliche Spruchpraxis der Europäischen Kommission für Menschenrechte gestützt. Während sie in manchen Entscheidungen die Möglichkeit, ein zwischenstaatliches Doppelverfolgungsverbot auf Art. 6 EMRK zu stützen, ausdrücklich abgelehnt hat26, lässt sie die Frage in anderen Entscheidungen offen27. Seit dem Inkrafttreten des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK, das ausschließlich für das innerstaatliche „ne bis in idem“ eine deutliche Regelung enthielt, betrachten manche Autoren die Frage der Subsumierung des transnationalen Doppelverfolgungsverbots unter Art. 6 EMRK als geklärt28. Selbst wenn eine weitgehende Auslegung des Art. 6 EMRK früher vertretbar wäre, habe Art. 4 des 7. ZP als speziellere Regelung Vorrang vor Art. 6 EMRK und begrenze die Wirkung des Doppelverfolgungsverbots auf die innerstaatliche Ebene29. Aus der ausdrücklichen Regelung des 7. ZP könne außerdem geschlossen werden, dass die Einbeziehung eines zwischenstaatlichen Doppelverfolgungsverbots in die Konvention grundsätzlich nicht der Absicht der Vertragsparteien entspreche30. Meines Erachtens ist aber eine solche Auslegung nicht zutreffend. Art. 4 des 7. ZP zur EMRK schließt die Annahme eines zwischenstaatlichen Doppelverfolgungsverbots im Rahmen des Art. 6 EMRK nicht aus. Mit Art. 4 des 7. ZP haben die Vertragsstaaten das inländische Doppelverfolgungsverbot mit einer im Vergleich zu Art. 6 EMRK spezielleren Vorschrift näher konkretisiert und in einer bestimmten Weise geregelt. Diese Regelung kann sich aber nur innerhalb dieses spezieller ge24 Endriss/Kinzig, StV 1997, S. 665 ff. (667); Schroeder, JuS 1997, S. 227 ff. (230); Analytisch auch Specht, Die zwischenstaatliche Geltung des Grundsatzes „ne bis in idem“, 1999, S. 49 ff.; vgl. auch Böhm, Der Grundsatz Ne bis in idem im Verhältnis der Staaten zueinander, 2001, S. 6. 25 Specht, Die zwischenstaatliche Geltung des Grundsatzes „ne bis in idem“, 1999, S. 49 ff. 26 E 7680/76 (X. vs. The Federal Republic of Germany), DR 9, S. 191 ff. (193); E 8945/80 (S. vs. The Federal Republic of Germany), DR 39, S. 43 ff. (47). 27 E 9433/81 (X. vs. The Netherlands), DR 27, S. 233 ff. (235); E 4212/1969 (X. vs. Austria), CD 35, S. 151 ff. (154); vgl. Safferling, Towards an international criminal procedure, 2001, S. 320 f.; Peukert, in: Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar2, 1996, Art. 6 Rn. 173. 28 Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 102 f.; Specht, Die zwischenstaatliche Geltung des Grundsatzes „ne bis in idem“, 1999, S. 52; vgl. auch Dannecker, in: FS-Kohlmann, 2003, S. 593 ff. (595 f.). 29 Eicker, Transstaatliche Strafverfolgung, 2004, S. 66; Endriss/Kinzig, StV 1997, S. 665 ff. (667). 30 Specht, Die zwischenstaatliche Geltung des Grundsatzes „ne bis in idem“, 1999, S. 51 f.
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C. Begründung im Völkerrecht
regelten Bereichs auswirken, nämlich für das inländische „ne bis in idem“. Eine erneute Verfolgung, beispielsweise aufgrund von neuen Tatsachen, kann ohne Zweifel nicht mehr als Verstoß gegen Art. 6 EMRK angesehen werden, da Art. 4 Abs. 2 des 7. ZP eine solche Verfolgung ausdrücklich erlaubt. Im Gegensatz dazu wäre es aber falsch zu behaupten, dass jeder von dieser Vorschrift nicht erfasste Aspekt des „ne bis in idem“, sei es in Bezug auf seine zwischenstaatliche Geltung oder in Bezug auf nicht-strafrechtliche Verfahren, aufgrund des 7. ZP vom generellen „fair trial“-Prinzip nicht (mehr) erfasst wird. Wenn das so wäre, müsste man im gleichen Sinne im deutschen Recht das Verbot der Doppelverfolgung aus verfassungsrechtlicher Sicht auf den Bereich des Strafrechts begrenzen, da sich Art. 103 Abs. 3 GG ausschließlich auf das strafrechtliche „ne bis in idem“-Prinzip bezieht. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Verbots der Doppelverfolgung bei Disziplinar- oder Ordnungsstrafen wird aber nicht bestritten31. Sie wird direkt aus dem Verhältnismäßigkeits- und dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet, obwohl Art. 103 Abs. 3 GG als speziellere Vorschrift das „ne bis in idem“ im Bereich des Strafrechts eingrenzt. So wie also die speziellere Regelung des Art. 103 Abs. 3 GG die Ableitung eines Doppelverfolgungsverbots für Bereiche außerhalb des Schutzbereichs dieser Vorschrift direkt aus dem Rechtsstaatsprinzip nicht ausschließen kann, ebenso wenig vermag Art. 4 des 7. ZP der EMRK die Annahme eines zwischenstaatlichen Doppelverfolgungsverbots anhand von Art. 6 EMRK auszuschließen. Was die Bedeutung des 7. ZP als Indiz für den Willen der Vertragsparteien angeht, durch die EMRK kein zwischenstaatliches „ne bis in idem“ zu statuieren, kann eingewandt werden, dass nach der Meinung der Kommission die Konvention objektiv auszulegen ist32. Subjektiv-teleologische Argumente können bis zu einem gewissen Maße für die Auslegung einer Norm herangezogen werden, sie sind aber keine ausschlaggebenden Kriterien und nur bedingt zu berücksichtigen33. Bei der Auslegung von Art. 6 EMRK kommt es vielmehr auf den Sinn und Zweck der Vorschrift und der Konvention insgesamt an34. Die Absicht der vertragsschließenden Staaten soll meiner Meinung nach mit noch größerer Vorsicht berücksichtigt werden, wenn man in Kauf nimmt, dass es sich bei der EMRK um einen Vertrag handelt, dessen Hauptziel gerade der Schutz des Einzelnen vor den Staaten selbst ist. Für die Prüfung der Frage, ob das zwischenstaatliche Doppelverfolgungsverbot als Ausfluss des „fair trial“-Prinzips angesehen werden kann, ist sinnvollerweise zunächst nicht nur von dem Fall einer zweiten, sondern einer mehrmaligen Verfolgung auszugehen. Während nämlich bei der Frage, ob eine zweite Verfolgung wegen derselben Tat in einem anderen Land als ein faires Verfahren zu betrachten 31 s. Schmid-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG8, Art. 103 Rn. 286 ff. (insbesondere Rn. 292); Radtke/Hagemeier, in: Epping/Hillgruber, GG, 2009, Art. 103 Rn. 47; vgl. auch BVerfGE 21, S. 378 ff. (384). 32 Frowein, in: Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar3, 2009, Einf. Rn. 8. 33 s. Grabenwarter, EMRK6, § 5 Rn. 5 f.; vorsichtig ausgedrückt auch bei Specht, Die zwischenstaatliche Geltung des Grundsatzes „ne bis in idem“, 1999, S. 51. 34 Vgl. Grabenwarter, EMRK6, § 5 Rn. 14 ff.
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wäre, die Antwort nicht so unproblematisch ist, wäre es schwierig zu verneinen, dass ab einem bestimmten Punkt und nach mehreren Aburteilungen der Tat durch verschiedene Staaten die erneute Verfolgung irgendwann als für den Verfolgten unbillig zu betrachten ist, vor allem dann, wenn der verfolgende Staat einen nur schwachen Anknüpfungspunkt an die begangene Straftat aufweist. Gemeint ist damit, dass das Gebot des fairen Verfahrens der mehrmaligen Verfolgung des Täters auf internationaler Ebene irgendwo doch eine Grenze setzen soll. Dafür sprechen auch Aspekte des fairen Verfahrens, welche schon anerkannt sind und die bei einer grenzenlosen mehrmaligen Verfolgung zumindest mittelbar tangiert werden können. Aus Art. 6 EMRK und dem „fair trial“-Prinzip wird beispielsweise das Gebot der Angemessenheit der Verfahrensdauer abgeleitet35. Dieses Gebot erfasst alle gerichtlichen Instanzen, welche dieselbe Angelegenheit betreffen, gleichgültig ob es z. B. um ein Straf- oder ein Verfassungsverfahren geht36. Das zeugt davon, dass durch Art. 6 EMRK auch das Recht des Einzelnen geschützt werden soll, ab einem bestimmten Zeitpunkt wegen seiner begangenen Straftat „in Ruhe gelassen zu werden“, ein Gedanke, der, wie oben gezeigt37, auch dem Doppelverfolgungsverbot zugrunde liegt. Die mehrmalige transnationale, grenzenlose Verfolgung desselben Täters könnte meines Erachtens zumindest indirekt auch gegen das ebenfalls in Art. 6 EMRK verankerte Gebot der Waffengleichheit verstoßen. Demnach muss jeder Prozessbeteiligte angemessene Gelegenheit zum Sachvortrag unter solchen Bedingungen erhalten, dass eine Benachteiligung gegenüber den anderen Prozessbeteiligten ausgeschlossen ist38. Diese Waffen- und Chancengleichheit spielt vor allem im Strafprozess angesichts der Stellung des Beschuldigten gegenüber der Staatsanwaltschaft und generell gegenüber den Verfolgungsbehörden eine besondere Rolle. Für die mehrmalige transnationale Verfolgung eines Täters könnte dieser Aspekt in der Hinsicht berücksichtigt werden, dass der Beschuldigte verpflichtet ist, jedes Mal von Anfang an gegen seine Schuld zu kämpfen, während hingegen bei jedem einzelnen Staat die jeweiligen Verfolgungsmechanismen durch einen einzigen Prozess belastet werden und sogar Beweismittel oder andere in früheren Prozessen gewonnene Ergebnisse in Zusammenarbeit mit den schon verwickelten Staaten zu Lasten des Täters genutzt werden können. In diesem Sinne ist er faktisch benachteiligt, da für ihn im Gegensatz zu dem jeweils verfolgenden Staat die Verteidigung seiner Interessen mehrmals vorgenommen werden muss und daher eventuell einen unerträglichen Aufwand darstellen würde. Es muss hier nicht genau geprüft werden, ob die Voraussetzungen für die Annahme eines Verstoßes gegen das Gebot der 35
Gollwitzer, MRK und IPbpR Kommentar, 2005, Art. 6 Rn. 76 ff.; Peukert, in: Frowein/ Peukert, EMRK-Kommentar3, 2009, Art. 6 Rn. 248; Grabenwarter, EMRK6, § 24 Rn. 81 ff. 36 Gollwitzer, MRK und IPbpR Kommentar, 2005, Art. 6 Rn. 76. 37 s. B.IV.2.a)cc)(2). 38 EGMR v. 7. 7. 2011 (Kress vs. France), 39594/98, 2001, Ziffer 72; Peukert, in: Frowein/ Peukert, EMRK-Kommentar3, 2009, Art. 6 Rn. 147; Grabenwarter, EMRK6, § 24 Rn. 66 ff.
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C. Begründung im Völkerrecht
Waffengleichheit vorliegen (wie z. B. die Auswirkung der Verletzung bei dem Verfahrensablauf). Die Heranziehung des Gebots der Waffengleichheit soll lediglich als Hinweis darauf dienen, dass die Möglichkeit einer endlosen mehrmaligen Verfolgung mit dem objektiven Sinn und Zweck von Art. 6 EMRK unvereinbar ist. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Gewährleistung eines transnationalen Doppelverfolgungsverbots durch Art. 6 EMRK nicht eine Frage des „Ob“, sondern eine Frage des „Wie“ sein sollte. Das zwischenstaatliche „ne bis in idem“ kann nämlich aus Art. 6 EMRK abgeleitet werden; fraglich verbleibt nur, wie weit dieser Schutz reichen kann. bb) Erniedrigende Behandlung – Art. 3 EMRK Über Art. 6 EMRK hinaus wurde für die Begründung eines transnationalen Doppelverfolgungsverbots auch die Heranziehung von Art. 3 EMRK und die Betrachtung einer erneuten Bestrafung bzw. Verfolgung des Angeklagten als erniedrigend vorgeschlagen. Nach Art. 3 EMRK darf niemand einer erniedrigenden Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Die Doppelbestrafung beruhe auf zwei Verfahren. Jedes Verfahren bringe Schwierigkeiten, Unannehmlichkeiten, seelische Aufregungen und auch eine Demütigung mit sich; es berühre unmittelbar die Würde und die Ehre des Angeklagten, wenn er sich zum zweiten Mal aus demselben Anlass einem Verfahren mit allen seinen Begleiterscheinungen, möglicherweise auch wirtschaftlichen Nachteilen, unterwerfen muss. So ein Verfahren sei „erniedrigend“39. Gegen diese Meinung ist vorgebracht worden40, dass die Sichtweise, ein zweites Strafverfahren sei nur aufgrund der Wiederholung an sich erniedrigend, falsch sei. Die aufgezählten Unannehmlichkeiten (Kosten- und Zeitverlust, Öffentlichkeitsberührung usw.) treffen für das erste Strafverfahren genauso zu wie für das zweite; es gebe keinen Grund, sie differenzierend zu betrachten und nur das zweite Verfahren als erniedrigend einzustufen. Die Intensivierung der Folgen des Strafverfahrens durch eine Wiederholung berühre nicht den Kernbereich menschlichen Daseins und könne nicht als Erniedrigung angesehen werden. Wenn es so wäre, müsste man auch die Wiederaufnahme des Verfahrens im Inland als erniedrigend betrachten. Von einem ähnlichen Standpunkt geht auch die Meinung aus41, nach der die Würde des Einzelnen durch die zweite Strafverfolgung und eventuell eine erneute Strafe eine Beeinträchtigung erfahre; das sei aber nicht auf den erniedrigenden Charakter der weiteren Strafe und das damit zusammenhängende Strafverfahren zurückzuführen, sondern auf die Tatsache, dass der Betroffene sich nicht auf die 39
Schorn, JR 1964, S. 205 ff. (206 f.); ders., Die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, 1965, S. 111; Dagegen – ohne Begründung – Rüping, BK-GG, Art. 103 III Rn. 93. 40 Mayer, Ne-bis-in-idem-Wirkung europäischer Strafentscheidungen, 1992, S. 49 f. 41 Specht, Die zwischenstaatliche Geltung des Grundsatzes „ne bis in idem“, 1999, S. 53 f.
II. Begründungsansätze
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Rechtskraft des bereits erlittenen Urteils verlassen könne und ständig einer willkürlichen staatlichen Gewalt ausgesetzt sei. Erniedrigend wirke nämlich nicht die (zweite) Strafe oder das Strafverfahren als solche, sondern die Situation des Individuums, keine Rechtssicherheit erlangen zu können. Demnach bleibt eine „ne bis in idem“-Gewährleistung vom Schutzzweck des Art. 3 EMRK ausgenommen, da diese Vorschrift sich auf die konkrete Behandlung des Gewaltunterworfenen und nicht auf eine dahinterstehende Idee der Rechtssicherheit beziehe. Diese Kritik hält aber einer genaueren Überprüfung nicht stand. Zunächst dürfte es keine Rolle spielen, ob die Grundlage des Doppelverfolgungsverbots mit den von Art. 3 EMRK verfolgten Zwecken im Ganzen übereinstimmt. Denn, wenn die erneute Verfolgung als erniedrigend eingestuft wird, gibt es keinen Grund, die Anwendung von Art. 3 EMRK nur deswegen zu verneinen, weil dadurch auch ein Wert geschützt werden könnte, nämlich die Rechtssicherheit, der nicht zu dem unmittelbaren Schutzzweck der Vorschrift gehört. Es mag sein, dass das Rechtssicherheitsprinzip nicht zu dem Schutzbereich von Art. 3 EMRK gehört, dies steht aber den von dieser Vorschrift verfolgten Zwecken auch nicht entgegen. Das Argument, dass die Unannehmlichkeiten der ersten und der zweiten Verfolgung objektiv gesehen genau die gleichen sein können und daher bei der Beurteilung des Charakters der zweiten Verfolgung keine Differenzierung gerechtfertigt sei, bloß weil der Betroffene sie aufgrund der Wiederholung unterschiedlich empfindet, missachtet, dass der Charakter einer Maßnahme und deren Einklang mit Art. 3 EMRK nach einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen ist42. Wie z. B. die Dauer einer Maßnahme43 gehört zu den Umständen des Einzelfalls logischerweise auch, dass die fragliche Strafverfolgung zum wiederholten Mal stattfindet44. Der BGH hat schließlich ausdrücklich einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK mit der Begründung abgelehnt, dass man anderenfalls jede Wiederaufnahme des Verfahrens zu Ungunsten des Angeklagten als unzulässig betrachten müsste45. Dieses Argument ist aber auch unzutreffend. Denn mit der Heranziehung von Art. 3 EMRK wird nicht die Begründung eines absoluten Doppelverfolgungsverbots bezweckt, sondern vielmehr seine absolute Ablehnung widerlegt. Es geht nämlich – wie wiederholt betont wurde – um die prima facie Anwendung der Vorschrift in Bezug auf erneute Verfolgungen nach ausländischer Aburteilung. Diese Annahme hindert aber nicht daran, eine erneute Verfolgung aufgrund von anderen Prinzipien in bestimmten (Ausnahme-)Fällen als gerechtfertigt zu betrachten. In Bezug auf die Wiederauf42
Gollwitzer, MRK und IPbpR Kommentar, 2005, Art. 3 Rn. 17 und 24. s. EGMR v. 18. 1. 1978 (Irland vs. Vereinigtes Königreich), Rn. 162 (= EuGRZ 1979, S. 149 ff.); EGMR v. 13. 5. 2008 (Juhnke vs. Türkei), 52515/1999, Nr. 69 (= NVwZ 2009, S. 1547 ff.); Gollwitzer, MRK und IPbpR Kommentar, 2005, Art. 3 Rn. 22; Grabenwarter, EMRK6, § 20 Rn. 48. 44 Vgl. auch EGMR von 24. 04. 2006 (Ülke vs. Türkei), Rn. 59 f. und 63. 45 BGH NJW 1969, S. 1542. 43
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nahme des Verfahrens wäre daher dementsprechend zu fragen, ob eine solche ungerechtfertigte Maßnahme als erniedrigend betrachtet werden könnte. Dass es Fälle geben kann, wo eine Wiederaufnahme zulässig sein sollte, bedingt nicht die prinzipielle Anwendung des Art. 3 EMRK. Diesbezüglich ist anzumerken, dass die Frage, ob eine Maßnahme erniedrigend ist oder nicht, von dem mit dieser Maßnahme verfolgten Zweck abhängt46. Dieses Kriterium der Zweck-Mittel-Relation stimmt mit dem vorliegenden Lösungsansatz überein, nach dem die Rechtmäßigkeit und Zulässigkeit einer transnational erneuten Verfolgung nicht mit einem „ja“ oder „nein“ beantwortet werden kann, sondern mit den durch das erneute Verfahren verfolgenden Zwecken, so wie sie sich nach der staatlichen Schutzpflicht und konkreter nach den jeweiligen Anknüpfungsprinzipien bestimmen, in Verbindung gebracht werden muss. Auch das Erfordernis der Erheblichkeit der Beeinträchtigung kann nicht als Hindernis für die Anwendung des Art. 3 EMRK angesehen werden. Sowohl nämlich die EKMR als auch das EGMR fordern für die Anwendung von Art. 3 EMRK einen schwerwiegenden Verstoß. Eine Misshandlung muss ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um von Art. 3 EMRK erfasst zu werden47. Eine Ehrenverletzung oder eine leichte Form der Verletzung des persönlichen Achtungsanspruchs reicht für die Anwendung von Art. 3 EMRK nicht aus48. Im Vergleich jedoch zu dem Folter oder der unmenschlichen Behandlung ist für die Bejahung der „erniedrigenden Behandlung“ ein schwächerer Grad von körperlichen Schmerzen oder seelischen Leiden nötig49, was für bestimmte Fälle von mehrmaliger Strafverfolgung als gegeben angesehen werden kann. Von besonderer Bedeutung ist schließlich, dass die Betrachtung der mehrmaligen Verfolgung als Verstoß gegen Art. 3 EMRK von dem EGMR – angesichts jedoch von innerstaatlichen Strafverfolgungen – bestätigt wurde50. Der Straßburger Gerichtshof hat judiziert, dass die wiederholte Verfolgung und Bestrafung sowie die ständige Gefahr einer erneuten Verfolgung eines Wehrdienstverweigerers eine Demütigung und Erniedrigung darstellt. Ein solcher Zustand könne dem Betroffenen starke Schmerzen und Leiden verursachen, die über das normale Maß an Erniedrigung, die jede strafrechtliche Verurteilung und Freiheitsstrafe mit sich bringt, hinausgeht51. Der EGMR hat somit eine Abwägung gemacht und die mehrmalige Verfolgung eines Täters von demselben Staat aufgrund derselben Tat zumindest für diesen bestimmten 46
Gollwitzer, MRK und IPbpR Kommentar, 2005, Art. 3 Rn. 28. EGMR v. 18. 1. 1978 (Irland vs. Vereinigtes Königreich), Rn. 162 (= EuGRZ 1979, S. 149 ff.); EGMR v. 29. 4. 2002 (Pretty vs. Vereinigtes Königreich), 23462/02, Nr. 52 (= NJW 2002, S. 2851); Meyer-Ladewig, EMRK-Kommentar3, Art. 3 Rn. 19. 48 Gollwitzer, MRK und IPbpR Kommentar, 2005, Art. 3 Rn. 28. 49 Meyer-Ladewig, EMRK-Kommentar3, Art. 3 Rn. 20; Grabenwarter, EMRK6, § 20 Rn. 48. 50 EGMR von 24. 04. 2006 (Ülke vs. Türkei), Rn. 59 ff. 51 EGMR von 24. 04. 2006 (Ülke vs. Türkei), Rn. 63. 47
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Fall als erniedrigende Maßnahme eingestuft. Es besteht kein Grund entgegen der Rechtsprechung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs, diese Abwägung von Anfang an für den Fall auszuschließen, dass die vorherige Aburteilung im Ausland stattgefunden hat. Falls es andere Faktoren oder bestimmte völkerrechtliche Prinzipien eine solche Maßnahme (die erneute Verfolgung) angesichts von ausländischen Entscheidungen rechtfertigen, soll berücksichtigt und entsprechend bewertet werden, aber es kann nicht zu der prinzipiellen Ablehnung einer solchen Abwägung bzw. zu der prinzipiellen Nichtanwendbarkeit des Art. 3 EMRK führen. Selbst wenn man aber trotz dieser Argumente die direkte Anwendung von Art. 3 EMRK für den Fall einer erneuten transnationalen Strafverfolgung ausschließen will, kann auch die Heranziehung dieser Vorschrift als ein zusätzliches Indiz dienen, dass es gemäß Sinn und Zweck der EMRK geboten ist, auch auf internationaler Ebene bei der mehrmaligen Verfolgung des Täters eine Grenze zu ziehen. b) Art. 14 Abs. 7 IPbpR Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. 12. 1966 entstand im Rahmen der Vereinigten Nationen und ist aufgrund der großen Zahl der Staaten, die ihn unterzeichnet und ratifiziert haben52, einer der bedeutsamsten völkerrechtlichen Verträge über Menschenrechte. Er gehört zusammen mit der UNMenschenrechtscharta53 und dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte54 zu dem „International Bill of Rights“. Für das transnationale „ne bis in idem“ könnte Art. 14 Abs. 7 IPbpR relevant sein, der bestimmt, dass niemand wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht des jeweiligen Landes rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, erneut verfolgt oder bestraft werden darf. Der Wortlaut ist demjenigen des Art. 4 des 7. ZP zu EMRK sehr ähnlich, jedoch sind die beiden Vorschriften nicht identisch. Während bei der EMRK von „de[m] selben Staat“ gesprochen wird, verbietet Art. 14 Abs. 7 IPbpR eine erneute Verfolgung nach Aburteilung derselben Tat in dem „jeweiligen Land“. Trotz dieses Unterschiedes geht die herrschende Meinung auch hier davon aus, dass die in Art. 14 Abs. 7 IPbpR verankerte Regel des „ne bis in idem“ sich ausschließlich auf Entscheidungen desselben Landes bezieht und keine transnationale Wirkung hat55. 52
Nach der offiziellen Internetseite der Vereinigten Nationen (http://treaties.un.org/Pages/ ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=IV-4&chapter=4&lang=en) haben bisher 74 Staaten den Pakt unterzeichnet und 167 haben ihn ratifiziert (Stand Mai 2012). 53 Resolution 217 A (III) der Generalversammlung vom 10. Dezember 1948. 54 Internationaler Pakt vom 16. Dezember 1966 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. 55 Gollwitzer, MRK und IPbpR Kommentar, 2005, Art. 6 MRK Rn. 279; Noor, in: Henkin, The International Bill of Rights, S. 138 ff. (156); Bubnoff, Auslieferung, Verfolgungsübernahme, Vollstreckungshilfe, 1989, S. 74; Dannecker, in: FS-Kohlmann, 2003, S. 593 ff.
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C. Begründung im Völkerrecht
Diese Auslegung des Wortlauts der Vorschrift ist aber falsch. Der englische Text lautet: „No one shall be liable to be tried or punished again for an offence for which he has already been finally convicted or acquitted in accordance with the law and penal procedure of each country.“ Der Satzteil „of each country“ kann sowohl als „of any country“ als auch „of one country“ interpretiert werden. Im ersteren Fall würde Art. 14 Abs. 7 IPbpR deutlich ein zwischenstaatliches Doppelverfolgungsverbot beinhalten, während im zweiten lediglich ein inländisches Verbot ausgesprochen würde. Die travaux préparatoires könnten in dieser Hinsicht den Sinn dieses Satzes verdeutlichen. Während der Diskussion für die Fassung des siebten Paragraphen wurden von einigen Mitgliedern Bedenken gegen das Wort „finally“ geäußert. Nach dem Strafprozessrecht vieler Staaten wird ein Wiederaufnahmeverfahren vorgesehen, nach dem aus bestimmten Gründen und trotz des Vorliegens einer endgültigen Entscheidung die erneute Verfolgung des Täters möglich ist. Das Wort „finally“ könnte also dahingehend interpretiert werden, dass eine erneute Verfolgung selbst bei Vorliegen eines gesetzlich vorgesehenen Wiederaufnahmegrundes wegen der Endgültigkeit der vorherigen Entscheidung ausgeschlossen wäre. In diesem Zusammenhang hat der für die Fassung der Vorschrift zuständige Ausschuss Folgendes klargestellt: „In this context ,finally convicted or acquitted‘ signifies that all ordinary methods of judical review and appeal have been exhausted and that all waiting periods have expired.“56 Dieser Erklärung entsprechend wurde die Einfügung des Satzes „in accordance with the law and procedure of each country“ vorgeschlagen. Somit sollte Art. 14 Abs. 7 IPbpR keinen Einfluss auf die Frage der Endgültigkeit der Verurteilung oder des Freispruchs haben; das sollte sich weiterhin aus dem Recht des jeweiligen Staates erfolgen. Der Verfasser dieses Vorschlags hat ausdrücklich erklärt, dass der Satz „in accordance with the law and procedure of each country“ sich auf die Wörter „finally convicted or acquitted“ und nicht auf den ganzen Text dieser Vorschrift beziehe57. Mit anderen Worten, dieser Satz sollte lediglich als Konkretisierung des Aburteilungsmerkmals und nicht als Begrenzung des Geltungsbereichs des „ne bis in idem“-Prinzips auf innerstaatlicher Ebene dienen. Aus dieser Sicht kann nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht nur die Frage der transnationalen Wirkung des vorgesehenen Doppelverfolgungsverbots als offen betrachtet werden, sondern gerade aufgrund dieser weiten Fassung gibt es keinen Grund, den Geltungsbereich des Art. 14 Abs. 7 IPbpR auf nationaler Ebene zu begrenzen. Wenn nämlich Art. 14 Abs. 7 IPbpR so weit gefasst wird, dass er nicht zwischen inländischem und trans(595 f.); Vogel/Norouzi, JuS 2003, S. 1059 ff. (1060); Hecker, StV 2001, S. 306; Radtke/Busch, EuGRZ 2000, S. 421; Kniebühler, Transnationales „ne bis in idem“, 2005, S. 340 f. 56 A/C.3/SR. 969, § 1 (CDN); s. Bossuyt, Guide to the „travaux préparatoires“ of the International Covenant on Civil and Political Rights, 1987, S. 317. 57 A/C.3/SR. 969, § 18 (EC); s. Bossuyt, Guide to the travaux préparatoires“ of the International Covenant on Civil and Political Rights, 1987, S. 317, Zeidy, Mediterranean Journal of Human Rights 2002, S. 183 ff. (202); Noor, in: Henkin, The International Bill of Rights, 1981, S. 138 ff. (156).
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nationalem „ne bis in idem“ differenziert, erfordert dies hinreichende Gründe und Argumente für die Eingrenzung seines Schutzbereichs. Trotzdem hat der von dem Pakt vorgesehene und für die Anwendung des Vertrages zuständige Menschenrechtsausschuss (Art. 28 ff. und Art. 40 ff. IPbpR) im Falle A.P. vs. Italien entschieden, dass Art. 14 Abs. 7 IPbpR eine mehrfache Strafverfolgung lediglich in Bezug auf eine Tat verbietet, die in einem bestimmten Staat abgeurteilt worden ist58. Eine Begründung für diese Annahme ist in der Entscheidung nicht zu finden. Das deutsche BVerfG ist zum gleichen Ergebnis gekommen, es hat aber seine Meinung auf die Denkschrift der Bundesregierung zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. 12. 196659 gestützt. Dort wird ausgeführt, dass „in den Diskussionen in den Vereinten Nationen weiter festgestellt [wurde], dass mit Art. 14 VII keine grenzüberschreitende Bedeutung, sondern Verurteilungen im jeweils eigenen Land angesprochen sein sollten“. Des Weiteren hat sich das BVerfG auf die relevanten Beratungen der Vereinten Nationen berufen, in denen betont worden sei, dass „ein Staat frei wäre, Personen nach seinem Recht zu verfolgen, die von Gerichten eines anderen Landes für das gleiche Delikt schon verurteilt worden sind“60. Letztere Argumente zwingen aber nicht zu der Annahme, dass mit der endgültigen Fassung des Art. 14 Abs. 7 IPbpR tatsächlich ein nur nationales „ne bis in idem“ gewährleistet wurde. Zunächst muss auch hier betont werden, dass bei der Auslegung des IPbpR die subjektiv-historische Auslegung und vor allem die innerstaatlichen Erklärungen sehr begrenzt als Interpretationsquelle herangezogen werden können und nur relativierend zu berücksichtigen sind61. Des Weiteren ist nicht klar genug, ob die relevante Bemerkung im Rahmen der Diskussion bei den Vereinigten Nationen sich auf die Situation vor oder nach dem Inkrafttreten des Paktes bezog62 sowie ob sie in der Absicht gemacht worden ist, die Möglichkeit einer erneuten Verfolgung nach ausländischer Aburteilung durch Art. 14 Abs. 7 IPbpR tatsächlich offenzuhalten oder sie auszuschließen. Wenn außerdem während der relevanten Beratungen Repräsentanten von bestimmten Staaten auf die Begrenzung des Doppelverfolgungsverbots auf innerstaatlicher Ebene aufmerksam machen, im Wortlaut der diesbezüglichen Vorschrift aber keine entsprechende Differenzierung Ausdruck gefunden hat, spricht das dafür, dass mit dem gültigen Wortlaut die transnationale Wirkung von Art. 14 Abs. 7 IPbpR zumindest in Kauf genommen wurde.
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Mitteilung Nr. 204/1986, veröffentlicht in: Selected Decisions of the Human Rights Committee under the Optional Protocol, Bd. 2, 1990, S. 67 (Rn. 7.3). 59 BT-Drucks. 7/660, S. 35. 60 UN Doc. A/4299 vom 3. 12. 1959, S. 17 ff.; vgl. auch Bossuyt, Guide to the „travaux préparatoires“ of the International Covenant on Civil and Political Rights, 1987, S. 316. 61 Grabenwarter, EMRK6, § 5 Rn. 5 ff. 62 Specht, Die zwischenstaatliche Geltung des Grundsatzes „ne bis in idem“, 1999, S. 46.
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Im vierten Punkt der Präambel der Konvention wird des Weiteren ausgeführt, dass „die Charta der Vereinten Nationen die Staaten verpflichtet, die allgemeine und wirksame Achtung der Rechte und Freiheiten des Menschen zu fördern“. Daraus wird der Schluss gezogen, dass auch die Auslegung des Paktes dem Zweck der bestmöglichen Verwirklichung sowie der Weiterentwicklung der in ihm vorgesehenen Menschenrechte dienen soll63. Aus der Sicht der teleologischen Auslegung muss man daher, so wie bei Art. 6 EMRK, die Interpretationsvariante vorziehen, die den effektivsten Schutz der in dem IPbpR beinhalteten Menschenrechte gewährleistet. Die Bestimmungen des IPbpR sollen darüber hinaus dynamisch interpretiert werden, so dass die entsprechenden Normen an die jeweiligen wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Änderungen angepasst werden. Aus diesen Gründen und besonders unter Berücksichtigung der weiter oben erwähnten Entwicklungen im Bereich der internationalen Kriminalität und Verbrechensbekämpfung64 muss man von einer transnationalen Wirkung des Art. 14 Abs. 7 IPbpR ausgehen. Der Wortlaut der Vorschrift schließt wie erläutert eine solche Auslegung nicht aus65. Es ist hier anzumerken, dass, obwohl die restriktive Ansicht, nach der der IPbpR nur ein innerstaatliches „ne bis in idem“ gewährleistet, als herrschend bezeichnet wird66, nicht der Eindruck entstehen werden darf, dass die Gegenmeinung eine vereinzelt auftretende Ausnahme sei. Abgesehen von verschiedenen Stimmen in der Theorie67 ist hier eine Reihe von Entscheidungen griechischer Berufungsgerichte sowie des obersten griechischen Kassationsgerichts (Areopag) erwähnenswert, in denen die transnationale Wirkung von Art. 14 Abs. 7 IPbpR anerkannt wurde68. Nach dem griechischen Recht schließen bestimmte ausländische Entscheidungen eine erneute Verfolgung im Inland aus. Eine Ausnahme ist für Delikte vorgesehen, die auf der Basis des Weltrechtsprinzips verfolgt werden (Art. 8 griechStGB). In diesen Fällen kann die vorherige Aburteilung im Ausland eine erneute Verfolgung in Griechenland nicht verhindern. Das griechische Kassationsgericht hat aber judiziert, dass diese Ausnahmen gegen den IPbpR, der ein transnationales „ne bis in idem“ gewährleiste, verstoßen und aus diesem Grund eine erneute Verfolgung auch in solchen Fällen ausgeschlossen sei69. Diese Meinung wurde auch von anderen grie63
Gollwitzer, Kommentar zu MRK und IPbpR, 2005, Einf. Rn. 57. s. weiter oben, C.I.2. 65 So auch Mayer, Ne-bis-in-idem-Wirkung europäischer Strafentscheidungen, 1992, S. 45 f.; vgl. ferner Specht, Die zwischenstaatliche Geltung des Grundsatzes „ne bis in idem“, 1999, S. 45; Nowak, UN-CCPR Commentary, 1993, Art. 14 Rn. 82. 66 Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 101 f. 67 Vgl. beispielsweise aus der französischen Literatur Le Calvez, Revue de Science Criminelle 1980, S. 29; aus der spanischen Theorie Diaz Pita, RIDP 2002, S. 873 ff. (884); aus der griechischen Sylikos, Poinika Chronika 1996, S. 5 ff.; Anagnostopoulos, Poinika Chronika 2001, S. 1071; aus der slowenischen Bele/Jakulin, RIDP 2002, S. 1071 ff. (1078). 68 s. Anagnostopoulos, RIDP 2002, S. 965 ff. (974 f). 69 Areios Pagos 1426/1998, Poiniki Dikaiosyni 1999, S. 16 ff.; A.A. Mylonopoulos, Poinikos Logos 2001, S. 1165 ff.; ders., Poinika Chronika 1996, S. 727 ff.; Kokkinakis, Poiniki Dikaiosyni 2001, S. 706 ff.; Livos, Poinika Chronika 1999, S. 361 ff. 64
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chischen Gerichten übernommen70 und durch eine spätere Entscheidung des Areopags bestätigt71. Eine andere Kammer des obersten Kassationsgerichts hat jedoch mit einer späteren Entscheidung die transnationale Wirkung von Art. 14 Abs. 7 IPbpR verneint72. Der Widerspruch in der Rechtsprechung wurde schließlich im Jahre 2002 durch eine Entscheidung des Areopags im Plenum behoben73. Demnach soll sich Art. 14 Abs. 7 IPbpR nur auf innerstaatlicher Ebene auswirken. Ein transnationales „ne bis in idem“ sei durch den IPbpR nicht gewährleistet. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass nach dem Wortlaut von Art. 14 Abs. 7 IPbpR offen bleibt, ob der Pakt ein nur nationales oder darüber hinaus ein zwischenstaatliches Doppelverfolgungsverbot vorsieht. Aus diesem Grund könnte nach der hier vertretenen Meinung und zwecks effektiveren Schutzes der im Internationalen Pakt gewährleisteten Rechte und vor allem des Rechts auf Einmaligkeit der Strafverfolgung Art. 14 Abs. 7 IPbpR als Basis für eine prima facie Anerkennung des Prinzips „ne bis in idem“ in zwischenstaatlicher Hinsicht dienen.
2. Völkergewohnheitsrecht Eine sehr bedeutsame Rolle bei der Erzeugung und Anerkennung von völkerrechtlichen Regeln kommt dem Völkergewohnheitsrecht zu. Wie in Art. 38 Abs. 1 lit. b IGH-Statut bestimmt, aber auch allgemein anerkannt wird74, geht es bei dem Völkergewohnheitsrecht um eine „allgemeine, als Recht anerkannte Übung“. Für die Feststellung einer völkerrechtlichen Gewohnheitsregel müssen daher zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Zum einen ist ein objektives Element nötig, nämlich eine allgemeine staatliche Praxis. Zum anderen muss diese Praxis von einem subjektiven Element, d. h. vom Rechtsbewusstsein begleitet werden (opinio iuris sive necessitatis). Für die Bejahung eines universellen Doppelverfolgungsverbots ist somit von Bedeutung, ob international eine dauernde und einheitliche Praxis seitens der Staaten im Allgemeinen zu berücksichtigen ist, Personen, die im Ausland abgeurteilt wurden, zumindest in bestimmten Fällen nicht mehr zu verfolgen. Obwohl man eventuell
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Efeteio Peiraia 27/1999, Poiniki Dikaiosyni 1999, S. 552; Efeteio Athinon 634 – 636/ 1999, Poiniki Dikaiosyni 1998, S. 405; Efeteio Peiraia 286/1999, Poinika Chronika 1999, S. 362; Efeteio Athinon 1574/1999, Poinikos Logos 2001, S. 1164. 71 Areios Pagos 86/2001, Poinika Chronika 2001, S. 1070 ff. 72 Areios Pagos 887/2001, Poiniki Dikaiosyni 2001, S. 705 ff. 73 Areios Pagos 7/2002, Poinika Chronika 2002, S. 704. 74 Generell für das Völkergewohnheitsrecht s. Bleckmann, ZaöRV 1977, S. 504 ff.; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, S. 345 ff.; D’Amato, The concept of custom in international law, 1971; Günther, Zur Entstehung von Völkergewohnheitsrecht, 1970; Bernhardt, ZaöRV 1976, S. 50 ff.
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C. Begründung im Völkerrecht
zur Verneinung dieser Frage tendieren würde75, kann man nicht ausschließen, dass weltweit jene Länder, welche ein Verfahrenshindernis aufgrund von im Ausland abgeurteilten Straftaten vorsehen, keine Minderheit, sondern im Gegenteil eine deutliche Mehrheit darstellen. Laut einer Reihe von ausführlichen Berichten aus Anlass des siebzehnten Internationalen Kongresses für Strafrecht im Jahre 200376, ergibt sich, dass von den 21 teilnehmenden Ländern nur 5 die Wirkung von ausländischen Strafentscheidungen im Hinblick auf eine erneute Verfolgung ablehnen77, während 14 zumindest partiell ein transnationales Doppelverfolgungsverbot anerkennen78. Das zeugt davon, dass die Annahme, die Herausbildung eines universellen Doppelverfolgungsverbots habe „noch nicht die erforderliche weltweite Breite“79, nicht selbstverständlich sein kann, sondern vor allem heute einer näheren Begründung unter Berücksichtigung mehrerer nationaler Rechtsordnungen bedarf. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass zu den Erscheinungsformen der Staatenpraxis Rechtsakte sämtlicher Staatsorganen und somit auch der Staatsanwaltschaft oder der Gerichte gehören80. Während also bei den Staaten, in denen das sog. Erledigungsprinzip im Straf- oder Strafprozessrecht ausdrücklich vorgesehen ist, eindeutig von einer Völkergewohnheitsrecht begründenden Praxis ausgegangen werden darf, kann im Gegenteil für Staaten, die ein solches Prinzip nicht ausdrücklich vorsehen, noch kein sicherer Schluss bezüglich des Fehlens einer entsprechenden „als Recht anerkannten Übung“ gezogen werden. In den letztgenannten 75
s. BVerfGE 75, S. 1 ff. (26); Kniebühler, Transnationales „ne bis in idem“, 2005, S. 354 ff., wobei die Untersuchung dort eher das Bestehen eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes und nicht einer Regel des Völkergewohnheitsrechts als Objekt hat. 76 AIDP, XVIIth International Congress of Penal law, Preparatory Colloquium, Section IV, Concurrent National and International Criminal Jurisdiction and the Principle „ne bis in idem“, RIDP 2002, S. 667 ff. (773 ff.). 77 Abgesehen von Deutschland gehören dazu: Italien – s. Pisani, RIDP 2002, S. 1017 ff. (1018 ff.) –, Japan – s. Kawaide, RIDP 2002, S. 1031 ff. (1034) –, Polen – s. Kubicki, RIDP 2002, S. 1037 ff. (1044) – und die Türkei – s. Yarsuvat, RIDP 2002, S. 1139 ff. (1141 f.). 78 Dazu zählen: Österreich – s. Gartner, RIDP 2002, S. 787 ff. (794) –, Algerien – s. Zerguine, RIDP 2002, S. 773 ff. (781 f.) –, Belgien – s. Vander Beken/Vermeulen/Ongena, RIDP 2002, S. 811 ff. (818) –, Brasilien – s. Jappiasú/Barbosa de Sá, RIDP 2002, S. 849 ff. (855) –, Spanien – s. Pita, RIDP 2002, S. 873 ff. (884 ff.) –, Finnland – s. Lahti, RIDP 2002, S. 901 ff. (908) –, Frankreich – s. Desessard, RIDP 2002, S. 913 ff. (918) –, Griechenland – s. Anagnostopoulos, RIDP 2002, S. 961 ff. (973 ff.) –, Guinea – s. Drame, RIDP 2002, S. 981 ff. (983 f.) –, Russland – s. Andreev, RIDP 2002, S. 1065 ff. (1070) –, Slowenien – s. Bele/Jakulin, RIDP 2002, S. 1071 ff. (1078 f.) – und die Niederlanden – s. Klip/Van der Wilt, RIDP 2002, S. 1091 ff. (1100). In Ungarn und Rumänien ist ein Sonderverfahren zur Anerkennung von ausländischen Strafentscheidungen vorgesehen, s. Geler/Kis/Polt, RIDP 2002, S. 989 ff. (997 ff.) und Bulai, RIDP 2002, S. 1051 ff. (1058) entsprechend. In Bezug auf Indonesien und China bleibt unklar, ob dort ein zwischenstaatliches Doppelverfolgungsverbot anerkannt ist, s. Jun/Changzong/Youshui, RIDP 2002, S. 865 ff. (867) und Surachman, RIDP 2002, S. 1009 ff. 79 BVerfGE 75, S. 1 ff. (26); so auch BVerfG, StraFo 2008, S. 151 ff. (152). 80 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, S. 353; Akehurst, BYIL 1974, S. 1 ff. (10); Bleckmann, Völkerrecht, 2001, S. 74.
II. Begründungsansätze
169
Fällen verbleibt weiter zu prüfen, ob trotz des fehlenden gesetzlichen Verbots, die Verfolgung von im Ausland abgeurteilten Tätern auch in der Praxis unterbleibt. In Deutschland z. B., wo den ausländischen Strafentscheidungen tatsächlich keine Erledigungswirkung zuerkannt wird, bleibt den Verfolgungsbehörden trotzdem die Möglichkeit offen, das Verfahren aufgrund des Opportunitätsprinzips einzustellen (§ 153c Abs. 2 StPO). Wenn dann in bestimmten Fällen eine einheitliche Praxis seitens der zuständigen Organe zu beobachten ist, z. B. die ständige Nichtverfolgung von im Ausland abgeurteilten Tätern falls die Verfolgung im Inland auf dem passiven Personalitätsprinzip basiert, und diese Praxis mit der Überzeugung ausgeübt wird, dass die Unterlassung der Verfolgung geboten ist (z. B. aufgrund des Verhältnismäßigkeits- oder Rechtsstaatsprinzips), dann würde diese Praxis eine Völkergewohnheitsrecht begründende Übung darstellen. Neben Deutschland könnte im gleichen Sinne auch Italien ein ähnliches Beispiel bieten, wo die ausländischen Entscheidungen ebenfalls keine Sperrwirkung im Inland haben, aber die Verfolgung von Auslandstaten, die im Ausland abgeurteilt worden sind, nur nach entsprechender Anordnung des Justizministers erfolgen kann. Ein weiterer Punkt für die Feststellung eines auf dem Völkergewohnheitsrecht basierenden Doppelverfolgungsverbots betrifft die Frage, ob die oben genannte Praxis der Berücksichtigung von fremden Strafentscheidungen allgemein ausgeübt wird. Es kann mit Sicherheit gesagt werden, dass trotz des letztgenannten Faktors, also der Möglichkeit eines nicht gesetzlich geregelten sondern de facto bestehenden Doppelverfolgungsverbots in bestimmten Ländern, Staaten zu finden sind, in denen eine erneute Verfolgung nach ausländischer Aburteilung weder verboten ist noch in der Praxis unterbleibt. Diese Feststellung an sich vermag aber nicht die Annahme einer allgemeinen völkergewohnheitsrechtlichen Regel zu widerlegen. Allgemeine Übung heißt nicht einhellige Praxis aller Völkerrechtssubjekte81. Es kommt vielmehr darauf an, ob die Staaten, die sich der Anwendung dieser Regel widersetzt haben, Einzelfälle darstellen oder nicht. Wenn es sich um einzelne sog. „persistent objectors“ handelt, Staaten nämlich, die sich von Anfang an der Anwendung der relevanten Regel beharrlich widersetzt haben82, kann zwar nicht mehr die Rede von einem universellen, aber doch von einem allgemeinen Völkerrecht sein. Das bedeutet, dass selbst in diesem Fall eine allgemeine völkergewohnheitsrechtliche Regel vorliegt, sie aber für die „persistent objectors“ einfach nicht gilt83. Nur wenn die Staaten, welche die relevante Regel nicht anwenden, keine Einzelfälle sind, sondern eine gewichtige Zahl darstellen, ist das Bestehen eines Völkergewohnheitsrechts zu verneinen.
81
Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht6, § 17 Rn. 10. Brownlie, Principles of public international law, 2008, S. 11 ff.; Charney, BYIL 1985, S. 1 ff.; Doehring, Völkerrecht2, S. 128 f.; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht6, § 17 Rn. 26. 83 Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, S. 352 f. und 359; Bleckmann, Völkerrecht, 2001, S. 74 f. 82
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C. Begründung im Völkerrecht
Festzuhalten ist nach den bisherigen Erläuterungen, dass es im Rahmen der vorliegenden Untersuchung und aufgrund des kleinen vorliegenden „Stichprobenumfangs“ nicht möglich ist, ein transnationales „ne bis in idem“ auf das Völkergewohnheitsrecht zu stützen. Ebenso wenig kann aber aus den oben genannten Gründen das Fehlen einer solchen Regel festgestellt werden. Dafür wäre eine weitergehende Untersuchung des Rechts und der Praxis mehrerer Länder nötig, die den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Ohne eine solche Untersuchung ist ein klares und representatives Ergebnis nicht zu erlangen. Wenn man aber den oben genannten Bericht als Leitlinie benutzt, ergibt sich zumindest, dass die Staaten, die eine Art grenzübergreifendes Doppelverfolgungsverbot anerkennen, gegenüber solchen Staaten, die ein rein innerstaatliches „ne bis in idem“ vorsehen, deutlich die Mehrheit darstellen. Auch wenn das für die Begründung eines gewohnheitsrechtlichen zwischenstaatlichen „ne bis in idem“ nicht genug sein mag, so reicht es zumindest aus, um das Gegenteil auszuschließen: Es besteht keine völkergewohnheitsrechtliche Regel, die eine erneute Verfolgung nach ausländischer Aburteilung einer Straftat rechtfertigt. Dieses negative Ergebnis im Völkergewohnheitsrecht ist auch für die weitere Prüfung der völkerrechtlichen Begründung des „ne bis in idem“ von Bedeutung, da dadurch der Rückgriff auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze ermöglicht wird84.
