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German Pages 410 [411] Year 2019
Schriften zum Völkerrecht Band 232
Transnationale Nomaden im Völkerrecht Staatsgrenzen und die Migration von Völkern
Von
Moritz von Rochow
Duncker & Humblot · Berlin
MORITZ VON ROCHOW
Transnationale Nomaden im Völkerrecht
Schriften zum Völkerrecht Band 232
Transnationale Nomaden im Völkerrecht Staatsgrenzen und die Migration von Völkern
Von
Moritz von Rochow
Duncker & Humblot · Berlin
Die Bucerius Law School – Hochschule für Rechtswissenschaft Hamburg hat diese Arbeit im Jahre 2017 als Dissertation angenommen.
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© 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Ochsenfurt-Hohestadt Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0251 ISBN 978-3-428-15645-0 (Print) ISBN 978-3-428-55645-8 (E-Book) ISBN 978-3-428-85645-9 (Print & E-Book)
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Out in the endless barren wastelands, out in the lands of the free there lives a stone hard people, and they share this life with me. It’s not a life for the weak of heart, or for all, most do agree, but for wandering tribal nomads, it’s the only life we see. Abney Park, Tribal Nomad (2014)
Vorwort Dieses Buch basiert auf meiner an der Bucerius Law School in Hamburg verfassten und unter dem Titel „Völkerwanderung – transnationale Nomaden im Völkerrecht“ von dieser zur Promotion angenommenen Dissertationsschrift. Das Promotionsverfahren wurde am 19. Februar 2018 mit der Note Summa cum laude abgeschlossen. Erstgutachter und betreuender Doktorvater war Prof. Dr. Jasper Finke, LL.M. (Columbia). Das Zweitgutachten erstellte Prof. Dr. Dr. Rainer Hofmann von der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Jasper Finke gilt mein ganz besonderer Dank für seine fürsorgliche Betreuung. Großzügig wurde ich mit Arbeitsmitteln ausgestattet und fand seine Tür für Fragen und Anregungen stets offen vor. Ich bedanke mich auch bei Rainer Hofmann für die sehr rasche, sorgfältige und wohlwollende Erstellung des Zweitgutachtens. Außerordentlich dankbar bin ich meiner Familie für Rückhalt, Beistand und Motivation sowie für die finanzielle Unterstützung, insbesondere bei der Veröffentlichung dieser Arbeit. Ganz maßgeblich zum Gelingen beigetragen haben die Lehrstuhlteams der völkerrechtlichen Lehrstühle an der Bucerius Law School, die mich nicht nur freundschaftlich in ihren Reihen als Wissenschaftlicher Mitarbeiter aufgenommen haben, sondern viele wertvolle Ideen beigetragen und den einen oder anderen Gedankenknoten entwirrt haben. Namentlich seien hier ganz besonders Alina Winter, Alix Schlüter und Andreas Haas erwähnt, denen ich für ihre intensive Unterstützung in Freundschaft und Dank verbunden bin, ebenso wie auch Christian Ernst, Jan-Philipp Redder, Sebastian tho Pesch und Tim Salomon, deren zahlreiche Anregungen und Literaturempfehlungen in diese Arbeit eingeflossen sind. Schließlich waren es aber auch die Studierenden der „Butze“, die mir in dieser Zeit ans Herz gewachsen sind und die Zeit dort zu einem unvergesslichen Erlebnis gemacht haben. Dank gebührt auch Liisa-Julia Voß für ihre vielfältige Unterstützung und den Rückhalt während der Dissertationszeit. Besonders danken möchte ich Edward Martin und Nikolaus Vaerst für ihre Freundschaft und den intensiven und tiefgründigen Gedankenaustausch, der das Ergebnis dieser Untersuchung in die entscheidenden Richtungen gelenkt hat. Besonders verbunden bin ich Prof. Dr. Georg Nolte dafür, dass er mir im Rahmen meiner Tätigkeit als studentischer Mitarbeiter durch das Einfordern von größtmöglicher Sorgfalt und durch das stetige Hinterfragen vermeintlicher Gewissheiten das nötige wissenschaftliche Rüstzeug für mein Dissertationsprojekt vermittelt hat.
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Vorwort
Schließlich verdankt dieses Buch seine Existenz den offenherzigen Menschen der Völker der Afar und Issa in Dschibuti, von deren Leben ich während eines viermonatigen Aufenthalts am Horn von Afrika einen prägenden Eindruck gewinnen konnte. Die Gespräche mit ihnen und ein kurzes Zusammentreffen mit dem Weltreisenden Rüdiger Nehberg waren Inspiration für dieses Buch. Kiel, im November 2018
Moritz von Rochow
Inhaltsverzeichnis A. Einleitung – ein globaler Nomos ohne Nomaden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 B. „Wanderroute“ dieser Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 C. Nomaden in Zeit, Raum und Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 I. Was sind Nomaden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1. Gemeinsamkeiten nomadischer Völker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2. Unterscheidung nach Versorgungsstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 3. Unterscheidung nach Lebensraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 4. Verschiedene Formen des Nomadentums als Ausdruck einer graduellen sozioökonomischen Erfahrung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 II. Auf der Suche nach einer Definition des Nomaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 1. Verschiedene Legaldefinitionen von Nomadismus, Pastoralismus und Transhumanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 2. Entwicklung einer Definition von Nomadismus, Pastoralismus und Transhumanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3. Grenzfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 a) „New Age“, „Hippies“ und andere „Neo-Nomaden“ . . . . . . . . . . . . . . . 37 b) Unterbrechung des nomadischen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 c) Abgrenzung zu Arbeitsmigranten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 d) Abgrenzung zu Flüchtlingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 e) Verhältnis zu „Umweltflüchtlingen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 4. Zwischenfazit – Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 III. Territorien und Grenzen aus dem Blickwinkel von Staaten und Nomaden . . . 50 1. Von der Mark zur Grenze – Die Entwicklung des europäischen Grenzkonzeptes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 a) Entwicklung von Staaten und deren Grenzen in Europa . . . . . . . . . . . . . 52 b) Konflikt zwischen europäischem und nomadischem Grenzverständnis am Beispiel der Grenzziehung in der arabischen Welt . . . . . . . . . . . . . . 59 2. „Lebende“ Grenzen der Clans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 a) Zugehörigkeit anhand von Blutsverwandtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 b) Ableitung von Individualrechten aus der Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 c) Territorien und Grenzen unter dem Rule of the Clan . . . . . . . . . . . . . . . 68 d) Verhältnis zwischen Rule of the Clan und Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 aa) Verdrängung der staatlichen Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
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Inhaltsverzeichnis bb) Konstitutionelle Verwebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 cc) Institutionelle Gleichstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 dd) Informelle Fortgeltung des Rule of the Clan . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 ee) Notwendigkeit eines geregelten Rechtsgefüges zwischen zwei gegensätzlichen Ordnungsmodellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 3. Zwei Ordnungsmodelle im Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 4. Ziehung und Durchlässigkeit von Grenzen in Europa und Übersee . . . . . . 84 a) Ziehung von Grenzen in Europa nach dem Ersten Weltkrieg unter Zugrundelegung des Selbstbestimmungsrechts der Völker . . . . . . . . . . . . . 85 aa) Neuaufteilung Europas unter dem Banner des Selbstbestimmungsrechts der Völker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 bb) Gewährung eines Grenzübertrittsrechts für Landwirte und Hirten, um die effektive Nutzung von Eigentum jenseits der Grenze sicherzustellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 cc) Problem der Übertragbarkeit der hinsichtlich privater Landrechte entwickelten Grundsätze auf Nomaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 b) Ziehung von Grenzen in den Kolonien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 aa) Grenzziehung in Bezug auf Übersee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 bb) Grenzziehung in Übersee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 (1) Rechtsverkehr zwischen Europa und Asien . . . . . . . . . . . . . . . . 108 (2) Rechtsverkehr zwischen Europa und Lateinamerika . . . . . . . . . 108 (3) Rechtsverkehr zwischen Europa und Nordamerika . . . . . . . . . . 109 (4) Rechtsverkehr zwischen Europa und Afrika . . . . . . . . . . . . . . . . 111 (5) Bewertung und Einordnung der Rechtsbeziehungen nach Übersee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 (6) Anwendung auf Grenzübertrittsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 cc) Zwischenfazit zur Grenzziehung in den Kolonien . . . . . . . . . . . . . . 117 c) Petrifizierung der Grenzen nach der Dekolonisierung in Afrika und in Zentralasien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 aa) Zwei Visionen für Afrika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 (1) „Rettung von außen“ – Nation-Building nach europäischem Vorbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 (2) Pan-afrikanische Restauration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 bb) Nomaden und Grenzen in Zentralasien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 5. Zwischenfazit – Grenzziehung durch die Kolonialmächte, Grenzschließung nach der Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 IV. Rechtliche und politische Behandlung nomadischer Völker im Wandel der Zeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 1. Herren ihres Landes – Rechtssubjektivität nomadischer Völker in der Frühphase des Kolonialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 a) Internationale Rechtspersönlichkeit von Nomaden in der Literatur . . . . 129 b) Internationale Rechtspersönlichkeit von Nomaden in der Staatenpraxis 130
Inhaltsverzeichnis
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2. Imperialismus und „Zivilisierung“ der Nomaden – Vom Naturrecht zum Rechtspositivismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 3. Wissenschaftlich „fundierte“ Umerziehung im Zeichen des Fortschritts, des Umweltschutzes und der Sicherheit und ihr Einfluss auf die Abkommen zur nomadischen Freizügigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 a) Wissenschaftliche Grundlagen der Sedentarisierung . . . . . . . . . . . . . . . . 143 aa) Ökonomischer Fortschritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 bb) Ökologische Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 cc) Sicherheitspolitische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 dd) Steuer- und Zollkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 ee) Nation-Building . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 b) Auswirkung der politischen Bewertung auf das Recht der Nomaden zum Grenzübertritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 aa) Ende des Lappkodizil? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 bb) Grenzüberschreitende Weiderechte in Afrika . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 cc) Grenzüberschreitende Weiderechte in Arabien . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 dd) Grenzüberschreitende Weiderechte in Asien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 ee) Seenomaden zwischen Australien und Indonesien . . . . . . . . . . . . . . 153 (1) Entwicklung und Inhalt des 1974 MoU und der 1989 Minutes
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(2) Bewertung des 1974 MoU und der Minutes von 1989 . . . . . . . . 157 4. Zwischenfazit – drei Phasen der Entrechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 V. Politischer und wissenschaftlicher Paradigmenwechsel – Nomaden im 21. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 1. Ökonomische Neubewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 a) Einfluss des grenzüberschreitenden Nomadentums auf die wirtschaftliche Entwicklung am Beispiel der Fulbe in Ghana und der Elfenbeinküste 159 b) Die nomadische Viehweidewirtschaft als Wirtschaftsfaktor . . . . . . . . . . 160 2. Ökologische Neubewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 a) Das Ende der Tragik der Allmende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 b) Das Konzept der Tragfähigkeit gilt nicht in unberechenbaren Trockengebieten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 c) Symbiose zwischen Nomaden und Grasland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 3. Sicherheitspolitische Neubewertung am Beispiel des Bürgerkriegs in der Zentralafrikanischen Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 4. IGH-Rechtsprechung zwischen West-Sahara-Gutachten und Grenzstreit zwischen Burkina Faso und Niger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 VI. Résumé . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 D. Neue Staatenpraxis im 21. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 I. Grenzvertrag zwischen Sudan und Südsudan 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 II. Neuverhandlung der Rechte der Samen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 III. Tadschikistan und Kirgisien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
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Inhaltsverzeichnis IV. Neue Dynamik multilateraler Verträge in Afrika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 1. Historisch-politischer Kontext der nomadischen Freizügigkeit in Afrika
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2. „Flexible Regimes“ mit variabler Geometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 a) „Flexible Regimes“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 b) Variable Geometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 3. Grenzübertrittsrechte der Nomaden in der ECOWAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 a) Regelungen der ECOWAS zur Freizügigkeit insb. nomadischer Völker 189 b) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 c) Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 4. Grenzübertrittsrechte der Nomaden durch die CEBEVIRHA . . . . . . . . . . . . 197 a) Regelungen der CEBEVIRHA zu den transnationalen Wanderungen der Nomaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 b) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 c) Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 5. Entwicklung von nomadischen Wanderrechten in anderen Teilen Afrikas 201 a) Politisches Umdenken in den Regionalorganisationen . . . . . . . . . . . . . . 201 b) Politisches Umdenken in der Afrikanischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 c) Gründung einer gesamtafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft, beinhaltend eine allgemeine Personenfreizügigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 V. Bewertung des neuen Völkerrechts zu nomadischen Wanderrechten . . . . . . . 204 E. Nomadische Grenzübertrittsrechte im Völkergewohnheitsrecht und der späteren Vertragspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 I. Spätere Staatenpraxis oder Gewohnheitsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 1. Spätere Staatenpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 2. Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 a) Allgemeinheit der Übung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 b) Verhältnis zwischen Staatenpraxis und Opinio iuris . . . . . . . . . . . . . . . . 216 aa) Voluntaristische Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 bb) Praxis-induktive Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 cc) Normativistische Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 dd) Naturrechtliche Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 ee) Duale Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 ff) Multiple Gewohnheitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 c) Schlussfolgerung – praxis-induktiver Dualismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 d) Staatenpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 e) Opinio iuris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 II. Fazit – rechtspluralistisches Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
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F. Wanderrechte im kodifizierten Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 I. Nomadisches Wanderrecht als Menschenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 1. Natur eines Menschenrechts – gewährt oder angeboren? . . . . . . . . . . . . . . 237 a) Recht auf Wanderung aus naturrechtlicher Perspektive . . . . . . . . . . . . . 238 b) Recht auf Wanderung aus positivistischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . 241 aa) Recht zur Ausreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 bb) Recht auf Einreise ins eigene Land . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 (1) Was ist das eigene Land? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 (2) Beschränkbarkeit des Rechts auf Einreise ins eigene Land . . . . 250 c) Zwischenfazit – individuelles Menschenrecht auf Ausreise und Rückreise ins soziologisch zu bestimmende eigene Land . . . . . . . . . . . . . . . . 252 2. Wanderrechte als Zutrittsrechte zu völkerrechtlich geschütztem Eigentum nach der Banjul-Charta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 II. Schutz indigener Völker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 1. Sind Nomaden indigene Völker? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 a) Definition indigener Völker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 aa) Cobo-Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 bb) Definition der ILO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 cc) Definition der Afrikanischen Menschenrechtskommission . . . . . . . 264 dd) Definition der Weltbank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 b) Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 2. Rechte indigener Völker aus der UNDRIP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 a) Recht auf nomadische Wirtschaft und Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 b) Recht auf Staatsangehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 c) Grenzüberschreitende Freizügigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 d) Recht auf Mechanismen zur Verhinderung von Vertreibung . . . . . . . . . . 272 e) Recht auf Land . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 f) Problem der intertemporalen Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 3. Rechtsverbindlichkeit der UNDRIP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 4. Rechte indigener Völker aus der Antirassismuskonvention . . . . . . . . . . . . . 285 5. Fazit – kaum zusätzliche Rechte für indigene Völker . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 III. Nomadisches Wanderrecht als Minderheitenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 1. Minderheitenrechte nach dem Internationalen Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 a) Was ist eine Minderheit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 b) Gewährt der Minderheitenschutz aus Art. 27 IPBPR ein Recht auf Grenzübertritt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 2. Framework Convention for the Protection of National Minorities . . . . . . . 295 3. Fazit – angestammte Nomaden genießen Minderheitenrechte auch in Staaten, deren Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen . . . . . . . . . . . . . . . . . 296
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Inhaltsverzeichnis IV. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker als Brücke zwischen den Völkerrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 1. Rechtliche Verankerung des Selbstbestimmungsrechts der Völker im positiven Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 2. Systematisierung des Selbstbestimmungsrechts der Völker . . . . . . . . . . . . 300 3. Schutzbereichsbezogene Theorien des Selbstbestimmungsrechts der Völker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 a) Verengende Auslegung des personellen Schutzbereiches . . . . . . . . . . . . 301 aa) Historische Verengung auf „Salt-Water-Colonialism“ . . . . . . . . . . . 302 bb) Teleologische Verengung des Volksbegriffs auf Staatsvölker . . . . . . 307 cc) Teleologische Verengung des Volksbegriffs auf „ethnische“ Völker – Subjektiv-objektive Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 dd) Volk als „Civitas“ jenseits des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 ee) Teil eines Volkes als Rechtsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 b) Sachlicher Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts der Völker . . . . 319 aa) Vorüberlegungen zur Dogmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 bb) Inhalt des Selbstbestimmungsrechts der Völker mit Blick auf nomadische Wanderrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 (1) Autonomierechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 (2) Wirtschaftliche Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 (3) Recht auf Heimat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 cc) Zwischenfazit – sachlicher Schutzbereich hinsichtlich nomadischer Wanderrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 c) Einschränkbarkeit des Selbstbestimmungsrechts der Völker . . . . . . . . . 328 4. Abwägung des Selbstbestimmungsrechts in seiner Gestalt als nomadisches Grenzübertrittsrecht gegen kollidierende Rechte und Prinzipien des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 a) Abwägung zwischen nomadischem Grenzübertrittsrecht und territorialer Integrität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 b) Abwägung zwischen nomadischem Grenzübertrittsrecht und Uti-possidetis – Ausgleich durch Permeabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 c) Abwägung verschiedener Selbstbestimmungsrechte gegeneinander . . . . 333 5. Anwendung der Prinzipientheorie auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 6. Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335
G. Clans, Nomaden und die Relativität von Grenzen im 21. Jahrhundert – Was bleibt von Jellinek? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 I. Die Rückkehr der Clans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 II. Klimawandel und Staatszerfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 III. Die Entkopplung von Gebiet und Volk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 IV. Jenseits von Jellinek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341
Inhaltsverzeichnis
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H. Synopsis in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 Rechtsquellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 I. Nationale Rechtsakte und Rechtsakte regionaler Organisationen . . . . . . . . . . . . . 383 II. Internationale Übereinkünfte und Akte internationaler Organisationen . . . . . . . . . 385 III. UN-Resolutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 Entscheidungsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 I. Nationale Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 II. Internationale Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404
Abkürzungsverzeichnis ACFC ACHPR AFDI AfJICL AfYbIL AJCL AJIL AöR ARIEL AU AUBP AWZ BpB Brown JWA BYbIL CAADP CdEAf CEBEVIRHA CEBV CEMAC CEN-SAD CEPGL CEWARN CIT CLF COMESA Connecticut JIL Cornell ILJ CPC Cyprus YbIR Duke LJ EAC ECCAS Echos AC ECOWAS EJIL Emory ILR EuGrz
Advisory Committee on the Framework Convention for the Protection of National Minorities African Commission on Human and Peoples’ Rights Annuaire Français de Droit International African Journal of International and Comparative Law African Yearbook of International Law American Journal of Comparative Law American Journal of International Law Archiv des öffentlichen Rechts Austrian Review of International and Environmental Law Afrikanische Union African Union Border Programme Ausschließliche Wirtschaftszone Bundeszentrale für politische Bildung Brown Journal of World Affairs British Yearbook of International Law Comprehensive Africa Agriculture Development Programme Cahier d’Études Africaines Commission Economique du Bétail, de la Viande et des Ressources Halieutiques Communauté Economique du Bétail et de la Viande Communauté Économique et Monétaire de l’Afrique Centrale Communauté des États Sahélo-Saharien Communauté Economique des Pays des Grands Lacs Conflict Early Warning and Response Mechanism Certificat International de la Transhumance (Transhumanzzertifikat der ECOWAS) Criminal Law Forum Common Market for Eastern and Southern Africa Connecticut Journal of International Law Cornell International Law Journal Communist Party of China The Cyprus Yearbook of International Relations Duke Law Journal East African Community Economic Community of Central African States Echos d’Afrique Centrale Economic Community of West African States European Journal of International Law Emory International Law Review Europäische Grundrechtezeitschrift
Abkürzungsverzeichnis FAO FCPNM Fordham ILJ FRD Georgetown ILJ GfbV GG Harvard ILJ HESS HistZ HRLJ HRLR IA ICLQ ICPALD IGAD IGH IJCL IJIL IJMCL IJMGR IJRL ILA ILC ILO IM IPBPR IPWSKR IRIN IRuD IUCN IWGIA IYbHR JAR JbIR JbÖR JEpMIE JHIL JIATS JLPUL JMAfS JPS JRM JWIT JZ KSZE LEDJ
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Food and Agriculture Organisation of the United Nations Framework Convention for the Protection of National Minorities Fordham International Law Journal Friendly-Relations Declaration Georgetown Immigration Law Journal Gesellschaft für bedrohte Völker Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland Harvard International Law Journal Hydrology and Earth Systems Sciences Historische Zeitschrift Human Rights Law Journal Human Rights Law Review International Affairs International and Comparative Law Quarterly IGAD Center for Pastoral Areas and Livestock Development Intergovernmental Authority on Development Internationaler Gerichtshof International Journal of Constitutional Law Indian Journal of International Law International Journal of Marine and Coastal Law International Journal on Minority and Group Rights International Journal of Refugee Law International Law Association International Law Commission International Labour Organization International Migration Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ursprünglich: Integrated Regional Information Networks, heute ist das Akronym selbst Eigenname Internationales Recht und Diplomatie International Union for Conservation of Nature International Work Group for Indigenous Affairs Israel Yearbook of Human Rights Journal of Anthropological Research Jahrbuch für internationales Recht Jahrbuch des öffentlichen Rechts Journal on Ethnopolitics and Minority Issues in Europe Journal of the History of International Law Journal of the International Association of Tibetan Studies Journal of Legal Pluralism and Unofficial Law Journal of Modern African Studies Journal of Palestine Studies Journal of Range Management Journal of World Investment and Trade Juristenzeitung Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Law, Environment and Development Journal
18 Legal IEI LGD Martens NRG Melbourne ULR Michigan JIL Missouri LR Mizan LR MLR MoU MPEPIL MPYbUNL MRU NEPAD nm Nordic JIL NRJ NYUJILP NZLJ OAU OECD Osgoode Hall LJ PALM Pastoralism RPP PbV PCA PMcGeorgeGBDLJ PRIA ProcASIL PTA RBelgeDI RdC RDIeLC RG RGDIP RHDI RIA RITD RPol RQDI SACU SADC SCJILB SCLR SCOC SCOTUS Sri Lanka JIL SRÜ
Abkürzungsverzeichnis Legal Issues of Economic Integration Law, Social Justice & Global Development Journal Martens Nouveau Recueil Général de Traités Melbourne University Law Review Michigan Journal of International Law Missouri Law Review Mizan Law Review The Modern Law Review Memorandum of Understanding Max Planck Encyclopedia of Public International Law Max Planck Yearbook of United Nations Law Mano River Union New Partnership for Africa’s Development nautische Meile Nordic Journal of International Law Natural Resources Journal New York University Journal of International Law and Politics New Zealand Law Journal Organization of African Unity Organisation for Economic Co-operation and Development Osgoode Hall Law Journal Pamir-Alai Land Management Pastoralism: Research, Policy and Practice Pogrom bedrohte Völker Permanent Court of Arbitration (Ständiger Schiedshof) Pacific McGeorge Global Business & Development Law Journal Programme Régional d’Investissement Agricole Proceedings of the Annual Meeting of the American Society of International Law Preferential Trade Area for Eastern and Southern African States Revue Belge de Droit International Recueil des Cours Revue de Droit International et de Législation Comparé Rechtsgeschichte – Legal History Revue Générale de Droit International Public Revue Hellénique de Droit International Review of International Affairs Revue Internationale de la Théorie du Droit The Review of Politics Revue Quebecoise de Droit International South African Customs Union African Development Community South Carolina Journal of International Law and Business Southern California Law Review Supreme Court of Canada Supreme Court of the United States of America Sri Lanka Journal of International Law Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen
Abkürzungsverzeichnis StIGH STP Temple ICLJ Tilburg LR UChicagoLR UEMOA UMA UN UNCERD UNDP UNDPI UNDRIP UN ECOSOC UNEP UNESCO UNGA UNHCR UNICEF UNPO UNSC UNTS UP Virginia JIL Virginia MHB Wisconsin ILJ WTO WVK Yale LJ YbILC Yonsei LJ ZaöRV ZSR
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A. Einleitung – ein globaler Nomos1 ohne Nomaden? „Der Staat ist die mit ursprünglicher Herrschaftsmacht ausgestattete Körperschaft sesshafter Menschen.“2
Anfang des 20. Jahrhunderts schrieb Georg Jellinek jene schicksalsschweren Worte, die heute die Grundlage der völkerrechtlichen Weltordnung bilden und die später als Drei-Elemente-Lehre bekannt wurden. Es liegt nahe, dass ein Völkerrecht, welches die Rechtsbeziehungen zwischen solchen „Körperschaften sesshafter Menschen“ regeln will, dort zu kurz greift, wo Personenverbände gerade nicht sesshaft sind. Diesen Gemeinschaften gilt die folgende Untersuchung. Ungeachtet dessen nämlich, dass nomadische Völker in vielen Gebieten seit Jahrtausenden die faktische Normalität darstellen, machte sie das staatszentrierte Völkerrecht europäischer Prägung3 zur normativ ungewollten Ausnahme.4 Dass Georg Jellinek nomadische Völker aus seinen Betrachtungen zur Staatslehre ausklammerte, war zu seiner Zeit keinesfalls selbstverständlich. So schrieb etwa Carlos Calvo nur wenige Jahre vor Jellinek: „Les peuples nomades, n’ayant ni territoire propre ni domicile fixe, ne sauraient être considéré comme des États; mais on les traite sur le même pied; on conclut même des traités internationaux avec eux, lorsqu’ils jouissent d’une organisation politique et expriment, par l’intermédiaire de leurs chefs ou de leurs assamblées, une volonté commune.“5 1 Der Begriff „Nomos“ wird v. a. seit Carl Schmitt in seiner Bedeutung als Gesetz oder Raumordnung verwendet. Das Wort „Nomos“ hat indes ebenso wie der Begriff des Nomaden seine Wurzel im griechischen némein, was neben „Nehmen“ und „Zuteilen“ auch mit „Weiden“ übersetzt wird und somit gleichfalls Ursprung des Wortes „Nomos“ im Sinne von Weideland ist; vgl. Vilém Flusser, The Freedom of the Migrant, University of Illinois Press 2003, 47; vgl. auch C. I. 2. 2 Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 2. Auflage, O Häring 1905, 173. 3 Martti Koskenniemi, Histories of International law: Dealing with Eurocentrism (2011) RG, 152, 154 ff. 4 Vgl. Jasper Finke, Funktion und Wirkung der Ausnahme im Recht (2015) AöR, 515, 522 f. zur Ambivalenz des Begriffs der Ausnahme, der einerseits eine empirisch-faktische Abweichung von der Normalität beschreibt, andererseits aber auch einen unerwünschten normativen Zustand. 5 Carlos Calvo, Manuel de Droit international, 3. Auflage, Arthur Rousseau 1892, § 49, 85, „Die nomadischen Völker, weder eigenes Territorium noch festes Domizil besitzend, sollten nicht als Staaten betrachtet werden; aber man behandelt sie genauso; man schließt sogar internationale Verträge mit ihnen, weil sie über eine politische Selbstorganisation verfügen und
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A. Einleitung – ein globaler Nomos ohne Nomaden?
Seit Georg Jellinek und Carlos Calvo hat das Völkerrecht einige Wandlungen erlebt. Die vorliegende Arbeit will untersuchen, welche Position nomadische Völker im heutigen Völkerrecht einnehmen. Hierbei stehen zwei Aspekte im Vordergrund: Zum einen folgt die „Organisation politique“ nomadischer Völker eigenen Regeln, welche der staatlichen Gesellschaftsordnung in Teilen diametral entgegengesetzt und geeignet sind, diese faktisch zu verdrängen. Diese Ordnung wird im Folgenden nach der Terminologie Mark Weiners als Rule of the Clan bezeichnet.6 Der Antagonismus und die Koexistenz von Rule of the Clan und staatlicher Ordnung stellt einen Schwerpunkt dieser Arbeit dar. Zum anderen widersprechen Staatsgrenzen den mobilen und weiträumigen Lebenswirklichkeiten vieler nomadischer Völker. Diese Staatsgrenzen werden daher von ihnen, sofern es faktisch möglich ist, regelmäßig überschritten. Demgegenüber versuchen die Staaten gerade mittels Grenzen, die Nomaden an ihrer Lebensweise zu hindern: „The principle of the sanctity of borders is used by all the nation states to deny the nomads the right to associate with their kin who find themselves in different nation states. […] But because of the sanctity of borders, nomads who have no identity cards or travel documents suffer harassment when they cross borders to acquire the basic necessities. They are often searched, beaten, imprisoned and bribes are often solicited from them, and failure to pay leads to the loss of resources purchased. This has been going on for a long time and has become the order of the day for all indigenous African peoples who find themselves in different political divides of the African states. Their rights are continuously violated yet they are not aware of the circumstances leading to their being in different political boundaries.“7
Diese politischen Grenzen gehen meist zurück auf jene Linien, welche die früheren Kolonialmächte zogen, um ihre jeweiligen Kolonialgebiete voneinander abzugrenzen. Die willkürliche Ziehung kolonialer Grenzen in Gebieten, die bislang nur lose determiniert waren und deren Ausdehnung ständig expandierte, kontrahierte und migrierte, war von vornherein inkompatibel mit den Bewegungen der Menschen in einer auf dynamischen Grenzen basierenden präkolonialen Welt und den dortigen Herrschaftsmodellen.8 In Gestalt nomadischer Völker haben sich die fluiden präkolonialen Strukturen bis heute erhalten und stehen nach wie vor im Widerspruch zum Konzept des umgrenzten Staates. Dieses spannungsgeladene Verhältnis zwischen Nomaden und Grenzen soll hier mit Blick auf völkerrechtliche Lösungsmöglichkeiten untersucht vermittelt durch ihre Clanchefs oder ihre Versammlungen einen gemeinsamen Willen zu bilden vermögen.“ (Übersetzung des Verfassers). 6 Mark S. Weiner, The Rule of the Clan, Farrar, Straus and Giroux 2013. 7 ACHPR, Report of the African Commission’s Working Group of Experts on Indigenous Populations/Communities, ACHPR und IWGIA 2005, 39. 8 Julian Clifton/Greg Acciaioli/Helen Brun/Wolfram Dressler/Michael Fabinyi/Sarinda Singh, Statelessness and Conservation: Exploring the Implications of an International Governance Agenda (2014) Tilburg LR, 81, 84.
A. Einleitung – ein globaler Nomos ohne Nomaden?
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werden. Dabei wird insbesondere anhand aktueller Rechtsprechung des IGH und neuerer völkerrechtlicher Verträge aufgezeigt, dass sich jüngst ein Paradigmenwechsel ereignete, welcher das Völkerrecht Jellinek’scher Prägung ergänzt und sich jener Vorstellung annähert, wie sie Carlos Calvo bereits 1892 formuliert hatte.9
9
Carlos Calvo, Manuel de Droit international (Fn. 5) § 49, 85.
B. „Wanderroute“ dieser Untersuchung Zu Beginn dieser Arbeit soll das Forschungssujet eingegrenzt werden. Hierzu wird einerseits unter Rückgriff auf ethnologische Vorarbeiten, andererseits unter Verwendung nationaler Legislativ- und Judikativakte verschiedener Staaten eine Definition des nomadischen Volkes entwickelt. Dieses wird sodann abgegrenzt zu anderen Personen und Personengruppen, deren Wanderungen in Konflikt mit Staatsgrenzen geraten können. Hieran anschließend wird zunächst das Konzept des Territorialstaates und der festen Grenze aus der jeweiligen Sicht von Staaten und nomadischen Völkern dargestellt. Dabei wird einerseits nachgezeichnet, welche Entwicklungsprozesse in Europa zur heutigen Staatenordnung führten und andererseits analysiert, warum in anderen Teilen der Welt andere Entwicklungsprozesse zu anderen Ordnungsmodellen geführt haben. Besonders berücksichtigt wird dabei das weltweit verbreitete Rule of the Clan, welches aufgrund seiner genealogischen Determinierung ohne territoriale Verankerung auskommt und so auch für Nomaden die Grundlage der vorherrschenden Gesellschaftsordnung bildet. Schließlich wird dargelegt, dass Ziehung und Schließung von Grenzen zwei voneinander unabhängige Prozesse sind, welche insbesondere in Europa mit gewissem zeitlichen Abstand erfolgten. So entsprach es dem allseits anerkannten naturrechtlichen Verständnis bis weit ins 19. Jahrhundert hinein, dass trotz der Zuordnung bestimmter Gebiete zu ihren jeweiligen Souveränen, die Freizügigkeit über diese Gebiete zu wahren war und auch noch nach den umfangreichen Grenzverschiebungen des frühen 20. Jahrhunderts waren die Staaten bestrebt, den von diesen Grenzziehungen betroffenen grenznahen Landwirten den Grenzübertritt zu ermöglichen. Internationale Rechtsprechung bestätigte, dass durch eine Grenzziehung private Rechte und zwar nicht nur in ihrer formalen Existenz, sondern auch in ihrer Zutritts- und Nutzungsmöglichkeit, nicht beeinträchtigt werden dürften. Die meisten nomadischen Völker wandern indes nicht in Europa, sondern in Gebieten, welche früher unter europäischer Kolonialverwaltung standen. Wie die Grenzziehung in den Kolonien erfolgte und wie durchlässig die kolonialen Grenzen für Nomaden waren, wird im folgenden Abschnitt beleuchtet. Hierbei wird zwischen der Grenzziehung in Übersee, welche europäische Kolonialmächte mit indigenen Herrschern vereinbarten, und den Grenzen in Bezug auf Übersee, welche die Kolonialmächte untereinander zur gegenseitigen Absicherung ihrer jeweiligen Einflusszonen zogen, differenziert. Schließlich wird dargelegt, wie aus den kolonialen Grenzen Staatsgrenzen wurden und wie sich dies auf die Freizügigkeit nomadischer Völker auswirkte.
B. „Wanderroute“ dieser Untersuchung
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Im hieran anschließenden Abschnitt soll ein Blick auf die Stellung erfolgen, welche nomadische Völker innerhalb der internationalen Beziehungen zu verschiedenen Zeiten einnahmen. Wurden diese nämlich zunächst von den Europäern als souveräne Herren ihres Landes mit internationaler Rechtspersönlichkeit angesehen, so wandelte sich dieses Verständnis im Laufe der Geschichte, bis sich die Staatszentriertheit des modernen Völkerrechts schließlich im 20. Jahrhundert durchsetzte. Diese rechtliche Entwicklung wird in einen Kontext zu ökonomischen, ökologischen und gesellschaftspolitischen Weltanschauungen der jeweiligen Epochen gesetzt. Am Ende dieses Abschnitts wird aufgezeigt, dass sich die ökonomischen, ökologischen und gesellschaftspolitischen Paradigmen zu Beginn des 21. Jahrhunderts gewandelt haben und sich dieser Wandel nunmehr auch in der völkerrechtlichen Behandlung von grenzüberschreitenden Nomaden sowohl seitens des IGH, als auch seitens der Staaten niederschlägt. Diese Staatenpraxis wird im nun folgenden Teil D. näher unter die Lupe genommen, wobei gerade die afrikanische Staaten- und Regionalorganisationspraxis einen besonderen Stellenwert einnimmt, einerseits aufgrund ihrer Fortschrittlichkeit, andererseits vor dem Hintergrund, dass besonders der afrikanische Kontinent Lebensraum nomadischer Völker ist. Der Teil E. dieser Untersuchung widmet sich der Staatenpraxis in ihrer doppelten völkerrechtlichen Bedeutung, nämlich einerseits als rechtsschöpfendem Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts, andererseits als rechtsinterpretierendem Hilfsmittel zur Auslegung bestehender Grenzverträge i.S.d. Art. 31 III b WVK. Der IGH hat für den Nachweis von Staatenpraxis je nach Funktion unterschiedliche Maßstäbe entwickelt, insbesondere hinsichtlich der Kriterien, nach denen sich das Verhalten nichtstaatlicher z. B. nomadischer Gruppen, als staatliches Handeln ansehen lässt: Während zur Interpretation von Verträgen i.S.d. Art. 31 III b WVK zwischen zwei Staaten nach wie vor nur das Verhalten dieser beiden Staaten herangezogen werden kann, räumt der IGH seit jüngerer Zeit auch den Handlungen gewisser nichtstaatlicher Völker eine das Völkergewohnheitsrecht formende Bedeutung ein. Im dann folgenden Teil F. wird das kodifizierte globale Völkerrecht auf die Gewährung nomadischer Grenzübertrittsrechte hin beleuchtet. Berücksichtigung finden hier die Freizügigkeitsgewährungen verschiedener Menschenrechtsübereinkommen sowie die Rechte von indigenen Völkern und Minderheiten. Besondere Aufmerksamkeit wird dem Selbstbestimmungsrecht der Völker gewidmet, da dieses eine Brücke zu bilden vermag zwischen dem Rule of the Clan der Nomaden und dem Konzept der Territorialstaaten. Zu diesem Zweck wird das Selbstbestimmungsrecht zunächst dogmatisch systematisiert. Kernfragen sind hier: Was ist ein Volk? Welche Rechte gewährt das Selbstbestimmungsrecht der Völker?
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B. „Wanderroute“ dieser Untersuchung
Und, wie verhalten sich diese Rechte zu kollidierenden Rechtspositionen anderer Völker und Staaten? Abschließend, wird ein Ausblick gewagt, welche Bedeutung nomadische Völker in der Zukunft faktisch haben werden und wie das geltende Völkerrecht hierauf reagieren kann. Diese Arbeit vertritt dabei die These, dass das lange vorherrschende Verständnis des Völkerrechts als eines Rechtssystems zwischen „Körperschaften sesshafter Völker“10 zumindest unvollständig war und sich daher Rechtsgemeinschaften jenseits des Staates, wie den Nomaden, in jüngster Zeit erneut geöffnet hat.
10
Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre (Fn. 2) 173.
C. Nomaden in Zeit, Raum und Recht „In many instances […] the boundary has separated communities of worshippers from ageold sacred groves and shrines. In other instances, […] the water resources in a predominantly pastoral and nomadic culture area were located in one state while the pastures were in another.“11
I. Was sind Nomaden? Zwischen den nomadischen Völkern verschiedener Erdteile bestehen erhebliche Unterschiede, die es auf den ersten Blick gewagt erscheinen lassen, alle Nomaden rechtlich „über einen Kamm zu scheren“. Allerdings sind es gerade die Gemeinsamkeiten dieser Völker, welche die Nomaden zu einem Phänomen von völkerrechtlicher Relevanz werden lassen. Diese Gemeinsamkeiten haben zahlreiche Ethnologen, Anthropologen und Historiker in Feldforschungen auf dem gesamten Erdball herausgearbeitet. Die Darstellung dieser Erkenntnisse ist wichtig, um hierauf aufbauend eine Definition des Nomadentums zu entwickeln und, vorhandene nationale und internationale Legaldefinitionen aufgreifend, eine eigene Definition zu entwickeln. Die Lebenswelt der seenomadischen Moken in der Andamanensee zwischen Thailand und Myanmar12 könnte auf den ersten Blick nicht verschiedener von jenen Hirten sein, die ihre Schafe alljährlich vom italienischen Schnalstal ins österreichische Ötztal über den Alpenhauptkamm treiben.13 Und doch unterfallen beide Gruppen nach ethnologischem Verständnis dem Oberbegriff der Nomaden.14
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A. I. Asiwaju, The Conceptual Framework, in: A. I. Asiwaju, Partitioned Africans: Ethnic Relations Across Africa’s International Boundaries 1884 – 1984, University of Lagos Press 1985, 3. 12 Henley, Thom/Klathalay, Geo/Klathalay, Jok, Courage of the Sea – Last Stand of the Moken, A Thai Nature Education Book 2013. 13 Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes in Österreich: Transhumanz – Schafwandertriebe in den Ötztaler Alpen, online unter: http://unesco.scharf.net/cgi-bin/unesco/element. pl?eid=73&lang=de (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 14 Ram Parshad Khatana, Tribal Migration in Himalayan Frontiers, Vintage Books 1992, 35; Edgar Kant, Classification and Problems of Migrations, in: Philip L. Wagner/Marwin W. Mikesell (Hrsg.), Readings in Cultural Geography, University of Chicago Press 1962, 342, 345.
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C. Nomaden in Zeit, Raum und Recht
1. Gemeinsamkeiten nomadischer Völker Gemeinsam sind allen nomadischen Völkern zunächst bestimmte Facetten der Lebensweise, insbesondere die Mobilität. Diese Mobilität geschieht – eine weitere Gemeinsamkeit – nicht „de gaieté de cœur“15, sondern stellt eine Anpassung an widrige äußere Lebensumwelten dar.16 Die Lebensumwelten der Nomaden sind gekennzeichnet durch Nahrungsarmut aufgrund schwieriger geographischer Bedingungen und eines unberechenbaren Klimas.17 Daher ist das Nomadentum besonders, aber nicht ausschließlich, in ariden und semi-ariden Zonen anzutreffen. An den widrigen Bedingungen dieser Regionen scheitern andere Methoden zum Erwerb des Lebensunterhalts,18 die zum Beispiel zuverlässig wiederkehrender Niederschläge bedürfen. Heimisch sind Nomaden daher u. a. in den rauen Bergwelten des Himalaya, den Eiswüsten Grönlands, den Tundren Nordeuropas und ganz besonders den Wüsten und Halbwüsten Afrikas. „But what is important for present purposes is the fact that the sparsity of the resources and the spasmodic character of the rainfall compelled all those nomadic tribes to traverse very wide areas of the desert.“19
In solchen nur für die nomadische Lebensweise geeigneten Regionen leben zwischen 25 – 30 % der Weltbevölkerung, in Afrika und Asien sogar um die 40 %.20 Neben der Verfügbarkeit von Ressourcen in Trockengebieten spielt auch die Nähe zu Märkten für die nomadische Lebensweise verschiedener Völker eine Rolle.21 Schließlich kann mit dem Handel von nomadisch erwirtschafteten Produkten der einseitige Speiseplan ergänzt werden.22 Die für Nomaden charakteristischen Wan15 Ibrahima Ly, Essai de présentation des tendances d’évolution du droit pastoral en Afrique de l’Ouest (Januar 2007) Etudes juridique de la FAO en Ligne #35, 7 („Aus Herzenslust“, Übersetzung des Verfassers). 16 Ian Scoones, New directions in pastoral development in Africa, in: Ian Scoones (Hrsg.), Living with Uncertainty: New directions in pastoral development in Africa, Intermediate Technology Publications 1995, 1, 16 ff.; Wolfgang Bayer/Ann Waters-Bayer, Forage alternatives from range and field: pastoral forage management and improvement in the African drylands, in: Ian Scoones (Hrsg.), Living with Uncertainty: New directions in pastoral development in Africa, Intermediate Technology Publications 1995, 58, 61 ff. 17 Jim Ellis, Climate Variability and complex ecosystem dynamics: implications for pastoral development, in: Ian Scoones (Hrsg.), Living with Uncertainty: New directions in pastoral development in Africa, Intermediate Technology Publications 1995, 37. 18 Mohammud Abdulahi, The Legal Status of the Communal Land Holding System in Ethiopia: The Case of Pastoral Communities (2007) IJMGR, 85, 87. 19 IGH, Western Sahara Advisory Opinion (16. Oktober 1975) ICJ Rep 1975, 12, Rn. 88. 20 UN Environment Management Group, Global Drylands: A UN system-wide response, Report 2011, 22. 21 Andy Catley/Jeremy Lind/Ian Scoones, Development at the Margins: Pastoralism in the Horn of Africa, in: Andy Catley u. a., Pastoralism and Development in Africa: Dynamic Change at the Margins, 15. 22 Ted Callahan, Pastoral Production Strategies and Market Orientation of the Afghan Kirghiz, in: Herrmann Kreutzmann (Hrsg.), Pastoral practices in High Asia, Springer 2012,
I. Was sind Nomaden?
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derungen finden daher sowohl zwischen verschiedenen zu unterschiedlichen Jahreszeiten jeweils ertragreichen Gebieten, als auch zwischen Weiden, Jagd- und Fischgründen und Märkten statt. 2. Unterscheidung nach Versorgungsstrategie „Nomos ist griechisch und bedeutet ,Weide‘, und der ,Nomade‘ ist ein Häuptling oder Stammesältester, der die Zuweisung von Weidegründen beaufsichtigt. Nomos nahm daher die Bedeutung ,Gesetz‘, ,gerechte Verteilung‘, ,das, was kraft des Brauchtums zugewiesen wird‘ an – und wurde so die Grundlage für die gesamte westliche Gesetzgebung.“23
Obwohl sich der Begriff des Nomaden vom griechischen némein ableitet, was neben „nehmen“ und „zuteilen“ auch „weiden“ bedeutet, stellt der von Hirtennomaden praktizierte Pastoralismus (nomadische Viehhaltung/Hirtennomadentum) heute nur eine Versorgungsstrategie unter vielen dar. Nomaden lassen sich nach der Art ihrer Versorgungsstrategie in Untergruppen einordnen. Zu diesen Untergruppen gehören Hirten, Handwerker, Unterhalter, aber auch Akrobaten, Diebe, Jäger, Fischer, Vogelfänger, Sammler und Händler.24 Neben originären Erwerbsquellen zählen also auch derivative Erwerbsquellen zur nomadischen Lebensweise. Die Differenzierung nach Art der Versorgung bereitet heute zunehmend Schwierigkeiten. Während in früheren Zeiten nomadische Völker in Gänze eine bestimmte Strategie verfolgten, variieren diese Strategien heutzutage innerhalb nomadischer Völker und passen sich modernen Gegebenheiten an. Beispielsweise verdingen sich viele Tuareg vermehrt als Touristenführer, Grenzschleuser oder Gelegenheitsarbeiter,25 halten ihr nomadisches Erbe aber hoch, indem sie das mit dem Tourismus erwirtschaftete Geld liebevoll „Akh n Mota“ – „Kamelmilch des Autos“ nennen.26 Der Toyota selbst wird von den Tuareg als „japanisches Kamel“ bezeichnet.27 71, 72; die seenomadischen Bajau etwa handeln den gefangenen Fisch gegen Reis, afrikanische Hirtennomaden decken ihren Vitaminbedarf durch den Verkauf von Fleisch und die tibetischen Yak-Hirten erhalten den in ihrer Kultur typischen Buttertee durch den Verkauf von Yak-Fleisch an chinesische Händler. 23 Bruce Chatwin, Traumpfade, 6. Auflage, Fischer Taschenbibliothek 2012, 347; sowohl das Wort „Nomos“ als auch das Wort „Nomade“ gehen auf das griechische „némein“ zurück, was soviel wie nehmen, zuteilen, weiden bedeutet; vgl. auch Vilém Flusser, The Freedom of the Migrant, University of Illinois Press 2003, 47; Matthias Peppel, „Nomos (Lex)“, in: Religion Past and Present, 4. Auflage, online unter: http://dx.doi.org/10.1163/1877-5888_rpp_ SIM_124141 (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 24 Ram Parshad Khatana, Tribal Migration (Fn. 14) 34. 25 Ines Kohl, Modern Nomads, Vagabonds or Cosmopolitans? Reflections on Contemporary Tuareg Society (2010) JAR, 449, 453. 26 Ebd. 27 Marko Scholze, Between the Worlds: Tuareg as Entrepreneurs in Tourism, in: Ines Kohl/ Anja Fischer (Hrsg.), Tuareg Society within a Globalized World, Tauris 2010, 171, 182.
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C. Nomaden in Zeit, Raum und Recht
Verändert hat sich auch die Kontinuität einer bestimmten Versorgungsstrategie: Obwohl bei manchen nomadischen Völkern der grundsätzliche Wille zum Pastoralismus bestehen bleibt, verlegen sich einzelne Vertreter pastoraler Gemeinschaften inzwischen während besonders heftiger Dürren auf nicht landwirtschaftliche urbane Tätigkeiten um hierdurch das Überleben ihrer daheimgebliebenen Familien sicherzustellen.28 Der zu diesem Zweck erfolgte vorübergehende Verkauf des Viehbestands dient der Entlastung des Weidelands und der Nahrungssicherung der Familien. Sobald sich die klimatischen Bedingungen wieder verbessern, wird das mit urbanen Tätigkeiten verdiente Geld erneut in den Viehbestand investiert und das ursprüngliche hirtennomadische Leben wieder aufgenommen.29 Ließen sich somit früher nomadische Völker anhand ihrer Lebensunterhaltsgrundlagen differenzieren, verflechten sich heute verschiedene Tätigkeiten zu einem Gesamtsystem der flexiblen Anpassung an klimatische Bedingungen. Vom einstigen pastoralen Leben ist daher häufig nur noch die gelebte Flexibilität und Mobilität und grundsätzliche Bereitschaft zur Ausübung der ursprünglichen Tätigkeiten geblieben. 3. Unterscheidung nach Lebensraum Neben einer Unterscheidung nach der Art der Versorgungsstrategie lassen sich Nomaden entlang ihrer Lebensräume kategorisieren. Eine klassische Einteilung kennt in dieser Hinsicht vier Kategorien: Halbnomaden, Steppennomaden, Wüstennomaden, sowie Bergnomaden, insbesondere in Gestalt der Alpwirtschaft.30 Ergänzt werden müssen diese um die fünfte Kategorie der Seenomaden.31 Während die Begriffe Steppen-, Wüsten-, Berg-, und Seenomaden selbsterklärend sind, bedarf der Begriff des Halbnomaden einer Erläuterung: Halbnomaden leben in Gebieten, in denen ein sesshaftes Leben nicht ganzjährig, bzw. nur für einen Teil der jeweiligen Gruppe aus klimatischen Gründen sinnvoll ist. Sie besitzen zwar eine feste Wohnstatt und teilweise eigenes Land, wandern jedoch im Rhythmus der Jahreszeiten entsprechend ihrem Beruf32 und können nebenbei Ackerbau betreiben.33 Dieses weite
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UN Environment Management Group, Global Drylands (Fn. 20) 41. Ebd. 30 Ram Parshad Khatana, Tribal Migration (Fn. 14) 34 unter Verweis auf die Vorarbeiten von Bernard und Lacroix, (Augustin Bernard und N. Lacroix, L’evolution du nomadisme en Algerie, Paris A Challamel 1906, 65 – 108) und P. G. Merner, Das Nomadentum im nordwestlichen Afrika, Berliner geographische Arbeiten, Band XII, 1937; Edgar Kant, Classification and Problems of Migrations (Fn. 14) 345. 31 Thom Henley/Geo Klathalay/Jok Klathalay, Courage of the Sea – Last Stand of the Moken, A Thai Nature Education Book 2013, 98 ff. 32 Ram Parshad Khatana, Tribal Migration (Fn. 14) 34 ff.; Brian M. Gottesman, Nomads in: Cynthia Clark Northrup (Hrsg.), Encyclopedia of World Trade from Ancient Times to Present, M. E. Sharpe 2005, 701. 33 Ram Parshad Khatana, Tribal Migration (Fn. 14) 35. 29
I. Was sind Nomaden?
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ethnologische Verständnis umfasst z. B. auch die Almwirtschaft Mitteleuropas.34 Während hier ein Teil der Familien ganzjährig in den Behausungen der Alpentäler verweilt, zieht ein anderer Teil mit den Schafen und Rindern sommers auf die Almwiesen um winters ins Tal zurückzukehren. Diese regelmäßigen Viehwanderungen werden auch als Transhumanz bezeichnet. Obwohl diese halbnomadische Transhumanz nicht der nomadischen Lebensweise im engsten Sinne entspricht, wird sie doch von den meisten Ethnologen und gesetzlichen Kodifikationen hierzugezählt. 4. Verschiedene Formen des Nomadentums als Ausdruck einer graduellen sozioökonomischen Erfahrung? Die Entwicklung vom reinen Nomadismus im engeren Sinne zur Transhumanz wird teilweise als graduell zivilisatorischer Prozess beschrieben.35 Nach dieser Theorie wandern nomadische Gruppen zunächst mit Hab, Gut und Vieh ziellos umher auf der Suche nach fruchtbarem Weideland. Irgendwann entwickeln sich, Ram Parshad Khatana zufolge, feste Routen, welche jedoch noch von Jahr zu Jahr variieren und sich daher keiner zeitlichen und räumlichen Routine unterwerfen.36 Allein das in ariden Zonen besonders unberechenbare Wetter bestimmt über den Verlauf der nomadischen Wanderungen.37 Eine gewisse sozioökonomische Erfahrung führt schließlich zu der Herausbildung fester Routen und Zeitpläne. Erst in diesem Stadium kann von Transhumanz gesprochen werden.38 Diese Kategorisierung nomadischer Völker entsprechend ihrer sozioökonomischen Erfahrung lässt freilich außer Acht, dass Transhumanz nur dort möglich ist, wo halbwegs berechenbare Klimabedingungen eine oszillierende Wanderung erlauben. Während sich in den Alpen Frühjahrs- und Winteranfang und die mit den Jahreszeiten verbundenen klimatischen Bedingungen im gewissen Rahmen vorhersagen lassen, kann in den ariden Zonen Afrikas die Regenzeit mitunter für mehrere Jahre ganz ausbleiben.39 Nach der 34
Ebd.; Edgar Kant, Classification and Problems of Migrations (Fn. 14) 345. Ram Parshad Khatana, Tribal Migration (Fn. 14) 39 f. 36 Ebd. 37 Ebd. 38 Ebd.; Günter Schönegg/Philippe Martel/Balla Sano/Salifou Noufou, Konflikte im Zusammenhang mit grenzübergreifender Transhumanz in Niger, Burkina Faso und Benin, Deutscher Entwicklungsdienst 2006, 12. 39 Dürreperioden in der Sahelzone führten zu Migrationsbewegungen von Millionen von Menschen. In den letzten Jahren traten solche Dürren 2000, 2001, 2005, 2006, 2008 und 2009 (http://www.ifrc.org/PageFiles/90410/1203800-Drought%20in%20the%20Horn%20of%20Afri ca-Preventing%20the%20next%20disaster-EN-LR.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018)) sowie 2010, 2011 und 2012 (http://www.ifrc.org/PageFiles/90410/1203800-Drought%2 0in%20the%20Horn%20of%20Africa-Preventing%20the%20next%20disaster-EN-LR.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018)) auf. Aber auch in vergangenen Jahrzehnten kam es z. B. in Gestalt der „Great Pastoral Crisis“ zu verheerenden Dürren. Hierfür allein den Klimawandel verantwortlich zu machen, ignoriert die Tatsache, dass lange Dürren bereits aus der frühen Antike berichtet werden, vgl. etwa die Josefsgeschichte im Alten Testament (1. Mose, 37 ff.), die von einer siebenjährigen Dürre in Israel und Ägypten berichtet. Auch Jacobs Familie 35
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C. Nomaden in Zeit, Raum und Recht
OECD ist daher entscheidendes Wesensmerkmal der Transhumanz nicht primär der regelmäßig oszillierende Charakter der Wanderungen, sondern die Tatsache, dass „voll“-nomadische Völker in ihrer Gesamtheit wandern, wohingegen bei transhumanten Völkern der größte Teil sesshaft lebt und nur kleinere Abordnungen die wandernden Herden betreuen.40 Dieses Verständnis der Transhumanz findet jedoch keinen Widerhall in den rechtlichen Regelungen verschiedener Länder zur Transhumanz, deren Definitionen in den folgenden Abschnitten dargelegt werden.
II. Auf der Suche nach einer Definition des Nomaden Sofern die Staaten bemüht sind, die Wanderungen ihrer Nomaden rechtlich zu regeln, reagieren sie auf die unterschiedlichen Anforderungen, die Transhumanz, Pastoralismus oder Nomadentum an rechtliche Regelungen stellen. Im Folgenden wird nun eine Auswahl an nationalen Gesetzen vorgestellt, welche das Nomadentum und dessen Unterformen definieren. 1. Verschiedene Legaldefinitionen von Nomadismus, Pastoralismus und Transhumanz Die Heimat der Nomaden sind, wie dargelegt, v. a. aride und semi-aride Gebiete. Dementsprechend haben vor allem die Staaten in diesen Gebieten den Versuch unternommen, den Nomadismus zu definieren. Legaldefinitionen von Nomadismus, Pastoralismus und Transhumanz finden sich daher vornehmlich in den Rechtsakten afrikanischer Staaten, bzw. afrikanischer Regionalorganisationen.41 Die afrikanischen Staaten unterscheiden regelmäßig zwischen Nomadismus, Pastoralismus und Transhumanz. Da in diesen Gebieten das Hirtennomadentum die dominante Form des Nomadismus darstellt, beschränken sich die hier entwickelten Legaldefinitionen auf Pastoralisten. Burkina Faso beispielsweise definiert in seinem Gesetz Nr. 034-2002/AN aus dem Jahre 2002 den Pastoralismus als: reagierte auf das unberechenbare Klima mit einem nomadischen Lebenswandel. („Sesshaft werden (wenn man das so sagen darf) die Erzeltern erst im Grabe“). Zwar wird das von Josefs Vater Jacob bewohnte Land Kanaan später zum gelobten Land, zur „Heimat“ für Israel. Heimat ist jedoch alttestamentarisch nicht zu verstehen als das Land, „in dem man immer schon war“, sondern das Land, „in das man kam, kommt und kommen wird“. Zitate bei: Jürgen Ebach, Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament, Genesis 37, Introduktion der Josefsgeschichte, Herder 2007, 55. 40 OECD, Livestock and regional market in the Sahel and West Africa Potentials and challenges, 63, online unter: http://www.oecd.org/swac/publications/41848366.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 41 Vergleiche im Überblick: Ibrahima Ly, Tendances d’évolution du droit pastoral en Afrique de l’Ouest (Fn. 15); Günter Schönegg/Philippe Martel/Balla Sano/Salifou Noufou, Konflikte im Zusammenhang mit grenzübergreifender Transhumanz (Fn. 38) 26 ff.
II. Auf der Suche nach einer Definition des Nomaden
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„toute activité d’élevage consistant à assurer l’alimentation et l’abreuvement des animaux par l’exploitation directe des ressources naturelles sur des espaces déterminants et impliquant la mobilité des animaux. Le pastoralisme désigne également les activités associant de manière complémentaire l’élevage, l’agriculture et la sylviculture“42.
Auch Mauretanien erließ im Jahre 2000 einen „Code Pastoral en Mauritanie“ (Gesetz Nr. 2000-044), welcher den Pastoralismus definiert: „Aux termes de la présente loi, on entend par pastoralisme, le mode d’élevage fondé sur la mobilité permanente ou saisonnière du cheptel.“43
Eine ähnlich allgemein gefasste Definition des Pastoralismus wählte Mali in Gesetz 01-004 aus dem Jahr 2001: „Le mode d’élevage qui consiste à assurer l’alimentation des animaux grace à l’exploitation itinérante des ressources pastorales.“44
Vom allgemein gefassten Pastoralismus unterscheidet sich laut dem malischen Gesetz die Transhumanz: „le mouvement cyclique et saisonnier des animaux sous la garde des bergers suivant des itineraires precis en vue de l’exploitation des ressources pastorals d’un territoire donné.“45
Gesetz Nr. 034-2002/AN aus Burkina Faso sieht die Transhumanz ebenfalls als eine organisiertere und zeitlich beschränkte Form des Pastoralismus an, indem es die Transhumanz definiert als: „déplacement organisé de nature saisonnière ou clyclique [SIC] des troupeaux à la recherche d’eau, de pâturages et/ou de cures salées.“46
42 Burkina Faso: Gesetz Nr. 034-2002/AN portant loi d’orientation relative au pastoralisme au Burkina Faso (14. November 2002) „Jede Aktivität der Viehzucht, die darauf beruht durch die unmittelbare Ausbeutung natürlicher Ressourcen auf maßgeblichen Flächen Tiere zu ernähren und zu tränken, und die die Mobilität der Tiere impliziert. Der Pastoralismus bezeichnet gleichermaßen ergänzende Aktivitäten, die mit Viehzucht, Ackerbau und Forstwirtschaft verbunden sind.“ (Übersetzung des Verfassers). 43 Mauretanien: Gesetz Nr. 2000-044 (26. Juli 2000) Portant Code Pastoral en Mauritanie: „Im Sinne dieses Gesetzes versteht man unter Pastoralismus den Modus der Tieraufzucht, welcher auf der permanenten oder jahreszeitlichen Mobilität des Viehbestandes basiert.“ (Übersetzung des Verfassers). 44 Mali: Gesetz Nr. 01-004 (27. Februar 2001) portant Charte Pastorale, „Jener Modus der Tieraufzucht, der darin besteht die Ernährung der Tiere dank der wandernden Ausbeutung pastoraler Ressourcen sicherzustellen.“ (Übersetzung des Verfassers). Bei den erwähnten pastoralen Ressourcen handelt es sich laut Gesetz insbesondere um Wasser, Weide und salzige Erden. 45 Mali: Gesetz Nr. 01-004 (27. Februar 2001) portant Charte Pastorale, „Die zyklische und jahreszeitliche Bewegung von Tieren unter der Aufsicht von Hirten, die präzisen Routen folgt mit dem Ziel der Ausbeutung der pastoralen Ressourcen eines bestimmten Gebietes.“ (Übersetzung des Verfassers). 46 Burkina Faso: Gesetz Nr. 034-2002/AN portant loi d’orientation relative au pastoralisme au Burkina Faso, „Die organisierte jahreszeitliche oder zyklische (Rechtschreibfehler im
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C. Nomaden in Zeit, Raum und Recht
Nahezu identisch ist diesbezüglich der Wortlaut in Art. 4 des entsprechenden Gesetzes Benins von 198747 und auch die Bestimmung der ECOWAS zur zwischenstaatlichen Transhumanz ist vergleichbar.48 Während die meisten Staaten ausschließlich den Pastoralismus und die Transhumanz definieren, bzw. diese mit Nomadismus gleichsetzen,49 finden sich Definitionen des Nomadismus im Allgemeinen nur in den Gesetzen Malis und Nigers. Auch diese Gesetze reduzieren entsprechend ihres geographischen Kontextes jedoch den Nomadismus auf seine ursprüngliche etymologische Herleitung vom griechischen Nomos als Begriff für Weideland. Das Gesetz 01-004 Malis definiert den Nomadismus als: „Le déplacement du bétail (bovins, ovins, caprins, camelins, équins et asins) par les nomads à la recherche de pâturages et de l’eau d’abreuvement pour les animaux.“50
Besondere Aufmerksamkeit verdient die Gesetzgebung Nigers, denn diese kam unter mustergültiger Beteiligung der Nomaden selbst zustande.51 Bereits 1993 erließ Niger einen Code Rural52, der 2010 durch Anordnung 2010-029 „relative au pastoralisme“ „vervollständigt“ (Article Premier) wurde. Die Anordnung definiert den Nomadismus wie folgt: „déplacement du bétail par des groupes pastoraux à la recherche de pâturages et de l’eau d’abreuvement. Il est un mode de résidence et d’occupation de l’espace fondé sur la mobilité et la flexibilité. Il peut être interprété à la fois comme un système de vie, une technique de Gesetzestext) Verlegung von Viehherden auf der Suche nach Wasser, Weiden und/oder Salzlecken.“ (Übersetzung des Verfassers). 47 Benin: Gesetz Nr. 87-013 (21. September 1987) portant réglementation de la vaine pâturage, de la garde des animaux domestiques et la transhumance. 48 ECOWAS, Entscheidung A/DEC.5/10/98 relative à la règlementation de la transhumance entre les états membres de la CEDEAO, „les déplacements saisonniers entre Etats, du bétail ayant quitté les limites de ses parcours habituels, en vue de l’exploitation des points d’eau et des pâturages.“ („Die jahreszeitliche zwischenstaatliche Verlegung von Vieh, welches die Grenzen seiner gewöhnlichen Weiden verlassen hat mit dem Ziel Wasserstellen und Weideland auszubeuten“ (Übersetzung des Verfassers)). 49 Tschad: Gesetz Nr. 4 (31. Oktober 1959) portant réglementation du nomadisme sur le territoire de la République du Tchad, in dem es heißt: „Zu Nomaden werden erklärt alle Rinder, Kamele oder Schafe züchtenden Bürger, die gewöhnlich keinen anderen Beruf ausüben, kein festes Domizil haben, und jedes Jahr in Familie mit ihren Herden auf dem Gebiete mehrerer Verwaltungsbezirke die Transhumanz betreiben.“ (Übersetzung des Verfassers). 50 Mali: Gesetz Nr. 01-004 (27. Februar 2001) portant Charte Pastorale, „Die Verlegung von Vieh (Rindern, Schafen, Ziegen, Kamelen, Pferden und Eseln) durch Nomaden auf der Suche nach Weiden und Trinkwasser für die Tiere.“ (Übersetzung des Verfassers). 51 Über die Beteiligung der Betroffenen bei der langwierigen Ausarbeitung des „Code Rural“: RBM, L’implication de la société civile pastorale dans l’élaboration de la loi pastorale au Niger – Quels enseignements? (Mai 2014), online unter: http://www.inter-reseaux.org/IMG/ pdf/RBM_Code_pastoral_Niger.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 52 Niger: Anordnung 93-015 (2. März 1993) fixant les principes d’Orientation du Code Rural.
II. Auf der Suche nach einer Definition des Nomaden
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production et une stratégie d’adaptation à un milieu à équilibre instable où la disponibilité des ressources naturelles est aléatoire.“53
Obwohl dieses Gesetz spezifisch auf Hirtennomaden zugeschnitten ist, erfasst es die Wesensmerkmale der Nomaden treffend. Gemeinsam ist allen Nomaden, dass es sich um eine rhythmische oder willkürliche organisierte Wanderungsbewegung von Bevölkerungsgruppen innerhalb einer bestimmten Region zur Erfüllung der primären und sekundären Bedürfnisse handelt, die in hohem Maße rational an begrenzte lokale Ressourcen und strenge Umweltbedingungen angepasst ist.54 In Konkretisierung hierzu wird der Pastoralismus definiert als: „mode d’élevage fondé sur la mobilité permanente ou saisonnière du cheptel. Il est un mode d’élevage destiné à assurer l’alimentation des animaux par une exploitation itinérante des ressources.“55
Die Transhumanz soll schließlich nur umfassen: „mouvement cyclique et saisonnier des troupeaux sous la garde des pasteurs en vue de l’exploitation des ressources pastorales d’un territoire donné vers des zones complémentaires suivant des itinéraires variables aux fins d’assurer de façon optimale l’entretien et la reproduction du cheptel.“56
Die Transhumanz stellt somit eine Unterart des Pastoralismus dar, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die Wanderungen nicht ganzjährig, sondern nur zu bestimmten Jahreszeiten zyklisch erfolgen. Ferner findet Transhumanz nur zwischen bestimmten Weiden statt, wohingegen der Pastoralismus grundsätzlich auch territorial ungebunden sein kann. Dies bringt es mit sich, dass die Anzahl möglicher Wanderrouten bei der Transhumanz eng umgrenzt ist, während der Pastoralismus in keiner Weise territorial vordeterminiert ist.
53 Niger: Anordnung 2010-029 (20. Mai 2010) relative au Pastoralisme, „Viehbewegungen durch pastorale Gruppen auf der Suche nach Weideland und Trinkwasser. Es ist ein Modus der Besiedlung und des Besitzes eines Gebietes auf der Grundlage von Mobilität und Flexibilität. Es kann sowohl interpretiert werden als System des Lebens, als Produktions-Technologie als auch als eine Strategie der Anpassung an eine Umgebung mit einem instabilen Gleichgewicht, in der die Verfügbarkeit der natürlichen Ressourcen vom Zufalle abhängig ist.“ (Übersetzung des Verfassers). 54 Vgl. Ram Parshad Khatana, Tribal Migration (Fn. 14) 35, der jedoch ferner eine überidealistische Vorstellung der reinen Subsistenzwirtschaft und des Einklangs zwischen Mensch und Natur zugrunde legt. 55 Niger: Anordnung 2010-029 (20. Mai 2010) Relative au Pastoralisme, „Aufzuchtmethode, die auf der permanenten oder saisonalen Mobilität der Tiere basiert. Er ist eine Aufzuchtmethode, welche die Ernährung der Tiere durch eine Wanderausbeutung der Ressourcen sicherstellt.“ (Übersetzung des Verfassers). 56 Niger: Anordnung 2010-029 (20. Mai 2010) relative au Pastoralisme, „zyklische und saisonale Bewegung von Herden unter der Obhut von Hirten von einem bestimmten Gebiet auf ergänzende Zonen mit dem Ziel der Ausbeutung pastoraler Ressourcen auf variablen Routen, um eine optimale Pflege und Zucht der Tiere sicherzustellen.“ (Übersetzung des Verfassers).
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C. Nomaden in Zeit, Raum und Recht
Noch allgemeiner gefasst als der Pastoralismus ist der Begriff des Nomadismus: Dieser umfasst nicht nur die landwirtschaftlichen Aspekte der wandernden Viehhaltung, sondern auch das hiermit verbundene Gesamtkonzept als ein auf Mobilität basierendes System des Lebens, der Produktionstechnik und als Anpassungsstrategie an unberechenbare Umweltbedingungen. Dieser Rekurs auf die Hintergründe des Nomadismus erlaubt eine Übertragung der für Hirtennomaden entwickelten Definition auf andere Formen des Nomadismus. Schließlich haben auch z. B. Seenomaden, sowie Jäger und Sammler die Mobilität als Reaktion auf karge geographische und unberechenbare klimatische Bedingungen gewählt. 2. Entwicklung einer Definition von Nomadismus, Pastoralismus und Transhumanz Unter Zugrundelegung insbesondere des Pastoralismusgesetzes Nigers von 2010 lässt sich der Nomadismus definieren als: „die Fortbewegung von Bevölkerungsgruppen zum Zwecke des originären oder derivativen Erwerbs von Lebensgrundlagen. Er ist ein Modus des Bewohnens und der Nutzung von Gebieten, der auf Mobilität und Flexibilität basiert. Es handelt sich um ein Lebenssystem, eine Produktionstechnik und eine Anpassungsstrategie an instabile und unvorhersehbare äußere Bedingungen, unter denen die Verfügbarkeit von Ressourcen vom Zufalle abhängig ist.“
Diese Definition berücksichtigt, anders als die nationalen Definitionen Nigers und Malis, auch jene Nomaden, deren primäre Versorgungsgrundlage nicht die Viehhaltung ist. Den Pastoralismus behandelt diese Arbeit als Unterform des Nomadismus, bei dem es darauf ankommt, dass die maßgebliche Lebensgrundlage und der Grund für die Mobilität die Viehzucht sind. Eine besondere Unterform des Pastoralismus ist schließlich die Transhumanz. Diese ist im Gegensatz zum übrigen Pastoralismus durch eine größere Regelmäßigkeit geprägt. Die Viehbewegungen der Transhumanz erfolgen nicht permanent, sondern nur saisonal bzw. zyklisch von einer bestimmten Weide zu einer anderen bestimmten Weide auf festgelegten Routen. Im Unterschied zur Transhumanz finden sich beim übrigen Pastoralismus keine festen Wanderrouten und auch die Wanderzeiträume können variieren. Zwischen Nomadismus, Pastoralismus und Transhumanz besteht somit ein Gefälle hinsichtlich der mit der jeweiligen Lebensweise verbundenen Flexibilität. Von nomadischer Seite hängt die Wahl des Nomadismusgrades von der klimatisch und topographisch notwendigen Flexibilität ab. Die Transhumanz ist nur dort praktikabel, wo regelmäßig wechselnde Jahreszeiten und zuverlässig verfügbare Vegetation die vorherige Festlegung von Wanderrouten und Wanderzeiten erlauben. Für die Staaten, die mit der Aufgabe konfrontiert sind, die Wanderungen zu regeln, ist der Umgang mit der Transhumanz aufgrund ihrer Verlässlichkeit und Berechenbarkeit gegenüber dem Pastoralismus und Nomadismus deutlich einfacher.
II. Auf der Suche nach einer Definition des Nomaden
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Wie noch darzustellen sein wird,57 regeln verschiedene Staaten beim Grenzübertritt von Nomaden unter anderem die Zeitpunkte des Grenzübertritts, die zu passierenden Grenzübergangsstellen sowie die zu wählenden Routen. All jene Regelungen setzen die Regelmäßigkeit der Transhumanz voraus und bedeuten mithin für den nichttranshumanten Nomadismus erhebliche Einschränkungen. Sofern in dieser Arbeit nicht näher spezifiziert wird, ist der Begriff des Nomadismus inklusiv, also als Oberbegriff zu verstehen, der Pastoralismus und Transhumanz mitumschließt. 3. Grenzfälle Aufgrund der begrifflichen Weite des Nomadenbegriffs kann es an den Rändern des Anwendungsbereiches zu Abgrenzungsschwierigkeiten zu anderen ebenfalls mobilen Menschen(gruppen) kommen. Im Folgenden wird daher anhand solcher Grenzfälle die dargelegte Definition näher spezifiziert. a) „New Age“, „Hippies“ und andere „Neo-Nomaden“ Das ungezwungene freie Leben der Nomaden übt auf viele Menschen einen Reiz aus, der sie dazu verleitet, einer verklärt romantischen Vorstellung des Nomadentums huldigend, selbst ein mobiles Leben zu führen, unter Ausnutzung der auf Nomaden zugeschnittenen besonderen Rechtssituation. In Großbritannien genießen Gipsies hinsichtlich der Errichtung von Camp Sites gewisse Privilegien.58 Der Status des Gipsies ist im britischen Planungsrecht mit Nomadismus gleichgesetzt.59 Als im Zuge des New Age und der Hippie-Bewegung einige „Blumenkinder“ diese Privilegien für sich nutzen wollten, mussten die britischen Gerichte den Anwendungsbereich der nomadischen Lebensweise konkreter eingrenzen. Nachdem Fahrende60 über lange Jahre marginalisiert wurden, räumte der Caravan Sites Act von 1968 Gipsies das Recht ein, auf bestimmten Gebieten zu kampieren, 57
D. IV. 3. – 4. Vereinigtes Königreich: Caravan Sites Act (1968). 59 Peter Kabachnik, The Place of the Nomad: Situating Gypsy and Traveller Mobility in Contemporary England, Ph.D. Dissertation, University of California, 2007, 104. 60 Es gibt viele Gruppen, die aus einer kulturellen Tradition heraus ein nomadisches Leben führen. Die Wahl dieses Lebens kann ursprünglich einmal äußere Gründe gehabt haben, welche jedoch in der Zwischenzeit verblasst sind. Zu den „Fahrenden“ gehören z. B. die irischen Traveller und die Jenische in der Schweiz. Mit Blick auf die Tatsache, dass innerhalb dieser Ethnien nur noch ein kleiner Anteil den mobilen Lebensstil praktiziert, muss der Begriff „Fahrende“ als nichtethnischer Oberbegriff verstanden werden für jene Menschen, die noch heute ein „fahrendes“ Leben praktizieren. Dem Begriff der „Fahrenden“ entspricht im Englischen der des „Gipsies“, wobei letzterer mit der Zeit einen pejorativen Beiklang bekommen hat, wenngleich es sich noch immer um einen im angelsächsischen Sprachraum verwandten stehenden Rechtsbegriff handelt. 58
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C. Nomaden in Zeit, Raum und Recht
welche ihnen von den jeweiligen Gemeinden zur Verfügung gestellt werden mussten. Der Caravan Sites Act definiert Gipsies als: „,gipsies‘ means persons of nomadic habit of life, whatever their race or origin, but does not include members of an organised group of travelling showmen, or of persons engaged in travelling circuses, travelling together as such.“61
Der Gipsy-Status knüpft somit unmittelbar an die Führung einer nomadischen Lebensgewohnheit an. Im Vorfeld hatte der Divisional Court in Mills ./. Cooper62 festgestellt, dass es für den Status eines Gipsy nicht auf die Abstammung vom Volk der Romani ankam, sondern allein auf „a person leading a nomadic life with no, or no fixed, employment and with no fixed abode“63 bzw. „a person without fixed abode who led a nomadic life, dwelling in tents or other shelters or in caravans or other vehicles“64. Der Status eines Gipsy ist somit unabhängig von der Abstammung und steht dem Grunde nach auch selbsternannten „Neo-Nomaden“ offen. Dieses Verständnis bekräftigte im Jahre 2006 auch die britische „Regulation 2 – Meaning of Gypsies and Travellers for the Purposes of Section 225 of the Housing Act 2004“. Diese erfasst einerseits sowohl: „(a) persons with a cultural tradition of nomadism or of living in a caravan“
– also traditionelle Nomaden – als auch andererseits „(b) all other persons of a nomadic habit of life, whatever their race or origin, including (i) such persons who, on grounds only of their own or their family’s or dependant’s educational or health needs or old age, have ceased to travel temporarily or permanently; and (ii) members of an organised group of travelling showpeople or circus people (whether or not travelling together as such)“.65
Der nach diesem weiten Verständnis entscheidende Begriff des „nomadic habit of life“ musste mangels einer Legaldefinition in späteren Urteilen spezifiziert werden. 61 Vereinigtes Königreich: Caravan Sites Act 1968, vgl. identisch auch: UK Statute 1960 c. 62 Pt I sec 24 (8), Caravan Sites and Control of Development Act (1960). Die Herausnahme von Zirkusgesellschaften aus dem „Gipsy“-Begriff geschah vor dem Hintergrund, dass zwar eine Pflicht gesehen wurde, aus Gründen des Minderheitenschutzes, den Gipsy-Gemeinschaften von hoheitlicher Seite Raum zum Aufstellen ihrer Wohnwagen zu gewähren. Die Gemeinden sollten jedoch nicht der Pflicht unterliegen, das Aufstellen eines Zirkuszeltes dulden zu müssen. 62 Mills ./. Cooper (1967) 2 WLR 1343, (1967) 2 QB 459. In diesem Fall ging es noch nicht um eine besondere Priviligierung der „Gipsies“, sondern um die damals noch bestehende Strafbarkeit eines „Gipsies“. Es konnte nach der damaligen Rechtslage geschehen, dass zwei Wohnwagen nebeneinander „wild campierten“, jedoch nur der „Gipsy“ hierfür belangt wurde (vgl. Peter Kabachnik, The Place of the Nomad (Fn. 59) 105). 63 Mills ./. Cooper (1967) 2 QB 459. 64 Mills ./. Cooper (1967) 2 QB 459. 65 Vereinigtes Königreich: UK Statutory Instrument 2006/3190 – Housing (Assessment of Accommodation Needs) (Meaning of Gypsies and Travellers) (England) Regulations 2006/ 3190 (in Kraft seit 2. Januar 2007); reg 2 – Meaning of Gypsies and Travellers for the Purposes of Section 225 of the Housing Act 2004.
II. Auf der Suche nach einer Definition des Nomaden
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In Berkshire County Council ./. Bird and Courtenay spezifizierte das zuständige Gericht, dass nicht jedes mobile Leben zwingend „nomadic habit of life“ bedeute: „The term ,nomadic‘ originally applied to members of races or tribes who moved from place to place to find pasture. It still seems to me, even in the statutory definition, to presuppose a type of person who, when he moves from place to place, does so with some purpose in view. ,A habit of life‘ is, in my judgment, a phrase meaning a manner of living so settled as to have become customary …“66
In Regina ./. South Hams ex parte Gibb erkannte das zuständige Gericht an, „that purpose is a necessary and characteristic part of the life of a nomad in the sense of the original derivation of that word.“67 Dieser Befund stimmt mit den verschiedenen afrikanischen Definitionsansätzen, insbesondere Nigers überein, wonach es beim Nomadismus nicht allein auf die Mobilität als Lebensstil ankommt, sondern dass dieser Lebensstil Mittel zur Beschaffung der Lebensgrundlagen sein muss. Der Nomadismus setzt voraus, dass mit der Mobilität eine Produktionstechnik und eine Anpassungsstrategie einhergeht, was sich z. B. darin äußert, dass die Wanderungen ein Ziel haben und mit ihnen ein ökonomischer Zweck verfolgt wird. Noch deutlicher formulierte dies Richter Laws in Regina ./. Dorset County Council ex parte Rolls: „The term ,nomad‘ has a Greek derivation, from the word meaning ,to pasture‘. Plainly, gypsies nowadays do not have to be itinerant farmers, whether within the section 16 definition or not; but I apprehend that the notion of a nomadic way of life has always meant something more than the mere fact of moving from place to place. In my judgment, the definition contemplates that class of persons whose means of getting an independent living necessarily involves their wandering from place to place. I think that the notion of economic independence, or at least of an aspiration to economic independence, is inherent in the idea of nomadic life, as is the notion that the nomad’s living is to be got in an activity which requires him to go from place to place.“68
Im Gegensatz zu Nomaden sind die Fahrten von Hippies nicht von der Suche nach Nahrungsmitteln oder allgemein ökonomischen Motiven geleitet, sondern erfolgen quasi plan- und ziellos. Es ist diese fehlende Zielsetzung und nicht die fehlende nomadische Abstammung, an der eine Subsumtion von Hippies unter den Nomadenbegriff scheitert. Diese Kriterien lassen sich auf andere „Neo-Nomaden“ übertragen. In der Mongolei etwa weist die nomadische Wirtschaftsweise Zuwachsraten auf69 und im Tschad und der Zentralafrikanischen Republik betrachten reiche Städter den „Neo66
Regina ./. South Hams District Council ex parte Gibb (1994) 26 HLR 307, den unveröffentlichten Fall Berkshire County Council ./. Bird and Courtenay (26 September 1986) zitierend. 67 Regina ./. South Hams District Council ex parte Gibb (1994) 26 HLR 307. 68 Regina ./. Dorset County Council ex parte Rolls (1994) 26 HLR 381. 69 Stefan Leder, Nomaden und Sesshafte in Steppen und Staaten (2/2013) PbV, 18, 19.
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C. Nomaden in Zeit, Raum und Recht
Pastoralismus“ vermehrt als lohnendes Investment.70 Auch in der EU werden die Potentiale der Transhumanz als kulturell, ökologisch und wirtschaftlich sinnvolle Methode der Landwirtschaft erkannt und die Landwirte gezielt hierzu ermutigt.71 Die voranschreitende Desertifizierung vergrößert jene Regionen, in denen der Nomadismus die einzig praktikable Lebens- und Wirtschaftsform ist und bewegt daher zunehmend auch bislang sesshafte Völker zur Aufnahme einer nomadischen Lebensweise. Sofern also „Neo-Nomaden“ mit ihren Wanderungen die Schaffung einer Lebensgrundlage bezwecken, lassen auch sie sich unter den Nomadenbegriff subsumieren, obwohl ihnen eine traditionell-nomadische Abstammung fehlt. b) Unterbrechung des nomadischen Lebens Indem es hinsichtlich der Qualifizierung eines Menschen als Nomade nicht auf dessen Tradition oder Abstammung ankommt, kann auch eine vorübergehende Unterbrechung der nomadischen Lebensweise a maiore ad minus dem Nomadenstatus keinen Abbruch tun. Nomaden, die zwischenzeitlich sesshaft geworden sind, steht somit eine Rückkehr in die nomadische Lebensweise offen, sofern hiermit neben einer bestimmten Kultur auch eine nomadische Wirtschaftsweise verbunden ist. Eine solche Rückkehr hat es mehrfach gegeben. Beispielsweise nahmen die Beduinen in der Negev ihr nomadisches Leben wieder auf, sobald die Grenze zwischen Israel und Ägypten durchlässiger wurde.72 Für die Unterbrechung des nomadischen Lebens kann es verschiedene Gründe geben. Zum einen kann politische Marginalisierung für eine vorübergehende Sesshaftigkeit ursächlich sein. Auch klimatische Umstände zwingen Nomaden mitunter dazu, ihr nomadisches Leben vorübergehend zu Gunsten einer urbanen Tätigkeit aufzugeben.73 Ob durch die Unterbrechung des nomadischen Lebens der Nomadenstatus verloren geht, ist klärungsbedürftig. Der britische Court of Appeal stellte diesbezüglich fest: „Although living a nomadic life for this purpose does not necessarily connote constant movement, it does require a habit or a rhythm of movement.“74
70 International Crisis Group, The Security Challenges of Pastoralism in Central Africa (2014) Africa Report No. 215, 14. 71 Roy Behnke/Carol Kerven, Policies and Practices of Pastoralism in Europe (2011) Pastoralism RPP, 1:28, 1; für einen Überblick über die EU-Politik zur Förderung des Pastoralismus im Rahmen der gemeinsamen Landwirtschaftspolitik (CAP): Silvia Nori/Michelle Gemini, The Common Agricultural Policy vis-à-vis European pastoralists: principles and practices (2011) Pastoralism RPP, 1:27. 72 Avinoam Meir/Haim Tsoar, International Borders and Range Ecology: The Case of Bedouin Transborder Grazing (1/1996) Human Ecology, 39, 52. 73 UN Environment Management Group, Global Drylands (Fn. 20) 41. 74 Wrexham CBC ./. National Assembly for Wales, 2003 WL 21353283.
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Das britische House of Lords bekräftigte in Greenwich LBC ./. Powell, „that a person may be within the definition if he leads a nomadic life only seasonally and notwithstanding that he regularly returns for part of the year to the same place where he may be said to have a fixed abode or permanent residence.“75
Der Gipsy-Status ende, so Richter McCullough, erst mit der endgültigen Aufgabe des nomadischen Lebens.76 Wann genau eine solche endgültige Aufgabe eintritt, ist nicht einfach festzustellen: „It is a fact, well recognised both before and since the passing of the Act, that many gypsies – and I use the term ethnically – do settle sometimes for several years, indeed many years, in the same place. Where this happens, as in this case, it may not be easy to determine whether they have lost their status as gypsies for the purpose of the relevant legislation. Clearly there can, and indeed must, come a time when as a matter of fact the nomadic habit of life has been lost.“ 77
Eine endgültige Aufgabe des nomadischen Lebens liegt jedoch nicht allein deshalb vor, weil diese über einen längeren Zeitraum z. B. zur Pflege eines Familienangehörigen oder aufgrund des Todes eines Zugpferdes unterbrochen wurde. Selbst die endgültige Aufgabe des Nomadenlebens durch einen altersschwachen Familienangehörigen berührt nicht den grundsätzlich fortbestehenden Nomadenstatus der diesen pflegenden Familienangehörigen.78 Die hiermit verbundenen Rechte leben bei Wiederaufnahme der nomadischen Lebensweise wieder auf. Diese Feststellung britischer Richter kann auf andere Weltregionen übertragen werden. In Afrika wird es aufgrund klimatischer Umstände mehr und mehr üblich, dass Hirtennomaden in Trockenzeiten die Ernährung ihrer Familien sicherstellen und die kargen Weiden entlasten, indem sie ihr Vieh vorübergehend verkaufen und in den Städten einer urbanen sesshaften Tätigkeit nachgehen, welche sie wieder aufgeben, sobald sich das Klima bessert, was durchaus mehrere Jahre beanspruchen kann.79 Das mit urbanen Tätigkeiten verdiente Geld wird dann in einen neuen Viehbestand investiert,80 woran deutlich wird, dass keine endgültige Aufgabe des nomadischen Lebens erfolgte.
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London Borough of Greenwich ./. Powell (1989) 21 HLR 218. Horsham District Council ./. Secretary of State for the Environment, (13. Oktober 1989) (unveröffentlicht), zitiert in: Regina ./. Shropshire County Council ex parte Bungay (1991) 23 HLR 195. 77 Horsham District Council ./. Secretary of State for the Environment (13. Oktober 1989) (unveröffentlicht), zitiert in: Queen’s Bench Division, Regina ./. Shropshire County Council ex parte Bungay (1991) 23 HLR 195. 78 Regina ./. Shropshire County Council ex parte Bungay (1991) 23 HLR 195. 79 UN Environment Management Group, Global Drylands (Fn. 20) 41. 80 Ebd. 76
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c) Abgrenzung zu Arbeitsmigranten Die von britischen Richtern favorisierte Erweiterung des ökonomischen Zwecks81 von rein landwirtschaftlichen Tätigkeiten auf jegliche ökonomische Tätigkeit erschwert die Abgrenzung zu Arbeitsmigranten bzw. Wanderarbeitern. Die UN-Konvention zum Schutze der Rechte aller Wanderarbeiter und deren Familienangehörigen82 (Wanderarbeiterkonvention) definiert den Begriff Migrant Worker: „The term ,migrant worker‘ refers to a person who is to be engaged, is engaged or has been engaged in a remunerated activity in a State of which he or she is not a national.“83
Hiervon bildet die Konvention Unterkategorien, wie z. B. Grenzarbeiter, die mindestens einmal pro Woche in ihr Heimatland zurückkehren oder Saisonarbeiter, deren Tätigkeit im Ausland von den Jahreszeiten abhängt. Ohne Bedeutung für die grundsätzliche Anerkennung als Wanderarbeiter ist es, ob eine Tätigkeit selbstständig oder abhängig ausgeübt wird. Denn die Wanderarbeiterkonvention kennt auch Self-employed Workers: „The term ,self-employed worker‘ refers to a migrant worker who is engaged in a remunerated activity otherwise than under a contract of employment and who earns his or her living through this activity normally working alone or together with members of his or her family, and to any other migrant worker recognized as self-employed by applicable legislation of the State of employment or bilateral or multilateral agreements.“84
Dementsprechend können auch Nomaden unter den Oberbegriff des Wanderarbeiters fallen, was jedoch nicht bedeutet, dass alle Wanderarbeiter automatisch Nomaden sind. Vielmehr gehen Wanderarbeiter typischerweise einer sesshaften Tätigkeit in der Fremde nach, wohingegen Nomaden regelmäßig Tätigkeiten ausüben, denen die Mobilität immanent ist. Ein weiteres Kriterium ist für die Definition eines Nomaden und insbesondere für die Abgrenzung von anderen Wanderarbeitern essentiell: „Living and travelling together in cohesive groups is a feature of nomadic peoples.“85
Dies bedeutet nicht, dass notwendigerweise alle Angehörigen einer Gruppe stets gemeinsam auf Wanderschaft sein müssen. Es bedeutet jedoch, dass ein Wanderarbeiter nur dann als Nomade betrachtet werden kann, wenn er einer Gruppe angehört, die überwiegend ein wanderndes Leben führt. Die Subsumtion unter den Nomadenbegriff ist somit anders als bei reinen Wanderarbeitern nicht allein vom 81
Regina ./. Dorset County Council ex parte Rolls (1994) 26 HLR 381. UNGA, International Convention on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families (18. Dezember 1990) UN Doc A/RES/45/158. 83 Ebd., Art. 2 (1). 84 Ebd., Art. 2 (2) (h). 85 Court of Appeal, Regina ./. South Hams District Council ex parte Gibb (1995) QB 158. 82
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jeweiligen Individuum abhängig, sondern setzt die Zugehörigkeit zu einer überwiegend nomadischen Gruppe voraus. „… the term is not expressly confined to those who travel in groups, and the Act does not stipulate that persons cannot be gipsies unless they do so. Conversely, although the fact that persons travel in groups does not of itself make them gipsies, it may nevertheless be an indication that they are …“
Dies wiederum entspricht dem klassischen Clanrecht86, wie es u. a. innerhalb nomadischer Gemeinschaften noch heute große praktische Gültigkeit besitzt: Nach dem Rule of the Clan87 leiten sich die Rechte von Individuen (z. B. Landrechte) von den Rechten ihres jeweiligen Clans ab.88 Auch die unter Beteiligung der Nomaden selbst zustande gekommene Definition Nigers erwähnt entsprechend das Kriterium „Groupes pastoraux“ als zwingenden Bestandteil seiner Nomadismus-Definition. Dieses Kriterium liegt daher auch der in vorliegendem Buch verwendeten Definition zugrunde. Durch das Kriterium des „Wanderns in Gruppen“ lassen sich Nomaden nicht nur von Wanderarbeitern, sondern auch von anderen Migrantengruppen, wie Flüchtlingen und Vertriebenen, abgrenzen. Selbst wenn sich Flüchtlinge zu einem Flüchtlingstreck zusammenschließen, so besteht unter dessen Beteiligten kein einem nomadischen Clan vergleichbares Zusammengehörigkeitsgefühl. Die Selbstidentifikation als zusammengehörige Gruppe ist jedoch ein wesentliches Tatbestandsmerkmal eines Clans, wodurch sich dieser als Gruppe auszeichnet.89 Für die Behandlung nomadischer Rechte, wie z. B. Landrechte, aber auch die in diesem Buch thematisierten Wanderrechte spielt daher die Problematik der Akzeptanz von Gruppenrechten im Völkerrecht eine besondere Rolle.90 Völkerrechtlich anerkannt sind solche Gruppenrechte heute etwa in Gestalt eines Rechts auf Entwicklung, auf eine gesunde Umwelt, auf Frieden, Teilhabe am gemeinsamen Erbe der Menschheit und als Recht, die eigene kulturelle Identität zu bewahren.91 In den verschiedenen 86
Hierzu im Detail, Mark S. Weiner, The Rule of the Clan (Fn. 6). Begriff nach Mark S. Weiner, ebd. 88 Sabine Homann, Indigenous knowledge of Borana pastoralists in natural resource management: A case study from Southern Ethiopia, Cuvillier Verlag Göttingen 2005, 13; Taslim Olawale Elias, The Nature of African Customary Law, Manchester UP 1956, 92 f.; Katja Göcke, Indigene Landrechte im Internationalen Vergleich, Springer 2016, 27; Mohammud Abdulahi, Communal Land Holding System in Ethiopia (Fn. 18) 90; vgl. auch Abschnitt C.III.2.b). 89 Bernhard Linke, Von der Verwandtschaft zum Staat, Franz Steiner 1995, 27; hierzu im Detail: Mark S. Weiner, The Rule of the Clan (Fn. 6). 90 Vergleiche zu dieser Problematik im Detail: Corsin Bisaz, The Concept of Group Rights in International Law: Group as Contested Right-Holders, Subjects and Legal Persons, Brill 2012. 91 Mohammud Abdulahi, Communal Land Holding System in Ethiopia (Fn. 18) 94; James Crawford systematisiert Gruppenrechte, indem er sie in zwei Grundkategorien einteilt: (1) Existenzrechte und Rechte auf politische und kulturelle Kontinuität, (2) verschiedene Rechte auf wirtschaftliche Entwicklung und Koexistenz (vgl. James Crawford, The Rights of Peoples: 87
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Regelwerken, welche solche Gruppenrechte beinhalten, werden diese Gruppen u. a. betitelt als indigenous peoples, tribal peoples, local communities, traditional communities oder minority groups.92 Welche Voraussetzungen an die Existenz einer Gruppe zu knüpfen sind, ist abhängig von dem durch diese Gruppe geltend gemachten Recht und wird im Rahmen der Thematisierung dieser Rechte an entsprechender Stelle behandelt.93 Handelt es sich bei dem geltend gemachten Recht etwa um das Selbstbestimmungsrecht der Völker, so müssen die Tatbestandsmerkmale der Gruppe „Volk“ erfüllt sein. Gewähren Konventionen hingegen Rechte an „indigene Gemeinschaften“ so muss es sich bei einer sich hierauf berufenden nomadischen Gruppe um eine „indigene Gemeinschaft“ handeln. Verschiedene Gruppentypen zeichnen sich somit durch verschiedene Merkmale aus. Verallgemeinern lassen sie sich unter der Definition von Corsin Bisaz: „a number of individuals bigger than one that is conceived by themselves or by others as being in a certain regard connected in a substantive way.“94
Einem solch weit verstandenen Gruppenverständnis als Grundlage einer Nomadismus-Definition könnte entgegengehalten werden, dass sich hiernach jegliche Zusammenkunft von Menschen zu einem gemeinsamen Zweck als Gruppe qualifizieren ließe. Vor diesem Hintergrund wird die Diskussion um Gruppenrechte teilweise reduziert auf sogenannte kulturelle Gruppen, also solche deren „connection in a substantive way“ sich nicht nach Kriterien wie Alter, Geschlecht oder Behinderung richtet, sondern nach Sprache, Ethnizität oder Lebensweise.95 Bei „nomadischen Gruppen“ ist das verbindende Element – das Nomadentum – vorfestgelegt. Eine weitere Verengung erübrigt sich somit. Die Feststellung, dass die Qualifikation als Nomade die Zugehörigkeit zu einer Gruppe voraussetzt, bedeutet nicht, dass Nomaden nur Gruppenrechte zustehen. Jedoch ist die Zugehörigkeit zu einer „nomadischen Gruppe“ wesentliches Tatbe,Peoples‘ or ,Governments‘, in: James Crawford (Hrsg.), The Rights of Peoples, Clarendon 1988, 56 – 58); Eine weitere Systematisierung von Gruppenrechten findet sich bei Natan Lerner, der sie unterteilt in (1) das Recht auf Existenz, (2) das Recht, nicht diskriminiert zu werden, (3) das Recht auf Wahrung der Identität der Gruppe, (4) das Recht auf spezielle Maßnahmen zur Pflege der Identität, (5) das Recht über die Mitgliedschaft in der Gruppe zu entscheiden, (6) das Recht zur Schaffung eigener Institutionen, (7) das Recht auf Kommunikation, Föderation und Kooperation mit vergleichbaren Gruppen, (8) Rechte auf Repräsentation in der jeweiligen Regierung, (9) das Recht, den Gruppenmitgliedern Pflichten aufzuerlegen, (10) das Recht einiger Gruppen auf Anerkennung ihrer Rechtspersönlichkeit und (11) das Recht auf Selbstbestimmung (vgl. Natan Lerner, Group Rights and Discrimination in International Law, Kluwer 2003, 39 – 41; zum Überblick: Corsin Bisaz, Group Rights (Fn. 90) 11 Fn. 17. 92 Mohammud Abdulahi, Communal Land Holding System in Ethiopia (Fn. 18) 94. 93 Vgl. F.II.1.; F.III.1.; F.IV.3.a). 94 Corsin Bisaz, Group Rights (Fn. 90) 28. 95 Ebd., 32; Thomas W. Pogge, Gruppenrechte von Minderheiten, in: Matthias Kaufmann, Integration oder Toleranz? Minderheiten als philosophisches Problem, Karl Alber 2001, 189.
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standsmerkmal, um Nomaden insbesondere von sonstigen Wanderarbeitern zu unterscheiden. d) Abgrenzung zu Flüchtlingen Diese Arbeit fokussiert sich auf jene Nomaden, die innerhalb ihrer Wanderungen Staatsgrenzen überqueren. Dies macht es erforderlich, sie von den ebenfalls transnational „wandernden“ Flüchtlingen zu unterscheiden, wobei es zwischen beiden Gruppen häufig Schnittmengen gibt: Ende des 17. Jahrhunderts etwa führte die Besiedlung des Kaps der Guten Hoffnung durch niederländischstämmige Buren zur Vertreibung der hier nomadisch lebenden Khoisan nach Nordwesten, wo sie in Konflikte mit den pastoralen Nama gerieten, welche daraufhin ihre angestammten Lebensräume Richtung Zentralnamibia verließen, von wo sie wiederum die hier nomadisch lebenden Herero vertrieben.96 Sofern Nomaden entsprechend dieses Beispiels zur Flucht gezwungen werden, können sie beiden Kategorien unterfallen. Die faktische Nähe zwischen Nomaden und Flüchtlingen hängt einerseits damit zusammen, dass erstere aufgrund ihrer häufigen Marginalisierung und ihres Bedarfs an weiten Landstrichen meist zu den ersten Opfern bewaffneter Konflikte zählen. Überdies sind sie durch ihre ohnehin mobile Lebensweise in der Lage innerhalb kürzester Zeit Konfliktregionen zu verlassen – sie sitzen quasi stets auf „gepackten Koffern“ und sind mit den Fluchtwegen über die „Grüne Grenze“ durch ihre Wanderungen vertraut. In den jeweiligen Gastländern begegnen Flüchtlinge häufig Ablehnung und Vertreibung durch die dort ansässige Bevölkerung und deren Regierung. Dies führt dazu, dass es Flüchtlingen erschwert wird, in der Fremde dauerhaft sesshaft zu werden. Sie führen somit in ihren Aufenthaltsstaaten häufig unfreiwillig ebenfalls ein nomadisches Leben. Gerade diese faktische Nähe zwischen Flüchtlingen und Nomaden macht eine rechtlich trennscharfe Unterscheidung notwendig. Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 definiert den Flüchtling als Person, die: „(2) As a result of events occurring before 1 January 1951 and owing to wellfounded fear of being persecuted for reasons of race, religion, nationality, membership of a particular social group or political opinion, is outside the country of his nationality and is unable or, owing to such fear, is unwilling to avail himself of the protection of that country; or who, not having a nationality and being outside the country of his former habitual residence as a result of such events, is unable or, owing to such fear, is unwilling to return to it.“97
96 Dag Henrichsen, Herrschaft und Alltag im vorkolonialen Zentralnamibia – Das Hereround Damaraland im 19. Jahrhundert, Basler Afrika Biographien 2011, 75 ff., 92. 97 Convention relating to the Status of Refugees (28. Juli 1951) 189 UNTS i-2545.
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Ergänzt wurde diese Definition durch das Zusatzprotokoll von 1967: „2. For the purpose of the present Protocol, the term ,refugee‘ shall, except as regards the application of paragraph 3 of this article, mean any person within the definition of article 1 of the Convention as if the words ,As a result of events occurring before 1 January 1951 and …‘ and the words ,… as a result of such events‘, in article 1 A (2) were omitted.“98
Noch weiter geht die OAU-Flüchtlingskonvention der afrikanischen Staaten, welche über den Anwendungsbereich der Konvention von 1951 und des Zusatzprotokolls von 1967 hinaus auch erfasst: „2. The term ,refugee‘ shall also apply to every person who, owing to external aggression, occupation, foreign domination or events seriously disturbing public order in either part or the whole of his country of origin or nationality, is compelled to leave his place of habitual residence in order to seek refuge in another place outside his country of origin or nationality.“99
Die Marginalisierung von Nomaden in ihren Staaten oder Ressourcenkonflikte mit sesshaften oder anderen nomadischen Völkern können dazu führen, dass Nomaden zu nomadischen Flüchtlingen werden, wie dies etwa mit einigen Fulbe im Umfeld der Konflikte in Zentralafrika geschah: Ende des 19. Jahrhunderts verließen deren Vorfahren den heutigen Norden Nigerias in Richtung Kamerun,100 von wo sie Anfang des 20. Jahrhunderts in die Zentralafrikanische Republik einwanderten.101 Wieder andere Fulbe wandern seit Langem transhumant im Rhythmus der Jahreszeiten vom Tschad in die Zentralafrikanische Republik ein und wieder aus.102 Einerseits förderten diese Wanderungen den wirtschaftlichen und sozialen Austausch zwischen den Gemeinschaften, führten aber andererseits in der Vergangenheit immer wieder zu Konflikten.103 Denn von den ursprünglich in der Zentralafrikanischen Republik heimischen Völkern werden die eingewanderten Hirtennomaden als Eroberer gesehen, welche die Hauptverantwortung für die Degradation der natürlichen Ressourcen tragen.104 Hieraus resultierende Konflikte steigerten sich im 21. Jahrhundert mehr und mehr zum Bürgerkrieg, dessen Hauptursache darin liegt, dass die transnationalen Nomaden aufgrund von Grenzschließungen und Sicherheitsbedrohungen auf Routen ausweichen mussten, auf denen die sesshafte Bevölkerung an durchziehende Viehherden nicht gewöhnt war und deren bestellte Felder diesen nicht
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Protocol relating to the Status of Refugees (31. Januar 1967) 606 UNTS i-8791. OAU, Convention governing the specific aspects of refugee problems in Africa (10. September 1969) Doc No. CAB/LEG/24.3. 100 Philip Burnham, The Politics of Cultural Difference in Northern Cameroon, Edinburgh UP 1996, 16 f. 101 International Crisis Group, Security Challenges of Pastoralism (Fn. 70) 19. 102 Ebd., 12. 103 Ebd., ii. 104 Ebd., 12. 99
II. Auf der Suche nach einer Definition des Nomaden
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standzuhalten vermochten.105 Ihrer Herden kriegsbedingt beraubte Pastoralisten schlugen sich notgedrungen auf die Seite von Milizen oder versuchten als Banditen ein Auskommen zu finden, was die Sicherheitslage für die anderen Nomaden zusätzlich verschärfte.106 Gewöhnt daran, auf äußere Bedingungen schnell durch Mobilität zu reagieren, verließen 2014 ca 70.000 Nomaden die Zentralafrikanische Republik in die Nachbarländer Kamerun, Demokratische Republik Kongo, Tschad und Sudan.107 Sofern sich die aus Zentralafrika geflohenen Fulbe im Kongo aufhalten, einem Gebiet, welches sie zuvor nicht aufzusuchen pflegten, können sie – die Kriterien der Flüchtlingsdefinition vorausgesetzt – für sich Flüchtlingsstatus reklamieren. Halten sie sich hingegen im Gebiet des Tschads auf, welches seit jeher im Rahmen der Transhumanz frequentiert wurde, ist das Tatbestandsmerkmal der Flüchtlingsdefinition „outside the country of his former habitual residence“ nur schwer zu bejahen. Auch die Afrikanische Flüchtlingskonvention ist mit ihrem Anknüpfen an „place of habitual residence in order to seek refuge in another place outside his country of origin or nationality“ kaum geeignet Nomaden innerhalb des Gebietes ihrer gewohnten Wanderungen Flüchtlingsstatus zu gewähren, trotz einer offensichtlichen Bedrohung und Marginalisierung in Teilen des gewohnten Aufenthaltsgebietes. Die Fulbe im Tschad sind somit allenfalls de facto Flüchtlinge, nicht jedoch de jure. Dieses Schicksal teilen sie mit einer weiteren Gruppe von reinen „de-factoFlüchtlingen“, die im Folgenden thematisiert wird. e) Verhältnis zu „Umweltflüchtlingen“ Wie dargelegt, sind die Wanderungen der Nomaden v. a. auf Umweltbedingungen, wie z. B. Trocken- und Regenzeiten zurückzuführen. In den ariden- und semi-ariden Zonen, welche die Heimat der meisten Nomaden darstellen, ist der Wechsel dieser Klimabedingungen mitunter über Jahre hinweg nicht vorhersehbar, sodass Nomaden teilweise erst nach einer mehrjährigen Dürrezeit in einst genutzte Gebiete zurückkehren. In dieser Hinsicht ähneln sie Umweltflüchtlingen. Der Begriff des Umweltflüchtlings ist nicht mit einem rechtlichen Status verbunden, ist jedoch eng verwandt mit der hier aufgegriffenen Definition des Nomaden. Seit den 80er Jahren wird durch verschiedene NGOs und GOs gefordert,108 den Flüchtlingsbegriff um Umweltflüchtlinge zu erweitern.109
105 Zur Entwicklung des Bürgerkriegs in der Zentralafrikanischen Republik und dessen Wechselbeziehung zu den nomadischen Bevölkerungen der Region vgl. ebd. 106 Ebd., 12. 107 Ebd., 19. 108 Essam El-Hinnawi, Environmental Refugees (1985) UNEP Paper, 4; Tamer Afifi/Radha Govil/Patrick Sakdapolrak/Koko Warner, Climate change, vulnerability and human mobility: Perspectives of refugees from the East and Horn of Africa, Report No. 1, UNHCR 2012, 39.
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C. Nomaden in Zeit, Raum und Recht
Essam El-Hinnawi gilt als Schöpfer des Begriffs „Umweltflüchtling“. Er definierte für das UNEP 1985 die Umweltflüchtlinge als: „solche Menschen, die aufgrund von merklicher Umweltzerstörung, die ihre Existenz gefährdet und ernsthaft ihre Lebensqualität beeinträchtigt, gezwungen sind, zeitweilig oder dauerhaft ihren natürlichen Lebensraum zu verlassen. Unter ,Umweltzerstörung‘ werden in dieser Definition jegliche physikalische, chemische und/oder biologische Veränderungen der Ökosysteme (oder Ressourcenbasis) verstanden, die diese zeitweilig oder dauerhaft ungeeignet machen, menschliches Leben zu unterstützen“110
Auch bei Nomaden stellen die grenzüberschreitenden Wanderungen eine Reaktion auf widrige Umwelteinflüsse dar. Streicht man in El-Hinnawis Definition des Umweltflüchtlings nur ein einziges Wort, ergibt sich eine überaus passende Definition des Nomaden. Diese Definition zugrundegelegt, sind Nomaden jene Menschen, die aufgrund von merklicher Umweltzerstörung, die ihre Existenz gefährdet und ernsthaft ihre Lebensqualität beeinträchtigt, gezwungen sind, zeitweilig111 ihren natürlichen Lebensraum zu verlassen. Es handelt sich somit lediglich um eine Unterkategorie von Umweltflüchtlingen, nämlich jenen, die – anders als z. B. die Bewohner überschwemmter Inseln – nach einer Verbesserung der Umweltbedingungen die Rückkehr beabsichtigen. Nur im Falle der Transhumanz findet die nomadische „Klimaflucht“ jahreszeitlich regelmäßig statt. In allen übrigen Fällen ist sie genauso unberechenbar wie die Regenfälle der Sahel-Zone und die Wanderungen der sogenannten „Umweltflüchtlinge.“ Das Horn von Afrika wurde auch im 21. Jahrhundert schon mehrfach von ausbleibenden Regenfällen heimgesucht.112 Die Nomaden haben es über Jahrtau-
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Seit 2008 mussten im Durchschnitt jährlich 26,4 Mio. Menschen vor Umweltkatastrophen, u. a. Dürren, fliehen (vgl. Internal Displacement Monitoring Center, Global Estimates 2015 – People displaced by disasters (Juli 2015), online unter: http://www.internal-displace ment.org/assets/library/Media/201507-globalEstimates-2015/20150713-global-estimates-2015en-v1.pdf) (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018); vgl. auch http://www.internal-displace ment.org/database/displacement-data (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 110 Essam El-Hinnawi, Environmental Refugees (1985) UNEP Paper, 4, Übersetzung bei: Cord Jakobeit/Chris Methmann, Universität Hamburg Institut für Politische Wissenschaft Teilbereich Internationale Politik, Klimaflüchtlinge, Greenpeace 2007, 9. 111 Jene Umweltflüchtlinge, die z. B. aufgrund der Überschwemmung ihrer Inseln nie mehr in der Lage sein werden, in ihre Heimat zurückzukehren, sind natürlich keine Nomaden. Der Nomadenbegriff ist insoweit enger als der des Umweltflüchtlings. 112 Die „Ostafrikanische Dürre“ von 2011 wird als die schwerste seit 60 Jahren gesehen, von der vor Allem jene Pastoralisten betroffen wurden, die sich noch nicht von der Dürre von 2009 erholen konnten (anonym, Horn of Africa tested by severe drought, BBC (4. Juli 2011), online unter: http://www.bbc.com/news/world-africa-14023160 (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018)). Zwischen 2014 und 2016 blieb der Regen am Horn von Afrika erneut drei Jahre in Folge aus (Kun Li, Prolonged drought pushes Somali communities to the brink, UNICEF (26. April 2016), online unter: https://blogs.unicef.org/blog/failed-rains-prolong-drought-pushes-somalicommunities-to-the-brink/ (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018)). Zwischen 1900 und 2013 gab es in Afrika 291 Dürren (I. Masih/S. Maskey/F. E. F. Mussá/P. Trambauer, A review of
II. Auf der Suche nach einer Definition des Nomaden
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sende gelernt, auf das Ausbleiben des Niederschlags durch Mobilität zu reagieren.113 Erst das Versperren der traditionellen Wanderrouten durch Staatsgrenzen etikettiert die Nomaden zu (völkerrechtlich ungeschützten) Umweltflüchtlingen um. Der Umweltflüchtling ist letztlich ein Jahrtausende altes Phänomen, zumindest, wenn man den sehr weiten Umweltzerstörungsbegriff El-Hinnawis zugrundelegt, welcher nicht nur die komplette Zerstörung, sondern jegliche ökologische Veränderung umfasst. Sofern versucht wird, die Flüchtlingsdefinition auf Umweltflüchtlinge auszuweiten, verkennt dieser Ansatz, dass viele Umweltflüchtlinge mehr Gemeinsamkeiten mit Nomaden als mit Flüchtlingen nach der Genfer Konvention aufweisen und daher besser durch die in dieser Arbeit aufgezeigten Mechanismen geschützt werden als durch die künstliche Hineindrängung in einen „Flüchtlings-Opferstatus“. Viele sogenannte Umweltflüchtlinge führen nämlich ein mobiles Leben, welches dem Konzept des Territorialstaates grundsätzlich widerspricht und somit durch ein Aufenthaltsrecht in einem Flüchtlingscamp nur unzureichend erfasst wird. Dies berührt natürlich nicht die berechtigte politische Forderung nach einer völkerrechtlichen Antwort auf jene Menschen, die, ohne Nomaden zu sein, weil sie sich z. B. nicht als Gruppe begreifen oder traditionell sesshaft lebten, von überfluteten Inseln oder einst fruchtbarem Ackerland dauerhaft vertrieben wurden. 4. Zwischenfazit – Definition Nomadismus umfasst die Fortbewegung von (1) Bevölkerungsgruppen zum (2) Zwecke des originären oder derivativen Erwerbs von Lebensgrundlagen. Er ist ein Modus des Bewohnens und der Nutzung von Gebieten, (3) der auf Mobilität und Flexibilität basiert. Es handelt sich um ein Lebenssystem, eine Produktionstechnik und eine (4) Anpassungsstrategie an instabile und unvorhersehbare äußere Bedingungen, unter denen die Verfügbarkeit von Ressourcen vom Zufalle abhängig ist. Nomaden unterscheiden sich von anderen Migranten, insbesondere Wanderarbeitern, dadurch, dass sie in Gruppen wandern oder mindestens einer im Wesentlichen nomadischen Gruppe angehören. Zwar ist die ethnische Zugehörigkeit zu einem traditionell nomadischen Volk nicht entscheidend für die Qualifikation als Nomade. Der freie Entschluss zu einem wandernden Leben führt jedoch nur dann zur Qualifikation als Nomade, wenn in der Folge der Erwerb der Lebensgrundlagen auf eine Weise betrieben wird, die ein wanderndes Leben zwingend erfordert.
droughts on the African continent: a geospatial and long-term perspective (2014) HESS, 3635, 3636. 113 Ian Scoones, New directions (Fn. 16) 16 ff.
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C. Nomaden in Zeit, Raum und Recht
III. Territorien und Grenzen aus dem Blickwinkel von Staaten und Nomaden „Le concept d’État nomade avec une structure tribale flexible et une capitale se déplaçant avec le ,palais de tentes‘ du chef le plus haut placé nécessite néanmoins quelques explications.“114
Indem der Nomadismus auf Mobilität basiert, kollidiert er notwendigerweise mit Hindernissen, die den Wanderungen der Nomaden im Wege stehen. Solche Hindernisse stellen unter anderem Staatsgrenzen dar.115 Der IGH stellte diesbezüglich im Kasikili/Sedudu Island Fall fest: „It is, moreover, not uncommon for the inhabitants of border regions in Africa to traverse such borders for purposes of agriculture and grazing …“116
und bekräftigte im West-Sahara-Gutachten: „In consequence, the nomadic routes of none of them were confined to Western Sahara; some passed also through areas of southern Morocco, or of present day Mauritania or Algeria, and some even further countries.“117
Die Staatsgrenzen, welche heute die Routen der Nomaden behindern, gehen häufig auf koloniale Verwaltungsgrenzen zurück,118 die im vollen Bewusstsein der nomadischen Routen über diese hinweg gezogen119 und später von den in die Unabhängigkeit entlassenen Staaten u. a. zur Unterdrückung der indigenen Herrschaftsformen geschlossen wurden.120 Auch in Zentralasien ziehen sich viele heftig
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Louis Bazin, Les États nomades en Asie centrale, in: Albert Ollé-Martin/Violaine Decang (Hrsg.), Histoire de l’humanité, Bd. 4, UNESCO 2008, 123, „Das Konzept des Nomadenstaates mit einer flexiblen Stammesstruktur und einer sich verlegenden Hauptstadt und einem ,Palast der Zelte‘ des höchsten Chefs bedarf nichtsdestoweniger einiger Erläuterungen“ (Übersetzung des Verfassers). 115 Jérémie Gilbert, Nomadic Peoples and Human Rights, Routledge 2014, 79; Günter Schönegg/Philippe Martel/Balla Sano/Salifou Noufou, Konflikte im Zusammenhang mit grenzübergreifender Transhumanz (Fn. 38) 20. 116 IGH, Case concerning Kasikili/Sedudu Island (Botswana ./. Namibia) Judgment (13. Dezember 1999) ICJ Rep 1999, 1045, 74. 117 IGH, Western Sahara Advisory Opinion (16. Oktober 1975) ICJ Rep 1975, 12, 88. 118 Manuel Brunner, Drawing Lines upon Maps, in: Matthias C. Kettemann (Hrsg.), Grenzen im Völkerrecht, Jan Sramek Verlag 2013, 21 ff.; Bernhard Zeller, Ex Facto Ius Oritur – Zur Bedeutung der ehemaligen deutschen Kolonialgrenzen in Afrika am Beispiel des Rechtsstreits zwischen Kamerun und Nigeria, Nomos 2006, 12, 268; Boutros Boutros-Ghali, Les Conflits de Frontières en Afrique, Editions Techniques et Economiques 1972, 9 ff. 119 IGH, Western Sahara Advisory Opinion (16. Oktober 1975) ICJ Rep 1975, 12 Rn. 137; Basil Davidson, The Black Man’s Burden: Africa and the Curse of the Nation-State, James Currey 1992, 202 f.; Antony Anghie, Imperialism, Sovereignty and the Making of International Law, Cambridge UP 2005, 205. 120 Jeffrey Herbst, States and Power in Africa, Princeton UP 2000, 228; Ousmane Sy, Reconstruire l’Afrique, Éditions-Diffusion Charles Léopold Mayer 2009, 154.
III. Territorien und Grenzen aus dem Blickwinkel von Staaten und Nomaden
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umkämpfte Staatsgrenzen durch die Wandergebiete nomadischer Völker,121 die auf Linien zurückgehen, welche Stalin bewusst willkürlich zog, um nach dem Grundsatz „divide et impera“ seine Herrschaft zu sichern und die Ethnien zu mischen.122 Dieser willkürliche Umgang mit nomadischen Völkern durch Grenzziehung aber auch die völlige Außerachtlassung ethnischer Strukturen und der ökonomischen Überlebensfähigkeit der so geschaffenen Territorien123 lässt sich nur begreifen, wenn die völlig konträren Wahrnehmungsweisen des Konzepts „Grenze“ gegenübergestellt werden. Es ist nämlich nicht allein die willkürliche Ziehung einer konkreten Grenze, die der nomadischen Lebensweise entgegensteht, sondern das Territorialitätskonzept selbst, was nach Georg Jellinek Sesshaftigkeit voraussetzt.124 Aus diesem Grunde erfolgt im Folgenden eine Darstellung der Entwicklung zum europäischen und heute völkerrechtlich verbindlichen Grenz- und Territorialkonzept, um dieses im Anschluss dem nomadischen Verständnis von Grenzen und Territorien gegenüberzustellen. 1. Von der Mark zur Grenze – Die Entwicklung des europäischen Grenzkonzeptes Heute stellt die Welt ein nahezu lückenloses Puzzle von Staaten dar,125 die durch schmale Linien – Grenzen – voneinander geschieden sind, ja das gesamte Konzept 121
FAO, Pastoralism in the new millenium, Food animal Production and Health Paper 150, FAO 2001, 37 ff.; Bahram Tavakolian, Sheikhanzai nomads and the Afghan state: a study in indigenous authority and foreign rule, in: M. Shahrani/R. L. Canfield (Hrsg.), Revolutions and Rebellions in Afghanistan: Anthropological Perspectives, Institute of International Studies, University of California 1984, 249 ff. 122 Parag Khanna, Mapping the Future of Countries, TED Talk, Juli 2009, 11:53, online unter: https://www.ted.com/talks/parag_khanna_maps_the_future_of_countries/transcript?lang uage=en#t-706668 (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018); Ingrid Oswald, Zur Dynamik staatlicher und ethnischer Grenzen in Osteuropa, in: Petra Deger/Robert Hettlage (Hrsg.), Der europäische Raum – die Konstruktion europäischer Grenzen, VS Verlag für Sozialwissenschaften 2007, 71, 79 f. 123 A. Adu Boahen, African Perspectives on Colonialism, John Hopkins UP 1987, 95 ff.; Imre Josef Demhardt, Deutsche Kolonialgrenzen in Afrika, Georg Olms Verlag 1997, 30; Kwame Nkrumah, Africa must Unite, Frederick A. Praeger 1963, 7. 124 Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, (Fn. 2) 172 f.; vgl. in Ansätzen in diese Richtung auch schon, Emer de Vattel, Le droit des gens ou les principes de la loi naturelle, verwendet in der Ausgabe von James Brown Scott, Carnegie Institution 1916, Bd. 1, Buch II, ch. VII, § 97, 325 f., „Si ces familles ont des établissements fixes; le lieu que chacune occupe lui appartient en propre; le reste du pays, dont elles ne font point usage, laissé dans la communion primitive, est au prémier occupant“ („Wenn diese Familien feste Wohnsitze haben, gehört der Ort, den jeder von ihnen besitzt, ihm als Eigentum; der Rest des Landes, von dem sie keinerlei Gebrauch machen, der dem primitiven Gemeineigentum verbleibt, steht dem ersten Besetzer zu.“ – Übersetzung des Verfassers). 125 Die Idee, die ganze Erde müsse in Staaten aufgeteilt werden, ist neu, ebenso wie die Vorstellung, politische Einheit „Staat“ und ethnische, sprachliche oder kulturelle Einheit
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C. Nomaden in Zeit, Raum und Recht
des Staates wurzelt in der Kontrolle über ein genau umgrenztes Territorium.126 Jene die Territorien scheidenden Grenzen definiert Ian Brownlie als: „An alignment, a line described in words in a treaty, and/or shown on a map or chart, and/or marked on the ground by physical indicators such as concrete pillars or cairns of stones. The particular, but not exclusive purpose of this alignment is the allocation of territory to states and other political units which have an international status and role, including non-selfgoverning peoples within defined entities.“127
Diese Ordnung hat ihre Wurzeln in Europa128 und wurde durch die Internationalisierung des europäischen Staatsverständnisses – im Wesentlichen im Zuge des Kolonialismus129 – zur Grundlage des modernen Völkerrechts. Doch auch in Europa bestand dieses Grenzverständnis nicht seit jeher. Vielmehr stellen die abgegrenzten Staaten erst seit näherungsweise 500 Jahren die in Europa maßgebliche Form politischer Einheit dar130 und erst seit Ende des 17. Jahrhunderts sind Souveränität und Territorium eine untrennbare Einheit im westlichen Diskurs.131 a) Entwicklung von Staaten und deren Grenzen in Europa „Eine Karte des vormodernen Europa, die klar abgegrenzte Länder in einheitlichen Flächenfarben darstellt, ist eine irreführende Rückprojektion der modernen Staatenwelt, nichts anderes als die Erfindung einer zu dieser passenden Vorgeschichte. Auch wenn wir nicht mehr von bloßen Personenverbänden, sondern von territorialer Gliederung des Raumes ausgehen, bleibt es bei einer bunten Vielfalt sich überlappender Zugehörigkeiten unter„Nation“ müssten zusammenfallen (vgl. Eric J. Hobsbawm, Nationen und Nationalismus – Mythos und Realität seit 1780, Campus 1991, 8). 126 Vaughan Lowe, International Law, Oxford UP 2007, 138; a.A. Stephan Hobe, der es für Staatlichkeit ausreichen lässt, wenn das Territorium im Wesentlichen definierbar ist, auch wenn der exakte Grenzverlauf im Einzelnen unklar bleibt. (Einführung in das Völkerrecht, 10. Auflage, A Francke 2014, 81). 127 Ian Brownlie, African Boundaries: A Legal and Diplomatic Encyclopedia, Royal Institute of International Affairs 1979, 3. 128 Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt – eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, C. H. Beck 1999, 535. 129 Daniel Erasmus Khan, Die deutschen Staatsgrenzen, Mohr Siebeck 2004, 3; Jörn Axel Kämmerer, Introduction: Imprints of Colonialism in International Law: On the Paradoxes of Transition (2016) JHIL, 239, 245. 130 Daniel Erasmus Khan, ebd., 3; Dieter Grimm, Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, Suhrkamp 1987, 53; Stefan Böckler, ,Grenze‘ und ,Frontier‘: Zur Begriffs- und Sozialgeschichte zweier Schließungsparadigmen der Moderne, in: Petra Deger/Robert Hettlage (Hrsg.), Der europäische Raum – Die Konstruktion europäischer Grenzen, VS Verlag für Sozialwissenschaften 2007, 25, 34. 131 Allen Buchanan/Margaret Moore, Introduction: The Making und Unmaking of Boundaries, in: Allen Buchanan/Margaret Moore (Hrsg.), States, Nations, and Borders: The Ethics of Making Boundaries, Cambridge UP 2003, 1, 6; vgl. Klaus Eder, Die Grenzen Europas. Zur narrativen Konstruktion europäischer Identität, in: Petra Deger/Robert Hettlage (Hrsg.), Der europäische Raum – Die Konstruktion europäischer Grenzen, VS Verlag für Sozialwissenschaften 2007, 187, 201, der Grenzen als „Territorium eines Rechtsraums“ definiert.
III. Territorien und Grenzen aus dem Blickwinkel von Staaten und Nomaden
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schiedlichen Charakters, die nicht wie heute sachlich und sprachlich auf einen modernen Nationalstaat als maßgebliche geographische Ebene bezogen werden …“132
Bevor der Westfälische Frieden das System der Territorialstaaten zur bestimmenden Gesellschaftsordnung in Europa erhob,133 waren feste Grenzen auf dem europäischen Kontinent eher die Ausnahme.134 Allein dem Römischen Reich war eine feste Verschränkung von Herrschaft und Territorium bekannt.135 Dieses besaß klare und befestigte Grenzen (Limes) und versuchte innerhalb dieser Grenzen eine einheitliche Verwaltung und Besteuerung aufzubauen.136 Mit dem Verfall des Römischen Reiches im Mittelalter verschwand auch die Verschränkung von Territorium und Herrschaft.137 Dies hatte seinen Grund v. a. in nur schwach ausgeprägten und sich überlappenden, ineinander verschlungenen und miteinander in Wettstreit stehenden Herrschaftsstrukturen.138 Mittelalterliche Bistümer, Herzogtümer und Städte beanspruchten in ihren Zentren unangefochtene Herrschaft. Sie bestimmten hier über Maße, Gewichte, sowie das Rechts- und Münzwesen und erhoben Steuern. Innerhalb dieser Einheiten lebten jedoch Fürsten nach Stammesrecht, der Klerus nach kanonischem Recht und die Juden nach jüdischem Recht.139 Je weiter man sich von den jeweiligen Herrschaftszentren, die sogar wandern konnten,140 entfernte, umso mehr verblasste die Herrschaftsmacht und ging schließlich in den stärker werdenden Herrschaftsbereich eines Nachbarn über.141 Statt eindimensionaler Linien waren die territorialen Grenzen des Mittelalters Grenzzonen, sogenannte Marken.142 132
Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt (Fn. 128) 42. Vgl. Martti Koskenniemi, The Gentle Civilizer of Nations, Cambridge UP 2004, 102. 134 James Gordley, Extra-Territorial Legal Problems in a World without Nations: What the Medieval Jurists could Teach us, in: Günther Handl/Joachim Zekoll/Peer Zumbansen (Hrsg.), Beyond Territoriality: Transnational Legal Authority in an Age of Globalization, Martinus Nijhoff 2012, 35, 40. 135 Allen Buchanan/Margaret Moore, The Making und Unmaking of Boundaries (Fn. 131) 6; Richard Tuck, The Making and Unmaking of Boundaries from the Natural Law Perspective, in: Allen Buchanan/Margaret Moore (Hrsg.), ebd., 143, 144; die Konstruktion des Römischen Reiches als einer Entität innerhalb eines festgelegten Gebietes erlaubte es den Römern sich von der frührömischen Vorstellung der aus Familienclans hervorgegangenen Natios/Gentes zu einer konstitutionell determinierten Civitas/Populus zu entwickeln. 136 Allen Buchanan/Margaret Moore, ebd., 6. 137 Allen Buchanan/Margaret Moore, ebd., 7; vgl. auch Wilhelm G. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte, Nomos 1984, 87 über die personale Strukturierung der mittelalterlichen Herrschaftsordnung unter dem Lehnsfeudalismus. 138 Allen Buchanan/Margaret Moore, ebd., 6; Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt (Fn. 128) 42; Wilhelm G. Grewe, ebd., 91. 139 Wilhelm G. Grewe, ebd., 87. 140 Wilhelm G. Grewe, ebd., 87, der beschreibt, wie selbstverständlich Richard Löwenherz auf Kreuzzug in Italien Hinrichtungen nach englischem Recht anordnen konnte, ohne dass dies das Missfallen einer italienischen Territorialhoheit hervorgerufen hätte. 141 Vaughan Lowe gebraucht in dieser Hinsicht den treffenden Vergleich von Grenzen mit Isobaren, die jene Linie kennzeichnen, an der sich die Herrschaftsmacht zweier Nachbarn gegenseitig aufhebt (vgl. Vaughan Lowe, International Law (Fn. 126) 139). 133
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Das Erbe dieser Praxis, statt Grenzlinien auslaufende Grenzgebiete festzulegen, lässt sich noch heute an vielen Landesnamen erkennen, z. B. Mark Brandenburg, Dänemark, Steiermark, Finnmark etc. Seinen Ausgangspunkt nahm das Konzept des Herrschaftszentrums mit konzentrisch verblassender Rechtsintensität bei den germanischen, keltischen und slawischen Stämmen – sofern sie sesshaft waren, um deren Burgen herum sich Burgbezirke oder Kastellaneien bildeten. Die Zugehörigkeit zu den jeweiligen Herrschaftsräumen richtete sich nicht primär nach territorialen oder konstitutionellen Aspekten, sondern nach der Beziehung zum jeweiligen Volk,143 was sich nach Siedlungsraum, Sprache, Religion oder Abstammung definierte.144 Die mittelalterlichen Herrscher waren Könige der Franken und nicht Frankreichs und der Engländer statt Englands.145 Auch das spätmittelalterliche Volk wurde noch nicht als Rechtsgemeinschaft innerhalb eines bestimmten Gebietes wahrgenommen, sondern gemäß der aus dem frühen Mittelalter überkommenen Vorstellung als ständische Gliederung und Familienverband.146 Die Ursprünge des modernen (Territorial)staates können im 13. Jahrhundert verortet werden.147 Auslöser für die Entstehung des modernen Staates war eine Krisenkonstellation der mittelalterlichen Ordnung, die im 16. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichte.148 In der Renaissance im Zuge der Wiederentdeckung antiker Werte und Gedanken geriet das frühmittelalterliche Konzept in Diskurs mit der römischen Idee eines gesicherten Herrschaftsraumes mit fester Grenze, aus der, maßgeblich geprägt von Jean Bodin,149 das Konzept von Staatlichkeit im modernen Sinne erwachsen sollte.150 Bodins Souveränitätskonzept schließlich fußt im 16. Jahrhundert auf der Quelle des territorial radizierten Volkes.151 142 Allen Buchanan/Margaret Moore, The Making und Unmaking of Boundaries (Fn. 131) 7; teilweise wird zur klareren Unterscheidung auf den englischen Begriff der flächigen „Frontier“ in Abgrenzung zur linearen „Boundary“ zurückgegriffen. Der Begriff der „Frontier“ ist jedoch ebenso ambivalent, wie jener der „Grenze“ (vgl. Stefan Böckler, ,Grenze‘ und ,Frontier‘ (Fn. 130) 30 f.). 143 Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt (Fn. 128) 32. 144 Oliver O’Donovan, Christianity and Territorial Right, in: Allen Buchanan/Margaret Moore (Hrsg.), States, Nations, and Borders: The Ethics of Making Boundaries, Cambridge UP 2003, 127, 134; vgl. zur Ethnogenese der europäischen Völker auch Patrick J. Geary, Europäische Völker im frühen Mittelalter – zur Legende vom Werden der Nationen, Fischer 2002. 145 Oliver O’Donovan, ebd., 134. 146 Udo Di Fabio, Das Recht offener Staaten, Mohr Siebeck 1998, 17. 147 Werner Näf, Frühformen des „Modernen Staates“ im Spätmittelalter (1951) HistZ, 225, 238; Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt (Fn. 128) 37. 148 Dieter Grimm, Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft (Fn. 130) 54 ff. 149 Jean Bodin, Über den Staat (Les six livres de la republique), zuerst erschienen bei Jacques du Puis 1583, verwendet in der Übersetzung von Gottfried Niedhart, Philipp Reclam Jun. 1976, Buch I, Kapitel 1. 150 Udo Di Fabio, Das Recht offener Staaten, (Fn. 146) 19.
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Die Idee von der Einteilung der Welt in abgeschlossene und klar umgrenzte Territorien setzte sich in Europa im Zuge des Westfälischen Friedens durch, der durch eine säkularisierte Ordnung den dreißigjährigen Konfessionskrieg152 beendete.153 Die zuvor mit der Staatskonzeption seit Jahrhunderten im Suprematiestreit stehende christliche, globalistische Tradition154 wurde endgültig überwunden. Der christlichen Vorstellung nämlich war die Einteilung in abgeschlossene Staatsterritorien zunächst entgegengesetzt155 : „Da ist nicht mehr Grieche oder Jude, Beschnittener oder Unbeschnittener, Nichtgrieche, Skythe, Sklave, Freier, sondern alles und in allen Christus.“156
Entsprechend arbeiteten die frühen Christen nach stoischem157 Vorbild an der Schaffung einer „einheitlichen Menschheitsherde auf einer gemeinsamen Weide“158 Das neue Modell einer in Territorialstaaten unterteilten Welt konnte sich somit erst durchsetzen, nachdem die transzendental legitimierte Ordnung des Mittelalters 151 Udo Di Fabio, ebd., 18; Jean Bodin, Über den Staat (Fn. 149) Buch I, 1. Kapitel: „Der Staat muss ein Territorium haben …“; vgl. Wilhelm G. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte (Fn. 137) 374 ff. 152 Der Dreißigjährige Krieg begann als Konfessionskrieg, wurde jedoch recht bald zum Kampf um Einfluss verschiedener Mächte. So kämpfte etwa das katholische Frankreich auf der Seite der Protestanten gegen das gleichfalls katholische Österreich. 153 Anthony Pagden, The Christian Tradition, in: Allen Buchanan/Margaret Moore (Hrsg.), States, Nations, and Borders: The Ethics of Making Boundaries, Cambridge UP 2003, 103, 103 ff.; zur Krise der Kirche als Geburtsstunde des modernen Staates, vgl. Dieter Grimm, Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft (Fn. 130) 56; vgl. Wilhelm G. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte (Fn. 137) 374, der die Ursprünge der modernen Staatsgrenzen im französischen Absolutismus sieht. 154 Vgl. die Vorstellung Augustinus’ vom „Volk Gottes“ als vollkommenem Populus, Aurelius Augustinus, De Civitate Dei, 2. Teil, XIX, 23, 24, verwendet in der Übersetzung von Carl Johann Perl, Ferdinand Schöningh 1979. 155 Dieter Grimm, Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft (Fn. 130) 58; indem das Christentum im Judentum wurzelt, kannten die frühen Christen selbstverständlich die alttestamentarische Vorstellung vom gelobten Land, welches Abraham versprochen war. Anders als das global ausgerichtete Christentum, stellte nämlich das Judentum einen klaren Bezug zwischen dem auserwählten Volk und dessen umgrenzten (vgl. 4. Mose 34) Territorium her. Der alttestamentarische Gott Israels gebot seinem Volk sogar die Inbesitznahme des vorgesehenen Gebietes unter gewaltsamer Vertreibung und Ausrottung der dort bis dato ansässigen Völker (vgl. 4. Mose 33, 52; 1. Samuel 15, 3). Zum jüdischen Verständnis von Territorien und Grenzen vgl. Daniel Statman, Man-Made Boundaries and Man-Made Holiness in the Jewish Tradition, in: Allen Buchanan/Margaret Moore (Hrsg.), States, Nations, and Borders: The Ethics of Making Boundaries, Cambridge UP 2003, 41 ff.; Menachem Lorberbaum, Making and Unmaking the Boundaries of Holy Land, in: Allen Buchanan/ Margaret Moore (Hrsg.), States, Nations, and Borders: The Ethics of Making Boundaries, Cambridge UP 2003, 19 ff. 156 Die Bibel nach Martin Luther, Brief des Apostels Paulus an die Kolosser 3, 11. 157 Zurückgehend auf den Stoiker Zeno von Kition, vgl. Anthony Pagden, The Christian Tradition (Fn. 153) 104. 158 Anthony Pagden, ebd., 104 (Übersetzung des Verfassers).
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aufgrund der Verdrängung einer nunmehr gespaltenen Kirche durch eine irdische Ordnung ersetzt werden musste.159 Der partikulare Staat entstand letztlich als Gegenmodell zur integrativ-ideellen Gesellschaftsidee der mittelalterlichen Kirche.160 Schließlich – zur Sicherung päpstlicher Herrschaftsansprüche – bediente sich auch die Kirche dieser Souveränitätsidee.161 „Es dauerte […] lange, bis die Untertanen […] sich daran gewöhnt hatten, dass sie nur auf eine Seite gehörten, auch wenn solche Vorstellungen der Zentralgewalt bisweilen durchaus ihrem lokalen Abgrenzungsbedürfnis entgegenkommen mochten.“162
Die neue staatliche Souveränität163 ging freilich zunächst nicht so weit, als das durch sie die naturrechtlich fundierte globale Freizügigkeit eingeschränkt werden sollte.164 Die Vertreter des Naturrechts, welche quasi das Erbe der katholischen Weltrechtsidee in die neue Zeit retteten, akzeptierten zwar die mit den Staaten entstandenen Grenzen, nicht aber deren Undurchlässigkeit: „Den Franzosen war nicht erlaubt, die Spanier am Reisen oder der Niederlassung in Frankreich zu hindern, [und umgekehrt] abgesehen von dem Fall, dass sie ihnen irgendeinen Nachteil verursachten oder ein Unrecht zufügen würden. […] Die Ausweisung gehört zu den Hauptstrafen. Man darf daher nicht einen Fremdling, wenn er ohne Schuld ist, austreiben.“165
Und weiter heißt es bei Francisco de Vitoria166: „Jeder konnte im Anfang des Bestehens der Erde, als alles für alle gemeinsam war, nach seinem Belieben in jedes beliebige Land wandern und umherreisen. Dieses Recht ist anscheinend infolge der Aufteilung der Erde nicht beseitigt worden; die Völker hatten nämlich niemals die Absicht, durch jene Aufteilung umgekehrt den gegenseitigen Verkehr der Menschen aufzuheben …“167
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Dieter Grimm, Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft (Fn. 130) 57. Udo Di Fabio, Das Recht offener Staaten, (Fn. 146) 23. 161 Ebd., 21 f. 162 Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt (Fn. 128) 42. 163 Zum Souveränitätskonzept als Herrschaft über Territorium vgl. Vaughan Lowe, International Law (Fn. 126) 138. 164 Jörg Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, Steiner 1984, 247. 165 Francisco de Vitoria, De Indis recenter Inventis, 3. Teil, Nr. 2, verwendet in der Übersetzung Walter Schätzel, Mohr Siebeck 1952 (Einfügung durch den Verfasser aufgrund einer nicht originalgetreuen Auslassung Walter Schätzels). 166 Teilweise findet sich, insbesondere in älteren Ausgaben, die Bezeichnung des Autors als „Francisco de Victoria“. Aus Gründen der Einheitlichkeit wird hier die heute gebräuchlichere Schreibweise ohne „c“ verwendet. 167 Francisco de Vitoria, De Indis recenter Inventis, 3. Teil, Nr. 2, verwendet in der Übersetzung Walter Schätzel, Mohr Siebeck 1952. 160
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Auch Hugo Grotius bestätigte im „De Jure Belli ac Pacis“ diese Sichtweise: „Deshalb müssen die Länder, Flüsse und die im Eigentum befindlichen Meeresteile allen zum Durchgange für gerechte Zwecke offenstehen.“168
Erst im Verlauf des 17. und 18. Jahrhunderts setzten die absoluten Monarchien der einstigen Freizügigkeit nach und nach ein Ende.169 Im 19. und 20. Jahrhundert schließlich haben sich die Grenzen der Staaten immer weiter verdichtet und die sich in der Fähigkeit zur Bewahrung ihrer Undurchlässigkeit ausdrückende Souveränität wuchs in der Wahrnehmung einiger Europäer gar zum Kernbestandteil – zur Conditio sine qua non – von Staatlichkeit schlechthin.170 Außerhalb Europas konnte sich diese 168 Hugo Grotius, Über das Recht des Krieges und des Friedens (De jure belli ac pacis), zuerst erschienen 1625, verwendet in der Übersetzung von J. H. v. Kirchmann, L. Heimann 1869, Erster Band, Buch II, Kapitel II, XIII; vgl. in diesem Sinne auch Immanuel Kant, Zum Ewigen Frieden, Dritter Definitivartikel, verwendet in der Ausgabe Kant’s gesammelte Schriften, Kant’s Werke, Band VIII, Walter de Gruyter 1923, 341, 35, „Es ist hier, wie in den vorigen Artikeln, nicht von Philantropie, sondern vom Recht die Rede, und da bedeutet Hospitalität (Wirthbarkeit) das Recht eines Fremdlings, seiner Ankunft auf dem Boden eines anderen wegen, von diesem nicht feindselig behandelt zu werden. […] Es ist kein Gastrecht, worauf dieser Anspruch machen kann […], sondern ein Besuchsrecht, welches allen Menschen zusteht, sich zur Gesellschaft anzubieten, vermöge des Rechts des gemeinschaftlichen Besitzes der Oberfläche der Erde, auf der, als Kugelfläche, sie sich nicht ins Unendliche zerstreuen können, sondern endlich sich doch nebeneinander dulden zu müssen, ursprünglich aber niemand an einem Orte der Erde zu seyn mehr Recht hat, als der Andere.“; sowie Christian Freiherr von Wolff, Ius Gentium Scientifica Pertractum, verwendet in der Übersetzung von Joseph H. Drake, Clarendon 1934, § 148 ff.: „Since by nature the right belongs to an exile to live anywhere in the world […], a permanent residence in its territory cannot be denied to exiles by a nation, unless special reasons stand in the way.“; Alberico Gentili, De Jure Belli Libri Tres, vewendet in der Übersetzung von John C. Rolfe, herausgegeben von James Brown Scott, Clarendon 1933, Buch 1, Ch. XIX, Rn. 141: „But if there is no reason why a passage should be refused, and it is nevertheless denied, this constitutes a just reason for war. To pass through another’s territory is lawful. To enter the estate of another for the purpose of hunting is also allowed by the law of nations, and any who cross without asking permission will neither be regarded as doing wrong nor will they be prohibited.“; Emer de Vattel, Le droit des gens (Fn. 124) Buch 2, Kapitel IX, § 123: „Le droit de passage est encore un reste de la Communion primitive, dans laquelle la terre entière étoit commune aux besoins. Personne ne peut être entièrement privé de ce droit …“ („Das Durchzugsrecht ist noch ein Rest des primitiven Gemeineigentums, nach welchem die gesamte Erde allen entsprechend ihren Bedürfnissen gemein war. Niemandem kann dieses Recht komplett vorenthalten werden.“ – Übersetzung des Verfassers). 169 Rainer Hofmann, Die Ausreisefreiheit nach Völkerrecht und staatlichem Recht, Springer 1988, 11; vgl. auch Andreas Fahrmeier, Klassen-Grenzen – Migrationskontrolle im 19. Jahrhundert (2008) RG, 125 ff. 170 In diesem Sinne etwa Udo Di Fabio, Migrationskrise als föderales Verfassungsproblem, Gutachten im Auftrag des Freistaates Bayern, Januar 2016, online unter: http://www.bayern.de/ wp-content/uploads/2016/01/Gutachten_Bay_DiFabio_formatiert.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018); Christoph Grabenwarter, Der entgrenzte Staat und die Menschenrechte, in: Otto Depenheuer/Christoph Grabenwarter (Hrsg.), Der Staat in der Flüchtlingskrise, Schöningh 2016, 88, 96; Daniel Erasmus Khan, Territory and Boundaries, in: Bardo Fassbender/Anne Peters, The Oxford Handbook of the History of International Law, Oxford UP 2014, 225, 232 ff.
