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German Pages 523 [538] Year 2016
Thomas Handbuch
Thomas Handbuch herausgegeben von
Volker Leppin
Mohr Siebeck
Die Theologen-Handbücher im Verlag Mohr Siebeck werden herausgegeben von
Albrecht Beutel
e-ISBN PDF 978-3-16-154297-8 ISBN 978-3-16-150084-8 (Leinen) ISBN 978-3-16-149230-3 (Broschur) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2016 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen aus der Minion Pro und der Syntax gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Den Umschlag gestaltete Uli Gleis in Tübingen. Abbildung: Carlo Crivelli, Saint Thomas Aquinas © The National Gallery, London.
Vorwort Nun muss ich nicht mehr die Frage fürchten: „Und, wie steht es mit dem Thomas Handbuch?“ Noch so freundlich vorgetragen, erinnerte sie am Rande von Tagun gen und Gremiensitzungen daran, dass ich, als ich vor über zehn Jahren die Aufgabe übernahm, ein Nachschlagewerk zu der Zentralgestalt der mittelalterlichen Theologie vorzubereiten, nicht geahnt hatte, in welche Untiefen mich dieses Projekt bringen würde. Die lange Dauer hat mir vor Augen geführt, wie schwierig es, zumal in Zeiten von Jubiläumsvorbereitungen und Reformationsdekaden, ist, als Forscher den Spagat zwischen Neuzeit und Mittelalter zu wagen. Zu den vielfältigen Anforderungen im Vorfeld des Jahres 2017 kamen von mir selbst hervor gerufene Ablenkungen hinzu – nicht zuletzt der Wechsel von Jena nach Tübingen im Jahre 2010 mit allen Aufregungen, die dergleichen mit sich bringt. Ein gewisser Trost ist es, dass das Handbuch nun seinerseits durch Zufall rechtzeitig zu einem Jubiläum erscheinen kann: Im Jahre 2016 gedenkt der Dominikanerorden des achthundertsten Jahrestages seiner päpstlichen Bestätigung. Er möge dieses von einem evangelischen Theologen herausgegebene Buch auch als Gruß zu diesen Feierlichkeiten und Ausdruck der heute selbstverständlichen ökumenischen Verbundenheit annehmen. Dafür dass sie diesen langen Weg mit Geduld mitgetragen haben, sei in erster Linie den Autorinnen und Autoren gedankt. Sie repräsentieren in ihrer Gesamtheit die Vielfalt der Zugänge zu Thomas von Aquin, sowohl im Blick auf ihre Internationalität, als auch hinsichtlich der notwendigen Interdisziplinarität und in theologischen Fragen der interkonfessionellen Breite. Einem so gewaltigen Œuvre wie dem des Aquinaten beikommen zu wollen, ist gewiss ein kaum zu erfüllender Anspruch – eine Ahnung hiervon aber kann man gewinnen, wenn man unterschiedliche Zugänge ins Gespräch miteinander bringt und zugleich ergänzend aufeinander bezieht, wie es in diesem Band geschieht. So hoffe ich, dass die Aufnahme nicht minder breit gestreut sein wird als die Beteiligung. Dass einige Autorinnen und Autoren, gerade diejenigen, die ihre Beiträge früh fertiggestellt hatten, an einem bestimmten Zeitpunkt darum baten, aus der Pflicht zur nochmaligen Aktualisierung entlassen zu werden, ist allein mir und dem genannten viel zu langen Entstehungsprozess des Buches anzulasten. An der grundsätzlichen Gültigkeit der Artikel hat es jeweils nichts geändert. Geduld habe ich auch dem Herausgeber der Handbuch-Reihe Albrecht Beutel, Münster, und dem Verlag, namentlich seinem zuständigen Lektor Dr. Henning Ziebritzki, abverlangt. Beide haben das Entstehen des Bandes mit ungebrochenem Wohlwollen, gelegentlich allerdings auch verständlichen Zweifeln an seinem endgültigen Gelingen, begleitet – und das Ihre dazu beigetragen, dass es nun doch der Öffentlichkeit übergeben werden kann. Hierfür sei ihnen herzlich Dank gesagt. Ein Großteil der Arbeit lag immer wieder bei meinen studentischen Hilfskräften, vor allem in der intensiven Schlussphase in Tübingen. Besonders bedanke ich
VI
Vorwort
mich für ihren unermüdlichen, die Grenzen des Erwartbaren vielfach sprengen den Einsatz bei Jenni Berger, Jonas Frank, Tobias Jammerthal, Lorenz Kohl und Hanne Lamparter. Tübingen, am 742. Todestag des Thomas von Aquin
Volker Leppin
Inhaltsverzeichnis Siglen und Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI A. Orientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 I. Handschriftliche Überlieferung, Werkausgaben (Henryk Anzulewicz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
II. Hilfsmittel (Henryk Anzulewicz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
III. Thomasforschung am Beginn des 21. Jahrhunderts (David Berger) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 B. Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
I. Stationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1. Kirche und Gesellschaft im 13. Jahrhundert (Wolfgang Stürner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2. Dominikanerorden (Volker Leppin) . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 3. Scholastisches Theologie: Lehrbücher und Inhalte (Ingo Klitzsch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 4. Universität und Ordensstudium (Volker Leppin) . . . . . . . . . 56 5. Das Leben des Thomas (Gury Schneider-Ludorff) . . . . . . . . . 59
II. Traditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 1. Augustinus (Volker Henning Drecoll) . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2. Dionysius Areopagita (Reinhold Rieger) . . . . . . . . . . . . . . 75 3. Boethius (Reinhold Rieger) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 4. Lateinischer Aristotelismus (François-Xavier Putallaz) . . . . . . 89 5. Petrus Lombardus (Philipp W. Rosemann) . . . . . . . . . . . . . 96 6. Alexander von Hales und die Summa fratris Alexandri (Hubert Philip Weber) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 7. Avicenna und Averroes (Carmela Baffioni) . . . . . . . . . . . . 105 8. Papsttum und weltliche Mächte im 13. Jahrhundert (Jürgen Miethke) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 9. Dominikanische Spiritualität (Elias H. Füllenbach) . . . . . . . . 121
III. Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 1. Der Lehrer: Albertus Magnus (Mechthild Dreyer) . . . . . . . . . 126 2. Der Kollege: Bonaventura (Marianne Schlosser) . . . . . . . . . . 132 3. Die „Heiden“ als Herausforderung (Ruedi Imbach) . . . . . . . . 142 4. Bettelorden und Weltkleriker (Volker Leppin) . . . . . . . . . . . 149 5. Wilhelm von Moerbeke (Pieter de Leemans) . . . . . . . . . . . . 151
VIII
Inhaltsverzeichnis