3. Allgemeine Rechtsgrundsätze a) Begriff Nicht mit dem Völkergewohnheitsrecht zu verwechseln sind die allgemeinen Rechtsgrundsätze, welche ebenfalls wie die völkerrechtlichen Verträge und das Völkergewohnheitsrecht als Rechtsquelle des Völkerrechts gelten85. Historisch betrachtet wird der Rückgriff auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze dadurch gerechtfertigt, dass die Entstehung des Völkerrechts keine „radikale Neuschöpfung“ darstellte, sondern an Rechtsgrundsätze anknüpfte, die bei der Herausbildung der modernen Staatengemeinschaft allgemein anerkannt waren86. Die Anerkennung solcher Normen als Teil des positiven Völkerrechts87 lässt sich auch auf den Gedanken zurückführen, dass die Staatengemeinschaft und das Völkerrecht eine Rechtsordnung darstellen und somit fundamentale Prinzipien, die für die Funktio-
84 s. weiter unten, C.II.3.b); vgl. auch Eicker, Transstaatliche Strafverfolgung, 2004, S. 230 ff. 85 Ganz herrschende Meinung: Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, S. 380 ff.; Bleckmann, Völkerrecht, 2001, S. 78 ff.; Doehring, Völkerrecht2, S. 179 ff.; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht6, § 18 Rn. 1; vgl. aber Strebel, ZaöRV 1976, S. 301 ff. (338 ff.). 86 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, S. 382. 87 s. Art. 38 Abs. 1 lit. c IGH-Statut; Doehring, Völkerrecht2, S. 179.
II. Begründungsansätze
171
nalität jeder Rechtsordnung notwendig sind, auch hier gelten müssen88. Vor allem gilt aber der Gedanke, dass der Inhalt des Völkerrechts sich nicht nur durch die Strukturen der Staatengemeinschaft als solche (d. h. durch die Völkerrechtsverträge oder das Völkergewohnheitsrecht), sondern auch durch die gemeinsamen Werte der Mitglieder dieser Gemeinschaft bestimmt, als Begründung der Bindungswirkung der allgemeinen Rechtsgrundsätze89. Trotz der allgemeinen Übereinstimmung über den Charakter der allgemeinen Rechtsgrundsätze als Völkerrechtsquelle besteht keine Einigkeit darüber, was genau unter diesem Begriff zu verstehen ist, wie weit er verstanden werden kann und wie die entsprechenden Normen feststellbar sind. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird dieser Begriff mit dem Inhalt benutzt, der die weitgehendste Anerkennung in der Theorie genießt. In diesem Sinne sind die allgemeinen Rechtsgrundsätze Rechtssätze des Völkerrechts, die sich aus einem Vergleich der entsprechenden Rechtssätze des nationalen Rechts entwickelt haben90. Sie sind von leitenden Prinzipien der nationalen Rechtsordnungen91, also von fundamentalen Regeln, die für die nationalen Rechtsordnungen grundlegende Bedeutung haben92, abgeleitet. Die umstrittene Frage, ob zu diesem Begriff auch Prinzipien gehören, die unmittelbar aus den internationalen Beziehungen stammen, wie z. B. die Grundsätze der Gleichheit und Unabhängigkeit aller Staaten93, kann hier dahingestellt bleiben. Als typische Beispiele von allgemeinen Rechtsgrundsätzen im hier benutzten Sinne werden der Grundsatz der Verjährung oder des Verbots der ungerechtfertigten Bereicherung94 sowie das Prinzip der Entschädigung oder der Indemnität95 genannt. Ihrem Ursprung nach sind diese Grundsätze rein nationalrechtlicher Natur. Obwohl sie im nationalen Recht entwickelt worden sind, können sie mutatis mutandis auf völkerrechtlicher Ebene angewandt werden. Im Gegensatz zum Gewohnheitsrecht ist aber für die Feststellung dieser Normen keine allgemeine Übung nötig96, sondern sie ergeben sich direkt aus einer Rechtsvergleichung der nationalen Rechtsordnungen.
88
S. 54. 89
s. vor allem Mosler, ZaöRV 1976, S. 6 ff. (44 f.); Vitzthum, in: ders./Proelß, Völkerrecht6,
Bleckmann, Völkerrecht, 2001, S. 81. Bleckmann, Völkerrecht, 2001, S. 78. 91 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, S. 383 f. 92 Doehring, Völkerrecht2, S. 179; Vitzthum, in: ders./Proelß, Völkerrecht6, S. 54; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht6, § 18 Rn. 1; Mosler, ZaöRV 1976, S. 6 ff. (42 f.); ders., in: EPIL, Bd. 7, 1984, S. 89 ff. (90). 93 Dafür z. B. Mosler, ZaöRV 1976, S. 6 ff. (44); Bleckmann, Völkerrecht, 2001, S. 80; Dagegen Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht6, § 17 Rn. 43; Vitzthum, in: ders./ Proelß, Völkerrecht6, S. 54. 94 Bleckmann, Völkerrecht, 2001, S. 79. 95 Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht6, § 18 Rn. 4. 96 Vitzthum, in: ders./Proelß, Völkerrecht6, S. 55; Bernhardt, ZaöRV 1976, S. 50 ff. (74). 90
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C. Begründung im Völkerrecht
Das Objekt der folgenden Paragraphen ist die Prüfung der Frage, ob das allgemeine Doppelverfolgungsverbot einen in diesem Sinne allgemeinen Rechtsgrundsatz darstellt und deswegen auch als solcher anerkannt werden soll. b) Subsidiarität Der herrschenden Meinung nach kommen die allgemeinen Rechtsgrundsätze erst dann in Betracht, wenn nach den beiden anderen Völkerrechtsquellen des Art. 38 IGH-Statut keine entgegenstehende Norm besteht. Daher wird die Rolle der allgemeinen Rechtsgrundsätze als subsidiär gegenüber dem Völkergewohnheitsrecht und dem völkerrechtlichen Vertrag bezeichnet. Diese Subsidiarität impliziert jedoch kein Rangverhältnis zwischen den drei Völkerrechtsquellen in dem Sinne, dass die allgemeinen Rechtsgrundsätze eine niedrigere Rechtsqualität besitzen, sondern sie ergibt sich aus dem Charakter jedes allgemeinen Rechtsgrundsatzes als lex generalis gegenüber den spezielleren Normen des Vertrags- und Völkergewohnheitsrechts. Es geht daher nicht um eine besondere Normenhierarchie zwischen den verschiedenen Völkerrechtsquellen, sondern um einen Anwendungsvorrang zu Gunsten der im Prinzip spezielleren Regeln des Vertrags- bzw. Gewohnheitsrechts97. Es wurde weiter oben gezeigt, dass sowohl aus der Sicht des Völkergewohnheitsrechts als auch nach den in Betracht kommenden internationalen Verträgen, nämlich der EMRK und dem IPbpR, selbst wenn man das transnationale „ne bis in idem“ nicht als begründet ansehen will, man zumindest annehmen muss, dass keine ihm entgegenstehende Norm feststellbar ist. Somit ist der Weg für die Prüfung, ob das zwischenstaatliche Doppelverfolgungsverbot einen allgemeinen Rechtsgrundsatz darstellt oder nicht, geöffnet. c) Allgemeines Erzeugungs- bzw. Feststellungsverfahren Für die Feststellung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes in dem hier verstandenen Sinn muss man auf die verschiedenen nationalen Rechtsinstitutionen abstellen. Die Erwähnung der Kulturvölker (civilized nations) in Art. 38 IGH-Statut wird nunmehr als hinfällig betrachtet98, da eine Differenzierung zwischen Kultur- und anderen Völkern mit dem Prinzip der Gleichheit aller Staaten unvereinbar ist. Es ist jedoch nicht nötig, dass das ersuchte Prinzip in jeder Rechtsordnung auftritt. Ein Vergleich aller Rechtsordnungen der Welt wäre nahezu unmöglich. Es muss auf
97
Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, S. 389; Doehring, Völkerrecht2, S. 182; Vitzthum, in: ders./Proelß, Völkerrecht6, S. 58 f.; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht6, § 19 Rn. 6. 98 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, S. 384; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht6, § 19 Rn. 2; Vitzthum, in: ders./Proelß, Völkerrecht6, S. 54 f.;Vgl. aber Doehring, Völkerrecht2, S. 182.
II. Begründungsansätze
173
repräsentative Rechtssysteme abgestellt werden99. Bei der relevanten Rechtsvergleichung sind aber folgende Faktoren, die auch angesichts der Anerkennung eines zwischenstaatlichen „ne bis in idem“ eine ausschlaggebende Rolle spielen können, von besonderer Bedeutung100 : Zunächst wird ein allgemeiner Rechtsgrundsatz nicht aus den übereinstimmenden Rechtsnormen der verschiedenen Rechtsordnungen als solche abgeleitet, sondern aus den diesen Rechtsnormen zugrunde liegenden Prinzipien. Maßgeblich sind nämlich eher die Grundlagen und weniger die in Frage stehenden Institutionen als solche. Nach der viel zitierten101 Meinung des Richters McNair im Fall „International Status of South West Africa“ bedeutet die Heranziehung von allgemeinen Rechtsgrundsätzen nicht die Einführung „in Bausch und Bogen“ von „vorgefertigten“ und „mit einer Reihe von Regeln voll ausgerüsteten“ Institutionen102. Im Grunde genommen findet sich keine nationale Institution, die in mehreren Ländern bis auf jedes Detail übereinstimmt. Der erste Schritt für die Anerkennung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes ist daher die „Neutralisierung“ der in Frage stehenden nationalen Rechtsinstitution, deren „Entblößung“ von ihren konkreten nationalrechtlichen Eigenschaften und das Abstellen auf das grundlegende Prinzip. Daraus folgt des Weiteren, dass der Rechtsanwender rechtsschöpferisch tätig werden muss, da bei der unternommenen Rechtsvergleichung ausschließlich auf die übereinstimmende Grundlage abgestellt wird und keine Details direkt auf die völkerrechtliche Ebene übertragen werden. Er benutzt den Kernbereich des Rechtssatzes, um zu einer in concreto angemessenen Lösung zu gelangen103. In diesem Sinne wird das relevante grundlegende Prinzip, das im nationalen Bereich auf eine bestimmte Weise ausgedrückt wird und sich zu einer konkreten, innerstaatlich-orientierten Institution entwickelt hat, auf völkerrechtlicher Ebene zu einer zwar ähnlichen, jedoch den Strukturen und Zielen der internationalen Rechtsordnung entsprechenden Institution umgewandelt. Im Folgenden wird dieses Verfahren auf das zwischenstaatliche Doppelverfolgungsverbot angewandt.
99
Bleckmann, Völkerrecht, 2001, S. 78. s. zum Ganzen Mosler, in: FS-Verdross, 1971, S. 385 ff.; ders., ZaöRV 1976, S. 1 ff. (42 f.); Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, S. 384 f. 101 s. beispielsweise Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, S. 385 (Anm. 25); Mosler, ZaöRV 1976, S. 1 ff. (43); O’Brien, International Law, 2001, S. 87 f.; Triggs, International Law, 2006, S. 86 f. 102 McNair, Seperate Opinion (International Status of South West Africa), ICJ Reports 1950, S. 148. 103 Vgl. Mosler, ZaöRV 1976, S. 6 ff. (43). 100
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C. Begründung im Völkerrecht
d) Zwischenstaatliches Doppelverfolgungsverbot als allgemeiner Rechtsgrundsatz Bei dem Versuch, das erwähnte Verfahren auf das Doppelverfolgungsverbot anzuwenden, ist zunächst davon auszugehen, dass das „ne bis in idem“, so wie weitere strafprozessuale Verfahrensgarantien, wie z. B. die Unschuldsvermutung oder der Anspruch auf rechtliches Gehör104, ohne Zweifel als ein allgemeiner Rechtsgrundsatz zu betrachten ist. Das Prinzip der „res judicata“ ist sogar von den Verfassern des IGH-Statuts explizit als Beispiel für die in Art. 38 Abs. 1 lit. c verankerte Völkerrechtsquelle erwähnt worden105. Die Frage ist daher, ob von dem als allgemeiner Rechtsgrundsatz geltenden Doppelverfolgungsverbot nur die innerstaatlichen Entscheidungen gedeckt werden oder auch ein zwischenstaatlicher Aspekt beinhaltet ist. Wie schon beschrieben, ist es dafür notwendig, das „ne bis in idem“-Prinzip von dessen national-rechtlichen Besonderheiten zu befreien und hinsichtlich der in verschiedenen Rechtsordnungen auftretenden Unterschiede zu „neutralisieren“. Dabei ist auf den hinter dem „ne bis in idem“-Prinzip stehenden Gedanken abzustellen. Wenn man in diesem Sinne die verschiedenen Ausformungen des Rechtskraftprinzips in den nationalen Rechtsordnungen betrachtet, lassen sich viele Unterschiede hinsichtlich des Begriffs der Tatidentität, vor allem aber bezüglich des Aburteilungsmerkmals sowie der möglichen Ausnahmen feststellen. Welche Entscheidungen nämlich eine „Rechtskraftqualität“ besitzen und ein Verbot erneuter Verfolgung rechtfertigen können, ist in jeder Rechtsordnung unterschiedlich. Das bedeutet, dass der gemeinsame Nenner des in den verschiedenen Rechtsordnungen anerkannten „ne bis in idem“-Prinzips nicht in einer Eigenschaft bestimmter Strafentscheidungen zu finden ist. Der hier gesuchte allgemeine Rechtsgrundsatz kann mit anderen Worten nicht aus der Natur des Strafurteils abgeleitet werden. Der dahinterstehende Gedanke ist vielmehr darin zu sehen, dass jede Person ein Recht darauf hat, irgendwann angesichts der ihm vorgeworfenen Straftat als endgültig abgeurteilt zu gelten, oder wie vorher in Bezug auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht angemerkt wurde, „in Ruhe gelassen zu werden“. Das ist der Gedanke, der allen Rechtsordnungen gemeinsam ist und der auf die völkerrechtliche Ebene übertragen und den Strukturen und Zielen der Völkerrechtsordnung entsprechend konkretisiert werden muss106. Wenn man aber darauf und nicht auf die Natur der Strafentscheidungen abstellt, ergibt sich – zumindest noch in diesem Stadium – keine Eingrenzung des Doppelverfolgungsverbots auf innerstaatliche Entscheidungen. Denn dieser vom Individuum ausgehende Gedanke an sich rechtfertigt keine Un104
s. Doehring, Völkerrecht2, S. 181. Cheng, General Principles of Law, 1953, S. 336; s. auch Anzilotti, Sondermeinung im Fall Chorzów, PCIJ, Series A, Nr. 13, 1927, S. 27; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, S. 383; Brownlie, Principles of public international law, 2008, S. 18. 106 Anders, nämlich nach einem gemeinsamen zwischenstaatlichen Doppelverfolgungsverbot suchend, Eicker, Transstaatliche Strafverfolgung, 2004, S. 235 ff. 105
II. Begründungsansätze
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terscheidung zwischen inländischen und ausländischen Strafentscheidungen. Die Hinzufügung eines solchen Merkmals wäre in diesem Fall willkürlich. Prima facie muss daher der Rechtsanwender den hinter dem „ne bis in idem“ stehenden allgemeinen Rechtsgrundsatz auch zwischenstaatlich gelten lassen und erst in einem zweiten Schritt, wenn er nämlich „rechtsschöpferisch“ die Einzelheiten des Grundsatzes (wie z. B. auch das Aburteilungsmerkmal, den Begriff der Tatidentität usw.) in völkerrechtlicher Hinsicht zu konkretisieren versucht, anhand von weiteren Prinzipien bestimmen, in welchem Maße und unter welchen genaueren Voraussetzungen das Doppelverfolgungsverbot zwischenstaatlich gelten soll107. Aber selbst wenn man seinen Syllogismus für die Ableitung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes nicht mit diesem „neutralen“ Grundsatz, sondern mit einem rein nach innen gerichteten Doppelverfolgungsverbot anfangen wollte, wenn man nämlich den in Frage stehenden allgemeinen Grundsatz durch die Rechtsvergleichung eines rein innerstaatlichen „ne bis in idem“-Prinzips ableiten wollte, wäre es sachgemäß, den Grundsatz dynamisch und nicht statisch auf die völkerrechtliche Ebene zu übertragen. Die Betrachtung der Staatengemeinschaft als eine Rechtsordnung108 würde dann verlangen, dass, analog zur nationalen Rechtsordnung, auf völkerrechtlicher Ebene ab einem bestimmten Punkt und unter bestimmten Voraussetzungen die erneute Verfolgung des vermutlichen Täters nicht mehr möglich ist. e) Menschenrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze und transnationales „ne bis in idem“ Ein anderer Weg für die Anerkennung eines transnationalen „ne bis in idem“ als allgemeiner Rechtsgrundsatz führt über die Menschenrechte. Dass die Menschenrechte zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehören, ist weitgehend anerkannt109. Oft wird sogar diesbezüglich der Begriff „general principles of humanitarian law“ benutzt110. Der IGH hat wiederholt darauf hingewiesen, dass internationale Verpflichtungen erga omnes, also Verpflichtungen, die von allen Staaten eingehalten werden müssen, sich auch durch die Menschenrechte ergeben können, und zwar unabhängig davon, ob diese Rechte ausdrücklich in internationalen Übereinkommen oder durch Völkergewohnheitsrecht anerkannt sind111. Das ergibt sich nicht nur aus einer parallelen Rechtsvergleichung der verschiedenen nationalen Rechtsordnungen, 107
Gegen die Betrachtung des (zwischenstaatlichen) „ne bis in idem“ als allgemeiner Rechtsgrundsatz Eicker, Transstaatliche Strafverfolgung, 2004, S. 235 ff. 108 Mosler, ZaöRV 1976, S. 1 ff., Bruns, Viktor, ZaöRV 1929, S. 1 ff. 109 s. beispielsweise Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, S. 394; Mosler, in: EPIL, Bd. 7, 1984, S. 89 ff. (102 f.); Simma/Alston, Australian YIL 1989, S. 82 ff. (102); Doehring, Völkerrecht2, S. 180; vgl. auch Bleckmann, Völkerrecht, 2001, S. 315; Kaufman-Hevener/ Mosher, ICLQ 1978, S. 596 ff. 110 Brownlie, Principles of public international law, 2008, S. 564. 111 s. IGH (Barcelona Traction), ICJ Reports 1970, S. 32; IGH (Corfu Channel), ICJ Reports 1949, S. 22.
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C. Begründung im Völkerrecht
bei denen ein Mindeststandard an Grundrechtsschutz fast immer garantiert ist112, sondern auch aus der Annahme, dass die Respektierung des Kerns der Menschenrechte ein Element jeder Rechtsordnung und somit auch der völkerrechtlichen sein soll. Letzteres ist auf den Gedanken zurückzuführen, dass im Mittelpunkt jeder Rechtsordnung der Mensch steht und das Ziel immer in der Wohlfahrt der Menschen zu sehen ist113. Zu den als allgemeine Rechtsgrundsätze anerkannten Menschenrechten gehört in erster Linie die Menschenwürde114. Sie stellt die Grundlage vieler internationalen Übereinkommen dar und ist in den meisten regionalen Menschenrechtsdokumenten zu finden115. Andererseits ist aber in dieser Arbeit mehrmals der enge Zusammenhang zwischen dem Doppelverfolgungsverbot und der Menschenwürde betont worden. In der Literatur wird diese Meinung einhellig vertreten116. Wie schon angemerkt wurde, wird der Freigesprochene oder Verurteilte, der ständig unter dem Damoklesschwert einer erneuten Strafverfolgung steht, zum Objekt staatlicher Gewalt herabgewürdigt117. Ob dieses Damoklesschwert vom selben Staat oder von mehreren „getragen“ wird, beeinflusst das Verhältnis zwischen Menschenwürde und mehrfacher Verfolgung nicht. „In Wirklichkeit gibt es nur ein Menschenrecht, das sowohl in der internationalen als auch in der innerstaatlichen Sphäre wirksam ist“118. Aus diesem Grund sollte dem Abgeurteilten auch auf völkerrechtlicher Ebene ein minimaler Schutz vor einer mehrmaligen Verfolgung garantiert werden. Dass es schwierig ist, die genauen Grenzen und Voraussetzungen eines zwischenstaatlichen Doppelverfolgungsverbots zu bestimmen, darf nicht zu einer völligen Ablehnung der Verpflichtung der Staaten zu diesem minimalen Schutz führen. f) Methodologische Analogie zum Fremdenrecht Die hier vorgeschlagene dynamische und von den Menschenrechten ausgehende Ableitung eines transnationalen Doppelverfolgungsverbots ist auch bei anderen anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen zu finden. Ein passendes Beispiel stellt 112
So z. B. Doehring, Völkerrecht2, S. 180. So z. B. Mosler, ZaöRV 1976, S. 6 ff. (36 f.); ders., in: EPIL, Bd. 7, 1984, S. 89 ff. (104); Bleckmann, Völkerrecht, 2001, S. 315; vgl. auch Simma/Alston, Australian YIL 1992, S. 82 ff. 114 Schweizer/Sprecher, ARSP Beiheft 101 (2004), S. 127 ff. (140 f. und. 142 f.); Mosler, in: EPIL, Bd. 7, 1984, S. 89 ff. (104). 115 Analytisch Schweizer/Sprecher, ARSP Beiheft 101 (2004), S. 127 ff. 116 s. vor allem Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG8, Art. 103 Rn 258 ff.; Nolte, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG6, Art. 103 Rn. 230; Starck, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG6, Art. 1 Abs. 1, Rn. 13; vgl. auch Oehler, in: FS-Rosenfeld, 1949, S. 139 ff. (141 f.); Sax, in: Müller/ Sax, KMR-Kommentar zur StPO6, Einl. 1 c (S. 19 f.); Schmidt, Eb., Lehrkommentar zur StPO, Bd. I2, 1964, Rn. 312. 117 Dürig, in: Maunz/Dürig, GG5, Art. 103 Rn. 124. 118 Tanaka, Sondermeinung zur IGH-Entscheidung v. 18. 6. 1966, ICJ Reports 1966, S. 250 ff. (297). 113
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diesbezüglich insbesondere das Fremdenrecht dar. Ein kurzer Vergleich kann hier sehr hilfreich sein. Das Fremdenrecht regelt die Beziehungen zwischen den Ausländern und dem Staat, in dem sie sich aufhalten. Obwohl diesbezüglich viele zwischenstaatliche Übereinkommen bestehen, ist zusätzlich völkerrechtlich ein Mindeststandard anerkannt, den jeder Staat den sich in seinem Territorium aufhaltenden Ausländern gewährleisten muss und der auch höher als der Standard sein kann, der den Staatsangehörigen dieses Staates eventuell gewährleistet wird119. Der vom völkerrechtlichen Fremdenrecht geforderte Schutz kann sogar höher liegen, als es die Beachtung der allgemeinen Menschenrechte des völkerrechtlichen Gewohnheitsrechts es verlangt120. Der Aufenthaltsstaat ist in dieser Hinsicht beispielsweise verpflichtet Ehre und Persönlichkeit sowie Leben oder Eigentum des Ausländers zu schützen. Der Ausländer muss seine Religion frei ausüben dürfen, er hat ein Recht auf Gerichtsschutz sowie auf ein faires strafrechtliches Verfahren, während er darüber hinaus gegenüber eigenen Staatsangehörigen des Staates nicht diskriminierend behandelt werden darf121. Das Fremdenrecht ist in diesem Sinne nicht mehr ein völkerrechtliches Gebiet, das nur zwischenstaatliche Beziehungen regelt, sondern es werden dadurch direkt subjektive Rechte abgeleitet122 (was die Parallele zum transnationalen „ne bis in idem“ in dem hier gemeinten Sinn noch stärker stützt). Man könnte jedoch – so wie beim Doppelverfolgungsverbot – behaupten, dass bezüglich all dieser Rechte keine gemeinsame Praxis der Staaten im Ausländerschutz festzustellen sei, die das Bestehen entsprechender völkerrechtlicher Regeln begründen könnte; dass nämlich nach dem nationalen Recht vieler Staaten dieser Mindeststandard nur die eigenen Staatsangehörigen betreffe und nicht gegenüber den Ausländern gewährleistet werde123. Somit wären keine bestimmten Regel des Völkerrechts ableitbar, sondern aufgrund des Souveränitätsprinzips wäre es jedem Staat letztlich völkerrechtlich erlaubt, frei zu entscheiden, ob und welche Rechte er den Ausländern zuerkennt. Trotzdem und obwohl der Umfang der vom Aufenthaltsstaat zu gewährleisteten Rechte sehr umstritten, ja nicht genau definierbar ist, bleibt die Gewährleistung eines Mindeststandards nach der herrschenden Meinung unbestreitbar.
119 Grundlegend Roth, The minimum standard of International Law applied to aliens, 1949; Doehring, Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts und das deutsche Verfassungsrecht, 1963; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/22, S. 118; Vagts, Minimum Standard, in: EPIL, Bd. 3, 1997, S. 408 ff. 120 Doehring, Völkerrecht2, S. 379. 121 s. Doehring, Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts und das deutsche Verfassungsrecht, 1963, S. 35 ff. und S. 56 ff.; ders., Völkerrecht2, S. 379; Dahm/ Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/22, S. 118; Brownlie, Principles of public international law, 2008, S. 526 ff. 122 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/22, S. 105 f. 123 Vgl. diesbezüglich z. B. Weissbrodt/Wolfrum, The right to a fair trial, 1997.
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C. Begründung im Völkerrecht
Eine entsprechende Methode ist auch für die Anerkennung eines transnationalen Doppelverfolgungsverbots anwendbar. Die Tatsache, dass verschiedene Staaten keinen Schutz vor einer mehrmaligen transnationalen Verfolgung des Täters gewährleisten, kann für die Annahme eines zwischenstaatlichen „ne bis in idem“Prinzips nicht maßgeblich sein. Die völkerrechtlich anerkannten Menschenrechte und vor allem die Beachtung der Menschenwürde verlangen, unabhängig von der staatlichen Praxis, einen Mindestschutz vor einer mehrmaligen Strafverfolgung. Die Zweifel sollten eher den Umfang und nicht das Bestehen eines transnationalen „ne bis in idem“-Prinzips betreffen. g) Die allgemeinen Rechtsgrundsätze im deutschen Recht Nach Art. 25 GG sind die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts. Mit dem Begriff der „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ wird einerseits klargestellt, dass nur positives Völkerrecht von Art. 25 GG erfasst wird, während andererseits dadurch auf die Völkerrechtsquellen verwiesen wird, so wie sie in Art. 38 IGH-Statut Ausdruck gefunden haben124. Erfasst sind somit auch die allgemeinen Rechtsgrundsätze. Art. 25 Satz 2 GG verleiht diesen Regeln sogar einen besonderen Status im deutschen Rechtssystem, indem er bestimmt, dass die allgemeinen Regeln des Völkerrechts den Gesetzen vorgehen. Dieser Vorrang verlangt zunächst die völkerrechtskonforme Auslegung des einfachen Gesetzes. Falls das nicht möglich ist, ist das nationale Recht zwar nicht nichtig, es muss aber außer Anwendung bleiben (Anwendungsvorrang)125. Im Ergebnis genießen die allgemeinen Rechtsgrundsätze im Rahmen des deutschen Rechts einen höheren Status als die völkerrechtlichen Verträge. Denn Letztere erlangen innerstaatliche Geltung durch Art. 59 Abs. 2 GG, der als lex specialis dem Art. 25 GG vorgeht und ihnen keinen Vorrang gegenüber dem Gesetz gewährt. Die Anerkennung des transnationalen „ne bis in idem“-Prinzips als allgemeiner Rechtsgrundsatz würde daher eine unmittelbare Auswirkung auf das deutsche Recht haben. Erwähnenswert ist aber hier auch die in der Theorie vereinzelt vertretene Meinung, nach der die allgemeinen Rechtsgrundsätze nicht von Art. 25 GG erfasst werden126. Der Grund sei, dass diese Völkerrechtsquelle ihrer Natur nach aus dem innerstaatlichen Recht stamme und deswegen durch Art. 25 GG unmöglich in die innerstaatliche Rechtsordnung einbezogen werden könne. Dieser Meinung ist aber 124 BVerfG NJW 1988, S. 1462 ff.; Streinz, in: Sachs, GG7, Art. 25 Rn. 28; Koenig, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG6, Bd. 2, Art. 25 Rn. 16 f. 125 BVerfGE 23, S. 288 (316 f.); BVerfGE 36, S. 342 ff. (365); Streinz, in: Sachs, GG7, Art. 25 Rn. 93; Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG8, Art. 25 Rn. 43; Koenig, in: Mangoldt/Klein/ Starck, GG6, Bd. 2, Art. 25 Rn. 49 f. 126 Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, 1967, S. 255 ff.; Schweitzer, Staatsrecht III10, Rn. 472.
III. Geltungsumfang
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zu Recht entgegengebracht worden, dass die Herkunft der allgemeinen Rechtsgrundsätze aus der nationalen Rechtsordnung nicht ihren Charakter als Teil des positiven Völkerrechts tangiert127. Der Rückgriff auf das nationale Recht gehört zwar zu dem Erzeugungs- bzw. Feststellungsprozess eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes, nach seiner Anerkennung ist er aber als eigenständiger Teil des Völkerrechts zu betrachten128. Außerdem ist es möglich, dass ein allgemeiner Rechtsgrundsatz sich unabhängig von der deutschen Rechtsordnung entwickelt hat. Er kann nämlich auch eine Norm zum Inhalt haben, die dem deutschen Recht fremd ist oder sogar deutschen Normen entgegensteht129. Es besteht daher kein Grund die allgemeinen Rechtsgrundsätze vom Begriff der „allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts“ nach Art. 25 GG auszuschließen130. Des Weiteren ist die Einbeziehung dieser Regeln in Art. 25 GG nicht überflüssig, weil sie erst durch diese Vorschrift einen höheren Rang im Vergleich zum einfachen Gesetz erlangen131.
III. Geltungsumfang Nachdem festgestellt wurde, dass das zwischenstaatliche „ne bis in idem“ als völkerrechtliches Prinzip angesehen werden soll und dass dementsprechend die ganzheitliche Ablehnung eines zwischenstaatlichen Doppelverfolgungsverbots einen Verstoß gegen die allgemeinen Rechtsgrundsätze und die völkerrechtlichen Menschenrechte sowie gegen die Bestimmungen des IPbpR und der EMRK darstellt, bleibt die Frage offen, welchen Umfang dieses Prinzip auf völkerrechtlicher Ebene besitzt bzw. wie es konkreter ausgestaltet ist.
1. Keine grenzenlose Anerkennung fremder Strafentscheidungen Man könnte bezüglich obiger Ausführungen behaupten, dass die Annahme eines transnationalen Doppelverfolgungsverbots aufgrund von Art. 6 EMRK und – vor allem – Art. 14 Abs. 7 IPbpR die Gefahr einer ausnahmslosen Anwendung des „ne bis in idem“-Prinzips in sich birgt, da in diesen Vorschriften keine entsprechenden Grenzen bzw. Ausnahmen zu finden sind. 127
Koenig, in: Mangoldt/Klein/Starck, GG6, Bd. 2, Art. 25 Rn. 23. Mosler, ZaöRV 1976, S. 1 ff. (42). 129 Heintschel von Heinegg, in: Eppin/Hillgruber, GG, 2009, Art. 25 Rn. 21; Geiger, Rudolf, Grundgesetz und Völkerrecht3, S. 162 f.; Steinberger, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. 7, 1992, § 173 Rn. 18, Fn. 61. 130 Vgl. auch BVerfGE 15, S. 25 ff. (34); BVerfGE 23, S. 288 ff. (317); BVerfGE 96, S. 68 ff. (86). 131 Rojahn, in: v. Münch/Kunig6, Art. 25 Rn. 13; Streinz, in: Sachs, GG7, Art. 25 Rn. 28. 128
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C. Begründung im Völkerrecht
Diese Ansicht ist jedoch falsch und wird auch in Bezug auf das innerstaatliche „ne bis in idem“ abgelehnt. Art. 14 Abs. 7 IPbpR verbietet eine erneute Verfolgung nach rechtskräftiger Aburteilung der Tat, ohne dabei Ausnahmen vorzusehen. Nach dem Recht der meisten Mitgliedstaaten sind aber Fälle vorgesehen, in denen trotz rechtskräftiger und endgültiger Aburteilung einer Straftat eine neue Verfolgung möglich ist. Es geht meistens um Ausnahmefälle von groben Prozessfehlern oder neu bekannt gewordenen Tatsachen von erheblicher Bedeutung, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens rechtfertigen132. Obwohl aber Art. 14 Abs. 7 IPbpR diesbezüglich keine Ausnahme vorsieht, ist es anerkannt, dass die von den verschiedenen Staaten vorgesehenen Wiederaufnahmegründe keinen Verstoß gegen diese Vorschrift darstellen133. Das Gebot des (innerstaatlichen) „ne bis in idem“-Prinzips nach Art. 14 Abs. 7 IPbpR bedeutet nicht seine ausnahmslose Anwendung. Ähnliches ist auch für das transnationale „ne bis in idem“ anzunehmen. Es ist generell davon auszugehen, dass die Annahme, die grenzenlose Möglichkeit zur mehrmaligen internationalen Verfolgung des Täters verstoße gegen das Völkerrecht und das transnationale „ne bis in idem“ solle als eine völkerrechtliche Regel anerkannt werden, nicht unbedingt dazu führt, dass jede strafrechtliche Aburteilung in einem bestimmten Staat jede erneute Verfolgung der Tat durch einen anderen Staat ausschließt. Die zuvor angenommene völkerrechtliche Regel des zwischenstaatlichen „ne bis in idem“ ist vielmehr in Einklang mit anderen völkerrechtlichen Prinzipien zu bringen, die ihr eventuell entgegenstehen.
2. Das Souveränitätsprinzip als Schranke des transnationalen „ne bis in idem“ Als Rechtfertigung für die Ablehnung des transnationalen „ne bis in idem“Prinzips wird – meistens ohne nähere Begründung – das Souveränitätsprinzip genannt134. Das Strafrecht gehöre zum Kern staatlicher Souveränität. Es sei das Recht jedes souveränen Staates frei zu entscheiden, wen und aufgrund von welchen Straftaten er verfolgt und bestraft sowie ob und in welchem Maße er die ausländischen Strafentscheidungen berücksichtigt. Um die Richtigkeit dieser Aussage zu prüfen sowie das Verhältnis zwischen Souveränitätsprinzip und transnationalem „ne bis in idem“ zu konkretisieren, ist eine nähere Betrachtung des Begriffs der Souveränität nötig. 132
s. die Wiederaufnahmegründe in §§ 359 ff. StPO. UN-Menschenrechtsausschuss, General Comment Nr. 13 vom 13. 4. 1984, Rn. 19; Nowak, UN-CCPR Commentary, 1993, Art. 14 Rn. 82; Gollwitzer, Kommentar zu MRK und IPbpR, 2005, Art. 6 MRK und 14 IPbpR Rn. 278. 134 Rüping, BK-GG, Art. 103 Abs. 3 GG Rn. 69; vgl. auch Ambos, Internationales Strafrecht4, § 4 Rn. 4 ff.; Lagodny, BMJ-Gutachten, 2001, S. 52, 61 und 128; Eingehend auch Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 155 ff.; Jung, Heike, FSSpringorum, 1993, S. 495. 133
III. Geltungsumfang
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a) Souveränitätsbegriff Der Begriff der Souveränität ist im Laufe der Zeit und in der modernen Rechtswissenschaft mit verschiedenen Bedeutungen benutzt worden135. Meistens wird zwischen einer inneren (staatsrechtlichen) und einer äußeren (völkerrechtlichen) Souveränität unterschieden, wobei durch diese Unterscheidung in Wirklichkeit zwei Aspekte derselben Sache umschrieben werden, die miteinander sehr eng verknüpft sind136. Innere Souveränität bedeutet konkreter, dass die Staatsgewalt nach innen die rechtlich höchste Gewalt ist, die über allen anderen steht (Zu-Höchst-Sein der Staatsgewalt)137. Damit sind insbesondere zwei Eigenschaften gemeint: Einzigkeit und Einseitigkeit138. Einzigkeit heißt hier, dass es neben der souveränen Staatsgewalt keine andere Gewalt geben kann und Einseitigkeit bedeutet, dass es für die Ausübung ihrer Zuständigkeit keiner Mitwirkung oder Zustimmung seitens der Betroffenen bedarf139. Mit der Einzigkeit der Staatsgewalt ist die Ausschließlichkeit der Zuständigkeit der Staatsgewalt und die „virtuelle Allzuständigkeit“ des Staates eng verknüpft, welche mit dem Begriff „Kompetenz-Kompetenz“ bezeichnet wird140. Bei der äußeren Souveränität handelt es sich hingegen um die rechtliche Unabhängigkeit nach außen, oder mit anderen Worten, um die Völkerrechtsunmittelbarkeit, in dem Sinne, dass jeder souveräne Staat nur dem Völkerrecht untersteht141. Jedem Staat dürfen nur Pflichten auferlegt werden, denen er direkt oder indirekt zugestimmt hat. Die völkerrechtliche Souveränität umfasst auch die territoriale Integrität, im Sinne eines Verbotes zur Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates142. Jeder Staat soll auf seinem Gebiet unabhängig seine Aufgaben und Funktionen erfüllen dürfen143. Mit der äußeren Souveränität ist auch die
135 s. Schwarzenberger, CLP 1957, S. 264 ff.; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 123 ff.; Shrijver, BYIL 1999, S. 65 ff. (69 f.). 136 Randelzhofer, in: Isensee/Kirchhof, HStR3, Bd. 2, § 17 Rn. 24. 137 Krüger, Allgemeine Staatslehre2, S. 847 ff.; Randelzhofer, in: Isensee/Kirchhof, HStR3, Bd. 2, § 17 Rn. 35 ff.; Isensee, in: ders./Kirchhof, HStR3, Bd. 2, § 15 Rn. 98 ff.; vgl. auch Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht3, S. 29 f. 138 Vgl. Krüger, Allgemeine Staatslehre2, 1966, S. 847 ff. 139 Randelzhofer, in: Isensee/Kirchhof, HStR3, Bd. 2, § 17 Rn. 35 ff. 140 Krüger, Allgemeine Staatslehre2, 1966, S. 848 ff.; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 123 ff.; Quaritsch, Der Staat 35 (1996), S. 1 ff. (21 f.). 141 Dagtoglou, EvStL3, Bd. 2, Spalte 3163; Randelzhofer, in: Isensee/Kirchhof, HStR3, Bd. 2, § 17 Rn. 25 ff.; Verdross, in: FS-von der Heydte, 1977, S. 703 ff. (707); von der Heydte, in: Görres-Gesellschaft, Staatslexikon, Bd. 7, 1962, Spalte 136. 142 Murswiek, Der Staat 35 (1996), S. 31; Shrijver, BYIL 1999, S. 65 ff. (70 f.); Tomuschat, RdC 1999, S. 161 ff. (175 f.). 143 Wildhaber, FS-Eichenberger, 1982, S. 131 ff. (143).
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C. Begründung im Völkerrecht
souveräne Gleichheit aller Staaten verbunden, da „par in parem non habet imperium“144. Wichtig ist dabei, dass sowohl die innere als auch die äußere Souveränität keine absoluten Werte darstellen. Höchste Gewalt bedeutet keine schrankenlose Gewalt, sondern höchste Gewalt von Rechts wegen145. Die Souveränität ist somit nach heutigem Verständnis rechtlich gebunden. Nach innen wird die Staatsgewalt hauptsächlich durch die Verfassung, nach außen durch das Völkerrecht begrenzt146. Nach dieser kurzen Darstellung kann man zu dem Schluss gelangen, dass die Souveränität im heutigen Sinne die Rolle einer Kompetenzverteilung hat. Sie bestimmt nämlich ausschließlich die Beziehungen von Trägern von Staatsgewalt untereinander. Sowohl bei der inneren als auch bei der äußeren Souveränität handelt es sich also um die Frage, ob es andere Staatsgewalten geben kann bzw. wie die verschiedenen Staatsgewalten sich untereinander verhalten müssen. Im inneren Bereich werden andere Gewaltenträger ausgeschlossen, während im äußeren Bereich das Verhältnis der souveränen Staaten untereinander geregelt wird. Kurz gefasst werden durch das Souveränitätsprinzip in Wirklichkeit lediglich Befugnisse aufgeteilt. Das Souveränitätsprinzip bestimmt aber nicht, wie diese Staatsgewalt an sich ausgeübt wird. Würde man annehmen, dass die Souveränität dem Recht untergeordnet ist, dann muss offen bleiben, wie dieses Verhältnis zwischen Souveränität und Recht zu beurteilen ist. Diese Feststellung ist, wie sogleich ausführlicher erklärt wird, für das transnationale „ne bis in idem“ von zentraler Bedeutung. b) Souveränität und „ne bis in idem“ Der Ablehnung des transnationalen „ne bis in idem“ durch das Souveränitätsprinzip liegt der Gedanke zugrunde, dass sich aus der Souveränität das Recht jedes Staates ergibt, selbst zu bestimmen, welche Straftaten er in seinem Territorium verfolgt und unter welchen Voraussetzungen er dies tut. Hat ein anderer Staat eine Entscheidung über dieselbe Straftat getroffen, liegt es in dem freien Ermessen des Verfolgungsstaats, zu entscheiden, ob er die Entscheidung berücksichtigt oder nicht, da er über die (strafrechtliche) Kompetenz-Kompetenz verfügt. In diesem Sinne handelt es sich hier vor allem um die äußere Souveränität. Dieser Gedanke ist aber nur zum Teil richtig. Aus der kurzen vorangegangenen Darstellung über das Souveränitätsprinzip wurde der Schluss gezogen, dass dieses Prinzip allein eine Aussage über den Träger einer Befugnis, hier der Befugnis zur Strafverfolgung, beinhaltet. Es betrifft nämlich ausschließlich die zwischenstaatli144 Shrijver, BYIL 1999, S. 65 ff. (71); Möllers, EvStL, 2006, Spalte 2178; vgl. auch Kooijmans, The Doctrine of the Legal Equality of States, 1964; Bleckmann, AVR 1985, S. 450 ff. (468); Tomuschat, RdC 1999, S. 161 ff. (189 ff.). 145 Dagtoglou, EvStL3, Bd. 2, Spalte 3160. 146 Randelzhofer, in: Isensee/Kirchhof, HStR3, Bd. 2, § 17 Rn. 23; Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 128.
III. Geltungsumfang
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chen Beziehungen. Für das transnationale „ne bis in idem“ spielt dieses Prinzip somit nur eine Rolle, soweit das Problem der transnationalen Doppelverfolgung als eine an die zwischenstaatlichen Beziehungen anknüpfende Sache betrachtet wird. Ob das der Fall ist, spielt aber letztendlich keine Rolle, da, wie in der vorliegenden Arbeit öfter betont wurde, die Gefahr einer Doppelverfolgung – zumindest auch, wenn nicht hauptsächlich – das Verhältnis zwischen Staat und Individuum betrifft. Das Souveränitätsprinzip bezieht sich jedoch nicht auf diesen Aspekt der „ne bis in idem“Problematik. Wenn nämlich die erneute Verfolgung des Täters als Eingriff in seine Grundrechte betrachtet werden kann, dann ist eine Rechtfertigung durch das Souveränitätsprinzip nicht möglich, da dieses Prinzip in dieser Hinsicht nicht einschlägig ist. Dass ein Staat aus internationaler Sicht die Befugnis hat, eine bestimmte Straftat zu verfolgen, bedeutet nicht, dass diese Verfolgung in jedem Fall als Grundrechtseingriff durch das Völkerrecht oder das eigene Verfassungsrecht des jeweiligen Landes gerechtfertigt ist. Man könnte das mit der innerstaatlichen Kompetenzverteilung vergleichen: Die Kompetenzverteilung unter den verschiedenen staatlichen Organen durch die Verfassung oder auch durch andere Gesetzesvorschriften regelt nur das Verhältnis dieser Organen untereinander und besagt nichts darüber, wie weit sie eventuell bei der Ausübung ihrer Aufgaben in die Grundrechte des Einzelnen eingreifen können. Auf der anderen Seite wird bezüglich der sog. „inneren Souveränität“ darüber hinaus davon ausgegangen, dass sie keinen Selbstzweck darstellt, sondern „dem Staatszweck innerer Sicherheit und des Friedens zu dienen bestimmt“ ist147. Innere Souveränität bedeutet nicht eine virtuell allumfassende Staatsgewalt. Letztere beschränkt sich auf die „Wahrung des Gemeinwohls […], in dessen Mitte Freiheit und soziale Gerechtigkeit stehen“148. Das Souveränitätsprinzip stellt in diesem Sinne nur ein Mittel zur Erreichung der Staatszwecke dar. Für das transnationale „ne bis in idem“ bedeutet das, dass die erneute Verfolgung nur in dem Maße vom inneren Souveränitätsprinzip gerechtfertigt werden kann, wie die Strafverfolgungszwecke das erlauben. Das führt wiederum zu dem gleichen Ergebnis, das als Basis dieser Arbeit dient, nämlich dass die erneute Verfolgung letztendlich von der staatlichen Schutz- bzw. Verfolgungspflicht abhängig ist. Aus den vorangegangenen Überlegungen ist festzuhalten, dass entgegen den verschiedenen Meinungen in der Theorie das Souveränitätsprinzip nur auf der Ebene der zwischenstaatlichen Beziehungen und Kompetenzen funktioniert, während es für die Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen seitens des Staates irrelevant ist. Daher stellt es kein Prinzip dar, welches das transnationale „ne bis in idem“ verhindern kann.
147 Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt, 2004, S. 133; Bleckmann, AVR 1985, S. 450 ff. (456). 148 BVerfGE 42, S. 312 ff. (331 f.).
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C. Begründung im Völkerrecht
3. Völkerrechtliche Prinzipien des Internationalen Strafrechts als (völkerrechtliche) Grenze des transnationalen „ne bis in idem“ Mit der Heranziehung des Souveränitätsprinzips als Argument gegen das transnationale „ne bis in idem“ ist in Wirklichkeit das völkerrechtlich anerkannte strafrechtliche Schutz- und Verfolgungsinteresse des Staates gemeint, das durch dieselben Prinzipien, welche auch die Erstreckung der strafrechtlichen Kompetenz aufgrund der Souveränität begründen, zum Ausdruck kommt. Es wurde vorher aus der Sicht des nationalen Rechts angenommen, dass man für die Grenzen des zwischenstaatlichen Doppelverfolgungsverbots auf die Prinzipien des nationalen Strafanwendungsrechts abstellen muss, weil dies nicht bloß eine formelle Bestimmung des Geltungsbereichs des Strafrechts darstellt, sondern weil dadurch vielmehr das Interesse des Staates zum Schutz bestimmter Rechtsgüter als Ausfluss der allgemeinen rechtsstaatlichen Schutzpflicht des Staates zum Ausdruck kommt. Dieses Interesse ist das maßgebliche Kriterium, das einen tiefen Eingriff in die Grundrechte des Verfolgten, nämlich eine zweite internationale Verfolgung, rechtfertigen könnte. Diesbezüglich wurde aber zuvor angemerkt149, dass die Anknüpfungspunkte, welche die Anwendung des Strafrechts regeln (Territorialitäts-, Personalitäts-, Schutzprinzip usw.), aus zwei unterschiedlichen Perspektiven angesehen werden können. Sie stellen nämlich einerseits Prinzipien des nationalen Strafanwendungsrechts dar, sind aber gleichzeitig auch als völkerrechtliche Prinzipien des Internationalen Strafrechts zu betrachten. Mit den Prinzipien des nationalen Strafanwendungsrechts sind jene Prinzipien gemeint, anhand derer der Staat auf der Basis von nationalen kriminalpolitischen Überlegungen und Interessen den Geltungsbereich seines Strafrechts erstreckt150. Darauf wurde die zuvor vorgenommene Abwägung aus der Sicht des nationalen Rechts gestützt. Dieselben Prinzipien werden aus völkerrechtlicher Sicht hingegen als völkerrechtliche Prinzipien des Internationalen Strafrechts betrachtet. Geht man von einer prinzipiellen Befugnis jedes Staates aus, den Geltungsbereich seines Strafrechts freiwillig zu erweitern, so sind die Anknüpfungspunkte in diesem Sinne als völkerrechtliche Schranken dieser Befugnis zu betrachten151. Nimmt man dagegen an, dass für jede Erweiterung des strafrechtlichen Geltungsbereichs über den Territorialitätsgrundsatz hinaus eine völkerrechtliche Rechtfertigung nötig ist (Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses), dann sind sie als völkerrechtliche Erlaubnissätze für diese Erweiterung anzusehen152. Unabhängig davon, welcher von diesen 149
s. weiter oben, B.IV.3.a). Ambos, Internationales Strafrecht4, § 3 Rn. 1. 151 So z. B. Schroeder, NJW 1969, S. 81; vgl. auch Jescheck, IRuD 1956, S. 75 ff. (83). 152 Roggemann, Strafrechtsanwendung und Rechtshilfe zwischen beiden deutschen Staaten, 1975, S. 13 f. 150
IV. Zwischenergebnis
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Methoden man folgt, um die Erstreckung der nationalen Strafgewalt völkerrechtlich zu begründen bzw. einzugrenzen, ist in jedem Fall davon auszugehen, dass auch hier – analog der Annahme aus nationaler Sicht – durch diese Prinzipien ein völkerrechtliches Verständnis darüber zum Ausdruck kommt, wann aus der Sicht des Völkerrechts ein Staat genügend Interesse an der Verfolgung einer Straftat hat. In diesem Sinne ist für die Bestimmung des Geltungsumfangs des transnationalen „ne bis in idem“-Prinzips auf völkerrechtlicher Ebene genauso vorzugehen, also wie zuvor eine Abwägung vorzunehmen, in der auf der einen Seite das Recht des Einzelnen auf seine Nichtverfolgung und auf der anderen Seite das durch die völkerrechtlichen Prinzipien des Internationalen Strafrechts zum Ausdruck kommende Verfolgungsinteresse des Staates steht. Da bei der zuvor vorgenommenen Abwägung auch auf die völkerrechtliche Begründung und somit auch auf die völkerrechtliche Seite des jeweiligen Anknüpfungspunkts abgestellt wurde, kann hier auf die ausführlichen Erläuterungen und die entsprechenden Ergebnisse weiter oben verwiesen werden153.