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C. Nomaden in Zeit, Raum und Recht
Undurchlässigkeit jedoch faktisch bis heute nicht durchsetzen und auch in Europa erfolgte diese Wertschätzung der geschlossenen Grenze nicht vor dem Ersten Weltkriege.171 Erst die großen Bevölkerungsverschiebungen nach und im Zweiten Weltkrieg ließen in Europa weitgehend ethnisch homogene Nationalstaaten entstehen, die dazu führten, dass Staatsgrenzen nicht mehr nur Hoheitsbefugnisse absteckten, sondern zugleich die Nationen voneinander schieden. Es liegt nahe, dass diese kulturelle und sprachliche Erlebbarkeit von Grenzen die Vorstellung der Grenze als „Inbegriff von Staatlichkeit“ erleichterte. Laut Daniel Erasmus Khan stellt das Ordnungsmodell des auf Sesshaftigkeit beruhenden Staates in einem ganz pragmatischen Sinne den primären politischen Identifikationspunkt des Einzelnen dar.172 Khan antezipiert hierbei jedoch unzutreffend, dass dies bei allen „Einzelnen“ weltweit der Fall sei.173 Tatsächlich identifizieren sich eine große Anzahl von Völkern weder mit Sesshaftigkeit noch mit den Staaten, in denen sie leben. Ihr Ordnungsmodell organisiert sich losgelöst von fixen Grenzen, abgegrenzten Territorien und unverrückbaren Behausungen. Auch Khan erkennt schließlich an, dass das europäische Staatsmodell zwar die prädominante, aber nicht die einzig denklogisch mögliche gesellschaftliche Organisationsform ist.174 Ein weiteres, auch heute noch vorhandenes, Organisationsmodell ist das insbesondere von Nomaden gepflegte Rule of the Clan.175 Der Begriff Rule of the Clan wird im Verlauf dieser Arbeit als stehender Begriff für die genuinen Rechtsordnungen der Nomaden verwandt. Neben der Bezeichnung als Rule of the Clan wird dieses genuine Recht oft auch als autochthones Recht, Stammesrecht, Gewohnheitsrecht, traditionelles Recht, indigenes Recht, lebendes 171
Christoph Möllers/Jürgen Bast, Dem Freistaat zum Gefallen: über Udo Di Fabios Gutachten zur staatsrechtlichen Beurteilung der Flüchtlingskrise, Verfassungsblog (16. Januar 2016), online unter: http://verfassungsblog.de/dem-freistaat-zum-gefallen-ueber-udo-di-fabiosgutachten-zur-staatsrechtlichen-beurteilung-der-fluechtlingskrise/ (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018); vgl. auch Eric J. Hobsbawm, Nationen und Nationalismus (Fn. 125) 7. 172 Daniel Erasmus Khan, Die deutschen Staatsgrenzen (Fn. 129) 2; Andreas Fahrmeier, Migrationskontrolle im 19. Jahrhundert (Fn. 169) 125. 173 So ausdrücklich in: Daniel Erasmus Khan, Territory and Boundaries (Fn. 170) 226 ff. 174 Daniel Erasmus Khan, Die deutschen Staatsgrenzen (Fn. 129) 5; vgl. in diesem Sinne auch: Larry Catá Backer, Governance without Government: An Overview, in: Günther Handl/ Joachim Zekoll/Peer Zumbansen (Hrsg.), Beyond Territoriality: Transnational Legal Authority in an Age of Globalization, Martinus Nijhoff 2012, 87, 88: „Organisation of governance does not require a territory“. Eine andere Ansicht vertrat diesbezüglich Hans Kelsen. Seiner Meinung nach ist die „beispiellos primitive Gebietstheorie“ abzulehnen, d. h. das Gebiet ist keine Grundbedingung von Staatlichkeit. Verzichtet man aber auf Territorialität, dann erfüllen auch Clans alle Merkmale eines Staates und sind somit nach Kelsens Verständnis nicht von Staatswesen wesensverschieden, vgl. Hans Kelsen, Allgemeine Staatslehre, Verlag der Österreichischen Staatsdruckerrei, unveränderter fotomechanischer Nachdruck der ersten Auflage von 1925 erschienen im Julius Springer Verlag, 147. 175 Mark S. Weiner, The Rule of the Clan (Fn. 6).
III. Territorien und Grenzen aus dem Blickwinkel von Staaten und Nomaden
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Recht, lokales Recht oder informelles Recht bezeichnet.176 Die Begriffe Gewohnheitsrecht und lokales Recht sind widersprüchlich, da aus ihnen nicht hervorgeht, dass es sich nicht um staatliches Recht oder das Recht unterstaatlicher Verwaltungsträger handelt. Der Begriff des autochthonen Rechts suggeriert, dass es sich bei den Rechtsträgern um Erstbesiedler handeln müsse, was auf Nomaden meist gerade nicht zutrifft. Die Bezeichnung als traditionelles Recht fordert eine lebensfremde zeitliche Petrifizierung und verwehrt den nomadischen Rechtssetzern eine Anpassung ihres Rechts an moderne Erfordernisse. Die Bezeichnung als informelles Recht stellt die normative Geltung in Frage, wohingegen die Bezeichnung als lebendes Recht suggeriert, das staatliche Recht sei tot. Die Begriffe Stammesrecht und indigenes Recht schließlich beinhalten eine nicht zwingend für alle Nomaden zutreffende soziale bzw. rechtliche Wertung, die durch die wertneutrale Bezeichnung Mark S. Weiners177 als Rule of the Clan vermieden wird. Die Divergenz zwischen dem europäischen Grenzverständnis und jenem auf dem Rule of the Clan basierenden der Nomaden, welches im Folgenden dargestellt wird, könnte nirgends deutlicher werden, als dort, wo Europäer gemeinsam und einvernehmlich mit nomadischen Stammesführern versuchten, Grenzen zu ziehen: in Nordafrika und der arabischen Welt. Bevor sogleich das ursprüngliche Grenzkonzept der Nomaden im Detail erläutert wird, sollen die Unterschiede beider Konzeptionen zunächst anhand eines historischen Beispiels aus dieser Region veranschaulicht werden. b) Konflikt zwischen europäischem und nomadischem Grenzverständnis am Beispiel der Grenzziehung in der arabischen Welt „The focus should perhaps be on the essence of the issue, because the frontier, as predicated on the Westphalian model, is far removed from the cultural heritage of this region of the world.“178
Die arabischen Staaten gingen aus nomadischen Clan-Gesellschaften hervor.179 Im Gegensatz zu diesen sahen es die Briten und Franzosen zu Beginn des 20. Jahrhunderts als ihre Aufgabe in Arabien zur Entstehung von Staaten nach europäischem Vorbild beizutragen. Während der britische Unterhändler Sir Percy Cox dementsprechend auf der arabischen Halbinsel starre lineare Grenzen, die allenfalls
176 Sabine Bernot, Die verfassungsrechtliche Anerkennung indigenen Rechts, Rechtspluralismus und Menschenrechte – untersucht an den Beispielen Südafrika und Bolivien, Nomos 2016, 69. 177 Mark S. Weiner, The Rule of the Clan (Fn. 6). 178 IGH, Frontier Dispute (Burkina Faso ./. Niger) Erklärung von Richter Mohamed Bennouna (16. April 2013) ICJ Rep 2013, 44, 96. 179 Mark S. Weiner, The Rule of the Clan (Fn. 6) 147 ff.; Talaat El Ghoneimy, The Legal Status of the Saudi-Kuwaiti Neutral Zone (1966) ICLQ, 690, 696.
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C. Nomaden in Zeit, Raum und Recht
ein Übertrittsrecht beinhalteten, ziehen wollte, beharrte Prinz Ibn Saud auf einer „Flexible tribal Boundary“:180 „Ibn Saud himself was by no means enamoured of the seemingly meaningless proposition of a fixed frontier in a featureless desert which had never been accurately surveyed and whose tribes had for centuries roamed over it without let or hindrance in search of water or pasture.“181
Dass diesem Streit nicht nur ein kulturell unterschiedliches Grenzverständnis, sondern gar eine komplett divergierende Gesellschaftsordnung zugrundeliegt, wird in folgendem Abriss über die Wesensmerkmale des Rule of the Clan deutlich. 2. „Lebende“ Grenzen der Clans „After all, in historical or temporal perspective, nomadic and semi-nomadic, as well as sedentary, populations have largely antedated the emergence of States in classic jus gentium.“182
Um die Funktionsweise des Rule of the Clan zu verstehen, ist es nicht nötig, rechtshistorische Studien zu betreiben. Vielmehr gilt das Rule of the Clan auch heute noch in vielen Teilen der Welt parallel zu staatlichen Rechtsordnungen oder anstelle dieser fort.183 Es tritt vor allem – aber nicht nur – dort zu Tage, wo staatliche Rechtsordnungen z. B. im Zuge von Staatszerfall verblassen.184 In zahlreichen Staaten auf der ganzen Welt185 lenken offiziell Parlamente, Gerichte und Regierungen nach europäischem Vorbild die Staatsgeschäfte, während die Bewohner dieser Staaten Rechtshilfe lieber bei den ihnen vertrauten Clan-Ältesten suchen. In anderen Staaten, wie z. B. in Kamerun, steht das mündliche traditionelle Recht sogar offiziell gleichberechtigt neben dem staatlichen Recht, 186 eine Praxis,
180
Talaat El Ghoneimy, ebd., 695. H. St. J. Philby, Arabia, Ernest Benn 1930, 290; eine Darstellung der vertraglich gefundenen Kompromislösung findet sich bei C.IV.3.b)cc). 182 IGH, Frontier Dispute (Burkina Faso ./. Niger) Sondervotum von Richter Cançado Trindade (16. April 2013) ICJ Rep 2013, 44, 104. 183 Julia Eckert, Rechtsaneignung: Paradoxien von Pluralisierung und Entpluralisierung in rechtspluralistischen Situationen, in: Matthias Kötter/Gunnar Folke-Schuppert (Hrsg.), Normative Pluralität ordnen, Nomos 2009, 191, 193. 184 Mark S. Weiner, The Rule of the Clan (Fn. 6) 82. 185 Z. B. hinsichtlich Jordaniens: Muwafaq Al Serhan, Tribal Customary Law in Jordan (2/ 2008) SCJILB, 17, 22; Afghanistan: Tilman J. Röder, Kollisionen zwischen Shari’a, Gesetz und Stammestradition in Afghanistan, in: Matthias Kötter/Gunnar Folke-Schuppert (Hrsg.), Normative Pluralität ordnen, Nomos 2009, 257, 258, 282 ff.; Bahram Tavakolian, Sheikhanzai nomads (Fn. 121) 255; Sudan ./. Südsudan: Mark S. Weiner, The Rule of the Clan (Fn. 6) 49 ff.; Mongolei: David Sneath, Changing Inner Mongolia: Pastoral Mongolian Society and the Chinese State, Oxford UP 2000, 34 ff., 196 ff. 186 Kamerun: Anordnung Nr. 72/4 (26. August 1972). 181
III. Territorien und Grenzen aus dem Blickwinkel von Staaten und Nomaden
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die die Afrikanische Union gerne für ganz Afrika verwirklicht sähe.187 Wie aber funktioniert dieses Rule of the Clan? a) Zugehörigkeit anhand von Blutsverwandtschaft „I against my brother I and my brother against our cousin I, my brother and our cousin against the neighbours All of us against the foreigners.“188
Die nomadischen Völker dieser Welt sind bezüglich ihrer kulturellen Eigenarten auf der einen Seite höchst verschieden. Auf der anderen Seite finden sich gerade hinsichtlich ihrer ursprünglichen Rechtssysteme erstaunliche Gemeinsamkeiten.189 Diese liegen darin begründet, dass es mangels festen Territoriums unmöglich ist, eine Gruppenzugehörigkeit anhand des Wohnorts zu definieren.190 Vielmehr erfordert die nomadische Lebensweise andere Formen der Zugehörigkeitsbestimmung und Identifikation. An die Stelle des Territoriums tritt bei nomadischen Völkern der jeweilige abstammungsdeterminierte191 Clan.192 187 AU Department of Rural Economy and Agriculture, African Union Policy Framework for Pastoralism in Africa (Oktober 2010) 26, Strategy 1.4. 188 Sprichwort der Beduinen, in: Bruce Chatwin, The Songlines, Vintage 1998, 201. 189 Vgl. z. B. Basil Davidson, The Black Man’s Burden: Africa and the Curse of the NationState, James Currey 1992, 63, „If one were to make a comparative listing of political structures in precolonial Africa [und andernorts auf der präkolonialen Welt], the result would confirm that precolonial political cultures undoubtedly displayed a great diversity, but an even greater unity of underlying concept.“; vgl. i.d.S. auch Brian M. Gottesman, Nomads (Fn. 32) 701. 190 Hans Kelsen, Allgemeine Staatslehre, (Fn. 175) 147; vgl. Klaus F. Gärditz, Die Ordnungsfunktion der Staatsgrenze: Demokratizität, Liberalität und Territorialität im Kontext, in: Otto Depenheuer/Christoph Grabenwarter (Hrsg.), Der Staat in der Flüchtlingskrise, Schöningh 2016, 105, 115. 191 Mark S. Weiner The Rule of the Clan (Fn. 6) 57 ff.; Brian M. Gottesman, Nomads (Fn. 32) 701; vereinzelt existieren auch interethnische Clans (vgl. Günther Schlee: Interethnic Clan Identities among Cushitic-speaking Pastoralists (1985) Africa 17 ff.), die sich aus mythischen statt genealogischen Gemeinsamkeiten ergeben. Neben den von Günther Schlee beschriebenen afrikanischen Rendille ist dies bei den australischen Aborigines der Fall, deren Clanzugehörigkeit sich totemistisch bestimmt (vgl. Bruce Chatwin, Traumpfade (Fn. 23) 31). Daher zur Kritik am ethnischen Verständnis des Clans als „Zwangsjacke unseres Denkens“, die lediglich unsere Vorstellung von „Fremden“ widerspiegele, Rüdiger Schott, Rechtspluralismus und Rechtsgleichheit in den postkolonialen Staaten Afrikas, in: Ernst-Joachim Lampe (Hrsg.), Rechtsgleichheit und Rechtspluralismus, Nomos 1995, 38, 42; Schott spielt hierbei jedoch letztlich auf die Fluidität und Mobilität afrikanischer Gemeinschaften an (vgl. S. 43), die in dieser Arbeit nicht als Ausnahme vom Rule of the Clan, sondern als dessen Wesensmerkmal behandelt wird. Gerade die Existenz von ethnienübergreifenden Möglichkeiten des Erwerbs einer anderen „Clanangehörigkeit“, spricht dafür, dass es sich beim Rule of the Clan nicht um bloßen Naturzustand, sondern um ein Ordnungsmodell mit eigener Rechtssetzung handelt. 192 Dies bedeutet nicht, dass das Rule of the Clan nur bei nomadischen Völkern zu finden ist. Auch viele sesshafte Völker organisieren sich nach dessen Strukturen. Während allerdings
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C. Nomaden in Zeit, Raum und Recht
Der Begriff des Clans muss im Kontext des Rule of the Clan indes als eine nominalistisch verstandene Universalie193 betrachtet werden, die außer Acht lässt, dass es im regionalen und sozialen Kontext eine große Diversität gibt, die sich nicht immer mit dem westeuropäisch geprägten umgangssprachlichen Verständnis dieses Begriffs deckt, vergleiche man etwa Clans des schottischen Mittelalters mit jenen Clans und Unterclans im heutigen Somalia. Die im Folgenden als Rule of the Clan dargestellten Strukturen beschreiben denn auch Zustände innerhalb einer Vielzahl von Gemeinschaften – von Jagd- und Lokalgruppen in Jäger- und Sammlervölkern über hirtennomadische Clans in Sensu stricto, bis hin zu agropastoralen „Dörfern“.194 Der Begriff des Clans dient in dieser Arbeit daher lediglich zur Beschreibung eines gesellschaftlichen Ordnungsmodells im Antagonismus zum Staat. Die beiden gegensätzlichen Gesellschaftsmodelle Staat und Clan waren schon in der Antike, wenn auch unter anderem Namen, bekannt: Während sich das späte römische Populus als ein gemeinsam willentlich verfasster Körper definierte, der aus verschiedenen familiären Gentes hervorgegangen war,195 wurden die barbarischen Gentes als sprachlich, geographisch, ethnische Natureinheiten verstanden, in die man hineingeboren wurde,196 was auch anhand der indogermanischen Sprachwurzel des Wortes Gens deutlich wird. Dieses bedeutet so viel wie Zeugung, Geburt, Familienstamm.197 So kann Gens verstanden werden als Zusammenschluss von Menschen, sesshaften Völkern mehrere Organisationsmodelle zur Auswahl stehen, sind Nomaden auf das eine Rule of the Clan beschränkt. 193 Wilhelm von Ockham, Summa Logicae I, 15, 2, verwendet in der digitalen Übersetzung auf: http://www.logicmuseum.com/wiki/Authors/Ockham/Summa_Logicae/Book_I/Chapter_1 5 (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018); Thomas Hobbes, Leviathan, I, 4, verwendet in der Übersetzung von J. P. Mayer, Philipp Reclam Jun. 1978; John Locke, An Essay concerning Humane Understanding, III, 3, 11, verwendet in der Auflage, J. M. Dent, Everyman’s Library 1967. 194 Rüdiger Schott, Rechtspluralismus und Rechtsgleichheit (Fn. 191) 40. 195 Patrick J. Geary, The Myth of Nations: The Medieval Origins of Europe, Princeton UP 2003, 50; der römische Gründungsmythos geht davon aus, dass der aus Troja im vorderen Orient vertriebene Aeneas seine Ilier mit den Ureinwohnern des Appenin unter ein Gesetz und einen Namen verschmolz (Titus Livius, Römische Geschichte (Ab Urbe condita), Buch I, 2, verwendet in der Übersetzung von Konrad Heusinger, e-artnow 2014; vgl. auch Jean Bodin, der diesen Vorgang als einen von drei möglichen Staatsbildungsprozessen betrachtet: „Staaten haben ihren Ursprung in der Familie, die sich im Laufe der Zeit allmählich vergrößert; oder sie entstehen in einem Augenblick durch eine versammelte Menschenmenge; oder durch Koloniebildung eines anderen Staates …“ (Jean Bodin, Über den Staat (Fn. 149) Buch IV, 1. Kapitel). 196 Bernhard Linke, Von der Verwandtschaft zum Staat (Fn. 89) 128. 197 Bernhard Linke, ebd., 27; für Jean Bodin ist die Vorstellung allgemeingültig, dass der Staat aus Familien hervorgehe und bestehe: „Und wie das Fundament für sich ohne das Haus bestehen kann, so kann auch eine Familie ohne Bürgergemeinde oder Staat existieren und das Familienoberhaupt über die seinen die höchste Befehlsgewalt ausüben. […] Doch ein Staat kann nicht ohne Familien sein …“. Bodin versteht den Staat letztlich als einen zivilisatorischen
III. Territorien und Grenzen aus dem Blickwinkel von Staaten und Nomaden
63
die das allgemeine Bewusstsein einer gemeinsamen Abstammung vereinte198, eine Vorstellung, wie sie dem heutigen Clan entspricht.199 Im Gegensatz hierzu verstand etwa Cicero das römische Volk (Populus) als: „… res publica res populi, populus autem non omnis hominum coetus quoquo modo congregatus, sed coetus multitudinis iuris consensu et utilitatis communione sociatus“200
Diese Definition des Populus entspricht dem heutigen Verständnis des Staates als konstitutioneller Einheit, zumindest wenn dessen Staatsangehörigkeitsrecht nicht gänzlich auf dem Ius-sanguinis-Prinzip basiert. Gegenüber dem konstitutionellen Staat, ist das der römischen Gens entsprechende Rule of the Clan somit eine Gesellschaftsordnung, die primär auf Abstammung basiert. Die Verbundenheit zu den jeweiligen anderen Clanangehörigen nimmt in Stufen ab: A
B 1
1
X
Y
X2
Y2 Z1
Z2
Dieses von Sir Edward Evans-Pritchard entwickelte Diagramm201 verdeutlicht folgendes: Bei A und B handelt es sich um Segmente einer Gruppe, z. B. Clans X und Y sind Untergruppen des Clans B, z. B. Unterclans, welche sich wiederum in die Großfamilien 1 und 2 aufteilen. Innerhalb der Großfamilien gibt es dann Familien Z1 und Z2. Im Falle, dass ein Angehöriger der Familie Z2 durch einen Angehörigen von Z1 zu Schaden kommt, muss dieser den Zorn und Zusammenhalt von ganz Z2 befürchten. Gegen den gemeinsamen Gegner Y1 stehen die Angehörigen der beiden Z-Familien jedoch zusammen. Droht dagegen Ungemach von einem Angehörigen des X-Unterclans, so sieht sich dieser der vereinten Kraft des Y-Unterclans gegenüber. Wenngleich sich X und Y feind sind, so werden sie bei Wahlen dennoch geschlossen gegen den Kandidaten des Clans A stimmen.202 Diese Struktur abgestufter verFortschritt, der sich aus ehemals souveränen Familienstämmen entwickelt hat. (Jean Bodin, Über den Staat (Fn. 149) Buch I, 6. Kapitel). 198 Bernhard Linke, ebd., 27; im Ius-sanguinis-Prinzip hat sich diese Vorstellung auch in Europa bis heute erhalten, bzw. seit dem 19. Jahrhundert wieder entwickelt. 199 Mark S. Weiner, The Rule of the Clan (Fn. 6) 57 ff. 200 Marcus Tullius Cicero, De Re Publica I, 39: „Es ist also, [sagte Africanus, – Auslassung aufgrund der Satzstellung im Original] das Gemeinwesen (res publica – häufig mit „der Staat“ übersetzt) die Sache des Volkes, ein Volk aber nicht jede irgendwie zusammengescharte Ansammlung von Menschen, sondern die Ansammlung einer Menge, die in der Anerkennung des Rechts und der Gemeinsamkeit des Nutzens vereinigt ist.“ (Übersetzung durch Karl Büchner, 5. Auflage, Artemis & Winkler 1993, Hervorhebung hinzugefügt). 201 Vgl. Mark S. Weiner, The Rule of the Clan (Fn. 6) 60. 202 Ebd.
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C. Nomaden in Zeit, Raum und Recht
wandtschaftlich determinierter Loyalitäts- und Solidaritätsbeziehungen gewährleistet Stabilität und Schutz nach außen und funktioniert noch heute. Anders als die ebenfalls auf einem vermeintlichen Blutmythos aufbauende und sich im Ius-sanguinis-Prinzip manifestierende Idee der Nation203, die nur eine einzige Ebene genealogischer Zugehörigkeit kennt, akzeptiert das Rule of the Clan ein abgestuftes System multipler Zugehörigkeiten, ganz im Sinne Ciceros, der feststellte: „Gradus autem plures sunt societatis hominum. Ut enim ab illa infinita discedatur, proprior est eiusdem gentis, nationis, linguae, qua maxime homines coniunguntur. Interius etiam est eiusdem esse civitatis; (…) Artior vero colligatio est societatis propinquorum; ab illa enim inmensa societate humani generis in exiguum angustumque concluditur.“204
Die primär bestimmenden Größen innerhalb des Rule of the Clan sind somit verschiedene genealogische abgestufte personale Gemeinschaften.205 Wie diese sich zueinander und insbesondere zum Einzelnen verhalten, ist Gegenstand des nachfolgenden Abschnitts.
203
Eric J. Hobsbawm, Nationen und Nationalismus (Fn. 125) 78; vgl. Ludwig August von Rochaus Anleitung zur Schmiedung einer deutschen Nation, welche später durch Otto von Bismarck aufgegriffen wurde: „Die wesentlichen Bestandteile der Nationalität oder Gesamtpersönlichkeit des Volks sind die gemeinschaftliche Abstammung und Sprache. Jene verbürgt die Gleichartigkeit der Naturanlage; diese giebt Zeugnis von der Gleichartigkeit der geistigen Entwicklung.“ (Ludwig August von Rochau, Grundsätze der Realpolitik, angewendet auf die staatlichen Zustände Deutschlands, Verlag von Karl Göpel 1853, 15 f.); vgl. zur konzeptionellen Vergleichbarkeit von Clan und Nation: Basil Davidson, Black Man’s Burden (Fn. 189) 75. 204 Marcus Tullius Cicero, De Officiis I, Abs. 53 „Es gibt aber mehrere Stufen der menschlichen Gesellschaft. Um nämlich von jener unbegrenzten Abstand zu nehmen, so ist näher die desselben Volkes, Stammes und der Sprache, durch die die Menschen am meisten miteinander verbunden werden. Eine noch engere Bindung ist es, der selben Bürgerschaft anzugehören. […] Noch enger ist die Verbindung der Gemeinschaft der Verwandten. Von jener unermesslichen Gesellschaft der Menschheit aus schließt sie sich zusammen zu einem kleinen und eng gezogenen Kreis.“ (Übersetzung durch Heinz Gunermann, Philipp Reclam Jun. 2007) Beachte die von Cicero vorgenommene Abstufung zwischen Gens, Natio und Lingua. Die Natio stellt sich nach römischem Verständnis als die kleinere Einheit zur Gens dar. Natio wird hier mit Stamm übersetzt, Gens mit Volk im genealogischen Sinne. Natio und Gens sind abstammungsdeterminierte Einheiten, somit Einheiten, die entsprechend der dieser Arbeit zugrundeliegenden Wortwahl unter dem Begriff Clan zusammengefasst werden. Beachte auch, dass Cicero das Volk im konstitutionellen Sinne – die Civitas – zwischen den genealogischen Größen Gens/Natio und Familie einordnet, letztlich also ein Mehrebenensystem aus genealogischen und konstitutionellen Einheiten kreiert. 205 Mark S. Weiner, The Rule of the Clan (Fn. 6) 34, 57 ff.
III. Territorien und Grenzen aus dem Blickwinkel von Staaten und Nomaden
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b) Ableitung von Individualrechten aus der Gruppe „Finally, the rule of the clan implicates citizens of liberal democracies not only as a matter of our practical interests. It also deeply implicates our values, because the clan diminishes the status of the individual that our own societies are devoted to advancing.“206
Im Rahmen des Rule of the Clan wird der Einzelne nicht als Individuum, sondern primär als Teil seiner Gruppe wahrgenommen, die primärer Träger von Rechten (insbesondere Landrechten) und Pflichten ist.207 Die Vergabe von Rechten unter dem Rule of the Clan erfolgt auf Ebene von verschiedenen Ältestenräten. Diese entscheiden über die Land- und Wasserbenutzungsrechte einzelner Unterclans, welche diese dann an die jeweiligen Familien weitergeben. Die Stellung des Einzelnen ist gegenüber der Stellung der jeweiligen Gemeinschaft nachrangig. Dies wird besonders deutlich am clanrechtlichen Institut der Blutrache: Hiernach kann es ein Mitglied einer Gruppe treffen, mit seinem Leben für den Frevel eines anderen Gruppenmitglieds geradestehen zu müssen.208 Auch Zwangsheiraten zwischen verschiedenen Clans zur Kompensation eines begangenen Unrechts sind zu Lasten der jeweiligen Braut nach dem Rule of the Clan nicht unüblich.209 Die faktische Existenz des Rule of the Clan widerlegt den Staat als denklogisch allein mögliches Ordnungsmodell (funktionales Argument210). Auch das Inklusionsargument211 zur Legitimierung von Staatlichkeit, welches des Staates zur Beteiligung Aller an der Herrschaftsausübung bedarf, verkennt, dass demokratische Herrschaftsteilhabe auch innerhalb territorial dynamischer und verwandtschaftsdeterminierter Gemeinschaften möglich ist.212 Allein das teleologische Argument zur Legitimation moderner Staatlichkeit überzeugt mit Blick auf das Rule of the Clan, da es individuelles Glück und Selbstverwirklichung zum Ziel jeglichen Gesellschaftsmodells erklärt.213 Das Rule of the Clan erkauft hingegen ein großes Maß an Sicherheit und „familiärer“ Geborgenheit mit einer nahezu vollständigen Aufgabe individueller Freiheit. Der Einzelne wird im Clan zum Glied einer allmächtigen Gruppe, die über berufliche Tätigkeit, Aufenthaltsort und Ehepartner zu entscheiden vermag, oder um es mit Jean Bodin zu formulieren: 206
Ebd 39. Taslim Olawale Elias, The Nature of Customary African Law (Fn. 88) 92 f.; Sabine Homann, Indigenous knowledge (Fn. 88) 13; Katja Göcke, Indigene Landrechte (Fn. 88) 27; Richard N. Kiwanuka, The Meaning of „People“ in the African Charter on Human and Peoples’ Rights (1988) AJIL, 80, 82 f.; Tobias Kraudzun, Livelihoods of the ,New Livestock Breeders‘ in the Eastern Pamirs of Tajikistan, in: Hermann Kreutzmann (Hrsg.), Pastoral practices in High Asia, Springer 2012, 89, 93; Ousmane Sy, Reconstruire l’Afrique, Éditions-Diffusion Charles Léopold Mayer 2009, 158. 208 Mark S. Weiner, The Rule of the Clan (Fn. 6) 35, 117 ff. 209 Ebd., 40. 210 Udo Di Fabio, Das Recht offener Staaten (Fn. 146) 27. 211 Ebd., 28. 212 Mark S. Weiner, The Rule of the Clan (Fn. 6) 49 ff. 213 Udo Di Fabio, Das Recht offener Staaten, (Fn. 146) 28. 207
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C. Nomaden in Zeit, Raum und Recht „Bevor es Bürgergemeinden und Bürger oder irgendeine Form des Staates gab, war jedes Familienoberhaupt souverän innerhalb des Bereichs seines Hauses und hatte Gewalt über Leben und Tod seiner Ehefrau und Kinder.“ 214
Nicht zuletzt ist ein wesentlicher Bestandteil des Rule of the Clan das Fehderecht,215 welches in Form eines „Gleichgewichts des Schreckens“ einerseits ein Instrument der Harmonie sein kann,216 andererseits aber auch stets das Potential einer im Blutbad endenden Eskalationsspirale in sich trägt,217 insbesondere, wenn den Clans moderne Waffen zur Verfügung stehen.218 Diese evidenten Nachteile verleiten zu dem vorschnellen Schluss, die Entwicklung vom Rule of the Clan zum Staat als zwingend zu vollziehenden Akt der Zivilisation zu preisen. Diese Schlussfolgerung zogen bereits antike Geschichtsschreiber, die z. B. das territorial-konstitutionell verfasste Römische Reich auf diese Weise von den verwandtschaftlich determinierten Barbaren einerseits, aber auch von ihren eigenen Vorfahren andererseits, abzugrenzen suchten. Die von den Römern vorgenommene Unterscheidung zwischen Civitas/Populus auf der einen und Gens/Natio auf der anderen Seite war deckungsgleich mit der Unterscheidung zwischen wir und sie oder zivilisiert und barbarisch.219 Das konstitutionelle Gemeinschaftsverständnis des zivilisierten Wir orientierte sich an Kategorien von Gesetz, Treue zu einem Herrscher und einer historischen Entwicklung, wohingegen sich das biologische Gemeinschaftsverständnis, des barbarischen Sie nach Abstammung, Kultur oder dem natürlich umgrenzten Territorium z. B. einer Insel richtete.220 Die Geschichtsschreiber Vergil221 und Livius222 beschrieben die Entstehung des eigenen zivilisierten populus aus diversen gentes, ein Prozess der heute häufig als Entwicklung von „status to contract“ bezeichnet wird.223 Demnach entstand das römische Volk durch eine gemeinsame Geschichte und Unterordnung unter ein gemeinsames Recht – ein gemeinsames Verfasstsein aus seinen clanrechtlichen Vorläufern. Eine gemeinsame Sprache, Kultur oder Abstammung war dem Populo romano hingegen fremd.224
214
Jean Bodin, Über den Staat (Fn. 149) Buch I, 6. Kapitel. Mark S. Weiner, The Rule of the Clan (Fn. 6) 117 ff. 216 Ebd. 217 Ebd., 123 f. 218 Ebd., 124. 219 Patrick J. Geary, The Myth of Nations (Fn. 195) 41 ff. 220 Ebd., 42. 221 Publius Vergilius Maro, Aenaeis, verwendet in der Übersetzung von Johannes Götte, Artemis & Winkler 2002, Buch I, 33; Bücher 5 – 8, 222 Titus Livius, Römische Geschichte (Fn. 195) Buch I, 2. 223 Henry Summer Maine, Ancient Law: Its Connection with the Early History of Society and its Relation to Modern Ideas, John Murray 1861, 170. 224 Patrick J. Geary, The Myth of Nations (Fn. 195) 50. 215
III. Territorien und Grenzen aus dem Blickwinkel von Staaten und Nomaden
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Während ein territorial und konstitutionell determiniertes Staatswesen an seinem Territorium fest verankert ist, ermöglicht ein im Verwandtschaftsverhältnis radiziertes Gemeinwesen eine freie Wahl und einen regelmäßigen Wechsel des Aufenthaltsortes. Sofern ganze Regionen nach dem System des Rule of the Clan geordnet sind, ergeben sich hieraus territorial fluide, dynamisch wandernde, sich überlappende und ineinander zerfließende zeitlich und funktional beschränkte Herrschaftsräume. Die hiermit verbundene Flexibilität verschafft den nomadischen Clans eine größere Freiheit zur Reaktion auf äußere Gegebenheiten. Letztendlich geht also mit der Verminderung der individuellen Freiheit im Rule of the Clan eine gewachsene Freiheit und insbesondere Sicherheit der Gemeinschaft insgesamt einher, die für das Überleben in jenen ariden und semi-ariden von Nomaden bevölkerten Regionen essentiell ist. Das Rule of the Clan gewinnt aber auch in anderen Hemisphären zunehmend an Bedeutung,225 was daran liegt, dass es den unter seiner Herrschaft lebenden Menschen Vorteile bringt, die der liberale Staat vermissen lässt: „All the precious advances in personal freedom that liberalism has achieved have been accompanied by the loss of important benefits that are provided by the rule of the clan. Societies of Contract enable citizens to forge their own professional lives and personal identities, but societies of Status226 provide their members with deep social and psychological security. Societies of Contract foster the economic growth that comes from individual competition, but societies of Status advance the principle of social justice. Societies of Contract liberate citizens from the dead hand of tradition, while Societies of Status initiate kinsmen into profound communion across generations. At bottom, liberal societies offer citizens personal freedom, whereas the rule of the clan provides its members with a powerful feeling of community and solidarity.“227
Wo das Bedürfnis nach Gemeinschaft, Solidarität und Geborgenheit das Streben nach individueller Freiheit überwiegt, ist der Nährboden für das Rule of the Clan bereitet. Die Vorstellung einer notwendigen zivilisatorischen Entwicklung von „status to contract“228 lässt sich somit nicht aufrechterhalten. Jedes gesellschaftliche Organisationsmodell erhebt an sich selbst den Anspruch, das Gemeinwohl im möglichst vollkommenen Maße zu verwirklichen, wobei sich jedoch die Vorstellungen dessen, welchen Inhalt und welche Ziele dieses Gemeinwohl haben soll, zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Regionen unterscheiden.229 225
Mark S. Weiner, The Rule of the Clan (Fn. 6) 47, 201 ff. „Society of Status“ bezieht sich nicht auf eine einfach nach sozialem Rang geordnete Gesellschaft, sondern meint solche Gesellschaften, in denen Familiengruppen die Grundlage der sozialen Organisation darstellen und in denen die erweiterte Familie die primäre Einheit des Rechts ist, vgl. Mark S. Weiner, The Rule of the Clan (Fn. 6) 12. 227 Mark S. Weiner, The Rule of the Clan (Fn. 6) 167 f. 228 Henry Summer Maine, Ancient Law (Fn. 223) 170. 229 Dieter Grimm, Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft (Fn. 130) 13. 226
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C. Nomaden in Zeit, Raum und Recht
Die Ablösung des Rule of the Clan durch das staatliche Ordnungsmodell ging einher mit der Verdrängung einer personalen Herrschaftsausübung zu Gunsten einer territorialen.230 Das Rule of the Clan hat daher insbesondere dort seine Berechtigung, wo der auf Sesshaftigkeit basierende Territorialstaat klimatisch an seine Grenzen stößt und wo politische Strukturen dazu führen, dass Sicherheit und Geborgenheit mehr gewertschätzt werden als individuelle Freiheit. Das Rule of the Clan kann hier zu einem Zustand der „justice without government“ führen,231 von dem letztlich auch der Einzelne profitiert.232 Die Frage, inwieweit dem Einzelnen innerhalb seines Clans Rechte und Freiheiten gewährt werden, hängt von der inneren Ausgestaltung des jeweiligen Clans ab. Dass die Rechte des Einzelnen nach dem Rule of the Clan letztlich durch den Clan mediatisiert werden, spricht zumindest nicht grundsätzlich gegen diese Form der Gesellschaftsordnung. Vielmehr gewährt auch das zwischenstaatliche Völkerrecht dem Einzelnen dessen Menschenrechte – zumindest nach klassischer Lesart – nur durch dessen jeweiligen Staat. In dieser Hinsicht ist das Rule of the Clan in seiner Grundstruktur als Rechtssystem zwischen verschiedenen Gemeinschaften dem traditionellen Verständnis des Völkerrechts somit gar nicht unähnlich.233 Deutliche Unterschiede ergeben sich freilich, wenn im Völkerrecht der Einzelne als unmittelbares Rechtssubjekt anerkannt wird234 – eine Position, die ihm im Rule of the Clan nicht zukommt. c) Territorien und Grenzen unter dem Rule of the Clan „Die meisten Nomaden behaupten, ihren Migrationsweg (arabisch Il-Rah), ,Der Weg‘) zu ,besitzen‘, aber in der Praxis melden sie nur den Anspruch auf periodische Weiderechte an. Zeit und Raum verschmelzen so miteinander: Ein Monat und eine Wegstrecke sind ein und dasselbe.“235
230
Mark S. Weiner, The Rule of the Clan (Fn. 6) 144 f. Clinton Bayley, Bedouin Law from Sinai and the Negev: Justice without government, Yale UP 2009; Max Gluckmann, Custom and Conflict in Africa, Blackwell 1970; vgl. auch Larry Catá Backer, Governance without a Government (Fn. 174) 87 ff. 232 Manchmal ist das Rule of the Clan zur Friedenswiederherstellung sogar erfolgreicher als das zwischenstaatliche Recht: In der Grenzregion zwischen Sudan und Südsudan schlossen die Messeriya und Dinka Malual an den verfeindeten Regierungen beider Staaten vorbei ein Friedensprotokoll unter Umgehung des staatlich aufrechterhaltenen Kriegszustandes, vgl. Ali Jammaa Abdalla, People to people diplomacy in a pastoral system: A case from Sudan and South Sudan (2013) Pastoralism RPP, 3:12, 3. 233 Andreas von Arnauld, Völkerrecht, 2. Auflage, CF Müller 2014, 23. 234 Anne Peters, Jenseits der Menschenrechte: Die Rechtstellung des Individuums im Völkerrecht, Mohr Siebeck 2014, 469 ff. 235 Bruce Chatwin, Traumpfade (Fn. 23) 346; zur Tendenz dieser Entwicklung vgl. Ulrich Haltern, Raum – Recht – Integration. Ein Beitrag zum Verständnis von Souveränität, in: Petra Deger/Robert Hettlage (Hrsg.), Der europäische Raum – Die Konstruktion europäischer Grenzen, VS Verlag für Sozialwissenschaften 2007, 208, 210 f. 231
III. Territorien und Grenzen aus dem Blickwinkel von Staaten und Nomaden
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Anders als der moderne Staat kommt der Clan ganz ohne territoriale Radizierung aus.236 Der Clan ist quasi ein „stateless state“.237 Regionen, die traditionell, insbesondere vor der Eroberung durch die Europäer, vom Rule of the Clan bestimmt waren, wie z. B. Afrika, gehen daher nicht vom Grundzustand abgeschlossener Territorien aus, sondern von einer unbeschränkten Freizügigkeit der Clans.238 Vor der Kolonisierung bestanden in Afrika nämlich hauptsächlich gebietslose Herrschaftsstrukturen,239 die insbesondere in Gestalt nomadischer Völker auch über die Kolonialzeit hinaus Bestand haben. Das traditionelle afrikanische Rechtsverständnis, welches sich noch heute im Rule of the Clan erhalten hat, knüpfte Herrschaftsmacht statt an Territorialhoheit240 an die jeweilige Gruppenzugehörigkeit.241 Dementsprechend wurden auch permanente Grenzen im präkolonialen Afrika so gut wie gar nicht gezogen.242 Auch Hugo Grotius sah in jenen grenzenlosen Strukturen den Urzustand jeglicher, also auch der europäischen Gesellschaft: „Die Eintracht wurde aber vorzüglich durch einen edleren Fehler, nämlich die Ehrsucht, gestört. […] und nun nahmen die Einzelnen von den besonderen Ländern Besitz. Aber auch nachher blieb unter den Nachbarn nicht blos das Vieh, sondern auch das Weideland ge236 Eine andere Auffassung vertritt hierzu Daniel Erasmus Khan, der der Meinung ist, territoriale Grenzen zur Monopolisierung habe es immer und überall gegeben. Seiner Meinung nach sei eine räumliche Umgrenzung unerlässlich für das Überleben und eine Identitätsbildung, ja, die Soziologie würde sogar zweifelsfrei belegen, dass Identität ohne Grenzen nicht möglich ist. (Daniel Erasmus Khan, Territory and Boundaries (Fn. 170) 226 ff.) Natürlich lebten auch z. B. präkoloniale afrikanische Clans auf bestimmten Territorien, welche irgendwo endeten, bzw. in die Territorien anderer Clans übergingen, allerdings waren die Grenzen dieser Territorien weder statisch, noch scharf gezogene Linien (a.A. 1969 noch Anthony Allot, Boundaries and the Law in Africa, in: Carl Gösta Widstrand (Hrsg.), African Boundary Problems, The Scandinavian Institute of African Studies 1969, 9, 10). 237 John Davis, Libyan Politics: Tribe and Revolution, University of California Press 1987, 257. 238 Ibrahim Awad, Introduction: Concepts, Practice and Policies of International Migration in Africa (2008) AfYbIL, 3, 6 ff.; Christian Windler, Grenzen vor Ort (2002) RG, 122, 132. 239 Jeffrey Herbst, States and Power in Africa, Princeton UP 2000, 36; Isabelle R. Gunning, Expanding the International Definition of Refugee: A Multicultural View (1989 – 1990) Fordham ILJ, 35, 73 f.; Robert H. Jackson, Quasi-states: sovereignty, international relations and the Third World, Cambridge UP 1990, 68; Jörn Axel Kämmerer, Imprints of Colonialism (Fn. 129) 243. 240 Jörn Axel Kämmerer, Das Völkerrecht des Kolonialismus: No peace between the lines?, in: Stefan Talmon (Hrsg.), Über Grenzen, Kolloquium zum 70. Geburtstag von Wolfgang Graf Vitzthum, Duncker und Humblot 2012, 35, 39 f.; Anthony Allot, Boundaries and the Law (Fn. 236) 11; Jeffrey Herbst, ebd., 36 ff.; Robert H. Jackson, ebd., 67 f. 241 Han van Dijk, Régimes fonciers et aménagement des ressources dans un contexte pluriéthnique et de pluralisme juridique, in: Youssouf Diallo/Günther Schlee (Hrsg.), L’ethnicité peule dans des contextes nouveaux, Karthala 2000, 37, 51; Robert H. Jackson, ebd., 68; IGH, Western Sahara Advisory Opinion (16. Oktober 1975) ICJ Rep 1975, 12 Rn. 158. 242 Adekunle Ajala, The Nature of African Boundaries (1983) Africa Spectrum 177, 178; Malcom N. Shaw, Title to Territory in Africa, Clarendon 1986, 27, 228; die gegenteilige Auffassung (vgl. Anthony Allot, Boundaries and the Law (Fn. 236) 10) kann heute als überholt betrachtet werden.
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C. Nomaden in Zeit, Raum und Recht meinsam; denn die Ländereien waren für die geringe Menschenzahl so ausgedehnt, dass sie ohne Nachtheil für Aller Bedarf zureichten. ,Es war nicht erlaubt, das Feld zu bezeichnen oder nach Grenzen zu theilen.‘ Als sich die Zahl der Menschen und des Viehs vermehrte, wurden die Ländereien nicht blos nach Stämmen, wie früher, sondern nach Familien getheilt. Die Brunnen wurden aber in das ausschließliche Eigentum genommen, da sie in trockenen Ländern unentbehrlich waren und nicht für Viele zureichten.“243
Grotius irrt freilich hinsichtlich der Ursachen für diesen Entwicklungsprozess zur „begrenzten Gesellschaft“, denn gerade in kargen und trockenen Regionen hat sich das Rule of the Clan bewährt und bewahrt.244 Eine Region, die daher noch heute intensiv vom Rule of the Clan bestimmt wird, ist der Osten Afrikas. Das den dort lebenden Völkern zur Verfügung stehende Weideland ist Gemeineigentum, welches diese nach einem traditionellen System unter sich kooperativ zur Nutzung aufteilen.245 Dieses System sieht unter anderem primäre und sekundäre Landrechte, sowie Verfahrensregeln und -prinzipien für die Verhandlungen zwischen den Gemeinschaften über die Nutzung von Weide- und Wasserrechten vor. Das System regelt die Wanderungsbewegungen von Mensch und Tier. Es gewährleistet die Kooperation zwischen den Ethnien und beinhaltet sogar einen Streitbeilegungsmechanismus.246 Die traditionellen Weidelandmanagementsysteme ermöglichen, dass die Herden Weiden meiden, die bereits in Benutzung sind, dass sie einen angemessenen Abstand zu anderen Herden halten und aus Nachhaltigkeitsgesichtspunkten sogar Weideland schonen, was erst kürzlich von einer anderen Herde verlassen wurde.247 Die im Grenzgebiet zwischen Äthiopien und Kenia lebenden Clans248 legen z. B. untereinander bestimmte Pufferzonen fest, sowie Regelungen zum Schutz von Wasserstellen und Bäumen. Zur Kooperation zwischen den Clans und zur Sanktionierung von
243
Hugo Grotius, Krieg und Frieden (Fn. 168) Buch II, Kapitel II, II, 3 Entgegen Grotius’ These wächst die Bedeutung des Rule of the Clan und immer mehr Völker greifen auf dessen Ordnungsmodell zurück. Das Rule of the Clan gewinnt insbesondere dort an Bedeutung, wo die Bevölkerung stark wächst, während die natürlichen Ressourcen aufgrund des Klimawandels immer knapper werden, in Subsahara-Afrika, vgl. Mark S. Weiner, The Rule of the Clan (Fn. 6) 197 ff. 245 Sara Pavanello, Simon Levine, Rules of the range: Natural Resources management in Kenya-Ethiopia border areas, Overseas Development Institute, London 2011, 1; zum Gemeineigentum in Äthiopien insgesamt vgl. Mohammud Abdulahi, Communal Land Holding System in Ethiopia (Fn. 18) 85 ff. 246 Sara Pavanello/Simon Levine, ebd., 1. 247 E. Barrow/J. Davies/S. Berhe/V. Matiru/N. Mohamed/W. Olenasha/M. Rugadya, Pastoral Institutions for managing natural resources and landscapes, IUCN Eastern Africa Regional Office, Policy Brief No. 6 2007, online unter: http://www.celep.info/wp-content/uploads/2012/ 08/2007-WISP-Pastoralist-institutions-for-managing-natural-resources.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018) 2. 248 Die Grenzgegend zwischen Äthiopien und Kenia wird bewohnt durch die Völker der Borana, die Gabbra, die Turkana, den somalischen Clan der Garre, sowie die Rendille, Ariaal und Samburu, welche alle vornehmlich von der nomadischen Viehweidewirtschaft leben, vgl. Gufu Oba, Pastoralist’s Indigenous Coping Strategies (2001) Nomadic Peoples, 89, 90. 244
III. Territorien und Grenzen aus dem Blickwinkel von Staaten und Nomaden
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Verstößen gegen das traditionelle Recht schufen die Gemeinschaften Institutionen.249 Es gibt zwischen den Gemeinschaften aber auch Sharing Arrangements, z. B. bezüglich des knappen Wassers.250 Einigen Ältesten zufolge bilden diese Sharing Arrangements zwischen den nomadischen Gemeinschaften ein lebensnotwendiges Rückgrat zur Bewältigung von Dürreperioden.251 Das Teilen der knappen Wasserressourcen ist nach dem Rule of the Clan eine Pflicht252 und wer etwa einer fliehenden Gruppe keine Hilfe gewährt, muss Sanktionen fürchten.253 Funktionierende traditionelle Sozialsysteme tragen für den Ersatz von Dürreverlusten o. ä. Sorge.254 Wasserquellen befanden sich früher unter der treuhänderischen Verwaltung jeweils eines Clans, welcher für die Wartung derselben einen Beauftragten ernannte. Die Nutzung wurde durch fachspezifische Ältestenräte geregelt. Andere Ältestenräte regulierten den Zugang der verschiedenen Clans zu saisonalen Weidegebieten oder soziale Sicherungssysteme. Kleinere Landflächen wurden durch Nachbarschaften oder Camp-Gemeinschaften verwaltet und zugeteilt. Es gab Dorfoberste und Familienälteste, die die Interessen der jeweiligen Gruppe zu vertreten hatten. Zwischen den verschiedenen Institutionen wurden Mediatoren eingesetzt.255 Die lange Unterdrückung der indigenen Strukturen hat jedoch dazu geführt, dass einige der Institutionen und Ältestenräte langsam in Vergessenheit gerieten.256 Wesensmerkmal der Landrechtevergabe unter dem nomadischen Rule of the Clan, ist, dass diese Rechte nicht dauerhaft, sondern lediglich zeitlich beschränkt vergeben werden.257 Auch handelt es sich hierbei nicht um Eigentum nach europäischem 249 E. Barrow/J. Davies/S. Berhe/V. Matiru/N. Mohamed/W. Olenasha/M. Rugadya, Pastoral Institutions (Fn. 247) 2; zu Details hinsichtlich der Regeln zur Konfliktvermeidung und -lösung, siehe: Sabine Homann, Indigenous knowledge (Fn. 38) 14 ff. 250 Sara Pavanello, Simon Levine, Rules of the range (Fn. 245) 7. 251 Ebd. 252 Ebd. 253 International Institute for Environment and Development, SOS Sahel International UK, Modern and Mobile: the future of livestock production in Africa’s drylands, Taylor Brothers, 2010, 30. 254 Gufu Oba, Pastoralist’s Indigenous Coping Strategies (Fn. 248) 100. 255 Sabine Homann, Indigenous knowledge (Fn. 38) 89. 256 Ebd., 80. 257 Sabine Homann, ebd., 9 beschreibt diese Praxis für die Borana im Grenzgebiet zwischen Äthiopien und Kenia; Han van Dijk, Régimes fonciers (Fn. 241) 40, 60 führt aus, dass die beschriebenen Wesensmerkmale der Landverteilung nach dem Rule of the Clan auch bei den westafrikanischen Fulbe zu finden sind; auch aus der Mongolei gibt es ähnliche Erkenntnisse: Zwar bestanden nach dem traditionellen Recht der Mongolen exklusive gewohnheitsrechtliche Nutzungsrechte für Clans an bestimmten Winterweiden, die Sommerweiden wurden jedoch deutlich flexibler verteilt. Nach dem Ende der mongolischen Yuan-Herrschaft über ganz China beanspruchten die Qing-Kaiser das offizielle Recht, Landeigentum zuzuteilen. Faktisch wurde die Landzuteilung allerdings weiterhin durch Mongolische Hoshuu-Prinzen, welche die Verwaltungsmacht über einen jeweiligen Verwaltungsbezirk ererbt hatten, erledigt. Diese flexible und dynamische Handhabung der Landnutzungsrechte überdauerte die jahrhundertelange chinesische Herrschaft bis sie 1950 durch landwirtschaftliche Kooperativen und Volkskom-
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C. Nomaden in Zeit, Raum und Recht
Verständnis, sondern das Land ist von „Mutter Natur“ oder den Ahnen nur „gepachtet“.258 „Les pasteurs nomades n’en possèdent que l’usage, un usage précaire et révocable et encore dans la mesure où ils appartiennent à des groupements connus et répertoriés dans un secteur bien déterminé.“259
Anders als nach dem europäischen Konstrukt des Eigentums, bzw. der territorialen Souveränität, welches allumfassende Rechte über ein Gebiet dauerhaft gewährt, baut das nomadische Rule of the Clan auf verschiedenen spezifischen Nutzungsrechten auf.260 Auf einem Gebiet kann z. B. das Recht zur Nutzung von Weide, zur Entnahme von Wasser und zur Jagd jeweils unterschiedlichen Gruppen zufallen – eine Flexibilität die durch ein starres System kaum erreicht werden kann. Gerechtigkeit bei der Verteilung wird dadurch gewährleistet, dass das Land in verschiedene Kategorien eingeteilt wird unter Berücksichtigung, sowohl der natürlichen Beschaffenheit, als auch dem Zusatzwert, welcher dem Land durch Erhaltungsmaßnahmen bestimmter Gruppen hinzugefügt wurde.261 Die Nutzungsrechte unter dem Rule of the Clan können sich mit denen anderer Gruppen (je nach Belastbarkeit der jeweiligen Ressource) überlappen262 und werden ständig an die Umweltbedingungen angepasst um eine Übernutzung zu vermeiden.263 „The resources shared by herders are never appropriated by one community to the detriment of another. All depend on the rainfall and its vagaries; no one knows in advance when fodder resource conditions will fail. A system of solidarity, of tontine (mutual assistance) exists, where each welcomes the other when the conditions are better in his area, in the certainty of being welcomed in turn in other areas when nature is more favourable there.“264 munen ersetzt wurde, vgl. David Sneath, Changing Inner Mongolia (Fn. 185) 35 ff., 22; zu den nomadischen Indianern Nordamerikas, vgl. Stuart Banner, How the Indians Lost their Land: Law and Power on the Frontier, Harvard UP 2007, 152; zur Übertragbarkeit auf weitere nomadische Gruppen, vgl. Katja Göcke, Indigene Landrechte (Fn. 88) 17 ff. 258 Rüdiger Schott, Rechtspluralismus und Rechtsgleichheit (Fn. 191) 45 ff.; vgl. auch SCOC, Regina ./. Marshall; Regina ./. Bernard, [2005] 2 SCR 220, 2005 SCC 43, 58, 70, 77. 259 IGH, Frontier Dispute (Burkina Faso ./. Mali) Mémoire du Mali (22. Dezember 1986) ICJ Rep 1986, 554, 24, „Die nomadischen Hirten besitzen hieran nur ein Nutzungsrecht, eine prekäre und widerrufliche Nutzung, außerdem nur in dem Maße, wo sie zu den bekannten Gruppen gehören und in einem genau bestimmten Sektor von diesen erfasst sind.“ (Übersetzung des Verfassers). 260 Anders vertreten noch 1956 bei Taslim Olawale Elias, The Nature of Customary African Law (Fn. 88) 163 ff. 261 Sabine Homann, Indigenous knowledge (Fn. 38) 9. 262 Robert H. Jackson, Quasi-states (Fn. 239) 68; Jörn Axel Kämmerer, Das Völkerrecht des Kolonialismus (Fn. 240) 40, der darüber hinaus auf S. 46 anhand der zahlreichen im 19. Jahrhundert noch vorhandenen europäischen Koimperien und Kondominien belegt, dass eine sich überlappende territoriale Zuordnung auch in Europa vor nicht allzu langer Zeit noch sehr präsent war. 263 Sabine Homann, Indigenous knowledge (Fn. 38) 13 m.w.N. 264 IGH, Frontier Dispute (Burkina Faso ./. Niger) Burkina Faso’s Response to the Questions Put by Judge Cançado Trindade (16. April 2013) ICJ Rep 2013, 44, Rn. 59.
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Ein Beispiel für diese sich überlappenden Nutzungen ist ein Protokoll zwischen zwei Clans im Grenzgebiet zwischen Sudan und Südsudan. Um hier trotz Bürgerkriegs und Grenzziehung die traditionelle Viehweidewirtschaft aufrechterhalten zu können, einigten sich die grenznahen Stämme auf einer Stammeskonferenz im Jahre 2011 auf den Abschluss jenes gemeinsamen Protokolls, welches im Detail festlegte, wie die gemeinsamen Ressourcen aufzuteilen seien.265 Nach diesem Protokoll ziehen die Dinka Malual in der Regenzeit zwischen Juni und Oktober nach Norden in ein Gebiet, welches zuvor von den Rindern der Messeriya beweidet wurde. Die Messeriya ziehen dann nämlich noch weiter nach Norden, um so dem Sumpf und der Tsetse-Fliege zu entgehen.266 In der Trockenzeit kehren sich die Wanderungen um. Nun wandern die Dinka Malual tiefer in den Süden und geben so Raum für die Rinderherden der Messeriya frei.267 Im Endeffekt wird so ein bestimmtes Gebiet von verschiedenen Völker unterschiedlicher Lebensweise im Rhythmus der Jahreszeiten abwechselnd genutzt – eine Praxis die erschwert wäre, wenn eines der beiden Völker über das jeweilige Gebiet volle Souveränität beanspruchen könnte. Während die europäische Landwirtschaft das Ziel größtmöglicher Stabilität und Berechenbarkeit hat, ist die nomadische Viehweidewirtschaft auf größtmögliche Flexibilität ausgerichtet,268 denn Nutzungskonzepte, die sich an einer unveränderlichen „Tragfähigkeit“ bestimmter Landparzellen orientieren, sind in klimatisch unberechenbaren ariden und semi-ariden Zonen nicht praktikabel.269 Das Rückgrat eines bindenden Inter-Clan-Rechts sind nicht Grenzen, sondern soziale Beziehungen,270 da diese die Voraussetzung dafür sind, die überlappende und flexible Ressourcennutzung durch Institutionen und Regeln zu steuern.271 Diese sozialen Beziehungen werden dadurch gefestigt, dass der Rückgriff auf die Ressourcen anderer Gruppen unerlässlich und eine Kooperation somit zwingend ist.272 Die sozio-kul265
Ali Jammaa Abdalla, People to people diplomacy (Fn. 232) 1. Ebd., 2. 267 Ebd., 2. 268 Katherine Homewood/Saverio Krätli, Seminar Mobility and Land Tenure, University of the Bush Korke Kebele (23. – 26. März 2009) online unter: http://www.pastoralists.org/wp-con tent/uploads/2012/03/UoB-Report-Homewood-and-Kratli.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018); UN Environment Management Group, Global Drylands (Fn. 20) 51. 269 Ian Scoones, New directions (Fn. 16) 1 ff., 5; vgl. auch im selben Band: preface, ix; Jim Ellis, Climate variability (Fn. 17) 41 ff. 270 Sabine Homann, Indigenous knowledge (Fn. 38) 13. 271 Sara Pavanello, Simon Levine, Rules of the range (Fn. 245) 8. 272 Sabine Homann, Indigenous knowledge (Fn. 38) 13 m.w.N.; Elinor Ostrom, Governing the commons, The evolution of institutions for collective action, Cambridge UP 1990, 38; Sian Sullivan/Katherine Homewood, On Non-Equilibrium and Nomadism: Knowledge, Diversity and Global Modernity in Drylands (and Beyond …), CSGR Working paper No. 122/03, 27, online unter: http://www2.warwick.ac.uk/fac/soc/pais/research/researchcentres/csgr/papers/wor kingpapers/2003/wp12203.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018); die weitestgehende Ausgestaltung dieses Kooperationszwanges findet sich wohl bei den Aborigines in Australien: Hier entspricht es dem traditionellen Recht, dass ein Clan gleichenteils von einem Clanchef und 266
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C. Nomaden in Zeit, Raum und Recht
turellen Netzwerke sind nicht statisch und nehmen vor allem auf Staatsgrenzen keine Rücksicht, da ein flexibles Reagieren auf eine unberechenbare und sich ständig wandelnde Umwelt nur ohne territoriale Grenzen möglich ist.273 Es wäre falsch zu behaupten, im präkolonialen Afrika hätte es keine Grenzen gegeben. Auch hier gab es einige wenige sesshafte Königreiche,274 deren Grenzen jedoch ähnlich den europäischen Marken keine Linien, sondern Zonen waren: „Pre-colonial Africa adopted age-old systems of using zones or border marches as buffer between kingdoms.“275
Sofern Sesshaftigkeit vorlag, hatte sich in Afrika das vormoderne Konzept der konzentrisch verblassenden Herrschaftsmacht erhalten.276 Präkoloniale afrikanische Grenzzonen lassen sich in drei Kategorien einteilen, erstens Kontaktgrenzen – Völker leben und arbeiten zusammen, zweitens Trennungsgrenzen, wie z. B. herrschaftslose Wüsten und undurchdringliche Regenwälder und drittens Enklaven, in denen sich verschiedene Clans überlappen und welche insbesondere bei nomadischen Völkern, wie den Massai und Tuareg zu finden sind.277 All diesen Grenzzonen war gemein, dass es sich um dynamische Grenzen handelte, die ständig in Bewegung waren.278 Wo solche grenzenlosen Strukturen bestehen, gleichzeitig aber Staaten nach europäischem Vorbild für sich eine allumfassende Souveränität, inklusive eines Rechts auf Grenzschließung, beanspruchen, ist das Verhältnis zwischen Staaten und Rule of the Clan klärungsbedürftig. d) Verhältnis zwischen Rule of the Clan und Staaten „Für die einen ist es die ,traditionelle Gesellschaft‘, die den Staat verdirbt, ihn schwächt – ihn korrumpiert, mit ihren Normen von Verwandtschaftsverpflichtungen, Ehre etc. – unterminiert und damit die Durchsetzung bürokratischer Normen verhindert. Für die anderen, die Autoren der Post-Colonial Studies z. B., ist es hingegen der Staat bzw. sind es die Indessen „Manager“ geführt wird, wobei der „Manager“ stets Angehöriger eines anderen Clans ist und für die Verwaltung des Landes zuständig ist. „Es wäre so, als ob Amerika und die Sowjetunion sich darauf einigen würden, ihre jeweilige Innenpolitik auszutauschen.“; vgl. Bruce Chatwin, Traumpfade (Fn. 23) 188. 273 Ian Scoones, New directions (Fn. 16) 20 ff.; Camilla Toulmin, Tracking through drought: options for destocking and restocking in: Ian Scoones (Hrsg.), Living with Uncertainty: New directions in pastoral development in Africa, Intermediate Technology Publications 1995, 95, 101; Sian Sullivan/Katherine Homewood, ebd., 24 ff. 274 Malcolm N. Shaw, Title to Territory in Africa (Fn. 242) 27. 275 Adekunle Ajala, Nature of African Boundaries (Fn. 242) 178; vgl. auch Jörn Axel Kämmerer, Imprints of Colonialism (Fn. 129) 243. 276 Robert H. Jackson, Quasi-states (Fn. 239) 68. 277 Adekunle Ajala, Nature of African Boundaries (Fn. 242) 178 f.; Malcolm N. Shaw, Title to Territory in Africa (Fn. 242) 27. 278 Adekunle Ajala, ebd., 179; Jörn Axel Kämmerer, Das Völkerrecht des Kolonialismus (Fn. 240) 49.
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stitutionen der Moderne, die mit ihren fremden und unsoziologisch harten Kategorien die Gesellschaft ins Verderben stürzen.“279
Heute ist die gesamte Welt lückenlos in verschiedene Staatsgebiete aufgeteilt. Gleichzeitig haben sich aber in einigen Regionen unter verschiedenen Völkern die alten Clanstrukturen erhalten. In einer Vielzahl von Ländern sind Staaten zwar existent aber faktisch als herrschaftsausübende Gebilde nur von geringer Bedeutung.280 Wie verhalten sich nun beide Gesellschaftsmodelle zueinander? Das Rule of the Clan ist heute insbesondere dort besonders stark ausgeprägt, wo sich seine Strukturen aufgrund einer fehlenden Verwurzelung des individuenbezogenen Liberalismus erhalten konnten – in Afrika und weiten Teilen Asiens.281 Es bricht immer dann an die Oberfläche, wenn die staatlichen Strukturen Schwäche zeigen282 oder ein Rechtspluralismus ausdrücklich gefördert wird. Ein solcher Rechtspluralismus283 erlaubt ein paralleles Existieren oder gar eine Verschränkung beider Gesellschaftsordnungen. Rechtspluralismus wird definiert als: „the presence in a social field of more than one legal order“284 oder einfacher ausgedrückt: „the
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Julia Eckert, Rechtsaneignung (Fn. 183) 192. Dieter Grimm, Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft (Fn. 130) 53 f. 281 Mark S. Weiner führt in The Rule of the Clan (Fn. 6) 29 folgende Regionen und Länder an, die noch stark vom Rule of the Clan geprägt sind: Jemen, Waziristan, Kenia, Süd-Sudan, Indien, Philipinen, Palästina, Bosnien, Ägypten, China. 282 Matthias Kötter/Kristina Kühl/Judith Y. Mengesha, Normative Pluralität ordnen? Eine Problemskizze, in: Matthias Kötter/Gunnar Folke-Schuppert (Hrsg.), Normative Pluralität ordnen, Nomos 2009, 11, 27; UNDP, Arab Human Development Report 2004, 17. 283 Verschiedene rechtspluralistische Denkmodelle werden mit weiteren Nachweisen und Bezug zu indigenen Völkern dargestellt bei Sabine Bernot, Verfassungsrechtliche Anerkennung indigenen Rechts (Fn. 176) 16 ff.; vgl. zur Erklärung des Begriffs auch: Armin von Bogdandy, Pluralism, direct effect, and the ultimate say: On the relationship between international and domestic constitutional law (2008) IJCL, 397; Paul Schiff Berman, Global Legal Pluralism (2007) SCLR, 1155; Dominik E. Arndt, Sinn und Unsinn von Soft Law, Nomos 2011, 208; Franz von Benda-Beckmann, Who’s Afraid of Legal Pluralism (2002) JLPUL, 37; William Burke-White, International Legal Pluralism (2004) Michigan JIL, 963; Klaus F. Röhl/Stefan Machura, 100 Jahre Rechtssoziologie: Eugen Ehrlichs Rechtspluralismus heute (2013) JZ, 1117, 1120; Ernst-Joachim Lampe, Rechtsgleichheit und Rechtspluralismus, Nomos 1995, 8 ff.; Gunther Teubner, Die zwei Gesichter des Janus: Rechtspluralismus in der Spätmoderne, in: Eike Schmidt/Hans-Leo Weyers (Hrsg.), Liber Amicorum Josef Esser, CF Müller 1995, 191 ff.; Han van Dijk, Régimes fonciers (Fn. 241) 57; John Griffiths, What is Legal Pluralism? (1986) JLPUL, 1; Michael B. Hooker, Legal Pluralism: An Introduction to Colonial and Neocolonial laws, Clarendon 1975; Peer Zumbansen, Defining the Space of Transnational Law: Legal Theory, Global Governance & Legal Pluralism, in: Günther Handl/Joachim Zekoll/Peer Zumbansen (Hrsg.), Beyond Territoriality: Transnational Legal Authority in an Age of Globalization, Martinus Nijhoff 2012, 53, 56, Philipp Reimer, L’état c’est le droit – Zur Aktualität der Staatslehre Hans Kelsens im Angesicht sich wandelnder Staatsgewalt, in: Lisa Heschl u. a. (Hrsg.), L’État, c’est quoi? Staatsgewalt im Wandel, Nomos 2015, 37, 47 ff.; Martti Koskenniemi, Colonial Laws: Sources, Strategies and Lessons (2016) JHIL, 248, 249. 284 John Griffiths, ebd., 1. 280
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situation in which two or more laws interact.“285 Ein rechtspluralistisches Gefüge ist dadurch charakterisiert, dass die verschiedenen parallel existierenden Normsysteme staatszentriertes nationales Recht, Völkerrecht und Rule of the Clan286 sich gegenseitig anregen und miteinander verwoben sind, ohne hierbei jedoch zu einer einheitlichen Superordnung zu verschmelzen.287 „Cependant, dans presque chaque région pastorale du monde, des règles coutumières coexistent avec les ensembles juridiques de l’État et les arrêtés associés, menant à une situation de pluralisme juridique et même à une symbiose de divers systems juridiques, laquelle, loin d’être toujours désastreuse, peut donner plus de flexibilité à l’utilisation et l’amènagement de ressources naturelles dépendant des besoins divers des utilisateurs.“288
Die Staats- und Territorialzentriertheit der klassischen Rechtsquellenlehre verbindet sich in jenem Rechtspluralismus mit den hierarchischen und identifikatorischen Vorstellungen des Rule of the Clan, sodass die verschiedenen Rechtsschichten nun nebeneinander stehen und sich miteinander zu einem polyzentristischen Rechtsgefüge verstricken.289 Eine rechtspluralistische Koexistenz unterschiedlicher Ausprägung von Rule of the Clan und staatlichem Recht wurde unter anderem in den meisten Staaten Afrikas,290 in Jordanien291 und Afghanistan292 nachgewiesen. 285
Michael B. Hooker, Legal Pluralism (Fn. 283) 6. In Gestalt des religiösen Rechts tritt teilweise sogar noch eine vierte hier nicht näher berücksichtigte Ordnung hinzu. Vgl. Sabine Bernot, Verfassungsrechtliche Anerkennung indigenen Rechts (Fn. 176) 33; Han van Dijk, Régimes fonciers (Fn. 241) 57 ff. 287 Sabine Bernot, ebd., 6. 288 Han van Dijk, Régimes fonciers (Fn. 241) 59, „Doch in fast jeder nomadisch geprägten Region der Welt koexistieren gewohnheitsrechtliche Regeln mit den staatlichen Gesetzessammlungen und den hierauf basierenden Verordnungen, was zu einem Rechtspluralismus führt und sogar zu einer Symbiose verschiedener Rechtssysteme, die – weit davon entfernt desaströs zu sein – den Ressourcennutzern mehr Flexibilität bei der bedarfsgerechten Nutzung und Verteilung der natürlichen Ressourcen bietet.“ (Übersetzung des Verfassers, Hervorhebung hinzugefügt). 289 Vgl. auch abstrakt Dominik E. Arndt, Sinn und Unsinn von Soft Law, Nomos 2011, 208. Diese Annahme setzt freilich voraus, dass die Anerkennung des Rule of the Clan als „Recht“ zugrundegelegt wird. Bei einer rein etatistischen Betrachtungsweise, die den Staat als allein zur Rechtssetzung befugte Einheit betrachtet, erübrigt sich natürlich jede Debatte über Rechtspluralismus. Inwieweit ein solcher Rechtsbegriff in Regionen, in denen der Staat als Rechtssetzer kaum soziale Anerkennung genießt, dann nicht der Realität völlig entrückt erscheint, kann hier nicht thematisiert werden. Ausführlich zu verschiedenen Ansätzen zur Definition von „Recht“ in Bezug auf die rechtspluralistische Faktizität: Ernst-Joachim Lampe, Was ist Rechtspluralismus? in: Ernst-Joachim Lampe (Hrsg.), Rechtsgleichheit und Rechtspluralismus, Nomos 1995, 8 ff. 290 Han van Dijk, Régimes fonciers (Fn. 241) 57; Rüdiger Schott, Rechtspluralismus und Rechtsgleichheit (Fn. 191) 55; Nat Dyer, Securing Pastoralism in East and West Africa: Protecting and Promoting Livestock Mobility (April 2008), online unter: http://pubs.iied.org/pdfs/ G03457.pdf, 7 (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 291 Muwafaq Al-Serhan, Tribal Customary Law in Jordan (Fn. 185) 22. 286
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Was bedeutet Rechtspluralismus nun in Bezug auf das Rule of the Clan?293 Während die Scharniere, Verzahnungen und Fugen der verschiedenen Rechtsschichten abstrakt mit oft nebulösen Begriffen beschrieben werden, wie: „einander überlagernd, miteinander verzahnt, übereinander geschichtet, interpenetrierend, integral, wechselseitig konstituierend, dialektisch“ etc.294, lassen sie sich mit Blick auf das Rule of the Clan, recht konkret fassen. Es sind nämlich vier grundlegende Modi erkennbar, mit denen sich das Verhältnis zwischen Rule of the Clan und staatlicher Rechtsordnung umschreiben lässt: (aa) Das Rule of the Clan verdrängt die staatliche Rechtordnung nahezu vollständig. (Streng genommen handelt es sich hierbei nicht um eine Form des Rechtspluralismus.) (bb) Das Rule of the Clan wird konstitutionell in die staatliche Verfassung eingewoben. (cc) Beide Ordnungen werden institutionell gleichgestellt. (dd) Das Rule of the Clan durchdringt die staatliche Ordnung auf informeller Ebene. aa) Verdrängung der staatlichen Rechtsordnung Insbesondere dort, wo staatliche Ordnung schwindet, tritt der Urzustand des Rule of the Clan wieder empor und bietet der betroffenen Bevölkerung einen letzten Anker rechtlicher Verlässlichkeit.295 Das wohl prominenteste Beispiel für eine fast vollständige Ersetzung der staatlichen Ordnung durch das Rule of the Clan ist Somalia. Im Gegensatz zum benachbarten Äthiopien296 stellten die Somali bereits in präko-
292 Tilmann J. Röder, Kollisionen zwischen shari’a, Gesetz und Stammestradition (Fn. 185) 258, 282 ff. 293 Ausführlich zu dieser Thematik: Sabine Bernot, Verfassungsrechtliche Anerkennung indigenen Rechts (Fn. 176). 294 Gunther Teubner, Die zwei Gesichter des Janus: Rechtspluralismus in der Spätmoderne, in: Eike Schmidt/Hans-Leo Weyers (Hrsg.), Liber Amicorum Josef Esser, CF Müller 1995, 191, 192. 295 Matthias Kötter/Kristina Kühl/Judith Y. Mengesha, Normative Pluralität ordnen? (Fn. 282) 27. 296 Das Äthiopische Kaiserreich nimmt in diesem Zusammenhang – eine in ganz Afrika einzigartige Sonderrolle – selbst die Stellung einer Kolonialmacht ein (vgl. Jörn Axel Kämmerer, Das Völkerrecht des Kolonialismus (Fn. 240) 54), die mit den europäischen Mächten auf Augenhöhe über Grenzziehungen verhandelte, vgl. auch: Malcolm N. Shaw, Title to Territory in Africa (Fn. 242) 228; sowie den Rundbrief Menelik II an die Staatsoberhäupter der Kolonialmächte und Russlands vom 10. April 189: „If Powers at a distance come forward to partition Africa between them, I do not intend to be an indifferent spectator. As the Almighty has protected Ethiopia up to this day, I have confidence He will continue to protect her, and increase her borders in the future.“ Abgedruckt bei: Ian Brownlie, African Boundaries (Fn. 127) 778.
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lonialer Zeit eine „staatenlose“297 nomadisch geprägte Gesellschaft dar, die clanmäßig dezentral in unterschiedliche weithin selbstbestimmte sozio-politische und wirtschaftliche Einheiten gegliedert war.298 Diese gerieten zwar immer wieder in Streitigkeiten über die Nutzung von Wasserstellen und Weideflächen, verfügten jedoch über ein intergemeinschaftliches „Völkerrecht“, inklusive Regelungen zum humanitären „Völkerrecht“, zum Gesandtschaftsrecht und zum „Clanangehörigkeitsrecht“299. Nach der Aufteilung Somalias zwischen den Kolonialmächten Frankreich, England und Italien vereinigten sich die somalischen Kolonialgebiete der beiden letzteren 1960 zur Republik Somalia, während Französisch-Somaliland als Dschibuti 1977 in die Eigenständigkeit entlassen wurde. Durch die Ausrufung eines Somali-Nationalismus und Propagierung eines „Greater Somalia“, welches auch die somalischen Stämme in Äthiopien und Dschibuti umfassen sollte, gelang es dem Präsidenten Siad Barre die diversen Clans und Unterclans bis zu seinem Sturz 1991 in einem gemeinsamen Staatswesen zu halten.300 Nach der Flucht Barres zerfiel die nur durch Repressionen zusammengehaltene somalische Gesellschaft in ihre Clans, deren Recht fortan das zentrale Organisationsprinzip bildet.301 Während in Somalia auch heute noch das Rule of the Clan die bestimmende Gesellschaftsordnung ist, konnte im Nachbarland Somaliland302 ein System etabliert werden, dem es gelang staatliche Ordnung und Rule of the Clan zu einem harmonischen und funktionsfähigen Gesamtsystem zu verschmelzen.
297 Die fehlende Sesshaftigkeit führt nur nach der heute herrschenden jellinekschen DreiElementen-Lehre zur „Staatslosigkeit“. Legt man hingegen Kelsen gebietsloses Staatsverständnis zugrunde, könnte auch den somalischen Clans eine Staatsqualität zugestanden werden, vgl. Hans Kelsen, Allgemeine Staatslehre (Fn. 175) 147. 298 Volker Mathies, Staatsbildung und Staatsverfall am Horn von Afrika, in: Dieter H. Kollmer/Andreas Mückusch (Hrsg.), Horn von Afrika, Schöningh 2007, 141, 144. 299 Vgl. z. B. Rüdiger Schott, Rechtspluralismus und Rechtsgleichheit (Fn. 191) 45 ff. 300 Das Schicksal Barres verdeutlicht sehr plastisch die Funktionsweise des Rule of the Clan. Gelang es im Ogadenkrieg 1977 gegen Äthiopien noch alle somalischen Stämme gegen diesen gemeinsamen Gegner zu vereinen, führten die steigenden Rüstungsausgaben und Flüchtlingsströme bald zu Unzufriedenheit und schließlich 1978 zum Putschversuch gegen Barre durch Mitglieder des Unterclans der Majerteen Darod. Seine Macht versuchte er dadurch zu erhalten, dass er sich fast ganz auf seinen Unterclan, die Marehan-Darod und den Unterclan seiner Mutter, die Ogadeni-Darod stützte. In der Folge wandten sich die übrigen Clans gegen Barre und die ihn unterstützenden Unter-Clans. So gründeten etwa die Isaaq das „Somali National Movement“ und die Hawiye den „United Somali Congress“ um Barre zu stürzen. Die neutralen politischen Bezeichnungen dieser Gruppierungen verschleiern, dass sich hinter vorgeschobenen politischen Interessen in Wahrheit Loyalitätsbeziehungen des Rule of the Clan verbergen. 301 Ulf Terlinden, Clanstrukturen und ethnische Gruppen am Horn von Afrika, in: Dieter H. Kollmer/Andreas Mückusch (Hrsg.), Horn von Afrika, Schöningh 2007, 171, 178. 302 Somaliland begehrt die Anerkennung als Staat, welche ihm jedoch von der Mehrheit der Staaten verweigert wird. Unabhängig von der rein deklaratorischen Anerkennung verfügt Somaliland jedoch neben Gebiet und Territorium über eine außerordentlich effektive Staatsgewalt; vgl. James Crawford, The Creation of States, Oxford UP 2007, 413 ff.
III. Territorien und Grenzen aus dem Blickwinkel von Staaten und Nomaden
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bb) Konstitutionelle Verwebung 1991 proklamierten in Somaliland die Clanchefs unter Federführung des Somali National Movements die Unabhängigkeit. Das Rule of the Clan wurde so zum Geburtshelfer eines Staates. Auch im heutigen Zwei-Kammern-Parlament Somalilands entspricht das Oberhaus (House of Elders) dem traditionellen Ältestenrat des Clanrechts.303 Gleichzeitig ist es politischen Parteien im Unterhaus verboten, einen Clan oder eine Region zu repräsentieren. Auch im Nachbarland Dschibuti, dem ehemaligen Französisch-Somaliland, ist es in der Verfassung festgeschrieben, wie die Macht zwischen den Angehörigen der beiden Hauptclans zu verteilen ist. Fällt das Amt des Präsidenten an den Angehörigen eines Clans (z. Zt. Issa), muss der Premierminister dem anderen Clan (z. Zt. Afar) entstammen. Auch das Libyen Muammar Al Gaddafis stützte sich weitestgehend auf die Grundpfeiler des Rule of the Clan.304 cc) Institutionelle Gleichstellung „It [The African Union Department of Rural Economy and Agriculture] calls for: i. Recognition by state and local authorities of the important role of traditional pastoral leadership and structures in governance, including conflict resolution, management of land tenure and mobility, and facilitation of interactions between pastoralists and other interest groups such as crop farmers …“305
Insbesondere für ehemalige Kolonien bestand nach ihrer Entlassung in die Unabhängigkeit die Notwendigkeit, sich in die Staatengemeinschaft nach europäischer Struktur einzufügen und zu bewähren.306 Die Aufrechterhaltung der Stabilität nach innen konnte in den ehemaligen Kolonialgebieten jedoch nur gelingen, wenn den alten Strukturen, soweit sie noch erhalten waren, im neuen Staat ein entsprechender Platz eingeräumt wurde – also Hybridsysteme zugelassen wurden.307 Diesem Ansatz kam zugute, dass einige Kolonialmächte ebenfalls auf solche Hybridsysteme gesetzt hatten.308 Ein Musterbeispiel für eine solche Hybridordnung ist Kamerun: 303 Peter Pham, African Constitutionalism: Forging New Models for Multi-ethnic Governance and Self-Determination, in: Jeremy Levitt (Hrsg.), Africa: Mapping new Boundaries in International Law, Hart Publishing 2008, 183, 191 ff. 304 John Davis, Libyan Politics (Fn. 237) 40 ff. 305 AU, Policy Framework for Pastoralism in Africa (Fn. 187) 26. 306 Sundhya Pahuja, Decolonising International Law: Development, Economic Growth and the Politics of Universality, Cambridge UP 2011, 57. 307 Sabine Bernot, Verfassungsrechtliche Anerkennung indigenen Rechts (Fn. 176) 15; Günter Schönegg/Philippe Martel/Balla Sano/Salifou Noufou, Konflikte im Zusammenhang mit grenzübergreifender Transhumanz (Fn. 38) 24. 308 Martti Koskenniemi, Colonial Laws (Fn. 283) 274; die Parallelexistenz beider Systeme findet ihre Entsprechung in der Kolonialpraxis v. a. der Briten, die in ihren Kolonien ein „Dual Court System“ einführten und das „Customary Law“ der „Natives“ als Recht anerkannten, wenn dieses nicht „repugnant to natural justice, equity and morality“ war. Freilich beruhte das „Dual
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In Kamerun gilt seit 1972 das indigene Recht auf Grundlage des Rule of the Clan parallel zum staatlichen Recht.309 Die Staatsbürger Kameruns haben hier stets die Wahl entweder staatliche oder indigene Tribunale mit ihren Rechtsproblemen aufzusuchen. Die Afrikanische Union sähe diese Praxis gerne in ganz Afrika verwirklicht.310 Eine ähnliche rechtliche Inklusion des Rule of the Clan in die nationale Rechtsordnung existiert in den USA, Kanada, Australien (faktisch), Neuseeland, Kambodscha (faktisch), Indonesien, Neukaledonien, Samoa, Papua-Neuguinea, Marshall Inseln, Mikronesien, Kiribati, Palau, Vanuatu, Tuvalu, Fidschi, Osttimor, Ghana, Sierra Leone, Südafrika und Bolivien311 Kamerun hat darüber hinaus gezielt versucht die Stellung der Nomaden durch Rückgriff auf das Rule of the Clan zu stärken. Bewusst ernannte die Regierung Kameruns Söhne und Töchter von Nomaden in Positionen, in welchen diese direkt verantwortlich zeichnen für die Entwicklung und Umsetzung angemessener Maßnahmen zur Entwicklung der Viehzucht und der Förderung der Emanzipation von Nomaden.312 Andernfalls wären die Nomaden stets gegenüber sesshaften Gruppen benachteiligt gewesen, alleine, weil sie einer weiter entfernten Gruppe entstammen. Wenn eine formell-pluralistische Rechtsordnung nicht existiert, so kann das Rule of the Clan dennoch informell mit der nationalen und völkerrechtlichen Rechtsordnung verwoben sein. dd) Informelle Fortgeltung des Rule of the Clan „Ein Jurist der hergebrachten Richtung würde zweifellos behaupten, alle diese Völker hätten nur ein einziges, und zwar genau dasselbe […] Recht. Und doch könnte schon ein flüchtiger Blick davon überzeugen, dass jeder dieser Stämme in allen Rechtsverhältnissen des täglichen Lebens ganz andere Rechtsregeln beobachtet.“313
In vielen Staaten kollidieren staatliche Strukturen mit den im Clanwesen wurzelnden Loyalitätsbeziehungen.314 Die Loyalität gegenüber dem jeweils eigenen Clan spielt z. B. bei Wahlentscheidungen und Ämtervergaben eine Rolle. Wenn die verschiedenen konkurrierenden Parteien nicht politische Ausrichtungen widerspieCourt System“ der Briten v. a. darauf, wie sich die Briten indigenes Recht vorstellten, nicht jedoch darauf, wie es tatsächlich in präkolonialer Zeit gewesen sein mochte, vgl. Rüdiger Schott, Rechtspluralismus und Rechtsgleichheit (Fn. 191) 51, 53. 309 Kamerun: Anordnung Nr. 72/4 (26. August 1972). 310 AU, Policy Framework for Pastoralism in Africa (Fn. 187) 26, Strategy 1.4. 311 Sabine Bernot, Verfassungsrechtliche Anerkennung indigenen Rechts (Fn. 176) 66 ff., 144 ff., 235 ff. 312 AU, Policy Framework for Pastoralism in Africa (Fn. 187) 15. 313 Eugen Ehrlich, Das lebende Recht der Völker der Bukowina (1912), Neuabdruck in: Manfred Rehbinder (Hrsg.), Recht und Leben, Duncker & Humblot 1967, 43. 314 Paul Collier, Exodus, Immigration and Multiculturalism in the 21st Century, Penguin 2013, 239.
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geln, sondern die in dem betreffenden Staat lebenden Ethnien oder Clans315, zeigt dies, dass trotz moderner demokratischer Staatsstruktur gefühlte Loyalitätspflichten gegenüber den Angehörigen des eigenen Clans fortbestehen und sogar stärker sind als politische Meinungen. Diese Loyalitätsverpflichtungen können sich auch dadurch äußern, dass innerhalb eines Staatswesens die Mehrheit der Ämter in den Händen einer dominierenden Ethnie liegt. Die unregulierte Parallelexistenz des Rule of the Clan führt hier zu Nepotismus und der Marginalisierung von Minderheiten. Ein weiteres wichtiges Beispiel dafür, wie das Rule of the Clan informell an staatlichen Strukturen vorbeifließt, zeigt sich entlang afrikanischer Staatsgrenzen und deren faktischer Durchsetzbarkeit: Weite Teile der Bevölkerung in ganz Afrika unterscheiden heute zwischen den flexibel umgrenzten „Real Spaces“ und den staatlich festgelegten „Statutory Spaces“.316 Denn unter dem Rule of the Clan gibt es entweder keine dauerhaften Grenzen, oder wenn es welche gibt, so sind diese meist flexibel und eher wandernde Pufferzonen als scharf gezogene Linien,317 die überdies ein „Eigenleben“ führen, indem sie sich verschieben, ausdehnen und zusammenziehen.318 „… borders have a specific life resulting from their appropriation by the local populations.“319
Während die von den Staaten gezogenen Grenzen häufig bei der Bevölkerung kaum Beachtung finden, genießt das fluide „Grenz“-System der präkolonialen Vergangenheit nach wie vor faktisch große Anerkennung. Offenbar wurde dies im Verlauf der Ebola-Epidemien der Jahre 2014/2015: Während im April 2014 die Epidemie in Liberia fast eingedämmt war, grassierte sie in Guinea und Sierra Leone weiter. Grenzkontrollen wären also eine effektive Möglichkeit, um eine Rückkehr der Krankheit zu verhindern. Für die Menschen, die nahe der Grenze wohnten, existierte die Grenze jedoch faktisch nicht. So erzählte einer jener zur Sicherung der Grenze abgestellten Grenzbeamten an einer Kontrollstelle einer deutschen Journalistin: „Guinea und Liberia – wir sind eins. Weil diese Leute vieles zusammen machen. Wir sind eng miteinander verbunden. Diese Frauen da haben Verwandte in diesem Dorf. Und wenn 315
Basil Davidson, Black Man’s Burden (Fn. 189) 206; die Übergänge zwischen Clan und Ethnie sind fließend und abhängig von den zugrundegelegten Definitionen. Somalische Clans lassen sich auch unter einen weiten Ethnienbegriff subsumieren (vgl. Ulf Terlinden, Clanstrukturen und ethnische Gruppen am Horn von Afrika (Fn. 301) 171. 316 AU, From Barriers to Bridges, Collection of Official Texts on African Borders from 1963 to 2012, online unter: http://www.peaceau.org/uploads/au-1-en-2013-barriers-to-bridges.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018), 104. 317 Adekunle Ajala, Nature of African Boundaries (Fn. 242) 178 f.; Malcolm N. Shaw, Title to Territory in Africa (Fn. 242) 228, 27; Jörn Axel Kämmerer, Das Völkerrecht des Kolonialismus (Fn. 240) 49. 318 Gufu Oba, Pastoralist’s Indigenous Coping Strategies (Fn. 248) 99. 319 AU, From Barriers to Bridges (Fn. 316) 104.
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C. Nomaden in Zeit, Raum und Recht jemand dort in einem Dorf stirbt, wird jeder aus dem Dorf hier dorthin gehen, weil sie mit dem Toten verwandt sind.“320
Wenn das Rule of the Clan neben der staatlichen Rechtsordnung weitergilt, dann fließt es im besten Falle in die durch das staatliche Recht gelassenen Lücken. Bedenklicher ist es jedoch, wenn dessen faktische Geltung und überzeugendere Praktikabilität die staatlichen Normen auf faktischer Ebene verdrängt. Um eine solche Verdrängung zu vermeiden, bietet es sich von vornherein an, innerhalb der formalisierten Rechtsordnungen dem Rule of the Clan hinreichend Raum zu geben.321 ee) Notwendigkeit eines geregelten Rechtsgefüges zwischen zwei gegensätzlichen Ordnungsmodellen Die dargelegten Wege einer Verschränkung zwischen staatlicher Rechtsordnung und Rule of the Clan haben gezeigt, dass es möglich ist, beide an sich gegensätzlichen Ordnungsmodelle miteinander in Einklang zu bringen, sodass aus ihnen eine funktionierende Gesellschaft erwächst. Kamerun und Somaliland sind hierfür beispielgebend. Es zeigt sich aber auch am Beispiel Somalias, dass dem uneingehegten Rule of the Clan, für sich genommen, ein gefährliches Konfliktpotential innewohnt. Eine romantische Verklärung indigener Rechtsordnungen ist somit nicht angezeigt. Ebenso konnte aber auch dargelegt werden, dass eine unregulierte und informelle Parallelexistenz beider Ordnungen zum Scheitern verurteilt ist: Dort wo das Verhältnis zwischen Clanrecht und staatlichem Recht nicht geregelt ist, kommt es zu einer gefährlichen Kollision beider Systeme. Vetternwirtschaft und staatliche Ohnmacht bei der Bekämpfung von Epidemien sind nur zwei Folgen dieses unkontrollierten Aufeinanderprallens. Im zweiten Teil dieser Arbeit wird daher dargelegt, wie es mit Blick auf Grenzen und Wanderungen gelingen kann, durch völkerrechtliche Übereinkommen eine produktive Verschmelzung beider Gesellschaftsmodelle zu bewirken.
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Interview mit dem Beamten eines liberianischen Bezirksgesundheitsamtes „Emmanuel Dweh“, in Laura Salm, Die Angst vor der Rückkehr der Epidemie, Deutschlandradio Kultur (28. April 2015), online unter: http://www.deutschlandradiokultur.de/ebola-in-liberia-die-angstvor-der-rueckkehr-der-epidemie.2165.de.html?dram:article_id=318195 (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 321 Ian Scoones, New directions (Fn. 16) 30; Jeremy Swift, Dynamic ecological systems and the administration of pastoral development, in: Ian Scoones (Hrsg.), Living with Uncertainty: New directions in pastoral development in Africa, Intermediate Technology Publications 1995, 153 ff., der auf Seite 166 ein entsprechendes System skizziert.
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3. Zwei Ordnungsmodelle im Konflikt „Territorial Borders as we know them, are as new as the idea of persons belonging to states, which, however neatly described in international law books, has never (and could never) become a perfect reality in practice.“322
Die vorangegangenen Abschnitte haben gezeigt, wie es zu zwei völlig verschiedenen und miteinander in Konflikt stehenden Sichtweisen auf Territorien und Grenzen kam. Auf der einen Seite entwickelte sich der territorial radizierte Staat, dessen heute gültige Definition darauf aufbaut, dass ihm ein klar umrissenes Staatsgebiet zur souveränen Verfügung steht.323 Demgegenüber stehen auf der anderen Seite clanrechtlich organisierte Gemeinschaften, die aufgrund ihrer genealogischen Radizierung solche territorialen Bezüge nicht benötigen.324 Sobald diese Gemeinschaften in Gebieten leben, deren unberechenbares Klima und karge Flora keine dauerhaft sesshafte Lebensführung erlauben, sind sie darauf angewiesen, die von ihnen zu nutzenden Territorien und Wasserläufe stets flexibel neu zu verhandeln. Eine möglichst effektive Ressourcennutzung baut darauf auf, dass Völker mit verschiedenen Lebensgrundlagen zu verschiedenen Zeiten auf ein und dieselbe Ressource zurückgreifen können: Ein zunächst von einem Volk zum Ackerbau genutztes Feld kann nach der Ernte von den Rindern eines anderen Volkes abgegrast werden – Rindern, die bestimmte Pflanzenarten verschmähen, sodass diese im Anschluss für die Beweidung eines dritten ziegenhaltenden Volkes zur Verfügung stehen. Unterdessen mag ein viertes Volk dasselbe Gebiet zur Jagd und ein fünftes zum Fischfang nutzen.325 Sofern versucht wurde, in jenen Gebieten, deren Ressourcen keine Sesshaftigkeit erlauben, funktionierende mit territorialer Souveränität und festen Grenzen ausgestattete Staatswesen zu etablieren, geraten diese mit dem gegensätzlichen aber klimatisch notwendigen Ordnungsmodell des Rule of the Clan in Konflikt. Es liegt nahe, dass dieses Konfliktverhältnis zur Schwächung mindestens eines der beiden Gesellschaftsmodelle führt: „… la crise de l’action publique en Afrique ne doit pas être considérée comme un phénomène conjoncturel car elle dure depuis des décennies. Ses causes doivent être recherchées dans le fondement même de la puissance publique qu’est l’État tel qu’il a été pensé et construit en Afrique après la décolonisation.“326
322 Dimitry Kochenov, The Right to leave any Country including your own in International Law (2012 – 2013) Connecticut JIL, 43, 45. 323 James Crawford, Creation of States (Fn. 302) 46. 324 Mark S. Weiner, The Rule of the Clan (Fn. 6) 57 ff. 325 Günter Schönegg/Philippe Martel/Balla Sano/Salifou Noufou, Konflikte im Zusammenhang mit grenzübergreifender Transhumanz (Fn. 38) 10. 326 Ousmane Sy, Reconstruire l’Afrique (Fn. 207) 152 „… die Krise des öffentlichen Handelns in Afrika darf nicht als ein konjunkturelles Phänomen betrachtet werden, weil sie schon seit Jahrzehnten andauert. Ihre Gründe müssen sogar bei den Grundlagen der öffent-
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Diese These des ehemaligen malischen Ministers Ousmane Sy wird durch die Empirie untermauert: Auf dem Fragile State Index des Fund for Peace des Jahres 2015 handelt es sich bei den 11 zerfallensten Staaten um solche, deren Landschaftsbild durch Nomaden zumindest mitgeprägt ist.327 Von den 65 Staaten weltweit, die von Staatszerfall betroffen sind oder in denen diesbezüglich eine „high warning“ besteht, weisen nur elf keinerlei wandernde Populationen auf.328 Auch umgekehrt tragen die staatliche Verwaltung und Rechtsprechung zur Schwächung der traditionellen Autoritäten bei.329 Der Konflikt zwischen dem Bedürfnis nach weiträumigen Wanderungen und der territorial radizierten staatlichen Ordnung ist freilich nicht zwingend dem Staatskonzept innewohnend, denn mittels verschiedener Mechanismen ist es möglich, auch über Grenzen hinweg willkürlich zerteilte landwirtschaftliche Räume zu erhalten. Im Folgenden wird daher die Durchlässigkeit der Grenzen für eine landwirtschaftliche und insbesondere nomadische Nutzung (soweit vorhanden) näher thematisiert. 4. Ziehung und Durchlässigkeit von Grenzen in Europa und Übersee Wie dargelegt, entwickelte sich das Konzept der Grenzen in Europa.330 Die Freizügigkeit über diese Grenzen galt jedoch lange als naturrechtlich unumstößlicher Grundsatz: Sowohl Francisco de Vitoria331 als auch Hugo Grotius332 und John Selden333 sowie Immanuel Kant334 und Emer de Vattel335 akzeptierten eine Grenzschließung, wenn überhaupt, dann nur unter strengsten Ausnahmevoraussetzungen. Die Selbstverständlichkeit der offenen Grenzen begann erst im Zeitalter des Absolutismus zu erodieren. In der Vorstellung der „von Gott eingesetzten Fürsten“, die für ihr Volk sorgten, waren größere Bevölkerungsbewegungen undenkbar.336 Weitlichen Gewalt, wie sie nach der Dekolonisation gedacht und konstruiert wurde, gesucht werden.“ (Übersetzung des Verfassers). 327 J. J. Messner (Hrsg.), Fund for Peace Fragile State Index 2015, online unter: http://lib rary.fundforpeace.org/library/fragilestatesindex-2015.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018), 7. 328 Ebd., 7. 329 Rüdiger Schott, Rechtspluralismus und Rechtsgleichheit (Fn. 191) 56. 330 A.A. Daniel Erasmus Khan, der der Auffassung ist, Grenzen hätte es schon immer und überall gegeben (Daniel Erasmus Khan, Territory and Boundaries, (Fn. 170) 226 f.); vgl. in diese Richtung auch Anthony Allot, Boundaries and the Law (Fn. 236) 10. 331 Francisco de Vitoria, De Indis (Fn. 165) 3. Teil, Nr. 2. 332 Hugo Grotius, Krieg und Frieden (Fn. 168) Erster Band, Buch II, Kapitel II, XIII. 333 John Selden, Mare Clausum: Seu de Dominio Maris Libri Duo, Buch I, Kapitel XX, zuerst erschienen 1635, verwendet in der Übersetzung von J. H. Gent, Andrew Kembe & Edward Thomas 1663, 124. 334 Immanuel Kant, Zum Ewigen Frieden (Fn. 168) 341, 357 f. 335 Emer de Vattel, Le droit des gens (Fn. 124) Buch 2, Kapitel IX, § 123. 336 Klaus Rosen, Die Völkerwanderung, C. H. Beck 2002, 109 f.
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gehend geschlossen wurden die europäischen Grenzen erst mit dem Ersten Weltkriege.337 a) Ziehung von Grenzen in Europa nach dem Ersten Weltkrieg unter Zugrundelegung des Selbstbestimmungsrechts der Völker „The state frontier is that line which marks the limits of the region within which the State can exercise its own sovereign right.“338
Die Erstarkung der Grenzen zu diesen starren und die Souveränität der Staaten scheidenden Linien vollendete sich in Europa zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Dies wurde möglich durch eine größtenteils sesshafte Bevölkerung, die aufgrund des günstigen und stetigen europäischen Klimas keine Notwendigkeit verspürte, weite Räume zu durchstreifen. Hervorgegangen waren die so geschaffenen Staatsgebiete aus den Herrschaftsbereichen souveräner Fürsten. Diesen war es in den Jahrhunderten zuvor gelungen, durch Kriegs- und Heiratspolitik immer größere Territorien unter ihren Zeptern zu vereinen. Einer der beeindruckendsten dieser zusammengeheirateten Staaten war das Vielvölkerreich Österreich-Ungarn: „Bella gerant alii, tu felix Austria nube. Nam quae Mars aliis, dat tibi diva Venus.“339
Die in Europa entstandenen Staatsgebiete hatten also weder eine funktionale noch eine nationale Grundlage, sondern waren in ihrer Gestalt und Größe allein dem Machtwillen und der diplomatischen, kriegerischen oder „amourösen“ Geschicklichkeit ihrer Herrscherdynastien zu verdanken. Hätte Europa eine vornehmlich nomadische Bevölkerung gehabt, wäre es schwer gewesen, diese künstlichen Gebilde gegen den Willen der Bevölkerung am Leben zu erhalten. Die sesshaften Völker Europas jedoch verspürten keinen Drang, ihrer Heimat den Rücken zu kehren. Um die Identifikation dieser Völker mit den sich herausbildenden Staaten zu stärken, erzeugten die jeweiligen Herrscher, Studenten und Intellektuellen v. a. im 19. Jahrhundert Nationalmythen340 und stellten zu diesem Zweck die Geschichtsund Sprachwissenschaften in ihre Dienste.341 337 Christoph Möllers/Jürgen Bast, Dem Freistaat zum Gefallen (Fn. 171); Andreas Fahrmeier, Migrationskontrolle im 19. Jahrhundert (Fn. 169) 125. 338 Vittorio Adami, National Frontiers in Relation to International Law, Oxford UP 1927, 3. 339 Sprichwort aus dem Barock in Anlehnung an Ovid’s Heroides: „Kriege führen andere. Du glückliches Österreich heirate. Was Mars den anderen gibt, schenkt Dir Venus.“ (abgedruckt z. B. bei Benedict Anderson, Die Erfindung der Nation – Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, Campus Bibliothek 2005, 28. 340 Vgl. etwa den Ausspruch Massimo d’Azeglios: „Wir haben Italien geschaffen, jetzt müssen wir Italiener schaffen.“ Oder auch Marschal Pilzudskis: „Der Staat macht die Nation, nicht die Nation den Staat.“ Beide zitiert bei Eric J. Hobsbawm, Nationen und Nationalismus (Fn. 125) 58; vgl. auch Karl R. Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, in der Ausgabe von Hubert Kiesewetter, Mohr Siebeck 2003, Bd. 2, 61. 341 Patrick J. Geary, Europäische Völker (Fn. 144) 25 f.
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Das 1871 durch Bismarck342 geeinte Deutsche Reich war z. B. zuvor in viele Herrschaftsbereiche zersplittert gewesen. Erst Gottlieb Fichte überwölbte diese mit dem Mythos einer germanischen Nation, die durch eine territoriale Kontinuität und sprachliche Einheit geprägt sei.343 Die Idee, anhand von Sprache „Urvölker“ und Nationen bestimmen zu können, breitete sich von deutschen Universitäten schnell in die Welt aus.344 In Folge dessen wurden große Sprachgruppen und fließende Dialektübergänge radikal in unterschiedliche Sprachen zerlegt, welche den real gesprochenen und geschriebenen Sprachen (ein Bruchteil der Bevölkerung konnte überhaupt schreiben345) nur selten entsprachen.346 Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts sprachen z. B. kaum 50 % der Franzosen Französisch,347 2,5 % der Italiener Italienisch348 und das gesprochene Deutsch zwischen Kiel und Klagenfurt ist noch heute alles Andere als eine einheitliche Lingua franca.349 Dem wurde durch die Erfindung von offiziellen Sprachversionen und deren Vermittlung in staatlichen Erziehungseinrichtungen abgeholfen:350 Die in verschiedenen Dialekten bestehende holländische Sprache wurde normiert, die provenzalischen Dialekte abgeschafft, Rumänen und Slawen in Ungarn gezielt umerzogen351 und Norwegen dachte sich gar eine ganz neue Kunstsprache aus.352 Durch die hoheitliche Erhebung bestimmter Idiome zu offiziellen Amtssprachen wurden 342
Bismarcks Realpolitik hatte ihre theoretische Grundlage in den Grundsätzen der Realpolitik von Ludwig August von Rochau. Dieser legte hierin die Notwendigkeit eines Nationalbewusstseins dar: „Nur das Staatsleben ist gesund und der höchsten Blüthe und Dauer fähig, welches vom Nationalgeiste durchdrungen und getragen wird […] Die wesentlichen Bestandtheile der Nationalität oder der Gesamtpersönlichkeit des Volks sind die gemeinschaftliche Abstammung und Sprache. […] Damit aber die Volksindividualität sich vollende, damit der Begriff der Nationalität zu seiner vollen politischen Bedeutung gelange, muss noch ein Drittes und Viertes hinzukommen: Die Gemeinschaft der politischen Geschichte […] und ein zusammenhängendes und möglichst abgerundetes Gebiet.“ (vgl. Ludwig August von Rochau, Grundsätze der Realpolitik (Fn. 203) 15 f.). 343 Patrick J. Geary, Europäische Völker (Fn. 144) 35. 344 Ebd., 40. 345 Eric J. Hobsbawm, Nationen und Nationalismus (Fn. 125) 61. 346 Patrick J. Geary, Europäische Völker (Fn. 144) 41. 347 Ebd., 42; Eric J. Hobsbawm, Nationen und Nationalismus (Fn. 125) 75. 348 Eric J. Hobsbawm, ebd., 75; Hartmut Kaelble, Das europäische Selbstverständnis im 19. und 20. Jahrhundert, in: Petra Deger/Robert Hettlage (Hrsg.), Der europäische Raum – die Konstruktion europäischer Grenzen, VS Verlag für Sozialwissenschaften 2007, 167, 170. 349 Eric J. Hobsbawm, ebd., 66. 350 Patrick J. Geary Europäische Völker (Fn. 144) 4; die offensichtlichsten Zeugnisse dieser erfundenen Sprachen in Europa sind Ukrainisch, Bulgarisch, Serbisch, Kroatisch, Slowenisch, Lettisch, Hebräisch, Norwegisch, Irisch, Holländisch, Rumänisch, aber auch Deutsch und Italienisch. Und auch das Französische wurde durch staatlichen Druck von einer Minderheitensprache zur offiziellen Amtssprache einer „Nation“; vgl. auch Eric J. Hobsbawm, ebd., 76. 351 Patrick J. Geary, ebd., 42. 352 Eric J. Hobsbawm, Nationen und Nationalismus (Fn. 125) 69.
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die Herrschaftsgrenzen allmählich zu Sprachbarrieren und schließlich Nationalgrenzen.353 In einem zweiten Schritt verglichen Philologen die geschaffenen Einheitssprachen mit frühmittelalterlichen Mundart-Schriften und ermöglichten eine Rückprojektion der modernen Staaten auf germanische, hellenische oder slawische Urvölker.354 So konnten die Ursprünge des deutschen Volkes ins 8. Jahrhundert, die des französischen ins 9. und die des armenischen sogar bis ins 6. Jahrhundert rückdatiert werden.355 Die auf diese philologischen Ergebnisse aufbauende Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts vervollständigte die Rückdatierung der europäischen Nationen schließlich bis ins 3. Jahrhundert, die Zeit des Zerfalls des römischen Reiches. „In jenen fernen Zeiten seien die Vorfahren der modernen Nationen mit ihren Nationalsprachen, […] in Europa aufgetaucht, um ein für allemal ihre geheiligten und unveränderbaren Territorien zu erobern …“356
Hierbei begingen die Historiker des 19. Jahrhunderts jedoch den Fehler, anzunehmen, dass eine Verschränkung von Herrschaft, Ethnie und Territorium bereits im frühen Mittelalter vorhanden gewesen sei.357 In Wahrheit sprachen die Eliten oft andere Sprachen als das Volk – ohne dass dies zu politischen Problemen geführt hätte358 – und in den Städten herrschte ein buntes Sprachengewirr. Ein in einem Grab gefundenes keltisches Schwert vermochte ebenso wenig Auskunft über die Herkunft seines Trägers zu geben, wie heute ein Hyundai auf einem französischen Schrott-
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Vgl. zur Bedeutung einer gemeinsamen Sprache als Anleitung für die Schmiedung einer Nation, Ludwig August von Rochau 1853: „Die Nationalität kommt gewöhnlich nicht in ihrer ganzen Reinheit und Vollendung zur staatlichen Erscheinung, weil die dazu erforderlichen geschichtlichen, politischen und territorialen Bedingungen selten sämmtlich und in vollem Maße vorhanden sind. Die unentbehrlichste derselben ist jeden Falls die gemeinschaftliche Sprache, welche nicht nur das Familienbewusstsein des Volkes in jedem einzelnen Mitgliede desselben fortwährend lebendig erhält, sondern auch die etwa vorhandenen Verschiedenheiten der Abstammung und der Naturanlage mehr oder weniger auszugleichen im Stande ist, und deren verbindende Kraft beinahe immer über die politischen Gränzen, wie scharf und wie tief sie auch gezogen seien, hinausreicht. Die gemeinschaftliche Geschichte mag unter Umständen ein Surrogat für die gemeinschaftliche Sprache werden, aber niemals ein wahrer Ersatz, und die Politik hat von jeher den größten Werth darauf gelegt die herrschende Sprache zur allgemeinen zu machen, weil sie begriff oder doch fühlte, daß ein Besitz, der nicht durch das Band der Sprache festgehalten wird immer ein unsicherer, und gewissermaßen nur ein vorläufiger sei.“ (Ludwig August von Rochau, Grundsätze der Realpolitik (Fn. 203) 16); vgl. auch Benedict Anderson, Die Erfindung der Nation (Fn. 339) 76 ff. 354 Patrick J. Geary, Europäische Völker (Fn. 144) 43. 355 Ebd., 43. 356 Ebd., 44. 357 Ebd., 49. 358 Eric J. Hobsbawm, Nationen und Nationalismus (Fn. 125) 60 f.
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platz. In Wahrheit hatte es nämlich zu keinem Zeitpunkt in Europa eine ethnische Geschlossenheit und territoriale Kontinuität der Völker gegeben.359 Dennoch ließ sich – so schien es – die territoriale Herkunft eines Volkes ermitteln und diesem archäologische Artefakte zuordnen, welche den Weg des jeweiligen Volkes aus dessen Herkunftsregion in die römische Welt nachzeichneten.360 Politisch wurden im 19. und 20. Jahrhundert die Ergebnisse dieser Ethnoarchäologie in Gebietsansprüche umgemünzt. Denn musste nicht alles dem deutschen Volke gehören, was einst Heimat der germanischen Völker war und mussten nicht alle slawischen Völker unter einer gemeinsamen Herrschaft vereint sein?361 Andere Staaten schufen ihren Nationalmythos nicht aus einer gemeinsamen Sprache, sondern aus historischen Schlüsselereignissen, wie dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, dem Rütli-Schwur oder der Französischen Revolution. Auch hier war es jedoch nicht die Nation, die sich zu einem Staat mit definierten Grenzen zusammenschloss, sondern ein Staatsvolk innerhalb existierender oder historischer Grenzen, in deren Herzen und Köpfen ein Nationalbewusstsein wuchs – oder besser gepflanzt wurde – indem auch hier die historische Gesellschaft in eine Abstammungsgesellschaft umgedeutet wurde.362 Die Schrecken des 20. Jahrhunderts ließen letztlich die Illusion reifen, Sprache und Ethnizität sei kartographierbar363 und jede Nation habe ein Recht auf ein eigenes „Stammes“-Gebiet. Von Wodrow Wilson und Vladimir Iljitsch Lenin schließlich ging die Forderung aus, dass zur langfristigen Befriedung des europäischen Kontinents jedes „Volk“ seinen eigenen Staat haben solle – das Selbstbestimmungsrecht der Völker war geboren.364 aa) Neuaufteilung Europas unter dem Banner des Selbstbestimmungsrechts der Völker „Wenn es einen Zeitpunkt gab, da das ,Nationalitätsprinzip‘ des 19. Jahrhunderts triumphierte, dann am Ende des Ersten Weltkriegs …“365 359
Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt (Fn. 128) 31. Patrick J. Geary, Europäische Völker (Fn. 144) 46. 361 Ebd., 46. 362 John E. E. D. Acton, Nationality in: John E. E. D. Acton/J. Rufus Fears (Hrsg.), Essays in the History of Liberty, Selected Writings, Bd. 1, Liberty Fund 1985, 409, 415; zum kulturellen Homogenisierungsprozess innerhalb der Staaten, durch den die Nationen erzeugt wurden, vgl. auch: Mathias Bös, Ethnizität und Grenzen in Europa, in: Petra Deger/Robert Hettlage (Hrsg.), Der europäische Raum – die Konstruktion europäischer Grenzen, VS Verlag für Sozialwissenschaften 2007, 49, 59. 363 Patrick J. Geary, Europäische Völker (Fn. 144) 50. 364 Milena Sterio, The Right to Self-Determination in International Law, Routledge 2013, 1; Laurence S. Hanauer, The Irrelevance of Self-Determination Law to Ethno-national Conflict: A New Look at the Western Sahara Case (1995) Emory ILR, 133. 365 Eric J. Hobsbawm, Nationen und Nationalismus (Fn. 125) 155. 360
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Das politische Prinzip, wonach politische und nationale Einheiten deckungsgleich sein sollten, wird als Nationalismus366 bezeichnet.367 Während jedoch im Verlaufe des 19. Jahrhunderts der Weg gegangen wurde, aus Staaten Nationen zu schmieden,368 wählte man nach dem Ersten Weltkrieg die umgekehrte Richtung: Nun sollten die als Völker verstandenen Nationen über die Territorien ihrer Staaten bestimmen. Zu diesem Zwecke wurden die Grenzen Europas nach dem Ersten Weltkrieg – vielfach unter Beteiligung der betreffenden Völker mittels Volksabstimmung369 – neu gezogen. Der ehemalige Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn wurde aufgeteilt. Polen kehrte nach 123 Jahren als Staat in die Völkergemeinschaft zurück370 und das Deutsche Reich verlor die nordschleswigschen Kreise an Dänemark. Bei den Abstimmungen zur genauen Bestimmung des Grenzverlaufs zeigte sich indes, anders als erwartet, dass sich die abstimmenden Bevölkerungsteile bezüglich ihrer bevorzugten Staatszugehörigkeit nicht immer an der von ihnen gesprochenen Sprache oder Volkszugehörigkeit orientierten: Obwohl die Mehrheit der Masuren das als polnische Mundart geltende Masurisch sprach, entschieden sich hier 97,9 % für einen Verbleib bei Deutschland. Auch im mehrheitlich polnischsprachigen Kreis Kreuzburg (Kluczbork) in Oberschlesien votierten 96 % der Wähler für Deutschland.371 Diese Ergebnisse zeigen, dass die Idee, Nationen in feste Territorien auf Karten zu bannen illusorisch war.372 Insbesondere in Grenznähe hatten sich die Sprachgemeinschaften durchmischt und jahrhundertelang in friedlicher Koexistenz mitein366 Beachte, dass das deutsche Wort „Nation“ und das englische „nation“ nicht zu 100 % bedeutungsgleich sind. Während die Deutsche „Nation“ eher auf eine identitäre Gemeinschaft abstellt, ist die englische „nation“ eher dem Staat angenähert, wie dies etwa am Ausdruck „United Nations“ deutlich wird. Indem der französische Nationalmythos wiederum im Wesentlichen von der Bürgerschaft der Französischen Revolution getragen wird, entspricht die französische Bedeutung der „nation“ eher dem, was im vorangegangenen Kapitel als „Civitas“ oder „Populus“, also als eine konstitutionelle Einheit bezeichnet wurde, vgl. Eric J. Hobsbawm, Nationen und Nationalismus (Fn. 125) 25 ff. 367 Eric J. Hobsbawm, ebd., 20; Ernest Gellner, Nationalismus und Moderne, Rotbuch 1991, 8; John Breuilly, Nationalism and the State, Manchester UP, 3. 368 Eric J. Hobsbawm, ebd., 97 ff. 369 Zur Praxis dieser Volksabstimmungen und dazu, wie diese tatsächlich den Volkswillen wiederzuspiegeln vermochten, Gregor Ploch, Die Volksabstimmungen nach dem Ersten Weltkrieg, in: Gilbert H. Gornig/Hans-Detlef Horn/Dietrich Murswiek (Hrsg.), Das Selbstbestimmungsrecht der Völker – eine Problemschau, Duncker und Humblot 2013, 45. 370 Victor Kattan, To consent or revolt? – European public law, the three partitions of Poland (1772, 1793, and 1795) and the birth of national self-determination (2015) JHIL, 247; Thorsten Möllenbeck, „Wir geben das Land unserer Väter nicht preis“. Polens prekäre Grenzen und ihre Rolle bei der Konstruktion nationaler Identität im europäischen Einigungsprozess, in: Petra Deger/Robert Hettlage (Hrsg.), Der europäische Raum – Die Konstruktion europäischer Grenzen, VS Verlag für Sozialwissenschaften 2007, 87, 89. 371 Zur Auswertung vgl. Gregor Ploch, Die Volksabstimmungen nach dem Ersten Weltkrieg (Fn. 369) 51 ff. 372 Thorsten Möllenbeck, „Wir geben das Land unserer Väter nicht preis“ (Fn. 370) 104.
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ander gelebt.373 Eine exakte Grenzziehung entlang der individuellen Vorlieben hätte zu zahlreichen En- und Exklaven beiderseits der Grenzen geführt. Noch deutlicher wird dies am Beispiel Nordschleswigs: Auf Druck Dänemarks wurde die mehrheitlich von Deutschen bewohnte Stadt Flensburg – das kulturelle und wirtschaftliche Zentrum Nordschleswigs – aus der nördlichen Abstimmungszone ausgeklammert um ein pro-dänisches Abstimmungsergebnis dort nicht zu gefährden. Erwartungsgemäß votierten fast 75 % der nördlichen Abstimmungszone für einen Anschluss an Dänemark und 75 % der Flensburger für die Zugehörigkeit zu Deutschland und schnitten so die Region von ihrem wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum ab. Besonders hart traf dies die immerhin zu 40 % deutsche ländliche Bevölkerung des Landkreises Flensburg. Im Umland von Tøndern musste sogar eine 70 %ige deutsche Bevölkerungsmehrheit hinter den Interessen der dänischen Gesamtmehrheit in der nördlichen Abstimmungszone zurücktreten. Mit der Übertragung der völkerrechtlichen Souveränität über Nordschleswig an Dänemark im Pariser Vertrag vom 5. Juli 1920374 wurden nunmehr Landkreise in einer Weise zerschnitten, welche die Ländereien einzelner Bauern zerteilten und diese von den wirtschaftlichen Absatzmöglichkeiten in den großen Städten abschnitten. Diese Situation widersprach der Idealvorstellung von einer territorial homogenen Nation und bedurfte einer völkerrechtlichen Lösung. Eine Möglichkeit wäre es gewesen, seitens der Staaten auf die neuen Grenzen durch Enteignungen und Ausweisungen zu reagieren, was allerdings schon damals völkerrechtswidrig gewesen wäre, wie der StIGH nur wenig später festzustellen Gelegenheit hatte: Im Falle „certain questions relating to settlers of German origin in the territory ceded by Germany to Poland“375 hatte er sich nämlich mit der Frage zu befassen, ob deutsche „Kolonisten“ einen Anspruch auf Auflassung diverser Höfe gegen den polnischen Staat hatten, nachdem sie mit dem Deutschen Reich „Rentengutsverträge“376 abgeschlossen und abbezahlt hatten. Der StIGH entschied: „Private rights acquired under existing law do not cease on a change of sovereignty. No one denies that the German Civil Law, both substantive and adjective, has continued without interruption to operate in the territory in question. It can hardly be maintained that, although the law survives, private rights acquired under it have perished. Such a contention is based on no principle and would be contrary to an almost universal opinion and practice.“377
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Eric J. Hobsbawm, Nationen und Nationalismus (Fn. 125) 60 f. Dänemark ./. Frankreich, Italien, Japan, Großbritanien, USA, Treaty between the Principal Allied Powers and Denmark with regard to Slesvig (5. Juli 1920) 2 LNTS 46. 375 StIGH, Advisory Opinion No. 6 (Deutschland ./. Polen) on certain questions relating to settlers of German origin in the territory ceded by Germany to Poland (10. September 1923) 36. 376 Bei einem Rentengutsvertrag leistet der Käufer eines Gutes eine Anzahlung. Für den Rest des Kaufpreises gewährte das Deutsche Reich einen Kredit. Gebunden war dieser an die Auflage der Urbarmachung, Selbstbewirtschaftung und -Bewohnung der Güter. 377 StIGH, Advisory Opinion No. 6 (Deutschland ./. Polen) on certain questions relating to settlers of German origin in the territory ceded by Germany to Poland (10. September 1923) 36. 374
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Im „Land, Island and Maritime Frontier Dispute“378 sowie im Grenzstreit zwischen Benin und Niger379 bestätigte später auch der IGH diese Rechtsprechung. Durch das Urteil des StIGH wurde v. a. die völkergewohnheitsrechtliche Geltung des Grundsatzes der Fortgeltung ziviler Rechte bei Souveränitätswechsel bestätigt. Denn mit der Formulierung „an almost universal opinion and practice“380 bezieht sich der StIGH unmittelbar auf die beiden Bestandteile des Völkergewohnheitsrechts. Der vom StIGH aufgestellte und durch den IGH bestätigte völkergewohnheitsrechtliche Grundsatz der Unantastbarkeit ziviler Eigentumsrechte bei Souveränitätswechsel besagt allerdings noch nichts über die Zugänglichkeit der betreffenden landwirtschaftlichen Güter. Vielmehr muss zwischen einem völkerrechtlich geschützt fortbestehenden Eigentumsrecht und einem Zutrittsrecht zu den jeweiligen Besitzungen über Staatsgrenzen hinweg differenziert werden. Im vom StIGH entschiedenen Fall befanden sich die Rentengüter komplett auf polnischem Territorium, was Fragen der Durchlässigkeit von Grenzen obsolet machte. Wie war aber zu verfahren, wenn ein österreichischer Gutsherr Güter in Ungarn besaß? Musste ein schleswigscher Bauer, dessen Weiden unmittelbar von der neuen Grenze durchschnitten wurden, diese nun entzweiteilen? Konnte die seit 6000 Jahren stattfindende Transhumanz mit tausenden Schafen über den Alpenhauptkamm zwischen österreichischem Ötztal und nun italienischem Schnalstal381 weiterhin durchgeführt werden? bb) Gewährung eines Grenzübertrittsrechts für Landwirte und Hirten, um die effektive Nutzung von Eigentum jenseits der Grenze sicherzustellen In den Jahren nach dem ersten Weltkrieg schlossen die europäischen Staaten aufgrund der unter Zugrundelegung des Selbstbestimmungsrechts der Völker erfolgten territorialen Neuordnung des Kontinents eine Vielzahl Verträge zur Regelung 378 IGH, Land, Island and Maritime Frontier Dispute (El Salvador ./. Honduras) Judgment (11. September 1992) ICJ Rep 1992, 351, Rn. 66. 379 IGH, Frontier Dispute (Benin ./. Niger) Judgment (12. Juli 2005) ICJ Rep 2005, 90, Rn. 118. 380 StIGH, Advisory Opinion No. 6 (Deutschland ./. Polen) on certain questions relating to settlers of German origin in the territory ceded by Germany to Poland (10. September 1923) 36. 381 Thomas Schmarda, Der Schafabtrieb im Ötztal, online unter: https://www.naturpark-oetz tal.at/fileadmin/userdaten/PDF_Logo/Pflanzen_Tiere_Lebensräume/schafabtrieb.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018); 2011 wurde die grenzüberschreitende Transhumanz zwischen Schnalstal und Venter Tal wurde in die österreichische Liste zum immateriellen UNESCO-Kulturerbe der Menschheit aufgenommen. Das Bemerkenswerte hieran ist das grenzüberschreitende Element der Aufnahme: Eine spezielle Form der Landwirtschaft italienischer Bauern erhält in Österreich den Schutz als kulturelles Erbe. Die verantwortliche Referentin für das Immaterielle Kulturerbe der Österreichischen UNESCO-Kommission betonte, dass das grenzüberschreitende Element zwar nicht das Hauptkriterium für die Aufnahme war, aber doch als positiver Nebenaspekt wahrgenommen wurde. (Korrespondenz mit Mag. Maria Walcher, Referentin für das Immaterielle Kulturerbe der Österreichischen UNESCO-Kommission, durchgeführt per e-mail am 23. September 2014).
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der Grenzübertrittsrechte von Bauern, deren Ländereien nun einer anderen Souveränität unterstanden als zuvor. Die entsprechenden Grenzverträge trafen detaillierte Regelungen über die Modalitäten, unter denen Landwirte und insbesondere Viehhirten ihre nun ausländischen Besitzungen weiter erreichen konnten. So finden sich in bilateralen Handelsverträgen Sonderbestimmungen für die grenzüberschreitende Weidenutzung: Der Handelsvertrag zwischen dem Königreich Ungarn und dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen vom 24. Juli 1926382 schreibt beispielsweise Folgendes vor. Im Art. 4 des Annex A heißt es: „Livestock (oxen, sheep, goats, horses, pigs) driven from the frontier zone of either Contracting Party into the territories of the other for pasturage shall be admitted free of all Customs duties and all charges on import and export on condition that they are returned within a previously fixed period, which shall not exceed six months.“
In einem Abkommen zwischen Dänemark und Deutschland aus dem Jahr 1922,383 welches durch die Abtretung der nordschleswigschen Kreise an Dänemark nötig wurde, wurde festgelegt: „1. Der Weidegang von Pferden, Rindern, Schafen und Ziegen wird wechselseitig im Kleinen Grenzverkehr zugelassen für eine Zone von 6 km nördlich und südlich der Grenze und umfasst auch die Gemarkungen der Gemeinden in vollem Umfange, welche nur zum Teil in diese Zone hineinragen.“
Der enge 6 km-Raum stellte eine gravierende Einschränkung für die Bauern beiderseits der Grenzen dar. Der Vertrag zwischen Deutschland und Dänemark gewährte kein grundsätzliches Freizügigkeitsrecht für Viehbauern, sondern ermöglichte lediglich ein Zutrittsrecht im kleinen Rahmen für einen eng umgrenzten Personenkreis, um die Bedingungen für eine effektive Nutzung des völkerrechtlichen Eigentums herzustellen. So legte Absatz 2 fest: „2. Die Besitzer des Viehs müssen nachweislich vor dem 23. Oktober 1920 das zu beweidende Land im Eigentum oder Nutzung gehabt haben. Die ihnen gewährten Vergünstigungen stehen auch ihren Rechtsnachfolgern zu.“
Ähnliche Regelungen musste Deutschland auch mit Österreich treffen, allerdings kam es hier erst 1930 zu einem Vertragsabschluss.384 Mit Polen einigte Deutschland sich 1931 dahingehend, dass grenznahen Bewohnern sogar unabhängig von historischen Rechtspositionen Grenzausweise ausgestellt wurden, welche zum erleichterten und im gewissen Rahmen zollfreien Grenzverkehr an bestimmten Grenzübergangsstellen und zu bestimmten Tageszeiten berechtigten. Für Landwirte wurden die Grenzübertrittsrechte in Art. 8 II und 9 II des entsprechenden Vertrages 382 Ungarn ./. Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, Treaty of Commerce, with Final Protocol and Additional Protocol (24. Juli 1926) 97 LNTS 2222. 383 Deutschland ./. Dänemark, Abkommen zwischen Deutschland und Dänemark über die Regelung des Weideverkehrs an der Dänisch-Deutschen Grenze (10. April 1922) 29 LNTS 730. 384 Deutschland ./. Österreich, Agreement concerning Minor Frontier Traffic (21. April 1930) 115 LNTS 2692.
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über den kleinen Grenzverkehr385 sogar dahingehend erweitert, dass diese auch jenseits der offiziellen Grenzübergangsstellen und außerhalb der vorgeschriebenen Zeiten die Grenzen überqueren konnten: „Art. 8 (2): Der Grenzübertritt an anderen als den allgemein amtlich zugelassenen Grenzübergangsstellen kann für die Bedürfnisse der Land- und Forstwirtschaft, für die Ausübung der Jagd und Fischerei, für den Weidebetrieb, Binsenschnitt und Torfstich sowie in sonstigen berücksichtigenswerten Fällen gestattet werden. Die hierzu erforderlichen Grenzübergänge sind durch die beiderseitigen zuständigen Verwaltungs- und Zollbehörden gemeinsam nach Anhörung der Beteiligten unter Berücksichtigung der tatsachlichen wirtschaftlichen Bedürfnisse zu bestimmen.“
Während dieser Vertrag nur eine Kann-Bestimmung für erweiterte Grenzübertrittsrechte für Landwirte enthält, ist ein die Beziehungen zwischen Saarländern und Franzosen regelndes Protokoll verbindlicher.386 Darin heißt es: „Art. 6: Die auf Grundeigentum beruhenden Jagdrechte bleiben aufrecht erhalten. Desgleichen bleiben die bestehenden und nachweisbaren Forstnutzungsrechte der Gemeinden […], das Weiden von Vieh oder ähnliche Rechte in Kraft.“ „Art. 14: Bewohner der Grenzbezirke, die von ihrer in dem einen Grenzbezirk belegenen Betriebsstätte aus ihre im anderen Grenzbezirk liegenden land- und forstwirtschaftlichen Grundstücke bewirtschaften, dürfen frei von Zöllen und sonstigen Abgaben sowie von Einund Ausfuhrverboten folgende Erzeugnisse und Gegenstände auf ihr eigenes Besitztum einoder ausführen: […] 3. Das zu ihrem Viehbestand gehörige Vieh auf dem Wege zur oder von der Weide, auf ihren Grundstücken mit dem auf der Weide geborenen Jungvieh und der daselbst gewonnenen Milch, ferner die zu ihrem Viehbestand gehörigen, im anderen Grenzbezirk notgeschlachteten Tiere.“ „Art. 15: Den in Artikel 14 genannten Eigentümern werden gleichgestellt Mieter, Pächter oder andere zur Nutzung der Grundstücke berechtigte Personen sowie die Familienangehörigen und Angestellten der Nutzungsberechtigten.“
Diese Sonderrechte für landwirtschaftlich motivierte Grenzübertritte konkretisierten in erster Linie eine gemäß Art. 2 allgemein beabsichtigte Personenfreizügigkeit zwischen dem Saarland und Frankreich. Besondere Relevanz hatten Regelungen zu Grenzübertrittsrechten im Gebiet der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie. Unter der Herrschaft der Habsburger hatte zuvor innerhalb des nach Russland flächenmäßig zweitgrößten Reiches Europas Freizügigkeit bestanden. Die Aufteilung der Doppelmonarchie nach dem ersten Weltkrieg führte nicht nur zum Entstehen einer neuen Grenze zwischen Österreich und Ungarn. Auch auf dem Balkan, in der Tschechoslowakei und Polen entstanden unabhängige Staaten. Zudem musste Österreich Gebiete an 385 Deutschland ./. Polen, Agreement concerning the granting of Facilities in Minor Frontier Traffic, and Final Protocol and Annexes (22. Dezember 1931) 144 LNTS 3329. 386 Deutschland ./. Frankreich ./. Saargebietsverwaltungskommission, Protocol regarding the Usufruct on the Franco-Saar Frontier, and Protocol of Signature (13. November 1926) 77 LNTS 1772.
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Italien abtreten. In diesen Gebieten war die transhumante Viehwirtschaft (teilweise bis heute) ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Die Belange dieser grenzüberschreitenden Hirten mussten nach dem Ersten Weltkrieg zwischen den neuen Staaten völkerrechtlich geregelt werden.387 So vereinbarte etwa das das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen mit nahezu allen seinen Nachbarn Handelsvereinbarungen, die eine Grenzüberschreitung zur Viehbeweidung vorsahen, z. B. mit Italien in Art. 4, 5 und 6 des Treaty of Commerce and Navigation.388 Dass vor 1915 bestehende Weiderechte nicht angetastet werden, bekräftigt Art. 19 dieses Vertrags: „Persons residing in the frontier zone of one of the High Contracting Parties and enjoying at the present time or prior to May 24, 1915, rights of pasturage, the right to cut down coppice wood, to fell trees or to collect firewood on property situated in the frontier zone of the other High Contracting Party, shall continue to exercise those rights to the extent to which they were exercised prior to May 24, 1915.“389
Auch wenn es nicht immer möglich war, das ethnische Zugehörigkeitsgefühl der Bevölkerung bei der Grenzziehung zu berücksichtigen, so erkannten die Staaten, dass sie mit der Permeabilität der Grenzen entweder zugunsten historischer Rechteinhaber oder aber sogar für alle Anwohner der grenznahen Gebiete eine weitere 387 Österreich ./. Tschechoslowakei, Commercial Agreement (4. Mai 1921) 15 LNTS 388; Rumänien ./. Tschechoslowakei, Agreement concerning the Relations between the two Countries in Veterinary Matters and Additional Article relating thereto (1. Oktober 1924) 51 LNTS 1223; Ungarn ./. Tschechoslowakei, Commercial Treaty, with Final Protocol and Annexes, containing: a Convention concerning the Legal Treatment of Production and Transport Undertakings; a Convention regarding Railway Traffic; A Convention concerning the Regulation of Local Frontier Traffic; A Convention regarding mutual Assistance in the Matter of Customs Clearance, the Prevention, Prosecution and Punishment of Infringements of the Customs Regulations, and mutual Legal Assistance in Criminal Cases relating to the Customs, and a Veterinary Convention, concerning Traffic in Animals, Raw Materials of Animal Origin, and Animal Products (31. Mai 1927) 65 LNTS 1520; Italien ./. Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, Treaty of Commerce and Navigation, with Annexes, Protocol and Final Protocol, Annex E (14. Juli 1924) 82 LNTS 1876; Albanien ./. Königreich der Serben, Kroaten und Slovenen, Treaty of Commerce and Navigation, with Final Protocol and Additional Protocol, Annex C (22. Juni 1926) 91 LNTS 2054; Ungarn ./. Königreich der Serben, Kroaten und Slovenen, Treaty of Commerce and Navigation (14. November 1928) 97 LNTS 2216; Österreich ./. Ungarn, Additional Agreement to the Treaty of Commerce concluded between Austria and Hungary at Budapest, February 8, 1922, concerning the Traffic in Animals and in Raw Materials and Products of Animal Origin (Convention on Epizootic Diseases) with Final Protocol (10. Mai 1926) 56 LNTS 1321. 388 Italien ./. Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, Treaty of Commerce and Navigation, with Annexes, Protocol and Final Protocol, Annex E (14. Juli 1924) 82 LNTS 1876; vgl. auch Italien ./. Königreich der Serben Kroaten und Slovenen, Conventions and Agreements concluded for the purpose of finally settling all Questions the Solution of which is necessary in order to give full and complete Effect to the Agreement concerning Fiume, signed at Rome, (27. Januar 1924, 20. Juli 1925) 83 LNTS 1886. 389 Italien ./. Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, Treaty of Commerce and Navigation, with Annexes, Protocol and Final Protocol, Annex E (14. Juli 1924) 82 LNTS 1876.
III. Territorien und Grenzen aus dem Blickwinkel von Staaten und Nomaden
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Stellschraube in den Händen hielten, um das nach dem ersten Weltkrieg ins Bewusstsein gerückte Interesse an Frieden und Stabilität mit den Rechten der Landwirte in Einklang zu bringen. Mittels der Grenzverschiebungen sollte der Volkswillen im Groben abgebildet werden.390 Durch gewährte Grenzübertrittsrechte wurden hierdurch auftretende Verwerfungen ausgeglichen. Deutlich wird aber auch der Zweck hinter diesen Regelungen. Anders als etwa das heute in Europa gültige Schengener Abkommen,391 aber auch die grenzüberschreitenden Weideabkommen der Vorkriegszeit392 bezweckten die Verträge nicht die Gewährung einer umfassenden Freizügigkeit, sondern primär, dass die den Souveränitätswechsel überdauernden privaten Rechtspositionen auch effektiv nutzbar waren. Teleologisch erschiene es auch widersprüchlich, einerseits den Fortbestand privater Rechte bei einer Grenzverlegung zu garantieren und sogar zum Völkergewohnheitsrecht getragen von „an almost universal opinion and practice“393 zu erheben, andererseits aber dessen effektive Nutzung durch eine Verweigerung des Grenzübertritts zu behindern. Die von internationalen Spruchkörpern in diesem Zusammenhang ergangenen Urteile beschränken sich denn auch nicht auf das Eigentum selbst, sondern gewähren „Private Rights“394, „Private Law Rights“395, „Access“396 oder „Access and Enjoyement“397. Der völkergewohnheitsrechtlich garantierte Fortbestand privater Rechte bei einer Souveränitätsverlagerung betrifft somit nicht nur den Fortbestand eines Rechtstitels als formale Hülle, sondern auch 390 Dass dieser Gedanke auch heute noch gilt, stellte 2013 Richter Cançado Trindade in seinem Sondervotum dar, IGH, Frontier Dispute (Burkina Faso ./. Niger) Sondervotum Richter Cançado Trindade (16. April 2013) ICJ Rep 2013, 44, Rn. 69. 391 Schengen Agreement on the Gradual Abolition of Checks at the Common Borders (14. Juni 1985) 30 ILM 68; Convention Implementing the Schengen Agreement of 14 June 1985 between the States of the Benelux Economic Union, the Federal Republic of Germany and the French Republic, on the Gradual Abolition of Checks at their Common Borders (19. Juni 1990) 30 ILM 84. 392 Frankreich ./. Belgien, Arrangement pour le pacage sur les pâturages situés dans la zone frontière, (22. Dezember 1913) 1353 UNTS ii-921; Frankreich ./. Schweiz, Arrangement du 23 octobre 1912 entre la suisse et la France pour le pacage sur les pâturages situés des deux côtés de la frontière (23. Oktober 1912) RS 14 176. 393 StIGH, Advisory Opinion No. 6 (Deutschland ./. Polen) on certain questions relating to settlers of German origin in the territory ceded by Germany to Poland (10. September 1923) 36. 394 Ebd. 395 IGH, Frontier Dispute (Benin ./. Niger) Judgment (12. Juli 2005) ICJ Rep 2005, 90 Rn. 118. 396 Eritrea-Ethiopia Boundary Commission, Decision Regarding Delimitation of the Border between the State of Eritrea and the Federal Democratic Republic of Ethiopia, 13. April 2002, 41 ILM 1057, 1116, Abschnitt 7.3. 397 Ständiger Schiedshof Award on Territorial Sovereignty and Scope of the Dispute (Eritrea ./. Jemen) (9. Oktober 1998) (1998) XXII RIAA 211, (1999) 119 ILR 1, (2001) 40 ILM 900, ICGJ 379 (PCA 1998) Rn. 526; Award of the Arbitral Tribunal in the second stage of the proceedings (Eritrea ./. Jemen) (Maritime Delimitation) Decision (17. Dezember 1999) Rn. 87.
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C. Nomaden in Zeit, Raum und Recht
den Zugang sowie die Nutzung. Die europäische Staatenpraxis nach dem Ersten Weltkrieg bestätigt, dass den Staaten dieser Umstand bewusst war und sie in unterschiedlichem Ausmaße hierfür eine Lösung fanden. Überträgt man diesen Gedanken auf Nomaden, so bedeutet dies, dass sie entsprechend der Transhumanz zwischen Italien und Österreich ein Recht auf Grenzübertritt398 haben, sofern sie beiderseits der Grenze fortdauernde Landrechte besitzen. cc) Problem der Übertragbarkeit der hinsichtlich privater Landrechte entwickelten Grundsätze auf Nomaden Dies vorangestellt, erscheint es naheliegend die Problematik eines nomadischen Grenzübertrittsrechts als eine Problematik von Landrechten zu begreifen.399 Gelingt es Nomaden, die Existenz von Landrechten vor der Grenzziehung nachzuweisen, ergibt sich aus oben dargestelltem und vom StIGH anerkannten Gewohnheitsrecht,400 wie es sich auch in den dargestellten Verträgen konkretisierte,401 dass diese Landrechte die Grenzziehung überdauert haben. Der durch die Staatenpraxis untermauerte teleologische Schluss, dass Landrechte wertlos sind, wenn die effektive Nutzung durch geschlossene Grenzen behindert wird, fordert dann die Gewährung eines Grenzübertrittsrechts für Nomaden. Gerade der Nachweis eines vorgrenzlichen Eigentums stellt jedoch für Nomaden ein gravierendes Problem dar. Denn ungeachtet der Schwierigkeit, dieses in schriftlosen Kulturen zu belegen, haben obige Abschnitte über das Rule of the Clan402 verdeutlicht, dass den meisten Nomaden vor der Universalisierung der europäischen Rechtstradition403 jegliches Verständnis von Landeigentum fremd war.404 Schwerlich können Nomaden daher behaupten, vor der Grenzziehung Landeigentümer gewesen zu sein, insbesondere dann, wenn die Ältestenräte die Landnutzungsrechte jährlich neu verteilt hatten und wenn sich diese mit anderen Stämmen und Völkern überlappten. 398
Die Schnalser Bauern leiten ihre Weiderechte aus dem „Weiderechtsvertrag Niedertal“ von 1415 her, welcher ihnen im Ötztal von Mitte Juni bis Mitte September Almrechte einräumt. Seit 1919 bis zum Schengen-Beitritt bedurfte es einer Genehmigung der Gendarmerien beiderseits der Grenze (vgl. Thomas Schmarda, Der Schafabtrieb im Ötztal (Fn. 381)). 399 Zu diesem Themenkreis vgl. insb Katja Göcke, Indigene Landrechte (Fn. 88). 400 StIGH, Advisory Opinion No. 6 (Deutschland ./. Polen) on certain questions relating to settlers of German origin in the territory ceded by Germany to Poland (10. September 1923) 36. 401 Vgl. StIGH, Advisory Opinion No. 6 (Deutschland ./. Polen) on certain questions relating to settlers of German origin in the territory ceded by Germany to Poland (10. September 1923) 36. 402 C.III.2. 403 Jörn Axel Kämmerer, Imprints of Colonialism (Fn. 129) 240; Wilhelm G. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte (Fn. 137) 541. 404 Vgl. SCOC, Regina ./. Marshall; Regina ./. Bernard, [2005] 2 SCR 220, 2005 SCC 43, 58, 70, 77.