C. Werk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
I. Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 1. De ente et essentia (Sabine Folger-Fonfara) . . . . . . . . . . . . . 160 2. Die quaestiones disputatae (David Berger) . . . . . . . . . . . . . 163 3. Kommentare zu Boethius (Rolf Schönberger) . . . . . . . . . . . . 172 4. Sentenzenkommentar (Michael Basse) . . . . . . . . . . . . . . . 178 5. Schriften gegen die pagane Philosophie und die konsequenten Aristoteliker (Ruedi Imbach) . . . . . . . . . . . . 182 6. Kommentar zu Dionysius, De divinis nominibus (Reinhold Rieger) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 7. Bibelkommentare (Thomas Prügl) . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 8. De rationibus fidei (Michael Basse) . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 9. Aristoteleskommentare (Rolf Schönberger) . . . . . . . . . . . . . 216 10. Kommentar zum Liber de causis (Sabine Folger-Fonfara) . . . . . 239 11. De regno ad regem Cypri (Jürgen Miethke) . . . . . . . . . . . . . 242 12. Der Aufbau der Summa Theologiae (Ulrich Köpf) . . . . . . . . . 250 13. Kleinere Werke (Marianne Schlosser) . . . . . . . . . . . . . . . . 266
II. Themen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 1. Theologie als Wissenschaft (Ulrich Köpf) . . . . . . . . . . . . . . 279 2. Gotteslehre (Notger Slenczka) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 3. Trinitätslehre (Christoph Schwöbel) . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 4. Gottesbeweise (Reinhold Rieger) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 5. Schöpfungslehre (David Berger) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 6. Anthropologie (Notger Slenczka) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 7. Gnade und Rechtfertigung (Notger Slenczka) . . . . . . . . . . . 362 8. Theologische Ethik (Stephan Ernst) . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 9. Christologie (Inos Biffi) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 10. Sakramentenlehre (Marianne Schlosser) . . . . . . . . . . . . . . 392 11. Eschatologie (David Berger) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402
III. Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 1. Philosophie und Theologie (Volker Leppin) . . . . . . . . . . . . 410 2. Scientia practica (Notger Slenczka) . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 3. Theologie als didaktische Aufgabe: Die Summa Theologiae und der theologische Lehrbetrieb (Ulrich Köpf) . . . . . . . . . . 421 D. Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425
I. Kanonisation (Elias H. Füllenbach) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426
II. Die Auseinandersetzungen um Thomas im ersten Jahrhundert nach seinem Tod (Peter Walter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 III. Reformatorische Auseinandersetzung (Markus Wriedt) . . . . . . . 433
Inhaltsverzeichnis
IX
IV. Die Ausbildung einer thomistischer Schule seit dem 15. Jahrhundert (Peter Walter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436
V. Der Neuthomismus (Peter Walter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 Namen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519
Siglen und Abkürzungen Die Siglen und Abkürzungen folgen Siegfried M. Schwertner: Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, 32014. Insbesondere gelten die folgenden ‒ teilweise über Schwertner hinausgehenden ‒ Kürzel: a./art. articulus Analytica posterior (Aristoteles) Anal. post. arg. argumentum articulus/i fidei art. fid. Bodl. Laud. Misc. Bodleian Laudian Collection Miscellaneous Brev. Breviloquium (Bonaventura) c. caput, capitulum Com. Magn. In Phys. Commentarium magnum in Physicam (Averroes) Comp. theol. Compendium theologiae crp. corpus De decem praec. De decem praeceptis (legis divinae) d. distinctio De aet. De aeternitate mundi Responsio de 43 articulis De art. 43 De div. De divinis nominibus De ente De ente et essentia De fide orth. De fide orthodoxa (Johannes Damascenus) De gen. et corr. De generatione et corruptione De int. De interpretatione / Peri Hermenias De mem. De memoria De pot. De potentia De rat. De rationibus fidei De regno De regno ad regem Cypri De spiritualibus creaturis De spirit. De substantiis De substantiis separatis De trin. De trinitate (Augustinus) De unit. De unitate intellectus De ver. De veritate div. text. divisio textus Ed. Editio(n) Eth. Ni. Ethica Nichomachea (Aristoteles) ev. eventualiter Exp. In Boeth. Expositio super librum De trinitate Boethii fol. folio Hist. eccl. Historia ecclesiastica nova (Ptolomaeus von Lucca) Hss. Handschriften In Anal. Post. In Analytica Posterior In Apost. Expositio in Symbolum Apostolorum In Eth. In Ethicam / Sententia libri Ethicorum In. Met. In Metaphysicam / Sententia super Metaphysicam In Phys. In Physicam / Sententia super physicam Intr. Introductio
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Siglen und Abkürzungen
Iud. astr. De iudiciis astrorum l. lectio lib. liber Met. Metaphysica (Aristoteles) Meteor. In Meteorologicam n. numerus o. obiectio op. opus/opera orth. orthodoxa p. pars Perf. vitae spir. De perfectione vitae spiritualis Periherm. In Perihermeneias Phys. Physica(m) (Aristoteles) Pol. In Politica(m) Prol. Prologus prooem. prooemium q. quaestio qla. quaestiunculae Quodl. Quodlibet r. responsio rec. brev. recognoverunt brevis. Scg. Summa contra gentiles Sent. Sentenzenkommentar S.I.T.A. Società Internazionale Tommaso d’Aquino sol. solutio Summa Theologiae STh Super Col. Super ad Collossense Super Hebr. Super ad Hebraeos Super Isaiam Expositio super Isaiam ad litteram Super Joh. Super Evangelium S. Ioannis Lectura Super Matth. Super Evangelium Matthaei Super Rom. Expositio in epistolam S. Pauli ad Romanos Suppl. Supplementum tomus, tome tom. un. unica/-us Ystoria sancti Thome de Aquino (Wilhelm von Tocco) Ystoria
Qu ellen AAS AFP AHDL ALKGMA ASS
Acta Apostolicae Sedis. Commentarium officiale, Rom 1,1909–26 (= 2. Ser.1) 1934–51 (= 3. Ser.1) 1959–61 (= 3. Ser. 11)1969–62,1970–106,2014. Archivum Fratrum Praedicatorum. Rom 1,1930(1931). Archives d’histoire doctrinale et littéraire du moyen âge. Paris 1/1,1926/27. Archiv für Literatur- und Kirchengeschichte des Mittelalters, Berlin, 1,1885–7,1893/1900. Acta Sanctae Sedis, Rom 1,1865–41,1908.