IV. Zwischenergebnis Der Untersuchungsgegenstand der vorherigen Paragraphen war die Existenz einer völkerrechtlichen Regel, die ein zwischenstaatliches Doppelverfolgungsverbot zum Inhalt hat. Die Basis für eine solche Regel kann ausschließlich unter den drei traditionell anerkannten Völkerrechtsquellen gesucht werden, nämlich dem völkerrechtlichen Vertragsrecht, dem Völkergewohnheitsrecht und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen. Aufgrund der Vielzahl der Staaten, die diese internationalen Verträge unterschrieben haben, wurde zunächst auf die EMRK und das IPbpR abgestellt. Art. 4 des 7. ZP der EMRK regelt ausdrücklich das innerstaatliche „ne bis in idem“. Aus dieser Vorschrift ziehen viele Autoren a contrario den Schluss, dass die Festlegung eines zwischenstaatlichen „ne bis in idem“ nicht in der Absicht der Mitgliedstaaten stand und deswegen ein solches Prinzip nicht auf die EMRK gestützt werden kann. Art. 4 des 7. ZP schließe als lex specialis die Annahme eines transnationalen „ne bis in idem“ auf Basis des „fair trial“-Prinzips und des Art. 6 EMRK aus. Nach dem hier verstandenen Sinn stellt jedoch Art. 4 des 7. ZP nur angesichts des innerstaatlichen „ne bis in idem“ eine speziellere Vorschrift zu Art. 6 EMRK dar. Aufgrund dieser Vorschrift können nicht jegliche Aspekte des „ne bis in idem“-Prinzips und insbesondere der zwischenstaatliche Aspekt als geregelt angesehen werden. Der eventuell entgegenstehende Wille der Mitgliedstaaten kann außerdem – wenn überhaupt vorhanden – nur bedingt berücksichtigt werden. Wichtiger ist für die Auslegung vielmehr der objektive Sinn und Zweck der EMRK insgesamt und vor allem der des 153
s. weiter oben, B.IV.3.a).
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C. Begründung im Völkerrecht
Art. 6. Dabei sind anerkannte Rechtsprinzipien wie z. B. das Gebot der Waffengleichheit und der Angemessenheit der Verfahrensdauer zu berücksichtigen, die aus dem „fair trial“-Prinzip hervorgehen und durch die mehrmalige Verfolgung des Täters zumindest indirekt tangiert werden. Die Möglichkeit einer endlosen Verfolgung des Täters durch mehrere Staaten steht nicht im Einklang mit Art. 6 EMRK und dem Prinzip eines fairen Verfahrens. Auch Art. 3 EMRK könnte in dieser Hinsicht herangezogen werden. Die mehrmalige Verfolgung des Täters könnte als erniedrigende Behandlung angesehen werden. Im IPbpR ist das „ne bis in idem“-Prinzip in Art. 14 Abs. 7 IPbpR vorgesehen. Nach vielen Autoren umfasst diese Vorschrift ausschließlich das innerstaatliche „ne bis in idem“. Gestützt wird diese Meinung vor allem auf den Wortlaut des Art. 14 Abs. 7 IPbpR. Es wurde aber gezeigt, dass der relevante Satz („of each country“) nicht zu dem Zweck hinzugefügt worden ist, das „ne bis in idem“ auf die innerstaatliche Ebene einzugrenzen, sondern eine ganz andere Funktion erfüllen sollte. Vom Wortlaut her ist somit die Annahme eines zwischenstaatlichen Doppelverfolgungsverbots nach Art. 14 Abs. 7 IPbpR möglich. Das IPbpR soll des Weiteren dahingehend interpretiert werden, dass die in ihm beinhalteten subjektiven Rechte die größtmögliche Effektivität entfalten. Deswegen muss bei der Auslegung des IPbpR immer die Interpretationsvariante bevorzugt werden, die dem Einzelnen den effektivsten Schutz gewährleistet. Teleologisch betrachtet soll daher davon ausgegangen werden, dass das im IPbpR beinhaltete „ne bis in idem“-Prinzip auch zwischenstaatlich anzuwenden ist. Aus der Sicht des Völkergewohnheitsrechts kann weder eine positive noch eine negative Regel festgestellt werden. Aus einem Vergleich des Strafverfahrensrechts von 21 Staaten könnte man eventuell den Schluss ziehen, dass weltweit die Länder, die ein Verbot der erneuten Strafverfolgung nach einer ausländischen Aburteilung vorsehen, eine deutliche Mehrheit darstellen. Zu diesen Ländern sollten auch diejenigen gezählt werden, die gesetzlich zwar kein transnationales Doppelverfolgungsverbot vorsehen, ein solches jedoch de facto (z. B. auf Basis des Opportunitätsprinzips) anerkennen. Trotz dieser Faktoren bleibt die Existenz einer völkergewohnheitsrechtlichen Regel aufgrund des kleinen vorliegenden Stichprobenumfangs fraglich. Ein transnationales „ne bis in idem“-Prinzip lässt sich durch das Völkergewohnheitsrecht weder bestätigen noch widerlegen. Mangels einer völkergewohnheitsrechtlichen Regel und unter der Prämisse, dass – trotz der zuvor erwähnten Analyse – kein zwischenstaatliches Doppelverfolgungsverbot auf die EMRK und das IPbpR gestützt werden kann, können für die Begründung des „ne bis in idem“ subsidiär die allgemeinen Rechtsgrundsätze in Betracht gezogen werden. Für die Annahme eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes ist eine Rechtsvergleichung der nationalen Rechtssysteme nötig. Dabei muss aber nicht auf die jeweilige innerstaatliche Institution, so wie sie sich in jedem Land entwickelt hat, abgestellt werden, sondern auf den gemeinsamen, hinter diesen Institutionen stehenden Gedanken. Die Rechtsvergleichung betrifft hier konkreter das Doppel-
IV. Zwischenergebnis
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verfolgungsverbot bzw. das Rechtskraftprinzip der verschiedenen nationalen Strafverfahrenssysteme. Der hinter dem „ne bis in idem“-Prinzip stehende Gedanke besagt, dass jeder Mensch ein Recht darauf hat, angesichts der ihm vorgeworfenen Tat irgendwann keine erneute Strafverfolgung mehr zu befürchten. Überträgt man diesen Gedanken auf die völkerrechtliche Ebene, so muss man annehmen, dass auch bei der mehrmaligen internationalen Verfolgung des Täters eine Grenze gesetzt werden muss. Zu diesem Schluss zwingt auch die Anerkennung der Menschenrechte – hier des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und der Menschenwürde – als allgemeine Rechtsgrundsätze. Diese werden durch eine mehrmalige (transnationale) Verfolgung des Täters tangiert. Im Ergebnis ist aus völkerrechtlicher Sicht davon auszugehen, dass prima facie eine Regel angenommen werden soll, die der mehrmaligen Verfolgung des Täters eine Grenze setzt. Es muss nämlich aus der Sicht des Völkerrechts eine MinimumGewährleistung anerkannt werden. Die Frage ist daher nicht, ob ein transnationales „ne bis in idem“ völkerrechtlich überhaupt existiert, sondern wo genau seine Grenze liegt. Um diese Grenze zu definieren, wurde zunächst auf das Souveränitätsprinzip abgestellt, das oft als Argument gegen die Annahme eines transnationalen Doppelverfolgungsverbots vorgebracht wird. Es wurde aber festgestellt, dass das Souveränitätsprinzip bloß die zwischenstaatlichen Beziehungen betrifft, indem es die Grenzen staatlicher Aktivität gegenüber anderen Staaten bestimmt. Für das Verhältnis zwischen Staat und Individuum ist dieses Prinzip irrelevant. Die Grenzen des transnationalen „ne bis in idem“ sind vielmehr – dem zuvor angenommenen Modell entsprechend154 – durch die völkerrechtlichen Prinzipien des Internationalen Strafrechts zu bestimmen. Durch sie kommt zum Ausdruck, wann aus völkerrechtlicher Sicht ein Staat ein genügendes Interesse an der Verfolgung einer bestimmten Straftat hat.
154
s. weiter oben, B.IV.3.a).
D. Einwände Nachdem das transnationale „ne bis in idem“-Prinzip sowohl im inländischen als auch im internationalen Recht begründet wurde, bleibt zu prüfen, ob bestimmte Einwände, die direkt oder indirekt gegen ein zwischenstaatliches Doppelverfolgungsverbot vorgebracht werden, gerechtfertigt sind sowie ob und in welchem Maße diese Einwände die vorherigen Annahmen in Zweifel ziehen können bzw. die Anwendung des transnationalen „ne bis in idem“-Prinzips einschränken oder sogar verhindern können.
I. Misstrauen gegenüber der fremden Rechtsordnung 1. Problemdarstellung Der wichtigste Faktor, der die Annahme eines transnationalen Doppelverfolgungsverbots verhindert, stellt meines Erachtens das Misstrauen vieler Staaten gegen fremde Rechtsordnungen dar. Man geht nämlich davon aus, dass die Gefahr bestünde, dass der Zweitverfolgungsstaat das Ergebnis eines Strafprozesses annehmen müsste, das mit den eigenen strafrechtlichen „Standards“ nicht im Einklang stehen würde, wenn man durch das transnationale „ne bis in idem“ jeder fremden Strafentscheidung eine internationale Erledigungswirkung zuschreiben würde. Das Problem besteht hauptsächlich darin, dass jeder Staat eine bestimmte Gerechtigkeitsvorstellung hat, die auf kulturelle, religiöse oder historische Gründe zurückzuführen ist und auch – und vielleicht vor allem – im Strafrecht widergespiegelt wird. Diese Gerechtigkeitsvorstellung kann sich stark von jener anderer Staaten unterscheiden1. Unter diesem Aspekt könnte man behaupten, dass der Zweitverfolgungsstaat sich mit dem Gebot der Anerkennung fremder Strafentscheidungen an die durch das Strafrecht zum Ausdruck kommenden Gerechtigkeitsvorstellungen des Ersturteilsstaats bindet und sich indirekt dazu verpflichtet, sie zu akzeptieren. Abgesehen von dieser Sichtweise, welche die Rolle der Gerechtigkeit im Strafund Strafprozessrecht überbetont, könnte man dasselbe Problem aus einer zweckbezogenen Perspektive betrachten. Jeder Staat mache nämlich von den verschiedenen Mitteln, die ihm zur Erreichung des staatlichen Rechtsfriedens und der 1 Vgl. zum Ganzen Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 145 ff. und 330 ff.
I. Misstrauen gegenüber der fremden Rechtsordnung
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Wohlfahrt oder auch konkreter zur Kriminalitätsbekämpfung zur Verfügung stehen, in einer bestimmten Weise Gebrauch. Seine Entscheidung, ein bestimmtes Verhalten als Straftat oder als Ordnungswidrigkeit bzw. Verwaltungsstraftat einzustufen oder dieses Verhalten überhaupt zu ahnden, könnte als Teil einer Gesamtplanung zur Erreichung der Staatsziele angesehen werden, der nur innerhalb des jeweiligen kombinierten Systems funktionieren kann. Durch die Anerkennung fremder Strafentscheidungen ergebe sich die Gefahr, dass dieses Gesamtsystem durch das Einschleichen von fremden Erwägungen, die von den eigenen stark abweichen können, konterkariert werde. Man würde erwarten, dass das hier geschilderte Misstrauen sich vor allem auf Länder bezieht, die untereinander große Unterschiede angesichts ihres materiellen und prozessualen Strafrechtssystems aufweisen. Aber selbst unter Ländern mit ähnlicher oder sogar gemeinsamer Rechtstradition und ähnlichen strafrechtlichen und rechtsstaatlichen „Standards“, wie z. B. im europäischen Raum, unterblieb die gegenseitige Anerkennung von Strafentscheidungen lange Zeit. Erst in den letzten Jahren, durch das Schengener Durchführungsübereinkommen vom 19. Juni 1990, und mehr aus wirtschaftlichen als aus menschenrechtlichen Beweggründen2 wurde eine transnationale Sperrwirkung von Strafentscheidungen im europäischen Raum vereinbart. Zu dem fehlenden zwischenstaatlichen Vertrauen tragen aber nicht nur die unterschiedlichen Gerechtigkeitsvorstellungen bzw. Kriminalitätsbekämpfungsmethoden zwischen den beteiligten Staaten bei, sondern auch die Tatsache, dass ein transnationales Doppelverfolgungsverbot als Missbrauchsinstrument dienen könnte. Möchte ein Staat einer bestimmten Person angesichts einer von ihr begangenen Straftat internationalen Verfolgungsschutz gewährleisten, so könnte er sie durch einen Schein- bzw. Alibiprozess freisprechen und ihr somit ein weltweites Verfolgungshindernis verschaffen. Als Beispiel werden in diesem Zusammenhang der „Lockerbie“-Fall3 oder der „Pol-Pot“-Fall4 genannt. Zu diesem „böswilligen“ Verhältnis können aber nicht nur gerichtliche Entscheidungen, sondern auch Staatsakte hinzugefügt werden, die aus der Sicht des transnationalen Doppelverfolgungsverbots als „endgültige Aburteilung“ anzusehen sind5, wie z. B. eine Amnestie oder Begnadigung. Als Beispiel dafür könnte der „HIV-Medics“-Fall erwähnt werden, in dem bulgarische Krankenschwestern in Libyen wegen absichtlicher Infizierung von 400 Kindern zum Tode verurteilt, später aber durch eine politische Intervention nach Bulgarien ausgeliefert wurden, dort jedoch vom bulgarischen Staatspräsident begnadigt worden sind.
2 Vgl. die Präambel des Übereinkommens vom 19. Juni 1990 zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985. 3 Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 331 f. 4 Schomburg, StV 1998, S. 153 ff. (157). 5 Dazu s. weiter unten, F.III.
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D. Einwände
2. Lösung Aufgrund des hier beschriebenen Misstrauens und um die harten Konsequenzen aus der Nichtanerkennung fremder Strafentscheidungen zu mäßigen, greifen einige Staaten auf Methoden zurück, nach denen die Entscheidung über die erneute Verfolgung eines im Ausland schon Abgeurteilten Verdächtigen dem Ermessen der Strafverfolgungsbehörden überlassen wird. Dass solche Methoden keinen dem transnationalen „ne bis in idem“-Prinzip entsprechenden Schutz gewährleisten, ist schon erklärt worden und aus diesem Grund können sie nicht wirklich als Lösung betrachtet werden6. Eine effektive Lösung gegen das Misstrauen gegen die fremden Rechtsordnungen ist in dieser Arbeit jedoch schon vorgebracht worden. Der internationale „ordre public“ kann als „Sicherheitsventil“ funktionieren und ausländische Verfahren, die aus materiellen (z. B. extrem niedrige Strafe) oder prozessualen Gründen (z. B. Scheinprozesse) den Mindeststandards des Völkerrechts nicht entsprechen, aus dem Anwendungsbereich des transnationalen „ne bis in idem“ ausschließen7. Durch den „ordre public“-Vorbehalt können alle aufgeführten Probleme gelöst werden, ohne dass man zusätzlich auf eine Missbrauchsklausel zurückgreifen müsste. Denn bei der Missbrauchsgefahr liegt das Problem nicht darin, dass der Ersturteilsstaat lediglich die Intention hatte den Täter nicht wirklich zu bestrafen, sondern dass das befolgte Verfahren objektiv gegen bestimmte prozessuale Regeln verstoßen hat (z. B. dass es von einem parteiischen Gericht durchgeführt worden ist, dass es kein Beweisverfahren stattgefunden hat usw.) oder dass das Endergebnis die völkerrechtlichen Mindeststandards objektiv verletzt hat8. Es ist klar, dass durch den „internationalen ordre public“-Vorbehalt nur Extremfälle erfasst werden sollen. Das bedeutet, dass man damit rechnen muss, dass durch das hier geschilderte transnationale „ne bis in idem“ auch solche fremden Entscheidungen als Verfahrenshindernis angesehen werden müssen, die eventuell auch einen großen Unterschied zu den inländischen Gerechtigkeitsvorstellungen aufweisen. Jedoch sollte das kein Hindernis für die Annahme eines zwischenstaatlichen Doppelverfolgungsverbots sein, was sich vor allem aus anderen Bereichen des Internationalen Straf(prozess)rechts, vornehmlich aus dem Strafanwendungs- sowie dem Auslieferungsrecht ergibt. Die Anwendung des innerstaatlichen Strafrechts wird in bestimmten Fällen von der Bedingung abhängig gemacht, dass die Tat auch im Tatortstaat unter Strafe steht. Das enge Verhältnis zwischen dieser „lex loci“-Bedingung und dem transnationalen
6
Dazu s. weiter oben, A.II. s. weiter oben, B.IV.4. 8 Vgl. auch Art. 10 Abs. 2 des Statuts des (ad hoc) IStGH für das ehemalige Jugoslawien sowie Art. 9 Abs. 2 des Statuts des (ad hoc) IStGH für Ruanda; Schomburg, StV 1998, S. 153 ff. (157). 7
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„ne bis in idem“ wurde schon erläutert9. Hier wird es nur noch einmal in Bezug auf das Vertrauensproblem erwähnt. Es ist nämlich widersprüchlich, wenn ein Staat einerseits einer fremden Rechtsordnung in dem Sinne vertraut, dass er die Verfolgung einer Straftat von der Tatsache abhängig macht, dass die Tat in dem anderen Staat überhaupt unter Strafe steht, andererseits aber nicht bereit ist, falls die Tat dort tatsächlich unter Strafe steht, die Strafrahmen, welche die Basis für die Verurteilung des Verfolgten in dieser fremden Rechtsordnung bildeten, auch zu akzeptieren. Sieht z. B. der Staat A keine Strafe für die in seinem Territorium stattgefundene Tat vor, unterbleibt die Verfolgung auch im Staat B ohne besondere Bedenken. Hätte der Staat A die relevante Tat hingegen unter Strafe gesetzt und darüber hinaus den Täter verfolgt und bestraft, dann würde der Staat B die vorangegangene Strafentscheidung misstrauisch betrachten und wäre deswegen nicht bereit ein Verfolgungshindernis anzunehmen, obwohl in diesem zweiten Fall sogar von einer größeren Konvergenz angesichts der Gerechtigkeitsvorstellungen der beiden Staaten auszugehen wäre. Das erscheint meines Erachtens als widersprüchlich. Das Gleiche ist beim Auslieferungsrecht zu beobachten. Dort ist nämlich das Prinzip der „beiderseitigen Strafbarkeit“ (double criminality) international anerkannt10. Für die Auslieferung ist es nämlich notwendig, dass die Tat sowohl im ersuchenden als auch im ersuchten Staat als Straftat vorgesehen ist. Diese Voraussetzung ist auf internationaler Ebene weitgehend anerkannt, so dass sie oft auch als Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts angesehen wird11. Durch das Prinzip der beiderseitigen Strafbarkeit wird somit wieder der Ablauf der Verfolgung in einem Staat von Gerechtigkeitsvorstellungen einer anderen Rechtsordnungen abhängig gemacht. Es gibt im Allgemeinen keinen Grund, einerseits im Bereich des Auslieferungsund Strafanwendungsrechts bereit zu sein, Abweichungen von den eigenen Gerechtigkeitsvorstellungen anzunehmen, während dies beim transnationalen „ne bis in idem“ nicht geschieht. Die „lex loci“ und das Gebot der „beiderseitigen Strafbarkeit“ zeugen davon, dass das Misstrauensargument unbegründet ist. Die zuvor erwähnten zweckbezogenen Einwände sind meines Erachtens auch nicht haltbar. Der hier vorgeschlagene Lösungsansatz basiert gerade auf einer Abwägung, deren Ergebnis sich vor allem nach den Verfolgungszwecken bestimmt, die durch das Verfolgungsinteresse in den Anknüpfungsprinzipien des Internationalen Strafanwendungsrechts zum Ausdruck kommen. Der Vorwurf, dass durch das transnationale „ne bis in idem“ die innerstaatlichen Verfolgungszwecke durch die Annahme ausländischer Strafentscheidungen verfälscht werden, trifft nicht zu, da die 9
B.IV.3.b). Bantekas/Nash, International Criminal Law3, S. 296 ff.; Zeidler, Der Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit im Auslieferungsrecht, 2008. 11 Shearer, Extradition in international law, 1971, S. 138; Bassiouni, in: ders., International Criminal Law, Bd. 2, 2008, S. 269 ff. (313); Zeidler, Der Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit im Auslieferungsrecht, 2008, S. 61. 10
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D. Einwände
hier vorgeschlagenen Kriterien für die Anerkennung fremder Strafentscheidungen gerade auf den strafrechtlichen Verfolgungszwecken basieren. Im Allgemeinen lässt sich festhalten, dass die Angst vor fremden Strafentscheidungen und fremden Rechtsordnungen generell ungerechtfertigt ist. Der „ordre public“-Vorbehalt bietet genügend Schutz vor eventuellen Missbrauchsgefahren oder vor der Gefahr krasser Unterschiede bei den in der Strafentscheidung zum Ausdruck kommenden Gerechtigkeitsvorstellungen der verschiedenen Staaten.
II. Forum-Shopping Ein weiterer Einwand, der gegen die Annahme eines transnationalen „ne bis in idem“-Prinzips angebracht wird, ist die Gefahr des sog. „forum-shoppings“12. Damit ist vor allem gemeint, dass der Täter in Anbetracht einer internationalen Erledigungswirkung der nationalen Strafentscheidungen eventuell versuchen wird, sich in dem Land aufzuhalten oder sogar zu ergeben, wo die „günstigsten“ Strafrahmen für ihn vorgesehen sind, so dass er die möglichst niedrigste Strafe bekommt, wenn er dort verurteilt wird. Damit entsteht für ihn ein Wahlrecht bezüglich seiner Aburteilung. Oft wird der Begriff „forum-shopping“ auch angesichts der Strafverfolgungsbehörden, insbesondere der internationalen, wie z. B. Europol oder Interpol, benutzt, um die Wahlmöglichkeit dieser Organe bezüglich der Entscheidung zu bezeichnen, auf welchem Territorium sie einen Täter in Gewahrsam nehmen. Zunächst ist anzumerken, dass mit dem hier vorgeschlagenen Lösungsansatz das sog. „forum-shopping“ in großem Maße beschränkt bleibt. Denn der Tatortstaat wird immer die Möglichkeit haben, den Täter erneut zu verfolgen, so dass Letzterer ausschließlich den Tatortstaat als Ersturteilsstaat „auswählen“ müsste, wenn er eine endgültige internationale Aburteilung erzielen möchte. Des Weiteren bleibt meistens ungeklärt, warum das „forum-shopping“ überhaupt als völkerrechtliches Problem angesehen werden sollte. Unklar verbleibt nämlich, gegen welches völkerrechtliche Prinzip ein solches Vorgehen verstößt oder welche völkerrechtlichen Probleme dadurch entstehen könnten. Die Tatsache, dass das zwischenstaatliche Doppelverfolgungsverbot dem Täter über die Gewährleistung der Einmaligkeit der Strafverfolgung hinaus einen weiteren Vorteil verschaffen könnte, d. h. eine Wahlmöglichkeit bezüglich des Forums seiner endgültigen Aburteilung, stellt nicht unbedingt ein Argument gegen dieses Verbot dar. Solange man bei gleichzeitiger Zuständigkeit mehrerer Staaten für die Verfolgung einer Straftat nicht von einer völkerrechtlich „richtigen“ Strafgewalt sprechen kann – die der Täter durch das zwischenstaatliche Doppelverfolgungsverbot missbräuchlich ausschlie12 Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 162 ff.; Lagodny, in: FS-Eser, 2005, S. 777 ff. (792); Kniebühler, Transnationales „ne bis in idem“, 2005, S. 130 ff.; De la Cuesta, RIDP 2002, S. 673 ff. (727); Schomburg, RIDP 2002, S. 941 ff. (953 und 958).
III. „Wettrennen“
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ßen könnte –, bleibt das „forum-shopping“ ein von den jeweiligen Verfolgungsbehörden eventuell unerwünschtes Phänomen, es bietet aber kein völkerrechtliches Argument gegen das transnationale „ne bis in idem“. Lediglich aus der Sicht des nationalen Rechts eben jenes Staates, der den höheren Strafrahmen vorsieht, könnte man eventuell behaupten, dass das forum-shopping die Anwendung des eigenen Rechts verhindern könnte und infolgedessen die generalpräventiven Ziele des Strafrechts unerfüllt blieben. Da aber die vorliegende Begründung des transnationalen „ne bis in idem“ unter Berücksichtigung der generalpräventiven Ziele des Strafrechts erfolgte und somit das zwischenstaatliche Doppelverfolgungsverbot (nur) in den Fällen bejaht wurde, in denen das Interesse an der Verfolgung einer Straftat relativ gering ist, sollte das forum-shopping kein besonderes Problem darstellen. Man könnte hier außerdem erneut auf das Strafanwendungsrecht verweisen, in dem das „forum-shopping“ als etwas Gegebenes angenommen wird. Der Täter hat nämlich in dieser Hinsicht die Möglichkeit, seine Tat in einem Land zu begehen, wo seine Handlung nicht als Straftat vorgesehen ist (z. B. Verletzung von Urheberrechten in einem Staat, wo das keine Straftat darstellt). Aufgrund des „lex loci“-Vorbehalts wäre dann seine Verfolgung in einem anderen Staat, der diese Tat doch als Strafe ansieht und einen entsprechenden Anknüpfungspunkt dazu hat (z. B. im Heimatland des Urhebers), prinzipiell ausgeschlossen. Trotz dieser Möglichkeit bleibt das „lex loci“-Prinzip im Bereich des Strafanwendungsrechts – berechtigterweise – unbestritten. Möchte man dessen ungeachtet das „forum-shopping“ doch als eine mit dem transnationalen „ne bis in idem“ zusammenhängende und unbedingt zu beseitigende Gefahr betrachten, reichte das trotzdem nicht aus, um einen tiefgreifenden Eingriff in die Grundrechte des Einzelnen, nämlich eine erneute internationale Verfolgung, zu rechtfertigen. Diese Gefahr könnte man im Wege der Auslieferung oder anhand einer engeren zwischenstaatlichen Zusammenarbeit im Bereich der Strafverfolgung hinreichend bekämpfen13.
III. „Wettrennen“ Mit ähnlichen Argumenten ist auch der weitere Einwand gegen das zwischenstaatliche Doppelverfolgungsverbot abzulehnen, nämlich die Gefahr eines internationalen „Wettrennens“ seitens der staatlichen Verfolgungsbehörden. Es wird hierzu vorgebracht, dass die Annahme eines transnationalen „ne bis in idem“ dazu führen könnte, dass aufgrund der Tatsache, dass die erste Entscheidung internationale Geltung beanspruchen wird, jeder Staat dazu geneigt wäre, einen 13 So auch Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 163; Kniebühler, Transnationales „ne bis in idem“, 2005, S. 131 f.
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D. Einwände
schnellen Prozess durchzuführen, um sich in Ausübung seiner Strafgewalt gegenüber den anderen Staaten durchzusetzen14. Das Ziel eines schnellen Prozesses sollte aber an sich nicht als Problem betrachtet werden. Problematisch ist der Fall, in dem die Beschleunigung des Prozesses unter Verletzung verfahrensrechtlicher Garantien erzielt wird. Das könnte nicht nur zu Lasten des Angeklagten ausgehen, z. B. wenn er in Abwesenheit verurteilt wird, sondern auch die Wahrheitsfindung und im Ergebnis die Richtigkeit der Entscheidung beeinflussen. Angesichts dieses Problems wurde vorgeschlagen15, auf internationaler Ebene die Rechtswidrigkeit von Abwesenheitsurteilen zu fordern. Das würde faktisch dazu führen, dass nur jener Staat eine Person aburteilen dürfte, auf dessen Territorium sie sich befindet. Da aber der Aufenthaltsort des Täters oft zufällig sei und daher keinen genügenden Anknüpfungspunkt darstelle, bedeute das wiederum, dass ein internationales System von korrespondierenden auslieferungsrechtlichen Vorschriften nötig sei, aus dem sich klar ergebe, welcher von mehreren rechtsprechungskompetenten Staaten den Prozess führen darf. Die Bestimmung des zuständigen Staates sollte sich nicht unbedingt anhand einer Hierarchisierung der Prinzipien des Internationalen Strafanwendungsrechts, sondern eher mittels einer Gesamtschau ergeben. Maßgeblich solle sein, welcher Staat die „engsten Verbindungen“ zu der Tat aufweist, d. h. wo das für die Tat „charakteristische Unrecht“ eingetreten sei. Obwohl die Forderung nach der Anerkennung der völkerrechtlichen Rechtswidrigkeit von Abwesenheitsurteilen tatsächlich positiv zu sein ist und der Versuch zur Vermeidung von positiven Strafgewaltskonflikten zum internationalen „ne bis in idem“-Problem beitragen könnte16, sind diese Fragen für die Annahme eines zwischenstaatlichen Doppelverfolgungsverbots irrelevant. Was die für den Angeklagten negativen Auswirkungen des als „Wettrennen“ bezeichneten Problems angeht, können diese meines Erachtens von vornherein nicht als Argument gegen das transnationale „ne bis in idem“ vorgebracht werden. Es wäre widersinnig, den Schutz, den das transnationale Doppelverfolgungsverbot dem Angeklagten gewährleistet, mit dem Argument abzulehnen, dass dieser Schutz auch die Gefahr von negativen Folgen für ihn mit sich bringe. Es ist außerdem falsch, die Gefahr eines rechtsstaatswidrigen Verhaltens des Staates (Verurteilung in absentia) als Argument für die Rechtfertigung einer anderen rechtsstaatswidrigen Praxis (mehrmalige Strafverfolgung) zu benutzen. Andererseits wird das Risiko eines beschleunigten Verfahrens, das mit mangelndem Beweismaterial oder durch den Verzicht auf wichtige Prozessregeln erfolgt und welches im Ergebnis Zweifel an der Richtigkeit der Endentscheidung erweckt, wieder durch den „ordre public“-Vorbehalt gemindert. Eine Entscheidung, welche
14 Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 164; s. auch Lagodny, in: FS-Trechsel, 2002, S. 253 ff. (261). 15 Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 165. 16 s. auch weiter unten, G.I.
IV. Zwischenergebnis
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unter Verstoß gegen die völkerrechtlichen prozessualen Mindeststandards erfolgte, hat keine „ne bis in idem“-Wirkung.
IV. Zwischenergebnis Keiner der erwähnten Einwände vermag eine Ablehnung des transnationalen „ne bis in idem“-Prinzips zu rechtfertigen. Extremfälle, vor denen der „ordre public“Vorbehalt genügend Schutz gewährleistet, ausgenommen handelt es sich bei den aufgeführten Einwänden um Probleme, die zwar Vorbehalte bei der Anerkennung fremder Strafentscheidungen erklären können und daher in Kauf genommen werden müssen, die aber keine tragfähigen dogmatischen Argumente gegen ein zwischenstaatliches Doppelverfolgungsverbot darstellen. Sie sind vor allem durch effektive zwischenstaatliche Zusammenarbeit zu überwinden.
E. Einbau des Konzepts in die deutsche StPO – Rechtsstaats- und völkerrechtskonforme Auslegung des § 153c StPO I. Einleitung Die Feststellung, dass die Anerkennung fremder Strafentscheidungen in bestimmten Fällen verfassungs- und völkerrechtlich geboten ist, führt zu der Frage, wie diese Annahme im Rahmen der deutschen Rechtsordnung konkret umzusetzen ist. Ein transnationales Doppelverfolgungsverbot als Garantie für den verhältnismäßigen Eingriff des Staates in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Einzelnen kann im Bereich des Strafprozessrechts am besten – und analog zur Sperrwirkung der materiellen Rechtskraft bei inländischen Entscheidungen – als Verfahrenshindernis funktionieren. Dies kann zunächst auf das verfassungsrechtliche Rechtsstaats- und Verhältnismäßigkeitsprinzip sowie – durch eine weite Auslegung – direkt auf Art. 103 III GG gestützt werden. Somit wäre eine erneute Verfolgung in den zuvor angenommenen Fällen als verfassungswidrig zu betrachten. Eine „flexiblere“ Lösung, die eventuell sogar leichter zu akzeptieren wäre, könnte § 153c StPO bieten, der die Voraussetzungen bestimmt, unter welchen die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung von Straftaten absehen darf, die eine Auslandsberührung aufweisen. Obwohl oft angemerkt wird, dass die praktische Bedeutung der Vorschrift verhältnismäßig gering sei1, gehen manche Autoren davon aus, dass § 153c StPO tatsächlich der praktischen Realisierung des „ne bis in idem“-Grundsatzes bei ausländischen Aburteilungen dient2. Es geht hier um die bereits geäußerte Idee, durch § 153c StPO und trotz der restriktiven Auslegung des Art. 103 III GG einen „ne bis in idem-Effekt“ im Verhältnis zu ausländischen Aburteilungen anzuerkennen. Das sollte – genau wie bei der hier zugrundegelegten Abwägung – durch die „Herstellung praktischer Konkordanz zwischen staatlichen Verfolgungsinteressen und Individualrechten“ erreicht werden3. Auf diese Weise könnte man auf Basis 1 Beulke, in: LR-StPO26, § 153c Rn. 2; Schöch, in: AK-StPO, 1992, § 153c Rn. 3; Linden, in: Verhandlungen des 60. DJT, Bd. II/1, 1994, M 35 ff. (41). 2 Beulke, in: LR-StPO26, § 153c Rn. 2; Schöch, in: AK-StPO, 1992, § 153c Rn. 8; Weßlau, in: SK-StPO4, § 153c Rn. 21; Landau, in: FS-Söllner, 2000, S. 629 ff. (638); Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 41 ff.; Für die Berücksichtigung fremder Entscheidungen im Rahmen des § 154 StPO s. Dauster, NStZ 1986, S. 145 ff. 3 Lagodny, JZ 1998, S. 568; Landau, in: FS-Söllner, 2000, S. 629 ff. (644 f.).
II. Opportunitätsprinzip und Ermessen
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des Opportunitätsprinzips zu einem ähnlichen Ergebnis gelangen, nämlich zu einem „quasi Verfahrenshindernis“, und eine erneute Verfolgung in den entsprechenden Fällen ausschließen. Der BGH hat diese Möglichkeit ausdrücklich ausgeschlossen. Mit seiner Entscheidung im Jahr 19874 verneinte er zunächst die Existenz einer allgemeinen völkerrechtlichen Regel, welche die erneute Verfolgung des Täters nach ausländischer Aburteilung derselben Tat verhindert. Darüber hinaus judizierte er, dass die Berücksichtigung früherer ausländischer Verurteilungen im Rahmen des § 153c seitens der Staatsanwaltschaft nicht zwingend sei. Bestimmte Opportunitätsgründe können zwar je nach Lage des Einzelfalls für die Einstellung des Verfahrens sprechen, diese Einstellungsbefugnis stehe aber ausschließlich der Staatsanwaltschaft und nicht dem Gericht zu, das nach der Anklageerhebung mit der Sache befasst ist. Der BGH könne die Ausübung des staatsanwaltschaftlichen Ermessens auch nicht überprüfen. Wie im Folgenden gezeigt wird, ist diesem Judikat jedoch nicht zuzustimmen.
II. Opportunitätsprinzip und Ermessen 1. Entscheidungsspielraum der Staatsanwaltschaft bei § 153c StPO Die §§ 153 ff. StPO erfassen Fälle, in denen die Staatsanwaltschaft trotz hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkte (eventuell mit der Zustimmung des zuständigen Gerichts) von der Verfolgung bestimmter Straftaten absehen kann. Diese Fälle gelten als Ausfluss des Opportunitätsprinzips, das teilweise als Durchbrechung5 oder Begrenzung6 des Legalitätsprinzips, teilweise aber auch als dessen Ergänzung7 betrachtet wird. Dass den Verfolgungsbehörden diese Befugnis eingeräumt wurde, lässt
4
BGHSt 34, S. 334 ff. (340 f.). Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht27, § 14 Rn. 5; Lammer, ZRP 1989, S. 248 ff. (251); Pfeiffer, StPO-Kommentar5, § 152 Rn. 4. 6 Beulke, in: LR-StPO26, § 152 Rn. 39 f.; Gercke, in: HK-StPO5, § 152 Rn. 15 ff.; Weigend, ZStW 109 (1997), S. 103 ff. (110); Plöd, KMR-StPO, 56. Lfg., § 152 Rn. 27; Schöch, in: AKStPO, 1992, § 152 Rn. 15; Weßlau, in: SK-StPO4, Vor §§ 151 ff. Rn. 7 ff.; Fezer, Strafprozessrecht2, S. 6. 7 Schroeder, in: FS-Peters, 1974, S. 411 ff. (416 ff. und 421); Kapahnke, Opportunität und Legalität im Strafverfahren, 1982, S. 79; vgl. auch Eser, ZStW 104 (1992), S. 361 ff. (369 f); Naucke, in: Lüderssen/Nestler-Tremel/Weigend, Modernes Strafrecht und ultima-ratio-Prinzip, 1990, S. 149 ff. (157); Erb, Legalität und Opportunität, 1999, S. 29 ff. und 67 ff.; MeyerGoßner, StPO58, § 152 Rn. 7. 5
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E. Einbau des Konzepts in die deutsche StPO
sich nicht mit einem gemeinsamen Grund rechtfertigen, sondern ist in jedem Fall auf unterschiedliche Gedanken zurückzuführen8. Über die Grenzen des staatsanwaltschaftlichen Entscheidungsspielraums bezüglich der Einstellung des Verfahrens besteht keine Einigkeit. Manche Autoren räumen der Staatsanwaltschaft einen weiten Entscheidungsspielraum ein, indem sie die Nichtverfolgung einer Straftat in den Fällen des Opportunitätsprinzips dem Ermessen der Staatsanwaltschaft überlassen. Das heißt, selbst wenn die im jeweiligen Paragraphen vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind, bleibe es den Verfolgungsbehörden überlassen, zu entscheiden, ob das Verfahren tatsächlich eingestellt wird oder nicht. Abgesehen vom Gesetzeswortlaut („Kann-Vorschriften“) spreche für diese Ansicht, dass die Frage nach rechtlicher Bindung oder Ermessen praktisch eine Frage des Umfangs der gerichtlichen Nachprüfung sei. Ob die Staatsanwaltschaft nämlich über einen freien Entscheidungsspielraum verfügt oder im Gegenteil an gewisse Regeln gebunden ist, sodass sie in bestimmten Fällen verpflichtet ist, von der Verfolgung abzusehen, hängt letztendlich davon ab, ob die Gerichte diese Entscheidung nachprüfen können. Da die Entscheidung über die Nichtverfolgung einer Tat keiner gerichtlichen Überprüfung unterliege9, solange sie auf einer Nichtverfolgungsermächtigung beruht, ergebe es keinen Sinn, die Opportunitätseinstellung als rechtlich gebundene Entscheidung einzuordnen10. Darüber hinaus sei es unmöglich, allgemeine und objektive Einstellungskriterien festzulegen. So etwas wäre auch nicht wünschenswert, da auf diese Weise die durch das Opportunitätsprinzip bezweckte Arbeitsentlastung aufgrund des Subsumtionsverfahrens konterkariert würde11. Die herrschende Meinung geht hingegen davon aus, dass trotz des Gesetzeswortlauts der §§ 153 ff. StPO und obwohl in § 467 Abs. 4 StPO das Wort „Ermessen“ benutzt wird, im Prinzip nicht von einem freien Ermessen, im Sinne eines echten Wahlrechts zwischen Verfolgung oder Nichtverfolgung, gesprochen werden kann12.
8 Für eine Einteilung der verschiedenen Einstellungsmöglichkeiten s. Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht27, § 14 Rn. 5 ff.; Kühne, Strafprozessrecht9, Rn. 585 ff.; vgl. auch Kotz, Die Wahl der Verfahrensart durch den Staatsanwalt, 1983. 9 OLG Hamm NStZ 1985, 472; Schulenburg, JuS 2004, S. 765 ff. (767); Weßlau, in: SKStPO4, Vor §§ 151 ff. Rn. 32; Das ist jedoch nicht unumstritten, s. Terbach, NStZ 1998, 172 ff.; Strubel/Sprenger, NJW 1972, S. 1734 (1737); vgl. auch Schöch, in: AK-StPO, 1992, § 152 Rn. 16; Heinrich, NStZ 1996, S. 110 ff.; Bohnert, Die Abschlussentscheidung des Staatsanwalts, 1992, S. 276 ff. 10 Weßlau, in: SK-StPO4, Vor §§ 151 ff. Rn. 12; Nelles/Velten, NStZ 1994, S. 366 ff. (368); Bohnert, Die Abschlussentscheidung des Staatsanwalts, 1992, S. 203; s. auch Schlüchter, Das Strafverfahren2, S. 398. 11 Kühne, Strafprozessrecht9, Rn. 583 f. 12 Beulke, in: LR-StPO26, § 152 Rn. 50; Gercke, in: HK-StPO5, § 152 Rn. 16; Schöch, in: AK-StPO, 1992, § 152 Rn. 15; Meyer-Goßner, StPO58, 152 Rn. 7 f.; so auch Schroeder, in: FSPeters, 1974, S. 411 ff. (418); Heinitz, in: FS-Rittler, 1957, S. 327 ff. (333); Sailer, NJW 1977, S. 1138 f.
II. Opportunitätsprinzip und Ermessen
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Vielmehr handele es sich hier um bloße Rechtsanwendung13. Die meisten Vorschriften enthalten zwar unbestimmte Rechtsbegriffe, die – wegen der Subsumtion eines bestimmten Falls unter die entsprechende Vorschrift – einen gewissen Beurteilungsspielraum einräumen (z. B. „geringe Schuld“ oder „fehlendes öffentliches Interesse“). Die „Freiheit“ der Staatsanwaltschaft erschöpfe sich aber genau in diesem Beurteilungsspielraum. Die Anknüpfung der Berechtigung zur Einstellung des Verfahrens an bestimmte Merkmale bedeute, dass die Verfolgungsbehörden zur Einstellung des Verfahrens verpflichtet seien, wenn diese Merkmale vorliegen14. In dieser Hinsicht wird das Wort „kann“ als „muss“ begriffen. Argumente für diese Meinung bieten der Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG) und das Willkürverbot sowie das Rechtsstaatsprinzip, die möglichst vorhersehbare, vordefinierte und allgemeingültige Kriterien verlangen, die für die Entscheidungen des jeweils zuständigen Staatsorgans – hier der Strafverfolgungsbehörde – verbindlich sind15. Das BVerfG hat sich dieser Meinung angeschlossen und lehnt auch ein echtes Ermessen der Verfolgungsbehörden in den Fällen der §§ 153 ff. StPO ab16. In diesem Meinungsstreit ist der herrschenden Meinung der Vorzug zu geben. In einem rechtsstaatlichen Strafverfahren kann nicht von einem freien Entscheidungsspielraum der Staatsanwaltschaft ausgegangen werden. Anders als in anderen Bereichen des Verwaltungsrechts, wie z. B. dem Bau-, Umwelt- und Verkehrsrecht, muss im Strafverfahren aufgrund der Bedeutung der betroffenen Interessen immer von einer rechtlich gebundenen Entscheidung ausgegangen werden17. Die Frage, ob und inwiefern diese Entscheidung gerichtlich nachprüfbar ist, hängt zwar eng mit diesem Problem zusammen, ist aber getrennt davon zu behandeln18. Außerdem ist es methodologisch falsch, die gerichtliche Nichtüberprüfbarkeit einer staatsanwaltlichen Entscheidung als Argument gegen die Gebundenheit der Staatsanwaltschaft zu benutzen. Logischerweise muss man – umgekehrt – zuerst prüfen, ob überhaupt eine Pflicht besteht und erst danach, wie diese Pflicht gerichtlich zu überprüfen ist. Selbst Anhänger der herrschenden Meinung räumen aber dem Staatsanwalt in bestimmten, wenn auch in ihrem Anwendungsbereich eng begrenzten Fällen19 ein 13 Plöd, in: KMR-StPO, 56. Lfg., § 152 Rn. 29; Schoreit, in: KK-StPO6, § 152 Rn. 23; Steffen, DRiZ 1972, S. 153 ff. (156); Schmidt-Jortzig, NJW 1989, S. 129 ff. (132); vgl. auch Volk, Grundkurs StPO7, S. 114; Petropoulos, in: FS-Schöch, 2010, S. 857 ff. (871). 14 Fezer, Strafprozessrecht3, S. 7; Bibbo, Kriterien zur Konkretisierung des Opportunitätsprinzips im Bußgeldverfahren, 2006, S. 35. 15 s. Bohnert, Die Abschlussentscheidung des Staatsanwalts, 1992, S. 220 ff.; ders., in: KKOWiG3, Einl. Rn. 156; Faller, in: FS-Maunz, 1971, S. 69 ff. (77 ff. ); Rieß, NStZ 1981, S. 2 ff. (7 ff.); vgl. auch Weigend, Anklagepflicht und Ermessen, 1978, S. 70 ff. 16 BVerfGE 90, S. 145 ff. (190); vgl. auch BVerfG NJW 2002, S. 815 f., wo von einem – wenn auch besonders weiten – Beurteilungsspielraum gesprochen wird. Vgl. aber BGH NJW 1978, S. 2033 ff. (2034), BGHSt 27, S. 274 (275). 17 Vgl. auch Störmer, ZStW 108 (1996), S. 494 ff. (500). 18 s. weiter unten, E.III.4. 19 Beulke, in: LR-StPO26, § 152 Rn. 50.
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E. Einbau des Konzepts in die deutsche StPO
echtes – pflichtgemäß auszuübendes – Ermessen ein20. Das soll in Ausnahmefällen und zwar nur dann gelten, wenn eine Vorschrift keine unbestimmten Rechtsbegriffe enthält. Da nämlich in diesen Fällen die Überlegungen angesichts der Zweckmäßigkeit einer Verfolgung nicht auf der Tatbestandsseite durch die unbestimmten Rechtsbegriffe erörtert werden können, müssen sie auf der Rechtsfolgenseite innerhalb einer Ermessensausübung angestellt werden21. Eine solche Vorschrift soll auch der hier relevante § 153c StPO darstellen. Die meisten Autoren gehen diesbezüglich ausnahmsweise von einem pflichtgemäßen Ermessen der Staatsanwaltschaft aus22. Das wird auch durch die RiStBV bestätigt, da in Nr. 94 ausdrücklich von einem pflichtgemäßen Ermessen die Rede ist. Damit wird den Verfolgungsbehörden ein umfangreicherer Entscheidungsspielraum eingeräumt, wobei mit der Bezeichnung „pflichtgemäß“ wieder eine gewisse Eingrenzung bezweckt wird. Die Grenzen dieses staatsanwaltlichen Entscheidungsspielraums können nicht genau festgelegt werden. Von Bedeutung ist hier aber die vor allem im Bereich des Verwaltungsrechts oft auftretende Ermessensreduzierung. So ist anerkannt, dass es bei der Konkretisierung der Ermessensermächtigung nach Abwägung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls oft dazu kommen kann, dass der zuständigen Behörde letztendlich nur wenige Alternative verbleiben und der Ermessensspielraum auf diese Weise deutlich verengt wird. Der Ermessensspielraum kann in bestimmten Fällen sogar soweit „schrumpfen“, dass die pflichtgemäße Ausübung der Ermessensermächtigung nur eine einzige Alternative erlaubt. In diesem Fall spricht man von einer Ermessensreduzierung auf null und das Ermessen wandelt sich in eine Pflicht zu einer bestimmten Entscheidung um23. Für eine Ermessensreduzierung auf null werden grundsätzlich außergewöhnliche Umständen verlangt. Dazu gehört die besondere Intensität und Schwere einer Störung oder die Wertigkeit des betroffenen Rechtsgutes während die Grundrechte generell auch eine ermessenseinschränkende Rolle haben sollen24. Eine Reduzierung auf null könnte sich aber vor allem aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ergeben25.