III. Territorien und Grenzen aus dem Blickwinkel von Staaten und Nomaden
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Allerdings überdauern nicht nur Eigentumsrechte einen Souveränitätswechsel, sondern alle privaten Rechtspositionen. Die deutschen „Kolonisten“ in Polen etwa besaßen bis zur beanspruchten Auflassung nur ein Nießbrauchsrecht.405 Darüber hinaus stellte die Eritrea-Äthiopien Grenzkommission fest, dass „regard should be payed to the customary rights of the local people to have access to the river,“406 ungeachtet dessen, welchen Inhalts diese Rechte waren. Und der Ständige Schiedshof in Den Haag erstreckte diesen Befund auf traditionelle Fischereirechte: „In finding that the Parties each have sovereignty over various of the Islands the Tribunal stresses to them that such sovereignty is not inimical to, but rather entails, the perpetuation of the traditional fishing regime in the region. This existing regime has operated, as the evidence presented to the Tribunal amply testifies, around the Hanish and Zuqar islands and the islands of Jebel al-Tayr and the Zubayr group. In the exercise of its sovereignty over these islands, Yemen shall ensure that the traditional fishing regime of free access and enjoyment for the fishermen of both Eritrea and Yemen shall be preserved for the benefit of the lives and livelihoods of this poor and industrious order of men.“407
Der IGH bekräftigte schließlich im Grenzstreit zwischen Benin und Niger: „Finally, the Chamber observes that the determination in regard to the attribution of islands effected above is without prejudice to any private law rights which may be held in respect of those islands.“408
Für die Deduktion eines Grenzübertrittsrechts ist es letztlich unerheblich, auf welches private Recht dieses zurückzuführen ist. Als Grundlage für ein solches Recht kommt nicht nur das westliche Eigentumsmodell in Betracht, sondern auch im traditionellen Recht wurzelnde Nutzungsrechte. Unter Zugrundelegung des heute gültigen staatlichen Rechts lässt sich ein Landrechtsanspruch allerdings, ungeachtet ob als Eigentums-, Pacht-, Nießbrauchs- oder Wegerecht, zunächst nur dann behaupten, wenn von der örtlichen Hoheitsgewalt ein Rechtsanspruch eines mit Rechtspersönlichkeit ausgestatteten nomadischen Volkes vor der Grenzziehung bestätigt wurde. Der Nachweis solcher Rechte wird den Nomaden schwerlich anhand von Besitzurkunden gelingen. Vielmehr betrachten sich Nomaden regelmäßig nicht
405 StIGH, Advisory Opinion No. 6 (Deutschland ./. Polen) on certain questions relating to settlers of German origin in the territory ceded by Germany to Poland (10. September 1923) 32 f. 406 Eritrea-Ethiopia Boundary Commission, Decision Regarding Delimitation of the Border between the State of Eritrea and the Federal Democratic Republic of Ethiopia (13. April 2002) 41 ILM 1057, 1116, Abschnitt 7.3. 407 Ständiger Schiedshof (Eritrea ./. Jemen) Award on Territorial Sovereignty and Scope of the Dispute, (9. Oktober 1998) (1998) XXII RIAA 211, (1999) 119 ILR 1, (2001) 40 ILM 900, ICGJ 379 (PCA 1998) Rn. 526, sowie, Award of the Arbitral Tribunal in the second stage of the proceedings (Eritrea ./. Jemen) (Maritime Delimitation) Decision (17. Dezember 1999) Rn. 87. 408 IGH, Frontier Dispute (Benin ./. Niger) Judgment (12. Juli 2005) ICJ Rep 2005, 90 Rn. 118.
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als „Owners by Paper“, sondern als „Bona Fide Owners“.409 Der gute Glaube an eine, wie auch immer geartete, landrechtliche Position kann z. B. dadurch belegt werden, dass einem Volk aus dem Geltungsbereich eines anderen Gesetzes im Zeitpunkt vor der Grenzziehung die Landnutzung gestattet wurde. Dies erfordert allerdings zunächst eine Ermittlung des Zeitpunktes der Ziehung der jeweiligen Staatsgrenzen. Diese gehen in nomadischen Gebieten zumeist auf jene ursprünglich von den Kolonialmächten gezogenen Linien zurück, sodass fraglich ist, ob der maßgebliche Zeitpunkt jener der Kolonisierung, jener der Abgrenzung der Kolonien zwischen den verschiedenen Kolonialmächten oder jener der Entlassung der ehemaligen Kolonien in die Unabhängigkeit ist. Im folgenden Abschnitt wird daher die Praxis der kolonialen Grenzziehung untersucht. b) Ziehung von Grenzen in den Kolonien „In those days, we just took a blue pencil and a ruler and we put it down at Old Calabar, and drew that blue line to Yola […] I recollect thinking when I was sitting, having an audience with the Emir, surrounded by his tribe, that it was a very good thing that he did not know, that I with a blue pencil, had drawn a line through his territory.“410
Die Ziehung der Grenzen in den Kolonien erscheint oberflächlich betrachtet recht einfach vonstatten gegangen zu sein. Denn in der Tat gehen die heutigen Staatsgrenzen in den ehemaligen Kolonialgebieten auf jene Striche der einstigen Kolonialmächte zurück,411 welche diese auf Grundlage einer rein europäischen Machtpolitik zogen,412 ohne hierbei auf ethnische Strukturen und die ökonomische Überlebensfähigkeit der so geschaffenen Territorien Rücksicht zu nehmen.413 Dieser rein europäische Vorgang ist jedoch nur die halbe Wahrheit: Neben jenen Grenzen, die die europäischen Mächte in Bezug auf Übersee untereinander zogen und die später zu Staatsgrenzen erstarkten, gab es auch Grenzen, die in Übersee zwischen Europäern und Einheimischen vereinbart wurden.414 Beide Aspekte 409 ACHPR, 276/03, Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council ./. Kenya (11. – 25. November 2009) Rn. 72. 410 Der britische Generalkonsul und Kommissar für Südnigeria, Sir Claude McDonald, im Zuge der Grenzziehung zwischen Nigeria und Kamerun, zitiert bei: Muhammad B. Ahmad, African Boundaries and the Imperative of Definition, African Union Border Programme (AUBP), Delimitation and Demarcation of Boundaries in Africa, 2. Auflage, Commission of the African Union, Department of Peace and Security 2014, 12, 13. 411 Manuel Brunner, Drawing Lines upon Maps (Fn. 118) 21 ff.; Bernhard Zeller, Ex Facto Ius Oritur (Fn. 118) 12, 268; Boutros Boutros-Ghali, Les Conflits de Frontières en Afrique (Fn. 118) 9 ff. 412 Jeffrey Herbst, States and Power in Africa (Fn. 239) 66 ff. 413 A. Adu Boahen, African Perspectives on Colonialism (Fn. 123) 95 ff.; Imre Josef Demhardt, Deutsche Kolonialgrenzen in Afrika (Fn. 123) 30. 414 Vgl. die unter C.III.1.b) bereits dargestellten Verhandlungen zwischen den Briten und dem Königshaus Saud auf der arabischen Halbinsel; die Differenzierung zwischen Recht in
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müssen getrennt voneinander betrachtet werden, da sie unterschiedlichen Rechtssystemen unterlagen und an sie unterschiedliche Rechtsfolgen geknüpft wurden. aa) Grenzziehung in Bezug auf Übersee Die Grenzziehung nach dem Recht in Bezug auf Übersee ist die Grundlage der heutigen Staatsgrenzen Afrikas, Amerikas und Asiens.415 Die entsprechenden Verträge wurden alleine unter den europäischen Staaten geschlossen und unterlagen dem Ius Publicum Europaeum.416 Welchen Wert diese Grenzen hatten und wie ihre Durchlässigkeit beschaffen war, ist Gegenstand dieses Abschnittes. Die erste zwischen Europäern gezogene Grenze in Bezug auf Übersee beinhaltete eine Sphärenabgrenzung zwischen Spanien und Portugal. Zunächst erkannte Spanien im Vertrag von Alcáçovas417 1479 allen portugiesischen Besitz an der afrikanischen Küste richtung Guinea mit Ausnahme der Kanaren an. Diese Anerkennung bezog sich auf bereits entdeckte, sowie noch zu entdeckende Gebiete.418 1494 teilten Spanien und Portugal die gesamte Welt im Vertrag von Tordesillas419 unter sich auf. Diese Verträge begründeten keinerlei Besitzrechte in den überseeischen Gebieten. Vielmehr wurden mit ihnen lediglich Einflusszonen untereinander abgesteckt und spätere Ansprüche gesichert.420 Es handelte sich quasi um „Stillhalteabkommen“, mit denen sich Spanien und Portugal jeweils gegenseitig ein Monopol auf noch zu erfolgende Kolonisierungen – ein Präemptionsrecht – zusicherten. Später engagierten sich auch Frankreich421 und die Niederlande422 in diese Präemptionsverträge.423
Übersee und Recht in Bezug auf Übersee erfolgt nach Jörg Fisch, Europäische Expansion (Fn. 164) 18 ff. 415 Manuel Brunner, Drawing Lines upon Maps (Fn. 118) 21 ff.; Bernhard Zeller, Ex Facto Ius Oritur (Fn. 118) 12, 268; Boutros Boutros-Ghali, Les Conflits de Frontières en Afrique (Fn. 118) 9 ff. 416 Jörn Axel Kämmerer, Imprints of Colonialism (Fn. 129) 240. 417 Spanien ./. Portugal, Vertrag von Alcáçovas (4. September 1479) online unter: http://ava lon.law.yale.edu/15th_century/sppo01.asp (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 418 Jörg Fisch, Europäische Expansion (Fn. 164) 51; dem Vertrag waren diverse päpstliche Bullen vorausgegangen, welche jedoch auch nach damaligem Völkerrechtsverständnis die geltend gemachten Gebietsansprüche lediglich untermauerten. Die Bullen hatten vielmehr die Funktion politischer Propagandamittel. 419 Spanien ./. Portugal, Vertrag von Tordesillas (7. Juni 1494), online unter: http://avalon. law.yale.edu/15th_century/mod001.asp (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 420 Jörg Fisch, Europäische Expansion (Fn. 164) 13, 53 f. 421 Ebd., 54 ff. 422 Ebd., 71 ff. 423 Insbesondere von Carl Schmitt wurde die These der sogenannten Freundschaftslinien vertreten: „No peace beyond the line“. Nach dieser These beanspruchten die zwischen den europäischen Mächten geschlossenen Verträge nur Geltung innerhalb Europas, wohingegen in
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Teilweise wurde vertreten, die zwischen Europäern geschlossenen Friedensverträge würden in Übersee überhaupt keine Wirkung entfalten – „no peace beyond the line“.424 Diese insbesondere von Carl Schmitt verfochtene These425 konnte jedoch hinlänglich widerlegt werden:426 Die Verträge banden zwar im personellen Anwendungsbereich nur europäische Staaten, waren jedoch im räumlichen Anwendungsbereich nicht auf den Kontinent beschränkt. Richtig ist indes, dass die Verträge auch unter den Europäern nur die jeweils vertragsschließenden Parteien zu binden vermochten und gegenüber allen anderen europäischen Staaten, wie z. B. England in der Tat jener von Carl Schmitt beschriebene rechtsfreie Zustand herrschte, auch wenn Spanien und Portugal dies mit päpstlichem Segen anders sahen. Landläufig besteht die Vorstellung, dass mit dem Aufstellen einer Flagge durch die europäischen vermeintlichen Erstentdecker unmittelbare Territorialherrschaft entstanden sei.427 Diese „Entdeckung“ führte jedoch regelmäßig nicht, wie man annehmen könnte, zu einer Okkupation im heutigen Rechtssinne428 sondern lediglich zu einem „Präemptionsrecht“ gegenüber den anderen europäischen Mächten, also quasi zu einem Vorrecht auf Eintritt in Vertragsverhandlungen mit den Ureinwohnern oder auf ungehinderte militärische Eroberung.429 Im Übrigen hatte der Rechtstitel der „Entdeckung“ für sich genommen sehr geringes Gewicht.430 Im 19. Jahrhundert bemühten sich die europäischen Staaten um Klärung der verbliebenen Rechtsfragen, insbesondere hinsichtlich eines legitimen Gebietser-
Übersee ein immerwährender Kriegszustand herrsche, Carl Schmitt, Der Nomos der Erde, Greven Verlag 1950, 53 ff. 424 Wilhelm G. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte (Fn. 137) 181; der Satz geht auf Sir Francis Drake zurück (vgl. Jörn Axel Kämmerer, Das Völkerrecht des Kolonialismus (Fn. 240) 36. 425 Carl Schmitt, Der Nomos der Erde (Fn. 423) 53 ff. 426 Vgl. statt vieler: Jörg Fisch, Europäische Expansion (Fn. 164) 59 ff., 75 ff. 427 Die in der Populärliteratur beliebte Titulierung von Christoph Columbus, Ferdinand Magellan und James Cook als „große Entdecker“ verkennt in eurozentristischer Weise, dass, bis auf die Antarktis, alle von den großen Seefahrern entdeckten Gebiete bereits bewohnt und somit von den Ureinwohnern schon vor hunderten von Jahren entdeckt wurden. 428 Alexander Proelß, Raum und Umwelt im Völkerrecht, in: Wolfgang Graf Vitzthum/ Alexander Proelß (Hrsg.), Völkerrecht, 7. Auflage, De Gruyter 2016, 361, 379; Marcel Kau, Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekte, ebd., 133, 189. 429 Vgl. Letter of William Johnson to John Tabor Kempe, Att Gen. NY (7. September 1765) in: J. Sullivan (Hrsg.), The Papers of Sir William Johnson, Bd. 11, State University of New York 1921 – 65, 923 ff.; Samuel Smith, The History of the Colony of Nova-Caesaria, or New Jersey, William Sharp 1765, 7 f.; Katja Göcke, Indigene Landrechte (Fn. 88) 36.) In diesem Sinne auch SCOTUS, Worcester ./. Georgia (1. Januar 1832) 31 US 515, 544; SCOTUS, Johnson & Graham’s Lessee ./. McIntosh (1823) 21 US 8 Wheat. 543; Wilhelm G. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte (Fn. 137) 644; vgl. auch Carl Schmitt, Der Nomos der Erde (Fn. 423) 53 ff. über die Bedeutung von „Rayas“ und „Freundschaftslinien“ und deren rein binneneuropäischen Gehalt. 430 Jörg Fisch, Europäische Expansion (Fn. 164) 85.
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werbs in Übersee.431 Denn im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts hatte sich unter den Europäern die Rechtsauffassung durchgesetzt, dass Schifffahrt, Handel und Gebietserwerb in Übersee allen europäischen Staaten offenstanden, wohingegen die Herrschaft eines Staates in einem bestimmten Gebiete Exklusivrechte begründete.432 Ungeklärt war jedoch weiterhin, welche Tatbestandsmerkmale zu erfüllen waren, um in einem überseeischen Gebiet solche exklusiven Herrschaftsrechte beanspruchen zu können.433 Jörg Fisch sieht hierfür als zentrales Kriterium das Konzept der Okkupation. Seiner Auffassung nach galt als okkupationsfähiges Territorium jedes Gebiet, was noch keiner europäischen Macht unterstand.434 Ferner musste die Okkupation effektiv sein.435 In Wahrheit wurde jedoch kaum ein überseeisches Territorium durch Okkupation erlangt. So bewertete William Blackstone 1765 die Expansion des Britischen Empire völlig zutreffend als eine Expansion durch Eroberung und Verträge und nicht durch Okkupation.436 Der Unterschied war nämlich folgender: Während ein bereits von einer „politischen Gesellschaft“ beherrschtes Gebiet nur zediert oder im (gerechten) Kriege erobert werden konnte, waren allein gänzlich unbewohnte Gebiete, oder solche, deren Völker nach europäischer Auffassung jeden Zivilisationsstand vermissen ließen, okkupationsfähig.437 Eine „politische Gesellschaft“, deren Land nicht mehr okkupationsfähig sei, wurde definiert als: „If, then, a numerous society is permanently united by the habitual conformity of the bulk of its members to recognized standards in their relations inter se; if laws ,set or imposed by the general opinion of the community‘ are habitually observed or their breach punished, even though no one person, or no determinate body of persons short of the whole community, is charged with their enforcement, such a society should, it would seem, be regarded as a political one.“438
Hierunter subsumierten auch die frühen europäischen Kolonialmächte die Mehrzahl überseeischer Völker, einschließlich der nomadischen Völker und erkannten ihnen so Rechtssubjektivität und Souveränität über überseeische Gebiete 431
Ebd., 86. Ebd., 87. 433 Ebd., 87. 434 Ebd., 87. 435 Ebd., 87; Martti Koskenniemi, Civilizer (Fn. 133) 123. 436 Insofern irrt Carl Schmitt, wenn er konstatiert, die neue Welt sei als ein freier Raum wahrgenommen worden, der okkupiert werden konnte und nicht annektiert oder zediert werden musste (vgl. Carl Schmitt, Der Nomos der Erde (Fn. 423) 55). Denn, obwohl die indigenen Völker sich mangels einer Vorstellung hiervon nicht als territorial souverän betrachteten, so waren die überseeischen Gebiete dennoch keine Terrae nullius, sondern unterlagen einem vom europäischen Verständnis abweichenden Herrschaftssystem. 437 C.IV.1. 438 Mark Frank Lindley, The acquisition and government of backward territory in international law: being a treatise on the law and practice relating to colonial expansion, Longmans 1926, 22; Emer de Vattel, Le droit des gens (Fn. 124) Bd. 1, Buch II, ch VII § 97, 325 f. 432
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zu.439 Marco Moretti modifiziert dementsprechend Fisch’s Feststellung mit Lindley440 und Nys441 dahingehend, dass alle überseeischen Gebiete zwar nicht der Okkupation im strengen Sinne, aber der „Appropriation“ offenstanden.442 Jene „Appropriation“ – Lindley spricht von „Acquisition“ – musste indes meist auf sekundärem Erwerbswege – also durch Zession oder Eroberung (damals ein legitimes Mittel) vollzogen werden.443 Der Paradigmenwechsel, wonach auch bereits von politischen Gesellschaften bewohntes Land in europäischen Augen okkupationsfähig wurde, setzte erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein. Das bedeutendste Zeugnis dieses Paradigmenwechsels ist die Kongoakte von 1885.444 Kriterium für die Rechtmäßigkeit einer Okkupation war hiernach nicht mehr die vorherige Souveränitätslosigkeit, sondern „Notifikation und Effektivität“,445 wobei der Begriff der Okkupation in der Kongoakte nur in der französischen Überschrift zu Kapitel VI auftaucht, nicht jedoch im Normtext selbst, der diesbezüglich in Art. 34 lediglich von „prendra possession“ spricht, also einen Ausdruck wählt, der offenlässt ob die Inbesitznahme originär oder derivativ zu erfolgen hat.446 Auch dann war jedoch eine erfolgte „Okkupation“447 nur gegenüber den anderen europäischen Mächten bindend, nicht aber gegenüber den jeweiligen indigenen Völkern. Ein „Okkupationsakt“ ermöglichte kaum eine punktgenaue Abgrenzung der verschiedenen Herrschaftssphären, da schwerlich festzustellen war, wie weit in unwegsamen und teilweise unbekannten Gebieten die tatsächliche Effektivität der Herrschaftsmacht reichte. Aus diesem Grund erfolgte z. B. die Aufteilung Afrikas im 439 440
24 ff. 441
Marco Moretti, International Law and Nomadic People, AuthorHouse 2012, 1. Mark Frank Lindley, The acquisition and government of backward territory (Fn. 438)
Ernest Nys, Le droit international, les principes, les théories, les faits, Weissembruch 1912, Bd. 2, Kapitel 2, III, 64 ff. 442 Marco Moretti, International Law and Nomadic People (Fn. 439) 46. 443 Mark Frank Lindley, The acquisition and government of backward territory (Fn. 438) 26 f.; vgl. auch IGH, Western Sahara Advisory Opinion (16. Oktober 1975) ICJ Rep 1975, 12 Rn. 80. 444 Jörg Fisch, Europäische Expansion (Fn. 164) 88. 445 Ebd. 446 Jörn Axel Kämmerer Das Völkerrecht des Kolonialismus (Fn. 240) 42; vgl. Acte Général de la Conférence de Berlin (26. Februar 1885) Deutsches Reichsgesetzblatt 1885, Nr. 23, 215. 447 Das Wort „Okkupation“ wird hier in Anführungsstriche gesetzt, da es sich nur nach dem europäischen Verständnis des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts um Okkupationen handelte. Nach heutigem, wie nach frühkolonialem, Verständnis erforderte eine Okkupation indes einen originären Souveränitätserwerb, der voraussetzte, dass es sich um unbesiedeltes Land handelt: „,Occupation‘ being legally an original means of peaceably acquiring sovereignty over territory otherwise than by cession or succession, it was a cardinal condition of a valid ,occupation‘ that the territory should be terra nullius – a territory belonging to no-one – at the time of the act alleged to constitute the ,occupation‘“ (IGH, Western Sahara Advisory Opinion (16. Oktober 1975) ICJ Rep 1975, 12, Rn. 82 unter Verweis auf StIGH, Legal Status of Eastern Greenland (5. April 1933) Series A/B, Nr. 53, 44 f., 63 f.
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19. Jahrhundert in der Regel nicht durch „Okkupation“, sondern in „traditioneller Weise“ durch direkte Absprache zwischen den europäischen Mächten, die zu diesem Zwecke Abkommen über Einflusssphären, Hinterländer und Grenzen in bekannten und unbekannten Gebieten schlossen.448 Ziel und Inhalt dieser Abkommen war zunächst gar nicht die Festlegung territorialer Souveränität. Es ging vielmehr um Einflusszonen zur Sicherung von Handelsniederlassungen, exklusiven Handelsrechten und Handelsrouten, die sich erst später durch imperiale Ideologie zu abgegrenztem kolonialem Territorialbesitz und Souveränität bzw. Suzeränität erhärteten.449 Solange der Handel im Vordergrund stand, bestand für eine exakte Territorialabgrenzung kein Bedarf.450 Dies änderte sich erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als es geboten erschien auch eine territoriale Gebietsabgrenzung gegenüber den anderen europäischen Mächten zu verteidigen.451 Die zwischen den Kolonialmächten geschlossenen Abkommen und die in ihnen enthaltenen Grenzen waren dementsprechend auch nur gegenüber den anderen Kolonialmächten bindend, nicht jedoch gegenüber der einheimischen Bevölkerung in den Kolonien, insbesondere den dort wandernden Nomaden. Auch hatten die von den Europäern gezogenen Linien nicht den Status von Grenzen: „… the treaty in question is not a boundary treaty proper but a treaty delimiting spheres of influence …“452
Die Kolonialmächte steckten lediglich untereinander Nutzungsvorrechte ab.453 Diese Linien hatten denn auch auf die Nomaden, deren Gebiete durch sie durchschnitten wurden, zunächst kaum unmittelbare Auswirkungen, denn ihre Durchlässigkeit für die einheimische Bevölkerung blieb meist gewahrt: Die Franzosen in West- und Zentralafrika förderten den Pastoralismus als wichtige kulturelle und sozio-ökonomische Tätigkeit bestimmter Stämme und akzeptierten innerhalb ihres gesamten Kolonialverbundes Freizügigkeit.454 Die deutsche Kolonialverwaltung sah z. B. in Kamerun v. a. das ökonomische Potential der aus dem britisch besetzten Nigeria einwandernden Hirtennomaden455 und die britische Verwaltung erlaubte insbesondere in den Gebieten des südlichen Afrikas (v. a. in Botswana) die 448
Jörg Fisch, Europäische Expansion (Fn. 164) 90. Jörn Axel Kämmerer, Das Völkerrecht des Kolonialismus (Fn. 240) 47; Antony Allot, Boundaries and the Law (Fn. 236) 13. 450 Martti Koskenniemi, Colonial Laws (Fn. 283) 273; ders., Civilizer (Fn. 133) 112; Jörn Axel Kämmerer, ebd., 47. 451 Jörn Axel Kämmerer, ebd., 47. 452 IGH, Case concerning Kasikili/Sedudu Island (Botswana ./. Namibia) Judgment (13. Dezember 1999) ICJ Rep 1999, 1045, Rn. 43 bezogen auf den Vertrag zwischen Deutschland und Großbritannien aus dem Jahre 1890. 453 Jörn Axel Kämmerer, Das Völkerrecht des Kolonialismus (Fn. 240) 45. 454 AU, Policy Framework for Pastoralism in Africa (Fn. 187) 13; Adekunle Ajala, Nature of African Boundaries (Fn. 242) 182. 455 Philip Burnham, The Politics of Cultural Difference (Fn. 100) 30. 449
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Koexistenz der unterschiedlichen Landwirtschaftsmodelle456 und förderte ebenso das grenzüberschreitende Nomadentum in Zentralasien.457 Wenn in den Verträgen der Grenzübertritt der einheimischen Bevölkerung keine explizite Erwähnung fand, dann aufgrund des Bewusstseins, dass die Grenzverträge in Bezug auf Übersee für die einheimischen Völker ohnehin keine Bindungswirkung hatten. Schließlich war der eigentliche Gegenstand der europäischen Abkommen in Bezug auf die Kolonien nicht die Anerkennung oder Gewährung von Rechten an überseeische Gemeinschaften, sondern einzig und allein das Verhältnis der Europäer untereinander.458 Der Vorstoß des amerikanischen Gesandten Kasson auf der Kongokonferenz, man müsse doch auch die Eingeborenen beteiligen,459 wurde auf der Konferenz nicht weiterverfolgt (Nichtbefassung), da dieser „delikate Fragen“ berühre, „zu denen die Konferenz kaum eine Meinung zu äußern wüsste.“460 Der Vorschlag Kassons wurde nicht rundheraus abgelehnt, sondern war schlicht nicht Gegenstand des beabsichtigten Abkommens unter den europäischen Mächten, welches alleine zwischen diesen Rechtswirkung entfalten sollte. Die Selbstrestriktion des Naturrechts, welche die Europäer ihrem Umgang mit den Indigenen zunächst zugrundelegten, war diesbezüglich eine „Clubsatzung mit Schutzwirkung zugunsten Dritter“, welche sich im Zuge des Imperialismus zu einer Ordnung zu Lasten Dritter entwickelte. In vielen bilateralen Grenzverträgen zwischen den Kolonialmächten sicherten die europäischen Mächte sich indes Grenzübertrittsrechte für die einheimische Bevölkerung gegenseitig zu,461 da sie an der wirtschaftlichen Entwicklung ihrer Kolonien ein Interesse hatten. 456
AU, Policy Framework for Pastoralism in Africa (Fn. 187) 13. Christoph Bergmann/Martin Gerwin/William Sax, Politics of Scale in a High Mountain Border Region: Being Mobile Among the Bhotiyas of the Kumaon Himalaya, India (2011) Nomadic Peoples, 104, 110. 458 Jörg Fisch, Europäische Expansion (Fn. 164) 108, 422. 459 Vgl. zur näheren Erläuterung: Charles Henry Alexandrowicz, The European African Confrontation, Sijthoff 1973, 47. 460 Jörg Fisch, Europäische Expansion (Fn. 164) 106; Ernest Nys, Le Droit International (Fn. 441) Bd. 1, 131 f. 461 Französisch Guinea (Frankreich) ./. Sierra Leone (Großbritannien) Art. 5, Art. 8, Protocole concernant l’abornement de la frontière entre la Guinée Française et la Colonie de Sierra Leone (1. Juli 1912) 9 Martens NRG (3. Serie) 802; Tanganyika (Großbritannien als Mandatsmacht des Völkerbundes) ./. Ruanda-Urundi (Belgien als Mandatsmacht des Völkerbundes), Abkommen bezüglich der Wasser-Rechte an der Grenze zwischen Tanganyika und Ruanda-Urundi (22. November 1934) 190 LNTS 106; Benin (Frankreich) ./. Nigeria (Großbritannien), Art. III Agreement between Great Britain and France, relative to the Frontier between the British and French Possessions from the Gulf of Guinea to the Niger (19. Oktober 1906), in: Ian Brownlie, African Boundaries (Fn. 127) 171; Ghana (Großbritannien) ./. Elfenbeinküste (Frankreich) Nr. 5, Arrangement between Great Britain and France, fixing the Boundary between the British an French Posessions on the Gold Coast (12. Juli 1893), in: Ian Brownlie, ebd. 233 sowie der folgende Vertrag Art. IV Memorandum recording the Agreement arrived at by the British and French Governments respecting the Frontier between the Gold 457
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bb) Grenzziehung in Übersee „Zwischen europäischen Mächten und außereuropäischen Stämmen, Völkern und Reichen hat seit dem Beginn der europäischen Expansion ein außerordentlich intensiver und vielfältiger Völkerrechtsverkehr stattgefunden.“462
Indem die Europäer mit den einheimischen Völkern Verträge schlossen, versuchten sie nunmehr die gegenüber den anderen Kolonialmächten gesicherten Präemptionsrechte in einen tatsächlichen Gebietserwerb umzusetzen463 Wenn dieser Rechtsverkehr zwischen den europäischen Mächten und den überseeischen Völkern, entsprechend obigem Zitat, als „Völkerrechtsverkehr“ bezeichnet wird, so bedarf dies einiger Klarstellungen:464 Der Begriff des „Völkerrechts“ lässt sich nämlich auf zweierlei Weise verstehen: Beschreibt der Begriff lediglich den „Rechtsverkehr zwischen Völkern“, ist seine Anwendung auf die Beziehungen zwischen europäiCoast and the Ivory Coast, in: Ian Brownlie, ebd. 246; während sich in den Verträgen mit dem Deutschen Reich keine ausformulierten Rechte der Einheimischen finden, wurden diese nach dem Ersten Weltkrieg hinsichtlich der ehemalig deutschen Kolonien aufgenommen. (vgl. Frankreich ./. Großbritannien, Nr. 13 (m), Protokoll zwischen Frankreich und Großbritannien betreffend Togo (21. Oktober 1929), in: Ian Brownlie, ebd. 273) Süd-Afrika als Mandatsmacht Namibias verweigerte jedoch die Grenzübertrittsrechte nomadischer Völker als einziger Staat ausdrücklich (vgl. IGH, Case concerning Kasikili/Sedudu Island (Botswana ./. Namibia) Judgment (13. Dezember 1999) ICJ Rep 1999, 1045); Ghana (Großbritannien ./. Obervolta (Frankreich) Art. III Memorandum (13. Januar 1904), in: Ian Brownlie, ebd., 285; Kamerun (Deutsches Reich) ./. Kongo (Frankreich), Art. III Protocole (9. April 1908), in: Ian Brownlie, ebd., 527; Kamerun (Deutsches Reich) ./. Tschad (Frankreich) Art. IV Protocole (4. Februar 1894), in: Ian Brownlie, ebd. 536; Tschad (Frankreich) ./. Sudan (Großbritannien), Convention Supplementary to the Declaration signed at London on March 21, 1899, as an addition to the Convention of June 14, 1898, which regulated the Boundaries between the British and French Colonial Possessions and Spheres of Influence to the West and East of the Niger (8. September 1919), in: Ian Brownlie, ebd., 626; Burundi (Belgien) ./. Tanzania (Großbritannien), Échange de notes entre les Gouvernments Belge et Britannique, portant acceptation du Protocole signé a [sic] Kigoma le 5 acoût 1925, relatif à la frontière de Tanganyika-Ruanda-Urundi (17. Mai 1926), in: Ian Brownlie, ebd., 746 f.; Eritrea (Italien) ./. Ägypten (Großbritannien), Art. III Agreement between the Eyptian and Italian Government for regulating the Dependence of the semi-nomadic Tribes, and for defining their respective Frontiers between the Baraka and the Red Sea (25. Juni, 7. Juli 1895), in: Ian Brownlie, ebd., 860; Angola (Portugal) ./. Sambia (Großbritannien), Agreement with regard to certain Angolan and Northern Rhodesian natives living on the Kwando River (18. November 1954), in: Ian Brownlie, ebd., 1056 ff. 462 Jörg Fisch, Europäische Expansion (Fn. 164) 37. 463 Jörn Axel Kämmerer, Das Völkerrecht des Kolonialismus (Fn. 240) 50; Antony Allot, Boundaries and the Law (Fn. 236) 13 f. 464 Zur Einordnung des Charakters der Verträge zwischen Indigenen und Europäern vgl. Charles Henry Alexandrowicz, The European African Confrontation (Fn. 459) 94; Oji Umozurike, International Law and Colonialism in Africa, Nwamife Publishers 1979, 43 ff.; Charles Henry Alexandrowicz, Doctrinal Aspects of the Universality of the Law of Nations (1961) BYbIL, 506 ff.; Wilhelm G. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte (Fn. 137) 168 ff.; ders., Vom Europäischen zum universellen Völkerrecht: Zur Frage der Revision des „europazentristischen“ Bildes der Völkerrechtsgeschichte (1982) ZaöRV, 449, 452; Martti Koskenniemi, Eurocentrism (Fn. 3) 163 ff.
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schen Mächten und indigenen Völkern unproblematisch. Nach heute herrschendem Verständnis bezeichnet der Begriff „Völkerrecht“ jedoch eine eigene Rechtsmaterie mit spezifischen Merkmalen, deren (Haupt)adressaten die Staaten sind.465 Dieses Völkerrecht in Sensu stricto hat seine Wurzeln im Ius Publicum Europaeum466, und kann, zumindest nach heutigem Verständnis, nicht auf alle Beziehungen zwischen überseeischen Völkern und Europäern angewandt werden:467 Auch nach einem vermittelnden Verständnis des Begriffs „Völkerrecht“, wie es z. B. von Wilhelm G. Grewe vorgeschlagen wurde, lassen sich die Beziehungen zwischen Europäern und überseeischen Völkern nicht hierunter subsumieren: „Alsdann wird man von einer völkerrechtlichen Ordnung immer dann sprechen können, wenn es eine Mehrzahl relativ unabhängiger, nicht notwendigerweise gleichrangiger Herrschaftsverbände gibt, die in einem politischen, wirtschaftlichen, kulturellen Verkehrsverbund miteinander stehen, keiner übergeordneten Autorität mit vollständiger Rechtsetzungs-, Rechtsprechungs- und Vollzugsgewalt unterworfen sind, und die in ihren gegenseitigen Beziehungen Normen beachten, die aufgrund eines gemeinsamen, religiös, kulturell oder wie auch immer verankerten Rechtsbewusstsein für verbindlich gehalten werden.“468
Zwar handelt es sich auch bei indigenen Völkern, wie Nomaden, um unabhängige Herrschaftsverbände, die in einem politischen, wirtschaftlichen, kulturellen Verkehrsverbund mit den Europäern standen und zunächst keiner übergeordneten Au465 Vgl. z. B. Wolfgang Graf Vitzthum, Begriff, Geschichte und Rechtsquellen des Völkerrechts, in: Wolfgang Graf Vitzthum/Alexander Proelß (Hrsg.), Völkerrecht, 7. Auflage, De Gruyter 2016, 6, Rn. 5: „Das Völkerrecht ist primär die Rechtsordnung der zwischenstaatlichen Beziehungen.“; Malcolm N. Shaw, International Law, 6. Auflage, Cambridge UP 2008, 1: „And so it is with international law, with the important difference that the principal subjects of international law are nation-states, not individual citizens.“; Antonio Cassese, International Law, 2. Auflage, Oxford UP 2005, 71: „In addition, the fundamental or primary subjects are not individual, but States. They are entities which, besides controlling territory in a stable and permanent way, exercise the principal lawmaking and executive ,functions‘ proper of any legal order.“ Eine größere Offenheit des Völkerrechts ermöglicht allerdings Anne Peters, Völkerrecht, allgemeiner Teil, 2. Auflage, Schulthess 2008, 4: „Heute umfasst das Völkerrecht alle Rechtsnormen, welche die Beziehungen zwischen Völkerrechtssubjekten regeln. Völkerrechtssubjekte, das sind jene Einheiten, die Träger von völkerrechtlichen Rechten und Pflichten sein können. Dies sind vor allem Staaten.“ 466 IGH, Western Sahara Advisory Opinion (16. Oktober 1975) ICJ Rep 1975, 12, 43 ff.; Malcolm N. Shaw, The Western Sahara Case (1978) BYbIL, 119, 149. 467 Vgl. in dieser Hinsicht wegweisend Schiedsspruch, Max Huber, Island of Palmas case (Niederlande ./. USA) (4. April 1928) Reports of International Arbitral Awards, Vol. II, 829, 858; Martti Koskenniemi, Civilizer (Fn. 133) 115. 468 Wilhelm G. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte (Fn. 137) 26; diesem historischen Verständnis widerspricht Jörg Fisch, Peoples and Nations, in: Bardo Fassbender/Anne Peters (Hrsg.), The Oxford Handbook of International Law, Oxford UP 2014, 27 ebenfalls aus historischer Perspektive: „International Law is, and it always has been, law between States and thus between political entities, not law between nations, or other groups of human beings.“ Fisch bestreitet hiermit jedoch nicht, dass es zwischen Völkern und anderen Menschengruppen Rechtsbeziehungen gegeben hat, er möchte diese lediglich nicht als „Völkerrecht“ bezeichnet wissen, wobei er mitunter selbst den Begriff „Völkerrechtsverkehr“ hierfür gebraucht (s. o.).
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torität unterworfen waren. Es darf allerdings bezweifelt werden, dass rechtskreisübergreifend ein gemeinsames religiös oder kulturell verwurzeltes Rechtsbewusstsein für verbindlich gehalten wurde. Vielmehr gab es verschiedene Regionalordnungen, die mit dem europäischen Rechtsverständnis zusammentrafen und aus deren Synthese sich mit der Aufnahme erster Kontakte eine überwölbende Rechtsordnung bildete, in die, je nach Machtverhältnis zur jeweils gegebenen Zeit, in unterschiedlichem Ausmaße jene Elemente beider Ordnungen einflossen, die von beiden Seiten als Recht akzeptiert wurden. Diese Akzeptanz erforderte – einer gemeinsamen Sprache gleich, dass die verwendeten Begrifflichkeiten von beiden Seiten mit einem zumindest ähnlichen Bedeutungsgehalt hinterlegt waren. Wilhelm G. Grewe bestreitet zu Recht, dass es eine einheitliche universelle Völkerrechtsordnung gegeben hat,469 obwohl er selbst für die Beschreibung dieser Strukturen den Begriff „völkerrechtliche Beziehungen“ gebraucht. Letztendlich handelt es sich bei dem Streit, ob die Beziehungen zwischen Europäern und überseeischen Völkern völkerrechtlicher Natur waren, um eine Frage von Begrifflichkeiten: Wie oben dargestellt, kann „Völkerrecht“ einerseits schlicht und etwas unjuristisch als Recht zwischen Völkern verstanden werden. Andererseits kann sich der Begriff aber auch streng auf die europäisch geprägte Ordnung beziehen. Alexandrowicz hat Recht, wenn er feststellt, dass es bereits im 16. 17. und 18. Jahrhundert einen von formaler Gleichrangigkeit geprägten Rechtsverkehr zwischen Europa und Übersee gegeben hat, welcher sich im Zuge des 19. Jahrhunderts verflüchtigte.470 Dieser Rechtsverkehr fand zwischen Völkern statt und kann daher unjuristisch als Völkerrechtsverkehr bezeichnet werden. Grundlage dieses Völkerrechts war dann aber nicht das „Ius Publicum Europaeum“, sondern ein Recht, welches Elemente der verschiedenen Rechtskreise aufnahm und von Axel Kämmerer als „bifokales Recht“471 bezeichnet wird. Der von Kämmerer gewählte Begriff des bifokalen Rechts ist insoweit missverständlich, als aus ihm heraus nicht klar ist, wer der (bi)-fokussierende Betrachter ist. So ist es einerseits möglich, diesen Begriff eurozentristisch zu verstehen, in dem Sinne, dass von europäischer Warte aus schlicht an die europäischen und außereuropäischen „Vertrags“-Partner jeweils unterschiedliche Maßstäbe angelegt wurden. Andererseits kann der Begriff aber auch – und diesem Verständnis wird hier der Vorzug gegeben – so verstanden werden, dass der fokussierende Betrachter das Recht selbst ist. Bifokal meint dann, dass das geltende Recht jeweils alternierend und synthetisierend in außereuropäischen und europäischen Rechtskreisen wurzelt und quasi rückblickend mit wechselndem Fokus auf seine Ursprünge schaut. Eindeutiger
469
Wilhelm G. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte (Fn. 137) 545. Charles Henry Alexandrowicz, An Introduction to the History of the Law of Nations in the East Indies (16th, 17th and 18th Centuries), Clarendon 1967, 2. 471 Vgl. Jörn Axel Kämmerer, Das Völkerrecht des Kolonialismus (Fn. 240) 44. 470
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wäre insofern die Bezeichnung als biradikal472, um die verschiedenen Wurzeln des die Beziehungen regelnden Rechtsgeflechts zu verdeutlichen. Wie die „internationalen“ Beziehungen zwischen Europäern und den verschiedenen Weltregionen tatsächlich gehandhabt wurden, soll im Folgenden dargestellt werden. (1) Rechtsverkehr zwischen Europa und Asien Die rechtlichen Beziehungen der europäischen Staaten zu den asiatischen Staatswesen fügten sich am Anfang des Rechtsverkehrs, als die Europäer sich noch als unterlegene „Gäste“ in einem fremden Rechtskreis wahrnahmen, in das asiatische „Völkerrechtsverständnis“ ein, welches in seiner Gestaltung von gestuften Tributärund Vasallitätsverhältnissen473 geprägt war und etwa den internationalen Beziehungen des europäischen Mittelalters ähnelte.474 Die Europäer verstanden bald, dieses System für ihre Zwecke auszunutzen, obwohl sie mit den asiatischen Reichen wie mit vollgültigen Staaten verkehrten.475 Unter Ausnutzung der asiatischen „Völkerrechts“-Regeln konnten sie deren Souveränität jedoch im Verlauf des 19. Und 20. Jahrhunderts soweit reduzieren, dass ihre Staatlichkeit ernsthaft in Frage stand.476 Die gewachsene Machtposition der Europäer erlaubte es diesen schließlich, das asiatische Recht nach ihren Vorstellungen zu formen. (2) Rechtsverkehr zwischen Europa und Lateinamerika Die spanische und portugiesische Praxis ignorierte die Souveränität lateinamerikanischer Völker vollkommen,477 was sich jedoch selbst spanischen Rechtsgelehrten als Rechtsbruch und nicht als Ausdruck von rechtsprägender Staatenpraxis darstellte:478 472 „Radikal“ wird hier im Sinne von „Radix“ = Wurzel, also auf den Ursprung bezogen, verstanden und nicht im Sinne einer extremen Auffassung. 473 Vgl. zu den Gemeinsamkeiten zwischen Vasallitätsverhältnis und personal determiniertem Rule of the Clan: Wilhelm G. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte (Fn. 137) 87 f. 474 Jörg Fisch, Europäische Expansion (Fn. 164) 37. 475 Ebd., 37 f. 476 Ebd., 39. 477 Ebd., 40. 478 Francisco de Vitoria, De Jure Belli Hispanorum in Barbaros, Nr. 10 ff., verwendet in der Übersetzung von Walter Schätzel, Mohr Siebeck 1952; Bartolomé de las Casas, Dreißig Rechtssätze, in: Mariano Delgado (Hrsg.), Bartolomé de Las Casas – Sozialethische und staatsrechtliche Schriften, Bd. 3/1, Schöningh 1996, 181, 184, X. Satz; 188, XXVI. Satz; 191, XXX. Satz; sowie ders., in: Traktat zur Begründung der souveränen kaiserlichen Herrschaft und des universalen Fürstenamtes der Könige von Kastilien und Léon über Westindien, in: Mariano Delgado (Hrsg.), Bartolomé de Las Casas – Werkauswahl – Sozialethische und staatsrechtliche Schriften, Bd. 3/1, Schöningh 1996, 193, 229; ders., in: Traktat über die Schätze Perus, in: Mariano Delgado (Hrsg.), Bartolomé de Las Casas – Werkauswahl – Sozialethische und
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„Da es stets an der Autorisierung durch den Fürsten sowie an einem gerechten Grund fehlte, Krieg gegen die unschuldigen Indios zu führen, die in Ruhe und Frieden auf ihrem Land und in ihren Häusern lebten, behaupten wir, daß die conquistas in Westindien von seiner Entdeckung an bis heute rechtlich null und nichtig waren und sind und (solange es keinen neuen Grund gibt) immer sein werden.“479
Bartolomé de Las Casas geht sogar soweit, dass die Kriege der Conquistadoren in Lateinamerika entgegen dem ausdrücklichen Verbot der spanischen Krone erfolgten.480 Rückschlüsse auf das Völkerrechtsverständnis des 16. Jahrhunderts lassen sich somit nicht aus der Conquista selbst, sondern nur aus ihrer überwiegenden Ablehnung ziehen. (3) Rechtsverkehr zwischen Europa und Nordamerika Der Rechtsverkehr mit den meist transhumant lebenden481 nordamerikanischen Indianern richtete sich zunächst nach den dortigen Gepflogenheiten, wie z. B. dem rituellen Austausch von Wampumschnüren zur Besiegelung und v. a. „schriftlichen“ Fixierung des Vertragsinhalts482 und wurde in für Europäer lesbarer Weise nur in Sitzungsprotokollen festgehalten.483 Das indigene Recht galt in den Kolonien zustaatsrechtliche Schriften, Bd. 3/1, Schöningh 1996, 275, 277, Kap 6; 282, 285 f., 290, 296 ff.; ders., Die Verhehrung Westindiens, verwendet in der Übersetzung von DW Andres, Christian Friedrich Himburg 1790; Balthazar Ayala, De Jure Officiis Bellicis et Disciplina Militari Libri III, verwendet in der Übersetzung von John Pawley Bate, herausgegeben von John Westlake, Carnegie Institution 1912, Buch I, Kapitel II, Nr. 28 f.; sowie außerhalb Spaniens: Alberico Gentili, De Iure Belli (Fn. 168) Buch I, Kapitel XIX, Rn. 144; Samuel Pufendorf, De Iure Naturae et Gentium, zuerst erschienen 1672, verwendet in der Übersetzung von Basil Kennett, J. Walthoe/R. Wilkin/J. and J. Bonwicke/S. Birt/T. Ward/T. Osborn 1729, Buch VII, § III; Hugo Grotius, Krieg und Frieden, (Fn. 168) Buch II, Kapitel XXII, Abs. 9; Immanuel Kant, Methaphysik der Sitten, Rechtslehre, II. Theil, 3. Abschnitt, § 62, zuerst erschienen 1797, verwendet in der 2. Auflage, Friedrich Nicolovius 1798, 261; zur Auswertung vgl. Katja Göcke, Indigene Landrechte (Fn. 88) 40 ff. 479 Bartolomé de las Casas, Dreißig Rechtssätze (Fn. 478) 188, XXVI. Satz. 480 Ebd., 181, 188, XXV. Satz. 481 Katja Göcke, Indigene Landrechte (Fn. 88) 17; Stuart Banner, How the Indians Lost their Land (Fn. 257) 152; Stuart Banner, Possessing the Pacific: Land, Settlers, and Indigenous Peoples from Australia to Alaska, Harvard UP 2007, 234; Anatoly Khazanov, Pastoral Nomads in the Past, Present, and Future: A Comparative View, in: Paul A. Olson (Hrsg.), The Struggle for the Land: Indigenous Insight and Industrial Empire in the Semiarid World, University of Nebraska Press 1990, 81, 82 ff. 482 Sowohl bei den Vertragsverhandlungen der Indianer untereinander, als auch bei den Verhandlungen zwischen Indianern und Europäern wurden mit verschiedenfarbigen Muscheln besetzte sogenannte „Wampum“-Schnüre oder -Gürtel übergeben. Diese Schnüre und Gürtel wurden von den Stammesältesten regelmäßig bei Zeremonien dem gesamten Stamm „verlesen“, damit diesem das mit anderen Stämmen vereinbarte Recht im Bewusstsein blieb. Das „Wampum“ bildete quasi eine Art „Gedächtnisstütze“ für die mündlich von Generation zu Generation überlieferten Verträge. 483 Christophe N. Eick, Indianerverträge in Nouvelle-France, Duncker & Humblot 1994, 99; vgl. z. B. New York, Virginia und Pennsylvania (Großbritannien) ./. Irokesische Konföde-
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nächst sogar verbindlich gegenüber den englischen Siedlern fort (Principle of Continuity) und wurde als solches auch von britischen Gerichten angewendet.484 Später wurden zwar vermehrt Verträge nach europäischem Muster mit den Indianern abgeschlossen. In diesen finden sich jedoch klare Hinweise, dass zunächst versucht wurde, beiden Ordnungen gerecht zu werden: „The hatchet shall be forever buried, …“485
ration, The Great Treaty of 1722 Between the Five Nations, the Mahicans, and the Colonies of New York, Virginia, and Pennsylvania (27. August 1722), in: E. B. O’Callaghan, (Hrsg.), Documents Relative to the Colonial History of the State of New York, Bd. 5, Weed, Parsons, and Co 1855, 657, 659; Pennsylvania, Virginia und Maryland (Großbritannien) ./. Irokesische Konföderation, A Treaty Held at the Town of Lancaster, by the Honourable the Lieutenant Governor of the Province, and the Honourable the Commissioners for the Province of Virginia and Maryland, with the Indians of the Six Nations (Juni 1744) (Treaty of Lancaster), in: C. van Doren/J. P. Boyd (Hrsg.), Indian Treaties Printed by Benjamin Franklin, 1736 – 1762, The Historical Society of Pennsylvania 1938, 41; The Treaty of Logg’s Town, 1752 (1906) Virginia MHB, 13, 154; Proceedings of the Colonial Congress held at Albany (Juni-Juli 1754), in: E. B. O’Callaghan (Hrsg.), Documents Relative to the Colonial History of the State of New York, Bd. 6, Weed, Parsons, and Co 1855, 853, 862 ff.; Großbritannien ./. Irokesische Konföderation, Conference Held by the Honourable Brigadier General Moncton with the Western Nations of Indians, at the Camp before Pittsburgh (12. August 1760), in: S. Hazard (Hrsg.), Pennsylvania Archives I, Bd. 3, Joseph Severns 1852, 744, 747 ff. 484 Mark D Walters, Mohegan Indians v. Connecticut (1705 – 1773) and the Legal Status of Aboriginal Customary Laws and Government in British North America (1995) Osgoode Hall LJ, 785, 790. 485 USA ./. Choctaw Nation, Articles of a treaty concluded at Hopewell, on the Keowee, near Seneca Old Town, between Benjamin Hawkins, Andrew Pickens and Joseph Martin, Commissioners Plenipotentiary of the United States of America, of the one part; and of Yockonahoma, great Medal Chief of Soonacoha; Yockehoopoie, leading Chief of Bugtoogoloo; Mingo-hoopoie, leading Chief of Hashooqua; Tobocoh, great Medal Chief of Congetoo; Pooshemastubie, Gorget Captain of Senayazo; and thirteen small medal Chiefs of the first Class, twelve Medal and Gorget Captains, Commissioners Plenipotentiary of all the Choctaw Nation, of the other part (3. Januar 1786) in: Charles J. Kappler (Hrsg.), Indian Affairs: Laws and Treaties, Bd. 2 – Treaties, Government Printing Office 1904, 11, 12; USA ./. Cherokee, Articles concluded at Hopewell, on the Keowee, between Benjamin Hawkins, Andrew Pickens, Joseph Martin, and Lachlan M’Intosh, Commissioners Plenipotentiary of the United States of America, of the one Part, and the Head-Men and Warriors of all the Cherokees of the other (28. November 1785) in: Charles J. Kappler (Hrsg.), Indian Affairs: Laws and Treaties, Bd. 2 – Treaties, Government Printing Office 1904, 9, 10; USA ./. Chickasaw Nation, Articles of a treaty, concluded at Hopewell, on the Keowee, near Seneca Old Town, between Benjamin Hawkins, Andrew Pickens, and Joseph Martin, Commissioners Plenipotentiary of the United States of America, of the one Part; and Piomingo, Head Warrior and First Minister of the Chickasaw Nation; Mingatushka, one of the leading Chiefs; and; Latopoia, first beloved Man of the said Nation, Commissioners Plenipotentiary of all the Chickasaws, of the other Part (10. Januar 1786), in: Charles J. Kappler (Hrsg.), Indian Affairs: Laws and Treaties, Bd. 2 – Treaties, Government Printing Office 1904, 14, 16.
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Schließlich ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verkümmerte die Souveränität der Indianer immer weiter, bis die Verträge schließlich nur noch als rein nationales Recht betrachtet wurden.486 (4) Rechtsverkehr zwischen Europa und Afrika Die Beziehungen zwischen den europäischen Staaten und Nordafrika im 17. und 18. Jahrhundert bezeichnet Alexandrowicz als „Normal Treaty Relations“.487 Nach Fisch ist das Verhältnis zwischen Europäern und Afrikanern im 17. Und 18. Jahrhundert jenem mit den Asiaten nachgebildet.488 Im 17. Jahrhundert verhielten sich die Beziehungen nach Afrika streng analog zur innereuropäischen Praxis und wandelten sich im 18. Jahrhundert in Vasallenverhältnisse um. Auch noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden in Afrika völlig reziproke Handelsverträge ohne Souveränitätsvorbehalte geschlossen.489 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dominierten hier Protektoratsverträge, nach deren Wortlaut die afrikanischen Herrscher lediglich die äußere Souveränität an die Europäer abtraten,490 und Zessionsverträge mit einer vollständigen Souveränitätsabtretung.491 (5) Bewertung und Einordnung der Rechtsbeziehungen nach Übersee Losgelöst von den biradikalen Rechtsordnungen492 überseeischer Rechtsbeziehungen handelt es sich beim Ius Publicum Europaeum – dem europäischen Völkerrecht selbst – um eine „Clubsatzung“,493 die zunächst keinen Universalitätsanspruch erhob, sondern auf einen Numerus clausus an Mitgliedern beschränkt blieb.494 Will man dieses europäische Völkerrecht in Sensu stricto auf die Verträge zwischen Kolonialmächten und indigenen Völkern anwenden, so scheitert dieser Versuch bereits daran, dass die Grundlagen des Ius Publicum Europaeum einer der beiden Parteien vermutlich gar nicht vertraut waren:495
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Christophe N. Eick, Indianerverträge in Nouvelle-France (Fn. 483) 27. Charles Henry Alexandrowicz, The European African Confrontation (Fn. 459) 9; a.A. Wilhelm G. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte (Fn. 137) 545. 488 Jörg Fisch, Europäische Expansion (Fn. 164) 42. 489 Ebd., 43. 490 Vgl. zur näheren Erläuterung des Begriffs Wilhelm G. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte (Fn. 137) 552 ff. 491 Jörg Fisch, Europäische Expansion (Fn. 164) 43. 492 Vgl. C. III. 4. b) bb); Jörn Axel Kämmerer, Das Völkerrecht des Kolonialismus (Fn. 240) 44, der indes den missverständlichen Begriff „bifokal“ gebraucht. 493 Jörn Axel Kämmerer, Das Völkerrecht des Kolonialismus (Fn. 240) 36 ff.; Jörn Axel Kämmerer, Imprints of Colonialism (Fn. 129) 241. 494 Jörn Axel Kämmerer, Das Völkerrecht des Kolonialismus (Fn. 240) 36 ff.; Jörn Axel Kämmerer, Imprints of Colonialism (Fn. 129) 241. 495 Jörn Axel Kämmerer, Imprints of Colonialism (Fn. 129) 243. 487
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C. Nomaden in Zeit, Raum und Recht
„La notion de territorialité élaborée et rigide ne leur est pas familière.“496
Sofern sich die Abkommen mit einheimischen Völkern überhaupt einer Rechtsordnung zuordnen und nicht, wie oben erläutert, auf biradikale Spontanordnungen gründen,497 so kann diese Rechtsordnung nur in einem universell geltenden alle regionalen Rechtsordnungen umklammernden Naturrecht498 gesehen werden. Legt man dieses Naturrecht zugrunde, muss die Gültigkeit aller Verträge in Zweifel gezogen werden.499 Denn nach naturrechtlichem Verständnis kann ein Vertrag schon gar nicht wirksam sein, wenn bei den Vertragsparteien ein verdeckter Dissens vorliegt,500 ganz zu schweigen von solchen Abkommen bei deren Abschluss sich die Europäer ganz offensichtlicher Täuschung bedienten oder ihre Verhandlungspartner mit Alkohol in einen geschäftsunfähigen Zustand versetzten. Zumindest von einem Dissens muss regelmäßig ausgegangen werden, angesichts der Tatsache, dass sich die Europäer die Souveränität über Territorien von Völkern abtreten ließen, denen das Verständnis einer territorialen Souveränität gänzlich fremd war.501 Auch wenn das Naturrecht nicht zur Grundlage der Verträge gemacht wird, sondern stattdessen ein biradikales Spontanrecht,502 so setzt dieses die Einigung auf eine gemeinsame von beiden Seiten akzeptierte „Rechtssprache“ voraus, hinsichtlich derer mit Bezug auf den Bedeutungsgehalt territorialer Souveränität ebenfalls ein Dissens vorlag. Entweder bezieht sich dieser Dissens somit auf den konkreten Inhalt der Verträge, oder aber an ihm scheitert bereits das Vorliegen einer den Verträgen zugrundeliegenden Rechtsordnung.
496 IGH, Frontier Dispute (Burkina Faso ./. Mali) Mémoire du Mali (22. Dezember 1986) ICJ Rep 1986, 554, 23. 497 Vgl. C. III. 4. b) bb); Jörn Axel Kämmerer, Das Völkerrecht des Kolonialismus (Fn. 240) 44, der indes den missverständlichen Begriff „bifokal“ gebraucht. 498 Jörn Axel Kämmerer, Imprints of Colonialism (Fn. 129) 241; Martti Koskenniemi, Civilizer (Fn. 133) 115; vgl. etwa Bartolomé de Las Casas, Einige Rechtsprinzipien zur Behandlung der westindischen Frage, in: Mariano Delgado (Hrsg.), Bartolomé de Las Casas – Werkauswahl – Sozialethische und staatsrechtliche Schriften, Bd. 3/1, Schöningh 1996, 41, 46; kritisch gegenüber einem globalen Naturrecht: Wilhelm G. Grewe, Vom europäischen zum universellen Völkerrecht (Fn. 464) 451 ff. 499 Andernfalls fehlt ein klarer Maßstab, nach dem die Gültigkeit eines Vertrages zu bestimmen ist, wie mit Dissens, Täuschung, Geschäftsunfähigkeit und Drohung umzugehen ist, vgl. Jörn Axel Kämmerer, Das Völkerrecht des Kolonialismus (Fn. 240) 51; Hugo Grotius, Krieg und Frieden (Fn. 168) Buch II, Kapitel XI, Abs. VI. 500 Martti Koskenniemi, Civilizer (Fn. 133) 115 über die Stellung des Naturrechts in Bezug auf Indigene, welche diesen das Recht gab, als Händler und Reisende gleich behandelt zu werden. 501 Jörn Axel Kämmerer, Das Völkerrecht des Kolonialismus (Fn. 240) 50; Verkijika G. Fanso, Traditional and Colonial African Boundaries: Concept and Functions in Inter-Group Relations (1986) Présence Africaine, 58, 71 f.; Jeffrey Herbst, States and Power in Africa (Fn. 239) 74 502 Vgl. C. III. 4. b) bb); Jörn Axel Kämmerer, Das Völkerrecht des Kolonialismus (Fn. 240) 44, der allerdings den missverständlichen Begriff „bifokal“ gebraucht.
III. Territorien und Grenzen aus dem Blickwinkel von Staaten und Nomaden
113
(6) Anwendung auf Grenzübertrittsrechte Dieser Dissens muss im Hinterkopf behalten werden, wenn im Folgenden der Umgang der Verträge mit Grenzübertritten von Nomaden beleuchtet wird. Häufig kommt nämlich eine Vertragslesart aus dem Blickwinkel des Rule of the Clan zu einer anderen Interpretation als eine Vertragslesart aus europäischer Sicht. Ein Beispiel: Wenn sich ein europäischer Staat ein bestimmtes Gebiet abtreten ließ, so verband er damit die Vorstellung, von nun an eine exklusive Territorialhoheit (gleich ob als privates Dominium oder öffentliches Imperium) zu besitzen, inklusive des Rechts darüber zu bestimmen, wer dieses Gebiet betreten und verlassen darf. Aus clanrechtlicher Perspektive bedeutet die Abtretung eines Landes jedoch lediglich die Zuweisung von sachlich und zeitlich begrenzten Nutzungsrechten, ohne dass hierdurch das betreffende Land „fremdes Hoheitsgebiet“503 wird. Die Vielfalt der auf der ganzen Welt mit Europäern geschlossenen Verträge504 erlaubt kein universelles Urteil über die Gewährung von Freizügigkeit für nomadische Völker in Übersee aus Sichtweise der Europäer. Wie unterschiedlich bereits die Praxis auf einem überschaubaren Gebiet war, sollen im Folgenden exemplarisch einige Verträge aus Nordamerika verdeutlichen: Zunächst gab es hier solche Verträge, die den europäischen Siedlern nicht die komplette Gebietshoheit, sondern entsprechend dem indigenen Rechtsverständnis nur einzelne Nutzungsrechte übertrugen.505 Nach diesem Vertragstyp blieb die Freizügigkeit grundsätzlich gewahrt, da die Verträge gar nicht den Zweck einer territorialen Abgrenzung verfolgten. In anderen Verträgen wurden bestimmte Wege festgelegt, die die Indianer zu benutzen hatten: „… if you desire a Road, we will agree to one on the Terms of the Treaty you made with Colonel Spotswood, and your People, behaving themselves orderly like Friends and Brethren, shall be used in their Passage through Virginia with the same Kindness as they are when they pass through the Lands of your Brother Onas [i. e. Pennsylvania]“506.
Daneben gab es Verträge, die nicht die Freizügigkeit der Indianer zum Inhalt hatten, sondern im Gegenteil den Grenzübertritt der Kolonisten. Ein Beispiel hierfür ist der Konföderationsvertrag zwischen den Delaware und den Vereinigten Staaten
503
Vgl. Jörn Axel Kämmerer, Das Völkerrecht des Kolonialismus (Fn. 240) 50. Ein Kurzüberblick der unterschiedlichen Vorgehensweisen auf verschiedenen Kontinenten findet sich bei: Jörg Fisch, Europäische Expansion (Fn. 164) 37 ff. 505 Christophe N. Eick, Indianerverträge in Nouvelle-France (Fn. 483) 66. 506 Pennsylvania, Virginia und Maryland (Großbritannien) ./. Irokesische Konföderation, A Treaty Held at the Town of Lancaster, By the Honourable the Lieutenant Governor of the Province, and the Honourable the Commissioners for the Province of Virginia and Maryland, with the Indians of the Six Nations (Juni 1744) (Treaty of Lancaster) in: C. van Doren/J. P. Boyd (Hrsg.), Indian Treaties Printed by Benjamin Franklin, 1736 – 1762, The Historical Society of Pennsylvania 1938, 41, 62. 504
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C. Nomaden in Zeit, Raum und Recht
aus dem Jahre 1778,507 in dessen Art. III sich die Vereinigten Staaten das Recht gewähren ließen, die Grenzen der Delaware mit ihren Truppen zu über- und deren Territorium zu durchqueren oder innerhalb der Indianergebiete Handelsposten einzurichten und diese auch zu frequentieren. Schließlich gibt es Verträge, die eine Politik der strikten Abgrenzung verfolgten und sowohl den Siedlern das Siedeln in Indianergebieten verwehrten, als auch umgekehrt den Indianern das Siedeln in abgetretenen Territorien.508 Andere Verträge verboten den Indianern sogar das schlichte Überqueren der jeweiligen Grenzen, freilich ohne gleichzeitig den Siedlern den Zug nach Westen zu verwehren: „You did last year likewise charge and command us not to go a fighting towards Virginia, not to pass over the great River of Patawmack, nor the Ridge of High Mountains that surround Virginia.“509 507 USA ./. Delaware Nation, Articles of agreement and confederation, made and, entered into by, Andrew and Thomas Lewis, Esquires, Commissioners for, and in Behalf of the United States of North-America of the one Part, and Capt. White Eyes, Capt. John Kill Buck, Junior, and Capt. Pipe, Deputies and Chief Men of the Delaware Nation of the other Part (17. September 1778), in: Charles J. Kappler (Hrsg.), Indian Affairs: Laws and Treaties, Bd. 2 – Treaties, Government Printing Office 1904, 3. 508 USA ./. Choctaw Nation, Articles of a treaty concluded at Hopewell, on the Keowee, near Seneca Old Town, between Benjamin Hawkins, Andrew Pickens and Joseph Martin, Commissioners Plenipotentiary of the United States of America, of the one part; and of Yockonahoma, great Medal Chief of Soonacoha; Yockehoopoie, leading Chief of Bugtoogoloo; Mingo-hoopoie, leading Chief of Hashooqua; Tobocoh, great Medal Chief of Congetoo; Pooshemastubie, Gorget Captain of Senayazo; and thirteen small medal Chiefs of the first Class, twelve Medal and Gorget Captains, Commissioners Plenipotentiary of all the Choctaw Nation, of the other part (3. Januar 1786) in: Charles J. Kappler (Hrsg.), Indian Affairs: Laws and Treaties, Bd. 2 – Treaties, Government Printing Office 1904, 11; dieselbe Bestimmung enthält der Vertrag mit den Cherokee (USA ./. Cherokee, Articles concluded at Hopewell, on the Keowee, between Benjamin Hawkins, Andrew Pickens, Joseph Martin, and Lachlan M’Intosh, Commissioners Plenipotentiary of the United States of America, of the one Part, and the HeadMen and Warriors of all the Cherokees of the other (28. November 1785) in: Charles J. Kappler (Hrsg.), Indian Affairs: Laws and Treaties, Bd. 2 – Treaties, Government Printing Office 1904, 9) und jener mit den Chickasaws (USA ./. Chickasaw Nation, Articles of a treaty, concluded at Hopewell, on the Keowee, near Seneca Old Town, between Benjamin Hawkins, Andrew Pickens, and Joseph Martin, Commissioners Plenipotentiary of the United States of America, of the one Part; and Piomingo, Head Warrior and First Minister of the Chickasaw Nation; Mingatushka, one of the leading Chiefs; and; Latopoia, first beloved Man of the said Nation, Commissioners Plenipotentiary of all the Chickasaws, of the other Part (10. Januar 1786), in: Charles J. Kappler (Hrsg.), Indian Affairs: Laws and Treaties, Bd. 2 – Treaties, Government Printing Office 1904, 14). Alle drei Verträge sind bekannt als Treaties of Hopewell; vgl. auch USA ./. Wiandot, Delaware, Chippawa and Ottawa Nations, Articles of a treaty concluded at Fort M’Intosh, the twenty-first day of January, one thousand seven hundred and eighty-five, between the Commissioners Plenipotentiary of the United States of America, of the one Part, and the Sachems and Warriors of the Wiandot, Delaware, Chippawa and Ottawa Nations of the other (21. Januar 1785) in: Charles J. Kappler (Hrsg.), Indian Affairs: Laws and Treaties, Bd. 2 – Treaties, Government Printing Office 1904, 7. 509 New York, Virginia und Pennsylvania (Großbritannien) ./. Irokesische Konföderation, The Great Treaty of 1722 Between the Five Nations, the Mahicans, and the Colonies of New
III. Territorien und Grenzen aus dem Blickwinkel von Staaten und Nomaden
115
Allgemeingültige Aussagen über ein fortdauerndes Recht auf Grenzübertritt lassen sich nicht treffen. Einige Verträge beweisen allerdings, dass die Möglichkeit trotz territorialer Abgrenzung ein Grenzübertrittsrecht zu gewähren, bekannt war und in wenigen Einzelfällen auch genutzt wurde: „As long as the lands which have been ceded by this treaty shall continue to be the property of the United States, the said tribe shall have the privilege of living and hunting upon them in the same manner that they have hitherto done.“510
Außerhalb Nordamerikas finden sich explizit gewährte Grenzübertrittsrechte z. B. in einem Vertrag zwischen Ägypten und dem Osmanischen Reich hinsichtlich der Beduinen in der Negev aus dem Jahre 1906: „VI. All Tribes living on both sides shall have the right of benefiting by the water as hereto, viz., They shall retain their ancient and former rights in this respect. Necessary guarantees will be given to Arab tribes respecting above. […] VIII. Natives and Arabs of both sides shall continue to retain the same established and ancient rights of ownership of waters, fields and lands on both sides as formerly.“511
oder auch zwischen Äthiopien und Kenia (britisch): „The tribes occupying either side of the line shall have the right to use the grazing grounds on the other side as in the past, but during their migrations it is understood, that they shall be subject to the jurisdiction of the territorial authority.“512 York, Virginia, and Pennsylvania (27. August 1722), in: E. B. O’Callaghan (Hrsg.), Documents Relative to the Colonial History of the State of New York, Bd. 5, Weed, Parsons, and Co 1855, 657, 659. 510 USA ./. Kaskaskia Tribe of Indians, Art. 6 A treaty between the United States of America and the Kaskaskia Tribe of Indians (13. August 1803), in: Charles J. Kappler (Hrsg.), Indian Affairs: Laws and Treaties, Bd. 2 – Treaties, Government Printing Office 1904, 67, 68; Ein ebensolches Recht zum Leben und Jagen beinhalten auch Art. 5 des Vertrags mit den Piankashaw (USA ./. Piankashaw, A treaty between the United States of America and the Piankishaw tribe of Indians (30. Dezember 1805), in: Charles J. Kappler (Hrsg.), Indian Affairs: Laws and Treaties, Bd. 2 – Treaties, Government Printing Office 1904, 89) sowie Art. 5 des Vertrags mit den Ottawa (USA ./. Ottawa, Articles of a treaty made at Detroit, this seventeenth day of November, in the year of our Lord, one thousand eight hundred and seven, by William Hull, governor of the territory of Michigan, and superintendent of Indian affairs, and sole commissioner of the United States, to conclude and sign a treaty or treaties, with the several nations of Indians, north west of the river Ohio, on the one part, and the sachems, chiefs, and warriors of the Ottoway, Chippeway, Wyandotte, and Pottawatamie nations of Indians, on the other part (17. November 1807), in: Charles J. Kappler (Hrsg.), Indian Affairs: Laws and Treaties, Bd. 2 – Treaties, Government Printing Office 1904, 92, 93. 511 Ägypten ./. Osmanisches Reich, Agreement signed and exchanged at Rafah on October 1, 1906 between the Commisioners of the Turkish Sultanate and the Commissioners of the Egyptian Khedivate, concerning the fixing of a Separating Administrative Line between the Vilayet of Hejaz and Governorate of Jerusalem and the Sinai Peninsula, 5 Martens NRG (3. Serie) 882. 512 Äthiopien ./. Kenia (Großbritannien), Agreement between Great Britain and Ethiopia relative to the Frontiers between British East Africa, Uganda and Ethiopia (6. Dezember 1907),
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Gleiches wurde von europäischer Seite mit vielen anderen afrikanischen Ländern vereinbart, zu denen mit den Kolonialmächten „Grenzen“ bestanden513 und auch mit dem Königshaus Saud konnten sich die Briten schließlich auf eine entsprechende Kompromisslösung einigen, die einerseits eine lineare Grenze nach europäischem Muster, andererseits grenzüberschreitende Weiderechte im Sinne der Nomaden vorsah.514 In einem Vertrag mit den nomadischen Tuareg setzten sich die Franzosen sogar dafür ein, von diesen auch für algerische „Indigene“ Freizügigkeit zugesichert zu bekommen515 und im Vertrag zwischen Frankreich und Marokko entschloss man sich aufgrund der Schwierigkeit, Grenzen in der Wüste zu ziehen, dazu, statt auf eine territoriale Abgrenzung der Hoheitsgewalt, auf das Personalitätsprinzip, wie es unter dem Rule of the Clan gebräuchlich war, zurückzugreifen.516 Von tunesischen Pastoralisten hingegen verlangten die Franzosen für das Überschreiten der neuen Grenzen die Beantragung einer expliziten Genehmigung mit
in: Ian Brownlie, African Boundaries (Fn. 127) 779 f.; die Privilegien wurden 1947 wieder aufgehoben: „In accordance with the understanding expressed at the meeting of the Delegations on 10th May, the provisions of the 1907 Agreement with regard to grazing and watering shall be abrogated.“ Exchange of notes constituting an agreement between the government of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland and the government of Ethiopia amending the description of the Kenya-Ethiopia Boundary (29. September 1947) 1951 UNTS 1092; am 9. Juni 1970 gewährten beide Länder in einem Zusatzprotokoll erneut in nur zwei Orten den Grenzübertritt. (Protocol relating to trans-frontier watering and grazing rights, 1528 UNTS i-26507). 513 Algerien (Frankreich) ./. Marokko: Art. 3, Art. 5 – 7 Protocole intervenu le 20 juillet 1901 entre M Delcassé, Ministre des Affaires Etrangères de la République francaise et Si Abdelkarim ben Sliman, Ministre des Affaires Etrangères et Ambassadeur Plénipotentiaire de Sa Majesté Chérifienne auprès du Gouvernement de la République francaise, portant application et exécution du traité de 1845 dans la région du Sud-Ouest Algérien (20. Juli 1901), in: Ian Brownlie, African Boundaries (Fn. 127) 63; Algerien (Frankreich) ./. Tunesien: „Convention Speciale“ des „Décret d’homologation“ des Bey von Tunis, Procès-verbal (20. September und 1. Dezember 1901), in: Ian Brownlie, ebd., 93; Libyen (Italien) ./. Ägypten, Art. 4, Art. 8 Nr. 2 Accord concernant la délimitation des frontières entre la Cyrénaique et l’Égypte (6. Dezember 1925), in: Ian Brownlie, ebd., 105 f.; Liberia ./. Sierra Leone (Großbritannien) Art. II Convention between Great Britain and Liberia supplementary to the Convention respecting the Boundary between Sierra Leone and Liberia“, signed at Monrovia, January 21, 1911 (25. Juni 1917), in: Ian Brownlie, ebd. 401; Äthiopien ./. Somaliland (Großbritannien) ./. Dschibuti (Frankreich), Art. IVAccord britannico-franco-éthiopien pour la Fixation du Point de Jonction des Frontières entre le Protectorat du Somaliland britannique, l’Empire d’Ethiopie, et la Colonie de la Côte francaise des Somalis (18. April 1934), in: Ian Brownlie, ebd. 772; Äthiopien ./. Somaliland (Großbritannien), Letter from the British Envoy Mr. Rennell Rodd to Ras Makunan, Govenor of Harrar (4. Juni 1897), in: Ian Brownlie, ebd. 834. 514 Talaat El Ghoneimy, The Legal Status of the Saudi-Kuwaiti Neutral (Fn. 179) 696. 515 Algerien (Frankreich) ./. Tuareg, Art. 3 Convention commerciale entre la France et la nation Touareg, suivie d’articles additionels; signée á Ghadamès (26. November 1862) Martens, NRG 1837 – 1874 XX 232. 516 Charles Henry Alexandrowicz, The European African Confrontation (Fn. 459) 59.
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genauen Angaben über das weidende Vieh.517 Ob sich die europäischen Mächte in der Folge an diese Verträge hielten, steht auf einem anderen Blatt.518 cc) Zwischenfazit zur Grenzziehung in den Kolonien Bei den Grenzen, die hinsichtlich der Kolonien gezogen wurden, muss unterschieden werden zwischen solchen Grenzen, die Europäer in Bezug auf Übersee untereinander zogen, um so ihre Interessensphären und Präemptionsrechte in den häufig noch unbekannten Gebieten gegeneinander abzustecken und jenen Grenzen, die die Kolonialmächte unmittelbar mit indigenen Völkern in Übersee vereinbarten. Erstere Grenzen waren allein an die europäischen Mächte adressiert und entfalteten somit gegenüber den Einheimischen keinerlei Rechtswirkung. Erst später im Zuge der Dekolonisierung erstarkten diese Linien zu Hoheitsgrenzen. Die Grenzen, welche in Verträgen zwischen Europäern und Einheimischen gezogen wurden, sind keine völkerrechtlichen Verträge im engeren Sinne.519 Sofern diese nicht gar auf Täuschung oder Geschäftsunfähigkeit auf einer Seite beruhen, liegt in den meisten Fällen ein Dissens hinsichtlich der in diesen Abkommen getroffenen Zugeständnisse vor, denn das Territorialitätskonzept war den meisten vom Rule of the Clan bestimmten Völkern fremd. Wenn dieser Dissens nicht sogar die Existenz einer biradikalen Rechtsordnung520 zwischen Europa und Übersee insgesamt infrage stellt, so scheitert an ihm in jedem Falle die konkret vorgenommene Souveränitätsabtretung. Inhaltlich gewährten diese Verträge mitunter Freizügigkeit für Nomaden, schlossen diese teilweise aber auch explizit aus. Eine generelle Aussage über die dem Wortlaut nach geregelte Permeabilität der Grenzen in Übersee lässt sich mithin nicht treffen. c) Petrifizierung der Grenzen nach der Dekolonisierung in Afrika und in Zentralasien „Most post-independent African states were no less cruel towards their indigenous populations than the colonialists.“521
517
Christian Windler, Grenzen vor Ort (Fn. 238) 136. Jörg Fisch, Europäische Expansion (Fn. 164) 43. 519 Schiedsspruch, Max Huber, Island of Palmas case (Niederlande ./. USA) (4. April 1928) Reports of International Arbitral Awards, Vol. II, 829, 858. 520 Vgl. C. III. 4. b) bb). 521 Mohamed Salih, Indigenous Peoples and the State: An unaccomplished colonial legacy and the dilemma of internal colonialism in Africa, in: Hanne Veber/Jens Dahl/Fiona Wilson/ Espen Waehle (Hrsg.), „Never Drink from the Same Cup“ – Proceedings of the conference on indigenous peoples in Africa, Tune, Denmark 1993, IWGIA und Centre for Development Research 1993, 271. 518
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Das Jahr 1960 ging als „afrikanisches Jahr“ in die Geschichte ein, denn es war das Jahr in dem die meisten Kolonien (18) in die Unabhängigkeit entlassen wurden. Im Morgengrauen der afrikanischen Dekolonisierung standen sich zwei unterschiedliche Visionen für die zukünftige Entwicklung Afrikas gegenüber. aa) Zwei Visionen für Afrika Die Gründungsdokumente der Organization for African Unity (heute Afrikanische Union) von 1964 machen beide Visionen deutlich: „The Organization shall have the following purposes: (a) to promote the unity and solidarity of the African States […] (c) to eradicate all forms of colonialism from Africa.“522
Die schwerwiegendste Hinterlassenschaft der Kolonialmächte in Afrika auch nach ihrem Rückzug vom Kontinent war die den afrikanischen Völkern bis zur Kolonialzeit unbekannte Existenz von Grenzen, sodass der Gedanke naheliegt, dass es der Afrikanischen Union um die schnellstmögliche Abschaffung dieser Grenzen ging. Bereits in der ersten Sitzung brach sich jedoch die zweite Vision Bahn, denn hier beschlossen ebenfalls 1964 die Staats- und Regierungschefs der OAU, dass „the borders of African States, on the day of their independence, constitute a tangible reality“523
und sprachen sich eindeutig für das Prinzip Uti possidetis aus.524 1986 bestätigte der IGH die Rechtsverbindlichkeit dieser bewussten Entscheidung der afrikanischen Staaten für Uti possidetis: „Indeed it was by deliberate choice that African States selected, among all the classic principles, that of uti possidetis.“525
Wie kam es zu diesem Zwiespalt? Während einige Afrika mit Georg Friedrich Hegel526 als einen Kontinent „without history“527 ansehen, ist das neuzeitliche Afrika in Wahrheit ein Kontinent mit (mindestens) zwei Geschichten. 522 523
1964).
Art. II Charter of the Organization for African Unity (Mai 1963). OAU, Resolution AHG/RES.16 (1) on border disputes between African States (Juli
524 AU, From Barriers to Bridges (Fn. 316) 7; bestätigt auch in Art. 4 b des Constitutive Act of the African Union, Lomé, Juli 2000; vgl. im Detail auch Bernhard Zeller, Ex Facto Ius Oritur (Fn. 118) 268 ff. 525 IGH, Case concerning Frontier Dispute (Burkina Faso ./. Mali) Judgment (22. Dezember 1986) ICJ Rep 1986, 567 Rn. 26; vgl. auch: Anne Peters, The Principle of Uti Possidetis Juris, in: Christian Walter/Antje von Ungern-Sternberg/Kavus Abushov (Hrsg.), Self-Determination and Secession in International Law, Oxford UP 2014, 95. 526 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte: „[Afrika] ist kein geschichtlicher Welttheil, er hat keine Bewegung und Entwicklung aufzuweisen, und was etwa in ihm, das heißt, in seinem Norden geschehen ist, gehört der asiatischen und europäischen Welt zu.“, Geographische Grundlage der Weltgeschichte, verwendet in der Ausgabe von Eduard Gans (Hrsg.), 3. Auflage, Duncker & Humblot 1848, 123.
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(1) „Rettung von außen“ – Nation-Building nach europäischem Vorbild Die erste beginnt im Jahre 1820, als Reverend Samuel Bacon mit der Elisabeth und 88 amerikanischen freigelassenen Sklaven auf der Insel Sherbro in Sierra Leone landete, um diesen dort eine Siedlung in Freiheit zu ermöglichen. Aufgrund zahlreicher Malaria- und Sumpffieberopfer auf Sherbro wich man bald auf das Festland aus und gründete dort eine Siedlung im heutigen Monrovia (Liberia). Derweil versuchten die Briten seit 1807 mittels einer Seeblockade den Sklavenhandel einzudämmen. Sklavenschiffe wurden aufgebracht und die sogenannten „Recaptives“ in Sierra Leone in Freiheit angesiedelt.528 In Sierra Leone und Liberia entwickelten sich aus den freigelassenen Sklaven politische Gemeinschaften mit Ursprüngen in aller Herren Länder, die sich Kreolisch verständigten, eigene Formen der Selbstverwaltung entwickelten und unter dem Einfluss europäischer Missionare zu Christen wurden.529 Unter diesen herrschte das Bewusstsein, dass Afrika sie in die Sklaverei geschickt habe, wohingegen Europa, insbesondere Großbritannien, sie rettete und freiließ.530 Aus diesen Gemeinschaften geretteter Sklaven entwickelte sich in Liberia und Sierra Leone eine kleine geschäftstüchtige und politisch engagierte Bourgeoisie mit politischem und theologischen Sendungsbewusstsein531 und Verachtung für genuin afrikanische Strukturen.532 Bereits in den 1860ern gab es unter ihnen eine lange Liste von Ärzten, Lehrern, Schriftstellern und Verwaltungsbeamten, welche es sich leisten konnte, ihre Söhne und Töchter auf englische Schulen und Universitäten zu schicken.533 Diese und andere afrikanische Intellektuelle eines städtischen Bürgertums z. B. in Cape Coast, Lagos, Abeokuta und Banjul waren durch die politischen Ideen Großbritanniens des 19. Jahrhunderts geprägt, insbesondere des nationalstaatlichen534 Konstitutionalismus und Christentums. Ihrer Meinung nach musste Afrika „gerettet“ werden und Rettung konnte nur von außerhalb Afrikas kommen.535 Zur selben Zeit wuchs in England die Überzeugung, das koloniale Abenteuer langfristig zu beenden, und die Frage kam auf, wer das Erbe der Kolonialherren antreten sollte.536
527 528 529 530 531 532 533 534 535 536
Basil Davidson, Black Man’s Burden (Fn. 189) 21. Basil Davidson, Black Man’s Burden (Fn. 189) 21 ff. Ebd., 25. Ebd., 25. Ebd., 26. Ebd., 43. Ebd., 33. Vgl. Abschnitt C. III. 4. a) aa). Basil Davidson, Black Man’s Burden (Fn. 189) 27, 38 f. Ebd., 32 f.
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Zwei Personengruppen kamen hierfür in Frage: auf der einen Seite jene intellektuelle Elite, die den europäischen Nationalstaat bewunderte und Afrika beschuldigte, die eigenen Vorfahren in die Sklaverei geschickt zu haben,537 auf der anderen Seite die nach wie vor bedeutsamen Clanchefs und Könige des präkolonialen Afrikas mit langen Ahnenreihen und einer rechtlichen Verwurzelung im Rule of the Clan.538 Während die eine Seite in Afrika Nationalstaaten nach europäischem Vorbild formen wollte und wusste, wie dies zu bewerkstelligen war, träumte die andere von einer postkolonialen „Restauration“539. Die Konzepte der europäisch erzogenen Elite setzten sich im Zuge der Dekolonisierung durch,540 auch weil zuvor die Praxis der „Indirect Rule“,541 wie sie von einigen Kolonialmächten, insbesondere den Briten, betrieben wurde, die personale afrikanische Herrschaftsordnung in eine territoriale nach europäischem Vorbild umgewandelt hatte.542 „This nation-statism looked like a liberation, and really began as one. But it did not continue as a liberation. […] The fifty or so states of the colonial partition, each formed and governed as though their peoples possessed no history of their own, became fifty or so nation-states formed and governed on European models, chiefly the models of Britain and France.“543
Die Nation wurde zur „Panazee“ verklärt. Es galt im 20. Jahrhundert die Devise, dass zur Entwicklung des Kontinents Nationen und Nationalstaaten zwingend zu schmieden seien.544 Nach den 1950ern drängten afrikanische Nationalisten in die von den Kolonialmächten geschaffenen Institutionen. Die Befreiung vom kolonialen Joch musste einhergehen mit der Befreiung vom vermeintlich „wertlosen Ballast“ der präkolonialen „wilden Hinterwelt“.545 Wie gingen nun die neuen afrikanischen Staaten mit den kolonialen Grenzen um? Sie behielten sie nicht nur bei,546 sondern taten es ihren europäischen „Vorbildern“ 537
Ebd., 33. Ebd., 33. 539 Begriff in Anlehnung an die Restauration in Europa nach dem Wiener Kongress, die gleichsam die Wiederherstellung der alten Feudalordnung anstrebte, nachdem Napoleon diese beseitigt hatte. 540 Prabhakar Singh, From „Narcistic“ Positive International Law to „Universal“ Natural International Law: The Dialectics of Colonial Disputes (2007) Sri Lanka JIL, 149, 166 f.; Mohamed Salih, Indigenous Peoples and the State (Fn. 520) 275 ff. 541 Martti Koskenniemi Colonial Laws (Fn. 283) 274; Kwame Nkrumah, Africa must Unite (Fn. 123) 15 ff. 542 Jörn Axel Kämmerer, Imprints of Colonialism (Fn. 129) 244. 543 Basil Davidson, Black Man’s Burden (Fn. 189) 10. 544 Sundhya Pahuja, Decolonising International Law (Fn. 306) 56; Ousmane Sy, Reconstruire l’Afrique (Fn. 207) 154 f. 545 Basil Davidson, Black Man’s Burden (Fn. 189) 74. 546 Bernhard Zeller, Ex Facto Ius Oritur (Fn. 118) 268. 538
III. Territorien und Grenzen aus dem Blickwinkel von Staaten und Nomaden
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gleich, um als vollwertige Mitglieder der Völkerfamilie anerkannt zu werden,547 und schlossen die ehemals durchlässigen Grenzen.548 Um ihre Herrschaft gegenüber den Clanältesten zu behaupten, schien es den Regierungen der neuen Staaten unerlässlich, an allen Infragestellern der Territorialordnung ihre Staatsmacht zu demonstrieren.549 Das Problem des Versuchs, in Afrika funktionierende Nationalstaaten zu errichten, war jedoch, dass den neuen Staaten jegliche ethnische und sprachliche Kohärenz fehlte, ja dass die Bevölkerung keiner einzigen Kolonie je den Gemeinsinn einer Nation entwickelt hatte.550 „The colonial Powers […] in drawing frontiers took no account of these human factors and in particular of the tribal territories and migration routes, which were, as a result, bisected and even trisected by those artificial frontiers.“551
Die nun zu Staatsgrenzen erstarkten kolonialen Grenzen waren in keiner Weise mit den Siedlungsräumen der Clans in Einklang zu bringen:552 Die einen wurden geteilt, die anderen mit bislang verfeindeten Clans in einen Einheitsstaat „gesperrt“.553 Folglich identifizierten sich die Bewohner der neuen Staaten nicht als Ivorer, Sambier oder Malawi554 und entsprechend wenig bedeuteten ihnen die staatlichen Grenzen. Die Bevölkerung fühlte sich weiterhin eher ihren Familien und Dörfern verbunden.555 Weder waren die Staatsbürger bereit für ihre Staaten als Soldaten ihr Leben zu riskieren, noch wollten z. B. einst selbstständige nomadische Tuareg von „Schwarzafrikanern“ regiert werden.556 Die meisten transnational wandernden Nomadenvölker zeichneten sich durch eine von der sesshaften Mehrheitsgesellschaft verschiedene Sprache, Kultur, Wirtschaftsweise und Herkunft ab. Dem propagierten Nation-Building standen diese unangepassten und auf Eigenständigkeit bedachten Nomadenvölker im Wege.557 Das gezielt geschürte Feindbild des „fremden“ Nomaden wurde ausgenutzt, um das 547 Sabine Bernot, Verfassungsrechtliche Anerkennung indigenen Rechts (Fn. 176) 15; Harald Kleinschmidt, The Family of Nations as an Element of the Ideology of Colonialism (2016) JHIL, 278 ff. 548 Jeffrey Herbst, States and Power in Africa (Fn. 239) 228. 549 Ebd.; Ousmane Sy, Reconstruire l’Afrique (Fn. 207) 155. 550 Vgl. Imre Josef Demhardt, Deutsche Kolonialgrenzen in Afrika (Fn. 123) 28. 551 IGH, Western Sahara Advisory Opinion (16. Oktober 1975) ICJ Rep 1975, 12 Rn. 137. 552 Anat A Gromyko, Collonialism and Territorial Conflicts in Africa, Some Comments, in: Carl Gösta Widstrand (Hrsg.), African Boundary Problems, Almqvist & Wiksell 1969, 165. 553 Vgl. Kwame Nkrumah, Africa must Unite (Fn. 123) 7. 554 Lewis H. Gann/Peter Duignan, Burden of Empire: An appraisal of Western Colonialism in Africa South of the Sahara, Hoover Institution, 1967, 312; A. Adu Boahen, African Perspectives on Colonialism (Fn. 123) 96. 555 Basil Davidson, Black Man’s Burden (Fn. 189) 12. 556 Lewis H. Gann/Peter Duignan, Burden of Empire (Fn. 554) 392. 557 Ousmane Sy, Reconstruire l’Afrique (Fn. 207) 155.
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Zusammengehörigkeitsgefühl der übrigen Bevölkerung zu stärken und ein Nationalbewusstsein unter dieser zu erzeugen. Die Vertreibung von Nomaden von ihren seit Langem genutzten Gebieten ist gut dokumentiert.558 Hatten die meisten Kolonialmächte die nomadische Viehweidewirtschaft noch geduldet oder sogar gefördert,559 setzte nach der Entlassung in die Unabhängigkeit eine von ethnischen Ressentiments geprägte Phase des NationBuilding ein,560 deren schlimmste Auswüchse in großangelegten Aktionen der ethnischen Säuberung gipfelten. Als ein Beispiel unter vielen sei hier die Fulbe-Politik Ghanas genannt, die im Rahmen der „Operation Cowleg“ und „Operation Livestock Solidarity“ alle Fulbe des Landes verwies und deren Vieh beschlagnahmte und an „Einheimische“ verkaufte.561 Der Wille zur Schließung der Grenzen stand im scharfen Gegensatz zur tatsächlichen Möglichkeit der neuen afrikanischen Staaten, dies in entlegenen und kaum bevölkerten Regionen auch durchzusetzen: „The official frontiers would be unofficially ignored, and with every good reason in historical equity. For the colonial frontiers had been carved through ancient zones of regional trade, and men had naturally found ways of evading their obstruction. This is what was going to happen again, and massively as the years went by. No matter how conveniant it would be for nationalist elites and benificiaries to present themselves as presiding over solidly constructed states, these states were going to be very leaky vessels.“562
(2) Pan-afrikanische Restauration Die zweite Vision, ein grenzenloses „Pan-Afrika“,563 welches den einstigen Clanstrukturen in modernisierter Form einen Platz in der Hoheitsausübung hätte einräumen können,564 setzte sich nicht durch, obwohl es noch 1958 eine Kernforderung des All African People’s Congress in Accra (Ghana) gewesen war: „(a) denounces artificial frontiers drawn by imperialist Powers to divide the peoples of Africa, particularly those which cut across ethnic groups and divide people of the same stock;
558 Felix Mukwiza Ndahinda, Indigenousness in Africa: A Contested Legal Framework for Empowerment of „Marginalized“ Communities, Springer 2011, 142 m.w.N. 559 AU, Policy Framework for Pastoralism in Africa (Fn. 187) 13. 560 Sundhya Pahuja, Decolonising International Law (Fn. 306), 57. 561 Steve Tonah, Integration or exclusion of Fulbe pastoralists in West Africa: a comparative analysis of interethnic relations, state and local policies in Ghana and Côte d’Ivoire (2003) JMAfS, 91, 107. 562 Basil Davidson, Black Man’s Burden (Fn. 189) 202 f. 563 Ebd., 183 f.; Ian Brownlie African Boundaries (Fn. 127) 9 ff.; Kwame Nkrumah, Africa must Unite (Fn. 123) 132 ff.; Julius Nyerere, Freedom and Unity (1964) Transition, 40. 564 Ousmane Sy, Reconstruire l’Afrique (Fn. 207) 156.
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(b) calls for the abolition or adjustment of such frontiers at an early date“.565
Die verschiedenen panafrikanischen Visionen unterschieden sich stark im Grad der angestrebten Integration: Während z. B. der Präsident Ghanas, Kwame Nkrumah, die unverzügliche Vereinigung ganz Afrikas anstrebte,566 favorisierten andere eher lockere föderative567 oder konföderative Verbindungen.568 In Gestalt der Organization of African Unity (später Afrikanische Union) ließ sich letztlich nur der kleinste gemeinsame Nenner unter den afrikanischen Staaten durchsetzen, der maßgeblich durch die Mehrzahl jener Regierungen beeinflusst wurde, denen die souveräne Gleichheit und territoriale Integrität ihrer Staaten besonders am Herz lagen.569 Die Schaffung eines vereinigten Afrikas blieb lediglich als Langfristziel auf der Tagesordnung der regionalen Diplomatie.570 Ernstzunehmende vergleichbare Aspirationen einer gesamtkontinentalen Vereinigung fehlten auf anderen Kontinenten, obwohl, insbesondere in weiten Teilen Asiens, ganz ähnliche präkolonialen Bedingungen herrschten, wie in Afrika. bb) Nomaden und Grenzen in Zentralasien Über Jahrhunderte hinweg wurden die zentralasiatischen Bergregionen weiträumig von Pastoralisten auch über Herrschaftsgrenzen hinweg durchzogen.571 Dies änderte sich erstmals mit Beginn des „Great Game“, der Aufteilung Zentralasiens in russische und britische Einflusszonen.572 Unter der russischen Herrschaft waren nomadische Wanderungen über die Grenzen der einzelnen Teilstaaten zunächst noch üblich.573 Auch für die Briten bedeutete der Transhimalayahandel zunächst eine wichtige Stütze ihrer Kolonialentwicklung in Indien. Die Hochgebirgsregion Kumaon war für
565
Adekunle Ajala, Nature of African Boundaries (Fn. 242) 182; Colin Legum, PanAfricanism – A Short Political Guide, Frederik A Praeger 1965, 231. 566 Kwame Nkrumah, Africa must Unite (Fn. 123) 132 ff., 145. 567 Julius Nyerere, Freedom and Unity (Fn. 563) 42. 568 Ian Brownlie, African Boundaries (Fn. 127) 10. 569 Vgl. Ian Brownlie, African Boundaries (Fn. 127) 10. 570 Ian Brownlie, ebd., 9. 571 Andrei Dörre, Changes in the Relationship between Borders and Pastoral Mobility in Mountain Regions of Central Asia, in: Hermann Kreutzmann/Teiji Watanabe (Hrsg.), Mapping Transition in the Pamirs, Springer 2016, 95 ff.; ders., Legal Arrangements and Pasture-Related Socio-ecological Challenges in Kyrgyzstan, in: Herrmann Kreutzmann (Hrsg.), Pastoral practices in High Asia, Springer 2012, 127, 128. 572 Herrmann Kreutzmann, Pastoral Practices in Transition: Animal Husbandry in High Asian Contexts, in: Herrmann Kreutzmann (Hrsg.), Pastoral practices in High Asia, Springer 2012, 1. 573 Andrei Dörre, Changes in the Relationship between Borders and Pastoral Mobility (Fn. 571) 96.
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sie das Tor ins wirtschaftlich und geopolitisch bedeutsame Tibet und Zentralasien.574 Als Makler britischen Einflusses in Zentralasien sollten hier die nomadischen Bhothiyas fungieren, deren transnationale Wanderungen bis weit nach Zentralasien und Tibet hinein die Briten daher unterstützten,575 was intensiv zur wirtschaftlichen Entwicklung der Region beitrug.576 In den 70er und 80er Jahren des 19. Jahrhunderts änderte sich die Nomadenpolitik der britischen Kolonialmacht: Zur Hochphase des Imperialismus lag der Fokus nun – wie auch in Afrika zur selben Zeit – statt auf der Sicherung merkantiler Vorteile auf der Abgrenzung klar umrissener Territorien.577 Zwischen 1880 und 1950 wurde daraufhin der Bewegungsradius der Bhotiyas schrittweise immer weiter reduziert.578 Nirgendwo wird die Beziehung zwischen imperialistischer Grenzziehung, späterer Grenzschließung und Wanderungen der Nomaden so deutlich wie bei den Kirgisen im Wachan-Korridor im Norden Afghanistans: Mit der Schaffung dieses bis zu 15 km schmalen Korridors wollten die Russen und Briten 1895 zwischen sich eine Pufferzone einrichten.579 Die Wanderungen der nomadischen Wachan-Kirgisen über diese imperialen Grenzen hinweg von den tadschikischen Sommer- auf die afghanischen Winterweiden bestanden jedoch dessen ungeachtet bis in die 1930er fort.580 Erst 1930 schloss die Sowjetunion die Grenze im Norden, 1949 China im Osten und wenig später Pakistan im Süden.581 Seit Mitte des 20. Jahrhunderts leben jene wenigen Kirgisen, die nicht in die Türkei flohen, nunmehr eingekesselt zwischen den drei Grenzen und führen hier eine eigene Art. “Closed Frontiers Nomadism“.582 Eine vorübergehende zaghafte Öffnung der Nordgrenze in den 90ern endete mit dem Rückzug Russlands aus Tadschikistan und dem auch hier einsetzenden Prozess des Nation-Building.583 Die Sowjetunion selbst hatte zuvor stets große Anstrengungen unternommen, die Nomaden unter ihrer Herrschaft zur Sesshaftigkeit und Arbeit in Kolchosen bzw. im 574
Christoph Bergmann/Martin Gerwin/William Sax, Politics of Scale in a High Mountain Border Region (Fn. 457) 109 f. 575 Ebd., 110. 576 Christoph Bergmann/Martin Gerwin/Marcus Nüsser/William S. Sax, State Policy and Local Performance: Pasture Use and Pastoral Practices in the Kumaon Himalaya, in: Hermann Kreutzmann (Hrsg.), Pastoral practices in High Asia, Springer 2012, 175, 180. 577 Christoph Bergmann/Martin Gerwin/William Sax, Politics of Scale in a High Mountain Border Region (Fn. 457) 110. 578 Ebd., 111 f. 579 Ted Callahan, Pastoral Production Strategies (Fn. 22) 73. 580 Ted Callahan, ebd.; ders., Nordafghanistan: Ein Winter bei den Pamir-Kirgisen, online unter: http://www.geo.de/reisen/reiseziele/12113-bstr-nordafghanistan-ein-winter-bei-denpamir-kirgisen#122159-img- (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 581 Ted Callahan, Nordafghanistan, ebd. 582 Ted Callahan, Pastoral Production Strategies (Fn. 22) 71 ff. 583 Ebd., 83.
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nichtlandwirtschaftlichen Bereich umzuerziehen.584 Dies hatte einerseits agrarwissenschaftliche Gründe, hing aber auch damit zusammen, dass Moskau sehr an der Sicherung der Grenzen zu Afghanistan und China interessiert war: „The main rationale for the exceptional endeavours introduced to the Soviet Pamirs was based in the geopolitical significance of the long external boundary shared with China and Afghanistan. The control of this vast border region is dependent on appropriate infrastructure, effective administration and, last but not least, the pastoralists’ loyalty and knowledge.“585
Das Jahr 1991 und die Entstehung unabhängiger Staaten in Zentralasien bedeutete indes kein Ende der Sedentarisierung der Nomaden, sondern eine weitere Zäsur mit erheblichen Einschränkungen für die verbliebenen Wandermöglichkeiten:586 „Borders and fences restrict movement, define territorially applicable legal systems, rules and regulations, and identify spaces of mobility and exchange.“587
Auch hier war, wie bereits zuvor im postkolonialen Afrika,588 die Idee des NationBuilding eine maßgebliche Triebfeder für die Schließung der Grenzen.589 5. Zwischenfazit – Grenzziehung durch die Kolonialmächte, Grenzschließung nach der Unabhängigkeit Viele Grenzen wurden durch europäische Großmächte gezogen. Für einheimische Nomaden geschlossen wurden die meisten von ihnen jedoch erst im Zuge des aufkeimenden Nationalismus nach dem Ende der Fremdherrschaft. Nach der Staatswerdung der ehemaligen Kolonien und Sowjetrepubliken erstarkten die dortigen früheren Verwaltungsgrenzen zu Staatsgrenzen.
584
Tobias Kraudzun, Livelihoods of the ,New Livestock Breeders‘ (Fn. 207) 93. Ebd., 93 ff. 586 Andrei Dörre, Changes in the Relationship between Borders and Pastoral Mobility (Fn. 571) 95. 587 Herrmann Kreutzmann, Pastoral Practices in Transition (Fn. 572) 1. 588 C. III. 4. c) aa) (1). 589 Ingrid Oswald, Zur Dynamik staatlicher und ethnischer Grenzen in Osteuropa, in: Petra Deger/Robert Hettlage (Hrsg.), Der europäische Raum – die Konstruktion europäischer Grenzen, VS Verlag für Sozialwissenschaften 2007, 71 ff.; auch andernorts in Zentralasien endete die nomadische Freizügigkeit erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Die Grenzen zwischen Nepal und Tibet wurden 1959 nach der Besetzung Tibets durch China geschlossen (Kenneth Michael Bauer, High Frontiers: Dolpo and the Changing World of Himalayan Pastoralists, Columbia UP 2003, 74 ff.) und der Krieg zwischen dem inzwischen unabhängigen Indien und China im Jahre 1962 beendete an deren langer gemeinsamen Grenze auch hier endgültig alle nomadischen Wanderungen. (Christoph Bergmann/Martin Gerwin/ William Sax, Politics of Scale in a High Mountain Border Region (Fn. 457) 113; Christoph Bergmann/Martin Gerwin/Marcus Nüsser/William S. Sax, State Policy and Local Performance (Fn. 576) 176). 585
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Grenzverträge, welche Europäer untereinander schlossen, dienten in erster Linie der Abgrenzung gegeneinander. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts begannen die Europäer sowohl in Asien als auch in Afrika diesen Verträgen auch eine Wirkung gegenüber den einheimischen Völkern beizumessen, wobei sich der Grad der tolerierten oder sogar geförderten Durchlässigkeit stark unterschied. Die stärkste Triebfeder für die Schließung von Grenzen war die Idee des NationBuilding junger nach Stabilität und internationaler Anerkennung strebender Staaten.590 Eine Ausnahme bilden in dieser Hinsicht lediglich jene Grenzverträge, die bereits im 18. Jahrhundert mit nordamerikanischen Indianern geschlossen wurden. Dies hängt damit zusammen, dass diese Übereinkommen zu einer Zeit entstanden, als Nomadenvölkern von den Europäern noch eine vollständige und staatsgleiche Souveränität zuerkannt wurde. Die Stellung nomadischer Völker im Völkerrecht591 unterlag nämlich aus europäischer Perspektive einem graduellen Wandel, der im folgenden Kapitel im Detail beschrieben wird.
IV. Rechtliche und politische Behandlung nomadischer Völker im Wandel der Zeiten Zunächst soll die souveräne Rechtspersönlichkeit nomadischer Völker im Völkerrecht aus europäischer Sicht untersucht werden. Die Veränderung dieses Souveränitätsverständnisses steht in einem Kontext zum tatsächlich vorhandenen oder zumindest vorgeschobenen Bestreben europäischer Staaten, die „Wilden“ zu „zivilisieren“. Die Bewertung nomadischer Völker zeichnet hierbei einen Wandel des europäischen Zeitgeistes nach. Diese Entwicklung, obwohl sie allmählich stattfand und sich nicht an konkreten Daten festmachen lässt, kann grob in drei Abschnitte unterteilt werden. Zunächst begegneten europäische Staaten nomadischen Völkern formal auf einer Ebene der Gleichrangigkeit.592 Dieses Gleichrangigkeitsverhältnis spiegelt sich nicht nur in der Staatenpraxis zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert wieder, sondern wird auch anhand der Auffassungen zahlreicher Rechtsgelehrter dieser Zeit deutlich.593 Im Zuge des Imperialismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts suchten die Europäer nach einem Vehikel, um weite Teile der Welt ihrer Territorialherrschaft un-
590 Vgl. diesbezüglich auch das Verbot Australiens zum Seegurkenfang für indonesische Seenomaden im Jahr 1907, als Australien einen weitgehend unabhängigen Dominion-Status erhielt (Natasha Stacey, Boats to Burn: Bajo Fishing Activity in the Australien Fishing Zone, Australian National University Press 2007, 59). 591 Dem Begriff liegt hier das klassisch europäische Verständnis zugrunde, vgl. C. III. 4. b) bb). 592 C. IV. 1. 593 C. IV. 1. a).
IV. Rechtliche und politische Behandlung nomadischer Völker
127
terzuordnen.594 Dieses Vehikel lieferte ausgerechnet die Drei-Elemente-Lehre, welche die bisherigen zwei Tatbestandsmerkmale der völkerrechtlichen Souveränität (in politischer Organisation zum Ausdruck kommende Vernunft und Unabhängigkeit) um das Erfordernis eines Staatsgebietes ergänzte. Ein großer Teil der einst von souveränen Gemeinschaften beherrschten Welt wurde so zur Terra nullius umettiketiert. Eine dritte Phase setzte in der Mitte des 20. Jahrhunderts ein: Stand zuvor die Unterwerfung der Nomaden und Aneignung ihrer Gebiete im Fokus der Europäer, gewann nun im Osten wie im Westen der Gedanke der „Zivilisierung“ – sprich Sesshaftmachung – an Bedeutung. Diesem Ziel lagen bestimmte ökonomische und ökologische Paradigmen zugrunde.595 Seit Beginn des 21. Jahrhunderts werden diese Paradigmen zunehmend von Ökonomen und Agrarökologen in Zweifel gezogen oder ganz verworfen, weshalb wir heute am Beginn einer vierten Phase des Umgangs mit Nomaden stehen. Die wissenschaftlichen Grundlagen dieser vierten Phase und ihr völkerrechtliches Spiegelbild werden im Anschluss an das folgende Kapitel dargestellt.596 Ferner verdient Berücksichtigung, dass staatliches Handeln nicht immer ein Ausdruck von rechtsbildender Staatenpraxis ist, sondern sich in ihm vielfach schlicht ein Bruch geltenden Völkerrechts manifestieren kann. Insbesondere die rücksichtslose Eroberung Süd- und Mittelamerikas durch die Spanier im 16. Jahrhundert stellt angesichts der Vehemenz ihrer Kritik durch andere Staaten und v. a. die Literatur einen solchen Völkerrechtsbruch dar. Anhand der damaligen rechtlichen Auseinandersetzung mit den spanischen Eroberungen lässt sich heute das Völkerrechtsverständnis des 16. Jahrhunderts nachzeichnen. 1. Herren ihres Landes – Rechtssubjektivität nomadischer Völker in der Frühphase des Kolonialismus „In establishing formal legal relationships with peoples overseas, the European parties were clearly aware that they were negotiating and entering into contractual relations with sovereign nations, with all the international legal implications of that term during the period under consideration.“597
Bevor die von Hans Kelsen als „beispiellos primitiv“ bezeichnete Gebietstheorie den europäischen Staaten im Zeitalter des Imperialismus das Werkzeug an die Hand 594
C. IV. 2. C. IV. 3. 596 C. V. 597 Miguel Alfonso Martínez, UN ECOSOC, Commission on Human Rights, Sub-Commission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities, Human Rights of Indigenous Peoples – Study on treaties, agreements and other constructive arrangements between States and indigenous populations, Final report by Miguel Alfonso Martínez, Special Rapporteur (22. Juni 1999), UN Doc E/CN.4/Sub.2/1999/20, Rn. 110. 595
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gab, die Gebiete der Nomaden zur Terra nullius zu erklären und ihrer Herrschaftsmacht einzuverleiben,598 wurden die meisten überseeischen Völker von den Europäern als formal gleichberechtigte Rechtssubjekte anerkannt.599 Belege hierfür finden sich sowohl in der präimperialen Literatur als auch in der Staatenpraxis. Bereits dargelegt wurde, dass mit überseeischen Völkern ein Rechtsverkehr stattfand, der – wenn auch nicht Völkerrechtsverkehr im strengen Sinne600 – so doch ein Rechtsverkehr zwischen souveränen Völkern war. Zahlreiche Rechtsgelehrte des 16. Jahrhunderts haben bestätigt, dass „the natives of that region – though they were in part idolaters, in part Mohammedans, and sunk in grievous sin – nevertheless enjoyed public and private ownership of their own property and possesions.“601
Überseeische Völker wurden nahezu einhellig als international souverän anerkannt.602 „[D]aß die Völker und Stämme in Übersee Souveränitätsrechte ausübten, galt als weitgehend selbstverständlich.“603 598
Claude Nigoul, Foreword, in: Marco Moretti, International Law and Nomadic People, Author House 2012, XV. 599 Vgl. Marco Moretti, International Law and Nomadic Peoples (Fn. 439) 1 – 95; Jörg Fisch, Europäische Expansion (Fn. 164) 42 ff. 600 C. III. 4. b) bb). 601 Hugo Grotius, Mare Liberum, verwendet in der Ausgabe von Robert Feenstra (Hrsg.), Brill 2009, Kapitel II, 6. 602 Francisco de Vitoria, De Jure Belli Hispanorum in Barbaros (Fn. 478) Nr. 10 ff.; Bartolomé de las Casas, Dreißig Rechtssätze in: Mariano Delgado (Hrsg.), Bartolomé de Las Casas – Sozialethische und staatsrechtliche Schriften, Bd. 3/1, Schöningh 1996, 181, 184, X. Satz; 188, XXVI. Satz; 191, XXX. Satz; sowie ders., in: Traktat zur Begründung (Fn. 478) 217, 229; ders., in: Traktat über die Schätze Perus (Fn. 478) 277, Kap 6; 282, 285 f., 290, 296 ff.; ders., Die Verhehrung Westindiens (Fn. 478); Balthazar Ayala, De Jure Officiis Bellicis et Disciplina Militari (Fn. 478) Buch I Ch. II, Nr. 28 f.; Francisco Suarez, A work on the three theological virtues, verwendet in der Ausgabe bei Clarendon 1944, XIII, Ch. 5, Nr. 5; sowie außerhalb Spaniens: implizit Alberico Gentili, De Iure Belli (Fn. 168) Buch I, Kapitel XIX, Rn. 144; Samuel Pufendorf, De Iure Naturae et Gentium (Fn. 478) Buch VII, Kapitel VII, § III; Immanuel Kant, Methaphysik der Sitten (Fn. 478) Rechtslehre, II. Theil, 3. Abschnitt, § 62, 261; vgl. auch Hugo Grotius, Mare Liberum (Fn. 601) Kapitel II, 5; Hugo Grotius, Krieg und Frieden, (Fn. 168) Buch II, Kapitel II, Abs. 4, sowie Kapitel XXII, Abs. 9; Christian Freiherr von Wolff, Ius Gentium (Fn. 168) §§ 282, 275, 276, 52, nach Wolff sind auch „barbarische Nationen“ Nationen und dürfen daher nicht von ihrem Land vertrieben werden. Gleichfalls stellt er in § 291 fest, dass nur unbewohntes Land originär okkupiert werden kann, was gem. § 309 auch für bislang unentdeckte Gebiete gilt; Emer de Vattel erkennt in Le droit des gens (Fn. 124), Buch 2, Kapitel VII, § 90 ebenfalls den Schutz von bereits okkupiertem Territorium an, macht aber in Buch 1, Kapitel XVIII § 209, sowie Buch 2, Kapitel VII, § 97 deutlich, dass er große nur nomadisch genutzte Gebiete als unokkupiert betrachtet (Emer de Vattel, Le droit des gens (Fn. 124); vgl. im Überblick insb Marco Moretti, International Law and Nomadic People (Fn. 439) 1 – 95; zu vereinzelten abweichenden Meinungen vgl. im Überblick Jörg Fisch, Europäische Expansion (Fn. 164) 227 ff. 603 Jörg Fisch, Europäische Expansion (Fn. 164) 298.
IV. Rechtliche und politische Behandlung nomadischer Völker
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Die Feststellung, dass auch überseeische Völker territoriale Souveränität besitzen konnten, bezeugt für sich genommen jedoch noch nicht, dass dies auch für Nomaden galt, welche gerade ein territorial indeterminiertes Leben führen. a) Internationale Rechtspersönlichkeit von Nomaden in der Literatur Allerdings wurden auch Nomaden vielfach als souveräne Herren ihrer Länder angesehen, deren Land von den Europäern nur derivativ erworben werden konnte. Wollten Europäer von Nomaden beherrschtes Land zwecks Ackerbau in Besitz nehmen, so musste dieses legitim erobert oder ihnen abgetreten werden.604 Noch William Blackstone bewertete 1765 die Expansion des britischen Empire als eine Expansion durch Eroberung und Verträge und nicht durch Okkupation, womit er zum Ausdruck brachte, dass die hauptsächlich nomadische Bevölkerung Nordamerikas605 zuvor gültige Rechtstitel hatte, da sich das Land andernfalls als okkupationsfähige Terra nullius dargestellt hätte:606 „Nomadic peoples possess their own territory“607
Immanuel Kant antwortete 1797 auf die Frage: „Es fragt sich aber: ob ein Volk in neuentdeckten Ländern eine Anwohnung (accolatus) und Besitznehmung in der Nachbarschaft eines Volks, das in einem solchen Landstriche schon Platz genommen hat, auch ohne seine Einwilligung unternehmen dürfe? – […] [W]enn es aber Hirten- oder Jagdvölker sind (wie die Hottentotten, Tungusen und die meisten amerikanischen Nationen), deren Unterhalt von großen öden Landstrecken abhängt, so würde dies nicht mit Gewalt, sondern nur durch Vertrag, und selbst dieser nicht mit Benutzung der Unwissenheit jener Einwohner in Ansehung der Abtretung solcher Ländereien, geschehen können“608
Und Francisco Suarez erklärte nur solche Völker für bekriegbar, die keine menschliche „Politie“ haben, komplett nackt seien und menschliches Fleisch äßen.609 Er konstatierte allerdings:
604 Hugo Grotius, Krieg und Frieden, (Fn. 168) Buch 2, Kapitel 2, Abs. IV; ders., in: Mare Liberum (Fn. 601) Kapitel II, 5 ff. 605 Katja Göcke, Indigene Landrechte (Fn. 88) 17; Stuart Banner, How the Indians Lost their Land (Fn. 257) 152; Stuart Banner, Possessing the Pacific (Fn. 481) 234. 606 William Blackstone, Commentaries of the Laws of England, Callaghan and Company 1884, Bd. 1. I, Sec IV, 104 – 105, Bd. 1. II, Chap 1, 7 f.; vgl. auch Marco Moretti, International Law and Nomadic People (Fn. 439) 39. 607 William Blackstone, Commentaries of the Laws of England, Callaghan and Company, so zitiert bei Marco Moretti, International Law and Nomadic People, Author House 2012, 39 ohne genauere Fundstellenangabe. 608 Immanuel Kant, Methaphysik der Sitten (Fn. 478) II. Theil, 3. Abschnitt, § 62, 191. 609 Francisco Suarez, A work on the three theological virtues (Fn. 602) Disp XIII, 826.
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„There does not exist a people too barbarous that it can not form a political society governing by its laws and institutions.“610
Eine andere Auffassung vertrat lediglich Emer de Vattel,611 der jedoch an anderer Stelle612 ebenfalls anerkannte, dass auch wandernde Hirtennomadenstämme aufgrund ihres Gemeinschaftslandeigentums dieses durch Nutzung besitzen und alle anderen hiervon ausschließen dürften, sofern sie nicht mehr beanspruchen als sie brauchen, wie z. B. den gesamten Kontinent Nordamerika oder Arabien. Nur Völker, die absolut dringend Land benötigten, dürften solches nomadischen Völkern wegnehmen.613 Da das Territorialitätsprinzip noch nicht anerkannt war, genossen nomadische Völker im internationalen Rechtsverkehr nach Auffassung der herrschenden Literaturmeinung der frühen Neuzeit die selbe Rechtspersönlichkeit wie die europäischen Staaten.614 Einzige Voraussetzungen für die Rechtssubjektivität der Nomaden war hiernach eine sich in hinreichender politischer Organisation und Unabhängigkeit ausdrückende grundsätzliche Fähigkeit zur Vernunft und Unabhängigkeit.615 b) Internationale Rechtspersönlichkeit von Nomaden in der Staatenpraxis Diese Rechtsauffassung fand ihren Niederschlag auch in der Staatenpraxis zwischen dem 16. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Deutlich wird die Subsumtion unter diese beiden Kriterien v. a. dort, wo die Souveränität im Ergebnis abgelehnt wurde. Dies war v. a. in Australien der Fall: „In Australia the English colonisers were brought into contact with aboriginal tribes forming probably the least instructed portion of the human race in all the arts of social life. Such, indeed, is the barbarous state of these people, and so entirely destitute are they even of the rudest forms of civil polity, that their claims as sovereign and proprietors of the soil have been utterly disregarded.“616
Dass Australien, anders als die meisten anderen Kolonien, nicht zediert, sondern originär okkupiert wurde, stellt keinen Rechtsirrtum der Briten, sondern einen Tatbestandsirrtum dar. Diesem Irrtum unterlag bereits James Cook, der laut seiner 610
Francisco Suarez, so zitiert bei: Marco Moretti, International Law and Nomadic People (Fn. 439) 17. 611 Emer de Vattel, Droit des gens (Fn. 124) Buch 1, Kapitel XVIII, § 209. 612 Ebd., Buch 2, Kapitel VII, § 97. 613 Ebd., Buch 2, Kapitel VII, § 97; einige bewerten Vattels Aussagen auch dahingehend, dass Hirtennomaden Souveränität über ihr Land besäßen, während Jäger und Sammler dies nicht täten (vgl. Marco Moretti, International Law and Nomadic People (Fn. 439) 36). 614 Ebd., 4. 615 Ebd., 6 ff.; vgl. Hugo Grotius, Krieg und Frieden (Fn. 168) Buch II, Kapitel XXII, Abs. 9 f., Kapitel XX, Abs. 40 f. 616 Mark Frank Lindley, The acquisition and government of backward territory (Fn. 438) 40 ff.
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geheimen Anweisungen zu unterscheiden hatte zwischen Land, welches er in Besitz nehmen, da es maximal von Menschen besiedelt war, denen jeglicher nennenswerte Organisationsgrad fehle, und solchem, welches er im Einvernehmen mit den Einheimischen übertragen bekommen konnte. Cook entschied sich in Australien für erstere Variante.617 Allein, dass James Cook sich mit dem politischen Organisationsgrad der Aborigines auseinandersetzte, zeugt von einem Rechtsverständnis, wonach ein negatives Subsumtionsergebnis unter das Merkmal „Civil Polity“ zwingend erforderlich war, um Land originär in Besitz nehmen zu können. Dass Cook bei dieser Subsumtion die Tatsachen falsch bewertete, indem er den Aborigines jegliche Zivilisation absprach, war aus heutiger Sicht ein schwerer Fehler. Dieser Subsumtionsfehler führt jedoch das rechtliche Erfordernis, überhaupt eine Subsumtion durchführen zu müssen, umso plastischer vor Augen. Im Jahre 1889 billigte der Privy Council in Cooper ./. Stuart die Kategorisierung Australiens als Terra nullius,618 sodass britisches Recht vom ersten Tage an galt und nicht etwa traditionelles australisches Recht, welches andernfalls bis zum formellen Erlass eines britischen Rechts auch unter britischer Herrschaft für Australien fortgegolten hätte.619 Das britische Recht unterschied nämlich sehr streng zwischen vormals „rechtlich unbesiedelten Kolonien“, die originär okkupiert wurden und solchen, die derivativ durch Eroberung oder Zession erworben wurden.620 Anders als in Australien fand die Besiedlung Nordamerikas durch die Europäer weitestgehend auf vertraglicher Grundlage statt – und zwar formal auf Augenhöhe.621 Die Indianer erfüllten nach europäischer Subsumtion die Kriterien hinsichtlich einer vollen Rechtssubjektivität und Souveränität über das von ihnen genutzte Land. Ein Souveränitätswechsel konnte daher nur noch durch gewaltsame Annexion oder vertragliche Zession erfolgen.622 Genau diesem Verständnis entsprachen die Royal Commissions und Royal Charters, mit denen die europäischen Seefahrer des 617
Marco Moretti, International Law and Nomadic People (Fn. 439) 64. Privy Council, Cooper ./. Stuart (1889) 14 App Cas, 286. 619 Vgl. auch Alex Frame, Maori Affairs: Colonizing Attitudes towards Maori Custom (1981) NZLJ, 105; Brian Slattery, Ancestral Lands, Alien Laws: Judicial Perspectives on Aboriginal Title, Studies in Aboriginal Rights No. 2, Saskatoon: University of Saskatchewan Native Law Centre 1983, 1; Australien behielt diese Rechtsauffassung bis zur Entscheidung des High Court of Australia, Mabo and Others ./. Queensland (No. 2) im Jahre 1992 bei (vgl. Mabo ./. Queensland (No. 2) (1992) HCA 23; (1992) 175 CLR 1 (3. Juni 1992); vgl. auch Australische Regierung, Australian Law Reform Commission, Recognition of Aboriginal Customary Laws (ALRC Report 31), 5, Recognition of Aboriginal Customary Laws at Common Law: The Settled Colony Debate, online unter: http://www.alrc.gov.au/publications/5.%20Recognition%2 0of%20Aboriginal%20Customary%20Laws%20at%20Common%20Law%3 A%20The%2 0Settled%20Colony%20Debate/se#_ftn41 (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 620 Mark D. Walters, Mohegan Indians v. Connecticut (Fn. 484) 790. 621 Marco Moretti, International Law and Nomadic People (Fn. 439) 45; vgl. die präkoloniale Souveränität der Indianer ausdrücklich bestätigend: SCOTUS, Johnson & Graham’s Lessee ./. McIntosh (28. Februar 1823) 21 US 8 Wheat. 543. 622 Jörg Fisch, Europäische Expansion (Fn. 164) 281. 618
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17. Jahrhunderts zu ihren Kolonisierungen von den heimischen Monarchen beauftragt wurden. Sie ermächtigten entweder zur Eroberung oder zur Vertragsverhandlung mit der indigenen Bevölkerung,623 wie z. B. die „Charte d’Acadie“: „… et à icelle assujettir, submettre et faire obéir tous les peuples de la dite terre [Acadie] et les circonvoisins, […] traiter et contracter, à même effet, paix, alliance et confédération, bonne amitié, correspondance et communication avec lesdits peuples et leurs Princes, ou autres ayans pouvoir et commandement sur eux, entretenir, garder et soigneusement observer les Traités et Alliances dont vous conviendrez avec eux, pourvu qu’ils satisfassent de leur part, et à ce défaut, leur faire guerre ouverte, pour les contraindre et amener à telle raison que vous jugerez nécessaire […].“624
In der „Charter of Connecticut“ von 1662 wird gleichfalls bestätigt, „that the same Colony, or the greatest part thereof, was purchased and obtained for great and valuable Considerations, and some other Part thereof gained by Conquest […].“625
Neben den Landabtretungsverträgen zwischen Europäern und Indianern gab es zahlreiche Allianz- und Handelsverträge, mit welchen die Souveränität der Indianer bestätigt wurde.626 Im Vertrag von Utrecht (1713) etwa zwischen Frankreich und England627 wurde explizit von den Indianern als „subjects, allies or friends“ gesprochen, was impliziert, dass diese Völker ihre Unabhängigkeit bewahrt hatten.628 Von den Franzosen- und Indianerkriegen der Jahrhundertwende zum 18. Jh. bis zum Siebenjährigen Krieg standen sich auf beiden Seiten alliierte indianisch-europäische
623
Marco Moretti, International Law and Nomadic People (Fn. 439) 50. Lettres patentes octroyées par le roi Henry IV de France au Sieur de Monts (8. November 1603) bekannt als Chartes d’Acadie, online unter: http://mjp.univ-perp.fr/constit/ca1603.htm (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018): „… und um dieses [das Land Akadien] zu unterwerfen, und dort und in der Umgebung alle Menschen zu Untertanen zu machen und zum Gehorsam zu zwingen, mit ihnen Handels-, Friedens-, Allianz- und Konföderationsverträge auszuhandeln und abzuschließen, sowie Freundschaft, Korrespondenz und Austausch mit diesen Völkern und ihren Fürsten oder anderen, welche über sie die Herrschaft haben, zu pflegen, die Verträge und Bündnisse, die Ihr mit ihnen vereinbart zu pflegen, zu bewahren und gewissenhaft einzuhalten, vorausgesetzt, dass diese sich gleichsam verhalten, und diese bei Verstößen mit offenem Krieg zu überziehen um sie zu zwingen oder zu solcher Vernunft zu bringen, wie Ihr es für notwendig erachtet …“ (Übersetzung des Verfassers). 625 Charter of Connecticut (1662), online unter: http://avalon.law.yale.edu/17th_century/ ct03.asp (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 626 Zur Britischen Anerkennung der indigenen Souveränität vgl. Mark D. Walters Mohegan Indians v. Connecticut (Fn. 484) 795, 801; vgl. auch Dieter Dörr, Die „Indian Nations and Tribes“ in Nordamerika und das Völkerrecht (1987) JbÖR, 489, 496. 627 Frankreich ./. Großbritannien, Article XV, Treaty of Peace and Friendship between France and Great Britain, signed at Utrecht (11. April 1713) 27 CTS 475. 628 Dokumente, die dieses Verständnis belegen sind Legion: vgl. die Zusammenstellung und Auswertung verschiedener Dokumente bei Mark D. Walters, Mohegan Indians v. Connecticut (Fn. 484) 794 f. Fn. 31 – 40. 624
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Truppen gegenüber. Im Wortlaut der damaligen Verträge finden sich oft Bemerkungen zur „Sovereignty“ und „Independence“ der indianischen Häuptlinge.629 Noch deutlicher stellt sich die angenommene rechtliche Gleichrangigkeit bei den Niederländern dar, die ab 1621 Okkupation nur noch dann gestatteten, wenn die zuvor bestehenden Titel der Indigenen rechtskräftig erloschen waren.630 Aus dem Konföderationsvertrag zwischen den jungen Vereinigten Staaten von Amerika und den Delaware von 1778 lässt sich sogar der Eindruck gewinnen, letztere seien als gleichwertiger Staat in die Gemeinschaft des Völkerrechts aufgenommen worden.631 Am deutlichsten manifestiert sich eine Rechtsüberzeugung im Protest gegen Völkerrechtsverstöße anderer Staaten.632 Eine solche formelle Beschwerde erhob Frankreich im Jahre 1721 beim britischen König gegen die Besetzung der Jagdgründe der Abenaquis, einem mit den Franzosen verbündeten, aber unabhängigen, Stamm633 Bei anderer Gelegenheit pochte Frankreich gegenüber dem Gouverneur von New York auf die völkerrechtliche Unabhängigkeit der irokesischen Konföderation.634 Es soll hier nicht verschwiegen werden, dass es von dieser Staatenpraxis, welche Nomaden als „Herren ihres Landes“ anerkannte, eine Ausnahme gab: In der Mitte des 17. Jahrhunderts breiteten sich die skandinavischen Staaten und Russland Richtung Norden aus.635 Bis zum 16. Jahrhundert hatten hier die Samen (Lappen) ohne signifikanten Kontakt zu der Bevölkerung der Nachbarstaaten gelebt.636 Über deren Köpfe hinweg einigten sich Schweden und Norwegen im Jahre 1751 auf die Ziehung einer Staatsgrenze durch das Gebiet der samischen Rentiernomaden (Vertrag von Strömstad),637 obwohl es zuvor keinem der beiden Staaten wirklich ge629
Vgl. Marco Moretti, International Law and Nomadic People (Fn. 439) 54. Howard Berman, Perspectives on American Souvereignty and International Law, in: Oren Lyons, John Mohawk (Hrsg.), Exiled in the Land of the Free: Democracy, Indians and the US Constitution, Clear Lights 1992, 128, 135; Michel Morin, L’usurpation de la souveraineté autochtone: le cas des peoples de la Nouvelle France et des colonies anglaises de l’Amérique du Nord, Boréal 1997, 120; Marco Moretti, International Law and Nomadic People (Fn. 439) 54 f. 631 USA ./. Delaware, Articles of agreement and confederation, made and, entered; into by, Andrew and Thomas Lewis, Esquires, Commissioners for, and in Behalf of the United States of North-America of the one Part, and Capt. White Eyes, Capt. John Kill Buck, Junior, and Capt. Pipe, Deputies and Chief Men of the Delaware Nation of the other Part, 1778, online unter: http://avalon.law.yale.edu/18th_century/del1778.asp (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 632 Andreas von Arnauld, Völkerrecht (Fn. 233) 108 Rn. 261. 633 Michel Morin, L’usurpation de la souveraineté autochtone (Fn. 630) 101. 634 Christophe N. Eick, Indianerverträge in Nouvelle-France (Fn. 483) 146. 635 Marco Moretti, International Law and Nomadic People (Fn. 439) 86. 636 Scott Forrest, Territoriality and State-Saamis Relations, University of Northern British Columbia 1997, 65 – 70. 637 Schweden ./. Norwegen, Grensetraktaten mellom Norge og Sverige („Vertrag von Strömstad“) (2. Oktober 1751). 630
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lungen war, in dieser Region effektive Herrschaft zu begründen.638 Im Gegenteil war es sogar den Samen geglückt, fremde Besiedlungsversuche erfolgreich abzuwehren.639 Anders als in anderen Teilen der Welt640 verzichteten die beiden europäischen Mächte auch darauf, zuvor mit den Samen selbst einen Zessionsvertrag zu schließen. Allerdings wurden die Rechte der Samen nicht ignoriert, sondern dem Grenzvertrag wurde ein Anhang (Lappkodizil) beigefügt641, in dessen §10 es heißt: „Da die Lappen das Land beider Reiche brauchen, soll ihnen belassen werden, ihre alten Bräuche zu behalten, nämlich im Herbst und Frühling ihre Rentierherden von einem Reich ins andere zu bewegen, und nachfolgend wie bisher zusammen mit den Untertanen der jeweiligen Länder sich des Landes und Strandes zur Ernährung ihrer Tiere und ihrer selbst zu bedienen. Dort sollen sie freundschaftlich empfangen, geschützt und unterstützt werden, erst Recht in Kriegszeiten, welche keine Veränderung des Lappentums bringen sollen. Am allerwenigsten sollen die fremden Lappen jener Plünderung oder Gewalt ausgesetzt werden, die Kriegszeiten mit sich bringen. Aber immer müssen sie wie eigene Untertanen angesehen und behandelt werden, je nachdem auf welcher Grenzseite sie sich als Fremde aufhalten.“642
Während das Lappkodizil somit einerseits den wohl ältesten Vertrag zum Schutz indigener Völker darstellt, handelt es sich hierbei andererseits um den ersten und einzigen Vertrag dieser Zeit, welcher Nomaden nicht als gleichberechtigte souveräne Rechtssubjekte im internationalen Verkehr anerkannte. Nach diesem Vertrag zahlten die Samen Steuern und wurden entweder norwegische oder schwedische Staatsbürger, je nachdem wo sich ihre Winterweiden befanden.643 Allerdings wurde den Samen der Besitz von Land in mehr als einem Staat verboten. Hierdurch ergab sich trotz der gewährten Freizügigkeit langfristig eine Einengung der Bewegungsfreiheit mit der Folge, dass sich zu viele Rentiere auf zu kleinem Gebiet drängten.644
638 Steinar Pedersen, Nordic Saami Institute, „State or Saamis ownership of land in Finmark?“, in: Roger Kvist (Hrsg.), Readings in Saami History, Culture and Language no 12, II Centre for Arctic Cultural Research, Umea University 1991, 69 f. 639 Ebd., 73. 640 C. III. 4. b) bb). 641 Schweden ./. Norwegen, § 10, Förste Bihang eller Codecill till Gränsse Tractaten emellan Konunga Rikerne Sverige och Norge, Lappmännerne beträffande, online unter: http://www.nat verketnorden.se/pdf/lappcodecill_588.PDF (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 642 Schweden ./. Norwegen, § 10, Förste Bihang eller Codecill till Gränsse Tractaten emellan Konunga Rikerne Sverige och Norge, Lappmännerne beträffande (Übersetzung aus dem Schwedischen durch den Verfasser). 643 Karl Nickul, The Lappish Nation, Routledge 1997, 53. 644 Reetta Toivanen, Minderheitenrechte als Identitätsressource? Die Sorben in Deutschland und die Saamen in Finnland, Lit Verlag 2001, 78; auch das schwedische Steuergesetz von 1605 wurde der traditionellen Form des gemeinschaftlichen Herdenbesitzes nicht gerecht (vgl. Scott Forrest, Territoriality and State-Sami Relations (Fn. 636)).
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Anders als Marco Moretti645 behauptet, handelt es sich beim Vertrag von Strömstad nicht um eine präemptive Abgrenzung von Interessensphären, sondern um eine Annexion des Gebietes der Samen, wenngleich diese dort weiterhin kollektiv die faktische Autorität ausübten und exklusive Rechte besaßen.646 Der Vertrag von Strömstad stellt in seiner Konzeption im 18. Jahrhundert eine Ausnahme dar. Er nahm jedoch die völkerrechtliche Entwicklung der übrigen Welt um mehr als 100 Jahre vorweg. 2. Imperialismus und „Zivilisierung“ der Nomaden – Vom Naturrecht zum Rechtspositivismus „So viel Land ein Mensch bepflügt, bepflanzt, bebaut, kultiviert und so viel er von dem Ertrag verwerten kann, so viel ist sein Eigentum. Durch seine Arbeit hebt er es gleichsam vom Gemeingut ab.“647
Dieser Satz John Lockes wurde zum Freibrief für die europäischen Siedler in Nordamerika, das zuvor von den Indianern gemeinschaftlich besessene und nomadisch genutzte Land648 in Privatbesitz zu nehmen.649 Wer ein Land nach ihren Vorstellungen nicht „effektiv“ bewirtschaftete, hatte auch keine Ansprüche auf dieses Land.650 Was sich unter dem Banner John Lockes auf Eigentumsebene vollzog, passierte unter Rückgriff auf Emer de Vattel parallel auf Ebene der völkerrechtlichen Gebietssouveränität.651 Für Vattel war die effektive Kultivierung von Land notwendige Souveränitätsgrundlage.652 Seine Position, wonach ineffektive Nomaden kein Recht auf weitläufiges Eigentum hatten, wurde zur Grundlage des Völkerrechts im 19. Jahrhundert und als Beleg für dessen „Fortschrittlichkeit“ avancierte Vattel in dieser Zeit zum meistzitierten vornapoleonischen Autor neben Grotius.653
645
Marco Moretti, International Law and Nomadic People (Fn. 439) 88. Ebd., 88 f. 647 John Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, Buch II, Kapitel 5, verwendet in der Übersetzung von Hans Jörn Hoffmann, herausgegeben von Walter Euchner (Hrsg.), Suhrkamp 1977. 648 Katja Göcke, Indigene Landrechte (Fn. 88) 17. 649 Niall Ferguson, Der Westen und der Rest der Welt, die Geschichte vom Wettstreit der Kulturen, Propyläen 2011, 178 f., 184 f. 650 Ebd.; in Afrika ist diese Argumentation noch heute populär (vgl. John Galaty, The Vanishing African Herdsman (1994) The UNESCO Courrier, 29, 32). Andererseits widersprachen aber auch schon in der frühen Neuzeit einige dieser Sichtweise (vgl. etwa 1764 Christian Freiherr von Wolff, Ius Gentium (Fn. 168) §§ 275, 276). 651 Emer de Vattel, Le droit des gens (Fn. 124) Buch 1, Kapitel XVIII, § 209, Buch 2, Kapitel VII, § 97. 652 Ebd. 653 Jörg Fisch, Europäische Expansion (Fn. 164) 312. 646
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Im Jahre 1763 hatte die britische Krone den Anspruch der amerikanischen Nomaden auf ihr Land noch bestätigt654 und Friedrich Saalfeld kritisierte noch 70 Jahre später (1833) die europäische Staatenpraxis dafür, besonders die Eigentums- und Souveränitätsrechte nomadischer Völker zu verletzen:655 „Daher ist auch keine Nation befugt, wegen ihrer höheren Kultur, oder wegen sonstigen zufälligen Eigenschaften, andere aus ihrem Eigenthume zu verdrängen. Wird aber auch gleich unter civilisierten Völkern dieser Grundsatz als allgemein gültig anerkannt, so wird derselbe dagegen bei dem Zusammentreffen civilisierter Völker mit wilden, vorzüglich mit nomadisirenden Stämmen, gar häufig verletzt, indem letzteren höchstens nur der privatrechtliche Grundbesitz,656 nicht aber die staatsrechtliche Territorialhoheit anerkannt wird.“657
Hiervon unterschied sich die dominierende europäische Sichtweise in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts grundlegend. Besonders pointiert bringt diese der Schweizer Johann Caspar Bluntschli zum Ausdruck: „Es ist die Bestimmung der Erdoberfläche, der menschlichen Cultur zu dienen und die Bestimmung der fortschreitenden Menschheit, die Civilisation über die Erde zu verbreiten. Diese Bestimmung ist aber nicht anders zu erfüllen, als indem die civilisirten Nationen die Erziehung und Leitung der wilden Stämme übernehmen.“658
Dieser Zivilisationsgedanke begründete für die Europäer zwar die moralische Rechtfertigung ihrer Expansion im 19. Jahrhundert, lieferte aber noch keinen 654 Großbritannien: The Royal Proclamation, 7. Oktober 1763, http://avalon.law.yale.edu/1 8th_century/proc1763.asp (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018); zu den vehementesten Kritikern dieser „Verschwendung“ gehörte u. a. George Washington (George Washington, Brief an William Crawford No. 1, 21. September 1767, in: C. W. Butterfield (Hrsg.), The Washington Crawford Letters Concerning Western Lands, Robert Clarke & Co 1877, 2). 655 Friedrich Saalfeld, Handbuch des positiven Völkerrechts, Verlag von CF Osiander 1833, 54, § 26. 656 Ein Beispiel für diese Feststellung ist das Urteil des US-Supreme Courts in Cherokee Nation ./. Georgia, in welchem der US Supreme Court den Indianern 1831 rückwirkend die Staatsqualität absprach, SCOTUS, 30 US 1, 5 Pet. 1, 1831 WL 3974, 8 L.Ed. 25. 657 Friedrich Saalfeld, Handbuch des positiven Völkerrechts (Fn. 655) 54, § 26. 658 Johann Caspar Bluntschli, Das moderne Völkerrecht der civilisierten Staaten als Rechtsbuch dargestellt, Druck und Verlag der Beck’schen Buchhandlung 1868, § 280, 165 f.; Spuren des vom „zivilisatorischen“ Ehrgeiz der Europäer geprägten neuen Positivismus finden sich auch heute noch in der UN-Charta und im IGH-Statut: Während letzterer, zumindest seinem Wortlaut nach, in Art. 38 I c) auf die „Kulturvölker“ abstellt, beinhaltet erstere in Art. 73 b) einen ausdrücklichen Verweis auf die unterschiedlichen Entwicklungsstufen der Völker. Auch der erst 1994 in Kraft getretene Art. 101 a) ii) Seerechtsübereinkommen geht ursprünglich auf die Harvard Research Draft Convention on Piracy von 1932 zurück und sollte laut ihrer Traveaux Preparatoires jene Orte erfassen, die nicht der Hoheitsgewalt eines Staates unterstehen – also jene Terra-nullius-Inseln, die noch nicht von einer „Kulturnation“ in Besitz genommen wurden (vgl. José Louis Jesus, Protection of Foreign Ships against Piracy and Terrorism at Sea: Legal Aspects (2003) IJMCL, 363, 377). Hierdurch sollten Handelsfahrer, die dort mit den „wilden Ureinwohnern“ Handel trieben, vor den Übergriffen landender Piraten geschützt werden. (Lassa Francis Oppenheim, International Law: A Treatise, Bd. 1, Peace, Longmans, Green & Co. 1905, 330).