Siglen und Abkürzungen
BCJ BGPhMA BFSMA BSELK BThom CChr.CM CCchr.SL CIC CIC(L) CLCAG COD CR CSEL CUP DH
DTA ESD HES FC Mansi MBR MGH XVI MHSJ Mlat. JB. MOFPH PhB PL
XIII
Bibliothèque de la Compagnie de Jésus. Nouvelle éd. par C. Sommervogel, Brüssel 31–12,1960–1961. Beiträge zur Geschichte der Philosophie (27,1928/30 ff.:) und Theologie des Mittelalters. Texte und Untersuchungen, Münster 1,1891– 43,1969/72 NF 1,1970 ff. Bibliotheca Franciscana scholastica medii aevi, Quaracchi (etc.) 1,1903 ff. Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Vollständige Neuedition, Irene Dingel (Hg.), Göttingen 2014. Bulletin Thomiste, Etiolles (etc.) 1/1,1924‒12/42,1965. Corpus Christianorum. Continuatio mediaevalis, Turnhout 1–266,1966–2010. Corpus Christianorum. Series Latina, 154 Bde., Turnhout 1954–2010. Codex Iuris Canonici, Rom 1918/1931/1955/1989. Corpus Iuris Canonici. Ed. Lipsiensis secunda Aemilius Friedberg, Leipzig 21–2,1879–1881 Graz 1955. Corpus Latinum commentariorum in Aristotelem Graecorum, Leiden 1,1957–8,2004. Conciliorum Oecumenicorum Decreta, G. Alberigo (Hg.), Turnhout 42006., dt. Übersetzung: J. Wohlmuth (Hg.), Dekrete der ökumenischen Konzilien, Paderborn 1–3, 1998–2002. Corpus reformatorum, Berlin (etc.) 1,1834 ff. Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum, Wien, 1–96,1866– 2010. Chartularium Universitatis Parisiensis, Heinrich Suso Denifle (Hg.), Paris 1–4,1889–1897. Enchiridion symbolorum, definitionum et declarationum de rebus fidei et morum. Ed. H. Denzinger und P. Hünermann (Hg.) = Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen. Freiburg i. Br. u. a. 402005 Deutsche Thomas Ausgabe. Vollständige, ungekürzte deutsch-lateinische Ausgabe der Summa theologica, Salzburg (etc.) 1‒36,1934‒1961 + Ergänzungsbd. 1‒2,1957‒1960. Edizioni Studio Domenicano Harvard English Studies Fontes christiani, Freiburg i. Br. 2.1,1990. Sacrorum conciliorum nova et amplissima collectio. Ed. Joannes Dominicus Mansi, Florenz 1–53,1759–1827 (etc.). Magnum bullarium Romanum. Bullarum privilegiorum ac diplomatum Romanorum pontificum amplissima collectio (Vol. 1–15), Rom (1739–1753). Monumenta Germaniae historica inde ab a.C. 500 usque ad a. 1500. Hannover u. a. Monumenta historica Societatis Jesu, Rom u. a. 1,1894 ff. Mittelateinisches Jahrbuch, Kastellaun/Stuttgart 1,1964 ff. Monumenta Ordinis Fratrum Praedicatorum historica, Rom u. a. 1,1896 ff. Philosophische Bibliothek Patrologiae cursus completus. Series Latina, J. P. Migne (Hg.), Paris,
XIV
RThAM RThom SOP SOPMA STPIMS TPMÂ TzF WA WA.TR
Siglen und Abkürzungen
1. Ser. 1,1841–79,1849 2. Ser. 80,1850–217,1855 Ind. 1–4 = 218,1862– 221,1864. Recherches de théologie ancienne et médiévale, Löwen 1,1929– 12,1940 12,1946. Revue Thomiste, Brügge (etc.) 1,1893‒23 (= NS 1)1918‒41 (= NS 19)1936 42,1937 43/45,1937‒45/47,1939 46/54,1946 ff. Scriptores Ordinis Praedicatorum, Jacques Quétif, Paris 1–2,1719– 1721 (etc.), NA 1–9,1885–1914, Suppl. 1934. Scriptores Ordinis Praedicatorum Medii Aevi. Thomas Kaeppeli, Rom 1,1970 ff. Studies and texts. Pontifical Institute of Mediaeval Studies, St. Michael’s College, University of Toronto, Toronto 1,1955 ff. Textes philosophiques du moyen âge, Paris 1,1955 ff. Texte zur Forschung, Darmstadt 1,1971 ff. D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, Weimar 1883– 2009. D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, Tischreden, Weimar 1912–2009.
A. Orientierung
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A. Orientierung
I. Handschriftliche Überlieferung, Werkausgaben 1. Handschriftliche Überlieferung Die systematische Erschließung und Erforschung der Handschriften der Werke des Thomas von Aquin wurde Mitte des letzten Jahrhunderts von A. Dondaine initiiert und wird seither intensiv fortgeführt. Diese Forschungen vermitteln nicht nur ein Bild von der enormen Verbreitung und Wirkungsgeschichte der Schriften des Aquinaten, sondern legen in erster Linie den Grund für deren historisch-kritische Ausgaben. Eine Rekonstruktion des Textes der Werke in seiner möglichst ursprünglichen, vom Autor intendierten Gestalt kann am ehesten gelingen, wenn die gesamte handschriftliche und gedruckte Tradition vollständig erfasst und kodikologisch, textkritisch und textgeschichtlich erforscht wird. Auf dieser Basis lassen sich die wichtigsten werkbezogenen Fragen wie Authentizität, Redaktionsgeschichte, Abfassungsort und Chronologie, Überlieferungs- und, wie eingangs festgehalten, Wirkungsgeschichte einzelner Werke weitestgehend beantworten. Die Handschriften ermöglichen sowohl den Zugang zum authentischen Text und Denken des Thomas als auch ein tieferes Verständnis seiner Persönlichkeit. Sie, insbesondere die Autographa und die autorisierten Diktate, spiegeln die Arbeitsweise, den Schreibstil, die Schreibgewohnheiten und Schreibprobleme des Thomas sowie die Entwicklung seines Denkens wider. Sie zeigen, dass seine Werke sich nicht allein seiner großen intellektuellen Begabung verdanken, sondern ebenso die Frucht einer anstrengenden Arbeit sind. Davon zeugen die vielen Streichungen und redaktionellen Änderungen, die es in den Autographa, wie z. B. von Sent. III und Super Isaiam sowie der Summa contra gentiles, gibt. Die Kodizes des Thomas werfen Licht auf die engen wissenschaftlichen Beziehungen B.III.1.) und zeigen, dass dessen einstiger zu seinem Lehrer Albertus Magnus ( Schüler das wissenschaftliche Schaffen seines Meisters stets aufmerksam verfolgte und einige seiner Schriften besaß. Sie geben Zeugnis von einem vertrauensvoll-freundschaftlichen Verhältnis zwischen Thomas und seinem persönlichen Assistenten und Sekretär Reginald von Piperno, der später berichten wird, der gesamte handschriftliche Nachlass des Thomas sei in seiner Obhut gewesen. Welche weiteren Erkenntnisse über den Autor sich aufgrund des Studiums seiner eigenhändigen Schriften gewinnen lassen, hat P.-M. Gils in mehreren Untersuchungen (zuletzt in: Gils, S. Thomas écrivain) umfassend dargelegt. Die Angaben über die handschriftliche Überlieferung der einzelnen Werke des Thomas von Aquin, die derzeit in verschiedenen Fachpublikationen zugänglich sind, müssen als noch unvollständig und zum Teil vorläufig betrachtet werden. Denn weder sind die Handschriftenforschungen abgeschlossen, noch wurden die bisher erzielten Ergebnisse der Bestandsaufnahme vollständig veröffentlicht. Maßgebliche Orientierung über die Überlieferung einzelner, bereits edierter Werke bieten die editorischen Einleitungen in den neueren Bänden der historisch-kritischen Gesamtausgabe Sancti Thomae de Aquino Opera omnia iussu