20 Beulke, in: LR-StPO26, § 152 Rn. 50; Meyer-Goßner, StPO58, § 152 Rn. 8; Plöd, KMRStPO, 56. Lfg., § 152 Rn. 29; a.A. Meyer-Goßner, in: LR-StPO23, § 152 Rn. 25. 21 Eingehend Bibbo, Kriterien zur Konkretisierung des Opportunitätsprinzips im Bußgeldverfahren, 2006, S. 32 ff.; So auch Gercke, in: HK-StPO5, § 152 Rn. 16; Schoreit, in: KKStPO6, § 152 Rn. 25. 22 Gercke, in: HK-StPO5, § 153c Rn. 3; Beulke, in: LR-StPO26, § 153c Rn. 8; Plöd, KMRStPO, 46. Lfg., § 153c Rn. 4; vgl. auch Krauth/Kurfess/Wulf, JZ 1968, S. 731 ff. (733 f.). 23 Aschke, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG-Kommentar, 2010, § 40 Rn. 72; BVerwGE 62, S. 206 ff. (210); BVerwGE 69, S. 90 ff. (94); BVerwGE 122, S. 103 ff. (108); Wolf/Bachof, Verwaltungsrecht I12, S. 328 f. 24 BVerwGE 95, S. 15 ff. (19). 25 Aschke, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG-Kommentar, 2010, § 40 Rn. 73 f.; Liebetanz, in: Obermayer/Fritz, VwVfG-Kommentar3, § 40 Rn. 50; vgl. generell auch Di Fabio, VerwArch 1995, S. 214 ff.; Hain/Schlette/Schmitz, AöR 1997, S. 32 ff. (39 ff.).
II. Opportunitätsprinzip und Ermessen
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Das zuvor angenommene Modell für die Begründung des transnationalen Doppelverfolgungsverbots beruht gerade auf dem Verhältnismäßigkeitsprinzip und ist, wie gesagt, das Ergebnis einer auf der Verfassungsebene vorgenommenen Abwägung, das auch von dem Grundrecht auf Persönlichkeit mitbestimmt wird. In diesem Sinne sind die Voraussetzungen für die Annahme einer Ermessensreduzierung auf null beim transnationalen „ne bis in idem“, so wie dieses Prinzip vorher begründet wurde, als erfüllt anzusehen. Selbst wenn man daher § 153c StPO als eine Ausnahme von dem ansonsten rechtlich gebundenen Entscheidungsspielraum des Staatsanwalts bei den Fällen des Opportunitätsprinzips betrachtet, ist entgegen der zuvor erwähnten Entscheidung des BGH von einem quasi-Verfahrenshindernis auszugehen26. Ob und wie dieses Verfahrenshindernis in § 153c StPO eingebaut werden kann und wie genau es funktionieren soll, kann sich erst nach einer Analyse dieser Vorschrift ergeben.
2. Exkurs: Opportunitätsregelungen als Ermächtigung zur Abwägung nach vorgeschriebenen Kriterien Die Frage des Ermessens könnte aber auch auf einer anderen Basis gestellt werden. Die Unterscheidung zwischen Beurteilungsspielraum auf der Tatbestandsseite und Ermessensspielraum auf der Rechtsfolgenseite sowie das Abstellen auf die Existenz von unbestimmten Tatbestandsmerkmalen für die Beurteilung, ob die Staatsanwaltschaft ein echtes Ermessen hat oder nicht, ist für die Bestimmung der Grenze der jeweils erlaubten Entscheidungsbefugnis nicht besonders hilfreich, eventuell sogar unzutreffend. Das wird am Beispiel des § 153c Abs. 2 StPO deutlich, der zwei verschiedene Konstellationen regelt, nämlich sowohl den Fall, in dem der im Ausland abgeurteilte Täter freigesprochen worden ist, als auch den Fall einer vorherigen Verurteilung. In letzterem Fall hängt die Entscheidung des Staatsanwalts davon ab, ob die im Inland zu erwartende Strafe nach Anrechnung der ausländischen Strafe nicht ins Gewicht fiele. Würde man, der herrschenden Meinung folgend, die Frage, ob dem Staatsanwalt ein echtes Ermessen zusteht oder nicht, von dem Vorliegen eines unbestimmten Rechtsbegriffs abhängig machen, müsste man hier für den Fall, dass der Verdächtige verurteilt worden ist, aufgrund des Merkmals „nicht ins Gewicht fallen“ von einer Uminterpretierung des „kann“ in ein „muss“ ausgehen und die staatsanwaltliche Entscheidung ausschließlich an dieses Merkmal anknüpfen, während man im Falle eines Freispruchs weiterhin ein echtes Ermessen des Staatsanwalts annehmen müsste. Eine solche Unterscheidung wäre aber sachlich nicht gerechtfertigt. Diesbezüglich könnte angemerkt werden, dass gemäß einem großen Teil der verwaltungsrechtlichen Literatur – ein Rechtsbereich, der die Begriffe „Ermessen“ und „Beurteilungsspielraum“ immer noch sehr stark prägt – mit dem Begriff Er26
Vgl. auch Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 41 ff.
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E. Einbau des Konzepts in die deutsche StPO
messen ein Handlungsspielraum bezeichnet wird, der nicht immer ausschließlich die Rechtsfolgenseite betrifft. Dieser Meinung nach kann der Gesetzgeber einer Verwaltungsbehörde auch auf der Tatbestandsseite einer Gesetzesbestimmung ein Ermessen einräumen. Die unbestimmten Gesetzesbegriffe dürfen dann nicht immer als Tatbestandsmerkmale verstanden werden, sondern als Direktiven des Gesetzgebers für die relevante Ermessensabwägung, welche die entsprechende Behörde vornehmen muss27. Für die strafprozessualen Vorschriften, die sich auf das Opportunitätsprinzip stützen, könnte das bedeuten, dass Gesetzesbegriffe wie die „geringe Schuld“ oder das „fehlende Verfolgungsinteresse“ keine unbestimmten Tatbestandsmerkmale sind, sondern Direktiven des Gesetzgebers für eine Abwägung, die die Staatsanwaltschaft vornehmen muss. Ob diese Direktiven die einzigen Kriterien sind, auf welche die jeweilige Entscheidung gestützt werden muss, oder ob bei der Abwägung noch weitere Kriterien berücksichtigt werden müssen, ist eine Sache der Auslegung der entsprechenden Vorschrift. Durch diese Betrachtungsweise lässt sich die Umwandlung mancher „Kann-“ in „Muss-Vorschriften“ besser erklären. Das Wort „kann“ bezieht sich also auf die Abwägung, welche die Staatsanwaltschaft vornehmen muss, und ist deswegen immer in solchen Fällen gerechtfertigt, weil das Ergebnis dieser Abwägung von Fall zu Fall abweichen kann. Die „kann“-Formulierung impliziert in diesem Sinne keine besondere Ermächtigung der Staatsanwaltschaft in Bezug auf die Rechtsfolgen, sondern die Wahrscheinlichkeit unterschiedlicher Ergebnisse. Sind die Kriterien-Direktiven, welche nach dem Gesetzgeber bei der jeweiligen Abwägung berücksichtigt werden müssen, als eine abschließende Aufzählung zu verstehen, so hängt die Entscheidung über die Einstellung des Verfahrens ausschließlich von der Bejahung dieser Kriterien ab, so dass die Staatsanwaltschaft verpflichtet ist, die Verfolgung einzustellen, wenn sie diese als erfüllt ansieht. Ergibt sich jedoch aus der Gesetzesauslegung, dass die relevante Entscheidung auch von anderen als den in der entsprechenden Vorschrift zum Ausdruck kommenden Kriterien abhängt (so wie z. B. die Kriterien, die für § 153c StPO durch Nr. 94 RiStBV festgelegt werden), ist das Verfahren trotz des Vorliegens der im Gesetz genannten Merkmale aufgrund von diesen anderen ungeschriebenen (und in dem bestimmten Fall nicht erfüllten) Kriterien fortzuführen28. Bei der Bestimmung der jeweils entscheidenden Kriterien sowie bei der Feststellung, ob diese Kriterien enumerativ aufgezählt werden oder nicht, handelt es sich um eine Auslegung der entsprechenden Vorschrift, also um Rechtsanwendung. Ein gewisser Freiraum (den man „Beurteilungsspielraum“ oder „Ermessen“ nennen kann) verbleibt für die Verfolgungsbehörde nur bei der Auswertung der verschiedenen Kriterien in dem bestimmten Einzelfall. Der Entscheidungsspielraum der 27
Bullinger, JZ 1984, S. 1001 ff. (1009 ff.); Ossenbühl, DÖV 1968, S. 618 ff. (626); Schmidt-Aßmann, VVDStRL 34 (1976), S. 221 ff. (254 ff.); Meyer, Hans, in: Meyer/BorgsMaciejewski, VwVfG-Kommentar2, § 40 Rn. 6 ff., 17 ff. und 20; Badura, in: FS-Bachof, 1984, 169 ff. (184 ff.). 28 Vgl. auch Meyer, Hans, in: Meyer/Borgs-Maciejewski, Kommentar-VwVfG2, § 40 Rn. 21; Naucke, in: FS-Maurach, 1972, S. 197 ff. (204 f.).
III. § 153c StPO und transnationales „ne bis in idem“
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Verfolgungsbehörde bezieht sich in diesem Sinne hier immer und ausschließlich auf die Auswertung, nicht jedoch auf die Bestimmung der jeweiligen (geschriebenen oder ungeschriebenen) Kriterien. Wenn man dies auf das Beispiel des § 153 StPO anwendet, dann sind die Begriffe „geringe Schuld“ und „öffentliches Interesse an der Verfolgung der Straftat“ als die vom Gesetzgeber festgelegten Kriterien bzw. Direktiven für die Entscheidung zu betrachten, ob die Verfolgung eingestellt werden muss oder nicht. Ob diese Kriterien die einzigen sind, auf die der zuständige Staatsanwalt seine Entscheidung stützen muss, ist eine Sache der Auslegung des § 153 StPO. So wie die herrschende Meinung diese Vorschrift versteht, ist diese Frage zu bejahen. Das heißt, der Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, das Ergebnis ihrer Abwägung an diese zwei Begriffe anzuknüpfen. Über einen Freiraum könnte sie eventuell nur angesichts des Vorliegens der Merkmale „geringe Schuld“ oder „öffentliches Interesse an der Verfolgung der Straftat“ verfügen (ob nämlich die Schuld in dem bestimmten Fall gering ist oder ob ein öffentliches Interesse vorliegt) sowie bezüglich der Frage, welches von beiden in dem bestimmten Fall überwiegt29. Für das transnationale Verfolgungsverbot bedeutet das, dass die Festlegung der Kriterien, auf die der Staatsanwalt seine Entscheidung über die Einstellung des Verfahrens nach § 153c StPO stützen muss, eine Sache der Auslegung dieser Vorschrift ist und nicht in seinem freien Ermessen liegt. Ob also das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder die Schutzpflicht des Staates eine Rolle für die entsprechende Abwägung spielen, und wie diese Faktoren genauer zu konkretisieren sind (z. B. durch die Anknüpfungsprinzipien, wie oben angenommen wurde), bleibt außerhalb seines Entscheidungsspielraums. Einen gewissen Freiraum könnte die Verfolgungsbehörde möglicherweise bei der Abwägung dieser Kriterien haben, nämlich bezüglich der Frage, welche von ihnen in einem bestimmten Fall überwiegen. An dieser Stelle ist aber wieder von einer Ermessensreduzierung auf null auszugehen, wenn das Verhältnismäßigkeitsprinzip oder ein Grundrecht für einen bestimmten Fall nur eine einzige Lösung erlaubt. Auf diese Weise kommt man wieder zu einem de facto Verfahrenshindernis.
III. § 153c StPO und transnationales „ne bis in idem“ 1. Analyse des § 153c StPO § 153c StPO betrifft im Allgemeinen Straftaten mit Auslandsbezug, wobei nicht nur Auslands- sondern in bestimmten Fällen auch Inlandstaten umfasst werden. Die Vorschrift steht in engem Zusammenhang zu den §§ 3 – 9 StGB, die den räumlichen Geltungsbereich des deutschen Strafrechts bestimmen und eine Voraussetzung für dessen Anwendung bilden, da § 153c StPO nur dann anwendbar ist, wenn für die 29
Vgl. zum Ganzen Schroeder, in: FS-Peters, S. 411 ff. (425).
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E. Einbau des Konzepts in die deutsche StPO
betreffende Tat das deutsche Strafrecht gilt. Zuständig für die Entscheidung über die Einstellung des Verfahrens ist hier allein der Staatsanwalt. Die Möglichkeit zur Einstellung des Verfahrens in den Fällen des § 153c StPO stützt sich auf verschiedene Überlegungen; es sind verschiedene Faktoren zu berücksichtigen. Als erstes kommt der Versuch zur Korrektur des weit gefassten Anwendungsbereichs des deutschen Strafrechts in Betracht, indem Auslandstaten mit geringem Verfolgungsinteresse unverfolgt bleiben sollen. Die Vorschrift dient aber auch justizökonomischen Zwecken, da die Verfolgung von Straftaten mit Auslandsbezug möglicherweise einen hohen Aufklärungsaufwand erfordert30. Schließlich kommen eventuell auch politische und daher außerprozessuale Überlegungen in Betracht, vor allem im Falle des Abs. 3 und teilweise angesichts des Abs. 531. Für die Auslegung des § 153c StPO müssen auch die Nr. 94–99 der Richtlinie für das Strafund Bußgeldverfahren berücksichtigt werden. § 153c StPO enthält Regelungen über verschiedene, oft speziellere Fälle von Auslandstaten, wie z. B. Distanztaten (Abs. 3), Fälle der §§ 129 und 129a StGB (Abs. 1 Nr. 3), oder Straftaten, die ein Ausländer im Inland auf einem ausländischen Schiff oder Luftfahrzeug begangen hat (Abs. 1 Nr. 2). Meines Erachtens sind aber für das transnationale „ne bis in idem“ zwei Vorschriften von besonderer Bedeutung, nämlich Abs. 1 Nr. 1 (1. Alternative) einerseits und Abs. 2 andererseits, da sie einen allgemeineren Charakter aufweisen. Auf diese zwei Vorschriften ist die folgende Untersuchung zu konzentrieren. a) § 153c Abs. 1 Nr. 1 (Alt. 1) StPO § 153c Abs. 1 S. 1 (Alt. 1) StPO gilt für Straftaten, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des deutschen Strafrechts begangen wurden, d. h. nur für Auslandstaten. Ob die Tat im Inland oder im Ausland begangen wurde, richtet sich nach § 9 StGB. Demnach gilt als Begehungsort sowohl der Tätigkeitsort als auch der Erfolgsort. Damit § 153c Abs. 1 S. 1 StPO Anwendung findet, darf sich also weder der Tätigkeitsort noch der Erfolgsort in Deutschland befinden. Im Sinne der Prinzipien des Internationalen Strafrechts formuliert, durch die das Problem des transnationalen „ne bis in idem“ hier betrachtet wird, findet diese Vorschrift in allen Fällen Anwendung, in denen die Tat nicht auf Basis des Territorialitätsprinzips i.w.S. verfolgt werden kann. Die Entscheidung über die Verfolgung oder Nichtverfolgung des Täters liegt nach Nr. 94 RiStBV in dem pflichtgemäßen Ermessen des Staatsanwalts. Von Bedeutung sind hier die Kriterien, die der Staatsanwalt dieser Richtlinie nach berücksichtigen muss. Das sind die in § 153c Abs. 2 bezeichneten Gründe, d. h. ob der Täter für die 30
Vgl. auch Dann, wistra 2008, 41 ff. (45). Beulke, in: LR-StPO26, § 153c Rn. 2; Weßlau, in: SK-StPO4, § 153c Rn. 1; Schöch, in: AK-StPO, 1992, § 153c StPO Rn. 2; Gercke, in: HK-StPO5, § 153c Rn. 1; vgl. auch Krauth/ Kurfess/Wulf, JZ 1968, S. 731 ff. (733). 31
III. § 153c StPO und transnationales „ne bis in idem“
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betreffende Tat im Ausland schon verurteilt oder freigesprochen wurde, und ob die Strafverfolgung der Tat zu unbilligen Härten führen würde oder ein öffentliches Interesse an der strafrechtlichen Ahndung nicht oder nicht mehr besteht. b) § 153c Abs. 2 § 153c Abs. 2 StPO ermöglicht der Staatsanwaltschaft von der Verfolgung einer Straftat abzusehen, wenn der Täter wegen der Tat im Ausland schon verurteilt worden ist, die Strafe vollstreckt worden ist und die im Inland zu erwartende Strafe nach Anrechnung der ausländischen Strafe nicht ins Gewicht fiele. Das Gleiche gilt, wenn der Beschuldigte wegen der Tat im Ausland rechtskräftig freigesprochen worden ist. Die Vorschrift erfasst sowohl Inlands- als auch Auslandstaten32, d. h. sie kommt unabhängig von der Frage in Betracht, auf Basis welchen Prinzips des Internationalen Strafrechts die Verfolgung in Deutschland erfolgt. Im Falle einer Verurteilung hängt also die Einstellung des Verfahrens davon ab, ob die im Inland zu erwartende Strafe nach Anrechnung der ausländischen Strafe „ins Gewicht fällt“ oder nicht. Wann das der Fall ist, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Es sei auch unmöglich, generelle Aussagen darüber zu machen33. Der herrschenden Meinung nach kommt es nicht auf quantitative Gesichtspunkte und mathematische Größenverhältnisse an34. Der Verfolgungszwang soll nur dann entfallen, wenn „das nach Anrechnung der ausländischen Verurteilung verbleibende Rechtsfolgenquantum von den Strafzwecken her als bedeutungslos erscheinen würde“35. Wichtig ist, dass bei der Beurteilung, ob die erwartende Strafe nach Anrechnung der ausländischen Strafe ins Gewicht fällt oder nicht, auch die möglichen Besonderheiten einer Strafvollstreckung und eines Strafvollzugs im Ausland sowie die Belastungen durch ein zusätzliches Strafverfahren berücksichtigt werden müssen36. Im Gegenteil dazu sind für den Fall eines ausländischen Freispruchs keine näheren Voraussetzungen oder Maßstäbe gesetzlich festgelegt. In der Begründung des RegE sind angesichts der Hinzufügung von ausländischen Freispruchsurteilen zu den Fällen des § 153c Abs. 2 StPO einige Beispiele erwähnt, bei denen die Verfolgung 32
Schoreit, in: KK-StPO6, § 153c Rn. 12; Beulke, in: LR-StPO26, § 153c Rn. 15; Plöd, KMR-StPO, 46. Lfg., § 153c Rn. 8; Gercke, in: HK-StPO5, § 153c Rn. 8; Weßlau, in: SKStPO4, § 153c Rn. 21. 33 Weßlau, in: SK-StPO4, § 154 Rn. 16. 34 Schöch, in: AK-StPO, 1992, § 154 Rn. 12; Weßlau, in: SK-StPO4, § 154 Rn. 16; MeyerGoßner, StPO58, § 154 Rn. 7; Beulke, in: LR-StPO26, § 154 Rn. 18; so aber Schoreit, in: KKStPO6, § 154 Rn. 10; Kurth, NJW 1978, S. 2481 ff. (2482). 35 Beulke, in: LR-StPO26, § 153c Rn. 25; ähnlich Plöd, KMR-StPO, 46. Lfg., § 153c Rn. 8; Schöch, in:AK-StPO, 1992, § 153c Rn. 8. 36 Beulke, in: LR-StPO26, § 153c Rn. 25; Schoreit, in: KK-StPO6, § 154 Rn. 13; Gercke, in: HK-StPO5, § 153c Rn. 8; Landau, in: FS-Söllner, 2000, S. 628 ff. (638); so auch Walther, in: AnwK-StPO2, 153c Rn. 12, jedoch nur „in einem beschränkten Maß“.
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E. Einbau des Konzepts in die deutsche StPO
einer Straftat trotz vorherigen Freispruchs im Ausland als sinnvoll erscheint. Dazu gehört z. B. der Fall, in dem der ausländische Freispruch aufgrund der erst während der Hauptverhandlung festgestellten fehlenden Gerichtsbarkeit erfolgt ist, oder wenn die ausländischen Verfahrensordnungen im Einzelfall so wesentliche Abweichungen von den Vorschriften des deutschen Strafverfahrensrechts enthalten, dass es nicht angemessen erschiene, den im Ausland ergangenen Freispruch hinzunehmen37. Daraus wird der Schluss gezogen, dass im Falle eines ausländischen Freispruchs eine erneute Verfolgung in Deutschland die Ausnahme und die Nichtverfolgung die Regel sein soll38. Nur erhebliche Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit oder den Beweisgrundlagen der ausländischen Freispruchsentscheidung könnten eine erneute Verfolgung rechtfertigen39.
2. Anpassung der Ergebnisse an §153c StPO Aus der vorherigen Untersuchung hat sich ergeben, dass die Verhältnismäßigkeit einer erneuten Verfolgung nach ausländischer Aburteilung einer Straftat im Ausland (gleichgültig in welchem Land) von dem jeweiligen Prinzip des Internationalen Strafrechts abhängt, nach dem die inländische Verfolgung erfolgt, da je nach in Betracht kommendem Prinzip von einem unterschiedlichen Verfolgungsinteresse auszugehen ist. Eine erneute Verfolgung wäre in diesem Sinne nur im Falle des Territorialitätsprinzips (i. e.S.) sowie des Staatsschutzprinzips (i. e.S.) verhältnismäßig, weil in diesen Fällen das Schutzinteresse sehr hoch ist. Wenn die inländische Verfolgung sich nicht auf diese, sondern auf andere Prinzipien des Internationalen Strafrechts stützt (z. B. auf das aktive oder passive Personalitätsprinzip, das Stellvertretungs-, Weltrechts-, oder Flaggenprinzip), ist davon auszugehen, dass das Schutzinteresse so niedrig ist, dass eine erneute Verfolgung unverhältnismäßig erscheint. § 153c StPO steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Eine entsprechende Auslegung, welche die Realisierung dieser Ergebnisse ermöglichen würde, ist nicht nur rechtsstaatlich geboten, sondern, wie im Folgenden gezeigt wird, entspricht sogar dem Sinn dieser Vorschrift. Zunächst ist anzumerken, dass die vorherige Aburteilung der Tat als Faktor, der für die Einstellung des Verfahrens berücksichtigt werden muss, nicht nur im Rahmen des Abs. 2, sondern auch des Abs. 1 Nr. 1 eine Rolle spielt. Das ergibt sich ohne Zweifel aus Nr. 94 RiStBV. Dort heißt es ausdrücklich, dass eine Einstellung des Verfahrens nach § 153c Abs. 1 StPO insbesondere dann in Betracht kommt, wenn die in § 153c Abs. 240 StPO bezeichneten Gründe vorliegen. Außerdem fehlt jeglicher 37 38 39
(351).
BT-Drucks. 7/550, S. 299. Beulke, in: LR-StPO26, § 153c Rn. 26. Schöch, in: AK-StPO, 1992, § 153c Rn. 8; vgl. auch Grützner, NJW 1969, S. 345 ff.
40 Fälschlicherweise wird in manchen Kommentaren statt auf den Abs. 2 des § 153c StPO auf den Abs. 3 verwiesen, was aber nicht dem offiziellen Text der RiStBV entspricht.
III. § 153c StPO und transnationales „ne bis in idem“
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Grund, das Gegenteil anzunehmen, also dass eine vorherige Aburteilung ausschließlich im Rahmen des Abs. 2 berücksichtigt werden müsste. Die beiden Vorschriften schließen einander nicht so aus, als stelle die eine eine lex specialis im Verhältnis zur anderen dar. Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 beziehen sich (zumindest teilweise) auf unterschiedliche Fallgruppen. Der Erstere erfasst zwar nur Auslandstaten und hat in dieser Hinsicht einen engeren Anwendungsbereich als der Letztere, er bezieht sich aber nicht nur auf Fälle vorheriger Aburteilung der Tat, sondern ermöglicht die Einstellung auch aus anderen Gründen und ist in dieser Hinsicht weiter gefasst. Andersherum ermöglicht zwar Abs. 2 die Einstellung des Verfahrens im Falle einer vorherigen ausländischen Aburteilung, er erfasst jedoch im Unterschied zu Abs. 1 auch Fälle von Inlandstaten. Festzuhalten ist also, dass eine vorherige ausländische Aburteilung nicht ausschließlich § 153c Abs. 2 betrifft, sondern auch für die Entscheidung über die Einstellung eines Verfahrens nach Abs. 1 maßgeblich ist. Wenn darüber hinaus nach Nr. 94 RiStBV die Einstellung des Verfahrens bei Auslandstaten nach Abs. 1 insbesondere dann in Betracht kommen soll, wenn die in § 153c Abs. 2 StPO genannten Gründe vorliegen, nämlich im Falle einer vorherigen ausländischen Aburteilung, bedeutet das, dass in diesem Fall die Einstellung des Verfahrens die Regel ist, während die Fortsetzung die Ausnahme sein muss. Das entspricht genau den zuvor gezogenen Schlüssen über das transnationale „ne bis in idem“. Demnach ist bei Auslandstaten, d. h. bei Straftaten die nicht auf Basis des Territorialitätsprinzips verfolgt werden, die erneute Verfolgung im Inland prinzipiell ausgeschlossen. Eine erneute Verfolgung könnte für die Fälle, die vom Territorialitätsprinzip nicht erfasst werden nur dann in Betracht kommen, wenn die Auslandstat sich gegen Kerninteressen des Staates richtet (Staatsschutzprinzip i. e. S.) oder wenn die ausländische Aburteilung gegen den internationalen „ordre public“ verstößt. Unter dieser Auslegung scheint § 153c Abs. 1 StPO mit den zuvor gezogenen Ergebnissen übereinzustimmen. Aber von den RiStBVabgesehen wird diese Annahme auch von der kombinierten Auslegung der zwei Vorschriften bestätigt. Wenn nämlich einerseits hinter Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 der Gedanke steht, dass bei Auslandstaten generell das Verfolgungsinteresse relativ niedriger ist (und deswegen die Einstellung des Verfahrens möglich ist), während sich andererseits in Abs. 2 der Gedanke verbirgt, dass die ausländische Aburteilung einer Straftat, gleichgültig ob sie im Inland oder im Ausland begangen wurde, das Verfolgungsinteresse mindert, kann man davon ausgehen, dass dort, wo diese zwei Kriterien ineinander übergehen, nämlich bei im Ausland abgeurteilten Auslandstaten, von der prinzipiellen Nichtverfolgung der Tat ausgegangen werden soll. Ein zusätzliches Argument bieten darüber hinaus die weiteren Kriterien der Nr. 94 RiStBV, nach denen die Verfolgung vor allem dann einzustellen ist, „wenn sie zu unbilligen Härten führen würde oder ein öffentliches Interesse an der strafrechtlichen Ahndung nicht oder nicht mehr besteht“. So wie in der zuvor vorgenommenen
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Untersuchung wird also auch im Rahmen des § 153c Abs. 1 StPO für die Entscheidung über die Einstellung des Verfahrens an das öffentliche Interesse an der Verfolgung der Straftat geknüpft. Des Weiteren ist hier daran zu erinnern, dass das transnationale Doppelverfolgungsverbot als ein Prinzip dargestellt wurde, das vom Verhältnismäßigkeitsprinzip abhängt und nur dann eingreift, wenn die erneute Verfolgung einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht des Verdächtigen auf Achtung seines Persönlichkeitsrechts darstellt. Um das mit den Worten der Nr. 94 RiStBV auszudrücken, wurde das transnationale Doppelverfolgungsverbot nur in den Fällen bejaht, wo die erneute Verfolgung als unbillig hart erscheint. Es lässt sich somit feststellen, dass die Kriterien, die für die Abwägung angesichts des transnationalen „ne bis in idem“ benutzt wurden mit den Kriterien des § 153c Abs. 1 StPO übereinstimmen, was für eine derartige Auslegung der Vorschrift spricht, die den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung entspricht. Diese Auslegung ist sogar aufgrund des Rechtsstaatlichkeits- und Verhältnismäßigkeitsprinzips, auf welchen das transnationale „ne bis in idem“ basiert, als zwingend anzusehen und deswegen verfügt die Staatsanwaltschaft hier, wie zuvor erklärt wurde, nicht über einen Entscheidungsspielraum, sondern sie ist verpflichtet, die Verfolgung einzustellen. Auch bei § 153c Abs. 2 StPO, der sich konkreter auf das Problem des transnationalen Doppelverfolgungsverbots bezieht, spricht prinzipiell nichts gegen eine an die zuvor gezogenen Schlüssen angepasste Auslegung. Um aber eine scharfe Linie zwischen den Anwendungsbereichen der zwei in Betracht kommenden Vorschriften (des Abs. 1 Nr. 1 und des Abs. 2) zu ziehen, ist meiner Meinung nach § 153c Abs. 2 StPO als Ergänzung des Abs. 1 Nr. 1 zu verstehen. Sie erfasst nämlich die Fälle, die nicht von Abs. 1 Nr. 1 in dem zuvor erwähnten Sinne abgedeckt werden und gibt somit der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit, von der Verfolgung einer im Ausland abgeurteilten Straftat selbst in den Fällen abzusehen, in denen nach dem hier vertretenen Modell die Bejahung eines transnationalen Doppelverfolgungsverbots nicht zwingend wäre; das heißt in den Fällen, in denen die erneute inländische Verfolgung auf Basis des Territorialitätsprinzips oder des Staatsschutzprinzips (i. e.S.) erfolgt. Obwohl in diesen Fällen eine erneute Verfolgung im Inland prinzipiell gerechtfertigt wäre, kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich selbst dann Fälle ergeben können, in denen eine erneute Verfolgung unverhältnismäßig erscheinen würde. Wann das konkret anzunehmen ist und welche Faktoren eine Rolle spielen, wird in den folgenden Paragraphen erläutert. Zusammenfassend ist hier also festzuhalten, dass die Vorschriften des § 153c Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 StPO wie folgt auszulegen sind: Zu den Auslandstaten des § 153c Abs. 1 Nr. 1 StPO, von deren Verfolgung die Staatsanwaltschaft absehen „kann“, gehören die Straftaten, die schon im Ausland abgeurteilt worden sind. Abgesehen vom Fall des Staatsschutzprinzips (i. e.S.) ist in allen anderen Fällen, nämlich immer wenn die Auslandstat aufgrund eines anderen Prinzips des Internationalen Strafrechts verfolgt wird, die Einstellung des Verfahrens zwingend, weil dies vom Verhältnismäßigkeitsprinzip vorgeschrieben wird und, wie Nr. 94 RiStBV besagt, kein öffentliches Interesse an der Ahndung der Straftat besteht und die
III. § 153c StPO und transnationales „ne bis in idem“
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(erneute) Verfolgung zu unbilligen Härten für den Verfolgten führen würde. Eine Ausnahme kann nur angenommen werden, wenn die vorherige ausländische Aburteilung einen Verstoß gegen den internationalen „ordre public“ darstellen würde. Im Übrigen kommt § 153c Abs. 2 StPO in Betracht. Er gilt für die Inlandstaten, also für Straftaten, die nach dem Territorialitätsprinzip verfolgt werden, sowie für die restlichen, von § 153c Abs. 1 Nr. 1 StPO nicht erfassten Auslandstaten, das heißt diejenigen, die nach dem Staatsschutzprinzip verfolgt werden. In diesen Fällen wird der Staatsanwaltschaft ein Entscheidungsspielraum für den Fall eingeräumt, dass, obwohl das transnationale Doppelverfolgungsverbot prinzipiell nicht gilt, die erneute Verfolgung aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls unverhältnismäßig erscheint.
3. Fälle, in denen die Doppelverfolgung im Ermessen der Staatsanwaltschaft liegt Nachdem der Schluss gezogen wurde, dass die Staatsanwaltschaft selbst in den Fällen, in denen das transnationale Doppelverfolgungsverbot wie zuvor beschrieben prinzipiell nicht gilt – nämlich angesichts von Straftaten, die auf Basis des Territorialitätsprinzips oder des Staatsschutzprinzips verfolgt werden –, die Möglichkeit hat, aufgrund von den besonderen Umständen des Einzelfalls von der Verfolgung der Straftat abzusehen, sind diese Fälle nun näher zu beschreiben sowie die Kriterien zu konkretisieren, auf die die Verfolgungsbehörden ihre Entscheidung stützen müssen. In diesen Fällen kann die Strafverfolgung nach § 153c Abs. 2 unter den weiteren Voraussetzungen dieser Vorschrift eingestellt werden. a) Auswirkungsgrundsatz Der wichtigste Fall, in dem die Staatsanwaltschaft nach den konkreten Einzelfallumständen entscheiden muss, ob eine erneute Verfolgung stattfindet oder nicht, besteht bei Straftaten, die auf Basis des Auswirkungsgrundsatzes verfolgt werden. Als nämlich oben vom Territorialitätsprinzip gesprochen wurde, waren damit die Straftaten gemeint, die im deutschen Raum begangen worden sind, das heißt, dass der Täter in Deutschland gehandelt hat oder im Falle eines Unterlassungsdelikts dort hätte handeln müssen. Nach § 9 StGB wurde aber eine Tat auch dort begangen, wo der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist oder nach der Vorstellung des Täters eintreten sollte. Damit wird der Auswirkungsgrundsatz festgelegt, während die kombinierte Begründung des Tatorts sowohl nach dem Handlungs- als auch nach dem Erfolgsort auf das Ubiquitätsprinzip zurückzuführen ist41. 41 Oehler, Internationales Strafrecht2, S. 209 f. und 211 ff.; Heinrich, in: FS-Weber, 2004, S. 91 ff.; vgl. auch Kunig/Uerpman, Jura 1994, S. 186 ff.; Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, § 9 Rn. 3 ff.
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E. Einbau des Konzepts in die deutsche StPO
Zu den Auswirkungen, die nach dem deutschen Recht für die Bestimmung des Begehungsorts berücksichtigt werden, gehören nicht Auswirkungen jeglicher Art, sondern nur der zum Tatbestand gehörende Erfolg. Das heißt, dass Tatwirkungen, die für die Tatbestandsverwirklichung unerheblich sind, bei der Bestimmung des Erfolgsorts unberücksichtigt bleiben müssen42. Aber selbst mit diesem engeren Erfolgsbegriff bestehen viele Bedenken gegen das Ubiquitätsprinzip und den Auswirkungsgrundsatz. Abgesehen von den Problemen, die dadurch entstehen können, dass der Täter oft gar nicht wissen kann, welche Auswirkungen in welchem Land seine Handlung haben kann und dass es möglich ist, dass am Handlungsort, anders als am Erfolgsort, die Tat gar nicht strafbar ist43, ist deutlich, dass die Gefahr einer mehrfachen Verfolgung und Bestrafung des Täters durch den Auswirkungsgrundsatz sehr erhöht ist44. Vor allem im Bereich der Internetkriminalität sind Konstellationen, in denen der Täter durch seine Handlung mehrere Delikte in verschiedenen Ländern begeht, leicht vorstellbar45. Andererseits ist aber deutlich erkennbar, dass das Interesse an der Verfolgung der sog. Distanztaten nicht immer hoch ist. Im Gegenteil, es kann so niedrig sein, dass auch hier die mögliche Auslandsaburteilung der Tat eine erneute inländische Verfolgung als unverhältnismäßig erscheinen lassen würde. Das wird immer dann der Fall sein, wenn dem in Deutschland eingetretenen Erfolg eine deutlich niedrigere Bedeutung im Vergleich zu den restlichen, bei der ausländischen Entscheidung berücksichtigten Auswirkungen der Straftat beizumessen ist. Wann genau solches anzunehmen ist, kann nur von Fall zu Fall beurteilt werden und deswegen muss die Entscheidung darüber im pflichtgemäßen Ermessen des Staatsanwalts bleiben. In einem über das Internet begangenen Betrugsfall z. B., in dem Menschen aus verschiedenen Staaten die Opfer sind, wäre es unangemessen, den Täter noch einmal zu verfolgen, wenn er für seine Tat schon im Ausland abgeurteilt worden ist und der gesamte Vermögensschaden der Opfer in Deutschland nur einen deutlich kleinen Teil des generellen durch die Tat verursachten Vermögensschadens darstellt. Das Gleiche könnte für den Fall eines Umweltdelikts angenommen werden, wenn der in Deutschland eingetretene Schaden gering ist. Obwohl es sich in diesen Fällen um Inlandstaten handelt und das Delikt an sich sogar von besonderer Schwere sein kann, ist von einem niedrigen deutschen Verfolgungsinteresse auszugehen, so dass eine erneute inländische Verfolgung unverhältnismäßig wäre. Das Verfahren ist in diesen Fällen nach § 153c Abs. 2 StPO einzustellen. § 153c Abs. 3 StPO ermöglicht zwar auch die Einstellung des Verfahrens bei Distanzde42 Ambos, in: MK-StGB2, § 9 Rn. 16; Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, Vor § 3 Rn. 223 und § 9 Rn. 22; Eser, in:Schönke/Schröder, StGB29, § 9 Rn. 6; vgl. auch BGHSt 20, S. 45 ff. (51). 43 Für das Problem der doppelten Strafbarkeit bei Distanzdelikten s. Jakobs, Strafrecht AT2, S. 117 ff.; Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, § 9 Rn. 62 f. 44 Ambos, in: MK-StGB2, § 9 Rn. 42. 45 Für die Besonderheiten des Auswirkungsprinzips bei Delikten durch das Internet s. Hilgendorf, NJW 1997, S. 1873 ff.; Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, § 9 Rn. 73 ff.; Sieber, NJW 1999, S. 2065 ff.; Cornils, JZ 1999, S. 394 ff.; Koch, GA 2002, S. 703 ff.
III. § 153c StPO und transnationales „ne bis in idem“
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likten, er ist aber auf die Fälle des transnationalen „ne bis in idem“ nicht anwendbar. Als Gründe für die Einstellung des Verfahrens nach § 153c Abs. 3 StPO werden die „Gefahr eines schweren Nachteils für die Bundesrepublik Deutschland“ sowie „sonstige überwiegende öffentliche Interessen“, die der Verfolgung entgegenstehen, genannt. Die Unverhältnismäßigkeit der Strafverfolgung gegenüber dem im Ausland Abgeurteilten kann nicht unter diese Gründe subsumiert werden. Die Möglichkeit zur Einstellung des Verfahrens selbst zeigt jedoch, dass bei Distanztaten das Verfolgungsinteresse eventuell niedriger sein kann, sonst würde das Opportunitätsprinzip in diesem Fall gegen die rechtsstaatlich gebotene Schutzpflicht des Staates verstoßen. Das stärkt die Annahme, dass zu den Fällen des § 153c Abs. 2 StPO, in denen das Verfahren eingestellt werden kann, eventuell auch Distanzdelikte gehören können, obwohl sie als Inlandstaten gelten und daher das Verfolgungsinteresse als prinzipiell hoch angesehen werden könnte. b) Teilnahmehandlungen Ähnliches gilt auch für Teilnahmehandlungen (Anstiftung, Beihilfe). § 9 Abs. 2 StGB bestimmt als Ort der Teilnahme nicht nur den Ort, wo die Haupttat (nach Abs. 1) begangen wurde, sondern auch den Ort, an dem der Teilnehmer gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen oder an dem nach seiner Vorstellung die Haupttat begangen werden soll. Das bedeutet, dass der Teilnehmer nicht nur dann verfolgt wird, wenn er vom Ausland aus an einer in Deutschland begangenen Straftat teilnimmt, sondern auch, wenn die Haupttat im Ausland begangen worden ist, während er im Inland gehandelt hat. Im letzteren Fall spielt es nach § 9 Abs. 2 StGB auch keine Rolle, ob die Haupttat am Begehungsort mit Strafe bedroht ist oder nicht. Diese sehr weite Fassung des Teilnahmeorts, die von der Tatortstrafbarkeit unabhängig ist und deswegen als Durchbrechung des Akzessoritätsprinzips zwischen Haupttat und Teilnahme gilt, kann zu unbilligen Härten führen und deswegen wird die Regelung kritisiert46. Die möglichen Probleme, die aus der Anwendung der Vorschrift entstehen könnten, seien verfahrensrechtlich durch § 153c Abs. 1 S. 1 (Alt. 2) StPO zu beseitigen47. Diese Vorschrift ermöglicht aber die Einstellung des Verfahrens nur für den Fall einer inländischen Teilnahmehandlung an einer Auslandstat, d. h. nur wenn die Teilnahmehandlung im Inland, die Haupttat hingegen im Ausland begangen worden ist. Angesichts des transnationalen „ne bis in idem“ ist meiner Meinung nach in diesem Fall, so wie bei den übrigen Auslandstaten, davon auszugehen, dass die vorherige Aburteilung der inländischen Teilnahmehandlung an einer Auslandstat zwangsläufig zu der Einstellung des Ver46 Ambos, in: MK-StGB2, § 9 Rn. 41; Hoyer, in: SK-StGB, § 9 Rn. 9 ff.; vgl. auch Jung, Heike, JZ 1979, S. 325 ff. (327 f.); Sieber, NJW 1999, S. 2065 ff. (2071 f.). 47 Ambos, in: MK-StGB2, § 9 Rn. 41; Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, § 9 Rn. 52; Gegen die Effektivität einer solchen Möglichkeit Lemke, AK-StGB, 1990, § 9 Rn. 17; vgl. auch Jung, Heike, JZ 1979, S. 325 ff. (330 f.), Miller/Rackow, ZStW 117 (2005), S. 379 ff.
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fahrens führen soll. Das Verfolgungsinteresse bei einer inländischen Teilnahmehandlung an einer Auslandstat ist sehr niedrig. Da die Haupttat im Ausland stattfindet, also sowohl der Handlungsort als auch der Erfolgsort im Ausland liegen, wird die deutsche Rechtsordnung wenig (wenn überhaupt) berührt. Würde der Teilnehmer dann im Ausland (z. B. in seinem Heimatland) abgeurteilt, dann würde eine erneute inländische Strafverfolgung unverhältnismäßig erscheinen. Das Argument aus der Kombination der zwei Vorschriften von § 153c StPO, nämlich dass im Falle einer ausländischen Aburteilung (Abs. 2) einer inländischen Teilnahmehandlung an einer Auslandstat (Abs. 1 Nr. 1 zweiter Halbsatz) die beiden Opportunitätsgründe aufeinander treffen, welche jeweils für ein niedriges Verfolgungsinteresse sprechen, ist auch hier anzubringen48. Das Gleiche kann aber nicht für den Fall einer ausländischen Teilnahmehandlung an einer inländischen Haupttat angenommen werden. Die Haupttat verletzt in diesem Fall die inländische Rechtsordnung und aus diesem Grund hat der deutsche Staat auch ein Interesse an der Verfolgung des Teilnehmers, der zu der Begehung der Haupttat beigetragen hat oder sogar den Täter dazu angestiftet hat. Ein hohes Verfolgungsinteresse kann hier nicht ausgeschlossen werden. Zutreffenderweise wird somit dieser Fall nicht von § 153c Abs. 1 Nr. 1 zweiter Halbsatz StPO erfasst. Da aber nicht auszuschließen ist, dass das Verfolgungsinteresse auch relativ niedrig sein kann, obwohl die Haupttat im Inland begangen wurde (z. B. weil der Beitrag des Teilnehmers zwar strafbar, aber für die Begehung der Tat nicht sehr entscheidend war), bleibt die Möglichkeit das Verfahren nach § 153c Abs. 2 StPO einzustellen, wenn der Teilnehmer im Ausland abgeurteilt wurde. In diesem Fall liegt die Entscheidung über die Einstellung des Verfahrens im pflichtgemäßen Ermessen des Staatsanwalts. c) Minderschwere Straftaten Es ist selbstverständlich, dass das Verfolgungsinteresse bei einem schweren Verbrechen wie Mord oder Vergewaltigung deutlich höher ist als bei einem Vergehen wie z. B. einer einfachen Beleidigung oder dem Diebstahl einer geringwertigen Sache. Also selbst in Fällen, in denen prinzipiell aus Sicht des einschlägigen Anknüpfungsprinzips von einem hohen Verfolgungsinteresse auszugehen ist, z. B. wenn die Straftat im Inland begangen worden ist, könnte die Schwere der Tat so niedrig erscheinen, dass eine erneute Verfolgung im Inland unangemessen wäre, wenn der Täter schon im Ausland abgeurteilt worden ist. Das Schutzinteresse wäre in diesem Fall so schwach, dass die erneute Verfolgung nicht als gerechtfertigt anzusehen wäre, obwohl es sich um eine Inlandstat handelt. Die Beurteilung, ob eine Straftat minder schwer ist oder nicht, kann nur sehr schwierig von vornherein erfolgen. Wenn man aber trotzdem nach einer klaren Trennlinie zwischen schweren Delikten, die eine erneute Verfolgung rechtfertigen 48
s. weiter oben, E.III.2.
III. § 153c StPO und transnationales „ne bis in idem“
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könnten, und minder schweren Delikten, bei denen eine erneute Verfolgung ausgeschlossen wäre, suchen müsste, könnte auf die Unterscheidung zwischen Verbrechen und Vergehen abgestellt werden49. Taten, die mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bedroht sind, und deren Vollstreckung sogar zur Bewährung ausgesetzt werden kann50, können nicht als schwer genug betrachtet werden, um eine erneute Verfolgung im Inland zu rechtfertigen.