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Rechtsgrund und erst recht keine Rechtspflicht659 für den Erwerb überseeischer Gebiete.660 Einen solchen Rechtsgrund stellte erst die Drei-Elemente-Lehre zur Verfügung, welche Staatsqualität an Sesshaftigkeit knüpfte661 und so die von NichtSesshaften bevölkerten Gebiete zur Terra nullius umdeutete.662 Als Georg Jellinek die Drei-Elemente-Lehre entwickelte, hatte sich bereits eine entsprechende Staatenpraxis geformt – unterstützt durch Völkerrechtler wie Friedrich von Martens663 und Franz von Holtzendorff.664 Jellineks Theorie lieferte also lediglich ein argumentatives Fundament665 für eine aus der normativen Kraft des Faktischen geborene Sichtweise auf überseeische Völker, insbesondere solche mit nomadischer Lebensweise, wonach die fehlende Gebietssouveränität dieser Völker Rechtsgrund für die Okkupation ihrer Gebiete sein sollte.666 Lassa Francis Oppenheim bezeichnete diese Entwicklung der Entsouveränisierung überseeischer Völker als eine Hinwendung vom Naturrecht zum Positivismus: „But the law of nature has played its part.“667
Der IGH erkannte 1975 im West-Sahara-Gutachten an, dass der Erwerb der WestSahara in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts noch ein derivativer Erwerb von 659 Eine solche Rechtspflicht zur Zivilisierung der „Wilden“ vertritt im 19. Jh. lediglich der Schotte James Lorimer, (The Institutes of the Law of Nations: ATreatise of the jural relations of separate politcal communities, William Blackwood and Sons 1884, Bd. 1, 227 f.; Bd. 2, 28); vgl. Jörg Fisch, Europäische Expansion (Fn. 164) 294. 660 Ebd., 293. 661 Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, (Fn. 2) 172; Thomas J. Lawrence, The Principles of International Law, 1. Auflage, DC Heath & Co 1895, 58, 190; Roland Portman, Legal Personality in International Law, Cambridge UP 2010, 59. 662 Antony Anghie, Imperialism, Sovereignty and the Making of International Law, Cambridge UP 2005, 57 f. 663 Fedor Fedorovich von Martens, Traité de Droit International, aus dem Russischen ins Französische übersetzt von Alfred Léo, Chevalier-Marescq et cie. 1883, 461 f.: „On ne peut occuper que des terres n’appartenant à personne et habitées par des tribus barbares“. 664 Franz von Holtzendorff, Handbuch des Völkerrechts 2. Bd, J. F. Richter 1887, 256: „Anwesenheit einzelner fremder Staatsangehöriger oder gar wilder, nomadisirender Barbaren darf als Hinderniß der (völkerrechtlichen) Occupation nicht angesehen werden“. 665 Ein anderes argumentatives Fundament lieferte John Westlake, Chapters on the principles of international law, in: Lassa Francis Oppenheim (Hrsg.), The Collected Papers of John Westlake on public international law, Cambridge UP 1914, 143 ff.; ders., International Law Bd. 1, 2. Auflage, Cambridge UP 1910, 91 ff.: Ihm zufolge scheiterte die Souveränität der überseeischen Völker nicht an der fehlenden Herrschaft über ein Staatsgebiet, sondern an einer fehlenden Staatsgewalt, oder wie er es ausdrückt, der Fähigkeit eine Regierung zu bilden, die „the pursuits of civilised life“ versteht. 666 Jörg Fisch, Europäische Expansion (Fn. 164) 307. 667 Lassa Francis Oppenheim, The Science of International Law: Its Tasks and Method (1908) AJIL, 313, 329; vgl. auch Prabhakar Singh, From „Narcistic“ Positive International Law to „Universal“ Natural International Law (Fn. 540) 152 ff.; Marco Moretti, International Law and Nomadic People (Fn. 439) 37; Roland Portman, Legal Personality in International Law (Fn. 661) 59; Jérémie Gilbert, Nomadic Peoples (Fn. 115) 61.
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souveränen Nomaden war,668 denn seiner Auffassung nach entsprach das Völkerrechtsverständnis zum Ende des 19. Jahrhunderts noch jenem der vorangegangenen Jahrhunderte: „Whatever differences of opinion there may have been among jurists, the State practice of the relevant period indicates that territories inhabited by tribes or peoples having a social and political organization were not regarded as terrae nullius. It shows that in the case of such territories the acquisition of sovereignty was not generally considered as effected unilaterally through ,occupation‘ of terra nullius by original title but through agreements concluded with local rulers. On occasion, it is true, the word ,occupation‘ was used in a nontechnical sense denoting simply acquisition of sovereignty; but that did not signify that the acquisition of sovereignty through such agreements with authorities of the country was regarded as an ,occupation‘ of a ,terra nullius‘ in the proper sense of these terms. On the contrary, such agreements with local rulers, whether or not considered as an actual ,cession‘ of the territory, were regarded as derivative roots of title, and not original titles obtained by occupation of terrae nullius.“669
Gleichzeitig zweifelt der IGH die historische Bedeutung des Staatsgebietes für die Existenz von Staatlichkeit an: „That the Sherifian State [Marokko] at the time of the Spanish colonization of Western Sahara was a State of a special character is certain. Its special character consisted in the fact that it was founded on the common religious bond of Islam existing among the peoples and on the allegiance of various tribes to the Sultan, through their caids or sheikhs, rather than on the notion of territory.“670
Diese historischen Befunde des IGH, wonach das im West-Sahara-Gutachten zum Ausdruck kommende Völkerrechtsverständnis gegen Ende des 19. Jahrhunderts immer noch herrschend und nicht bereits durch den neuen Positivismus verdrängt war, ist mit Blick auf die Kongo-Akte und Völkerrechtler wie Martens und Holtzendorff in seiner Eindeutigkeit zweifelhaft. Andererseits erfreute sich gerade im französischen Sprachraum die alte naturrechtliche geprägte Sichtweise zu dieser Zeit noch großer Anerkennung.671 Zu den Bewahrern dieser Souveränitätskonzeption gehörten u. a. Pradier-Foderé,672 Calvo,673 Salomon,674 Jèze, 675 Selosse676 und Nys677 668
IGH, Western Sahara Advisory Opinion (16. Oktober 1975) ICJ Rep 1975, 12 Rn. 82. Ebd., Rn. 80. 670 IGH, Western Sahara Advisory Opinion (16. Oktober 1975) ICJ Rep 1975, 12 Rn. 95. 671 Marco Moretti, International Law and Nomadic People (Fn. 439) 41. 672 Paul Pradier-Fodéré, Traité de droit international public européen et américain, Bd. 1, G Pedone-Lauriel 1885, 152: „Les tribus nomades de l’Asie et de l’Afrique, les tribus indiennes de l’Amérique du nord ou de l’Amérique du sud, car n’ayant pas de domicile fixe, de territoire propre, elles manquent de la stabilité et de l’unité suffisantes, et dépourvues de tout élément de développement intérieur, elles sont condamnées à se dissoudre elles-mêmes. Ces tribus peuvent toutefois être regardées comme des États à certains points de vue …“. 673 Carlos Calvo, Manuel de Droit international (Fn. 5) § 49, 85: „Les peuples nomades, n’ayant ni territoire propre ni domicile fixe, ne sauraient être considéré commes comme des États; mais on les traite sur le même pied; on conclut même des traités internationaux avec eux, 669
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sowie Mérignhac678 und Hornung.679 Gegen Ende des 19. Jahrhunderts standen sich also noch beide Ansichten gleichberechtigt gegenüber. Es deutet daher vieles darauf hin, dass sich der Wandel um die Jahrhundertwende schleichend über einen längeren Zeitraum und von Staat zu Staat zeitlich versetzt vollzog. Ganz plastisch zeigt sich diese Entwicklung des Völkerrechts vom Naturrecht zum Positivismus anhand der einschlägigen Vertragssammlungen: Wurden hier Verträge zwischen europäischen Staaten und indigenen Häuptlingen zunächst noch gleichberechtigt neben rein innereuropäischen Völkerrechtsverträgen gelistet, so werden diese ab den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts immer weniger, bis sie schließlich gänzlich fehlen. Hieran zeigt sich der schleichende Wandel in Lehre und Staatenpraxis, mit dem sich eine vormalige Minderansicht aus politischem Opportunismus zur herrschenden Meinung entwickelte, die von den Staaten bereitwillig herangezogen wurde, um die Abkehr vom Naturrecht im eigenen Handeln zu legitimieren. Diese Staatenpraxis strahlte wiederum wechselwirkend auf das Völkerrecht zurück. Dass dies geschehen konnte, ermöglichte die Rechtsquellenlehre des neuen Positivismus, wonach die Staaten eben nicht mehr nur einem unveränderlichen und naturrechtlichen Völkerrecht unterworfen waren, sondern zu dessen Schöpfern und Gestaltern avancierten. Aus einer überwältigenden Zahl an Brüchen des überkommenen Rechts konnte so eine neue Staatenpraxis erwachsen, die der Rechtswissenschaft wiederum den Beleg für ein verändertes Souveränitätskonzept lieferte, welches Sesshaftigkeit und Gebietshoheit zwingend forderte und damit nomadischen Völkern die Souveränität entzog.
lorsqu’ils jouissent d’une organisation politique et expriment, par l’intermédiaire de leurs chefs ou de leurs assamblées, une volonté commune.“ 674 Charles Salomon, De l’occupation des territoires sans maîtres, A Giard, Libraire-Editeur 1889, 206: „Nous repoussons, quant à nous, sans hésitation, le droit supérieur des nations covilisées sur les peuples moins avancés.“ 675 Gaston Jèze, Etude théorique et pratique sur l’occupation comme mode d’acquérir les territoires en droit international, Giard et Brière 1896, 112. 676 René Selosse, Traité de l’annexion du territoire francais et de son démembrement, L. Larose 1880, 63 f.: „Il s’est trouvé malheureusement, pour la honte de l’humanité, chez nos anciens publicistes assez d’ignorance pour assimiler aux pays inhabités les territoires occupés pard des tribus sauvages, et chez les nations civilsées assez de barbarie et d’ambition pour mettre à exeéxution de pareilles doctrines. […] Quoi de plus inhumain pourtant et de plus contraire aux règles du droit naturel qu’une pareille doctrine? […] La veiolation du territoire de ces derniers peuples [les peuples nomades] est encore un crime contre le droit des gens …“. 677 Ernest Nys, Le Droit International (Fn. 441) Bd. 1, 85 f., 131 f.; Bd. 2, 88 ff. 678 Alexandre Mérignhac, Traité de droit public international, Librairie Générale de Droit et de Jurisprudence, 1905 – 1912, Bd. 2, 433 f.: „Nous croyons qu’il convient de se rallier à l’opinion qui respecte, en principe, à la fois la souveraineté et la proprieté des indigènes.“ 679 Joseph Hornung, Civilisés et barbares (1885) RDIeLC, 5, 17: „… C’est bien toujours la force qui règne …“.
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Das 20. Jahrhundert läutete dann das Ende des Imperialismus und somit das Ende der Kolonien ein. Mit der Verdrängung der europäischen Kolonialmächte aus Übersee wurde jedoch nicht die europäische staatszentrierte Konstruktion des Völkerrechts680 verdrängt. Das 1945 in die UN-Charta aufgenommene Selbstbestimmungsrecht der Völker (vgl. Art. 1 II, Art. 55 UN-Charta)681 bezweckte keineswegs die selbstbestimmte Rückkehr zu präkolonialen Ordnungen, sondern lediglich die Umwandlung der überseeischen Gebiete in strukturelle Kopien Europas. Deutlich wird dies nicht zuletzt anhand der Staatenpraxis zur Umsetzung der „Declaration on the Granting of Independence to Colonial Countries and Peoples“,682 welche nicht die nomadischen Gemeinschaften der Tuareg und Fulbe etc., sondern die Gebiete der ehemaligen kolonialen Verwaltungseinheiten in die Unabhängigkeit entließ. Anders als in vorkolonialen Zeiten, gibt es heute keine „nomadischen Staaten“.683 Der Unterstützungsauftrag des Art. 73 UN-Charta684 wurde daher als ein Auftrag zur Umerziehung und zum Nation-Building verstanden. Zwar stand im Zuge der Dekolonisierung eine gebietslose Strukturierung der überseeischen Völker nach präkolonialem Muster nicht auf der Agenda. Die Kolonialmächte bemühten sich jedoch im gegebenen strukturellen Rahmen, den Bedürfnissen der Einheimischen auf Achtung der grenzüberschreitenden nomadischen Kultur gemäß Art. 73 a) UN-Charta685 Rechnung zu tragen. Deutlich wird dies z. B. anhand des vom IGH entschiedenen Falles Kasikili/Sedudu Island686 : Im Zentrum der Ergründung einer Subsequent State Practice zur Grenze zwischen Namibia und Botswana stand hier ein reger Schriftwechsel zwischen der bechuanischen Protektoratsmacht Großbritannien und der namibischen Mandatsmacht Südafrika. Beide Staaten hatten sich zwischen 1947 und 1951 um die Gewährung von Zutrittsrechten für ihre jeweiligen „Tribesmen“ bemüht, ohne hierdurch den (umstrittenen) Grenzverlauf selbst beeinträchtigen zu wollen.687 Anders als in der Frühphase des Kolonialismus waren die nomadischen Stämme im 20. Jahrhundert selbst jedoch nicht mehr Subjekte des diplomatischen Verkehrs, 680 Andrea Bianchi, The Fight for Inclusion: Non-State Actors and International Law, in: Ulrich Fastenrath/Rudolf Geiger/Daniel-Erasmus Khan/Andreas Paulus/Sabine von Schorlemer/Christoph Vedder (Hrsg.), From Bilateralism to Community Interest: Essays in Honour of Bruno Simma, Oxford UP 2011, 39, 40 f. 681 Charta der Vereinten Nationen (26. Juni 1945) UNCIO Bd. 15, 335. 682 UNGA, Declaration on the granting of independence to colonial countries and peoples, UNGA Res 1514 (XV) (14 December 1960) UN Doc A/RES/1514 (XV). 683 Jérémie Gilbert, Nomadic Peoples (Fn. 115) 63; dies schließt nicht aus, dass es Staaten gibt, die überwiegend von Nomaden bewohnt sind. Anders aber als die präkolonialen Staaten definieren sich diese anhand eines klar umrissenen Territoriums. 684 Charta der Vereinten Nationen (26. Juni 1945) UNCIO Bd. 15, 335. 685 Ebd. 686 IGH, Case concerning Kasikili/Sedudu Island (Botswana ./. Namibia), Judgment (13. Dezember 1999) ICJ Rep 1999, 1045. 687 Ebd., Rn. 59 ff.
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sondern allenfalls ihr Gegenstand. Dies wird deutlich anhand eines Vertrags, den Frankreich im Jahre 1955 mit dem kurz zuvor unabhängig gewordenen Libyen schloss: In einem Vorläufervertrag aus dem Jahre 1862 hatte Frankreich noch selbst mit den Tuareg verhandelt und diesen so eine internationale Rechtssubjektivität zugestanden.688 Nun, knapp 90 Jahre später, wurde von Territorialstaat zu Territorialstaat vereinbart: „Art. 2: Le Gouvernement français et le Gouvernement libyen s’engagent à accorder des facilités de transhumance aux nomades des tribus transhumant traditionnellement de part et d’autre de la frontière séparant l’Algérie de la Libye.“689
Dass der junge Staat Libyen sich auf die Gewährung eines nomadischen Grenzübertrittsrechts einließ, stellt im Kontext der Dekolonisierung eine Ausnahme dar. „During colonial times, pastoralism was respected and they were allowed to move around freely but after independence, border restrictions hampered their way of life.“690
In den meisten Fällen stand der Fortschrittsglaube und Zivilisationswunsch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Zeichen der Sedentarisierung (Sesshaftmachung) von Nomaden, deren theoretische Grundlagen im Folgenden dargestellt werden.
688 Algerien (Frankreich) ./. Tuareg, Convention commerciale entre la France et la nation Touareg, suivie d’articles additionels; signée á Ghadamès, le 26 novembre 1862, Martens NRG 1837 – 1874 XX 232. 689 Frankreich ./. Libyen, Convention de bon voisinage (10. August 1955) 1596 UNTS i27943: „Die französische Regierung und die libysche Regierung bemühen sich, den Nomaden der Stämme Erleichterungen der Transhumanz zu gewähren, die traditionell von einer Seite auf die andere jener Grenze wandern, die Algerien von Libyen trennt.“ (Übersetzung des Verfassers); vgl. auch Art. 9 desselben Vertrages: „Le Gouvernement français et le Gouvernement Libyen s’engagent à accorder des facilités de circulation aux nomades des tribus commerçant traditionnellement de part et d’autre de la frontière séparant d’une part l’Algérie, l’Afrique occidentale française et l’Afrique équatoriale française, d’autre part la Libye afin de maintenir les courants caravaniers traditionnels qui existent entre les régions du Tibesti, de I’Ennedi, du Borkou, de Bilma et des Ajjers d’une part, et celles de Koufra, Mourzouk, Oubari, Chat, Edri et Ghadamès d’autre part.“ („Die französische und die libysche Regierung bemühen sich, den Nomaden, die traditionell von einer Seite zur anderen Handel über jene Grenze treiben, die Algerien, das französische Westafrika und das französische Äquatorialafrika von Libyen trennt, den Verkehr zu erleichtern, mit dem Ziele die traditionellen Karawanenströme zu erhalten, die zwischen den Regionen Tibesti, Ennedi, Borkou, Bilma und Ajjers auf der einen Seite, sowie Koufra, Mourzouk, Oubari, Chat, Edri und Ghadamès auf der anderen Seite bestehen.“ (Übersetzung des Verfassers)). 690 Augustine Lotodo (member of parliament in the East African Legislative Assembly), zitiert bei: IRIN, Freedom of movement to help pastoralist lifestyles (30. Juni 2010).
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3. Wissenschaftlich „fundierte“ Umerziehung im Zeichen des Fortschritts, des Umweltschutzes und der Sicherheit und ihr Einfluss auf die Abkommen zur nomadischen Freizügigkeit „Viel wichtiger ist es, ihnen ein Angebot zu machen, ihnen die „Landwirtschaft“ beizubringen, sie von der Wichtigkeit der Vorratshaltung zu überzeugen, sie sesshaft zu machen.“691
Das Ende des Zweiten Weltkrieges und die Überwindung der Rassenlehre änderten auch die Sichtweise auf nomadische Völker. Im Vordergrund stand nun nicht mehr die grundsätzliche genetische Überlegenheit der Europäer gegenüber asiatischen und afrikanischen Völkern, sondern die Erkenntnis, dass der vermeintlichen Rückständigkeit dieser Völker nicht eine minderwertige genetische Disposition zugrundelag, sondern eine fehlende zivilisatorische Erziehung. Um Afrika und Asien an der Zivilisation teilhaben zu lassen, müssten dortige nomadische Völker zur Sesshaftigkeit erzogen und gegebenenfalls umgesiedelt werden. Deutlich wird dieser Zeitgeist an der ILO-Konvention 107 aus dem Jahre 1957 „Concerning the Protection and Integration of Indigenous and Other Tribal and Semi-Tribal Populations in Independent Countries.“692 Diese Konvention stellt einen Meilenstein in der Entwicklung der Rechte indigener Völker dar. Anders jedoch als heutige Vertragswerke693 zum Schutze indigener Völker, stand im Fokus der ILOKonvention 107 nicht die Bewahrung der indigenen Kulturen, sondern primär die Teilhabe an den Segnungen des modernen Lebens. Ziel war: „progressive integration into their respective national communities, and the improvement of their living and working conditions.“694
Adressaten waren u. a. jene indigenen Gemeinschaften und Stämme, „whose social and economic conditions are at a less advanced stage than the stage reached by the other sections of the national community“.695 Ihre eigenen Rechte durften die betreffenden Völker nur dann behalten, wenn dies den nationalen Rechtssystemen oder dem Ziel der Integration dieser Völker in die übrige Gesellschaft nicht entgegenstand696 und eine Vertreibung indigener Völker von ihren Ländern wurde ge-
691 Rüdiger Nehberg, Überleben in der Wüste Danakil, 8. Auflage (Piper 2011) 126, zitierend den als Entwicklungshelfer in der Danakil arbeitenden Arzt Ernst Tenambergen. 692 ILO-Convention 107, Convention concerning the Protection and Integration of Indigenous and Other Tribal and Semi-Tribal Populations in Independent Countries (26. Juni 1957). 693 UNGA Res 61/295, UN Declaration on the Rights of Indiginous Peoples (UNDRIP) (13. Dezember 2007) UN Doc A/RES/61/295; ILO-Convention 169, Indigenous and Tribal Peoples Convention (27. Juni 1989). 694 Präambel, ILO-Convention 107 (26. Juni 1957). 695 Ebd., Art. 1. 696 Ebd., Art. 7.
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stattet, wenn dies zum Zwecke des „national economic development or of the health of the said populations“ geschah.697 Die Staatenpraxis der integrativen Umerziehung wird im Folgenden beleuchtet. Im Vordergrund stehen hierbei die politischen und wissenschaftlichen Grundlagen dieses Bestrebens: Die nomadische Landwirtschaftsform galt zum einen als ineffizient. Zum anderen wurde angenommen, Nomaden schadeten der Umwelt, indem sie ihre Ressourcen gemäß der volkswirtschaftlichen Theorie von der Tragik der Allmende übernutzten. Darüber hinaus wurde in Nomaden eine Gefahr für die nationale Sicherheit gesehen und ihre grenzüberschreitenden Wanderungen erschwerten die Erhebung von Abgaben. a) Wissenschaftliche Grundlagen der Sedentarisierung aa) Ökonomischer Fortschritt Für die kommunistischen Machthaber in Moskau, Peking und Ulan Bator etc. stellten sich ihre jeweiligen Hinterländer als rückständig und unproduktiv dar, die zu kultivieren waren: „After the establishment of the Soviet power in the region, the major goals were to persuade the local population of the advantages of state-led, integrated rural development and to convince them of the utility of a completely different organisation of economic activities, sometimes with force – to produce in collective farms. Every endeavour was made to improve the supply with foods and goods.“698
Nach der Kollektivierung der nomadischen Länder zu Kolchosen in der Sowjetunion, wurden die Bewohner in Dörfern gewaltsam angesiedelt699 und die Landwirtschaft mechanisiert. Die Versorgung mit Benzin, Tierfutter und Nahrungsmitteln wurde zentralisiert, was Arbeitsplätze in der Verwaltung der Kolchosen schuf. Die meisten Pastoralisten bevorzugten diese Tätigkeiten gegenüber dem beschwerlichen Nomadenleben.700 In der Volksrepublik Mongolei sollte es dem neuen sozialistischen Fortschritt gelingen, der von den Nomaden noch respektvoll gefürchteten Natur „den Reichtum zu entreißen“.701 Die einst ausgedehnten Wälder des Altai fielen diesem Fortschritt zum Opfer.702 Die Unabhängigkeitsverfassung Syriens erhob 1950 die Sedentarisierung aller Nomaden sogar zum Verfassungsziel: 697
Ebd., Art. 12 I. Tobias Kraudzun, Livelihoods of the ,New Livestock Breeders‘ (Fn. 207) 93. 699 Jérémie Gilbert, Nomadic Peoples (Fn. 115) 68. 700 Tobias Kraudzun, Livelihoods of the ,New Livestock Breeders‘ (Fn. 207) 95. 701 Amélie Schenk/Galsan Tschinag, Im Land der zornigen Winde – Geschichte und Geschichten der Tuwa-Nomaden aus der nördlichen Mongolei, Waldgut 1998, 17. 702 Ebd. 698
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„The Government shall take necessary steps for the settlement of the Bedouins.“703
Auch China bemühte sich und bemüht sich noch heute um eine Sedentarisierung der Nomaden: „In post-1949 China, the so-called ,Democratic Reforms‘ of 1958-59 (which actually meant hasty collectivization), and the Cultural Revolution (1966-76) which was to politicize every aspect of daily life including the economy, deprived the nomads of their responsibilities and the free disposition of their animals and pastures. All animals were pooled into collective ownership and management.“704
Die chinesische Regierung zwang die tibetischen Nomaden in die Kommunen, wo sie in großem Stil Vieh für den Export produzieren sollten. Statt wie zuvor 7.000 Tiere auf 700 km2, lebten in den 80er Jahren nun 70.000 Yaks und Schafe auf der gleichen Fläche.705 Anders in der chinesischen Provinz Innere Mongolei: Hier beabsichtigte der erste Fünf-Jahres-Plan die Umwandlung der nomadisch genutzten Weideflächen in Ackerland und zwang hierzu die Nomaden zur Sesshaftigkeit.706 Im westlichen Block erging es den Nomaden nicht viel besser: Auch hier wurden diese beschuldigt, dem Fortschritt im Wege zu stehen, indem sie das Land nicht effizient nutzten.707 Statt der Zwangskollektivierung der Kommunisten erfolgte hier jedoch eine Zwangsprivatisierung. Zu offensichtlich schienen die Produktivitätsunterschiede zwischen dicht bevölkerten Hochlandsiedlungen mit kultivierten Feldern und verstreuten Nomadenhütten, deren Umland die meiste Zeit des Jahres brach lag.708 Die meisten Staaten und Entwicklungshilfeorganisationen verfolgten daher eine Sedentarisierungspolitik, da sie davon ausgingen, dass die Sesshaftwerdung die effektive kommerzielle Nutzung von Land und Vieh förderte.709 Ein Beispiel unter vielen ist hier die postkoloniale Politik Kenias, welche die Massai als unproduktiv ansah und daher Ackerbauern und andere ethnische Gruppen zur Besiedlung der Massai-Gebiete aufforderte.710 „… by large nomadism is seen as the antithesis of development for being ,backward‘ and an unproductive form of economy.“711
703 Art. 158 Verfassung Syriens von 1950, in: Amos J. Peaslee, Constitutions of Nations, 2. Auflage, Martinus Nijhoff 1956, 381. 704 Andreas Gruschke, Nomads without Pastures? – Globalization, Regionalization, and Livelihood Security – of Nomads and Former Nomads in Northern Khams (4/2008) JIATS, 1, 5. 705 Galen Rowell, Ein Paradies wird geplündert, in: Helmut Steckel (Hrsg.), Tibet – eine Kolonie Chinas, 160, 162. 706 Francoise Robin, The „Socialist New Villages“ in the Tibetan Autonomous Region (3/ 2009) China Perspectives, 56, 57. 707 John Galaty, The Vanishing African Herdsman (Fn. 650) 31 ff. 708 Ebd., 32. 709 Jérémie Gilbert, Nomadic Peoples (Fn. 115) 68, 193 ff. 710 Marco Moretti, International Law and Nomadic People (Fn. 439) 201. 711 Jérémie Gilbert, Nomadic Peoples (Fn. 115) 193.
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bb) Ökologische Gefahr Während die ökonomische Perspektive Nomaden vorwirft, ihr Land nicht effektiv genug zu nutzen, bezichtigt die ökologische Perspektive sie der Übernutzung712 und damit der Bodendegradation. Grundlage dieses Vorwurfs sind ökonomische bzw. agrarökologische Theorien: Zum einen liegt der europäischen Landwirtschaft das Konzept der Tragfähigkeit (Carrying Capacity) zugrunde, wonach eine bestimmte Weide nur eine maximale fest definierte Anzahl an Tieren verkraftet, welche von den wandernden Nomaden regelmäßig überschritten wird, die eine höhere Stückzahl durch kürzere Weidedauer ausgleichen. Zum anderen entwickelte Garret Hardin 1968 die Theorie von der Tragik der Allmende713, die davon ausgeht, dass die kollektive Nutzung von Gütern zu deren Übernutzung führt: „Picture a pasture open to all. It is expected that each herdsman will try to keep as many cattle as possible on this commons. […] Therein is the tragedy. Each man is locked into a system that compels him to increase his herd without limit, in a world that is limited. Ruin is the destination toward which all men rush, each pursuing his own best interest in a society that believes in the freedom of the commons. Freedom in a commons brings ruin to all.“714
Gestützt wird diese Theorie von spieltheoretischen Erwägungen: Dort, wo nicht kooperiert wird, neigen Nutzer zu einer Übernutzung der gesellschaftlichen Ressourcen.715 Diese ökologische Argumentation wird noch heute vielfach, insbesondere von China, bemüht: Bis 2008 siedelte China 650.000 Nomaden und Halbnomaden in der Inneren Mongolei716 und weitere 700.000 Nomaden in Tibet um.717 Zwischen 2009 und 2013 folgten weitere 700.000.718 Bis 2015 sollen in ganz China (Xingjiang, Tibet, Innere Mongolei, Sichuan) alle Nomaden sesshaft gemacht worden sein.719 Vor712
John Galaty, The Vanishing African Herdsman (Fn. 650) 30. Garret Hardin, The Tragedy of the Commons (1968) Science, 243. 714 Ebd. 715 N. Gregory Mankiw/Mark P. Taylor, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 5. Auflage, Schäffer-Pöschel-Verlag 2012, 451. 716 Ulrich Delius, Nomaden in der Inneren Mongolei: Sinisierung im Endstadium – Interview mit Temtsiltu Shobtsood (Februar 2008) online unter: http://www.gfbv.it/3dossier/asia/ mongol/mongolen.html (zuletzt aufgerufen am 24. November 2018). 717 Mark Kernan, The Displacement of Tibetan Nomads, International Law and the Loss of Global Indigenous Culture (März 2013) Global Policy, 3, online unter: http://www.globalpolicy journal.com/sites/default/files/pdf/Kernan%20-%20The%20Displacement%20of%20Tibetan %20Nomads%2C%20International%20law%20and%20the%20Loss%20of%20Global%20Indi genous%20Culture%2003.13.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 718 Enghebatu Togochog, Der Mongolische Pfad der Tränen (2013) PbV, 31; Unrepresented Nations and Peoples Organization, Inner Mongolia: Herders Petitioning for Land Rights Expelled From Bejing (12 Dezember 2013), online unter: http://www.unpo.org/article/16689 (zuletzt aufgerufen am 2. November 2018). 719 Sabine Engel/Inge Geismar, Das ist unser Leben: Ohne Heimat, Land und Nahrung – Bergbau in der Inneren Mongolei und das Ende des Nomadentums, Memorandum der GfbV 713
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wand720 für die Zwangsansiedlung in „sozialistischen Dörfern“721 ist der Umweltschutz, denn die chinesische Regierung sieht in weidenden Viehherden die Hauptursache für die fortschreitende Wüstenbildung.722 cc) Sicherheitspolitische Erwägungen „Any nomad tribe is a military machine in embryo whose impulse, if not fighting other nomads, is to raid or threaten the city. Settlers therefore, since the beginning of history, have recruited nomads as mercenaries: either to stave off a nomad threat, as the Cossacks fought the Tatars for the Tsars; or, if there were no nomads, to fight other states.“723
Die Beendigung einer grenzüberschreitenden nomadischen Freizügigkeit kann das Resultat einer geänderten Sicherheitslage sein, denn grundsätzlich können
(Januar 2015), 16; bezüglich der tibetischen Nomaden erklärte China die Umsiedlung und Sedentarisierung 2014 für abgeschlossen, vgl. auch UNPO, Tibet: Nomad Relocation Plan to be Completed (28. Januar 2014), online unter: http://unpo.org/article/16787 (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 720 Vielfach wird befürchtet, dass statt des Umweltschutzes in Wahrheit wirtschaftliche Interessen, insb. der Zugang zu Bodenschätzen hinter den Zwangsumsiedlungen stecken. (vgl. u. a. Mark Kernan, The Displacement of Tibetan Nomads (Fn. 717) 6 m.w.N. 721 Vgl. Communist Party of China, 17th National Congress, Building socialist new villages (30. September 2007) online unter: http://en.people.cn/90002/92169/92211/6275027.html (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018); über die Marginalisierung der Tibeter in diesen „sozialistischen Dörfern“ und die tatsächlichen Auswirkungen vgl. Francoise Robin, The „Socialist New Villages“ (Fn. 706) 56 ff. 722 Sabine Engel/Inge Geismar, Das ist unser Leben (Fn. 719) 16; Ulrich Delius, Nomaden in der Inneren Mongolei (Fn. 716); Mark Kernan, The Displacement of Tibetan Nomads (Fn. 717); mehr als 120.000 ha Grasland waren bereits in 2005 in Wüste verwandelt, wobei berücksichtigt werden muss, dass es Wissenschaftlern durch das Pflanzen von Bäumen und die Stilllegung von Flächen gelang, zwischen 1985 und 2005 70.000 ha zurückzugewinnen. Freilich bedient sich u. a. auch das staatliche Forstunternehmen Wengniuteqi Shuanghe Forestry des Mittels der Enteignung vormals nomadisch genutzten Landes. (UNPO, Protesters Beaten in Sensitive Land-Grabbing Case (14. November 2013), online unter: http://www.unpo.org/arti cle/16589 (zuletzt aufgerufen am 2. November 2018)) Der jährliche Rückgang des Graslandes durch Wüstenbildung wird auf ca 800 km2 geschätzt. (Sabine Engel/Inge Geismar, Das ist unser Leben (Fn. 719) 12). Insgesamt wird die Wüstenausdehnung in China auf 3.500 km2 pro Jahr geschätzt. 1992 berechnete die Weltbank, dass noch vor 1980 bereits 33 Mio ha natürlichen Graslands in Wüsten verwandelt wurde und während der 80er Jahre 150.000 ha pro Jahr allein in China folgten. (John W. Longworth/Gregory Williamson, China’s Pastoral Region, Center for Agriculture and Bioscience International 1993, 332). Von den mittelbaren Folgen sind nach offiziellen Angaben 90 % des chinesischen Graslandes (Sabine Engel/Inge Geismar, Das ist unser Leben (Fn. 719) 12 f.) und 400 Mio Menschen (Yang Yao, Desertification affects 400 m Chinese (8. Mai 2013) China Daily, online unter: http://www.chinadaily.com.cn/china/2013-05/ 08/content_16485525.htm (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018)) betroffen. Andere Studien gehen davon aus, dass in China sogar alle natürlichen Weiden von Bodendegradation betroffen sind. (John W. Longworth/Gregory Williamson, ebd., 332). 723 Bruce Chatwin, The Songlines, Vintage 1998, 202.
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Nomaden eine Bedrohung für die nationale Sicherheit darstellen.724 Beispielhaft sei hier das Schicksal der Beduinen in der Wüste Negev genannt. Die 1906 zwischen Großbritannien und dem Osmanischen Reich vereinbarte Grenze durch die Negev zerteilte zwar die Weidegründe der Beduinen, gewährte diesen aber explizit Grenzübertrittsrechte.725 Die osmanische Herrschaft bis 1917 und das britische Mandat über Palästina bis 1947 bewahrten diese Rechte.726 1948 wurde Israel unabhängig und enteignete 1949 aus Sicherheitsgründen alle Beduinen der Grenzregion und siedelte sie in eine „Beduinen-Enklave“ landeinwärts um.727 Die übrigen Beduinen, welche nach Ägypten oder Jordanien geflohen waren, beteiligten sich in der Folge immer wieder am grenzüberschreitenden Schmuggel, sowie an SabotageAktionen und ägyptischer Spionage.728 Dies provozierte israelische Militärinterventionen und führte zur Schließung der Grenze in der zweiten Hälfte der 50er Jahre, insbesondere nachdem UN-Truppen ab 1956 die Grenze bewachten.729 Eine zwischenzeitliche Grenzöffnung ab 1967 endete erneut 1982 im Zuge des LibanonKrieges.730 Gerade Staaten, wie Israel, die sich von Feinden umgeben wähnen, kann die Schließung von Grenzen für Nomaden als wirkungsvolle und sicherheitspolitisch notwendige Maßnahme erscheinen. dd) Steuer- und Zollkontrolle Ein weiterer Grund für die durch die Staaten vorangetriebene Sedentarisierung von Nomaden ist die Steuer- und Zollkontrolle.731 Die Bücher einer Baumwoll- oder Zuckerplantage sind leichter zu überprüfen als die Bestände wandernder Viehherden und die kurzfristige Verlegung sämtlicher Produktionsgrundlagen ins Ausland ist bei sesshaften Landwirten ausgeschlossen.732
724
Dolores A. Donovan/Assefa Getachew, Homicide in Ethiopia: Human Rights, Federalism, and legal Pluralism (2003) AJCL, 505, 517; Jérémie Gilbert, Nomadic Peoples (Fn. 115) 70. 725 Ägypten / Osmanisches Reich, Agreement signed and exchanged at Rafah on October 1, 1906 between the Commisioners of the Turkish Sultanate and the Commissioners of the Egyptian Khedivate, concerning the fixing of a Separating Administrative Line between the Vilayet of Hejaz and Governorate of Jerusalem and the Sinai Peninsula. 5 Martens NRG (3. Serie) 882. 726 Avinoam Meir/Haim Tsoar, International Borders and Range Ecology (Fn. 72) 46. 727 Ebd., 49 f. 728 Ebd., 50. 729 Ebd., 50. 730 Ebd., 52. 731 Jérémie Gilbert, Nomadic Peoples (Fn. 115) 68. 732 Roy Behnke/Carol Kerven, Counting the Costs: Replacing pastoralism with irrigated agriculture in the Awash Valley, in: Andy Catley/Jeremy Lind/Ian Scoones (Hrsg.), Pastoralism and Development in Africa, Dynamic Change at the Margins, Routledge 2013, 69 ff.
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ee) Nation-Building Zuletzt spielte, wie oben dargelegt, für die ehemaligen Kolonien und Sowjetrepubliken der Gedanke des Nation-Building eine nicht unerhebliche Rolle bei der Ausgrenzung und „Einpferchung“ von nomadischen Gemeinschaften.733 b) Auswirkung der politischen Bewertung auf das Recht der Nomaden zum Grenzübertritt Primär hatten die soeben dargestellten Sichtweisen die Folge, dass in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts viele Grenzen für Nomaden geschlossen wurden, auch wenn die hiervon betroffenen Nomaden das staatliche Unvermögen zur Grenzsicherung häufig weiterhin zu ihren Gunsten ausnutzen konnten. Wie bereits geschildert, hatte es jedoch in kolonialer Zeit einzelne Verträge gegeben, welche den Nomaden explizite Grenzübertrittsrechte gestatteten. Das Schicksal dieser Verträge soll nun im Folgenden untersucht werden. An diesen bestätigte sich der gewandelte Blick auf Nomaden und das auch in ILO-Konvention 107734 zum Ausdruck kommende Ziel der Umerziehung zur Sesshaftigkeit. aa) Ende des Lappkodizil? Bei den im Lappkodizil 1751 für die Samen sehr weitgehenden Regelungen735 blieb es nicht, denn eine Reihe von Folgeverträgen schränkte ihre Freizügigkeitsrechte immer weiter ein: zunächst durch eine gemeinsame Gesetzgebung Norwegens und Schwedens von 1883, dann die Karlstad-Konvention von 1905,736 eine Rentierkonvention von 1919 (angepasst 1949)737 und schließlich die Rentier-WeideKonvention von 1972.738 Letztere begrenzte die Weidegebiete schwedischer Rentiere in Norwegen räumlich auf engumgrenzte Gebiete (Art. 1), sowie zeitlich auf die Zeitspanne von Mai bis September (in manchen Gebieten nur Juli bis Ende August) (Art. 2). Während des Beweidungszeitraumes schwedischer Rentiere waren die betreffenden Gebiete für norwegische Rentiere gesperrt. (Art. 4) Gleiches galt für norwegische Rentiere in Schweden (Art. 7). Auf schwedischer Seite waren außerdem 733
C. III. 4. c) aa) (1); C. III. 4. c) bb). ILO-Convention 107, Convention concerning the Protection and Integration of Indigenous and Other Tribal and Semi-Tribal Populations in Independent Countries (26. Juni 1957). 735 C. IV. 1. b) a.E. 736 Schweden ./. Norwegen, Karlstadkonferensen (23. September 1905). 737 Schweden ./. Norwegen, Convention for the amendment of the Convention of 5 February 1919 between the two countries, in regard to the access of the nomadic Lapps to reindeer pastures (14. Dezember 1949) 1954 UNTS i-2618. 738 Schweden ./. Norwegen, Agreement on the grazing of reindeer (with annexed maps, and with exchange of letters dated on 28 April 1972) (9. Februar 1972) 969 UNTS i-14021. 734
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die maximal pro Gebiet zugelassenen Rentierzahlen sowie die genauen Migrationsrouten und Rastplätze vorgeschrieben. Art. 21 gewährte schließlich ein Grenzübertritts- und Aufenthaltsrecht für die Rentierbesitzer, ihre Hirten und Familien. Gemäß Art. 76 blieb die Konvention 30 Jahre bis 2002 in Kraft, wurde dann aber um drei Jahre verlängert.739 Norwegen schlug 2004 eine weitere Verlängerung vor, die jedoch am Widerstand Schwedens nach Protesten durch die Samen scheiterte. Eine neue Konvention aus dem Jahre 2009740 trat bislang noch nicht in Kraft, da ihr Entwurf vom schwedischen Samen-Verband (Svenska Samernas Riksförbund) und dem Samen-Parlament (Sametinget) wiederum abgelehnt wurde. Die Samen präsentierten 2014 einen eigenen Vorschlag und entsandten selbst drei Vertreter zu den Vertragsverhandlungen.741 Dennoch konnten die Vertragsverhandlungen bis 2018 nicht abgeschlossen werden.742 bb) Grenzüberschreitende Weiderechte in Afrika Bereits erwähnt wurde der 1955 abgeschlossene Vertrag zwischen Libyen und Frankreich.743 Dieser wurde dadurch begünstigt, dass sich sowohl in Libyen als auch in den französischen Kolonialgebieten die weiträumigen nomadischen Wanderungen erhalten hatten. Paradoxerweise dienten gerade die Bestimmungen zur Gewährung von Freizügigkeit dem IGH zur Determinierung einer fixen Staatsgrenze.744 Einige der ehemaligen französischen Kolonien fixierten nach ihrer Unabhängigkeit den Fortbestand der nomadischen Freizügigkeit in völkerrechtlichen Verträgen schriftlich. Zwischen den meisten galt diese Freizügigkeit jedoch ohne po-
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Schweden: Regeringens proposition 2001/02:67, Förlängning av giltighetstiden för konventionen den 9 februari 1972 mellan Sverige och Norge om renbetning (9. Februar 1972), online unter: http://www.riksdagen.se/sv/dokument-lagar/dokument/proposition/forlangningav-giltighetstiden-for-konventionen_GP0367 (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 740 Norwegen: Presseerklärung, „Reindrift: Ny konvensjon mellom Norge og Sverige undertegnet“, online unter: https://www.regjeringen.no/no/aktuelt/reindrift-ny-konvensjon-mel lom-norge-og-2/id578925/ (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018); über den Inhalt vergleiche auch Zusammenfassung der schwedischen Regierung: http://www.regeringen.se/conten tassets/7c29ee83cca943a49a3534ec24f775e5/informationsmaterial-sammanfattning-av-konven tionen-mellan-sverige-och-norge-om-gransoverskridande-renskotsel (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 741 Sametinget, Möte om gränsöverskridande renskötsel, online unter: https://www.sametin get.se/94593 (zuletzt aufgerufen am 2. November 2018). 742 Svenska Samernas Riksförbund, Sammanfattning av SSR:s inställning samt arbete med fragan om gränsöverskridande renskötsel, renskötselkonventionen (23. März 2018), online unter: http://www.sapmi.se/wp-content/uploads/2018/03/Renskötselkonventionen.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 743 Frankreich ./. Libyen, Convention de bon voisinage (10. August 1955) UNTS Vol. 1596, i-27943. 744 IGH, Territorial Dispute (Libyan Arab Jamahiriya ./. Chad) Judgment (3. Februar 1994) ICJ Rep 1994, 6.
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sitive Fixierung fort.745 Ein Beispiel für eine explizit schriftlich gewährte nomadische Freizügigkeit findet sich in einem Vertrag zwischen Niger und Obervolta (Burkina Faso) aus dem Jahre 1964.746 In dessen Art. 2 heißt es: „… Tout national de l’une des parties contractantes peut rentrer sur le territoire de l’autre, y voyager, y établir sa résidence, dans le lieu de son choix et en sortir sans être astreint à un visa ou autorisation quelconque de séjour. Cependant les transhumants nationaux d’un Etat se rendant dans l’autre Etat, devront être munis d’un titre de transhumance mentionnant la composition de la famille et le nombre des animaux.“747
2003 wurde der Vertrag ergänzt um ein „protocole d’accord portant création d’un cadre de concertation entre le Burkina Faso et la République du Niger“748, dessen Artikel 2 festlegt: „Le cadre de concertation sur la transhumance transfrontalière a pour objets de: • Gérer la transhumance entre les deux Etats; […]; • Promouvoir les concertations de les échanges entre les deux Etats en matière de transhumance et de gestion des ressources naturelles; • Proposer toutes mesures de nature à favoriser et à soutenir la définition de la mise en œuvre de la politique régionale en matière de transhumance inter-Etats.“749
Anders behandelten etwa Kenia und Äthiopien die grenzüberschreitende Transhumanz: Nachdem der Vertrag Äthiopiens mit der einstigen Kolonialmacht Groß745 Ob es sich hierbei um Völkergewohnheitsrecht handelt oder um eine Subsequent Practice wird in Abschnitt E. 1. thematisiert. 746 Niger ./. Obervolta, Protocol of Agreement between the Republic of Niger and the Republic of Upper Volta (23. Juni 1964) 2707 UNTS i-47963; im Rahmen eines Ministertreffens zwischen beiden Ländern im Januar 1968 wurde das im Vertrag ursprünglich enthaltene Kalender-Erfordernis aufgehoben. (IGH Frontier Dispute (Burkina Faso ./. Niger) Memorial Burkina Fasos (16. April 2013) ICJ Rep 2013, 44, Annex 54.2. 747 „Jeder Angehöriger einer der beiden Vertragsparteien kann in das Gebiet der anderen Vertragspartei einreisen, dort durchreisen und dort seinen Wohnsitz am Ort seiner Wahl nehmen, sowie ausreisen ohne eines Visums oder irgendeiner anderen Aufenthaltserlaubnis zu bedürfen. Jedoch müssen die Hirtennomaden mit Staatsangehörigkeit eines der Staaten, die sich in den anderen begeben mit einer Transhumanzbefugnis versehen sein, welche die Zusammensetzung der Familie und Anzahl der Tiere ausweist.“ (Übersetzung des Verfassers). 748 Burkina Faso ./. Niger, Protocole d’accord portant création d’un cadre de concertation entre le Burkina Faso et la République du Niger, online unter: http://www.mra.gov.bf/index. php?option=com_phocadownload&view=category&download=41:protocole-niger-burkin a&id=12:transhumance-frontaliere&Itemid=1045 (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 749 „Die Rahmenvereinbarung zur Abstimmung bezüglich der grenzüberschreitenden Transhumanz hat zum Ziele: – die Transhumanz zwischen den beiden Staaten zu verwalten, – die Abstimmung des Austausches zwischen den beiden Staaten mit Blick auf die Transhumanz und die Verwaltung natürlicher Ressourcen zu fördern, – all solche Maßnahmen vorzuschlagen, die geeignet sind die Festlegung des Inkraftsetzens einer regionalen Politik zur zwischenstaatlichen Transhumanz zu fördern und unterstützen.“ (Übersetzung des Verfassers).
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britannien von 1907750 hinsichtlich der Gewährung nomadischer Freizügigkeit 1947 beendet wurde,751 konnten sich beide unabhängigen Staaten 1970 nur noch auf beschränkte Grenzübertrittsrechte in gerade einmal zwei Ortschaften einigen.752 cc) Grenzüberschreitende Weiderechte in Arabien Auch einige nomadisch geprägte Staaten der arabischen Halbinsel einigten sich auf die Fortgeltung (stark eingeschränkter) nomadischer Freizügigkeitsrechte. Das Resultat sind Abkommen zwischen Saudi-Arabien und dem Irak753, dem Oman754 und Kuwait,755 die zwar eine feste Grenze vorsehen, allerdings beiderseits dieser Grenze eine „Pasture Zone“ oder „Neutral Zone“ definieren. Vorausgegangen war diesen Abkommen das Protokoll von Uqair,756 welches als Kompromisslösung zwischen dem britischen Konzept fester Grenzen und der clanrechtlichen Idee Faisals von „flexible boundaries“757 Neutralitätszonen zwischen den jeweiligen Staaten vorsah.758 Beispielhaft sei hier das den Grenzvertrag ergänzende Zusatz750 Äthiopien ./. Kenia (Großbritannien), Agreement between Great Britain and Ethiopia relative to the Frontiers between British East Africa, Uganda and Ethiopia (6. Dezember 1907) abgedruckt bei Ian Brownlie, African Boundaries (Fn. 127) 779 f. 751 Äthiopien ./. Kenia (Großbritannien), Exchange of notes constituting an agreement between the government of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland and the government of Ethiopia amending the description of the Kenya-Ethiopia Boundary (29. September 1947) 1951 UNTS No. 1092. 752 Äthiopien ./. Kenia, Protocol relating to trans-frontier watering and grazing rights, 1528 UNTS 1528 i-26507. 753 Saudi Arabien ./. Irak, Protocol between the Kingdom of Saudi Arabia and the Republic of Iraq Concerning the Regulation of Rights to Grazing, Movement and the Use of Water Sources in the Frontier Zone, (22. Februar 1982) 1638 UNTS i-28158. 754 Saudi Arabien ./. Oman, Annexe II à l’accord relatif à la frontière international entre le royaume d’Arabie Saoudite et le Sultanat d’Oman, concernant la réglementation des droits de pacage, de déplacement et d’utilisation des sources d’eau, Hafar al Batin, 21. März 1990, 1644 UNTS i-28250. 755 Kuwait ./. Saudi Arabien, The Boundary Convention between Najd (Saudi Arabia) and Kuwait (Treaty of Uqair) (2. Dezember 1922), abgedruckt in: Elihu Lauterpacht/Christopher John Greenwood, The Kuwait Crisis Basic Documents, Grotius Publications 1991, 48; Kuwait ./. Saudi Arabien, Agreement between the State of Kuwait and the Kingdom of Saudi Arabia relating to the partition of the Neutral Zone (7. Juli 1965) ebd., 57. 756 Kuwait ./. Saudi Arabia, The Boundary Convention between Najd (Saudi Arabia) and Kuwait (Treaty of Uqair) (2. Dezember 1922), abgedruckt in: Elihu Lauterpacht/Christopher John Greenwood, The Kuwait Crisis Basic Documents, Grotius Publications 1991, 48; vgl. zum Prozess der Grenzziehung M. H. Mendelson/S. C. Hulton, The Iraq-Kuwait Boundary: Legal Aspects (1990/2) RBelgeDI 293, 296 ff. 757 Talaat El Ghoneimy, The Legal Status of the Saudi-Kuwaiti Neutral Zone (1966) ICLQ, 690, 695; H. St. J. Philby, Arabia, Ernest Benn 1930, 290. 758 Kuwait ./. Saudi Arabien, The Boundary Convention between Najd (Saudi Arabia) and Kuwait (Treaty of Uqair) (2. Dezember 1922) in: Elihu Lauterpacht/Christopher John Greenwood, The Kuwait Crisis Basic Documents, Grotius Publications 1991, 48.
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protokoll mit Irak759 erläutert: Dieses definierte eine 10 km weite Grenzzone und eine sich daran anschließende Weidezone von 30 km Breite. Den Anwohnern aus der Nähe der Grenzzone wurde das Beweiden der Weidezone jenseits der Grenze gestattet. (vgl. Art. 1 – 3). Der Vertrag verlangte, dass jene Nomaden, die aus dem grenzüberschreitenden Weiderecht Nutzen ziehen wollten, dies 30 Tage vor der Weidezeit bei ihrer Grenzbehörde beantragen mussten (Art. 4), wobei die Weidezeit definiert war als Zeit zwischen Mitte Februar und Mitte Mai (Art. 7). Die jeweiligen Grenzbehörden legten dann Grenzübergangsstellen fest (Art. 8), zu denen beide Vertragsparteien je einen Beamten entsandten, der bei der Überquerung behilflich sein sollte (Art. 6). Die Festlegung der Übergangsstellen erfolgte nach Absprache mit Blick auf die Anforderungen der Beweidung. Die betroffenen Hirten erhielten für die Überquerung ein Transitdokument und wurden von sonstigen Pass- und Zollanforderungen befreit (Art. 9). Die Anzahl der mitgeführten Fahrzeuge und Feuerwaffen konnte durch die Staaten beschränkt werden (Art. 10). Weitere Regelungen waren im Falle des Ausbruchs einer ansteckenden Krankheit möglich (Art. 11). Bei Abschluss keines der dargestellten Verträge des 20. Jahrhunderts wurde die betreffende nomadische Bevölkerung beteiligt. Weitaus problematischer ist jedoch, dass der Fortbestand der Verträge der Willkür der Vertragsparteien unterworfen war, bzw. wie z. B. das Protokoll zwischen SaudiArabien und dem Irak von vornherein zeitlich limitiert war.760 Schließlich annullierte der Irak zu Beginn des Zweiten Golfkrieges 1991 die Grenzverträge mit SaudiArabien, inklusive der diese ergänzenden nomadischen Wanderrechte. Noch weniger Freiheiten als die Nomadenstämme der arabischen Halbinsel genossen die Beduinen der Negev. Nicht nur, dass der Staat Israel ihre Weidegebiete beschlagnahmte,761 auch die grenzüberschreitenden Wanderrechte, welche 1906 zwischen Großbritannien und dem Osmanischen Reich vereinbart762 worden waren, fanden, wie dargelegt, im Zuge der Entstehung Israels ein Ende.763
759 Saudi Arabien ./. Irak, Protocol between the Kingdom of Saudi Arabia and the Republic of Iraq Concerning the Regulation of Rights to Grazing, Movement and the Use of Water Sources in the Frontier Zone, (22. Februar 1982) 1638 UNTS i-28158. 760 Saudi Arabien ./. Irak, Protocol between the Kingdom of Saudi Arabia and the Republic of Iraq Concerning the Regulation of Rights to Grazing, Movement and the Use of Water Sources in the Frontier Zone (22. Februar 1982) 1638 UNTS i-28158. 761 Marco Moretti, International Law and Nomadic People (Fn. 439) 200. 762 Ägypten / Osmanisches Reich, Agreement signed and exchanged at Rafah on October 1, 1906 between the Commisioners of the Turkish Sultanate and the Commissioners of the Egyptian Khedivate, concerning the fixing of a Separating Administrative Line between the Vilayet of Hejaz and Governorate of Jerusalem and the Sinai Peninsula 5 Martens NRG (3. Serie) 882. 763 Avinoam Meir/Haim Tsoar, International Borders and Range Ecology (Fn. 72) 52; C. IV. 3. cc).
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dd) Grenzüberschreitende Weiderechte in Asien In Zentralasien brachte der Zusammenbruch der Sowjetunion nach 1991 keine Fortschritte für die grenzüberschreitenden Wanderungen der Nomaden – im Gegenteil: Getrieben von der Idee des Nation-Building bedeutete die Entstehung neuer Staaten in Zentralasien eine weitere Einschränkung nomadischer Wanderungen.764 Auch in China nahm die Sedentarisierungspolitik zwischen 1990 und 2015 bisher ungekannte Ausmaße an, sodass das „Tibet Justice Center“ in Kalifornien vom „kulturellen Völkermord“ spricht: „China is causing a cultural genocide by removing people from the livelihood, they have known for millennia, condemning the nomads to live in concrete ghettos and leaving the grasslands to further degrade. The grasslands cannot be maintained or restored without Tibet’s nomads.“765
Während einige Staaten die nomadische Freizügigkeit also über das Ende der Kolonialzeit hinweg fortdauern ließen und bestrebt waren die Rechte der Nomaden an ihren Ländern durch internationale Vereinbarungen zu sichern, betrieben die meisten Staaten eine Politik der Sedentarisierung,766 im Zuge derer grenzüberschreitende Wanderungen nicht vorgesehen waren. ee) Seenomaden zwischen Australien und Indonesien Zwei besondere Übereinkünfte von 1974767 und 1981768 verdienen in dieser Hinsicht Berücksichtigung. In ihnen wurden die Rechte indonesischer Seenomaden auf Fisch- und Seegurkenfang in australischen Gewässern geregelt. Die Tatsache, dass sich beide Länder auf die Gewährung solcher Rechte für indigene Fischer einigten, scheint auf den ersten Blick für eine Abkehr vom sonst üblichen Sedentarisierungs- und Zivilisierungsgedanken zu sprechen. Allerdings handelt es sich bei näherem Hinsehen um alles Andere als Übereinkünfte zugunsten der Nomaden.
764 Andrei Dörre, Changes in the Relationship between Borders and Pastoral Mobility (Fn. 571) 95. 765 Tibet Justice Center, zitiert in: Michael Buckley, „From Nomad to Nobody“, Wild Yak Film, Kanada 2011. 766 Jérémie Gilbert, Nomadic Peoples (Fn. 115) 69, 193. 767 Australien ./. Indonesien, Memorandum of Understanding Between the Government of Australia and the Government of the Republic of Indonesia Regarding the Operations of Indonesian Traditional Fishermen in Areas of the Australian Exclusive Fishing Zone and Continental Shelf (7. November 1974), abgedruckt in Natasha Stacey, Boats to Burn (Fn. 590) Annex B, 197 ff. 768 Australien ./. Indonesien, Agreed Minutes of Meeting Between Officials of Australia and Indonesia on Fisheries (29 April 1989) abgedruckt in: Natasha Stacey, Boats to Burn (Fn. 590) Annex C, 199.
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(1) Entwicklung und Inhalt des 1974 MoU und der 1989 Minutes Mindestens seit 1720 fahren indigene Seenomaden (Bajau und Makassaner) vom südlichen Sulawesi-Archipel (Indonesien) jährlich in Richtung der australischen Nordküste, um dort Seegurken zu jagen, welche sie neben Schildkröten und Haifischflossen an Chinesen verkaufen.769 Ihre Fischgründe erstreckten sich entlang der australischen Nordküste von Cape Don in den Northern Territories bis nach Cape Leveque in Kimberley und beinhalteten auch diverse dem australischen Festland vorgelagerte Riffs und Inseln.770 Bereits 1750 wurde den Seenomaden von der Niederländischen Handelsgesellschaft die Erlaubnis zum Fischen innerhalb der Gewässer Indonesiens, Timors und Australiens erteilt.771 Die Rechte zum Fisch- und Seegurkenfang der Seenomaden endeten dann allerdings abrupt 1907, dem Jahr der australischen Unabhängigkeit (Dominion-Status).772 Kleinere Bajau-Gruppen, fischten dennoch dessen unbeirrt weiter entlang der australischen Küste, insbesondere um die vorgelagerten Inseln, welche Großbritannien zwischen 1878 und 1909 in Besitz genommen hatte.773 Bis 1952774 genossen indonesische Seenomaden die Freiheit zum Fischen jenseits der australischen 3-nm-Zone.775 1968 erweiterte Australien sein Küstenmeer auf 12 nm. 1974 vereinbarte der Australische Premier Whitlam mit dem indonesischen Präsidenten Suharto ein Memorandum of Understanding hinsichtlich der Rechte indonesischer Fischer in australischen Gewässern.776 Hierin heißt es: „The Government of Australia will, subject to paragraph 8 of these understandings, refrain from applying its laws regarding fisheries to Indonesian traditional fishermen who conduct their operations in accordance with these understandings.“777
769
Natasha Stacey, Boats to Burn (Fn. 590) 58. Ebd., 58. 771 Ebd., xi. 772 Ebd., 59; zwar gab es schon seit den 1870ern Fischverbote für die indonesischen Nomaden, welche jedoch von der australischen Kolonialverwaltung nicht durchgesetzt wurden. 773 Ebd., 83. 774 Der Commonwealth Pearl Fisheries Act (1952) verbot das Sammeln sesshafter Arten auf dem australischen Festlandsockel. 775 Natasha Stacey, Boats to Burn (Fn. 590) 85. 776 Australien ./. Indonesien, Memorandum of Understanding Between the Government of Australia and the Government of the Republic of Indonesia Regarding the Operations of Indonesian Traditional Fishermen in Areas of the Australian Exclusive Fishing Zone and Continental Shelf (7 November 1974), abgedruckt in: Natasha Stacey, Boats to Burn (Fn. 590) Annex B, 197 ff.; der Begriff Fishing Zone bezieht sich hier noch auf das damals als solche bezeichnete australische Küstenmeer, da Australien erst 1979 eine offizielle Fishing Zone von 200 nm erklärte (vgl. Art. 1 III des MoU). 777 Ebd., Art. 2 III. 770
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Den Begriff des „traditional fisherman“ versteht das MoU als: „By ,traditional fishermen‘ is meant the fishermen who have traditionally taken fish and sedentary organisms in Australian waters by methods which have been the tradition over decades of time.“778
Die Rechte dieser „traditional fishermen“ werden im MoU eng beschnitten. „b) Landings by Indonesian traditional fishermen shall be confined to East Islet (Latitude 128 15’ South, Longitude 1238 07’ East), and Middle Islet (Latitude 128 15’ South, Longitude 1238 03’ East) of Ashmore Reef for the purposes of obtaining supplies of fresh water. c) Traditional Indonesian fishing vessels may take shelter within the island groups described in paragraph 2 of these understandings but the persons on board shall not go ashore except as allowed in (b) above. 4. The Government of the Republic of Indonesia understands that the Indonesian [fishermen] will not be permitted to take turtles in the Australian exclusive fishing zone. Trochus, beche de mer, abalone, green snail, sponges and all molluscs will not be taken from the seabed from high water marks to the edge of the continental shelf, except the seabed adjacent to Ashmore and Cartier Islands, Browse Islet and the Scott and Seringapatam Reef.“779
Die Rechtsverbindlichkeit eines Memorandum of Understanding kann nicht einheitlich beurteilt werden, vielmehr hängt der Rechtsbindungswille von den Parteien ab, welcher aus dem jeweils konkreten Wortlaut und den Umständen des Abschlusses abgeleitet werden muss.780 Das 1974 MoU ist in seiner Formulierung eher unverbindlich abgefasst. So dominieren Formulierungen, wie „understands“ und „shall“. Einzig im § 7 heißt es „will“ in Bezug auf die Verpflichtung zur Erleichterung des Informationsaustausches. Über diesen Informationsaustausch hinaus scheint dem 1974 MoU kein Rechtsbindungswille zugrunde zu liegen. Eine Rechtsbindung ist allerdings in der Zwischenzeit gewohnheitsrechtlich entstanden, indem beide Parteien zumindest von staatlicher Seite die Bestimmungen des 1974 MoU beachtet haben. Die wachsende Rechtsverbindlichkeit des Memorandums aus gewohnheitsrechtlicher Befolgung wird z. B. deutlich in seiner Berücksichtigung im „Agreement Relating to Cooperation in Fisheries“ von 1992781. Hierin heißt es in Art. 15 b): „Nothing in this Agreement shall prejudice: […] (b) the 1974 Memorandum of Understanding between the Government of Australia and the Government of the Republic of Indonesia regarding the operations of Indonesian Traditional Fishermen in Areas of the
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Ebd., Art. 1 II. Ebd., Art. 3 – 4. 780 IGH, Maritime Delimitation und Territorial Questions between Qatar and Bahrain, Jurisdiction und Admissibility (Katar ./. Bahrain) Judgment (1. Juli 1994) ICJ Rep 1994, 112, Rn. 23 ff. 781 Australien ./. Indonesien, Agreement between the Government of Australia and the Government of the Republic of Indonesia Relating to Cooperation in Fisheries (22 April 1992) Australian Treaty Series 1993 No. 18. 779
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Australian Exclusive Fishing Zone and Continental Shelf and the 1989 guidelines and procedures for the implementation of that Memorandum of Understanding.“
Unabhängig von der ursprünglich intendierten Bindungswirkung des Memorandums kann somit heute zumindest von einer gewohnheitsrechtlichen Rechtsverbindlichkeit der im Memorandum verankerten Bestimmungen ausgegangen werden, jedoch nicht in seinem ursprünglichen Wortlaut, wie im Folgenden deutlich wird. 1975 wurde der in Australien gültige Commonwealth Fisheries Act dahingehend geändert, dass jene indonesischen „traditionellen Fischer“, die sich innerhalb der 12nm-Zone um das Ashmore-, Scott- und Seringapatam Reef sowie die Inseln Browse und Cartier bewegten, nicht verfolgt würden. 1979 erweiterte Australien seine ausschließliche Fischereizone auf 200 nm. Dies hatte für die Seenomaden nicht nur die Konsequenz, dass ihre traditionellen Haifischgründe nun verboten waren, sondern darüber hinaus, dass sie auf dem Weg in die im MoU festgelegten Zonen nicht fischen durften.782 1983 erklärte Australien das Ashmore Reef zum Naturschutzgebiet, was jedoch von den Seenomaden ignoriert wurde.783 Auch die Kontrollen wurden in den 80er Jahren verschärft und motorisierte Bajau nicht mehr als „Traditionel Fishermen“ verstanden. 1989 schließlich einigte sich Australien mit Indonesien auf ein Amendment784 des MoU von 1974. Statt der bisherigen Zonen wurde den Seenomaden nun eine „MoU-Box“ zugewiesen.785 Die neu geschaffene MoUBox umfasste zwar im Wesentlichen die Gebiete um die schon zuvor bezeichneten Inseln, knüpfte nun aber nicht mehr streng an einen 12 nm Radius an, sondern bezeichnete ein geometrisches Trapez mittels geographischer Koordinaten.786
782 Zudem führte die Ausweisung einer AWZ durch Indonesien zu einem „Memorandum of Understanding on a Provisional Fisheries Surveillance and Enforcement Arrangement“ (29. Oktober 1981), in: Vivian Louis Forbes, Indonesia’s Delimited Maritime Boundaries, Springer 2014, 213. In diesem Memorandum grenzten Australien und Indonesien ihre Fischereizonen voneinander entlang einer Linie ab, die nicht identisch mit der jeweiligen Festlandsockelgrenze ist. Während das Sammeln von Seegurken dem Festlandsockelregime unterfällt, wird der Fischfang durch das MoU von 1981 reguliert. Die Bajau müssen somit je nach Spezies unterschiedliche Zonengrenzen beachten (77 IV SRÜ). Indonesien besitzt also jenseits seines Festlandsockels eine Fischereizone sine solo, ein zwar nicht einmaliges, aber dem Seerecht doch grundsätzlich fremdes Konstrukt. (Doris König/Sebastian tho Pesch, Der Festlandsockelvertrag von 1964 und seine Auswirkungen auf die deutsch-niederländische Küstenmeergrenze (2013) ZaöRV, 483, 497 f.). 783 Natasha Stacey, Boats to Burn (Fn. 590) 95. 784 Australien ./. Indonesien, Agreed Minutes of Meeting Between Officials of Australia and Indonesia on Fisheries (29 April 1989) abgedruckt in: Natasha Stacey, Boats to Burn (Fn. 590) Annex C, 199. 785 Natasha Stacey, Boats to Burn (Fn. 590) 99. 786 13822’17’’S, 121830’00’’E; 12811’50’’S, 123848’00’’E; 14825’00’’S, 121848’00’’E; 14825’00’’S, 121830’00’’E, das Ashmore Riff stellt eine kleine Ausbuchtung aus diesem Trapez dar, welches inklusive der umgebenden Gewässer Bestandteil der MoU-Box ist. Die nördliche Grenze der MoU-Box stellt zugleich die Grenze der mit Indonesien vereinbarten Provisional
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(2) Bewertung des 1974 MoU und der Minutes von 1989 Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war vom Gedanken der Umerziehung geprägt. Aus Sichtweise der Bajau stellte das MoU von 1974 nämlich keine großzügige Gewährung von Fischrechten dar, sondern beendete eine für sie bis dahin bestehende Fischereifreiheit.787 Weder der personelle, noch der territoriale Anwendungsbereich des 1974 MoU und seines Amendments von 1989 werden den Anforderungen der Nomaden gerecht. Aus heutiger Sicht lässt sich am MoU vor allem ein zivilisatorischer Top-down-Blick auf Nomaden kritisieren: „This concept of the ,traditional‘ reflects a simplistic but popular evolutionist view that emphasises the static, timeless, and non-commercial aspects of culture and ignores any process of cultural change and adaptation. While contemporary anthropological and legal opinions in Australia depict tradition and culture as dynamic in the face of changing circumstances, government policy towards Indonesian fishermen and indigenous Australians still tends to oppose the ,traditional‘ to the ,commercial‘.“788
Die enge eurozentristische Definition des „Traditional Fisherman“ ermöglicht Australien eine strenge Verfolgung der Seenomaden in ihren traditionellen Fischgründen.789 Sie geht davon aus, dass sich die Lebensumstände von Nomaden seit Jahrzehnten nicht verändert haben, nicht verändern werden und, dass es sich hierbei um eine archaische Form der Subsistenzwirtschaft handelt.790 Obwohl dieses Verständnis traditioneller Gemeinschaften von Sozialtheoretikern mittlerweile abgelehnt wird, stellt es immer noch die Grundlage der australischen Fischereipolitik dar.791 Weiterhin muss berücksichtigt werden, dass bis zur Ausweisung eines Küstenmeeres von 12 nm 1968 und der Erklärung einer „ausschließlichen Fischereizone“ von 200 nm 1979 die Seenomaden vor der Küste Australiens umfassende Fischereifreiheiten genossen. Die Ausweisung der MoU-Box stellt somit faktisch keine Gewährung, sondern lediglich eine „nicht ganz so weitgehende Beschränkung“ dar.792
Fisheries Line dar, einer Demarkationslinie, welche nicht identisch mit der Grenze des Festlandsockels ist. 787 Natasha Stacey, Boats to Burn (Fn. 590) 124. 788 Ebd., 171. 789 Ebd., 171 f. 790 Ebd., 175. 791 Ebd., 175. 792 Heute fordert Art. 62 III des Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (10. Dezember 1982) 1833 UNTS 3 eine Berücksichtigung der Fischereirechte jener ausländischen Menschen, die in bestimmten Seegebieten traditionell fischten. Das Festlandsockelregime, in dessen Regelungsbereich Schwämme und Seegurken fallen, kennt keine vergleichbare Berücksichtigungspflicht.
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4. Zwischenfazit – drei Phasen der Entrechtung Das Beispiel der Seenomaden zwischen Indonesien und Australien belegt plastisch die obige Darstellung der Marginalisierung von Nomaden im Verlauf der Zeiten. Zum einen zeigt sich an ihnen die Entwicklung der Sichtweise auf Nomaden während der Kolonialgeschichte und darüber hinaus: Während die europäischen Staaten in der Frühphase des Kolonialismus den Belangen der Einheimischen weitgehend gleichgültig gegenüberstanden, änderte sich ihre Position in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts hin zu zunehmenden Restriktionen. Diese Entwicklung vollzog sich in Afrika, Asien, Australien und Nordeuropa nahezu gleichzeitig. Die schärfsten Einschränkungen grenzüberschreitender nomadischer Wanderungen gingen jedoch einher mit der Entlassung von Territorien unter fremder Herrschaft in die Unabhängigkeit. Epochenübergreifend zeigen sich hier Parallelen zwischen der amerikanischen Unabhängigkeit 1776, dem australischen DominionStatus 1907, der Dekolonisierung in Afrika in den 60ern und dem Zerfall der Sowjetunion in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts trat zu der zuvor schrittweisen Entsouveränisierung der Nomaden eine neue Weltsicht, nach welcher die „zivilisierten“ Staaten gegenüber Nomaden einen Entwicklungs- und Integrationsauftrag hätten. Das Nomadentum galt als ein zu überwindendes „Übel“: Die UdSSR und China betrieben mit Vehemenz die Sedentarisierung der Nomaden, Norwegen und Schweden ersetzten 1972 den Vertrag von Strömstad durch ein deutlich restriktiveres Abkommen und Australien einigte sich mit Indonesien 1974 auf ein Memorandum of Understanding, welches die einst unbegrenzten Fisch- und Seegurkenrechte der Seenomaden auf das Küstenmeer einer kleinen Inselgruppe beschränkte.
V. Politischer und wissenschaftlicher Paradigmenwechsel – Nomaden im 21. Jahrhundert Ein sich langsam wandelndes Verständnis setzt sich seit Beginn des 21. Jahrhunderts mehr und mehr durch.793 Die alte ILO-Konvention 107794 wurde ersetzt durch eine neue ILO-Konvention 169 „über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern.“795 Aber auch die dem Zivilisierungsgedanken zugrundeliegenden Theorien erwiesen sich als falsch oder werden zumindest angezweifelt. Im Folgenden wird der wissenschaftliche Paradigmenwechsel nachge793 FAO, La transhumance transfrontalière en Afrique de l’Ouest – Proposition de plan d’action (Juni 2012), online unter: http://www.inter-reseaux.org/IMG/pdf/Transhumance_Trans frontalier_en_AO_Rapport_FAO.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018), 74 ff. 794 ILO-Convention 107, Convention concerning the Protection and Integration of Indigenous and Other Tribal and Semi-Tribal Populations in Independent Countries (26. Juni 1957). 795 ILO-Convention 169, Indigenous and Tribal Peoples Convention (27. Juni 1989).
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zeichnet und sodann aufgezeigt, wie sich dieser im Völkerrecht des 21. Jahrhunderts niederschlägt. 1. Ökonomische Neubewertung „Restricted entry of animal products to the market economy has translated into low income for stock owners and their national governments.“796
a) Einfluss des grenzüberschreitenden Nomadentums auf die wirtschaftliche Entwicklung am Beispiel der Fulbe in Ghana und der Elfenbeinküste Bereits oben797 wurde die „Operation Cowleg“ und „Operation Livestock Solidarity“ thematisiert, im Zuge derer Ghana alle aus dem Norden eingewanderten Fulbe des Landes verwies.798 Ghana betrachtete die fremden Nomaden als: „alien herdsmen, who enter the country illegally and whose activities constitute a nuisance not only to their neigbours but also for the environment in which they settle.“799
Ganz anders ging die benachbarte Elfenbeinküste mit den Fulbe um: Dieser Staat nahm die Fulbe zunächst weitgehend offenherzig auf, ermutigte sie zum Siedeln in den nördlichen Regionen des Landes und ermöglichte über mehrere Grenzübergangsstellen den saisonalen Grenzübertritt nach Mali800 Die Fulbe-freundliche Politik der Elfenbeinküste hatte erstaunliche Auswirkungen auf die Wirtschaftsleistung des Landes: Nicht nur, dass der Viehhandel der Fulbe die lokale Wirtschaft ankurbelte, die Einheimischen übernahmen auch viele der fortgeschrittenen Kenntnisse im Viehbestands-Management von den Fulbe und profitierten von deren robusteren Mischrassen.801 Der Elfenbeinküste gelang es so, nahezu komplett unabhängig von Fleischimporten zu werden.802 Die Regierung der Elfenbeinküste unterstützte die 796 Dauki E Ekuam, Livestock Identification, Traceability and Tracking: Its Role in Enhancing Human Security, Disease Control and Livestock Marketing in IGAD Region, CEWARN 2008 – 2009, online unter: http://www.fao.org/fileadmin/user_upload/drought/docs/live stock%20ID.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018) 4. 797 C. III. 4. c) aa) (1). 798 Steve Tonah, Integration or exclusion of Fulbe pastoralists in West Africa (Fn. 561) 107. 799 Ebd., 92. 800 Ebd., 104; Philippe Bernadet, Peuls en movement, Peuls en conflits en moyenne et haute Côte d’Ivoire, de 1950 á 1990, in: Jean Schmitz/Roger Botte/Jean Boutrais (Hrsg.), Figures Peules, Karthala 1999, 407 ff.; Youssouf Diallo, Pastoral Expansion, land use and ethnicity in northern Côte d’Ivoire, Working Paper Nr. 254, University of Bielefeld, Sociology of Development Research Centre 1996; Han van Dijk, Régimes fonciers (Fn. 241) 37. 801 Roger Blench, The Expansion and Adaptation of Fulbe Pastoralism to Subhumid and Humid Conditions in Nigeria (L’expansion et l’adaptation du pastoralisme peul aux conditions climatiques humides et subhumides du Nigeria) (1994) CdEAf, 197, 207. 802 Steve Tonah, Integration or exclusion of Fulbe pastoralists in West Africa (Fn. 561) 108.
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Fulbe durch den Bau von Viehmärkten und Schlachthäusern, kostenloser tiermedizinischer Versorgung803 und letzten Endes auch der Zuweisung von 130.000 ha Weideland.804 In der Folge stieg die lokale Viehwirtschaft in der Elfenbeinküste massiv an,805 woraufhin die Notwendigkeit zu Fremdimporten entsprechend abnahm. Wurden im Jahre 1985 noch 14.380 Tonnen Rindfleisch eingeführt, so berichten relevante Erhebungen der FAO,806 waren dies im Jahre 1996 nur noch 5.890 Tonnen und schließlich 569 Tonnen im Jahre 1998. Die Ausgaben für Fleischimporte fielen, entsprechend von 11.650.000 $ im Jahre 1985 auf fast die Hälfte (6.180.000 $) 1998.807 Der FAO zufolge konnte im Vergleich dazu die lokale Viehwirtschaft in Ghana nicht mit der Nachfrage mithalten, weshalb das Land zum „Dumping Ground“ subventionierten Rindfleisches aus der EU und den USA wurde.808 Die Rindfleischimporte Ghanas stiegen im gleichen Zeitraum zwischen 1985 und 1998 von 1.450 Tonnen Rindfleisch auf 15.600 Tonnen. Dies entspricht einer Warenwertentwicklung von 343.000 $ 1985 auf 10.840.000 $ 1996.809 Als die Elfenbeinküste unter Präsident Bédié Anfang der 90er Jahre ihre Fulbe-freundliche Politik aufgab,810 stagnierte auch hier der Rinderbestand, nachdem er sich im Jahrzehnt zuvor fast verdoppelt hatte.811 b) Die nomadische Viehweidewirtschaft als Wirtschaftsfaktor „Empirical research in different African countries has compared the productivity of pastoralist’s mobile livestock production systems with livestock ranching, and explained the
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Ebd., 103. Ebd., 105. 805 Ebd., 107. 806 Zitiert und ausgewertet bei: Steve Tonah, ebd., 108. 807 Zitiert und ausgewertet bei: Steve Tonah, ebd., 108. 808 Zitiert und ausgewertet bei: Steve Tonah, ebd., 108. 809 Ebd., 108. 810 Steve Tonah, ebd., 106; Youssouf Diallo, Pastoral Expansion (Fn. 800); das Verhältnis zu den Fulbe änderte sich erst in den 90er Jahren. Im Rahmen politischer Machtkämpfe haben die Machthaber, allen voran Bédié, versucht ihre Anhänger hinter sich durch die Schaffung einer gemeinsamen Identität zu versammeln. Das Konzept der Nationenschmiedung durch Abgrenzung führte auch hier zu einer Ausgrenzung und feindseligen Stimmung gegenüber Nichtund Neu-Ivorern wie den Fulbe. (vgl. Youssouf Diallo, Abgrenzungs- und Assimilierungsproblem bei den Fulbe in der Elfenbeinküste und Burkina-Faso, in: Alexander Horstmann/ Günther Schlee (Hrsg.), Integration durch Verschiedenheit – Lokale und globale Formen interkultureller Kommunikation, Transcript Verlag 2001, 333 ff.). 811 FAO Statistical Yearbook 2004, online unter: http://www.fao.org/docrep/009/a0490m/ PDF/a0490m09a.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018); FAO Statistical Yearbook 2010, online unter: http://www.fao.org/docrep/015/am081m/PDF/am081m00a.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 804
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superiority of mobile production by reference to its adaptive capacity in areas with high rainfall variability.“812
In Ostafrika wird geschätzt, dass mehr als 95 % des regionalen Handels hier auf dem Wege eines inoffiziellen Grenzübertritts zustandekommt.813 In Äthiopien übersteigt der inoffizielle grenzüberschreitende Handel den offiziellen nach Schätzungen814 um das Hundertfache mit einem Gesamtwert von 105.000.000 $.815 Zu diesem inoffiziellen Handel gehören insbesondere die Wanderungen entlang der alten etablierten nomadischen Wanderrouten, welche nun durch Staatsgrenzen zerschnitten sind. Die willkürliche Festlegung von Staatsgrenzen erzeugte das, was heute als „cross-border livestock trade“ bekannt ist.816 Die nomadische Viehweidewirtschaft trägt laut COMESA zu 35 % zum landwirtschaftlichen Bruttosozialprodukt Kenias, Äthiopiens und Sudans bei.817 Über ganz Ost- und Westafrika verteilt, leben geschätzte 250 Mio Menschen ganz oder teilweise von der nomadischen Viehzucht,818 deren Produkte wiederum die Grundlage für eine gigantische Fleisch- und Lederindustrie darstellen.819 Insgesamt stammt 12,5 % der weltweiten Fleischproduktion aus den nomadischen Subsahara-Gebieten.820 Insbesondere gegenüber der sesshaften Viehhaltung ist der nomadische Pastoralismus konkurrenzfähig. In Mali werden nach Angaben des COMESA durch nomadische Viehweidewirtschaft pro Hektar und Jahr bis zu 1066 % der Eiweißmenge (in kg) einer US-amerikanischen Ranch erzeugt und die nomadischen Borana er812 COMESA, Policy Framework for Food Security in Pastoralist Areas, Consultative Draft (Dezember 2009), online unter: http://www.agri-learning-ethiopia.org/wp-content/uploads/201 6/07/PFFSPA-Consultative-Draft-Dec-09-final.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018), 55, 2.1.2. 813 Sara Pavanello, Working across borders: Harnessing the potential of cross-border activities to improve livelihood security in the Horn of Africa drylands, Humanitarian Policy Group Policy Brief 41, Overseas Development Institute 2010, 2. 814 Andere Schätzungen gehen lediglich von einem Gesamtvolumen des grenzüberschreitenden Handels mit lebenden Tieren von 65 Mio. $ in ganz Ostafrika aus, welches die offiziellen Zahlen lediglich um das 10fache übersteigen soll (vgl. International Institute for Environment and Development, Modern and Mobile (Fn. 253) 23). 815 Sara Pavanello, Working across borders (Fn. 813) 2. 816 Michael Haldermann, The Political Economy of Pro-poor livestock Policy-Making in Ethiopia, Pro-poor Livestock Policy Initiative Working Paper No. 19, 20; AU, Policy Framework for Pastoralism in Africa (Fn. 187) 12. 817 Angaben von 2009, COMESA, Policy Framework for Food Security in Pastoralist Areas (Fn. 812) 10. 818 International Institute for Environment and Development, Modern and Mobile (Fn. 253) 8. 819 Ebd. 820 C. Neely/S. Bunning/A. Wilkes, Review of evidence on drylands pastoral systems and climate change: implications for mitigation and adaptation, FAO, Land and Water Discussion Paper 8, 2009, 1.
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zeugen immerhin 157 % einer sesshaften Ranch im selben Gebiet.821 In 26 unabhängigen Studien zwischen 1974 und 1993 in neun Ländern ganz unterschiedlicher afrikanischer Regionen konnte die höhere Produktivität der nomadischen Viehhaltung gegenüber der sesshaften nachgewiesen werden.822 Die Gründe hierfür verdeutlichen andere Statistiken: Nomadisch oder halbnomadisch gezogenen Rinder, so berichtet das International Institute for Environment and Development, kalben früher und häufiger, die Kälbersterblichkeit nomadischer Kälber ist weniger als halb so hoch wie die von sesshaften Kälbern in vergleichbaren klimatischen Regionen und nomadische Kühe geben signifikant mehr Milch.823 Möglich wird dies dadurch, dass die Hirten in der Lage sind, stets die Weide mit dem qualitativ höchstwertigen Futter auszuwählen und im Fall von Dürre oder anderen Unwägbarkeiten des wechselhaften Subsahara-Klimas auf andere Gebiete ausweichen zu können.824 Eine sesshafte Viehzucht, wie sie sich im klimatisch stabilen und fruchtbaren Europa durchgesetzt hat, stößt in Afrika und Zentralasien an ihre Grenzen.825 Aber nicht nur gegenüber der sesshaften Viehzucht ist die nomadische Viehweidewirtschaft in klimatisch unberechenbaren Trockengebieten überlegen. Auch im Vergleich mit dem Ackerbau, bringt die nomadische Wirtschaftsform hier häufig höhere Erträge.826 2. Ökologische Neubewertung „Pastoralism is considered the most economically, culturally and socially appropriate strategy for maintaining the well-being of communities in dryland landscapes, because it is the only one that can simultaneously provide secure livelihoods, conserve ecosystem services, promote wildlife conservation and honour cultural values and traditions.“827
Die Gültigkeit der in der Agrarökologie lange herrschenden Theorie von der Tragfähigkeit wird inzwischen zumindest für Trockengebiete mehrheitlich angezweifelt. Gleichzeitig wurden in den vergangenen Jahren mehrere Forscher mit 821 Alle Angaben m.w.N. aus COMESA, Policy Framework for Food Security in Pastoralist Areas (Fn. 812) 12. 822 Saverio Krätli/Christian Hülsebusch/Sally Brooks/Brigitte Kaufmann, Pastoralism: A critical asset for food security under global climate change (Januar 2013) Animal Frontiers, Bd. 3, Nr. 1, 42, 45. 823 International Institute for Environment and Development, Modern and Mobile (Fn. 253) 19. 824 Susan Martin/Sanjula Weerasinghe/Abbie Taylor, Crisis Migration (1/2013) Brown JWA, 123, 128. 825 Jérémie Gilbert, Nomadic Peoples (Fn. 115) 193. 826 Roy Behnke/Carol Kerven, Counting the Costs (Fn. 732) 57 ff. 827 CC. Neely/S. Bunning/A. Wilkes, Review of evidence on drylands pastoral systems and climate change (Fn. 820) 1 m.w.N.
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Nobelpreisen ausgezeichnet,828 denen es gelang, die Theorie von der Tragik der Allmende zu widerlegen. Ein Forschungsinstitut sieht gar ein symbiotisches Wechselspiel zwischen den weltweiten Grasländern und den nomadischen Herden.829 Dieses Wechselspiel könnte bedeuten, falls sich die heute noch umstrittenen Theorien bewahrheiten, dass es zur Bekämpfung der Wüstenbildung geradezu nötig ist, Grasland nicht brachliegen zu lassen, sondern aktiv und v. a. nomadisch zu beweiden.830 a) Das Ende der Tragik der Allmende „Although the tragedy of the commons arguments are now widely disregarded by scientists and professionals, modern-day policies continue to allow appropriation of pastoral rangelands, with associated displacement and impoverishment of pastoralists.“831
Die Theorie von der Tragik der Allmende geht davon aus, dass dort wo nicht kooperiert wird, Ressourcennutzer zu einer Übernutzung der gesellschaftlichen Ressourcen neigen.832 Lange Zeit wurde hieraus der Schluss gezogen, dieses Phänomen sei allen gesellschaftlich genutzten Oligopolen immanent. Tatsächlich ist dies jedoch vielmehr eine Folge davon, dass zwischen den Nutzern entsprechend dem berühmten „Gefangenendilemma“833 keine Kooperation stattfindet bzw., wenn eine solche stattfindet, jede Partei davon ausgehen muss, dass Vereinbarungen von anderen gebrochen werden.834 Die für beide Beteiligten beste Lösung scheitert somit an der mangelnden Kooperation bzw. dem gegenseitigen Misstrauen. Überträgt man das Lehrbuchbeispiel des Gefangenendilemmas auf zwei fiktive nomadische Gemeinschaften, die sich darauf geeinigt haben, ein bestimmtes Weideland nacheinander jeweils für eine festgelegte Zeit mit einer bestimmten Anzahl Tieren zu beweiden und das Land sich danach erholen zu lassen, so führt die Angst der einen Gemeinschaft, dass die andere sich nicht an diese Vereinbarung halten 828
Robert J. Aumann: 2005 Alfred Nobel Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften „for having enhanced our understanding of conflict and cooperation through game-theory analysis“ zusammen mit Thomas C. Schelling; und Elinor Ostrom: 2009 Alfred Nobel Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften für „Challenged the conventional wisdom by demonstrating how local property can be successfully managed by local commons without any regulation by central authorities or privatization.“ 829 Allan Savory, Die Wüste begrünen und den Klimawandel umkehren, TED Talk (Februar 2013), online unter: https://www.ted.com/talks/allan_savory_how_to_green_the_world_s_de serts_and_reverse_climate_change/transcript?language=de (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 830 Ebd. 831 AU, Policy Framework for Pastoralism in Africa (Fn. 187) 22. 832 N. Gregory Mankiw/Mark P. Taylor, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre (Fn. 715) 451. 833 Zur Erklärung N. Gregory Mankiw/Mark P. Taylor, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre (Fn. 715) 445. 834 Elinor Ostrom, Governing the Commons (Fn. 272) 3 ff.
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wird, dazu, dass die erste Gemeinschaft sich ihrerseits nicht an die Vereinbarung hält und länger und intensiver als vereinbart das Land beweidet. Die zweite Gemeinschaft wird, um der daraus im nächsten Jahr drohenden Benachteiligung vorzubeugen – so die Theorie – nun ebenfalls die Vereinbarung brechen mit der Konsequenz, dass beide Gemeinschaften mehr Vieh als die Weide verträgt zum Grasen schicken. Die Tragik des Gefangenendilemmas ist, dass, obwohl beide Parteien rational die individuell beste Strategie verfolgen, sie im Ergebnis durch die fehlende Kooperation untereinander nur das drittbeste Resultat erzielen.835 Die Tragik der Allmende ist also weniger eine Folge der eigentumslosen Ressourcen als eine Folge der mangelnden Kooperationsbereitschaft. Hätten sich beide Gemeinschaften an die Vereinbarungen gehalten, dann wäre es nicht zur Übernutzung gekommen. Zur Vermeidung der Tragik der Allmende bedürfe es nach der Theorie Garret Hardins eines externen Körpers der das Gemeinschaftsgut einer Management-Struktur unterwerfe. Dies könne entweder durch die Schaffung von Privateigentum erreicht werden, das die exklusiven Nutzungsrechte individuellen Eigentümern zuweist oder aber durch Regierungseigentum, in welchem der Staat durch direkte Kontrolle oder externe Regelsetzung das Ressourcenmanagement gestaltet.836 Auf theoretischer Ebene konnte die Unausweichlichkeit der Tragik der Allmende zumindest teilweise durch den Spieltheoretiker Robert J. Aumann widerlegt werden. Aumann beschäftigte sich mit der Frage, was geschähe, wenn das „Spiel“ des Gefangenendilemmas über lange Zeiträume immer wieder wiederholt worden wäre (Superspiel) und die Gefangenen hierbei miteinander kooperieren dürften. Seine Schlussfolgerungen besagen, dass die Parteien über einen langen Zeitraum eher zur Kooperation neigen und so das für beide ungünstige Nash-Gleichgewicht und damit die Tragik der Allmende vermeiden.837 Anders als das Gefangenendilemma zweier einmaliger Bankräuber stellt sich das Oligopol zweier Gemeinschaften bei der Nutzung des gemeinschaftlichen Weidelandes als solch ein langfristiges kooperatives Superspiel dar.
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Ebd., 4. Mark Pennington/Elinor Ostrom, Common-pool resources and the classisical liberal tradition, in: Elinor Ostrom u. a., The Future of the Commons – Beyond Market Failure and Government Regulation, Institute of Economic Affairs 2012, 21, 23; Garrett Hardin, Political Requirements for Preserving our Common Heritage, Kapitel 20 in: Council on Environmental Quality (Hrsg.), Wildlife and America, Government Printing Office 1979; Garrett Hardin/John Baden, Managing the Commons, Freeman 1977; David Feeny/Fikret Berkes/Bonnie J. McCay/ James M. Acheson, The Tragedy of the Commons: Twenty-Two Years Later, in: John A. Baden/ Douglas S. Noonan (Hrsg.) Managing the Commons, 2. Auflage, Indiana University Press 1998, 77 (auch erschienen in (1/1990) Human Ecology 1). 837 N. Gregory Mankiw/Mark P. Taylor, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre (Fn. 715) 449, 453. 836
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Auch empirisch konnte die Theorie von der Tragik der Allmende in der Zwischenzeit in Teilen widerlegt werden.838 Fälle kooperativ autonom geregelter gemeinschaftlicher Nutzung von Weideland in den Schweizer Alpen und Japan zeigen, dass eine kooperative Ressourcenverwaltung, wie sie auch nomadische Völker seit Jahrhunderten betreiben, nicht zu den in der Tragik der Allmende beschriebenen Effekten führten.839 Versuche der Privatisierung und Staatsverwaltung hingegen hatten in zahlreichen Fällen desaströse Konsequenzen für die Umwelt.840 Diese Erkenntnisse gehen auf die Politologin Elinor Ostrom zurück, die den Nachweis erbrachte, dass für eine nachhaltige und angemessene Verwaltung und Ausbeutung lokaler Allmenderessourcen oftmals eine institutionalisierte lokale Kooperation der Betroffenen sowohl staatlicher Kontrolle als auch dem Instrument der Privatisierung überlegen ist.841 Während die überkommende Lehrmeinung von der Tragik der Allmende davon ausging, dass Gemeineigentum notwendig mit einer Übernutzung der Ressourcen einherging, gelang es Elinor Ostrom auf Grundlage zahlreicher empirischer Studien nachzuweisen, dass Allmenden häufig funktionieren können, wenn es durch Regelsetzung gelingt, der Übernutzung vorzubeugen. Elinor Ostrom zufolge entwickeln Ressourcennutzer regelmäßig fortschrittliche Mechanismen der Entscheidungsfindung und Regeldurchsetzung, um Interessenkonflikte zu bewältigen. In Entwicklungsländern habe der Austausch traditionellen Gewohnheitsrechts durch staatliche Zentralverwaltung einhergehend mit der Verstaatlichung von Wäldern und Bewässerungssystemen katastrophale Auswirkungen auf Ökonomie und Ökologie gehabt.842 Damit eine gemeinschaftliche Verwaltung ohne die Effekte der Tragik der Allmende funktioniert, entwickelte Elinor Ostrom einige Kriterien: Zunächst muss eine ressourcennutzende Gemeinschaft das Recht besitzen, die Ressourcen eigenständig zu verwalten, bzw. zumindest die Garantie keiner äußeren Beeinträchtigung bieten. Zweitens muss die jeweilige gemeinsam verwaltete Ressource territorial klar definiert sein. Drittens müssen Kriterien bestimmt werden, nach denen sich die Mitgliedschaft zu einer nutzungsberechtigten Gruppe bemisst. Die Nutzer müssen 838
Elinor Ostrom, Governing the Commons (Fn. 272); David Feeny/Fikret Berkes/Bonnie J. McCay/James M. Acheson, The Tragedy of the Commons (Fn. 836) 76 ff. 839 Elinor Ostrom, Governing the Commons (Fn. 272) 61 ff.; vgl. auch Hans-Werner Wabnitz, Return to the Sources: Revival of Traditional Nomads’ Rights to Common Property Resources in the Code Pastoral of the Islamic Republic of Mauritania, (1/2009) NRJ, 191, 194 Fn. 7. 840 Mark Pennington/Elinor Ostrom, Common-pool resources and the classisical liberal tradition (Fn. 836) 24 ff. 841 Elinor Ostrom, Governing the Commons (Fn. 272) 146 ff., 106 ff. 842 Elinor Ostrom, ebd., 23; Elinor Ostrom erkennt jedoch an, dass es Fälle geben kann, in denen Privatisierung der erfolgversprechendere Ansatz ist, oder dass weder private noch gemeinschaftliche Verwaltung machbar sind, sodass an staatlicher Regulierung kein Weg vorbeiführt; vgl. Margaret McKean/Elinor Ostrom, Common property regimes in the forest: just a relic from the past? (1/1995) Unasylva, online unter: http://www.fao.org/docrep/v3960e/v3 960e03.htm (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018).
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viertens das Recht besitzen, die Modalitäten der Ressourcennutzung im Laufe der Zeit den Gegebenheiten dynamisch anzupassen. Fünftens müssen die Nutzungsregeln im Einklang mit dem potentiellen Ertrag des jeweiligen Gebiets stehen und eine konservativ bemessene Fehlertoleranzgrenze beinhalten. Sechstens müssen die Nutzungsregeln klar und leicht durchsetzbar sein, ihre Einhaltung muss überwacht und ggf. sanktioniert werden. Schließlich bedarf das Regelsetzungsverfahren der allgemeinen Akzeptanz aller Nutzer als fair. Kleinere Nutzungskonflikte bedürfen einer schnellen unkomplizierten Lösung. Größere staatsgrenzenübergreifende Gebiete können und müssen durch eine pyramidale Verwaltungsstruktur gemanagt werden843 damit Ostroms Mechanismen zur Vermeidung der Tragik der Allmende ihre Wirksamkeit entfalten können. b) Das Konzept der Tragfähigkeit gilt nicht in unberechenbaren Trockengebieten Die Beurteilung der ökologischen Verträglichkeit der Landnutzung durch Vieh in Europa basierte auf dem Konzept der Tragfähigkeit, wonach ein Gebiet nur eine bestimmte Höchstgröße an Viehbestand ohne nachhaltige Schädigung ertragen kann. Die Übertragung dieses für gemäßigte Breiten entwickelten Konzepts auf aride und semi-aride Regionen ist gescheitert,844 da sich aufgrund eines in diesen Regionen höchstgradig variablen Klimas einer Weide keine statische Tragfähigkeit zuordnen lässt: „Increased understanding of the ,how‘ and ,why‘ of intervention failures which have used the ranch model, have shown that non-equilibrium ecosystems are better exploited by the flexibility and opportunism practised by African pastoralists, rather than the conservative strategies associated with North American range management practices.“845
Vielmehr steigert die Mobilität von Viehherden über große Distanzen auf traditionell gemeinschaftlich genutzten Flächen die Belastbarkeit der Ökosysteme.846 Durch die Trennung von Sommer- und Winterweiden durch undurchlässige Staatsgrenzen fehlt dem Land die Zeit zur Erholung. Bodenerosion und Wüsten-
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Margaret McKean/Elinor Ostrom, ebd., 46 ff. Sian Sullivan/Rick Rohde, On non-equilibrium in arid and semi-arid grazing systems, (2002) Journal of Biogeography, 1595, 1596; Yonten Nyima, What factors determine carrying capacity? A case study from pastoral Tibet (2015) Royal Geography Society – Area, 73; Roy Behnke/Ian Scoones, Rethinking range ecology: Implications for rangeland management in Africa, in: Roy Behnke/Ian Scoones/Carol Kerven (Hrsg.), Range Ecology at Disequilibrium, new models of natural variability and pastoral adaption in African Savannas, ODI 1993, 1 ff.; James E. Ellis/David M. Swift, Stability of African pastoral ecosystems: Alternate paradigms and implications for development (1988) JRM, 450 ff. 845 J. Dijkman, Carrying capacity: outdated concept or useful livestock management tool?, ODI-Pastoral Development Network, online unter: http://www.fao.org/tempref/docrep/nonfao/ lead/x6179e/x6179e00.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 846 UN Environment Management Group, Global Drylands (Fn. 20) 38. 844
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bildung sind somit eine direkte Folge von undurchlässigen Staatsgrenzen.847 Statt eine möglichst große Stabilität zu bezwecken, wie dies der Theorie von der Tragfähigkeit zugrundeliegt, muss die Landwirtschaft in trockenen Gebieten auf eine möglichst große Flexibilität ausgerichtet sein.848 c) Symbiose zwischen Nomaden und Grasland Eine noch umstrittene849 Theorie schlägt zur Bekämpfung der Wüstenbildung und Erneuerung der weltweiten Grasländer keine Einschränkung der nomadischen Beweidung, sondern im Gegenteil, ihre Intensivierung vor. Diese Theorie des „Holistic Management“ wurde vom Savory-Institute unter Leitung von Allan Savory entwickelt. Savory geht davon aus, dass zwischen den Viehherden der Nomaden und dem Grasland eine symbiotische Beziehung dergestalt besteht, dass das Grasland ohne die regelmäßigen Wanderungen bestimmter Herdentiere nicht existieren kann, ähnlich, wie auch das Ökosystem der Savanne davon abhängig ist, dass der Boden regelmäßig von gigantischen Gnu-Herden zertrampelt und gedüngt wird.850 Wenn diese Theorien zutreffen, dann können sich die weltweiten Grasebenen nur erholen, wenn diese den Nomaden und ihren Herden wieder zur Verfügung gestellt werden.851 Hinweise hierauf bietet das Wiedererstarken eines Clan-gesteuerten Weidelandmanagements in einigen sehr entlegenen, ökologisch besonders fragilen Regionen Chinas. Dort konnte sich trotz kommunistischer Unterdrückung die nomadische Kultur und nomadisches Clanrecht erhalten und trägt seit den 80er Jahren zu einer nachhaltigen Weidewirtschaft bei.852 Nach Erkenntnissen des Savory Institutes ist Wassermangel nur eine der Ursachen von Wüstenbildung. Denn wenn es einmal regnet, wird das Wasser auf einem nicht 847 Michelle Lim, Laws, Institutions and Transboundary Pasture Management in the High Pamir and Pamir-Alai Mountain Ecosystem of Central Asia, (2012) LEDJ, 43, 56. 848 Katherine Homewood/Saverio Krätli, Seminar Mobility and Land Tenure (Fn. 268); UN Environment Management Group, Global Drylands (Fn. 20) 51. 849 Vgl. George Monbiot, Eat more meat and save the world: the latest implausible farming miracle, the Guardian (4. August 2014), online unter: http://www.theguardian.com/environ ment/georgemonbiot/2014/aug/04/eat-more-meat-and-save-the-world-the-latest-implausible-far ming-miracle (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 850 Nachweise zur Evidenz dieser These unter: http://savory.global/assets/docs/evidence-pa pers/portfolio-of-findings.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018); Allan Savory, Die Wüste begrünen und den Klimawandel umkehren, TED Talk (Februar 2013), online unter: https://www.ted.com/talks/allan_savory_how_to_green_the_world_s_deserts_and_reverse_cli mate_change/transcript?language=de (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 851 Nicolette Hahn Niman, Actually, Raising Beef Is Good for the Planet, in: The Wall Street Journal (19. Dezember 2014), online unter: http://www.wsj.com/articles/actually-raising-beefis-good-for-the-planet-1419030738 (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 852 John W. Longworth/Gregory J. Williamson, China’s Pastoral Region, Center for Agriculture and Bioscience International 1993, 333.
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von zertrampeltem Gras und Dung bedeckten kahlen Landflecken einfach verdunsten oder abfließen.853 Um eine Übergrasung und Abweidung zu verhindern, ist es nach der Theorie des „Holistic Management“ wichtig, dass auf dem Grasland große und dichte Herden ständig in Bewegung bleiben, letztlich also nomadisch unterwegs sind. Eine ähnliche Praxis, „Otor“ genannt, betrieben auch seit Menschengedenken die Nomaden in der Inneren Mongolei.854 3. Sicherheitspolitische Neubewertung am Beispiel des Bürgerkriegs in der Zentralafrikanischen Republik Ein auch aus heutiger Sicht durchaus valides Argument gegen das Nomadentum und für eine Sedentarisierung könnten sicherheitspolitische Erwägungen darstellen.855 Zwar ist es korrekt, dass grenzüberschreitende Wanderungen Auslöser und „Brandbeschleuniger“ gewaltsamer Konflikte sein können, wie das folgende Beispiel belegt. Jedoch ist es fraglich, ob eine Schließung der Grenzen zur Bekämpfung dieser Konflikte stets das probate Mittel darstellt. Ein gegenwärtiges Beispiel für einen im Wesentlichen auf transnationales Nomadentum zurückgehenden Konflikt ist der Bürgerkrieg in der Zentralafrikanischen Republik und deren Nachbarländern: Einige Fulbe wandern seit Jahrzehnten im Rhythmus der Jahreszeiten vom Tschad in die Zentralafrikanische Republik ein und wieder aus.856 Auch verschiedene arabischstämmige Gruppen und Tubu durchwandern die Region grenzüberschreitend.857 Von den ursprünglich im Gebiet der Zentralafrikanischen Republik heimischen Völkern werden diese erst im 20. Jahrhundert eingewanderten Hirtennomaden als Eroberer gesehen, die die Hauptverantwortung für die Degradation der natürlichen Ressourcen tragen.858 Die verstärkte transnationale nomadische Migration zwischen Tschad und der Zentralafrikanischen Republik ist eine Mitursache der bürgerkriegsähnlichen Zustände in Zentralafrika.859 Heute ist die Zentralafrikanische Republik ein Failed
853 Vgl. auch C. Neely/S. Bunning/A. Wilkes, Review of evidence on drylands pastoral systems and climate change (Fn. 820) 5; Allan Savory, Die Wüste begrünen und den Klimawandel umkehren, TED Talk (Februar 2013), online unter: https://www.ted.com/talks/allan_sa vory_how_to_green_the_world_s_deserts_and_reverse_climate_change/transcript?language= de (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 854 David Sneath, Changing Inner Mongolia (Fn. 185) 35. 855 FAO, La transhumance transfrontalière en Afrique de l’Ouest (Fn. 793) 41 ff. 856 International Crisis Group, Security Challenges of Pastoralism (Fn. 70) 12. 857 Vgl. ebd., 1 f.; Karte mit dem grenzüberschreitenden Aktionsradius der Tubu bei Catherine Baroin, Gens du roc et du sable: les Toubou, Centre National de la Recherche Scientifique – Centre Régional de Publication de Marseille 1988, 8. 858 International Crisis Group, Security Challenges of Pastoralism (Fn. 70) 12. 859 Vgl. zur Entwicklung des Konfliktes und des Zusammenhanges mit dem grenzüberschreitenden Nomadentum umfassend: International Crisis Group, ebd.
V. Politischer und wissenschaftlicher Paradigmenwechsel – Nomaden im 21. Jh.
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State, in dem die Auseinandersetzungen zwischen Hirtennomaden und sesshaften Bauern immer häufiger werden.860 Ungeachtet kleinerer Ressourcenkonflikte lebten die sesshaften Bauern in der Zentralafrikanischen Republik früher in relativer Harmonie mit den nomadischen Wintergästen. Diese wanderten auf allgemein anerkannten Routen.861 Erst die Unterbrechung der traditionellen Wanderrouten und die wachsende Zahl von Straßenräubern, derer sich die Fulbe durch Schusswaffenbeschaffung zu erwehren suchten, führte zu vermehrten gewaltsamen Auseinandersetzungen.862 Viele Nomaden wurden zu Opfern von Milizen, die sie erpressten oder ihr Vieh stahlen. Innerhalb der letzten 20 Jahre hat der Rückgang der staatlichen Gewalt in der Zentralafrikanischen Republik dazu geführt, dass die Wanderungen der Nomaden immer gefährlicher wurden und v. a. Menschenhändler und Banditen in den Grenzregionen nach Tschad und Kamerun hiervon profitierten.863 Diese rekrutieren sich z. T. aus jenen Hirtennomaden, die in Folge der Konflikte ihre eigenen Herden verloren haben und nun aus ihrem Wissen der nomadischen Lebensgewohnheiten Profit ziehen.864 Dies alles löste eine Kettenreaktion aus: Die Nomaden wichen auf andere Wanderrouten aus und bewaffneten sich. Auf diesen Routen zerstörten sie die Felder der nicht an nomadische Wanderungen gewöhnten und unbewaffneten Ackerbauern. Religiöse und ethnische Ressentiments trugen ein Übriges zur spannungsgeladenen Situation bei.865 Hinzu kommt, dass eine wohlhabende wirtschaftliche und militärische Elite im Tschad zunehmend das ökonomische Potential der nomadischen Viehweidewirtschaft erkennt und als Investment nutzt. Bezahlte „Neopastoralists“, bewaffnet mit Gewehren und Satellitentelefonen, ignorieren, gedeckt durch ihre mächtigen Arbeitgeber, traditionelle Weidelandmanagementmechanismen und zerstören die Felder der sesshaften Gemeinschaften und bedrohen deren Familien.866 Die entsprechend innerhalb der Zentralafrikanischen Republik auftretenden Konflikte zwischen tschadischen „Neopastoralisten“ und zentralafrikanischer sesshafter Bevölkerung werden durch die Armee Tschads „gelöst“.867 Von der lokalen Bevölkerung werden die Nomaden daher als Hauptursache des Bürgerkriegs wahrgenommen.868 Auch dort, wo Nomaden nicht die Erstursache eines Konfliktes sind, führt ihre flexible Lebensweise zu einem beschleunigten Umsichgreifen des Konflikts. Ge860 861 862 863 864 865 866 867 868
Ebd., 1 f. Ebd., 11, 12. Ebd., 11. Ebd., 12. Ebd., 12. Ebd., 13 f. Ebd., 14. Ebd., 14. Ebd., 13, 12.
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C. Nomaden in Zeit, Raum und Recht
wöhnt daran, auf äußere Bedingungen schnell und mobil zu reagieren, haben 2014 bereits 70.000 Fulbe die Zentralafrikanische Republik in die Nachbarländer Kamerun, Demokratische Republik Kongo, Tschad und Sudan verlassen, was teilweise zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der dortigen Bevölkerung führte, welche v. a. die Fulbe der Kooperation mit fundamentalistischen Rebellen bezichtigte.869 Zwischen der Sicherheit eines Staates und der Prägung seiner Gesellschaft durch Nomaden besteht ein evidenter Zusammenhang. Auf dem Fragile State Index des Fund for Peace des Jahres 2015 handelt es sich bei den elf zerfallensten Staaten um solche, deren Landschaftsbild durch Nomaden zumindest mitgeprägt ist.870 Von den 65 Staaten weltweit, die von Staatszerfall betroffen sind oder in denen diesbezüglich eine „high warning“ besteht, weisen nur elf keinerlei wandernde Populationen auf.871 Dieser Fakt könnte zu dem vorschnellen Schluss verleiten, dass es zur Befriedung Afrikas erforderlich sei, die Grenzen zu schließen und nomadische Völker umzuerziehen wie dies seit Jahrzehnten betrieben wurde. Diese Politik ist jedoch in der Vergangenheit gescheitert: „Migration is a fact of history. We should learn to handle it, not pretend to stop it.“872
Statt das Nomadentum aufzugeben, sind die Völker dazu übergegangen, offizielle Grenzübergangsstellen zu meiden. Die Folge ist, dass den Staaten Zoll- und Steuereinnahmen entgehen, dass Nomaden sich selbst bewaffnen um ihre Sicherheit in abgelegenen Regionen zu gewähren und dass Tierseuchen und Epidemien (wie Ebola im Jahre 2013) sich unkontrolliert ausbreiten. Unmittelbar lassen sich die Folgen einer plötzlichen Grenzschließung an einem EU-geförderten Wildreservat in der Zentralafrikanischen Republik beobachten: „The EU-funded Ecofaune project, which aims to protect the wildlife ecosystems of northeastern CAR [Central African Republic], has had negative and unexpected results. Park rangers are authorised to kill cattle that are infringing the law in certain precise circumstances, which has sometimes led to clashes with pastoralists. […] This generalised insecurity provoked a chain reaction: the pastoralists changed their migration routes and started to arm themselves more, notably with Kalashnikovs. It became difficult to distinguish between pastoralists and poachers. Some CAR communities now link transhumance and insecurity. The disruption of traditional migration routes has led to more destruction of crops and has fuelled conflict between sedentary and pastoralist groups.“873
869
Ebd., 19 ff. J. J. Messner (Hrsg.), Fund for Peace Fragile State Index 2015 (Fn. 327) 7. 871 Ebd. 872 Simon Jenkins, Migration is a fact of life – yet our deluded leaders try to turn back the tide, The Guardian (18. März 2016), online unter: http://www.theguardian.com/commentis free/2016/mar/18/migration-leaders-david-cameron-refugees-libya-movement-of-people (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 873 International Crisis Group, Security Challenges of Pastoralism (Fn. 70) 13 f. 870
V. Politischer und wissenschaftlicher Paradigmenwechsel – Nomaden im 21. Jh.
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Statt wie bislang zu versuchen, das kulturell verwurzelte und ökonomisch, wie ökologisch notwendige grenzüberschreitende Nomadentum zu verbieten, besteht ein Mittel gegen den Staatszerfall nicht im Unterbinden der Migration, sondern in dessen rechtlicher Einhegung und Koordinierung. Staaten, die jedoch das Nomadentum per se für illegal erklären, berauben sich dieser Möglichkeit von vornherein. Ein Paradigmenwechsel, wonach Grenzkonflikte nicht allein durch eine eindeutige Ziehung von Staatsgrenzen zu lösen sind, sondern auch die Grenzübertritte der örtlichen Bevölkerung geregelt werden müssen, vollzog sich jüngst auch in der Rechtsprechung des IGH. Den Weg hierhin beleuchtet der folgende Abschnitt. 4. IGH-Rechtsprechung zwischen West-Sahara-Gutachten und Grenzstreit zwischen Burkina Faso und Niger Dass bei der Lösung von Grenzkonflikten auch die Interessen grenzüberschreitender Nomaden im gebührenden Rahmen zu berücksichtigen sind, hat der IGH im Jahre 2013,874 anders als noch in früheren Urteilen, anerkannt. Hiermit erreichte die Entwicklung der Nomadenrechtsprechung des IGH einen vorläufigen Höhepunkt. Erstmalig setzte sich der IGH 1975 im Rahmen des West-Sahara-Gutachtens875 mit grenzüberschreitenden Nomaden auseinander. Unter Rückgriff auf das Völkerrecht des 19. Jahrhunderts erachtete er den Erwerb der West-Sahara durch Spanien nicht als Erwerb einer Terra nullius, sondern als derivativen Erwerb von souveränen Nomaden.876 Gleichzeitig war dem IGH bewusst, dass „In consequence, the nomadic routes of none of them were confined to Western Sahara; some passed also through areas of southern Morocco, or of present-day Mauritania or Algeria, and some even through further countries.“877
Trotz dieser Fakten und intertemporalen Rechtsbeurteilung vermied es der IGH, eine Kompromisslösung zwischen präkolonialer Gebietslosigkeit und modernem Territorialstaat zu suchen. Im West-Sahara-Gutachten interessierte ihn einzig, wem auf Grundlage der historischen Entwicklung nach heutigem Völkerrecht die Gebietshoheit zuzusprechen war, und er entschied, diese Frage nicht abschließend beantworten zu können, da die präkolonialen Rechtsbeziehungen personaler – also clanrechtlicher – und nicht territorialer Natur waren.878 Auf diese Argumentationslinie stützte sich im Jahre 2002 auch Indonesien im Streit mit Malaysia um die Inseln Pulau Ligitan und Pulau Sipadan: Selbst wenn es zuträfe, dass die Inseln von den seenomadischen Bajau seit Langem zum Sammeln 874
IGH, Frontier Dispute (Burkina Faso ./. Niger) Judgment (16. April 2013) ICJ Rep 2013,
875
IGH, Western Sahara Advisory Opinion (16. Oktober 1975) ICJ Rep 1975, 12. Ebd., Rn. 81 f. Ebd., Rn. 88. Ebd., Rn. 152, 158.
44. 876 877 878
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C. Nomaden in Zeit, Raum und Recht
von Schildkröteneiern genutzt worden seien, wozu sie eine Lizenz des Sultans von Sulu hatten,879 in dessen Rechtsnachfolge sich Malaysia sieht, seien, so Indonesien, die Rechtsbeziehungen zwischen den Bajau und dem Sultanat Sulu stets nur personaler und nicht territorialer Natur gewesen.880 Dieser Sichtweise schloss sich der IGH an: „Malaysia relies on the ties of allegiance which allegedly existed between the Sultan of Sulu and the Bajau Laut who inhabited the islands off the coast of North Borneo and who from time to time may have made use of the two uninhabited islands. The Court is of the opinion that such ties may well have existed but that they are in themselves not sufficient to provide evidence that the Sultan of Sulu claimed territorial title to these two small islands or considered them part of his possessions.“881
Auch in anderen Urteilen bekräftigte der IGH, dass sich aus der Nutzung bestimmter Gebiete durch Nomaden, die mit souveränen Herrschern in personaler Verbundenheit standen, keine Rückschlüsse auf die territoriale Zugehörigkeit des jeweiligen Gebietes ziehen ließen. Im Falle Kasikili/Sedudu etwa bestätigte er, dass aus der Tatsache, dass die namibischen Masubi die streitgegenständliche Insel als Halbnomaden genutzt hatten, keine Gebietsansprüche Namibias herzuleiten seien.882 Im Grenzstreit zwischen Libyen und Tschad entschied der IGH den exakten und die Nomadenrouten zerschneidenden Grenzverlauf ironischerweise gerade aufgrund jenes Artikels im Freundschaftsvertrag zwischen Frankreich und Libyen von 1955, der den Nomaden Freizügigkeit gewähren sollte.883 In allen diesen Urteilen war dem IGH die Existenz grenzüberschreitender Wanderrouten bewusst. In keinem einzigen dieser frühen Fälle jedoch versuchte der IGH, diese Belange mit dem Parteibegehr eines klaren Grenzverlaufs in Einklang zu bringen. Einen dahingehenden Richtungswechsel vollzog er erst im Jahre 2013 bei Gelegenheit des Grenzstreites zwischen Burkina Faso und Niger.884 Eine neue Rechtsprechungslinie des IGH, „to go beyond the purely territorial inter-State dimension“, wie Richter Cançado Trindade es ausdrückte,885 fand so 879 IGH, Sovereignty over Pulau Ligitan and Pulau Sipadan (Indonesia ./. Malaysia), Judgment (12. Dezember 2002) ICJ Rep 2002, 625, Memorial of Malaysia, Volume 1 (2. November 1999) 13, 3.7. 880 IGH, Sovereignty over Pulau Ligitan and Pulau Sipadan (Indonesia ./. Malaysia), Judgment (12. Dezember 2002) ICJ Rep 2002, 625, Rn. 99. 881 Ebd., Rn. 110. 882 IGH, Case concerning Kasikili/Sedudu Island (Botswana ./. Namibia) Judgment (13. Dezember 1999) ICJ Rep 1999, 1045, Rn. 75, 98. 883 IGH, Territorial Dispute (Libyan Arab Jamahiriya ./. Chad) Judgment (3. Februar 1994) ICJ Rep 1994, 6, Rn. 53. 884 IGH, Frontier Dispute (Burkina Faso ./. Niger) Judgment (16. April 2013) ICJ Rep 2013, 44. 885 IGH, Frontier Dispute (Burkina Faso ./. Niger) Sondervotum Richter Cançado Trindade (16. April 2013) ICJ Rep 2013, 44, Rn. 93.
VI. Résumé
173
erstmals Anwendung auf Nomaden. Zuvor hatte der IGH bereits 2009 im Streit zwischen Costa Rica und Nicaragua die grenzüberschreitenden traditionellen Fischereirechte der einheimischen Bevölkerung berücksichtigt886 und 2011 eine demilitarisierte Zone um den Tempel von Preah Vihear ausdrücklich mit Rücksicht auf die lokale Bevölkerung angeordnet.887 Der IGH respektierte hierdurch die Interessen der grenznahen Bevölkerung „in an unprecedented way in its case law“, wie Richter Cançado Trindade kommentierte.888 Im Grenzstreit zwischen Niger und Burkina Faso erkannte der IGH 2013 schließlich erstmals, dass der Gerechtigkeit nicht allein dadurch Genüge getan war, den Grenzverlauf nach dem Uti-possidetis-Prinzip präzise zu bestimmen, sondern, dass neben diesem auch die Rechte der grenznahen Nomaden auf Grenzübertritt über die festzulegende Grenze Berücksichtigung verdienten: „Having determined the course of the frontier between the two countries […] as the Parties requested of it, the Court expresses its wish that each Party, in exercising its authority over the portion of the territory under its sovereignty, should have due regard to the needs of the populations concerned, in particular those of the nomadic or semi-nomadic populations, and to the necessity to overcome difficulties that may arise for them because of the frontier.“889
VI. Résumé Nomaden sind jene Menschengruppen, die sich zum Zwecke des Erwerbs ihrer Lebensgrundlagen von einem Ort zum anderen bewegen, wobei diese Mobilität der jeweils ausgeübten Tätigkeit unmittelbar immanent ist. Der Nomadismus beinhaltet ein komplexes Lebenssystem und eine Produktionstechnik, die auf Mobilität und Flexibilität basieren. Er ist in bestimmten Regionen, in denen die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln höchst unberechenbar und vom Zufalle abhängig ist, die einzig funktionierende Anpassungsstrategie. Die dem Nomadismus immanente Mobilität erlaubt keine gesellschaftliche Fixierung anhand fester Territorien und staatlicher Grenzen, wie sie sich über die Jahrhunderte in Europa entwickelt, durch den Kolonialismus in die Welt verbreitet und durch die Universalisierung des Ius Publicum Europaeum im Völkerrecht weltweit durchgesetzt hat. 886
IGH, Dispute relating to Navigational and Related Rights (Costa Rica ./. Nicaragua) Judgment (13. Juli 2009) ICJ Rep 2009, 266, Rn. 143 f. 887 IGH, Request for Interpretation of the Judgment of 15 June 1962 in the Case concerning the Temple of Preah Vihear (Cambodia / Thailand) (Kambodscha ./. Thailand) Provisional Measures, Order (18. Juli 2011) ICJ Rep 2011, 537. 888 IGH, Frontier Dispute (Burkina Faso ./. Niger) Sondervotum Richter Cançado Trindade (16. April 2013) ICJ Rep 2013, 44, Rn. 89. 889 IGH, Frontier Dispute (Burkina Faso ./. Niger) Judgment (16. April 2013) ICJ Rep 2013, 44, Rn. 112.
174
C. Nomaden in Zeit, Raum und Recht
Im Gegensatz zu Staaten als verfassten Civitates, handelt es sich bei Nomadenvölkern um personal determinierte Nationes oder Clans. Die diesen Gemeinschaften zugrundeliegenden Normsysteme basieren nicht auf staatlicher Gesetzgebung, sondern auf dem Rule of the Clan, welches insbesondere in nomadisch geprägten Regionen als rechtspluralistisches Normengefüge mit den staatlichen Ordnungen verschränkt ist oder dort, wo die Staatsordnung verblasst, diese ersetzt. Das Rule of the Clan kennt keine Grenzen als starre Linien, sondern verteilt Landrechte ständig neu und führt so zu einer Struktur sich räumlich, zeitlich und funktional überlappender Räume, die einem permanenten Wandel unterworfen sind. Diese atmenden Strukturen wurden durch das Entstehen staatlicher Grenzen immer weiter abgeschnürt und bestehen heute häufig nur noch inoffiziell fort. Dabei ist dieser abschnürende Effekt dem Konzept der Grenze keineswegs zwingend immanent. Zahlreiche Verträge aus dem Europa der Zwischenkriegszeit belegen, dass auch eine territorial geprägte Staatenordnung landwirtschaftlich erforderlichen Wanderungen durch eine Permeabilität der Grenzen Raum geben kann. Unter den Naturrechtlern der frühen Neuzeit galt eine weltweite Freizügigkeit über Grenzen hinweg sogar als zwingender Grundsatz, welcher nur unter besonderen, außergewöhnlichen Umständen eingeschränkt werden durfte.890 Die meisten nomadischen Völker wandern in Regionen, welche in der Vergangenheit Opfer des europäischen Imperialismus wurden. Die dortigen Grenzen wurzeln in jenen Linien, welche die europäischen Mächte willkürlich zogen, um ihre jeweiligen Interessensphären untereinander abzugrenzen und durchschneiden die traditionellen Wanderrouten der Nomaden. In der Frühphase des Kolonialismus standen die Europäer den transkolonialen Wanderungen noch weitgehend gleichgültig gegenüber. Später verdrängte das Ziel der territorialen Abgrenzung das vormalige Ziel der Sicherung von Handelsposten und -wegen. Erst im Zuge der Dekolonisierung erstarkten die einst durchlässigen kolonialen Verwaltungsgrenzen zu Staatsgrenzen. Dieser Prozess ging einher mit einer veränderten „zivilisatorischen“ Sicht auf Nomaden, welche durch vermeintliche ökonomische, ökologische und agrarwissenschaftliche Erkenntnisse untermauert wurde. War das „Einsperren“ nomadischer Völker zwischen Grenzen in früheren Zeiten noch ein lediglich billigend in Kauf genommener Nebeneffekt des Spätkolonialismus, so wurde die Sedentarisierung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum ausdrücklichen Staatsziel, sowohl im östlichen, als auch im westlichen Wertesystem. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurden die der „Zivilisierung“ der Nomaden zugrundegelegten Theorien zunehmend widerlegt oder ihre Gültigkeit zumindest für die meisten nomadisch geprägten Regionen in Frage gestellt. Diesem wissen890 Francisco de Vitoria, De Indis (Fn. 165) 3. Teil, Nr. 2; Hugo Grotius, Krieg und Frieden, (Fn. 168) Erster Band, Buch II, Kapitel II, XIII; John Selden, Mare Clausum (Fn. 333) Buch I, Kapitel XX, 124; Immanuel Kant, Zum Ewigen Frieden (Fn. 168) Dritter Definitivartikel, 357 f.; Emer de Vattel, Le droit des gens (Fn. 124) Buch 2, Kapitel IX, § 123.
VI. Résumé
175
schaftlichen Paradigmenwechsel trug im Jahre 2013 erstmals auch der IGH Rechnung,891 woran sich abzeichnet, dass sich das Völkerrecht des 21. Jahrhunderts von jenem des vergangenen Jahrhunderts wesentlich unterscheiden wird. Wie sich dieses Völkerrecht darstellt, wird im folgenden Abschnitt beleuchtet.
891 IGH, Frontier Dispute (Burkina Faso ./. Niger) Judgment (16. April 2013) ICJ Rep 2013, 44, Rn. 112.
D. Neue Staatenpraxis im 21. Jahrhundert Die neue wissenschaftliche und politische Sichtweise auf Nomaden zeigt sich auch in der jüngsten Staatenpraxis.
I. Grenzvertrag zwischen Sudan und Südsudan 2013 Gegenüber den umfassenden Staatenbildungsprozessen des 20. Jahrhunderts, sind im 21. Jahrhundert bisher sehr wenige neue Staaten entstanden, die eine grundlegende Neuverhandlung von Grenzverträgen erforderlich machten. Eines der wenigen Beispiele (neben Montenegro und Timor Leste) ist der Südsudan. Die Abgrenzung dieses Staates zum Sudan erforderte die Ziehung einer gänzlich neuen Staatsgrenze, der mangels Existenz einer alten Kolonialgrenze nicht durch den Utipossidetis-Grundsatz Genüge getan werden konnte. Um die These eines neuen Paradigmas im Völkerrecht zu überprüfen, lohnt somit ein Blick auf den Grenzvertrag aus dem Jahre 2013 zwischen Sudan und Südsudan.892 Hierin heißt es: „Art. 14 I. The parties shall regulate, protect and promote the livelihoods of border communities without prejudice to the rights of the host communities and in particular those of the nomadic and pastoral communities, especially their seasonal customary right to cross, with their livestock, the international boundary between the parties to access pasture and water. II. The Parties may reach further a elements to facilitate the peaceful movement of nomadic and pastoral communities taking into consideration the primary interest of the host communities and the security implications of such movements.“893
Dieser Vertrag bestätigt somit vollumfänglich die hier aufgeworfene These eines Paradigmenwechsels dahingehend, nunmehr die Interessen der Nomaden am Grenzübertritt vertraglich in gebotenem Maße zu berücksichtigen. Anders jedoch als in der Frühphase des Kolonialismus waren die Nomaden selbst keine Vertragspartner. Die grenznahen Nomaden in beiden Sudans schlossen allerdings parallel zum zwischenstaatlichen Grenzvertrag mit den Stämmen jeweils jenseits der Grenze Übereinkünfte, um die grenzüberschreitenden Wanderungen zu regeln.894 Unmit892
Sudan ./. Südsudan, Agreement between the Republic of the Sudan and the Republic of South Sudan on Border Issues (27. September 2012) online unter: http://www.peaceau.org/uplo ads/sudan-south-sudan-agreements-22-10-2012.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 893 Ebd. 894 Ali Jammaa Abdalla, People to people diplomacy (Fn. 232) 1.
II. Neuverhandlung der Rechte der Samen
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telbar Gehör finden sollen die süd- und nordsudanesischen Nomaden ferner bei der Implementierung des Grenzvertrages, denn Art. 15 II legt fest: „In the adoption or implementation or policy, the JBC [Joint Border Commision] shall give due consideration to the views of the host communities, border communities as well as to the interests and views of other affected interest groups.“895
In dieser Forderung nach einer unmittelbaren Beteiligung der nomadischen Völker an den sie betreffenden Grenzfragen wird ein Umdenken der Staaten deutlich. Dieses Umdenken findet nicht nur in Afrika, sondern auch andernorts statt und es bedarf hierfür nicht notwendig der Gelegenheit der Neufestlegung eines Grenzverlaufs. Die Notwendigkeit zur Neugestaltung der Rechte grenzüberschreitender Nomaden kann sich z. B. auch daraus ergeben, dass bislang geltende Rechtsregime von vornherein zeitlich befristet waren. Ein Beispiel hierfür findet sich in Skandinavien, wo das Auslaufen der Rentierweidekonvention von 1972 zwischen Finnland und Schweden den Anlass lieferte, die Nomaden bereits beim Abschluss des völkerrechtlichen Nachfolgeabkommens zu beteiligen.
II. Neuverhandlung der Rechte der Samen Der dem Vertrag von Strömstad zwischen Norwegen und Schweden angehängte Lappkodizil896 wurde 1972 durch eine neue „Rentierweidekonvention“ ersetzt.897 Da deren Gültigkeit von vornherein auf 30 Jahre beschränkt war, wurde sie ihm Jahre 2002 um drei Jahre verlängert.898 Zu einer weiteren Verlängerung kam es aufgrund von Protesten der schwedischen Samen hiergegen nicht. Nach schwedischer Sichtweise lebten durch die Nichtverlängerung die deutlich weiterreichenden Samenrechte des Lappkodizils von 1751 wieder auf. Norwegen teilt diese Auffassung nicht, toleriert aber einstweilen die grenzüberschreitenden Rentierwanderungen der Samen.899 Ein neuer Konventionsentwurf von 2009 scheiterte, da der schwedische 895
Sudan ./. Südsudan, Art. 15 II Agreement between the Republic of the Sudan and the Republic of South Sudan on Border Issues (27. September 2012), online unter: http://www.pe aceau.org/uploads/sudan-south-sudan-agreements-22-10-2012.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 896 Norwegen ./. Schweden, § 10 Förste Bihang eller Codecill till Gränsse Tractaten emellan Konunga Rikerne Sverige och Norge, Lappmännerne beträffande (1751), online unter: http:// www.natverketnorden.se/pdf/lappcodecill_588.PDF (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 897 Norwegen ./. Schweden, Agreement on the grazing of reindeer (with annexed maps, and with exchange of letters dated on 28 April 1972) (9. Februar 1972) 969 UNTS No. 14021. 898 Schweden: Regeringens proposition 2001/02:67, Förlängning av giltighetstiden för konventionen den 9 februari 1972 mellan Sverige och Norge om renbetning, (9. Februar 1972), online unter: http://www.riksdagen.se/sv/dokument-lagar/dokument/proposition/forlangningav-giltighetstiden-for-konventionen_GP0367 (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 899 Norwegen: Ot.prp. Nr. 75 (2004 – 2005), Forslag til lov om endringer i lov 9. juni 1972 Nr. 31 om reinbeiting i henhold til konvensjon av 9. februar 1972 mellom Norge og Sverige om
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D. Neue Staatenpraxis im 21. Jahrhundert
Samenverband (Svenska Samernas Riksförbund) und das Samenparlament (Sametinget) diesem die Zustimmung verweigerten.900 Die Samen unterbreiteten 2014 einen eigenen Vorschlag und sind an den fortdauernden Verhandlungen nunmehr mit eigenen Abgesandten beteiligt.901 Das Vetorecht des Samenparlaments sowie die Beteiligung der Samen bei den sie betreffenden Vertragsverhandlungen lässt de lege ferenda eine Rückkehr der Nomadenvölker in ihre einstige Position als Völkerrechtssubjekte erahnen.902 Ebenfalls neu verhandelt werden derzeit die grenzüberschreitenden Wanderrechte der Nomaden zwischen Kirgisien und Tadschikistan.
III. Tadschikistan und Kirgisien Die zur Zeit erfolgende Kodifizierung grenzüberschreitender Weiderechte zwischen Tadschikistan und Kirgisien folgt einer bereits seit einiger Zeit gleichlaufenden Staatenpraxis der Gewährung solcher Rechte. Art. 10 des kirgisischen Weiderechts erlaubt die Nutzung von Weideland für die Inhaber von „Pasture-Tickets“.903 Obwohl für die Nutzung dieser Weiden durch Tadschiken nach Art. 13 des Weidegesetzes eigentlich internationale Abkommen erforderlich wären, geben die lokalen Behörden dennoch „Pasture-Tickets“ an tadschikische Hirten aus, verlangen von diesen allerdings deutlich höhere Gebühren.904 2008 einigten sich Kirgisien und Tadschikistan auf ein Draft Agreement, um die grenzüberschreitenden Weiderechte endgültig zu regeln.905 2011 nahm die Kooperation zwischen beiden Staaten hinsichtlich des Weidelandmanagements die Gestalt eines „Memorandum of Understanding about the Joint Implementation of the Strategy and Action Plan on Sustainable Land Management in the High Pamir and Pamir-Alai Mountains“ zwischen reinbeite, online unter: https://www.regjeringen.no/no/dokumenter/otprp-nr-75-2004-2005-/id3 99584/?ch=10 (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 900 Sametinget, Möte om gränsöverskridande renskötsel, online unter: https://www.sametin get.se/94593 (zuletzt aufgerufen am 25. November 2016). 901 Ebd.; Svenska Samernas Riksförbund, Sammanfattning av SSR:s inställning samt arbete med fragan om gränsöverskridande renskötsel, renskötselkonventionen (23. März 2018), online unter: http://www.sapmi.se/wp-content/uploads/2018/03/Renskötselkonventionen.pdf (zuletzt aufgerufen: 09. Oktober 2018). 902 Vgl. zu dieser Feststellung auch: Margret Carstens, Sami land rights: the Anaya Report and the Nordic Sami Convention (2016) JEpMIE, 75, 106. 903 Michelle Lim, Laws, Institutions and Transboundary Pasture Management (Fn. 847) 55. 904 Ebd. 905 Ebd.; Pamir-Alai Land Management (PALM), GEF/UNEP/UNU Projekt „Sustainable Land Management in the High Pamir and Pamir-Alai Mountains – Integrated and Transboundary Initiative in Central Asia“, 2. Auflage (2011), online unter: http://www.prevention web.net/files/24004_24004strategyactionplaneng1.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018), 42.
IV. Neue Dynamik multilateraler Verträge in Afrika
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der kirgisischen Behörde für Umweltschutz und Forstwirtschaft, dem tadschikischen Regierungsausschuss für Umweltschutz, der Staatsverwaltung im „Osh Oblast“ in Kirgisien und den „Hukamats“ von „Jirgatol Rayon“ und dem automen Oblast „Gorno-Badakshan“ in Tadschikistan an.906 Dieses MoU strebt langfristig die Gründung einer bilateralen Institution zur Weidelandverwaltung an.907
IV. Neue Dynamik multilateraler Verträge in Afrika „Pour retrouver la voie de l’espoir, l’Afrique n’a d’autre choix que d’aller à la recherche de ce qu’elle a perdu ou abandonné: son ,soi-même‘.“908
Die umfassendste Dynamik mit Blick auf eine rechtliche Neubeurteilung der Nomaden vollzieht sich in Afrika und hier schon seit Längerem. Der Grund mag sein, dass sich die von den Europäern gezogenen Linien als Grenzen faktisch in Afrika ohnehin kaum durchzusetzen vermochten, wodurch sich letztlich auch normativ das Konzept der Grenze relativiert. In der Wahrnehmung von Bevölkerungen und Regierungen konnte sich trotz zahlreicher europäischer „Zivilisierungs“-Versuche die Staatsgrenze weder als Conditio sine qua non von Staatlichkeit909 noch als jenes statische, undurchdringliche und unverrückbare Gebilde durchsetzen, als welches dieses in Europa begriffen wird. 1. Historisch-politischer Kontext der nomadischen Freizügigkeit in Afrika Afrika ist, wie bereits dargelegt,910 mehr als viele andere Regionen dieser Erde immer noch tief im Rule of the Clan verhaftet. Das europäische Staatskonzept konnte sich hier häufig nur auf dem Papier durchsetzen. Die Bevölkerungen der afrikanischen Staaten unterscheiden derweil zwischen den clanrechtlichen „Real Spaces“ und den staatlich festgelegten „Statutory Spaces“,911 welche im Alltagsleben meist ignoriert werden.912
906 Michelle Lim, Transboundary conservation of mountain biodiversity in a climate change impacted world: Governance perspectives from Central Asia and the Island of Borneo, in: Frank Maes/An Cliquet/Willemien du Plessis/Heather McLeod-Kilmurray (Hrsg.), Biodiversity and Climate Change – Linkages at International and Local Levels, IUCN Academy of Environmental Law 2013, 268, 296. 907 Michelle Lim, Laws, Institutions and Transboundary Pasture Management (Fn. 847) 56. 908 Ousmane Sy, Reconstruire l’Afrique (Fn. 207) 16: „Um den Pfad der Hoffnung wiederzufinden, hat Afrika keine andere Wahl, als auf die Suche danach zu gehen, was es verloren oder aufgegeben hat: seinem ,Selbst‘.“ (Übersetzung des Verfassers). 909 Daniel Erasmus Khan, Territory and Boundaries (Fn. 170) 232 ff. 910 C. III. 2 d). 911 AU, From Barriers to Bridges (Fn. 316) 104. 912 Basil Davidson, Black Man’s Burden (Fn. 189) 202 f.
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D. Neue Staatenpraxis im 21. Jahrhundert
Auch heute noch weicht das Verhältnis vieler Afrikaner zu ihrem Staatsgebiet stark von allen anderen Erdteilen ab: Während im weltweiten Durchschnitt im Jahre 2010 nur 26 % der Menschheit bereit war, ihrem Heimatland zumindest vorübergehend den Rücken zu kehren, beträgt diese Bereitschaft in Subsahara-Afrika 49 %.913 Die Bereitschaft zum dauerhaften Verlassen des eigenen Staates ist mit 33 % in Subsahara-Afrika sogar mehr als doppelt so hoch wie der weltweite Durchschnitt (14 %).914 Es erscheint auf den ersten Blick naheliegend, hinter diesem „Fernweh“ den Wunsch einer Migration in die Industriestaaten Europas zu vermuten, doch 75 % aller afrikanischen Migranten leben und arbeiten in anderen afrikanischen Ländern, insbesondere der selben Sub-Region.915 „Relations between the lands that are now the African States have their historical specificity. They are different in nature to the relations between the political units that crystallized over recent centuries into the European nation-states. This different nature made African States most receptive and open to migrants and refugees from other lands in the continent.“916
Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Nomaden und anderen Migranten wurden bereits im Zuge der Entwicklung einer Definition des Nomadentums dargestellt.917 Es genügt daher, an dieser Stelle festzuhalten, dass jegliche Form der Migration – das Nomadentum einschließend – eine grundsätzliche Bereitschaft zur Mobilität voraussetzt. Diese Mobilität ist tief in der Mentalität vieler Afrikaner verwurzelt, was mit dem nomadischen Erbe eines Kontinents zusammenhängt,918 der wie kaum ein anderer durch ein unberechenbares Klima geprägt ist. Über Jahrtausende war in Afrika die nomadische Lebensform die einzige, welche unter diesen Bedingungen das Überleben zu sichern vermochte. Wie dargestellt, versuchten die jungen afrikanischen Staaten diese Überlebensstrategie einzudämmen.919 Sie waren hierbei jedoch weitgehend erfolglos, was nicht nur damit zusammenhing, dass die Mobilität seit Jahrtausenden in der Bevölkerung des Kontinents verwurzelt ist, sondern auch schlicht damit, dass die von den Europäern gezogenen Grenzen nie darauf ausgelegt waren, gesichert und kontrolliert zu werden. Vielmehr ziehen sich diese Linien häufig über hunderte Kilometer durch Gebiete, welche kaum bewohnt und nur schwer zugänglich sind. Dies alles macht afrikanische Grenzen höchst porös und unkontrol-
913
Julie Ray/Neli Esipova, More Adults Would Move for Temporary Work Than Permanently, Gallup World Survey (9. März 2012), online unter: http://www.gallup.com/poll/153182/ adults-move-temporary-work-permanently.aspx (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 914 Ebd. 915 Ibrahim Awad, International Migration in Africa (Fn. 238) 3. 916 Ebd., 6. 917 C. II. 3. c) – e). 918 Ibrahim Awad, International Migration in Africa (Fn. 238) 7. 919 C. III. 4. c) aa) (1); vgl. auch: FAO, La transhumance transfrontalière en Afrique de l’Ouest (Fn. 791) 74 ff.
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lierbar.920 Wollen die afrikanischen Staaten die Grenzübertritte dennoch unterbinden, so ist dies entsprechend mit einem hohen Ressourcenaufwand verbunden. Weitaus praktikabler ist es daher, die knappen Mittel nicht in die unmögliche Schließung der Grenzen zu investieren, sondern in das Bestreben, der natürlichen Mobilität einen völkerrechtlichen Rahmen zu geben.921 Hinzu kommt, dass der Versuch trotz der geschilderten Besonderheiten Afrikas hier eine Grenzschließungspolitik zu betreiben, einerseits hunderttausende Menschen betreffen würde, die schon in Nachbarstaaten lebten, bevor diese überhaupt Staaten wurden.922 Andererseits würde eine solche Politik die zwischenstaatlichen Beziehungen Afrikas empfindlich stören und genau jene Bedingungen erzeugen, die im Europa der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu katastrophalen Feindseligkeiten führten.923 „La crise de l’action publique est le premier signe visible de la panne des États postcoloniaux africains. En raison de la diversité des situations dans le continent, ces crises présentent de multiples visages en Somalie, en Côte d’Ivoire, au Kenya, au Zimbabwe, etc. mais toutes puisent à la même source: la conception et les pratiques qui fondent ces États construits par le colonisateur, extérieur au continent, n’ont pas été remises en cause lors de l’accession à l’indépendance.“924
Indem Afrika nun an seine nomadischen Traditionen anknüpft und das schwerwiegendste Erbe des Kolonialismus925 – die wirklichkeitsfernen Staatsgrenzen – überwindet, wird der Kontinent zum Vorreiter einer Rechtsordnung jenseits der europäischen Idee des Nationalstaats.926 In Afrika wird Realität, was den europäischen Naturrechtlern noch als Selbstverständlichkeit erschien:927 eine Welt, in der Grenzen zwar territoriale Verwaltungszuständigkeiten unterteilen, jedoch nur in Ausnahmen die menschliche Freizügigkeit behindern.