I. Handschriftliche Überlieferung, Werkausgaben
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Leonis XIII P. M. edita, die man als die Editio Leonina – Näheres dazu im Folgenden – zu bezeichnen pflegt. Partielle Auskünfte über die handschriftliche Tradition einzelner Werke bzw. Werkteile des Aquinaten liefern auch die textgeschichtlichen Studien in einigen kritischen Editionen, die außerhalb der historisch-kritischen Gesamtausgabe erschienen sind, wie z. B. Super librum De causis (ed. H. D. Saffrey, 1954; 2. verbesserte Aufl. 2002), Quaestio de immortalitate animae (ed. L. A. Kennedy, 1979), Lectura romana in primum Sententiarum Petri Lombardi (ed. L. E. Boyle †/J. F. Boyle, 2006) und Scriptum super primum librum Sententiarum. Prologus (ed. A. Oliva, Paris 2006). Einen Gesamtüberblick bietet der von J. A. Weisheipl (Thomas von Aquin, 321–351) erarbeitete und mit den wichtigsten Informationen zu jedem Werk des Thomas von Aquin ausgestattete »Katalog der authentischen Schriften«. Die dort enthaltenen Angaben bezüglich der handschriftlichen Überlieferung und der Werkchronologie entsprechen jedoch dem Forschungsstand vom Anfang der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts und müssen aktualisiert werden. Die neueste Fassung des Werkkatalogs, die sich auf die Systematik von I. T. Eschmann und J. A. Weisheipl stützt, stammt von G. Emery und R. Imbach (in: Torrell, Magister Thomas, 345–373). Sie bietet wertvolle Informationen über die einzelnen Werke, deren Druckausgaben und die einschlägige Literatur, aber grundsätzlich keine Auskünfte über die Handschriften. Die gesamte handschriftliche Überlieferung der Werke des Thomas von Aquin wird im Katalog Codices manuscripti operum Thomae de Aquino verzeichnet und inhaltlich sowie kodikologisch erschlossen. Der Katalog liegt derzeit in drei Bänden vor; zwei weitere Bände werden von D. Bouthillier (Montréal) für den Druck vorbereitet. In diesem Katalog werden zuerst die Autographa (Bd. I) und dann die Handschriften der Thomaswerke erfasst und beschrieben, die weltweit in verschiedenen, alphabetisch nach Standort verzeichneten Bibliotheken, Handschriftensammlungen, Archiven und Kirchen aufbewahrt werden. Erschlossen und beschrieben wurden bislang die Handschriften der Thomaswerke, die in den Bibliotheken Admont – Fulda (Codices manuscripti, Bd. I), Danzig – Münster (Bd. II) und Namur – Paris (Bd. III) festgestellt wurden. Der dritte Band des Katalogs endet mit dem Kodex Nr. 2591, tatsächlich verzeichnet er aber wesentlich mehr Kodizes, weil vielfach ein und dieselbe Nummer mit Hinzufügung von Buchstaben für mehrere Handschriften vergeben wurde (z. B. 1002, 1002A–1002F). Es kommt hinzu, dass in einer einzigen Handschrift oft mehrere thomasische Werke enthalten sind und die Zusammensetzung der Werke unterschiedlich ist, weshalb die Zahl der im Katalog verzeichneten Kodizes keinen Aufschluss über den tatsächlichen Umfang der handschriftlichen Überlieferung für jedes einzelne Werk gibt. Die inhaltliche Erschließung der Handschriften, wie sie der Katalog präsentiert, wird durch folgende Prinzipien geleitet: (1) Werktitelangaben erfolgen in vereinheitlichter Kurzform; (2) Incipit (Werkanfänge) werden nur dann angegeben, wenn es sich um Abweichungen von der gewöhnlichen Form oder um wenig bekannte Werke handelt; (3) der Name des Thomas wird grundsätzlich ausgelas-
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A. Orientierung
sen, ausgenommen die Fälle, wo es gilt, eine Autorenverwechselung zu vermeiden und Pseudepigrapha sowie Schriften von zweifelhafter Echtheit entsprechend zu kennzeichnen; (4) sind in einer Handschrift mehrere authentische und pseud epigraphische Werke enthalten, werden nur die ersteren durchnummeriert. Die äußere Beschreibung der einzelnen Textzeugen besteht aus der sog. Schlagzeile, welche die wesentlichen kodikologischen Angaben enthält, und in der Regel aus einem zweiten, ergänzenden Teil, der historisch relevante Details über die jeweilige Handschrift bietet. Das Initienregister der authentischen und pseudepigraphischen Werke sowie die übrigen Indizes zu den verzeichneten und beschriebenen Handschriften fehlen in den bereits vorliegenden Bänden; sie sollen nach der Fertigstellung des Gesamtkataloges erarbeitet werden. Unter den erhaltenen Handschriften der Werke des Thomas von Aquin sind nur wenige Autographa zu finden. Es fällt auf, dass sie alle aus der ersten Hälfte von Thomas’ Schaffensperiode stammen. Wie viele Autographa und Abschriften seiner Werke mit der Zeit unwiederbringlich verloren gingen, ist nicht mehr feststellbar. Mit neuen Handschriftenfunden in den erhaltenen, nicht immer lückenlos erschlossenen Sammlungen mittelalterlicher Handschriften rechnet man heute selten. Sporadisch kommt es aber dennoch vor, dass selbst in den Kodizes, die im gedruckten Katalog Codices manuscripti operum Thomae erfasst und erschlossen sind, bisher unerkannt gebliebene Abschriften von thomasischen Werken oder Werkteilen wieder aufgefunden werden. Ein Beispiel dafür ist die Sammelhandschrift Ms. lat. fol. 456 aus der Berliner Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, die bekanntlich die Quaestiones disputatae de anima des Thomas von Aquin enthält (vgl. Codices manuscripti, I, 91 n. 244A), in der