4. Gerichtliche Nachprüfbarkeit Nachdem erörtert wurde, wie die Staatsanwaltschaft über die Einstellung der Verfolgung aufgrund einer vorherigen ausländischen Aburteilung zu entscheiden hat, bleibt die Frage zu beantworten, ob und wie diese Entscheidung gerichtlich kontrollierbar ist sowie ob und wie der im Ausland Abgeurteilte gegen eine ungerechtfertigte erneute Verfolgung in Deutschland geschützt werden kann. Ein eigenständiger Rechtsbehelf gegen die Entscheidung des Staatsanwalts, einen Prozess einzuleiten bzw. das Verfahren nicht einzustellen, existiert nicht. In Betracht kommt aber § 23 EGGVG, der die gerichtliche Nachprüfung von Maßnahmen ermöglicht, die von den Justizbehörden zur Regelung einzelner Angelegenheiten – unter anderem – auf dem Gebiet der Strafrechtspflege getroffen werden. Kein Zweifel besteht in der Hinsicht, dass in dieser Vorschrift zu dem Begriff „Justizbehörde“ auch die Staatsanwaltschaft gehört und dass der Begriff Maßnahme weit zu verstehen ist, so dass darunter nicht nur Verwaltungsakte sondern auch schlicht hoheitliches Handeln zu verstehen ist51. Trotzdem ist jedoch die Frage der Anfechtbarkeit von Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden im Ermittlungs- und Strafverfahren nach § 23 EGGVG umstritten. Die als herrschend bezeichnete52 und in der Rechtsprechung sehr verbreitete53 Meinung verneint eine solche Möglichkeit. Als Hauptargument wird angebracht, dass die Maßnahmen der Staatsanwaltschaft, die sie als Rechtspflegeorgan zur Einleitung, Durchführung und Beendigung eines Strafverfahrens trifft, keine Justizverwaltungsakte i.S.d. § 23 EGGVG seien, sondern als Prozesshandlungen zu betrachten seien. Das von der Staatsanwaltschaft betriebene Ermittlungsverfahren könne nicht als selbstständiges Verwaltungsverfahren betrachtet werden, sondern 49
§ 12 StGB. § 56 StGB. 51 s. Böttcher, LR-StPO26, § 23 EGGVG Rn. 11 und 44; Schoreit, in: KK-StPO6, § 23 EGGVG Rn. 13 und 21; Meyer-Goßner, StPO58, § 23 EGGVG Rn. 2. 52 Schoreit, in: KK-StPO6, § 23 EGGVG Rn. 32; Rieß, NStZ 1982, S. 435 f. 53 OLG Hamm, NJW 1965, S. 1241; OLG Stuttgart, NJW 1972, S. 2146; OLG Stuttgart, NJW 1977, S. 2276; OLG Karlsruhe, NJW 1976, S. 1417 ff.; OLG Karlsruhe NStZ 1982, S. 434 ff. mit zust. Anm. Rieß; OLG Koblenz, GA 1975, S. 340; OLG Hamm, NStZ 1984, S. 280 f.; OLG Frankfurt, NStZ-RR 2005, S. 12; OLG Frankfurt, NStZ-RR 2008, S. 78; BVerfG-Vorprüfungsausschuß, NStZ 1984, 228. 50
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E. Einbau des Konzepts in die deutsche StPO
bilde mit dem gerichtlichen Eröffnungs- und Hauptverfahren eine Einheit54. Aufgrund dieser funktionellen Bedeutung für das Strafverfahren seien Prozesshandlungen der Staatsanwaltschaft im Rahmen des Ermittlungsverfahrens materiell der Rechtsprechung und nicht der (Justiz-)Verwaltung zuzuordnen; die Staatsanwaltschaft agiere nämlich hier als Organ der Rechtspflege und nicht der Verwaltung55. Auch die Entstehungsgeschichte der §§ 23 ff. EGGVG soll gegen die Anfechtbarkeit von Prozesshandlungen sprechen, da diese besondere Rechtswegregelung mit dem Zweck eingeführt worden sei, „die Nachprüfung der spezifisch justizmäßigen Verwaltungsakte der Justizverwaltung den ordentlichen Gerichten zu übertragen, da diese über die für die Nachprüfung erforderlichen zivil- und strafrechtlichen Kenntnisse und Erfahrungen verfügen“56. Mit dieser Begründung könne nicht zweifelhaft sein, dass zu den anfechtbaren Maßnahmen des § 23 EGGVG nur Verwaltungs- und nicht Prozesshandlungen der Justizverwaltung gehören. Teleologisch wird auch dahingehend argumentiert, dass die StPO mit den in ihr vorgesehenen Rechtsmitteln ein vom Gesetzgeber geschaffenes ausgewogenes System darstellt. Ziel des subsidiären Rechtsweges des § 23 EGGVG sei nicht, Lücken in diesem System zu füllen. Wo der Gesetzgeber die richterliche Überprüfung einer staatsanwaltschaftlichen Maßnahme ermöglichen wollte, habe er das in der StPO abschließend geregelt. Die Anfechtung von Prozesshandlungen gehöre somit nicht zu den Zwecken des § 23 EGGVG57. Darüber hinaus könnte eine solche Möglichkeit auch zu praktischen Schwierigkeiten führen, da die Anfechtbarkeit jeder Einzelmaßnahme der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren zu einer Vielzahl von Verfahren führen und dadurch das ganze Ermittlungsverfahren verzögern, ja sogar lähmen könnte58. Schließlich wird insbesondere in Bezug auf die Anfechtbarkeit von das Ermittlungsverfahren einleitenden Maßnahmen auf die Rollenverteilung zwischen Gericht und Staatsanwaltschaft und somit auf die Gefahren eines inquisitorischen Systems hingewiesen. Eine umfassende gerichtliche Kontrolle staatsanwaltschaftlicher Maßnahmen und vor allem der Entscheidung über die Einleitung eines Strafprozesses würde die Befreiung der richterlichen Tätigkeit von der ermittelnden Tätigkeit sowie den Charakter der Staatsanwaltschaft als einer von den Gerichten unabhängigen Behörde beeinträchtigen59. Diese Meinung, welche die Anfechtbarkeit jeglicher staatsanwaltschaftlicher Maßnahmen im Ermittlungsverfahren nach § 23 EGGVG ablehnt, ist jedoch in der
54
Kröpil, DRiZ 1986, S. 19 ff. (21). Heinrich, NStZ 1996, S. 110 ff. (113 f.); Meyer-Goßner, StPO58, § 23 EGGVG Rn. 9 f.; Kissel/Mayer, GVG8, § 23 EGGVG Rn. 31 ff.; Altenhain, JZ 1965, S. 756 ff.; vgl. auch Rieß, FS-Roxin, 2001, S. 1319 ff. (1322 f.); Meyer, Dieter, JuS 1971, S. 295 ff. (297). 56 OLG Karlsruhe, NJW 1976, S. 1417 f.; s. BT-Drucks. III/55, S. 60. 57 OLG Hamm, NStZ 1984, S. 280 f.; s. auch Meyer-Goßner, NStZ 1982, S. 353 ff. (357); Schäfer, in: LR-StPO23, § 23 EGGVG Rn. 47 ff. 58 OLG Karlsruhe, NJW 1976, S. 1417 f.; BVerfG-Vorprüfungsausschuß, NStZ 1984, 228. 59 Rieß, NStZ 1982, 435; vgl. auch Eisenberg/Conen, NJW 1998, S. 2241 ff. (2247). 55
III. § 153c StPO und transnationales „ne bis in idem“
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Literatur60 und teilweise auch in der Rechtsprechung61 auf Kritik gestoßen. Die prinzipielle Ablehnung der Anwendbarkeit des § 23 EGGVG auf Prozesshandlungen könne sich nicht auf den Wortlaut der Vorschrift stützen. Die Prozesshandlungen können unzweifelhaft unter den Begriff der Maßnahmen subsumiert werden62. Dagegen könne auch der historische Wille des Gesetzgebers nicht angebracht werden. Abgesehen davon, dass der historische Interpretationstopos bei der Auslegung einer Vorschrift generell nicht überbetont werden dürfe, müsse man in diesem Fall zudem berücksichtigen, dass § 23 EGGVG Übergangscharakter haben sollte und das entstehungsgeschichtliche Moment daher keine besondere Rolle bei der Auslegung der Vorschrift spielen könne63. Darüber hinaus missachte die Betrachtung der verschiedenen Prozessabschnitte als untrennbare Einheit nicht nur die Selbstständigkeit des Ermittlungsverfahrens, bei dem die Staatsanwaltschaft als „Herrin des Verfahrens“ gilt, sondern auch die Tatsache, dass das Ermittlungsverfahren sehr oft zu einer Einstellung und daher nicht zu einem Hauptverfahren führt64. Die im Rahmen des Ermittlungsverfahrens von den Strafverfolgungsbehörden vorgenommenen Maßnahmen dürfen somit nicht der Rechtsprechung zugeordnet werden. Der Rechtsweg nach § 23 EGGVG könne prinzipiell nicht ausgeschlossen werden. Die Ansicht, die für die Anfechtbarkeit von Prozesshandlungen der Staatsanwaltschaft im Rahmen des Ermittlungsverfahrens plädiert, überzeugt mehr und zwar vor allem deswegen, weil sie § 23 EGGVG im Lichte des Art. 19 Abs. 4 GG interpretiert. Art. 19 Abs. 4 GG garantiert nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG ein Grundrecht auf effektiven, möglichst lückenlosen Rechtsschutz65. Er besagt, dass dem Einzelnen ein Rechtsweg offen bleiben muss, falls er von der öffentlichen Gewalt in seinen Grundrechten verletzt wird. Zu der öffentlichen Gewalt gehören zwar der herrschenden Meinung nach nicht die Gerichte. Wie wiederholt betont wurde, gewährt diese Vorschrift „Schutz durch den Richter, nicht gegen den Rich-
60 s. beispielsweise Kleinknecht, FS-Dreher, 1977, S. 721 ff. (726); Kalsbach, Die gerichtliche Nachprüfung von Maßnahmen der Staatsanwaltschaft, 1967, S. 68 ff.; Füßer/Viertel, NStZ 1999, S. 116; Beckemper, NStZ 1999, S. 221 ff.; Böttcher, in: LR-StPO26, § 23 EGGVG Rn. 57; Fezer, Jura 1982, S. 18 ff. (22 ff.). 61 OLG Celle, NStZ 1983, S. 379; OLG Hamm, NStZ 1987, S. 572 f.; OLG Hamm, NStZ 1984, S. 423 ff.; BVerfG, NStZ 1983, S. 273 ff. 62 Schenke, NJW 1976, S. 1816 ff. (1818); Füßer/Viertel, NStZ 1999, S. 116 (118); Beckemper, NStZ 1999, S. 221 ff. (222). 63 Schenke, NJW 1976, S. 1816 ff. (1818); Beckemper, NStZ 1999, S. 221 ff. (222); vgl. auch Böttcher, in: LR-StPO26, § 23 EGGVG Rn. 58. 64 Beckemper, NStZ 1999, S. 221 ff. (222); Wasserburg, NJW 1980, S. 2440 ff. (2445); Strubel/Sprenger, NJW 1972, S. 1734 ff. (1735 f.). 65 Füßer/Viertel, NStZ 1999, S. 116 (117); BVerfGE 67, S. 43 (58); BVerfGE, StV 1997, S. 393; vgl. auch Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, 1973, S. 286 ff.
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ter“66. Diese Ausnahme betrifft jedoch nicht die Staatsanwaltschaft und die Maßnahmen, die sie im Ermittlungsverfahren trifft. Sie stellt keineswegs ein (unabhängiges) richterliches Organ dar und somit bleibt Art. 19 Abs. 4 GG auf ihre Maßnahmen anwendbar67. Das bedeutet, dass die Gewährleistung eines Rechtsweges für den Beschuldigten, der durch eine staatsanwaltschaftlichen Maßnahme im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren in seinen Rechten verletzt wird, verfassungsrechtlich geboten ist, was für eine entsprechende Auslegung des § 23 EGGVG spricht68. Die Befürchtung der Anhänger der herrschenden Meinung, dass die Anfechtbarkeit von staatsanwaltschaftlichen Maßnahmen durch § 23 EGGVG das Ermittlungsverfahren und somit die ganze Strafrechtspflege lähmen könnte, überzeugt auch deswegen nicht, da, wie bereits angemerkt wurde, die hier bevorzugte Interpretation dieser Vorschrift nicht zur Anfechtbarkeit jeder im Rahmen des Ermittlungsverfahrens vorgenommenen Maßnahme führen würde, sondern nur zur Anfechtbarkeit derjenigen Handlungen, die den Beschuldigten in seinen Rechten verletzen69. Darüber hinaus bleiben aufgrund der Subsidiaritätsklausel von § 23 Abs. 3 EGGVG auch solche Maßnahmen ausgeschlossen, die durch einen anderen, in der StPO vorgesehenen Rechtsbehelf – auch nachträglich – vor dem Gericht angefochten werden können. Weiterhin vermag auch das Gegenargument der klaren Rollenverteilung zwischen ermittelnder Staatsanwaltschaft und urteilendem Richter die Richtigkeit dieser Ansicht nicht zu entkräften. Die gerichtliche Überprüfung von staatsanwaltlichen Maßnahmen ist der StPO nicht fremd70. Eine Vielzahl von Regelungen sieht die Überprüfung von Ermittlungsmaßnahmen durch den Richter vor. Wenn außerdem im Rahmen des Klageerzwingungsverfahrens die Rollenverteilung zwischen Richter und Staatsanwaltschaft kein Hindernis für die gerichtliche Überprüfung der Nicht-Einleitung des Strafverfahrens darstellt, gibt es keinen Grund, dies als Argument gegen die gerichtliche Überprüfung von Prozesshandlungen gegen den Beschuldigten zu benutzen71. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Rechtsschutz nach § 23 EGGVG prinzipiell auch Prozesshandlungen der Staatsanwaltschaft erfasst. Damit er an66 Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, 1958, Art. 19 Abs. 4 Rn. 17, Schmidt-Aßmann, in: Maunz/ Dürig, Grundgesetz8, Art. 19 Abs. 4 Rn. 96; BVerfGE 4, S. 74 (96); BVerfGE 11, S. 263 (265); BVerfGE 25, S. 325 (375). 67 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz8, Art. 19 Abs. 4 Rn. 103; BVerfGE 96, S. 100 (114). 68 s. Wasserburg, NJW 1980, S. 2440 ff. (2445); Füßer/Viertel, NStZ 1999, S. 116 (117); Schenke, NJW 1976, S. 1816 ff.; vgl. auch Rieß/Thym, GA 1981, S. 189 ff. (200 ff.); Nagel, StV 2001, S. 185 ff.; Keller, Rainer, GA 1983, S. 497 ff.; Kölbel, JR 2006, S. 322 ff. (328); Böttcher, in: LR-StPO26, § 23 EGGVG Rn. 58; Welp, StV 1986, S. 446 ff.; vgl. auch Amelung, StV 2001, S. 131 ff. 69 Beckemper, NStZ 1999, S. 221 ff. (223). 70 Nagel, StV 2001, S. 185 ff. (189). 71 Vgl. dazu Rieß, in: FS-Roxin, 2001, S. 1319 ff.
IV. Zwischenergebnis
217
wendbar ist, muss es sich aber um eine staatsanwaltschaftliche Maßnahme handeln, die den Einzelnen in seinen Rechten verletzt und gegen die der Betroffene sich nicht durch ein anderes Rechtsmittel wehren kann. Diese Voraussetzungen sind für den Fall einer – wie oben erläutert – ungerechtfertigten Nichteinstellung des Verfahrens nach § 153c StPO erfüllt. Wie in dieser Arbeit wiederholt betont wird, stellt die Einleitung des Ermittlungsverfahrens gegen den im Ausland Abgeurteilten in solchen Fällen einen ungerechtfertigten Eingriff in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht dar. Eine andere Möglichkeit für den Beschuldigten, in solchen Fällen die Einstellung des Verfahrens gerichtlich zu erzwingen, besteht nicht. Der Rechtsweg nach § 23 EGGVG muss aus diesem Grund hier als eröffnet angesehen werden. Dadurch kann das zuvor angenommene „quasi-Verfahrenshindernis“ eines transnationalen „ne bis in idem“ geltend gemacht werden und der ungerechtfertigterweise erneut Verfolgte geschützt werden.
IV. Zwischenergebnis Ein effektiver Schutz gegen eine ungerechtfertigte erneute Verfolgung nach ausländischer Aburteilung kann am besten in Form eines Verfahrenshindernisses gewährleistet werden. Dieses Verfahrenshindernis könnte direkt auf Art. 103 Abs. 3 GG sowie auf das Rechtsstaats- und Verhältnismäßigkeitsprinzip gestützt werden. Zu einem quasi-Verfahrenshindernis kann man aber auch durch eine rechtsstaatskonforme Auslegung des § 153c StPO gelangen, der die Einstellung des Verfahrens bei Straftaten mit Auslandsberührung regelt. Obwohl nach dem Wortlaut dieser Vorschrift der Staatsanwaltschaft ein Entscheidungsspielraum bezüglich der Einstellung des Verfahrens eingeräumt wird, ist – der herrschenden Meinung zufolge – davon auszugehen, dass in bestimmten Fällen dieser Ermessensspielraum auf null reduziert ist, so dass die zuständige Verfolgungsbehörde in Wirklichkeit keine Wahl hat, ob sie von der Verfolgung absieht oder nicht. Das wird im Allgemeinen besonders dann angenommen, wenn aufgrund des Rechtsstaats- und Verhältnismäßigkeitsprinzips nur eine einzige Entscheidung als möglich erscheint. Da der hier vertretene Lösungsansatz genau auf diesen beiden Prinzipien basiert und die Fälle, in denen ein transnationales „ne bis in idem“ angenommen wurde, als unverhältnismäßige und daher ungerechtfertigte Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten betrachtet wurden, ist auch angesichts dieser Fälle eine Reduzierung der Entscheidungsbefugnis der Staatsanwaltschaft auf null anzunehmen. Genauer gesagt, die Realisierung des transnationalen „ne bis in idem“ lässt sich teilweise auf Abs. 1 S. 1 und teilweise auf Abs. 2 des § 153c StPO stützen. Zu den von Abs. 1 S. 1 Nr. 1 erfassten Auslandstaten, von deren Verfolgung abgesehen werden kann, gehören auch die Auslandstaten, für die der Beschuldigte schon abgeurteilt worden ist. In diesen Fällen muss das Verfahren prinzipiell eingestellt
218
E. Einbau des Konzepts in die deutsche StPO
werden. Eine Ausnahme ist nur angesichts von Auslandstaten anzunehmen, die aufgrund des Staatsschutzprinzips i. e.S. erfolgen oder in deren Aburteilung im Ausland ein Verstoß gegen den internationalen „ordre public“ zu sehen ist. Dadurch werden alle Fälle umfasst, in denen weiter oben ein Verbot erneuter inländischer Aburteilung angenommen wurde, nämlich wenn die inländische Verfolgung sich auf das aktive oder passive Personalitätsprinzip, den Flaggengrundsatz, das Weltrechtsprinzip oder das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege stützt, da es sich dabei um Auslandstaten handelt72. § 153c Abs. 2 StPO findet in den restlichen Fällen Anwendung, nämlich bei im Ausland abgeurteilten Inlandstaten sowie bei (inländischen oder auch ausländischen) Straftaten, deren Verfolgung in Deutschland auf Basis des Staatsschutzprinzips i. e.S. erfolgt. In diesen Fällen bleibt aber die Einstellung des Verfahrens im pflichtgemäßen Ermessen des Staatsanwalts. Eine Einstellung des Verfahrens könnte angenommen werden, wenn es sich zwar um eine Inlandstat handelt, Deutschland aber nur der Erfolgsort ist und die Auswirkungen der Tat in Deutschland von deutlich niedrigerer Bedeutung als die von den ausländischen Gerichten berücksichtigten Auswirkungen sind. Das Gleiche könnte auch angesichts von ausländischen Teilnahmehandlungen an inländischen Haupttaten sowie in Bezug auf minder schwere Straftaten gelten. Der so auf ungerechtfertigte Weise erneut Verfolgte kann die staatsanwaltschaftliche Entscheidung nach § 23 EGGVG gerichtlich überprüfen lassen und sich dadurch vor dem gegen ihn durchgeführten Verfahren schützen.
72
s. weiter oben, B.IV.3.a)jj) und B.IV.5.
F. Charakteristika des transnationalen Doppelverfolgungsverbots I. Einleitung Gegenstand der bisherigen Untersuchung war die de lege lata Begründung eines transnationalen Doppelverfolgungsverbots unter Berücksichtigung des deutschen (inländischen) Rechts sowie des Völkerrechts. Nachdem gezeigt wurde, dass die Geltung eines transnationalen „ne bis in idem“ in bestimmten Fällen verfassungsrechtlich und völkerrechtlich geboten ist, und erläutert wurde, wie diese Feststellung auf der Ebene des einfachen Rechts zu integrieren ist, ist sodann eine Profilierung des Verbots nötig. Wenn das transnationale „ne bis in idem“ die erneute Verfolgung eines Menschen verhindern soll, der bereits in einem anderen Land für dieselbe Tat abgeurteilt worden ist, dann sind genauso wie beim innerstaatlichen Doppelverfolgungsverbot die Fragen zu klären, wann genau eine „selbe Tat“ vorliegt, und welche Eigenschaften eine ausländische staatliche Entscheidung aufweisen soll, um von einer „Aburteilung“ ausgehen zu können. Da es hier an einer konkreten, ausdrücklichen, gesetzlichen Regelung fehlt, muss die Konkretisierung dieser Merkmale hauptsächlich im Lichte einer teleologischen Auslegung erfolgen. Besonders ausschlaggebend ist diesbezüglich die dem vorliegenden Lösungsansatz zugrunde liegende individuumsorientierte Betrachtungsweise des zwischenstaatlichen Doppelverfolgungsverbots1. Bei den hier aufgeworfenen Fragen können aber auch Argumente und Analysen aus Bereichen herangezogen werden, in denen die zwischenstaatliche Anerkennung von Strafurteilen aufgrund von internationalen Verträgen geltendes Recht ist. Obwohl jeder internationale Vertrag eine bestimmte Anzahl von Ländern betrifft, unterschiedliche Zwecke verfolgt und daher Besonderheiten aufweisen kann, ist es trotzdem möglich, Schlüsse über die universale Geltung und Funktion eines transnationalen Doppelverfolgungsverbots zu ziehen. Ein Beispiel bietet die Regelung des zwischenstaatlichen Doppelverfolgungsverbots auf europäischer Ebene vor allem durch Art. 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) und Art. 50 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh), die nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 für die Mitgliedstaaten rechtsverbindlich ist. Diese Vorschriften basieren zwar teilweise auf Überlegungen, die mit dem vorliegenden Lösungsansatz nicht unbedingt übereinstimmen 1
s. weiter oben, A.I.
220
F. Charakteristika des transnationalen Doppelverfolgungsverbots
(sie betreffen z. B. Rechtsordnungen, für die behauptet werden könnte, dass sie zumindest in gewissem Maße ähnliche Standards erfüllen und zwischen denen ein hoher Grad an Zusammenarbeit besteht oder sie werden von dem Recht der Unionsbürger auf Freizügigkeit im EU-Raum mitbestimmt), sie regeln aber trotzdem eine transnationale Entfaltung des Doppelverfolgungsverbots, indem sie die Voraussetzung und die Funktionsweise des „ne bis in idem“-Gebots zwischen unterschiedlichen Rechtsordnungen festlegen, und aus diesem Grund sind die relevanten Diskussionen (mutatis mutandis) hier übertragbar. Die wesentlichen Probleme konzentrieren sich vor allem auf die Bestimmung des Tat- und Aburteilungsbegriffs, Fragen, die im Folgenden näher zu erörtern sind. In internationalen „ne bis in idem“-Verträgen ist aber oft auch ein sogenanntes Vollstreckungselement zu finden, nämlich die Voraussetzung, dass im Falle einer Verurteilung im Urteilsstaat die Sanktion bereits vollstreckt ist, gerade vollstreckt wird oder nicht mehr vollstreckt werden kann2. Eine ähnliche Voraussetzung enthält auch § 153c Abs. 2 StPO. Aus diesem Grund muss die Funktion, der Hintergrund und überhaupt die Notwendigkeit eines solchen Merkmals im Rahmen eines transnationalen Doppelverfolgungsverbots näher überprüft werden.
II. Tatidentität (das „idem“) Das Definieren des Tatbegriffs ist ein heikles Problem, und zwar nicht nur angesichts des transnationalen „ne bis in idem“, sondern auch in Bezug auf das nationale Doppelverfolgungsverbot. Die Meinungen darüber, wann man von einer identischen Tat ausgehen kann und die Geltung des „ne bis in idem“-Gebots bejahen soll und wann nicht, sind sehr unterschiedlich3. Auf internationaler Ebene ist die Sache aufgrund der Vielfalt der Auffassungen zwischen den verschiedenen Rechtsordnungen noch komplexer. Das Problem liegt darin, dass die Annahme eines zu weiten Tatbegriffs die (erneute) Verfolgung eines schon Abgeurteilten selbst in den Fällen verhindern könnte, in denen dies offensichtlich nötig wäre, während im Gegenteil eine übertriebene Eingrenzung des Begriffs „derselben Tat“ zu für den Abgeurteilten ungerechten Ergebnissen führen könnte. Die Präzisierung des Begriffs ist auch deshalb nötig, weil sonst durch die Ablehnung des Merkmals der Tatidentität eine Hintertür zur Umgehung des Doppelverfolgungsverbots geöffnet werden könnte. Für Bereiche, in denen das transnationale „ne bis in idem“ (z. B. durch internationale Verträge) geregelt ist, stellt sich zunächst die Frage, ob man von einem einheitlichen, gegenüber allen Vertragsparteien geltenden Tatbegriff ausgehen soll, 2
s. z. B. Art. 54 SDÜ oder Art. 1 EG-ne bis in idem-Übk (Übereinkommen vom 25. Mai 1987 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über das Verbot der doppelten Strafverfolgung). 3 s. darüber Greco, Strafprozesstheorie und materielle Rechtskraft, 2015, S. 378 ff.
II. Tatidentität (das „idem“)
221
oder ihn von dem jeweils im Ersturteilsstaat geltenden Tatbegriff abhängig machen müsste. Wird diese Frage verneint und ein einheitlicher Tatbegriff befürwortet, der in Bezug auf jedes Land anwendbar ist, stellt sich dann die (inhaltliche) Frage über die Konkretisierung der identischen Tat. Dabei sind zwei Hauptströmungen erkennbar. Einerseits wird auf die Identität des historischen Tatgeschehens im Sinne eines faktischen Tatbegriffs und andererseits auf die Identität des Delikts in materiellrechtlichem Sinne abgestellt.
1. Bestimmung durch den Erstverfolgerstaat Es wird oft argumentiert, dass die Frage der Identität der erneut zu verfolgenden Tat auf internationaler Ebene immer davon abhängen solle, wie der Erstverfolgerstaat den Tatbegriff bzw. den Verfahrensgegenstand bestimmt. Diese Meinung stützt sich auf europäischer Ebene im Rahmen des Art. 54 SDÜ vor allem auf das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung. Demnach solle der Zweitverfolgerstaat nur diese Tat als abgeurteilt anerkennen, die auch im Erstverfolgerstaat als abgeurteilt gilt4. Wenn außerdem das transnationale „ne bis in idem“ auf der individuellen Rechtssicherheit beruhe und den Schutz des Angeklagten vor Belastungen durch mehrere aufeinanderfolgende Verfahren bezwecke, dann bedeute dies, dass – für die Staaten, in denen das zwischenstaatliche Doppelverfolgungsverbot gilt – der Angeklagte sich darauf verlassen können solle, dass er in dem Umfang, in dem er im Aburteilungsstaat geschützt ist, auch in den anderen Staaten geschützt sei5. Wenn der Ersturteilsstaat England ist und die Frage der Tatidentität sich in Deutschland stellt, würde das bedeuten, dass die deutschen Gerichte nicht von dem in Deutschland befürworteten faktischen Tatbegriff ausgehen dürften, sondern englisches Strafprozessrecht und somit einen am jeweiligen Delikt orientierten Tatbegriff anwenden sollten. Hätte die Aburteilung im Gegenteil in Frankreich stattgefunden, wäre die Sache anders. Diese Meinung ist nicht annehmbar. Abgesehen von den praktischen Schwierigkeiten, die eine solche Fremdrechtsanwendung mit sich bringt (so ist z. B. fraglich, was die deutschen Gerichte entscheiden sollten, falls im Ersturteilsstaat keine Einigkeit über den Tatbegriff besteht, wenn also von den ausländischen Gerichten widersprüchliche Urteile darüber erlassen wurden, oder wenn der Täter vor der 4 Hecker, Europäisches Strafrecht5, S. 488 f.; ders., StV 2001, S. 306 ff. (309 f.); Stein, Sibyl, Zum europäischen ne bis in idem nach Artikel 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens, 2004, S. 192 ff.; Für die Auslegung des transnationalen „ne bis in idem“Prinzips im Lichte der Rechtskraftregeln des Ersturteilsstaates (jedoch nicht ausdrücklich in Bezug auf den Tatbegriff) auch Ambos, in: MK-StGB2, Vor §§ 3 – 7, Rn. 68; Satzger, Europäisierung des Strafrechts, 2001, S. 691; Appl, GS-Vogler, 2004, S. 109 ff. (121); Ebensperger, ÖJZ 1999, S. 171 ff. (183); Kniebühler, Transnationales „ne bis in idem“, 2005, S. 212; vgl. auch Vogel, Joachim, in: FS-Schroeder, 2006, S. 877 ff. (889 f.). 5 Stein, Sibyl, Zum europäischen ne bis in idem nach Artikel 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens, 2004, S. 193.
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F. Charakteristika des transnationalen Doppelverfolgungsverbots
deutschen Verfolgung von zwei Staaten mit unterschiedlichen Tatbegriffsfassungen abgeurteilt wurde)6, würde diese Lösung zu einem ungleichen Schutz von Bürgern innerhalb derselben Rechtsordnung führen und somit den Gleichheitsgrundsatz verletzten. Hätten z. B. zwei deutsche Staatsangehörige in den USA eine Straftat gegen einen Franzosen begangen und wäre der eine Täter in den USA (Territorialitätsprinzip) der andere jedoch in Frankreich (passives Personalitätsprinzip) abgeurteilt, müssten die deutschen Gerichte für den gleichen Fall zwei unterschiedliche Tatbegriffe anwenden und somit wahrscheinlich zu einer ungleichen Behandlung der zwei Mittäter gelangen. Es könnte in einem solchen Fall auch nicht ausgeschlossen werden, dass durch Anwendung des jeweiligen im Ersturteilsstaat geltenden Tatbegriffs nur die Verfolgung desjenigen Täters möglich wäre, dem eine höhere Strafe auferlegt worden ist. Mit dem vorliegenden Konzept ist ein vom Ersturteilsstaat abhängiger Tatbegriff auch deswegen nicht vereinbar, weil, wie mehrfach erörtert wurde, das transnationale „ne bis in idem“ hier als ein Prinzip betrachtet wird, welches an erster Stelle das Verhältnis zwischen abgeurteiltem Bürger und erneut verfolgendem Staat regelt, und weniger eine der zwischenstaatlichen Beziehungen halber anzuerkennende Institution darstellt. Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung spielt dabei eine kleine Rolle. Da das zwischenstaatliche Doppelverfolgungsverbot primär dem Schutz des schon abgeurteilten Angeklagten vor einer erneuten Verfolgung in dem Zweiturteilsstaat dient, darf die Reichweite dieses Schutzes nicht von externen (d. h. den Ersturteilsstaat betreffenden) Faktoren abhängig gemacht werden, sondern es ist eine eigenständige und daher einheitliche Regelung nötig7.
2. Dasselbe Delikt In den sogenannten „common law“-Ländern ist die Anknüpfung des prozessualen Tatbegriffs an das jeweils verfolgte Delikt sehr verbreitet. Damit ist gemeint, dass als Verfahrensgegenstand und somit auch als abgeurteilte Tat (nur) die in der Anklage beschriebene materielle Straftat gilt. Wurde eine bestimmte Handlung z. B. als Diebstahl verfolgt und der Angeklagte dafür freigesprochen, könnte er für dieselbe Handlung, diesmal aber wegen Unterschlagung, erneut verfolgt werden8.
6 s. Radtke/Busch, EuGRZ 2000, S. 421 ff. (430); Radtke, NStZ 2008, S. 162 ff. (164); vgl. auch Kische, wistra 2009, S. 162 f. (163). 7 Ausführlich auch Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 206 ff.; vgl. auch für den europäischen Raum Böse, GA 2003, S. 744 ff. (758). 8 s. Wyngaert/Stessens, ICLQ 1999, S. 779 ff. (789 ff.); Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 215 ff.; Schermers, in: FS-Pescatore, 1987, S. 601 ff. (612).
II. Tatidentität (das „idem“)
223
Es wird behauptet, dass auf internationaler Ebene die Orientierung des Tatbegriffs an dem jeweiligen verfolgten Delikt die beste Lösung wäre9. Ein Steuerbetrug gegen den französischen Fiskus sei etwas anderes als der Betrug zu Lasten der deutschen Staatskasse, selbst wenn beide Straftaten das Ergebnis derselben Handlung seien10. Konzentriere man sich für die Bestimmung der abgeurteilten Tat somit allein auf den historischen Lebenssachverhalt, dann ergebe sich die Gefahr, dass, obwohl der Ersturteilsstaat nur einen, nämlich den diesen Staat betreffenden Aspekt der Handlung berücksichtigte, trotzdem eine erneute Verfolgung des Täters in den übrigen, von seiner Handlung betroffenen Ländern ausgeschlossen wäre11. Durch die Gleichstellung der prozessualen Tat mit dem jeweils verfolgten Delikt wäre es dagegen möglich, „den strafrechtlich relevanten Lebenssachverhalt in mehrere verschiedene Delikte aufzuteilen, für die jeweils ein anderer Staat urteilsbefugt sein könnte“12. Die Identifizierung und Aufspaltung einer Handlung in mehrere Delikte könnte zwar problematisch sein, damit seien aber die nationalen Gerichte (und vor allem die angloamerikanischen) vertraut. Aus internationaler Sicht überzeuge diese Meinung auch hinsichtlich ihrer universalen Anwendung, da die Aufnahme eines solchen Systems durch die „civil law“-Ländern einfacher wäre, als umgekehrt die Einführung eines an den historischen Lebenssachverhalt orientierten Tatbegriffs in das „common law“-System13. Zur Unterstützung dieser Meinung wird auch auf den Text von Art. 14 Abs. 7 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte sowie von Art. 4 des 7. Protokolls der EMRK hingewiesen, wo in beiden Fällen das Wort „offence“ und nicht „fact“ benutzt wird14. Die Anhänger dieser Meinung schließen jedoch nicht aus, dass dadurch besonders bei komplexen Delikten wie Geldwäsche oder organisierte Kriminalität unverhältnismäßige Ergebnisse möglich seien. Eine unverhältnismäßige Mehrfachverurteilung könne in solchen Fällen nicht ausgeschlossen werden. Diese Gefahr sei allein durch die internationale Anerkennung des Anrechnungsprinzips zu beseitigen. Somit werde dem Verhältnismäßigkeitsprinzip genüge getan. Für die effektive Anwendung des Anrechnungsprinzips sei es aber nötig, im Gegensatz zum internationalen „ne bis in idem“-Prinzip nicht auf das jeweilige verfolgte Delikt, sondern auf den historischen Lebenssachverhalt abzustellen15. Dadurch werde auch eine Kombination von 9
Ausführlich Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 215 ff.; vgl. auch Oehler, Internationales Strafrecht2, S. 583 ff. 10 Schermers, in: FS-Pescatore, 1987, S. 601 ff. (612). 11 Wyngaert/Stessens, ICLQ 1999, S. 779 ff. (792). 12 Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 215 f. 13 Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 216 ff. 14 Wyngaert/Stessens, ICLQ 1999, S. 779 ff. (791 f.); Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 220. 15 Wyngaert/Stessens, ICLQ 1999, S. 779 ff. (793 f.); Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 220 f.
224
F. Charakteristika des transnationalen Doppelverfolgungsverbots
Elementen sowohl des kontinentalen als auch des angloamerikanischen Systems erzielt, was die Anhänger beider Lager zufriedenstellen könnte16.
3. Derselbe historische Lebenssachverhalt (faktische Betrachtungsweise) Genau entgegengesetzt zur deliktsorientierten Meinung ist die Ansicht eines rein an den historischen Lebenssachverhalt knüpfenden Tatbegriffs. Sie wird vor allem im kontinentaleuropäischen Raum vertreten. Alleiniges Kriterium sei danach die Identität der Tat, verstanden als das Vorhandensein eines Komplexes konkreter, unlösbar miteinander verbundener Umstände17. Dabei sollen zeitliche und räumliche Faktoren berücksichtigt werden, sowie der Zweck der begangenen Tat, während die rechtliche Qualifizierung der Handlung im Ersturteilsstaat irrelevant sei18. Dieser Meinung nach könnte die Anknüpfung des Tatbegriffs an die rechtliche Qualifizierung der begangenen Handlung zu absurden Ergebnissen führen. Der illegale Transfer von Betäubungsmitteln über die Grenze würde z. B. für das eine Land eine Einfuhr und für das andere eine Ausfuhr darstellen. Die erneute Verfolgung des Täters in diesem Fall für zwei „verschiedene“ Taten wäre unverhältnismäßig. Abgesehen davon könnte die materiellrechtliche Betrachtung des Tatbegriffs von dem jeweils verfolgenden Staat als Mittel zur Umgehung des transnationalen „ne bis in idem“ genutzt werden. Was in einem Land als Diebstahl abgeurteilt wurde, könnte in einem anderen Land eventuell als Sachbeschädigung oder Unterschlagung verfolgt werden. Die erneute Verfolgung wäre somit durch eine einfache Änderung der rechtlichen Qualifizierung der Tat wieder möglich und das „ne bis in idem“-Gebot dadurch untergraben. Zweck jedes transnationalen Doppelverfolgungsverbots könne nur der weitgehende Schutz des Einzelnen vor unverhältnismäßigen Mehrfachverurteilungen sein. Dieser Zweck könne am besten erreicht werden, wenn der Begriff der identischen Tat so weit wie möglich gefasst werde. Damit das erreicht werden könne, müsse der prozessuale Gegenstand und damit die abgeurteilte Tat ohne normative Einflüsse verstanden werden19. 16
Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 221. EuGH (van Straaten), mit zust. Anm. Kühne JZ 2006, S. 1018 f.; EuGH (van Esbroeck), mit krit. Anm. Kühne JZ 2007, S. 247 f.; s. auch Radtke, NStZ 2008, 162 ff.; Nelles/Tinkl/ Lauchstädt, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht2, S. 2361; van Bockel, CMLR 2008, 223 ff. (238 f.); Plöckinger/Leidenmühler, wistra 2003, 81 ff. (86 f.); Petropoulos, in: FSSchöch, 2010, S. 857 ff. (862 f.). 18 EuGH (Kraaijenbrink), NStZ 2008, S. 164 ff.; EuGH (Kretzinger), NStZ 2008, 166 ff.; Plöckinger/Leidenmühler, wistra 2003, 81 ff. (86 f.); vgl. auch Degenhard, StraFo 2005, 65 ff. (67 f.). 19 Radtke, NStZ 2008, 162 ff. (163 f.); Plöckinger/Leidenmühler, wistra 2003, 81 ff. (86 f.); Specht, Die zwischenstaatliche Geltung des Grundsatzes ne bis in idem, 1999, 163 f. 17
II. Tatidentität (das „idem“)
225
Im europäischen Raum wird das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung auch zur Unterstützung dieser faktischen Tatbegriffsfassung angewandt, dabei aber anders betrachtet. Dieses Prinzip müsse so verstanden werden, dass jeder Staat verpflichtet sei, die unterschiedlichen Rechtsvorstellungen anderer Rechtsordnungen zu respektieren. Dazu gehöre auch die Frage der einschlägigen Rechtsvorschrift für die jeweils begangene Tat. Die rechtliche Charakterisierung einer Straftat durch den Erstverfolgungsstaat dürfe also nicht durch eine Umqualifizierung im Zweiturteilsstaat im Rahmen der Beurteilung der Tatidentität ignoriert werden20. Von einer faktischen (ontologischen) Betrachtungsweise des prozessualen Tatbegriffs geht auch die deutsche Rechtsprechung sowie ein großer Teil der deutschen Literatur aus. Maßgeblich für die Frage der Tatidentität sei nach dem BGH das in der Anklage bezeichnete geschichtliche Vorkommnis, verstanden als ein sich nach der Auffassung des Lebens einheitlich darstellender Vorgang, dessen Aufspaltung unnatürlich erscheinen würde21. Dieses Kriterium soll sowohl dann angewandt werden, wenn sich die Frage der Tatidentität aufgrund von Unterschieden angesichts des Orts, der Zeit, des Angriffsobjekts, der Tatbegehung sowie der rechtlichen Beurteilung stellt, als auch wenn es um die Deckung eines weiteren, zwar nicht berücksichtigten aber mit der abgeurteilten Tat zusammenhängenden Geschehens durch die Rechtskraft geht22.
4. Faktisch-normative Betrachtungsweise Der zuvor erläuterte faktisch-ontologische Tatbegriff ist sowohl auf nationaler23 als auch auf internationaler24 Ebene auf Kritik gestoßen. In Bezug auf die transnationale Geltung des Prinzips „ne bis in idem“ könne die Anwendung eines so weitgehenden Maßstabs zu ungerechten Ergebnissen führen. In manchen Ländern sind die Gerichte nicht dazu befugt, den gesamten historischen Sachverhalt unter jedem denkbaren strafrechtlichen Gesichtspunkt zu würdigen, sondern ihre Entscheidungsbefugnis beschränkt sich allein auf den Anklagevorwurf. In solchen Fällen wäre es nicht gerechtfertigt, dem Angeklagten einen so weitgehenden Schutz zu gewährleisten, dass er auch für solche Straftaten nicht mehr verfolgt werden dürfe, 20
s. Wasmeier, RIDP 2006, S. 121 ff. (128); EuGH (van Esbroeck), JZ 2006, S. 1018 f. (Rn. 30 ff.); vgl. auch Böse, GA 2003, S. 744 ff. (760). 21 BGH NStZ 1996, S. 457 ff. (461); BGHSt 29, S. 288 ff. (293); BGHSt 32, S. 215 ff. (216); BGHSt 35, S. 60 ff. (62); BGHSt 41, S. 292 ff. (297 f.); Meyer-Goßner, StPO58, § 264 Rn. 2; Kuckein, in: KK-StPO7, § 264 Rn. 3; Beulke, Strafprozessrecht12, Rn. 513; s. auch die Nachweise bei Stuckenberg, in: KMR-StPO, 2001, § 264 Rn. 16 ff.; vgl. Wolter, GA 1986, S. 143 ff. 22 s. Kühne, in: LR-StPO26, Einl. K Rn. 60; Wolter, GA 1986, S. 143 ff. (148). 23 Roxin JR 1984, S. 346; ders., JZ 1988, S. 260 f.; Marxen, StV 1985, S. 472 ff. (473); Hruschka, JZ 1966, S. 700 ff. (703); Stein, Ulrich, JR 1980, 444 ff. (448). 24 s. beispielsweise Böse, GA 2003, S. 744 ff. (757 ff.); Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 212 f.
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F. Charakteristika des transnationalen Doppelverfolgungsverbots
die von den Gerichten des Ersturteilsstaates nicht berücksichtigt werden konnten25. Daraus folge auch, dass im Falle eines naturalistischen Tatbegriffs das Ausmaß der Strafbarkeit eines Täters von der zufälligen Reihenfolge der Strafverfolgung durch die verschiedenen Staaten abhängen würde, was zu uneinheitlichen und daher ungerechten Ergebnissen führen würde26. Weitere Kritik hat der faktische Tatbegriff aufgrund seiner Unbestimmtheit erfahren. Man könne nicht anhand von naturalistischen Gesichtspunkten präzise Regeln dafür entwickeln, wann bestimmte Umstände „unlösbar miteinander verbunden“ seien oder wann ein bestimmtes geschichtliches Vorkommnis als „einheitlicher Vorgang“ anzusehen sei, so dass seine Aufspaltung „unnatürlich“ erscheinen würde. Die Betrachtung mehrerer zusammenhängender Handlungen als eine Einheit hänge immer vom Erkenntnisinteresse des jeweiligen Beobachters und somit von dem jeweils normativen Bezugspunkt ab27. Dieser Feststellung entsprechend ist sowohl in der Literatur als auch in der Rechtsprechung der nationalen und internationalen Gerichte eine Normativierung des faktischen Tatbegriffs zu erkennen28. Z. B. die Beurteilung der Frage, ob der Transport von Schmuggelwaren über verschiedene Länder als ein „einheitlicher Komplex“ von unlösbar miteinander verbundenen Umständen zu behandeln ist, hängt dieser Meinung nach einerseits von dem gemeinen objektiven Zweck der verschiedenen Teilhandlungen (Ausfuhr der Schmuggelware aus dem einen Land und Einfuhr in das andere) sowie andererseits von dem subjektiven Zweck des Täters ab. Ist der fragliche Transport in einer einzigen Fahrt ohne große Unterbrechungen erfolgt, wobei der Täter von Anfang an einen einheitlichen Vorsatz hatte, nämlich die Absicht, die Schmuggelwaren von dem ersten Staat bis zum Endziel zu transportieren, solle man von der Einheitlichkeit des Tatkomplexes ausgehen. Das würde bedeuten, dass z. B. im Rahmen des SDÜ die Aburteilung des Täters für irgendeine der verschiedenen Transporthandlungen in einem Mitgliedstaat (z. B. Verurteilung wegen Einfuhr der Schmuggelware in ein Land) eine Verfolgung wegen der übrigen zu diesem Transport gehörenden Handlungen in jedem anderen Mitgliedstaat ausschließen würde. Erfolgte im Gegenteil eine bestimmte Transporthandlung nach einer wesentlichen Unterbrechung, wobei der Täter keinen das gesamte Geschehen deckenden Vorsatz hatte, wäre diese Handlung trotz vorheriger Aburteilung anderer Teilhandlungen in einem anderen Staat weiter verfolgbar29. Zur Bestimmung des (faktischen) Tatbegriffs wird oft auch auf das geschützte Rechtsgut abgestellt. Wenn nämlich dieser Ansicht nach in dem vom Erstverfol25
Böse, GA 2003, S. 744 ff. (761). Oehler, in: Bassiouni, International Criminal Law, Bd. II, 1986, S. 199 ff. (209 f.); Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 212 f. 27 Roxin, JR 1984, S. 346; vgl. auch Bertel, Die Identität der Tat, 1970, S. 35 f. 28 s. z. B. Böse, GA 2003, S. 744 ff. (757 ff.); Vogel, Joachim, FS-Schroeder, 2006, S. 877 ff. (889 f.); Kische, wistra 2009, S. 162 f. 29 s. EuGH (Kraaijenbrink), NStZ 2008, S. 164 ff.; EuGH (Kretzinger), NStZ 2008, S. 166 ff.; Kische, wistra 2009, S. 160 f. 26
II. Tatidentität (das „idem“)
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gungsstaat durchgeführten Strafverfahren die Verletzung von Rechtsgütern nicht gewürdigt worden ist, um derentwillen der Zweitverfolgungsstaat ein Strafverfahren einzuleiten beabsichtigt, müsse man von einem berechtigten Interesse des letztgenannten Staates zur erneuten Verfolgung ausgehen und die Anwendung des „ne bis in idem“-Prinzips verneinen; sofern die Verletzung eines Rechtsguts nicht Gegenstand des ersten Verfahrens war, dann müsse das Interesse des Beschuldigten am Schutz vor einer erneuten Strafverfolgung in einem anderen Staat hinter dem öffentlichen Interesse an einer effektiven transnationalen Strafrechtspflege zurücktreten30. Im zuvor erwähnten Beispiel würde man also zwar die gesamte Fahrt als einen einheitlichen Vorgang betrachten können, müsste jedoch die eventuell vom Erstverfolgungsstaat nicht berücksichtigte Begehung einer weiteren Straftat, die zwar mit dem Transport der Schmuggelwaren eng verbunden ist, aber ein anderes Rechtsgut verletzt hat (z. B. Diebstahl des zum Transport genutzten Wagens), nicht als eine zu dem abgeurteilten Komplex gehörende Handlung behandeln und daher wäre eine diesbezügliche erneute Verfolgung in einem anderen Staat möglich. Von der deutschen Rechtsprechung werden auch weitere normative Ansätze für die Begrenzung des prozessualen (faktischen) Tatbegriffs genutzt. Die prozessuale Tatidentität kann danach von der Identität des betroffenen Tatobjekts31, der rechtlichen Beurteilung des geschichtlichen Ereignisses32 oder auch dem der ersten Anklageschrift zugrunde liegenden Tatbild33 abhängen. Auch der Gedanke des Vertrauensschutzes wurde als Kriterium vorgeschlagen. Maßgeblich solle nämlich sein, ob die fragliche Tat Gegenstand des vorherigen Verfahrens in dem Sinne war, dass der Angeklagte davon ausgehen durfte, er werde ihretwegen nicht nochmals verfolgt34. Oft wird auch neben einer „äußeren Verknüpfung“ (d. h. einem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang) eine „innere Verknüpfung“ zwischen den zwei Straftaten verlangt. Innerlich miteinander verknüpft seien zwei Straftaten, wenn der Unrechts- und Schuldgehalt der einen Handlung nicht ohne die Umstände, die zu der anderen Handlung geführt haben richtig gewürdigt werden könnte35.
5. Kritik Die Anknüpfung der Frage der Tatidentität an das jeweils verfolgte Delikt kann nicht gebilligt werden. Zunächst ist anzumerken, dass diese Meinung im Ergebnis die gleichen praktischen Schwierigkeiten mit der vom Ersturteilsstaat abhängenden 30
Böse, GA 2003, S. 744 ff. (760 ff.). OLG Celle, NStZ 1985, S. 393; BGHSt 36, S. 151 (154 f.). 32 OLG Köln, NStZ 1988, S. 568 f. 33 OLG Köln, NStZ 1990, S. 203 f.; BGHSt 36, S. 151 (154 f.). 34 BGH, NStZ 1988, 77 ff. (78). 35 BGHSt 23, S. 141 ff. (146 f.); BGHSt 24, S. 185 ff. (186); BGH, NJW 1981, 997 f.; OLG Hamm NJW 1981, 237; Dazu s. auch Müller Martin, NStZ 1985, 397 ff. (398); Wolter, GA 1986, S. 143 ff. (145) m.w.N.; vgl. auch Gillmeister, NStZ 1989, 1 ff. (2 f.). 31
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F. Charakteristika des transnationalen Doppelverfolgungsverbots
Tatbegriffsfassung aufweist. Der Vergleich von Delikten aus zwei verschiedenen Rechtsordnungen ist meistens unmöglich und kann nur selten zu sicheren Ergebnissen über deren Identität führen. Das gilt nicht nur angesichts komplizierter Delikte, die z. B. die Wirtschafts- oder die organisierte Kriminalität betreffen, sondern auch in Bezug auf klassische Delikte: Kann beispielsweise jemand erneut wegen Mordes verfolgt werden, wenn er in einem anderen Land wegen Totschlags verurteilt oder freigesprochen worden ist, vor allem wenn der Ersturteilsstaat keinen Unterschied zwischen Mord und Totschlag kennt? Selbst ein ganz einfaches Delikt wie der Diebstahl des deutschen Rechts ist im eigentlichen Sinne ein anderes Delikt als der Diebstahl des englischen Rechts, da es sich um zwei verschiedene Tatbestände handelt, die in verschiedenen Gesetzen vorgesehen werden. Mag die Anknüpfung der Tatidentität an das verfolgte Delikt auf nationaler Ebene haltbar sein, kann sie im internationalen Bereich nicht angewandt werden. Es darf ferner nicht verkannt werden, dass diese Ansicht im Ergebnis dem jeweiligen Zweiturteilsstaat die Möglichkeit gibt, das „ne bis in idem“-Gebot leicht – d. h. bloß durch eine Umbenennung der vorgeworfenen Straftat – zu umgehen. Wenn die Anhänger dieser Ansicht es des Weiteren als Vorteil dieses Tatbegriffs ansehen, „dass es häufig möglich wäre, den strafrechtlichen relevanten Lebenssachverhalt in mehrere verschiedene Delikte aufzuteilen, für die jeweils ein anderer Staat urteilsbefugt sein könnte“36, so zeigt das, dass sie in doppelter Hinsicht von einem falschen Ausgangspunkt über die Funktion und Rolle des „ne bis in idem“Prinzips ausgehen. Einerseits bekommt man den Eindruck, dass dieser Ansicht nach die Konkretisierung des Tatbegriffs dazu dienen solle, das „ne bis in idem“-Prinzip als Hindernis für eine – nach dem Gerechtigkeitsprinzip – vollständige Bestrafung des Täters auszuschließen. Das „ne bis in idem“-Prinzip soll aber gerade die gegenteilige Rolle erfüllen; es soll nämlich eine erneute Verfolgung des Täters selbst in den Fällen verhindern, in denen seine Bestrafung nach dem materiellen Strafrecht gerecht erscheinen könnte. Was diese Meinung zu vermeiden versucht, d. h. eine aus der Sicht irgendeines Staates unvollkommene Bestrafung, ist in Wirklichkeit eine wichtige Eigenschaft, wenn nicht der Kern, jedes – d. h. inländischen oder transnationalen – Doppelverfolgungsverbots. Gleichzeitig wird verkannt, dass das „ne bis in idem“-Prinzip nicht nur die mehrfache Bestrafung des Angeklagten verhindern soll, sondern darüber hinaus ein Verfolgungshindernis darstellt, d. h. den Angeklagten vor einer – wenn im Hinblick auf die zu erwartende Strafe gerechtfertigten – mehrfachen Verfolgung schützen soll. Eine weit gefasste Möglichkeit zur mehrfachen Verfolgung kann nicht als Vorteil angesehen werden, selbst wenn sie im Ergebnis zu einer gerechten (Gesamt-)Bestrafung führen könnte. Die Unhaltbarkeit dieser Meinung wird schließlich durch den Verweis auf das Anrechnungsprinzip klar37. Im Rahmen dieser Arbeit ist mehrmals betont worden, dass das Anrechnungsprinzip kein das Doppelverfolgungsverbot ersetzendes Prinzip 36 37
Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 215 f. Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 220 f.