920
Ebd. Ebd. 922 Ebd. 923 Ebd. 924 Ousmane Sy, Reconstruire l’Afrique (Fn. 207) 152. „Die Krise des öffentlichen Handelns ist das erste Zeichen des Scheiterns der afrikanischen postkolonialen Staaten. Aufgrund der Verschiedenheit der Situationen auf dem Kontinent, zeigen sich diese Krisen mit verschiedenen Gesichtern in Somalia, der Elfenbeinküste, in Kenia und Zimbabwe usw., aber alle entspringen der selben Quelle: Die Konzeption und die Praktiken, die diesen durch externe Kolonisatoren geschaffenen Staaten zugrundeliegen, wurden im Zuge der Unabhängigkeit nicht in Frage gestellt.“ (Übersetzung des Verfassers). 925 Ebd. 926 Basil Davidson, Black Man’s Burden (Fn. 189) 321 f. 927 Francisco de Vitoria, De Indis (Fn. 165) 3. Teil, Nr. 2; Hugo Grotius, Krieg und Frieden, (Fn. 168) Erster Band, Buch II, Kapitel II, XIII; John Selden, Mare Clausum (Fn. 333) Buch I, Kapitel XX, 124; Immanuel Kant, Zum Ewigen Frieden, Dritter Definitivartikel, (Fn. 168) 357 f.; Emer de Vattel, Le droit des gens (Fn. 124) Buch 2, Kapitel IX, § 123. 921
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D. Neue Staatenpraxis im 21. Jahrhundert
Jene afrikanische Freizügigkeit soll langfristig ihre Wurzeln im Nomadentum überwinden und unabhängig von der Lebensweise für alle Menschen gelten. Eine intensive Beschäftigung mit den Ansätzen zur Schaffung einer allgemeinen Freizügigkeit in Afrika würde indes den Rahmen dieses Buches sprengen. Auf Kodifikationen zur Gewährung einer solchen Freizügigkeit wird daher im Folgenden nur eingegangen, soweit sie für Nomaden relevant sind. Die Rückentwicklung Afrikas zu den dynamischen Ursprüngen dieses Kontinents geschieht auf mehreren Ebenen: Zum einen wurden überall zwischenstaatliche Organisationen, sogenannte „Pays Frontières“ geschaffen, die die grenzüberschreitende Kooperation auf lokaler Ebene gestalten.928 Diese „Pays Frontières“ knüpfen häufig an präkoloniale Königreiche wie „Liptako-Gourma“, „Kenedugu“ oder „Mandinka“ an, die in den kulturellen, sozialen und ökonomischen Beziehungen der Bevölkerungen nach wie vor sehr präsent sind.929 Neben diesen „Pays Frontières“ geschieht eine Rückbesinnung auf die präkoloniale „Grenzenlosigkeit“ im Rahmen sogenannter Regionalorganisationen,930 sowie der Afrikanischen Union.931 Einige dieser Regionalorganisationen haben sich in der Vergangenheit explizit dem grenzüberschreitenden Nomadentum gewidmet. Bevor einzelne dieser Rechtsregime im Folgenden beleuchtet werden, ist es zunächst erforderlich, die Besonderheiten afrikanischer Regionalorganisationen herauszustellen. V. a. ist die Frage zu beantworten, um welche Art völkerrechtlicher Gebilde es sich bei den afrikanischen Regionalorganisationen handelt und wie verbindlich deren Rechtsakte sind.
928
Ousmane Sy, Reconstruire l’Afrique (Fn. 207) 185 ff. Ebd., 186. 930 Communauté Economique des Pays des Grands Lacs (CEPGL); Communauté des États sahélo-saharien (CEN-SAD); Union du Maghreb Arabe (UMA); Common Market for Eastern and Southern Africa (COMESA); East African Community (EAC); Mano River Union (MRU); South African Customs Union (SACU); South African Development Community (SADC); Intergovernmental Authority on Development (IGAD); Conseil de l’Entente; Communauté Économique et Monétaire de l’Afrique Centrale (CEMAC), deren Institution „Commission Economique du Bétail, de la Viande et des Ressources Halieutiques“ (CEBEVIRHA) für alle mit der Viehzucht zusammenhängenden Angelegenheiten verantwortlich ist. Die CEBEVIRHA wurde ursprünglich 1987 als eigene Organisation (Communauté) von den Staatschefs der Economic Community of Central African States (ECCAS) gegründet und wurde 2001 der CEMAC eingegliedert; die Communauté Economique du Bétail et de la Viande (CEBV) wurde 1994 der Union Économique et Monétaire Ouest Africaine (UEMOA) eingegliedert. Alle Mitgliedstaaten der UEMOA sind auch Mitglieder der Economic Community of West African States (ECOWAS), welche ihrerseits eine eigene Nomadenpolitik betreibt; ab 2018 sollen die EAC, SADC, COMESA, ECOWAS und UMA in der African Free Trade Zone (AFTZ) zusammengeschlossen werden. Auch eine gesamtafrikanische Wiederaufnahme der Tätigkeit der African Economic Comunity (AEC) ist avisiert. 931 Ousmane Sy, Reconstruire l’Afrique (Fn. 207) 176 ff. 929
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Die klassische Staatslehre differenziert zwischen Bundesstaaten und Staatenbünden,932 wobei nach Hans Kelsen letztere all jene Komposita sind, die keinen Bundesstaat formen.933 Georg Jellinek differenziert Bundesstaaten von Staatenbünden anhand der Frage, bei welcher Entität die Souveränität liegt.934 Nach Paul Laband unterscheidet sich der Staatenbund vom Bundesstaat dadurch, dass er nicht auf einer Verfassung, sondern einem Vertrag basiert.935 Auch wenn man mit Reinhold Zippelius nach der Zuordnung der Kompetenz-Kompetenz,936 mit Hans Kelsen nach dem Grad der Zentralisation,937 oder mit Alfred Verdross nach der Unterscheidung zwischen staatsrechtlicher und völkerrechtlicher Grundlage differenziert,938 kann der Begriff des Staatenbundes heute mit dem der „Internationalen Organisation“ weitgehend gleichgesetzt werden. Während die Rechtsakte von Bundesstaaten regelmäßig unmittelbar bindend sind, bedürfen die Maßnahmen Internationaler Organisationen der Umsetzung durch die Mitgliedstaaten. Zwar handelt es sich mangels Kompetenz-Kompetenz bei keiner der afrikanischen Regionalorganisationen um einen Bundesstaat, allerdings ist die Integration teilweise deutlich weiter fortgeschritten als dies in klassischen Internationalen Organisationen üblich ist. So haben einige dieser Organisationen die Kompetenz zum Erlass unmittelbar wirksamer Maßnahmen, wie Verordnungen. Dies könnte den Schluss nahelegen, sie mit supranationalen Organisationen, wie der EU, auf eine Stufe zu stellen. Auch diese Klassifikation ist indes unzutreffend. Denn im Gegensatz zur EU handelt es sich bei den afrikanischen Regionalorganisationen um „Flexible Regimes“, die hinsichtlich der Implementierung und Verbindlichkeit ihrer Gemeinschaftsrechtsakte dem Prinzip der variablen Geometrie gehorchen. 2. „Flexible Regimes“ mit variabler Geometrie „… l’intégration se limite trop souvent à des déclarations non suivies d’effets sur la vie quotidienne des populations. Il suffit, par exemple, de se trouver sur les frontières entre les pays africains pour se rendre compte que les engagements des gouvernements respectifs sur la libre circulation des hommes et des biens n’ont pas été mis en œuvre. Ainsi, lorsque transporteurs et commerçants se présentent à un poste frontière avec leur camion ou leurs
932 Hans Kristoferitsch, Vom Staatenbund zum Bundesstaat, Springer-Verlag 2007, 34; Hans Kelsen, Allgemeine Staatslehre (Fn. 175) 193. 933 Ebd. 934 Georg Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbindungen, Nachdruck der Ausgabe Hölder-Verlag 1882, herausgegeben von Walter Pauly, Keip-Verlag 1996, 315. 935 Paul Laband, Deutsches Reichsstaatsrecht, 7. Auflage, Mohr 1919, 16. 936 Reinhold Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 16. Auflage, C. H. Beck 2010, 65. 937 Kelsen, Allgemeine Staatslehre (Fn. 175) 194. 938 Alfred Verdross, Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft, Verlag von Julius Springer 1926, 110; vgl. weitere Abgrenzungskriterien bei Hans Kristoferitsch, Vom Staatenbund zum Bundesstaat (Fn. 932) 46 ff.
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marchandises, il n’est pas rare qu’ils doivent passer des jours entiers à subir des formalités, sinon les caprices des douaniers, policiers et autres gendarmes.“939
Bestimmend sind für die afrikanischen Regionalorganisationen das Prinzip der „Variablen Geometrie“ sowie die Kategorisierung als „Flexible Regimes“. a) „Flexible Regimes“ Das in obigem Zitat zum Ausdruck kommende fehlende „Commitment to Compliance“ innerhalb afrikanischer Regionalorganisationen könnte zu dem Schluss verleiten, dass es sich bei deren Maßnahmen lediglich um rechtlich unverbindliche Absichtserklärungen handelt. Dem widerspricht jedoch der explizite Wortlaut der diesen Organisationen zugrundeliegenden Verträge. So bestimmt Art. 9 des ECOWAS-Vertrages: „1. The Authority shall act by decision. […] 4. Decisions of the Authority shall be binding on the Member States and institutions of the Community, without prejudice to the provisions of paragraph (3) of Article 15 of this Treaty.“940
Art. 12 des ECOWAS-Vertrages statuiert ferner die Verbindlichkeit von „Regulations“ gegenüber Organisationsinstitutionen und Mitgliedstaaten.941 Im COMESA-Vertrag heißt es: Art. 9 Nr. 3: „Subject to the provisions of this Treaty, the regulations, directives and decisions of the Council taken or given in pursuance of the provisions of this Treaty shall be binding on the Member States, on all subordinate organs of the Common Market other than the Court in the exercise of its jurisdiction and on those to whom they may under this Treaty, be addressed.“942
939
Ousmane Sy, Reconstruire l’Afrique (Fn. 207) 183: „Die Integration beschränkt sich zu häufig auf Erklärungen, denen kein Einfluss auf das tägliche Leben der Bevölkerungen folgt. Es reicht z. B., sich auf den Grenzen zwischen afrikanischen Staaten zu befinden, um sich davon zu überzeugen, dass das Engagement der Regierungen, insbesondere hinsichtlich der Freizügigkeit von Menschen und Gütern nicht umgesetzt wurde. Sobald sich Transporteure und Händler mit ihren Waren an einem Grenzübergang vorstellen, ist es nicht selten, dass sie ganze Tage damit verbringen müssen, die Formalitäten zu erdulden, ganz zu schweigen von den Schikanen der Zöllner und Grenzpolizisten.“ (Übersetzung des Verfassers). 940 ECOWAS, Art. 9 Revised Treaty (24. Juli 1993), online unter: http://www.courtecowas. org/site2012/pdf_files/revised_treaty.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 941 Ebd., Art. 12. 942 COMESA, Art. 9 Nr. 3 Treaty Establishing the Common Market for Eastern and Southern Africa (5. November 1993), online unter: http://www.wipo.int/wipolex/en/regeco_trea ties/text.jsp?file_id=173329 (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018).
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Selbiges wird für „Directions“ und „Decisions“ der Authority der COMESA in Art. 8 Nr. 3 festgelegt.943 Sehr ähnlich ist die Formulierung von Art. 16 des EACVertrages.944 Innerhalb der SADC sind Entscheidungen des „Gipfels der Staats- und Regierungschefs“ bindend und im „Consensus“ zu treffen.945 Ebenfalls bindende Wirkung entfalten hier die Entscheidungen des „Tribunals“.946 Die CEMAC trifft ähnlich der EU in Art. 41 des CEMAC-Vertrages eine Unterscheidung zwischen Entscheidungen, Richtlinien und Verordnungen: „Les règlements et les règlements cadres ont une portée générale. Les règlements sont obligatoires dans tous leurs éléments et directement applicables dans tout Etat membre. Les règlements cadres ne sont directement applicables que pour certains de leurs éléments. Les directives lient tout Etat membre destinataire quant au résultat à atteindre tout en laissant aux instances nationales leur compétence en ce qui concerne la forme et les moyens. Les décisions sont obligatoires dans tous leurs éléments pour les destinataires qu’elles désignent.“947
Wie verträgt sich nun diese explizit formulierte Bindungswirkung der Maßnahmen afrikanischer Regionalorganisationen mit dem soeben dargestellten geringen „Commitment to Compliance“ der jeweiligen Mitgliedstaaten? James Thuo Gathii fand hierfür den Ausdruck der „Flexible Regimes“.948 Dieser flexible Charakter äußert sich z. B. darin, dass die Gemeinschaftsverträge zwar regelmäßig eine Bindungswirkung festlegen, für einen Verstoß jedoch keine Sanktionsmechanismen kennen.949 943
Ebd., Art. 8 Nr. 3. EAC, Art. 16 Treaty for the Establishment of the East African Community (30. November 1999, in der Fassung vom 20. August 2007), online unter: http://www.eala.org/uploads/ The_Treaty_for_the_Establishment_of_the_East_Africa_Community_2006_1999.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 945 SADC, Art. 10 Nr. 8 Treaty of the Southern African Development Community (17. August 1992), online unter: http://www.sadc.int/files/9113/5292/9434/SADC_Treaty.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 946 Ebd., Art. 16 Nr. 5. 947 CEMAC, Art. 41 Traité Revisé de la Communauté Economique et Monétaire de l’Afrique Centrale (25. Juni 2008), online unter: http://www.internationaldemocracywatch.org/attach ments/471_CEMAC_Traite_revise.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018), „Die Regelungen und Rahmenregelungen haben eine generelle Tragweite. Die Regelungen sind verbindlich in allen Elementen und direkt anwendbar in allen Mitgliedstaaten. Die Rahmenregelungen sind für bestimmte Elemente nicht direkt anwendbar. – Die Richtlinien binden jeden Mitgliedstaat hinsichtlich des zu erreichenden Zieles, überlassen aber die Kompetenz über die Wahl der Form und Mittel den nationalen Instanzen. – Die Entscheidungen sind in allen Elementen gegenüber den in ihnen bezeichneten Adressaten verbindlich.“ (Übersetzung des Verfassers). 948 James Thuo Gathii, African Regional Trade Agreements as Legal Regimes, Cambridge UP 2011, 1 f. 949 Ebd., 1. 944
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Die in den Verträgen eingegangenen Verpflichtungen sind zwar bindend, ihre Durchsetzung wird aber stets gegen andere Interessen, wie der gleichmäßigen Verteilung der Vorteile, flexibel abgewogen.950 Ein Ausdruck dieser Flexibilität ist, dass sich die geographischen Bereiche der Abkommen überschneiden,951 obwohl es mitunter schwer ist, den Bestimmungen mehrerer Regionalorganisationen gleichzeitig gerecht zu werden, was die Integration hemmt.952 Die Demokratische Republik Kongo etwa ist Mitglied im zentralafrikanischen Verbund ECCAS, in der südafrikanischen SADC und dem ostafrikanischen COMESA. b) Variable Geometrie Das den afrikanischen Regionalorganisationen zugrundeliegende Prinzip variabler Geometrie953 relativiert die Bindungswirkung der regionalen Rechtsakte zusätzlich. Diese sollen nämlich nur im Rahmen ihrer jeweiligen Fähigkeiten und Bedürfnisse zur Umsetzung verpflichtet sein. Explizit festgeschrieben wurde dieses Prinzip z. B. in Art. 1 und Art. 7 (e) des EAC-Vertrages.954 Hierin wird es definiert als: „… the principle of flexibility which allows for progression in co-operation among a subgroup of members in a larger integration scheme in a variety of areas and at different speeds.“
bzw. als: „the principle of variable geometry which allows for progression in co-operation among groups within the Community for wider integration schemes in various fields and at different speeds“.
Der Ostafrikanische Gerichtshof in Arusha fasst dieses Prinzip in einer Advisory Opinion955 unter Rückgriff auf beide Definitionen in einer gemeinsamen Definition zusammen im Sinne von:
950
Ebd., 6. Vgl. zu diesem Phänomen ausführlich: Charles J Mwebeiha, Re-configuring the Spaghetti Bowl: Reflections on the Issue of Multi-Memberships in Regional Trade Agreements in Eastern and Southern Africa (2004) Legal IEI, 243, 256. 952 Aderanti Adepoju, Regional Organisations and Intra-Regional Migration in sub-saharan Africa: challenges and prospects, (6/2001) IM 43, 51; Martha Belete Hailu, Regional Economic Integration in Africa: Challenges and Prospects (2014) Mizan LR, 299, 326. 953 James Thuo Gathii, African Regional Trade Agreements as Legal Regimes (Fn. 948) 34 ff. 954 EAC, Treaty for the Establishment of the East African Community (30. November 1999 in der Fassung vom 20. August 2007) online unter: http://www.wipo.int/edocs/lexdocs/treaties/ en/eac/trt_eac.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 955 East African Court of Justice (Arusha), First Instance Division, in the matter of a request by the Council of Ministers of the East African Community for an Advisory Opinion, Avisory opinion of the Court (2009) App No. 1 of 2008, online unter: http://eacj.org/wp-content/uplo ads/2012/11/advisory_opinion_1_of_2008.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 951
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„(a) flexibility in the progression of integration activities, projects and programmes; and (b) progression of such activities, projects and programmes in co-operation by some of the Partner States simultaneously“.
Als Inspirationsquelle für das Prinzip der variablen Geometrie nennt der Gerichtshof ausdrücklich die europäische Integration,956 auch wenn dieser Vergleich nicht vollständig passt.957 Der Gerichtshof zieht die Schlussfolgerung, dass es sich beim Prinzip der variablen Geometrie nicht um ein Entscheidungsverfahren (wie etwa das Consensus-Verfahren) handelt, sondern um eine Implementierungsstrategie, welche die praktische Erreichung der Ziele der Gemeinschaft leiten soll.958 Die Maßnahmen afrikanischer Regionalorganisationen sind zwar hinsichtlich des grundsätzlich angestrebten Zieles verbindlich, überlassen die Befolgung und Umsetzung, insbesondere den Umsetzungszeitraum, aber den Staaten im Rahmen ihrer jeweiligen Möglichkeiten. Nach Auffassung des Ostafrikanischen Gerichtshofes soll das Prinzip variabler Geometrie in Anlehnung an die EU nur in Ausnahmefällen greifen.959 Diese Zielvorgabe Arushas steht jedoch im Kontrast zu der tatsächlichen Wahrnehmung der Umsetzung afrikanischer Regionalabkommen als „poor implementation record“.960 Das Prinzip variabler Geometrie erlaubt zunächst die Proklamation hehrer Ziele, um integrationsfreudige und -fähige Staaten nicht zu behindern, gewährt gleichzeitig aber Abstriche bei der Umsetzung zu Gunsten „noch nicht bereiter“ Staaten.961 Eine generelle Umsetzungspflicht bei gleichzeitiger Wahrung des Konsenses oder der teilweise ausreichenden 2/3-Mehrheit würde zögerliche Staaten dazu verleiten, 956
Ebd., 31 ff. Variable Geometrie bedeutet mit Blick auf die europäische Integration, dass eine Mitgliedschaft im Europarat nicht zwingend eine Teilnahme an der EU mit sich bringt und dass eine EU-Mitgliedschaft nicht notwendig die Eingliederung in die Euro-Zone und den SchengenRaum bedeutet. Auch hier können sich die Staaten somit grundsätzlich entsprechend ihres Integrationswillens und ihrer Fähigkeiten in variablem Maße integrieren, im Gegensatz zu afrikanischen Organisationen ist dies jedoch nur im begrenzten Rahmen unter dem Dach einer einzigen Organisation möglich. Darüber hinaus äußert sich variable Geometrie in Europa bereits beim Beitritt zu multilateralen Gemeinschaften, während sie sich in Afrika erst in der Umsetzung von Gemeinschaftsakten niederschlägt. 958 East African Court of Justice (Arusha), First Instance Division, in the matter of a request by the Council of Ministers of the East African Community for an Advisory Opinion, Avisory opinion of the Court (2009) App No. 1 of 2008, online unter: http://eacj.org/wp-content/uplo ads/2012/11/advisory_opinion_1_of_2008.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018), 33 f. 959 Ebd., 33. 960 Trudi Hartzenberg, Regional Integration in Africa, WTO Staff Working Paper ERSD2011-14 (Okotober 2011), online unter: https://www.wto.org/english/res_e/reser_e/ersd2 01114_e.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018) 1. 961 East African Court of Justice (Arusha), First Instance Division, in the matter of a request by the Council of Ministers of the East African Community for an Advisory Opinion, Avisory opinion of the Court (2009) App No. 1 of 2008, online unter: http://eacj.org/wp-content/uplo ads/2012/11/advisory_opinion_1_of_2008.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018), 35. 957
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bestimmten Maßnahmen nicht zuzustimmen aus Angst, diese sonst nicht umsetzen zu können und so vertragsbrüchig zu werden. Durch das Prinzip variabler Geometrie können auch jene Staaten bedenkenlos zustimmen, die sich selbst noch nicht in der Lage sehen, entsprechende Schritte einzuleiten, mit der grundsätzlichen Idee aber einverstanden sind und anderen Staaten bei deren Implementierung nicht im Wege stehen wollen.962 Würde den regionalen Maßnahmen Afrikas dieselbe Verbindlichkeit beigemessen wie etwa den Rechtsakten der Europäischen Union, so würde die Integration hier auf einem sehr niedrigen Minimalkonsens verharren. Man kann unter dem Prinzip der variablen Geometrie getroffene Maßnahmen als Optimierungsgebote verstehen. Anders ausgedrückt besitzen sie eine Handlungs- aber keine Erfolgsverbindlichkeit. Wenn im Folgenden verschiedene Rechtsregime und politische Erklärungen näher beleuchtet werden, so stets unter dem Vorbehalt einer flexiblen Verbindlichkeit einhergehend mit einer sehr geringen Umsetzungsintensität.963 Auf das tägliche Leben der Mehrzahl afrikanischer Nomaden haben die Handelsabkommen daher nur geringen Einfluss.964 An den Abkommen wird jedoch v. a. der politische Wille zur Abkehr von der einstigen Politik der Sedentarisierung und Schließung der Grenzen hin zu einer Rückbesinnung auf die nomadischen Ursprünge der afrikanischen Gesellschaftsordnung erkennbar.965 3. Grenzübertrittsrechte der Nomaden in der ECOWAS Am weitesten fortgeschritten ist die Gewährung eines nomadischen Grenzübertrittsrechts in Westafrika, namentlich in der ECOWAS, wenngleich auch hier die entsprechenden Bestimmungen noch nicht voll umgesetzt wurden.966 Die fortgeschrittene Nomadenrechtssetzung im Raum der ECOWAS hängt v. a. damit zusammen, dass diese Region traditionell nomadisch geprägt ist und fast komplett unter französischer Kolonialverwaltung stand, sodass die heutigen Staatsgrenzen lange Zeit nur den Status von internen Verwaltungsgrenzen hatten. Außerdem gingen von Mali schon früh Bestrebungen aus, mit den Nachbarstaaten bilaterale TranshumanzAbkommen zu schließen, auf welche die ECOWAS aufbauen konnte.967 962 Ngila Mwase, Coordination and Rationalisation of Sub-Regional Economic Integration Institutions in Eastern and Southern Africa: SACU, SADC, EAC and COMESA (2008) JWIT, 333, 343. 963 Trudi Hartzenberg, Regional Integration in Africa (Fn. 960) 1. 964 Ousmane Sy, Reconstruire l’Afrique (Fn. 207) 183. 965 Ibrahima Ly, Tendances d’évolution du droit pastoral en Afrique de l’Ouest (Fn. 15) 4. 966 UN Environment Management Group, Global Drylands (Fn. 20) 51. 967 Burkina Faso ./. Mali, Accord sur la Transhumance (1988); Mali ./. Niger, Protocol d’accord en matière de transit du bétail (12. Juli 1988); Mali ./. Mauretanien, Accord sur la Transhumance (1989); Mali ./. Senegal, Accord zoo-sanitaire (1993); Elfenbeinküste ./. Mali, Accord cadre règlementant la transhumance entre la République du Mali et la République de Côte d’Ivoire (24. August 1994); Burkina Faso ./. Niger, Protocole d’accord portant création
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Geregelt wird die grenzüberschreitende Transhumanz heute in der ECOWASEntscheidung A/DEC.5/10/98 „Relative à la réglementation de la transhumance entre les états membres de la CEDEAO“ des Jahres 1998 und der Durchführungsverordnung von 2003 C/REG.3/01/03 „Relatif à la mise en œuvre de la reglementation de la transhumance entre les états membres de la CEDEAO“. Beide Dokumente sind inspiriert von einer Vorläuferrichtlinie968 des Conseil de l’Entente, einer westafrikanischen Regionalorganisation zwischen Burkina Faso, Benin, Elfenbeinküste, Niger und Togo. Diese Staaten gründeten 1970 die Wirtschaftsgemeinschaft des Viehs und Fleisches (CEBV), welche 1994 in der Westafrikanischen Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft UEMOA aufging.969 Die CEBV forderte in einer Richtlinie970 erstmals die Errichtung von Livestock-Korridoren und sogenannten „Zones d’Accueil“, in welchen transnationalen nomadisch geführten Viehherden das Grasen erlaubt wird.971 Gleichzeitig dürfen die Staaten bestimmte Ein- und Austrittszeitpunkte festlegen. In der selben Region betreibt auch die UEMOA eine gemeinsame Landwirtschaftspolitik (PAU).972 Regelungen dieser Organisation zur Verwaltung der grenzüberschreitenden Transhumanz traten jedoch noch nicht in Kraft,973 abgesehen von einem Bekenntnis zur Anerkennung des ECOWAS-Transhumanzzertifikates.974 a) Regelungen der ECOWAS zur Freizügigkeit insb. nomadischer Völker Den grenzüberschreitenden Viehwanderungen in Westafrika, die sich teilweise über bis zu 3.000 km erstrecken, trägt heute die ECOWAS im Wesentlichen durch die Décision A/Dec.5/10/98 „relative à la Réglementation de la transhumance entre les états membres de la CEDEAO“ Rechnung. d’un cadre de concertation entre le Burkina Faso et la République du Niger sur la transhumance transfrontalière (2003). 968 CEBV, Accord CEBV Relatif à la réglementation de la transhumance (2. März 1991); Nat Dyer, Securing Pastoralism in East and West Africa (Fn. 290) 45 f. 969 Conseil de l’Entente, L’ex-CEBV abrite le siège de l’UEMOA à Ouaga, online unter: http://www.conseildelentente.org/index.php/espace-entente/le-saviez-vous/25-espace-entente/ le-saviez-vous/33-l-ex-cebv-abrite-le-siege-de-l-uemoa-a-ouaga.html (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 970 CEBV, Accord CEBV Relatif à la réglementation de la transhumance (2. März 1991). 971 Nat Dyer, Securing Pastoralism in East and West Africa (Fn. 290) 46. 972 UEMOA, Acte additionnel No. 03/2001. 973 ECOWAS, Formulation et mise en œuvre d’un Programme Régional d’Investissement Agricole (PRIA) – Composante: Aménagements pastoraux et organisation de la transhumance transfrontalière, Band 2 (September 2009), online unter: https://www.oecd.org/fr/csao/publicati ons/Volume2_Annexe_Transhumance_Final1.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018), 12. 974 UEMOA, Art. 75 Règlement Nr. 7-2007/CM/UEMOA relatif à la sécurité sanitaire des végétaux, des animaux et des aliments dans l’UEMOA: „Les Etats membres mettent en œuvre les procédures et actions nécessaires afin de faciliter la circulation des animaux transhumants et, en particulier, adoptent le certificat international de transhumance de la CEDEAO.“
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Artikel 3 der Décision sieht vor, dass der Übertritt der Landesgrenzen zum Zwecke der Transhumanz zwischen allen ECOWAS-Staaten für Rinder, Schafe, Ziegen, Kamele und Esel gestattet wird. Allerdings muss hierfür das internationale ECOWAS-Transhumanzzertifikat (CIT) vorgewiesen werden.975 Dieses ermöglicht die Kontrolle der Ausreise, stellt eine sanitäre Versorgung der Herden sicher und dient der entsprechenden Information der Bevölkerung innerhalb der „Zones d’Accueil“. Die UEMOA verweist in Art. 75 ihres „Règlement Nr. 7-2007/CM/ UEMOA relatif à la sécurité sanitaire des végétaux, des animaux et des aliments dans l’UEMOA“ auf das Transhumanzzertifikat der ECOWAS. In den Zertifikaten wird die Zusammensetzung der Herde, der Impfstatus, die Wanderroute, die Zielweide und die zu überquerenden Grenzposten ausgewiesen.976 Herden ohne Zertifikat werden auf Kosten des Halters in Quarantäne gehalten, wobei weitere Strafen vom jeweiligen nationalen Recht abhängen.977 Grenzposten dürfen nur bei Tage übertreten werden. Die Jahreszeit, während der eine Grenze in die eine oder andere Richtung überschritten werden darf, wird vom jeweiligen Staat festgelegt, welcher die anderen ECOWAS-Staaten hierüber in Kenntnis setzt. Ebenfalls festgelegt werden dürfen „Zones d’Accueil“, inklusive deren jeweiliger maximalen Viehaufnahmefähigkeit entsprechend einer vorher durchgeführten Weideevaluation. An den jeweiligen Grenzposten werden den einzelnen Hirten die jeweiligen „Zones d’Accueil“ zugewiesen.978 Die Nomaden stehen innerhalb der Aufnahmestaaten unter dem Schutz der örtlichen Behörden und können ihre Grundrechte vor den Gerichten des Aufnahmestaates geltend machen. Im Gegenzug sind die Nomaden gehalten, die Gesetze des Aufnahmelandes zu respektieren, insbesondere jene, die sich auf den Umweltschutz sowie die Verwaltung von Wasser und Weideland beziehen.979 Im Jahre 2003 beschloss der ECOWAS-Ministerrat eine als „Edicte“ bezeichnete bindende Durchführungsverordnung C/REG.3/01/03.980 Diese fordert von den Staaten die strikte Beachtung und Umsetzung der Entscheidung D/DEC.5/10/98, nationaler und multinationaler Umweltschutzstandards und die Aufhebung nationaler Maßnahmen zur Unterbindung der nomadischen Viehweidewirtschaft. Weiterhin sollen pastorale Organisationen auf nationaler Ebene, wie z. B. Züchtervereinigungen, eingerichtet oder angepasst werden, um zu einer besseren Verwaltung der Transhumanz beizutragen und hiermit verbundene Konflikte beizulegen. Von den 975 Vgl. auch: Youssouf Diallo, Les Peuls et les Sénoufo de la savane ivoirienne, in: Youssouf Diallo/Günther Schlee, L’ethnicité peule dans des contextes nouveaux, Karthala 2000, 65, 67. 976 ECOWAS, Art. 5 Décision D/DEC.5/10/98. 977 Ebd., Art. 9. 978 Ebd., Art. 15. 979 Ebd., Art. 16. 980 ECOWAS, Règlement C/REG.3/01/03 relatif à la mise en œuvre de la reglementation de la transhumance entre les états membres de la CEDEAO.
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Staaten wird gefordert, nationale Verwaltungs-, Überwachungs- und Bewertungsstrukturen zu schaffen, wie etwa Ausschüsse und Netzwerke. Gleichzeitig soll die Bevölkerung in den von Transhumanz betroffenen Gebieten durch Kampagnen und Informationsveranstaltungen aufgeklärt, ausgebildet und sensibilisiert werden. Hierfür werden von Seiten der ECOWAS die nötigen Mittel bereitgestellt. Das Secretariat Exécutif der ECOWAS stellt die Vervielfältigung und Verteilung der Transhumanz-Zertifikate sicher und organisiert regionale und subregionale Treffen in Zusammenarbeit mit der Westafrikanischen Währungsgemeinschaft UEMOA und der CILSS. Gleichzeitig soll sich die ECOWAS um die Verbesserung der grenzüberschreitenden Infrastruktur zum Wohle der Transhumanz kümmern sowie einzelne Pilotprojekte vorantreiben, um neue Verwaltungsmethoden zu erproben. Außerdem soll auf staatlicher Ebene durch die Erstellung von Weidelandkarten, Informationssystemen, Verwaltungsstrategien und Überwachungsausschüssen die Organisation verbessert werden. Zuletzt verdient Berücksichtigung, dass die ECOWAS unabhängig von Nomaden die mittelfristige Aufhebung aller Grenzkontrollen und Zuwanderungsschranken anstrebt. Zu den Zielen der Gemeinschaft gehört ausweislich Art. 3 II d) iii) des ECOWAS-Vertrags, nämlich: „the establishment of a common market […] the removal, between Member States, of obstacles to the free movement of persons, goods, services and capital, and to the right of residence and establishment.“981
Im Rahmen einer Revision des Vertrages im Jahre 1993 in Cotounou wurde ein Artikel 95 ergänzt, worin es heißt: „1. Citizens of the Community shall have the right of entry, residence and establishment and Member States undertake to recognize these rights of Community citizens in their territories in accordance with the provisions of the Protocols relating thereto.“982
Eine Reihe von Zusatzprotokollen gestaltet das Freizügigkeitsrecht innerhalb der ECOWAS aus, um jene „pseudohomogene Gesellschaft wiederherzustellen, die in der Sub-Region einst bestanden hatte.“983
981
ECOWAS, Art. 3 II d) iii) Revised Treaty (24. Juli 1993). Ebd., Art. 95. 983 Aderanti Adepoju, Operationalising the ECOWAS-Protocol on Free Movement of Persons: Prospects for Sub-Regional Trade and Development, in: Marion Panizzon/Gottfried Zürcher/Elisa Fornalé (Hrsg.), The Palgrave Handbook of International Labour Migration: Law and Policy Perspectives, Springer 2015, 441, 442. 982
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D. Neue Staatenpraxis im 21. Jahrhundert
Das erste Zusatzprotokoll ist das Protokoll A/P.1/5/79 „relating to Free Movement of Persons, Residence and Establishment“984 von 1979. Dessen Art. 2 Abs. 1 begründet das Recht für Bürger der Gemeinschaft, die Mitgliedstaaten zu betreten, innerhalb von ihnen Wohnsitz zu nehmen und sich unternehmerisch niederzulassen.985 Dieses Recht sollte innerhalb von drei Phasen über 15 Jahre hinweg umgesetzt werden.986 Die Einreise wird nach Art. 3 I des Protokolls nur gewährt, wenn gültige Reisedokumente und ein internationales Gesundheitszertifikat vorliegen.987 Des Weiteren kann ein Mitgliedstaat die Einreise verweigern, wenn ein Einreisewilliger nach nationalem Recht als „nicht einreisewürdig“ („Inadmissible Immigrant“) erachtet wird.988 Auch die Ausweisung wird unter bestimmten Umständen ermöglicht. Insbesondere der Rückgriff auf das Institut des „Inadmissible Immigrant“ führt nach wie vor zu einer teilweisen Umgehung des Protokolls durch sehr restriktive nationale Regelungen.989 Aufgrund von Umsetzungsschwierigkeiten des Protokolls wurde 1985 ein Zusatzprotokoll990 vereinbart, beinhaltend einen Code of Conduct hinsichtlich der Implementierung. Hiernach sollten die ECOWAS-Staaten verpflichtet werden, ihren Bürgern gültige Reisedokumente auszustellen. Ferner wurden Maßstäbe für die Behandlung von auszuweisenden Bürgern und illegalen Einwanderern festgelegt. Ein weiteres Zusatzprotokoll991 des Jahres 1986 sollte die zweite Umsetzungsphase begleiten. Hierin wurde das Recht auf Wohnsitz spezifiziert als ein „right of residence in its territory for the purpose of seeking and carrying out of income earning employment.“ Voraussetzung für die Ausübung des Residenzrechts ist die Inhaberschaft einer ECOWAS-Residence Card, die durch die Mitgliedstaaten nach einer Harmonisierung der entsprechenden Bestimmungen ausgestellt werden soll. Zwar sind nach diesem Zusatzprotokoll auch weiterhin Ausweisungen von Personen möglich. Die Gründe hierfür werden jedoch reduziert auf Sicherheitsinteressen, die öffentliche Ordnung oder Moral, die allgemeine Gesundheit oder die Nichterfüllung einer zwingenden Aufenthaltsbedingung. Massenausweisungen werden nach diesem Zusatzprotokoll ganz untersagt. 984 ECOWAS, Protokoll A/P.1/5/79 relating to Free Movement of Persons, Residence and Establishment. 985 Ebd., Art. 2 I. 986 Ebd., Art. 2 II, III. 987 Ebd., Art. 3 I. 988 Ebd., Art. 4 Protokoll A/P.1/5/79. 989 Aderanti Adepoju/Alistair Boulton/Mariah Levin, Promoting integration through mobility: Free movement under ECOWAS, New Issues in Refugee Research, Research Paper No. 150, Geneva, UNHCR, November 2007, online unter: http://www.unhcr.org/476650ae2. html (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018), 3. 990 ECOWAS, Supplementary Protocol A/SP.1/7/85 on the Code of Conduct for the implementation of the Protocol on Free Movement of Persons, the Right of Residence and Establishment (1985). 991 ECOWAS, Supplementary Protocol A/SP.1/7/86 on the Second Phase (1986).
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b) Bewertung Von den Pastoralisten wird hinsichtlich ihrer Grenzübertritte häufig eine überbordende Bürokratie beklagt.992 Auch das Erfordernis eines Transhumanzzertifikats ist nicht ohne Nachteile, denn es erfordert eine genaue Planung der Impfungen und der Wanderrouten bis zu drei Monate im Vorfeld der eigentlichen Wanderung.993 Die von den Hirten ins Auge gefasste Transhumanzzeit muss zudem mit der Periode zusammenfallen, in der das jeweilige Nachbarland die entsprechenden Flächen zur Beweidung freigegeben hat. Gerade diese langfristige Planung konfligiert jedoch mit dem wesentlichen Vorteil der mobilen Viehhaltung, welcher in der schnellen Reaktionsfähigkeit auf aktuelle und in ariden Regionen unberechenbare Wetterbedingungen besteht: Wenn ein Hirte sich bereits drei Monate im Voraus auf eine Wanderroute und Wanderzeit festlegen muss, ist es ihm z. B. nicht mehr möglich spontan auf die häufig unvorhersehbar auftretenden Dürren zu reagieren.994 Mittlerweile gehört das ECOWAS-CIT trotz aller Unzulänglichkeiten zu einer der größten Erfolgsgeschichten Subsaharas, weshalb dessen Ansätze von anderen Regionalorganisationen kopiert werden. c) Umsetzung In Umsetzung der ECOWAS-Bestimmungen findet sich seit den späten 80er Jahren in mehreren Staaten nun eine Nomaden-Gesetzgebung,995 die teilweise indirekt durch das erhalten gebliebene nomadische Clanrecht inspiriert ist996 und nicht nur inländische Viehwanderungen, sondern auch solche über Staatsgrenzen hinweg 992
Nat Dyer, Securing Pastoralism in East and West Africa (Fn. 290) 46. Ebd., 36. 994 Boureima Dodo, Législation pour le pastoralisme et certificat de transhumance de la CEDEAO, Vortrag in Brüssel (02. Dezember 2014). 995 Niger: Anordnung Nr. 93-015 (2. März 1993) „fixant les principes d’Orientation du Code Rural“; Dekret 97-007 (10. Januar 1997); Mali: Gesetz Nr. 01-004 (27. Februar 2001) portant Charte Pastorale; Burkina Faso: Gesetz Nr. 034-2002/AN (14. November 2002) portant loi d’orientation relative au pastoralisme au Burkina Faso; Benin: Gesetz 87-013 (21 September 1987); Erlass 165/MDRAC/DGM/DAFA/SAA (12. Juni 1989); Erlass 010/MISAT/MDR/DCAB (20. Januar 1992); Erlass 0039/MSAT/MDR/DCAB ( 31. März 1994); Togo: Dekret 2007-089 /PR (26 Juli 2007) geändert durch Dekret 2008-033 /PR (11. März 2008), Erlass 001/ MAEP/MAEIR/MATDCL/MEF/MCDAT/MSPC Dispositions Réglements sur les Productions et la Santé animale au Togo (22. Mai 2008); Code Pastoral (09. Januar 2015); Guinea: Gesetz 95/051 (20. August 1995); Mauretanien: Gesetz Nr. 2000-044 (26. Juli 2000) portant Code Pastoral en Mauritanie; Mauretanien ist aus der ECOWAS ausgetreten, ist aber immernoch an ein entsprechendes bilaterales Abkommen mit dem Senegal aus dem Jahre 1981 gebunden. Im Jahre 2003 gestattete Senegal die grenzüberschreitende Transhumanz aus Mauretanien, was 2006 durch einen völkerrechtlichen Vertrag perpetuiert wurde. 2012 suspendierte Senegal den Vertrag jedoch erneut. Eine jährlich tagende Kommission versucht seitdem eine neue für beide Seiten annehmbare Regelung zu finden und hat 2014 im „Konklave“ einen neuen Vertrag entworfen. 996 Ibrahima Ly, Tendances d’évolution du droit pastoral en Afrique de l’Ouest (Fn. 15) 6. 993
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berücksichtigt.997 Entweder handelt es sich hierbei um Gesetze, die explizit auf Nomaden zugeschnitten sind, oder aber um allgemeine Gesetze, in denen einzelne Paragraphen die Transhumanz regeln. Ein Beispiel für letzteren Ansatz ist der „Code Rural“ Nigers aus dem Jahre 1993.998 Hier widmet sich Titel 1 des zweiten Kapitels dem „Weideland“ (Art. 23 – 39). Darin finden sich unter anderem die Rechte der Hirten aber auch die Ausweisung von spezifisch den Nomaden zur Verfügung stehendem Weideland, sowie Wanderkorridore und Wasserrechte. Die Berücksichtigung nomadischer Belange in einem allgemeinen „Landrecht“ hat den Vorteil, hierin gleichfalls Aspekte der Nachhaltigkeit und des Umweltschutzes aufgreifen zu können. Wird in den Gesetzen ein Recht auf Weidelandnutzung festgeschrieben, so handelt es sich hierbei um eine kollektive gemeinschaftliche Rechtsgewährung.999 Die vorwiegende Form der Berücksichtigung nomadischer Interessen bei der Landverwaltung sind keine Eigentumspositionen, sondern die Gewährung eines Nutzungsvorrechtes1000 in Anlehnung an das traditionelle Landbesitzverständnis der Nomaden. 2010 verabschiedete auch Niger ein neues „Loi pastoral“1001 in Form einer Verordnung, die unter anderem ein Grundrecht auf Mobilität festschreibt: „Article 3: La mobilité est un droit fondamental des éleveurs, pasteurs nomades et transhumants. Ce droit est reconnu et garanti par l’Etat et les collectivités territoriales.“1002
Die Mobilität wird als vernünftige und nachhaltige Ressourcennutzung klassifiziert, die nur temporär und aus Gründen der Sicherheit von Personen, Tieren oder Wäldern oder Ackerbaukulturen auf Grundlage eines in Kraft getretenen Gesetzes eingeschränkt werden darf. Die Verordung räumt nomadischen Hirten sehr weitgehende Rechte ein, insbesondere in Zeiten von Wasserknappheit und priorisiert deren Form der Landwirtschaft.1003 Auch die grenzüberschreitende Transhumanz wird im Einklang mit den Bestimmungen der ECOWAS und bilateralen Verträgen gewährleistet (Art. 42), muss hier jedoch auf den durch die Nachbarstaaten ausge997
55.
International Institute for Environment and Development, Modern and Mobile (Fn. 253)
998 Niger: Anordnung Nr. 1993-015 (2. März 1993) fixant les principes d’Orientation du Code Rural. 999 Ibrahima Ly, Tendances d’évolution du droit pastoral en Afrique de l’Ouest (Fn. 15) 10. 1000 Ebd., 14. 1001 Niger: Anordnung 2010-029 (20. Mai 2010) relative au pastoralisme. 1002 Ebd., Art. 3: „Die Mobilität ist ein Grundrecht von transhumanten und nomadischen Hirten. Dieses Recht wird durch die staatlichen und lokalen Behörden anerkannt und garantiert.“ (Übersetzung des Verfassers). 1003 Nicoletta Avella/Frédéric Reounodji, La législation foncière pastorale au Niger et au Tchad. Une analyse comparative in: L. Seiny-Boukar/P. Boumard (Hrsg.), Savanes africaines en développement: innover pour durer (April 2009) 3, online unter: http://hal.cirad.fr/cirad-004 71281 (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018).
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wiesenen Routen und Korridoren (Art. 44 I) und über die von den Nachbarstaaten ausgewiesenen Grenzübergangsstellen stattfinden (Art. 45). Neben Niger hat z. B. auch Mali eine „Charte Pastorale“1004, die in Art. 5 II auch Grenzübertrittsrechte für die eigenen Nomaden bestimmt: „Ils [les déplacements d’animaux] peuvent se faire également sur le territoire des pays voisins, dans le respect des accords relatifs à la transhumance et sous reserve des mesures particulieres qui pourraient être prises par les Etats concernés.“1005
Außerdem gewährt Art. 23 II vorbehaltlich der Reziprozität im Rahmen der regionalen Integration das Weiden in Mali für ausländische Viehhirten.1006 Grenzüberschreitende Viehhirten sind gehalten, die Gesetze des jeweiligen Landes zu respektieren insbesondere mit Blick auf Schutzgebiete, geschützte Arten und die Tiergesundheit (Art. 24).1007 Internationale Transhumanz soll ausschließlich auf den hierfür vorgesehenen „Pisten“ stattfinden und Tiere müssen ausreichend beaufsichtigt werden.1008 Die nach regionalen und bilateralen Verträgen vorgesehenen Dokumente müssen mitgeführt und vorgezeigt werden (Art. 25).1009 Außerdem darf der Grenzübertritt nur an den in diesen Übereinkommen vorgesehenen Grenzübergangsstellen erfolgen (Art. 26).1010 Neben den explizit auf Nomaden zugeschnittenen Bestimmungen der ECOWAS könnten diese auch von der angestrebten generellen Freizügigkeit zusammen mit der Warenverkehrsfreiheit in dem Wirtschaftsraum profitieren. Dem steht jedoch entgegen, dass Art. 4 des Protokoll A/P.1/5/79 den Staaten einen großen Umsetzungsspielraum lässt, von welchem diese teilweise sehr umfassend Gebrauch machen: „Notwithstanding the provisions of Art. 3 (beinhaltend das Recht auf Einreise und Aufenthalt unter Vorweisung von Reisedokumenten und Gesundheitszeugnissen) above, the Member States shall reserve the right to refuse admission into their territory to any Community citizen who comes within the category of an inadmissable immigrant under its laws.“1011
Hinsichtlich der Definition eines „Inadmissable Immigrant“ legen einige Staaten Westafrikas eine erschreckende Kreativität an den Tag: Gambia, Nigeria und Sierra 1004
Mali: Gesetz Nr. 01-004 portant charte pastorale du Mali (27. Februar 2001). Ebd., Art. 5 II „Sie [die Bewegungen von Tieren] können auch auf dem Territorium der Nachbarländer erfolgen, unter Berücksichtigung der Vereinbarungen bezüglich der Transhumanz und vorbehaltlich besonderer Maßnahmen, die von den betreffenden Staaten ergriffen werden könnten.“ (Übersetzung des Verfassers). 1006 Ebd., Art. 23 II. 1007 Ebd., Art. 24. 1008 Ebd., Art. 24. 1009 Ebd., Art. 25. 1010 Ebd., Art. 26. 1011 ECOWAS, Art. 3 I Protokoll A/P.1/5/79 relating to Free Movement of Persons, Residence and Establishment. 1005
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Leone etwa verweigern jenen die Einreise, „[who] are likely to become a pauper or public charge“, ferner „idiots and insane persons“ oder einfach nur „undesireable“ (nur Gambia) sind.1012 Liberia duldet ebenfalls keine „feeble-minded“, keine Alkoholiker oder Drogenabhängigen, keine Armen, Kriminellen oder Prostituierten und ferner keine Anarchisten, Kommunisten, Dissidenten oder Spione.1013 Allerdings ist auch der diesen Regelungen zugrundeliegende Art. 4 des FreeMovement-Protokolls1014 Ausdruck des allen afrikanischen Handelsabkommen zugrundeliegenden Prinzips der variablen Geometrie, die es migrationsskeptischen Staaten wie Liberia und Gambia erlaubt, strengere Regeln zu erlassen, ohne die migrationsoptimistischeren Staaten, welche den Spielraum von Art. 4 nur minimal ausnutzen, hierbei zu behindern. Dies ist immerhin mit Benin1015, Burkina Faso1016, Elfenbeinküste1017, Guinea1018, Guinea Bissau1019, Mali1020 und Senegal1021 eine beachtliche Anzahl. Diese Staaten verlangen lediglich die auch im Protokoll verankerten Reisedokumente und Gesundheitszertifikate und behalten sich eine Abweisung bei Bestehen einer von einer Person ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit vor bzw. knüpfen die Einreise an ein Mindestalter oder die Begleitung Erwachsener.1022 Dass solche Regelungen existieren, hat jedoch wiederum nur einen begrenzten Einfluss auf die Realitäten, der von diesen Regelungen betroffenen Menschen. Denn momentan werden die ECOWAS-Protokolle aufgrund der unzureichenden Implementierung ihrem Anspruch zur Gewährung einer umfassenden staatsgrenzenüberschreitenden Freizügigkeit in Westafrika nicht gerecht.1023 1012 Gambia: Art. 12, 13 Immigration Act (1965); Nigeria: Immigration Act, (in der Fassung von 1972); Sierra Leone: The Non-citizens (Registration, Immigration and Expulsion) Act (1965). 1013 Liberia: Alien and Nationality Law (1973 in der Fassung von 1974). 1014 ECOWAS, Art. 3 I Protokoll A/P.1/5/79 relating to Free Movement of Persons, Residence and Establishment. 1015 Benin: Gesetz Nr. 86-012 on the legal system governing foreigners in the People’s Republic of Benin (26. Februar 1986). 1016 Burkina Faso: Anordnung Nr. 84-049/CNR/PRES establishing the conditions of entry, stay and exit for foreigners in Burkina Faso (4. August 1984). 1017 Elfenbeinküste: Entscheidung Nr. 2005-05/Pr relative à l’identification des personnes et au sejour des etrangers en Côte d’Ivoire (15. Juli 2005). 1018 Guinea: Gesetz L/1994/019/CTRN relating to the conditions of entry and stay of foreigners in the Republic of Guinea (1994). 1019 Guinea Bissau: Gesetzesdekret Nr. 1/92 (1992). 1020 Mali: Gesetz Nr. 04-058 relating to the Conditions of Entry, Stay and Employment of Foreigners in the Republic of Mali (25. November 2004). 1021 Senegal: Dekret Nr. 71-860 relating to the conditions of admission, stay and establishment of foreigners (28. Juli 1971). 1022 Übersicht aller nationalen Bestimmungen bei Aderanti Adepoju/Alistair Boulton/Mariah Levin, Promoting Integration Through Mobility (Fn. 989) 124. 1023 Ousmane Sy, Reconstruire l’Afrique (Fn. 207) 183.
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Speziell hinsichtlich der Nomaden scheitert die Implementierung häufig daran, dass diesen ihre Rechte gar nicht bewusst sind, und sie daher ohne Not den illegalen Weg auf traditionellen Routen wählen.1024 Auch wurden in der Vergangenheit durch die Umwandlung von Gebieten in Ackerland häufig vollendete Fakten geschaffen, die sich nicht ohne Konflikte mit der ackerbauenden Bevölkerung zurückdrehen lassen.1025 Vielfach werden trotz gegenteiliger Verpflichtung der Staaten im Rahmen der ECOWAS die Wanderkorridore einerseits durch die Staaten blockiert und andererseits durch die Nomaden ignoriert.1026 4. Grenzübertrittsrechte der Nomaden durch die CEBEVIRHA In Zentralafrika, dem Wirtschaftsgebiet der CEMAC ist das grenzüberschreitende Nomadentum institutionalisiert durch die CEBEVIRHA (Commission Économique du Bétail, de la Viande et des Ressources Halieutiques). Die CEBEVIRHA wurde 1987 als CEBEVIRHA – UDEAC gegründet1027 und ist seit 2010 eine offizielle Institution der CEMAC. Sie nahm ihre Arbeit im Jahre 1991 auf.1028 Sie strebt an, den grenzüberschreitenden Verkehr von Tieren zu fördern, Kontrollen zu reduzieren, das Steuersystem zu vereinfachen und die Aufzuchtbedingungen zu koordinieren und zu harmonisieren.1029 Im Rahmen ihrer Tätigkeit hat sich die CEBEVIRHA u. a. auch mit der Erleichterung der grenzüberschreitenden Viehwanderungen auseinandergesetzt, denn auch die Staatsgrenzen der CEMAC-Staaten Tschad, Kamerun, Kongo-Brazzaville, Zentralafrika, Gabun und Guinea zerschneiden ehemals grenzenloses Weideland und durchtrennen die traditionellen Handels- und Wanderrouten nomadischer Völker, welche diese Grenzen auch heute noch überall dort ignorieren, wo dies aufgrund fehlender Polizeigewalt möglich ist.1030
1024
Nat Dyer, Securing Pastoralism in East and West Africa (Fn. 290) 47. FAO, La transhumance transfrontalière en Afrique de l’Ouest (Fn. 793) 42 ff. 1026 Nat Dyer, Securing Pastoralism in East and West Africa (Fn. 290) 46; FAO, ebd., 37. 1027 ECCAS, Acte No. 20/87-UDEAC-475 portant adoption de l’accord de création de la Communauté Economique du Bétail, de la Viande et des Ressources Halieuthiques en UDEAC. 1028 Richard Ndong Motto, Directeur du Commerce, des Etudes Economiques et des Statistiques à la CEBEVIRHA, L’élevage représente 35 % du PIB agricole et84 % du PIB total de la zone CEMAC – CEBEVIRHA (10/2012) Echos AC, 8. 1029 CEMAC, Art. 2 Abs. 3 und 4 Statut de la CEBEVIRHA, online unter: http://www.filie re-bovine-tchad.com/classified/Recueil_autres_textes_reglementaires.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 1030 Patrick Berg, Konfliktdynamik im Länderdreieck Sudan, Tschad und Zentralafrikanische Republik, Friedrich-Ebert-Stiftung 2008, 33 f. 1025
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a) Regelungen der CEBEVIRHA zu den transnationalen Wanderungen der Nomaden Die CEBEVIRHA verabschiedete mehrere Maßnahmen, mit denen eine gemeinsame Verwaltung transnationalen Weidelandes möglich werden soll. Hierzu gehört z. B. der „Accord relatif à l’harmonisation des législations et Réglementations zoosanitaires en CEMAC.“1031 Bei diesem Regelwerk handelt es sich um eine Kopie einer Regelung der UDEAC von 1984.1032 Die CEBEVRIRHA regelt u. a. die Einrichtung eines Netzes nationaler Ansprechpartner, die Schaffung eines „Passeport pour le bétail“ und eines „Certificat international pour la transhumance“.1033 Diese Regelungen schreiben z. B. vor, dass Tiere, die die Grenzen innerhalb der Gemeinschaft überschreiten, unter anderem nachweisbar gegen bestimmte Krankheiten geimpft sein müssen.1034 b) Bewertung Größtes Problem der Akzeptanz der von der CEBEVIRHA entwickelten Mechanismen sind die hiermit verbundenen bürokratischen Hürden und Kosten. Ein Viehpass muss für jeden grenzüberschreitenden Transfer erneut beantragt werden und kostet 2500 F-CFA pro Dokument (3,81 E). Die offiziellen und damit zu tierärztlichen Untersuchungen berechtigten Grenzposten befinden sich oft mehrere Tagesmärsche voneinander entfernt, was den Nomaden deren Umgehung leicht und deren Aufsuchung unattraktiv macht.1035 Aufgrund dieser Umstände unterscheidet sich die Wahrnehmung des Erfolgs der Maßnahmen stark: Während die CEBEVIRHA davon ausgeht, dass im Jahre 2014 kein regionaler grenzüberschreitender Viehhandel stattgefunden hat,1036 beobachten unabhängige Studien ein 1031 CEMAC, Accord relatif à l’harmonisation des législations et Réglementations zoosanitaires en CEMAC (2005). 1032 CEMAC, Appui à la CEMAC en vue de la préparation des négociations des APE entre les ACP et l’UE Projet # 095 CEMAC # 1 (März 2006), online unter: http://www.inter-reseaux. org/IMG/pdf/cemac_etude_impact_ape_qualite.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 1033 Eine umfangreichere Liste der bereits erfolgten Maßnahmen der CEBEVIRHA (Stand 2012) präsentiert ein Direktor der Organisation (Richard Ndong Motto, L’élevage (Fn. 1028) 8 f.). 1034 ECCAS, Art. 6 Acte No. 31/84-UDEAC-413 Accord Relatif à l’Harmonisation des Legislations et Réglementations zoosanitaires en UDEAC. 1035 So z. B. Tschad, Erlass Nr. 201 MF/SE/DG/99: In die Zentralafrikanische Republik gibt es 8 Übergänge auf einer Länge von 1197 km, nach Kamerun, Niger und Nigeria insgesamt 8 Übergänge auf einer Länge von 2.356 km. Zu den nicht zur CEMAC gehörenden aber ebenfalls von Nomaden frequentierten Nachbarländern Libyen und Sudan gibt es jeweils 4 – 5 offizielle Übergänge mit tierärztlicher Kontrollmöglichkeit auf Grenzabschnitten von ebenfalls über 1.000 km Länge. 1036 CEBEVIRHA, Présentation de la CEBEVIRHA, Analyse de la chaine de valeur betailviande, „Le commerce du bétail-viande et réglementation communautaire en Afrique Centrale“ (12. Februar 2014), online unter: http://www.slideserve.com/gitano/le-commerce-
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weitgehendes Ignorieren der Grenzen.1037 Diese divergierenden Feststellungen lassen den Schluss zu, dass, wie auch in Westafrika, trotz rechtlicher Regulierung die tatsächlichen Viehwanderungen weitestgehend an staatlichen Kontrollen vorbei erfolgen. Die CEBEVIRHA hingegen führt das Ausbleiben des regionalen Viehhandels v. a. auf massive Fleischimporte aus der EU, Indien und Südamerika zurück.1038 c) Umsetzung In den Grenzregionen innerhalb der CEMAC klaffen Ideal und Wirklichkeit weit auseinander: „There is little flow of goods and services [and movement of people] within Central Africa. If you have to go to Gabon from Cameroon, for instance, you still require a visa and yet, we all belong to the same economic zone [CEMAC], where theoretically there is supposed to be free movement of goods, services and people. But in practice that is not the case.“1039
Hier wird deutlich, dass trotz der angestrebten und durch die CEBEVIRHA geregelten Wanderrechte, die Nomaden sich an den Grenzübergängen innerhalb der CEMAC nach wie vor bürokratischen Kontrollen gegenüber sehen, welche sie dazu verleiten, die offiziellen Grenzübergangsstellen zu meiden und ihre Viehherden über inoffizielle Wege von einem Land ins andere zu treiben. Die Umsetzung ist somit von einer doppelten Ignoranz geprägt: Einerseits ignorieren die Staaten der CEMAC ihre gemeinschaftlichen Verpflichtungen, indem sie weiterhin auf strenge Grenzkontrollen beharren. Andererseits ignorieren die Nomaden die staatlichen Grenzkontrollen, indem sie auf unkontrollierte Routen ausweichen. Sehr deutlich werden diese doppelten Implementierungsprobleme anhand der beiden CEMAC-Mitgliedstaaten Tschad und Zentralafrikanische Republik. Der Tschad erließ bereits im Jahre 1959 noch unter kolonialer Verwaltung1040 ein Gesetz „portant réglementation du nomadisme sur le territoire de la République du Tchad“, was jedoch von den betroffenen Nomaden weitgehend ignoriert wurde.1041 Der Hintergrund ist, dass, wie in weiten Teilen Afrikas, die Staatsgewalt im Tschad nur schwach ausgeprägt ist und anstelle der Gesetze vielfach traditionelles häufig islamisch geprägtes Clanrecht tritt. Solche clanrechtlichen Mechanismen garantie-
du-b-tail-viande-et-r-glementation-communautaire-en-afrique-centrale (zuletzt aufgerufen 24. Oktober 2018). 1037 Patrick Berg, Konfliktdynamik im Länderdreieck Sudan, Tschad und Zentralafrikanische Republik (Fn. 1030) 33 f. 1038 CEBEVIRHA, Présentation de la CEBEVIRHA (Fn. 1036). 1039 Fondo Sikod, A continent on the move (10/2012) Echos AC, 4. 1040 Nat Dyer, Securing Pastoralism in East and West Africa (Fn. 290) 9. 1041 International Crisis Group, Afrique centrale: les défis sécuritaires du pastoralisme, Rapport Afrique No. 215 (1. April 2014) 10.
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ren z. B. freien Zugang zu natürlichen Ressourcen wie Trinkwasser und Weideland und stellen einen Streitschlichtungsmechanismus zur Verfügung.1042 Ein neuer „Code Pastorale“, der die unklare Nomadengesetzgebung nach mehreren Anläufen und Jahren der Diskussion gänzlich neu regeln sollte,1043 scheiterte Ende 2014 vor dem „Conseil Constitutionel“, dem tschadischen Verfassungsgericht, unter anderem mit der Argumentation, dass das geforderte Einzäunen von Ackerland und die verlangte Beaufsichtigung des Viehs bei Nacht gegen das Grundrecht auf Eigentum verstoße.1044 In der mit dem Tschad in der CEMAC vereinten Republik Zentralafrika hingegen gibt es offiziell Gesetze, die den Nomaden Weiderechte zugestehen bei gleichzeitigem Schutz der Feuchtweiden.1045 Diese sind jedoch hoffnungslos veraltet und werden der gewachsenen Anzahl von Nomaden und Neu-Nomaden nicht gerecht. Hinzu kommt, dass das Fehlen einer effektiven Staatsgewalt in den betroffenen Regionen ohnehin jegliche rechtliche Regelung obsolet erscheinen lässt. Ein völkerrechtlicher Vertrag aus dem Jahre 2012 zwischen Tschad und der Zentralafrikanischen Republik sollte hier Abhilfe schaffen.1046 Art. 5 dieses Draft-Abkommens, dessen Ratifikation bislang an dem seit 2013 herrschenden Staatszerfall scheiterte, verlangt von den Nomaden das Vorhalten eines Visums, eines Identitätsnachweises, eines Identitätsnachweises des Vieheigentümers, sowie die Bekanntgabe der vorgesehenen Wanderroute. Diese Erfordernisse begegnen freilich auch hier den Schwierigkeiten, dass der CEBEVIRHA die nötigen Ressourcen zur Durchführung fehlen und dass die Bestimmungen den betroffenen Personen kaum bekannt sind. Mit dem Zusammenbruch der Staatsgewalt in der Zentralafrikanischen Republik und der damit verbundenen Verschlechterung der Beziehungen zum Tschad im Jahre 2013 ist auch in naher Zukunft die Umsetzung des Abkommens mehr als zweifelhaft. Die CEBEVIRHA stellt für die Koordinierung der grenzüberschreitenden Transhumanz einen wichtigen Ausgangspunkt dar. Ihre Durchsetzungskapazitäten sind jedoch im Zuge von Staatszerfall und nahezu unmöglich zu kontrollierenden Grenzen äußerst begrenzt: 1042
Ebd., 7. Nicoletta Avella/Frédéric Reounodji, La législation foncière pastorale au Niger et au Tchad (Fn. 1003) 8 f. 1044 RFI, Les voix du monde, Tchad: le projet de loi sur le code pastoral inconstitutionnel (27. Dezember 2014), online unter: http://www.rfi.fr/afrique/20141227-tchad-projet-loi-codepastoral-inconstitutionnel-eleveurs-agriculteurs (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 1045 Republik Zentralafrika: Gesetz Nr. 65/61 portant règlementation des activités de l‘élevage en République Centrafricaine (3. Juni 1965); eine umfassende Liste der in der Zentralafrikanischen Republik zur Transhumanz erlassenen Rechtsakte findet sich bei: International Crisis Group, Afrique centrale: les défis sécuritaires du pastoralisme, Rapport Afrique No. 215 (1. April 2014) Annexe B, 29. 1046 Republik Zentralafrika ./. Tschad, Accord bilatéral de coopération technique entre la République Centrafricaine et la République du Tchad en matière de mouvement de bétail (30. Oktober 2012). 1043
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„En réalité ces mesures ne sont pas respectées. Il n’y a pas de contrôle rigoureux à l’intérieur du pays et pas de certificat de transhumance en circulation en ce moment. Les agents qui doivent appliquer ces mesures ne sont même pas suffisamment informés, moins encore les éleveurs concernés.“1047
5. Entwicklung von nomadischen Wanderrechten in anderen Teilen Afrikas Obwohl es in anderen Teilen Afrikas noch an verbindlichen Regelungen des grenzüberschreitenden Nomadentums fehlt, deuten einige politische Erklärungen afrikanischer Regionalorganisationen, aber auch der Afrikanischen Union darauf hin, dass die dortige Rechtslage demnächst der Situation in West- und Zentralafrika angepasst wird. a) Politisches Umdenken in den Regionalorganisationen Mittelfristig sollen die Beispiele West- und Zentralafrikas auch in anderen Teilen des Kontinents Schule machen. Speziell hinsichtlich der grenzüberschreitenden Transhumanz haben die Bestrebungen dort jedoch noch nicht den Status von politischen Absichtserklärungen überwunden. Der COMESA etwa erklärte in einem „Policy Framework“ „Seasonal cross-border movement of people and livestock needs to be enabled through regional and/or bilateral legislation and procedures.“1048
Losgelöst von der Nomadenproblematik einigte sich der COMESA auf ein Protocol on the Free Movement of Persons, Labour, Services, Right of Establishment and Residence,1049 welches ratifiziert wurde und in Kraft getreten1050 ist, jedoch bisher kaum umgesetzt wurde.1051
1047
CEMAC, Appui à la CEMAC en vue de la préparation des négociations des APE entre les ACP et l’UE Projet # 095 CEMAC # 1 Renforcement des capacités en appui à la préparation des Accords de Partenariat Economique (APE) – 8 ACP TPS 110 (März 2006), online unter: http://www.inter-reseaux.org/IMG/pdf/cemac_etude_impact_ape_qualite.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018), 67, „In der Realität werden diese Maßnahmen nicht respektiert. Es gibt keine strengen Kontrollen im Inland und zur Zeit kein Transhumanzzertifikat im Umlauf. Die Beamten, die diese Maßnahmen anwenden sollen, sind nicht einmal ausreichend informiert, und noch weniger sind dies die betroffenen Viehhalter.“ (Übersetzung des Verfassers). 1048 COMESA, Policy Framework for Food Security in Pastoralist Areas (Fn. 812) 55. 1049 COMESA, Protocol on the Free Movement of Persons, Labour, Services, Right of Establishment and Residence (29. Juni 1998). 1050 Michael Gondwe, From PTA to COMESA: The Quest for Sub-Regional Economic Integration in Eastern and Southern Africa (1998) African Yearbook of International Law, 3, 18. 1051 Aderanti Adepoju, Formulating Migration Policy at the Regional, Sub-Regional and National Levels in Africa (2008) African Yearbook of International Law, 25, 35.
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Auch in der East African Community (EAC) garantiert ein Protokoll1052 unabhängig vom Pastoralismus Personenfreizügigkeit, welche aber auch die Lebenssituation der Pastoralisten verbessern soll.1053 Die Intergovernmental Authority on Development (IGAD) im Nordosten Afrikas schuf im Jahre 2012 ein IGAD Centre for Pastoral Areas and Livestock Development (ICPALD) mit dem Auftrag „to […] act as regional policy reference institution for livestock and dry lands.“1054 Im Vorfeld zukünftiger rechtlicher Regelungen stellte das Centre zunächst fest: „The border inspection posts are poorly staffed and with little cross-border animal health coordination and trading procedures are not yet harmonized. However substantial numbers of live animals are crossing the borders in the IGAD region targeting the intraregional and Gulf markets. […] Animals in the region cross national borders in search of water, pasture and for trade with little mechanisms in place for control and traceability.“1055
b) Politisches Umdenken in der Afrikanischen Union Überregional gibt es seitens der Afrikanischen Union einige politische Statements, die langfristig eine rechtliche Entwicklung hin zu einer Öffnung der Grenzen für Nomaden erhoffen lassen: Das Comprehensive Africa Agriculture Development Programme (CAADP) als Teil des New Partnership for Africa’s Development (NEPAD)1056 ist Ausdruck einer Erklärung der afrikanischen Staatsund Regierungschefs aus dem Jahre 2003,1057 in welcher diese sich verpflichteten 10 % ihres Staatsbudgets für die Umsetzung eines gemeinsamen landwirtschaftlichen Entwicklungsprogramms zu verwenden. Der Bedeutung des grenzüberschreitenden Pastoralismus für dieses Entwicklungsprogramm ist sich das NEPAD bewusst:
1052 EAC, Part D, Protocol on the Establishment of the East African Community Common Market, online unter: http://eacj.org/?page_id=748 (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 1053 Augustine Lotodo (member of parliament in the East African Legislative Assembly), zitiert bei: IRIN, Freedom of movement to help pastoralist lifestyles (30. Juni 2010), online unter: http://www.irinnews.org/report/89683/east-africa-freedom-movement-help-pastoralistlifestyles (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 1054 ICPALD, Vision and Mission, online unter: http://icpald.org/about/vision-and-mission (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 1055 ICPALD, Department: Livestock development, online unter: http://icpald.org/pillars/ livestock/ (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 1056 Vgl. Frans Viljoen, African Union, MPEPIL (Mai 2011) 35 ff. 1057 AU, Declaration on Agriculture and Food Security in Africa (Maputo-Declaration) (10. – 12. Juli 2003) Assembly/AU/Decl.7(II).
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„These pastoral and agro-pastoral systems are vital to North Africa, West Africa, East Africa and Central Africa. Moving Livestock according to seasonal changes and the availability of fodder is the main method of securing feed for large herds. Transhumance over long distances is partly transboundary, and leads to economic and trade integration.“1058
2010 integrierte die Afrikanische Union das NEPAD in ihre Strukturen.1059 Ebenfalls von der Afrikanischen Union geht ein „Policy Framework for Pastoralism in Africa“ aus, welches u. a. feststellt: „Furthermore the scope of policy in many areas, especially policies on pastoral mobility, environment and conflict, must range from local policies to regional policy harmonization across borders. This scope recognizes that pastoral ecosystems often transcend national borders, and that movement within these systems is economically and ecologically rational.“1060
Die Umsetzung dieses Policy Frameworks im Rahmen nationaler und regionaler Politiken wird vom Executive Council der Afrikanischen Union in einer Decision gefordert.1061 Decisions des Executive Councils sind jedoch nur dann bindend, wenn es sich bei ihnen um Regulations oder Directives handelt,1062 was hier nicht der Fall ist. Schließlich initiierte die Afrikanische Union ein „African Union Border Programme“, im Zuge dessen sie sich in einer nicht bindenden Declaration für eine allmähliche Öffnung aller Grenzen des Kontinents ausspricht.1063 Insbesondere sollen bei der Festlegung von Grenzen die Interessen der hiervon betroffenen Be-
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NEPAD, Agriculture in Africa: Transformation and outlook (November 2013), online unter: http://www.un.org/en/africa/osaa/pdf/pubs/2013africanagricultures.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018), 22. 1059 AU, Decision on the Integration of the New Partnership for Africa’s Development (NEPAD) into the Structures and Processes of the African Union Including the Establishment of the NEPAD Planning and Coordinating Agency [NPCA] (31. Januar – 2. Februar 2010) AU Doc Assembly/AU/Dec. 283 (XIV) 1060 AU, Policy Framework for Pastoralism in Africa (Fn. 187) 1.1.2.a. 1061 AU Executive Council, Decision on Africa’s Pastoralism (31. Januar 2011) EX.CL/ Dec.618(XVIII). 1062 AU Executive Council, Rule 34 Rules of Procedure, ASS/AU/2(I) – b. 1063 AU, Präambel, First Declaration on the African Union Border Programme and its implementation modalities as adopted by the Conference of African Ministers in Charge of Border Issues (7. Juni 2007), online unter: http://www.peaceau.org/uploads/border-issues.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018): „a) Inspired by the conviction that the achievement of greater unity and solidarity among African countries and peoples require the reduction of the burden of borders separating African States; b) Convinced that, by transcending the borders as barriers and promoting them as bridges linking one State to another, Africa can boost the on-going efforts to integrate the continent, strengthen its unity, and promote peace, security and stability through the structural prevention of conflicts“.
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völkerungen angemessen berücksichtigt werden.1064 Die Niamey-Convention der Afrikanischen Union von 2012 fordert die afrikanischen Staaten auf „…[to] commit themselves to promote cross-border cooperation in […] 2. […] agro pastoral activities.“1065 Im Rahmen einer Agenda 2063 strebt die Afrikanische Union bis 2017 eine afrikanische Freihandelszone und generelle Visafreiheit bis 2018 an.1066 c) Gründung einer gesamtafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft, beinhaltend eine allgemeine Personenfreizügigkeit Die afrikanischen Staaten schlossen 1991 den Abuja-Vertrag zur Schaffung einer Afrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (AEC),1067 welcher 1994 in Kraft trat. Innerhalb von 34 Jahren ab Inkrafttreten soll hiernach in mehreren Stufen diese Wirtschaftsgemeinschaft Realität werden. Zu den Zielen der AEC zählt unter anderem eine gesamtafrikanische Freizügigkeit, wie Art. 43 des Vertrages verdeutlicht: „Member States agree to adopt, individually, at bilateral or regional levels, the necessary measures, in order to achieve progressively the free movement of persons, and to ensure the enjoyment of the right of residence and the right of establishment by their nationals within the Community.“1068
Die Umsetzung dieses Zieles ist gemäß Art. 61069 für die fünfte Stufe vorgesehen, deren Umsetzung planmäßig 2018 anlaufen und 2023 abgeschlossen sein soll.
V. Bewertung des neuen Völkerrechts zu nomadischen Wanderrechten In der Vergangenheit betrachteten die Staaten den Nomadismus als rückständig, unwirtschaftlich und umweltschädlich. Aus diesem Grund unternahmen sie zahl1064 AU, Art. 5, First Declaration on the African Union Border Programme and its implementation modalities as adopted by the Conference of African Ministers in Charge of Border Issues (7. Juni 2007), online unter: http://www.peaceau.org/uploads/border-issues.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 1065 AU, Convention on Cross-Border Cooperation (Niamey Convention) (17. Mai 2012), online unter: http://www.peaceau.org/uploads/au-niamey-convention-eng.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 1066 AU Kommission, Agenda 2063 – The Africa we want – First Ten-Year Implementation Plan 2014 – 2023 (September 2015), online unter: http://www.un.org/en/africa/osaa/pdf/au/agen da2063-first10yearimplementation.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018), 15. 1067 Treaty Establishing the African Economic Community (Abuja-Vertrag) African Legal Materials (1991) AfJICL, 792 – 839. 1068 Ebd., Art. 43. 1069 Ebd., Art. 6.
V. Bewertung des neuen Völkerrechts zu nomadischen Wanderrechten
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reiche Anstrengungen, die Nomaden zur Sesshaftigkeit zu bewegen.1070 Ursächlich hierfür ist eine Top-down-Sicht der zuständigen Entscheider auf Regierungs- und Verwaltungsebene.1071 Die koloniale Fragmentierung der einst unbegrenzten nomadischen Wandergebiete wurde durch die jungen Staaten nach der Dekolonisierung aufrechterhalten und vertieft, indem koloniale Verwaltungsgrenzen zu Staatsgrenzen erstarkten und die künstlich geschaffenen Staatsgebilde zu Nationen geschmiedet werden sollten.1072 Von dieser Politik sind in den vergangenen Jahren immer mehr Staaten abgerückt. Politisch wird das grenzüberschreitende Nomadentum nunmehr als Wirtschafts- und Umweltschutzfaktor begrüßt. Diesem politischen Willen folgte in einigen Gebieten bereits eine rechtliche Umsetzung. In anderen Gebieten blieb es bei Absichtserklärungen. „The current situation is still very mixed with legal recognition of pastoralism and livestock mobility in some countries, and restrictive ,anti-pastoralists‘ laws in others.“1073
Dort, wo völkerrechtliche Mechanismen Grenzübertrittsrechte für Nomaden kodifizieren, begegnen diese häufig einer doppelten Gleichgültigkeit: Einerseits lassen die Staaten nur wenig Ehrgeiz erkennen, die eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen umzusetzen. Andererseits ignorieren die Nomaden die als Fremdkörper wahrgenommenen Staatsgrenzen und Grenzübergänge weiterhin. Die völkerrechtlichen Übereinkünfte erlauben den Staaten im Vorfeld festzulegen, zu welchen Zeiten und auf welchen Routen sich die transnationalen Wanderungen der Nomaden vollziehen sollen. Diese Vorfestlegung steht dem nomadischen Bedürfnis nach Flexibilität im Hinblick auf unberechenbare Wetterbedingungen entgegen. Andererseits ermöglichen die Regelungsmechanismen insbesondere tierärztliche Kontrollen beim Grenzübertritt, welche so dem Ausbreiten von Seuchen vorzubeugen vermögen. Die völkerrechtliche Regelung des grenzüberschreitenden Nomadentums stellt den Versuch dar, das gebietslose Rule of the Clan der Nomaden mit der territorialen Staatenordnung zu versöhnen. Eine hierdurch erfolgende Aufweichung der Territorialität rührt an die Grundfesten des gültigen Völkerrechts, nach dem jeder Staat das uneingeschränkte Recht besitzt, frei über die Permeabilität seiner Grenzen zu entscheiden.1074 1070
FAO, La transhumance transfrontalière en Afrique de l’Ouest (Fn. 793) 74. Ebd. 1072 Ebd. 1073 Nat Dyer, Securing Pastoralism in East and West Africa (Fn. 290) 7. 1074 Ryan Liss, A Right to Belong: Legal Protection of Sociological Membership in the Application of Article 12(4) of the ICCPR (2013-14) NYUJILP, 1097; Phillip Cole, The Immorality of Borders, A talk to mark Refugee Week organised by Bristol Migrants’ Rights Centre in association with the Bristol Festival of Ideas (21. Juni 2012) Foyles Bookshop, Bristol, online unter: https://www.academia.edu/2283949/The_Immorality_of_Borders (zuletzt aufgerufen am 1071
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D. Neue Staatenpraxis im 21. Jahrhundert
Wandernde Völker relativieren auf den ersten Blick die Idee einer im Staat manifesten Verkoppelung von Volk und Gebiet. Durch den sich abzeichnenden Paradigmenwechsel wird es nun sanktioniert, dass sich Völker keinem konkreten Staat mehr territorial zuordnen lassen. Überspitzt gesagt, wird die Idee des territorial determinierten Staatsvolkes in Staaten ad absurdum geführt, in denen ein signifikanter Bevölkerungsanteil, oder sogar die Bevölkerungsmehrheit sich nur halbjährlich in diesem Staat aufhält. Solange diese Fluidität rechtlich nicht gewollt war, konnte die Divergenz zwischen Staatsvolk und Staatsgebiet als zu überwindende normative Ausnahme negiert werden.1075 Nunmehr aber im Zuge eines sich wandelnden Völkerrechts wird das faktisch stets Präsente aber rechtlich Ungewollte zu einem unter vielen normativen Regelfällen – zur Normalität – erhoben: „Normalität ist […] auch ein idealisierter Zustand, der, wenn er gegenwärtig nicht existiert, wieder hergestellt werden soll.“1076
Auch territorial ungebundene wandernde Völker stellen eine „neue“ Normalität dar, die neben die „alte“ Normalität der unverrückbaren und an ihren Grenzen zu schließenden Staaten tritt. Will das Völkerrecht nicht eine von der Realität vollkommen entkoppelte Rechtsmaterie sein, so muss sich diese „neue“ Normalität letztlich auch im geltenden Völkerrecht wiederfinden, was nur gelingen kann, wenn auch diesen Völkern jenseits einer Staatlichkeit Einflussmöglichkeiten auf das Völkerrecht zugebilligt werden. Eine Möglichkeit ist es, Nomaden unmittelbar an den Vertragsverhandlungen oder beim Erlass der Durchführungsbestimmungen zu beteiligen, wie dies im Falle der Samen beim Abschluss einer neuen Rentierweidekonvention1077 und der Völker beider Sudans bei der Mitwirkung an der Umsetzung des Grenzvertrages1078 geschehen ist. Da neue Grenzverträge und Weidekonventionen in der Praxis eher eine Seltenheit darstellen, wohingegen das Interesse der Nomaden am Grenzübertritt, ebenso wie das staatliche Interesse an effektiver Grenzkontrolle nach einer alltäglichen Interessenabwägung verlangen, fand der IGH ein anderes Mittel, um nomadische Völker sowohl bei der Vertragsinterpretation als auch bei der Schöpfung von Gewohnheitsrecht zu beteiligen und so einen Interessenausgleich zu ermöglichen, der nicht 24. Oktober 2018), 1; Joseph H. Carens, Aliens and Citizens: The Case for Open Borders (2/1987) RPol, 251; Hans-Detlef Horn, Grenzschutz im Migrationsrecht. Es geht nicht nur um innere Sicherheit, in: Otto Depenheuer/Christoph Grabenwarter (Hrsg.), Der Staat in der Flüchtlingskrise, Schöningh 2016, 140, 147. 1075 Zum Konzept der Ausnahme im Recht und der Unterscheidung zwischen dem empirisch-faktischen Gehalt und dem normativen Gehalt dieses Begriffs vgl. Jasper Finke, Funktion und Wirkung der Ausnahme (Fn. 4) 520 ff. 1076 Jasper Finke, Funktion und Wirkung der Ausnahme (Fn. 4) 523. 1077 D. II. 1078 D. I.
V. Bewertung des neuen Völkerrechts zu nomadischen Wanderrechten
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erst die Aufnahme neuer Vertragsverhandlungen abwartet. Der IGH wich hierbei vom alten Dogma ab, dass nur Staaten das Völkerrecht gestalten, und billigte auch grenznahen nichtstaatlichen Gemeinschaften die Fähigkeit zu, insbesondere durch Praxis auf das Völkerrecht nicht nur interpretierend, sondern sogar rechtsschöpfend einzuwirken.
E. Nomadische Grenzübertrittsrechte im Völkergewohnheitsrecht und der späteren Vertragspraxis Ein rechtsgestaltender oder sogar rechtsschöpfender Einfluss nomadischer Völker auf das Völkerrecht setzt voraus, dass deren Verhalten für die Formung und Gestaltung von Rechtsregeln von Relevanz ist. Eine solche völkerrechtsgestaltende Relevanz bricht wesentlich mit der überkommenen Vorstellung, dass nur Staaten das Völkerrecht prägen. Um die Enge dieser Konzeption aufzubrechen, gibt es theoretisch zwei Möglichkeiten: Entweder den nomadischen Völkern wird eine eigene völkerrechtliche Rechtspersönlichkeit zugestanden, welche diese als Rechtssubjekte neben die Staaten treten lässt. Oder aber, das Verhalten nomadischer Völker kann einem Staat derart „zugerechnet“1079 werden, dass das Volk quasi als intermediäre Gewalt dieses Staates auftritt. Beide Ansätze finden sich in der Rechtsprechung des IGH wieder. Wenn nämlich auf einen Vertrag zwischen zwei Staaten interpretativ durch Praxis (z. B. i.S.d. Art. 31 III b WVK) eingewirkt werden soll, dann kann dies nur durch das Handeln oder Unterlassen genau dieser Staaten geschehen. Will dagegen ein nomadisches Volk selbst auf einen bereits zwischen zwei Staaten bestehenden Vertrag durch seine eigene Praxis einwirken, so ist dies nur möglich, wenn die jeweiligen Vertragsparteien das nomadische Verhalten als eigenes billigen. Weiter reicht demgegenüber die Einflussmöglichkeit nomadischer Völker auf das Völkergewohnheitsrecht. Da dieses auch losgelöst von einem völkerrechtlichen Vertrag oder sogar im Widerspruch zu diesem entstehen kann, ist es auch denkbar, gewohnheitsrechtliche Regeln aus der Praxis nomadischer Völker abzuleiten, vorausgesetzt, dass diese Nomadenpraxis für die Konstituierung von Gewohnheitsrecht mit der klassischen Staatenpraxis rechtlich gleichgesetzt wird. Diesen Weg beschritt der IGH, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.1080 In den folgenden Abschnitten wird daher anhand der Rechtsprechung des IGH dargelegt, unter welchen Voraussetzungen nomadisches Verhalten einer späteren Staatenpraxis zugerechnet werden kann und wann dieses trotz der fehlenden 1079 Hiermit ist nicht eine Zurechnung im Sinne der Regeln zur Staatenverantwortlichkeit gemeint, sondern lediglich eine Umschreibung dessen, dass sich das Handeln eines nomadischen Volkes als staatliches Handeln bewerten lässt, dass also der Staat quasi durch das nomadische Volk mediatisiert wird. 1080 E. I. 2. c); E. II.
I. Spätere Staatenpraxis oder Gewohnheitsrecht?
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Staatsqualität nomadischer Völker für die Formung von Völkergewohnheitsrecht relevant ist.
I. Spätere Staatenpraxis oder Gewohnheitsrecht? „It is, moreover, not uncommon for the inhabitants of border regions in Africa to traverse such borders for purposes of agriculture and grazing, without raising concern on the part of the authorities on either side of the border.“1081
Angesichts dessen, dass viele nomadische Völker von einem Staat zum anderen wandern, ungeachtet der Grenzen zwischen diesen Staaten, ist es denkbar hierin eine spätere Staatenpraxis zum jeweiligen Grenzvertrag i.S.d. Art. 31 III b, bzw. Art. 32 WVK1082 zu sehen oder aber auch eine vom Grenzvertrag unabhängige Regel regionalen oder bilateralen1083 Völkergewohnheitsrechts. Losgelöst von nomadischen Wanderungen erkannte der IGH im Streit zwischen Indien und Portugal, dass der Transit über fremdes Staatsgebiet gewohnheitsrechtlichen Schutz genießen könne: „with regard to private persons, civil officials and goods in general there existed during the British and post-British periods a constant and uniform practice allowing free passage between Daman and the enclaves. This practice having continued over a period extending beyond a century and a quarter unaffected by the change of regime in respect of the intervening territory which occurred when India became independent, the Court is, in view of all the circumstances of the case, satisfied that that practice was accepted as law by the Parties and has given rise to a right and a correlative obligation.“1084
Die Entstehung eines bilateralen Gewohnheitsrechtes1085 knüpft der IGH hier an eine lang andauernde Praxis der einheimischen Bevölkerung und die Anerkennung dieser Praxis als Recht durch die jeweiligen Staaten. Den Beziehungen der beiden Staaten lag auch ein völkerrechtlicher Vertrag aus dem Jahre 1779 zugrunde. Eine interpretative Auslegung dieses Vertrags i.S.v. Art. 31 III b WVK1086 hätte somit ebenfalls im Bereich des Erwägbaren gelegen.
1081 IGH, Case concerning Kasikili/Sedudu Island (Botswana ./. Namibia) Judgment (13. Dezember 1999) ICJ Rep 1999, 1045, Rn. 74. 1082 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVK) (23. Mai 1969) 1155 UNTS 331. 1083 Zu dieser vom IGH anerkannten Möglichkeit vgl. E. I. 2. a). 1084 IGH, Case concerning Right of Passage over Indian Territory (Indien ./. Portugal) Merits (12. April 1960) ICJ Rep 1960, 6, 38. 1085 s. u. E. I. 2. a). 1086 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVK) (23. Mai 1969) 1155 UNTS 331.
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E. Nomadische Grenzübertrittsrechte im Völkergewohnheitsrecht
Sowohl Völkergewohnheitsrecht als auch spätere Staatenpraxis1087 fußen v. a. auf einer sich wiederholenden völkerrechtlichen Praxis, die in irgendeiner Form durch die Parteien anerkannt sein muss,1088 wobei die spätere Praxis i.S.d. Art. 31 III b WVK1089 bestehendes Völkervertragsrecht nur interpretiert und somit an dessen Wortlautgrenze gebunden ist,1090 wohingegen das aus einer Praxis abgeleitete Gewohnheitsrecht gemäß Art. 38 I b IGH-Statut1091 unmittelbare Rechtsquelle ist. Zur Ermittlung der Rechte grenzüberschreitender Nomaden ist die nomadische Praxis der naheliegendste Ausgangspunkt. Denn, abgesehen von den oben geschilderten1092 neueren politischen Entwicklungen v. a. in Afrika, ist es insbesondere eine Jahrhunderte alte Praxis der grenzenlosen Wanderungen, welche die Vermutung nährt, hierin eine rechtlich relevante Tatsache zu sehen, sofern diese Praxis bis heute fortdauert. 1. Spätere Staatenpraxis „… subsequent practice in interpreting a treaty has been recognized as a „concordant, common and consistent“ sequence of acts or pronouncements which is sufficient to establish a discernable pattern implying the agreement of the parties regarding its interpretation.“1093
Rechtlich verankert ist das Institut der späteren Staatenpraxis in Art. 31 III b WVK.1094 Da die WVK gemäß ihres Art. 1 nur auf Verträge zwischen Staaten an1087
Ebd. Laurence Boisson de Chazournes, Subsequent Practice, Practices, and Family-Resemblance: Towards Embedding Subsequent Practice in its Operative Milieu, in: Georg Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, Oxford UP 2013, 53; Campbell McLachlan, The Evolution of Treaty Obligations in International Law, in: Georg Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, Oxford UP 2013, 69, 78. 1089 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVK) (23. Mai 1969) 1155 UNTS 331. 1090 Robin R. Churchill, The Impact of State Practice on the jurisdictional framework Contained in the LOS Convention, in: Alex G Oude Elferink (Hrsg.), Stability and Change in the Law of the Sea: The Role of the LOS Convention, Martinus Nijhoff, 2005, 93; Jean Marc Sorel/ Valérie Boré Eveno, 1969 Vienna Convention, Article 31 – General Rule of interpretation, in: Olivier Corten/Pierre Klein (Hrsg.), The Vienna Convention on the Law of Treaties – A Commentary, Bd. 1, Oxford UP 2011, 804, 828; Georg Nolte, Second report on subsequent agreements and subsequent practice in relation to the interpretation of treaties (26. März 2014) UN Doc A/CN.4/671, Sektion VII, 49 ff.; Marcelo Kohen, Keeping Subsequent Agreements and Practice in Their Right Limits, in: Georg Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, Oxford UP 2013, 34, 35 ff. 1091 Statut des Internationalen Gerichtshofs (24. Oktober 1945) UNCIO Bd. 15, 355, auf Deutsch BGBl 1973 II, 505. 1092 D. IV. 1093 WTO Appellate Body, Japan – Taxes on Alcoholic Beverages II (4. Oktober 1996) WT/ DS8/AB/R, WT/DS10/AB/R und WT/DS11/AB/R, Sektion E, 11. 1094 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVK) (23. Mai 1969) 1155 UNTS 331. 1088
I. Spätere Staatenpraxis oder Gewohnheitsrecht?
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wendbar ist, kann das Handeln nichtstaatlicher Völker nur im sehr engen Rahmen überhaupt als Staatenpraxis i.S.d. WVK anerkannt werden. Zunächst wird es als spätere Praxis überhaupt nur dort relevant, wo ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen Staaten existiert und dieser in seinem Wortlaut genug Interpretationsspielraum für spätere Praxis lässt. Für die hier untersuchte Problematik kommen in erster Linie zwischenstaatliche Grenzverträge in Betracht, welche Grenzübertrittsrechte zwar festlegen, in Detailfragen aber noch Interpretationsspielraum zulassen. Zum Beispiel kann ein bestehender Grenzvertrag, wie jener zwischen Sudan und Südsudan von 20131095 durch Staatenpraxis hinsichtlich der berechtigten nomadischen Gruppen erweiternd ausgelegt werden. In dem Vertrag heißt es unter anderem: „The Parties shall regulate, protect and promote the livelihoods of border communities without prejudice to the rights of the host communities and in particular those of the nomadic and pastoral communities especially their seasonal customary right to cross, with their livestock the international boundary between the Parties for access to pasture and water.“1096
Der Begriff der „border communities“ ist recht vage und lässt in seiner beabsichtigten territorialen Ausdehnung einen großen Interpretationsspielraum zu. Dieser kann im Lichte der späteren Staatenpraxis ausgelegt werden, z. B. indem er all jene Gemeinschaften umfasst, die von nah und fern die Grenze tatsächlich frequentieren. Indem dieser Vertrag i.S.d. Art. 1 WVK zwischen zwei Staaten geschlossen wurde, darf allerdings auch nur die Praxis dieser Staaten für die Interpretation dieses Vertrags eine Rolle spielen. Anders als das Gewohnheitsrecht, ist die spätere Staatenpraxis nämlich eng mit dem zugrundeliegenden Vertrag verbunden, welchen sie lediglich interpretativ beeinflusst. Relevant kann daher auch nur die Praxis der Vertragsparteien im engen Sinne sein,1097 nicht jedoch die Praxis von Rechtssubjekten, die nicht selbst unmittelbar Vertragspartei sind.1098 Sofern das fragliche Handeln nicht von staatlichen Organen selbst ausgeht, bedarf es daher einer Verknüpfung, die es zulässt das nomadische Handeln als staatliches zu werten. Dass dies grundsätzlich möglich ist, bekräftigte der IGH im Grenzstreit zwischen Botswana und Namibia über die territoriale Zugehörigkeit der Insel Kasikili/Sedudu, lehnte im konkreten Fall eine Anerkennung des nomadischen Handelns als Staatenpraxis allerdings ab: 1095
Sudan ./. Südsudan, Art. 14 Agreement between the Republic of the Sudan and the Republic of South Sudan on Border Issues (27. September 2012), online unter: http://www.pe aceau.org/uploads/sudan-south-sudan-agreements-22-10-2012.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 1096 Ebd., Art. 14. 1097 Marcelo Kohen, Keeping Subsequent Agreements and Practice in Their Right Limits (Fn. 1090) 41. 1098 Georg Nolte, Third report on subsequent agreements and subsequent practice in relation to the interpretation of treaties (7. April 2015) UN Doc A/CN.4/683, Draft Conclusion 5, 29.
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E. Nomadische Grenzübertrittsrechte im Völkergewohnheitsrecht
„The Court concludes from the foregoing that the peaceful and public use of Kasikili/Sedudu Island, over a period of many years, by Masubia tribesmen from the Eastern Caprivi does not constitute „subsequent practice in the application of the [1890] treaty“ within the meaning of Article 31, paragraph 3 (b), of the Vienna Convention on the Law of Treaties.“1099
Der IGH stellte mit dieser Aussage fest, dass aus den Grenzübertritten privater Personen ohne hoheitlichen Auftrag keine Zuordnung territorialer Souveränität möglich ist.1100 Obwohl er es im konkreten Fall ablehnte, das Verhalten der Nomaden als staatliches Handeln zu qualifizieren, entwickelte er dennoch einige Maßstäbe, unter welchen Voraussetzungen auch nichtstaatliches Verhalten Staatenpraxis i.S.d. Art. 31 III b WVK1101 darstelle. Den Rahmen hierfür steckte er sehr restriktiv ab: So müsse sich erstens in dieser Praxis die Rechtsauffassung staatlicher Autoritäten wiederspiegeln und zweitens die Autoritäten des jeweils anderen Staates müssten dies wissen und gleichfalls als Bestätigung des Vertragsinhalts anerkennen.1102 Wie streng der IGH bei der Anerkennung eines bestimmten Verhaltens als staatlicher Praxis ist, wird daran deutlich, dass nicht einmal das Handeln unterer Grenzbeamter für die Begründung einer späteren Staatenpraxis i.S.d. WVK1103 ausreichen soll, falls dies in Unkenntnis der höheren Beamtenebene erfolgte.1104 Wenn bereits an die Handlungen staatlicher Beamter derart hohe Hürden geknüpft werden, so müssen umso strengere Anforderungen gelten, wenn nichtstaatliche Entitäten handeln. Spätere Staatenpraxis besteht im Ergebnis ausschließlich aus exekutiven, legislativen und judikativen Akten des Staates oder solcher Einheiten, die formell mit Staatsaufgaben betraut sind.1105 Marcelo Kohen warnt zu Recht vor der Versuchung, jegliche nach Abschluss eines Vertrages auftretende Praxis als Subsequent Practice
1099 IGH, Case concerning Kasikili/Sedudu Island (Botswana ./. Namibia) Judgment (13. Dezember 1999) ICJ Rep 1999, 1045, Rn. 75. 1100 Vgl. in diesem Sinne auch: IGH, Sovereignty over Pulau Ligitan and Pulau Sipadan (Indonesia ./. Malaysia) Judgment (12. Dezember 2002) ICJ Rep 2002, 625, Rn. 99. 1101 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVK) (23. Mai 1969) 1155 UNTS 331. 1102 IGH, Case concerning Kasikili/Sedudu Island (Botswana ./. Namibia) ICJ Rep 1999, 1095, Rn. 74. 1103 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVK) (23. Mai 1969) 1155 UNTS 331. 1104 IGH, Case concerning the Temple of Preah Vihear (Kambodscha ./. Thailand) Merits (15. Juni 1962) ICJ Rep 1962, 14, 25; vlg insbesondere die Auswertung dieses Umstands im Lichte der „Subsequent Practice“ bei: Georg Nolte, First report on subsequent agreements and subsequent practice in relation to treaty interpretation (19. März 2013) UN Doc A/CN.4/660, 47. 1105 Richard Gardiner, Treaty Interpretation, Oxford UP 2008, 228; vgl. auch: US/Iranian Claims Tribunal, The United States of America (and others) and the Islamic Republic of Iran (and others), Award 108-A-16/582/591-FT (25. Januar 1984) 5 Iran-USCTR 57, 71.
I. Spätere Staatenpraxis oder Gewohnheitsrecht?
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zu behandeln.1106 Dass nomadisches Verhalten als Staatenpraxis i.S.d WVK angesehen wird, ist daher vor allem dann denkbar, wenn ein Staat formal bestimmte Kompetenzen im Rahmen einer rechtspluralistischen Verschränkung an nomadische Völker delegiert hat. Nur dann kann deren Verhalten unter Umständen der Staatenpraxis zugeordnet werden und für die Interpretation eines völkerrechtlichen Vertrages nach Art. 31 III b WVK1107 eine Rolle spielen. Nicht erforderlich ist es, dass eine solche Praxis aktiv von beiden Vertragsparteien ausgeht.1108 Vielmehr ist es ausreichend, wenn ein Staat passiv die aktive Praxis der anderen Partei duldet, solange in der Praxis ein allen gemeinsames Verständnis zum Ausdruck kommt,1109 oder – wie James Crawford es ausdrückt: „… Article 31(3) […] looks for something which is, if not by all the parties, at least opposable to them.“1110
Einer solch aktiv/passiven Praxis ist – so der IGH – genüge getan, wenn (1) eine Partei mit ihrer Praxis eine gewisse Rechtsüberzeugung verbindet und (2) die andere Partei hiervon Kenntnis hat und diese Praxis auch als Ausdruck der Vertragsinterpretation begreift.1111 Für die Grenzübertrittsrechte von Nomaden bedeutet dies, dass für diese im Rahmen des Art. 31 III b WVK1112 überhaupt nur dann Raum ist, wenn sie im jeweiligen Grenzvertrag bereits explizit angelegt sind, wie es etwa zwischen dem Sudan und Südsudan der Fall ist.1113 Die interpretative Bedeutung der Praxis beschränkt sich dann allerdings auf Detailfragen, wie z. B. bestimmte Wanderrouten und Wanderzeiträume. 1106
Marcelo Kohen, Keeping Subsequent Agreements and Practice in Their Right Limits (Fn. 1090) 34. 1107 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVK) (23. Mai 1969) 1155 UNTS 331. 1108 Giovanni Distefano, La pratique subséquente des États parties à un traité (1994) AFDI, 41, 48; International Law Commission, Commentary to Art. 37, § 3 b) Report of the Commission to the General Assembly, Doc A/6309/Rev. 1 (2/1966) YbILC 222; PCA, Affaire de l’indemnité russe (Russland ./. Türkei) Sentence (11. November 1912) RSA, Bd. XI, 421, 431. 1109 IGH, Case concerning Kasikili/Sedudu Island (Namibia ./. Botswana) Judgment (13. Dezember 1999) ICJ Rep 1999, 1045, Rn. 63, 73 – 75. 1110 James Crawford, A Consensualist Interpretation of Article 31(3) of the Vienna Convention on the Law of Treaties, in: Georg Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, Oxford UP 2013, 29, 30 f. 1111 IGH, Case concerning Kasikili/Sedudu Island (Namibia ./. Botswana) Judgment (13. Dezember 1999) ICJ Rep 1999, 1045, Rn. 74. 1112 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVK) (23. Mai 1969) 1155 UNTS 331. 1113 Sudan ./. Südsudan, Art. 14 Agreement between the Republic of the Sudan and the Republic of South Sudan on Border Issues (27. September 2012), online unter: http://www.pe aceau.org/uploads/sudan-south-sudan-agreements-22-10-2012.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018).
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E. Nomadische Grenzübertrittsrechte im Völkergewohnheitsrecht
Praxis jenseits dieser vertraglichen Regelungen ist für das Völkervertragsrecht nicht gänzlich irrelevant. Sie ist allerdings keine Praxis „which establishes the agreement of the parties“ i.S.d. Art. 31 III b WVK1114. Vielmehr handelt es sich um eine parallele Praxis, welche den jeweiligen Vertrag lediglich begleitet und daher geringeren interpretativen Gehalt hat.1115 Georg Nolte benutzt hierfür die Umschreibung der späteren Praxis im weiteren Sinne.1116 Diese stellt kein authentisches Interpretationsmittel dar, kann jedoch als ergänzendes Interpretationsinstrument i.S.v. Art. 32 WVK1117 herangezogen werden.1118 Noch schwieriger ist die Qualifikation als interpretierende Staatenpraxis, wenn ein bestimmtes Handeln nicht nur im Vertrag nicht angelegt ist, sondern, wenn dieses dessen Wortlaut ausdrücklich widerspricht. Die Interpretation eines Vertrags anhand der späteren Praxis darf dem expliziten Wortlaut nämlich nicht entgegenlaufen,1119 denn sonst würde sie in eine „Customary Modification“ umschlagen.1120 Der Unterschied besteht darin, dass Subsequent Practice die Interpretation modifiziert, wohingegen späteres Gewohnheitsrecht durch den Lex-posterior-Grundsatz den Inhalt der Vertragsbestimmung selbst verändert.1121 Eine Vertragsveränderung durch Subsequent Practice wurde in einem ILC-Entwurf von 1966 angeregt, aber von der Mehrheit der Staaten verworfen.1122
1114 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVK) (23. Mai 1969) 1155 UNTS 331. 1115 Georg Nolte, First report (Fn. 1104) 37 f. 1116 Ebd., 37. 1117 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVK) (23. Mai 1969) 1155 UNTS 331. 1118 Georg Nolte, First report (Fn. 1104) 42. 1119 Robin R. Churchill, The Impact of State Practice on the jurisdictional framework Contained in the LOS Convention, in: Alex G Oude Elferink (Hrsg.), Stability and Change in the Law of the Sea: The Role of the LOS Convention, Martinus Nijhoff, 2005, 93; Jean Marc Sorel/ Valérie Boré Eveno, 1969 Vienna Convention, Article 31 – General Rule of interpretation, in: Olivier Corten/Pierre Klein (Hrsg.), The Vienna Convention on the Law of Treaties – A Commentary, Bd. 1, Oxford UP 2011, 804, 828; intensiv zu dieser Frage auch: Georg Nolte, Second report on subsequent agreements and subsequent practice in relation to the interpretation of treaties (26. März 2014) UN Doc A/CN.4/671, Sektion VII, 49 ff.; Marcelo Kohen, Keeping Subsequent Agreements and Practice in Their Right Limits, in: Georg Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, Oxford UP 2013, 34, 35 ff. 1120 Mark E. Villiger, Commentary on the 1969 Vienna Convention on the Law of Treaties, Martinus Nijhoff 2009, 432; vgl. auch: Richard Gardiner, Treaty Interpretation (Fn. 1105) 243 ff.; Marcelo Kohen, ebd., 35 ff.; Gerhard Hafner, Subsequent Agreements and Practice: Between Interpretation, Informal Modification, and Formal Amendment, in: Georg Nolte (Hrsg.), Treaties and Subsequent Practice, Oxford UP 2013, 105, 114 ff. 1121 Mark E. Villiger, ebd., 432. 1122 Mark E. Villiger, ebd., 432; Draft Article 38, (2/1966) YbILC 236: „A treaty may be modified by subsequent practice in the application of the treaty establishing the agreement of the parties to modify its provisions“.
I. Spätere Staatenpraxis oder Gewohnheitsrecht?
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Sofern die Parteien auf informellem Wege eine nachträgliche Änderung oder Ergänzung der Vertragsbestimmungen beabsichtigen, kann dies nicht im Wege der Interpretation geschehen. „If Practice has resulted in a change of the terms of the treaty, it is permissible to give effect to this change as a revision agreed by the parties, but not as an interpretation of the envisioned terms.“1123
Sobald also die Staatenpraxis über die ursprünglichen Vertragsbestimmungen hinausgeht oder schon gar kein Vertrag vorliegt, handelt es sich nicht mehr um vertragsinterpretierende Praxis i.S.d Art. 31 III b WVK, sondern um (ggf. aufgrund des Lex posterior-Grundsatzes1124) vorrangiges Völkergewohnheitsrecht. 2. Völkergewohnheitsrecht Gemäß Art. 38 I b des IGH-Statutes1125 ist das internationale Gewohnheitsrecht Zeugnis einer allgemeinen als Recht anerkannten Übung der Völkerrechtssubjekte.1126 Diese Definition des IGH-Statutes beinhaltet drei Elemente: Es muss sich um eine (1.) allgemeine (2.) Übung handeln, die (3.) von einer Rechtsüberzeugung (Opinio iuris) getragen wird. a) Allgemeinheit der Übung Der Wortlaut, welcher den Nachweis einer „allgemeinen Übung“ fordert, könnte zu dem Schluss verleiten, nur universelles Völkergewohnheitsrecht sei denkbar bzw.
1123 Ahmed Abou-El-Wafa, Public International Law, 1. Auflage, Dar-Al-Nahda Al Arabia 2002, 137. 1124 Campbell McLachlan, The Evolution of Treaty Obligations in International Law (Fn. 1088) 79 ff.; kritisch diesbezüglich Richard Gardiner, Treaty Interpretation (Fn. 1105) 242 f., der zwischen der eng am Wortlaut klebenden „Evolutive Interpretation“ und der etwas weiteren „Subsequent Practice“ unterscheidet. Zum Verhältnis zwischen „Evolutive Interpretation“ und „Subsequent Practice“, vgl. auch: Georg Nolte, First report on subsequent agreements and subsequent practice in relation to treaty interpretation (19. März 2013) UN Doc A/ CN.4/660, 24 ff. 1125 Statut des Internationalen Gerichtshofs (24. Oktober 1945) UNCIO Bd. 15, 355, auf Deutsch BGBl 1973 II, 505. 1126 Diese Formulierung des IGH-Statuts begegnet in der Literatur zahlreicher Krititk, denn keineswegs ist das Gewohnheitsrecht Ausdruck einer Übung. Vielmehr ist die Übung lediglich Nachweis des Gewohnheitsrechts. (vgl. David J. Bederman, Custom as a Source of Law, Cambridge UP 2010, 142 f.; Gerald J. Postema, Custom in International Law: A Normative Practice Account, in: Amanda Perreau-Saussine/James Bernard Murphy (Hrsg.), The Nature of Customary Law, Cambridge UP 2007, 279, 281; Charles Rousseau, Principes Generaux du Droit International Public, Pedone 1944, 825).
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E. Nomadische Grenzübertrittsrechte im Völkergewohnheitsrecht
zumindest „common and widespread practice among many States“.1127 Aus einer lediglich bilateralen Praxis der Tolerierung nomadischer Wanderungen könne somit kein Gewohnheitsrecht entstehen. Die Offenheit von bilateralen Staatsgrenzen für Nomaden scheint somit auf den ersten Blick bereits durch ihre fehlende Allgemeinheit der Entstehung von Völkergewohnheitsrecht entgegenzustehen. Allerdings hat der IGH im Urteil über die Transitrechte zwischen Indien und Portugal klargestellt: „It is difficult to see why the number of States between which a local custom may be established on the basis of long practice must necessarily be larger than two. The Court sees no reason why long continued practice between two States accepted by them as regulating their relations should not form the basis of mutual rights and obligations between the two States.“1128
Auch in der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass neben allgemeinem sowohl regionales, als auch bilaterales Gewohnheitsrecht möglich ist.1129 Allerdings unterliegt dieses gegenüber allgemeinem Gewohnheitsrecht zwei Besonderheiten: Zum einen muss es stillschweigend von allen betroffenen Parteien anerkannt werden. Zum anderen liegt die Beweislast für die Existenz einer solchen Regel bei dem Staat, der sich auf partikuläres Gewohnheitsrecht beruft.1130 b) Verhältnis zwischen Staatenpraxis und Opinio iuris Indem das IGH-Statut1131 in Art. 38 I b festlegt, dass das Gewohnheitsrecht Zeugnis einer als Recht anerkannten Übung ist, definiert es diese beiden Elemente als Grundvoraussetzungen des Völkergewohnheitsrechts. Allerdings ist bis heute umstritten, in welchem Verhältnis diese beiden Elemente zueinander stehen. Während deduktive Ansätze einzelne Rechtsnormen von „höheren“ Rechtsquellen ableiteten, schließen induktive Ansätze von den Beispielen einer vorhandenen Staatenpraxis auf rechtlich Gewolltes.1132 Der deduktiven Vorstellung der 1127 Mark E. Villiger, Customary International Law and Treaties, Martinus Nijhoff 1985, 13 (Hervorhebung hinzugefügt). 1128 IGH, Case concerning Right of Passage over Indian Territory (Indien ./. Portugal) Merits (12. April 1960) ICJ Rep 1960, 6, 39; vgl. auch IGH, Dispute regarding Navigational and Related Rights (Costa Rica ./. Nicaragua) Judgment (13. Juli 2009) ICJ Rep 2009, 213, Rn. 141. 1129 Torsten Stein/Christian von Buttlar, Völkerrecht 13. Auflage, Vahlen 2012, Rn. 138; Stephan Hobe, Einführung in das Völkerrecht, 9. Auflage, A Francke 2008, 183; Malcolm N. Shaw, International Law, 5. Auflage, Cambridge UP 2003, 87. 1130 Antonio Cassese, International Law (Fn. 465) 164. 1131 Statut des Internationalen Gerichtshofs (24. Oktober 1945) UNCIO Bd. 15, 355, auf Deutsch BGBl 1973 II, 505. 1132 Birgit Schlütter, Developments in Customary International Law: Theory and the Practice of the International Court of Justice and the International ad hoc Criminal Tribunals for Rwanda and Yugoslavia, Martinus Nijhoff 2010, 16.
I. Spätere Staatenpraxis oder Gewohnheitsrecht?
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Naturrechtler, wonach sich das Recht aus einem höheren „heiligen“ Recht ableitete, stellte der frühe Positivismus die induktive Methode gegenüber.1133 Später traten normative Herangehensweisen, wie Hans Kelsens „reine Rechtslehre“1134 als Schattierungen des Positivismus hinzu. Nach der positiven Sichtweise gilt als Recht was „ist“, während Naturalisten das Recht von dem was „sein soll“ aufbauen.1135 Innerhalb des Positivismus gibt es neben Strömungen, die gleichberechtigt auf den klassischen Elementen des Völkergewohnheitsrechts (Staatenpraxis und Opinio iuris) aufbauen, solche, die jeweils das eine oder das andere Element in den Vordergrund stellen.1136 aa) Voluntaristische Theorien Die voluntaristischen Theorien gehen v. a. auf Heinrich Triepel, Hugo Grotius und Cornelius van Bynkershoek zurück1137 und sind stark von Hegel’scher Philosophie beeinflusst.1138 Nach ihnen besteht Völkergewohnheitsrecht in Wahrheit nicht aus zwei, sondern nur aus einem Element – der Opinio iuris.1139 Nach der Lotus-Entscheidung des StIGH entspringen völkerrechtliche Rechtsregeln dem freien Willen der Staaten, der sich u. a. in Gewohnheiten ausdrückt, die als Rechtsprinzipien anerkannt werden.1140 Nach voluntaristischem Verständnis ist Gewohnheitsrecht das Ergebnis eines stillschweigenden Konsenses.1141 Den Voluntaristen zufolge kann die Staatenpraxis zwar als Indiz auf eine bestehende Rechtsüberzeugung hindeuten, ist 1133 Malcolm Shaw, International Law, 5. Auflage, Cambridge UP 2003, 25; Birgit Schlütter, Developments in Customary International Law (Fn. 1132) 17. 1134 Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Auflage, Deuticke 1960. 1135 Birgit Schlütter, Developments in Customary International Law (Fn. 1132) 17. 1136 Ebd., 17 f. 1137 Mark E. Villiger, Customary International Law and Treaties (Fn. 1127) 20. 1138 Birgit Schlütter, Developments in Customary International Law (Fn. 1132) 18; Martti Koskenniemi, Civilizer (Fn. 133) 188 ff. 1139 Bin Cheng, Custom: The Future of General State Practice in a Divided World, in: Ronald St. John Macdonald/Douglas Miller Johnston (Hrsg.), The Structure and Process of International Law, Martinus Nijhoff 1986, 513, 531. 1140 StIGH, The Case of the S.S. „Lotus“ (7. September1927) Series A Nr. 10, 18; nach dem Lotus-Urteil war passives Verhalten kaum geeignet Rückschlüsse auf Völkergewohnheitsrecht zuzulassen. (vgl. Tomasz Milej, Rechtsquellen, in: Wolff Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Casebook Völkerrecht, C. H. Beck 2005, 71, 116). 1141 Birgit Schlütter, Developments in Customary International Law (Fn. 1132) 20 ff.; Brian D. Lepard, Customary International Law: A New Theory with Practical Applications, Cambridge UP 2010, 16; Karol Wolfke, Custom in Present International Law, 2. Auflage, Martinus Nijhoff 1993, 160 ff.; SCOTUS, Ware ./. Hylton (1796) 3 US (3 Dall.) 1999, 227; Gregorij Ivanovich Tunkin, Völkerrechtstheorie, in der Übersetzung von Helga Müller und Vera Rathfelder, herausgegeben von Theodor Schweisfurth, Berlin Verlag 1972, 154; Igor I. Lukashuk, Customary Norms in Contemporary International Law, in: Jerzy Makarczyk (Hrsg.), Theory of International Law at the Threshold of the 21st Century – Essays in honour of Krzysztof Skubiszewski, Kluwer 1996, 487, 488.
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E. Nomadische Grenzübertrittsrechte im Völkergewohnheitsrecht
jedoch selbst kein zwingendes Element des Gewohnheitsrechts.1142 Virulent werden voluntaristische Theorien v. a. bei ethisch aufgeladenen Prinzipien, wie Menschenrechten, welche trotz einer eindeutigen Rechtsüberzeugung in der Praxis häufig missachtet werden.1143 Weiterhin vermögen sie das „Instant Customary Law“ zu erklären: Ihnen zufolge ist allein Opinio iuris für das Entstehen einer neuen Völkerrechtsregel entscheidend.1144 Staatenpraxis ist nach den „Instantisten“ nur Beleg für eine Opinio iuris, aber z. B. in neuen Rechtsmaterien, wie dem Weltraumrecht, entbehrlich. bb) Praxis-induktive Theorien Unter den Positivisten sind Theorien, die sich v. a. auf Staatenpraxis stützen, recht häufig.1145 Insbesondere die ILC baut die Existenz von Völkergewohnheitsrecht v. a. auf dem Vorliegen einer Staatenpraxis auf.1146 Um Völkergewohnheitsrecht von bloßer Courtoisie zu unterscheiden, rekurrieren indes auch die meisten vornehmlich praxisbetonten Theorien auf eine Opinio iuris:1147 Diese bedeute: „those shared understandings which enable States to distinguish between legally relevant and legally irrelevant State practice.“1148
Streng genommen handelt es sich bei den Praxis-induktiven Theorien somit um duale Theorien1149 mit deutlich stärkerem Fokus auf der Staatenpraxis. Diese Betonung der Staatenpraxis gegenüber der Opinio iuris fußt v. a. darauf, dass in einer existierenden Staatenpraxis ein Prima-Facie-Beweis einer entsprechenden Rechtsüberzeugung gesehen wird.1150 Erforderlich ist somit für die Begründung von Gewohnheitsrecht eine Staatenpraxis und eine Rechtsüberzeugung, welche wiederum durch die bereits bejahte Staatenpraxis manifestiert wird. Dieser Ansicht schloss sich im Gulf of Maine Case auch der IGH an: „customary international law […] in fact comprises a limited set of norms for ensuring the co-existence and vital co-operation of the members of the international community, together 1142
Brian D. Lepard, ebd., 98. Ebd. 1144 Bin Cheng, Custom (Fn. 1136) 531; Bin Cheng, United Nations Resolutions on Outer Space: „Instant“ International Customary Law? (1965) IJIL, 23, 36. 1145 Birgit Schlütter, Developments in Customary International Law (Fn. 1132) 26; Eric Suy, Les Actes Unilatéraux en Droit International Public, Librairie générale de droit et de jurisprudence 1962, 265. 1146 International Law Commission, Report of the ILC to the General Assembly, A/1316, (1950) YbILC 367 – 374. 1147 Birgit Schlütter, Developments in Customary International Law (Fn. 1132) 27. 1148 Michael Byers, Custom, Power and the Power of Rules: International Relations and Customary International Law, Cambridge UP 2001, 148. 1149 E. I. 2. ee). 1150 IGH, North Sea Continental Shelf (Deutschland ./. Dänemark; Deutschland ./. Niederlande) Sondervotum Richter Manfred Lachs (20. Februar 1969) ICJ Rep 1969, 3, 219, 231. 1143
I. Spätere Staatenpraxis oder Gewohnheitsrecht?
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with a set of customary rules whose presence in the opinio iuris of States can be tested by induction based on the analysis of a sufficiently extensive and convincing practice, and not by deduction from pre-conceived ideas.“1151
Dies gilt umso mehr, wenn das Gewohnheitsrecht seit einer Zeit und in einer Region besteht, in der die „internationalen“ Beziehungen seit jeher primär durch Praxis, anstatt durch präzise formulierte Regeln bestimmt wurden,1152 wie dies in den von Nomaden durchwanderten Gebieten häufig der Fall ist. Allerdings muss dann diese Praxis zeitlich bis in den Geltungszeitraum des modernen Völkerrechts fortdauern, da eine Praxis unter präkolonialen Biradikalordnungen nicht ohne Weiteres an den Maßstäben des modernen Völkerrechts gemessen werden kann. cc) Normativistische Theorien Der Normativismus geht v. a. auf Hans Kelsen zurück und steht den Voluntaristen diametral entgegen.1153 Nach Kelsens Auffassung lässt sich ein willentlicher Konsens kaum vom Konzept der Naturrechtler unterscheiden.1154 Ihm zufolge entsteht internationales Recht daher durch Gewohnheit und findet seinen Ausdruck in der Grundnorm.1155 Die Grundnorm entsteht, indem Juristen das Verhalten von Staaten rechtlich auslegen.1156 Auf den Punkt gebracht besagt die normativistische Theorie zum Völkergewohnheitsrecht: „The basis of customary law is the general principle that we ought to behave in the way our fellow men usually behave and during a certain period of time used to behave.“1157
Auch spätere gemäßigte Normativisten diminuieren die Bedeutung der Opinio iuris für die Entstehung von Gewohnheitsrecht.1158 Für Peter Haggenmacher etwa 1151 IGH, Case concerning Delimitation of the Maritime Boundary in the Gulf of Maine Area (Kanada ./. USA) Judgment (12. Oktober 1984) ICJ Rep 1984, 246, Rn. 111. 1152 IGH, Case concerning Right of Passage over Indian Territory (Indien ./. Portugal) Merits (12. April 1960) ICJ Rep 1960, 6, 44. 1153 Birgit Schlütter, Developments in Customary International Law (Fn. 1132) 27. 1154 Hans Kelsen, Principles of International Law, 1. Auflage, Rinehart & Co 1952, 311, 316. 1155 Hans Kelsen, Théorie du Droit International Coutumier (1939) RITD, 253, 258. 1156 Hans Kelsen, Principles of International Law (Fn. 1154) 314. 1157 Ebd., 307; vgl. i.d.S. auch Anthony A. D’Amato, the Concept of Custom in International Law, Cornell UP 1971, 195, 198. 1158 Peter Haggenmacher, La doctrine des deux élements du droit coutumier dans la pratique de la cour internationale (1986) RGDIP, 5, 103, 114; Maurice H. Mendelson, The Subjective Element in Customary International Law (1995) BYbIL, 177, 184 ff.; Rein Müllerson, On the Nature and Scope of Customary International Law (1997) ARIEL, 341, 347; ILA Committee on Formation of Customary (General) International Law, Final Report of the Committee (2000), online unter: https://ila.vettoreweb.com/Storage/Download.aspx?DbStorageId=1108&StorageFileGuid=aa9a113a-0760-4546-b755-b8505ae3a670 (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018), 12; ILA, Resolution 16/2000, Formation of General Customary International Law (2000), online unter: https://ila.vettoreweb.com/Storage/Download.aspx?DbStorageId=1108
220
E. Nomadische Grenzübertrittsrechte im Völkergewohnheitsrecht
dient dieses nur der Auslegung von Völkergewohnheitsrecht, nicht aber dessen Entstehung.1159 Vom Kelsen’schen Normativismus unterscheiden sich die späteren Normativisten dadurch, dass sie diesen für zu radikal halten und die gewohnheitsrechtliche Staatenpraxis daher entweder durch höhere Prinzipien ergänzen1160 oder wertaufgeladene Normen wie Menschenrechte von ihrem Anwendungsbereich ausklammern, da diese in der Praxis permanent unterlaufen würden.1161 Vom Gewohnheitsrecht sollen daher ausschließlich Normen, die wertneutral sind, umfasst sein.1162 Korrigiert werden unerwünschte Ergebnisse der Staatenpraxis somit nicht durch Rückgriff auf die Opinio iuris, sondern durch den naturrechtlichen Einschlag wertender Prinzipien. Indem Kelsen die Jellinek’sche Gebietstheorie ablehnte,1163 qualifizieren sich bei ihm auch nomadische Stämme als „Staaten“. Deren Verhalten ist für die Herausbildung von Gewohnheitsrecht somit genauso relevant wie staatliches Handeln im strengen Sinne. Im tatsächlichen grenzenlosen Wandern der Nomaden würde sich somit für Kelsen eine Rechtsregel manifestieren. In diese Richtung tendiert auch der IGH, indem er aus der gelebten Praxis von Bevölkerungsgruppen auf die Existenz von Völkergewohnheitsrecht schließt.1164 Für den strengen Normativismus unter Berücksichtigung des vom IGH erweiterten „Staaten“-Praxis-Begriffs, ergibt sich somit aus den faktisch stattfindenden nomadischen Wanderungen ein gewohnheitsrechtliches Recht auf Grenzübertritt für Nomaden. Dieses ist jedoch regional begrenzt auf jene Gebiete, in denen eine solche Praxis tatsächlich besteht. Die späteren Normativisten verliehen dem Kelsen’schen Normativismus einen naturrechtlichen Einschlag, indem sie die rechtsprägende Wirkung der Staatenpraxis in moralisch sensiblen Bereichen abmilderten. Wie ein solch eingeschränkter Normativismus mit nomadischen Wanderrechten umgeht, hängt also stark vom im Folgenden zu beleuchtenden naturrechtlichen Blickwinkel ab.
&StorageFileGuid=aa9a113a-0760-4546-b755-b8505ae3a670 (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018); Georges Abi-Saab, The 1977 Additional Protocols and General International Law, in: Astrid Delissen/Tanja Gerard (Hrsg.), Humanitarian Law of Armed Conflict: Challenges Ahead, Martinus Nijhoff 115, 124. 1159 Peter Haggenmacher, ebd. 1160 Peter Haggenmacher, ebd., 118. 1161 Rein Müllerson, Ordering Anarchy: International Law in International Society, Martinus Nijhoff 2000, 228. 1162 Rein Müllerson, ebd.; Rein Müllerson, On the Nature and Scope of Customary International Law (Fn. 1158) 356. 1163 Hans Kelsen, Allgemeine Staatslehre, (Fn. 175) 147. 1164 s. u. E. I. 2. d); IGH, Dispute regarding Navigational and Related Rights (Costa Rica ./. Nicaragua) Judgment (13. Juli 2009) ICJ Rep 2009, 21, Rn. 141.
I. Spätere Staatenpraxis oder Gewohnheitsrecht?
221
dd) Naturrechtliche Theorien Obwohl die naturrechtlichen Konzeptionen des 16. Jahrhunderts die Basis des heutigen Völkerrechts bilden, hat mit der Wende vom Naturrecht zum positiven Recht im 19. Jahrhundert das reine Naturrecht stark an Bedeutung eingebüßt. Heute spielen naturrechtliche Gedanken v. a. dann eine Rolle, wenn bestimmte moralische Prinzipien die Geltung des positiven Rechts begrenzen sollen. Einen reinen naturrechtlichen Ansatz vetritt heute noch Fernando Téson1165, der auf Dworkin1166 und Rawls1167 zurückgreifend, den Inhalt einer gewohnheitsrechtlichen Norm aus einer wertenden Betrachung entnimmt, die sich in ein breiteres moraltheoretisches Konzept einfügt,1168 denn der Konsens der Staaten könne sich sonst auch in einer unmoralischen Praxis widerspiegeln.1169 Nach naturrechtlicher Auffassung geht letztlich das gesamte Völkerrecht auf Rechtsbrauch und Sitte und nicht auf ausdrückliche Vereinbarung zurück.1170 Das Pendant zur Opinio iuris der Positivisten ist im Naturrecht die „Sitte“,1171 oder anders ausgedrückt, höhere moralische Prinzipien.1172 Im Gegensatz zur früheren göttlichen Herleitung des Naturrechts gehören zu den Kernprinzipien heutiger Naturrechtsauffassungen v. a. die Menschenrechte.1173 Den frühen Naturrechtlern war eine Beschränkung des menschlichen Rechts auf Freizügigkeit durch Staatsgrenzen generell fremd.1174 Würde man auch das heutige Völkerrecht nicht vom Staat, sondern vom Menschen und dessen Menschenrechten her denken, wie dies z. B. Anne Peters fordert,1175 so müsste nicht ein einreisender Nomade seinen Einreisewunsch rechtfertigen, sondern umgekehrt der Zielstaat seine Grenzschließung. Rechtsphilosophisch lässt sich dieser Ansatz etwa mit Robert Nozick begründen, wonach der Staat keine anderen Rechte hat, als jene Rechte durchzusetzen, die seinen Bürgern schon im „State
1165 Fernando R. Téson, Humanitarian Intervention, Transnational Publishers 1991, 10 ff.; Fernando R. Téson, A Philosophy of International Law, Westview 1998, 92. 1166 Ronald Dworkin, Law’s Empire, Harvard UP 1993, 87. 1167 John Rawls, A Theory of Justice, Harvard UP 1971. 1168 Birgit Schlütter, Developments in Customary International Law (Fn. 1132) 47. 1169 Fernando R. Téson, A Philosophy of International Law (Fn. 1165) 92. 1170 Johannes Messner, Das Naturrecht, Tyrolia Verlag 1960, 334. 1171 Ebd. 1172 Christian Freiherr von Wolff, Philosophia Practica Universalis, verwendet in der Auflage Georg Olms Verlag 1971, §§ 129, 130, 135, 273. 1173 Johannes Messner, Das Naturrecht (Fn. 1170) 335 f. 1174 Francisco de Vitoria, De Indis (Fn. 165) 3. Teil, Nr. 2; Hugo Grotius, Krieg und Frieden, (Fn. 168) Erster Band, Buch II, Kapitel II, XIII; John Selden, Mare Clausum (Fn. 333) Buch I, Kapitel XX, 124; Immanuel Kant, Zum Ewigen Frieden, Dritter Definitivartikel (Fn. 168) 357 f. 1175 Anne Peters, Jenseits der Menschenrechte (Fn. 234) 469 ff.
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E. Nomadische Grenzübertrittsrechte im Völkergewohnheitsrecht
of Nature“ zustehen.1176 Im State of Nature muss es aber mangels Existenz von Territorialstaaten eine weltweite Freizügigkeit gegeben haben. Die unbeschränkte staatliche Verfügungsgewalt über die Grenzöffnung widerspricht überdies John Rawls „Veil of Ignorance“, hinter dem die Position des durch Beschränkungen Meistbenachteiligten gewählt würde.1177 Im Falle eines grenzüberschreitenden Wanderrechts wäre dies der einreisewillige Nomade.1178 Dessen Reisefreiheit dürfte nach Rawls nur aus Gründen der Sicherheit und öffentlichen Ordnung beschränkt werden.1179 Anders als das positive Völkerrecht, nach dem Staaten Nomaden die Einreise gewähren können, handelt es sich nach naturrechtlicher Konzeption bei den grenzenlosen nomadischen Wanderrechten um Menschenrechte, welche die Staaten durch ihre Grenzziehungen (meist ungerechtfertigt) beschränken. „However it is important to move beyond the negative critique, to set out a positive element, and here that positive element is the case for a universal human right to freedom of international movement, a right that is so basic that it overrides, except in extremety, a state’s right to prevent people from crossing its border.“1180
Das Naturrecht favorisiert somit die gelebte Praxis grenzüberschreitender Wanderungen. Auch dem Ergebnis des strengen Normativismus steht eine moralische Korrektur nach moralischen u.v.a. menschenrechtlichen Erwägungen somit nicht entgegen. ee) Duale Theorien Die dualen Theorien zum Völkergewohnheitsrecht betrachten Opinio iuris und Staatenpraxis als dessen weitgehend gleichwertige Elemente. So misst der IGH der Opinio iuris neben der Staatenpraxis (mitunter) große Bedeutung bei.1181 Nach der dualen Auffassung müssen die Staaten der Überzeugung sein, dass die geübte Praxis dem geltenden Recht entspricht.1182 Die Hauptfunktion dieser Opinio iuris ist es,
1176 Joseph H. Carens, Aliens and Citizens (Fn. 1071) 253; Robert Nozick, Anarchy, State and Utopia, Basic Books 1974, 10 ff., 88 ff., 108 ff. 1177 John Rawls, A theory of Justice (Fn. 1167). 1178 Joseph H. Carens, Aliens and Citizens (Fn. 1074) 258. 1179 John Rawls, A theory of Justice (Fn. 1167) 212 f. 1180 Phillip Cole, Open Borders: An ethical defense, in: Wellman, Christopher Heath, Cole, Phillip (Hrsg.), Debating the ethics of immigration – is there a right to exclude?, Oxford UP 2011, 157, 160. 1181 IGH, North Sea Continental Shelf (Deutschland ./. Dänemark; Deutschland ./. Niederlande) Judgment (20. Februar 1969) ICJ Rep 1969, 3, 44, Rn. 77; IGH, Case concerning Delimitation of the Maritime Boundary in the Gulf of Maine Area (Kanada ./. USA) Judgment (12. Oktober 1984) ICJ Rep 1984, 246, 293 f. 1182 Vaughan Lowe, International Law (Fn. 126) 38.
I. Spätere Staatenpraxis oder Gewohnheitsrecht?
223
soziale Konventionen, die rechtlich verbindlich sind, von solchen zu unterscheiden, die dies nicht sind.1183 Welche Anforderungen an die Rechtsüberzeugung zu knüpfen sind, ist umstritten. Während einige einen (stillschweigenden) Konsens verlangen,1184 ist es für andere gerade der Zweck des Gewohnheitsrechts, jegliches Konsenserfordernis einer internationalen Verpflichtung zu überwinden.1185 „… custom is obligation involuntarily undertaken – that is, not based on the consent of any given state. No state has a veto over the emergence of a customary norm, which attains its status as such through repeated practice accomplished by opinio iuris.“1186
Den meisten Autoren1187 genügt das bloße Ausbleiben eines dauerhaften Wiederspruchs (Persistent Objector).1188 Teilweise wird auch angenommen, eine mehrheitliche Rechtsüberzeugung könne den entgegenstehenden Willen einzelner Staaten brechen, wenn denn ein genereller Konsens unter der Staatengemeinschaft bestehe.1189 Eng mit dieser Auffassung verwandt ist eine Theorie, nach welcher aus der Staatenpraxis eine widerlegliche Vermutung hinsichtlich der Rechtsüberzeugung erwächst.1190 Diese Vermutung wird durch Acquiescence bestätigt und allein durch expliziten Widerspruch widerlegt. Präzisiert wurde dieses Verständnis durch den Sonderberichterstatter der ILC Manly O. Hudson, der zum Nachweis einer Opinio iuris1191 zwei Kriterien für entscheidend hielt:
1183
148.
Vaughan Lowe, ebd.; Michael Byers, Custom, Power and the Power of Rules (Fn. 1148)
1184 Robert Jennings/Arthur Watts (Hrsg.), Oppenheims International Law, Bd. 1, peace, 9. Auflage, Oxford UP 2008, para 5, 14; Olufemi Elias, The Nature of the Subjective Element in Customary International Law (1995) ICLQ, 501, 513. 1185 Myres S. McDougal/Harold D. Lasswell/Lung-chu Chen, Human Rights and World Public Order: The Basic Policies of an International Law of Human Dignity, Yale UP 1980, 270. 1186 Rosalyn Higgins, Problems and Process: International Law and How We Use It, Clarendon 1994, 34. 1187 Mark E. Villiger, Customary International Law and Treaties (Fn. 1127) 16. 1188 Anthony D’Amato, The Concept of Custom in International Law, Cornell UP 1971, 187 ff.; Ian Brownlie, Principles of Public International Law, 7. Auflage, Oxford UP 2008, 11; vgl. auch: IGH, Colombian-Peruvian asylum case (Kolumbien ./. Peru) Judgment (20. November 1950) ICJ Rep 1950, 266, 277 f.; IGH, Fisheries Case (Großbritannien ./. Norwegen) Judgment (18. Dezember 1951) ICJ Rep 1951, 116, 131. 1189 Sir Gerald Fitzmaurice, The Foundations of the Authority of International Law and the Problem of Enforcement (1956) MLR, 1, 8; David J. Bederman, The Spirit of International Law, The University of Georgia Press 2002, 25; Hilary Charlesworth/Christine Chinkin, The Boundaries of International Law: A Feminist Analysis, Manchester UP 2000, 70; Thomas M. Franck, The Power of Legitimacy Among Nations, Oxford UP 1990, 189 f., 195 ff.; SCOTUS, The Paquete Habana, 175 US 677, 708 (1900); SCOTUS, The Scotia, 81 US 170, 187 (1871). 1190 Richard Reeve Baxter, Treaties and Custom (1/1970) RdC, 25, 69. 1191 David J. Bederman, Custom as a Source of Law (Fn. 1126) 143.
224
E. Nomadische Grenzübertrittsrechte im Völkergewohnheitsrecht
„[…] c) Conception that the practice is required by, or consistent with, prevailing international law; and d) general acquiescence in the practice by other states.“1192
Deutliche Unterschiede zu den Praxis-induktiven Theorien bestehen nach dieser Auffassung nicht mehr.1193 Für die Wanderrechte von Nomaden lässt sich aus den dualen Theorien in ihrer Gesamtheit kein eindeutiger Schluss ziehen. Wenn die dualen Theorien in starker Anlehnung an voluntaristische Theorien einen positiven Konsens verlangen, ist die Existenz eines solchen Gewohnheitsrechts zweifelhaft. Wird hingegen aus der Staatenpraxis eine widerlegliche Vermutung hinsichtlich der Existenz einer gewohnheitsrechtlichen Regel abgeleitet, so ist klärungsbedürftig auf welches Verhalten hierbei abzustellen ist. (Im Detail hierzu s. u. Abschnitt E. I. 2. d). Einerseits können die staatlichen Grenzschließungen als Praxis herangezogen werden, andererseits aber auch die faktisch stattfindenden Grenzübertritte der Bevölkerung.1194 Dass insbesondere letztere für die Formung von Gewohnheitsrecht relevant sind, bekräftigte der IGH1195 im Grenzstreit zwischen Nicaragua und Costa Rica. ff) Multiple Gewohnheitsrechte Verschiedene Autoren stellten fest, dass die entwickelten Theorien nur jeweils auf bestimmte Rechtssätze des Völkergewohnheitsrechts passten, auf andere Rechtssätze hingegen nicht. Demzufolge vertreten sie die Auffassung, es gebe verschiedene Arten von Gewohnheitsrecht. Unter den Vertretern solcher multiplen Gewohnheitsrechte sind etwa René-Jean Dupuy, der zwischen „Coutume sage“ und „Coutume sauvage“ unterscheidet1196 sowie Christian Tomuschat der differenziert zwischen klassischem Gewohnheitsrecht aus Praxis und Opinio iuris sowie deduktivem Gewohnheitsrecht.1197 Das deduktive Gewohnheitsrecht basiere im Wesentlichen auf Opinio iuris, da es alleine auf Erklärungen, statt auf Staatenpraxis aufbaue. Sehr ähnlich differenziert Louis Henkin zwischen „established customary law“ und 1192 Manly O. Hudson, Art. 34 of the Statute of the International law Commission (1950) YbILC, 25, 26, zitierend: James Brierly, The Law of Nations: An Introduction to the Law of Peace, 4. Auflage, Clarendon 1953, 62. 1193 Birgit Schlütter, Developments in Customary International Law (Fn. 1132) 27. 1194 s. u. E. I. 2. c); E. II. 1195 IGH, Dispute regarding Navigational and Related Rights (Costa Rica ./. Nicaragua) Judgment (13. Juli 2009) ICJ Rep 2009, 21, Rn. 141. 1196 René-Jean Dupuy, Coutume Sage et Coutume Sauvage, in: Suzanne Bastide (Hrsg.), La Communauté Internationale – Mélanges offerts à Charles Rousseau, Pedone 1974, 75 ff. 1197 Christian Tomuschat, Obligations Arising for States Without or Against their Will (1993) RdC, 195, 291; i.d.S. auch Anthea E. Roberts, Traditional and Modern Approaches to Customary International Law: A Reconciliation (2001) AJIL, 757, 758.
I. Spätere Staatenpraxis oder Gewohnheitsrecht?
225
„contemporary customary law“, welches sich allein aus „systemic consent“ herleiten soll.1198 Diese Theorien ergänzen die oben dargestellten Ansätze, ersetzen sie aber nicht. Insofern ergibt sich hinsichtlich der nomadischen Freizügkeit kein anderes Subsumtionsergebnis als nach den herkömmlichen Theorien. c) Schlussfolgerung – praxis-induktiver Dualismus Aus voluntaristischer Perspektive lässt sich angesichts der langen Marginalisierung von Nomaden kaum eine positive Rechtsüberzeugung zur Gewähr von Wanderrechten erkennen. Das seit Kurzem in zahlreichen rein politischen Bekenntnissen einiger Regionalorganisationen und der Afrikanischen Union1199 zum Ausdruck kommende Umdenken ist auch kein Zeugnis eines neuen „Instant Custom“. Zweck der Opinio iuris soll es traditionell nämlich gerade sein, das bloß politisch Gewollte vom rechtlich Relevanten zu unterscheiden.1200 Dort, wo Staaten und insbesondere Internationale Organisationen mit rechtlicher Bindungswirkung handeln wollten, haben sie dies in den entsprechenden Formen (Decisions, Regulations etc.) getan.1201 Würde man in den nicht bindenden Erklärungen dennoch die Manifestation einer Opinio iuris sehen, so widerspräche das der Ausdifferenzierung der Regelungsmechanismen in diesen Internationalen Organisationen. Dies kann nur vermieden werden, wenn zur Formung einer verbindlichen Rechtsregel die Opinio iuris durch Staatenpraxis konstitutiv begleitet werden muss. Die praxis-induktiven Theorien hingegen erkennen in der bereits existierenden Praxis einen ausreichenden Beleg für eine entsprechende Opinio iuris. Nach den normativen Theorien ist eine solche Opinio iuris gänzlich entbehrlich, da sich das Gewohnheitsrecht allein aus der Gewohnheit speist. Sofern moderne Normativisten die Kelsen’sche Lehre durch Aufgreifen moralischer Elemente korrigieren, kommen auch diese nicht zu einem abweichenden Ergebnis, ebenso wie rein naturrechtliche Perspektiven. Würde man der voluntaristischen Sichtweise folgen, ließe dies das Völkergewohnheitsrecht nahezu gegenstandslos werden, denn dort, wo ein allgemeiner Konsens hinsichtlich des geltenden Rechts besteht und sich in einer rechtsverbindlichen Form manifestiert hat, wird dies regelmäßig bereits durch entsprechende völkerrechtliche Verträge deutlich. Aufgabe des Völkergewohnheitsrechts ist es jedoch, gerade dort zu greifen, wo ein explizit vertraglich fixierter Konsens nicht vorliegt. Dem Einwand, dass es dem Wesen des Völkerrechts als einem Recht unter Gleichen widerspräche, Staaten gegen ihren Willen rechtlich binden zu können, kann 1198 1199 1200 1201
Louis Henkin, International Law, Politics and Values, Martinus Nijhoff 1995, 38 f. D. IV. 5. b). Michael Byers, Custom, Power and the Power of Rules (Fn. 1148) 148. D. IV. 3. – 4.