wir 14 Textstücke aus seinen Quaestiones de quolibet identifiziert haben (RThAM 60 [1993], 141–143). Eine andere Berliner Handschrift aus derselben Bibliothek, Ms. lat. qu. 586, enthält am Schluss (fol. 413va–416vb) eine bislang unbeachtete, im Handschriftenkatalog der Thomaswerke und in der historisch-kritischen Ausgabe nicht berücksichtigte Überlieferung des Werkes De ente et essentia. Der junge Thomas hat als Schüler und »freiwilliger Sekretär« (Torrell, Magister Thomas, 43 ff.) bei Albertus Magnus in Paris (1245–1248) und Köln (1248– 1252), trotz seiner schwer lesbaren Schrift, die Reinschrift der Kommentare seines Lehrers zum Corpus Dionysiacum fertiggestellt. Sie ist im Kodex Neapel, Biblioteca Nazionale I B 54 erhalten und liegt der kritischen Edition dieses umfangreichen Kommentarwerkes von Albertus Magnus (Ed. Coloniensis, Bd. 36, 1–2; 37, 1–2) zugrunde. Eigenhändige Marginal- und Interlinearglossen des Thomas aus seiner Kölner Zeit wurden neuerlich von M. Burger im Kodex 30 der Erz bischöflichen Diözesan- und Dombibliothek zu Köln, der die Schriften des Pseudo-Dionysius Areopagita in der lateinischen Übersetzung des Johannes Scotus Eriugena enthält, entdeckt (Burger, Codex 30, 190–208). Dieser Fund ist insofern wichtig, als er die Zusammenarbeit des Thomas mit seinem Lehrer im Kölner Studium generale und die Chronologie des im Thomasautograph erhaltenen Kommentars von Alberts Super Dionysium De caelesti hierarchia in neuem Licht
I. Handschriftliche Überlieferung, Werkausgaben
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erscheinen lässt. Auch vom ersten Kommentar Alberts zur Nikomachischen Ethik des Aristoteles, Super Ethica, soll es eine Niederschrift im Autograph des jungen Thomas gegeben haben, die nicht mehr erhalten ist. Spätestens aber als Thomas 1256 in Paris die licencia docendi bekam und dort als magister actu regens seine Lehrtätigkeit begann, stand ihm seitens des Ordens ein persönlicher Assistent, ein sog. socius, zur Verfügung und offensichtlich mehrere Hilfskräfte. Von den letzteren sind namentlich Raymund Severi, Nicolaus von Marsillac, Peter d’Andria und Ligier de Besançon bekannt. Der bedeutendste und dienstälteste socius des Thomas war der zuvor erwähnte Reginald von Piperno. Er stand Thomas ab 1259 zur Seite und begleitete ihn ununterbrochen bis zu dessen Tod. Seine Aufgabe war es, Thomas in allen Dingen behilflich zu sein, wobei die Unterstützung der wissenschaftlichen Arbeit, für die er als Lektor der Theologie qualifiziert war, gewiss im Vordergrund stand. Reginald schrieb Diktate und fertigte lesbare Kopien von Texten an, die in der äußerst schwer lesbaren Schrift des Thomas – man hat sie als littera illegibilis bezeichnet (Torrell, Magister Thomas, 51 Anm. 42) – vorlagen. Neben Reginald haben auch andere Schreibkräfte für Thomas gearbeitet, wie A. Dondaine (Secrétaires) für das im Kodex Vaticanus lat. 781 überliefer te Original – ein Thomasdiktat – der Quaestiones disputatae de veritate (De ver. q. 2–22; Ed. Leonina 22/1, 38a–22/3, 649b) gezeigt hat. Sie haben sowohl Texte kopiert, die Thomas benötigte, als auch Niederschriften seiner eigenen Werke erstellt, sei es nach Diktat, sei es nach Notizvorlagen, insofern diese für sie lesbar waren. Es ist möglich, dass Thomas beim Diktieren seine eigenhändigen Ent würfe vor sich hatte, so dass er, wie Bernard Gui (Vita S. Thomae Aquinatis c. 32) berichtet, gleichzeitig drei oder sogar vier Sekretären diktieren konnte. Darin mag einer der Gründe dafür liegen, dass sich nur wenige Werke des Thomas in dessen eigener Handschrift erhalten haben. Es kommt hinzu, dass nach Thomas’ Heiligsprechung (1323) seine Autographa oder vielmehr einzelne Blätter aus den Autographa gleichsam als Reliquien an mehrere Dominikanerkirchen gingen. Einige von ihnen sind später durch Brände vernichtet worden. Diese religiös motivierte Zerstückelungspraxis der Autographa des Heiligen muss größere Ausmaße angenommen haben, da sie von der Ordensleitung 1490 und 1694 untersagt wurde. Sie ist eine der Ursachen dafür, dass kein einziges der im Autograph erhaltenen Werke vollständig und in nur einem einzigen Kodex vorliegt. Wie viele und welche eigenen Werke des Thomas sind in seinem Autograph und in welchem Umfang überliefert? Es sind lediglich vier Werke unvollständig im Autograph des Autors erhalten, die im Folgenden in chronologischer Ordnung ihrer Entstehung, jeweils mit den Angaben über den Textbestand, den Aufbewahrungsort des Autographs und seine Signatur, aufgelistet werden: 1.1. Sent. III d. 4 q. 2 a. 2 arg. 5 – d. 34 q. 2 a. 2 sol. 2 ad 2: Vatikanstadt, Biblioteca Apostolica Vaticana, Vat. lat. 9851 f. 11ra–99vb. Der Text auf fol. 1ra–5rb und fol. 5va–10ra ist eine von zwei Sekretären des Thomas angefertigte Abschrift. Autographfragmente von Buch III des Sentenzenkommentars befinden sich in Archivo de la Catedral in Coria und in der Basilica San Domenico Maggiore in
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A. Orientierung
Neapel (Codices manuscripti, I, 5 n. 2; 6 n. 2A und 2B). Darüber hinaus ist Thomas’ Sent. III in weiteren 100 Handschriften vollständig und in mehreren Fragmenten (ca. 100 für Sent. I–IV) erhalten (Weisheipl, Thomas von Aquin, 323). Der Text des Autographs weist bedeutende Unterschiede zur Überlieferung der Handschriften und der Drucke auf. Diese sind nach Ansicht von A. Dondaine (BThom 17–19 [1940–1942], 100–108) möglicherweise dadurch zu erklären, dass Thomas bereits an seinem Autograph Verbesserungen und Retuschen vorgenommen hat, von dem dann Kopien angefertigt wurden, welche gleichsam die erste Redaktion des Textes widerspiegeln würden. In einer Kopie dieser ersten Redaktion habe Thomas weitere Nachbesserungen vorgenommen und damit die zweite Redaktion des Textes geschaffen. Diese sei der Archetyp der handschriftlichen Überlieferung und die Grundlage der Druckausgaben. Ob und wie Thomas tatsächlich in einer Abschrift seines Autographs, welche bereits als Kopiervorlage (Exemplar) für weitere Abschriften diente, seine Korrekturen angebracht hat, könne erst dann geklärt werden, wenn eine kritische Edition des Autographs mit all seinen Korrekturen vorliegt. Die vier Bücher des Sentenzenkommentars sind die Frucht der Pariser Vorlesungen 1252–1256 des Thomas. Eine historisch-kritische Edition aller vier Bücher des Sentenzenkommentars wird im Rahmen der Gesamtausgabe durch die Editoren der Werke des Aquinaten – die Commissio Leonina – vorbereitet. 