II. Tatidentität (das „idem“)
229
sein kann38. Ihm kann nur eine Auffangrolle für Ausnahmefälle zugeteilt werden. Das Wichtigste ist aber, dass die Anwendung des Anrechnungsprinzips zur Vermeidung von ungerechten Ergebnissen in Fällen, in denen die Tatidentität verneint wurde, einen Widerspruch beinhaltet. Einerseits wird nämlich die Identität der Tat und dadurch das „ne bis in idem“-Verbot verneint, auf der anderen Seite wird aber (wenn auch nur für bestimmte Fälle) die Anerkennung und Anwendung des Anrechnungsprinzips, das ebenfalls Tatidentität voraussetzt39, für nötig erachtet. Dadurch werden in diesem Sinne ohne nähere Begründung zwei verschiedene Kriterien für die Feststellung der Tatidentität angenommen, je nachdem ob man das „ne bis in idem“oder das Anrechnungsprinzip anwenden will40. Das ist inkonsistent. Beide Prinzipien setzen eine im gleichen Sinne identische Tat voraus. Das Anrechnungsprinzip sollte nur dann eingreifen, wenn das Doppelverfolgungsverbot trotz des Vorliegens einer identischen Tat aus anderen Gründen (wie z. B. das höhere Verfolgungsinteresse, das zuvor im Falle des Territorialitätsprinzips oder des Staatsschutzprinzips angenommen wurde) keine Anwendung finden kann. Dadurch soll einfach vermieden werden, dass der Angeklagte, der für dieselbe Tat mehrmals verfolgt wird, auch mehrmals und daher unverhältnismäßig bestraft wird. Ausgangspunkt für die Konkretisierung der Tatidentität muss der Zweck des „ne bis in idem“-Prinzips sein, nämlich der Schutz des Angeklagten vor mehrfachen Verfolgungen. Dieser Schutz kann am besten durch einen weiten Tatbegriff erreicht werden. Aus diesem Grund könnte dem sogenannten faktischen Tatbegriff prinzipiell der Vorrang gegeben werden. Trotzdem kann man im Rahmen der „ne bis in idem“Problematik nicht von einem „faktischen“ Begriff sprechen. Solange der Begriff der Tatidentität aus der Perspektive des Strafprozessrechts betrachtet wird und in diesem Rahmen zwangsläufig eine bestimmte Funktion erfüllen soll, ist er ohne Weiteres (mehr oder weniger) normativ. Denn auch bei dem Vergleich von zwei Ereignissen, die als „natürliche Lebenssachverhalte“ aufgefasst werden sollen, muss man die eine Tat individualisierenden relevanten Merkmale aussortieren und mit den entsprechenden Merkmalen der anderen Tat vergleichen. Die Konkretisierung der relevanten individualisierenden Tatmerkmale sowie die Beurteilung, ob und in welchem Maße sie für den bestimmten Vergleich und die Annahme einer Tatidentität maßgeblich sind, hängt immer von dem jeweiligen normativen Bezugspunkt ab. Auch die Frage, ob eine bestimmte Tat zu einem größeren historischen Ereignis gehört (und deswegen von der vorherigen Entscheidung gedeckt wird oder nicht), ob sie also einen einheitlichen historischen Vorgang bildet, wird zwangsläufig durch die normativen Kriterien der jeweiligen Wissenschaft bestimmt41. 38
Vgl. auch oben A.II. Vgl. § 51 Abs. 3 StGB. 40 Wyngaert/Stessens, ICLQ 1999, S. 779 ff. (793 f.) und Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 221 akzeptieren ausdrücklich das Kriterium desselben Sachverhalts beim Anrechnungsprinzip. 41 Roxin, JR 1984, 346 f.; Bertel, Die Identität der Tat, 1970, S. 16 f. und 32 ff. 39
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F. Charakteristika des transnationalen Doppelverfolgungsverbots
Wie schon erwähnt, werden in der Literatur verschiedene (normative) Kriterien vorgeschlagen um den Begriff der identischen Tat zu konkretisieren und eine klare Regel für die Anwendbarkeit des „ne bis in idem“-Prinzips festzulegen. Der Vorschlag, auf das jeweils geschützte Rechtsgut abzustellen, führt genau zu den gleichen Problemen, denen auch die Lehre desselben Delikts begegnet. Er gewährleistet dem Verfolgten nicht genügend Schutz vor erneuten, ungerechtfertigten Verfolgungen. Da verschiedene Vorschriften unterschiedliche Rechtsgüter schützen sollen, könnte jeder Staat eine erneute Verfolgung dadurch ermöglichen, dass er den Täter aufgrund eines anderen Delikts und somit aufgrund der Verletzung eines anderen Rechtsguts verfolgt. Man kann außerdem sehr schwierig die von einer fremden Vorschrift geschützten Rechtsgüter konkretisieren und sie mit den inländischen vergleichen. Vor allem wenn es um die Anwendung des „ne bis in idem“-Prinzips außerhalb des europäischen Raums und des SDÜ geht, ist nicht einmal auszuschließen, dass es Staaten geben kann, in denen der dogmatische Topos „Rechtsgut“ nicht anerkannt ist42. Generell lässt sich feststellen, dass keine der bisher dargestellten Theorien ein klares, in allen Fällen anwendbares und zu zufriedenstellenden Ergebnissen führendes Kriterium bietet.
6. Stellungnahme – prozessuale Tat als Handlung Die Schwierigkeit, eine zufriedenstellende Lösung bezüglich des Tatbegriffs sowohl für das nationale als auch für das internationale „ne bis in idem“-Prinzip zu finden, liegt hauptsächlich an der irreführenden Bemühung, diesem Begriff eine Rolle zu verleihen, die er gar nicht erfüllen kann. Rechtsprechung und Literatur versuchen nämlich, durch die Eingrenzung oder Erweiterung des Tatbegriffs „unbillige“ Ergebnisse zu beseitigen, die aus der Geltung oder Nichtgeltung der materiellen Rechtskraft in einem bestimmten Fall entstehen könnten43. Das ist aber unzutreffend. Man muss diese beiden unterschiedlichen Fragen trennen. Zunächst muss nämlich festgestellt werden, ob überhaupt eine identische Tat vorliegt. Das muss anhand von generell anwendbaren Kriterien geschehen und darf nicht von Einzelfallabwägungen abhängen. Eine weitere, hiervon unabhängige Frage ist dann, ob eine erneute Verfolgung tatsächlich gerechtfertigt ist, oder ob sie – aus anderen Gründen – überhaupt stattfinden soll bzw. kann oder nicht. Es kann nämlich Fälle geben, in denen zwar eine identische Tat vorliegt, aber die Sperrwirkung der materiellen Rechtskraft zu einem ungerechten Ergebnis führt. Solche Fälle betreffen die 42
Für eine analytische Kritik dagegen, für die Beurteilung der Frage der Tatidentität im deutschen Strafprozessrecht auf das Rechtsgut abzustellen, s. Oehler, FS-Rosenfeld, 1949, S. 139 ff. (vor allem S. 151 f.). 43 Kühne, Strafprozessrecht9, Rn. 644; Fezer, Strafprozessrecht2, S. 244; Stein, Ulrich, JR 1980, S. 444 ff. (446); vgl. auch Schöneborn, MDR 1974, S. 529 ff.; Schlehofer, GA 1997, 101 ff. (106 ff.).
II. Tatidentität (das „idem“)
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Reichweite und nicht die prinzipielle Anwendbarkeit des „ne bis in idem“-Prinzips. Umgekehrt kann es aber auch Fälle geben, in denen zwar keine identische Tat vorliegt, aber die erneute Verfolgung desselben Angeklagten ungerecht erscheint. Diese problematischen Konstellationen dadurch lösen zu wollen, dass man den Tatbegriff von Fall zu Fall anders definiert44, ist allerdings falsch. Maßgeblich für die Konkretisierung des prozessualen Tatbegriffs ist das Verhältnis zwischen materiellem und prozessualem Strafrecht. Basis des materiellrechtlichen Deliktsaufbaus ist die menschliche „Handlung“. Sie stellt den Ausgangspunkt für die Feststellung des Vorliegens eines nach dem materiellen Recht strafbaren Verhaltens dar. Im Strafprozessrecht steht die „Tat“ einer bestimmten Person im Mittelpunkt des Verfahrens, die auch den Prozessgegenstand bildet. Das ganze Verfahren ist darauf gerichtet, eine Antwort auf die Frage zu geben, ob eine Person sich durch ihre konkrete Handlung schuldig gemacht hat und welche Rechtsfolgen gegebenenfalls gegen sie zu verhängen sind45. Obwohl in beiden Fällen die „Handlung“ als zentraler Punkt gilt, haben sowohl die Rechtsprechung46 als auch ein großer Teil der Literatur47 seit Langem eine Beziehung zwischen diesen beiden Begriffen, dem materiellrechtlichen Handlungsbegriff und dem prozessrechtlichen Tatbegriff, verneint. Der verfahrensrechtliche Begriff der Tat habe mit dem sachlichrechtlichen der Handlung nichts gemein. Diese Meinung ist natürlich nicht unkritisiert geblieben48. Es ist nämlich vertreten worden, dass Ausgangspunkt für die Lösung der Frage der Tatidentität in prozessualem Sinne doch die Handlung, so wie sie sich nach der Anklage darstellt, sein müsse. Der Täter werde nicht für den Tod von X bestraft, sondern für seine bestimmte Handlung, durch die er diesen Tod herbeigeführt hat49. Dieser Ansicht ist zuzustimmen. Jedoch ist anzumerken, dass der Handlungsbegriff im materiellen Strafrecht unterschiedliche Bedeutungen hat, je nachdem, ob er im Rahmen der Verbrechens- oder der Konkurrenzlehre benutzt wird50. Der allgemeine Handlungsbegriff der Verbrechenslehre bezweckt, „die Mindestanforderung an ein strafbares Verhalten, das allen strafbaren Handlungen Gemeinsame“, 44 So ausdrücklich BGHSt 9, S. 10 ff. (11); BGHSt 13, S. 21 ff. (26); BGH NStZ 1984, 469 f.; s. auch Beulke, in: FG-Wiss-BGH, 2000, S. 781 ff. 45 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht27, § 20 Rn. 1. 46 RGSt 61, S. 314 ff. (317); RGSt 66, S. 19 ff. (21); RGSt 72, S. 339 ff. (340); BGHSt 9, S. 10 ff. (11); BGHSt 13, S. 21 ff. (25); BGHSt 23, 141 ff. (145); BGHSt 24 185 ff. (186). 47 s. beispielsweise Stuckenberg, in: KMR-StPO, 2001, § 264 Rn. 3; Schlüchter, in: SKStPO (Loseblatt-Ausgabe), § 264 Rn. 8; Meyer-Goßner, StPO58, § 264 Rn. 6; Gollwitzer, in: LR-StPO25, § 264 Rn. 3; s. auch Rissing-van Saan, in: LK-StGB12, Vor § 52 Rn. 7. 48 Oehler, in: FS-Rosenfeld, 1949, S. 139 ff. (148 ff.); Herzberg, JuS 1972, S. 113 ff. (117 ff.); vgl. auch Fezer, Strafprozessrecht2, S. 244 ff. 49 Oehler, in: FS-Rosenfeld, 1949, S. 139 ff. (148). 50 Für die Beziehung des Handlungsbegriffs der Konkurrenzlehre zu dem Handlungsbegriff der Verbrechenslehre s. Puppe, in: NK-StGB, Bd. 14, Vor § 13 Rn. 35; Rissig-van Saan, in: LKStGB12, Vor § 52 Rn. 7.
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F. Charakteristika des transnationalen Doppelverfolgungsverbots
festzulegen51. Handlung in diesem (natürlichen) Sinne ist eine strafrechtlich relevante Persönlichkeitsäußerung, d. h. „alles was sich einem Menschen als seelischgeistiges Aktionszentrum zuordnen lässt“52. Zweck des im Rahmen der Konkurrenzlehre entwickelten Handlungsbegriffs ist hingegen die Präzisierung der Handlungseinheit, also die Bestimmung, wann aus rechtlicher Sicht nur eine und wann mehrere Handlungen gegeben sind. Eine Handlung im Sinne der Konkurrenzlehre kann aus mehreren Handlungen in natürlichem Sinne bestehen. Dieser letztere Handlungsbegriff ist hier von Bedeutung. Meiner Meinung nach gibt es zunächst keinen Grund, das, was im Rahmen des materiellen Strafrechts angesichts des Deliktsaufbaus den Ausgangspunkt für den strafrechtlichen Syllogismus über eine abstrakte Tatbestandsverwirklichung darstellt, anders zu betrachten als das, was im Rahmen des Prozessrechts, d. h. bei der vom Gericht vorgenommenen Überprüfung einer konkreten Tatbestandsverwirklichung in einem bestimmten Fall und von einer bestimmten Person den Ausgangspunkt bildet. Wenn nämlich bei der Beurteilung der Frage, was abstrakt ein Diebstahl oder Mord ist, die „Handlung“ – im natürlichen Sinne – der Ausgangspunkt ist, dann muss dieser Begriff ebenso der Ausgangspunkt für die Beurteilung der Frage sein, ob der konkrete Sachverhalt im Rahmen eines Strafverfahrens einen Diebstahl oder einen Mord darstellt53. Der Gegenstand der konkreten Subsumtion, die ein Richter im Rahmen eines Strafverfahrens vornehmen muss, um über die Anwendung eines bestimmten Tatbestandes und die Verhängung der passenden Rechtsfolgen zu entscheiden, muss denknotwendig deckungsgleich mit dem Gegenstand der entsprechenden abstrakten, im materiellen Strafrecht vorgenommenen Subsumtion sein. Aus dem gleichen Grund wäre es des Weiteren unzutreffend, das, was auf der abstrakten Ebene des materiellen Strafrechts – normativ – als eine Einheit betrachtet wird, auf der Ebene der konkreten Anwendung des Strafrechts in einem bestimmten Fall, nämlich im Rahmen eines bestimmten Strafverfahrens, zu zersplittern und als mehrere unterschiedliche Einheiten zu behandeln54. Es gibt beispielsweise keinen nachvollziehbaren Grund, die abstrakte Wegnahme von mehreren Gegenständen von einem bestimmten Ort durch einen Täter im Rahmen des materiellen Strafrechts als eine einheitliche Handlung zu betrachten, aber von mehreren unterschiedlichen Handlungen und somit von mehreren unterschiedlichen Prozessgegenständen auszugehen, wenn es um die Bewertung der Wegnahme der bestimmten Gegenstände A, B und C durch den bestimmten Täter T im Rahmen des Strafprozesses geht. Falls sich später herausstellt, dass damals auch der Gegenstand D weggenommen wurde, könnte man dann eine erneute Verfolgung für zulässig halten. Die neue Bewertung 51
Roxin, AT, Bd. 2, 2003, S. 800. Roxin, AT, Bd. 14, 2006, S. 256; vgl. auch Bunster, in: FS-Roxin, 2001, S. 173; Dedes, in: FS-Roxin, 2001, S. 187 ff.; Fischer, StGB63, Vor § 13 Rn. 4 ff. 53 Für die „Substantiierungsfunktion“ des Handlungsbegriffs und den „Übergang“ vom allgemeinen Begriff der Tatbestandsverwirklichung zum wirklichen Fall der Tatbestandsverwirklichung vgl. Puppe, in: NK-StGB, Bd. 14, Vor § 13 Rn. 37 f. und § 52 Rn. 7. 54 So prinzipiell auch Beulke, in: FG-Wiss-BGH, 2000, S. 781 ff. (783 f.). 52
II. Tatidentität (das „idem“)
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der Wegnahme des Gegenstands D und die Subsumtion dieser konkreten Handlung unter den Tatbestand des Diebstahls würde aber zwangsläufig auch die (erneute) rechtliche Bewertung der restlichen (Teil-)Handlungen voraussetzen. Das Gleiche gilt, wenn z. B. jemand wegen Nötigung verurteilt wird, und sich später herausstellt, dass er dabei auch die Uhr des Opfers weggenommen hat. Da in diesem Fall materiellrechtlich gesehen Wegnahme und Gewalt als eine einheitliche Handlung betrachtet werden (Raubhandlung)55, würde die erneute Verfolgung des Täters, selbst wenn sie ausschließlich aufgrund der nicht berücksichtigten Wegnahmehandlung erfolgen würde, trotzdem auch die rechtliche Bewertung der Gewalthandlung voraussetzen und aus diesem Grund wäre eine solche neue Verfolgung unzulässig. Denn die Betrachtung der Wegnahme und der Nötigung als eine einheitliche Handlung (Raub) ist nicht bloß eine theoretische Konstruktion, die ausschließlich im Rahmen der Konkurrenzlehre eine bestimmte Funktion erfüllen soll, sondern gibt die für das ganze Strafrecht und daher auch für das Prozessrecht maßgebende einheitliche Natur dieser Tat wieder. Die Kriterien der materiellrechtlichen Handlungseinheit sind also auch im prozessrechtlichen Bereich für die Frage der Tatidentität maßgeblich56. Der materiellrechtliche Handlungsbegriff deckt sich in diesem Sinne mit dem prozessrechtlichen Tatbegriff. Als Prozessgegenstand soll somit die konkrete, dem Angeklagten vorgeworfene Handlung, so wie sie sich in der Anklage darstellt, und nicht ein abstraktes historisches Geschehen oder eine Reihe von zusammenhängenden und innerlich verknüpften Umständen verstanden werden. Von der Rechtskraft erfasst wird dementsprechend jede in der Anklage erwähnte Handlung im materiellrechtlichen Sinne und daher darf diese Handlung nicht zum Gegenstand einer erneuten Verfolgung werden57. Wie schon oben erläutert, ist eine abweichende Auffassung über den Tatbegriff und das Vorliegen der Tatidentität nur auf Billigkeitserwägungen zurückzuführen, die aber mit dem Tatbegriff selbst nichts zu tun haben. Wenn z. B. der Angeklagte während einer zweiminütigen Messerstecherei mehrere Morde verursacht hat, für einen davon aber nicht angeklagt wurde (weil diese Tat jemandem anderen zugeschrieben worden ist)58, kann eine erneute Verfolgung für den nicht angeklagten Mord nicht mit der Begründung ausgeschlossen werden, dass es um dieselbe, rechtskräftig abgeurteilte Tat gehe. In diesem Fall stellt der nicht berücksichtigte Mord eine unterschiedliche, von den restlichen Straftaten zu trennende Handlung dar. Dass es zweckmäßig und für den Angeklagten gerechter wäre, diese Handlung 55
Vgl. Roxin, AT II, 2003, S. 800 f. Vgl. Fezer, Strafprozessrecht2, S. 244 ff. 57 Trotz entgegengesetzter Begründung im Ergebnis übereinstimmend BGHSt 13, S. 21 ff.; BGHSt 26, S. 284 ff.; BGHSt StV1981, S. 606; Für die im Ergebnis übereinstimmende Rechtsprechung des BGH s. auch Fezer, Strafprozessrecht2, S. 244 ff.; Neuhaus, MDR 1988, S. 1012 ff. 58 s. BGH NStZ 1996, S. 243 ff., wobei es aber hier um die Einbeziehung der Tat in die Anklage und nicht um die materielle Rechtskraft ging. Dagegen BGH HRRS 2009, S. 182 f. (Nr. 418), wo von unterschiedlichen Prozesstaten ausgegangen wird. 56
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F. Charakteristika des transnationalen Doppelverfolgungsverbots
zusammen mit den anderen von ihm begangenen Handlungen abzuurteilen, ist klar59. Es ist auch vertretbar zu behaupten, dass eine erneute Verfolgung für denselben Angeklagten in einem solchen Fall eine ungerechte Behandlung darstellen würde, da die Strafverfolgungsorgane den fraglichen Mord schon im ersten Verfahren hätten aufklären müssen und dass sich daher dieser Fehler nicht zu Ungunsten des Angeklagten, der sich jetzt zwei Prozessen unterziehen muss, auswirken darf. Um eine solche Verfolgung zu verhindern, könnte man § 154 StPO heranziehen und die Verfolgung anhand des Opportunitätsprinzips einstellen60 oder eventuell auch direkt auf das Verfassungsrecht und das Rechtsstaats- und Verhältnismäßigkeitsprinzip abstellen. Die Verhinderung einer erneuten Verfolgung darf aber hier nicht durch eine Verdrehung des Tatbegriffs auf die materielle Rechtskraft gestützt werden. Das Gleiche gilt für den umgekehrten Fall, in dem es anhand des Tatbegriffs zu einer Sperrwirkung mit ungerechten Folgen kommt. Typisches Beispiel ist die Verurteilung wegen Wilderns, wenn sich später herausstellt, dass der Täter absichtlich einen Menschen getötet hat. Dass hier dieselbe Tat vorliegt, sollte unbestreitbar sein. Ob davon abgesehen die materielle Rechtskraft über eine so umfangreiche Sperrwirkung verfügen kann bzw. darf, dass hier eine erneute Verfolgung des Täters wegen Mordes ausgeschlossen wäre, ist eine andere Frage. Wollte man in einem solchen Fall die Zulässigkeit einer erneuten Verfolgung begründen, könnte dies eventuell wieder auf das Verfassungsrecht und vor allem auf die rechtsstaatliche Pflicht des Staates zum Schutz des Lebens gestützt werden. Es wäre dann eine Frage der Reichweite der materiellen Rechtskraft. Der Versuch jedoch, den Begriff der prozessualen Tatidentität von solchen Kriterien abhängig zu machen, wie der Richtung des Tätigkeitsaktes61 oder der tatsächlichen (konkreten) Reichweite der Prüfungs- und Entscheidungspflicht des Gerichts62, um dadurch in einem solchen Fall zu einem „gerechten“ Ergebnis zu kommen, ist meines Erachtens irreführend und unzutreffend.
7. Bedeutung für das transnationale ne bis in idem Diese Lösung der Frage nach der Gleichstellung des prozessualen Tatbegriffs mit dem materiellrechtlichen Handlungsbegriff ist auch für internationale Konstellationen und das transnationale Doppelverfolgungsverbot für das Problem der identischen Tat am geeignetsten. Abgesehen davon, dass sie dem Angeklagten den optimalen Schutz vor ungerechtfertigten Verfolgungen bietet, was mit dem Zweck dieses Prinzips übereinstimmt, führt sie in Kombination mit dem oben erläuterten 59
s. auch Fezer, Strafprozessrecht2, S. 249. Herzberg, JuS 1972, S. 113 ff. (119). 61 Peters, Strafprozessrecht4, S. 508 f. 62 Henkel, Strafverfahrensrecht2, S. 389; Baumann, Grundbegriffe und Verfahrensprinzipien des Strafprozessrechts3, S. 171 ff. 60
II. Tatidentität (das „idem“)
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Abwägungssystem zu gerechten Ergebnissen. Die Angst vor einer Verhinderung einer erneuten Verfolgung in den Fällen, in denen diese Verfolgung als geboten angesehen werden könnte, ist nicht gerechtfertigt, da die Bejahung der Tatidentität nicht unbedingt zu einer Sperrwirkung führt. Die Sperrwirkung ergibt sich erst nach der Abwägung zwischen Achtungs- und Schutzinteresse nach den oben aufgeführten Kriterien. Das kann anhand der folgenden Beispiele deutlich gemacht werden, in denen zwar von einer identischen Tat auszugehen ist, aber trotzdem die Sperrwirkung des ausländischen Urteils eventuell als problematisch betrachtet werden könnte: Der ausländische Täter A vergewaltigt (in seinem Land) die deutsche Staatsangehörige D, er wird aber dort nur wegen leichter Körperverletzung verurteilt, die er bei der Gewaltanwendung verursacht hat. Stellt sich die Frage einer erneuten Verfolgung des Täters in Deutschland wegen Vergewaltigung, besteht meines Erachtens kein Zweifel daran, dass es um dieselbe Tat geht (da bei der Verfolgung wegen Vergewaltigung auch die Gewalthandlung mitberücksichtigt werden soll) und dass daher die wie oben erläuterten Regeln des „ne bis in idem“-Prinzips Anwendung finden. Weil die neue Verfolgung in Deutschland auf der Basis des passiven Personalitätsprinzips erfolgt und daher von einem niedrigen Verfolgungsinteresse auszugehen ist63, ist sie prinzipiell ausgeschlossen. Hier könnte aber ausnahmsweise angenommen werden, dass die Nichtverfolgung des Täters wegen Vergewaltigung in seinem Heimatland sowie die darauffolgende Nichtverfolgung des Täters in Deutschland gegen den internationalen „ordre public“ verstößt und deswegen ausnahmsweise eine erneute Verfolgung trotz der prinzipiellen Geltung des „ne bis in idem“-Prinzips zulässig wäre. Der ausländische Spion A dringt in die im Ausland befindliche Wohnung des deutschen Diplomaten D ein, wo er wichtige Dokumente stiehlt. Er wird dort festgenommen und wegen Hausfriedensbruchs und Diebstahls verurteilt. Jetzt stellt sich die Frage, ob er vom deutschen Staat wegen Spionage verfolgt werden kann. Dass er für dieselbe Tat im Ausland schon abgeurteilt worden ist, ist meines Erachtens erneut klar. Deswegen muss das transnationale „ne bis in idem“-Prinzip prima facie für anwendbar gehalten werden. Da aber die Bestrafung des Täters in Deutschland auf der Basis des Staatschutzprinzips erfolgen würde und daher von einem hohen Schutzinteresse auszugehen wäre64, wäre eine erneute Verfolgung in Deutschland zulässig. Ähnliches gilt für das Beispiel, in dem der Täter mit derselben (Auslands-) Handlung einen Betrug sowohl gegenüber einem fremden Staat als auch gegenüber dem deutschen Fiskus begeht65. Wäre der Täter im Ausland wegen Betrugs verurteilt worden, würde eine erneute Verfolgung in Deutschland wegen derselben Handlung natürlich dieselbe prozessuale Tat als Gegenstand haben und daher wäre prima facie wieder das transnationale „ne bis in idem“ anwendbar. Die deutsche Verfolgung 63 64 65
s. weiter oben, B.IV.3.a)ee). s. weiter oben, B.IV.3.a)dd). Schermers, in: FS-Pescatore, 1987, S. 601 ff. (612).
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F. Charakteristika des transnationalen Doppelverfolgungsverbots
würde aber hier auf Basis des Auswirkungsgrundsatzes erfolgen. Wie oben angenommen worden ist66, hängt das Schutzinteresse im Falle des Auswirkungsgrundsatzes von einer konkreten Abwägung zwischen den schon im ausländischen Urteil berücksichtigten und den restlichen, den deutschen Staat betreffenden Folgen ab. Die Frage der erneuten Verfolgung würde letztendlich von dem Ergebnis dieser Abwägung abhängen, was zu gerechten Ergebnissen in jedem konkreten Einzelfall führt. Anhand dieser Beispielen wird klar, dass die Bedenken gegen eine solche Fassung des Tatbegriffs, nämlich dass dadurch die Sperrwirkung ausländischer Urteile in übertriebenem Maße erweitert wird, nicht gerechtfertigt sind, weil sich die endgültige Entscheidung über die Zulässigkeit des transnationalen Doppelverfolgungsverbots erst durch die Abwägung der relevanten Interessen ergibt. Dass diese Abwägung unabhängig von der Frage der Tatidentität behandelt wird, trifft meines Erachtens die Sache besser67. Ebenso bestehen auch keine Bedenken gegen die Annahme dieser Tatbegriffsdefinition in Bereichen, in denen das transnationale „ne bis in idem“ vertraglich geregelt ist, wie z. B. im Rahmen des SDÜ. Man könnte behaupten, dass dort die Gleichstellung des prozessualen und des materiellen Handlungsbegriffs zu einer unverhältnismäßigen Einengung des transnationalen Doppelverfolgungsverbots in den Fällen führen könnte, in welchen zwar mehrere unterschiedliche Handlungen bestehen, diese aber in sehr engem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang stehen und der Ersturteilsstaat eine dieser Handlungen nicht berücksichtigt hat. Für solche Fälle bietet aber erneut das Opportunitätsprinzip eine Lösung. Wenn z. B. der Täter mit einem gestohlenen Auto Drogen durch verschiedene Länder transportiert und in dem letzten Land nur wegen des Drogentransports verurteilt wird, dann wäre eine erneute Verfolgung wegen des Diebstahls des benutzten Autos möglich, da dies eine andere Handlung darstellen würde. Wenn die deutschen Strafverfolgungsbehörde und Gerichte eine erneute Verfolgung wegen dieses Delikts für unbillig halten würden, wäre es falsch, sich auf das „ne bis in idem“-Verbot zu berufen. Die erneute Verfolgung könnte vielmehr durch § 153c Abs. 2 StPO eingestellt werden.
III. Vorherige Aburteilung (das „bis“) Nachdem der Begriff der Tatidentität erläutert wurde, muss des Weiteren das Merkmal der vorherigen Aburteilung geprüft werden. Bei der bisherigen Untersuchung wurde nämlich angenommen, dass der Angeklagte im Ausland für dieselbe Tat schon abgeurteilt worden ist. Die Frage aber, wann genau man von einer ausländi66
s. weiter oben, E.III.3.a). Vgl. die weiteren Beispiele bei Kühne, JZ 2006, S. 1019 ff., die in ähnlicher Weise gelöst werden könnten. 67
III. Vorherige Aburteilung (das „bis“)
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schen Aburteilung ausgehen kann, wann nämlich die nach dem oben erläuterten Sinne selbe Tat als abgeurteilt angesehen werden kann, ist bisher offen geblieben. Selbst in Bereichen, wo das transnationale „ne bis in idem“ ausdrücklich geregelt ist, wie z. B. auf europäischer Ebene im Rahmen des SDÜ, besteht über das Merkmal der Aburteilung keine Einigkeit. Der Streit konzentriert sich vor allem darauf, ob für ein Greifen des „ne bis in idem“-Verbots und den Ausschluss einer erneuten Verfolgung in einem anderen Mitgliedstaat stets eine vorherige gerichtliche Entscheidung nötig ist oder ob eventuell auch eine Entscheidung der Strafverfolgungsbehörden sperrwirkend funktionieren kann. Doch auch auf nationaler Ebene, im Rahmen des deutschen Strafprozessrechts, ist der Umfang der materiellen Rechtskraft hinsichtlich der verschiedenen Entscheidungsarten oft strittig. Es ergibt sich auch dort das Problem, welche Qualität eine prozessuale Entscheidung besitzen soll, damit sie als materiell rechtskraftsfähig angesehen werden und eine zumindest partielle Sperrwirkung auslösen kann68. Diese Problematik, sowie die diesbezügliche Argumentation, kann für das Verständnis des hier behandelten transnationalen „ne bis in idem“ hilfreich sein, denn daraus könnten mutatis mutandis Kriterien für die Bestimmung von sperrwirkend funktionierenden ausländischen Entscheidungen entwickelt werden. Im Folgenden werden die verschiedenen Meinungen über die Kriterien, von denen das Merkmal der „Aburteilung“ abhängig gemacht wird, unter dem Aspekt des transnationalen „ne bis in idem“ dargestellt.
1. Entscheidendes Organ bzw. Urteilsform Einer restriktiven Meinung nach hängt die Frage, ob eine Straftat als abgeurteilt angesehen werden kann oder nicht, von dem Organ ab, das die Entscheidung getroffen hat69. Während Gerichtsurteile aufgrund ihrer Richtigkeitsgewähr70 eine sperrwirkende Funktion besitzen können, dürfen Entscheidungen von Verwaltungsbehörden, wie z. B. der Staatsanwaltschaft, für die Frage des transnationalen „ne bis in idem“ nicht berücksichtigt werden71. Der Umfang der Kognitionspflicht des Entscheidungsträgers, die Zuverlässigkeit der Methoden der Sachverhaltsaufklärung und die Notwendigkeit einer Begründung sind Faktoren, von denen die Frage der Richtigkeitsgewähr und der daraus folgenden Vertrauenswürdigkeit einer ausländischen Entscheidung abhängt, und die gegen die Berücksichtigung von staats68 s. beispielsweise Kühne, in: LR-StPO26, Einl. K Rn. 64 ff.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht27, § 52 Rn. 18 ff. 69 s. Schomburg, NJW 1995, S. 1931 ff. (1933). 70 Vgl. Böse, GA 2003, S. 744 ff. (752 f.). 71 BGH NJW 1999, S. 1270 ff. (1271); Wyngaert, NStZ 1998, S. 153 f.; Ebensberger, ÖJZ 1999, S. 171 ff. (182 f.); vgl. auch Schomburg, StV 1999, S. 246 ff.; BGHSt 45, S. 123 ff.; Gericht 1. Instanz Eupen, wistra 1999, S. 479 f.; BayObLG NStZ-RR 2001, 245 f.; Seitz, in: Göhler, Ordnungswidrigkeitenrecht16, § 84 Rn. 18.
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F. Charakteristika des transnationalen Doppelverfolgungsverbots
anwaltschaftlichen Entscheidungen beim transnationalen „ne bis in idem“ sprechen72. Gegen diese das transnationale „ne bis in idem“-Prinzip in übertriebenem Maße einengende Meinung wurden verschiedene Einwände erhoben. Das Abstellen auf eine solche Unterscheidung, nämlich zwischen gerichtlichen Entscheidungen und denen der Strafverfolgungsbehörden oder auch zwischen Gerichtsurteilen und sonstigen Entscheidungsformen, sei nicht gerechtfertigt, da es oft zufällig sei, in welchem Stadium und von welchem Organ ein Verfahren beendet werde73. Wurde dem Angeklagten in einem anderen Staat wegen derselben Tat eine Strafe durch die Zollbehörden auferlegt und hat er diese Strafe schon bezahlt, gebe es keinen Grund, den aburteilenden Charakter dieser Entscheidung zu verneinen und ein gerichtliches Urteil für den Eingriff des zwischenstaatlichen Doppelverfolgungsverbots zu verlangen74. Dies würde auch das oft auf nationaler Ebene verfolgte Ziel einer effektiven und schnellen Erledigung von Strafsachen mit geringerer Bedeutung durch die Verfolgungsbehörden verhindern, da der Angeklagte in solchen Fällen ein Interesse daran hätte, die Entscheidung des entsprechenden Organs anzufechten und nach einer gerichtlichen Entscheidung zu streben75. Dass das gerichtliche Sachurteil ebenso wenig als maßgebliches Kriterium für die Frage der Aburteilung angesehen werden kann, und dass im Gegenteil auch andere Urteilsformen, die z. B. vor der Hauptverhandlung erlassen werden, eine Sperrwirkung haben können, wird von dem überwiegenden Teil der Literatur vertreten76. In dieser Hinsicht sei zu berücksichtigen, dass die (vorgerichtliche) Einstellung des Verfahrens in der Regel bei weniger schweren Straftaten in Betracht kommt, während eine möglichst tiefschürfende Prüfung des Sachverhalts und eine Aburteilung mit Sachurteil meistens für die schwereren Straftaten verlangt wird. Eine dahingehende Begriffsbestimmung des Aburteilungsmerkmals, dass davon nur gerichtliche Sachurteile erfasst werden könnten, würde den Täter von schwereren Straftaten im Vergleich zu einem Delinquenten minder schwerer Straftaten privilegieren77.
72
(427). 73
Böse, GA 2003, S. 744 ff. (752 f.); vgl. ferner Radtke/Busch, EuGRZ 2000, S. 421 ff.
s. Kniebühler, Transnationales „ne bis in idem“, 2005, S. 217 f. LG Hamburg, wistra 1995, S. 358 ff. 75 Rübenstahl/Krämer, HRRS 2003, S. 65 ff. (68); Plöckinger/Leidenmühler, wistra 2003, S. 81 ff. (86); Kniebühler, Transnationales „ne bis in idem“, 2005, S. 217 f.; LG Hamburg, wistra 1995, S. 358 ff. (359). 76 s. beispielsweise Radtke/Busch, EuGRZ 2000, 421 ff. (426); Hecker, StV 2001, S. 306 ff.; Vogel/Norouzi, JuS 2003, S. 1059 ff. (1062); a.A. Grotz, StraFo 1995, S. 102. 77 EuGH Urt. v. 11. 2. 2003 (Gözütok u. Brügge), Rs. C-187/01, Rn. 39 f.; Ambos, Internationales Strafrecht4, § 10 Rn. 126; Kühne, JZ 1998, S. 876 ff. (879). 74
III. Vorherige Aburteilung (das „bis“)
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2. Rechtskraft nach dem Recht des Ersturteilsstaats Für die Bestimmung des Aburteilungsmerkmals beim transnationalen „ne bis in idem“ überwiegt in der Literatur die Meinung, dass maßgebliches Kriterium das Recht des Ersturteilsstaats ist78. Diese „nationalstaatsakzessorische“79 Fassung des Aburteilungsbegriffs wird aber nicht einheitlich verstanden, sondern sie wird in unterschiedlichen Alternativen vertreten. Entscheidend sei zunächst, ob und in welchem Umfang die konkrete Entscheidung einem erneuten Verfahren im Ersturteilsstaat entgegensteht. Da das „ne bis in idem“-Prinzip vor allem dem Schutz des Einzelnen diene, indem es sein Vertrauen in die Beständigkeit der erlassenen Entscheidung schütze, sei es sachgemäß, dass sich der Betroffene im Rahmen eines transnationalen „ne bis in idem“ entsprechend auf die zwischenstaatliche Beständigkeit der erlassenen Entscheidung in dem Umfang verlassen könne, in dem das nationale Recht dies erlaubt80. Hat eine Entscheidung nach dem Recht des Ersturteilsstaats nur eine beschränkte Rechtskraft, so könne das Verfahren in einem anderen Staat (nur) in dem Umfang und unter den Voraussetzungen wiederaufgenommen werden, die das Recht dieses Staates vorschreibt81. In der Literatur hat auch jene Meinung Anklang gefunden, welche auf das Recht des Erstentscheidungsstaats abstellt, um formelle und materielle Kriterien festzustellen, die für die Rechtskraftsfähigkeit von Entscheidungen im Rahmen des Strafverfahrens relevant sind82. Für das deutsche Strafverfahrensrecht z. B. würde sich dieser Meinung nach die Aburteilungskraft einer strafrechtlichen Entscheidung danach entscheiden, ob die relevante Entscheidung die Überzeugung des Richters von der Schuld des Angeklagten voraussetzt, wie weit die Kognitionspflicht bei dieser Entscheidung reicht, wie die Methoden der Sachverhaltsaufklärung des Verfahrens gestaltet sind und ob eine Begründung der verfahrenserledigenden Entscheidung zu erfolgen hat83. Das gerichtliche Sachurteil könne hier auch eine bedeutsame Rolle spielen, aber nur dadurch, dass es als Maßstab und Bezugspunkt für die Herleitung solcher Kriterien diene. 78 Hecker, StV 2001, S. 306 ff.; ders., Europäisches Strafrecht3, S. 474; Lagodny, NStZ 1997, S. 265 f.; Specht, Die Zwischenstaatliche Geltung des Grundsatzes ne bis in idem, 1999, S. 158; Radtke, NStZ 2001, 662 ff.; Plöckinger/Leidenmüller, wistra 2003, S. 81 ff. (83 ff.); Kniebühler, Transnationales „ne bis in idem“, 2005, S. 223; LG Hamburg, wistra 1995, S. 358 ff. (359); Rübenstahl/Krämer, HRRS 2003, S. 65 ff. (69); s. auch EuGH, Urt. v. 11. 2. 2003 (Gözütok u. Brügge), Rs. C-187/01, Rn. 25 ff. 79 Mansdörfer, Das Prinzip des ne bis in idem im europäischen Strafrecht, 2004, S. 149. 80 Mansdörfer, Das Prinzip des ne bis in idem im europäischen Strafrecht, 2004, S. 168 ff. und 248. 81 s. Hecker, StV 2001, S. 306 ff.; Specht, Die Zwischenstaatliche Geltung des Grundsatzes ne bis in idem, 1999, S. 158. 82 Radtke, NStZ 2001, S. 662 ff. (664). 83 Radtke/Busch, NStZ 2003, S. 281 ff. (287); Radtke, NStZ 2001, S. 662 ff. (664); vgl. auch ders., Zur Systematik des Strafklageverbrauchs verfahrenserledigender Entscheidungen im Strafprozess, 1994, S. 320 ff.; ders./Busch, EuGRZ 2000, S. 427 ff.
240
F. Charakteristika des transnationalen Doppelverfolgungsverbots
3. Meistbegünstigungstheorie Diese Theorie84 geht zunächst auch davon aus, dass die Rechtskraftwirkung der ersten Entscheidung nach dem Recht des Ersturteilsstaats für das transnationale „ne bis in idem“ maßgeblich ist und dass daher eine national rechtskräftige Entscheidung eine „erga omnes“ Wirkung hat. Falls die Entscheidung jedoch nach dem Recht des Ersturteilsstaats keine Rechtskraftwirkung besitzt, heiße das nicht ohne Weiteres, dass eine erneute Verfolgung möglich sei, sondern der Zweitverfolgungsstaat müsse dann darüber hinaus prüfen, ob die betroffene Entscheidung im Inland, wenn sie dort in gleicher Weise getroffen wäre, einen Strafklageverbrauch nach sich zöge. Kurz gefasst werde der Betroffene nicht mehr wegen derselben Tat verfolgt, „wenn die Erstentscheidung entweder im Entscheidungsstaat oder (wenn sie dort in gleicher Weise ergangen wäre) im anschließend die Strafverfolgung begehrenden Staat die Strafklage verbraucht“85.
4. Wiederaufnahme „propter nova“ (Minimal-Niveau-Lösung) Als „nationalstaatsakzessorisch“ könnte auch die Meinung bezeichnet werden, welche eine Lösung anhand der Wiederaufnahmegründe der verschiedenen Strafverfahrenssysteme vorschlägt86. Nach den verschiedenen Wiederaufnahmegründen könne die Rechtskraftintensität und daher die Endgültigkeit der jeweiligen Entscheidung festgestellt werden, was zunächst für deren transnationale Sperrwirkung maßgeblich ist. Die Feststellung der Rechtskraftintensität sei aber nur der erste Schritt. Um Wertungswidersprüche zu vermeiden, die sich aus den unterschiedlichen Verfahrensregelungen zwischen den Staaten ergeben könnten, müsse man darüber hinaus die Wiederaufnahmegründe der in Betracht kommenden Staaten vergleichen und nach dem „kleineren gemeinsamen Nenner“ suchen (Minimal-Niveau-Lösung). Das heißt: Ist eine bestimmte Entscheidung nach den inländischen Wiederaufnahmevoraussetzungen zunächst nicht als endgültig zu betrachten, könne sie trotzdem als endgültig gelten, wenn eine fremde Entscheidung, die unter den gleichen Voraussetzungen aufgehoben werden kann, nach dem dort geltenden Verfahrensrecht als endgültig gilt. Allgemeiner ausgedrückt sei somit eine Tat international abgeurteilt, wenn eine Entscheidung über sie getroffen sei, die angesichts der unterschiedlichen, in den verschiedenen Staaten geltenden Wiederaufnahmevoraussetzungen transnational rechtskraftfähiger Entscheidungen (mindestens) dem niedrigsten Niveau an Rechtskraftintensität entspricht. Wenn man z. B. hinsichtlich des europäischen „ne bis in idem“ die Wiederaufnahmevoraussetzungen des deutschen, französischen und 84
s. Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 304 ff. Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 305. 86 Bohnert/Lagodny, NStZ 2000, S. 636 ff.; so auch Eicker, Transstaatliche Strafverfolgung, 2004, S. 197 ff. und vor allem 205 ff. 85
III. Vorherige Aburteilung (das „bis“)
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österreichischen Prozessrechts berücksichtigen und in Kauf nehmen würde, dass nach dem österreichischen Recht die Rechtskraft eines Freispruchs – welcher eine transnationale Rechtskraftwirkung hat – aufgrund von neuen Tatsachen durchbrochen werden kann, müsste man dann davon ausgehen, dass im Rahmen des Art. 54 SDÜ generell solche Entscheidungen als transnational rechtskräftig angesehen werden können, bei denen eine Wiederaufnahme des Verfahrens nur (aber auch schon) bei Vorliegen neuer Tatsachen möglich ist87. Zu diesem Schluss, nämlich zu dem Abstellen auf die Wiederaufnahmemöglichkeit propter nova, führe auch Art. 4 Abs. 2 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK, wonach eine Wiederaufnahme bei Vorliegen neuer Tatsachen zulässig ist. Dieser Meinung nach gelangt man somit bei der Bestimmung des Aburteilungsmerkmals zu einem einheitlichen (hier europaweiten) Kriterium, das zwar an die verschiedenen nationalen Rechtssysteme anknüpft, im Ergebnis jedoch eine gemeinsame Lösung in Form eines allgemeinen Standards88 für alle (in Betracht kommenden) Staaten darstellt.
5. Vertrauen des Angeklagten (Qualifizierte Verfahrensbeendigung) Eine ebenfalls einheitliche Lösung vermittelt auch jene Meinung, welche als Kriterium für die transnational endgültige Aburteilung einer Tat eine Form „qualifizierter Verfahrensbeendigung“ im Strafverfahren verlangt89. Qualifiziert sei eine Verfahrensbeendigung ab dem Zeitpunkt, von dem an das Vertrauen des Individuums, keine internationale Strafverfolgung mehr befürchten zu müssen, hinreichend geschützt werden muss90. Dieser Zeitpunkt falle jedenfalls hinter den Abschluss der Ermittlungen durch die Untersuchungsbehörden und müsse hinreichend markant sein, um den Eindruck zu vermitteln, dass der Verfahrensgegenstand von einer der ermittelnden Behörde im Verfahrensablauf nachgeschalteten Institution eingehend gewürdigt wurde und als Ergebnis eine Entscheidung gefällt wurde, in der dem Angeklagten bzw. Betroffenen das Vertrauen vermittelt wird, dass der gegen ihn konkret erhobene Tatvorwurf grundsätzlich erledigt ist. Das notwendige Vertrauen sei aber nicht faktisch festzustellen, sondern ergebe sich normativ aus der nationalen Rechtsgrundlage, anhand derer die Entscheidung getroffen wird91. Nötig ist dafür, dass die Entscheidung nach einem Verfahren getroffen wird, in dem eine umfassende 87
Bohnert/Lagodny, NStZ 2000, S. 636 ff. (640); Eicker, Transstaatliche Strafverfolgung, 2004, S. 205 und 207. 88 Eicker, Transstaatliche Strafverfolgung, 2004, S. 216. 89 Vgl. auch Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 290. 90 Mansdörfer, Das Prinzip des ne bis in idem im europäischen Strafrecht, 2004, S. 168 f., bezieht sich auf Art. 54 SDÜ. 91 Mansdörfer, Das Prinzip des ne bis in idem im europäischen Strafrecht, 2004, S. 169.
242
F. Charakteristika des transnationalen Doppelverfolgungsverbots
Beweisaufnahme sowie die Trennung von ermittelnder und sanktionierender Institution vorgesehen ist92. Nach diesem Lösungsansatz wird das Problem der endgültigen Aburteilung aus der Sicht des Individuums betrachtet. Diese Meinung soll auch auf § 9 Nr. 1 IRG gestützt werden, wo ebenfalls auf die Art der Verfahrensbeendigung abgestellt wird93.