226
E. Nomadische Grenzübertrittsrechte im Völkergewohnheitsrecht
entgegnet werden, dass es den Staaten unbenommen ist, gegen eine entsprechende Rechtsregel explizit zu protestieren und so eine Bindungswirkung zu vermeiden.1202 Beim Ausbleiben eines solchen expliziten Widerspruchs kann dann jedoch von der Existenz einer Übung auf ein entsprechendes Völkergewohnheitsrecht geschlossen werden. Die IGH-Entscheidung über die Transitrechte zwischen Indien und Portugal legt nahe, dass der IGH – anders als die Normativisten – die Opinio iuris nicht gänzlich negiert, sie jedoch bereits durch die Staatenpraxis indiziert sieht und mangels Widerspruch hieraus auf ein Völkergewohnheitsrecht schließt.1203 Der IGH bleibt somit seiner dualen Grundlinie treu,1204 geht jedoch davon aus, dass die Staatenpraxis für eine Vermutung hinsichtlich einer entsprechenden Opinio iuris spricht. Indem sich die Opinio iuris aus der Staatenpraxis ableitet, ist der duale Ansatz des IGH dem normativistischen nicht unähnlich, ergänzt ihn jedoch gewissermaßen um eine „Optout“-Möglichkeit. Diesem Ansatz folgen auch nachfolgende Überlegungen zur Frage, ob auch nomadisches Verhalten als Staatenpraxis i.S.d. Völkergewohnheitsrechts gewertet werden kann. Welche Voraussetzungen dabei an das Vorhandensein einer Opinio iuris zu knüpfen sind, wird hieran anschließend beleuchtet. d) Staatenpraxis Klärungsbedürftig ist, inwieweit und warum die Wanderungen von nichtstaatlichen Nomaden als „Staaten“-Praxis zu werten sind. Hierzu soll zunächst beantwortet werden, welche Anforderungen überhaupt an die Urheberschaft und Qualifikation bestimmter Verhaltensweisen als Staatenpraxis i.S.d. Völkergewohnheitsrecht zu stellen sind. Staaten als abstrakte Gebilde sind selbst nicht handlungsfähig, sondern handeln durch Menschen.1205 Es wäre also zunächst denkbar, die Handlung jedes mit Hoheitsgewalt ausgestatten Menschen der Legislative, Exekutive und Judikative als Staatenpraxis zu betrachten.1206 Allerdings wirft Vaughan Lowe zu Recht das Beispiel eines unteren Einwanderungsbeamten am Flughafen auf, welcher nach Gutdünken Immigranten bestimmter Ethnien ablehnt, und verknüpft dieses Beispiel mit der Frage, ob hierin bereits gewohnheitsrechtsrelevantes Staatshandeln zu sehen 1202
Mark E. Villiger, Customary International Law and Treaties (Fn. 1127) 21. IGH, Case concerning Right of Passage over Indian Territory (Indien ./. Portugal) Merits (12. April 1960) ICJ Rep 1960, 6, 39. 1204 IGH, North Sea Continental Shelf (Deutschland ./. Dänemark; Deutschland ./. Niederlande) Judgment (20. Februar 1969) ICJ Rep 1969, 3, Rn. 77; IGH, Continental Shelf (Libyan Arab Jamahiriya ./. Malta) Judgment, (3. Juni 1985) ICJ Rep 1985, 29, Rn. 27; IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion (8. Juli 1996) ICJ Rep 1996, 226, Rn. 64; IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua ./. USA) Merits (27. Juni 1998) ICJ Rep 1986, 14, Rn. 183. 1205 Vaughan Lowe, International Law (Fn. 126) 42. 1206 Ebd., 42. 1203
I. Spätere Staatenpraxis oder Gewohnheitsrecht?
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ist.1207 Die Qualifizierung eines solchen Verhaltens als Staatenpraxis hängt letztlich von dessen hoheitlicher Sanktionierung auf höherer Ebene ab. Dass einzelne Grenzbeamte die Grenzübertritte von Nomaden nicht behindern,1208 spricht somit noch nicht per se für eine entsprechende Consuetudo seitens des Staates. Noch problematischer ist es, einem Staat transnationale Nomadenwanderungen als Staatenpraxis zuzurechnen, die fernab von Grenzposten über die „grüne Grenze“ erfolgen. Während hierin einerseits kein aktives Staatshandeln zu erkennen ist, so muss sich der jeweilige Staat doch andererseits die Frage gefallen lassen, warum er seine Grenzen nicht besser sichert, wenn er solche grenzüberschreitende Wanderungen missbilligt. Kann dem auf Regierungsebene erfolgten Beschluss zur spärlichen Dislozierung von Grenzbeamten angesichts der hierarchischen Stellung dieser Regierung1209 daher nicht ebenfalls der Charakter von Staatenpraxis zugesprochen werden? Ergänzt man diese Frage weiterhin um die Berücksichtigung von privaten Rechtsträgern, die als intermediäre Gewalten eine der Hoheit vergleichbare Stellung einnehmen, wird die Frage nach der Bestimmung von Staatspraxis zur „question of what a State is“1210. Vaughan Lowe kommt zu dem Schluss, dass es viele verschiedene Wege gibt, einen Staat zu organisieren und entsprechend Handlungen als „staatlich“ wahrzunehmen.1211 Wenn beispielsweise in einem Staat stark in die Preisbildung von Waren und Diensten eingegriffen wird, bedeutet dies dann, dass vergleichbares privates Handeln in weniger regulierten Wirtschaftsordnungen ebenfalls Staatenpraxis darstellt?1212 Ist es noch Staatshandeln, wenn beispielsweise das Bildungswesen – sei es aufgrund einer liberalen Wirtschaftsordnung, sei es aufgrund Unvermögens – komplett in privater Hand ist?1213 Wenn diese 2007 im Umfeld der klassischen Staatsordnung von Vaughan Lowe aufgeworfenen Fragen nunmehr noch um das Phänomen des Rechtspluralismus erweitert werden, also einer dezentralisierten Staatsordnung, welche bestimmte Materien indigenen Gemeinschaften in freier Selbstverwaltung überlässt, verschwimmt der Begriff der Staatenpraxis gänzlich. Sobald indigene Gemeinschaften offiziell oder inoffiziell mit exekutiver und judikativer Eigenverantwortung ausgestattet sind, müsste deren Handeln dann ebenfalls als gewohnheitsrechtsbildende Staatenpraxis anerkannt werden. 2009 suchte der IGH zur Bewältigung solcher staatstheoretisch schwierigen Rechtsfragen im Streit zwischen Costa Rica und Nicaragua nach einer pragmati1207 1208 1209 1210 1211 1212 1213
Ebd., 42 f. Laura Salm, Die Angst vor der Rückkehr der Epidemie (Fn. 317 – 320). Vaughan Lowe, International Law (Fn. 126) 43. Ebd., 44. Ebd. Ebd. Ebd.
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E. Nomadische Grenzübertrittsrechte im Völkergewohnheitsrecht
schen Lösung.1214 Diese fand er darin, auch nichthoheitliches Verhalten einer grenznahen Bevölkerung schlicht wie Staatenpraxis zu behandeln. Aus einer Praxis nichtstaatlicher Akteure im Grenzgebiet in Kombination mit der sich im fehlenden Widerspruch manifestierenden Opinio iuris der Staaten schloss der IGH auf ein entsprechendes Völkergewohnheitsrecht: „… the Parties agree that the practice of subsistence fishing is long established. They disagree however whether the practice has become binding on Nicaragua thereby entitling the riparians as a matter of customary right to engage in subsistence fishing from the bank. The Court observes that the practice, by its very nature, especially given the remoteness of the area and the small, thinly spread population, is not likely to be documented in any formal way in any official record. For the Court, the failure of Nicaragua to deny the existence of a right arising from the practice which had continued undisturbed and unquestioned over a very long period, is particularly significant. The Court accordingly concludes that Costa Rica has a customary right.“1215
Es ging um die Frage, ob costa-ricanische Fischer in nicaragunischen Gewässern gewohnheitsrechtliche Fischereirechte beanspruchen könnten. Beleg für solche gewohnheitsrechtlichen Rechte war allein die langandauernde Praxis der Flussanrainer. Mangels staatlicher Hoheitsgewalt scheint die grenzüberschreitende Subsistenzfischerei dieser Flussbewohner kaum zur Konstituierung von bilateralem Völkergewohnheitsrecht geeignet. Dieses Ergebnis überzeugte den IGH jedoch nicht: Er stellte vielmehr fest, dass es aufgrund der entlegenen Lage und der dünnen Besiedlung unmöglich sei, auf eine formal dokumentierte Praxis zurückzugreifen. Aus diesem Grunde hätten die Flussanwohner ein gewohnheitsrechtliches Recht auf Fischerei. Die sich nun anschließende Schlussfolgerung ist bemerkenswert: Aus der lang andauernden Praxis einiger Flussanrainer folgerte der IGH nicht nur ein Gewohnheitsrecht dieser Flussanrainer, sondern gleichfalls ein Gewohnheitsrecht des Staates Costa-Rica selbst. Da es sich hierbei um bilaterales Gewohnheitsrecht handelt, musste der „Staaten“Praxis der costa-ricanischen Fischer eine entsprechende Praxis Nicaraguas gegenüberstehen. Diese bestand schlicht darin, dass Nicaragua das Fischen bislang nicht unterbunden hatte.1216 In entlegenen und dünn besiedelten Gebieten macht der IGH somit deutliche Zugständnisse hinsichtlich der Urheberschaft von Staatenpraxis und lässt bereits nicht-hoheitliches Handeln der Grenzbevölkerung ausreichen, wenn dieses durch die andere Seite nicht effektiv unterbunden wurde. Überträgt man diese Rechtsprechung auf Nomaden, so ergibt sich, dass in entlegenen Regionen allein der regelmäßige ungehinderte Grenzübertritt für den 1214
IGH, Dispute regarding Navigational and Related Rights (Costa Rica ./. Nicaragua) Judgment (13. Juli 2009) ICJ Rep 2009, 21, Rn. 141. 1215 Ebd. 1216 Zum Unterlassen als Staatenpraxis vgl. Vaughan Lowe, International Law (Fn. 126) 45 f.
I. Spätere Staatenpraxis oder Gewohnheitsrecht?
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Nachweis einer entsprechenden Staatenpraxis ausreichend ist. Das Unterlassen eines Staates, insbesondere, wenn nomadische Wanderungen seit Jahrhunderten vorhersehbar auf traditionellen Routen erfolgen, kann genauso zur Staatenpraxis gerechnet werden wie aktives Tun.1217 Im Einzelfall schwierig zu beurteilen ist die Frage, ob staatlicherseits tatsächlich eine „failure to deny“1218 i.S.d. der Nicaragua-Costa-Rica-Rechtsprechung vorliegt, insbesondere, wenn die unterlassene Grenzschließung auch schlicht das Ergebnis mangelnder staatlicher Ressourcen sein kann. Im Grenzverhältnis zwischen Niger und Burkina Faso werden die nomadischen Wanderungen eindeutig willentlich toleriert.1219 Zwischen Kirgisien und Tadjikistan erfolgt die Duldung (noch) stillschweigend.1220 Zweifelhaft ist ein staatliches Einverständnis mit den nomadischen Wanderungen z. B. an den äthiopischen Grenzen nach Dschibuti, Somalia, Somaliland und Kenia. Hier ist der informelle Viehtransfer nachwievor illegal.1221 Dessen ungeachtet stellt der informelle grenzüberschreitende Lebendviehhandel der Nomaden entlang der alten Routen auch über diese Grenzen noch immer einen der Hauptwirtschaftsfaktoren am Horn von Afrika dar, weshalb zweifelhaft ist, wie ernst es der aufstrebenden Regionalmacht Äthiopien tatsächlich mit den Exportrestriktionen ist.1222 Anhand der Praxis der tatsächlichen Durchführung von Grenzkontrollen und Ziehung von Zäunen kann die Frage nach der „failure to deny“ somit nicht hinreichend beantwortet werden. Vielmehr ist abstrakt zu bestimmen, was unter „fail“ zu verstehen ist. Dieses Wort kann einerseits als „willentliches Unterlassen“, andererseits aber auch als „ungewolltes Scheitern“ verstanden werden. Nur in der ersten Variante spiegelt sich in der „Failure to deny“ eine staatliche Opinio iuris wieder. In der zweiten Variante könnte Völkergewohnheitsrecht aus der nomadischen Praxis heraus auch ganz ohne staatlichen Willen entstehen. Hinter der Frage
1217
Vaughan Lowe, (Fn. 126) 45 f. IGH, Dispute regarding Navigational and Related Rights (Costa Rica ./. Nicaragua) Judgment (13. Juli 2009) ICJ Rep 2009, 21, Rn. 141. 1219 IGH, Frontier Dispute (Burkina Faso ./. Niger) Sondervotum von Richter Cançado Trindade (16. April 2013) ICJ Rep 2013, 44; Written replies of Burkina Faso to the questions put to the Parties by Judge Cançado Trindade at the end of the public sitting held on 17 October 2012, online unter: http://www.icj-cij.org/docket/files/149/17626.pdf (zuletzt aufgerufen am10. 02. 2017). 1220 Michelle Lim, Laws, Institutions and Transboundary Pasture Management (Fn. 847) 55. 1221 USAID, FEWSNet, Cross-border Livestock Trade Assessment Report, Oktober 2010, online unter: http://www.fews.net/sites/default/files/documents/reports/east_Cross%20border_2 010_10_final.pdf (zuletzt aufgerufen: 10. Februar 2017) 1222 Ebd.; Michael Haldermann, The Political Economy of Pro-poor livestock PolicyMaking in Ethiopia, Pro-poor Livestock Policy Initiative Working Paper No. 19, online unter: https://assets.publishing.service.gov.uk/media/57a08c5bed915d3cfd00132a/PPLPIwp19.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018) xii, 26 ff. 1218
230
E. Nomadische Grenzübertrittsrechte im Völkergewohnheitsrecht
nach dem Nachweis einer „Failure to deny“ steckt also in Wahrheit die Frage nach dem Erfordernis einer Opinio iuris. e) Opinio iuris Das subjektive Element des Völkergewohnheitsrechts – die Opinio iuris – ist weitaus schwieriger zur ermitteln als die objektive Staatenpraxis.1223 Bereits aus dem Wortlaut des Art. 38 I b IGH-Statut wird jedoch deutlich, dass eine Opinio iuris unbedingt erforderlich ist. Allerdings würde der Anwendungsbereich des Völkergewohnheitsrechts gegenüber dem Völkervertragsrecht verschwindend gering, wenn es zum Nachweis einer Opinio iuris ihrer positiven Manifestation bedürfte. Entsprechend ist dem IGH1224 darin zuzustimmen, dass eine Staatenpraxis regelmäßig eine Opinio iuris indiziert,1225 wenn ein Staat dieser Bindungswirkung nicht explizit widerspricht, letztlich also „fails to deny“.1226 Aus diesem Erfordernis einer Opinio iuris ergibt sich, dass eine „Failure to deny“ eben noch nicht schon dann vorliegt, wenn ein Staat mangels Ressourcen oder aufgrund zerfallender Staatlichkeit – also ungewollt – nicht in der Lage ist, Nomaden effektiv vom Grenzübertritt abzuhalten. Vielmehr ist es zur Konstituierung von Völkergewohnheitsrecht erforderlich aber auch ausreichend, dass ein Staat sich willensgetragen bemüht, grenzüberschreitende Wanderungen zu unterbinden. Somit führt einerseit das Ausbleiben effektiver Grenzkontrollen aufgrund von Ressourcenmangel noch nicht zum Entstehen eines Völkergewohnheitsrechts. Andererseits ist es aber auch nicht erforderlich, dass ein Staat der Existenz solchen Gewohnheitsrechts explizit zustimmt, wenn er es denn willensgetragen unterlässt, die grenzüberschreitenden Wanderungen zu unterbinden.1227 Ein expliziter Widerspruch, der die Vermutung der „Failure to deny“ zu widerlegen vermag, erfolgte z. B. von Südafrika als Mandatsmacht Namibias: Als nämlich Großbritannien als Mandatsmacht Botswanas vorschlug, ein avisiertes Gentlemen’s Agreement um einen Absatz zu erweitern, „that nothing in the previous three sections should be read as preventing the [Bechuanaland Protectorate]
1223
David J. Bederman, Custom as a Source of Law (Fn. 1126) 149. IGH, Case concerning Delimitation of the Maritime Boundary in the Gulf of Maine Area (Kanada ./. USA) Judgment (12. Oktober 1984) ICJ Rep 1984, 246, Rn. 111; IGH, Colombian-Peruvian asylum case (Kolumbien ./. Peru) Judgment (20. November 1950) ICJ Rep 1950, 266, 277 f.; IGH, Fisheries Case (Großbritannien ./. Norwegen) Judgment (18. Dezember 1951) ICJ Rep 1951, 116, 131. 1225 IGH, Case concerning Delimitation of the Maritime Boundary in the Gulf of Maine Area (Kanada ./. USA) Judgment (12. Oktober 1984) ICJ Rep 1984, 246, Rn. 111. 1226 IGH, Dispute regarding Navigational and Related Rights (Costa Rica ./. Nicaragua) Judgment (13. Juli 2009) ICJ Rep 2009, 21, Rn. 141. 1227 Ebd. 1224
I. Spätere Staatenpraxis oder Gewohnheitsrecht?
231
Tribesmen using the Island for ploughing purposes“, wurde dies von Südafrika rundheraus abgelehnt.1228 Dass der IGH das Völkergewohnheitsrecht so verstanden wissen will, dass solch ein expliziter Widerspruch erforderlich ist, um die Vermutung einer aus der Praxis folgenden Rechtüberzeugung zu widerlegen, wird insbesondere aus der französischen Formulierung des Urteils zum Streit zwischen Costa Rica und Nicaragua deutlich, der statt von der insofern doppeldeutigen „Failure to deny“ von „nier“ bzw. „remettre en question“ spricht,1229 was nur mit Unterlassen des Unterbindens und nicht mit dessen Scheitern übersetzt werden kann. Eine Rechtsüberzeugung drückt sich also darin aus, dass ein Staat es willensgetragen unterlässt, grenzüberschreitende Wanderungen zu unterbinden. Dies ist insbesondere deshalb relevant, weil positive Äußerungen eines nomadischen Migrationsrechts häufig lediglich den Charakter politischer Absichtserklärungen behalten haben. Wenngleich in der Vergangenheit die Mehrheit der Staaten eine Politik der Abgrenzung und Grenzschließung betrieb, so legen die jüngsten Resolutionen der Afrikanischen Union, sowie der afrikanischen Regionalorganisationen allerdings ein sich wandelndes politisches Bewusstsein nahe,1230 welches sich zukünftig auch im normativen Gehalt niederschlagen kann, wie der IGH dies für Resolutionen der Generalversammlung klarstellte: „General Assembly Resolutions, even if they are not binding, may sometimes have normative value. They can, in certain circumstances, provide evidence important for establishing the existence of a rule or the emergence of an opinio iuris.“1231
Im Zusammenhang mit einer Staatenpraxis, welche die grenzüberschreitenden nomadischen Wanderungen kaum behindert, spricht vieles dafür, dass dieser Staatenpraxis keine widersprechende Rechtsüberzeugung entgegensteht, insbesondere, da die von Nomaden bevölkerten Gebiete seit jeher mehr durch Praxis als durch kodifiziertes Recht bestimmt waren, was, dem IGH zufolge dieser Praxis besonderes Gewicht gegenüber der Opinio iuris verleiht.1232 Dogmatisch setzt dies natürlich voraus, dass diese Praxis zeitlich auch unter der Geltung des modernen Völkerrechts fortdauert, sie sich also nicht auf präkoloniales Verhalten beschränkt. 1228
IGH, Case concerning Kasikili/Sedudu Island (Botswana ./. Namibia) Judgment (13. Dezember 1999) ICJ Rep 1999, 1045, 1084 f. 1229 Ebd. 1230 Nach John M. Finnis beinhalten Resolutionen Internationaler Organisationen zwar kein Zeugnis darüber, was das Recht ist, sondern beinhalten die Opinio iuris, wie das Recht sein sollte, also was generell und im speziellen erstrebenswert ist, vgl. John M. Finnis, Authority in: Joseph Raz (Hrsg.), Authority, New York UP 1990, 174, 181. 1231 IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion (8. Juli 1996) ICJ Rep 1996, 226, Rn. 70; vgl. auch IGH, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua ./. USA) Merits (27. Juni 1998) ICJ Rep 1986, 14 Rn. 188. 1232 IGH, Case concerning Right of Passage over Indian Territory (Indien ./. Portugal) Merits (12. April 1960) ICJ Rep 1960, 6, 44.
232
E. Nomadische Grenzübertrittsrechte im Völkergewohnheitsrecht
II. Fazit – rechtspluralistisches Gewohnheitsrecht Aufgrund der engen Voraussetzungen einer Subsequent Practice stellt eine solche die Ausnahme dar, die nur dann greift, wenn ein grenzüberschreitendes Wanderrecht im Grenzvertrag bereits angelegt ist und das nomadische Verhalten sich durch eine rechtspluralistische Verschränkung letztlich als staatliches Handeln qualifizieren lässt. Die Praxis der Grenzübertritte konkretisiert dann nur Interpretationsspielräume innerhalb eines ausdrücklich vertraglich garantierten Grenzübertrittsrechts. Deutlich weiter ist insbesondere nach dem IGH-Urteil im Streit zwischen Costa Rica und Nicaragua1233 der Anwendungsbereich des Völkergewohnheitsrechts. Hiernach ist nämlich für gewohnheitsrechtliche Grenzübertrittsrechte nicht allein das unmittelbare Verhalten des Staates ausschlaggebend: In entlegenen dünn besiedelten Regionen, wo formalisierte Grenzübertrittsrechte andernfalls schwer nachweisbar wären, reichen alleine die langandauernden Grenzübertritte der dortigen Bevölkerung aus, um dieser gewohnheitsrechtliche Rechtspositionen im Staat jenseits der Grenze einzuräumen.1234 Aus diesen gewohnheitsrechtlichen Positionen der Grenzbevölkerung leitet der IGH gleichzeitig ein zwischenstaatliches Gewohnheitsrecht ab. Für die Existenz solcher grenzüberschreitenden Gewohnheitsrechte ist es nicht erforderlich, dass diese explizit gewährt werden. Vielmehr ist Acquiescence ausreichend, bzw die generelle Akzeptanz der Praxis.1235 Dort wo, wie in den meisten nomadisch geprägten Regionen, die internationalen Beziehungen lange allein auf Praxis basierten, kommt dieser Praxis, sofern sie bis in den Geltungszeitraum des modernen Völkerrechts fortdauert, die entscheidende Rolle bei der Bestimmung von Völkergewohnheitsrecht zu, wie der IGH im Streit zwischen Indien und Portugal feststellte: „The Court is here dealing with a concrete case having special features. Historically the case goes back to a period when, and relates to a region in which, the relations between neighbouring States were not regulated by precisely formulated rules but were governed largely by practice. Where therefore the Court finds a practice clearly established between two States which was accepted by the Parties as governing the relations between them, the Court must attribute decisive effect to that practice for the purpose of determining their specific rights and obligations. Such a particular practice must prevail over any general rules.“ 1236
1233
IGH, Dispute regarding Navigational and Related Rights (Costa Rica ./. Nicaragua) Judgment (13. Juli 2009) ICJ Rep 2009, 213. 1234 Ebd., Rn. 141. 1235 IGH, Case concerning Right of Passage over Indian Territory (Indien ./. Portugal) Merits (12. April 1960) ICJ Rep 1960, 6, 44. 1236 Ebd.
II. Fazit – rechtspluralistisches Gewohnheitsrecht
233
Indem sich das Völkerrecht mehr und mehr zu seinen polymorphen Ursprüngen zurückentwickelt,1237 sind längst nicht mehr nur die Staaten Rechtssubjekte des Völkerrechts. Daneben sind Individual- und auch Gruppenrechte anerkannt. Nach traditionellem Völkerrechtsverständnis leiten sich die Individualrechte aus Rechten des Staates ab. Der IGH hat jedoch in der Vergangenheit mehrfach auch den umgekehrten Weg eingeschlagen und Rechte eines Staates aus Individual- oder Gruppenrechten hergeleitet: Wenn er im Rechtsstreit zwischen Indien und Portugal feststellt, „The Court […] therefore finds that Portugal had in 1954 a right of passage over intervening Indian territory …“1238,
so ist bereits der Sache nach klar, dass nicht Portugal als juristische Person über Jahrzehnte von diesem Transitrecht Gebrauch gemacht hat, sondern v. a. dessen Bürger. Auch im Streit zwischen Costa Rica und Nicaragua, behauptete Costa Rica, „that there has long been a practice allowing the inhabitants of the Costa Rican bank of the San Juan to fish in that river for subsistence purposes“1239, worauf der IGH entschied: „The Court accordingly concludes that Costa Rica has a customary right.“1240 Schließlich bestätigt das Urteil im Grenzstreit zwischen Burkina Faso und Niger, dass die Belange der grenznahmen Bevölkerung Berücksichtigung finden sollen.1241 Die Funktion des Staates liegt letztlich darin, den Rechten seiner Bürger auf internationaler Ebene zu mehr Geltung zu verhelfen, da diese andernfalls kaum Möglichkeiten hätten, ihre Grenzübertrittsrechte vor internationalen Spruchkörpern rechtsverbindlich feststellen zu lassen, oder wie Richter Cançado Trindade in zwei Sondervoten formulierte: „In any case, beyond the States are the human beings who organize themselves socially and compose them. The State is not, and has never been, conceived as an end in itself, but rather as a means to regulate and improve the living conditions of the societas gentium, keeping in mind the basic principle of humanity, amongst other fundamental principles of the law of nations, so as to achieve the common good. Beyond the States, the ultimate titulaires of the right to the safeguard and preservation of their cultural and spiritual heritage are the collectivities of human beings concerned, or else humankind as a whole.“1242 1237
Prabhakar Singh, From „Narcistic“ Positive International Law to „Universal“ Natural International Law (Fn. 540) 190. 1238 IGH, Case concerning Right of Passage over Indian Territory (Indien ./. Portugal) Merits (12. April 1960) ICJ Rep 1960, 6, 45. 1239 IGH, Dispute regarding Navigational and Related Rights (Costa Rica ./. Nicaragua) Judgment (13. Juli 2009) ICJ Rep 2009, 213, Rn. 141 (Hervorhebung hinzugefügt). 1240 Ebd. (Hervorhebung hinzugefügt). 1241 IGH, Frontier Dispute (Burkina Faso ./. Niger) Judgment (16. April 2013) ICJ Rep 2013, 44, Rn. 112. 1242 IGH, Frontier Dispute (Burkina Faso ./. Niger) Sondervotum von Richter Cançado Trindade (16. April 2013) ICJ Rep 2013, 44, Rn. 91; IGH, Request for Interpretation of the
234
E. Nomadische Grenzübertrittsrechte im Völkergewohnheitsrecht
Wie sowohl das IGH-Urteil zwischen Costa Rica und Nicaragua1243 als auch der Grenzvertrag zwischen Sudan und Südsudan1244 bestätigen, kennt das Völkerrecht nicht mehr nur Gewohnheitsrechte von Staaten, sondern auch von lokalen Gemeinschaften, welche mit dem Gewohnheitsrecht der Staaten verwoben sind. Rechtsträger eines Gewohnheitsrechts auf Grenzübertritt ist daher sowohl der Staat als auch die jeweilige Gemeinschaft sowie das nomadische Individuum. Die Wechselwirkung zwischen dem zwischenstaatlichen Gewohnheitsrecht und den Gewohnheitsrechten von Individuen und Gruppen, welche durch das Scharnier der Staatenpraxis ins Völkerrecht einfließen, könnte man als rechtspluralistisches Gewohnheitsrecht bezeichnen. Im Einklang mit einer generellen Auffächerung völkerrechtlicher Rechtssubjekte kommt es auch bei der Bildung von Völkergewohnheitsrecht nicht mehr allein auf die Praxis der Staaten an. Vielmehr ist, wie der IGH herausgestellt hat,1245 auch die Praxis nichtstaatlicher Akteure für die Formung von Völkergewohnheitsrecht verantwortlich. Anders nämlich als die spätere Staatenpraxis i.S.d. Art. 31 III b WVK1246 haben auf die Entwicklung des Völkergewohnheitsrechts nicht nur die jeweiligen Vertragsparteien Einfluss, sondern letztlich alle anerkannten Völkerrechtssubjekte. Ein Beispiel für ein solch rechtspluralistisch geformtes Gewohnheitsrecht ist die Situation der Nomaden im Grenzgebiet zwischen Sudan und Südsudan. Aufgrund des jungen Alters der dortigen Staatsgrenze wurde hier eine Rechtslage in Übereinkommen gegossen, die andernorts lediglich als ungeschriebenes Gewohnheitsrecht existiert. Zunächst vereinbarte 2011 die nomadische Gemeinschaft der Dinka Malual mit den ebenfalls nomadischen Messeriya ein Protokoll über saisonale Landnutzungsrechte.1247 Die zur Nutzung der jeweiligen Gebiete erforderlichen Wanderungen verlaufen auch über die Grenze zwischen Südsudan und Sudan. Daher berücksichtigten die beiden Staaten in ihrem zwischenstaatlichen Grenzvertrag die
Judgment of 15 June 1962 in the Case concerning the Temple of Preah Vihear (Cambodia / Thailand) (Kambodscha ./. Thailand) Sondervotum Richter Cançado Trindade (18. Juli 2011) ICJ Rep 2011, 566, Rn. 114. 1243 IGH, Dispute regarding Navigational and Related Rights (Costa Rica ./. Nicaragua) Judgment (13. Juli 2009) ICJ Rep 2009, 213, Rn. 141. 1244 Sudan ./. Südsudan, Art. 14 Agreement between the Republic of the Sudan and the Republic of South Sudan on Border Issues (27. September 2012) online unter: http://www.pe aceau.org/uploads/sudan-south-sudan-agreements-22-10-2012.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 1245 IGH, Dispute regarding Navigational and Related Rights (Costa Rica ./. Nicaragua) Judgment (13. Juli 2009) ICJ Rep 2009, 213, Rn. 141. 1246 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVK) (23. Mai 1969) 1155 UNTS 331. 1247 Ali Jammaa Abdalla, People to people diplomacy (Fn. 232) 1.
II. Fazit – rechtspluralistisches Gewohnheitsrecht
235
gewohnheitsrechtlichen Rechte der nomadischen Gemeinschaften auf Grenzübertritt.1248 Dieses Beispiel zeigt die rechtspluralistische Verschränkung zwischen verschiedenen Rechtskreisen. Zum einen existieren Rechtsbeziehungen zwischen verschiedenen nomadischen Gemeinschaften. Parallel hierzu bestehen Beziehungen zwischen den beiden Staaten. Auch zwischen Staaten und nomadischen Gemeinschaften können nationalrechtliche Beziehungen bestehen, wobei es sich hierbei entweder um eine auf Staatsangehörigkeit oder kommunaler Dezentralisierung basierende Rechtsbeziehung handelt, oder aber um eine fremdenrechtliche. Entscheidend ist jedoch, dass all diese Rechtsbeziehungen sich zu einem Völkergewohnheitsrecht verdichten und verschränken, in dem die autonome Praxis der Bevölkerungen mit der Opinio iuris der Staaten zusammenwirkt.
Rechtlich anerkannt wurde diese Konstruktion bislang nur für entlegene und dünn besiedelte Regionen1249 oder solche, in denen die zwischenstaatlichen Beziehungen 1248
Sudan ./. Südsudan, Art. 14 Agreement between the Republic of the Sudan and the Republic of South Sudan on Border Issues (27. September 2012) online unter: http://www.pe aceau.org/uploads/sudan-south-sudan-agreements-22-10-2012.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 1249 IGH, Dispute regarding Navigational and Related Rights (Costa Rica ./. Nicaragua) Judgment (13. Juli 2009) ICJ Rep 2009, 213, Rn. 141.
236
E. Nomadische Grenzübertrittsrechte im Völkergewohnheitsrecht
überwiegend auf Praxis statt auf geschriebenen Rechtsregeln basieren.1250 Gerade diese Gebiete werden jedoch häufig von Nomaden bevölkert und so entsteht in ihnen aus der Praxis lokaler Gemeinschaften im Zusammenwirken mit einer durch Acquiescence geäußerten staatlichen Opinio iuris Völkergewohnheitsrecht.
1250 IGH, Case concerning Right of Passage over Indian Territory (Indien ./. Portugal) Merits (12. April 1960) ICJ Rep 1960, 6, 44.
F. Wanderrechte im kodifizierten Völkerrecht Oben1251 wurde dargestellt, dass sich im politischen Bewusstsein mit Beginn des 21. Jahrhunderts ein Paradigmenwechsel vollzogen hat, der auch in völkerrechtlichen Verträgen sowie der Rechtsprechung des IGH seinen Widerhall fand. Wenn nun das Völkerrecht einen Schritt in Richtung jener dynamischen Strukturen unternimmt, die z. B. die präkoloniale afrikanische Ordnung prägten, so kann dies in Widerspruch mit einer Weltordnung geraten, welche auf sesshaften Staaten aufgebaut ist. Anders als das anpassungsfähige ungeschriebene Völkerrecht, ist das kodifizierte Völkerrecht weitgehend statisch. Im Folgenden wird untersucht, inwieweit transnationale Wanderrechte für Nomaden auch im kodifizierten Völkerrecht Berücksichtigung finden bzw. das klassische Völkerrecht diesen neuen Entwicklungen Raum bietet.
I. Nomadisches Wanderrecht als Menschenrecht Das traditionelle nomadische Rule of the Clan leitete die Rechte des Einzelnen aus dessen Gemeinschaft, dem Clan, ab.1252 Auch das klassische Völkerrecht gewährte nur den Staaten unmittelbare Rechte. Inzwischen hat jedoch auch der individuelle Mensch im Völkerrecht eine eine eigene Subjektivität erlangt,1253 welche ihm Rechte verleiht. Solche völkerrechtlichen Menschenrechtsgarantien werden im Folgenden mit Blick auf nomadische Wanderrechte untersucht. 1. Natur eines Menschenrechts – gewährt oder angeboren? „Menschenrechte sind überstaatliche Rechte, sie gehören zur Natur des Menschen, es sind natürliche, angeborene Rechte. Dazu gehören die meisten Freiheitsrechte oder Grundfreiheiten, wie […] Freizügigkeit.“1254
Versteht man die Freizügigkeit als ein solches angeborenes Recht, welches besonderer Ausdruck der Menschenwürde ist und daher jedem Menschen, unabhängig von einer staatlichen Gewährung, kraft seines Menschseins zusteht,1255 so erscheint jede Grenze als eine rechtfertigungsbedürftige Schranke dieser Freiheit. 1251
C. V.; D. C. III. 2. b). 1253 Anne Peters, Jenseits der Menschenrechte (Fn. 234) 469 ff. 1254 Horst Pötzsch, Die Deutsche Demokratie, 5. Auflage, BpB 2009, 18. 1255 Hans W. Alberts, Freizügigkeit als polizeiliches Problem (1997) Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht, 45, 46. 1252
238
F. Wanderrechte im kodifizierten Völkerrecht
Im klassischen Völkerrecht sind hingegen allein die Staaten Inhaber von Rechten. Diese können den Menschen bestimmte Rechte z. B. durch Eingehung menschenrechtlicher Verpflichtungen gewähren. Wenn ein Recht auf Freizügigkeit den Menschen jedoch bereits von Geburt an zusteht, so bedürfte es einer solchen Gewährung gar nicht erst. Für das Verständnis von grenzüberschreitenden Wanderrechten ist es somit entscheidend, ob diese durch Staaten gewährt oder angeboren sind. Diese Frage entzweit Naturrechtler und Rechtspositivisten. Während nämlich das Naturrecht vom Menschen ausgeht,1256 stellt das positive Völkerrecht den Staat in den Mittelpunkt. Im Folgenden wird zunächst die naturrechtliche Perspektive auf eine grenzüberschreitende Freizügigkeit des Individuums beleuchtet und sodann der positivrechtlichen Perspektive gegenübergestellt. a) Recht auf Wanderung aus naturrechtlicher Perspektive „Es ist hier […] nicht von Philanthropie, sondern vom Recht die Rede, und da bedeutet Hospitalität (Wirthbarkeit) das Recht eines Fremdlings, seiner Ankunft auf dem Boden eines anderen wegen, von diesem nicht feindselig behandelt zu werden. […] Es ist kein Gastrecht, worauf dieser Anspruch machen kann […], sondern ein Besuchsrecht, welches allen Menschen zusteht, sich zur Gesellschaft anzubieten, vermöge des Rechts des gemeinschaftlichen Besitzes der Oberfläche der Erde, auf der, als Kugelfläche, sie sich nicht ins Unendliche zerstreuen können, sondern endlich sich doch nebeneinander dulden zu müssen, ursprünglich aber niemand an einem Orte der Erde zu seyn mehr Recht hat, als der Andere.“1257
In diese Sichtweise Immanuel Kants stimmen nahezu alle Naturrechtler der frühen Neuzeit ein. So verfasste etwa Christian Freiherr von Wolff: „Since by nature the right belongs to an exile to live anywhere in the world […], a permanent residence in its territory cannot be denied to exiles by a nation, unless special reasons stand in the way.“1258
Und auch Alberico Gentili schreibt: „But if there is no reason why a passage should be refused, and it is nevertheless denied, this constitutes a just reason for war. To pass through another’s territory is lawful. To enter the estate of another for the purpose of hunting is also allowed by the law of nations, and any who cross without asking permission will neither be regarded as doing wrong nor will they be prohibited.“1259
Und selbst der für die Positivierung des Völkerrechts häufig verantwortlich gemachte Emer de Vattel konstatiert: 1256 1257 1258 1259
Johannes Messner, Das Naturrecht (Fn. 1170) 335 f. Immanuel Kant, Zum Ewigen Frieden, Dritter Definitivartikel (Fn. 168) 35. Christian Freiherr von Wolff, Ius Gentium (Fn. 168) § 148 ff. Alberico Gentili, De Iure Belli (Fn. 168) Buch 1, Ch. XIX, Rn. 141.
I. Nomadisches Wanderrecht als Menschenrecht
239
„Le droit de passage est encore un reste de la communion primitive, dans laquelle la terre entière était commune aux besoins. Personne ne peut être entièrement privé de ce droit …“1260.
Daneben waren auch Francisco de Vitoria, Hugo Grotius und John Selden1261 Anhänger dieser Sichtweise. Heutzutage tritt z. B. der Politikwissenschaftler Joseph H. Carens für eine Position ein, die jener frühneuzeitlicher Rechtsgelehrter nahekommt: „Restrictions would be justified only if there were a ,reasonable expectation‘ that unlimited immigration would damage the public order and this expectation would have to be based on ,evidence and ways‘ of reasoning acceptable to all.“1262
Carens begründet dies etwa mit Robert Nozick, wonach der Staat keine anderen Rechte haben könne, als jene Rechte durchzusetzen, die seinen Bürgern schon im State of Nature zugestanden hätten.1263 Auch hinter John Rawls’ Veil of Ignorance darf die Reisefreiheit eines Bürgers nur beschnitten werden aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung.1264 Michael Huemer sieht in der ungerechtfertigten Verweigerung eines Einreiserechts gleichfalls einen „Prima-Facie-Menschenrechtseingriff“1265 des Rechts „to be free from harmful coercion.“1266 Ein solcher Prima-Facie-Rechtseingriff könnte jedoch u. U. gerechtfertigt sein. Als Rechtfertigungsgründe schlägt etwa Christopher Wellman vor, „to preserve their economy, security, political capacity and/or cultural distinctiveness.“1267 Die Validität dieser potentiellen Rechtfertigungsgründe wird u. a. durch Michael Huemer1268 und Bryan Caplan1269 angezweifelt.
1260 Emer de Vattel, Le droit des gens (Fn. 124) Buch 2, Kapitel IX, § 123: „Das Recht auf Durchreise ist noch ein Rest der primitiven Gemeinschaft, in welcher die gesamte Welt allen Bedürfnissen gemein war. Niemandem kann dieses Recht gänzlich entzogen werden.“ (Übersetzung des Verfassers). 1261 Francisco de Vitoria, De Indis (Fn. 165) 3. Teil, Nr. 2; Hugo Grotius, Krieg und Frieden, (Fn. 168) Erster Band, Buch II, Kapitel II, XIII; John Selden, Mare Clausum (Fn. 333) Buch I, Kapitel XX, 124. 1262 Joseph H. Carens, Aliens and Citizens (Fn. 1074) 259. 1263 Ebd., 253; Robert Nozick, Anarchy, State and Utopia (Fn. 1176) 10 ff., 88 ff., 108 ff. 1264 Joseph H. Carens, ebd., 258; John Rawls, A theory of Justice (Fn. 1167) 212 f.; Rawls selbst war kein unbedingter Verfechter von „Open Borders“, da er eine globale Tragödie der Allmende befürchtete und aus dem Erkenntnisstand seiner Zeit heraus Souveränität als einzig wirksames Mittel hiergegen erachtete, vgl. John Rawls, The Law of Peoples, Harvard UP, 38 f. 1265 Michael Huemer, Is There a Right to Immigrate? (2010) STP, 429 ff. 1266 Ebd. 1267 Christopher Heath Wellman, Freedom of Association and the Right to Exclude, in: Christopher Heath Wellman/Phillip Cole (Hrsg.), Debating the ethics of immigration – is there a right to exclude?, Oxford UP 2011, 11, 48. 1268 Michael Huemer, Is There a Right to Immigrate? (Fn. 1265) 429 ff. 1269 Bryan Caplan, Why should we restrict Immigration? (1/2012) Cato Journal 5.
240
F. Wanderrechte im kodifizierten Völkerrecht
Aus rechtsphilosophischer Sicht nähert sich Philipp Cole der Frage eines Menschenrechts auf grenzenlose Freizügigkeit. Ihm zufolge spricht für ein allgemeines Freizügigkeitsrecht zunächst die Idee eines universalen Egalitarismus, nach dem eine Grenze, die bestimmte Individuen von der Nutzung der hinter ihr befindlichen Ressourcen ausschließt, als Ungleichheit rechtfertigungsbedürftig ist.1270 Eine solche Rechtfertigung kann nach Cole nicht aus einem Vorrecht der Staatsbürger geschlossen werden, weil sich dann die Frage anschlösse, mit welchem Recht andere von der Staatsbürgerschaft auszuschließen sind.1271 Auch das Argument, dass Mitglieder einer Gemeinschaft durch Arbeit und Steuerbeitrag ein Vorrecht auf den „nationalen Kuchen“ erworben hätten, lässt Cole nicht als Ausschlussrechtfertigung gelten, da in einer globalisierten Wirtschaft auch Auswärtige zum nationalen Wohlstand beitragen, wohingegen innerhalb eines Staates bestimmte Individuen aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit an der Wohlfahrt teilnehmen können, ohne hierzu einen produktiven Beitrag zu leisten.1272 Selbst wenn man annähme, dass ein einreisewilliger Bürger noch keinen einzigen Beitrag zur nationalen Wohlfahrt geleistet hätte, so wäre dies nicht die Ursache für seine Abwehr an der Grenze, sondern deren Folge.1273 Eine moralische Rechtfertigung für den Ausschluss von Ressourcen im Landesinneren ist aus egalitärer Sicht nur möglich unter der Prämisse einer „freedom of choice“, die paradoxerweise gerade ein weltweites Freizügigkeitsrecht zur Voraussetzung hat.1274 Auch ein systematischer Vergleich mit dem im positiven Völkerrecht gewährten Recht auf Ausreise1275 lege nach Cole ein Recht auf Einreise nahe, denn wenn es ein Recht eines Staates auf Migrationskontrolle gibt, dann müsse dies gleichermaßen für die Aus- und Einreise gelten.1276 Vor dem Hintergrund, dass Ausreisende ihrer Na1270
Phillip Cole, Open Borders (Fn. 1180) 178. Ebd. 1272 Ebd., 187 ff. 1273 Ebd., 189. 1274 Ebd., 192. 1275 Art. 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, UNGA Res 217 A (III) (10. Dezember 1948) UN Doc A/RES/217(III); Art. 12 II International Covenant on Civil and Political Rights (16. Dezember 1966) 999 UNTS 171; Art. 3 II Protokoll Nr. 4 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, durch das gewisse Rechte und Freiheiten gewährleistet werden, die nicht bereits in der Konvention oder im ersten Zusatzprotokoll enthalten sind (16. September 1963) BGBl 1968 II, 423; Art. 22 V American Convention on Human Rights (22. November 1969) 1144 UNTS 123; Art. 12 African Charter on Human and People’s Rights (Banjul-Charta) (27. Juni 1981), OAU Doc CAB/LEG/67/3 rev. 5, 21 ILM 58 (1982); Art. 8 International Convention on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families, UNGA Res 45/158 (18. Dezember 1990) UN Doc A/RES/45/ 158; Art. 5 International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination, UNGA Res 2106 (XX) (21. Dezember 1965) UN Doc A/RES/2106(XX); Art. 10 Convention on the Right of the Child, UNGA Res 44/25 (20. November 1989) UN Doc A/RES/44/25; Art. 5 UNGA Declaration on the Human Rights of Individuals Who are not Nationals of the Country in which They live, UNGA Res 40/144 (13. Dezember 1985) UN Doc A/RES/40/144. 1276 Phillip Cole, Open Borders (Fn. 1180) 194. 1271
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tionalgemeinschaft durch den Entzug ihrer Arbeitskraft und Steuerleistung potentiell mehr schaden als beitragswillige Einreisende, könne es aus utilitaristischen Gesichtspunkten nicht überzeugen, Ersteren den Grenzübertritt völkerrechtlich zu gestatten und ihn Letzteren zu verwehren.1277 Auch ein einreisender Nomade würde im Gastland Handel treiben und (eine effektive Verwaltung vorausgesetzt) Steuern zahlen. Demokratietheoretisch argumentiert schließlich Ilya Somin für ein Recht auf globale Freizügigkeit.1278 Er sieht in einem Recht auf internationale Freizügigkeit ein Partizipationsrecht „for voting with your feet.“ 1279 Durch ein solches Recht würden sich durch die Kraft des Wettbewerbs zwischen den Staaten global Menschen- und Minderheitenrechte und Demokratie durchsetzen, da autoritäre Staaten ihre Bevölkerung verlören, wenn diese global frei über ihren Aufenthaltsort bestimmen könnten.1280 Gerade für die Bewohner undemokratischer Staaten sei das Recht auf „Foot-Voting“ die einzige Möglichkeit, die Politik ihrer Staaten zu beeinflussen.1281 Plastisch wird diese These anhand der Auswanderungsdrohung ostdeutscher Montagsdemonstranten 1989: „Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, geh’n wir zu ihr!“ Entsprechend sieht der Historiker Niall Ferguson das Ende des Kalten Krieges v. a. als einen Sieg der Blue-Jeans des Westens über die Bomben des Ostens: „Das Problem der Sowjetunion war ganz einfach: Die Vereinigten Staaten boten eine weit attraktivere Version des Zivillebens an, als es die Sowjets vermochten.“1282
Grundlegender und unabhängig von der Grenzübertrittsfrage argumentiert Anne Peters generell für ein vom Menschen gedachtes Völkerrecht.1283 Wenn man ein solches ernst nimmt, so stellt eine Staatsgrenze zunächst eine Schranke des angeborenen Rechts auf Freizügigkeit dar, welche rechtfertigungsbedürftig ist. Diese an sich schlüssige aber derzeit in der Staatengemeinschaft noch nicht mehrheitsfähige Position kontrastiert mit der herrschenden staatszentrierten positivistischen Sichtweise,1284 welche im Folgenden erläutert wird. b) Recht auf Wanderung aus positivistischer Perspektive Der soeben geschilderten naturrechtlichen Position steht der moderne Positivismus gegenüber. Denn die Entscheidung darüber, wer in ein Land einreisen darf, 1277
Ebd., 194 ff. Ilya Somin, Tiebout Goes Global: International Migration as a Tool for Voting With Your Feet (2008) Missouri LR, 1247. 1279 Ebd., 1254 ff. 1280 Ebd., 1256 ff. 1281 Ebd., 1256. 1282 Niall Ferguson, Der Westen und der Rest der Welt (Fn. 649) 352. 1283 Anne Peters, Jenseits der Menschenrechte (Fn. 234) 469 ff. 1284 Andrea Bianchi, The Fight for Inclusion (Fn. 680) 40 f. 1278
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gehört zum Kerngehalt staatlicher Souveränität.1285 Die Entscheidungshoheit über die Einreise von Personen entspringt dem Wunsch die „order inside“ vor der „anarchy outside“ zu schützen,1286 indem Fremde an der Einreise gehindert werden.1287 Allerdings gilt die staatliche Hoheit über die Freizügigkeit nicht mehr uneingeschränkt. Diverse Menschenrechtsabkommen gewähren ein „halbherziges“1288 Recht auf Freizügigkeit. Seinen verschriftlichten Niederschlag findet das „Freizügigkeits“-Recht in Art. 13 AEMR1289, Art. 12 IPBPR1290, Art. 26 GFK1291, sowie den regionalen Menschenrechtskonventionen Afrikas, Amerikas und Europas,1292 außerdem in Art. 8 der Wanderarbeiterkonvention,1293 Art. 5 der Rassismuskonvention,1294 Art. 10 der Kinderrechtskonvention, 1295 Art. 5 der Fremdenrechtserklärung1296 und Art. 18 der Behindertenrechtskonvention.1297 Inhalt des völkerrechtlichen Freizügigkeitsrechts ist in jedem Falle ein innerstaatliches Freizügigkeitsrecht, ein Ausreise- und Auswanderungsrecht sowie ein 1285 Ryan Liss, A Right to Belong (Fn. 1074) 1097; Phillip Cole, The Immorality of Borders (Fn. 1074) 1; Joseph H. Carens, Aliens and Citizens (Fn. 1074) 251; Hans-Detlef Horn, Grenzschutz im Migrationsrecht (Fn. 1074) 147. 1286 Richard Falk, The Decline of Citizenship in an Era of Globalization, (2000) Citizen Studies, 5, 6; vgl. auch Dimitry Kochenov, The Right to leave any Country (Fn. 322) 45 f. 1287 Satvinder S. Juss, Free Movement and the World Order (2004) IJRL, 289, 294. 1288 Dimitry Kochenov, The Right to leave any Country (Fn. 322) 46 1289 Art. 13 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, UNGA Res 217 A (III) (10. Dezember 1948) UN Doc A/RES/217(III); zur Entstehung der verschiedenen Niederlegungen des „Freizügigkeitsrechts“, vgl. Rainer Hofmann, Ausreisefreiheit (Fn. 169) 32 ff. 1290 International Covenant on Civil and Political Rights (16. Dezember 1966) 999 UNTS 171. 1291 Convention relating to the Status of Refugees (28. Juli 1951) 189 UNTS i-2545. 1292 Art. 3 II Protokoll Nr. 4 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, durch das gewisse Rechte und Freiheiten gewährleistet werden, die nicht bereits in der Konvention oder im ersten Zusatzprotokoll enthalten sind (16. September 1963) BGBl 1968 II, 423; Art. 22 V American Convention on Human Rights, (22. November 1969) 1144 UNTS 123; Art. 12 African Charter on Human and People’s Rights (Banjul-Charta) (27. Juni 1981) OAU Doc CAB/LEG/67/3 rev 5, 21 ILM 58 (1982). 1293 Art. 8 International Convention on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families, UNGA Res 45/158 (18. Dezember 1990) UN Doc A/RES/45/ 158. 1294 Art. 5 International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination, UNGA Res 2106 (XX) (21. Dezember 1965) UN Doc A/RES/2106(XX). 1295 Art. 10 Convention on the Right of the Child, UNGA Res 44/25 (20. November 1989, in Kraft seit 2. September 1990) UN Doc A/RES/44/25. 1296 Art. 5 UNGA Declaration on the Human Rights of Individuals Who are not Nationals of the Country in which They live, UNGA Res 40/144 (13. Dezember 1985) UN Doc A/RES/40/ 144. 1297 Art. 18 (c)-(d) Convention on the Rights of Persons with Disabilities (13. Dezember 2006) 2515 UNTS 3.
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Rückkehrrecht in den eigenen Staat.1298 Ein darüberhinaus gehendes Einreiserecht in jeden beliebigen Staat hat hingegen völkerrechtlich keine allgemeine Anerkennung gefunden.1299 aa) Recht zur Ausreise Das Recht, ein Land (das Heimatland oder ein fremdes Land) zu verlassen,1300 erfasst sowohl die permanente als auch die vorübergehende Ausreise. Ob hiervon auch die Mitnahme des persönlichen Hab und Guts, z. B. der Viehherden von Nomaden umfasst wird, ist umstritten.1301 Allerdings würde das Recht auf Ausreise leerlaufen, wenn nicht zumindest ein gewisser lebensnotwendiger Grundbestand mitgenommen werden dürfte.1302 Wenn es sich also bei den mitzunehmenden Viehherden um für den eigenen Lebensunterhalt notwendige Güter handelt, darf Nomaden die Mitnahme nicht verwehrt werden. Einer der Hauptgründe für die Verwehrung eines Ausreiserechts ist jedoch die Befürchtung der Staaten, dass die Verbringung von Viehherden ins Ausland und der dortige Handel hiermit zu Steuereinbußen des Heimatstaates führen.1303 Nicht zuletzt deshalb haben die meisten Staaten in der Vergangenheit versucht, nomadische Völker zur Sesshaftigkeit zu erziehen.1304 Die internationalen Menschenrechtsstandards mit Bezug zur Freizügigkeit stehen einem generellen Ausreiseverbot klar entgegen und Einschränkungsmöglichkeiten sind hinsichtlich ihrer Voraussetzungen und ihres Inhalts restriktiv auszulegen.1305 Allerdings kann es den Staaten nicht untersagt werden, die Einnahmenbesteuerung 1298
Ferdinand Wollenschläger, Art. 11, in: Horst Dreier (Hrsg.), Grundgesetzkommentar, Bd. 1, 3. Auflage, Mohr Siebeck 2013, 1210, Rn. 10; letzteres kann sogar völkergewohnheitsrechtliche Geltung beanspruchen, vgl. Eckart Klein, Movement, Freedom of, International Protection, MPEPIL, Rn. 2; Guy S. Goodwin-Gill, The Right to Leave, The Right to Return and the Question of the Right to Remain, in: Vera Gowlland-Debbas (Hrsg.), The Problem of Refugees in the Light of Contemporary International Law Issues, Kluwer Law International 1996, 93, 95 ff. 1299 Ferdinand Wollenschläger, ebd., Rn. 10; Guy S. Goodwin-Gill, ebd., 95, 97; Kay Hailbronner, Comments On: The Right to Leave, the Right to Return and the Question of a Right to Remain, in: Vera Gowlland-Debbas (Hrsg.), The Problem of Refugees in the Light of Contemporary International Law Issues, Kluwer Law International 1996, 109, 112. 1300 Dimitry Kochenov, The Right to leave any Country (Fn. 322) 43 ff. 1301 Eckart Klein, Movement, Freedom of (Fn. 1298); Thomas Giegerich, Kapitel 26: Freizügigkeit, in: Rainer Grote/Thilo Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG: Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, Mohr Siebeck 2006, 1420, Rn. 36. 1302 Eckart Klein, Movement, Freedom of (Fn. 1298); Thomas Giegerich, Kapitel 26: Freizügigkeit, in: Rainer Grote/Thilo Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG: Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, Mohr Siebeck 2006, 1420, Rn. 36. 1303 Roy Behnke/Carol Kerven, Counting the Costs (Fn. 732) 69 ff. 1304 Ebd. 1305 Rainer Hofmann, Ausreisefreiheit (Fn. 169) 135.
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im Inland oder eine entsprechende Kompensation durch Ausfuhrzölle sicherzustellen. Auch ein Verbot der Ausfuhr von Viehbeständen zur Sicherstellung der Ernährung der eigenen Bevölkerung in Zeiten von Hungersnot dürfte mit dem Recht auf Ausreise vereinbar sein. Den berechtigten staatlichen Interessen an der Verhinderung einer illegalen Viehausfuhr kann indes auch mit milderen Mitteln begegnet werden als mit einem Ausreiseverbot. bb) Recht auf Einreise ins eigene Land Gerade für Nomaden, für deren Lebensweise der vorübergehende Aufenthalt in verschiedenen Ländern typisch ist, ist das Recht auf Rückkehr in „das eigene Land“ von unermesslicher Bedeutung.1306 Hierbei muss jedoch untersucht werden, was unter dem eigenen Land – „one’s own country“ – zu verstehen ist. Knüpft die Einordnung formal an die Staatsangehörigkeit an,1307 so wären die meisten Nomaden nicht vollumfänglich geschützt, sofern sie nicht die doppelte Staatsangehörigkeit aller Staaten, durch die sie ziehen, besitzen. Geht es hingegen nicht um „own country“ im staatsbürgerschaftlichen, sondern im soziologischen Sinne,1308 dann kann das Recht auf Einreise ins Heimatland durchaus auch jene Menschen betreffen, die innerhalb bestimmter Regionen seit Langem gewohnheitsmäßig ein- und ausreisen. Insbesondere jene Pastoralisten, die im Wechsel der Jahreszeiten zwischen Sommer- und Winterweide wechseln, bedürfen eines Rechts auf Rückkehr, welches auch von den geschützten Ausprägungen des Freizügigkeitsrechts erfasst ist.1309 Insbesondere die Verankerung in Art. 12 IV IPBPR1310 gibt Anlass für eine sehr weitgehende Interpretation des Rückreiserechts: Dieser nennt nämlich als Schutzadressaten „no one“ und nicht „no national“, sodass prinzipiell auch Angehörige fremder Staaten vom Rückkehrrecht erfasst sein könnten. Dem steht jedoch scheinbar die Formulierung „to enter his own country“ entgegen. Überdies stellte der UN-Menschenrechtsausschuss in seinem General Comment Nr. 15 im Jahre 1986 fest, dass der Pakt 1306
Vgl. Hierzu Ryan Liss, A Right to Belong (Fn. 1074) 1097. In diesem Sinne: José D. Inglés, Study of Discrimination in Respect of the Right of Everyone to Leave any Country including His Own, and to Return to his Country, UN Doc E/ CN.4/Sub. 2/220/Rev. 1, 38 f.; Ruth Lapidoth, The Right to Return in International Law, with special Reference to Palestinian Refugees (1986) IYbHR 103, 107 f.; Richard B. Lillich, Civil Rights, in: Theodor Meron (Hrsg.), Human Rights in International Law: Legal and Policy Issues, Clarendon 1984, 114, 151; Kurt René Radley, The Palestinian Refugees: The Right to Return in International Law (1978) AJIL 586, 613 f.; Maurice Kamto, Fourth Report on the expulsion of aliens (24. März 2008) UN Doc A/CN.4/594, Rn. 11. 1308 I.d.S. Ryan Liss, A Right to Belong (Fn. 1074) 1129 ff. 1309 Eckart Klein, Movement, Freedom of (Fn. 1298). 1310 International Covenant on Civil and Political Rights (16. Dezember 1966) 999 UNTS 171. 1307
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„does not recognize the right of aliens to enter or reside in the territory of a state party. It is in principle a matter for the state to decide who it will admit to its territory.“1311
(1) Was ist das eigene Land? Unter „his own country“ könnte somit allein das Land der Staatsangehörigkeit zu verstehen sein.1312 Allerdings ist auch ein deutlich weiteres Verständnis noch vom Wortlaut erfasst. Diesem scheint der UN-Menschenrechtsausschuss in jüngerer Zeit zuzuneigen, indem es nunmehr feststellt, dass der Begriff „permits a broader interpretation that might embrace other categories of long-term residents, including but not limited to stateless persons arbitrarily deprived of the right to acquire the nationality of the country of such residence.“1313
In dieser Formulierung werden Staatenlose nur als eine weitere Gruppe von Berechtigten, keinesfalls aber abschließend, aufgezählt. Einer Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf Nomaden hat der Menschenrechtsausschuss somit die Tür geöffnet.1314 Allerdings stellt sich die Frage, ob Nomaden als „long-term residents“ verstanden werden können. Der Begriff des „Residents“ steht einer Erstreckung auf nichtsesshafte Menschen scheinbar entgegen. Allerdings befinden sich gerade Nomaden in der Situation, dass ihr traditionell seit Jahrhunderten „eigenes“ Land heutzutage häufig von Staatsgrenzen zerteilt wird. Für keine Gruppe ist das Recht auf Ausreise und Rückkehr so wichtig, wie für jene Völker, die im jährlichen Rhythmus von einem Land ins andere wandern. Eine schutzzweckbezogene Sichtweise spricht daher dafür, den Begriff „Own Country“ weit und vor allem staatsangehörigkeitsunabhängig zu verstehen. Schließlich spricht auch die Historie des „Right to Return“ für einen weiten persönlichen Schutzbereich. Denn im Rahmen einer Debatte der UN-Kommission für Menschenrechte im Juni 1952 schlug Australien vor, den Wortlaut von Art. 12 IPBPR,1315 der ursprünglich ein „right to enter a country of which he is a national or citizen“ beinhalten sollte, zu erweitern um „or in which he has a permanent home“. Dieser Vorschlag wurde als zu weitgehend abgelehnt, 1311
UN-Menschenrechtsausschuss, General Comment No. 15, The Position of Aliens under the Covenant, Rn. 5, UN Doc HRI/GEN/1/Rev.1 (11. April 1986). 1312 Vgl. das Vorbringen Kanadas im Fall vor dem UN-Menschenrechtsausschuss, Giosue Canepa ./. Kanada (1997) No. 558/1993, UN Doc CCPR/C/59/D/558/1993, Abs. 9.2: „… definition of ,own country‘ other than that of country of nationality would seriously erode the ability of States to exercise their sovereignty through border control and citizenship access requirements“. 1313 UN-Menschenrechtsausschuss, General Comment No. 27, Article 12 (Freedom of Movement) (2. November 1999) UN Doc CCPR/C/21/Rev.1/Add.9, Rn. 20. 1314 Im Sinne eines weiten Verständnisses von „own country“ auch: Michelle Forster, An „Alien“ by the Barest of Threads – the Legality of the Deportation of Long-Term Residents from Australia, 2009 Melbourne ULR, 483, 516 ff.; Hurst Hannum, The right to Leave and Return in International Law and Practice, Springer 1987, 58 f. 1315 International Covenant on Civil and Political Rights (16. Dezember 1966) 999 UNTS 171.
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woraufhin sich die aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte entlehnte Formulierung „his own country“ durchsetzte.1316 Der Vorschlag Kanadas die Formulierung der AEMR explizit auf Citizens zu beschränken scheiterte ebenfalls.1317 Heute wird mehrheitlich angenommen, dass die Abwendung von den Begriffen „Citizen“ und „Nationality“ jene Menschen inkludieren sollte, die „Permanent Residents“1318 sind, zumindest ein „strong attachment to the state“, einen „Genuine Link“, „Native Land“ oder eine anderweitige Verbundenheit zu dem jeweiligen Staat haben.1319 Das internationale Recht entwickelt sich in eine Richtung, welche die Staaten in ihrer bislang beanspruchten freien Verfügungsgewalt über die Permeabilität ihrer Staatsgrenzen mehr und mehr einschränkt.1320 Diese Entwicklung spiegelt sich auch in einer sich wandelnden Entscheidungspraxis des UN-Menschenrechtsausschusses wieder. 1996 hatte dieser im Fall Stewart noch entschieden, dass sich v. a. Staatsbürger auf Art. 12 IV IPBPR1321 berufen könnten.1322 Neben diesen stünde ein Recht auf Einreise in den eigenen Staat nur noch jenen Menschen zu, die zuvor rechtswidrig 1316
Siehe mit Nachweisen: Ryan Liss, A Right to Belong (Fn. 1074) 1133. Hurst Hannum, The right to Leave and Return in International Law and Practice, Springer 1987, 56 f. 1318 Kathleen Lawand, The Right to Return of Palestinians in International Law (1996) IJRL, 532, 551. 1319 Ryan Liss, A Right to Belong (Fn. 1074) 1133; Hurst Hannum, The right to Leave and Return in International Law and Practice, Springer 1987, 56 ff.; Stig Jagerskiold, The Freedom of Movement, in: Louis Henkin (Hrsg.), The International Bill of Rights: The Covenant on Civil and Political Rights, Columbia University Press, 166, 180 f.; Manfred Nowak, UN Covenant on Civil and Political Rights, CCPR Commentary, 2. Auflage, NP Engel 2005, 284; Kathleen Lawand, ebd., 565; Wojciech Goralczyk, Governing Rules Project: Review and Discussion on the Movement of Persons across Borders (1991) ProcASIL, 51, 56 f.; Rosalyn Higgins, The right in international law of an individual to enter, stay in and leave a country (1973) IA, 341, 349 f.; Thomas W. Mallison/Sally V. Mallison, The Right of Return (1980) JPS, 125; Gail J. Boling, The 1948 Palestinian Refugees and the Individual Right of Return: An International Law Analysis, BADIL 2007, 64; John Quigley, Family Reunion and the Right to Return to Occupied Territory (1992) Georgetown ILJ, 223, 234 f.; Rex J. Zedalis, Right to Return: A closer Look (1992) Georgetown ILJ, 499, 505 ff.; Vojin Dimitrijevic, Legal Position of Palestine Refugees (1968) RIA, 18; Donna E. Arzt/Karen Zughaib, Return to Negotiated Lands: The Likelihood and Legality of a Population Transfer between Israel and a Future Palestinian State (1992) NYUJILP, 1399, 1445; Bill Frelick, The Right of Return (1990) IJRL, 442 ff.; Alfred Maurice de Zayas, The Right to one’s Homeland, Ethnic Cleansing, and the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia (1995) CLF, 257, 258; Mitchell Knisbacher, Aliyah of Soviet Jews: Protection of the Right of Emigration under International Law (1973) Harvard ILJ, 89, 96 f. 1320 Ryan Liss, A Right to Belong (Fn. 1074) 1104. 1321 International Covenant on Civil and Political Rights (16. Dezember 1966) 999 UNTS 171. 1322 UN-Menschenrechtsausschuss, Charles E Stewart ./. Kanada (1996) No. 538/1993, UN Doc CCPR/C58/D538/1993, vgl. in diesem Sinne auch UN-Menschenrechtsausschuss, AS ./. Kanada (1984) No. 68/1980, UN Doc CCPR/C/OP/1. 1317
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oder durch Hoheitswechsel ihre Staatsangehörigkeit verloren hätten.1323 Dem Fall Stewart liegt somit ein rein rechtliches Verständnis von „Own Country“ zugrunde, welches zwingend an die Staatsangehörigkeit anknüpft, entweder in dem Sinne, dass sie vorhanden ist, oder aber auf sie ein Anspruch besteht.1324 Von dieser rein rechtlichen Betrachtungsweise wich der Menschenrechtsausschuss erstmals im Jahre 2000 in Toala ./. Neuseeland ab,1325 als er entschied, dass die Beschwerdeführer zwar rechtlich ihre neuseeländische Staatsangehörigkeit gegen ihren Willen verloren hatten, Neuseeland aber mangels sozialer Beziehungen dorthin nicht ihr „Own Country“ war. Bemerkenswert an dieser Entscheidung ist, dass die Staatsangehörigkeit somit nicht allein aussagekräftig ist, was sich als „own country“ darstellt.1326 Im Zuge der Fälle Warsame ./. Kanada1327 und Nystrom und Turner ./. Australien1328 änderte der Ausschuss seine Auffassung allerdings 2011 dahingehend, dass auch der Aufenthaltsstaat eines Nichtstaatsbürgers unter Umständen dessen „Own Country“ sein könne, abhängig von dessen soziologischen Beziehungen zu diesem Staat.1329 „… the scope of ,his own country‘ is broader than the concept of ,country of nationality‘. It is not limited to nationality in a formal sense, that is nationality acquired at birth or by conferral; it embraces, at the very least, an individual who, because of his or her special ties to or claims in relation to a given country, cannot be considered to be a mere alien. In this regard it finds, that there are factors other than nationality which may establish close and enduring connections between a person and a country, connections which may be stronger than those of nationality.“1330
1323 UN-Menschenrechtsausschuss, Charles E Stewart ./. Kanada (1996) No. 538/1993, UN Doc CCPR/C58/D538/1993, Rn. 12.4. 1324 Ryan Liss A Right to Belong (Fn. 1074) 1140. 1325 UN-Menschenrechtsausschuss, Simalae Toala et al. ./. Neuseeland (1998) No. 675/ 1995, UN Doc CCPR/C/70/D/675/1995, Abs. 3.1 ff., 9.2, 11.5. 1326 Allerdings entschied der Ausschuss 2004 noch, dass der mit einer Australierin verheiratete und in Australien lebende Italiener Francesco Madafferi, Australien nicht als sein „own country“ i.S.d. Art. 12 IV IPBPR betrachten könne (UN-Menschenrechtsausschuss, Francesco Madafferi ./. Australien (2004) No. 1011/2001, UN Doc CCPR/C/81/D/1011/2001, Rn. 9.6). 1327 UN-Menschenrechtsausschuss, Jama Warsame ./. Kanada (2011) No. 1959/2010, UN Doc CCPR/C/102/D/1959/2010. 1328 UN-Menschenrechtsausschuss, Stefan Lars Nystrom et al. ./. Australien (2011) No. 1557/2007, UN Doc CCPR/C/102/D/1557/2007. 1329 Ryan Liss, A Right to Belong (Fn. 1074) 1130. 1330 UN-Menschenrechtsausschuss, Jama Warsame ./. Kanada (2011) No. 1959/2010, UN Doc CCPR/C/102/D/1959/2010, Abs. 8.4; UN-Menschenrechtsausschuss, Stefan Lars Nystrom et al. ./. Australien (2011) No. 1557/2007, UN Doc CCPR/C/102/D/1557/2007, Abs. 7.4.
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Ryan Liss bezeichnet diese Art der soziologischen Zugehörigkeit in Anlehnung an Christina Rodriguez1331 als „Sociological Membership“1332, welche anstelle des Staatsangehörigkeitsbandes dem Begriff „One’s own Country“ zugrundeliegen soll: „,Sociological Membership‘ is used with reference to an individual’s interpersonal ties to one’s family and community, experiental ties to a place, and psychological ties to one’s country.“ 1333
Die Erweiterung des Berechtigtenkreises eines Rechts auf Einreise durch den Rückgriff auf eine soziologische Mitgliedschaft wird kritisiert: Diese führe zu einer dritten Kategorie von Menschen innerhalb eines Staates, den „Denizens“.1334 „Denizens“ seien Menschen, die, anders als gewöhnliche Ausländer, ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht hätten, aber dennoch keine vollen Staatsbürger seien.1335 Hierdurch entstehe eine problematische Trennung zwischen politischer und territorialer Zugehörigkeit.1336 Diese Trennung sei deshalb problematisch, weil sie die Legitimität von staatlicher Autorität untergrabe. Es sei ein Zustand denkbar, in welchem die Staatsgewalt zwar die Legitimierung durch das politische Volk, nicht jedoch durch die territoriale Bevölkerung besäße,1337 etwa weil Teile dieser Bevölkerung nicht wahlberechtigt sind. Außerdem führe diese Trennung von Staatsbürgerschaft und soziologischer Mitgliedschaft zu einer Unterminierung des diplomatischen Schutzes, da allein der durch das Band der Staatsangehörigkeit verbundene Staat diesen international ausüben könne.1338 Deshalb müsse das Recht auf Einreise ins eigene Land auf jene beschränkt sein, die bereits einen Anspruch auf Staatsbürgerschaft besäßen.1339 Aus dieser Kritik eine Verengung des Rechts auf Einreise ins eigene Land zu fordern, verkennt aus einer eurozentristischen Sichtweise Ursache und Wirkung: Nicht durch das Recht auf Einreise aller der soziologischen Gemeinschaft Zugehöriger tritt eine Spaltung zwischen politischer und territorialer Zugehörigkeit auf, 1331
Christina M. Rodriguez, Immigration, Civil Rights & the Evolution of the People (2013) Dædalus, the Journal of the American Academy of Arts & Sciences, 1, 10 online unter: http://digitalcommons.law.yale.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=5820&context=fss_papers (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 1332 Ryan Liss, A Right to Belong (Fn. 1074) 1130, 1100 Fn. 11. 1333 Ebd., 1130, 1100 Fn. 11; vgl. in diesem Sinne auch IGH, Ahmadou Sadio Diallo (Guinea ./. Demokratische Republik Kongo) Sondervotum Richter Cançado Trindade (30. November 2010) ICJ Rep 2010, 729, Rn. 156. 1334 Ryan Liss, A Right to Belong (Fn. 1074) 1166. 1335 Ebd. 1336 Ebd.; Michael Walzer, Spheres of Justice: A Defense of Pluralism and Equality, Basic Books 1993, 57; Christian Joppke, Citizenship and Immigration, Polity 2010, 36. 1337 Ryan Liss, ebd., 1167. 1338 Ebd., 1168 unter Verweis auf Myres S. McDougal/Harold D. Lasswell/Lung-chu Chen, Nationality and Human Rights: The Protection of the Individual in External Areas (1973) Yale LJ, 900, 901. 1339 Michael Walzer, Spheres of Justice (Fn. 1336) 60.
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sondern aufgrund einer im Kolonialismus und dem Konzept der Sesshaftigkeit wurzelnden Trennung zwischen Staatsangehörigkeit und territorialer Verbundenheit ist ein derart weiter soziologischer Zugehörigkeitsbegriff nötig. Nur im globalen Norden stellt sich Staatsvolk und Bevölkerung seit dem Siegeszug des Nationalismus als scheinbar notwendige Einheit dar. In vielen willkürlich durch Europäer geschaffenen Staaten der ehemaligen Kolonialgebiete sind diese beiden Größen jedoch aufgrund der Mobilität der Bevölkerung und völlig willkürlich gezogener Grenzen nicht in Kongruenz zu bringen. Nomaden besitzen, wie alle indigenen Völker, häufig besonders enge Verbindungen zu jenen Ländern die traditionell ihre Weide- oder Jagdgründe darstellten. Daher können sie nach diesem soziologischen Verständnis, wie es neuerdings der UN-Menschenrechtsausschuss favorisiert, ein Recht auf Einreise in jene Länder beanspruchen, denen sie sich traditionell verbunden fühlen, ungeachtet dessen, ob sie die Nationalität dieser Länder besitzen, oder nicht. Gerade die traditionellen Wanderräume der Nomaden beschränken sich häufig nicht nur auf ein Land, sondern erstrecken sich über mehrere Staaten. Zu all diesen Staaten können soziologische Verbindungen bestehen, die es rechtfertigen, dass Nomaden sie als „Own Country“ begreifen. Das Recht auf Einreise in den eigenen Staat vermag also auch aus positivistischer Sicht vielen Nomaden den Grenzübertritt zu ermöglichen. Allerdings stößt es dort an seine Grenzen, wo Nomaden z. B. aus ökologischen und klimatischen Gründen beabsichtigen, gänzlich neue Weidegründe für sich zu erschließen. Eng verwandt mit der Problematik eines Rechts auf Einreise in den eigenen Staat, ist die ungeklärte Frage eines „Rechts auf Heimat“, oder eines damit verbundenen „Rechts auf Heimkehr“. Sofern Volksgruppen wie z. B. die Ilois,1340 die Palästinenser1341 oder der deutsche Bund der Vertriebenen1342 ein solches fordern, umfasst 1340 EGMR, Chagos Islanders ./. United Kingdom (11. Dezember 2012) App Nr. 35622/04; sowie die Entscheidungen britischer Gerichte: R (Bancoult) ./. Secretary of State for Foreign and Commonwealth Affairs [2001] 1 QB 1067 (Bancoult 1); Divisional Court, R (Bancoult) ./. Secretary of State for Foreign and Commonwealth Affairs [2006] EWHC 1038; Court of Appeal, R (Bancoult) ./. Secretary of State for Foreign and Commonwealth Affairs [2008] QB 365; House of Lords, R (Bancoult) ./. Secretary of State for Foreign and Commonwealth Affairs [2008] 3 WLR 955; House of Lords, R (Bancoult II) ./. Secretary of State for Foreign and Commonwealth Affairs 2009 AC 454 (Bancoult 2); High Court, Chagos Islanders ./. Attorney General and HM BIOT Commissioner [2003] EWHC QB 2222; Court of Appeal, Chagos Islanders ./. Attorney General and HM BIOT Commissioner [2004] EWCA Civ 997; Supreme Court, R (Bancoult 2) ./. Secretary of State for Foreign and Commonwealth Affairs [2016] UKSC 35; Richard Gifford, The Chagos Islands – The Land Where Human Rights hardly Ever Existed, (1/2004) LGD, online unter: http://www2.warwick.ac.uk/fac/soc/law/elj/lgd/2004_1/ gifford/ (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018); Stephen Allen, The Chagos Islanders and International Law, Hart Publishing 2014; Peter H. Sand, Atoll Diego Garcia: Naturschutz zwischen Menschenrecht und Machtpolitik, Herbert Utz Verlag 2011. 1341 UNGA Res 194, Palestine – Progress Report of the United Nations Mediator (11. Dezember 1948) UN Doc A/RES/194 (III), Nr. 11; UNGA Res 2535 B (XXIV), United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (10. Dezember 1969) UN Doc A/RES/2535 (XXIV) A – C; UNGA Res 2672 C(XXV), United Nations Relief and
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das Begehr nicht nur den Wunsch nach Einreise, sondern nach einer gänzlichen Verlegung des Lebensmittelpunktes in das als „Heimat“ wahrgenommene Land und ist teilweise sogar verbunden mit einer Forderung nach Restitution von Eigentum.1343 Überdies handelt es sich beim „Recht auf Heimat“ weniger um ein Individualrecht, als um ein volks- bzw. volksgruppenbezogenes Recht. Dieses wird daher näher im Zusammenhang mit dem „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ an späterer Stelle thematisiert.1344 (2) Beschränkbarkeit des Rechts auf Einreise ins eigene Land Art. 12 IV IPBPR1345 formuliert, dass das Recht auf Einreise niemandem willkürlich entzogen werden darf. Aus der Entwicklungsgeschichte des IPBPR ergibt sich, dass lediglich eine einzige Art des Entzugs dieses Rechtes für nicht-willkürlich erachtet wurde, nämlich jene eines Zwangsexils zur Sanktionierung einer Straftat.1346 Auch der UN-Menschenrechtsausschuss bestätigte, dass der Begriff der Willkür eng auszulegen sei, da nur wenige Umstände denkbar seien, in denen eine Verweigerung des Rechts auf Heimkehr vernünftig sei.1347 Die Beschränkung des Rechts auf Ausreise steht unter dem Vorbehalt des Art. 12 III IPBPR,1348 der eine solche nur zum Schutze der nationalen Sicherheit, des „Ordre Public“, der Volksgesundheit, der öffentlichen Sittlichkeit oder der Rechte Anderer erlaubt und zudem eine Notwendigkeit verlangt. Noch einschränkender sind die Vorbehalte der AEMR, in deren Art. 29 es heißt: Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (8. Dezember 1970) UN Doc A/RES/ 2672 (XXV) A – D; UNGA Res 3089 D (XXVIII), United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (7. Dezember 1973) UN Doc A/RES/3089 (XXVIII) A – E; Kurt René Radley, The Palestinian Refugees (Fn. 1307) 586; Kathleen Lawand, The Right to Return of Palestinians in International Law (Fn. 1318) 532. 1342 Fritz Wittmann, 50 Jahre Flucht, Deportation, Vertreibung – Unrecht bleibt Unrecht, in: Bund der Vertriebenen (Hrsg.), 50 Jahre Flucht, Deportation, Vertreibung – Unrecht bleibt Unrecht, Köllen Druck+Verlag 1995, 20 ff. 1343 Dieter Blumenwitz, 50 Jahre nach Flucht und Vertreibung – Zur Aktualität des Rechts auf die Heimat, Festvortrag anlässlich der Gedenkveranstaltung des Bundes der Vertriebenen am 28. Mai 1995 in Frankfurt, abgedruckt in: Bund der Vertriebenen (Hrsg.), 50 Jahre Flucht, Deportation, Vertreibung – Unrecht bleibt Unrecht, Köllen Druck+Verlag 1995, 12 – 19. 1344 F. IV. 1345 International Covenant on Civil and Political Rights (16. Dezember 1966) 999 UNTS 171. 1346 Andrew Wolman, North Korean Escapees’ Right to Enter South Korea: An International Law Perspective, (2011) Yonsei LJ, 141, 149; Sander Agterhuis, The Right to Return and its Practical Application (2005) RHDI, 165, 172; Manfred Nowak, Covenant on Civil and Political Rights (Fn. 1319) 219. 1347 UN-Menschenrechtsausschuss, General Comment No. 27, Freedom of Movement (Art. 12) (1. November 1999) UN Doc CCPR//C/21/Rev.1/Add.9, Rn. 21. 1348 International Covenant on Civil and Political Rights (16. Dezember 1966) 999 UNTS 171.
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„Jeder ist bei Ausübung seiner Rechte und Freiheiten nur den Beschränkungen unterworfen, die das Gesetz ausschließlich zu dem Zwecke vorsieht, die Anerkennung der Rechte und Freiheiten anderer zu sichern und den gerechten Anforderungen der Moral, der öffentlichen Ordnung und des allgemeinen Wohles in einer demokratischen Gesellschaft zu genügen.“1349
Auch muss Art. 31 WVK1350 berücksichtigt werden, wonach ein Vertrag nach Treu und Glauben im Lichte seines Zieles und Zweckes ausgelegt werden muss. Ziel und Zweck der Menschenrechtspakte1351 und der Völkergewohnheitsrecht1352 wiederspiegelnden AEMR1353 ist ausweislich deren Präambel eine möglichst weitgehende Geltung der Menschenrechte.1354 Deren Substanz darf gemäß Art. 5 I IPBPR1355 nicht abgeschafft werden. Dies gebietet, so der UN-Menschenrechtsausschuss, dass das Verhältnis zwischen Recht und Beschränkung, zwischen Regel und Ausnahme, nicht umgekehrt werden darf.1356 Nur in Ausnahmen darf daher ein Recht aus Ausreise oder auf Wiedereinreise ins eigene Land von staatlicher Seite beschränkt werden. Schließlich müssen die Beeinträchtigungen des Freizügigkeitsrechts verhältnismäßig sein1357 und einer ganz erheblichen gesellschaftlichen Notwendigkeit entsprechen.1358 Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, müssen Ausreisebeschränkungen und solche, die die Wiedereinreise ins „eigene Land“ verbieten, gesetzlich bestimmt werden,1359 und zwar so, dass sie anhand präzise benannter Kriterien den Ausfüh1349 UNGA Res 217 A (III), Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) (10. Dezember 1948) UN Doc A/RES/217(III). 1350 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVK) (23. Mai 1969) 1155 UNTS 331. 1351 International Covenant on Civil and Political Rights (16. Dezember 1966) 999 UNTS 171; International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (16. Dezember 1966) 993 UNTS 3. 1352 Eibe Riedel, Universeller Menschenrechtsschutz – Vom Anspruch zur Durchsetzung, in: Gerhard Baum/Eibe Riedel/Michael Schaefer (Hrsg.), Menschenrechtsschutz in der Praxis der Vereinten Nationen, Nomos 1998, 25, 28 ff. m.w.N. 1353 UNGA Res 217 A (III), Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) (10. Dezember 1948) UN Doc A/RES/217(III). 1354 Präambel UNGA Res 217 A (III), Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) (10. Dezember 1948) UN Doc A/RES/217(III); Präambel International Covenant on Civil and Political Rights (16. Dezember 1966) 999 UNTS 171; Präambel, International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (16. Dezember 1966) 993 UNTS 3. 1355 International Covenant on Civil and Political Rights (16. Dezember 1966) 999 UNTS 171. 1356 UN-Menschenrechtsausschuss, General Comment No. 27, Freedom of Movement (Art. 12), (1. November 1999) UN Doc CCPR//C/21/Rev.1/Add.9, Rn. 13. 1357 UN-Menschenrechtsausschuss, General Comment No. 27, Freedom of Movement (Art. 12), (1. November 1999) UN Doc CCPR//C/21/Rev.1/Add.9, Rn. 14. 1358 Rainer Hofmann, Ausreisefreiheit (Fn. 169) 174. 1359 UN-Menschenrechtsausschuss, General Comment No. 27, Freedom of Movement (Art. 12), (1. November 1999) UN Doc CCPR//C/21/Rev.1/Add.9, Rn. 12.
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rungsorganen kein unbegrenztes Ermessen einräumen.1360 Ferner muss gegen diese Entscheidungen Rechtsschutz gewährt werden.1361 c) Zwischenfazit – individuelles Menschenrecht auf Ausreise und Rückreise ins soziologisch zu bestimmende eigene Land Individuelle Nomaden besitzen aufgrund völkerrechtlicher Menschenrechtsverpflichtungen ein Recht auf Ausreise und ein Recht auf Einreise ins eigene Land.1362 Umstritten ist, worum es sich beim „eigenen Land“ handelt. Hier verfolgt der UNMenschenrechtsausschuss, statt der früher vertretenen staatsbürgerschaftlichen Anknüpfung, nunmehr eine soziologische Herangehensweise.1363 Nomaden können demnach eine Rückreise in solche Länder beanspruchen, zu denen sie eine besondere Verbindung besitzen. Dies sind üblicherweise jene Länder, in denen sich ihre traditionellen Weide- und Jagd, oder Fischgründe befinden. Aus den positiven Menschenrechtsgewährungen lässt sich hingegen kein Recht auf Einreise in ein beliebiges Land herleiten, wie es zur Erschließung neuer Weidegründe manchen Nomaden, z. B. aufgrund des Klimawandels oder zur Flucht vor gewaltsamen Auseinandersetzungen, ratsam erscheinen mag. Ein solches allumfassendes Einreiserecht ergäbe sich allenfalls aus naturrechtlicher Perspektive. Hierfür sprechen gute Argumente, denn die Menschen haben sich zu Staaten zusammengeschlossen, um ihre Position zu stärken und nicht zu
1360
UN-Menschenrechtsausschuss, General Comment No. 27, Freedom of Movement (Art. 12), (1. November 1999) UN Doc CCPR//C/21/Rev.1/Add.9, Rn. 13. 1361 Dimitry Kochenov, The Right to leave any Country (Fn. 322) 66 m.w.N. 1362 Art. 13 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, UNGA Res 217 A (III) (10. Dezember 1948) UN Doc A/RES/217(III); International Covenant on Civil and Political Rights (16. Dezember 1966) 999 UNTS 171; Convention relating to the Status of Refugees (28. Juli 1951) 189 UNTS i-2545; Art. 3 II, Protokoll Nr. 4 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, durch das gewisse Rechte und Freiheiten gewährleistet werden, die nicht bereits in der Konvention oder im ersten Zusatzprotokoll enthalten sind (16. September 1963) BGBl 1968 II, 423; Art. 22 V American Convention on Human Rights, (22. November 1969) 1144 UNTS 123; Art. 12 African Charter on Human and People’s Rights (Banjul-Charta) (27. Juni 1981 in Kraft seit 21. Oktober 1986) OAU Doc CAB/LEG/67/3 rev 5, 21 ILM 58 (1982) Art. 8 International Convention on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families, UNGA Res 45/158 (18. Dezember 1990) UN Doc A/ RES/45/158 Art. 5 International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination, UNGA Res 2106 (XX) (21. Dezember 1965, in Kraft getreten 23. März 1976) UN Doc A/RES/2106(XX) Art. 10 Convention on the Right of the Child, UNGA Res 44/25 (20. November 1989, in Kraft seit 2. September 1990) UN Doc A/RES/44/25 Art. 5 UNGA Declaration on the Human Rights of Individuals Who are not Nationals of the Country in which They live, UNGA Res 40/144 (13. Dezember 1985) UN Doc A/RES/40/144 Art. 18 (c)–(d) Convention on the Rights of Persons with Disabilities (13. Dezember 2006) 2515 UNTS 3. 1363 UN-Menschenrechtsausschuss, Jama Warsame ./. Kanada (2011) No. 1959/2010, UN Doc CCPR/C/102/D/1959/2010; UN-Menschenrechtsausschuss, Stefan Lars Nystrom et al. ./. Australien (2011) No. 1557/2007, UN Doc CCPR/C/102/D/1557/2007.
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schwächen.1364 Der Staat sollte daher nicht als Selbstzweck gesehen werden, der aus eigener Souveränität mit Staatsgrenzen nach Belieben verfahren kann, sondern muss stets als Institution verstanden werden, die geschaffen wurde um den Menschen zu dienen.1365 Wenn der Staat nun jedoch seine Souveränitätsbehauptung über die angeborenen Rechte der Menschen stellt, verkehrt dies die Staatsfunktion ins Gegenteil. Soweit es der Staat aus einer besonderen Verantwortung gegenüber seinem eigenen Volk für sinnvoll erachtet, die Migration zu begrenzen, so kann dies in Gestalt eines Rechtfertigungsgrundes für Grenzschließungen genauso gewährleistet werden, wie mittels eines vorbehaltlosen Rechts hierzu. Der UN-Menschenrechtsausschuss verweist zu Recht auf das zu wahrende Verhältnis zwischen Recht und Beschränkung, welches missachtet wird, wenn die Völkerrechtsordnung von einem Grundzustand geschlossener Grenzen ausgeht.1366 Die frühen Naturrechtler waren sich dieses Umstands bewusst und erachteten das globale Freizügigkeitsrecht daher als ein nur ausnahmsweise beschränkbares Menschenrecht. Heute findet diese Position jedoch in einem (fast) ausschließlich durch Staaten gestalteten positiven Völkerrecht kaum mehr Anerkennung. 2. Wanderrechte als Zutrittsrechte zu völkerrechtlich geschütztem Eigentum nach der Banjul-Charta Die African Charter on Human and Peoples’ Rights1367 (Banjul-Charta) trat am 21. Oktober 1986 in Kraft. In ihr sind die Menschen und Volksrechte der afrikanischen Staaten (mit Ausnahme Marokkos) verankert. Die durch die Banjul-Charta gewährten Freizügigkeitsrechte sind nicht weiterreichend als die durch die allgemeinen Menschenrechtsabkommen gewährten.1368 Artikel 12 I Banjul-Charta schützt nur das Freizügigkeitsrecht innerhalb eines Staates und Art. 12 II das Recht auf Ausreise und Wiedereinreise „to his country“. Individuen haben bei Verfolgung ein Recht auf Asyl (Art. 12 III) im Einklang mit den Gesetzen und internationalen Verpflichtungen eines Landes. Von Relevanz für grenzüberschreitende Nomaden ist insbesondere Art. 12 IV der Banjul-Charta, der 1364
Jean-Jacques Rousseau, Über den Gesellschaftsvertrag oder Grundzüge des Staatsrechts, verwendet in der Übersetzung von A. Marx, Otto Wigand 1843, 6; Thomas Hobbes, Leviathan (Fn. 193) § 14; John Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung (Fn. 647). 1365 IGH, Frontier Dispute (Burkina Faso ./. Niger) Sondervotum von Richter Cançado Trindade (16. April 2013) ICJ Rep 2013, 44, Rn. 91; IGH, Request for Interpretation of the Judgment of 15 June 1962 in the Case concerning the Temple of Preah Vihear (Kambodscha ./. Thailand) Sondervotum Richter Cançado Trindade (18. Juli 2011) ICJ Rep 2011, 566, Rn. 114. 1366 UN-Menschenrechtsausschuss, General Comment No. 27, Freedom of Movement (Art. 12), (1. November 1999) UN Doc CCPR//C/21/Rev.1/Add.9, Rn. 13. 1367 African (Banjul) Charter on Human and Peoples’ Rights (27 Juni 1981, in Kraft seit 21. Oktober 1986), OAU Doc CAB/LEG/67/3 rev. 5, 21 ILM 58 (1982). 1368 F. I. 1. b).
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Angehörigen anderer Staaten, die sich legal im Land aufhalten, Schutz vor willkürlicher Ausweisung gewährt. Außerdem verbietet Art. 12 V Banjul-Charta Massenausweisungen aus nationalen, rassistischen, ethnischen oder religiösen Gründen. Im Jahre 2009 leitete die Afrikanische Menschenrechtskommission in ihrer wegweisenden Endorois-Entscheidung1369 die Rechte auf Rückkehr in angestammte Gebiete jedoch auf einem ganz anderen Wege her, welcher auch für die Entwicklung grenzüberschreitender Wanderrechte große Bedeutung hat, nämlich aus Art. 14 Banjul-Charta, dem Recht auf Eigentum.1370 Die Endorois sind eine indigene nomadische Gemeinschaft, die traditionell an den Ufern des Bogoriasees in Kenia beheimatet ist, aber in der Trockenzeit zum Mochongoi-Wald zieht. Das fruchtbare Land um den Bogoriasee ist nicht nur die Lebensgrundlage der Endorois. Um den See herum befinden sich auch die Kultstätten der Endorois, denn gemäß ihrem Glauben leben die Ahnen der Endorois im See fort.1371 Während der britischen Kolonialherrschaft behielten die Endorois ihre indigene Selbstverwaltung und trotz britischer Souveränitätsbehauptung die Nutzungsrechte an ihrem Land.1372 Im Jahre 1973 richtete Kenia dort jedoch ein Naturschutzgebiet ein und verweigerte seit 1978 den Endorois Zugang zu ihrem Land.1373 2002 schließlich verkaufte Kenia Teile des Landes an eine private Rubinmine. Die Endorois forderten vor der Afrikanischen Menschenrechtskommission das Recht auf ihr Land ein, welches sie zwischenzeitlich verlassen mussten. Unter Berufung auf das Ogoni-Urteil1374 sowie das Urteil im Falle „Huri Laws“1375 der Afrikanischen Menschenrechtskommission stellte diese fest, dass das Recht auf Eigentum nicht nur das Recht beinhaltet, Zugang zum Landeigentum zu haben und hier vor Invasion und fremdem Eindringen geschützt zu sein, sondern auch „the right to undisturbed possession, use and control of such property however the owner(s) deem fit.“1376
1369 ACHPR, 276/03 Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) ./. Kenya (11. – 25. November 2009). 1370 Die Menschenrechtskommission zog im Endorois-Fall noch andere Rechte heran, welche sich aus der Banjul-Charta ergeben. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um Individualrechte, sondern um Gruppenrechte, weshalb diese im Zusammenhang mit den Rechten indigener Völker im Abschnitt F. II. thematisiert werden. 1371 ACHPR, 276/03 Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) ./. Kenya (11. – 25. November 2009), Rn. 73 ff. 1372 Ebd., Rn. 88. 1373 Ebd., Rn. 3. 1374 ACHPR, 155/96 Social and Economic Rights Action Center (SERAC) and Center for Economic and Social Rights (CESR) ./. Nigeria (27. Oktober 2001). 1375 ACHPR, 225/98 Huri – Laws ./. Nigeria (6. November 2000). 1376 ACHPR, 276/03 Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) ./. Kenya (11. – 25. November 2009), Rn. 186.
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Dieses gelte nicht nur für Privateigentum, sondern, entsprechend dem AwasTigni-Urteil des Interamerikanischen Gerichtshofs,1377 auch für gemeinschaftlich genutztes Land indigener Gemeinschaften.1378 Nach Auffassung der Afrikanischen Menschenrechtskommission erstarken traditionelle Landnutzungsrechte heute zu vollwertigem Eigentum, da nur so ein umfänglicher Schutz gewährt werden könne. Dieses Eigentum sei nicht nur ein formaler Titel, sondern beinhalte auch ein Zutrittsund Nutzungsrecht: „The Respondent State must grant title to their territory in order to guarantee its permanent use and enjoyment.“1379
Obwohl der Endorois-Fall selbst keinen grenzüberschreitenden Bezug aufwies, so lässt sich aus ihm doch entnehmen, dass aus einer nomadischen Landnutzung ein gemeinschaftliches Eigentumsrecht erwächst, dessen Zutritt und Nutzung auch über Staatsgrenzen hinweg gewährt bleiben muss. Aus dem international, z. B. durch die Banjul-Charta geschützten, Recht auf Eigentum kann sich somit auch ein Recht auf Grenzübertritt ergeben. Die Umwandlung clanrechtlicher Nutzungsrechte in modernes Eigentum hat allerdings einen gravierenden Nachteil: Nomadisch genutztes Land wird häufig von unterschiedlichen nomadischen Gemeinschaften zu unterschiedlichen Jahreszeiten auf unterschiedliche Weise genutzt.1380 Eine Umwandlung dieser traditionellen Nutzung in Eigentum erlaubt nunmehr aber die exklusive Zuweisung von Parzellen an eine Gemeinschaft und konterkariert gerade hierdurch das traditionelle flexible und sich überlappende indigene Landnutzungssystem. Die Endorois-Entscheidung überträgt mit dem Eigentum ein für natürliche und juristische Personen entwickeltes Konzept auf indigene Völker, um so der dadurch entstandenen Rechtslücke gerecht zu werden, dass diesen Völkern Privateigentum lange fremd war. Sie ist damit Ausdruck einer Entwicklung, die auch jenseits von indigenen Landrechten ein gewachsenes Bewusstsein für indigene Belange erkennen lässt.
1377 IACtHR, The Mayagna (Sumo) Awas Tingni Community ./. Nicaragua (31. August 2001) Judgment, (Ser. C) No. 79 (2001), „traditional patterns of use and occupation of territory by the indigenous communities of the Atlantic Coast of Nicaragua generate customary law property systems, they are property rights created by indigenous customary law norms and practices which must be protected, and they qualify as property rights protected by article 21 of the Convention. Non-recognition of the equality of property rights based on indigenous tradition is contrary to the principle of non-discrimination set forth in article 1(1) of the Convention“. 1378 ACHPR, 276/03 Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) ./. Kenya (11. – 25. November 2009) Rn. 190. 1379 ACHPR, 276/03 Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) ./. Kenya (11. – 25. November 2009), Rn. 206. 1380 C. III. 2. c); C. III. 3.
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II. Schutz indigener Völker 1. Sind Nomaden indigene Völker? „There is no internationally agreed upon definition of indigenous peoples. Different states adopt – if at all – different definitions in terms of their particular contexts and circumstances. The term indigenous is frequently used interchangeably with other terms, such as ,aboriginal‘, ,native‘, ,original‘, ,first nations‘ or else ,tribal‘ or other similar concepts.“1381
Obwohl die meisten Menschen beim Gedanken an indigene Völker in erster Linie Jäger- und Sammlernomaden vor Augen haben dürften, ist juristisch unklar, ob Nomaden vom Begriff „indigenes Volk“ überhaupt umfasst werden. Denn nach traditioneller Sichtweise ist das zentrale Merkmal eines indigenen Volkes eine besonders intensive Beziehung zu einem bestimmten Flecken Erde.1382 Mag eine solch intensive Beziehung bei einem transhumanten Volk, dessen Wanderungen sich nur über wenige Kilometer erstrecken, noch problemlos anzunehmen sein, so wird dies mit zunehmender Wanderstreckenlänge und -variabilität schwieriger. Die Antwort auf die Frage, ob territorial ungebundene Nomaden indigen sein können, ist daher v. a. von der zugrundegelegten Definition des indigenen Volkes abhängig. Dass eine verbindliche Definition nicht vorliegt, beruht v. a. auf einer Forderung der indigenen Völker selbst. Hierdurch soll das Schutzregime möglichst inklusiv gehalten werden und nicht willkürlich bestimmte Völker ausschließen.1383 a) Definition indigener Völker Um eine indigene Bevölkerung von der übrigen Bevölkerung zu unterscheiden, sind im Wesentlichen zwei Differenzierungskriterien möglich: Anders, als die nach biologischen Kriterien zu identifizierende „Rasse“, richtet sich die Zuordnung zu einer „Ethnie“ primär nach kulturellen Eigenheiten.1384 Dass daneben, etwa durch strenge Endogamie, auch genetische Gemeinsamkeiten bestehen können, ist nachrangig, führt aber in der Praxis häufig zur Ausgrenzung der betreffenden Gruppen.1385 Die Fulbe etwa lassen sich durch eine vergleichsweise helle Hautfarbe sehr schnell als Angehörige dieser Ethnie identifizieren und werden entsprechend effektiv marginalisiert. Die Afrikanische Menschenrechtskommission griff in ihrer Endorois1381
Rodolfo Stavenhagen, The Emergence of Indigenous Peoples, Springer 2013, 81, sowie ders., Indigenous Peoples in Comparative Perspective – Problems and Policies, UNDP Background Paper for HDR 2004, 1; vgl. i.d.S. auch Katja Göcke, Indigene Landrechte (Fn. 88) 9. 1382 Katja Göcke, ebd., 11. 1383 Katja Göcke, ebd., 9; Tony Simpson, Indigenous Heritage and Self-Determination: The Cultural and Intellectual Property Rights of Indigenous Peoples, IWGIA 1997, 22 f. 1384 Mark D. Cole, Das Selbstbestimmungsrecht indigener Völker, Duncker & Humblot 2009, 189. 1385 Ebd.
II. Schutz indigener Völker
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Entscheidung auf beide Kriterien zurück. Ihr zufolge manifestiert sich ein indigenes Volk in: „a common historical tradition, racial or ethnic identity, cultural homogenity, linguistic unity, religious and ideological affinities, territorial connection, and a common economic life or other bonds, identities and affinities they collectively enjoy …“1386
Eine von der Kommission eingesetzte Arbeitsgruppe subsumierte hierunter: „… first and foremost (but not exclusively) different groups of hunter-gatherers or former huntergatherers and certain groups of pastoralists.“1387
Diese Einschätzung der Afrikanischen Menschenrechtskommission kontrastiert mit den meisten im Völkerrecht diskutierten Definitionen indigener Völker, denn diese verlangen entsprechend der wörtlichen Bedeutung von „indigen“, dass es sich bei dem betreffenden Volk um „Eingeborene“, also ursprünglich in einem bestimmten Gebiet ansässige Bewohner handelt.1388 Nomaden zeichnen sich jedoch gerade dadurch aus, dass manche von ihnen teilweise über sehr weite Strecken von mitunter mehreren tausend Kilometern wandern und daher in keinem Landstrich „eingeboren“ sind. Dieser Aspekt wurde vom Verfasser der prominentesten unter den klassischen Definitionen José R. Martinez Cobo nicht berücksichtigt. Auf den Charakteristika dieser „Cobo-Definition“ bauen die meisten in der völkerrechtlichen Literatur diskutierten Definitionen auf.1389 Ihnen sind im Wesentlichen zwei Tatbestandsmerkmale gemein: Zum einen muss sich ein indigenes Volk selbst als ein solches verstehen (subjektives Element), zum anderen muss dieses in besonderer Weise mit einem bestimmten Gebiet verbunden sein (objektives Element).1390
1386 ACHPR, 276/03 Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) ./. Kenya (11. – 25. November 2009) Rn. 151. 1387 Ebd., Rn. 150. 1388 Katja Göcke, Indigene Landrechte (Fn. 88) 13. 1389 Mark D. Cole, Das Selbstbestimmungsrecht indigener Völker (Fn. 1384) 195; Tony Simpson, Indigenous Heritage and Self-Determination (Fn. 1383) 22. 1390 James S. Anaya, Indigenous Peoples in International Law, 2. Aufage, Oxford UP 2004, 3; Patrick Thornberry, Indigenous Peoples and Human Rights, Manchester UP 2002, 35; Sarah Pritchard, Working Group on Indigenous Populations: mandate, standard-setting activities and future perspectives, in: Sarah Pritchard (Hrsg.), Indigenous Peoples, the United Nations and Human Rights, Zed Books 1998, 40, 42 f.; Benedict Kingsbury, „Indigenous Peoples“ in international law: a constructivist approach to the Asian question (1998) AJIL, 414, 455; Katja Göcke, Indigene Landrechte (Fn. 88) 13, 601; ILA, Final Report Sofia (2012): Rights of Indigenous Peoples, online unter: http://www.ila-hq.org/download.cfm/docid/C5F06515-9B2249B6-B14D0EFEB5 A80248 (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018), 2 f.; Mark D. Cole, ebd.
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aa) Cobo-Definition Der Cobo-Definition aus dem Jahre 1987 liegt ein statisches territoriengebundenes Volksverständnis zugrunde, welches jedoch den historischen Besonderheiten in Afrika und Zentralasien, also den v. a. von nomadischen Völkern bewohnten Gebieten, nicht gerecht wird. Nach José Martinez Cobo definiert sich eine indigene Bevölkerung nämlich wie folgt: „Indigenous communities, peoples and nations are those which, having a historical continuity with preinvasion and pre-colonial societies that developed on their territories, consider themselves distinct from other sectors of the societies now prevailing in those territories, or parts of them. They form at present nondominant sectors of society and are determined to preserve, develop and transmit to future generations their ancestral territories, and their ethnic identity, as the basis of their continued existence as peoples, in accordance with their own cultural patterns, social institutions and legal systems.“1391
Das Cobo besonders wichtige Merkmal der historischen Kontinuität bestimmt sich anhand der folgenden Faktoren, von denen einer oder mehrere vorliegen müssen: • „(a) Occupation of ancestral lands, or at least of part of them; • (b) Common ancestry with the original occupants of these lands; • (c) Culture in general, or in specific manifestations (such as religion, living under a tribal system, membership of an indigenous community, dress, means of livelihood, life-style, etc.); • (d) Language (whether used as the only language, as mother-tongue, as the habitual means of communication at home or in the family, or as the main, preferred, habitual, general or normal language); • (e) Residence in certain parts of the country, or in certain regions of the world; • (f) Other relevant factors.“1392
Die weite Umschreibung der „historischen Kontinuität“ lässt für sich genommen noch Raum für die Berücksichtigung nomadischer Völker, insbesondere, da nicht alle Kriterien erfüllt sein müssen. Im Zusammenhang mit der eigentlichen CoboDefinition1393 wird jedoch die mehrfache Betonung und überragende Wichtigkeit des territorialen Bezugspunktes deutlich. Die meisten später entwickelten Definitionen bauen auf dieser Umschreibung Cobos in einer Weise auf,1394 die insbesondere den Kriterien einer traditionellen Beziehung zu bestimmten Landgebieten und der 1391 José R. Martinez Cobo, Study of the Problem of Discrimination against Indigenous Populations, Vol. 5 – Conclusion, Proposals and Recommendations (1987) UN Doc E/CN.4/ Sub.2/1986/7/Add.4, Rn. 379. 1392 Ebd., Rn. 380. 1393 José R. Martinez Cobo, Discrimination against Indigenous Populations (Fn. 1391) Rn. 379. 1394 Mark D. Cole, Das Selbstbestimmungsrecht indigener Völker (Fn. 1384) 195.
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Selbstidentifikation überragende Bedeutung beimessen und diese für absolut zwingend erklären.1395 Diese Definitionen indigener Völker sind geeignet, den indigenen Charakter von lokal nomadischen Völkern, wie den Endorois zu beschreiben, deren Wanderungen vom Mochongoi-Wald an den Bogoriasee max. 20 km betragen. Schwieriger wird es jedoch anhand dessen, Völker wie die Fulbe als indigen zu bezeichnen: Nicht nur, dass deren Wanderungen sich über bis zu 3.000 Kilometer erstrecken, auch die historische Kontinuität ist zweifelhaft. So wanderten die Fulbe erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts in das Gebiet der Zentralafrikanischen Republik ein und sind sogar erst seit Beginn des 21. Jahrhunderts im Kongo anzutreffen.1396 Zwar verfügen die Fulbe über eine eigene Sprache und Kultur. Diese sollen sich jedoch ausweislich der Cobo-Definition auf „ihren Gebieten“ entwickelt haben. Mit ihrem dreifachen Rekurs auf „Territories“ ist die Cobo-Definition klar auf sesshafte Völker zugeschnitten. Sie wird somit der von großer Migrationsdynamik geprägten Vergangenheit Afrikas und Zentralasiens nicht gerecht. Eine weitere Unschärfe der Cobo-Definition stellt ihr zeitlicher Anknüpfungspunkt dar. José Martinez Cobo verlangt, dass die betreffenden Völker bereits vor der Kolonisierung, bzw. vor einer Invasion in „ihren“ Gebieten sesshaft waren. Der Zeitpunkt der Kolonisierung des Bogoriasees lässt sich historisch klar eingrenzen, doch auf welchen Zeitpunkt soll bei weiträumig wandernden Völkern abgestellt werden? Die Kolonisierung Südafrikas durch die Buren etwa begann 1652. Sie setzte eine Kettenreaktion in Gang, in deren Verlauf die von den Buren vertriebenen Oorlam deren Nachbarn, die Nama, weiter nach Norden drängten, welche wiederum die Herero vor sich her ins Gebiet der Ovambo trieben.1397 Die Kolonisierung Südafrikas im 17. Jahrhundert entfaltete so eine Wirkung bis nach Südangola, dessen Kolonisierung durch Portugal selbst jedoch erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts vollendet werden konnte. Mag es sich bei den skandinavischen Samen tatsächlich um Erstbesiedler handeln, so sind die als Inbegriff des indigenen Volkes geltenden San1398 „erst“ vor 3.000 Jahren in den Süden Afrikas eingewandert.1399 Nimmt man den Pre-InvasionMaßstab ernst, so dürfte es weltweit kaum ein im wahrsten Sinne des Wortes indi1395
Katja Göcke, Indigene Landrechte (Fn. 88) 13; ILA, Final Report Sofia (Fn. 1390) 2 f. International Crisis Group, Security Challenges of Pastoralism (Fn. 70) 19. 1397 Dag Henrichsen, Herrschaft und Alltag im vorkolonialen Zentralnamibia (Fn. 96) 75 ff., 92 ff. 1398 High Court (Botswana), Roy Sesana Keiwa Selhobogwa et al. ./. Attorney General, Misca 52 (2002) (13. Dezember 2006) Rn. E.2.2; ACHPR, Report of the African Commission’s Working Group of Experts on Indigenous Populations/Communities, ACHPR und IWGIA 2005, 92. 1399 Erika C. Hayden, African Genes tracked back (2013) Nature, 500, 514; im Vergleich dazu, wird die Erstbesiedlung Nordskandinaviens durch die Samen auf zwischen 5000 v. Chr. und 10.000 v. Chr. geschätzt. 1396
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genes Volk geben. Wird hingegen alleine auf den kolonialen Kontext abgestellt,1400 so entspricht dies einer verklärten Sichtweise auf eine eroberungslose präkoloniale Zeit, welche große afrikanische Imperien wie das Reich der Songhai aber auch den FulbeDschihad des 18. und 19. Jahrhunderts ausblendet. Problematisch ist auch der Begriff „Their Territories“, bzw. „Their ancestral Territories“.1401 Aufgrund der fehlenden Verwurzelung des zivilrechtlichen Eigentumskonzepts in vielen indigenen Völkern, kann „their“ höchstens nichtproprietär verstanden werden.1402 Im Vorfeld seiner Definition betont Cobo jedoch, dass es ihm v. a. um historische Landrechte geht.1403 Die Gewährung von Landeigentum an indigene Nomaden ist insbesondere dort problematisch, wo sie sich bestimmte Gebiete im jahreszeitlichen Wechsel mit anderen sesshaften und nomadischen Völkern teilen. Schließlich identifiziert die Cobo-Definition nomadische Völker anhand dessen, dass sie sich als „distinct from other sectors of the societies now prevailing in those territories, or parts of them“1404 wahrnehmen. Dieses Kriterium baut auf der Vermutung auf, dass nomadische Völker regelmäßig anderen Völkern an Zahl und Macht unterlegen sind. Auf die Somali in Somalia, die Mongolen in der Mongolei und die Beduinen in weiten Teilen der arabischen Halbinsel trifft dieser Befund jedoch nicht zu. Sie werden nicht durch andere Ethnien unterdrückt, sondern durch Staatsgrenzen.1405 Diesem Aspekt nomadischer Marginalisierung wird die CoboDefinition nicht gerecht. Auch wird die Cobo-Definition z. B. von der Afrikanischen Menschenrechtskommission kritisiert, weil ihr falsche Annahmen zugrundelägen: „These early attempts at a definition – including the definition of José Martinez Cobo – have been criticised on the grounds that aboriginality is not the only determining factor, and that not enough importance is placed on self-identification and on contemporary situations. Limiting the definition of indigenous peoples to those local peoples still subject to the
1400
In diesem Sinne James S. Anaya, Indigenous Peoples (Fn. 1390) 3; vgl. auch Howard R. Berman, The Development of International Recognition of the Rights of Indigenous Peoples, in: Hanne Veber/Jens Dahl/Fiona Wilson/Espen Waehle (Hrsg.), „never drink from the same cup“: Proceedings of the conference on Indigenous Peoples in Africa, Tune, Denmark 1993, IWGIA und Center for Development Research 1993, 313. 1401 José R. Martinez Cobo, Discrimination against Indigenous Populations (Fn. 1391) Rn. 379. 1402 SCOC, Regina ./. Marshall; Regina ./. Bernard [2005] 2 SCR 220, 2005 SCC 43, 58, 70, 77. 1403 José R. Martinez Cobo, Discrimination against Indigenous Populations (Fn. 1391) Rn. 373 ff. 1404 Ebd., Rn. 379. 1405 Howard R. Berman, The Development of International Recognition of the Rights of Indigenous Peoples, in: Hanne Veber/Jens Dahl/Fiona Wilson/Espen Waehle (Hrsg.), „never drink from the same cup“: Proceedings of the conference on Indigenous Peoples in Africa, Tune, Denmark 1993, IWGIA und Center for Development Research 1993, 313.
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political domination of the descendants of colonial settlers as in the Americas and in Australia makes it very difficult to meaningfully use the concept in Africa.“1406
bb) Definition der ILO Einen inklusiveren Ansatz als José Martinez Cobo wählte die International Labour Organization (ILO). Zunächst versuchte diese im Rahmen der ILO-Konvention 1071407 die Assimilation indigener Gemeinschaften voranzutreiben,1408 veränderte ihre Position jedoch 1989 im Zuge der ILO-Konvention 1691409 dahingehend, indigenen Völkern ein Recht auf Eigenständigkeit zuzugestehen. Insgesamt wurde die Konvention 169 nur von 22 Staaten ratifiziert, von denen nur drei (Zentralafrikanische Republik, Nepal und Norwegen) über signifikante nomadische Bevölkerungen verfügen.1410 Die geringe Anzahl der Vertragsparteien steht jedoch in keinem Verhältnis zur wichtigen interpretationsleitenden Bedeutung der ILO-Konvention 169, welche diese in internationalen Gerichtsentscheidungen erlangt hat.1411 Die ILO-Konvention 169 definiert ihren Anwendungsbereich in Art. 1, wie folgt: „1 a) tribal peoples in independent countries whose social, cultural and economic conditions distinguish them from other sections of the national community, and whose status is regulated wholly or partially by their own customs or traditions or by special laws or regulations. 1406
African Commission on Human and Peoples’ Rights, Report of the African Commission’s Working Group of Experts on Indigenous Populations/Communities, ACHPR und IWGIA 2005, 91 f. 1407 C. IV. 3.; ILO-Convention 107, Convention concerning the Protection and Integration of Indigenous and Other Tribal and Semi-Tribal Populations in Independent Countries (26. Juni 1957). 1408 Howard R. Berman, The Development of International Recognition of the Rights of Indigenous Peoples, in: Hanne Veber/Jens Dahl/Fiona Wilson/Espen Waehle (Hrsg.), „never drink from the same cup“: Proceedings of the conference on Indigenous Peoples in Africa, Tune, Denmark 1993, IWGIA und Center for Development Research 1993, 313, 315. 1409 ILO-Convention 169, Indigenous and Tribal Peoples Convention (27. Juni 1989). 1410 ILO, Ratifications of C169 – Indigenous and Tribal Peoples Convention, 1989 (No. 169), online unter: http://www.ilo.org/dyn/normlex/en/f?p=NORMLEXPUB:11300:0: :NO:11300:P11300_INSTRUMENT_ID:312314:NO (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 1411 ACHPR, 276/03 Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) ./. Kenya (11. – 25. November 2009) Rn. 154; EGMR, Handölsdalen Sami Village and Others ./. Sweden (30. März 2010) Sondervotum Richter Ineta Ziemele, App Nr. 39013/04; EGMR, Hingitaq 53 ./. Denmark (12. Januar 2006) App Nr. 18584/04; IACtHR, Kichwa Indigenous People of Sarayaku ./. Ecuador, Monitoring Compliance with Judgment (22. Juni 2016) Order, Fn. 22; IACtHR, Yakye Axa Indigenous Community ./. Paraguay, Judgment (17. Juni 2005); IACtHR, Sawhoyamaxa Indigenous Community ./. Paraguay, Judgment (29. März 2006); IACtHR, Saramaka people ./. Suriname, Judgment (28. November 2007); Interamerikanische Kommission für Menschenrechte, Fall 12.053, Mayan Communities in the District of Toledo ./. Belize, Report on the merits 40/04 (12. Oktober 2004).
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1 b) peoples in independent countries who are regarded as indigenous on account of their descent from the populations which inhabited the country, or a geographical region to which the country belongs at the time of conquest or colonization or the establishment of present State boundaries and who, irrespective of their legal status, retain some or all of their own social, economic, cultural and political institutions. 2. Self-identification as indigenous or tribal shall be regarded as a fundamental criterion for determining the groups to which the provisions of this Convention apply.“1412
Abs. 1a) verlangt, dass die betreffenden Gemeinschaften sich sozial, kulturell und ökonomisch von anderen Bereichen der Bevölkerung unterscheiden. Mit dem Nomadentum praktizieren Völker wie die Tuareg, Fulbe und Tibeter eine besondere Form der (Land)wirtschaft, welche auch kulturelle und soziale Eigenheiten mit sich bringt. Vor allem aber gelten innerhalb nomadischer Gemeinschaften in Gestalt des Rule of the Clan eigene Rechtsregeln i.S.d Abs. 1a) von Art. 1 ILO-Konvention 1691413. Mit Blick auf Nomaden ist aber insbesondere Abs. 1b) bemerkenswert: Anders als die Cobo-Definition, knüpft die ILO nicht an „Their Country“ an, sondern lässt es genügen, dass ein bestimmtes Gebiet von dem betreffenden Volk lediglich bewohnt wurde. Sie trägt damit dem Umstand Rechnung, dass den präkolonialen Völkern das Konzept des Landeigentums häufig fremd war und, dass sich insbesondere nomadische Völker „ihr“ Land mit anderen Völkern teilen. Bemerkenswert ist auch, dass die ILO-Konvention 1691414 als territorialen Anknüpfungspunkt nicht schreibt: „a geographical region within the country“, sondern „a geographical region to which the country belongs.“ Die geographische Region stellt somit nach der ILO-Konvention 1691415 die gegenüber dem Staat größere Gebietseinheit dar. Hierdurch wird berücksichtigt, dass sich die Lebensräume nomadischer Völker häufig nicht auf abgegrenzte Bereiche innerhalb eines Staatsgebietes begrenzen lassen, sondern weit über Staatsgrenzen hinausreichen. Freilich lässt auch die ILO-Konvention 1691416 offen, wie weit eine solche geographische Region verstanden werden soll. Kann ganz Afrika als eine geographische Region verstanden werden, wie dies teilweise gefordert wird?1417 Eine Antwort auf diese Frage deutet die ILO-Definition durch ihren zeitlichen Bezug an. Die entsprechenden Regionen müssen zum Zeitpunkt der Kolonisierung, 1412
Art. 1 ILO-Convention 169, Indigenous and Tribal Peoples Convention (27. Juni 1989). ILO-Convention 169, Indigenous and Tribal Peoples Convention (27. Juni 1989). 1414 Ebd. 1415 Ebd. 1416 Ebd. 1417 „All Africans are indigenous to Africa“, ACHPR, Report of the African Commission’s Working Group of Experts on Indigenous Populations/Communities, ACHPR und IWGIA 2005, 60, 86, 88, 92; Jérémie Gilbert, Indigenous Peoples’ Human Rights in Africa: The Pragmatic Revolution of the African Commission on Human and Peoples’ Rights (1/2011) ICLQ, 245, 268. 1413
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der Eroberung oder der Errichtung von Staatsgrenzen eine geographische Einheit dargestellt haben.1418 Natürlich lässt sich entsprechend panafrikanischer Strömungen argumentieren, ganz Afrika forme eine solche Einheit,1419 indem die Gemeinsamkeiten zwischen den Völkern des Kontinents betont werden. Andererseits lässt sich unter stärkerer Fokussierung auf kulturelle Unterschiede zwischen den afrikanischen Völkern die „geographische Region“ auch deutlich kleinteiliger definieren. In Betracht kommen z. B. historische präkoloniale Königreiche wie Songhai, Abessinien oder das Fulbe-Kalifat Sokoto. Diese präkolonialen Territorialstaaten bilden die historische Realität jedoch nur teilweise ab: Einerseits unterlagen deren Gebietsgrenzen großen Schwankungen, andererseits wurden sie immer wieder von nomadischen Völkern überschritten, mit deren Lebensräumen sie sich überlappten. Beispielhaft lässt sich die Problematik historisch determinierter Gebiete in Westafrika zeigen. Das Gebiet des mittelalterlichen Königreichs Mali unter Vorherrschaft der Mandinka überschneidet sich mit dem frühneuzeitlichen Reich Songhai, welches wiederum Ende des 16. Jahrhunderts von Marokko erobert wurde. Später etablierten sich auf dem Gebiet mehrere Fulbe-Kalifate, wie z. B. Segu Tukulor, Massina und Sokoto. Während der gesamten Zeit wurde das Gebiet von Tuareg durchzogen, mit welchen die Franzosen sogar völkerrechtliche Beziehungen unterhielten1420 und die unabhängig von den diversen in Westafrika bestehenden Reichen ein eigenes gebietsloses „Staats“-Wesen aufrecht erhielten. Alle diese sukzessiv und parallel existierenden Staatswesen standen unter der Vorherrschaft unterschiedlicher Völker und hatten einander überlappende Grenzen, die es unmöglich machen eine „geographical region […] at the time of conquest“ zu definieren. Alternativ lassen sich afrikanische geographische Regionen entlang der fünf bedeutendsten Regionalorganisationen definieren:1421 Maghreb (UMA), Westafrika (ECOWAS), Zentralafrika (ECCAS), Ostafrika (EAC) und Südafrika (SADC).1422 Auch diese Regionen sind jedoch letztlich nur Zusammenschlüsse mehrerer Staaten, deren Grenzen auf koloniale Linien zurückgehen und den Dynamiken nomadischer Völker nicht gerecht werden. So erstrecken sich die Gebiete der Tuareg quer über die Grenze zwischen Maghreb und Westafrika und die der Fulbe über West- und Zentralafrika.
1418
ILO-Convention 169, Indigenous and Tribal Peoples Convention (27. Juni 1989). Basil Davidson, Black Man’s Burden (Fn. 189) 183 f.; Ian Brownlie, African Boundaries (Fn. 127) 9 ff.; Kwame Nkrumah, Africa must Unite (Fn. 123) 132 ff.; Julius Nyerere, Freedom and Unity (Fn. 563) 40. 1420 Algerien (Frankreich) ./. Tuareg, Convention commerciale entre la France et la nation Touareg, suivie d’articles additionels; signée á Ghadamès (26. November 1862) Martens NRG 1837 – 1874 XX 232. 1421 Ousmane Sy, Reconstruire l’Afrique (Fn. 207) 178. 1422 Ebd. 1419
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Fabulieren ließe sich auch über „geographische Regionen“ entlang von Sprachräumen. Historische Ideologien, wie z. B. der Panslawismus in Eurasien, griffen auf solche Gebietsdefinitionen zurück. In Afrika lassen sich die Sprachen grob in vier Hauptgruppen, nämlich Afroasiatisch, Niger-Kongo, Nilo-Saharanisch und Khoisan, einteilen. Allerdings zeigt sich auch hier, dass sich die Räume des zum Nilo-Saharanischen gehörenden Songhai mit dem zu den afroasiatischen Sprachen gehörenden Hausa und dem Fulfulde aus der Niger-Kongo-Sprachfamilie überlappen. Letztlich scheitern alle Versuche, geographische Regionen in Afrika zu definieren, an der Dynamik afrikanischer Grenzen und der Mobilität afrikanischer Völker.1423 Praktikabel lassen sich anhand der ILO-Definition1424 indigene Völker daher nur auf zwei Wegen definieren: Entweder, indem man anerkennt, dass „all Africans are indeed indigenous to Africa“,1425 oder aber indem Art. 1 Abs. 2 der ILOKonvention 1691426 – dem Aspekt der Selbstidentifikation als indigen – die tragende Rolle zugebilligt wird. Letzterer Ansatz hätte die Konsequenz, dass jedes Volk indigen ist, was indigen sein will. cc) Definition der Afrikanischen Menschenrechtskommission Beide Ansätze greift die zuständige Arbeitsgruppe der Afrikanischen Menschenrechtskommission auf.1427 Die Auffassung, dass ein indigenes Volk ursprünglich in einem Gebiet ansässig sein müsse, suggeriere, dass die Unterdrückung indigener Kulturen ausschließlich von später eingewanderten europäischen Kolonialisten ausgegangen sei.1428 Dies entspräche jedoch nicht den Tatsachen. Das alleinige Abstellen auf den kolonialen Kontext und den Zeitpunkt der Kolonialisierung vernachlässige die Unterdrückung indigener Völker durch die heutigen afrikanischen Staaten.1429 „Most post-independent African states were no less cruel towards their indigenous populations than the colonialists.“1430
1423 Dies gilt im übrigen auch für Asien: vgl. Patrick Thornberry, Indigenous Peoples and Human Rights (Fn. 1390) 34, Benedict Kingsbury, „Indigenous Peoples“ in international law (Fn. 1390); ders., The applicability of the international legal concept of „indigenous peoples“ in Asia, in: Joanne R Bauer, Daniel A Bell (Hrsg.), The East Asian Challenge for Human Rights, Cambridge UP 1999, 336. 1424 ILO-Convention 169, Indigenous and Tribal Peoples Convention (27. Juni 1989). 1425 ACHPR, Report of the African Commission’s Working Group of Experts on Indigenous Populations/Communities, ACHPR und IWGIA 2005, 86. 1426 ILO-Convention 169, Indigenous and Tribal Peoples Convention (27. Juni 1989). 1427 ACHPR, Report of the African Commission’s Working Group of Experts on Indigenous Populations/Communities, ACHPR und IWGIA 2005, 92. 1428 Ebd. 1429 Ebd. 1430 Mohamed Salih, Indigenous Peoples and the State (Fn. 521) 271.
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Hauptursache der Marginalisierung indigener Gemeinschaften sei vielmehr die Bevorzugung der sesshaften Lebensform gegenüber der nomadischen: „The favouring of settled agriculture over hunting, gathering and nomadic cattle herding has been instrumental in both marginalizing and stigmatising some peoples and inspiring them to identify themselves as indigenous groups. So too has the establishment of national parks and other projects that led to forced relocation of the inhabitants.“1431
Statt sich daher, wie bisher, allein auf das Kriterium einer ursprünglichen Anwohnerschaft zu stützen, welches in Afrika zu nichts führe,1432 „[t]he focus should be on the more recent approaches focussing on self-definition as indigenous and distinctly different from other groups within a state; on a special attachment to and use of their traditional land whereby their ancestral land and territory has a fundamental importance for their collective physical and cultural survival as peoples; on an experience of subjugation, marginalization, dispossession, exclusion or discrimination because these peoples have different cultures, ways of life or modes of production than the national hegemonic and dominant model.“1433
Unter Rückgriff auf Erica-Irene Daes fasst die Arbeitsgruppe die zur Determinierung eines indigenen Volkes notwendigen Kriterien zusammen, betont jedoch, dass diese nicht kumulativ, sondern nur alternativ vorliegen müssen: „1. The occupation and use of a specific territory; 2. The voluntary perpetuation of cultural distinctiveness, which may include the aspects of language, social organization, religion and spiritual values, modes of production, laws and institutions; 3. Self-identification, as well as recognition by other groups, as a distinct collectivity; 4. An experience of subjugation, marginalisation, dispossession, exclusion or discrimination.“1434
Dass diese Bedingungen nicht kumulativ vorliegen müssen, öffnet den Anwendungsbereich für Nomaden, denn bis auf das erste Kriterium sind bei ihnen alle Voraussetzungen erfüllt. Die inklusive Herangehensweise dieser Definition führt jedoch auch dazu, dass sich nahezu jedes Volk als indigen betrachten kann, wenn es dies denn will. Die Afrikanische Menschenrechtskommission resümiert daher, dass „all Africans are indigenous to Africa.“1435 In der praktischen Anwendung behandelt die Afrikanische Menschenrechtskommission den Indigenenbegriff jedoch weniger großzügig: Obwohl sie hinsichtlich der in Kenia seit 1904 lebenden Nubier feststellte, dass diese „have formed 1431
ACHPR, Report of the African Commission’s Working Group of Experts on Indigenous Populations/Communities, ACHPR und IWGIA 2005, 92. 1432 ACHPR, Report of the African Commission’s Working Group of Experts on Indigenous Populations/Communities, ACHPR und IWGIA 2005, 92 f. 1433 Ebd., 93. 1434 Ebd., 93. 1435 Ebd., 60, 86, 88, 92.
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inextricable links to the land which according to them constitutes the only homeland they have ever known and where they bury their dead“,1436 erkannte sie diesen keinen Indigenenstatus zu. Auch im Endorois-Urteil sah sie nur „certain groups of pastoralists“1437 und nicht alle Hirtennomaden als vom Indigenenbegriff umfasst an. dd) Definition der Weltbank Einen Versuch, den scheinbaren Gegensatz zwischen der überkommenen Vorstellung vom territorial verwurzelten Volk und der Mobilität schutzbedürftiger nomadischer Völker zu überwinden, unternahm die Weltbank. Sie definiert indigene Völker wie folgt: „For purposes of this policy, the term „Indigenous Peoples“ is used in a generic sense to refer to a distinct, vulnerable, social and cultural group possessing the following characteristics in varying degrees: (a) self-identification as members of a distinct indigenous cultural group and recognition of this identity by others; (b) collective attachment to geographically distinct habitats or ancestral territories in the project area and to the natural resources in these habitats and territories (c) customary cultural, economic, social, or political institutions that are separate from those of the dominant society and culture; and (d) an indigenous language, often different from the official language of the country or region.“1438
In den Operational Policies 4.10 und 4.20 bekräftigt die Weltbank das Erfordernis eines „close attachment to ancestral territories“1439, bzw. eines „collective attachment to geographically distinct habitats or ancestral territories“1440. Dieser Wortlaut scheint zunächst nahezulegen, dass auch die Weltbank eher dem engen Verständnis Cobos zuneigt, indem sie an eine Bindung an bestimmte Territorien anknüpft. Allerdings wird der Begriff des „collective attachment“ in einer Fußnote näher definiert: „,Collective attachment‘ means that for generations there has been a physical presence in and economic ties to lands and territories traditionally owned, or customarily used or occupied, by the group concerned, including areas that hold special significance for it, such as
1436 ACHPR, The Nubian Community in Kenya ./. the Republic of Kenya (19.–28. Februar 2015) 317/206, Rn. 152 ff. 1437 ACHPR, 276/03 Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) ./. Kenya (11. – 25. November 2009), Rn. 150. 1438 Weltbank, Operational Policy – Indigenous Peoples, Op 4.10 (Juli 2005, Revised April 2013). 1439 Weltbank, Operational Directive 4.20 (20. September 1991). 1440 Weltbank, Operational Policy – Indigenous Peoples, Op 4.10 (Juli 2005, Revised April 2013).
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sacred sites. ,Collective attachment‘ also refers to the attachment of transhumant/nomadic groups to the territory they use on a seasonal or cyclical basis.“1441
Hierdurch wird die Weltbank nicht nur dem Umstand gerecht, dass gerade indigene Völker häufig kein Territorialeigentum kennen,1442 sondern sie berücksichtigt explizit die Besonderheiten transhumanter und nomadischer Völker. Nach dem Verständnis der Weltbank können nomadische Völker also einerseits dem Begriff des indigenen Volkes unterfallen und andererseits sind für diese die erforderlichen Gebietsbindungen gelockert. Allerdings klammert auch die Definition der Weltbank jene Völker aus, welche bestimmte Landstriche erst kürzlich in Gebrauch nahmen, wie etwa die Fulbe im Kongo.1443 Eine weitere sprachliche Feinheit enthält die Operational Policy 4.10.1444 Sie berücksichtigt, dass ein indigenes Volk möglicherweise von seinem angestammten Land gegen dessen Willen abgeschnitten ist. Zunächst ist hierbei an Vertriebene und Kriegsflüchtlinge zu denken, die durch Flucht und Vertreibung nicht den Status eines indigenen Volkes verlieren sollen. Allerdings verwendet die Operation Policy nicht den Begriff des „displacement“, sondern der „forced severance“, also der erzwungenen Trennung. Dies berücksichtigt, dass ein indigenes Volk auch durch eine spätere Grenzziehung von seinem angestammten Gebiet getrennt werden kann. b) Schlussfolgerungen Eine enge Definition des indigenen Volkes unter Anknüpfung an eine territoriale Verwurzelung würde u. a. eine Vielzahl afrikanischer Völker, für die ein Indigenenschutz sinnvoll ist, aus dem Anwendungsbereich des Indigenenrechts ausklammern, denn die meisten afrikanischen indigenen Gemeinschaften führen einen nomadischen oder transhumanten Lebensstil,1445 welcher einer solchen engen Beziehung zu einem bestimmten Gebiet häufig entgegenläuft.1446 Dieser mag sich nach den engen Definitionen allenfalls auf jene Völker beschränken, deren Wanderrouten vergleichsweise kurz und v. a. von großer Kontinuität sind. Es widerspräche dem Sinn und Zweck des Indigenenschutzes,1447 wenn ausgerechnet jene Völker ausgeklammert würden, die mit dem Nomadentum eine der ursprünglichsten Lebens1441 Weltbank, Operational Policy – Indigenous Peoples, Op 4.10 (Juli 2005, Revised April 2013) 6 Fn. 7. 1442 SCOC, Regina ./. Marshall; Regina ./. Bernard, [2005] 2 SCR 220, 2005 SCC 43, 58, 70, 77. 1443 International Crisis Group, Security Challenges of Pastoralism (Fn. 70) 19. 1444 Weltbank, Operational Policy – Indigenous Peoples, Op 4.10 (Juli 2005, Revised April 2013). 1445 Felix Mukwiza Ndahinda, Indigenousness in Africa (Fn. 558) 142. 1446 Katja Göcke, Indigene Landrechte (Fn. 88) 10. 1447 Vgl. Präambel der United Nations Declaration on the Rights of Indigenous Peoples (13. September 2007) UN Doc A/RES/61/295.
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F. Wanderrechte im kodifizierten Völkerrecht
weisen praktizieren und aufgrund ihrer Mobilität besonderer Marginalisierung ausgesetzt sind.1448 Aber nicht nur in Afrika geht die Vorstellung, ein indigenes Volk sei auf einen engen geographischen Raum begrenzbar, weit an der Realität vorbei: Die Fischgründe der seenomadischen Bajau etwa erstrecken sich von der nördlichen Sulu-See bis zur Küste Australiens, überbrücken also mehr als 3.000 km. Trotz der Ungeeignetheit der territorialen Anknüpfung zur Determinierung eines indigenen Volkes, erachtet z. B. die International Law Association gerade dieses Kriterium als zwingend unter den übrigen zu vernachlässigenden Charakteristika.1449 Traditionelle Begriffsbestimmungen, wie die Cobo-Definition verlangen zusätzlich zum Vorliegen eines Territoriums, dass die Verbindung zu diesem Gebiet einen gewissen historischen Zeitraum umfasst (territoriale Kontinuität), wobei im Einzelnen unklar ist, wie lange dieser Zeitraum zurückreichen muss: Knüpft man den Begriff des Indigenen an eine Erstbesiedlung, dann dürfte es weltweit kaum indigene Völker geben.1450 Eine Fixierung auf den Zeitpunkt der Kolonialisierung, wie sie die Cobo-Definition andeutet und wie sie auch in der Literatur prominent ist,1451 hingegen ignoriert die signifikante erst nach der Dekolonisierung einsetzende Marginalisierung bestimmter Völker z. B. aufgrund einer jahrzehntelangen Favorisierung der sesshaften Lebensweise durch die postkolonialen Staaten.1452 Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte gestand den Nachfahren entflohener Sklaven in Surinam als indigenes Volk Landrechte zu, obwohl sich diese erst vor etwa 300 Jahren in dem betreffenden Gebiet angesiedelt hatten.1453 Auch die Afrikanische Menschenrechtskommission folgte diesem weiten Verständnis zunächst,1454 nahm dann jedoch bei den Landrechten der erst 1904 in Kenia angesiedelten Nubier keinen Rückgriff mehr auf einen möglichen Indigenenstatus, obwohl die von der Kommission selbst entwickelten Kriterien auch auf diese zugetroffen hätten.1455 1448 ACHPR, Report of the African Commission’s Working Group of Experts on Indigenous Populations/Communities, ACHPR und IWGIA 2005, 92. 1449 ILA, Final Report Sofia (Fn. 1390) 2 f. 1450 Erika C. Hayden, African Genes tracked back (Fn. 1399) 514. 1451 James S. Anaya, Indigenous Peoples (Fn. 1390) 3. 1452 ACHPR, Report of the African Commission’s Working Group of Experts on Indigenous Populations/Communities, ACHPR und IWGIA 2005, 92. 1453 IACtHR, Moiwana Community ./. Suriname, Judgment (8. Februar 2006) 132 – 134; IACtHR, Saramaka People ./. Suriname, Judgment (28. November 2007) 80 – 84. 1454 ACHPR, 276/03 Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) ./. Kenya (11. – 25. November 2009), Rn. 159 ff., 198. 1455 ACHPR, 317/206 The Nubian Community in Kenya ./. Kenya (19.–28. Februar 2015) Rn. 152 ff.
II. Schutz indigener Völker
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Aus diesen wenigen Urteilen einen Rückschluss darauf zu ziehen, dass in der völkerrechtlichen Gerichtspraxis der Indigenenstatus irgendwo zwischen einer 100- bis 300-jährigen Anwesenheit beginnen soll, wäre jedoch verfrüht. Vielmehr hat sich gezeigt, dass indigene Völker regelmäßig einen nomadischen Lebensstil praktizieren1456 und daher jegliche territoriale Anknüpfung vielen Nomaden nicht gerecht wird. Dem nomadischen Lebensstil steht eine territoriale Anknüpfung im klassischen Sinne generell entgegen. Dass sich indigene Völker besonderen Gebieten nach einer gewissen Aufenthaltsdauer emotional verbunden fühlen, unterscheidet diese nicht von anderen Menschen, wie z. B. den Mitgliedern des deutschen Bundes des Vertriebenen, welche keinesfalls für sich in Anspruch nehmen ein „indigenes Volk“ zu sein. Auf die selbe Weise argumentieren viele Schweden, die den indigenen Status der Samen nicht anerkennen:1457 Ihrer Auffassung nach haben ethnische Schweden ebenso intensive Beziehungen zu ihrer Heimat und sind daher nicht weniger indigen als die Samen.1458 Obwohl das Kriterium eines engen Bezuges zu einem bestimmten Gebiet konzipiert wurde, um abwegigen Ansprüchen von Personengruppen entgegenzuwirken,1459 ist gerade dieses Begriffsmerkmal geeignet den abwegigsten Behauptungen von Indigenität Raum zu geben. Die Beziehung aller Menschen zu ihrer Heimat ist schutzwürdig und wird entsprechend vom Selbstbestimmungsrecht aller Völker umfasst,1460 sie ist jedoch keine Besonderheit indigener Völker, sondern im Gegenteil geeignet „wahrhaft“ indigene Völker vom Schutzbereich der Indigenenrechte auszuschließen. Vorzugswürdig ist daher der moderne Ansatz der Afrikanischen Menschenrechtskommission und der Weltbank, der berücksichtigt, dass die verschiedenen Kriterien zwar alternativ bzw. in unterschiedlich starker Ausprägung vorhanden sein sollen, nicht aber kumulativ vorliegen müssen, wobei das Vorliegen eines einzigen Kriteriums nicht ausreichen dürfte. Im Gegensatz zum Bund der Vertriebenen, begreifen sich Nomaden, wie die Bajau, selbst als indigenes Volk, pflegen mit dem Nomadentum eine eigene Kulturund Wirtschaftsform und werden z. B. von Malaysia1461 und Australien1462 mar-
1456
Felix Mukwiza Ndahinda, Indigenousness in Africa (Fn. 558) 142; African Commission on Human and Peoples’ Rights, Report of the African Commission’s Working Group of Experts on Indigenous Populations/Communities, ACHPR und IWGIA 2005, 15 ff. 1457 Jonathan Friedman, Indigeneity: Anthropological notes on a historical variable, in: Henry Minde (Hrsg.), Indigenous Peoples: Self-determination – Knowledge – Indigeneity, Eburon 2008, 29, 33. 1458 Ebd. 1459 Katja Göcke, Indigene Landrechte (Fn. 88) 10. 1460 F. IV. 3. b) bb) (3). 1461 Julian Clifton/Greg Acciaioli/Helen Brunt/Wolfram Dressler/Michael Fabinyi/Sarinda Singh, Statelessness and Conservation (Fn. 8) 81, 85 ff. 1462 Natasha Stacey, Boats to Burn (Fn. 590).