1.2. Super Boetium De Trinitate, q. 3 a. 2 – q. 6 a. 4: Vatikanstadt, Biblioteca Apostolica Vaticana, Vat. lat. 9850 f. 90ra–103vb; q. 5 a. 1–2: Rom, Biblioteca Casanatense 3997 ( C.II.2.) fol. 11ra–vb (Codices manuscripti, I, 3 f. n. 1 (2); 5 n. 1A). Der Kommentar wurde 1257–1258 oder Anfang 1259 in Paris verfasst. Er ist neben dem Autograph in 21 Handschriften und in einem Handschriftenfragment erhalten. Die historisch-kritische Werkausgabe liegt in der Editio Leonina als Band 50 (1992) vor. 1.3. Summa contra gentiles (andere, handschriftlich bezeugte Werkbezeichnung: Liber de veritate catholicae fidei contra errores infidelium), Buch I c. 13 – Buch III c. 120: Vatikanstadt, Biblioteca Apostolica Vaticana, Vat. lat. 9850 fol. 2ra–89vb; Buch II c. 42–44, c. 49–52: Mailand, Biblioteca Ambrosiana F 187 inf. (S. P. 38) fol. 1ra–vb, fol. 2ra–vb (Codices manuscripti, I, 3 f. n. 1). Die Arbeit an diesem aus vier Büchern bestehenden Werk begann Thomas 1259 in Paris, er setzte sie in Neapel fort und beendete sie in Orvieto im Jahre 1264. Es ist in 184 Abschriften vollständig und in 20 Abschriften in Fragmenten überliefert (Weisheipl, Thomas von Aquin, 323 f.). 1.4. Expositio Super Isaiam ad litteram, c. 34,1 – 50,1: Vatikanstadt, Biblioteca Apostolica Vaticana, Vat. lat. 9850 fol. 105ra–114vb. Neben dem Autograph ist das bereits 1974 in der historisch-kritischen Leonina-Ausgabe als Bd. 28 erschienene Werk in 16 Handschriften vollständig und in zwei Kodizes fragmentarisch überliefert (die Angaben von Weisheipl, Thomas von Aquin, 330: »Autograph und 19 vollständige, 1 Fragment« werden damit korrigiert); acht Kodizes gelten als verschollen. Die Datierung und der Abfassungsort von Super Isaiam waren in
I. Handschriftliche Überlieferung, Werkausgaben
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der Forschung bis zuletzt umstritten. Einige Forscher datierten das Werk auf die Kölner Zeit des Thomas, während andere für die Pariser Jahre 1256/57 argumentierten. Diese Frage wurde neuerlich von A. Oliva (Les débuts de l’enseignement de Thomas d’Aquin, 207–224) auf der Grundlage einer eingehenden Untersuchung aller relevanten Aspekte und der vergleichenden Analyse der Autographa zugunsten von Paris entschieden. Das Autograph von Sent. IV wurde noch im 18. Jahrhundert in der Bibliothek des Dominikanerkonvents Santa Catalina in Barcelona aufbewahrt. Ein Autograph fragment dieses Werkes, das aus demselben Kodex stammte, befand sich im Dominikanerkonvent in Almagro (Spanien). Von einer Seite dieses Fragmentes, deren Text sich auf d. 15 q. 4 a. 4 sol. 2 ad 2 – a. 5 sol. 3 erstreckt, gibt es eine Fotoaufnahme und eine Transkription von Th. Kaeppeli (Zerstreute Autographblätter, II, 392–400). Der Kodex von Barcelona wurde anscheinend beim Brand des Klosters 1835 vernichtet; das Almagro-Fragment verbrannte im Jahre 1936. Die meisten Werke des Aquinaten fanden eine ungewöhnlich starke handschriftliche Verbreitung sowohl innerhalb als auch außerhalb des Dominikanerordens. Für die Stärke der handschriftlichen Ordenstradition sorgte eine Reihe von Maßnahmen der Generalkapitel des Ordens. Diese erreichten in den Beschlüssen von Saragossa 1309 und Metz 1313, welche die Lehre des Thomas von Aquin als maßgeblich für das Ordensstudium und deren dreijähriges Studium als die Vorbedingung für die Promotion an der Pariser Universität vorschrieben, ihren Höhepunkt. Die Werke des Thomas wurden naturgemäß zuerst dort handschriftlich fixiert und kopiert, wo sie entstanden sind. So wurde seine Vorlesung über die vier Bücher der Sentenzen des Petrus Lombardus wie auch andere, nach der Promotion von Thomas in Paris bis 1259 gehaltene Vorlesungen und entstandene Schriften zuerst im Universitätsmilieu kopiert. Die handschriftliche Vervielfältigung erfolgte mittels exemplar und pecia – eine von der Universität unterhaltene Institution und Methode der Veröffentlichung und Vervielfältigung von wissenschaftlichen Texten für Studienzwecke (Bataillon, L’università, 419–427; Murano, Opere diffuse per exemplar e pecia, 746–785). Wie außerordentlich stark die Nachfrage bei den Theologen und Philosophen nach den Schriften des Thomas vor der Erfindung des Buchdrucks war, lässt sich noch heute anhand der erhaltenen Handschriften erkennen. Thomas’ theologisches Hauptwerk, die aus drei Teilen bestehende Summa Theologiae, deren zweiter Teil aus zwei Teilen besteht, ist J. A. Weisheipl (Thomas von Aquin, 324 f.) zufolge in 959 Handschriften erhalten, wovon 246 Handschriften den ersten Teil (STh I) überliefern, 220 den ersten Teil des zweiten Teils (STh I-II), 280 den zweiten Teil des zweiten Teils (II-II) und 213 Teil III; es kommen 43 Handschriften des Supplementes und über 235 Kodizes mit Fragmenten verschiedener Werkteile hinzu. Die gesamte handschriftliche Überlieferung der Summa Theologiae beläuft sich demnach auf mehr als 1236 Textzeugen. Zu den handschriftlich am stärksten verbreiteten Werken des Thomas gehören eine Zusammenfassung der Glaubensartikel und der sie betreffenden Irrlehren
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A. Orientierung