6. Kritik Wie schon erwähnt wurde, befürworten die meisten Autoren eine an dem Recht des Ersturteilsstaats und insbesondere an den innerstaatlichen Rechtskraftbestimmungen orientierte Lösung für die Bestimmung des Aburteilungsmerkmals als Voraussetzung für ein transnationales „ne bis in idem“-Prinzip. Zunächst ist anzumerken, dass das Abstellen auf die Rechtskraft des Ersturteilsstaates kein abschließendes Kriterium für die Annahme einer ausländischen Aburteilung sein kann. Die Rechtskraft einer Verfahrensentscheidung ist kein Merkmal, das man für alle Entscheidungen jeder in Betracht kommenden Rechtsordnung bejahen oder verneinen kann, sodass auch die Frage der „endgültigen Aburteilung“ davon abhängig gemacht werden könnte. Jedes Land sieht Fälle vor, in denen eine Entscheidung angefochten und das Verfahren wiederaufgenommen werden kann. In Deutschland kann beispielsweise jedes gerichtliche Urteil mittels §§ 359 ff. StPO aufgehoben und das Verfahren wiederaufgenommen werden, während andererseits selbst der staatsanwaltschaftlichen Einstellungsverfügung nach § 170 Abs. 2 StPO im Schrifttum teilweise eine gewisse Bestandskraft zugesprochen wird94. Es geht somit bei der Rechtskraft um ein Merkmal, das bei der jeweiligen Entscheidung sowohl unterschiedlichen Maßes als auch unterschiedlicher Art sein kann. Es fehlt in diesem Sinne hier eines weiteren Kriteriums, anhand dessen zu entscheiden wäre, welcher Art oder welchen Maßes die Rechtskraft der fremden Entscheidung sein muss, damit die Tat auch im Ausland als abgeurteilt gilt. Sieht man über dieses Gegenargument hinweg, begegnet die herrschende Meinung trotzdem weiteren gerechtfertigten Einwänden, die auch für den SchengenRaum gelten, wo das zwischenstaatliche Doppelverfolgungsverbot vertraglich geregelt ist, und worauf sich die diesbezügliche Argumentation meistens bezieht. Obwohl man nämlich auf europäischer Ebene von einer gewissen Rechtsharmonisierung oder zumindest von einer Vergleichbarkeit der verschiedenen Verfahrens92
Mansdörfer, Das Prinzip des ne bis in idem im europäischen Strafrecht, 2004, S. 170. Mansdörfer, Das Prinzip des ne bis in idem im europäischen Strafrecht, 2004, S. 169; Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 290; vgl. dazu Lagodny/ Schomburg, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen5, § 9 IRG Rn. 7. 94 s. Loos, JZ 1978, S. 592 ff. (594); Rieß, in: LR-StPO24, § 170 Rn. 45 ff.; GraalmannScheerer, in: LR-StPO26, § 170 Rn. 50 f.; Neu-Berlitz, Bestandskraft der Einstellungsverfügung nach § 170 II 1, 1973; Hilger, JR 1985, 93 ff. 93
III. Vorherige Aburteilung (das „bis“)
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ordnungen und „Rechtskraft-Standards“ ausgehen kann, bleibt die Anwendung bzw. die Reichweite des „ne bis in idem“-Grundsatzes im Ergebnis dem Zufall überlassen. Die Anknüpfung des Aburteilungsmerkmals an die Rechtskraft der vorangegangenen Entscheidung nach dem Recht des Erstverfolgungsstaates würde das zwischenstaatliche Doppelverfolgungsverbot davon abhängig machen, in welchem Staat die Erstverfolgung stattgefunden hat95. Angesichts eines universellen „ne bis in idem“ erscheint diese Lösung noch problematischer, vor allem wenn man berücksichtigt, dass die Erstverurteilung in einem Land stattfinden kann, das sehr niedrige Rechtskraft-Standards kennt und bei einer erneuten inländischen Verfolgung ein niedriges Schutzniveau bietet. Es wäre falsch, die Garantie gegen eine erneute internationale Verfolgung von der im Ersturteilsstaat garantierten Rechtskraftintensität abhängig zu machen und dadurch das eventuell niedrige Schutzniveau auf internationaler Ebene in das transnationale „ne bis in idem“ zu übertragen. Das Problem des „zufällig garantierten Niveaus“ kann auch nicht dadurch gelöst werden, dass zusätzlich bzw. alternativ zum Recht des Erstverfolgungsstaates auf das Recht des Zweitverfolgungsstaats abgestellt wird, was aber von der Meistbegünstigungstheorie so vertreten wird96. Das führt lediglich dazu, dass die Frage der Aburteilung von einem weiteren, wiederum zufälligen Faktor abhängig gemacht wird, nämlich in welchem Staat die erneute Verfolgung stattfinden soll. Vermag dies in einem gewissen Maße den allgemeinen Zufallsfaktor einzuengen, kann es aber nicht den Schluss rechtfertigen, dass „Fälle unterschiedlichen Strafklageverbrauchs in der Praxis nicht allzu häufig auftreten“97. Gegen diese Theorie lässt sich außerdem einwenden, dass der Vergleich zwischen Rechtsinstitutionen von verschiedenen Rechtsordnungen wegen der oft großen Unterschiede nicht nur praktisch unmöglich sein kann, sondern dass so etwas auch falsch ist. Denn man muss die Rechtsinstitutionen eines bestimmten Staates als Teile eines vollkommenen Strafverfahrenssystems betrachten, was deren ausschnittweisen Vergleich mit Rechtsinstitutionen eines anderen Verfahrenssystems entgegensteht. Dass eine bestimmte Entscheidungsform in einem Staat keine Rechtskraftwirkung besitzt, kann auf Gründen basieren oder mit Faktoren zusammenhängen, die für das Strafverfahrenssystem eines anderen Staates nicht gegeben sind, auch wenn dieser über eine vergleichbare oder auch identische Form der Verfahrensbeendigung verfügt. Wenn z. B. nach dem Verfahrensrecht beider in Betracht kommenden Staaten eine Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft wegen Geringfügigkeit möglich ist, diesem Rechtsakt jedoch nur im Zweitverfolgungsstaat eine Rechtskraftwirkung zugesprochen wird, dann wäre eine pauschale Bejahung des Aburteilungsmerkmals ohne nähere Überprüfung der Rolle der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren des Ersturteilsstaats oder der Natur der Einstellungsentscheidung eventuell unangemessen. 95 Eicker, Transstaatliche Strafverfolgung, 2004, S. 159 f.; vgl. auch Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 305; Radtke/Busch, NStZ 2003, S. 281 ff. (286). 96 Dagegen auch Eicker, Transstaatliche Strafverfolgung, 2004, S. 177. 97 So aber Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 306 Fn. 1237.
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F. Charakteristika des transnationalen Doppelverfolgungsverbots
Die vorangegangene Kritik trifft auch für die „propter nova“-Lösung zu. Einerseits stellt sie auch auf das Recht des Ersturteilsstaats ab, ohne dabei ein allgemeingültiges Kriterium dafür festzulegen, wann eine Entscheidung als endgültig anzusehen ist, während sie andererseits ebenfalls einen Vergleich zwischen Entscheidungsformen und Institutionen von verschiedenen Staaten und Verfahrenssystemen verlangt. Besondere Probleme ergeben sich hier meines Erachtens außerdem daraus, dass die Suche nach dem „kleineren gemeinsamen Nenner“ eine Bewertung und Einstufung der Rechtskraftintensität verschiedener Entscheidungsformen voraussetzt, um das niedrigere Niveau festzustellen98. Die Wiederaufnahmevoraussetzungen von verschiedenen Entscheidungen können aber so unterschiedlich sein, dass man nicht immer von niedrigeren oder höheren „Hürden“ reden kann. Als Beispiel soll hier eine hypothetische Konstellation von zwei verschiedenen Staaten dienen: Das Verfahrensrecht des einen Staates sieht eine große Zahl von Wiederaufnahmegründen vor, es wird jedoch für die Wiederaufnahme des Verfahrens ein sehr hoher Wahrscheinlichkeitsgrad bezüglich der Änderung der auferlegten Strafe verlangt. Es muss nämlich eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit bestehen, dass die auferlegte Strafe sich als zu niedrig erweisen wird. Der andere Staat stellt zwar für die Wiederaufnahme des Verfahrens auf ganz bestimmte und eng gefasste Gründe ab, lässt aber die bloße Möglichkeit genügen, dass eine höhere Strafe auferlegt wird. Es kann hier keine klare Antwort geben, in welchem der beiden Fälle die Rechtskraftintensität höher ist. Die Meinung schließlich, welche die endgültige Aburteilung als eine „qualifizierte Verfahrensbeendigung“ versteht, und zwar im Sinne einer Entscheidung, von deren Herbeiführung an das Vertrauen des Individuums geschützt werden muss, geht von einem richtigen Ansatzpunkt, d. h. von der die Individualrechte schützenden Funktion des transnationalen Doppelverfolgungsverbots, aus. Sie gelangt aber im Ergebnis zu einem sehr engen Verständnis dieses Merkmals. Es wird zwar klargestellt, dass der eventuelle Verzicht auf die zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel in bestimmten Fällen nicht zum Nachteil des Betroffenen gereichen und dessen Rechtssicherheit beeinträchtigen solle, das wird aber nicht für die Fälle akzeptiert, in denen der Verzicht vom Gesetzgeber vorgesehen und somit institutionalisiert ist. Das Aburteilungsmerkmal wird in diesem Sinne selbst bei den gerichtlichen Entscheidungen verneint, die den Betroffenen aufgrund eines Prozesshindernisses wie der Verjährung freisprechen (als Beispiel wird auf den Formalfreispruch nach österreichischem Recht verwiesen)99. Das ist meines Erachtens falsch. Es ist nicht nachvollziehbar, warum die prozessökonomische Entscheidung des Gesetzgebers, den Sachverhalt nicht näher zu erforschen, sondern das Verfahren schon aufgrund des Prozesshindernisses zu beenden und den Angeklagten freizusprechen, dem Betroffenen zum Nachteil gereichen darf. In dieser Hinsicht ist generell auf die oben aufgeführte Kritik an der Meinung zu verweisen, die ein gerichtliches Sachurteil für 98
s. Bohnert/Lagodny, NStZ 2000, S. 636 ff. (640). Mansdörfer, Das Prinzip des ne bis in idem im europäischen Strafrecht, 2004, S. 171 (und Fn. 144). 99
III. Vorherige Aburteilung (das „bis“)
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die transnationale Erledigung eines Prozesses verlangt. Außerdem mag es möglich sein, dass das weitere Erfordernis einer Trennung zwischen ermittelnden und sanktionierenden Institutionen im Schengen-Raum aufgrund der Harmonisierung angesichts des Akkusationsprinzips keine Schwierigkeiten bereitet, es gibt aber keinen Grund, auf internationaler Ebene auf ein solches Kriterium abzustellen und Entscheidungen von Ländern mit einem (eher) inquisitorischen Verfahrenssystem vom „Geltungsbereich“ des transnationalen Doppelverfolgungsverbots auszuschließen.
7. Stellungnahme Aus dem Vorangegangenen lässt sich ableiten, dass für die Bestimmung des Begriffs der Aburteilung ein allgemeines, universal anwendbares Kriterium zu bevorzugen ist. Dieses Kriterium knüpft zwar an den Charakter der Erstentscheidung an, die Kritik gegen das Abstellen auf das Recht des Ersturteilsstaates hat jedoch gezeigt, dass ein solches Merkmal nicht in den Wiederaufnahmevoraussetzungen und der innerstaatlichen Rechtskraftintensität gesucht werden kann. Nach dem Recht vieler Staaten (darunter auch Deutschland) kann das Verfahren unter bestimmten, strengeren oder milderen Voraussetzungen selbst nach einem gerichtlichen Sachurteil wiederaufgenommen werden, so dass man nie von einer in diesem Sinne „endgültigen“ Aburteilung sprechen könnte. Es ist also davon auszugehen, dass das transnationale „ne bis in idem“-Prinzip selbst in den Fällen eingreifen kann, in denen eine erneute oder weitere Verfolgung im Ersturteilsstaat möglich ist. Es trifft somit (auch) in dieser Hinsicht zu, dass das transnationale und das innerstaatliche „ne bis in idem“ nicht unbedingt einen deckungsgleichen Umfang haben müssen100. Die Untersuchung muss sich also ausschließlich auf den Begriff der Aburteilung konzentrieren und nicht auf die Endgültigkeit der Entscheidung. Das entspricht auch der Funktion des transnationalen ne bis in idem. Die erneute Verfolgung stellt einen tiefgreifenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen dar, weil er davor von einem anderen Staat wegen derselben Tat „inkulpiert“ worden ist und diese Inkulpation101 durch einen Rechtsakt des (ersten) Staates offiziell beendet bzw. beseitigt worden ist, sodass sich der Betroffene darauf verlassen konnte, dass die Sache erledigt war. Maßgeblich für die Aburteilung ist in diesem Sinne allein der Rechtsakt des Ersturteilsstaats mit dem er auf die Inkulpationsfrage antwortet. Für die Konkretisierung dieses Rechtsaktes muss meines Erachtens auf den Zweck des Strafverfahrens abgestellt werden102. Wenn aufgrund einer konkreten 100
Kühne, JZ 2004, S. 743 f. (744); Mansdörfer, Das Prinzip des ne bis in idem im europäischen Strafrecht, 2004, S. 166 f. 101 Darüber s. weiter oben, B.IV.2.a). 102 Auf den Prozesszweck abstellend auch Petropoulos, in: FS-Schöch, 2010, S. 857 ff. (870 ff.).
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F. Charakteristika des transnationalen Doppelverfolgungsverbots
Straftat ein Verfahren mit einem bestimmten Zweck eingeleitet wird, kann dieses Verfahren als beendet angesehen werden, sobald eine Entscheidung getroffen ist, die diesen Zweck als erreicht erscheinen lässt. Da, wie vorher angenommen wurde, das Ziel des Strafverfahrens die Herstellung von Rechtsfrieden ist, muss eine Tat als abgeurteilt betrachtet werden, sobald eine Entscheidung getroffen wurde, welche objektiv einen dem Rechtsfrieden dienenden Charakter für sich beansprucht. Es muss aber in Erinnerung gebracht werden, dass der Rechtsfrieden hier nicht im herkömmlichen Sinne betrachtet wird, nämlich als der Ausgleich zwischen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit, sondern als das Ausbalancieren zwischen staatlicher Schutzpflicht und Achtungspflicht103. Wenn daher unter dem Begriff „Schutzpflicht“ die Durchsetzung des Strafrechts zum präventiven Schutz von Rechtsgütern (unter Beachtung der Grundrechte der Verfahrensbeteiligten) zu verstehen ist104, dann muss jeder Entscheidung eine sperrwirkende Funktion zugeschrieben werden, die ihrem objektiven Zweck nach diese Pflicht in dem konkreten Fall, d. h. angesichts der verfolgten Tat und des bestimmten Täters, erfüllen soll. Eine Aburteilung ist somit nicht nur in einer Entscheidung zu sehen, die dem Angeklagten dieser Pflicht halber eine Strafe auferlegt, sondern auch in einer Entscheidung, die das Fehlen dieser Pflicht feststellt, z. B. weil kein hinreichender Verdacht gegen den Betroffenen festzustellen war, oder weil die Straftat verjährt ist. Welches Organ diese Entscheidung trifft, ob sie also von den Verfolgungsbehörden oder von der richterlichen Gewalt gefällt wird, in welchem Stadium des Verfahrens sie getroffen wird, und wie schwierig es ist, sie anzufechten, spielt es keine Rolle. Man könnte für die Feststellung dieser Rechtsfrieden schaffenden Funktion der in Betracht kommenden Entscheidung auf ein praktisches Kriterium abstellen: Eine Entscheidung besitzt diese Eigenschaft, wenn nach ihr keine weitere Entscheidung für die Herstellung des Rechtsfriedens nötig ist. Der Rechtsfrieden ist nämlich als durch eine Entscheidung erfüllt zu betrachten, wenn für den Fall, dass keine andere Entscheidung getroffen wird, die staatlichen Pflichten angesichts der vorgeworfenen Straftat als erfüllt anzusehen sind. Aus diesem Grund sind Rechtsakte, wie z. B. die staatsanwaltschaftliche Entscheidung zur Einstellung des Verfahrens nach Erfüllung von Auflagen (in Deutschland § 153a StPO), als verfahrensbeendende und somit für das transnationale „ne bis in idem“ zu berücksichtigende Entscheidungen zu betrachten, obwohl in diesen Fällen die Sachlage eventuell nicht umfassend genug geklärt wird und sie vielleicht in bestimmten Ländern nicht in volle Rechtskraft erwachsen. Das Gleiche ist auch für eine Einstellung des Verfahrens mangels hinreichenden Tatverdachts gegen die verfolgte Person anzunehmen (§ 170 Abs. 2 StPO), da auch damit offiziell vermittelt wird, dass der Vorwurf gegen den Beschuldigten keinen (hinreichenden) Bestand hat und dass in dieser Hinsicht keine Pflicht zur weiteren Verfolgung besteht. Selbst solchen Entscheidungen kommt also normativ betrachtet eine Rechtsfrieden schaffende Funktion zu. Eine weitere Ent103 104
s. weiter oben, B.II.5.b). s. weiter oben, B.III.2.b).
IV. Vollstreckungselement
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scheidung wäre für diesen Zweck nicht mehr nötig. Nur in diesem Sinne könnte eine Entscheidung als „endgültig“ bezeichnet werden: nicht weil sie nicht mehr oder nur unter strengen Voraussetzungen angefochten werden kann, sondern weil dem Verfahrenszweck nach keine weitere Entscheidung nötig ist. Selbstverständlich sind dieser Ansicht nach Fälle denkbar, in denen die erste Entscheidung aufgrund des transnationalen „ne bis in idem“ leichter im Erst- als im Zweiturteilstaat angefochten werden könnte. Somit könnte man behaupten, diese Entscheidung hätte eine „stärkere“ Sperrwirkung im Ausland als im Inland. Eine solche Kritik wäre aber unzutreffend. Zunächst kann man nicht von einer stärkeren Sperrwirkung sprechen, solange es Fälle gibt, wo die erneute transnationale Verfolgung trotz endgültiger Aburteilung derselben Tat möglich ist (Territorialitätsprinzip, Staatsschutzprinzip). Darüber hinaus geht man zwar sowohl beim transnationalen als auch beim innerstaatlichen „ne bis in idem“ von der gleichen Überlegung aus, nämlich dem Schutz des Einzelnen vor ungerechtfertigten Neuverfolgungen, die zwei Prinzipien werden aber von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst und ausgestaltet. Unterschiede beim Geltungsumfang des jeweiligen Prinzips sind in diesem Sinne denkbar und gerechtfertigt. Schließlich gibt es keinen Grund, das transnationale „ne bis in idem“ als ein dem nationalen „ne bis in idem“ untergeordnetes Institut zu betrachten, weswegen man die Reichweite des Ersteren nicht von der Reichweite des Letzteren abhängig machen kann. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass als endgültige Aburteilung ein staatlicher Rechtsakt anzusehen ist, der nach einem Inkulpationsakt eintritt und diesbezüglich normativ betrachtet den Verfahrenszweck, Rechtsfrieden zu schaffen, erfüllt.
IV. Vollstreckungselement Sowohl nationale Gesetze105 als auch internationale Verträge106, die ein zwischenstaatliches Doppelverfolgungsverbot vorsehen, beinhalten ein sogenanntes Vollstreckungselement107. Es wird ausdrücklich als zusätzliche Voraussetzung für die Anwendung des „ne bis in idem“-Prinzips verlangt, dass die Strafe im Falle einer Verurteilung bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nicht mehr
105 s. z. B. Art. 9 griechStGB (Poinikos Kodikas) oder Art. 13 des belgStPO (Loi du 17 avril 1878 contenant le titre préliminaire du Code de procédure pénale). 106 s. Art. VII Abs. 8 NATO-Truppenstatut (Abkommen vom 19. Juni 1951 zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen) sowie Art. 54 SDÜ; Ohne dieses Merkmal ist jedoch Art. 50 Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 7. 12. 2000. 107 s. allgemein Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 284 ff.; Specht, Zwischenstaatliche Geltung des Grundsatzes ne bis in idem, 1999, S. 164 ff.
248
F. Charakteristika des transnationalen Doppelverfolgungsverbots
vollstreckt werden kann108. Eine Auseinandersetzung mit diesem Merkmal erscheint aus diesem Grund auch für den vorliegenden Lösungsansatz nötig. Ziel dieser Voraussetzung ist, dass das zwischenstaatliche Doppelverfolgungsverbot nicht dahingehend missbraucht wird, dass der von einem bestimmten Land Verurteilte, der seine Strafe (noch) nicht verbüßt hat, in ein Land flieht, das ihn zwar aufgrund des Doppelverfolgungsverbots nicht verfolgen kann, andererseits aber auch nicht an den Ersturteilsstaat ausliefern kann (z. B. weil er Staatsangehöriger dieses Zweitverfolgungsstaats ist), so dass er am Ende straflos bleibt109. Das scheint der einzige Grund für die Annahme dieser zusätzlichen Voraussetzung bei dem transnationalen „ne bis in idem“ zu sein. Das Problem des Missbrauchs des transnationalen Doppelverfolgungsverbots könnte aber gelöst werden, wenn der Zweitverfolgungsstaat bereit wäre, eine positive Wirkung der Entscheidung des Ersturteilsstaats anzuerkennen, indem er selbst die verurteilende Entscheidung vollstreckt. So etwas ist in Deutschland unter den Voraussetzungen der §§ 48 ff. IRG möglich. In solchen Fällen, in denen die Vollstreckung der ausländischen Entscheidung im Inland möglich ist, besteht kein Grund, das transnationale „ne bis in idem“ aufgrund der fehlenden ausländischen Vollstreckung als nicht anwendbar anzusehen. Das Vollstreckungselement hat in diesem Sinne keine dogmatische Anknüpfung an das Doppelverfolgungsverbot, sondern gilt ausschließlich als Sicherheitsklausel für die Vermeidung von Missbrauchsmöglichkeiten. Es wäre daher richtiger, es nicht als eine weitere Voraussetzung für die Anwendung des „ne bis in idem“ zu betrachten, sondern umgekehrt als eine Grenze für dessen Anwendbarkeit anzusehen110. Es soll demzufolge dahingehend interpretiert werden, dass die Anwendung des „ne bis in idem“-Prinzips ausnahmsweise zu verneinen ist, wenn der schon im Ausland Verurteilte der ausländischen Strafvollstreckung entgangen ist, sich im Zweiturteilsstaat befindet und seine Auslieferung in den Ersturteilsstaat sowie die Vollstreckung der ausländischen Strafe im Inland nicht möglich sind. Nur in diesem Fall könnte die Gefahr der Straflosigkeit des Verurteilten eine Ausnahme vom „ne bis in idem“-Prinzip rechtfertigen111.
108
So in Art. 54 SDÜ. Mylonopoulos, in: Sustglatij^ Eqlgme_a tou Poimijo} J~dija (Systematischer Kommentar des StGB), 2005, Art. 9 Rn. 3 (auf Griechisch); Hecker, Europäisches Strafrecht5, S. 481; Kniebühler, Transnationales „ne bis in idem“, 2005, S. 367; s. auch Böse, GA 2011, S. 504 ff. (508). 110 Ähnlich Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 286. 111 Gegen das Vollstreckungselement im Rahmen des europäischen „ne bis in idem“ Böse, GA 2011, S. 504 ff. 109
V. Zwischenergebnis
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V. Zwischenergebnis In diesem Kapitel wurden die konkreten Merkmalen des transnationalen „ne bis in idem“-Prinzips, nämlich die Fragen der Tatidentität, der endgültigen Aburteilung und der Voraussetzung der Vollstreckung der auferlegten Strafe untersucht. Was den Begriff der Tatidentität angeht, wurde festgestellt, dass das Abstellen auf das jeweils verfolgte Delikt unzutreffend ist, weil dies nicht nur mit der Funktion des transnationalen „ne bis in idem“-Prinzips unvereinbar wäre, sondern vielmehr Möglichkeit zu seiner Umgehung eröffnen würde. Von einem „faktischen Tatbegriff“ im Rahmen einer wissenschaftlichen Disziplin wie dem Straf(prozess)recht kann darüber hinaus auch nicht die Rede sein. Die vorgeschlagenen normativen Kriterien zur Ergänzung des „faktischen Tatbegriffs“ bieten ebenfalls keine zufriedenstellende Lösung. Ausgangspunkt für die Bestimmung des Tatbegriffs und daher des Merkmals der Tatidentität muss vielmehr der materiellrechtliche Handlungsbegriff sein. Was für das materielle Strafrecht eine Handlung darstellt, muss auch im Rahmen des Strafprozesses als eine Handlung betrachtet werden. Als nicht zufriedenstellend sind ebenso die bisher vorgeschlagenen Lösungen zum Aburteilungsmerkmal anzusehen. Die Antwort auf die Frage, wann die Entscheidung eines bestimmten Staatsorgans einen Prozess in dem Sinne beendet, dass sie auch von einer anderen Rechtsordnung als Aburteilung der entsprechenden Straftat anerkannt werden muss, hängt vom Ziel des Strafprozesses ab. Als verfahrensbeendende Entscheidungen, die einen transnationalen „ne bis in idem“-Effekt haben können, sind alle Entscheidungen zu betrachten, welche die Ziele des Strafverfahrens (normativ betrachtet) erreichen sollen, d. h. welche ihrer Natur nach rechtsfriedensherstellend funktionieren, so dass das prozessuale Ziel als erreicht angesehen werden kann, falls keine weitere Entscheidung in dieser Sache getroffen wird. Schließlich wurde festgestellt, dass die oft in bi- und multilateralen Völkerrechtsverträgen beinhaltete Voraussetzung, dass die Strafe im Falle einer vorherigen Verurteilung auch vollstreckt werden muss, damit das transnationale „ne bis in idem“-Prinzip eingreift, kein echtes Merkmal des Doppelverfolgungsverbots ist. Sie stellt vielmehr ein „Sicherheitsventil“ gegen die Gefahr dar, dass der im Ausland Verurteilte flieht und, obwohl er seine Strafe nicht verbüßt hat, aufgrund des transnationalen Doppelverfolgungsverbots nicht wieder verfolgt werden könnte und somit straflos bliebe. Aus der Funktion des Vollstreckungselements zur Vermeidung von Missbrauchsmöglichkeiten ergibt sich, dass dieses Merkmal nur dann anwendbar ist, wenn die zuvor erwähnte Gefahr tatsächlich besteht. Somit kann das Vollstreckungselement die Anwendung des transnationalen „ne bis in idem“ nur dann verhindern, wenn weder die Auslieferung des Verurteilten in den Erstverfolgungsstaat noch die Vollstreckung der ausländischen Entscheidung möglich sind.
G. Weitere Lösungsversuche Ein weltweit geltendes transnationales „ne bis in idem“-Prinzip wird zwar nur von wenigen Autoren angenommen, die mehrmalige internationale Verfolgung wird aber trotzdem von einem großen Teil der Literatur als Problem anerkannt. Zur Lösung dieses Problems sind verschiedene Systeme vorgeschlagen worden. Im Folgenden finden eine analytische Darstellung dieser Lösungsansätze und eine kritische Gegenüberstellung mit der vorliegenden Betrachtungsweise statt. Die verschiedenen Meinungen zur Vermeidung der Doppelverfolgungsgefahr auf internationaler Ebene könnte man in zwei Kategorien einordnen. Zum einen handelt es sich um Versuche, das Problem schon auf einer früheren Stufe zu lösen, indem man ein System entwickelt, nach dem positive Kompetenzkonflikte möglichst vermieden werden. Andererseits geht es um Lösungsansätze, welche die Regelung dieses Themas nur durch zwischenstaatliche Abkommen – d. h. de lege ferenda – als möglich ansehen.
I. Vermeidung von positiven Kompetenzkonflikten Die Gefahr einer transnationalen mehrfachen Strafverfolgung ergebe sich vielen Autoren nach aus der Tatsache, dass für die relevante Straftat mehrere Staaten einen hinreichenden Anknüpfungspunkt geltend machen, was zu einem positiven Kompetenzkonflikt bzw. Jurisdiktions- oder Strafgewaltskonflikt führe1. Diese Gefahr könnte in diesem Sinne gemindert werden oder sogar gänzlich gebannt werden, wenn für jede Straftat nur ein Staat zuständig wäre, wenn sich also von vornherein kein Kompetenzkonflikt ergeben könnte. Meinungsunterschiede bestehen hier angesichts der Bestimmung der jeweils zuständigen Strafgewalt.
1
s. Ambos, Internationales Strafrecht4, § 4 Rn. 10.
I. Vermeidung von positiven Kompetenzkonflikten
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1. Hierarchisierung der Anknüpfungspunkte a) Meinungsdarstellung Einer sehr verbreiteten Meinung nach2 soll das Problem der Gefahr mehrfacher Verfolgung auf internationaler Ebene durch eine Hierarchisierung der Anknüpfungspunkte gelöst werden. Bei einem positiven Kompetenzkonflikt soll dann nur derjenige Staat zur Verfolgung befugt sein, der den hierarchisch höheren Anknüpfungspunkt zu der Tat geltend macht. Wie die Anknüpfungsprinzipien zu hierarchisieren seien, ergebe sich ausschließlich aus dem Völkerrecht, konkret indem man die Bedeutung und Stärke eines Anknüpfungspunktes zu dem jeweiligen Grad völkerrechtlicher Anerkennung in Beziehung setze. Aus dem mit der Hierarchisierung der Anknüpfungspunkte verfolgten Zweck ergebe sich als wichtiges Kriterium auch die Fähigkeit des jeweils in Frage kommenden Prinzips zur Vermeidung oder Verursachung von positiven Jurisdiktionskonflikten3. Als Basis der Hierarchisierung sollen zunächst die von Judge Fitzmaurice im „Barcelona Traction“-Fall aufgestellten Verhaltensregeln dienen: Nach ihm erlege das Völkerrecht zwar den Staaten keine festen Regeln zur Abgrenzung der verschiedenen nationalen Strafgewalten auf und überlasse ihnen in dieser Hinsicht einen weiten Freiraum; trotzdem postuliere es aber einerseits die Existenz von Grenzen und verlange andererseits von jedem Staat, dass er bei der Erstreckung des Geltungsbereichs seines Strafrechts in Fällen extraterritorialer Strafgewalt maßvoll und zurückhaltend vorgeht und dass er unangemessene Eingriffe in eine geeignetere fremde Strafgewalt unterlässt4. Daraus ergebe sich ein Vorrang der Prinzipien territorialer Anknüpfung gegenüber denen extraterritorialer Anknüpfung. Die erste Folgerung sei in diesem Sinne der Vorrang des Territorialitätsprinzips gegenüber den restlichen Anknüpfungsprinzipien, denn dieses Prinzip genieße nicht nur ein Höchstmaß an völkerrechtlicher Anerkennung, sondern vermeide auch Jurisdiktionskonflikte. Einen höheren Rang gegenüber den anderen Anknüpfungspunkten genieße auch der Flaggengrundsatz, der auch einen territorialen Bezug hat und, wie sich aus Art. 27 SRÜ5 ergebe, sogar einen prinzipiellen Vorrang gegenüber dem Territorialitätsprinzip i. e.S. hat. Der Auswirkungsgrundsatz stelle zwar ebenfalls einen territorialen Anknüpfungspunkt dar und geht deswegen den restlichen Prinzipien vor, im Vergleich zu dem Territorialitätsprinzip i. e.S. biete er aber eine 2
Ambos, Internationales Strafrecht4, § 4 Rn. 10; ders., in: MK-StGB2, Vor §§ 3 – 7 Rn. 56 ff.; Feller, Israel Law Review 1981 – 1982, S. 40 ff.; vgl. auch Donnadieu de Vabres, Annuaire de l’Institut de Droit International 43, Bd. 2, S. 260; Herdegen, ZaöRV 1987, S. 221 ff. (235 f.); Oxman, EPIL, Bd. III, 1997, S. 55 ff. (59); Für eine Hierarchisierung jedoch im Zusammenhang mit anderen Faktoren auch Hecker, ZIS 2011, S. 60 ff. (62). 3 Dazu sowie generell zu dem im Folgenden dargestellten Vorgang s. Ambos, Internationales Strafrecht4, § 4 Rn. 10; ders., in: MK-StGB2, Vor §§ 3 – 7 Rn. 56 ff. 4 Fitzmaurice, Seperate Opinion (Barcelona Traction), ICJ Reports 1970, S. 64 ff. (105). 5 Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982.
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G. Weitere Lösungsversuche
schwächere Anknüpfung, da er eine Tatbestandsverwirklichung an mehr als einem Tatort impliziere, was zu einer Konkurrenz zwischen dem Handlungs- und dem Erfolgsort bzw. mehreren Erfolgsorten führe. Was die restlichen Anknüpfungspunkte, nämlich die Prinzipien extraterritorialer Anknüpfung, und ihre Rangfolge untereinander angeht, müsse man wieder auf den Grad der jeweiligen völkerrechtlichen Anerkennung sowie auf die diesen „Grundsätzen zugrundeliegenden Grundgedanken“ abstellen6. Demgemäß könne man danach differenzieren, ob mit dem jeweiligen Anknüpfungspunkt eigene, fremde oder originär völkerrechtliche Interesse verfolgt werden. Die Verfolgung eigener Interessen bedeute, dass die Ausübung der Strafgewalt zum Selbstschutz des Staates erfolge, ein Grundgedanke, der auch die Grundsätze territorialer Anknüpfung kennzeichne. Aufgrund dieses gemeinsamen Grundgedankens, sei das Realprinzip, mit dem vor allem der Schutz des staatlichen Hoheitsgebiets bezweckt werde, mit dem Territorialitätsgrundsatz „strukturell vergleichbar“, was wiederum die Annahme rechtfertige, dass die zwei Anknüpfungspunkte, nämlich das Territorialitätsund das Realprinzip, im Ergebnis den gleichen Rang genießen sollen. Aus dem gleichen Grund könne man des Weiteren davon ausgehen, dass das Realprinzip einen Vorrang gegenüber anderen Anknüpfungspunkten habe, die nur mittelbar dem Selbstschutz des Staates dienen, wie z. B. das aktive oder passive Personalitätsprinzip. Bei den letztgenannten Fällen verfolgt der Staat vor allem fremde Interessen, nämlich die des Tatortstaates. Bloß in dem aktiven Personalitätsprinzip sei ein individualrechtlicher Schutzzweck zu sehen, was auf seinen Vorrang gegenüber dem passiven Personalitätsprinzip hindeute. Ausschließlich fremde Interessen werden darüber hinaus mit dem Grundsatz der stellvertretenden Strafrechtspflege verfolgt, was zu dem Schluss führe, dass er „gänzlich subsidiär“ sei. Von dem System der Anknüpfungsprinzipien getrennt zu behandeln sei der Weltrechtsgrundsatz, da er nicht auf den Schutz von staatlichen Interessen abziele, sondern auf dem Gedanken beruhe, der Staatengemeinschaft selbst zustehende Rechte durchzusetzen. Trotz dieser völkerrechtlichen Dimension erfolge aber die Verfolgung auch hier dezentral, nämlich durch die Nationalstaaten, was wieder zu Jurisdiktionskonflikten führen könnte. Man könnte aus diesem Grund von einer Subsidiarität des Weltrechtsgrundsatzes gegenüber dem Territorialitätsgrundsatz ausgehen, diese wäre jedoch in diesem Fall sowohl aus praktischen als auch aus rechtlichen Gründen zweifelhaft. Einerseits sei damit zu rechnen, dass der Tatortstaat bei Fällen des Universalitätsprinzips verfolgungsunwillig oder verfolgungsunfähig sein könne, während auf der anderen Seite kein Grund bestehe, die durch das Weltrechtsprinzip verfolgten völkerrechtlichen Interessen niedriger einzustufen als die durch die restlichen Anknüpfungsprinzipien verfolgten nationalen Interessen. Abstellend auf Art. 17 IStGH-Statut sei aus diesen Gründen von einer bedingten Subsidiarität auszugehen. Der Weltrechtsgrundsatz trete in diesem Sinne gegenüber dem Territorialitäts- sowie Personalgrundsatz zurück, es sei denn, die betreffenden 6
Ambos, in: MK-StGB2, Vor §§ 3 – 7 Rn. 57.
I. Vermeidung von positiven Kompetenzkonflikten
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Staaten seien nicht willens oder nicht fähig, die Ermittlungen oder die Strafverfolgung ernsthaft durchzuführen. Die Rangfolge werde schließlich von der Kombination bestimmter Anknüpfungsprinzipien beeinflusst, so dass die Strafgewalt eines Staates, der mehrere Anknüpfungspunkte für die Verfolgung derselben Straftat geltend mache, die Strafgewalt anderer Staaten verdrängen könne. Diese Kombination könne aber kaum die Vorrangigkeit des Tatortstaates in Zweifel ziehen. Zusammenfassend ergebe sich dieser Meinung nach folgende Rangfolge der Anknüpfungsprinzipien: Flaggenprinzip, Territorialitätsgrundsatz i. e.S., Auswirkungsprinzip, Realprinzip, aktiver und passiver Personalitätsgrundsatz und schließlich der Grundsatz der stellvertretenden Strafrechtspflege. Parallel dazu, im Sinne einer wie zuvor erörterten bedingten Subsidiarität, wirke der Weltrechtsgrundsatz. b) Kritik Die Kritik an einer Hierarchisierung der Anknüpfungsprinzipien zur Vermeidung von positiven Kompetenzkonflikten konzentriert sich vor allem auf die Begründung dieser Meinung7. Die Anknüpfungsprinzipien seien das Ergebnis einer Abwägung zwischen nationalen und völkerrechtlichen Prinzipien. Sie sollen lediglich die Frage beantworten, wann und in welcher Weise ein Staat völkerrechtskonform seine Strafgewalt angesichts einer bestimmten Straftat begründen kann. Sie bringen in diesem Sinne lediglich zum Ausdruck, ob ein bestimmtes staatliches Verhalten, wie z. B. die Verfolgung von Auslandstaten eigener Staatsangehörigen, völkerrechtlich erlaubt ist oder nicht. Aus dieser Feststellung in der Form eines „ja oder nein“ („völkerrechtskonformes oder völkerrechtswidriges Verhalten“) könne keine Abstufung abgeleitet werden, so dass man nicht von einer Priorität oder Subsidiarität bestimmter Anknüpfungsprinzipien sprechen könnte8. Für die Begründung einer Rangfolge zwischen den verschiedenen Anknüpfungsprinzipien müsse man vielmehr auf das Völkergewohnheitsrecht abstellen. Eine Priorität z. B. des Territorialitätsprinzips gegenüber den anderen Prinzipien könne man in diesem Sinne nur dann annehmen, wenn aus völkergewohnheitsrechtlicher Sicht eine Dominanz dieses Prinzips festgestellt werden könnte. Von der Herausbildung eines solchen Völkergewohnheitsrechts könne man aber nicht aus7 Für die ganze Krintik s. Lagodny, Empfiehlt es sich, eine europäische Gerichtskompetenz für Strafgewaltskonflikte vorzusehen? – BMJ Gutachten, 2001, S. 44; Vander Beken/Vermeulen/Lagodny, NStZ 2002, 624 ff. (625); gegen eine Hierarchisierung auch Henrich, Das passive Personalitätsprinzip im deutschen Strafrecht, 1994, S. 77 f.; Pappas, Stellvertretende Strafrechtspflege, 1996, S. 87; Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 166. 8 Lagodny, Empfiehlt es sich, eine europäische Gerichtskompetenz für Strafgewaltskonflikte vorzusehen? – BMJ Gutachten, 2001, S. 104.
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G. Weitere Lösungsversuche
gehen9. Im Gegenteil, in diesem Zusammenhang wird sogar dahingehend argumentiert, dass nach dem amerikanischen Auslieferungsrecht dem Territorialitätsprinzip eine sekundäre Rolle zugeschrieben wird, da bei mehreren ersuchenden Staaten in der Praxis nicht der Tatort-, sondern derjenige Staat bevorzugt wird, der zuerst die Auslieferung beantragt hat10. Gegen eine Hierarchisierung der Anknüpfungsprinzipien wird auch vorgebracht, dass ein solcher Versuch grob vereinfachend („simplistic“) ist11. Zur Vermeidung von positiven Kompetenzkonflikten sei es nötig, ein effektives System zu entwickeln, das auf mehreren kombinierten Faktoren und nicht bloß auf dem jeweiligen Anknüpfungspunkt der in Frage kommenden Länder beruht.
2. Einzelfallorientierte Lösung Die zuvor erläuterte Kritik hat zu Vorschlägen geführt, die sich nicht mehr an einem Modell abstrakter Hierarchisierung der Anknüpfungsprinzipien, sondern eher an der Entwicklung von bestimmten Kriterien orientieren, anhand derer in jedem konkreten Einzelfall von einem einzigen strafberechtigten Staat ausgegangen werden könnte. Meinungsunterschiede bestehen in diesem Rahmen angesichts der Festlegung der „richtigen“ Kriterien. Dafür wird meistens auf relevante Abkommen im europäischen Raum, aber auch auf andere internationale Verträge abgestellt, die auf regionaler Ebene Strafgewaltskonflikte im Rahmen der Auslieferung zu lösen versuchen12. Das Europäische Strafverfolgungsübereinkommen13 enthält z. B. eine Reihe von Kriterien, anhand derer entschieden werden soll, welcher Staat im Einzelfall für die Verfolgung einer bestimmten Straftat unter kriminalpolitischen Gesichtspunkten am besten geeignet ist. In Art. 8 Abs. 1 dieses Übereinkommens wird aus diesem Grunde festgelegt, dass ein Vertragsstaat einen anderen Vertragsstaat um Verfolgung ersuchen kann, wenn er z. B. der Auffassung ist, dass die Übertragung der Verfolgung im Interesse der Wahrheitsfindung liegt und dass sich insbesondere die wichtigsten Beweismittel im ersuchten Staat befinden, oder wenn nach seiner Auffassung die Vollstreckung einer etwaigen Verurteilung im ersuchten Staat geeignet ist, die Wiedereingliederung des 9 Lagodny, Empfiehlt es sich, eine europäische Gerichtskompetenz für Strafgewaltskonflikte vorzusehen? – BMJ Gutachten, 2001, S. 44; Pappas, Stellvertretende Strafrechtspflege, 1996, S. 87 Fn. 104; Schwaighofer/Ebensperger, Internationale Rechtshilfe in strafrechtlichen Angelegenheiten, 2001, S. 22. 10 Scharf, Law and Contemporary Problems 2001, S. 67 ff. (111); gegen die Priorität des Territorialitätsgrundsatzes auch Eicker, StV 2005, S. 631 ff. (632 f.). 11 Abelson, UC Davis Journal of International Law and Policy 16 (2010), 101 ff. (126). 12 Eicker, StV 2005, 631 ff. (633); Vander Beken/Vermeulen/Lagodny, NStZ 2002, S. 624 ff. 13 Übereinkommen des Europarats über die Übertragung der Strafverfolgung vom 15. 5. 1972.
I. Vermeidung von positiven Kompetenzkonflikten
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Verurteilten in die Gesellschaft zu erleichtern, aber auch wenn der Beschuldigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im ersuchten Staat hat, er Angehöriger des ersuchten Staates oder dieser Staat sein Herkunftsstaat ist, sowie wenn der Beschuldigte im ersuchten Staat eine freiheitsentziehende Sanktion verbüßt oder zu verbüßen hat. Ähnliche Kriterien sind z. B. auch dem Protokoll zum Auslieferungsvertrag zwischen Kanada und den USA14 zu entnehmen. Nach Art. 17bis15 dieses Übereinkommens sollen für die Entscheidung über die Auslieferung eines Verdächtigen Gesichtspunkte, wie der Tatortstaat, Interessen der Vertragsstaaten, die Staatsangehörigkeit des Opfers oder die Verfügbarkeit und der Ort der Beweismittel, berücksichtigt werden. Abgesehen von der Feststellung der richtigen Kriterien ist aber auch umstritten, wer für die Abwägung der vorgeschlagenen Kriterien und letztendlich für die Entscheidung über die „beste“ Strafgewalt zuständig sein soll. Die verschiedenen Meinungen über diese zwei Streitpunkte, also die richtigen Kriterien und den Entscheidungsbefugten, werden im Folgenden näher analysiert. a) Kriterien aa) Charakteristisches Unrecht Einer Auffassung nach16 muss für die Bestimmung der geeignetsten Strafgewalt danach gefragt werden, zu welchem Staat die Straftat die „engsten Verbindungen“ aufweist. Diese Frage stellt sich auch im Bereich des Zivilrechts angesichts der Bestimmung des Rechts, dem ein konkreter Vertrag unterliegt. Nach dem (nunmehr weggefallenen) Art. 28 Abs. 1 und 2 EGBGB17 wies der Staat die engsten Verbindungen in diesem Sinne auf, in dem die Partei, welche die charakteristische Leistung zu erbringen hatte, im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte18. Ein wichtiger Anhaltspunkt für die Bestimmung der engsten Verbindungen war somit die „charakteristische Leistung“, nämlich die Leistung, welche dem betreffenden Vertragstyp seine Eigenart verlieh19. In Anlehnung daran könnte man – dieser Meinung nach – den Begriff der charakteristischen Leistung auf das Straf(anwendungs)recht übertragen, indem man danach fragen würde, wo das für die Tat „charakteristische Unrecht“ eintrat. Die in diesem Sinne engsten Verbindungen würden dann regelmäßig im Tatortstaat liegen, was wieder zu einer faktischen Priorität des Territorialitätsprinzips führen könnte. 14
Treaty on Extradition between the United States of America and Canada, 3. 12. 1976. Dieser Artikel ist durch Art. 7 des Protokolls hinzugefügt worden. 16 Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 166. 17 Vgl. jetzt Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I). 18 s. Art. 28 Abs. 1 und Abs. 2 a.F. EGBGB. 19 Heldrich, in: Palandt, BGB-Kommentar66, Art. 28 EGBGB Rn. 3. 15
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G. Weitere Lösungsversuche
Trotzdem könnten durch den Verweis auf das charakteristische Unrecht einer Tat sämtliche Fallkonstellationen adäquat behandelt werden. bb) Qualitätsprinzip20 Bei dem Qualitätsprinzip wird ebenfalls auf eine abstrakt-generelle Stufung der Strafgewaltsprinzipien verzichtet und stattdessen versucht, materielle Kriterien zu entwickeln, welche die Entscheidung über die „qualitativ beste“ Strafgewalt in einem bestimmten Einzelfall ermöglichen. Dafür wird auf das nationale Recht abgestellt, wo auch Kompetenzkonflikte zwischen verschiedenen Gerichten oder Strafverfolgungsbehörden gelöst werden müssen. Maßgeblich sei in diesem Sinne – wie auf der nationalen Ebene so auch international – die Gewährung einer Balance zwischen individual- und gemeinschaftsrechtlichen Belangen. Auf der einen Seite stehe das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Angeklagten, das Schuldprinzip sowie das Rechtsstaatsprinzip, während sich auf der anderen Seite die wirksame Strafverfolgung befinde. Aus diesen teilweise konfligierenden Gesichtspunkten ergeben sich entsprechende Sachkriterien: Aufenthaltsort bzw. Sprachstaat des Verdächtigen, Verfügbarkeitsgrad von Beweismitteln, Vermeidung von Abwesenheitsurteilen sowie Verfolgung des Verdächtigen wegen einer anderen Tat. Auch das „charakteristische Unrecht“ der Straftat – und daraus folgend der Tatort – wird hier als Kriterium erwähnt, nicht aber als der einzige, sondern als einer unter mehreren Gesichtspunkten. Dieser Meinung nach sollen aus den erwähnten Sachkriterien Entscheidungskriterien formuliert werden. Das dürfe aber nicht im Wege von konditionalen Rechtssätzen (wenn – dann) geschehen, sondern in Form von Abwägungsrelationen im Sinne von „je – desto“-Sätzen, wie z. B. je mehr ein Staat der Tatortstaat ist, je mehr Beweismittel in diesem Staat verfügbar sind usw., umso mehr ist diese Strafgewalt die qualitativ beste. Bei der Anwendung der Sachkriterien handele es sich demgemäß (auch hier) um eine Abwägungsentscheidung bzw. Ermessensentscheidung. cc) Deliktischer Schwerpunkt21 Ausgangspunkt ist hier, dass die Entwicklung von individuellen und überindividuellen Kriterien zur Bestimmung der besten Strafgewalt durch eine einzelfallorientierte Gewichtung zwar richtig und sogar notwendig ist. Da aber damit gerechnet werden müsse, dass sich der Staat, der als einziger seine Strafkompetenz wahrnehmen soll, nicht im Konsens bestimmen lasse und weil die Schaffung einer 20
Lagodny, Empfiehlt es sich, eine europäische Gerichtskompetenz für Strafgewaltskonflikte vorzusehen? – BMJ Gutachten, 2001, S. 99 ff.; vgl. auch Vander Beken/Vermeulen/ Lagodny, NStZ 2002, S. 624 ff. 21 Eicker, StV 2005, S. 631 ff.