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ginalisiert. Sie sind somit indigen, obwohl sich ihr Territorium kaum eingrenzen lässt. Wenngleich das Territorium bei der Bestimmung des personellen Schutzbereiches von Indigenenrechten nur ein Kriterium unter vielen alternativen Kriterien ist, so kann es auch unter Anwendung der weiten Definition der Afrikanischen Menschenrechtskommission im sachlichen Schutzbereich von Indigenenrechten sehr relevant werden. Daneben gibt es zahlreiche nomadische Völker, deren Wanderradius so klein ist, dass sie auch nach konservativem Verständnis Indigenenstatus beanspruchen könnten. Beispielhaft seien hier etwa die Borana im Grenzgebiet zwischen Kenia und Äthiopien oder auch die Kirgisen im afghanischen WachanKorridor genannt. 2. Rechte indigener Völker aus der UNDRIP Die umfassendste Kodifikation indigener Rechte ist die 2007 angenommene UN Declaration on the Rights of Indigenous Peoples (UNDRIP).1463 Diese enthält diverse Bestimmungen, welche für die Gewährung grenzüberschreitender Rechte von Nomaden fruchtbar gemacht werden können. a) Recht auf nomadische Wirtschaft und Kultur Gemäß Art. 3 UNDRIP haben indigene Völker und Individuen das Recht zur Selbstbestimmung. Dies beinhaltet auch das Recht über ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung zu entscheiden. Wie eingangs dargelegt,1464 handelt es sich bei der nomadischen Lebensweise nicht nur um eine kulturelle Tradition um ihrer selbst willen, sondern vielmehr um eine spezifische Form der Landwirtschaft, die sich den geographischen und klimatischen Bedingungen der jeweiligen Regionen angepasst hat. Dem Wortlaut nach ist somit auch jegliches Verhalten, das (land)wirtschaftlich determiniert ist, der Tradition der jeweiligen Gruppe entspricht und auf ein Gebiet beschränkt ist, zu welchem diese Gruppe traditionell besondere Beziehungen pflegt, von Art. 3 UNDRIP1465 erfasst. Der in weiten Teilen Afrikas und Asiens übliche Wechsel zwischen Sommer- und Winterweiden – die Transhumanz – ist eine spezifische Form der Landwirtschaft, die sich seit jeher über Gebiete erstreckte, die heute von Staatsgrenzen zerschnitten werden. Sofern den betroffenen Gemeinschaften der Nachweis gelingt, dass sie schon vor der Entstehung der jeweiligen afrikanischen und asiatischen Staaten diese 1463
UN Declaration on the Rights of Indiginous Peoples (UNDRIP) (13. Dezember 2007) UN Doc A/RES/61/295. 1464 C. I. 1.; C. II. 4. 1465 UN Declaration on the Rights of Indiginous Peoples (UNDRIP) (13. Dezember 2007) UN Doc A/RES/61/295.
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Wanderrouten frequentierten, steht ihnen dieses Recht gemäß Art. 3 UNDRIP1466 auch weiterhin zu. Aufgrund des ebenfalls in Art. 3 UNDRIP1467 verankerten kulturellen Elements ist auch der Besuch von jenseits einer Grenze liegenden Kultstätten vom Recht indigener Selbstbestimmung erfasst. Die Pflege der spirituellen Beziehungen zum traditionell von Indigenen besessenen, bewohnten oder genutzten Land, Wasser, Küstenmeer und anderen Ressourcen wird gesondert von Art. 25 UNDRIP1468 geschützt. Das traditionelle grenzüberschreitende Weidelandmanagement z. B. der Borana oder Messeriya, ist als wirtschaftliche und soziale Institution von Art. 5 UNDRIP erfasst. Dieses wird darüber hinaus von Art. 20 geschützt welcher das Recht gewährt, „to maintain and develop their political, economic and social systems or institutions, to be secure in the enjoyment of their own means of subsistence and development, and to engage freely in all their traditional and other economic activities.“1469
b) Recht auf Staatsangehörigkeit Gemäß Art. 6 UNDRIP1470 genießen indigene Völker ein Recht auf Staatsangehörigkeit. Dieses wird z. B. den seenomadischen Bajau Laut in Malaysia vorenthalten.1471 Wenn Staaten die Einreise in ihr Staatsgebiet vom Vorhandensein einer Staatsangehörigkeit abhängig machen, kommt das Vorenthalten dieser Staatsangehörigkeit einer Abweisung an der Grenze gleich. c) Grenzüberschreitende Freizügigkeit Gemäß Art. 36 I UNDRIP1472 haben indigene Völker das Recht, die spirituellen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Angehörigen und anderen Menschen jenseits einer das Volk teilenden Staatsgrenze zu pflegen und zu entwickeln. Die Staaten sollen dies in Abstimmung und Zusammenarbeit mit den indigenen Völkern erleichtern und die Umsetzung sicherstellen.
1466
UN Declaration on the Rights of Indiginous Peoples (UNDRIP) (13. Dezember 2007) UN Doc A/RES/61/295. 1467 Ebd. 1468 Ebd. 1469 Ebd. 1470 Ebd. 1471 Julian Clifton/Greg Acciaioli/Helen Brunt/Wolfram Dressler/Michael Fabinyi/Sarinda Singh, Statelessness and Conservation (Fn. 8) 81, 85 ff. 1472 UN Declaration on the Rights of Indiginous Peoples (UNDRIP) (13. Dezember 2007) UN Doc A/RES/61/295.
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d) Recht auf Mechanismen zur Verhinderung von Vertreibung Die Vertreibung von Nomaden von ihren seit langem genutzten Gebieten ist gut dokumentiert.1473 Gemäß Art. 8 b UNDRIP1474 sollen die Staaten effektive Mechanismen zur Verfügung stellen, die verhindern, dass die indigenen Völker ihres Landes, Gebietes oder ihrer Ressourcen beraubt werden. Diese Position setzt voraus, dass die nomadischen Völker Eigentümer bestimmter Länder, Gebiete oder Ressourcen sind. Das Konzept des Territorialeigentums ist jedoch den traditionellen Rechtsregimen der meisten Nomaden fremd.1475 Vor und während der Zeit der Kolonisierung hatten die Nomaden meist nur traditionelle Nutzungsrechte, da es nach ihrer Vorstellung ausgeschlossen war, Land mit allen umfassenden Rechten als Eigentümer exklusiv zu besitzen. Erschwerend kommt hinzu, dass viele nomadische Völker sich bestimmte Gebiete im jeweiligen Wechsel der Jahreszeiten mit anderen sesshaften oder ebenfalls nomadischen Völkern teilen. Entsprechend der gewohnheitsrechtlichen Nutzung, sind rechtswirksame Eigentumstitel nomadischer Völker daher selten.1476 Der Wortlaut des „Dispossessing“ in Art. 8 b UNDRIP1477 könnte jedoch auch so verstanden werden, dass hiervon nicht nur Enteignung, sondern auch die Entziehung einzelner Nutzungsrechte umfasst wird. Allerdings spricht der Absatz ausdrücklich von „their lands, territories or ressources.“ Art. 8 b UNDRIP1478 ist somit in erster Linie auf sesshafte indigene Völker ausgerichtet, was auch der systematische Zusammenhang mit Art. 8 c UNDRIP1479 verdeutlicht. Anders nämlich als die Weltbank-Definition,1480 spricht dieser nicht von „Forced Severance“, sondern von „Forced Population Transfer“. Im Unterschied zur „Severance“ ist hierfür eine Bewegung des indigenen Volkes selbst erforderlich und die bloße Abschneidung von Ressourcen durch Grenzziehung nicht ausreichend. Dieselbe Fokussierung auf sesshafte Gemeinschaften findet sich auch in Art. 10 UNDRIP.1481 1473
Felix Mukwiza Ndahinda, Indigenousness in Africa (Fn. 558) 142 m.w.N. UN Declaration on the Rights of Indiginous Peoples (UNDRIP) (13. Dezember 2007) UN Doc A/RES/61/295. 1475 Vgl. SCOC, Regina ./. Marshall; Regina ./. Bernard, [2005] 2 SCR 220, 2005 SCC 43, 58, 70, 77. 1476 ACHPR, 276/03, Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council ./. Kenya (11. – 25. November 2009) Rn. 72. 1477 UN Declaration on the Rights of Indiginous Peoples (UNDRIP) (13. Dezember 2007) UN Doc A/RES/61/295. 1478 Ebd. 1479 Ebd. 1480 Weltbank, Operational Manual – Indigenous Peoples, Op 4.10, (Juli 2005, Revised April 2013). 1481 UN Declaration on the Rights of Indiginous Peoples (UNDRIP) (13. Dezember 2007) UN Doc A/RES/61/295. 1474
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Im französischen Wortlaut erscheint für den Begriff „forcibly removed“ die Übersetzung „enlevés de force“. Sofern in der Literatur hierin ein Recht gesehen wird, nicht „être séparés par la force de leurs terres ou territoires“,1482 entspricht dies nicht dem Wortlaut und der Intention der Verfasser. Zwar ist der Erkenntnis zuzustimmen, dass eine gewaltsame Trennung von den genutzten Ressourcen durch eine Grenzziehung für das nomadische Volk in seiner Wirkung gleichbedeutend ist mit einer Zwangsumsiedlung. Die an verschiedenen Stellen deutlich werdende Fokussierung der UNDRIP1483 auf sesshafte indigene Völker bzw. solche, die eine enge Verwurzelung zu einem eng umgrenzten Stück Land aufweisen, legt indes nahe, dass eine Grenzziehung gerade nicht als Vertreibung verstanden werden soll. Auch Art. 25 UNDRIP1484 verdeutlicht, dass den Verfassern der Deklaration der Unterschied zwischen besessenem und genutzten Land durchaus bewusst war. Von Art. 25 UNDRIP1485 ist nämlich explizit die Pflege der spirituellen Beziehungen zu besessenem und nur genutztem Land erfasst und auch Art. 26 spricht von „territories and resources which they have traditionally owned, occupied or otherwise used or acquired.“1486 Es muss also streng unterschieden werden zwischen einer Vertreibung i.S.v. Art. 8 b und 10 UNDRIP1487 und den durch Art. 25 und 26 UNDRIP1488 geschützten Landrechten. Ein Gleichlauf zwischen Vertreibung und Landabschneidung kann somit im Rahmen der UNDRIP1489 nicht erreicht werden. e) Recht auf Land1490 Der nomadische oder transhumante Lebensstil der meisten indigenen Völker macht diese besonders empfindlich für Marginalisierung aufgrund eines fehlenden Schutzes jener Länder und Gebiete, die ihnen zwar nicht gehören, von denen ihr 1482
Ahmed Ali Abdallah, Réflexions Critiques sur le Droit à l’Autodétermination des Peuples Autochtones dans la Déclaration des Nations Unies du 13 Septembre 2007 (2014) RQDI, 61, 70. 1483 UN Declaration on the Rights of Indiginous Peoples (UNDRIP) (13. Dezember 2007) UN Doc A/RES/61/295. 1484 Ebd. 1485 Ebd. 1486 Ebd. 1487 Ebd. 1488 Ebd. 1489 Ebd. 1490 Die Problematik indigener und insbesondere nomadischer Landrechte kann hier nicht in der Tiefe behandelt werden. vgl. hierzu allgemein hinsichtlich der Landrechte indigener Völker: Katja Göcke, Indigene Landrechte (Fn. 88); sowie spezifisch mit Blick auf Nomaden: Jérémie Gilbert, Nomadic Territories: A Human Rights Approach to Nomadic Peoples’ Land Rights (2007) HRLR, 681. Da der Schwerpunkt dieser Arbeit auf der Gewährung grenzüberschreitender Wanderschaft liegt, wird das Thema hier nur angerissen.
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F. Wanderrechte im kodifizierten Völkerrecht
Überleben aber abhängt.1491 Dass die Staaten sich nicht verpflichten, Mechanismen zur Verhinderung der Entsetzung von nur nomadisch genutztem Land zur Verfügung zu stellen, bedeutet nicht, dass die indigenen Nomaden kein Recht auf diese jeweiligen Gebiete hätten.1492 Gemäß Art. 26 UNDRIP haben indigene Völker „the right to the lands, territories and resources which they have traditionally owned, occupied or otherwise used or acquired.“1493
Und weiterhin haben sie „the right to own, use, develop and control the lands, territories and resources that they possess by reason of traditional ownership or other traditional occupation or use as well as those which they have otherwise acquired.“1494
Um diese Rechte sicherzustellen, soll unter Beteiligung der indigenen Völker ein Verfahren („Process“) entwickelt werden, welcher die Anerkennung der Titel gewährleistet.1495 Gemäß Art. 29 UNDRIP1496 haben indigene Völker auch ein Recht darauf, dass die produktive Kapazität ihrer Länder, Gebiete und Ressourcen geschützt und erhalten wird. Dies beinhaltet, dass die Bodendegradation eingedämmt wird. Die Bodendegradation ist jedoch häufig eine Folge von Überweidung, die daraus resultiert, dass den Pastoralisten durch Staatsgrenzen die Möglichkeit genommen wird, in der Trockenzeit auf eine andere feuchtere Weide auszuweichen, und so Teile ihrer traditionellen Gebiete entsprechend zu entlasten. Es besteht somit ein Zusammenhang zwischen der Schließung einer Grenze und der Degradation von Weideland. Gleichfalls kann ein zur Viehzucht genutztes Land nur in seiner Produktivität erhalten werden, wenn die traditionellen Wasserstellen erreichbar bleiben. In den Gebieten der Beduinen auf dem Sinai etwa ist dies durch die ägyptisch-israelische Grenze nicht mehr gewährleistet.1497 Die verschiedenen eingangs dargestellten Grenzverträge verdeutlichen, dass es möglich ist, trotz zur
1491
Felix Mukwiza Ndahinda, Indigenousness in Africa (Fn. 558) 142. Erstmals wurden „Aboriginal Titles“ durch den Supreme Court of Canada im Jahre 1973 anerkannt, vgl. SCOC, Calder./. Attorney-General of British Columbia (1973) SCR. 313. 1493 UN Declaration on the Rights of Indiginous Peoples (UNDRIP) (13. Dezember 2007) UN Doc A/RES/61/295. Beachte den hiervon abweichenden französischen Wortlaut, F. II. 2. f). 1494 Ebd. 1495 Gem. Art. 27 UNDRIP sollen die Staaten in Zusammenarbeit mit den Indigenen ein Verfahren entwickeln und umsetzen, welches fair, unabhängig, unparteiisch offen und transparent ist und die Rechtsvorstellungen, Traditionen und Landverteilungsmechanismen der Indigenen berücksichtigt. Dieses Verfahren soll die Funktion haben, indigene Landrechte anzuerkennen und über sie zu urteilen. 1496 UN Declaration on the Rights of Indiginous Peoples (UNDRIP) (13. Dezember 2007) UN Doc A/RES/61/295. 1497 Avinoam Meir/Haim Tsoar, International Borders and Range Ecology (Fn. 72) 39 ff. 1492
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Friedensherstellung nötiger Grenzziehung jenseitige Wassernutzungsrechte zu erhalten und zu gewähren.1498 Die spezifische Ausgestaltung der Landrechte in der UNDRIP spricht für eine sich verändernde Sichtweise auf die Landrechte von Nomaden im Einklang mit dem oben dargestellten generellen Paradigmenwechsel in Wissenschaft, Politik und Völkerrecht. Ging z. B. Jérémie Gilbert 2007 noch von einem Völkerrechtsverständnis aus, welches Nomaden jegliche Landrechte aufgrund der mobilitätsbedingt fehlenden effektiven Okkupation gänzlich versagte,1499 so lässt sich diese Feststellung heute nicht mehr aufrechterhalten. Ausdrücklich knüpft die UNDRIP1500 an die bloße Nutzung des Landes an und folgt somit dem bereits von der Weltbank vorgezeichneten Weg.1501 Sie wird so der spezifischen nomadischen Landnutzung gerecht, welche sich dadurch auszeichnet, dass gerade keine feste und permanente Zuschreibung eines Gebietes zu einem bestimmten Volk erfolgt, sondern die Nutzungsrechte zeitlich und funktionell im Wechsel und parallel von verschiedenen Völkern in Anspruch genommen werden.1502 Soweit die jeweiligen Rechte im westlichen Rechtssystem verankert sind, kann es sich hierbei manchmal um Eigentums- und Besitzrechte, manchmal jedoch auch nur um Nutzungs-, und Management-Rechte handeln.1503 Eine permanente Zuweisung solcher Rechte wird den Belangen nomadischer Völker nur teilweise gerecht, denn der Vorteil der nomadischen Landwirtschaftsform liegt gerade in ihrer Flexibilität und dynamischen Anpassung an aktuelle meteorologische Gegebenheiten. Wie die oben1504 dargelegt, war es nach dem Rule of the Clan üblich, Landnutzungsrechte ständig neuzuverhandeln, um den unsteten Klimabedingungen Rechnung zu tragen.1505 Es ist daher bei vielen Völkern nahezu unmöglich, ein dauerhaftes traditionelles Landeigentum zu bestimmen.
1498
C. III. 4. a) bb); D. Jérémie Gilbert, Nomadic Territories (Fn. 1490) 691 ff. 1500 UN Declaration on the Rights of Indiginous Peoples (UNDRIP) (13. Dezember 2007) UN Doc A/RES/61/295. 1501 Weltbank, Operational Manual – Indigenous Peoples, Op 4.10, (Juli 2005, Revised April 2013). 1502 C. III. 3. 1503 Katja Göcke, Indigene Landrechte (Fn. 88) 227; vgl. SCOC, Calder./. Attorney General of British Columbia; High Court (Neuseeland), Te Weehi ./. Regional Fisheries Officer (1986) 1 NZLR 682; High Court (Australien), Mabo ./. Queensland (No. 2) (3. Juni 1992) (1992) HCA 23; (1992) 175 CLR 1, Rn. 62. 1504 C. III. 2. c). 1505 Vergleiche zur Übertragbarkeit dieser Eigenheit der nomadischen Selbstorganisation auch Ian Scoones, New directions (Fn. 16) 1. 1499
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Das Beispiel der Borana im äthiopisch-kenianischen Grenzgebiet1506 zeigt, dass Weidelandarrangements der überlappenden Nutzung nicht nur clanintern, sondern auch zwischen verschiedenen Völkern getroffen wurden, insbesondere wenn verschiedene Völker aufgrund unterschiedlicher Nutzungsformen ein bestimmtes Gebiet zu unterschiedlichen Zeiten nutzen konnten. Um dem Ziel und Zweck des Schutzes indigener Völker gerecht zu werden, muss der Fakt Berücksichtigung finden, dass eine Vielzahl indigener Völker gerade nicht sesshaft ist.1507 Dies fordert explizit auch Art. 26 III UNDRIP: „States shall give legal recognition and protection to these lands, territories and resources. Such recognition shall be conducted with due respect to the customs, traditions and land tenure systems of the indigenous peoples concerned.“1508
Dies kann mit Blick auf Landrechte nur dadurch verwirklicht werden, dass der Begriff des „traditionally used“ weit verstanden wird, indem eine traditionelle Nutzung auch dann vorliegt, wenn ein Volk ein bestimmtes Gebiet über einen längeren Zeitraum immer wieder gelegentlich aufgesucht hat. Für diese Sichtweise spricht auch die Formulierung von Art. 26 UNDRIP1509 im Simple Perfect „… which they have traditionally …“1510. Hiernach ist es gerade nicht erforderlich, dass ein Volk zum jetzigen Zeitpunkt gerade auf dem betreffenden Gebiet weilt. Auch dürfen die Landrechte indigener Völker nicht als exklusive, dem Eigentum vergleichbare Rechte begriffen werden, da dies dem Konzept geteilter indigener Landnutzung zuwiderliefe.1511 Eine Ausnahme besteht natürlich, wenn ein indigenes Volk bereits verbrieftes Eigentum hat. Von dieser Ausnahme abgesehen, muss ein
1506 Sabine Homann, Indigenous knowledge of Borana pastoralists in natural resource management: A case study from Southern Ethiopia, Cuvillier Verlag Göttingen 2005, 14 ff.; C. III. 2. c). 1507 Felix Mukwiza Ndahinda Indigenousness in Africa (Fn. 558) 142. 1508 UN Declaration on the Rights of Indiginous Peoples (UNDRIP) (13. Dezember 2007) UN Doc A/RES/61/295; vgl. auch die Draft American Declaration on the Rights of Indigenous Peoples (1997), online unter: http://www.cidh.oas.org/Indigenas/Indigenas.en.01/Preamble.htm (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018), die explizit die Anerkennung von „varied and specific forms and modalities of their control, ownership, use and enjoyment of territories and property“ verlangt. 1509 UN Declaration on the Rights of Indiginous Peoples (UNDRIP) (13. Dezember 2007) UN Doc A/RES/61/295. 1510 Die Formulierung im Perfekt hat noch einen zweiten Bedeutungsgehalt, wesbezüglich jedoch eine Differenz zum französischen und spanischen Wortlaut besteht. Hierzu F. II. 2. f). 1511 Vgl. SCOC, Regina ./. Marshall; Regina ./. Bernard, [2005] 2 SCR 220, 2005 SCC 43, Rn. 58, 70; eine andere Ansicht vertritt die ACHPR, 276/03 Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) ./. Kenya (11. – 25. November 2009) 207, die davon ausgeht, dass traditionelle Nutzungsrechte unter der Banjul-Charta heute zu Eigentum erstarken.
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nomadisches Landrecht als ein Recht auf Landzugang und -Nutzung und nicht als ein Recht auf Landeigentum verstanden werden.1512 Dennoch entspricht es z. B. der Praxis des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte, traditionelle saisonale nomadische Nutzungsrechte in heutige Eigentumsrechte umzuwandeln.1513 Der Gerichtshof unterliegt hierbei demselben Irrtum wie einst die Kolonialmächte, die sich ungeachtet des nicht vorhandenen Eigentumsverständnisses, Gebietseigentum zedieren ließen.1514 Die Umwandlung einstiger Nutzungsrechte in zivilrechtliches Landeigentum mag sinnvoll sein, wenn ein indigenes Volk ein Gebiet für sich alleine durchstreift. Gerade in Afrika ist es jedoch üblich, dass Gebiete mehrfach und überlappend durch verschiedene Völker genutzt werden, was einem mit dem Eigentum verbundenen exklusiven Nutzungsrecht entgegensteht. Nach heutigen Maßstäben muss die Einordnung als Eigentumsrecht oder Nutzungsrecht von der Exklusivität der Nutzung und dem Grad der regelmäßigen Transhumanz abhängen.1515 Für diese Differenzierung zwischen Eigentum und Nutzung spricht insbesondere der französische Wortlaut von Art. 26 I UNDRIP.1516 Dieser fordert für die Gewährung eines Eigentums- oder Besitzrechtes, dass dieses noch heute fortbesteht, lässt es jedoch für die Gewährung eines Nutzungsrechts ausreichen, wenn eine Nutzung in der Vergangenheit vorlag.1517 Die Einräumung von Nutzungsrechten hat gegenüber dem statischen Eigentum den Vorteil, eine den Umweltgegebenheiten entsprechende dynamische Anpassung zu gewährleisten, wie sie von nomadischen Völkern seit jeher praktiziert wurde.1518 Allerdings muss durch Gesetzgebung gewährleistet sein, dass die grundsätzliche Verfügbarkeit des Landes für die Nomaden gewahrt bleibt sowie rechtlich abgesichert und einklagbar ist.1519 1512 A.A. José R. Martinez Cobo, Discrimination against Indigenous Populations (Fn. 1391) Rn. 520, 523. 1513 Sachverständigenaussage von Galio Claudio Enrique Gurdián in: Mayagna (Sumo) Awas Tingni Community ./. Nicaragua, Rn. 83; Sawhoyamaxa Indigenous Community ./. Paraguay, Rn. 131; vgl. entsprechend auch Interamerican Committee of Human Rights, Indigenous and Tribal Peoples’ Rights over Their Ancestral Lands and Natural Resources, Rn. 55. 1514 Jörn Axel Kämmerer, Das Völkerrecht des Kolonialismus (Fn. 240) 50; vgl. auch Kanada: SCOC, Regina ./. Marshall; Regina ./. Bernard, [2005] 2 SCR 220, 2005 SCC 43, 58, 70, 77; bestätigend auch die Praxis Australischer Gerichte, die unter keinen Umständen Eigentum am Land, sondern nur einen Strauß verschiedener Nutzungsrechte zusprechen (vgl. Katja Göcke, Indigene Landrechte (Fn. 88) 635, die jedoch anders als hier vertreten die völkerrechtliche Zulässigkeit dieser Praxis ablehnt). 1515 Katja Göcke, Indigene Landrechte (Fn. 88) 635. 1516 UN Declaration on the Rights of Indiginous Peoples (UNDRIP) (13. Dezember 2007) UN Doc A/RES/61/295. 1517 Vergleiche zu dieser intertemporalen Differenzierung im Detail F. II. 2. e). 1518 A.A. Katja Göcke, Indigene Landrechte (Fn. 88) 671. 1519 James S. Anaya, Report on the Situation of Indigenous Peoples in the Russian Federation (Addendum) (23. Juni 2010) UN Doc A/HRC/15/37/Add.5, Rn. 31.
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f) Problem der intertemporalen Anwendung Die Problematik einer intertemporalen Anwendung stellt sich insbesondere mit Blick auf Landrechte. Denn, wenn die UNDRIP den Nomaden Rechte an ihren traditionellen Ländern gewährt, ist fraglich, ob dies auch für jene Länder gilt, von denen sie vor mehr als 50 Jahren durch die Grenzschließungen der Dekolonisierungsära oder gar vor noch längerer Zeit im Zuge der Kolonisierung getrennt wurden. Ob Art. 26 UNDRIP1520 durch die perfektive Formulierung „… which they have traditionally owned, occupied or otherwise used or acquired“1521 auch endgültig vertriebene Nomaden erfasst, ist unklar. Einerseits wird das Present Perfect im Englischen für Begebenheiten der Vergangenheit gebraucht, die noch bis in die Gegenwart andauern, was für ein Verständnis dahingehend spricht, dass das betreffende Volk die Beziehungen noch aufrechterhalten muss.1522 Andererseits wäre es widersinnig, wenn ein Volk aufgrund einer Vertreibung aus einem Gebiet sein Recht auf dieses Gebiet verlöre.1523 Das systematische Argument, dass bei einem anderen Verständnis die Differenzierung zwischen Art. 26 I und 26 II UNDRIP1524 überflüssig wäre, überzeugt vor dem Hintergrund der nomadischen Zweitfunktion der Perfektformulierung nicht.1525 Vermittelnd schlägt Katja Göcke vor, dass zumindest die heimatlich spirituelle Verbindung zum Land noch nicht gänzlich abgerissen sein darf.1526 So begrüßenswert dieses Verständnis aus einem Schutzzweckgedanken heraus auch ist, so schwierig ist es doch mit dem französischsprachigen Wortlaut zu vereinbaren. Anders als im Englischen ist Art. 26 I UNDRIP1527 hinsichtlich des Landbesitzes im Présent, hinsichtlich der Landnutzung im Passé Composé formuliert. Der französische Wortlaut erfordert somit für ein Recht auf Landeigentum ein gegenwärtiges Verhältnis, lässt für ein Recht auf Landnutzung aber ein vergangenes bereits abgeschlossenes Nutzungsverhältnis ausreichen. Um diese sprachliche Ambivalenz zwischen englischem und französischem Wortlaut zu lösen, kann die Wiener Vertragsrechtskonvention herangezogen werden, denn diese ist gemäß Art. 5 1520 UN Declaration on the Rights of Indiginous Peoples (UNDRIP) (13. Dezember 2007) UN Doc A/RES/61/295. 1521 Ebd. 1522 Katja Göcke, Indigene Landrechte (Fn. 88) 614. 1523 Ebd., 613. 1524 UN Declaration on the Rights of Indiginous Peoples (UNDRIP) (13. Dezember 2007) UN Doc A/RES/61/295. 1525 F. II. 2. e); vgl. auch Jérémie Gilbert/Cathal Doyle, A New Dawn over the Land: Shedding Light on Collective Ownership and Consent, in: Stephen Allen/Alexandra Xanthiki (Hrsg.), Reflections on the UN Declaration on the Rights of Indigenous Peoples, Hart Publishing, 2011 289, 298; Katja Göcke, Indigene Landrechte (Fn. 88) 612. 1526 Katja Göcke, Indigene Landrechte (Fn. 88) 614. 1527 UN Declaration on the Rights of Indiginous Peoples (UNDRIP) (13. Dezember 2007) UN Doc A/RES/61/295.
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WVK1528 auch auf jeden im Rahmen einer Internationalen Organisation angenommenen Vertrag anwendbar. Darüber hinaus spiegeln die Art. 31 – 33 WVK1529 Völkergewohnheitsrecht wieder.1530 Gemäß Art. 33 III WVK wird vermutet, dass beide Sprachversionen die selbe Bedeutung haben sollen. Die Vermutung aus Art. 33 III WVK1531 fordert, dass jeder Versuch unternommen werden muss, eine gemeinsame Bedeutung zu finden, bevor einer Version gegenüber der anderen der Vorzug gegeben wird.1532 Diese Vermutung hilft, die gewöhnliche Bedeutung zu identifizieren oder eine Bedeutung zu bestätigen, die aus der Interpretation nur einer Sprache klar zu sein scheint.1533 Die klarere Version ist hier die französische, welche mit ihrer Präsensformulierung nur in dem Sinne verstanden werden kann, dass für ein Recht auf Landeigentum oder -besitz ein gegenwärtiges Besitzverhältnis noch vorliegen muss. Die englischsprachige Version lässt demgegenüber zwar zu, dass der Landbesitz oder das Landeigentum in der Vergangenheit begonnen hat, impliziert jedoch durch die Wahl des Present Perfect statt des Simple Pasts ebenfalls, dass dieses Verhältnis bis in die Gegenwart andauern muss, um Eigentums- oder Besitzrechte zu begründen. Der Vermutung des Art. 33 III WVK1534 wird somit nur ein Verständnis gerecht, was ein noch fortdauerndes Eigentums- oder Besitzverhältnis zugrundelegt. Hierfür spricht auch ein Blick auf den spanischen Wortlaut „han poseído“: Das hier gebrauchte Pretérito Perfecto Compuesto findet Anwendung zur Indikation, dass ein Sachverhalt sich erst vor äußerst kurzer Zeit zugetragen hat oder sogar noch andauert. Entsprechend dem präziseren französischen Wortlaut, der jedoch mit dem englischen und spanischen in Einklang zu bringen ist, ist somit sehr genau zu differenzieren: Um indigenen Völker ein Landeigentums- oder -besitzrecht einzuräumen, ist ein nach wie vor bestehendes Eigentums- oder Besitzverhältnis erforderlich. Für ein indigenes Nutzungsrecht reicht hingegen eine bereits in der Vergangenheit liegende Nutzung aus. Noch ambivalenter ist Art. 27 UNDRIP,1535 der ein faires transparentes Verfahren unter Einbeziehung der Indigenen fordert, um über die Existenz indigener Landrechte zu urteilen. Während sich dieses Verfahren nach dem englischen Wortlaut 1528 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVK) (23. Mai 1969) 1155 UNTS 331. 1529 Ebd. 1530 Richard Gardiner, Treaty Interpretation (Fn. 1105) 142. 1531 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVK) (23. Mai 1969) 1155 UNTS 331. 1532 Richard Gardiner, Treaty Interpretation (Fn. 1105) 363. 1533 Ebd. 1534 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVK) (23. Mai 1969) 1155 UNTS 331. 1535 UN Declaration on the Rights of Indiginous Peoples (UNDRIP) (13. Dezember 2007) UN Doc A/RES/61/295.
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explizit auch auf Landnutzungen bezieht, die in der Vergangenheit lagen und heute vorüber sind (Verwendung des Simple Past), berücksichtigt der französische Wortlaut nur derzeitige Landnutzungen (Verwendung des Présent). Das Spanische wiederum benutzt mit dem Pretérito Perfecto Compuesto eine Zeitform, die am ehesten dem Englischen Present Perfect entspricht, also einen Zeitraum umschreibt, der gerade eben abgeschlossen wurde, noch andauert, oder dessen Folgen noch sichtbar sind. Eine allen Bedeutungen gerecht werdende Auslegung i.S.d. Art. 33 III WVK1536 ist, anders als bei Art. 26 UNDRIP,1537 hier nicht möglich. Die Interpretation des sich unversöhnlich widersprechenden französischen und englischen Wortlautes muss daher gemäß Art. 33 IV WVK1538 erfolgen. Dieser fordert, dass Ziel und Zweck des Vertrages (Art. 31 I, II i.V.m. Art. 33 IV1539) nicht nur herangezogen werden sollen um den Inhalt zu ergründen, sondern auch, um die Bedeutungsdifferenz auszuräumen.1540 Gemäß Art. 31 II i.V.m. Art. 33 IV WVK1541 kann hierbei die Präambel eine besondere Rolle spielen. Deren interpretative Funktion ist zunächst auf den englischen, spanischen und französischen Wortlaut anzuwenden.1542 Hinsichtlich historischer Landrechte stipuliert die Präambel: „Concerned that indigenous peoples have suffered from historic injustices as a result of, inter alia, their colonization and dispossession of their lands, territories and resources, thus preventing them from exercising, in particular, their right to development in accordance with their own needs and interests.“1543
Die Präambel berücksichtigt somit explizit die historische Ungerechtigkeit, die den Indigenen in der Vergangenheit bezüglich ihres Landes zugestoßen ist und die – so lässt sich folgern – durch die UNDRIP mittels eines fairen Verfahrens gerecht aufgelöst werden soll. Bevor nun die Version gewählt wird, welche unter allen den kleinsten gemeinsamen Nenner bildet (dies wäre der engste Wortlaut, nämlich der französische), muss 1536 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVK) (23. Mai 1969) 1155 UNTS 331. 1537 UN Declaration on the Rights of Indiginous Peoples (UNDRIP) (13. Dezember 2007) UN Doc A/RES/61/295. 1538 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVK) (23. Mai 1969) 1155 UNTS 331. 1539 Ebd. 1540 Alain Papaux/Rémi Samson, Art. 33 – Interpretation of treaties authenticated in two or more languages, in: Olivier Corten/Pierre Klein (Hrsg.), The Vienna Convention on the Law of Treaties – A Commentary, Oxford UP 2011, 866, 880 Rn. 74. 1541 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVK) (23. Mai 1969) 1155 UNTS 331. 1542 Alain Papaux/Rémi Samson, Art. 33 (Fn. 1540) 880 Rn. 75. 1543 Präambel UN Declaration on the Rights of Indiginous Peoples (UNDRIP) (13. Dezember 2007) UN Doc A/RES/61/295.
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gemäß Art. 33 IV i.V.m. Art. 31 I, II WVK1544 erneut Berücksichtigung finden, was den Zweck des Vertrages wohl am ehesten fördert. Dies schließt nicht aus, festzustellen, dass eine Formulierung die andere „aussticht“.1545 Das Vorhandensein des zweiten Halbsatzes ergibt aber nur aus einer der drei untersuchten Sprachversionen überhaupt Sinn: Würde Halbsatz Zwei hinweggedacht, endete der Satz mit „to recognize and adjudicate the rights of indigenous peoples pertaining to their lands, territories and resources“. Durch den Begriff „Their Lands …“ sind bereits all jene Gebiete inkludiert, welche die Indigenen aktuell beherrschen. Eine Ergänzung durch einen weiteren Halbsatz „including those which were traditionally owned …“, ergibt nur dann Sinn, wenn hierdurch ein über das Präsens hinausgehender Inhalt hinzugefügt werden soll. Dies entspricht dem Wunsch der Präambel, die v. a. im Zuge der Kolonisierung und Enteignung aufgetretenen Ungerechtigkeiten der Vergangenheit einem fairen Verfahren zuzuführen. Entgegen dem französischen Wortlaut soll somit auch über jene Gebiete fair geurteilt werden, die bereits seit Langem der indigenen Nutzung entzogen sind. Allerdings kann im Sinne von Katja Göckes vermittelnder Auffassung1546 und im Einklang mit der spanischen Variante verlangt werden, dass die emotionale Verbundenheit als Folge einer einstigen Nutzung noch bis heute fortdauert. Diese Interpretation der Landrechte hat unmittelbaren Einfluss auf die Problematik der Grenzübertrittsrechte. Oben wurde dargelegt, dass es einen Völkerrechtsgrundsatz gibt, wonach Landrechte im Ausland nicht nur ein formales Recht beinhalten, sondern, dass mit ihnen auch ein Recht auf Zutritt und effektive Nutzung verbunden ist.1547 Die Existenz solcher Landrechte kann in Gestalt von Eigentum unmittelbar aus der UNDRIP nicht rückwirkend für die Zeit der Grenzziehung wiederhergestellt werden. Allerdings formuliert die UNDRIP ein Recht darauf, dass die Frage der damaligen und gemäß Völkergewohnheitsrecht fortdauernden Landrechte in einem fairen, transparenten und mit Rücksicht auf das spezielle Landrechtsverständnis der Indigenen erfolgenden Verfahren entschieden werden soll und steht einer rückwirkenden Bestätigung von bloßen Landnutzungsrechten ebenfalls nicht im Wege.
1544
Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVK) (23. Mai 1969) 1155 UNTS 331. 1545 Alain Papaux/Rémi Samson, Art. 33 (Fn. 1540) 882, Rn. 85; Richard Gardiner, Treaty Interpretation (Fn. 1105) 375. 1546 Katja Göcke, Indigene Landrechte (Fn. 88) 614. 1547 C. III. 4. a) aa).
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3. Rechtsverbindlichkeit der UNDRIP Dass die UNDRIP1548 von 143 Staaten unterzeichnet wurde, spricht zumindest für die grundsätzliche Akzeptanz der hierin enthaltenen Rechte.1549 Sofern ein Großteil der Bestimmungen lediglich geltendes Völkerrecht zum Selbstbestimmungsrecht der Völker auf indigene Völker ausweitet, kann dessen Inhalt eine gewohnheitsrechtliche Geltung beigemessen werden.1550 Einer unmittelbar rechtsverbindlichen Geltung der übrigen Bestimmungen könnten die ursprünglichen Gegenstimmen von vier wichtigen und überdies von Nomaden bevölkerten Staaten (Australien, Kanada, Neuseeland, USA) entgegenstehen, die jedoch in der Zwischenzeit ebenfalls der Erklärung beigetreten sind und somit ihre Widerstände scheinbar aufgegeben haben.1551 Allerdings legen die nun folgenden Ausführungen dar, dass der Beitritt dieser vier unter der Prämisse erfolgte, die UNDRIP sei rechtlich unverbindlich. Kanada erschienen insbesondere die Land- und Ressourcenrechte zu weit gefasst: „Unfortunately, the provisions in the Declaration on lands, territories and resources were overly broad, unclear, and capable of a wide variety of interpretations, discounting the need to recognize a range of rights over land and possibly putting into question matters that have been settled by treaty.“1552
Den USA war der Anwendungsbereich zu vage: „[…] and risked endless conflicting interpretations and debate about its application, as already evidenced by the numerous complex interpretive statements issued by States at its adoption at the Human Rights Council.“ 1553
1548 UN Declaration on the Rights of Indiginous Peoples (UNDRIP) (13. Dezember 2007) UN Doc A/RES/61/295. 1549 Unmittelbar entfaltet die UNDRIP gem. Art. 10 und 11 UN-Charta keine rechtliche Bindungswirkung, Charta der Vereinten Nationen (26. Juni 1945), UNCIO Bd. 15, 335. 1550 Mark D. Cole, Das Selbstbestimmungsrecht indigener Völker (Fn. 1384) 307 Fn. 588 mit Verweis auf Rodolfo Stavenhagen in: Report on the Situation of Human Rights (15. November 2007) UN Doc A/HRC/6/15, Rn. 91, Fn. 32. 1551 2010 hat mit den USA auch der letzte dieser vier Staaten die Konvention unterzeichnet, vgl. UN News Center, United States’ backing for indigenous rights treaty hailed at UN, online unter: http://www.un.org/apps/news/story.asp?NewsID=37102#.VrIWKFKUSaw (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018); vgl. auch: UN News Center, Experts hail Australia’s backing of UN declaration of indigenous peoples’ rights, online unter: http://www.un.org/apps/news/story. asp?NewsID=30382#.VrIYqlKUSaw (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 1552 UN Press Release, General Assembly adopts Declaration on Rights of Indigenous Peoples; ,Major Step Forward‘ towards Human Rights for all, says President (13. September 2007) UN Doc UN GA/10612, online unter: http://www.un.org/press/en/2007/ga10612.doc.htm (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 1553 Ebd.
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Noch am Tage der ursprünglichen Ablehnung der Erklärung veröffentlichte die Vertretung der USA bei den Vereinten Nationen eine „Observation“,1554 mit der sie ihre Position begründeten. In diesem Statement stellten sie ausdrücklich klar, dass sie weder die Deklaration für rechtlich bindend erachten, noch dass sie hierin eine Reflexion des Völkerrechts sehen. Die Vereinigten Staaten wiesen jede Möglichkeit zurück, wonach die Deklaration Völkergewohnheitsrecht sei, oder solches werden könne. Stein des Anstoßes war für die USA zum einen der Bezug auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Zum anderen – und das ist für die Rechte nomadischer Völker von besonderer Bedeutung – wehrten sich die USA gegen das in der Deklaration zum Ausdruck kommende Verständnis von Land- und Ressourcenrechten.1555 Insbesondere der weite Anwendungsbereich des Artikels 26 missfiel den USA, indem dieser die Landrechte indigener Völker nicht mehr von Rechtstiteln, sondern bereits von der traditionellen Nutzung abhängig machte. Zwar erkannten die USA an, dass dies die derzeitigen Realitäten in den meisten Ländern wiederspiegelt, hielten ein derartiges Verständnis aber für zu weit und unmöglich umzusetzen.1556 Gerade diese Weite des Art. 26 UNDRIP1557 ist es jedoch, die in Abweichung vom bisherigen exklusivitätsgeprägten Landrechtsverständnis nomadischen Völkern Rechtspositionen eingeräumt hätte – einerseits weil diesen vielfach ein Verständnis für exklusives Landeigentum fehlt, zum anderen, weil es gerade der nomadischen Lebensweise entspricht, Land nicht permanent als eigenes zu besitzen. Des Weiteren wehrten sich die USA gegen die Einführung kollektiver Rechte. Nichtsdestotrotz ergänzten die USA, dass auch sie die Anerkennung von Rechten für indigene Individuen und Völker weiter vorantreiben wollen.1558 Bemerkenswert ist die Begründung Neuseelands für die zunächst erfolgte Ablehnung: Das Land habe grundsätzlich ein rechtsverbindliches Dokument angestrebt, wohingegen die zustandegekommene Deklaration nur Zielvorstellungen darstellen könne. Möglicherweise spricht aus der Unterstützung der Deklaration durch viele afrikanische und zentralasiatische Staaten jedoch eine Opinio iuris hinsichtlich eines mit dem Wortlaut der UNDRIP identischen regionalen Völkergewohnheitsrechts. Dagegen, dass durch die Deklaration eine regionale afrikanische Opinio iuris zum Ausdruck kommt, spricht allerdings, dass sich Burundi, Kenia und Nigeria als no1554 US Mission to the UN, Press Release #204(07) (13. September 2007) Observations of the United States with Respect to the Declaration on the Rights of Indigenous Peoples. 1555 UN Press Release, General Assembly adopts Declaration on Rights of Indigenous Peoples (Fn. 1549); US Mission to the UN, Press Release #204(07), ebd. 1556 Ebd. 1557 UN Declaration on the Rights of Indiginous Peoples (UNDRIP) (13. Dezember 2007) UN Doc A/RES/61/295. 1558 UN Press Release, General Assembly adopts Declaration on Rights of Indigenous Peoples (Fn. 1552).
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madisch geprägte Staaten enthielten, während Tschad, die Elfenbeinküste, Eritrea, Gambia, Guinea-Bissau, Äquatorialguinea, Äthiopien, Mauretanien, Marokko, Ruanda, Somalia, Togo und Uganda der Abstimmung ganz fernblieben. Auch die von Nomaden betroffenen Staaten Israel, Kirgisien, Tadschikistan und Usbekistan fehlten.1559 All dies deutet daraufhin, dass es sich bei den in der Deklaration niedergelegten Rechten allenfalls um Völkergewohnheitsrecht im Entstehen handelt. Daran ändert, entgegen dem Befund Mark D Coles, auch das Statement Benins nichts, wonach auch dessen Nachbarstaaten dem Text volle Unterstützung gäben.1560 Insbesondere Landrechte, die sich nicht von verbrieften Rechtstiteln, sondern einer bloßen traditionellen Nutzung ableiten (vgl. Art. 26 UNDRIP1561) sind derzeit noch kein Völkergewohnheitsrecht. Der Widerstand der vier zunächst gegen die Erklärung stimmenden Staaten wurde mittlerweile überwunden. Mit den USA erklärte im Jahr 2010 der letzte dieser Staaten seine Unterstützung der Deklaration.1562 Allerdings wurde im Zuge der Unterzeichnung der nichtbindende Charakter des Dokuments betont.1563 Die UNDRIP1564 ist somit ein wichtiges politisches Instrument und möglicherweise Zeichen eines Völkergewohnheitsrechts im Entstehen, jedoch bislang ohne rechtliche Bindungswirkung.1565 Demgegenüber erklärte allerdings im Dezember 2015 der kanadische Premier Justin Trudeau vor den Vertretern der First Nations: „… in partnership with the indigenous communities, the provinces, territories, and other vital partners, we will fully implement the calls to action of truth and reconcilliation commission, starting with the implementation of the United Nations Declaration on the Rights of Indigenous Peoples.“1566
1559 UN Press Release, General Assembly adopts Declaration on Rights of Indigenous Peoples (Fn. 1552). 1560 Mark D. Cole, Das Selbstbestimmungsrecht indigener Völker (Fn. 1384) 311. 1561 UN Declaration on the Rights of Indiginous Peoples (UNDRIP) (13. Dezember 2007) UN Doc A/RES/61/295. 1562 UN News Center, United States’ backing for indigenous rights treaty hailed at UN (17. Dezember 2010), online unter: http://www.un.org/apps/news/story.asp?NewsID=37102 #.VrIWKFKUSaw (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober). 1563 Tracy Watkins, NZ does U-turn on rights charter. in: stuff politics (20. April 2010), online unter: http://www.stuff.co.nz/national/politics/3599153/NZ-does-U-turn-on-rights-char ter (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018); UN News Center, United States’ backing for indigenous rights treaty hailed at UN (Fn. 1562); UN News Center, Experts hail Australia’s backing of UN declaration of indigenous peoples’ rights (Fn. 1551). 1564 UN Declaration on the Rights of Indiginous Peoples (UNDRIP) (13. Dezember 2007) UN Doc A/RES/61/295. 1565 Sabine Bernot, Verfassungsrechtliche Anerkennung indigenen Rechts (Fn. 176) 62. 1566 Premier Justin Trudeau, Speach to the Assembly of First Nations (8. Dezember 2015).
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Vermehrt berufen sich auch UN-Organe auf die UNDRIP,1567 u. a. der Menschenrechtsausschuss unter Rückgriff u. a. auf die besonders umstrittenen Landrechte,1568 ebenso wie der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte.1569 Hieran wird deutlich, dass die UNDRIP eine wichtige völkerrechtliche Auslegungshilfe, insbesondere für Menschenrechtsabkommen ist, auch wenn sie unmittelbar keine Rechtsbindung entfaltet und mangels einheitlicher Staatenpraxis auch noch kein Völkergewohnheitsrecht wiederspiegelt.1570 4. Rechte indigener Völker aus der Antirassismuskonvention Auch das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der Rassendiskriminierung von 19661571 ist geeignet, indigenen Völkern Rechte zu gewähren, dies insbesondere mit Blick darauf, dass indigene nomadische Völker häufig in ihren Aufenthaltsstaaten marginalisiert werden. Der nach Art. 8 einzurichtende Ausschuss erachtete denn auch die Anliegen indigener Völker als vom Anwendungsbereich der Konvention erfasst.1572 Die in Art. 5 der Antirassismuskonvention1573 festgelegten Rechte berechtigen die Angehörigen nomadischer Völker unter anderem dazu, bei der Geltendmachung etwaiger Landrechte von den Gerichten rechtlich gleichbehandelt zu werden. Auch ist nach Art. 5 d) v) Landeigentum sowohl allein als auch in Gemeinschaft mit anderen geschützt. So wird dem Verständnis von Landrechten als kollektiver Rechte zumindest teilweise Rechnung getragen. Freizügigkeit gewährt die Konvention gemäß Art. 5 d) i) nur innerhalb der Staatsgrenzen. Sie gewährt jedoch nach Art. 5 d) ii) auch das Recht jedes Land zu verlassen und in das eigene Land zurückzukehren. Ein Einreiserecht in ein fremdes Land beinhaltet sie nicht.
1567
Benedict Kingsbury, Indigenous Peoples, MPEPIL (November 2006). UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (CESCR), General Comment No. 21, Right of everyone to take part in cultural life (Art. 15, para. 1a of the Covenant on Economic, Social and Cultural Rights) (21 December 2009) UN Doc E/C.12/GC/21. 1569 IACtHR, Saramaka people ./. Suriname, Judgment (28. November 2007). 1570 In diesem Sinne auch: Katja Göcke, Indigene Landrechte (Fn. 88) 559. 1571 International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination, UNGA Res 2106 (XX) (21. Dezember 1965, in Kraft getreten 23. März 1976) UN Doc A/RES/ 2106(XX). 1572 UN Committee on the Elimination of Racial Discrimination, General Recommendation on the Rights of Indigenous Peoples (18. August 1997), Annex (1999) ZaöRV 573 f. 1573 International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination, UNGA Res 2106 (XX) (21. Dezember 1965, in Kraft getreten 23. März 1976) UN Doc A/RES/ 2106(XX). 1568
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5. Fazit – kaum zusätzliche Rechte für indigene Völker Nach modernem Verständnis qualifizieren sich nomadische Völker als indigene Völker, da sie mit dem Nomadentum eine eigene Wirtschaftsform und Kultur praktizieren, meist in Abgrenzung von der übrigen Gesellschaft eigene Sprachen sprechen und häufig Opfer von Marginalisierung sind.1574 Nach konservativem Verständnis steht dem Indigenenstatus vieler nomadischer Völker jedoch die Tatsache im Wege, dass sich ihre traditionellen Lebensräume nicht auf ein kompaktes Gebiet eingrenzen lassen, zu dem sie eine besondere Verbindung besitzen oder auf dem sie gar die Erstbesiedler sind.1575 Eine derart enge Interpretation des Begriffs „indigen“ würde dazu führen, dass in Afrika und Asien kaum Völker einen solchen Status beanspruchen könnten.1576 Dem Ziel und Zweck des Indigenenschutzes entspricht es daher eher, die verschiedenen Kriterien, anhand derer sich indigene Völker bestimmen lassen, nicht kumulativ, sondern alternativ als Indizienbündel heranzuziehen, wie dies etwa die Afrikanische Menschenrechtskommission propagiert.1577 Der sachliche Schutzbereich des Indigenenschutzes ergibt sich vornehmlich aus der UNDRIP. Diese entfaltet jedoch selbst keine unmittelbare Rechtsbindungswirkung und stellt auch (noch) kein Völkergewohnheitsrecht dar.1578 Auch die ILOKonvention 169 ist aufgrund der geringen Anzahl von nomadisch geprägten Ratifikarstaaten für die Rechte von Nomaden sachlich von geringer Bedeutung.1579 Unmittelbare Wirkung entfaltet die Antirassismuskonvention. Ihre Rechtsgewährungen gehen jedoch hinsichtlich der Grenzübertrittsrechte von Nomaden nicht über das hinaus, was bereits allgemeiner Menschenrechtsstandard ist.1580
III. Nomadisches Wanderrecht als Minderheitenrecht Obwohl Art. 27 IPBPR1581 die bedeutendste Kodifikation von Minderheitenrechten ist,1582 so ist er nicht die einzige. Daneben finden sich Minderheitenrechte 1574
C. IV. 3. F. II. 1. a). 1576 F. II. 1. a) aa). 1577 F. II. 1. a) cc). 1578 F. II. 2. 3. 1579 ILO, Ratifications of C169 – Indigenous and Tribal Peoples Convention, 1989 (No. 169), online unter: http://www.ilo.org/dyn/normlex/en/f?p=NORMLEXPUB:113 00:0::NO:11300:P11300_INSTRUMENT_ID:312314:NO (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018); F. II. 1. a) bb). 1580 F. I. 1.b). 1581 International Covenant on Civil and Political Rights (16. Dezember 1966) 999 UNTS 171. 1575
III. Nomadisches Wanderrecht als Minderheitenrecht
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u. a. in der unverbindlichen Minderheitendeklaration der UN-Generalversammlung.1583 Auf regionaler Ebene existieren neben der Framework Convention des Europarates1584 einige Verträge aus der Zwischenkriegszeit, die den Gebietsverschiebungen nach dem Ersten Weltkrieg Rechnung tragen sollten,1585 die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen,1586 sowie die unverbindlichen KSZE-Abschlussdokumente von Kopenhagen,1587 Paris1588 und Genf1589. Im Folgenden wird v. a. auf die beiden verbindlichen Verträge, den IPBPR1590 und die Framework Convention des Europarates1591, eingegangen. 1. Minderheitenrechte nach dem Internationalen Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte Artikel 27 IPBPR1592 schützt in Staaten mit ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten das Recht Angehöriger dieser Minderheiten, gemeinsam mit anderen Angehörigen der jeweiligen Gruppe ein eigenes kulturelles Leben zu pflegen, die eigene Religion zu bekennen und auszuüben oder sich der eigenen Sprache zu bedienen. Obwohl es sich bei der nomadischen Lebensform in erster Linie um eine Wirtschaftsform handelt, wohnen dieser auch kulturelle Aspekte inne, welche somit unter das Minderheitenrecht von Art. 27 IPBPR1593 fallen. Zunächst ist jedoch klärungsbedürftig, ob es sich bei nomadischen Völkern um Minderheiten im rechtlichen 1582 Rainer Hofmann, Minderheitenschutz in Europa – völker- und staatsrechtliche Lage im Überblick, Gebrüder Mann Verlag 1995, 20. 1583 UN Declaration on the Rights of Persons belonging to National or Ethnic, Religious and Linguistic Minorities, (3. Februar 1993) UN Doc A/RES/47/135. 1584 F. III. 2.; Framework Convention for the Protection of National Minorities (10. November 1994) H (95) 10. 1585 Vgl. Überblick bei Rainer Hofmann, Minderheitenschutz in Europa (Fn. 1582) 17 f. 1586 European Charter for Regional or Minority Languages (5. November 1992) ETS Nr. 148. 1587 Kopenhagener Abschlussdokument über die menschliche Dimension der KSZE (29. Juni 1990). 1588 Charta von Paris (21. November 1990). 1589 KSZE-Expertentreffen über nationale Minderheiten, Bericht des Treffens vom 1.–19. Juli 1991 in Genf, abgedruckt in: Rainer Hofmann, Minderheitenschutz in Europa (Fn. 1582) Anhang III, 231. 1590 International Covenant on Civil and Political Rights (16. Dezember 1966) 999 UNTS 171. 1591 Framework Convention for the Protection of National Minorities (10. November 1994) H (95) 10. 1592 International Covenant on Civil and Political Rights (16. Dezember 1966) 999 UNTS 171. 1593 Ebd.
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Sinne handelt. Sodann wird die Frage beantwortet, ob Art. 27 IPBPR1594 ein Recht auf Grenzübertritt gewährt. a) Was ist eine Minderheit? Wie auch hinsichtlich der indigenen Völker fehlt ein völkerrechtlicher Konsens zur Definition einer Minderheit.1595 Der OSZE-Hochkommissar für Minderheiten Max van der Stoel ließ daher verlautbaren: „I know that it is a minority, when I see one.“1596 Der Streit beginnt bereits bei der Frage, ob eine Minderheit im juristischen Sinne auch die zahlenmäßige Bevölkerungsminderheit darstellen muss.1597 Ferner ist umstritten, ob eine Minderheit zwingend eine gegenüber der übrigen Bevölkerung schwächere soziale und wirtschaftliche Position einnehmen muss.1598 Die Beantwortung dieser Fragen mag für einzelne nomadische Völker von überragender Relevanz sein, hat aber unmittelbar keinen Einfluss auf die Frage, ob ein nomadisches Volk grundsätzlich Träger von Minderheitenrechten sein kann. Indigene Völker, insbesondere viele Nomaden, lehnen die Kategorisierung als Minderheit indes meistens ab.1599 1594
Ebd. Dieter Kugelmann, The Protection of Minorities and Indigenous Peoples Respecting Cultural Diversity (2007) MPYbUNL, 233, 237; Rainer Hofmann, Das nationale Minderheitenrecht in Osteuropa. Gegenwärtiger Stand und aktuelle Perspektiven – Die völkerrechtlichen Rahmenbedingungen des Minderheitenschutzes, in: Georg Brunner, Boris Meissner (Hrsg.), Das Recht der nationalen Minderheiten in Osteuropa, Berlin Verlag 1999, 9, 10; ders., Minderheitenschutz in Europa (Fn. 1582) 14; Rüdiger Wolfrum, The Emergence of „New Minorities“ as a Result of Migration, in Catherine Brölmann, René Lefeber, Marjoleine Zieck, Peoples and Minorities in International Law, Springer 1993, 153, 160. 1596 Max van der Stoel, Keynote Adress to the Human Dimension Seminar on Case Studies on National Minority Issues: Positive Results, (24. Mai 1993) zitiert bei: Katharina Penev, Minderheitenrechte der Araber in Israel – Völker- und staatsrechtliche Perspektiven, Duncker und Humblot 2004, 54. 1597 Patrick Thornberry, International Law and the Rights of Minorities, Oxford UP 1991, 169; Yoram Dinstein, The Degree of Self-Rule of Minorities in Unitarian and Federal States, in: Catherine Brölmann/René Lefeber/Marjoleine Zieck (Hrsg.), Peoples and Minorities in International Law, Springer 1993, 221, 225 f.; Lauri Hannikainen, The status of Minorities, Indigenous Peoples and Immigrant and Refugee Groups in Four Nordic States (1996) Nordic JIL, 1 ff.; Rüdiger Wolfrum, The Emergence of „New Minorities“ (Fn. 1595) 161. 1598 Dafür: Felix Ermacora, The Protection of Minorities Before the United Nations (1983) RdC, 247, 292; Lauri Hannikainen, ebd.; dagegen: Asbjørn Eide, Protection of Minorities, Possible Ways of Facilitating the Peaceful and Constructive Solution of Problems Involving Minorities (10. August 1993) UN Doc E/CN.4/Sub.2/1993/34, 7, Rn. 29, 8 Rn. 31. 1599 Sabine Bernot, Verfassungsrechtliche Anerkennung indigenen Rechts (Fn. 176) 48; dass indigene Völker Minderheiten darstellen können bekräftigte der Menschenrechtsausschuss in Genereal Comment No. 23, The Rights of Minorities (Art. 27) (1994), UN Doc CCPR/ C/21/Rev.1/Add.5; innerhalb der Schlussbeobachtungen des Menschenrechtsausschusses rügt dieser regelmäßig eine Verletzung der Landrechte indigener Völker: vgl. Schlussbeobachtungen zu Ecuador, UN DOC E//C.12/1/Add.100, Rn. 12, 28, 35 und 53; zu Brasilien, UN Doc E/C.12/BRA/CO/2, Rn. 9; zu Kambodscha, UN Doc E/C.12/KHM/CO/1, Rn. 15 – 16 und 30; 1595
III. Nomadisches Wanderrecht als Minderheitenrecht
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Unabhängig von dieser subjektiven Selbsteinschätzung gibt es auch Versuche, die Merkmale einer Minderheit objektiv zu determinieren. Einen diesbezüglichen Orientierungspunkt bietet die Definition von Capotorti, die dieser Ende der 70er Jahre entwickelte: „,[M]inority‘ may be taken to refer to: A group numerically inferior to the rest of the population of a State, in a non-dominant position, whose members – being nationals of the State – possess ethnic, religious or linguistic characteristics differing from those of the rest of the population and show, if only implicitly, a sense of solidarity, directed towards preserving their culture, traditions, religion or language.“1600
Dichter am Wortlaut1601 von Art. 27 IPBPR1602 bewegt sich die Definition des UNMenschenrechtsausschusses, welcher Minderheiten als Gruppen bezeichnet, die eine gemeinsame Kultur, Religion und/oder Sprache teilen.1603 Mit ihrer eigenen nomadischen Kultur kommen nomadische Völker somit grundsätzlich als Minderheiten in Betracht. Der UN-Menschenrechtsausschuss bestätigt: „With regard to the exercise of the cultural rights protected under article 27, the Committee observes that culture manifests itself in many forms, including a particular way of life associated with the use of land resources …“1604
Gerade das Nomadentum beinhaltet eine ganz spezifische Landnutzungsform und qualifiziert sich so als eine innerhalb des Minderheitenschutzes beachtenswerte Kulturform. b) Gewährt der Minderheitenschutz aus Art. 27 IPBPR ein Recht auf Grenzübertritt? Wie bereits festgestellt, gewährt der IPBPR1605 unabhängig vom Minderheitenstatus ein Recht von Individuen auf Ausreise und auf Einreise ins eigene Land, wobei zu Australien, UN Doc E/C.12/AUS/CO/4, Rn. 27 und 32; zu Kolumbien, UN Doc E/C.12/ COL/CO/5 Rn. 9; zu Russland, UN Doc E/C.12/RUS/CO/5, Rn. 7 und UN Doc CCPR/C/RUS/ CO/7, Rn. 24; zu Argentinien, UN Doc E/C.12/ARG/CO/3, Rn. 8 – 10; zu Kanada, UN Doc CCPR/C/CAN/CO/6, Rn. 16; zu Venezuela, UN Doc CCPR/C/VEN/CO/4 Rn. 21; zu Israel (hinsichtlich der nomadischen Beduinen), UN Doc CCPR/C/ISR/CO/4, Rn. 9. 1600 Francesco Capotorti, Study on the rights of persons belonging to ethnic, religious and linguistic minorities (1979) UN Doc E/CN.4/Sub.2/384/Rev.1, Rn. 568. 1601 Beachte, dass der im BGBl 1973 II 1534 verkündete Wortlaut der deutschen Übersetzung stark vom englischen Original abweicht, vgl. Rainer Hofmann, Minderheitenschutz in Europa (Fn. 1582) 20. 1602 International Covenant on Civil and Political Rights (16. Dezember 1966) 999 UNTS 171. 1603 UN-Menschenrechtsausschuss, General Comment No. 23 – Article 27 (Rights of Minorities) (8. April 1994) UN Doc CCPR/C/21/Rev.1/Add.5, Abs. 5.1. 1604 Ebd., Abs. 7. 1605 International Covenant on Civil and Political Rights (16. Dezember 1966) 999 UNTS 171.
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umstritten ist, ob unter dem eigenen Land das Land soziologischer Zugehörigkeit oder das Land der Staatsangehörigkeit zu verstehen ist.1606 Fraglich ist darüber hinaus, ob sich aus dem Minderheitenrecht des Art. 27 IPBPR1607 das Recht einer Minderheit auf Einreise auch in ein fremdes Land herleiten lässt. Die Beantwortung dieser Frage hängt also davon ab, ob die Minderheitenrechte des Art. 27 IPBPR1608 grundsätzlich auch den Angehörigen fremder Staaten zustehen können.1609 Der Wortlaut indiziere, so der UN-Menschenrechtsausschuss, „that the individuals designed to be protected need not be citizens of the State party“.1610 Auch Rüdiger Wolfrum bestätigt diese Auffassung, darauf verweisend, dass Art. 25 IPBPR1611 von Citizens spricht, wohingegen Art. 27 weiter gefasst sei.1612 Nach der lange vorherrschenden Auffassung in der Literatur1613 hingegen, muss es sich bei einer geschützten Minderheit um Angehörige des eigenen Staates handeln.1614 Dies spiegelt sich auch in der Staatenpraxis wieder.1615 Der UN-Menschenrechtsausschuss hält dieser Staatenpraxis entgegen: „Just as they need not be nationals or citizens, they need not be permanent residents. Thus, migrant workers or even visitors in a State party constituting such minorities are entitled not to be denied the exercise of those rights.“1616
Gerade anhand der Frage von Wanderarbeitern und anderen Einwanderern entzündet sich die Diskussion, ob diese Minderheitenstatus beanspruchen können, wenn sie aus ihren Heimatländern ihre eigenen Religionen, Sprachen und kulturellen Gewohnheiten mitbringen.
1606 1607
171. 1608
F. I. 1. b) bb). International Covenant on Civil and Political Rights (16. Dezember 1966) 999 UNTS
Ebd. Rüdiger Wolfrum, The Emergence of „New Minorities“ (Fn. 1595) 161. 1610 UN-Menschenrechtsausschuss, General Comment No. 23 – Article 27 (Rights of Minorities) (8. April 1994) UN Doc CCPR/C/21/Rev.1/Add.5, Abs. 5.1. (Hervorhebung hinzugefügt); Rainer Hofmann, Menschenrechte und der Schutz nationaler Minderheiten (2005) ZaöRV, 587, 592. 1611 International Covenant on Civil and Political Rights (16. Dezember 1966) 999 UNTS 171. 1612 Rüdiger Wolfrum, The Emergence of „New Minorities“ (Fn. 1595) 161. 1613 Marcel Kau, Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekte, in: Wolfgang Graf Vitzthum/Alexander Proelß (Hrsg.), Völkerrecht, 7. Auflage, De Gruyter 2016, 133, 148 Rn. 35; Rainer Hofmann, Minderheitenschutz in Europa (Fn. 1579) 20. 1614 Lauri Hannikainen, The status of Minorities (Fn. 1597) 1 ff. 1615 Marcel Kau, Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekte (Fn. 1613) 146 Rn. 35, 232 Rn. 331. 1616 UN-Menschenrechtsausschuss, General Comment No. 23 – Article 27 (Rights of Minorities) (8. April 1994) UN Doc CCPR/C/21/Rev.1/Add.5, Abs. 5.2. 1609
III. Nomadisches Wanderrecht als Minderheitenrecht
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Nach Auffassung der meisten Staaten sind Einwanderer nicht vom Minderheitenbegriff umfasst. 1617 Der Hintergrund mag sein, dass Einwanderungsländer in erster Linie das Ziel der Integration von Migranten verfolgen und daher an einer Bewahrung von deren kultureller Eigenständigkeit kein Interesse haben. Auch hinsichtlich des Schutzzweckes unterscheiden sich Zuwanderer von angestammten Minderheiten, da sich erstere „freiwillig“ in ein Land mit einer anderen Bevölkerungsmehrheit begeben haben und somit quasi ihren Minderheitenstatus selbst „verschuldeten“, während angestammte Minderheiten in grauer Vorzeit durch die Zuwanderung der heutigen Mehrheit „unverschuldet“ zur Minderheit wurden. Aus dieser Unterscheidung zwischen Wanderarbeitern und Angehörigen von Minderheiten kann nicht gefolgert werden, Wanderarbeiter hätten kein Recht auf Pflege ihrer eigenen Sprache, Kultur und Religion. Diese Rechte sind für die Angehörigen von Nicht-Minderheiten teilweise verbrieft in Art. 14 III (f), 18, 19 und 26 IPBPR.1618 Art. 27 IPBPR1619 ist demgegenüber für Minderheitenangehörige nicht nur Abwehrrecht, sondern zugleich Schutzpflicht und institutionelle Garantie: „Positive measures of protection are, therefore, required not only against the acts of the State party itself, whether through its legislative, judicial or administrative authorities, but also against the acts of other persons within the State party. […] The protection of these rights is directed towards ensuring the survival and continued development of the cultural, religious and social identity of the minorities concerned, thus enriching the fabric of society as a whole.“1620
Die positive Dimension des Minderheitenschutzes beinhaltet daher im Unterschied zu Nichtminderheiten u. a. staatliche Pflichten, wie die Gewährung von Sprachunterricht an staatlichen Schulen und die Unterstützung kultureller Einrichtungen.1621 Während Abwehrrechte gegen den Staat unbestreitbar auch Ausländern zustehen, so ist doch mehr als zweifelhaft, ob diesen im selben Umfang Einrichtungsgarantien zuteilwerden sollen. Zwischen den Polen eines Minderheitenrechts nur für Staatsangehörige und einem Minderheitenrecht für jedermann schlägt Christian Tomuschat eine vermittelnde Ansicht vor, welche die Gewährung von Minderheitenrechten nicht von der Staatsangehörigkeit, sondern von langandauernden Beziehungen zum Territorium des Staates abhängig macht. Minderheiten sind ihm zufolge:
1617 Marcel Kau, Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekte (Fn. 1613) 146 Rn. 35 f., 232 Rn. 331. 1618 International Covenant on Civil and Political Rights (16. Dezember 1966) 999 UNTS 171. 1619 Ebd. 1620 UN-Menschenrechtsausschuss, General Comment No. 23 – Article 27 (Rights of Minorities) (8. April 1994) UN Doc CCPR/C/21/Rev.1/Add.5, Abs. 6.1, 9. 1621 Rainer Hofmann, Menschenrechte und der Schutz nationaler Minderheiten (Fn. 1610) 592.
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„separate or distinct groups, well-defined and long-established on the territory of a State.“1622
Rainer Hofmann entnimmt der Entstehungsgeschichte der UN-Deklaration zum Schutz der Minderheiten1623 ganz ähnliche Schlussfolgerungen, darauf verweisend, dass auch Nichtstaatsangehörige, z. B. durch langen Aufenthalt, ähnlich gefestigte Bindungen zu ihrem Aufenthaltsstaat haben können, wie Staatsangehörige.1624 Dem entspricht die teilweise in der Literatur vorgeschlagene Kategorie der „angestammten Minderheiten“.1625 Diese Kategorie soll dem Umstand Rechnung tragen, dass eine Gruppe, die sich schon lange in einem Gebiet aufhält, gegenüber neu Zugewanderten einen verstärkten Schutz genießen sollte, unabhängig davon, ob ihre Angehörigen auch die Staatsangehörigkeit des jeweiligen Staates besitzen. Das Anknüpfen an eine lange Aufenthaltsdauer soll auch verhindern, dass sich Staaten ihrer Verpflichtung zum Minderheitenschutz entziehen, indem sie den Angehörigen von Minderheiten die Staatsangehörigkeit vorenthalten. Eine entsprechende Praxis wird nämlich u. a. aus Israel1626, Estland1627 und Malaysia1628 berichtet. Durch ein Anknüpfen an einen Bezug zu einem im jeweiligen Staat gelegenen Gebiet kann einerseits der von Staaten und auch von Teilen der Literatur kritisierten Ausdehnung von Minderheitenrechten auf Wanderarbeiter1629 begegnet werden, andererseits aber dem Staat die Möglichkeit genommen werden, durch einen Entzug der Staatsbürgerschaft den Minderheitenschutz zu konterkarieren. Obwohl es einerseits mit Recht zweifelhaft erscheint, dass in jedem Staat eine Institutsgarantie für staatliche Schulen und Rundfunkanstalten in den Sprachen jeder Gemeinschaft mit mehr als zwei Mitgliedern menschenrechtlich durch Art. 27 IPBPR1630 verbürgt sein soll, so widerspricht es doch auch andererseits dem Ziel und
1622 Christian Tomuschat, Protection of Minorities under Article 27 of the International Covenant on Civil and Political Rights, in: Rudolf Bernhardt/Wilhelm Karl Geck/Günther Jaenicke/Helmut Steinberger (Hrsg.), Völkerrecht als Rechtsordnung – Internationale Gerichtsbarkeit – Menschenrechte. Festschrift für Hermann Mosler, Springer 1983, 949, 975. 1623 UN Declaration on the Rights of Persons belonging to National or Ethnic, Religious and Linguistic Minorities, (3. Februar 1993) UN Doc A/RES/47/135. 1624 Rainer Hofmann, Minderheitenschutz in Europa (Fn. 1582) 24. 1625 Marcel Kau, Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekte (Fn. 1613) 146 Rn. 36. 1626 Katharina Penev, Minderheitenrechte der Araber (Fn. 1596) 60. 1627 Marcel Kau, Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekte (Fn. 1613) 232, Rn. 331. 1628 Julian Clifton/Greg Acciaioli/Helen Brunt/Wolfram Dressler/Michael Fabinyi/Sarinda Singh, Statelessness and Conservation (Fn. 8) 81, 85 ff. 1629 Marcel Kau, Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekte (Fn. 1613) 232, Rn. 331. 1630 International Covenant on Civil and Political Rights (16. Dezember 1966) 999 UNTS 171.
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Zweck von Art. 271631 die Gewährung von Rechten von der Staatsangehörigkeit abhängig zu machen. Vielmehr ist Christian Tomuschat1632 dahingehend zuzustimmen, dass es zur Sicherung der Effektivität des Minderheitenschutzes gegen das Vorenthalten einer Staatsangehörigkeit ausreichen muss, wenn zu dem fraglichen Staat hinreichende Verbindungen und Verwurzelungen bestehen. Das Wachsen solcher Verwurzelungen ist indes keine Frage von Generationen. Obwohl Nomaden mitunter eine fremde Staatsangehörigkeit besitzen, können jenseits dieser Staatsangehörigkeit tiefe Verwurzelungen z. B. zu traditionellen Weidegebieten in staatsbürgerschaftlich fremden Staaten bestehen, weshalb sie nicht wie Wanderarbeiter, sondern wie angestammte Minderheiten behandelt werden müssen. Die parlamentarische Versammlung des Europarates verneinte es jedoch, den transnationalen „Gipsies“ in Europa den Status einer Minderheit zuzugestehen: „A special place among the minorities is reserved for Gypsies. Living scattered all over Europe, not having a country to call their own, they are a true European minority, but one that does not fit into the definitions of national or linguistic minorities. As a non-territorial minority, Gypsies greatly contribute to the cultural diversity of Europe. In different parts of Europe they contribute in different ways, be it by language and music or by their trades and crafts.“1633
Hiermit spricht die parlamentarische Versammlung den „Gipsies“ den Status einer nationalen oder linguistischen Minderheit ab, allein weil sie als transnational nomadische Gemeinschaft an keinen Mitgliedstaat gebunden ist. Dass jedoch gerade Minderheiten oft unter der Ziehung von Staatsgrenzen quer durch ihre traditionellen Gebiete leiden, betont die UN Declaration on the Rights of Minorities,1634 in deren Art. 2 V es heißt: „Parties of minorities have the right to establish and maintain without any discrimination, free peaceful contacts with other members of their group and with persons belonging to other minorities, as well as contacts across frontiers with citizens of other States to whom they are related by national or ethnic, religious or linguistic ties.“1635
Diese Rechte können ihrem Wesen nach nur den Angehörigen von Minderheiten anderer Staaten gewährt werden. Der Gedanke hinter dieser Formulierung war sicherzustellen, dass Minderheiten, die später durch Staatsgrenzen entzwei geteilt wurden, ihre sozialen und kulturellen Beziehungen innerhalb ihrer Gemeinschaften 1631
Ebd. Christian Tomuschat, Protection of Minorities under Article 27 (Fn. 1622) 975. 1633 Europarat, Parlamentarische Versammlung, Recommendation 1203 (1993), online unter: http://assembly.coe.int/nw/xml/XRef/Xref-XML2HTML-EN.asp?fileid=15237&lang= en (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 1634 UN Declaration on the Rights of Persons belonging to National or Ethnic, Religious and Linguistic Minorities, (3. Februar 1993) UN Doc A/RES/47/135. 1635 Ebd. 1632
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weiter pflegen konnten.1636 Berücksichtigt werden muss jedoch, dass diese Erklärung selbst nicht unmittelbar bindend ist.1637 Ungeachtet der Grundsatzfrage, ob Minderheitenrechte auch allen Angehörigen fremder Staaten zugänglich sein müssen, sind transnationale Nomaden ein Sonderfall, der nicht mit Wanderarbeitern und anderen Einwanderern vergleichbar ist. Denn streng genommen gehören sie aufgrund ihrer traditionellen und teilweise Jahrhunderte alten Wanderrouten nicht zu den „New Minorities“, wie Rüdiger Wolfrum sie nennt.1638 Einerseits wandern Nomaden zwar regelmäßig in ein bestimmtes Land ein, andererseits tun sie dies oftmals bereits seit Jahrhunderten, sodass auch einige von ihnen zu den „angestammten Minderheiten“1639 gerechnet werden können. Daher schlägt auch der UN-Menschenrechtsausschuss vor: „Article 27 confers rights on persons belonging to minorities which „exist“ in a State party. Given the nature and scope of the rights envisaged under that article, it is not relevant to determine the degree of permanence that the term „exist“ connotes. Those rights simply are that individuals belonging to those minorities should not be denied the right, in community with members of their group, to enjoy their own culture, to practise their religion and speak their language. Just as they need not be nationals or citizens, they need not be permanent residents.“1640
Inhaltlich spricht der Wortlaut von Art. 27 IPBPR1641 nicht ausdrücklich davon, dass von den Minderheitenrechten auch grenzüberschreitende Wanderrechte umfasst sein sollen. Allerdings betont Rainer Hofmann, dass sich das „in Art. 27 IPbürgR garantierte Recht, mit anderen Angehörigen der Minderheit das kulturelle Leben zu pflegen, […] auf Gebräuche, Traditionen, Rituale, Kunst, Musik, Literatur und Bildung [bezieht]; auch eine besondere wirtschaftliche Betätigung oder Nutzung von Land können erfasst sein, was besonders für indigene Völker von Belang ist.“1642
Wie dargelegt,1643 sind die Nomaden unter dem Einfluss unberechenbarer klimatischer Bedingungen häufig darauf angewiesen, über weite Strecken zu wandern 1636
Jérémie Gilbert, Nomadic Peoples (Fn. 115), 82. Alfred Verdross/Bruno Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Auflage, Duncker & Humblot 1984, 407 f., § 635; Rainer Hofmann, Menschenrechte und der Schutz nationaler Minderheiten (Fn. 1610) 593. 1638 Rüdiger Wolfrum, The Emergence of „New Minorities“ (Fn. 1595) 163. 1639 Marcel Kau, Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekte (Fn. 1613) 146 Rn. 36. 1640 UN-Menschenrechtsausschuss, General Comment No. 23 – Article 27 (Rights of Minorities) (8. April 1994) UN Doc CCPR/C/21/Rev.1/Add.5, Rn. 5.2. 1641 International Covenant on Civil and Political Rights (16. Dezember 1966) 999 UNTS 171. 1642 Rainer Hofmann, Menschenrechte und der Schutz nationaler Minderheiten (Fn. 1610) 592 (Satzbau angepasst). 1643 C. I. 1.; C. II. 3. e); C. II. 4. 1637
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und z. B. Weideländer in verschiedenen Staaten zu frequentieren. Dies stellt ihre besondere Form der Nutzung von Land dar. Sofern sie zu diesen Weideländern eine traditionelle besondere Verbindung, z. B. durch alte Wanderrouten aufweisen, genießen sie diesbezüglich als Minderheit besonderen Schutz. Dieser Schutz umfasst mithin auch das Wandern und Grenzüberschreiten innerhalb der angestammten, bzw. schon seit geraumer Zeit genutzten Gebiete der Nomaden. Von der Kultur des Nomadismus ist es zwar auch noch erfasst, wenn ein nomadisches Volk ein gänzlich neues Weideland für sich erschließt. Ob der Staat, in dessen Gebiet dieses Weideland gelegen ist, jedoch die entsprechende Gruppe auch als angestammte Minderheit anerkennen und ihr entsprechende Rechte gewähren muss, ist mit Blick auf das Merkmal einer besonderen Verwurzelung zweifelhaft, will man nicht grundsätzlich allen Angehörigen fremder Staaten – also auch Wanderarbeitern – den Minderheitenstatus gewähren. Das jedoch würde mit Blick auf die in Art. 27 IPBPR1644 enthaltenen institutionellen Garantien und positiven Schutzpflichten zu einem inakzeptablen Ausufern des Minderheitenschutzes führen. 2. Framework Convention for the Protection of National Minorities Die Framework Convention for the Protection of National Minorities1645 des Europarates adressiert in ihren Art. 17 ff. ebenfalls zwischenstaatliche Aspekte des Minderheitenschutzes. Gemäß Art. 17 FCPNM „the Parties undertake not to interfere with the right of persons belonging to national minorities to establish and maintain free and peaceful contacts across frontiers with persons lawfully staying in other States, in particular those with whom they share an ethnic, cultural, linguistic or religious identity, or a common cultural heritage.“1646
Der Schwerpunkt bei Art. 17 FCPNM1647 liegt, wie auch bei Art. 27 IPBPR1648, nicht erstrangig auf der Rechtsgewährung an transnationale nomadische Völker. Abgesehen davon, dass diese in Europa eher eine Randerscheinung darstellen, war die Gewährung eines „Wanderrechts“ für z. B. europäische Roma nicht gewollt. Roma und Traveller genießen in den Staaten ihrer Staatsangehörigkeit den Status einer nationalen Minderheit, nicht aber in einem Drittstaat. Dass diese Eingrenzung z. B. in Deutschland mit Blick auf Roma aus Bulgarien, Rumänien und der Slowakei in der Praxis nicht immer aufrechterhalten werden kann, ist erst in zweiter Linie eine Rechtsfrage. Die Grenzübertritte europäischer Nomaden sind v. a. wirtschaftlich motiviert, wohingegen die Grenzübertritte, welche der Minderheitenschutz des 1644
Ebd. Framework Convention for the Protection of National Minorities (10. November 1994) H (95) 10. 1646 Ebd. 1647 Ebd. 1648 International Covenant on Civil and Political Rights (16. Dezember 1966) 999 UNTS 171. 1645
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Art. 17 FCPNM1649 in den Blick nimmt, v. a. der Kontaktpflege dienen. Die Rechtspraxis des Advisory Committees greift daher auf Art. 17 FCPNM1650 z. B. zur Visagewährung zurück.1651 Dass die Framework Convention selbst kein Recht auf grenzüberschreitende Freizügigkeit für Nomaden und Pastoralisten einräumen will, wird v. a. deutlich in Art. 18: „1 The Parties shall endeavour to conclude, where necessary, bilateral and multilateral agreements with other States, in particular neighbouring States, in order to ensure the protection of persons belonging to the national minorities concerned. 2 Where relevant, the Parties shall take measures to encourage transfrontier co-operation.“
Die Mitgliedstaaten werden somit im Rahmen der Framework Convention erst zum Abschluss von Verträgen ermutigt, deren Inhalt ein grenzüberschreitendes Wanderrecht sein kann. Das europäische Minderheitenschutzverständnis richtet sich entgegen der international vorherrschenden Ansicht1652 nur auf den Schutz von Minderheiten mit jeweils der eigenen Staatsangehörigkeit, erfasst also gerade keine Minderheiten in anderen Staaten.1653 Soweit nomadische Völker von ihm erfasst sind, gewährt es jedenfalls kein Recht auf grenzüberschreitende Wanderrechte. 3. Fazit – angestammte Nomaden genießen Minderheitenrechte auch in Staaten, deren Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen Minderheiten sind unterschiedliche Gruppen, die auf dem Gebiet eines Staates klar abgrenzbar sind und hier eine lange Tradition haben.1654 Als solche kommen nomadische Völker grundsätzlich in Betracht, und zwar auch solche mit der Staatsangehörigkeit eines anderen Staates, sofern sie zum Gebiet des betreffenden Staates eine entsprechende Verwurzelung aufweisen, die sich nicht zwingend aus einer permanenten Besiedlung ergeben muss. Sofern ein nomadisches Volk in einem Staat die Kriterien einer Minderheit erfüllt, gewährt ihm Art. 27 IPBPR1655 das Recht,
1649 Framework Convention for the Protection of National Minorities (10. November 1994) H (95) 10. 1650 Ebd. 1651 Jérémie Gilbert, Nomadic Peoples (Fn. 115) 82; Advisory Committee on the Framework Convention for the Protection of National Minorities, Third Opinion on Albania (23. November 2011) ACFC/OP/III(2011)009. 1652 Rainer Hofmann, Minderheitenschutz in Europa (Fn. 1582) 24. 1653 Rainer Hofmann/Dietrich Franke, Nationale Minderheiten – ein Thema für das Grundgesetz: Verfassungs- und völkerrechtliche Aspekte des Schutzes nationaler Minderheiten (1992) EuGrZ, 401, 402. 1654 Christian Tomuschat, Protection of Minorities under Article 27 (Fn. 1622) 975. 1655 International Covenant on Civil and Political Rights (16. Dezember 1966) 999 UNTS 171.
IV. Selbstbestimmungsrecht der Völker als Brücke zwischen Völkerrechten
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sein spezifisches kulturelles Leben zu pflegen und die spezifisch nomadische Form der Landbewirtschaftung und -Nutzung dort zu betreiben.1656 Der personelle Anwendungsbereich der Framework Convention1657 des Europarates ist enger als jener des IPBPR,1658 denn er erfasst nur inländische Minderheiten.1659 Ein Recht auf Einreise für nomadische Minderheiten anderer Staaten ist somit von vornherein ausgeschlossen. Allerdings schützt auch die FCPNM das Recht von Minderheiten, die Kontakte zu ihren Angehörigen in anderen Staaten zu pflegen.
IV. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker als Brücke zwischen den Völkerrechten Das heutige positive Völkerrecht ist staatszentriert1660 und auf Sesshaftigkeit basierend.1661 Nach klassischem Verständnis galt sogar lange ein Numerus clausus der im Völkerrecht anerkannten Rechtssubjekte, welcher mit wenigen Ausnahmen, wie dem Heiligen Stuhl, nur Staaten anerkannte.1662 Hierdurch unterscheidet sich das positive Völkerrecht, wie oben dargelegt, grundlegend von seinen naturrechtlichen Vorläufern auf der einen Seite.1663 Auf der anderen Seite unterscheidet es sich aber auch von den noch heute in weiten Teilen der Welt vorherrschenden Ordnungsmodellen unter dem Rule of the Clan.1664 Zurzeit zeichnet sich ein Paradigmenwechsel im Völkerrecht ab, welcher sich sowohl von der Staatszentriertheit als auch vom Grundsatz der Sesshaftigkeit löst1665 und hierdurch sowohl Elemente der vorpositiven naturrechtlichen wie auch der clanrechtlichen Weltordnungen in sich aufnimmt.1666 „The traditional doctrine of subjects is no longer able to offer a satisfactory explanation of the complexities of international legal relations, but the new interdisciplinary insights on the actors who are involved in international legal processes, which mainly have a descriptive character, are hardly a cause for relinquishing lightheartedly a doctrine that has a foun1656
592.
Rainer Hofmann Menschenrechte und der Schutz nationaler Minderheiten (Fn. 1610)
1657 Framework Convention for the Protection of National Minorities (10. November 1994) H (95) 10. 1658 International Covenant on Civil and Political Rights (16. Dezember 1966) 999 UNTS 171. 1659 Rainer Hofmann, Das nationale Minderheitenrecht in Osteuropa (Fn. 1595) 12. 1660 Andrea Bianchi, The Fight for Inclusion (Fn. 679) 40 f. 1661 Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Auflage, O Häring 1914, 180 f. 1662 Andrea Bianchi, The Fight for Inclusion (Fn. 680) 40 f. 1663 C. III. 4. b) bb); C. IV. 1. 1664 C. III. 2. – 3. 1665 Andrea Bianchi, The Fight for Inclusion (Fn. 680) 41. 1666 C. V. 4.; D.
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F. Wanderrechte im kodifizierten Völkerrecht
dational value and that requires acceptance if the whole edifice of the international legal system is not to be called into question.“1667
Dieses von Andrea Bianchi befürchtete komplette Infragestellen des internationalen Rechtssystems ist nicht nötig, wenn es gelingt, eine Brücke zwischen den verschiedenen „Völkerrechten“ zu schlagen. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker kann als solche Brücke fungieren, denn dieses ermöglicht Rechtssubjektivität jenseits des Staates und jenseits der Sesshaftigkeit. Gleichzeitig ist es im positiven Recht als Ius cogens anerkannt1668 und gibt dem sich derzeit mit Blick auf Nomaden vollziehenden Paradigmenwechsel1669 Raum innerhalb des klassischen Völkerrechts. Eine entsprechende Rückkehr zu präkolonialen Rechtsvorstellungen schlug jüngst der kanadische Premier Justin Trudeau den Nachfahren der nomadischen First Nations vor: „It is time for a renewed nation-to-nation relationship with First Nations’ Peoples, one that understands that the constitutionally guaranteed rights of First Nations in Canada are not an inconvenience but a sacred obligation, one that is based on recognition of rights, respect, cooperation and partnership, one that is guided by the spirit and intent of the original treaty relationship …“1670
Eine solche Rückkehr zur „original treaty relationship“ setzt indes voraus, dass Völker, wie in naturrechtlichen Zeiten,1671 als Völkerrechtssubjekte anerkannt werden, eine Position, welche ihnen zur Zeit nur das Selbstbestimmungsrecht der Völker einräumt. Dieses wird aufgrund seiner Komplexität im Folgenden systematisch dargestellt. 1. Rechtliche Verankerung des Selbstbestimmungsrechts der Völker im positiven Völkerrecht Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist in den Zielen der UN-Charta in Art. 1 (2) und Art. 55 UN-Charta1672 erwähnt. Mit der 1966 erfolgten Verankerung in dem 1667
Andrea Bianchi, The Fight for Inclusion (Fn. 680) 41 f. Mohammed Bedjaoui, Article 73, in: Jean-Pierre Cot/Allain Pellet/Mathias Forteau (Hrsg.), La Charte des Nations Unies – Commentaire article par article, 3. Auflage, Economica 2005, 1751, 1766; Frauke Mett, Das Konzept des Selbstbestimmungsrechts der Völker: Eine Arbeit unter besonderer Berücksichtigung der Auflösung der Sowjetunion und des Zerfalls Jugoslawiens, Peter Lang 2003, 194 f.; James Crawford, Brownlie’s Principles of International Law, 8. Auflage, Oxford UP 2012, 596; Hector Gros-Espiell, Self-determination and Jus Cogens, in: Antonio Cassese (Hrsg.), U.N Law – Fundamental Rights: Two Topics in International Law, Springer 1979, 167. 1669 C. V. 4.; D.; Andrea Bianchi, The Fight for Inclusion (Fn. 680) 40 ff. 1670 Justin Trudeau, Speach to the Assembly of First Nations (8. Dezember 2015) (Hervorhebungen hinzugefügt). 1671 C. III. 4. b) bb); C. IV. 1. 1672 Charta der Vereinten Nationen (26. Juni 1945), UNCIO Bd. 15, 335. 1668
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gemeinsamen Art. 1 (1) des IPBPR1673 und des IPWSKR1674 ist die zuvor heftig geführte Diskussion, ob es sich beim Selbstbestimmungsrecht um ein bloßes Leitprinzip oder um ein verbindliches Recht handelt, gegenstandslos geworden.1675 Eine nähere Bestimmung dessen, was vom Selbstbestimmungsrecht der Völker umfasst ist, findet sich in der 1970 ohne Abstimmung und somit im ConsensusVerfahren1676 verabschiedeten Friendly Relations Declaration (FRD).1677 Sie ist Bestandteil des allgemeinen Völkergewohnheitsrechts und entspricht dem Auslegungskonsens der Staatengemeinschaft hinsichtlich Bedeutung und Inhalt des Selbstbestimmungsrechts der Völker.1678 Dort heißt es: „All peoples have the right freely to determine, without external interference, their political status and to pursue their economic, social and cultural development, and every State has the duty to respect this right in accordance with the provisions of the Charter.“
Diese Umschreibung ist der im gemeinsamen Art. 1 (1) der Menschenrechtspakte gewählten sehr ähnlich: „All peoples have the right of self-determination. By virtue of that right they freely determine their political status and freely pursue their economic, social and cultural development.“1679
Zuvor hatte auch schon die Declaration on the Granting of Independence to Colonial Countries and Peoples von 19601680 diesen Wortlaut verwendet. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker kann nunmehr in seiner Existenz allgemeine, alle Staaten bindende völkergewohnheitsrechtliche Geltung beanspru-
1673
171.
International Covenant on Civil and Political Rights (16. Dezember 1966) 999 UNTS
1674 International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (16. Dezember 1966) 993 UNTS 3. 1675 Frauke Mett, Das Konzept des Selbstbestimmungsrechts (Fn. 1668) 56 ff.; Rüdiger Wolfrum, Art. 1, in: Bruno Simma/Daniel-Erasmus Khan/Georg Nolte/Andreas Paulus (Hrsg.), The Charter of the United Nations – A Commentary, 3. Auflage, Oxford UP 2012, Rn. 4; gegen die Rechtsqualität noch: Hubert Armbruster, Selbstbestimmungsrecht, in: Karl Strupp/HansJürgen Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 3, Walter de Gruyter 1962, 250, 253; Nora Y. S. Ali, For Better or for Worse: The Forced Marriage of Sovereignty and SelfDetermination (2014) Cornell ILJ, 417. 1676 Vaughan Lowe, International Law (Fn. 126) 100. 1677 UNGA, Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States in accordance with the Charter of the United Nations (24. Oktober 1970) UN Doc A/RES/25/2625. 1678 Frauke Mett, Das Konzept des Selbstbestimmungsrechts (Fn. 1668) 67. 1679 International Covenant on Civil and Political Rights (16. Dezember 1966) 999 UNTS 171; International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (16. Dezember 1966) 993 UNTS 3. 1680 UNGA, Declaration on the granting of independence to colonial countries and peoples, UNGA Res 1514 (XV) (14 December 1960) UN Doc A/RES/1514 (XV).
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chen1681 und wird herrschend sogar als Ius cogens klassifiziert.1682 Umstritten ist jedoch nach wie vor die Reichweite dieses Rechts. 2. Systematisierung des Selbstbestimmungsrechts der Völker Sowohl nach dem Rule of the Clan als auch nach dem vorpositiven Naturrecht sind Völker unmittelbare Rechtssubjekte zwischengemeinschaftlicher Interaktion, ungeachtet ihrer mangels Territorialität zweifelhaften Staatsqualität. Das heutige Völkerrecht kennt neben dem bereits beleuchteten und nicht rechtsverbindlichen Indigenenrecht nur ein einziges Recht,1683 welches unmittelbar Völkern zugestanden wird – das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Innerhalb der Dogmatik des Selbstbestimmungsrechts der Völker ist vieles umstritten. Einigkeit besteht letztlich nur hinsichtlich des Bekenntnisses zu dessen Existenz. Zwar wurde das Selbstbestimmungsrecht der Völker bis heute noch nicht herangezogen, um transnationale Wanderrechte von Nomaden herzuleiten. Allerdings lassen sich die systematischen Aussagen, die mit Blick auf Themenkomplexe wie die fragliche Existenz eines Sezessionsrechts gemacht wurden, auch auf die hier untersuchten Fragestellungen übertragen. Wenn ein Volk unter Rückgriff auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker ein Recht beansprucht – sei es die klassische Forderung nach Sezession oder die hier untersuchte Forderung nach Grenzübertritt – so gibt es von staatlicher Seite mehrere Ansätze, diesem Ansinnen argumentativ zu begegnen. Zum einen lässt sich behaupten, bei der fordernden Gemeinschaft handele es sich gar nicht um ein Volk im Sinne des Selbstbestimmungsrechts und somit nicht um einen tauglichen Berechtigten. Dieser Ansatz kann z. B. dadurch begründet werden, unter dem Begriff „Volk“ dürfe nur ein Staatsvolk oder nur ein Volk in überseeischen Kolonien verstanden 1681 Milena Sterio, The Right to Self-Determination (Fn. 364) 9; Malcolm N. Shaw, SelfDetermination, Human Rights, and the Attribution of Territory, in: Ulrich Fastenrath/Rudolf Geiger/Daniel-Erasmus Khan/Andreas Paulus/Sabine von Schorlemer/Christoph Vedder (Hrsg.), From Bilateralism to Community Interest: Essays in Honour of Bruno Simma, Oxford UP 2011, 590, 599; Marcel Kau, Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekte (Fn. 1613) 178; Nora Y. S. Ali, For Better or for Worse (Fn. 1675) 430; IGH, Western Sahara Advisory Opinion (16. Oktober 1975) ICJ Rep 1975, 12, 31 ff.; IGH, Legal Consequences for States of the Contitiued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970) Advisory Opinion (21. Juni 1971) ICJ Rep 1971, 16, 31; IGH Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua ./. USA) Merits (27. Juni 1998) ICJ Rep 1986, 14, 100 f.; IGH, East Timor (Portugal ./. Australien) Judgment (30. Juni 1995) ICJ Rep 1995, 90, 102. 1682 Mohammed Bedjaoui, Article 73 (Fn. 1668) 1766; Frauke Mett, Das Konzept des Selbstbestimmungsrechts (Fn. 1668) 194 f.; James Crawford, Brownlie’s Principles (Fn. 1668) 596; Hector Gros-Espiell, Self-determination and Jus Cogens (Fn. 1668) 167. 1683 Die Minderheitenrechte aus Art. 27 IPBPR werden nicht den Minderheiten selbst, sondern allein deren Angehörigen als Individualrechte zugestanden, vgl. Christian Tomuschat, Protection of Minorities under Article 27 (Fn. 1622) 954.
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werden. Entsprechende Theorien werden hier als Theorien des personellen Schutzbereiches behandelt. Ferner ließe sich argumentieren, ein sich auf das Selbstbestimmungsrecht berufendes Volk sei zwar ein Volk – und damit tauglicher Rechtsträger. Allerdings sei das begehrte Recht nicht vom sachlichen Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts umfasst. In der klassischen Diskussion ist das begehrte Recht innerhalb des Selbstbestimmungsrechts eine Sezession. Im hier thematisierten Kontext soll jedoch untersucht werden, ob das Selbstbestimmungsrecht der Völker inhaltlich ein Recht auf Grenzübertritt für Nomaden umfasst. Sofern bejaht wird, dass ein Volk „Volk“ im Sinne des Selbstbestimmungsrechts ist und dass dessen Begehr grundsätzlich von diesem Recht umfasst ist, gibt es einen dritten Ansatz, der einem solchen Recht entgegengehalten werden kann. Dieser besteht darin, anzunehmen, dass ein solches Recht zwar grundsätzlich abstrakt besteht, aber im konkreten Fall im Wege einer Abwägung gegenüber Gegenrechten des Staates zurücktreten muss. Denn die Entscheidung darüber, wer in ein Land einreisen darf, gilt als Kernbestandteil staatlicher Souveränität.1684 3. Schutzbereichsbezogene Theorien des Selbstbestimmungsrechts der Völker Ebenso wie hinsichtlich indigener Völkern und Minderheiten gibt es keine völkerrechtlich verbindliche Definition dessen, was ein Volk ist. Dieser Umstand hat in der Vergangenheit zu verschiedenen Theorien geführt, die beschreiben, was ein Volk zumindest nicht ist, bzw. warum eine bestimmte Gruppe das Selbstbestimmungsrecht mangels Volksqualität nicht für sich in Anspruch nehmen kann. Im Folgenden wird daher thematisiert, was der „personelle Schutzbereich“ des Selbstbestimmungsrechts – also was ein Volk ist. a) Verengende Auslegung des personellen Schutzbereiches Hatte der IGH noch im Namibia-Fall die Auffassung vertreten, dass alle Non-Selfgoverning Territories Inhaber des Selbstbestimmungsrechts seien,1685 verengte er den personellen Schutzbereich im West-Sahara-Gutachten auf „Peoples“.1686 Um Berechtigter des Selbstbestimmungsrechts der Völker zu sein, muss es sich also um ein Volk handeln. Die völkerrechtliche (Teil)Rechtsfähigkeit von Völkern ist mitt1684 Ryan Liss, A Right to Belong (Fn. 1074) 1097; Phillip Cole, The Immorality of Borders (Fn. 1074) 1; Joseph H. Carens, Aliens and Citizens (Fn. 1074) 251; Hans-Detlef Horn, Grenzschutz im Migrationsrecht (Fn. 1074) 147. 1685 IGH, Legal Consequences for States of the Contitiued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970) Advisory Opinion (21. Juni 1971) ICJ Rep 1971, 16, Rn. 52 f. 1686 IGH, Western Sahara Advisory Opinion (16. Oktober 1975) ICJ Rep 1975, 12 Rn. 59.
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lerweile mit Blick auf das Selbstbestimmungsrecht allgemein anerkannt,1687 auch wenn gegenüber der Akzeptanz eines Gruppenrechts vereinzelte philosophische Bedenken bestehen mögen.1688 aa) Historische Verengung auf „Salt-Water-Colonialism“ Teilweise wird vertreten, das Selbstbestimmungsrecht der Völker sei nur auf die Bewohner ehemaliger Kolonien anwendbar, welche sich in Übersee befinden.1689 Mit der weitgehenden Beendigung des Kolonialismus hätte dieses Recht nunmehr jegliche Bedeutung eingebüßt.1690 Der Hintergrund dieser sehr restriktiven Auslegung ist das Bestreben, außerhalb des kolonialen Kontextes Sezessionen einzudämmen. Diese Ansicht verkennt jedoch, dass das Selbstbestimmungsrecht weiter reicht als ein vermeintliches Recht auf Sezession. Aus dem Befund, dass es außerhalb der Dekolonisierung keine erfolgreichen Sezessionen unter Rückgriff auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker gegeben hat, kann nicht gefolgert werden, dass es außerhalb der Dekolonisierung kein Recht auf Selbstbestimmung mit anderem Inhalt gibt.1691
1687 Stephan Hobe, Einführung in das Völkerrecht, 10. Auflage, (Fn. 126) 116: „Nur selten wird noch die Auffassung vertreten, das Selbstbestimmungsrecht der Völker habe […] Rechtsnormcharakter – nur im Zusammenhang mit der Entkolonialisierung gehabt.“; Knut Ipsen, Völkerrecht, 6. Auflage, C. H. Beck 2014, 319: „Die Existenz einer völkerrechtlichen Norm des Selbstbestimmungsrechts der Völker wird heute nicht mehr in Frage gestellt. […] Auch Staaten und nationale Gerichte gehen von der allgemeinen Akzeptanz des Rechtscharakters aus“. 1688 Ralf Dahrendorf, Nur Menschen haben Rechte – Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist ein barbarisches Instrument, Die Zeit Nr. 18 (28. April 1989) 43, Dahrendorf hält das Selbstbestimmungsrecht der Völker für unzivilisiert, da es ein Recht auf ethnische Homogenität beinhalte. Indem ein solches Recht auf ethnische Homogenität weder im Selbstbestimmungsrecht angelegt ist, noch in dieses hinein interpretiert werden kann, entbehrt der Dreh- und Angelpunkt der Dahrendorf’schen Kritik jeglicher Grundlage. Die Kritik Dahrendorfs beruht auf den beiden Prämissen, dass das Volk als ethnische Gemeinschaft zu verstehen sei und dass es das Recht habe, andere von der Volksgemeinschaft auszuschließen. Indem jedoch beide Prämissen ohne Grundlage im Selbstbestimmungsrecht sind, ist auch Dahrendorfs Schlussfolgerung aus diesen Prämissen unhaltbar. 1689 Malcom N. Shaw, Title to Territory in Africa (Fn. 242) 90; Laurence S. Hanauer, The Irrelevance of Self-determination law (Fn. 364) 133 f.; so 1992 auch noch Dinh Nguyen Quoc/ Patrick Daillier/Alain Pellet, Droit international public, 4. Auflage, LGDJ 1992, 488 ff., seit der 7. Auflage von 2002 wird allerdings stärker differenziert, wonach lediglich das Recht auf Sezession als Sonderfall des Selbstbestimmungsrechts nicht außerhalb des kolonialen Kontextes anwendbar sein soll. In Gestalt eines internen Selbstbestimmungsrechtes gilt es nun allerdings auch außerhalb der Kolonien, vgl. 7. Auflage LGDJ 2002, 519 ff.; i.d.S. auch JeanFrançois Guilhaudis, Le droit des peuples à disposer d’eux-mêmes, Presses universitaires de Grenoble 1976, 176, 180 f., 191. 1690 In diesem Sinne u. a. Laurence S. Hanauer, The Irrelevance of Self-determination law (Fn. 364) 134. 1691 Vgl. James Crawford, Creation of States (Fn. 302) 415.
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Gegen eine Reduktion des Selbstbestimmungsrechts auf den überseeischen kolonialen Kontext spricht vor allem der Wortlaut des Selbstbestimmungsrechts in seinen verschiedenen rechtlichen Verankerungen. Ist in Art. 1 Nr. 2 und Art. 55 UNCharter1692 nur vom Selbstbestimmungsrecht der Völker die Rede, wird dies in dem gemeinsamen Art. 1 der Menschenrechtspakte1693 und der Friendly Relations Declaration1694 konkretisiert als: „Alle Völker haben das Recht …“. Diese weite Formulierung wird auch nicht dadurch eingeschränkt, dass sowohl die Declaration on the Granting of Independence to Colonial Countries and Peoples1695 als auch die Friendly Relations Declaration1696 dem Selbstbestimmungsrecht die Erwägung voranstellen „to bring a speedy end to colonialism …“. Es lässt sich nämlich nicht ersehen, dass dies die einzige Erwägung für eine Kodifizierung des Selbstbestimmungsrechts der Völker war. Auch unter historischen Gesichtspunkten ist eine Einschränkung auf den kolonialen Kontext nicht haltbar. Zwar wird häufig angeführt, das Selbstbestimmungsrecht sei erst im Zuge der Dekolonisierung von einem politischen Prinzip zu einem verbindlichen Recht erstarkt.1697 Allerdings kam es bereits im Vorfeld zu einer regen Anwendung des Selbstbestimmungsrechts der Völker in der Staatenpraxis und der Literatur. Während einige Woodrow Wilson und Wladimir Iljitsch Lenin als die Väter des Selbstbestimmungsrechts betrachten,1698 sehen andere die Ursprünge dieses Rechts im 18. und 19. Jahrhundert im Zeitalter der Aufklärung.1699 Auch Francisco 1692
Charta der Vereinten Nationen (26. Juni 1945) UNCIO Bd. 15, 335. International Covenant on Civil and Political Rights (16. Dezember 1966) 999 UNTS 171; International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (16. Dezember 1966) 993 UNTS 3. 1694 UNGA, Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States in accordance with the Charter of the United Nations (24. Oktober 1970) UN Doc A/RES/25/2625. 1695 UNGA, Declaration on the granting of independence to colonial countries and peoples, UNGA Res 1514 (XV) (14 December 1960) UN Doc A/RES/1514 (XV). 1696 Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Cooperation among States in accordance with the Charter of the United Nations (24. Oktober 1970) UN Doc A/RES/25/2625. 1697 Christian Walter/Antje von Ungern-Sternberg, Introduction: Self-Determination and Secession in International Law – Perspectives and Trends with Particular Focus on the Commonwealth of Independent States, in: Christian Walter/Antje von Ungern-Sternberg/Kavus Abushov (Hrsg.), Self-Determination and Secession in International Law, Oxford UP 2014, 2; Jörg Fisch, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker – die Domestizierung einer Illusion, C. H. Beck 2010, 224; Christian Hillgruber, Wer ist Träger des Selbstbestimmungsrechts und wie kann man es durchsetzen? – Rechtsinhaberschaft und Rechtsdurchsetzungsmacht in: Gilbert H. Gornig/Hans-Detlef Horn/Dietrich Murswiek (Hrsg.), Das Selbstbestimmungsrecht der Völker – eine Problemschau, Duncker & Humblot 2013, 75. 1698 Milena Sterio, The Right to Self-Determination (Fn. 364) 1; Laurence S. Hanauer, The Irrelevance of Self-determination law (Fn. 364) 133. 1699 Hurst Hannum, Rethinking Self-Determination (1993 – 94) Virginia JIL, 2 f., m.w.N. in Fn. 2; Martti Koskenniemi, National Self-Determination Today: Problems of Legal Theory and Practice (1994) ICLQ, 241, 242. 1693
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de Vitoria kann für sich mit seinen „Relectiones“ aus dem Jahre 1539 den Titel „Vater des Selbstbestimmungsrechts“ in Anspruch nehmen1700 und Thomas Franck datiert den Gedanken hinter dem Selbstbestimmungsrecht gar bis zum Auszug Israels aus Ägypten 1.000 v. Chr. zurück.1701 Hugo Grotius bekräftigte, dass jedes Volk das Recht habe, über seine Herrschaftsform zu bestimmen1702 und Kardinal Robert Belarmin bestätigte dessen Stellung als göttliches Recht, über dessen Einhaltung der Papst als Richter zu wachen habe und in dieser Funktion auch weltliche Herrscher absetzen können müsse.1703 Nach 1918 wurde Europa auf der Basis zahlreicher Volksentscheide, deren Grundlage das Selbstbestimmungsrecht der Völker war, neugeordnet.1704 Und schließlich entschied ein Internationales Schiedskomitee des Völkerbundes im Jahre 1921 die Frage der Åland-Inseln unter Berücksichtigung des Selbstbestimmungsrechts der Völker.1705 Die jüngere Staatenpraxis zeigt mit Blick auf das Selbstbestimmungsrecht in der Tat ein deutliches Übergewicht kolonialer Fälle. Dass faktisch die meisten Fälle, in denen das Selbstbestimmungsrecht der Völker relevant wurde, sich in der Abwicklung des Kolonialismus abspielten, verdeutlicht jedoch lediglich, dass die Völker ehemaliger Kolonien in jedem Fall in den Adressatenkreis des Selbstbestimmungsrechts fallen, nicht jedoch, dass darüber hinaus nicht weitere Anwendungsfälle möglich sind.
1700 Rolf Grawert, Francisco de Vitoria: Naturrecht – Herrschaftsordnung – Völkerrecht (2000) Der Staat, 110, 124 f. 1701 Thomas M. Franck, The Emerging Right to Democratic Governance (1992) AJIL, 46, 53. 1702 Hugo Grotius, Krieg und Frieden, (Fn. 168): „Denn so wie es verschiedene Lebensweisen gibt, von denen eine besser als die andere ist, und jedem frei steht, die zu wählen, welche ihm gefällt, so kann auch ein Volk sich beliebig seine Regierungsform wählen, und das Recht ist nicht von dem höheren Wert dieser oder jener Form, worüber die Urteile verschieden sind, abhängig, sondern vom Willen.“ 1703 Franz Xaver Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin, M. Hueber 1934, 214 ff. 1704 Gregor Ploch, Die Volksabstimmungen nach dem Ersten Weltkrieg (Fn. 369) 45 ff.; Anne Peters, Das Gebietsreferendum im Völkerrecht: Seine Bedeutung im Licht der Staatenpraxis nach 1989, Nomos 1995; Alfred Cobban, National Self-Determination, Oxford UP 1948, 16 ff. gibt einen Überblick über die Anwendung des Selbstbestimmungsrechts im Rahmen der Pariser Vorortverträge. 1705 International Committee of Jurists entrusted by the Council of the League of Nations with the task of giving an advisory opinion upon the legal aspects of the Aaland Islands question, Report (Oktober 1920); James Barros, The Aland Island Question: Its Settlement by the Leage of Nations, Yale UP 1968; Joshua Castellino, International Law and Self-Determination, Martinus Nijhoff 2000, 19.
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Außerhalb des kolonialen Kontextes hat der IGH ein Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser bestätigt.1706 Im Hinblick auf die Krise auf der Krim, betonte Russland wiederholt das Selbstbestimmungsrecht der Krim-Bewohner.1707 Die Bundesregierung zog im Zusammenhang mit derselben Krise das Recht auf Selbstbestimmung der Völker Europas heran, insbesondere der Völker Ostmitteleuropas.1708 Der UNSicherheitsrat,1709 die Generalversammlung1710 und auch der IGH1711 erkannten das Recht Ost-Timors auf Selbstbestimmung gegenüber Indonesien an.1712 Mit Punkt VIII der Schlussakte von Helsinki betonten die Teilnehmerstaaten die universelle Geltung des Selbstbestimmungsrechts der Völker losgelöst vom kolonialen Kontext.1713 Einem Vorbehalt Indiens bei der Ratifikation der Menschenrechtspakte 1966 dergestalt, dass das Recht auf Selbstbestimmung nur auf Völker unter Fremdherrschaft anwendbar sei, traten sowohl Deutschland als auch die Niederlande in einer Note entgegen, betonend, dass das Selbstbestimmungsrecht für alle Völker gelte.1714 Für eine universelle Geltung des Selbstbestimmungsrechts der Völker votierte schließlich auch die Afrikanische Menschenrechtskommission.1715 Letztendlich muss der philosophisch-teleologische Kontext des Selbstbestimmungsrechts berücksichtigt werden. Dessen Ursprung im Zeitalter der Aufklä1706
IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion (9. Juli 2004) ICJ Rep 2004, 136, 183 f. 1707 Vladimir Putin, Vladimir Putin Answered Journalists’ Questions on the Situation in Ukraine, Presse Konferenz (4. März 2014), online unter: http://en.kremlin.ru/events/president/ news/20366 (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018); ders., Rede an die Abgeordneten der Duma, Mitglieder des Föderationsrates, Köpfe der russischen Regionen und Vertreter der Ziviligesellschaft im Kreml (18. März 2014), online unter: http://en.kremlin.ru/events/president/ news/20603 (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018); Christian Marxsen, The Crimea Crisis, An International Law Perspective (2014) ZaöRV 367, 384 ff. 1708 Angela Merkel, Minsker Vereinbarung Umsetzen – Respekt für souveräne Ukraine, Regierungserklärung (18. Dezember 2014), online unter https://www.bundesregierung.de/Con tent/DE/Artikel/2014/12/2014-12-18-ukraine-merkel-regierungserklaerung.html (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 1709 UNSC Res 384 (22. Dezember 1975) UN Doc S/RES/384(1975); UNSC, Res 389 (1976) (22. April 1976) UN Doc S/RES/389(1976). 1710 UNGA Res 31/53 (1. Dezember 1976) UN Doc A/RES/31/53; UNGA Res 32/34 (28. November 1977) UN Doc A/RES/32/34. 1711 IGH, East Timor (Portugal ./. Australien) Judgment (30. Juni 1995) ICJ Rep 1995, 90, Rn. 37. 1712 Roger S. Clark, East Timor, Indonesia and the International Community (14/2000) Temple ICLJ, 75 ff. 1713 KSZE, Schlussakte von Helsinki (1. August 1975); vgl. hierzu auch Martti Koskenniemi, National Self-Determination Today (Fn. 1699) 242; zu dieser Wertung: Thierry Hubert, L’évolution du droit international: cours général de droit international public, (1990/3) Collected Courses of the Hague Academy of International Law, Bd. 222, 167 f. 1714 BGBl 1980 II, 1482 ff.; UN, Human Rights, Status of International Instruments, 19. 1715 ACHPR, Katangese Peoples Congress ./. Zaire (1995) 75/92, ACHPR/RPT/8th Annex VI, Rn. 3.
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rung1716 implizierte gerade die universelle Geltung des Selbstbestimmungsrechtes, indem die Fortentwicklung dieser Gedanken im Rahmen der Französischen Revolution gerade auf die universelle Abschaffung jeglicher Fremdherrschaft zielte.1717 Es wäre widersinnig vor dem Hintergrund des Schutzzweckes des Selbstbestimmungsrechts der Völker, dieses ausschließlich den Bewohnern von Kolonien zuzugestehen. Noch widersinniger ist es, die Phänomene des Kolonialismus und Imperialismus als rein überseeische Erscheinungen zu begreifen. Sowohl die russischen Expansionen in Eurasien1718 als auch jene Japans in der Mandschurei und in Korea1719 erfüllen den Tatbestand des Kolonialismus und Äthiopien lässt sich mit guten Argumenten als einzige afrikanische Kolonialmacht titulieren.1720 Denn Kolonialismus ist nichts anderes als Kolonialherrschaft von bewaffneten Siedlern oder Administratoren, wobei Kolonialherrschaft ein organisiertes und einigermaßen stabiles Herrschaftsverhältnis verlangt.1721 Die Existenz eines Selbstbestimmungsrechts jenseits des Kolonialismus findet auch in der Praxis der UN-Generalversammlung ihren Ausdruck. Ab 1981 wurde ergänzend zur auf das koloniale Selbstbestimmungsrecht bezogenen Resolution 35/ 351722 alljährlich eine Resolution mit dem Titel „Universal realization of the right of peoples to self-determination“ verabschiedet.1723 Hierin wird das Recht „of all peoples, including those under colonial, foreign and alien domination, to self-determination“ bestätigt, also herausgestellt, dass die Kolonialvölker und Völker unter Fremdherrschaft nicht der abschließende Adressatenkreis sind. Die Frage, ob das Selbstbestimmungsrecht der Völker außerhalb des kolonialen Kontextes existiert, muss unbedingt getrennt werden von der Frage, ob dieses Selbstbestimmungsrecht in seinem sachlichen Inhalt ein Sezessionsrecht enthält, oder wie James Crawford ausführt:
1716 Hurst Hannum, Rethinking Self-Determination (Fn. 1699) 2 f., m.w.N. in Fn. 2; Martti Koskenniemi, National Self-Determination Today (Fn. 1699) 242. 1717 Martti Koskenniemi, National Self-Determination Today (Fn. 1699) 242. 1718 Rebecca Woodward Wendelken, Russian Empire, in: Melvin E. Page (Hrsg.), Colonialism – An International Social, Cultural and Political Encyclopedia, 510, 512; Steven G. Marks, Road to Power: The Trans-Siberian Railroad and the Colonization of Asian Russia, 1850 – 1917, Cornell UP 1991. 1719 W. Donald Smith, Japanese Empire, in: Melvin E. Page (Hrsg.), Colonialism – An International Social, Cultural and Political Encyclopedia, 297, 300; vgl. im Detail: Ramon H. Myers/Mark R. Peattie (Hrsg.), The Japanese Colonial Empire, 1895 – 1945, Princeton UP 1984. 1720 Jörn Axel Kämmerer, Das Völkerrecht des Kolonialismus (Fn. 240) 54. 1721 Jürgen Osterhammel, Welten des Kolonialismus im Zeitalter der Aufklärung, in: HansJürgen Lüsebrink (Hrsg.), Das Europa der Aufklärung und die aussereuropäische koloniale Welt, Wallstein Verlag 2006, 19, 25. 1722 UNGA Res 35/35 (14. November 1980) UN Doc A/RES/35/35. 1723 UNGA Res 36/10 (28. Oktober 1981) UN Doc A/RES/36/10.
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„To summarize, outside the colonial context, the principle of self-determination is not recognized as giving rise to unilateral rights of secession by parts of independent States. Selfdetermination outside the colonial context is primarily a process by which the peoples of the various States determine their future through constitutional processes without external interference.“1724
Während James Crawford durch diese Aussage einer Verengung des personellen Schutzbereiches auf koloniale Völker entgegentritt, betreibt er gleichzeitig eine andere Verengung, indem er als Berechtigte dieses von ihm umschriebenen Selbstbestimmungsrechts „the peoples of the various States“ benennt. bb) Teleologische Verengung des Volksbegriffs auf Staatsvölker „Das Volk besteht nur im Staate und durch den Staat …“1725 Wie oben1726 ausgeführt, differenzierten bereits die Römer zwischen zwei verschiedenen Volksbegriffen. Auf der einen Seite stand das konstitutionell determinierte Volk, welches die Römer „Populus“ nannten. Demgegenüber bezeichneten sie ethnisch oder familiär determinierte Menschengruppen als „Gens“ oder „Natio“. Beide Gruppen kommen potentiell als Berechtigte des Selbstbestimmungsrechts in Betracht. Zunächst könnte man also „Volk“ als synonym mit „Staatsvolk“ verstehen. Zu diesem Staatsvolk können alternativ, je nach Ausgestaltung des Staatsangehörigkeitsrechts, Ausländer ab und Exilanten hinzugerechnet werden.1727 Ein solches Volksverständnis liegt z. B. vor, wenn das deutsche Grundgesetz etwa in Art. 20 II 1 GG vom deutschen Volke spricht, von dem die Staatsgewalt ausgeht, wobei bereits Satz 2 desselben Artikels unter dem Begriff „Volke“ nur jene Bürger über 18 Jahren versteht.1728 Allerdings lässt die Bedeutung des Wortes „Volk“ im nationalen Rechtskontext nicht zwingend auf die Bedeutung dieses Begriffes im internationalen Kontext schließen. Völkerrecht und Verfassungsrecht benutzen unterschiedliche Fachdialekte der Fachsprache „Recht“.1729 Die Bedeutung des Begriffs „Volk“ muss somit losgelöst von ihrem verfassungsrechtlichen Bedeutungsgehalt betrachtet werden. Allerdings gibt Christian Tomuschat zu bedenken, dass „ein Völkerrecht, das partiell neben den Staaten auch Völker […] anerkennt, […] sich zu einer Rechts1724
James Crawford, Creation of States (Fn. 302) 415. Ludwig August von Rochau, Grundsätze der Realpolitik (Fn. 203) 41. 1726 C. III. 1. a); C. III. 2. a) – b). 1727 Jörg Fisch, Die Geschichte des Selbstbestimmungsrechts der Völker, oder der Versuch, einem Menschenrecht die Zähne zu ziehen, in: Peter Hilpold (Hrsg.), Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, Peter Lang 2009, 45, 46. 1728 Hans H. Klein, Art. 38, in: Theodor Maunz/Günter Dürig (Hrsg.), Grundgesetzkommentar, 75. Ergänzungslieferung 2015, Rn. 140. 1729 Max Vogel, Die Auslegung privatrechtlich geprägter Begriffe im Ertragsteuerrecht, Nomos 2015, 191. 1725
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ordnung von hoher Komplexität entwickeln [muss].“1730 Daher haben die Gremien der Vereinten Nationen bisher geglaubt, die Spannungen zwischen Souveränitätsprinzip und Selbstbestimmungsrecht dadurch zu überwinden, neben Kolonialvölkern lediglich Staatsvölker als Träger des Selbstbestimmungsrechtes anzuerkennen.1731 Diese Sichtweise würde jedoch heute nach dem weitgehenden Abschluss der Dekolonisierung dazu führen, dass dem Selbstbestimmungsrecht der Völker neben dem Souveränitätsgrundsatz kaum eine eigenständige inhaltliche Bedeutung zukäme.1732 Eine eigenständige inhaltliche Bedeutung gewährt dem Selbstbestimmungsrecht indes z. B. die Friendly-Relations-Declaration,1733 deren Traveaux Preparatoirs eine Einigkeit dahingehend bezeugen, dass das Volk nicht nur Staaten bedeutete, sondern auch andere Entitäten umfassen konnte.1734 Indem die FRD1735 die Möglichkeit der Gründung eines eigenen Staates grundsätzlich in Erwägung zieht,1736 würde ein staatsbezogenes Volksverständnis zu Zirkelschlüssen führen. Nach der Drei-Elemente-Lehre liegt nämlich ein Staat vor, wenn ein Volk die Gewalt über ein Gebiet erlangt hat.1737 Erstes konstitutives Element für ein Staatswesen ist also die Existenz eines Volkes. Würde man dieses nun als die in einem Staat zusammengefasste Bevölkerung ansehen, könnte die Existenz eines Staates nur bejaht werden, wenn ein Volk vorliegt, was wiederum davon abhängig ist, ob die betreffende Bevölkerung einen Staat ihr Eigen nennt. Dieser Widerspruch kann nur dann aufgebrochen werden, wenn man voraussetzt, dass Staat und Volk simultan durch die Erlangung von Gewalt über ein Territorium entstehen. Ist es einem Volk aber erst einmal gelungen über ein Territorium effektive Gewalt zu erlangen, bedarf es auch keines Selbstbestimmungsrechtes mehr, denn mit der Erlangung dieser Gewalt ist für das betreffende Volk die perfekte Selbstbestimmung erreicht. Bei einem staatsakzessorischen Volksverständnis würde der Adressat des Rechts in dem Moment geboren werden, indem das Recht gegenstandslos würde. Bei einem synchronen Entstehen von Staat und Volk kann das
1730 Christian Tomuschat, Das Recht auf die Heimat, neue rechtliche Aspekte, in: Jürgen Jekewitz (Hrsg.), Festschrift für Karl Joseph Partsch, Duncker & Humblot 1989, 211. 1731 Ebd. 1732 Christian Hillgruber, Wer ist Träger (Fn. 1697) 78. 1733 UNGA, Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States in accordance with the Charter of the United Nations (24. Oktober 1970) UN Doc A/RES/25/2625. 1734 Bernd Roland Elsner, Die Bedeutung des Volkes im Völkerrecht unter besonderer Berücksichtigung der historischen Entwicklung und der Praxis des Selbstbestimmungsrechts der Völker, Duncker & Humblot 2000, 129. 1735 UNGA, Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States in accordance with the Charter of the United Nations, 24. Oktober 1970, UN Doc A/RES/25/2625. 1736 Ebd. 1737 Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Auflage 1914, 394 ff.
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Selbstbestimmungsrecht jedoch entgegen dem Wortlaut der FRD1738 niemals das Recht eines Volkes auf einen eigenen Staat beinhalten. Gerald Fitzmaurice bringt diese Zirkelschlüssigkeit pointiert auf den Punkt, zieht dann allerdings mit der totalen Ablehnung eines Selbstbestimmungsrechts heute nicht mehr vertretbare, aber aus der staatszentrierten Sichtweise seiner Zeit verständliche Schlüsse: „The initial difficulty is that it is scarcely possible to refer to an entity as an entity unless it already is one, so that it makes little juridical sense to speak of a claim to become one, for in whom or what would the claim reside?“1739
Auch der Kanadische Supreme Court bestätigte auf dieser Logik aufbauend, dass der Begriff „People“ nicht mit dem Staatsvolk identisch ist, sondern auch nur einen Teil eines Staatsvolkes umfassen kann.1740 Festzuhalten bleibt also, dass das Selbstbestimmungsrecht in dem Moment, in dem es als ein Recht auf Sezession verstanden wird, bei einem staatsakzessorischen Verständnis zu Zirkelschlüssen führt. Aus dieser Argumentation lassen sich theoretisch zwei mögliche, sich aber gegenseitig ausschließende Konsequenzen ziehen: Entweder kann es aus dem Selbstbestimmungsrecht unter keinen Umständen ein Recht auf einen eigenen Staat geben, oder aber ein staatsakzessorisches Volksverständnis ist mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker nicht vereinbar. Für das letztere Verständnis spricht, dass die FRD1741 die Möglichkeit eines eigenen Staates explizit in Betracht zieht: „Die Gründung eines souveränen und unabhängigen Staates, die freie Vereinigung mit einem unabhängigen Staate oder die freie Eingliederung in einen solchen Staat oder das Entstehen eines anderen, durch ein Volk frei bestimmten politischen Status stellen Möglichkeiten der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechtes durch das Volk dar.“1742
Auch der IGH gestand verschiedentlich nichtstaatlichen nomadischen Gemeinschaften Volksqualität zu: „This complexity was, indeed, increased by the independence of some of the nomads, notably the Regheibat, a tribe prominent in Western Sahara. The Regheibat, although they
1738 UNGA, Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States in accordance with the Charter of the United Nations (24. Oktober 1970) UN Doc A/RES/25/2625. 1739 Gerald Fitzmaurice, The Future of Public International Law and the International Legal System in the Circumstances of Today in: Institut de Droit International (Hrsg.), Livre du Centenaire 1873 – 1973: Evolution et perspectives du Droit international, Karger 1973, 196, 233. 1740 SCOC, Secession of Quebec, Re, Reference to Supreme Court, [1998] 2 SCR 217, ILDC 184 (CA 1998), (20. August 1998) Rn. 123 ff. 1741 UNGA, Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States in accordance with the Charter of the United Nations (24. Oktober 1970) UN Doc A/RES/25/2625. 1742 Ebd.
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may have had links with the tribes of the Bilad Shinguitti, were essentially an autonomous and independent people …“1743 „… the members of the Masubia tribe – a people from the eastern part of the Caprivi Strip …“1744
Schließlich erkannte der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen in Schlussbeobachtungen verschiedentlich indigenen Gruppen Volksstatus zu1745 und auch die Afrikanische Menschenrechtskommission wandte die nicht bloß an indigene, sondern an alle Völker adressierten Art. 31, 22 der Banjul-Charta1746 auf die nichtstaatlichen Endorois1747 und Ogoni1748 an. cc) Teleologische Verengung des Volksbegriffs auf „ethnische“ Völker – Subjektiv-objektive Theorie „Sprachlich, historisch und auch rechtlich kann der Begriff des Volkes unterschiedliche Bedeutungen haben. Insbesondere kann das Staatsvolk als die Gesamtheit der Staatsangehörigen gemeint sein oder das Volk im ethnischen Sinne als eine traditionell auf einem bestimmten Territorium ansässige Gruppe von Menschen, die sich durch Merkmale, wie gemeinsame Sprache, Kultur, Geschichte, Abstammung oder Religion auszeichnet.“1749
Wenn das Volk im Sinne des Selbstbestimmungsrechts nun nicht als Staatsvolk verstanden werden kann, bliebe – zumindest nach Dietrich Murswiek – nur noch, ein Volk anhand von ethnischen Kriterien zu identifizieren.1750
1743 IGH, Western Sahara Advisory Opinion (16. Oktober 1975) ICJ Rep 1975, 12, Rn. 159 (Hervorhebung hinzugefügt). 1744 IGH, Case Concerning Kasikili/Sedudu Island (Botswana ./. Namibia) Judgment (13. Dezember 1999) ICJ Rep 1045, Rn. 71. (Hervorhebung hinzugefügt). 1745 Menschenrechtsausschuss, Schlussbeobachtungen zu Kanada, UN Doc CCPR /C/79/ Add.105, Rn. 8 und UN Doc CCPR/C//CAN/CO/5, Rn. 8 f.; zu Mexiko, UN Doc CCPR/C/79/ Add.109, Rn. 19; zu Norwegen, UN Doc CCPR/C/79/Add.112, Rn. 17; zu Australien UN Doc CCPR/CO/69/AUS, Rn. 10; zu Dänemark, UN Doc CCPR/CO/70/DNK, Rn. 11; zu Schweden, UN Doc CCPR/CO/74/SWE, Rn. 15 und UN Doc CCPR/C/SWE/CO/6, Rn. 21; zu Chile, UN Doc CCPR/C/CHL//CO/5/Add.1, Rn. 19; aufgrund des kollektivrechtlichen Charakters von Art. 1 IPBPR ist eine Individualbeschwerde zum Menschenrechtsausschuss wegen einer Verletzung des Selbstbestimmungsrechts der Völker nicht zulässig. 1746 African Charter on Human and People’s Rights (Banjul-Charta) (27. Juni 1981 in Kraft seit 21. Oktober 1986) OAU Doc CAB/LEG/67/3 rev 5, 21 ILM 58 (1982). 1747 ACHPR, Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) ./. Kenya (11. – 25. November 2009) 276/03 Rn. 252 ff. 1748 ACHPR, Social and Economic Rights Action Center (SERAC) and Center for Economic and Social Rights (CESR) ./. Nigeria (27. Oktober 2001) 155/96 Rn. 56 – 58. 1749 Dietrich Murswiek, Offensives und Defensives Selbstbestimmungsrecht, in: Gilbert H. Gornig/Hans-Detlef Horn/Dietrich Murswiek (Hrsg.), Das Selbstbestimmungsrecht der Völker – eine Problemschau, Duncker & Humblot 2013, 95, 96. 1750 Ebd.
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„Der Siegeszug, den das ethnische Prinzip in den letzten Jahrzehnten genommen hat, ist erstaunlich und unerwartet. Schon im 19. Jahrhundert und dann erst recht im 20. Jahrhundert galt die Rede von dem ethnos als veraltet und eher als ein Phänomen zurückgebliebener ländlicher Gesellschaften. Die neuere Soziologie geht generell davon aus, dass mit der Entwicklung der modernen Industriegesellschaft das Prinzip des ethnos immer mehr an Bedeutung verliert.“1751
Dessen ungeachtet, erfreut sich die ethnische Herangehensweise an den Volksbegriff insbesondere in jüngerer Zeit großer Beliebtheit in der völkerrechtlichen Literatur.1752 In der bisherigen v. a. kolonialen Staatenpraxis findet dieses neue Konzept allerdings bislang noch keinen Widerhall.1753 Denn die Kolonien wurden nicht als ethnisch homogene Gruppen in die Unabhängigkeit entlassen, sondern als konstituierte Verwaltungseinheiten. Umso erstaunlicher ist es, dass mit dem vorläufigen Ende der Dekolonisierung wieder das Konzept der Natio eine Wiedergeburt erlebte und in Gestalt einer subjektiv-objektiven Theorie1754 zur Bestimmung der Volkseigenschaft in der Literatur herrschend wurde.1755 „Danach kann ein Volk als eine Gruppe von Menschen definiert werden, die sich durch Merkmale wie die räumliche Geschlossenheit des Siedlungsgebietes, gemeinsame Abstammung, Sprache, kulturelle Tradition, Geschichte, besondere psychische Wesensart und Gemeinschaftsbewusstsein von anderen menschlichen Gemeinschaften unterscheidet und die Fähigkeit und den Willen besitzt eine dauerhafte und selbständige Existenz zu führen, über deren Form sie selbst entscheidet und die sich in der Bereitschaft ausdrückt, Opfer für sie zu bringen.“1756
Teilweise wird darüber hinaus ein Bezug zu einem bestimmten Gebiet und eine territoriale Integrität des von der Gruppe beanspruchten Gebietes verlangt.1757 Be1751 Hans Nicklas, Europa – eine Staatsbürgernation oder ein Patchwork von Minderheiten?, in: Hans Nicklas, Klaus Eder (Hrsg.), Europa – ein politischer Mythos? Europäische Identität und nationale Staatsbürgerschaften, Arbeitstext Nr. 22, DFJW/OFAJ 2006, 65, 76. 1752 Vgl. m.w.N. Christian Hillgruber, Wer ist Träger (Fn. 1697) 80; Milena Sterio, The Right to Self-Determination (Fn. 364) 16. 1753 Malcolm N. Shaw, Self-Determination (Fn. 1681) 599 f. 1754 Anne Peters, Völkerrecht (Fn. 465) 281. 1755 Die Kombination aus subjektiven und objektiven Merkmalen hat sich mittlerweile in der Literatur durchgesetzt. Wurden in früheren Zeiten noch rein subjektive und rein objektive Theorien vertreten, wurden diese aufgrund mangelnder Relevanz hier nicht ausgiebiger behandelt. Eine Gegenüberstellung der beiden Extrempositionen findet sich bei: Nathaniel Berman, Sovereignty in Abeyance: Self-Determination and International Law (1988) Wisconsin ILJ, 51, 90. 1756 Christian Hillgruber, Wer ist Träger (Fn. 1697) 80 m.w.N.; vgl. i.d.S. auch Milena Sterio, The Right to Self-Determination (Fn. 364) 16; näher zu dieser Theorie auch Patrick Thornberry, The Democratic or Internal Aspect of Self-Determination wit some Remarks on Federalism, in: Christian Tomuschat (Hrsg.), Modern Law of Self-Determination, Martinus Nijhoff 1994, 101, 103. 1757 Milena Sterio, ebd., 16; Nora Y. S. Ali, For Better or for Worse (Fn. 1675) 431.
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merkenswert mit Blick auf diese subjektiv-objektive Definition des Volksbegriffes ist, dass bereits der Sonderberichterstatter der Unterkommission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities Aureliu Cristescu erkannte, „that whenever in the course of history a people has become aware of being a people, all definitions have proved superfluous.“1758
Dies verdeutlicht bereits die Problematik der Bestimmung der objektiven Kriterien und reduziert die Volkseigenschaft letztlich auf ein rein subjektives Element. Diese Erkenntnis deckt sich mit den Forschungsergebnissen namhafter Historiker und Soziologen, wie Benedict Anderson,1759 Ernest Gellner1760 und Lord Eric Hobsbawm1761 zum Wesen der Nation.1762 Sie wiesen nach, dass Nationen weniger objektiv determiniert sind, als eingebildete Größen, die größtenteils von Staaten „erfunden“ wurden, um so die Identifikation mit dem jeweiligen Staatswesen zu erhöhen.1763 Im Rahmen solcher forcierter Nation-Building-Prozesse verordnen Regierungen z. B. neue Nationalsprachen,1764 verändern die Schrift vom kyrillischen zum lateinischen Alphabet oder mystifizieren eine von der willkürlichen Festlegung des Forschungsgegenstands abhängige Nationalgeschichte, oder wie es Arthur Schlesinger ausdrückte: „As the means for defining national identity, history becomes a means for shaping history.“1765
Auch in manchen Staaten, wie z. B. in Finnland, reifte daher die Erkenntnis, dass „Volk“ sich kaum objektiv bestimmen lässt. Nach finnischem Recht ist jede Person Same, die sich hierfür entscheidet und die samische Sprache erlernt.1766 Finnland ist mit dieser Praxis nicht allein, vielmehr konstatiert Bernd Roland Elsner nach einer umfangreichen Auswertung der Staatenpraxis zum Selbstbestimmungsrecht der Völker: 1758 Aureliu Cristescu, The Right to Self-Determination: Historical and Current Development on the Basis of United Nations Instruments (1981) UN Doc E/CN.4/Sub.2/404/Rev.1, 40, Rn. 274. 1759 Benedict Anderson, Die Erfindung der Nation – Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, Campus 2005. 1760 Ernest Gellner, Nations and Nationalism, Cornell UP 1983. 1761 Eric J. Hobsbawm, Nationen und Nationalismus (Fn. 125). 1762 Das Konzept der Nation ist dem des Volkes sehr ähnlich und wird alltagssprachlich mit diesem Begriff synonym verwendet, vgl. James Summers, Peoples and International Law: How Nationalism and Self-Determination shape a contemporary law of nations, Martinus Nijhoff 2007, 2. 1763 Vgl. auch Martti Koskenniemi, National Self-Determination Today (Fn. 1699) 261. 1764 Florian Hassel, Sterbende Sprache, Süddeutsche Zeitung (8. Januar 2014). 1765 Arthur Schlesinger Jr., The Disuniting of America: Reflections on a Multicultural Society, W. W. Norton & Company 1998, 52. 1766 Rainer Hofmann, Die rechtliche Stellung der Minderheiten in Finnland, in: Jochen Abr. Frowein/Rainer Hofmann/Stefan Oeter, Das Minderheitenrecht europäischer Staaten, Springer 1993, 108, 109.
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„Anerkannte Anwendungsfälle für eine ethnisch-nationale Selbstbestimmung von ,Völkern‘ fehlen offensichtlich.“1767
Wenn Völker sich entscheiden, bestimmte Sprachen zu sprechen oder nicht zu sprechen oder religiöse Rituale anzunehmen oder abzulegen, dann geschieht dies in freier Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der Völker. Es würde dessen Funktion jedoch ins Gegenteil verkehren, wenn den Staaten vermeintlich objektive Kriterien an die Hand gegeben würden, um Völkern die Volksqualität abzusprechen.1768 Neben dem Ziel und Zweck spricht auch die Historie gegen einen ethnischen Volksbegriff. Im Rahmen der Verhandlungen der FRD,1769 die das Selbstbestimmungsrecht der Völker aus Art. 1 (2) und Art. 55 UN-Charta1770 näher konkretisiert, brachten die USA den Vorschlag ein, in Abs. 6 der FRD,1771 statt des Volkes einer Kolonie, „die verschiedenen Völker innerhalb einer Kolonie“ zu Rechtsträgern zu bestimmen, also jene ethnischen Gruppen, die sich im Kolonialismus festgelegten Territorien teilten.1772 Dieser Vorschlag wurde von der Staatengemeinschaft abgelehnt, sodass in der gültigen Fassung der Erklärung nun von „d[em] Volk einer Kolonie“ die Rede ist. Unter Berücksichtigung der ethnisch höchst heterogenen Kolonien erweist sich daher ein an ethnischen Kriterien anknüpfendes Volksverständnis als nicht im Geiste der Friendly-Relations-Declaration und damit des Selbstbestimmungsrechts, wie es die UN-Charta1773 verstanden wissen will. Die sich an die Friendly-Relations-Declaration1774 anschließende Staatenpraxis der Dekolonisierung bestätigt diese Auffassung. Die Kolonien wurden entlang der alten kolonialen Verwaltungsgrenzen in die Unabhängigkeit entlassen, wobei Fragen von Ethnizität, Sprache und geschlossenen Siedlungsgebieten gerade keine Rolle spielten.1775 Es erfolgte keine Dekolonisierung von homogenen Gemeinschaften, sondern von verwaltungstechnischen Gesellschaften.1776 Laut IGH scheint es daher nur auf den ersten Blick einen Konflikt zwischen Uti-possidetis-Prinzip und 1767
Bernd Roland Elsner, Die Bedeutung des Volkes (Fn. 1734) 194. Christian Hillgruber, Wer ist Träger (Fn. 1697) 81. 1769 UNGA, Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States in accordance with the Charter of the United Nations (24. Oktober 1970) UN Doc A/RES/25/2625. 1770 Charta der Vereinten Nationen (26. Juni 1945) UNCIO Bd. 15, 335. 1771 UNGA, Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States in accordance with the Charter of the United Nations, 24. Oktober 1970, UN Doc A/RES/25/2625. 1772 Bernd Roland Elsner, Die Bedeutung des Volkes (Fn. 1734) 130. 1773 Charta der Vereinten Nationen (26. Juni 1945) UNCIO Bd. 15, 335. 1774 UNGA, Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States in accordance with the Charter of the United Nations (24. Oktober 1970) UN Doc A/RES/25/2625. 1775 Bernd Roland Elsner, Die Bedeutung des Volkes (Fn. 1734) 169. 1776 Martti Koskenniemi, National Self-Determination Today (Fn. 1699) 256. 1768
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Selbstbestimmungsrecht der Völker zu geben.1777 Dieser Konflikt entsteht nämlich nur dann, wenn unter dem „Volk“ als Adressaten des Selbstbestimmungsrechts etwas anderes verstanden wird, als sämtliche Bewohner der Kolonie. Genau diesem Ansatz folgte jedoch die gesamte Dekolonisierungspraxis.1778 Besonders eindrücklich zeigt sich dies am Beispiel der Aufteilung Togos, welches als ehemalige deutsche Kolonie zunächst in zwei Völkerbundsmandate aufgeteilt wurde und später unter unmittelbarem Einfluss der Vereinten Nationen stand und somit nicht nur Aufschluss auf die Staatenpraxis einzelner Staaten, sondern der gesamten Staatengemeinschaft zulässt. Auch im Rahmen der Unabhängigkeit erfolgte später trotz entsprechendem Wunsche der in Togo heimischen Ewe keine Wiedervereinigung des Stammesgebietes.1779 Der UN-Treuhandrat betonte lediglich, dass „the administering authorities have in the meanwhile the responsibility to provide opportunity for co-operation between groups having common ties, even when they are separated by political boundaries.“1780
Das Volk im ethnischen Sinne wurde hier nur als „groups having common ties“ bezeichnet, nicht aber als „Volk“. Lediglich Russland, die Tschechoslowakei, Polen und Weißrussland betonten das Recht der Ewe auf Selbstbestimmung.1781 Letztendlich hat auch der IGH in keinem Grenzstreit ethnische oder Nationalitätskriterien zur Entscheidung herangezogen.1782 Festzuhalten ist somit, dass ein Volk nicht anhand vermeintlich objektiver Kriterien zu bestimmen ist, sondern sich vielmehr als politisch verfasste Einheit darstellt. „Die Identität von Volk und Nation ist damit eine mögliche, aber keine notwendige Voraussetzung der Volkssouveränität …“1783
1777 IGH, Frontier Dispute (Burkina Faso ./. Mali) Judgment (22. Dezember 1986) ICJ Rep 1986, 554, 567 Rn. 25. 1778 Vgl. hierzu sehr umfassend, Bernd Roland Elsner, Die Bedeutung des Volkes (Fn. 1734) 194. 1779 Vgl. zusammenfassend Bernd Roland Elsner, 164. 1780 UNTC, The Ewe and Togoland Unification Problem, Res 643 (XI) (25. November 1952) UN Doc T/RES/643(XI). 1781 UN Department of Public Information, Yearbook of the United Nations 1952, United Nations Publications 1953, 721. 1782 Marcelo Kohen/Mara Tignino, Do people have rights in boundarie’s delimitations, in: Laurence Boisson de Chazournes (Hrsg.), International Law and Freshwater, 95, 99. 1783 Astrid Epiney, Europas Verfassungsgemeinschaft – Europarechtliche Perspektive in: Ulrich Hufeld/Astrid Epiney (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2. Auflage, Nomos 2010, 9, 12.