De articulis fidei et ecclesiae sacramentis (277 Handschriften), die Schrift De ente et essentia (189 Handschriften), Sent. IV (167 Handschriften), die Collationes super Credo in Deum (141 Handschriften des vollständigen Textes und 28 Handschriften einer von Heinrich von Hessen revidierten Fassung), ferner Quaestiones disputatae de quolibet (137 Volltexthandschriften und 53 Fragmente), De motu cordis (119 Handschriften), De perfectione spiritualis vitae (114 Handschriften und vier Fragmente), De mixtione elementorum (110 Handschriften), Sent. II (105 Handschriften) und Sent. III (100 Handschriften, wobei es zu allen vier Büchern des Sentenzenkommentars, wie schon festgehalten, etwa 100 Fragmente gibt). Einige kleinere Schriften, die Thomas mit guten Gründen zugeschrieben werden, sind handschriftlich nicht nachweisbar, wie z. B. das Officium de festo corporis Christi, die Orationes Adoro te, Gratias tibi ago, Omnipotens sempiterne Deus u. a. Unzureichend erforscht ist das Predigtwerk; die Frage nach der thomasischen Autorschaft der anonymen Abhandlung Utrum anima coniuncta cognoscat seipsam per essentiam (Oxford, Bodl. Laud. Misc. 480 fol. 177ra–178vb) scheint bis heute nicht geklärt zu sein (vgl. Codices manuscripti, III, 95), während die Echtheit der Quaestio disputata De immortalitate animae (Oxford, Bodl. Laud. Misc. 480 fol. 171ra–174ra; Vat. lat. 781 fol. 47r–48r; Valencia, Archivo de la Catedral 142 fol. 77r–79r) als gesichert gilt. Die Frage der Authentizität von weiteren, zumeist kleineren Schriften von ungeklärter Echtheit, die Thomas zugeschrieben und unter seinem Namen gedruckt wurden, kann »nur durch weitere Forschung der handschriftlichen Tradition und der einwandfrei gesicherten Texte« (Weisheipl, Thomas von Aquin, 350 f.) beantwortet werden. Die handschriftliche Überlieferung ist zwar die Grundlage für kodikologische, textkritische und textgeschichtliche Untersuchungen und für die Lösung vieler Fragen, die sich hinsichtlich der Werke des Thomas stellen. Aber sie stellt die Forschung ebenso vor Probleme, für deren Lösung sie selbst nicht immer aufkommt, z. B. wenn in den Handschriften Werke unbekannter Herkunft oder anderer Autoren Thomas fälschlich zugeschrieben werden. So werden bekanntlich die Schrift De fato von Albertus Magnus und die Kompilationen De sensu communi und De quinque potentiis animae interioribus aus dessen Schrift De homine in mehreren Handschriften unter dem Namen des Thomas von Aquin überliefert. Es muss deshalb nicht verwundern, dass in den unkritischen Ausgaben der Thomaswerke auch Schriften anderer Autoren unter dem Namen des Aquinaten gedruckt wurden, wie das erwähnte Werk De fato von Albertus Magnus (zuletzt in Opera Omnia, ed. S. E. Fretté, Bd. 27/1, 454–464), ein Traktat De dilectione Dei et proximi, dessen Autor möglicherweise der Dominikaner Helwic von Straßburg ist (Grabmann, Mittelalterliches Geistesleben, II, 576–585), oder ein Tractatus de usuris des Aegidius von Lessines (Th. Kaeppeli, SOP I, 15 n. 47). Auch anonyme Überlieferung kann schwierige Fragen aufwerfen, besonders wenn es sich um kleine Textfragmente und Exzerpte handelt.
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2. Druck- und Werkausgaben Schon wenige Jahre nach der Erfindung des Buchdrucks erschienen die ersten Druckausgaben der Werke des Thomas von Aquin. Bis 1500 – die Drucktechnik lag gleichsam noch in Windeln, weswegen die bis dahin hergestellten Drucke als Wiegendrucke (incunabula) bezeichnet werden – wurden ca. 40 WiegendruckAusgaben der Schriften des Thomas in den Offizinen von Venedig, Ulm, Augsburg, Köln, Esslingen, Padua, Basel, Straßburg, Bologna, Toulouse, Leiden, Pavia, Ferrara, Rom, Lyon, Nürnberg und Leipzig gefertigt. Die erste Thomas-Inkunabel war, soweit wir sehen, die der Quaestiones de anima, welche 1472 bei Franciscus Renner in Venedig erschien. Von den zahlreichen gedruckten Ausgaben der thomasischen Werke seien hier die wirkungsgeschichtlich bedeutsamsten Gesamtausgaben hervorgehoben. Unter ihnen ragt die noch nicht abgeschlossene historisch-kritische Ausgabe hervor, die von Papst Leo XIII. mit dem Schreiben Iampridem considerando vom 15. Oktober 1879 angeregt und nach ihm als die Editio Leonina (Rom 1882 ff., ab 1984 Rom – Paris) benannt wurde. In dieser Ausgabe wird »der endgültige Text der Thomashandschriften« (Weisheipl, Thomas von Aquin, 322) durch ein Editorenteam des Dominikanerordens, die Commissio Leonina (seit 2003 mit Sitz in Paris) herausgegeben. Von den geplanten 50 Foliobänden liegen gegenwärtig 30, darunter einige aus mehreren Teilbänden bestehend, im Druck vor; die Mehrzahl der noch zu edierenden 20 Bände befindet sich in Vorbereitung. Einen Überblick über die in der Editio Leonina bereits erschienenen, die vorbereiteten und die noch zu edierenden Werke, dem der Editionsplan der Commissio Leonina zugrunde liegt, bietet die nachfolgende Zusammenstellung. Bisher kritisch edierte Schriften: Bd. 1 In Arist. libros Peri hermeneias et Posteriorum analyticorum (1882) 1*, 1 Expositio libri Peryermenias, Editio altera retractata (1989) 1*, 2 Expositio libri Posteriorum, Editio altera retractata (1989) 2 In Arist. libros Physicorum (1884) 3 In Arist. libros De caelo et mundo, De generatione et corruptione et Meteorologicorum (1886) 4–12 Summa Theologiae, cum commentariis Cajetani et Supplemento (1888– 1906) 13–15 Summa contra gentiles, cum commentariis Ferrariensis (1918–1930) 16 Indices in tomos IV–XV (1948) 22, 1/1. 2 Quaestiones disputatae de veritate, qq. 1–7 (1975. 1970) 22, 2 Quaestiones disputatae de veritate, qq. 8–20 (1972) 22, 3/1. 2 Quaestiones disputatae de veritate, qq. 21–29, Indices (1973. 1976) 23 Quaestiones disputatae de malo (1982) 24, 1 Quaestiones disputatae de anima (1996)