I. Vermeidung von positiven Kompetenzkonflikten
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zuständigen Konfliktentscheidungsinstanz im Sinne eines „Strafgewaltgerichtshofs“ im Moment noch als „nicht kurzfristig realisierbar“ erscheine, sei der Kriterienkatalog zusätzlich „um ein subsidiäres, aber finales Entscheidungs-Kriterium zu ergänzen“22. Aufgegriffen wird hier ein im Corpus Juris enthaltener Gedanke. Dort wird zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union bestimmt, dass das Strafverfahren in dem Staat durchgeführt werden soll, in dem die (ökonomische) Auswirkung der Straftat am größten ist (Art. 26 Abs. 1 Nr. 3 Corpus Juris23). Wenn man dieses Kriterium generalisiert, so dass es nicht nur den Schutz von finanziellen Interessen betreffen soll, ergebe sich als geeignetster Verfolgungsstaat derjenige, in dem der deliktische Schwerpunkt liegt. Dies sei regelmäßig der Tatortstaat, weil dort die Tat „am stärksten gefühlt wird“24. Im Unterschied zu den anderen Meinungen werde hier statt einer Vielzahl von Sachkriterien nur ein einziges interpretationsbedürftiges Kriterium benutzt. Durch eine gefestigte Auslegung könnten dann variable Ergebnisse für ähnliche Fälle vermieden und somit eine homogene Anwendung erzielt werden. b) Entscheidungszuständigkeit Da bei den dargestellten Lösungsansätzen die Bestimmung der jeweiligen besten Strafgewalt nicht abstrakt und von vornherein, sondern konkret, anhand von bestimmten Einzelfallkriterien erfolgt, stellt sich die Frage, wer dafür zuständig wäre, die verschiedenen vorgeschlagenen Kriterien abzuwägen und die entsprechende Entscheidung in jedem konkreten Fall zu treffen. Somit ist die Beauftragung einer Institution nötig, welche die Rolle eines Streitbeilegungsorgans hätte, das im Falle von Meinungsverschiedenheiten zwischen den verschiedenen zuständigen Staaten eingreifen sollte bzw. welches als Entscheidungsorgan funktionieren würde und dessen Intervention bei jeder Straftat mit internationalen Aspekten nötig wäre. Dafür sind verschiedene Vorschläge vorgebracht worden. Auf europäischer Ebene ist für diese Rolle zunächst der EuGH vorgeschlagen worden, da er eine vergleichbare Funktion angesichts des SDÜ hat, da er dafür zuständig ist, über die Auslegung von Art. 54 SDÜ hat, indem er zuständig ist, über die Auslegung von Art. 54 SDÜ im Wege der Vorabentscheidung zu erkennen25. Auch Eurojust ist in Betracht gezogen worden26. Eurojust ist mit dem Ziel errichtet worden, die justizielle Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedstaaten zu in22
Eicker, StV 2005, S. 631 ff. (635). Corpus Juris strafrechtlicher Regelungen zum Schutze der finanziellen Interessen der Europäischen Union (Corpus Juris 2000); Delmas-Marty, in: Delmas-Marty/Vervaele, Implementation, S. 187 ff. 24 Eicker, StV 2005, S. 631 ff. (635). 25 Lagodny, BMJ-Gutachten, 2001, S. 127; ders., FS-Trechsel, 2002, S. 253 ff. (266 f.). 26 Eicker, StV 2005, S. 631 ff. (634); Lagodny, BMJ-Gutachten, 2001, S. 124 f. 23
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G. Weitere Lösungsversuche
tensivieren und soll als „Dokumentations- und Clearingstelle“ fungieren. In diesem Rahmen soll es auch die Aufgabe von Eurojust sein, die Ermittlungen in den verschiedenen nationalen Staaten zu koordinieren27. Durch diese Mediatorfunktion erweise sich die relativ neue Stelle als „die ideale justizielle Vorstufe zu einem Strafgewaltgerichtshof“28. Auf internationaler Ebene ist demgemäß auch die Errichtung eines internationalen Strafgewaltgerichtshofs vorgeschlagen worden, der die Befugnis haben soll, über die jeweils beste Strafgewalt zu entscheiden29.
3. Kompetenzverteilungsprinzip Bei den zuvor erwähnten Konzepten zur Vermeidung von positiven Kompetenzkonflikten ist auch das sog. Kompetenzverteilungsprinzip relevant30. Das Kompetenzverteilungsprinzip, das oft auch als zusätzlicher Anknüpfungspunkt erwähnt wird31, sei in manchen internationalen Übereinkommen zu finden32 und zielt genau darauf ab, Kompetenzkonflikte zwischen mehreren für die Aburteilung einer Straftat zuständigen Staaten zu vermeiden, indem es demjenigen Staat die Kompetenz zuweist, in dem die Verurteilung am zweckmäßigsten erfolgen kann. Meistens handelt es sich um den Staat, in dessen Hoheitsgebiet der vermutliche Täter seinen Wohnsitz hat33. Zutreffend wird aber angemerkt, dass es sich hierbei weder um ein besonderes völkerrechtliches Prinzip handelt, das die Strafkompetenz zwischen mehreren zuständigen Staaten regeln, noch um ein Anknüpfungsprinzip, das die einseitige Ausdehnung nationaler Strafgewalt legitimieren soll. Es handelt sich vielmehr bloß um eine vertragliche Vereinbarung über eine strafrechtliche Kompetenzaufteilung auf internationaler Ebene34.
27
Lagodny, BMJ-Gutachten, 2001, S. 125; Schomburg ZRP 1999, S. 237 ff. (239). Lagodny, BMJ-Gutachten, 2001, S. 125; Eicker, StV 2005, S. 631 ff. (635). 29 Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 90 ff. 30 Grundlegend Oehler, Internationales Strafrecht2, Rn. 134 ff. und 682 ff. 31 So z. B. Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, Vor §§ 3 – 7 Rn. 255. 32 s. z. B. die Europäischen Übereinkommen über die Überwachung bedingt verurteilter oder bedingt entlassener Personen und über die Ahndung von Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr vom 30. 11. 1964, über die Internationale Gültigkeit von Strafurteilen vom 28. 5. 1970 und über die Übertragung von Strafverfahren vom 15. 5. 1972. 33 Satzger, Internationales Strafrecht7, S. 46; Werle/Jeßberger, in: LK-StGB12, Vor §§ 3 – 7 Rn. 256; Ambos, in: MK-StGB2, Vor §§ 3 – 7 Rn. 53. 34 Satzger, Internationales Strafrecht7, S. 46; Ambos, in: MK-StGB2, Vor §§ 3 – 7 Rn. 53. 28
I. Vermeidung von positiven Kompetenzkonflikten
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4. Kritik und Stellungnahme Der Versuch, die Gefahr einer Doppelverfolgung schon auf der Ebene der staatlichen Kompetenz zu lösen, ist im Allgemeinen positiv zu betrachten. Die Vermeidung von positiven Kompetenzkonflikten ist im Grunde genommen und aus vielen – nicht unbedingt mit dem transnationalen „ne bis in idem“ zusammenhängenden – Gründen wünschenswert. Im Folgenden wird zu dem diesbezüglichen Streit Stellung genommen, anschließend wird aber auch gezeigt, dass alle diese Vorschläge auf das Problem des internationalen „ne bis in idem“ trotzdem nur begrenzt und in mittelbarer Weise angewendet werden können. a) Vorrang des Hierarchisierungsmodells Von den zuvor dargestellten Vorschlägen zur effektivsten Vermeidung von positiven Kompetenzkonflikten verdient meines Erachtens die Meinung den Vorrang, die auf eine Hierarchisierung der Anknüpfungspunkte abstellt. Dafür spricht zunächst die Tatsache, dass nur dadurch die Schaffung eines klaren Systems von Kompetenzregelungen möglich ist, das dem Betroffenen in großem Maße Orientierungssicherheit garantieren könnte. Das Abstellen auf unbestimmte Rechtsbegriffe, wie das „charakteristische Unrecht“ oder die „engste Verbindung“, lassen im Rahmen des Zivilrechts keine besonderen Bedenken entstehen, das Gleiche kann aber nicht für das Strafprozessrecht angenommen werden, für das man einen höheren Maßstab für die Justizförmigkeit verlangen muss. Die Hierarchisierung der Anknüpfungspunkte ist des Weiteren die einzige Lösung, die keine vertragliche Abmachung voraussetzt und die deswegen im Ergebnis am leichtesten durchzusetzen ist. Bevorzugt man ein einzelfallorientiertes System, akzeptiert man gleichzeitig die Notwendigkeit eines Organs, das die Entscheidung treffen muss, mit der der unbestimmte Rechtsbegriff in dem jeweiligen Einzelfall konkretisiert wird. Es ist aus diesem Grund ein Völkerrechtsvertrag nötig, mit dem ein solches internationales Organ zustande kommt oder mit dem ein schon bestehendes Organ mit der neuen Aufgabe beauftragt wird. Die zwei verschiedenen Betrachtungsweisen, das Hierarchisierungsmodell und das einzelfallorientierte System, bewegen sich in diesem Sinne auf unterschiedlichen Ebenen; Ersteres bietet aus völkerrechtlicher Sicht eine „de lege lata“-Lösung und Letzteres eine „de lege ferenda“-Lösung. Was darüber hinaus die Kritik gegen das Hierarchisierungs-System angeht, ist sie als nicht stichhaltig zu betrachten. Das Hauptargument gegen diese Meinung liegt, wie schon erläutert, darin, dass sich aus dem Völkerrecht keine Reihenfolge der Anknüpfungsprinzipien ergebe. Es bestehe keine völkergewohnheitsrechtliche Regel, die z. B. den Vorrang des Territorialitätsprinzips gegenüber anderen Prinzipien begründe. Der Versuch, die Reihenfolge der Anknüpfungsprinzipien durch das Völkergewohnheitsrecht zu begründen, wäre deswegen falsch, weil es hier nicht um
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G. Weitere Lösungsversuche
die Feststellung der Existenz bestimmter Regeln geht, sondern um die Auslegung und Anwendung von schon existierenden völkerrechtlichen Regeln – nämlich den Anknüpfungsprinzipien – und ihr Verhältnis untereinander. Jedoch ist anzumerken, dass von beiden Systemen das einzelfallorientierte System noch weniger auf dem Völkerrecht basiert. Weder das jeweils vorgeschlagene Hauptkriterium („charakteristisches Unrecht“, „qualitativ beste Strafgewalt“, „deliktischer Schwerpunkt“) noch die verschiedenen einzelnen Kriterien, die vorgeschlagen werden, ergeben sich aus dem Völkergewohnheitsrecht. Wenn man die Vermeidung von positiven Kompetenzkonflikten durch die Hierarchisierung von schon bestehenden völkerrechtlichen Regeln als völkerrechtlich unbegründet bezeichnet, muss das a fortiori auch für ein System gelten, dessen Kriterien einen noch schwächeren völkerrechtlichen Bestand haben. Mit anderen Worten ist es meines Erachtens widersprüchlich, bei dem Versuch der Feststellung der „besten“ Strafgewalt einerseits das Abstellen auf die völkerrechtlich anerkannten Anknüpfungsprinzipien als unbegründet abzulehnen und andererseits Kriterien, wie z. B. den Aufenthaltsort oder Sprachstaat des Täters, den Verfügbarkeitsgrad von Beweismitteln usw., in Betracht zu ziehen, die nicht einmal die notwendige völkerrechtliche Anerkennung genießen, um überhaupt einen Anknüpfungspunkt („genuine link“) zu begründen. Aus diesen Gründen ist davon auszugehen, dass das Problem der positiven Strafgewaltskonflikte am besten durch eine Hierarchisierung der Anknüpfungsprinzipien zu lösen ist. Ob und in welcher Weise das die Gefahr der mehrmaligen internationalen Strafverfolgung mindern kann, wird als nächstes analysiert. b) Vermeidung von positiven Kompetenzkonflikten Der Versuch, das Problem der positiven Kompetenzkonflikte auf internationaler Ebene zu lösen, ist, wie schon angemerkt, generell wünschenswert. Abgesehen von Vorteilen, wie die Vermeidung von unnötigen Verfahrenskosten, die Förderung der internationalen Kooperation in Strafsachen und die Befreiung des Beschuldigten von der Last mehrerer gleichzeitiger Prozesse, könnte die Festlegung eines einzigen zuständigen Staates für die Aburteilung jeder Straftat tatsächlich auch die Gefahr einer mehrmaligen internationalen Verfolgung mindern. In diesem Sinne knüpft die Vermeidung von positiven Kompetenzkonflikten auch an das Problem des transnationalen „ne bis in idem“ an. Aber es besteht nur eine mittelbare Beziehung zwischen diesen zwei Fragen, also dem transnationalen „ne bis in idem“ und der gleichzeitigen Strafkompetenz mehrerer Staaten. Die Gefahr einer mehrmaligen internationalen Verfolgung kann dadurch nicht völlig behoben werden35.
35 Anderer Ansicht Thomas, Das Recht auf Einmaligkeit der Strafverfolgung, 2002, S. 166, der der Meinung ist, dass „die Einmaligkeit der Strafverfolgung mittels hierarchischer Strafgewaltsgründe ermöglicht würde“.
I. Vermeidung von positiven Kompetenzkonflikten
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Zunächst ist zu betonen, dass ebenso wie auf der nationalen Ebene auch international gilt, dass die Rechtshängigkeit eine andere Sache als die Frage der erneuten Verfolgung für dieselbe Straftat ist. Die zuvor erwähnten Lösungskonzepte geben keine Antwort auf die Frage des „ne bis in idem“ an sich. Das wird vor allem klar, wenn man berücksichtigt, dass selbst im (unrealistischen) Fall einer ganz klaren strafrechtlichen Kompetenzaufteilung zwischen allen Staaten, sich trotzdem die Frage einer erneuten internationalen Verfolgung nach der ersten Aburteilung des Täters (durch die vermeintlich „beste“ Strafgewalt) stellen kann36. Dies würde z. B. dann eintreten, wenn neue Tatsachen (propter nova) oder – und vor allem – Tatsachen vorkommen würden, welche die vorangegangene Auswahl des bestimmten Urteilsstaates in Frage stellen könnten. Was würde nämlich passieren, wenn sich im Falle eines Computerbetrugs, für dessen Aburteilung der Staat ausgewählt wurde, in dem der Täter gehandelt haben soll, später herausstellt, dass sich der Computer, von dem aus der Täter gehandelt hat, in einem anderen Staat befand? Darauf geben die zuvor erwähnten Lösungsansätze keine Antwort. Dieser Einwand gewinnt weiter an Bedeutung, wenn man berücksichtigt, dass es, anders als auf nationaler Ebene, auf internationalem Niveau keine derartige Kooperation gibt, die alle möglicherweise in Betracht kommenden Länder dazu mobilisieren könnte, ihre Strafkompetenz von vornherein und koordiniert zu beanspruchen. Wenn z. B. zwei Staaten ihre Verfolgungskompetenz für eine bestimmte Straftat geltend machen und das für den (Kompetenz-)Streit zuständige Organ die verschiedenen Kriterien für die beste Strafgewalt hinsichtlich dieser zwei Staaten abwägt, kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein dritter Staat schon vorher Ermittlungen bzw. einen Strafprozess aufgrund derselben Tat eröffnet hat und dass dies bei der (Kompetenz-)Entscheidung unbekannt und deswegen auch unberücksichtigt geblieben ist. Außerdem ist es meines Erachtens utopisch zu behaupten, dass auf internationaler Ebene ein derart entwickeltes System von Kompetenzregeln, das mit dem innerstaatlichen System der örtlichen Zuständigkeitsregeln verglichen werden könnte, überhaupt realisierbar ist37. Nicht nur weil die internationale Zusammenarbeit in Strafsachen aus der Sicht der Organisation – trotz aller Fortschritte – von dem organisierten innerstaatlichen System noch sehr weit entfernt ist, sondern vor allem weil sich aus der Natur des heutigen Staates ergibt, dass jeder souveräne Staat immer seine Kompetenz zur Verfolgung und Aburteilung von bestimmten Straftaten, die Kerninteressen (wie auch immer diese Interessen von dem jeweiligen Staat verstanden werden) tangieren, als unabdingbar hält, so dass er es nicht anerkennen würde, dass eine fremde Strafgewalt für die Aburteilung solcher Straftaten besser geeignet wäre. Die Beziehung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union angesichts ihrer Strafkompetenzen für grenzübergreifende Straftaten bietet diesbezüglich ein 36 37
Vgl. dazu auch Kniebühler, Transnationales „ne bis in idem“, 2005, S. 78 f. So auch Kniebühler, Transnationales „ne bis in idem“, 2005, S. 76 f.
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G. Weitere Lösungsversuche
sehr gutes Beispiel. Die Europäische Union ist nämlich eine Gemeinschaft, an der Länder mit ähnlicher oder sogar in gewissem Maße gemeinsamer Tradition teilnehmen und in welcher darüber hinaus eine sehr umfangreiche rechtliche Harmonisierung zwischen den Mitgliedstaaten erzielt worden ist. Obwohl man aus diesen Gründen erwarten würde, dass unter diesen Bedingungen eine Koordinierung der Strafkompetenzen der verschiedenen Mitgliedstaaten relativ unproblematisch wäre, ist dies noch nicht erzielt worden. Wenn die Regulierung der positiven Kompetenzkonflikte für einen Bereich wie die Europäische Union als schwierig erscheint, kann man davon ausgehen, dass dies auf internationaler Ebene fast unrealistisch ist. Aus der Betrachtung der Europäischen Union und des europäischen Raums generell kann man aber noch einen weiteren Schluss ziehen: Obwohl viele europäische Staaten (noch) nicht bereit sind, auf ihre Strafkompetenz zur Vermeidung von positiven Kompetenzkonflikten zu verzichten, versuchen sie schon seit Langem, das Problem der transnationalen Doppelverfolgung durch die Anerkennung von bestimmten Strafentscheidungen anderer Mitgliedstaaten zu lösen (Art. 54 SDÜ). Das ist ein Argument dafür, dass die Staaten im Allgemeinen bereitwilliger sind, zur Lösung des transnationalen „ne bis in idem“-Problems auf eine erneute Verfolgung nach Aburteilung des Täters durch ein fremdes Gericht zu verzichten, statt ihre Strafkompetenz von vornherein aufzugeben. Der Versuch, die Gefahr von transnationalen Doppelverfolgungen und -bestrafungen ausschließlich durch die Vermeidung von positiven Kompetenzkonflikten abzuwenden, impliziert schließlich meines Erachtens die Annahme, dass jeder Staat absolut frei ist, zu entscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen er einen Verdächtigen verfolgt und ob er fremde Entscheidungen überhaupt berücksichtigt oder nicht. Da keine Grenze zu der erneuten Verfolgung von im Ausland abgeurteilten Tätern gesetzt werden könne, erscheint verbreitet plausibel, das Problem müsse auf einer anderen Ebene, und zwar durch die strafrechtliche Kompetenzaufteilung, gelöst werden. Dass ein Staat nicht absolut frei entscheiden darf, ob er die vorangegangene fremde Aburteilung des Täters berücksichtigt oder nicht, wurde in dieser Arbeit gezeigt. Aus diesem Grund muss man sich, obwohl die Vermeidung von positiven Kompetenzkonflikten positiv zu betrachten ist, trotzdem für die Vermeidung von mehrmaligen internationalen Verfolgungen unbedingt (auch) an der Anerkennung eines internationalen Doppelverfolgungsverbots und nicht nur an einer strafrechtlichen Kompetenzaufteilung zwischen den Staaten orientieren.
II. Vertragsvorschläge zur Vermeidung einer Doppelverfolgung Zur Lösung der Probleme, die sich aus der Nichtanerkennung eines transnationalen „ne bis in idem“-Prinzips ergeben, sind abgesehen von den zuvor genannten Vorschlägen zur Vermeidung von positiven Kompetenzkonflikten weitere Versuche
II. Vertragsvorschläge zur Vermeidung einer Doppelverfolgung
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auf internationaler Ebene vorgenommen worden, ein transnationales Doppelverfolgungsverbot festzulegen. In den folgenden Paragraphen werden die wichtigsten dieser Vorschläge dargestellt.
1. Initiative der Hellenischen Republik vom 13. 2. 2003 Im Rahmen der Europäischen Union und auf Basis der Art. 29 ff. EUV (polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen) hat die Griechische Republik eine Initiative im Hinblick auf die Annahme eines Rahmenbeschlusses des Rates über die Anwendung des „ne bis in idem“-Prinzips gegründet, obwohl zu dieser Zeit das SDÜ mit dem dort beinhalteten europäischen „ne bis in idem“ schon unterzeichnet worden war38. Ziel der Initiative war die Überarbeitung der relevanten Vorschriften des SDÜ (Art. 54–57) sowie die Verabschiedung von gemeinsamen Rechtsnormen, um eine einheitliche Auslegung und Anwendung des „ne bis in idem“-Prinzips in der Praxis zu erreichen39. Die Initiative wurde 2003 tatsächlich vom Rat als Rahmenbeschluss angenommen40. In Art. 2 der Initiative wird das Recht jeder Person verankert, wegen derselben strafbaren Handlung nicht zweimal – innerhalb der Europäischen Union – verfolgt oder vor Gericht gestellt zu werden: „Eine Person, die wegen der Begehung einer strafbaren Handlung in einem Mitgliedstaat nach dessen Strafrecht und dessen Strafverfahrensrecht verfolgt und rechtskräftig abgeurteilt worden ist, darf in einem anderen Mitgliedstaat wegen derselben Handlung nicht erneut verfolgt werden, wenn sie bereits freigesprochen wurde oder im Fall einer Verurteilung die Strafe bereits verbüßt wurde bzw. noch verbüßt wird oder nach den Rechtsvorschriften des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann“. Ausnahmen werden nur aufgrund von neuen Tatsachen oder Umständen sowie angesichts von schwerwiegenden prozessualen Mängeln vorgesehen (Art. 2). Darüber hinaus können aber die Mitgliedstaaten durch eine Erklärung gegenüber dem Generalsekretariat des Rates oder der Kommission frei entscheiden, ob sie von der transnationalen „ne bis in idem“Regelung gebunden sind, wenn die Tat, die der ausländischen Entscheidung zugrunde lag, eine gegen die Sicherheit oder andere gleichermaßen wesentliche Interessen dieses Mitgliedstaates gerichtete strafbare Handlung darstellt oder von einem Bediensteten dieses Mitgliedstaats unter Verletzung seiner Amtspflichten begangen wurde (Art. 4). Eine Ausnahme zu Gunsten des Tatortstaates ist hingegen nicht vorgesehen. 38 Initiative der Hellenischen Republik im Hinblick auf die Annahme eines Rahmenbeschlusses des Rates über die Anwendung des „ne-bis-in-idem“-Prinzips vom 13. 2. 2003 (2003/ C 100/12). Vgl. dazu Kniebühler, Transnationales „ne bis in idem“, 2005, S. 318 ff.; Fletcher, Maria, MLR 2003, S. 769 ff. (775 ff.). 39 s. Rn. 4 und 7 der Präambel der Initiative. 40 ABl. Nr. C 100 vom 26. 4. 2003, S. 24 ff.
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G. Weitere Lösungsversuche
Was die genaueren Voraussetzungen der „ne bis in idem“-Regelung angeht, favorisierte die Initiative zunächst die Lösung durch einen faktischen Tatbegriff, der von der rechtlichen Einstufung in dem jeweiligen Land unabhängig ist (Art. 1 lit. e). Des Weiteren erklärt Art. 1 lit. b angesichts der Frage der „rechtskräftigen Aburteilung“, dass als strafrechtliche Entscheidung jede Verurteilung, Freispruch oder endgültige Einstellung der Strafverfolgung von einem Strafgericht eines Mitgliedstaats sowie aber auch das Ergebnis einer außergerichtlichen Schlichtung gilt. Die Rechtskraft der Entscheidung bestimmt sich nach dem innerstaatlichen Recht des jeweiligen Mitgliedstaates. Abgesehen von der Festlegung eines europäischen „ne bis in idem“ versucht die Initiative darüber hinaus, die möglichen positiven Kompetenzkonflikte im Sinne einer europaweiten Rechtshängigkeit zu lösen. Bei gleichzeitiger Verfolgung derselben Straftat in mehreren Mitgliedstaaten gilt das Gericht des Mitgliedstaates, das besser in der Lage ist, eine geordnete Rechtspflege zu gewährleisten, vorrangig als zuständig. Das entscheidet sich anhand von bestimmten in der Initiative erwähnten Kriterien wie dem Tatort, dem Heimatstaat des Opfers oder des Täters sowie dem Festnahmeort (Art. 3). Wenn trotz vorheriger Aburteilung der Tat in einem Mitgliedstaat ausnahmsweise eine erneute Verfolgung in einem anderen Mitgliedstaat eingeleitet wird, ist der letztgenannte Staat verpflichtet, jede wegen dieser Straftat verhängte Sanktion anzurechnen (Art. 5).
2. Freiburg-Proposal41 Der Freiburger Vorschlag über konkurrierende Gerichtsbarkeiten und das Verbot mehrfacher Strafverfolgung versucht ebenfalls das „ne bis in idem“-Problem auf europäischer Ebene zu bekämpfen. Dafür sei eine Drei-Ebenen-Lösung nötig. Auf der ersten Ebene sollen die positiven Kompetenzkonflikte zwischen den Mitgliedstaaten möglichst vermieden werden. Wenn die positiven Kompetenzkonflikte nicht vermieden werden konnten, soll auf der zweiten Ebene das transnationale „ne bis in idem“-Prinzip eingreifen. Für die restlichen Fälle, auf die das „ne bis in idem“Prinzip aus irgendeinem Grund nicht angewandt werden konnte, ist schließlich das Anrechnungsprinzip als „ultimum refugium“ anzuwenden. In diesem Sinne sieht der erste Teil des Freiburger Vorschlags einen Vorgang vor, durch den die „beste Strafgewalt“ bestimmt wird. Kriterien, wie der Tatort, die Staatsangehörigkeit des Täters und des Opfers, der Verfügbarkeitsgrad von Beweismitteln oder die Geeignetheit des jeweiligen Staates zur Vollstreckung der Entscheidung, seien zu berücksichtigen. Bei abweichenden Meinungen soll der Europäische Gerichtshof eingeschaltet werden. 41
Abgedruckt in RIDP 2002, S. 1195 ff.
II. Vertragsvorschläge zur Vermeidung einer Doppelverfolgung
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Im zweiten Teil ist das „ne bis in idem“-Prinzip enthalten: „A person may not be prosecuted in the European Union for an act that has already been finally disposed of in a Member State or by a European organ“. Mit den Wörtern „finally disposed of“ ist eine Entscheidung gemeint, die nach dem Rechtssystem des Ersturteilsstaats nicht mehr oder nur ausnahmsweise angefochten werden kann. Der Tatbegriff wird hier faktisch betrachtet, so dass die rechtliche Einstufung der Tat in dem jeweiligen Land irrelevant ist. Wenn trotz der vorherigen Bestimmungen eine erneute Verfolgung für dieselbe Straftat stattfindet, sind die schon verhängten Sanktionen zu berücksichtigen.
3. Kritik Die zwei erwähnten Vertragsvorschläge weisen keine großen Unterschiede auf. Sie versuchen das transnationale „ne bis in idem“-Problem auf den zuvor erwähnten drei Ebenen zu lösen, was tatsächlich positiv zu betrachten ist. Beide bieten aber keine Lösung auf völkerrechtlicher, sondern nur auf europäischer Ebene. Die Durchsetzung der vorgeschlagenen Lösungen kann zwar für Europa, wo die Staaten einen gewissen Grad von rechtlicher und institutioneller Integration erreicht haben, denkbar sein, eine solche Abstimmung und Kooperation ist für die Strafkompetenz auf internationaler Ebene jedoch schwer zu erreichen. Darüber hinaus bieten die dargestellten Modelle bloß „de lege ferenda“-Lösungen. Aus diesen Gründen sind sie auch der vorangegangenen Kritik an der Festlegung einer einzigen berechtigen Strafgewalt pro Straftat ausgesetzt. Einerseits sind sie nämlich im internationalen Kontext schwer realisierbar und andererseits implizieren sie, solange sie jeweils als die einzige mögliche Lösung dargestellt werden, die Annahme, dass die Entscheidung über die mehrmalige internationale Verfolgung eines Täters im absolut freien Ermessen jedes Staates steht. Die Festlegung eines transnationalen „ne bis in idem“ durch einen Völkerrechtsvertrag ist zwar wünschenswert, man darf aber dadurch nicht aus dem Blick verlieren, dass die Anerkennung eines transnationalen Doppelverfolgungsverbots eine Pflicht jedes (Recht-) Staates ist.
H. Gesamtergebnis Das Hauptanliegen der vorliegenden Arbeit war die Begründung, Umgrenzung und Konkretisierung des „ne bis in idem“-Prinzips auf transnationaler Ebene, sowohl aus der Sicht des deutschen Verfassungs- und Prozessrechts als auch aus dem Blickwinkel des Völkerrechts. Zunächst kann das transnationale „ne bis in idem“ auf Art. 103 Abs. 3 GG begründet werden. Der Wortlaut dieser Vorschrift hindert nicht an der Einbeziehung von ausländischen Strafurteilen in ihren Schutzbereich. Im Gegenteil, der grundrechtliche Charakter des in Art. 103 Abs. 3 GG verankerten Prinzips verlangt eine weite Fassung des Schutzbereichs. Das vorverfassungsrechtliche Gesamtbild des „ne bis in idem“-Prinzips steht dieser weiten Fassung auch nicht entgegen. Wenn man auf den früheren § 5 Nr. 1 RStGB abstellt, so wie er vor 1940 galt, ist im Gegenteil eine partielle Sperrwirkung von ausländischen Entscheidungen in dieser Zeit festzustellen. Auch die historische Auslegung spricht somit für die transnationale Anwendung des „ne bis in idem“-Prinzips des Art. 103 Abs. 3 GG. Die prima facie Einbeziehung von ausländischen Entscheidungen in den Schutzbereich des Art. 103 Abs. 3 GG besagt jedoch nichts über die Grenzen und die genaueren Voraussetzungen eines transnationalen „ne bis in idem“. Diese können sich erst im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit eines Eingriffs in dieses Grundrecht durch die erneute Strafverfolgung und unter Berücksichtigung der entsprechenden entgegenwirkenden Verfassungsprinzipien (hier der staatlichen Pflicht zum Schutz von Rechtsgütern) ergeben. Die Einbeziehung des transnationalen „ne bis in idem“ in Art. 103 Abs. 3 GG bedeutet jedoch auf keinen Fall seine Gleichsetzung mit dem innerstaatlichen „ne bis in idem“. Abgesehen von Art. 103 Abs. 3 GG kann das zwischenstaatliche Doppelverfolgungsverbot auf das Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Verfolgten (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) gestützt werden. Das wird klar, wenn man das Verbot der mehrmaligen Strafverfolgung – in jeder seiner Entfaltungen – als das Ergebnis einer Abwägung zwischen zwei Prinzipien betrachtet. Diese zwei Prinzipien sind nicht in dem Rechtssicherheits- und Gerechtigkeitsprinzip zu sehen, wie traditionell angenommen wird. Rechtssicherheit und Gerechtigkeit sind Begriffe, die weder genau definiert noch abgewogen werden können. Was hier konkurriert, sind die zwei im Rechtsstaatsprinzip enthaltenen Staatspflichten: einerseits die Pflicht zum Schutz von Rechtsgütern durch die Realisierung des Strafrechts mittels des (erneuten) Strafverfahrens und andererseits die Pflicht zur Achtung der Grundrechte des Verfolgten und konkreter sein allgemeines Persönlichkeitsrecht, das durch die neue Strafverfolgung tangiert wird.
H. Gesamtergebnis
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Weil die zweite Verfolgung als Eingriff in ein Freiheitsrecht des Einzelnen angesehen wird, ist bei dieser Betrachtungsweise der „ne bis in idem“-Problematik wichtig, dass im Ergebnis nicht nach einer Begründung des transnationalen „ne bis in idem“ zu suchen ist, sondern im Gegenteil die Zulässigkeit der zweiten Verfolgung bewiesen werden muss. So wie bei jedem staatlichen Eingriff in die Freiheitsrechte des Individuums, muss man auch hier davon ausgehen, dass die in Frage stehende erneute internationale Verfolgung prinzipiell unzulässig ist, es sei denn, das staatliche Schutz- und Verfolgungsinteresse rechtfertigt sie. Die zwei konkurrierenden Staatspflichten sind nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip abzuwägen. Dafür sind alle relevanten Faktoren zu berücksichtigen. Auf der Seite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts lässt sich die besondere Schwere einer erneuten Verfolgung dem innerstaatlichen „ne bis in idem“ entnehmen. In dieser Hinsicht spielt die Herkunft der ersten Strafentscheidung keine besondere Rolle, da hier maßgeblich ist, wie der Eingriff vom Verfolgten empfunden wird. Dass die erneute Strafverfolgung von einem anderen Staat als dem Ersturteilsstaat initiiert wird, ändert nichts an der Auswirkung, welche diese neue Verfolgung auf den Verfolgten und sein Recht „in Ruhe gelassen zu werden“ hat. Man kann in diesem Sinne davon ausgehen, dass der Eingriff im Falle einer mehrmaligen internationalen Strafverfolgung genauso tief ist, wie bei einer zweiten inländischen Strafverfolgung. Auf der Seite der staatlichen Schutzpflicht ist andererseits zu berücksichtigen, dass die im Ausland abgeurteilten Straftaten immer einen Auslandsbezug aufweisen. Aus diesem Grund sind für die Bestimmung der staatlichen Schutzpflicht in diesen Fällen die Prinzipien des Internationalen Strafrechts ausschlaggebend. Das Interesse des Staates zum Schutz bestimmter Rechtsgüter hängt von dem unterschiedlichen Anknüpfungsgrad der Straftat an die inländische Rechtsordnung ab, der durch den jeweiligen Anknüpfungspunkt, auf dessen Basis die Straftat verfolgt wird, zum Ausdruck kommt. Je enger die Anknüpfung ist, umso leichter kann eine erneute Strafverfolgung gerechtfertigt werden. Die Geltung des transnationalen „ne bis in idem“ ergibt sich somit aus dem jeweiligen Anknüpfungspunkt der verfolgten Straftat. Als Prinzipien, die ein starkes staatliches Verfolgungsinteresse mit sich bringen, sind der Territorialitätsgrundsatz (i. e.S.) sowie das Staatsschutzprinzip (i. e.S.) zu betrachten. Der enge örtliche Zusammenhang der Tat mit der inländischen Rechtsordnung im ersteren Fall und die Wichtigkeit der durch die Straftat beeinträchtigten Interessen im zweiten implizieren ein hohes Verfolgungsinteresse. Es ist aus diesem Grund davon auszugehen, dass in beiden Fällen eine Strafverfolgung stets zulässig ist, nämlich unabhängig davon, ob die Straftat schon im Ausland abgeurteilt worden ist oder nicht. Bei den restlichen Prinzipien des Internationalen Strafrechts, nämlich bei dem aktiven und passiven Personalitätsprinzip, dem Flaggengrundsatz, dem Staatsschutzprinzip i.w.S., dem Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege sowie dem Weltrechtspflegeprinzip ist hingegen von einem sehr niedrigen Verfolgungsinteresse auszugehen, so dass eine erneute Verfolgung nach ausländischer
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H. Gesamtergebnis
Aburteilung der Straftat unverhältnismäßig erscheinen würde. Im Falle des Weltrechtsprinzips ergibt sich sogar die Unzulässigkeit einer erneuten Verfolgung aus der Natur dieses Anknüpfungsprinzips, da in diesem Fall der erstverfolgende Staat stellvertretend für die ganze Staatengemeinschaft agiert. Ausnahmen von dem geschilderten Modell sind nur dann gerechtfertigt, wenn die erste Strafentscheidung entweder aus materiellen oder aus prozessualen Gründen die internationalen rechtsstaatlichen Mindeststandards nicht erfüllt, so dass dadurch der internationale „ordre public“ verletzt wird. Die Gefahr, dass der Zweiturteilsstaat Entscheidungen anerkennt, die seinen „strafrechtlichen Standards“ nicht entsprechen oder das Ergebnis von Scheinprozessen sind, kann dadurch als beseitigt angesehen werden. Es darf jedoch ausschließlich auf den internationalen und nicht den nationalen „ordre public“ abgestellt werden. Dieses Modell kann auch im Rahmen des Art. 103 Abs. 3 GG übernommen werden. Ein Eingriff in das in dieser Vorschrift enthaltene transnationale Doppelverfolgungsverbot könnte nur unter den zuvor beschriebenen Voraussetzungen (Verfolgung nach dem Territorialitätsprinzip i. e.S. oder dem Staatsschutzprinzip i. e.S., Verstoß der Erstentscheidung gegen den internationalen „ordre public“) als verhältnismäßig angesehen werden. Aus der Sicht des Völkerrechts kann das transnationale „ne bis in idem“ zunächst auf zwei bedeutsame Völkerrechtsverträge gestützt werden. Art. 6 EMRK kann dahingehend interpretiert werden, dass eine erneute Entscheidung nach ausländischer Aburteilung der Tat prinzipiell als unfairer Prozess zu betrachten ist. Teleologisch ist eine solche Annahme gerechtfertigt. Art. 4 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK steht dieser Auslegung nicht entgegen. Das Gleiche ist im Rahmen des Art. 14 Abs. 7 IPbpR anzunehmen. Der Wortlaut der letztgenannten Vorschrift engt keinesfalls die Geltung des darin enthaltenen Doppelverfolgungsverbots auf nationaler Ebene ein. Gewohnheitsrechtlich konnte keine Regel festgestellt werden, welche die Anerkennung von fremden Strafurteilen entweder fordert oder verhindert. Aus den zur Verfügung stehenden Informationen kann aber auf jeden Fall der Schluss gezogen werden, dass die Staaten, die zumindest partiell ein transnationales Doppelverfolgungsverbot anerkennen, keine Minderheit darstellen. Das Fehlen einer völkergewohnheitsrechtlichen Regel öffnet den Weg zur Prüfung der Existenz eines entsprechenden allgemeinen Rechtsgrundsatzes. Das zwischenstaatliche Doppelverfolgungsverbot ist tatsächlich als allgemeiner Rechtsgrundsatz anzusehen. Zunächst muss auf das weitgehend anerkannte innerstaatliche „ne bis in idem“ abgestellt werden. Dieses könnte mit Sicherheit als allgemeiner Rechtsgrundsatz betrachtet werden. Wenn man aber das innerstaatliche „ne bis in idem“-Prinzip auf die völkerrechtliche Ebene überträgt, so darf das nicht statisch geschehen; man muss auf den dahinter stehenden Gedanken abstellen und ihn im Rahmen des völkerrechtlichen Bereichs dynamisch interpretieren. Der Grundgedanke, von dem hier ausgegangen werden soll und der als allgemeiner Rechts-
H. Gesamtergebnis
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grundsatz anzunehmen ist, ist daher das Recht jedes Menschen, ab einem bestimmten Zeitpunkt für seine begangene Straftat „in Ruhe gelassen zu werden“. Das bedeutet, dass auch in der völkerrechtlichen Rechtsordnung eine gewisse Grenze für die mehrmalige Strafverfolgung des Täters gesetzt werden muss. Die prinzipielle Annahme eines zwischenstaatlichen Doppelverfolgungsverbots führt zu der Frage seiner völkerrechtlichen Grenzen. Dafür ist das oft gegen das transnationale „ne bis in idem“ vorgebrachte Souveränitätsprinzip nicht maßgeblich, da es nur das Verhältnis zwischen Staaten untereinander und nicht zwischen Staat und Individuum regelt. Die Grenzen sind, wie auf der nationalen Ebene, hingegen anhand der internationalen Prinzipien des Strafanwendungsrechts zu bestimmen. Sie besagen, wann aus völkerrechtlicher Sicht die Anknüpfung der Straftat an die jeweilige Rechtsordnung das staatliche Interesse zur Verfolgung dieser Straftat rechtfertigt. Somit kommt man aus völkerrechtlicher Sicht wieder zu den zuvor genannten Ergebnissen. Nachdem festgestellt worden ist, dass sowohl nach dem deutschen Recht als auch nach dem Völkerrecht das transnationale „ne bis in idem“ de lege lata anerkannt werden muss, ist die Art zu bestimmen, wie dieses Verbot konkret in das deutsche Strafverfahrenssystem eingebaut werden kann. Am effektivsten wäre die Anerkennung eines Verfahrenshindernisses direkt nach Art. 103 Abs. 3 GG oder dem Rechtsstaatsprinzip. Des Weiteren könnte aber auch § 153c StPO herangezogen werden, und zwar unter folgender Betrachtung der Vorschrift: Zu den in § 153c Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO beschriebenen Auslandstaten, von deren Verfolgung abgesehen werden kann, gehören vor allem die Straftaten, die im Ausland schon abgeurteilt worden sind. Eine Ausnahme von dieser Regel bilden aufgrund des hohen Verfolgungsinteresses nur die Fälle, in denen entweder die Auslandstat auf Basis des Staatsschutzprinzips i. e.S. erfolgt oder die ausländische Aburteilung gegen den internationalen „ordre public“ verstößt. Die Nichtverfolgung von Auslandstaten, deren Anknüpfung an Deutschland auf dem aktiven und passiven Personalitätsprinzip, dem Staatsschutzprinzip i.w.S., dem Flaggengrundsatz, dem Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege und dem Weltrechtspflegeprinzip basiert, kann somit anhand von § 153c Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO erfolgen. Es muss auch davon ausgegangen werden, dass die Einstellung des Verfahrens in diesen Fällen nicht im Ermessen des Staatsanwalts steht (sog. Ermessensreduzierung auf Null). § 153c Abs. 2 StPO wäre dann bei Straftaten anwendbar, die zwar trotz vorheriger ausländischer Aburteilung prinzipiell verfolgt werden können (Inlandstaten oder nach dem Staatsschutzprinzip i. e.S. verfolgbare Straftaten), für die in dem konkreten Fall jedoch kein besonderes Verfolgungsinteresse besteht, z. B. weil die Auslandsaburteilung sich als angemessen erweist oder die Auswirkungen der Tat im Inland sehr gering sind. Schließlich wurden die konkreten Merkmale des transnationalen „ne bis in idem“Verbots untersucht. Was den Begriff der Tatidentität angeht, ist festgestellt worden, dass entgegen der herrschenden Meinung nur ein an dem Handlungsbegriff des
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H. Gesamtergebnis
Strafrechts orientierter Tatbegriff die Zwecke des transnationalen „ne bis in idem“ am besten erfüllen kann und der Beziehung zwischen Strafrecht und Strafprozessrecht gerecht wird. Als „endgültig abgeurteilt“ sollen des Weiteren alle Straftaten angesehen werden, für die eine staatliche Entscheidung getroffen wurde, welche die durch das Strafverfahren erzielten Zwecke (normativ) als erfüllt erscheinen lässt. Welches Organ diese konkrete Entscheidung getroffen hat, welche Form sie hat und wie leicht sie angefochten werden kann, spielt für die Bejahung des Aburteilungsmerkmals keine Rolle. Schließlich ist das sogenannte Vollstreckungselement, also die Voraussetzung, dass im Falle einer ausländischen Verurteilung die Strafe verbüßt sein muss, damit das „ne bis in idem“-Verbot eingreifen kann, lediglich als „Sicherheitsventil“ zu betrachten. Sie kann nur dann eingreifen, wenn die Gefahr der missbräuchlichen Nutzung des transnationalen Doppelverfolgungsverbots gegeben ist, d. h., wenn die Vollstreckung der fremden Entscheidung oder die Auslieferung des Abgeurteilten an den Ersturteilsstaat nicht möglich ist.
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Sachverzeichnis Aburteilung 236 Abwägung 201 Abwehrrecht 66 – 68, 70, 73, 77, 82, 94 f. Achtungspflicht 24, 65, 68 f., 71 – 76, 246 Akzessoritätsprinzip 211 Anknüpfungspunkt 101 – 103, 108 – 112, 115, 119, 121, 124, 126 – 130, 132 – 134, 136 f., 139, 150, 153, 159, 184 f., 193 f., 250 – 254, 258 – 260, 267 Anrechnungsprinzip 20, 223, 228 f., 264 Auslandstat 105 f., 109 – 115, 117 – 120, 122 – 125, 136 f., 140, 145, 169, 204 f., 207 – 209, 211 f., 217 f., 253, 269 Auslieferungsrecht 147 Auswirkungsgrundsatz 209 Corpus Juris
257
Eingriff 28, 34, 36 – 40, 55, 66, 68, 70, 72 – 77, 79, 81 f., 84, 87 f., 93 f., 96 – 100, 102 f., 108, 115, 136, 149 f., 183 f., 193, 196, 208, 217, 238, 245, 251, 266 – 268 Einstellung des Verfahrens 60, 73, 78, 83, 107, 197 – 199, 202 – 208, 210 – 212, 217 f., 238, 243, 246, 269 Entscheidungsspielraum 197 Entscheidungszuständigkeit 257 Ermessensreduzierung 200 Flaggenprinzip 105 Forum-Shopping 192 Freiburg-Proposal 264 Freiheitsvermutung 85 – 87 Fremdenrecht 176 Funktionstüchtigkeit 79 f. Gerechtigkeit 24, 32, 37 f., 42 f., 47 – 52, 55 f., 58 – 65, 72, 79, 119, 143 f., 150, 183, 188 – 192, 228, 246, 266 Gewährleistungsgehalt 34 – 36 Grundrechtseffektivität 33
Handlung 230 Hierarchisierungsmodell
259
jus cogens 143 Justizförmigkeit 70, 75, 259 Justizgrundrecht 27 Kompetenzkonflikt 107 f., 250 f., 253 f., 256, 258 – 260, 262, 264 Kompetenzverteilungsprinzip 258 Legalitätsprinzip 69, 90, 197 lex loci 109 f., 119 f., 137 – 140, 190 f., 193 Meistbegünstigungstheorie Menschenrechte 175
240
Opportunitätsprinzip 78, 105, 169, 186, 197 f., 201 f., 211, 234, 236 ordre public 140 – 145, 150, 190, 192, 194 f., 207, 209, 218, 235, 268 f. Personalitätsprinzip – aktives 109, 123 – passives 118, 123 Prozessgegenstand 44, 231, 233 Prozesshindernis 44, 244 Prozesszweck 46, 48, 102 Qualifizierte Verfahrensbeendigung Qualitätsprinzip 256
241
Rechtsfrieden 48, 62, 70, 104, 109, 111, 114, 246 f. rechtsfrieden 249 Rechtsgrundsätze, allgemeine 170, 178 Rechtshilferecht 147 Rechtskraft 27, 30 f., 41 – 48, 55 f., 58, 60 – 62, 64 f., 157, 160, 174, 187, 196, 225, 230, 233 f., 237, 239 – 246, 264
302
Sachverzeichnis
Rechtssicherheit 24, 27, 32, 37 f., 47 – 52, 54, 56 – 65, 72, 143, 150, 161, 221, 244, 246, 266 Rechtsstaatsprinzip 24, 27, 38 – 41, 49, 53 f., 67, 72 f., 78 f., 81, 158, 169, 199, 256, 266, 269 Schranke 28, 34, 36 – 40, 72, 84, 95, 101, 180, 184 Schutzbereich 28, 34 – 38, 40, 73, 93, 95 – 97, 150, 158, 165, 266 Schutzinteresse 70 – 72, 79 – 81, 85, 88, 100 – 105, 108 f., 114, 117 f., 120, 123, 126, 133, 136, 145, 150, 206, 212, 235 f. Schutzpflicht 19, 66 – 74, 76 – 78, 80, 118, 120, 150, 162, 184, 203, 211, 246, 267 Souveränitätsprinzip 180 Sperrwirkung 21, 131, 140, 148, 152, 169, 189, 196, 230, 234 – 238, 240, 247, 266 Staatsschutzprinzip 115 Stellvertretende Strafrechtspflege 124 Stellvertretungsprinzip 131 Strafbefehl 30, 60 Strafklagerecht 43 – 45 Strafkompetenz 130, 256, 258, 260 – 262, 265 Tatbegriff 138, 220 – 231, 233 f., 236, 249, 264 f., 270 Tatbestandstheorie (weite) 34
Täterstrafrecht 114 Tatidentität 220 Tatortstrafbarkeit 137 f., 211 Teilnahme 211 Territorialitätsprinzip 30, 103 – 109, 126, 130 f., 136, 145, 153, 204, 206 – 209, 222, 229, 247, 251, 253 – 255, 259, 268 Ubiquitätsprinzip 209 Urteilsform 237 Verfahrenshindernis 22, 44, 133, 138 f., 146, 168, 190, 196 f., 201, 203, 217, 269 Verhältnismäßigkeitsprinzip 36 f., 51, 81 – 83, 150, 196, 200 f., 203, 208, 217, 223, 234 Verteilungsprinzip 83 – 86 Vertragsprinzip 134 Völkergewohnheitsrecht 167 Völkerstrafrecht 132 Vollstreckungselement 247 Vollstreckungshilfe 148 Weltrechtspflegeprinzip 127 Wiederaufnahme 37 f., 43, 45, 47, 50, 59, 61 – 65, 71, 73, 98 f., 160 – 162, 164, 180, 240 f., 244 f. Ziel des Strafprozesses
69, 249