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dd) Volk als „Civitas“ jenseits des Staates „Die vom Staat sich lösende Gesellschaft kehrt in die Wirklichkeit zurück.“1784
Wenn nun weder das Staatsvolk, noch die Ethnie als Rechtsträger des Selbstbestimmungsrechts der Völker in Betracht kommen, was bleibt dann? Neben diesen beiden von Dietrich Murswiek vorgeschlagenen Kategorien ist noch ein dritter Volksbegriff denkbar: Dieser lehnt sich stark an den konstitutionellen Volksbegriff des Populus an, indem er ebenfalls eine verfasste Rechtsgemeinschaft fordert. Er trägt jedoch dem Umstand Rechnung, dass sich Verfasstheit längst nicht mehr allein auf staatlicher Ebene abspielt. Mit Bernd Roland Elsner lässt sich dieses zwar konstitutionelle, aber nicht notwendigerweise staatliche Volksverständnis als „Civitas“ bezeichnen: „Die Civitas kann immer noch als Leitbild des Rechtsträgers des Selbstbestimmungsrechts angesehen werden.“1785
Das staatsakzessorische Volksverständnis bedarf lediglich einer kleinen Fortentwicklung, um dieses Recht mit dem heutigen Völkerrechtsverständnis und der Anwendungspraxis des Selbstbestimmungsrechts zu vereinbaren. Zunächst einmal ist es wichtig zu verstehen, dass dem staatsakzessorischen Gedanken eigentlich zugrunde liegt, dass es sich bei einem Volk nicht um eine ethnisch determinierte Nation handelt, sondern um ein verfasstes Gemeinwesen, welches durch ein gemeinsames „Wir-Gefühl“ zusammengehalten wird – ganz im Sinne der Definition Wilhelm von Altons aus dem 12. Jahrhundert wonach ein Volk nicht mehr ist als „was ein Volk sein will und sich ein gemeinsames Gesetz auferlegt.“1786 Im 21. Jahrhundert hat Ingolf Pernice unter Bezug auf Jürgen Habermas1787 ein solches Volksverständnis formuliert: „Durch die Verfassung definiert sich eine auf einem Gebiet ansässige Menschengruppe als Bürger oder Volk eines auf vereinbarte Werte gegründeten Gemeinwesens, schafft sich Organe, Verfahren etc. zur Erfüllung bestimmter oder nach den vorgesehenen Verfahren zu bestimmender Zwecke und macht sich damit zugleich – selbstreflexiv – zum Träger des pouvoir constituant.“1788 1784 Klaus Eder, Die Herstellung eines Europäischen Demos, Können transnationale Gesellschaften eine kollektive Identität ausbilden?, in: Klaus Eder/Hans Nicklas (Hrsg.), Europa – ein politischer Mythos? Europäische Identität und nationale Staatsbürgerschaften, Arbeitstext Nr. 22, DFJW/OFAJ 2006, 37, 38. 1785 Bernd Roland Elsner, Die Bedeutung des Volkes (Fn. 1734) 195. 1786 Eric J. Hobsbawm, Nationen und Nationalismus (Fn. 125) 72 f. 1787 Jürgen Habermas, Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, in: Jürgen Habermas (Hrsg.), Die postnationale Konstellation – Politische Essays, Suhrkamp 1998, 99. 1788 Ingolf Pernice, Theorie und Praxis des Europäischen Verfassungsverbundes, WHIPaper 8/08, online unter: http://www.whi-berlin.eu/documents/whi-paper0808.pdf (zuletzt
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Aus der europazentrierten Sicht der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts heraus war einleuchtend, dass es sich bei verfassten Gemeinwesen nur um Staaten handeln konnte, doch verdeutlicht bereits ein Blick in die längerfristige europäische Historie, dass noch wenige Jahre zuvor auch innerhalb Europa ein verfasstes Volk existierte, dessen Bezugsgröße jenseits des Staates lag: Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, das weder Staat war, noch eine einheitliche Gens oder Natio besaß, dennoch aber unbestritten über Völkerrechtssubjektivität verfügte. Und auch heute besteht mit der Europäischen Union eine willentliche Rechtsgemeinschaft im Alton’schen Sinne ohne Staatsqualität.1789 Schließlich spricht auch der koloniale Kontext des Selbstbestimmungsrechts für ein konstitutionelles Volksverständnis jenseits des Staates. Denn nach der Friendly Relations Declaration besitzt „das Gebiet einer Kolonie oder eines anderen Hoheitsgebietes ohne Selbstregierung […] nach der Charta einen vom Hoheitsgebiet des Staates von dem es verwaltet wird, deutlich getrennten und verschiedenen Status.“1790
Hieraus wird ersichtlich, dass es sich gerade bei den mittels des Selbstbestimmungsrechtes in die Freiheit entlassenen Kolonialvölkern nicht um Staaten handelte. Darüber hinaus fehlte es ihnen auch an der für einen Staat konstituierenden Staatsgewalt. Man könnte bei den Kolonialvölkern allenfalls von „Staatsvölkern im Werden“ oder „potentiellen Staatsvölkern“ sprechen.1791 Ein derart weites Volksverständnis setzt allerdings eine Prämisse voraus: Der Mensch kann nicht nur Mitglied eines Volkes sein, sondern lebt, ganz wie im Rule of the Clan, in verschiedenen abgestuften Gemeinschaften, die jede für sich vom Begriff des Volkes erfasst sein können. Das Dogma, wonach Volk nur „im Staate und durch den Staat“1792 gedacht werden kann, muss überwunden werden, oder wie es Jasper Finke ausdrückt: „Getreu dem Highlander-Prinzip, dass es nur einen geben kann, denken wir Demokratie immer noch in der Exklusivität von Staat, Volk und Souveränität.“1793 aufgerufen am 24. Oktober 2018) 5, auch erschienen in: Christian Callies (Hrsg.), Verfassungswandel im europäischen Staaten- und Verfassungsverbund. Göttinger Gespräche zum deutschen und europäischen Verfassungsrecht, Mohr Siebeck 2007, 61. 1789 Ebd.; Astrid Epiney/Karine Siegwart/Michael Cottier/Nora Refaeil, Schweizerische Demokratie und Europäische Union – zur demokratischen Legitimation in der EU und den Implikationen eines EU-Beitritts der Schweiz für die schweizerische Demokratie, Staempfli Verlag 1998, 130 ff. m.w.N. 1790 UNGA, Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States in accordance with the Charter of the United Nations (24. Oktober 1970) UN Doc A/RES/25/2625. 1791 Dietrich Murswiek, Offensives und defensives Selbstbestimmungsrecht (Fn. 1749) 97. 1792 Ludwig August von Rochau, Grundsätze der Realpolitik (Fn. 203) 41. 1793 Jasper Finke, Die Griechenlandkrise als Krise europäischer Demokratie – zur Notwendigkeit einer europäischen Bewegung, https://www.juwiss.de/62-2015/ (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018).
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Das Volk ist aber kein „Highlander“. Das heißt, Individuen können nicht nur einem Volk angehören.1794 Während es im horizontalen Verhältnis seit langem selbstverständlich ist, dass ein Mensch Staatsangehöriger mehrerer Staaten sein kann, hat sich dieses Selbstverständlichkeitsbewusstsein trotz jahrhundertelanger faktischer Praxis im vertikalen Bewusstsein – also zwischen verschiedenen Gemeinwesen in einem Mehrebenensystem – noch nicht eingestellt:1795 „… Individuen können nicht nur einem, sondern mehreren Völkern auf unterschiedlichen Ebenen angehören …“1796
Ein Bundesstaat wie die Bundesrepublik Deutschland legt – die Staatsqualität der Länder im Binnenverhältnis vorausgesetzt – zwingend nahe, dass ihre Bürger nicht nur Deutsche, sondern auch Bayern, Hamburger oder Sachsen sind. Die Zugehörigkeit zu einem Volk der Bayern schloss noch nie die Zugehörigkeit zum Volk der Deutschen aus. Ebenso ist ein Schotte gleichzeitig Brite und ein Afar Äthiopier. Die traditionelle vertikale Pluralität der Volkszugehörigkeiten nach unten lässt sich auch nach oben denken. So schließt die Zugehörigkeit zum Volk der Polen nicht aus, gleichzeitig Europäer zu sein,1797oder wie es Cicero ausdrückte: „Gradus autem plures sunt societatis hominum.“1798
Nach Peter Häberle ist ein Volk „eine pluralistische Größe und als solche anthropologisch begründet. Die Vielfalt seiner Interessen und Ideen, seine Bewegungen und Wandlungen, seine Objektivationen und Subjektivismen, seine Wirklichkeit und seine Möglichkeiten lassen sich nicht auf ein Moment, auf einen sog. Träger oder auf einen Zeitpunkt festlegen.“1799
Gegen ein solch pluralistisches Volksverständnis könnte allenfalls die Befürchtung einer Auflösung der Weltordnung in viele kleine politische Einheiten sprechen, da dann jede Gemeinschaft einen eigenen Staat beanspruchen könnte. Dieses Argument überzeugt jedoch allein schon deshalb nicht, weil nur durch eine weite Auslegung des personellen Schutzbereiches noch nichts über den sachlichen Inhalt des Selbstbestimmungsrechts gesagt ist. Ein Recht auf Sezession, wie sie diese 1794 Jasper Finke, Staatlichkeit als zeitgebundenes Konstrukt – Notwendigkeit und Möglichkeit unmittelbarer demokratischer Legitimation durch das Europäische Parlament, in: Lisa Heschl u. a. (Hrsg.), L’État c’est quoi? Staatsgewalt im Wandel, Nomos 2015, 193, 196. 1795 Phillip Cole, Towards a Right to International Movement, Presented at Migration in Legal and Political Theory: Remaining Challenges conferences, Centre of Research in the Arts, Social Sciences and Humanities, University of Cambridge (28. – 29. Oktober 2011) online unter: http://www.academia.edu/1061799/Towards_a_right_to_international_movement (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018) 7 f. 1796 Jasper Finke, Staatlichkeit als zeitgebundenes Konstrukt (Fn. 1794) 196. 1797 I.d.S. Astrid Epiney, Europas Verfassungsgemeinschaft (Fn. 1783) 12; Ingolf Pernice, Theorie und Praxis des Europäischen Verfassungsverbundes (Fn. 1788) 22. 1798 Marcus Tullius Cicero, De Officiis I (Fn. 204) Abs. 53 „Es gibt aber mehrere Stufen der menschlichen Gesellschaft“. 1799 Peter Häberle, Verfassungsinterpretation und Verfassungsgebung (1978) ZSR, 1, 18 f.
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Befürchtung impliziert, ist jedoch regelmäßig gerade nicht Inhalt des Selbstbestimmungsrechts, wie die Friendly Relations Declaration unumstößlich feststellt: „Die vorstehenden Absätze sind nicht als Ermächtigung oder Ermunterung zu Maßnahmen aufzufassen, welche die territoriale Unversehrtheit oder die politische Einheit souveräner und unabhängiger Staaten teilweise oder vollständig auflösen oder beeinträchtigen würden, die sich in ihrem Verhalten von dem oben erwähnten Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker leiten lassen und daher eine Regierung besitzen, welche die gesamte Bevölkerung des Gebiets ohne Unterschied der Rasse, des Glaubens oder der Hautfarbe vertritt.“1800
Diese Bestimmung lässt vom grundsätzlichen Fehlen eines Rechts auf Sezession nur die Ausnahme einer „Remedial Secession“1801 von Staaten zu, welche z. B. aus rassistischen Erwägungen nicht die gesamte Bevölkerung repräsentieren. Wann also kann ein nomadisches Volk ein Recht auf Selbstbestimmung beanspruchen? Zunächst muss sich dieses selbst als Volk begreifen.1802 Ferner muss sich diese Gemeinschaft einem gemeinsamen Recht unterwerfen, also eine gemeinsame Verfasstheit aufweisen. Dies ist gerade bei den traditionell nomadischen Völkern der Fall, in denen sich das alte Stammes- und Interstammesrecht noch erhalten hat. Gerade das Fortbestehen des Rule of the Clan in einer Gemeinschaft ist somit Indiz für dessen Volksqualität. Anzeichen für eine eigene Rechtsordnung sind etwa Ältestenräte, indigene Parlamente oder aber ein eigenes volksübergreifendes Weidelandmanagement, wie es zwischen vielen nomadischen Völkern nach wie vor präsent ist.1803 Die Frage, welcher Grad der organisatorischen Verrechtlichung und Selbstverfasstheit für die Qualifikation als Volk verlangt wird, ist vom Einzelfall abhängig: Aber gerade die faktische Ignoranz gegenüber Staatsgrenzen und das bei Nomaden völlig abweichende Verständnis von Landeigentum sprechen deutlich für die Existenz einer eigenen, nicht notwendigerweise verschriftlichten Rechtsordnung.
1800
UNGA, Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States in accordance with the Charter of the United Nations (24. Oktober 1970) UN Doc A/RES/25/2625. 1801 Hierzu ausführlich z. B. Peter Hilpold, Die Sezession – zum Versuch einer Verrechtlichung eines faktischen Phänomens, in: Peter Hilpold (Hrsg.), Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, Peter Lang 2009, 11, 25; Simone van den Driest, Remedial Secession, A Right to External Self-Determination as a Remedy to Serious Injustices?, Intersentia 2013; kritisch hierzu: Katherine del Mar, The Myth of Remedial Secession, in: Duncan French (Hrsg.), Statehood and Self-Determination, CUP 2013, 79 ff.; Andreas von Arnauld, Völkerrecht (Fn. 233) Rn. 68; Thomas Burri, Secession in the CIS, in: Christian Walter/Antje von UngernSternberg/Kavus Abushov (Hrsg.), Self-Determination and Secession in International Law, Oxford UP 2014, 138, 141, 144. 1802 Aureliu Cristescu, The Right to Self-Determination (Fn. 1758) 40 Rn. 274. 1803 C. III. 2. c).
IV. Selbstbestimmungsrecht der Völker als Brücke zwischen Völkerrechten
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ee) Teil eines Volkes als Rechtsträger Für die Gültigkeit von Volksentscheiden über eine Sezession ist es unerheblich, ob wirklich jedes einzelne Mitglied des jeweiligen Volkes an dem Referendum teilnimmt. Ebenso wenig kann, wenn ein Volk nach dem Selbstbestimmungsrecht das Recht auf Schulen in seiner Sprache begehrt, verlangt werden, dass nun alle Volksangehörigen die Schule besuchen. Für Nomaden kann nichts anderes gelten: Sofern diese ein Recht auf nomadische Wanderungen über Staatsgrenzen hinweg beanspruchen, muss es ihren Angehörigen zugebilligt werden, dass einzelne Individuen trotz des nomadischen Gesamtcharakters des Volkes einer sesshaften Tätigkeit nachgehen, oder sich z. B. aufgrund ihres Alters aus dem Nomadenleben zurückziehen.1804 Wie Christian Tomuschat richtig bemerkt, bedeutet der Umstand, dass das Selbstbestimmungsrecht einem Volk zusteht, nämlich nicht zwangsläufig, dass stets das gesamte Volk von diesem Recht Gebrauch machen muss oder will. Das Recht steht zwar einem Volk in seiner Gesamtheit zu, kann aber auch nur von Gruppen aus diesem Volk oder sogar Individuen in Anspruch genommen werden.1805 b) Sachlicher Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts der Völker aa) Vorüberlegungen zur Dogmatik Bevor ermittelt wird, was der sachliche Inhalt des Selbstbestimmungsrechts ist, soll an dieser Stelle die Dogmatik dieses Rechts erläutert werden, um dem Eindruck vorzubeugen, dass durch die Aufnahme eines Inhalts in den sachlichen Schutzbereich bereits eine konkrete Rechtsgewährung folgt. Dem widerspricht nämlich die Dogmatik des Selbstbestimmungsrechts, wie sie sich aus dessen beiden gegensätzlichen Funktionen ergibt: „The extraordinary difficulties into which an attempt to a consistent application of the principle leads stem from the paradox that it both supports and challenges statehood …“1806
Diese beiden Funktionen bezeichnet Martti Koskenniemi als die „klassische“ oder „Hobbes’sche“ Funktion, welche Staatlichkeit bewahrt und die „romantische“ oder „Rousseau’sche“ Funktion, die die Staatlichkeit herausfordert.1807 Bei beiden Funktionen handelt es sich, anders als Dietrich Murswiek behauptet,1808 nicht um unterschiedliche Rechte mit unterschiedlichen Berechtigten (dem Staatsvolk und 1804
Regina ./. Shropshire County Council ex parte Bungay (1991) 23 HLR 195. Christian Tomuschat, Das Recht auf die Heimat (Fn. 1730) 210 f.; Marc Weller, Escaping the Self-Determination Trap, Martinus Nijhoff 2008, 23. 1806 Martti Koskenniemi, National Self-Determination Today (Fn. 1699) 249. 1807 Ebd., 249 f. 1808 Dietrich Murswiek, Offensives und defensives Selbstbestimmungsrecht (Fn. 1749) 99 ff. 1805
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dem Ethnos), sondern um verschiedene Ausprägungen ein und desselben Rechts, von denen keine unbedingten Vorrang genießt.1809 Am deutlichsten werden beide Funktionen anhand des klassischen Beispiels der Sezession, wie es z. B. auf der Krim zu Tage trat. Hier betonte Russland das „Rousseau’sche“ Selbstbestimmungsrecht der Krim-Russen zur Unterstützung einer Sezession,1810 wohingegen z. B. Angela Merkel in Ablehnung eines Sezessionsrechts auf das „Hobbes’sche“ Selbstbestimmungsrecht der Ukraine verwies.1811 Dem Selbstbestimmungsrecht eines Volkes kann somit stets das Selbstbestimmungsrecht eines anderen Volkes gegenüberstehen.1812 Doch damit nicht genug: Wenn das andere Volk gleichzeitig Staatsvolk ist, dann kollidiert das „Rousseau’sche“ Selbstbestimmungsrecht zudem mit anderen Prinzipien und Rechten, wie z. B. der staatlichen Souveränität, der Gebietshoheit und dem Grundsatz Uti possidetis.1813 Diese Antagonismen müssen, so Martti Koskenniemi, ausbalanciert werden.1814 Das Selbstbestimmungsrecht eines nicht staatlich organisierten Volkes ist somit kein absolutes Recht, sondern eines, was stets in Abwägung mit seiner zweiten Funktion und den möglichen Gegenrechten des Staates gebracht werden muss.1815 Wenn im Folgenden also dargelegt wird, dass das Selbstbestimmungsrecht nomadischer Völker einen bestimmten Inhalt gewährt, dann bedeutet dies zunächst nur, dass dieser Inhalt abstrakt innerhalb des Selbstbestimmungsrechts möglich ist. Es bedeutet jedoch nicht, dass er stets als konkrete Rechtsposition forderbar ist. Wenn z. B. behauptet wird, das Selbstbestimmungsrecht enthalte kein Recht auf einen eigenen Staat, ist diese Position mit Blick auf den expliziten Wortlaut der FRD unhaltbar:
1809
Martti Koskenniemi, National Self-Determination Today (Fn. 1699) 249. Vladimir Putin, Vladimir Putin Answered Journalists’ Questions on the Situation in Ukraine, Presse Konferenz (4. März 2014), online unter: http://en.kremlin.ru/events/president/ news/20366 (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018); Rede an die Abgeordneten der Duma, Mitglieder des Föderationsrates, Köpfe der russischen Regionen und Vertreter der Zivilgesellschaft im Kreml (18. März 2014), online unter: http://en.kremlin.ru/events/president/news/2 0603 (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018); Christian Marxsen, The Crimea Crisis (Fn. 1707) 384 ff. 1811 Angela Merkel, Minsker Vereinbarung (Fn. 1708). 1812 Dietrich Murswiek, Offensives und defensives Selbstbestimmungsrecht (Fn. 1749) 95; Marttii Koskenniemi, National Self-Determination Today (Fn. 1699) 250 f.; Nathaniel Berman, Sovereignty in Abeyance (Fn. 1755) 58. 1813 Vgl. hierzu: Anne Peters, The Principle of Uti Possidetis (Fn. 525) 95; Georges AbiSaab, Le Principe de l’uti possidetis – son rôle et ses limites dans le contentieux territorial international, in: Marcelo G Cohen (Hrsg.), Promoting Justice, Human Rights and Conflict Resolution through International Law – Liber Amicorum Lucius Caflisch, Martinus Nijhoff 2007, 657. 1814 Martti Koskenniemi, National Self-Determination Today (Fn. 1699) 251. 1815 Ebd., 251 ff. 1810
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„The establishment of a sovereign and independent State […] constitute modes of implementing the right of self-determination by that people.“1816
Wenn allerdings darauf verwiesen wird, dass es außerhalb des kolonialen Kontextes keine1817 oder nur sehr seltene Staatsgründungen auf Grundlage des Selbstbestimmungsrechts gegeben habe,1818 so wird hieran deutlich, dass das Selbstbestimmungsrecht der Völker bereits auf Ebene einer abstrakten Gewichtung gegenüber der territorialen Integrität der Staaten zurücktritt,1819 was auch die FRD unmissverständlich zum Ausdruck bringt: „Nothing in the foregoing paragraphs shall be construed as authorizing or encouraging any action which would dismember or impair […] the territorial integrity or political unity of sovereign and independent States …“1820
Erst wenn das Selbstbestimmungsrecht zusätzlich „aufgeladen“ wird, z. B. durch einen Genozid,1821 dann kann dieses zum Sezessionsrecht erstarken, welches die Waagschale gegenüber der territorialen Integrität zum „Kippen“ bringt. Es ist dann die Rede von der allerdings umstrittenen „Remedial Secession“.1822 Vor diesem Hintergrund soll nun der sachliche Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts der Völker im Hinblick auf grenzüberschreitende nomadische Wanderrechte untersucht werden.
1816
UNGA, Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States in accordance with the Charter of the United Nations (24. Oktober 1970) UN Doc A/RES/25/2625. 1817 James Crawford, Creation of States (Fn. 302) 415. 1818 Milena Sterio, The Right to Self-Determination (Fn. 364) 21 f.; Obehi S. Okujie, Between Secession and Federalism: The Independence of South Sudan and the Need for a Reconsidered Nigeria (2013) PMcGeorgeGBDLJ, 415, 446 f.; Simon Chesterman, Crimean War 2.0: Ukraine and International Law, Straits Times (15. März 2014); SCOC, Secession of Quebec, Re, Reference to Supreme Court, [1998] 2 SCR 217, (1998) 161 DLR (4th) 385, (1998), 55 CRR (2d) 1, ILDC 184 (CA 1998), (20. August 1998) Supreme Court [SCC], Rn. 126; der UN-Sicherheitsrat lehnte Sezessionen u. a. ab in Katanga: UNSC Res 169 (24. November 1961) UN Doc S/RES/169(1961), Südrhodesien: UNSC Res 215 (12. November1965) UN Doc S/RES/215(1965), Nordzypern: UNSC Res 541 (November 1983) UN Doc S/RES/541(1983), Transkei: UNSC Res 402 (22. Dezember 1976) UN Doc S/RES/ 402(1976). 1819 Dinh Nguyen Quoc/Patrick Daillier/Alain Pellet, Droit international public, 7. Auflage, LGDJ 2002, 521. 1820 UNGA, Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States in accordance with the Charter of the United Nations (24. Oktober 1970) UN Doc A/RES/25/2625. 1821 Ebd. 1822 Hierzu ausführlich z. B. Peter Hilpold, Die Sezession (Fn. 1801) 25; Simone van den Driest, Remedial Secession (Fn. 1801); kritisch hierzu: Katherine del Mar, The Myth of Remedial Secession (Fn. 1801) 79 ff.; Andreas von Arnauld, Völkerrecht (Fn. 233) Rn. 68; Thomas Burri, Secession in the CIS (Fn. 1801) 141, 144.
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bb) Inhalt des Selbstbestimmungsrechts der Völker mit Blick auf nomadische Wanderrechte Zunächst gewährt das Selbstbestimmungsrecht abstrakt ein Recht auf Statuswahl: „… the right to freely determine, without external interference, their political status“1823, wie es die Friendly Relations Declaration ausdrückt, oder „By virtue of that right they freely determine their political status“1824 im Wortlaut des gemeinsamen Art. 1 der Menschenrechtspakte. Unterhalb der Schwelle einer vollständigen Sezession, kann sich diese politische Selbstbestimmung etwa in bestimmten Autonomierechten niederschlagen.1825 In Gestalt eines anerkannten Sezessionsrechts hingegen tritt das Selbstbestimmungsrecht nur äußerst selten in Erscheinung.1826 (1) Autonomierechte Neben politischer Autonomie kann das Recht auf die Pflege der eigenen Sprache in der Öffentlichkeit und in Behörden, Gerichten und Schulen umfasst sein.1827 Grob lässt sich die Vielgestaltigkeit von Autonomie in funktionelle, personale, kulturelle und territoriale Autonomie unterteilen.1828 Auch ein Recht auf Föderalismus wird vertreten.1829 Intensiv diskutiert wird die Frage, ob das Selbstbestimmungsrecht der Völker ein Recht auf demokratische Mitbestimmung beinhaltet:1830 1823 UNGA, Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States in accordance with the Charter of the United Nations (24. Oktober 1970) UN Doc A/RES/25/2625. 1824 International Covenant on Civil and Political Rights (16. Dezember 1966) 999 UNTS 171; International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (16. Dezember 1966) 993 UNTS 3. 1825 Dietrich Murswiek, Offensives und defensives Selbstbestimmungsrecht (Fn. 1749) 105; Milena Sterio, The Right to Self-Determination (Fn. 364) 22; Dietrich Murswiek, The Issue of a Right to Secession, in Christian Tomuschat (Hrsg.), Modern Law of Self-Determination, Martinus Nijhoff 1993, 21, 38 ff. 1826 Simon Chesterman, Crimean War 2.0: Ukraine and International Law, Straits Times (15. März 2014). 1827 Dietrich Murswiek, Offensives und defensives Selbstbestimmungsrecht (Fn. 1749) 105. 1828 Sabine Bernot, Verfassungsrechtliche Anerkennung indigenen Rechts (Fn. 176) 258. 1829 Hans-Joachim Heintze, Wege zur Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts innerhalb bestehender Staaten, in: Hans-Joachim Heintze, Selbstbestimmungsrecht der Völker – Herausforderung der Staatenwelt. Zerfällt die internationale Gemeinschaft in Hunderte von Staaten?, JHW Dietz 1997, 16. 1830 Exemplarisch für die umfangreiche Diskussion dieses Themas: Sigrid Boysen, Selbstbestimmungsrecht und Recht auf Demokratie, in: Peter Hilpold (Hrsg.), Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, Peter Lang 2009, 75; Antonio Cassese, The Self-Determination of Peoples, in: Louis Henkin (Hrsg.), The International Bill of Rights, Columbia UP 1981, 92, 97; Alexandre Charles Kiss, The People’s Right to Self-Determination, (1986) HRLJ, 165, 171; Allan Rosas, Internal Self-Determination in: Christian Tomuschat (Hrsg.), Modern Law of SelfDetermination, Martinus Nijhoff 1993, 225, 244; Patrick Thornberry, The Democratic or In-
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„A democratic deficit is ultimately a deficit in self-determination.“1831
Mit Blick auf nomadische Grenzübertritte kann sich eine demokratische Mitbestimmung etwa darin äußern, dass den Nomaden, wie z. B. in Skandinavien,1832 ermöglicht wird, sich am Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags zur Regelung grenzüberschreitender Rentierweiderechte zu beteiligen, oder ein solches Abkommen durch das Veto des Samenparlamentes zu Fall zu bringen.1833 (2) Wirtschaftliche Rechte Gemäß dem Art. 1 I IPBPR1834 und IPWSKR1835 sowie der FRD1836 haben Völker das Recht, in Freiheit ihre wirtschaftliche soziale und kulturelle Entwicklung zu gestalten. Hierzu können sie gemäß Art. 1 II IPBPR1837 und IPWSKR1838 für ihre eigenen Zwecke frei über ihre natürlichen Reichtümer und Mittel verfügen und dürfen in keinem Fall ihrer eigenen Existenzmittel beraubt werden. Indem es sich beim Nomadentum um eine ganz spezifische Form der (Land) wirtschaft handelt, muss den nomadischen Völkern grundsätzlich das Recht offenstehen, sich für diese Wirtschaftsform zu entscheiden und die hierfür nötigen Schritte zu unternehmen. Hierzu können auch Grenzübertritte gehören, wenn die Völker aus klimatischen Gründen auf entsprechend großräumige Gebiete angewiesen sind. Das Recht zur Wahl einer eigenen Wirtschaftsordnung kann auch den Verzicht auf europäische Eigentumskonzeptionen beinhalten, um sich in Abstimmung mit anderen Völker überlappende Nutzungsrechte zu gewähren. Kraft des Verfügungsrechts über ternal Aspect (Fn. 1756) 101; Denise Brühl-Moser, Die Entwicklung des Selbstbestimmungsrechts der Völker unter besonderer Berücksichtigung seines innerstaatlich-demokratischen Aspekts und seiner Bedeutung für den Minderheitenschutz, Helbing & Lichtenhahn 1994, 110; Stefan Oeter, Demokratieprinzip und Selbstbestimmungsrecht der Völker – zwei Seiten einer Medaille?, in: Hauke Brunkhorst (Hrsg.), Demokratischer Experimentalismus, Suhrkamp 1998, 329, 355 ff.; Allen Buchanan, Democracy and Secession, in: Margaret Moore (Hrsg.), National Self-Determination and Secession, Oxford UP 1998, 14. 1831 Alfred-Maurice de Zayas, Report of the Independent Expert on the promotion of a democratic and equitable international order (1. Juli 2013) UN Doc A/HRC/24/38, Rn. 57. 1832 Sametinget, Möte om gränsöverskridande renskötsel, online unter: https://www.sametin get.se/94593 (zuletzt aufgerufen am 25. November 2016). 1833 Ebd. 1834 International Covenant on Civil and Political Rights (16. Dezember 1966) 999 UNTS 171. 1835 International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (16. Dezember 1966) 993 UNTS 3. 1836 UNGA, Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States in accordance with the Charter of the United Nations (24. Oktober 1970) UN Doc A/RES/25/2625. 1837 International Covenant on Civil and Political Rights (16. Dezember 1966) 999 UNTS 171. 1838 International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (16. Dezember 1966) 993 UNTS 3.
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„ihre Reichtümer und Mittel“ können Völker auch anderen Völkern entsprechend den traditionellen Weidelandmanagementmechanismen Nutzungsrechte hieran einräumen. Fraglich ist jedoch auch hier, ebenso wie hinsichtlich der Landrechte indigener Völker,1839 was „ihre Reichtümer und Mittel“ sind. Insbesondere muss hier nun geklärt werden, ob Gebiete und Ressourcen, von denen Nomaden in Zeiten der Kolonisierung oder Dekolonisierung vertrieben wurden, noch heute „ihre Reichtümer und Mittel“ darstellen. Diese Frage stellt sich indes nicht allein mit Blick auf Nomaden, denn viele Vertriebene machen ein „Recht auf Heimat“ geltend. (3) Recht auf Heimat Auch nichtnomadische von ihren traditionellen Siedlungsgebieten vertriebene Völker fordern im Rahmen eines „Rechts auf Heimat“1840 die Rückkehr in angestammte Gebiete. Hierzu gehören z. B. die Ilois genannten Bewohner des ChagosArchipels im Indischen Ozean, insbesondere der Hauptinsel Diego Garcia,1841 die zwischen 1971 und 1973 nach Mauritius zwangsumgesiedelt wurden.1842 Gegenüber der UN-Generalversammlung machte Mauritius nahezu jährlich auf das „Right to
1839
F. II. 2. e). Neben dem Selbstbestimmungsrecht der Völker wird das Recht auf die Heimat hergeleitet aus der Internationalen Rassismuskonvention (21. Dezember 1965) 660 UNTS, der Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (9. Dezember 1948) 78 UNTS 277, der Declaration on the Rights of Persons belonging to National or Ethnic, Religious and Linguistic Minorities (3. Februar 1993) UN Doc A/RES/47/135; sowie e contrario aus der 4. Genfer Abkommen Genfer Abkommen zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten (12. August 1949) 75 UNTS 287, dem zweiten Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll II) (8. Juni 1977) 1125 UNTS 609, indem diese die Zwangsumsiedlung ächten, vgl. Alfred Maurice de Zayas, The Right to one’s Homeland (Fn. 1319) 257; vgl. im Überblick über die Normierung des Rechts auf die Heimat im Völkerrecht auch: Alfred Maurice de Zayas, Heimatrecht ist Menschenrecht, Universitas 2001, 42 ff. 1841 Vgl. die Klagen von Ilois mit britischer Staatsangehörigkeit vor britischen Gerichten: R (Bancoult) ./. Secretary of State for Foreign and Commonwealth Affairs [2001] 1 QB 1067 (Bancoult 1); R (Bancoult) ./. Secretary of State for Foreign and Commonwealth Affairs [2006] EWHC 1038 (Divisional Court); [2008] QB 365 (Court of Appeal); [2008] 3 WLR 955; 2009 AC 454 (House of Lords) (Bancoult 2); Chagos Islanders ./. Attorney General and HM BIOT Commissioner [2003] EWHC QB 2222 (High Court; [2004] EWCA Civ 997 (Court of Appeal); Supreme Court, R (Bancoult 2) ./. Secretary of State for Foreign and Commonwealth Affairs [2016] UKSC 35; die britische Rechtsprechung wurde vor dem EGMR angegriffen, der die Klage jedoch als unzulässig ablehnte: EGMR, Chagos Islanders ./. United Kingdom (11. Dezember 2012) App Nr. 35622/04; einige andere Ilois hatten statt der britischen die Staatsangehörigkeit Mauritius. Diese vertretend forderte Mauritius das Recht auf Heimkehr der Ilois vor dem permanenten Schiedshof in Den Haag nach Art. 387 SRÜ ein: PCA, Chagos Marine Protected Area Arbitration (Mauritius ./. Großbritannien), Award (18. März 2015) ICGJ 486 (PCA 2015). 1842 Richard Gifford, The Chagos Islands (Fn. 1340). 1840
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Return“ dieser Ilois aufmerksam.1843 Bereits im Bancoult 2-Verfahren, welches die Ilois vor britischen Gerichten anstrengten, um ihre Heimkehr zu ermöglichen, leiteten die Vertriebenen dieses Recht aus dem völkerrechtlichen Selbstbestimmungsrecht der Völker her: „whether the United Kingdom was and/or is under any obligation under (a) any treaty or (b) customary international law to respect any right of self-determination which the Chagossian people (if it existed or exists) is alleged to have …“1844
Diese Ansicht wird in der Literatur bestätigt,1845 nachdem bereits gegenüber Israel für ein Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge von verschiedenen UN-Gremien das Selbstbestimmungsrecht der Völker in Stellung gebracht wurde.1846 Ab 1973 formulierte z. B. die Generalversammlung wie folgt: „Declares that full respect for and realisation of the inalienable rights of the people of Palestine, particularly its right to self-determination, are indispensable for the establishment of a just and lasting peace in the Middle East, and that the enjoyment by the Palestine Arab Refugees of their right to return to their homes and property […] is indispensable for the achievement of a just settlement of the refugee problem and for the exercise by the people of Palestine of ist right to self-determination.“1847
Hiermit war der Zusammenhang zwischen einem Recht auf Heimkehr und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker auch von Seiten der UN hergestellt. Die Rückkehr wurde als unerlässlich für die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts erachtet. Eine dementsprechende Resolutionspraxis der UN findet sich nicht nur mit Blick auf die vertriebenen Palästinenser. Ein weiteres Anwendungsgebiet ist der Zypern-Konflikt.1848 Auch mit Blick auf das von Vietnam besetzte Kambodscha lässt sich die Resolution 35/6 in einer Weise verstehen, dass das Heimkehrrecht kein 1843 PCA, Chagos Marine Protected Area Arbitration (Mauritius Großbritannien) ICGJ 486 (PCA 2015) Memorandum of Mauritius, Annex 95, online unter: http://www.wx4all.net/pca/ mu-uk/Annexes%20to%20Memorial/MM%20Annexes%2081-177.pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018). 1844 Divisional Court, R Bancoult ./. Secretary of State for Foreign and Commonwealth Afffairs [2006] EWHC 1038 (DC) Rn. 106. 1845 Stephen Allen, The Chagos Islanders and International Law (Fn. 1340) 262 ff. 1846 Christian Tomuschat, Das Recht auf die Heimat (Fn. 1730) 195; vgl. nur: UNSC Res 465 (1980) (1. März 1980) UN Doc S/RES/465(1980), 5; UNGA Res 41/63 D (3. Dezember 1986) UN Doc A/RES/41/63 D, 8e; UNGA Res 42/160 D (8. Dezember 1987) UN Doc A/RES/ 42/160 D, 8e; UNGA Res 194 (III) (11. Dezember 1948) UN Doc A/RES/194(III), Rn. 11; UNGA Res 2452 A (XXIII) (19. Dezember 1968) UN Doc A/RES/2452 A(XXIII); UNGA Res 41/63 D (3. Dezember 1986) UN Doc A/RES/41/63 D; UNGA Res 42/160 D (8. Dezember 1987) UN Doc A/RES/42/160 D; UNGA Res 2535 B (XXIV) (10. Dezember 1969) UN Doc A/ RES/2535 B(XXIV); UNGA Res 2672 C (XXV) (8. Dezember 1970) UN Doc A/RES/2672 C(XXV) Präambel 3 und op 1; UNGA Res 3089 D (XXVIII) UN Doc A/RES/3089 D(XXVIII), op 3. 1847 UNGA Res 3089 D (XXVIII) UN Doc A/RES/3089 D(XXVIII), op 3. 1848 Vergleiche hierzu zusammenfassend: Christian Tomuschat, Das Recht auf die Heimat (Fn. 1730) 197.
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reines Individualrecht, sondern vielmehr ein Recht des Volkes ist, welches dementsprechend nur über das Selbstbestimmungsrecht der Völker geschützt sein kann.1849 Schließlich bezeichnete die Generalversammlung auch die Errichtung Bantustans durch Südafrika als: „the forcible removal of the African people of South Africa and Namibia to those areas as a violation of their inalienable rights contrary to the principle of self-determination.“1850
Die Rechtswidrigkeit einer Vertreibung im Rahmen des Selbstbestimmungsrechts der Völker impliziert, dass eine völkerrechtliche Pflicht zur Ermöglichung der Rückkehr besteht.1851 „Ein Rückkehrrecht wird zwar nicht ausdrücklich erwähnt, ist aber die logische Konsequenz eines Unrechtstatbestandes, der in der zwangsweisen Umsiedlung einer Bevölkerungsgruppe besteht.“1852
Der Rückgriff auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker zur Herleitung eines Rechts auf Heimkehr hat eine gewisse Tradition. Erstmals stützte 1953 Hartwig Bülck1853 ein „Recht auf die Heimat“ auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker. 1849 UNGA Res 35/6 (22. Oktober 1980) UN Doc A/RES/35/6, Die Hervorhebung des Heimkehrrechts als Volksrecht ergibt sich insbesondere aus der englischsprachigen Variante. Die französische Variante ist diesbezüglich weniger klar, vgl. auch: Otto Kimminich, Das Recht auf die Heimat – ein universelles Menschenrecht, Köllen Druck+Verlag 1996, 15. 1850 UNGA Res 2775 E (XXVI) (29. November 1971) UN Doc A/RES/2775 (XXVI) E. 1851 Alfred Maurice de Zayas, The Annan Plan and the Implementation of Turkish Settlers in the occupied Territory of Cyprus (2006) The Cyprus YbIR, 163 ff.; Awn Shawhat Al-Khasawneh, The Human Rights Dimensions of Population Transfer, Including the Implantation of Settlers: Progress Report (30. Juni 1994) UN Doc E/CN.4/Sub.2/1994/18, Rn. 26 d. 1852 Christian Tomuschat, Das Recht auf die Heimat (Fn. 1730) 200. 1853 Angesichts des zeitlichen Kontextes erscheint eine politische Einordnung Hartwig Bülcks an dieser Stelle geboten: Bülck gilt einerseits als Schüler des nationalsozialistisch nicht ganz unbelasteten Hermann von Mangoldt, dessen Aufgaben an der Christian-AlbrechtsUniversität zu Kiel er nach dessen Tode 1953 übernahm (vgl. https://www.wsi.uni-kiel.de/de/ institut/institutsgeschichte (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018)). Andererseits trat Bülck 1962 aus der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht aus, nachdem die nationalsozialistischen Verstrickungen des Mitglieds Hans Peter Ipsen bekannt wurden (allerdings nicht nur aus moralischen Beweggründen, vgl. Michael Stolleis, Geschichte des Öffentlichen Rechts in Deutschland, Vierter Band 1945 – 1990, C. H. Beck 2012, 78). Inhaltlich wandte sich Bülck in der Nachkriegszeit im Rahmen seiner Habilitation v. a. gegen die Zwangsarbeit u. a. im Dritten Reich: „Von dieser unmittelbar kriegsrechtlichen Bedeutung abgesehen sind die mittelbaren Auswirkungen des nationalsozialistischen Arbeitssystems auf das Völkerrecht beträchtlich. Es hat in seiner totalitären Überspannung der westlichen Welt zum Bewußtsein gebracht, daß es nicht mehr allein darauf ankommt, die Arbeitsfreiheit für nichteuropäische Völker durchzusetzen, sondern daß es nunmehr vor allem gilt, diesen Grundsatz innerhalb der zivilisierten Völkergemeinschaft selbst aufrecht zu erhalten, als ein allen, auch weißen Menschen gemeinsames Recht.“ (Hartwig Bülck, Die Zwangsarbeit im Friedensvölkerrecht, Vandenhoeck & Ruprecht 1953, 88). Im Zuge der Spiegel-Affäre 1962 gehörte Bülck zum Kreis jener Rechtsprofessoren, die sich vehement für die Pressefreiheit und die Rechte des Parlaments gegenüber der Regierung einsetzte. (Otto Bachof u. a., Dazu Können wir nicht schweigen – 144 deutsche Professoren zur Aktion gegen den Spiegel, der Spiegel (28. November 1962)). Ge-
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Seiner Meinung nach sei jede Maßnahme, welche die Volksgrenzen zugunsten der Staatsgrenzen verschiebe, völkerrechtswidrig.1854 Eine andere Ansicht vertrat hierzu Rudolf von Laun. Seiner Auffassung nach setze die gesamte Völkerrechtsordnung die Sesshaftigkeit der Völker voraus. Völker seien überdies (noch) keine Rechtssubjekte.1855 Aus der zeitlichen Perspektive Launs ist diese Sichtweise verständlich. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker wurde mehr als unverbindliches Prinzip, denn als verbindliches Recht anerkannt und ein Verständnis für andere Rechtssubjekte neben den Staaten war erst im Entstehen. Heute überzeugen die Argumente von Launs jedoch nicht mehr,1856 denn auch Völker sind als partielle Völkerrechtssubjekte akzeptiert und können somit Träger des „Menschenrechts auf die Heimat als Kollektivrecht“1857 sein. „Völkerrechtlich ist das Recht auf die Heimat zugleich im Selbstbestimmungsrecht der Völker und im Annexionsverbot verankert.“1858
Die Resolutionen der Generalversammlung und der anderen Gremien der UN sprechen für eine Rechtsüberzeugung hinsichtlich der Tragweite des Selbstbestimmungsrechts, dahingehend, dass dieses ein Recht auf Heimat und innerhalb dessen ein Recht auf Rückkehr in dieselbe beinhaltet.1859 „Das Recht auf die Heimat ist ein Kernsatz des Selbstbestimmungsrechts …“1860
Das Selbstbestimmungsrecht der Völker in seiner Ausprägung als Recht auf die Heimat vermag somit bei abstrakter Betrachtung Nomaden eine Rückkehr in jene Gebiete zu ermöglichen, von denen sie vertrieben, oder aber durch eine nachträgliche Grenzziehung schlicht abgeschnitten wurden.
genüber der Europäischen Integration zeigt sich Bülck kritisch, jedoch nicht aus Ablehnung ihrer Idee, sondern vor dem Hintergrund des aus seiner Sicht „jahrhundertealten Riegel[s], der nur schwer zu bewegen ist: [der] national-territorialen Identität der europäischen Völker …“ (Hartwig Bülck, Der Europabürger, in: Ingo von Münch (Hrsg.), Staatsrecht – Völkerrecht – Europarecht, Festschrift für Hans-Jürgen Schlochauer zum 75. Geburtstag, De Gruyter 1981, 777, 809). 1854 Hartwig Bülck, Das Recht auf die Heimat (1950/51) JbIR, 58, 84. 1855 Rudolf von Laun, Das Recht der Völker auf die Heimat ihrer Vorfahren (1958) IRuD, 149, 165 ff. 1856 Vgl. Christian Tomuschat, Das Recht auf die Heimat (Fn. 1730) 200 ff. 1857 Otto Kimminich, Das Recht auf die Heimat (Fn. 1849) 15. 1858 Alfred Maurice de Zayas, Zur Aktualität des Rechts auf die Heimat, in: Alfred Maurice de Zayas/Christian Hillgruber (Hrsg.), Gerechtigkeit schafft Frieden – Beiträge zu Volksgruppenschutz und Recht auf die Heimat, BdV 1997, 14. 1859 Vgl. Christian Tomuschat, Das Recht auf die Heimat (Fn. 1730) 205. 1860 Alfred Maurice de Zayas, Das Recht auf die Heimat als Bestandteil universeller Rechtsnormen, in: Alfred Maurice de Zayas/Christian Hillgruber (Hrsg.), Gerechtigkeit schafft Frieden – Beiträge zu Volksgruppenschutz und Recht auf die Heimat, Bd. V 1997, 23, 24.
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cc) Zwischenfazit – sachlicher Schutzbereich hinsichtlich nomadischer Wanderrechte Das Recht nomadischer Völker, zu ihren angestammten Weide- und Lebensräumen zurückzukehren, ist vom Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts der Völker in seiner Ausprägung als Recht auf die Heimat umfasst. Die Erschließung neuer Wanderrouten und Weidegebiete hingegen kann hierdurch nicht gewährt werden, womit jedoch noch nicht gesagt ist, dass diese nicht unter Umständen zum wirtschaftlichen Gehalt des Selbstbestimmungsrechts gehören mag, wenn die gebietsungebundene nomadische Lebensweise als Wirtschafts- und Kulturform schlechthin, ohne Ansehung eines bestimmten Gebietes, geschützt ist. Weiterhin gewährt das Selbstbestimmungsrecht nomadischen Völkern im gewissen Rahmen Autonomie und ein Recht zur Beteiligung an solchen Abkommen, die grenzüberschreitende Wanderrechte regeln sollen. c) Einschränkbarkeit des Selbstbestimmungsrechts der Völker Wie oben1861 ausgeführt, stellt das Selbstbestimmungsrecht der Völker kein unbeschränkbares Recht dar, sondern muss vielmehr in die Balance zu den Rechten von Staaten und den Selbstbestimmungsrechten anderer Völker gebracht werden.1862 4. Abwägung des Selbstbestimmungsrechts in seiner Gestalt als nomadisches Grenzübertrittsrecht gegen kollidierende Rechte und Prinzipien des Völkerrechts Dass das Selbstbestimmungsrecht der Völker nicht abwägungsfest ist, ergibt sich nicht zuletzt aus dem Wortlaut der FRD,1863 welche das Selbstbestimmungsrecht in eine Beziehung zur territorialen Unversehrtheit und politischen Einheit souveräner Staaten setzt. Darüber hinaus wurde im Zuge v. a. der Dekolonisierung Afrikas das Selbstbestimmungsrecht der Völker dem Primat der Friedensbewahrung, Sicherheit und Stabilität gegenübergestellt.1864 Die Staaten Afrikas befürchteten, dass eine Infragestellung aller kolonialen Grenzen zu gewaltsamen Auseinandersetzungen auf dem ganzen Kontinent führen würde und entschieden sich so für das Prinzip Utipossidetis. Während der territorialen Integrität in erster Linie die Bewahrung der 1861
F. IV. 3. b) aa). Martti Koskenniemi, National Self-Determination Today (Fn. 1699) 251. 1863 UNGA, Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States in accordance with the Charter of the United Nations (24. Oktober 1970) UN Doc A/RES/25/2625. 1864 AU, From Barriers to Bridges, Collection of Official Texts on African Borders from 1963 to 2012, online unter: http://www.peaceau.org/uploads/au-1-en-2013-barriers-to-bridges. pdf (zuletzt aufgerufen am 24. Oktober 2018), 6 f.; Rüdiger Wolfrum, Art. 1, in: Bruno Simma/ Daniel-Erasmus Khan/Georg Nolte/Andreas Paulus (Hrsg.), The Charter of the United Nations – A Commentary, 3. Auflage, Oxford UP 2012, Rn. 5. 1862
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Staaten zugrundeliegt, ist der Uti-possidetis-Gedanke geprägt vom Bestreben nach Friedenswahrung, welches als höchstes Ziel der UN gesehen werden kann.1865 Die Abwägbarkeit des Selbstbestimmungsrechts der Völker ergibt sich aber auch aus der ursprünglichen Konzeptionalisierung des Selbstbestimmungsrechts als Rechtsprinzip.1866 a) Abwägung zwischen nomadischem Grenzübertrittsrecht und territorialer Integrität „Es gibt im Völkerrecht zwei sich widersprechende Rechtsprinzipien: Das Selbstbestimmungsrecht steht gegen die territoriale Integrität eines Staates. Die Staatenpraxis hat die Unverletzlichkeit der Grenzen stets höher angesetzt.“1867
Die Friendly Relations Declaration1868 stellt klar, dass die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts nicht die territoriale und politische Einheit souveräner Staaten beeinträchtigen dürfe, sofern diese Staaten eine Regierung besitzen, die das Volk in Gänze repräsentiert. Hierdurch konstruiert sie einen prinzipiell intendierten Vorrang der sich in territorialer Integrität manifestierenden Souveränität der Staaten gegenüber dem Selbstbestimmungsrecht für den Fall, dass durch Ausübung des Selbstbestimmungsrechts die territoriale oder politische Einheit des Staates beeinträchtigt wird.1869 Dieser Vorrang kann jedoch durch die Rückausnahme beseitigt werden, dass eine Regierung z. B. aus rassistischen Motiven nicht das gesamte Volk repräsentiert, allerdings nur bei einer Gefährdung der territorialen oder politischen Einheit. Dieses geschilderte Verhältnis zwischen Regel, Ausnahme und Rückausnahme, zwischen staatlicher Integrität und Selbstbestimmungsrecht wird anhand der überwältigenden Ablehnung eines Sezessionsrechts in Literatur und Staatenpraxis deutlich.1870 Die geschilderte Rückausnahme manifestiert sich in der Diskussion um eine umstrittene „Remedial Secession“.1871 1865
Rüdiger Wolfrum, Art. 1, in: Bruno Simma/Daniel-Erasmus Khan/Georg Nolte/Andreas Paulus (Hrsg.), The Charter of the United Nations – A Commentary, 3. Auflage, Oxford UP 2012, Rn. 5. 1866 Jörg Fisch, Das Selbstbestimmungsrecht (Fn. 1697) 218 ff. 1867 Hans-Joachim Heintze, Es handelt sich um eine Willensbekundung, Frankfurter Rundschau (18. März 2014). 1868 UNGA, Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States in accordance with the Charter of the United Nations (24. Oktober 1970) UN Doc A/RES/25/2625. 1869 James Crawford, Creation of States (Fn. 302) 390; Dinh Nguyen Quoc/Patrick Daillier/ Alain Pellet, Droit international public, 7. Auflage, LGDJ 2002, 521; Joshua Castellino, The UN Principle of Self-Determination and Secession from Decolonized States: Katanga and Biafra, in: Aleksandar Pavkovic/Peter Radan (Hrsg.), The Ashgate Research Companion to Secession, Ashgate 2011, 117, 128. 1870 James Crawford, ebd., 415, Peter Hilpold, Die Sezession (Fn. 1801); Claus Kreß, Putins Worte sind abwegig, der Spiegel (7. März 2014).
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Im hier diskutierten Kontext ist indes fraglich, ob diese auf Sezessionen zugeschnittenen Maßstäbe ohne weiteres auf nomadische Grenzübertrittsrechte übertragbar sind. Denn die Friendly Relations Declaration stipuliert lediglich: „Nothing in the foregoing paragraphs shall be construed as authorizing or encouraging any action which would dismember or impair […] the territorial integrity or political unity of sovereign and independent States …“1872
Die Schwelle für einen Vorrang der staatlichen Souveränität ist somit erst erreicht, wenn die Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes die Zerstückelung oder Beeinträchtigung der territorialen oder politischen Einheit eines souveränen und unabhängigen Staates befürchten lässt. Während eine drohende Sezession zweifelsohne zu einer territorialen Zerstückelung führt, ist diese Folge bei Ausübung eines nomadischen Wanderrechtes nicht gegeben. Eine Ausnahme kann im konkreten Fall dann gegeben sein, wenn ernsthafte Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass, wie im Falle der Beduinen in der Negev, die Nomaden ihre Grenzübertritte nicht nur zur Viehbeweidung, sondern auch zum Waffenschmuggel für separatistische Rebellengruppen nutzen.1873 Jenseits dieses Sonderfalles ist allenfalls eine Gefährdung der politischen Einheit eines Staates denkbar, wenn etwa drohende Ressourcenkonflikte zwischen Nomaden und Ackerbauern ernsthaft geeignet sind, sich, wie in der Zentralafrikanischen Republik, zum Bürgerkrieg aufzuschaukeln. Durch diese Gefährdung des inneren Friedens kann auch die politische Einheit beeinträchtigt sein. Die mit Blick auf Sezessionen getroffene Aussage Martti Koskenniemis, dass zwischen der den Staat herausfordernden Funktion des Selbstbestimmungsrechts nichtstaatlicher Völker und dem den Staat bewahrenden Selbstbestimmungsrecht von Staatsvölkern kein generelles Vorrangverhältnis konstruiert werden kann,1874 bleibt somit auch mit Blick auf nomadische Grenzübertrittsrechte wahr, da auch in diesem Fall das bewahrende Selbstbestimmungsrecht mit der staatlichen Souveränität parallel läuft. Ob, und in welchem Rahmen Staaten die grenzüberschreitenden Wanderungen nomadischer Völker einschränken dürfen, muss daher im konkreten Einzelfall durch eine Abwägung der widerstreitenden Interessen beantwortet werden. Hierbei muss nicht nur die jeweilige vom Nomadenvolk ausgehende Gefährdung, sondern auch die 1871 Peter Hilpold, Die Sezession (Fn. 1801) 25; Simone van den Driest, Remedial Secession (Fn. 1801); Hans-Joachim Heintze, Es handelt sich um eine Willensbekundung, Frankfurter Rundschau (18. März 2014); kritisch hierzu: Katherine del Mar, The Myth of Remedial Secession (Fn. 1801) 79 ff.; Andreas von Arnauld, Völkerrecht (Fn. 233) Rn. 68. 1872 UNGA, Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States in accordance with the Charter of the United Nations (24. Oktober 1970) UN Doc A/RES/25/2625. 1873 Avinoam Meir/Haim Tsoar, International Borders and Range Ecology (Fn. 72) 50. 1874 Martti Koskenniemi, National Self-Determination Today (Fn. 1699) 250.
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Eingriffsintensität berücksichtigt werden. Diese ist einerseits abhängig von der staatlichen Maßnahme, andererseits aber auch z. B. von Umständen wie der territorialen Verwurzelung eines Nomadenvolkes. So wiegt ein Zutrittsverbot zu traditionellen Weidegründen, auf denen vielleicht, wie bei den Endorois, die Ahnen bestattet sind, viel schwerer als das Verbot neue Weidegründe zu erschließen. Auch sind an eine vollständige Verwehrung des Grenzübertritts höhere Schwellen anzulegen als beispielsweise an die aus Seuchenschutzgründen verfügte Pflicht zur Nutzung bestimmter mit Tierärzten ausgestatteter Grenzübergangsstellen1875 oder die Beschränkung der Wanderungen auf bestimmte Zeiträume.1876 Wenn von der Beweidung traditioneller Weiden ohne Aussicht auf gewaltsame Ressourcenkonflikte keine Gefahr für die politische Einheit eines Staats ausgeht, dann stellt sich eine gänzliche Verwehrung der Einreise als unverhältnismäßig dar. Wenn somit Staaten für sich in Anspruch nehmen, in der Verfügungsgewalt über die Permeabilität ihrer Grenzen kraft ihrer Souveränität gänzlich frei verfügen zu können,1877 so kontrastiert diese Einschätzung mit dem dargestellten Verhältnis zwischen staatlicher Souveränität und Selbstbestimmungsrecht der Völker. Zumindest mit Blick auf Nomaden kann die Verhältnismäßigkeit einer grundsätzlichen Abweisung an der Grenze nur dann gegeben sein, wenn durch die Einreise der Nomaden die territoriale oder politische Einheit des Staates ernsthaft gefährdet wäre. In allen anderen Fällen sind die Staaten dazu verpflichtet, einen Modus zu finden, mit dem das Selbstbestimmungsrecht nomadischer Völker mit der Ausübung der staatlichen Souveränität in Einklang gebracht werden kann. b) Abwägung zwischen nomadischem Grenzübertrittsrecht und Uti-possidetis – Ausgleich durch Permeabilität Das Uti-possidetis-Prinzip findet seine Anwendung in erster Linie nicht beim Überschreiten von Grenzen, sondern bei deren Ziehung oder postkolonialen Perpetuierung. Wenn eine Grenze jedoch ein Volk entzweiteilt, dann gerät das Utipossidetis-Prinzip in Konflikt mit dem Selbstbestimmungsrecht dieses Volkes. Um in diesem Konfliktverhältnis einen billigen Ausgleich zu erzielen, griff der IGH auf die „Stellschraube“ der Permeabilität zurück. Denn während die Ziehung einer Grenze nur binäre „Schwarz-weiß-Lösungen“ erlaubt, lassen sich durch die Gewährung von Grenzübertrittsrechten „Schattierungen“ erzielen. Bereits bei der Festlegung einer Grenze lässt sich somit durch die Gewährung von Grenzübertrittsrechten für Nomaden Verhältnismäßigkeit herstellen. Im Grenzstreit zwischen Burkina-Faso und 1875
Vgl. D. IV. 3. – 4. Norwegen ./. Schweden, Agreement on the grazing of reindeer (with annexed maps, and with exchange of letters dated on 28 April 1972) (9. Februar 1972) 969 UNTS i-14021. 1877 Ryan Liss, A Right to Belong (Fn. 1074) 1097; Phillip Cole, The Immorality of Borders (Fn. 1074) 1; Joseph H. Carens, Aliens and Citizens (Fn. 1074) 251; Hans-Detlef Horn, Grenzschutz im Migrationsrecht (Fn. 1074) 147. 1876
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Niger war der IGH damit beauftragt, den Grenzverlauf zu bestimmen, wobei er v. a. auf den Uti-possidetis-Grundsatz hinsichtlich des Erhalts der alten Kolonialgrenzen zurückgriff.1878 Er bemerkte jedoch, dass die nach diesem Prinzip festzulegende Grenze die traditionellen Weiderouten von Nomaden zerschneiden würde. Daher stellte er fest: „Having determined the course of the frontier between the two countries […], as the Parties requested of it, the Court expresses its wish that each Party, in exercising its authority over the populations concerned, in particular those of the nomadic or semi-nomadic populations, and to the necessity to overcome difficulties that may arise for them because of the frontier, the Court notes the co-operation that has already been established on a regional and bilateral basis between the Parties in this regard, in particular under Chapter III of the 1987 Protocol of Agreement, and encourages them to develop it further.“1879
Noch deutlicher wurden in diesem Zusammenhang die Richter Cançado Trindade und Bennouna in ihren jeweiligen Erklärungen. Cançado Trindade stellte fest: „More important than the aforementioned challenges, controversities, uncertainties, is the fact, that when it comes to take into account the fulfilment of the needs of the peoples (nomadic or semi-nomadic), living in, and moving around the region across the border, both Burkina Faso and Niger appear to converge in their acknoledgement of a shared and common duty to that end […]. More than that, they have recognized to be bound by their duty of co-operation in this respect. Such engagement in securing the freedom of movement of those persons is, in my perception, highly significant, and stands to the credit of both Niger and Burkina Faso.“1880
Mohammed Bennouna wiederum stellt die Kooperation als Mittel in den Vordergrund um die Verwerfungen auszugleichen, die dadurch entstanden sind, dass mit dem europäischen Territorialstaatsmodell Afrika ein System aufoktroyiert wurde, welches den Realitäten und dem Erbe dieses Kontinents entgegenläuft: „the focus should perhaps be on the essence of the issue, because the frontier, as predicated on the Westphalian model, is far removed from the cultural heritage of this region of the world. In the framework of a good-neighbourliness relation, it is for the parties to rediscover this heritage by deepening, as encouraged by the Court, their co-operation.“1881
Die Gewährung von Grenzübertrittsrechten ermöglicht es hier die grenzenlosen Traditionen und Wirklichkeiten Afrikas zu berücksichtigen, ohne hiermit das staa-
1878 IGH, Frontier Dispute (Burkina Faso ./. Niger) Judgment (16. April 2013) ICJ Rep 2013, 44, Rn. 63. 1879 IGH, Frontier Dispute (Burkina Faso ./. Niger) Judgment (16. April 2013) ICJ Rep 2013, 44, Rn. 112. 1880 IGH, Frontier Dispute (Burkina Faso ./. Niger) Sondervotum Richter Cançado Trindade (16. April 2013) ICJ Rep 2013, 44, 107, Rn. 31. 1881 IGH, Frontier Dispute (Burkina Faso ./. Niger) Erklärung von Richter Mohamed Bennouna (16. April 2013) ICJ Rep 2013, 44, 96.
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tenbasierte Völkerrecht in Gänze verwerfen zu müssen, wie dies Andrea Bianchi befürchtete.1882 c) Abwägung verschiedener Selbstbestimmungsrechte gegeneinander Wie dargelegt kann es vorkommen, dass das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes mit dem Selbstbestimmungsrecht eines anderen Volkes kollidiert. Dies ist nicht nur im Falle eines sezessionswilligen Volkes möglich, dessen Selbstbestimmungsrecht mit dem Selbstbestimmungsrecht des jeweiligen Staatsvolkes kollidiert. Das im Selbstbestimmungsrecht enthaltene Recht auf Nutzung der eigenen Ressourcen kann bspw. mit dem Recht eines anderen Volkes auf Erhalt dieser Ressourcen im Konflikt stehen, etwa wenn aufgrund einer nomadischen Landnutzung Überweidung und hierdurch Bodendegradation droht. Auch hier muss die Abwägung anhand des konkreten Einzelfalls erfolgen und lässt sich z. B. durch Vereinbarung von Weidezeiträumen und Landschaftsschutzgebieten einzelfallgerecht bewältigen. 5. Anwendung der Prinzipientheorie auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker „The right to self-determination leaves […] a measure of discretion with respect to the forms and procedures by which that right is to be realized.“1883
Ursprünglich war das Selbstbestimmungsrecht der Völker nicht als Recht, sondern nur als Prinzip konzipiert.1884 Durch die Erstarkung zum Recht ist jedoch der Prinzipiencharakter des Selbstbestimmungsrechts nicht verloren gegangen.1885 Vielmehr ist ein Dualismus von Rechts- und Prinzipiencharakter möglich.1886 Robert Alexy identifizierte einen solchen Dualismus für die Grundrechte.1887 Dieses Dualismusmodell lässt sich jedoch auch ins Völkerrecht übertragen,1888 insbesondere da das Selbstbestimmungsrecht, nicht zuletzt dank seiner Perpetuierung in den Menschenrechtspakten, wesensmäßige Parallelen zu den Grundrechten aufweist. Die Erstarkung des Selbstbestimmungsrechts der Völker vom Prinzip zum Recht hat somit dessen Prinzipiencharakter lediglich ergänzt, nicht aber ersetzt.1889 1882
Andrea Bianchi, The Fight for Inclusion (Fn. 680) 41 f. IGH, Western Sahara Advisory Opinion (16. Oktober 1975) ICJ Rep 1975, 12 Rn. 71. 1884 Jörg Fisch, Das Selbstbestimmungsrecht (Fn. 1697) 218 ff. 1885 Antonio Cassese, Self-determination of peoples, a legal reappraisal, Cambridge UP 1995, 129. 1886 Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, Suhrkamp 1994, 122 ff. 1887 Ebd. 1888 Thomas Kleinlein, Konstitutionalisierung im Völkerrecht, Springer 2012, 676. 1889 Vgl. Antonio Cassese, Self-determination of peoples (Fn. 1885) 319. 1883
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Was bedeutet die Klassifizierung als Prinzip nun für das Recht? Zum einen unterscheidet sich ein Prinzip von einer Regel dadurch, dass es sich um eine „more general and more fundamental“ Norm handelt, wie der IGH im „Gulf of Maine“-Fall feststellte.1890 Diese Beschreibung kategorisiert jedoch nur anhand des Tatbestandes, trifft aber keine Aussage über die unterschiedlichen Rechtsfolgen von Regeln und Prinzipien.1891 Diesbezüglich differenzieren die Prinzipientheorien Dworkins1892 und Alexys1893. Ihnen zufolge ist es Wesensmerkmal eines Prinzips, dass es auf Rechtsfolgenseite ein Optimierungsgebot statuiert.1894 Ein Optimierungsgebot wird, anders als eine Regel, nicht binär erfüllt oder nicht erfüllt,1895 sondern muss stets im Einzelfall mit anderen Prinzipien in Abwägung gebracht werden.1896 Diese Methode der Ausgleichssuche wird für alle Prinzipien des Art. 1 UN-Charta angewandt, wobei die Bewahrung des Friedens als „purpose of all purposes“ quasi die „Trumpfkarte“ darstellt.1897 In diesem rechtsfolgenbezogenen Sinne eines Optimierungsgebots muss daher auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker verstanden werden.1898 Dies hat zur Konsequenz, dass im Rahmen der Abwägung des Einzelfalls das Selbstbestimmungsrecht in unterschiedlichen Konstellationen jeweils ein unterschiedliches Gewicht haben kann.1899 Während z. B. hinsichtlich einer Sezession das Selbstbestimmungsrecht meist hinter der territorialen Integrität zurücktritt,1900 kann dieses Abwägungsergebnis zu Gunsten der Selbstbestimmung kippen, wenn deren Waagschale zusätzlich durch gravierende Menschenrechtsverletzungen beschwert wird (Remedial Secession). Während die Frage einer Sezession jedoch nur binäre Lösungen erlaubt, ist die Thematik grenzüberschreitender Wanderrechte vielschichtiger. Sie ist daher für die Anwendung der Prinzipientheorie besonders geeignet, denn diese zielt darauf ab, im 1890 IGH, Delimitation of the Maritime Boundary in the Gulf of Maine Area (Kanada ./. USA) Judgment (12. Oktober 1984) ICJ Rep 1984, 246, Rn. 79; vgl. in dieser Richtung auch Joseph Raz, Legal Principles and the Limits of Law (1972) Yale LJ, 823, 838; Goerge C. Christie, The Model of Principles (1968) Duke LJ, 853, 872. 1891 Jasper Finke, Sovereign Immunity: Rule, Comity or Something Else? (2010) EJIL, 853, 872. 1892 Ronald Dworkin, Taking Rights Seriously, Harvard UP 1977; ders., The Model of Rules (1976 – 68) UChicagoLR, 14 ff. 1893 Robert Alexy, Theorie der Grundrechte (Fn. 1886). 1894 Ebd. 75. 1895 Ebd.; Ronald Dworkin, Taking Rights Seriously (Fn. 1892) 24; Niels Petersen, Verhältnismäßigkeit als Rationalitätskontrolle, Mohr Siebeck 2015, 61. 1896 Ronald Dworkin, ebd., 72. 1897 Rüdiger Wolfrum, Art. 1, in: Bruno Simma/Daniel-Erasmus Khan/Georg Nolte/Andreas Paulus (Hrsg.), The Charter of the United Nations – A Commentary, 3. Auflage, Oxford UP 2012, Rn. 5. 1898 Vgl. Antonio Cassese, Self-determination of peoples (Fn. 1885) 128 ff. 1899 Robert Alexy, Theorie der Grundrechte (Fn. 1886) 79. 1900 James Crawford, Creation of States (Fn. 302) 387; Hans-Joachim Heintze, Es handelt sich um eine Willensbekundung, Frankfurter Rundschau (18. März 2014).
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Konfliktfall nicht nur ein Prinzip komplett zurücktreten zu lassen, sondern beide kollidierenden Prinzipien teilweise zu verwirklichen, sodass sie optimal nach den rechtlichen wie tatsächlichen Möglichkeiten realisiert werden.1901 Prinzipien erlauben statt binärer Alles-oder-nichts-Lösungen ein breites Spektrum möglichen Verhaltens.1902 Genau diese „stufenlose Regelbarkeit“ nutzte der IGH im Grenzstreit zwischen Burkina Faso und Niger, indem er zwar nach dem Uti-possidetis-Grundsatz eine binäre Grenze zog, daneben aber die Kooperation der Staaten zur flexiblen Handhabung von nomadischen Grenzübertritten hervorhob.1903 Auch die Gewährung von Grenzübertrittsrechten muss nach der Prinzipientheorie nicht binär erfolgen. Statt ein Volk per se an der Grenze abzuweisen, kann eine „stufenlose“ Balancesuche zwischen den Selbstbestimmungsrechten verschiedener Völker, der staatlichen Territorialhoheit, dem Umweltschutz und der Friedenswahrung zu Abwägungsergebnissen führen, die unter Beteiligung der Nomaden bestimmte Wanderrouten und Schutzgebiete, bestimmte Vieh- und Personenanzahlen, bestimmte tierärztliche Auflagen und bestimmte Verhaltenskodizes im Gastland festlegen. Diese Lösung wird auch dem Ius-cogens-Charakter des Selbstbestimmungsrechts gerecht. Dieser impliziert nämlich, dass das Selbstbestimmungsrecht nicht derogierbar ist. Durch den Rückgriff auf die Prinzipientheorie wird eine Derogation vermieden, indem die Berücksichtigung eines kollidierenden Prinzips das Selbstbestimmungsrecht gerade nicht verdrängt, sondern nur insoweit „eindellt“, wie es der Ausgleich der Interessen im konkreten Falle erfordert.
6. Schlussfolgerung Aufgrund ihrer jeweiligen freiwilligen Selbstorganisation unter einem gemeinsamen Recht handelt es sich bei nomadischen Völkern um Völker im Sinne des Selbstbestimmungsrechts der Völker. Einerseits zeigt nämlich v. a. die Historie des Selbstbestimmungsrechts, dass dieses nie entlang ethnischer Kriterien angewandt wurde, und darüber hinaus weist auch kaum eins der in jedem Falle anerkannten Staatsvölker eine entsprechende ethnische Homogenität auf. Auch ein staatsbezogener Volksbegriff überzeugt nicht, denn weder handelte es sich bei den einstigen Kolonien vor deren Unabhängigkeit um Staaten, noch ist konstitutionelle Organisation nur im staatlichen Rahmen denkbar. Der persönliche Schutzbereich des 1901 Julian Udich, Zur Wirkung der internationalen Werteordnung im Recht – Anwendung einer Prinzipientheorie?, in: Bardo Fassbender/Angelika Siehr (Hrsg.), Suprastaatliche Konstitutionalisierung – Perspektiven auf die Legitimität, Kohärenz und Effektivität des Völkerrechts, Nomos 2012, 135, 144. 1902 Jasper Finke, Sovereign Immunity (Fn. 1891) 872. 1903 IGH, Frontier Dispute (Burkina Faso ./. Niger) Judgment (16. April 2013) ICJ Rep 2013, 44, Rn. 112.
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F. Wanderrechte im kodifizierten Völkerrecht
Selbstbestimmungsrechts der Völker kann daher nur in Gestalt einer vom subjektiven Willen getragenen konstituierten Civitas bestimmt werden. Aus dem Selbstbestimmungsrecht der Völker haben Nomadenvölker das Recht auf Pflege ihrer eigenen Kultur- und Wirtschaftsform, Nutzung ihrer Ressourcen sowie auf Beteiligung an Entscheidungsprozessen, die sie diesbezüglich betreffen. Auch ein Recht auf Heimat ist dem Selbstbestimmungsrecht immanent, welches Nomaden die Einreise in die Staaten ihrer traditionellen Weide, bzw. Fisch- und Jagdgründe gewährt. Dies gilt auch dann, wenn zwischen dem z. T. unfreiwilligen Verlassen der „Heimat“ und der begehrten Rückreise ein längerer Zeitraum lag. All diese Rechte sind nicht vorbehaltslos gewährt. Vielmehr handelt es sich beim Selbstbestimmungsrecht auch um ein Rechtsprinzip, was mit konkurrierenden Selbstbestimmungsrechten aber auch anderen Prinzipien, wie dem Uti-possidetisPrinzip und der territorialen Souveränität unabhängiger Staaten in Abwägung gebracht werden muss. Billige Abwägungsergebnisse, die sowohl dem Selbstbestimmungsrecht nomadischer Völker, als auch den Gegenrechten von Staaten und Staatsvölkern gerecht werden, können z. B. durch Festlegung geeigneter Grenzübergänge, Wanderzeiträume, tierärztlicher Auflagen und Bestimmungen über Herdengrößen erzielt werden, welche in Abstimmung mit den beteiligten Nomaden ausgehandelt werden.
G. Clans, Nomaden und die Relativität von Grenzen im 21. Jahrhundert – Was bleibt von Jellinek? Die Grundlage der völkerrechtlichen Weltordnung des 20. Jahrhunderts war jener schicksalsschwere Satz Georg Jellineks: „Der Staat ist die mit ursprünglicher Herrschaftsmacht ausgestattete Körperschaft sesshafter Menschen.“1904
Seinen Überlegungen zur Allgemeinen Staatslehre stellte Jellinek den Befund voran, dass „… alle anderen organisierten Ordnungen ohne den Staat nicht zu bestehen vermögen …“1905 Dieser Befund ist auch über 100 Jahre nach Erscheinen der Jellinek’schen Staatslehre eher Ausdruck eines rechtlichen Wollens, denn Beschreibung eines tatsächlichen Zustands. Doch wie dargelegt, hat sich das rechtliche Wollen in den letzten Jahren gewandelt. Statt die Welt im Jellinek’schen Sinne in Territorialstaaten zu ordnen, akzeptiert das Völkerrecht nunmehr wieder, wie bereits vor Jellinek u. a. Carlos Calvo,1906 dass es Rechtssubjekte neben Staaten gibt. Es fordert die Anerkennung nomadischer Rechte und berücksichtigt deren grenzüberschreitende Mobilität in völkerrechtlichen Verträgen. Pessimisten könnten angesichts dessen konstatieren, dass die Utopie einer in Staaten geordneten Welt vor den Realitäten kapituliert habe. Optimisten könnten demgegenüber befinden, dass das Völkerrecht endlich aufgehört hat, ein bestimmtes eurozentristisches Ordnungsmodell zum Selbstzweck zur erklären und stattdessen wieder bereit ist, den Menschen und Völkern in deren natürlichen Lebensumwelten und -realitäten zu dienen.1907 Georg Jellinek beendete seine Allgemeine Staatslehre zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit den Worten: „Wer sinnend den Prozess steigender Gewähr der Festigung des öffentlichen Rechtes und der Erfüllung der auf ihm ruhenden individuellen Forderungen an den Staat überblickt, der kann, wenn er auch noch zweifelnd der Vortrefflichkeit menschlicher Dinge gegenübersteht, sich nicht des Gedankens erwehren, dass es der Zukunft vorbehalten sei, das schwer zu 1904 1905 1906
85.
Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre (Fn. 2) 173. Ebd., 4. Carlos Calvo, Manuel de Droit international, 3. Auflage, Arthur Rousseau 1892, § 49,
1907 IGH, Frontier Dispute (Burkina Faso ./. Niger) Sondervotum von Richter Cançado Trindade (16. April 2013) ICJ Rep 2013, 44, Rn. 89 ff.
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G. Clans, Nomaden und die Relativität von Grenzen im 21. Jahrhundert
erringende Gut unverbrüchlicher Rechtsordnung zum dauernden Besitze der Staaten und damit der Menschheit zu gestalten. Im Ausblick auf solche Zukunft soll dieses Buch geschlossen werden.“1908
Auch dieses Buch soll abschließend einen Ausblick wagen, wohin sich eine Weltordnung des 21. Jahrhunderts jenseits von Jellinek entwickeln kann.
I. Die Rückkehr der Clans Nach Mark Weiner darf die Beziehung zwischen antiquiertem Clan und modernem liberalen Staat nicht als Antagonismus verstanden, sondern muss vielmehr dialektisch gesehen werden.1909 Das Clanwesen wird – so Weiner – auch in den fortschrittlichsten Gesellschaften fortbestehen, und es sei wichtig, das Wie und Warum dieser Koexistenz zu verstehen um die Gesellschaft vor dessen Schattenseiten zu beschützen.1910 Zunächst einmal geschehe die Entwicklung von „status to contract“ nicht ohne Verluste. Der moderne Staat gewähre individuelle Freiheit zum Preis von gefühlter Sicherheit und Gemeinschaft und er gewähre wirtschaftlichen Wohlstand zum Preis sozialer Absicherung.1911 Die Sehnsucht nach dieser Geborgenheit im Clan, dessen Spiegelbild im westlichen Diskurs die Nation ist, beschreibt Clemens Schneider treffend als „Heimweh nach der Horde“.1912 Diese Sehnsucht ist die erste Ursache für das Gedeihen des Rule of the Clan. Die zweite Triebkraft hierfür sieht Weiner in dessen Fähigkeit zum eigenständigen Entstehen. Wo immer der Staat schwach oder ganz abwesend ist, wächst das Rule of the Clan automatisch. Diese beiden Feststellungen lassen zwar keine Zukunftsprognose zu. Aber sie erlauben eine Analyse von Ursache und Wirkung. Anhand einer solchen Ursachen-Wirkungs-Analyse malt Weiner eine Dystopie:1913 In seiner hypothetischen Zukunftsvision haben ein staatsfeindlicher Wirtschaftsliberalismus und ökonomische Krisen zur Privatisierung wichtiger staatlicher Institutionen, wie Bildung, Gesundheit, Marktregulierung und Polizei geführt. Diese Lücke füllen Clans, religiöse Institutionen, transnationale Unternehmen, Gangs und Verbrechersyndikate, regiert vom Rule of the Clan.1914
1908
Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre (Fn. 2) 775. Mark S. Weiner, The Rule of the Clan (Fn. 6) 167. 1910 Ebd., 167. 1911 Ebd., 167 f. 1912 Clemens Schneider, Nation: Fiktion und Konstruktion, in: Annette Siemes/Clemens Schneider (Hrsg.), Offene Grenzen? Chancen und Herausforderungen der Migration, Universum 2014, 72, 80. 1913 Mark S. Weiner, The Rule of the Clan (Fn. 6) 201 ff. 1914 Ebd. 1909
II. Klimawandel und Staatszerfall
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Weiner macht zwei Faktoren für das Entstehen des Rule of the Clan aus: die Abwesenheit des Staates und wirtschaftliche Not.1915 Beide Faktoren sind in Afrika und anderen Teilen der Welt jenseits des globalen Nordens keine Dystopie mehr, sondern bereits heute Realität und werden dies auf absehbare Zeit bleiben. Die Parallelexistenz zwischen staatlicher und clanrechtlicher Gesellschaftsordnung wird daher auch im 21. Jahrhundert fortbestehen.
II. Klimawandel und Staatszerfall Das grenzüberschreitende Nomadentum ist kein Zeichen von gesellschaftlicher Rückständigkeit, sondern von wirtschaftlicher Notwendigkeit. Diese Notwendigkeit kann zukünftig in weiten Teilen der Welt noch zunehmen, denn es ist ungewiss, wie sich die globalen Grasländer, sowie die ariden und semi-ariden Gebiete im Zuge des Klimawandels entwickeln werden. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass in manchen Gebieten, in denen sesshafter Ackerbau bis vor Kurzem noch möglich war, zukünftig nur noch die nomadische Lebensweise praktikabel sein wird.1916 Wenn Teile der Bevölkerung zum Überleben und zum Schutz ihrer natürlichen Ressourcen vor Überweidung darauf angewiesen sind, staatliche Grenzen wandernd in Frage zu stellen, dann wird die staatliche Ordnung ausgehöhlt und das ohnehin noch präsente Rule of the Clan wird zur allein oder vornehmlich bestimmenden Herrschaftsordnung, da allein das nichtterritorial radizierte Clanrecht entsprechende Flexibilität ermöglicht. 2015 handelte es sich bei den elf verfallensten Staaten um solche, die durch das Nomadentum mitgeprägt sind und von den 65 Staaten mit hoher Gefahr des Staatszerfalls gibt es nur in elf keine Nomaden.1917 Eine Unterbindung der lebensnotwendigen saisonalen Migration durch Grenzen steigert die Armut und schwächt die staatliche Ordnung und trägt so weiter zum Gedeih des Rule of the Clan bei. Ein Ausweg aus dem Dilemma kann daher nur in einer regulierten Ermöglichung der nomadischen Wanderungen bestehen: „Migration is a fact of history. We should learn to handle it, not pretend to stop it.“1918
Die präkolonialen Gesellschaftsordnungen haben in Regionen, in denen dies erforderlich ist, Strukturen geschaffen, die den Bevölkerungen flexible Reaktionen auf klimatische Schwankungen ermöglichten. Der Siegeszug des Territorialstaats hat diese Strukturen im 20. Jahrhundert zu unterbinden versucht. Das Völkerrecht des 21. Jahrhunderts hingegen ist in der Lage die nötigen dynamischen und atmenden Strukturen aufzunehmen. Ursächlich hierfür sind zwei Entwicklungen: Zum einen sind die Staaten nicht länger die alleinigen 1915 1916 1917 1918
Ebd., 200 ff. UN Environment Management Group, Global Drylands (Fn. 20) 46 ff. J. J. Messner (Hrsg.), Fund for Peace Fragile State Index 2015 (Fn. 327) 7. Simon Jenkins, Migration is a fact of life (Fn. 872).
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G. Clans, Nomaden und die Relativität von Grenzen im 21. Jahrhundert
Völkerrechtssubjekte. Zum anderen haben einige Staaten und internationale Gerichte erkannt, dass die grenzüberschreitenden Wanderungen nicht eingedämmt, sondern im Gegenteil durch zwischenstaatliche Kooperation ermöglicht werden müssen. Um sich vom lange herrschenden Dogma der Sesshaftigkeit als Grundlage jeglicher Gesellschaftsordnung zu lösen, ist es, anders als Andrea Bianchi befürchtet, nicht erforderlich, das Völkerrecht als Ganzes in Frage zu stellen.1919 Die vorstehenden Überlegungen haben gezeigt, dass das Völkerrecht auch jenseits von Staatlichkeit und Sesshaftigkeit ein Ordnungsgerüst bieten kann.1920 So wie vor Beginn des 20. Jahrhunderts völkerrechtliche Entitäten existierten, die mangels Sesshaftigkeit die Jellinek’schen Staatskriterien nicht erfüllten und mit denen dennoch internationale Abkommen geschlossen wurden,1921 kann dies auch im 21. Jahrhundert geschehen. Der IGH hat anerkannt, dass Staatenpraxis i.S.d. Gewohnheitsrechts nicht zwingend von Staaten ausgehen muss1922 und das Selbstbestimmungsrecht der Völker verleiht unter einem gemeinsamen Recht vereinten Gruppen mit entsprechendem Bewusstsein jenseits des Staates Rechtspersönlichkeit. „Die vom Staat sich lösende Gesellschaft tritt [daher] in die Wirklichkeit zurück“.1923
III. Die Entkopplung von Gebiet und Volk Es wäre verfrüht vom überschaubaren Phänomen transnationaler Nomaden alleine auf eine generelle Veränderung der weltweiten Gesellschaftsstrukturen zu schließen. Allerdings fügt sich dieses Phänomen als Baustein in eine umfangreichere Entwicklung ein, dergestalt, dass auch jenseits von transnationalen Nomaden eine Entkopplung von Volk und territorialem Staat, oder besser staatlichem Territorium stattfindet. Rechtlich manifestiert sich diese Entkopplung z. B. anhand der jüngeren Entscheidungen des UN Menschenrechtsausschusses zum Recht auf Einreise ins eigene Land, welches seit 2011 nicht länger zwingend das Land der Staatsangehörigkeit, sondern das der soziologischen Zugehörigkeit sein soll.1924 Sie zeigt sich aber auch
1919
Andrea Bianchi, The Fight for Inclusion (Fn. 680) 41 f. Hans Kelsen, Allgemeine Staatslehre, (Fn. 175) 147. 1921 Carlos Calvo, Manuel de Droit international (Fn. 5) § 49, 85. 1922 IGH, Dispute regarding Navigational and Related Rights (Costa Rica ./. Nicaragua) Judgment (13. Juli 2009) ICJ Rep 2009, 21 Rn. 141. 1923 Klaus Eder, Die Herstellung eines Europäischen Demos (Fn. 1784) 38. 1924 Ryan Liss, A Right to Belong (Fn. 1074) 1129 ff. 1920
IV. Jenseits von Jellinek
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daran, dass supranationale Organisationen wie die EU sich anschicken einen Demos jenseits des Staates zu etablieren.1925 Transnationale Nomaden, wie sie seit Jahrtausenden existierten und auch in der völkerrechtlichen Literatur des 19. Jahrhunderts Bestand hatten,1926 haben das 20. Jahrhundert der Staatenexklusivität faktisch überdauert und kehren nun im 21. Jahrhundert auch normativ wieder ins Völkerrecht zurück.
IV. Jenseits von Jellinek „… als ob es hundert Staaten gäbe, und hinter hundert Staaten keine Welt.“1927
Georg Jellineks Beschreibung des Staates als mit ursprünglicher Herrschaftsmacht ausgestattete Körperschaft sesshafter Menschen hat auch im 21. Jahrhundert ihre partielle Gültigkeit nicht eingebüßt. Allerdings wird zunehmend klar, dass dieses Bild allenfalls einen Ausschnitt der rechtlichen Wirklichkeit darstellt. Diese Erkenntnis lässt nun zwei mögliche Schlussfolgerungen zu: Entweder das Völkerrecht sesshafter Staaten behält seinen europäisch geprägten staatszentrierten Blickwinkel1928 und begnügt sich damit, lediglich einen Ausschnitt des komplexen Geflechts weltweiter Rechtsbeziehungen zu beschreiben, oder aber es versucht ein wahrhaft umfassendes globales Recht zu sein, welches sich den teils verworrenen, dynamisch fließenden, multipolaren und mehrschichtigen Wirklichkeiten öffnet. Akzeptierte das Völkerrecht des frühen 19. Jahrhunderts neben Staaten noch eine Vielzahl anderer Rechtssubjekte wie z. B. Sui-Generis-Strukturen zwischen Bundesstaat und Staatenbund wie das Heilige Römische Reich Deutscher Nation und eben nicht sesshafte nomadische Völker, so blendete das Völkerrecht des 20. Jahrhunderts all jene Facetten aus, die jenseits des staatlichen Idealbildes lagen. Ungeachtet der faktischen Realitäten wurde die „Körperschaft sesshafter Menschen“1929 zur ausschließlich gewollten rechtlichen Normalität erklärt.1930 Das Völkerrecht des 21. Jahrhunderts gewinnt nun allmählich die alte Komplexität zurück. Es akzeptiert neben Staaten wieder supranationale Sui-Generis-Strukturen und
1925
Klaus Eder, Die Herstellung eines Europäischen Demos (Fn. 1784) 37 ff.; Jasper Finke, Staatlichkeit als zeitgebundenes Konstrukt (Fn. 1794) 196. 1926 Paul Pradier-Fodéré, Traité de droit international public (Fn. 672) 152; Carlos Calvo, Manuel de Droit international (Fn. 5) § 49, 85; René Selosse, Traité de l’annexion du territoire francais (Fn. 676) 63 f. 1927 In Anlehnung an Rainer Maria Rilkes „Der Panther“. 1928 Martti Koskenniemi, Eurocentrism (Fn. 3) 154. 1929 Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre (Fn. 2) 173. 1930 Zur Unterscheidung zwischen der empirisch-faktischen und der normativen Dimension des Ausnahme-Begriffs, vgl. Jasper Finke, Funktion und Wirkung der Ausnahme (Fn. 4) 520 ff., 522 f.
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G. Clans, Nomaden und die Relativität von Grenzen im 21. Jahrhundert
löst sich vom Dogma der zwingenden Kongruenz von sesshaftem Volk und Staat, wie sie Jellineks Staatsdefinition zugrunde liegt. Transnationale Nomaden sind ein Beispiel dafür, wie eine Rechtsgemeinschaft jenseits von Staat und Grenze gedacht werden kann und wie auch diese Rechtsgemeinschaft im Völkerrecht ihren Platz hat.
H. Synopsis in Thesen Der Nomadismus kann definiert werden als die Fortbewegung von Bevölkerungsgruppen zum Zwecke des originären oder derivativen Erwerbs von Lebensgrundlagen. Er ist ein Modus des Bewohnens und der Nutzung von Gebieten, der auf Mobilität und Flexibilität basiert. Es handelt sich um ein Lebenssystem, eine Produktionstechnik und eine Anpassungsstrategie an instabile und unvorhersehbare äußere Bedingungen, unter denen die Verfügbarkeit von Ressourcen vom Zufalle abhängig ist. Der Territorialstaat mit seiner zwingenden Verschränkung von Volk und Gebiet entwickelte sich in Europa zwischen dem 13. und 17. Jahrhundert als Gegenentwurf zu den sich überlappenden und amorphen weltlichen Strukturen mit in Marken auslaufender Herrschaftsintensität und der integrativ-ideellen Gesellschaftsidee eines Volks Gottes der katholischen Kirche. Die Ziehung von Grenzen zur Abgrenzung von Gebietsherrschaft berührte nach allgemeinem Verständnis der frühen Neuzeit nicht die naturrechtlich zwingende Freizügigkeit über diese Grenzen, welche nur unter strengsten Voraussetzungen eingeschränkt werden durfte. Ihre Funktion als Migrationshindernisse bekamen die Grenzen Europas erst im Zuge des Ersten Weltkrieges. Die nach den Bevölkerungsverschiebungen des Zweiten Weltkriegs einsetzende Erlebbarkeit von Grenzen, an denen sich nicht nur Herrschaftsräume, sondern auch Sprachen und Nationen scheiden, führt zur Wahrnehmung dieser Grenzen als Conditio sine qua non von Staatlichkeit schlechthin. Dem europäischen Territorialstaats- und Grenzverständnis steht die gebietslose Gesellschaftsordnung des Rule of the Clan diametral entgegen. Anders als der moderne konstitutionell und territorial determinierte Staat, definiert sich der Clan nur durch eine genealogische Zugehörigkeit. Unter dem Rule of the Clan sind den Clans die Gebiete nicht dauerhaft zur souveränen unbeschränkten Herrschaft zugewiesen, sondern spezifische Nutzungsrechte an Gebieten werden verschiedenen Clans im Wechsel für begrenzte Zeit zur Verfügung gestellt. Die Nutzungsarten verschiedener Clans ergänzen sich und führen so zu einer möglichst flexiblen, effektiven und nachhaltigen Landnutzung. Insbesondere in den klimatisch variablen und unberechenbaren ariden und semiariden Zonen existiert das flexible Rule of the Clan parallel zu staatlichen Ordnungen, steht in Konkurrenz zu diesen oder ist mit ihnen rechtspluralistisch verschränkt.
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H. Synopsis in Thesen
Wenn das Rule of the Clan aufgrund seiner Flexibilität die einzige Gesellschaftsordnung darstellt, die in klimatisch unberechenbaren ariden und semi-ariden Gebieten funktioniert, muss die staatliche Ordnung dem Rule of the Clan rechtspluralistisch Raum geben, um eine System-Kollision zu vermeiden, welche letztlich zur Schwächung beider Systeme führen würde. Die staatliche Ordnung erlaubt eine solche Raumgabe durch die Gewährung von Grenzübertrittsrechten. Dies ist insbesondere dann völkerrechtlich verpflichtend, wenn bereits vor der Grenzziehung Landrechte bestanden, die nun vom Rechtsinhaber durch die Grenze abgeschnitten sind. Wie grenzüberschreitende Weide-, Wasser-, und Landrechte gestaltet werden können, zeigt eine mannigfaltige Praxis aus dem Europa der Zwischenkriegszeit, welche auch hier versuchte, zwischen Grenzziehung und der Wahrung privater Rechte zu vermitteln. Im Unterschied zu den Europäern der Zwischenkriegszeit fällt es den Nomaden Afrikas und Asiens indes schwer, ihre vorgrenzlichen Landrechte nachzuweisen. Indiz ist hier meist nur eine jahrzehntelange undokumentierte Praxis. Darüber hinaus werden unter dem Rule of the Clan Landrechte regelmäßig neu verhandelt, was zu einer fehlenden Kontinuität im Vergleich zu den Landrechten in Europa führt. In Übersee entstanden die bis zur Expansion der Europäer unbekannten starren und eindimensionalen Territorialgrenzen mehrstufig: Zunächst einigten sich die Europäer untereinander auf die gegenseitige Abgrenzung von Interessensphären, mit welcher sie sich inter partes Präemptionsrechte zusicherten. Sodann traten die Europäer in Vertragsverhandlungen mit den überseeischen Völkern, welche sie mit wenigen Ausnahmen als gleichberechtigte Rechtssubjekte anerkannten, oder sie eroberten diese militärisch (damals ein legitimes Mittel). Die unter den Europäern in Bezug auf Übersee ausgehandelten Grenzen entfalteten ursprünglich meist keine Rechtswirkung gegenüber den Kolonialvölkern und verdichteten sich erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend zu Hoheitsgrenzen. Erst mit der Dekolonisierung wurden aus den einstigen Einflussgebieten Staatswesen und die von den Kolonialmächten gezogenen Linien erstarkten zu Staatsgrenzen. Um sich in der Völkergemeinschaft zu behaupten und die Herrschaft nach innen zu sichern, wurden von den jungen Staaten die ererbten Grenzen nicht nur beibehalten, sondern mit dem Ziel des Nation-Building abgeriegelt. Einhergehend mit dem Zeitgeist der Zivilisierung und Sedentarisierung brachte v. a. die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts rechtlich das weitgehende Ende des grenzüberschreitenden Nomadentums mit sich, ungeachtet dessen, dass dies häufig im Verborgenen faktisch fortdauerte. Ökologisch, ökonomisch und soziologisch wurden Nomaden als rückständig angesehen, die umzuerziehen und sesshaft zu machen waren. Die ökonomischen, ökologischen und soziologischen Annahmen, welche der Abriegelung der Grenzen und Sedentarisierung der Nomaden zugrundelagen, sind im 21. Jahrhundert überholt bzw. zumindest umstritten.
H. Synopsis in Thesen
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Diesem wissenschaftlichen Paradigmenwechsel folgte eine Neubewertung transnationaler nomadischer Völker durch den IGH, der erkannte, dass allein die Festlegung eines Grenzverlaufs noch keinen Frieden schafft, sondern auch für die Bedürfnisse grenznaher Bevölkerungen Lösungen gefunden werden müssen. Die Staatenpraxis des noch jungen 21. Jahrhunderts gewährt Nomaden Grenzübertrittsrechte. Besonders die afrikanischen Regionalorganisationen versuchen hierdurch an die grenzenlose Vergangenheit des Kontinents anzuknüpfen. Aber auch in Zentralasien und Skandinavien sind entsprechende Rechtsgewährungen faktisch präsent und rechtlich in Vorbereitung. In entlegenen und dünn besiedelten Regionen oder in solchen, in denen die zwischenstaatlichen Beziehungen überwiegend auf Praxis statt auf geschriebenen Rechtsregeln basieren, kann bereits das grenzüberschreitende Verhalten der nomadischen Bevölkerung Völkergewohnheitsrecht konstituieren, sofern die betreffenden Staaten einer entgegenstehenden Rechtsüberzeugung nicht dadurch Ausdruck verleihen, dass sie die Grenzübertritte zu verhindern suchen. Das herrschende positive Völkerrecht gewährt dem Individuum aus verschiedenen menschenrechtlichen Garantien ein Recht auf Ausreise und Rückkehr ins eigene Land. Das eigene Land ist nicht anhand der Staatsangehörigkeit, sondern anhand einer soziologischen Verwurzelung zu bestimmen. Nach modernem Verständnis können nomadische Gemeinschaften indigene Völker sein. Die umfassendste Kodifikation der Rechte indigener Völker, die UNDRIP, ist jedoch rechtlich unverbindlich und die ILO-Konvention 169 ist zwar verbindlich, wurde aber erst von 22 Staaten ratifiziert, von denen die meisten nicht über signifikante nomadische Populationen verfügen. Sie wird aber von verschiedenen internationalen Gerichten häufig als Interpretationsmaßstab herangezogen. Als Minderheit können die Angehörigen nomadischer Völker nach Art. 27 IPBPR ein Recht auf Einreise in solche Länder verlangen, zu denen sie eine besondere Verwurzelung haben. Entgegen der früher noch herrschenden Auffassung ist es hierfür nicht erforderlich, auch die Staatsangehörigkeit des aufnehmenden Staates zu besitzen. Dem Selbstbestimmungsrecht der Völker als einem Recht auf nomadische Wanderungen wird entgegengehalten, nomadische Gemeinschaften seien kein Volk, das Selbstbestimmungsrecht beinhalte kein Recht auf grenzüberschreitende Wanderungen, oder ein solches Recht sei gegenüber der staatlichen Souveränität über die Grenzen nachrangig. Diese Einwände überzeugen indes nicht. Der Rechtsträger des Selbstbestimmungsrechts ist das Volk, verstanden im Sinne einer willentlich konstituierten Civitas. Durch ihre eigene im Rule of the Clan wurzelnde Rechtsordnung stellen nomadische Völker eine solche Civitas dar, sofern sie sich selbst als eine solche begreifen. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker gewährt nomadischen Völkern Autonomierechte und ein Recht auf Beteiligung, z. B. hinsichtlich der völkervertraglichen
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Regeln zum Grenzübertritt dieser Nomaden. Es gewährt außerdem das Recht, die eigene wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung zu gestalten, wozu auch die Wahl der nomadischen Lebens- und Wirtschaftsform gehört. Das Selbstbestimmungsrecht beinhaltet ebenfalls ein Recht auf Nutzung der eigenen Ressourcen. Schließlich enthält es ein Recht auf Heimat, welches auch ein Rückkehrrecht in jene Gebiete beinhaltet, von denen Nomaden durch Grenzen abgeschnitten wurden, zu denen sie sich aber traditionell verbunden fühlen. Die unter dem Selbstbestimmungsrecht gewährten Rechte sind jedoch keine absoluten Rechte, sondern müssen mit kollidierenden Rechten und Prinzipien in Abwägung gebracht werden. Dies sind z. B. die territoriale Integrität der Staaten, die Friedenswahrung, aber auch die Selbstbestimmungsrechte anderer Völker. Insbesondere die Anwendung des Uti-possidetis-Prinzips bei der Festlegung von Grenzen kann mit dem Selbstbestimmungsrecht nomadischer Völker kollidieren. Ein Ausgleich kann hier durch eine Permeabilität der jeweiligen Grenze für Nomaden gefunden werden. Ein Ausgleich zwischen dem im Wanderrecht manifesten Selbstbestimmungsrecht und kollidierenden Rechten und Prinzipien kann durch die Anwendung der Prinzipientheorie erreicht werden. Denn Prinzipien erlauben statt binärer Lösungen ein breites Spektrum abgestufter Zwischentöne. Statt also das Selbstbestimmungsrecht hinter der staatlichen Souveränität oder dem Selbstbestimmungsrecht eines anderen Volkes gänzlich zurücktreten zu lassen, können z. B. durch die Festlegung von Wanderkorridoren, Wanderzeiträumen und Herdengrößen billige Lösungen gefunden werden. Georg Jellinek beschrieb in seiner Staatslehre, was ein Staat ist. Diese Beschreibung hat auch heute ihre Gültigkeit behalten. Allerdings war mit ihr der rechtliche Wunsch verbunden, Staaten sollten die einzigen Rechtssubjekte auf internationaler Ebene sein. Dieser Wunsch war nicht nur unrealistisch, sondern auch dystopisch. Vielmehr hat vorstehende Arbeit gezeigt, dass es ein Völkerrecht jenseits von Territorialität und Sesshaftigkeit gibt. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass die Bedeutung jener Strukturen jenseits des Staates in der Zukunft wachsen wird. Das bestehende Völkerrecht ist in der Lage, dieser Entwicklung erfolgreich zu begegnen.
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County Council ./. Bird and Courtenay (26. September 1986) (unveröffentlicht), in Auszügen abgedruckt in: Regina ./. South Hams District Council ex parte Gibb (1994) 26 HLR 307 Horsham District Council ./. Secretary of State for the Environment (13. Oktober 1989) (unveröffentlicht), in Auszügen abgedruckt in: Regina ./. Shropshire County Council ex parte Bungay (1991) 23 HLR 195 London Borough of Greenwich ./. Powell (1989) 21 HLR 218 Mills ./. Cooper (1967) 2 WLR 1343, (1967) 2 QB 459 Regina ./. Dorset County Council ex parte Rolls (1994) 26 HLR 381 Regina ./. Shropshire County Council ex parte Bungay (1991) 23 HLR 195 Regina ./. South Hams District Council ex parte Gibb (1994) 26 HLR 307 Court of Appeal, Regina ./. South Hams District Council ex parte Gibb (1995) QB 158 Wrexham CBC ./. National Assembly for Wales, 2003 WL 21353283 Privy Council, Cooper ./. Stuart (1889), 14 AppCas, 286
Vereinigte Staaten von Amerika SCOTUS, Worcester ./. Georgia (1. Januar 1832) 31 US 515 SCOTUS, Johnson & Graham’s Lessee ./. McIntosh (28. Februar 1823) 21 US 8 Wheat. 543 SCOTUS, Cherokee Nation ./. Georgia (1. Januar 1831) 30 US 1, 5 Pet. 1, 1831 WL 3974, 8 L.Ed. 25 SCOTUS, Ware ./. Hylton (1796) 3 US (3 Dall.) 1999, 227 SCOTUS, The Paquete Habana (1900) 175 US 677 SCOTUS, The Scotia (1871) 81 US 170
II. Internationale Entscheidungen Internationaler Gerichtshof Ahmadou Sadio Diallo (Guinea ./. Demokratische Republik Kongo) Merits, Judgment (30. November 2010) ICJ Rep 2010, 639 • Sondervotum von Richter Cançado Trindade Case concerning Delimitation of the Maritime Boundary in the Gulf of Maine Area (Kanada ./. USA) Judgment (12. Oktober 1984) ICJ Rep 1984, 246 Case concerning Kasikili/Sedudu Island (Botswana ./. Namibia) Judgment (13. Dezember 1999) ICJ Rep 1999, 1045 Case concerning Right of Passage over Indian Territory (Indien ./. Portugal) Merits (12. April 1960) ICJ Rep 1960, 6 Case concerning the Temple of Preah Vihear (Kambodscha ./. Thailand) Merits (15. Juni 1962) ICJ Rep 1962, 14
398
Entscheidungsregister
Colombian-Peruvian asylum case (Kolumbien ./. Peru) Judgment (20. November 1950) ICJ Rep 1950, 266 Continental Shelf (Libyan Arab Jamahiriya ./. Malta) Judgment (3. Juni 1985) ICJ Rep 1985, 29 Dispute regarding Navigational and Related Rights (Costa Rica ./. Nicaragua) Judgment (13. Juli 2009) ICJ Rep 2009, 213 East Timor (Portugal ./. Australien) Judgment (30. Juni 1995) ICJ Rep 1995, 90 Fisheries Case (Großbritannien ./. Norwegen) Judgment (18. Dezember 1951) ICJ Rep 1951, 116 Frontier Dispute (Burkina Faso ./. Mali) Judgment (22. Dezember 1986) ICJ Rep 1986, 554 • Mémoire du Mali Frontier Dispute (Benin ./. Niger) Judgment (12. Juli 2005) ICJ Rep 2005, 90 Frontier Dispute (Burkina Faso ./. Niger) Judgment (16. April 2013) ICJ Rep 2013, 44 • Sondervotum von Richter Cançado Trindade • Burkina Faso’s Response to the Questions Put by Judge Cançado Trindade • Memorial Burkina Fasos • Erklärung von Richter Mohamed Bennouna Land, Island and Maritime Frontier Dispute (El Salvador ./. Honduras) Judgment (11. September 1992) ICJ Rep 1992, 351 Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970) Advisory Opinion (21. Juni 1971) ICJ Rep 1971, 16 Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion (9. Juli 2004) ICJ Rep 2004, 136 Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion (8. Juli 1996) ICJ Rep 1996, 226 Maritime Delimitation und Territorial Questions between Qatar and Bahrain, Jurisdiction und Admissibility (Katar ./. Bahrain) Judgment (1. Juli 1994) ICJ Rep 1994, 112 Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua ./. USA) Merits (27. Juni 1998) ICJ Rep 1986, 14 North Sea Continental Shelf (Deutschland ./. Dänemark; Deutschland ./. Niederlande) Judgment (20. Februar 1969) ICJ Rep 1969, 3 • Sondervotum von Richter Manfred Lachs Request for Interpretation of the Judgment of 15 June 1962 in the Case concerning the Temple of Preah Vihear (Cambodia / Thailand) (Kambodscha ./. Thailand) Provisional Measures, Order (18. Juli 2011) ICJ Rep 2011, 537 • Sondervotum von Richter Cançado Trindade Sovereignty over Pulau Ligitan and Pulau Sipadan (Indonesien ./. Malaysia) Judgment (17. Dezember 2002) ICJ Rep 2002, 625
Entscheidungsregister
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• Memorial Malaysias, Volume 1 (2. November 1999) Territorial Dispute (Libyan Arab Jamahiriya ./. Chad) Judgment (3. Februar 1994) ICJ Rep 1994, 6 Western Sahara Advisory Opinion (16. Oktober 1975) ICJ Rep 1975, 12 Ständiger Internationaler Gerichtshof Advisory Opinion No. 6 on certain questions relating to settlers of German origin in the territory ceded by Germany to Poland (10. September 1923) Legal Status of Eastern Greenland (5. April 1933) Series A/B, Nr. 53 The Case of the S.S. “Lotus“ (7. September 1927) Series A, Nr. 10 Ständiger Schiedshof Eritrea ./. Jemen, Award on Territorial Sovereignty and Scope of the Dispute, (9. Oktober 1998) (1998) XXII RIAA 211, (1999) 119 ILR 1, (2001) 40 ILM 900, ICGJ 379 (PCA 1998) Eritrea ./. Jemen, Award of the Arbitral Tribunal in the second stage of the proceedings (Maritime Delimitation) Decision (17. Dezember 1999) Russland ./. Türkei, Affaire de l’indemnité russe (11. November 1912) RSA, Bd. XI, 431 Mauritius ./. Großbritannien, Chagos Marine Protected Area Arbitration, Award (18. März 2015) ICGJ 486 (PCA 2015) • Memorandum Mauritius’, Annex 95 UN-Menschenrechtsausschuss AS ./. Kanada (1984) No. 68/1980, UN Doc CCPR/C/OP/1 Giosue Canepa ./. Kanada (1997) No. 558/1993, UN Doc CCPR/C/59/D/558/1993 Charles E Stewart ./. Kanada (1996) No. 538/1993, UN Doc CCPR/C58/D538/1993 Francesco Madafferi ./. Australien (2004) No. 1011/2001, UN Doc CCPR/C/81/D/1011/2001 Jama Warsame ./. Kanada (2011) No. 1959/2010, UN Doc CCPR/C/102/D/1959/2010 Simalae Toala et al. ./. Neuseeland (1998) No. 675/1995, UN Doc CCPR/C/70/D/675/1995 Stefan Lars Nystrom et al. ./. Australien (2011) No. 1557/2007, UN Doc CCPR/C/102/D/1557/ 2007 General Comment No. 15, The Position of Aliens under the Covenant (11. April 1986) UN Doc HRI/GEN/1/Rev.1 General Comment No. 23, Article 27 (Rights of Minorities) (8. April 1994) UN Doc CCPR/C/ 21/Rev.1/Add.5 General Comment No. 27, Article 12 (Freedom of Movement) (2. November 1999) UN Doc CCPR/C/21/Rev.1/Add.9 Schlussbeobachtungen zu Argentinien, UN Doc E/C.12/ARG/CO/3 Schlussbeobachtungen zu Australien, UN Doc E/C.12/AUS/CO/4 Schlussbeobachtungen zu Australien, UN Doc CCPR/CO/69/AUS
400
Entscheidungsregister
Schlussbeobachtungen zu Brasilien, UN Doc E/C.12/BRA/CO/2 Schlussbeobachtungen zu Chile, UN Doc CCPR/C/CHL//CO/5/Add.1 Schlussbeobachtungen zu Dänemark, UN Doc CCPR/CO/70/DNK Schlussbeobachtungen zu Ecuador, UN DOC E//C.12/1/Add.100 Schlussbeobachtungen zu Israel, UN Doc CCPR/C/ISR/CO/4 Schlussbeobachtungen zu Kambodscha, UN Doc E/C.12/KHM/CO/1 Schlussbeobachtungen zu Kanada, UN Doc CCPR/C/CAN/CO/6 Schlussbeobachtungen zu Kanada, UN Doc CCPR/C/79/Add.1058 Schlussbeobachtungen zu Kanada, UN Doc CCPR/C//CAN/CO/5 Schlussbeobachtungen zu Kolumbien, UN Doc E/C.12/COL/CO/5 Schlussbeobachtungen zu Mexiko, UN Doc CCPR/C/79/Add.109 Schlussbeobachtungen zu Norwegen, UN Doc CCPR/C/79/Add.112 Schlussbeobachtungen zu Russland, UN Doc E/C.12/RUS/CO/5 Schlussbeobachtungen zu Russland, UN Doc CCPR/C/RUS/CO/7 Schlussbeobachtungen zu Schweden, UN Doc CCPR/CO/74/SWE Schlussbeobachtungen zu Schweden, UN Doc CCPR/C/SWE/CO/6 Schlussbeobachtungen zu Venezuela, UN Doc CCPR/C/VEN/CO/4 UN-Ausschuss für für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte General Comment No. 21, Right of everyone to take part in cultural life (Art. 15, para. 1a of the Covenant on Economic, Social and Cultural Rights) (21 December 2009) UN Doc E/C.12/ GC/21 African Commission on Human and Peoples’ Rights Centre for Minority Rights Development (Kenya) and Minority Rights Group (on behalf of Endorois Welfare Council) ./. Kenya (11. – 25. November 2009) 276/03 Social and Economic Rights Action Center (SERAC) and Center for Economic and Social Rights (CESR) ./. Nigeria (27. Oktober 2001) 155/96 Huri – Laws ./. Nigeria (6. November 2000) 225/98 Katangese Peoples Congress ./. Zaire 75/92 (1995) ACHPR/RPT/8th Annex VI The Nubian Community in Kenya ./. Kenya (19. – 28. Februar 2015) 317/206 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Chagos Islanders ./. Großbritannien (11. Dezember 2012) App Nr. 35622/04 Handölsdalen Sami Village and Others ./. Sweden (30. März 2010) App Nr. 39013/04 • Sondervotum Richter Ineta Ziemele Hingitaq 53 ./. Dänemark (Thule Airbase Case) (12. Januar 2006) App Nr. 18584/04
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Interamerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte Kichwa Indigenous People of Sarayaku ./. Ecuador, Monitoring Compliance with Judgment, Order (22. Juni 2016) Mayagna (Sumo) Awas Tingni Community ./. Nicaragua, Judgment (31. August 2001) Moiwana Community ./. Surinam, Judgment (8. Februar 2006) Sawhoyamaxa Indigenous Community ./. Paraguay, Judgment (29. März 2006) Saramaka people ./. Surinam, Judgment (28. November 2007) Yakye Axa Indigenous Community ./. Paraguay, Judgment (17. Juni 2005) Interamerikanische Kommission für Menschenrechte Mayan Communities in the District of Toledo ./. Belize, Report on the merits No. 40/04 (12. Oktober 2004) Ostafrikanischer Gerichtshof First Instance Division, in the matter of a request by the Council of Ministers of the East African Community for an Advisory Opinion, Avisory opinion of the Court (2009) App No. 1 of 2008, online unter: http://eacj.org/wp-content/uploads/2012/11/advisory_opinion_1_of_2 008.pdf Weitere internationale Spruchkörper Eritrea-Ethiopia Boundary Commission, Decision Regarding Delimitation of the Border between the State of Eritrea and the Federal Democratic Republic of Ethiopia (13. April 2002) 41 ILM 1057 International Committee of Jurists entrusted by the Council of the League of Nations with the task of giving an advisory opinion upon the legal aspects of the Aaland Islands question, Report (Oktober 1920) Schiedsspruch, Max Huber, Island of Palmas case (Niederlande ./. USA) (4. April 1928) Reports of International Arbitral Awards, Vol. II, 829 US/Iranian Claims Tribunal, The United States of America (and others) and the Islamic Republic of Iran (and others), Award No. 108-A-16/582/591-FT (25. Januar 1984) 5 IranUSCTR 57 WTO Appellate Body, Japan – Taxes on Alcoholic Beverages II (4. Oktober 1996) WT/DS8/ AB/R, WT/DS10/AB/R and WT/DS11/AB/R
Personenverzeichnis Alexandrowicz, Charles Henry Alexy, Robert 333 f Alton, Wilhelm von 315 f Anderson, Benedict 312 Auman, Robert J 164
107, 111
Bacon, Samuel 119 Barre, Siad 78 Bédié, Henri Konan 160 Belarmin, Robert 304 Bennouna, Mohammed 332 Bianchi, Andrea 298, 340 Bisaz, Corsin 44 Bismarck, Otto von 64 Fn. 203, 86 Blackstone, William 101, 129 Bluntschli, Johann Caspar 136 Bodin, Jean 54, 62 Fn. 195, 197, 65 Brownlie, Ian 52 Bülck, Hartwig 326 Bynkershoek, Cornelius van 217 Calvo, Carlos 21 ff, 138, 337 Cançado Trindade, Antônio Augusto 172, 233, 332 Caplan, Bryan 239 Capotorti, Francesco 289 Carens, Joseph H 239 Cicero, Marcus Tullius 63 f, 317 Cobo, José R Martinez 257 ff, 266, 268 Cole, Mark D 284 Cole, Philipp 240 Cook, James 130 f Cox, Sir Percy 59 Crawford, James 43 Fn 91, 213, 306 f Cristescu, Aureliu 312
El Hinnawi, Essam 48 f Elsner, Bernd Roland 312, 315 Evans-Pritchard, Sir Edward 63 Ferguson, Niall 241 Fichte, Gottlieb 86 Finke, Jasper 316 Fisch, Jörg 101 f, 111 Fitzmaurice, Gerald 309 Franck, Thomas 304 Gaddafi, Muammar Al 79 Gathii, James Thuo 183 Gellner, Ernest 312 Gentili, Alberico 57 Fn. 168, 238 Gilbert, Jeremy 275 Göcke, Katja 278, 281 Grewe, Wilhelm G. 106 f. Grotius, Hugo 57, 69 f, 84, 135, 217, 239, 304 Häberle, Peter 317 Habermas, Jürgen 315 Haggenmacher, Peter 219 Hardin, Garret 145, 164 Hegel, Georg Friedrich 118, 217 Henkin, Louis 224 Hobbes, Thomas 319 ff Hobsbawm, Lord Eric 312 Hofmann, Rainer 292, 294 Holtzendorff, Franz von 137 f Hornung, Joseph 139 Hudson, Manly O 223 Huemer, Michael 239 Ipsen, Hans Peter
Daes, Erica-Irene 265 Dahrendorf, Ralf 302 Fn. 1688 Dupuy, René-Jean 224 Dworkin, Ronald 221, 334
326 Fn. 1853
Jellinek, Georg 21 ff, 51, 137, 183, 220, 337 ff, 341, 346 Jèze, Gaston 138
Personenverzeichnis Kämmerer, Jörn Axel 107 Kant, Immanuel 57 Fn. 168, 84, 129, 238 Kasson, John Adam 104 Kelsen, Hans 58 Fn. 175, 127, 183, 217, 219 f, 225 Khan, Daniel Erasmus 58, 69 Fn. 236 Khatana, Ram Parshad 31 Kohen, Marcelo 212 Koskenniemi, Martti 319 f Laband, Paul 183 Laun, Rudolf von 327 Las Casas, Bartholomé 109 Lenin, Vladimir Iljitsch 88, 303 Lerner, Natan 44 Fn. 91 Lindley, Mark Frank 102 Liss, Ryan 248 Livius, Titus 66 Locke, John 135 Lowe, Vaughan 226 f Löwenherz, Richard (König von England) 53 Fn. 140 Mangoldt, Hermann von 326 Fn. 1853 Martens, Friedrich von 137 f Menelik II, Sahle Mariam 77 Fn. 296 Mérignhac, Alexandre 139 Merkel, Angela 320 Moretti, Marco 102, 135 Murswiek, Dietrich 310, 315, 319 Nash, John F 164 Nkrumah, Kwame 123 Nolte, Georg 214 Nozick, Robert 221, 239 Nys, Ernest 102, 138 Oppenheim, Lassa Francis Ostrom, Elinor 165 f Pernice, Ingolf 315 Peters, Anne 221, 241 Pradier-Foderé, Paul 138
137
403
Rawls, John 221 f, 239 Rochau, Ludwig August von 64 Fn. 203, 86 Fn. 342, 87 Fn. 353 Rodriguez, Christina 248 Rousseau, Jean-Jacques 319 ff Saalfeld, Friedrich 136 Salomon, Charles 138 (ibn) Saud, Abd al-Aziz 60, 116 Savory, Allan 167 Schlee, Günther 61 Fn 191 Schlesinger, Arthur 312 Schmitt, Carl 21 Fn 1, 100 Schneider, Clemens 338 Selden, John 84, 239 Selosse, René 138 Somin, Ilya 241 Stalin, Josef Wissarionowitsch 51 Stoel, Max van der 288 Suarez, Francisco 129 Suharto, Haji Mohamed 154 Sy, Ousmane 84 Téson, Fernando 221 Tomuschat, Christian 224, 291, 307, 319 Triepel, Heinrich 217 Trudeau, Justin 284, 298, Vattel, Emer de 57 Fn. 168, 84, 130, 135, Verdross, Alfred 183 Vergil, Publius Maro 66 Vitoria, Francisco 56, 84, 239, 303 f Weiner, Mark S. 22, 59, 338 Whitlam, Edward Gough 154 Wilson, Woodrow 88, 303 Wolff, Christian Freiherr von 57 Fn. 168, 238 Wolfrum, Rüdiger 290, 294 Zippelius, Reinhold
183
Sachverzeichnis Abenaquis 133 Abeokuta 119 Abessinien 263 Aborigines 61 Fn. 191, 73 Fn. 272, 131 Absolutismus 55 Fn. 153, 84 Accra 122 Acquiescence 223 f., 232, 236 AEC 204 Afar 8, 79, 317 Afghanistan 76, 124 f. Afrikanische Union 61, 80, 118, 123, 182, 201 ff., 225 Afroasiatisch 264 Ägypten 31 Fn. 39, 40, 75 Fn. 281, 115, 147, 274, 304 Åland-Inseln 304 Alcáçovas, Vertrag von 99 Algerien 50, 171 Allmende siehe Tragik der Allmende Almwirtschaft 31 Alpen 27, 30 f., 91, 165 Altai 143, 178 Ältestenrat 65, 71, 79, 96, 318 Andamanensee 27 Angola 259 Annexion 131, 135, 139 Äquatorialguinea 284 Arabien 59 ff., 115 Arbeitsmigranten 42 aride Zonen 28, 31 f., 47, 67, 73, 166, 193, 339, 343 f. Ashmore Reef 155 f. Äthiopien 70 f., 77 f., 97, 115, 150, 161, 229, 270, 276, 284, 306, 317 Aufenthaltsrecht 49, 149 Aufklärung 303 Australien 73 Fn. 272, 80, 126, 130 ff., 153 ff., 245, 268 f., 282 autochthones Recht 58 f. Autonomie 322, 328, 345 Awas-Tigni 255
Bajau 154, 156 f., 171 f., 268 ff. Banjul 119 Banjul-Charta 253 ff., 310 Bantustan 326 Bayern 317 Beduinen 40, 115, 147, 152, 260, 274, 330 Benin 34, 91, 97, 189, 196, 284 Bergnomaden 30 Bhotiyas 124 bifokal 107 Bilad Shinguitti 310 biradikal 108, 111 f., 117, 219 Blutrache 65 Blutsverwandtschaft 61 Bogoriasee 254, 259 Bolivien 80 Borana 71 Fn. 257, 161, 270 f., 276 Bosnien 75 Fn. 281 Botswana 103, 140, 211, 230 Briten 59, 79 Fn. 308, 116, 119 f., 123 f., 130 Browse Islet 155 f. Bund der Vertriebenen 249, 269 Buren 45, 259 Burkina Faso 32 ff., 150, 171 f., 189, 196, 229, 233, 331 f., 335 Burundi 283 CAADP 202 Cape Coast 119 Cape Don 154 Cape Leveque 154 Caprivi 212, 310 Caravan Sites Act 37 f. Carrying Capacity siehe Tragfähigkeit Cartier Islet 155 f. CEBEVIRHA 197 ff. CEBV 189 CEMAC 185, 197 ff. Chagos siehe Ilois China 71 Fn. 257, 75 Fn. 281, 124 ff., 144 f.
Sachverzeichnis Christentum 55, 119 CILSS 191 Civitas 66, 89 Fn. 366, 315, 336 Clan 43, 61 ff., 113, 121 f., 167, 174, 237, 276, 337 ff., 343 ff. Clan, Rule of the/Clanrecht 22, 24 f., 43, 58 ff., 96, 113, 116 f., 120, 151, 167, 171, 174, 179, 193, 199, 205, 237, 255, 262, 275, 297, 300, 316, 318, 338 ff., 343 ff. Cobo-Definition 257 ff., 268 COMESA 161, 184 ff., 201 Conquista 109 Consensus 187, 299 Continuity, Principle of 110 Costa Rica 173, 224, 227 ff. Courtoisie 218 Dänemark 54, 89 ff. Dekolonisierung 117 f., 120, 140 f., 158, 174, 205, 268, 278, 302 f., 308, 311 ff., 324, 328, 344 Delaware 113 f., 133 Demokratie 65, 81, 241, 251, 322 f. Demokratische Republik Kongo 47, 170, 186, 259, 267 Den Haag 97 Denizen 248 Desertifizierung/Wüstenbildung 40, 146, 163, 167 deutsch 86 ff., 90, 97, 103, 241, 249, 269, 307, 314, 317 Deutsches Reich 86, 89 ff., 316, 341 Deutschland 89 f., 92, 295, 305, 317 Diego Garcia 324 Dinka Malual 68 Fn. 232, 73, 234 Dissens 112 f., 117 Drei-Elemente-Lehre 21, 78 Fn. 297, 127, 137, 308 Dschibuti 8, 78 f., 229, 78 f. Dürre 30 f., 47 ff., 71, 162, 193 EAC 185 ff., 202, 263 Ebola 81, 170 ECCAS 186, 263 ECOWAS 34, 184, 188 ff., 263 Eigentum 57, 70 ff., 91 ff., 130, 135 f., 164, 165, 194, 200, 250, 253 ff., 260, 262, 267, 272, 275 ff., 281 ff., 318, 323
405
Einflusszone 24, 99, 103, 123 Einreise 192, 195 f., 221 f., 239 ff., 271, 285, 289 f. Elfenbeinküste 121, 159 ff., 189, 196, 284 Endorois 254 ff., 259, 266, 310, 331 England 54, 78, 100, 119, 132 Enklave 74, 147 Entdeckung/Entdecker 99 f., 109 Erbe der Menschheit 43, 91 Fn. 381 Eritrea 97, 284 Eroberung 69, 100 ff., 127, 129, 131 f., 260, 263 Erster Weltkrieg 58, 85, 88 ff., 287, 343 Estland 292 Ethnie 51, 70, 81, 87, 226, 256, 260, 315 Ethnoarchäologie 88 Europäische Union (EU) 40, 160, 170, 183, 185, 187 f., 199, 316, 341 Ewe 314 Fahrende 37 Failed State siehe Staatszerfall Fehderecht 66 Fidschi 80 Finnland 177, 312 First Nations 256, 284, 298 Fischerei/Fischgründe 29, 83, 93, 97, 153 ff., 173, 228, 252, 268, 336 Flensburg 90 Flexible Boundary 60, 151 Flexible Regime 183 ff Flüchtlinge 43, 45 ff., 267, 325 Föderalismus 322 Franken 54 Frankreich/Franzosen 54, 56, 59, 78, 86, 93, 99, 103, 116, 132 f., 141, 149, 172, 263 französisch 86 ff., 102, 138, 149, 188, 231, 273, 277 ff Französische Revolution 88, 306 Französisch-Somaliland siehe Dschibuti Freizügigkeit 24 f., 56 f., 69, 84, 92 ff., 103, 113, 116 f., 134, 142, 146, 148 ff., 172, 174, 179, 181 f., 189, 191, 195 f., 202 ff., 221 f., 237 ff., 251 ff., 271, 285, 343 Frieden 43, 95, 109, 275, 328 ff., 334 f. Friedensvertrag 100 Fulani siehe Fulbe
406
Sachverzeichnis
Fulbe 46 f., 122, 140, 159 f., 168 ff., 256, 259 f., 262 f., 267 Fulbe-Dschihad 260 Fulbe-Kalifat 263 Fulfulde 264 Gabbra 70 Fn. 248 Gabun 197, 199 Gambia 194 ff., 284 Garre 70 Fn. 248 Gebietstheorie 127, 220 Gefangenendilemma 163 f Genfer Flüchtlingskonvention 45 ff. Genozid/Völkermord 153, 321 Gens 62 ff., 66, 307, 316 Germanen/germanisch 54, 62, 86 ff. Gewohnheitsrecht 58 f., 71 Fn. 257, 76, 96, 165, 206, 234, 272, Ghana 80, 122 f., 159 f. Gipsy 37 ff., 41, 43, 293 Golfkrieg 152 Great Game 123 Grenzarbeiter 42 Grenzvertrag 25, 92, 104, 126, 134, 151, 152, 177, 206, 209 ff., 232, 234 Großbritannien 37 ff., 140, 147, 152, 154, 230 Grundnorm 219 Gruppenrecht 43 f., 233 Guinea 81, 99, 196 f. Guinea Bissau 196, 284 Gulf of Maine 218, 334 Gypsy siehe Gipsy Habsburger 93, 145, 172 Halbnomaden 30 f. Handelsvertrag 92, 111, 132 Hausa 264 Heiliger Stuhl 297 Heimat 32, 42, 47, 85, 88, 180, 243 f., 249 ff., 254, 269, 278, 290, 324 ff., 336, 346 Heimkehr 249 f., 325 f. Helsinki, Schlussakte von 305 Herero 45, 259 Himalaya 28, 123 Hippies 37 ff. Hirtennomaden siehe Pastoralismus
Holistic Management Hoshuu 71 Fn. 257
167 f.
Identität 43, 58, 200, 314 IGAD 202 ILO 142, 148, 158, 261 ff., 286, 345 Ilois 249, 324, 324 f. Imperialismus 104, 124, 126 f., 135, 140, 174, 306 Inadmissible Immigrant 192, 195 Indianer 71 Fn. 257, 109 ff., 126, 131 f., 135 Indien 75 Fn. 281, 123, 125 Fn. 589, 199, 209, 216, 226, 232 f., 305 Indigene 22, 24 f., 44, 50, 58 f., 71, 77, 80, 82, 102, 104, 106, 111, 116 f., 132 ff., 139, 142, 153 f., 157, 227, 249, 254 f., 256 ff. 300, 310, 318, 324, 345 indigenes Recht 58, 71, 80, 109, 113 Indigenous People 44 Individualrechte 65, 233, 250, 326 Indonesien 80, 153 ff., 158, 171 f., 305 informelles Recht 59 Innere Mongolei 144 f., 168 Instant Customary Law 218, 225 Irak 151 f. Israel 40, 147, 152, 274, 284, 292, 304, 325 Issa 8, 79 Italien 27, 78, 86, 91, 94, 96 Ius Cogens 298, 300, 335 Ius Publicum Europaeum 99, 106 f., 111, 173 ius sanguinis 63 f. Jagd 29, 62, 72, 83, 93, 129, 133, 249, 252, 336 Japan 165, 306 Jemen 75 Fn. 281 Jordanien 76, 147 Juden 53, 55 Kambodscha 80, 325 Kamerun 46 f., 60, 79 f., 81 f., 103, 169 f., 197 Kanada 80, 246 f., 282 Kanaren 99 Kasikili/Sedudu 50, 140, 172, 211 f. katholisch 56, 343
Sachverzeichnis keltisch 54, 87 Kenedugu 182 Kenia 70, 115, 144, 150, 161, 181, 229, 254, 266, 268, 270, 276, 283 Khoisan 45, 264 Kimberley 154 Kirche 56, 343 Kirgisen 124, 270 Kirgisien 178 f., 229, 284 Kiribati 80 Klima 28, 30 f., 36, 40 f., 47 f., 68, 73, 83, 85, 162, 166, 180, 249, 252, 270, 275, 294, 323, 339 ff., 344 Klimaflüchtlinge siehe Umweltflüchtlinge Klimawandel 252, 339 ff. Kolchosen 124, 143 Kolonialismus 52, 79, 127 ff., 140, 158, 173 f., 181, 249, 302 ff., 306, 313 Kolonialmacht 22, 24, 79, 98, 101, 103 ff., 111, 116 ff., 140, 150, 277, 306, 344 Kolonie 24, 78 f., 98, 103 ff., 109, 117 f., 121, 125, 130 f., 140, 148 f., 300 ff., 311 ff., 335 Kongo siehe Dem. Rep. Kongo Kongoakte 102, 138 Kongo-Brazzaville siehe Republik Kongo Kongokonferenz 104 Kongr. d. Serben, Kroat. und Slow. 92, 94 konstitutionell 66, 79 Kontaktgrenzen 74 Korea 306 kreolisch 119 Kreuzburg (Kluczborg) 89 Krim 305, 320 kulturelle Identität 43 Kumaon 123 Lagos 119 Landeigentum 96, 130, 254, 260, 262, 275, 277, 278 ff., 283, 285, 318 Landnutzungsrechte 96, 234, 255, 275, 281 Landrechte 42 f., 65, 96, 43, 65, 70, 71, 72, 96, 109, 174, 255, 260, 268, 273, 275 ff., 283 ff., 324, 344 Lappen siehe Samen Lappkodizil 134, 148, 177 lebendes Recht 58 f. Libanon-Krieg 147
407
Liberia 81, 119, 196 Libyen 79, 141, 149, 172 Limes 53 Liptako-Gourma 182 lokales Recht 59 Lotus-Entscheidung 217 Maghreb 263 Makassaner 154 Malawi 121 Malaysia 171 f., 269, 271, 292 Mali 33 ff., 84, 159, 161, 188, 195 f., 263 Mandinka 182, 263 Mandschurei 306 Mark 51, 53 f., 74, 343 Marokko 50, 116, 138, 253, 263, 284 Marshall Inseln 80 Massai 74, 144 Massina 263 Masubi 172, 212, 310 Masuren 89 Mauretanien 33, 50, 193 Fn. 995, 284 Menschenrecht 25, 68, 218, 220 ff., 237 ff., 285, 292, 299, 303, 327, 345 Menschenrechtspakt 251, 299, 303, 305, 322, 333, Messeriya 68 Fn. 232, 73, 234, 271 Migrant Worker siehe Wanderarbeiter Mikronesien 80 Minderheit 25, 81, 241, 286 ff., 301, 345 Minority Groups 44, 288, 293 Mittelalter 53 ff., 62, 87, 108, 263 Mobilität 28, 30, 36, 39, 42, 47, 49 f., 166, 173, 180 f., 194, 249, 264, 266, 268, 275, 337, 343 Mochongoi-Wald 254, 259 Moken 27 Mongolei 39, 71 Fn. 257, 143 ff., 168, 260 Monrovia 119 Montenegro 176 Moskau 125, 143 Myanmar 27 Nama 45, 259 Namibia 45, 140, 172, 211, 230, 301, 326 Nash-Gleichgewicht 164 Nation Building 119, 121 f., 124 ff., 140, 148, 153, 312, 344
408
Sachverzeichnis
Nationalbewusstsein 88, 122 Nationalismus 78, 89, 125, 249 Nationalmythos 88 f. Nationalstaat 53, 58, 119 ff., 181 Naturrecht 24, 56, 84, 104, 112, 135 ff., 174, 181, 217 ff., 221 ff., 252 f., 297 f., 300, 343 Negev 40, 115, 147, 152, 330 Neo-Nomaden 37 ff., 169 NEPAD 202 f. Nepal 261 Neukaledonien 80 Neuseeland 80, 247, 282 f New Age 37 New Minorities 294 New York 133 Nicaragua 173, 224, 227 ff. Niederlande 45, 99, 133, 154, 305 Niger 34 ff., 39, 43, 91, 97, 150, 171 ff., 189, 194 f., 229, 233, 264, 332, 335 Nigeria 46, 103, 195, 283 Niger-Kongo 264 Nilo-Saharanisch 264 Nomade/Nomadismus (Definition) 27 ff., 32 ff., 42, 49 Nomos 21, 29, 34 Nordamerika 109, 113, 126, 129 ff., 135 Nordschleswig 89 ff. Normativismus 219 f., 222 Northern Territories 154 Norwegen 86, 133, 148 f., 158, 177, 261 Nubier 266, 268
Ötztal 27, 91 Ovambo 259
OAU-Flüchtlingskonvention 46 Oberschlesien 89 Obervolta 150 Ogoni 254, 310 Okkupation 100 ff., 129, 133, 137 Oman 151 Oorlam 259 Operation Cowleg 122, 159 Operation Livestock Solidarity 122, 159 Opinio Iuris 217 ff., 283 Optimierungsgebot 188, 334 Osmanisches Reich 115, 147, 152 Österreich 27, 85, 91 ff., 96 Osttimor (Timor Leste) 80, 154, 176, 305 Otor 168
Rechtspluralismus 75 ff., 227 Rechtsprinzip 328, 333 ff. Regheibat 309 Remedial Secession 318, 321, 329 Renaissance 54 Rendille 61 Fn. 191, 70 Fn. 248 Rentengutsvertrag 90 Rentier 133 f., 148 f., 177, 206, 323 Republik Kongo (Kongo-Brazzaville) 197 Romani (Roma) 38, 295 Römisches Reich 53, 62 f., 66, 87, 306, 316, 320, 341 Ruanda 284 Rule of the Clan siehe Clan Rumänien/Rumänen 86, 295
Pakistan 124 Palästina 75 Fn. 281, 147, 249, 305, 325 Palau 80 Pan-Afrika 122 f., 263 Panslawismus 264 Papua-Neuguinea 80 Pariser Vertrag 90 Pastoralismus 29, 32 ff., 40, 103, 161, 202 Pays Frontières 182 Peking 143 Permeabilität 94, 117, 174, 205, 246, 331, 346 Persistent Objector 223 Peul siehe Fulbe Philippinen 75 Fn. 281 Polen 89 ff., 97, 291, 314, 317 Populus 62 ff., 66, 89, 307, 315 Portugal 99 f., 108, 209, 216, 226, 232 f., 259 Positivismus 135 ff., 217 ff., 238, 241, 249 Präemptionsrecht 99 f., 105, 117, 344 präkolonial 22, 69, 74, 77, 81, 120, 123, 140, 171, 182, 219, 231, 237, 260 ff., 298, 339 Preah Vihear 173 Prinzipientheorie 333 ff., 346 Puffer 70, 81, 124 Pulau Ligitan 171 Pulau Sipadan 171
Sachverzeichnis Russland 93, 123 f., 133, 305, 314, 320 Rütli-Schwur 88 Saarland 93 Sachsen 317 SADC 185 f., 263 Saisonarbeiter 42 Sambia 121 Samburu 70 Fn. 248 Samen 133 ff., 148 f., 177 f., 206, 259, 269, 323 Samoa 80 San 45, 259, 264 Saudi Arabien 60, 116, 151 f. Schengener Abkommen 95 Schnalstal 27, 91 Schotte/Schottland 62, 317 Schweden 133 f., 148 f., 158, 177, 269 Schweiz 136, 164 Scott-Reef 155 f. Sedentarisierung 125, 141, 143 f., 147, 153, 158, 168, 174, 188, 344 Seegurke 153 f., 158 Seenomaden 27, 30, 36, 153 ff. Segu-Tukolor 263 Selbstbestimmungsrecht der Völker 44, 85, 88, 91, 140, 250, 269, 282, 297 ff., 340, 345 f. semi-aride Zonen 28, 32, 47, 67, 73, 166, 339, 344 Senegal 196 Serbien siehe Königr d. Serben, Kroaten und Slowenen Seringapatam-Reef 155 f. Sezession 300 ff., 306, 309, 317 ff., 329 f., 334 Sherbro 119 f. Sichuan 145 Sierra Leone 80 f., 119, 195 f. Simbabwe 181 Sinai 274 Skandinavien 177, 322, 345 Sklave 55, 119, 268 Slawen 54, 86 ff., 264 Sokoto 263 Somalia 62, 77 f., 82, 181, 229, 260, 284 Somaliland 78 f., 82, 229 Songhai 260, 263 f.
409
Sowjetunion 124 f., 143, 148, 153, 158, 241 Spanien 56, 99 f., 108 f., 127, 138, 171, 279 ff. spätere Staatenpraxis 140, 209 ff., 232 Sprache 86 ff., 112, 121, 259, 264, 279, 286 ff., 310 ff., 322, 343 Staatszerfall 60, 84, 170 f., 200, 339 Stammesrecht 53, 58 f., 318 State of Nature 221 f., 239 status to contract 66 f., 338 Steppennomaden 30 Subsequent Practice siehe Spätere Staatenpraxis Südafrika 80, 140, 186, 230 f., 259, 263, 326 Sudan 47, 73, 161, 170, 176 f., 206, 211, 213, 234 Südsudan 73, 176 f., 211, 213, 234 Sulawesi 154 Sulu 172, 268 Superspiel 164 Suprematiestreit 55 Surinam 268 Syrien 143 Tadschikistan 124, 178 f., 284 Terra Nullius 127 ff., 137 f., 171 territoriale Integrität 123, 311, 321, 328 ff., 334, 346 Thailand 27 Tibet 124, 144 f., 153, 262 Togo 189, 284, 314 Tordesillas 99 traditionelles Recht 58 Tragfähigkeit 73, 145, 162, 166 f. Tragik der Allmende 143, 145, 163 ff. Transhumanz 31, 32 ff., 48 Transhumanzzertifikat 189 ff Traveller 38, 295 Trennungsgrenzen 74 Tribal People 44, 261 Trockengebiete siehe aride Zonen Tschad 47, 168 ff., 197 ff., 284 Tschechoslowakei 93, 314 Tuareg 29, 74, 116, 121, 140 f., 262 f. Tubu 168 Tunesien 116 Turkana 70 Fn. 248
410
Sachverzeichnis
Türkei 124 Tuvalu 80 UEMOA 189 ff. Uganda 284 Ukraine 320 Ulan Bator 143 UMA 263 Umweltflüchtlinge 47 ff. Umweltzerstörung 48 f. Unabhängigkeit 50, 79, 88, 98, 118, 122, 125 ff., 140, 149, 154, 158, 311, 313 f., 335 Unabhängigkeitskrieg (amerikanisch) 88 Ungarn 86, 91 ff. United Kingdom siehe Großbritannien USA/Vereinigte Staaten 80, 113 f., 133, 241, 282 ff., 313 Usbekistan 284 Uti possidetis 118, 173, 313, 320, 329, 331 f., 335 f., 346 Vanuatu 80 variable Geometrie 183 ff., 186 ff., 196 Veil of Ignorance 222, 239 Vertrag von Strömstad 133, 135, 158, 177 Vertreibung 45, 122, 142, 267, 269 Vertriebene 43, 249, 267, 269, 325 Viehhaltung 29, 36, 161, 190 Viehweidewirtschaft 70, 73, 122, 160 ff., 169, 190
Viehzucht 33, 36, 80, 161, 162, 182, 274 Vietnam 325 Völkerbund 304, 314 Völkergewohnheitsrecht 25, 91, 95, 209 ff., 251, 279, 281, 283 ff., 299, 345 Völkermord siehe Genozid Volksentscheid 304, 319 Wachan 124, 270 Wampum 109 Wanderarbeiter 42, 290 Wasser 65, 70 ff., 78, 83, 153 f., 167, 190, 194, 200, 271, 274 f., 344 Waziristan 75 Fn. 281 Weißrussland 314 Westfälischer Frieden 53, 55, 59, 332 West-Sahara 137, 171 West-Sahara-Gutachten 50, 137 f., 171, 301 Wüstenbildung siehe Desertifizierung Wüstennomaden 30 Xingjiang
145
Zentralafrikanische Republik 39, 46 f., 168 ff., 197, 199 f., 259, 261, 330 Zentralasien 50, 104, 117, 123 ff., 153, 162, 258 f., 345 Zwangsheirat 65 Zweiter Weltkrieg 58, 142, 344 Zypern 325