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24, 2 Quaestio disputata de spiritualibus creaturis (2000) 25, 1–2 Quaestiones de quolibet (1996) 26 Expositio super Iob ad litteram (1965) 28 Expositio super Isaiam ad litteram (1974) 40 Contra errores Graecorum, De rationibus fidei, De forma absolutionis, De substantiis separatis, Super Decretales (1967–1968) 41 Contra impugnantes Dei cultum et religionem, De perfectione spiritualis vitae, Contra doctrinam retrahentium a religione (1969–1970) 42 Compendium theologiae, De articulis fidei et ecclesiae sacramentis, Responsio de 108 articulis, Responsio de 43 articulis, Responsio de 36 articulis, Responsio de 6 articulis, Epistola ad ducissam Brabantiae, De emptione et venditione ad tempus, Epistola ad Bernardum abbatem Casinensem, De regno ad regem Cypri, De secreto (1979) 43 De principiis naturae, De aeternitate mundi, De motu cordis, De mixtione elementorum, De operationibus occultis naturae, De iudiciis astrorum, De sortibus, De unitate intellectus, De ente et essentia, De fallaciis, De propositionibus modalibus (1976) 44, 1 Sermones (2014) 45, 1 Sentencia libri De anima (1984) 45, 2 Sentencia libri De sensu et sensato cuius secundus tractatus est De memoria et reminiscencia (1985) 47, 1–2 Sententia libri Ethicorum (1969) 48 Sententia libri Politicorum, Tabula libri Ethicorum (1971) 50 Super Boetium De Trinitate, Expositio libri Boetii De ebdomadibus (1992) In Vorbereitung: Bd. 17–20 Super I–IV Sent. 21 Quaestiones disputate de potentia 24, 3 Quaestiones disputatae de virtutibus etc. 27 Super Psalmos 29 Super Ieremiam et Threnos 30 Super Matthaeum 31 Super Ioannem 32–35 Super Epistolas Pauli Apostoli 44 De decem praeceptis, Super Credo, Super Pater noster, Super Ave Maria, Principia 46 Sententia libri Metaphysicae 49 Super librum De causis, Super librum Dionysii De divinis nominibus
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Kritische Edition steht noch aus: Bd. 36–39 Glossa continua super Evangelia (Catena aurea) Bevor die historisch-kritische Editio Leonina in Angriff genommen wurde, gab es annähernd zehn Gesamtausgaben der Werke des Thomas von Aquin, die hinsichtlich der Zusammenstellung, Vollständigkeit und Authentizität der aufgenommenen Werke ein unterschiedliches Bild vermitteln. Wir listen die wichtigsten der unkritischen Gesamtausgaben chronologisch auf: Rom 1570–1571 (Antonius Bladius-Erben und Joannes Osmarinus), 16 Bde. in 18 Teilbänden (Editio Piana) Antwerpen 1612 (Joannes Keerbergius), 18 Bde. Paris 1660–1664 (Societas Bibliopolarum), 23 Bde. Venedig 1745–1788 (Joseph Bettinelli), 28 Bde. Madrid 1765–1771 (Witwe von Elisaeus Sánchez; Blasius Roman), 16 Bde. Parma 1852–1873 (Petrus Fiaccadori) (Reprint New York 1948–1950), 25 Bde. Paris 1871–1880 (Ludovicus Vivès; Ed. Stanislaus E. Fretté), 34 Bde. Taurini – Roma 1915 ff. (Marietti Editori), 33 Bde. Die in der Editio Leonina noch nicht erschienenen Werke sind zumeist in unkritischen Ausgaben verfügbar, unter denen die jüngste und vollständigste die der italienischen Offizin Marietti ist. Sie bietet keinen kritischen, sondern einen »eklektischen«, auf der Grundlage früherer unkritischer Ausgaben hergestellten Text. Darüber hinaus gibt es einige kritische Ausgaben einzelner Werke oder Werkteile, von denen die wichtigsten eingangs erwähnt wurden. Alle Druckausgaben einschließlich der Übersetzungen sind bei R. Schönberger et al., Repertorium edierter Texte des Mittelalters, III, 3674–3854 verzeichnet. Eine gleichsam hybride Thomas-Gesamtausgabe, die in sieben Bänden die kritisch edierten Werke anhand der Editio Leonina und die übrigen Schriften auf der Basis der unkritischen Ausgaben in der Form, wie sie (und weitere 61 Schriften mittelalterlicher Autoren, darunter mehrere Thomas-Pseudepigrapha) im Index Thomisticus elektronisch erfasst sind, bietet R. Busa: Sancti Thomae Aquinatis Opera omnia ut sunt in Indice Thomistico additis 61 scriptis ex aliis medii aevi auctoribus, 1980. Zum Schluss bleibt auf die modernen Übersetzungen der Thomaswerke in verschiedene Sprachen hinzuweisen. Es gibt mittlerweile ein verhältnismäßig großes, fortlaufend erweitertes Angebot an anspruchsvollen Übersetzungen in vielen Sprachen. Besonders hervorgehoben sei die deutsche Thomas-Ausgabe, die von den Dominikanern und Benediktinern Deutschlands und Österreichs herausgegeben wird. Diese noch nicht abgeschlossene, deutsch-lateinische, kommentierte Werkausgabe zählt bereits über 30 Bände. Außerdem gibt es zahlreiche deutsche Übersetzungen einzelner Werke, auf die im nächsten Abschnitt eingegangen
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wird. In beachtlichem Umfang stehen Übersetzungen der Thomaswerke in Englisch, Französisch, Italienisch, Polnisch und Spanisch zur Verfügung. Dondaine, Hyacinthe-François/Shooner, Hugues-Vincent (Hg.): Codices manuscripti operum Thomae de Aquino, I–III, Rom/Montréal/Paris 1967–1985. Emery, Gilles: Katalog der Werke des Thomas von Aquino, bearbeitet von Ruedi Imbach, in: Torrell, Jean-Pierre: Magister Thomas: Leben und Werk des Thomas von Aquin. Aus dem Französischen übersetzt von Katharina Weibel in Zusammenarbeit mit Daniel Fischli und Ruedi Imbach. Mit einem Geleitwort von Ruedi Imbach, Freiburg i. Br. u. a. 1995. Löffler, Anette: Die Fragmentensammlung im Stadtarchiv Duisburg, in: Duisburger Forschungen 8 (2012) Nr. 47. Murano, Giovanna: Opere diffuse per exemplar e pecia (TEMÂ 29), Turnhout 2005, 746–785. Torrell, Jean-Pierre: Magister Thomas: Leben und Werk des Thomas von Aquin. Aus dem Französischen übersetzt von Katharina Weibel in Zusammenarbeit mit Daniel Fischli und Ruedi Imbach. Mit einem Geleitwort von Ruedi Imbach, Freiburg i. Br. u. a. 1995. Weisheipl, James A.: Thomas von Aquin. Sein Leben und seine Theologie. Übersetzt aus dem Amerikanischen von Gregor Kirstein, Graz u. a. 1980 (Originalausgabe: Friar Thomas d’Aquino: His Life, Thought and Works, New York 1974). Henryk Anzulewicz
II. Hilfsmittel 1. Tabulae, Indices, Lexika, Thomas-CD-ROM, Internetressourcen Die Werke des Thomas von Aquin gehören zu den bedeutendsten, meiststudierten und meistkommentierten theologischen und philosophischen Schriften des Mittelalters. Die Synthese von Rationalität und christlichem Glauben, von Theologie und Philosophie, die Thomas mit seinem Werk schuf, wird in der Fachwelt als die Vollendung des mittelalterlichen Denkens gewertet. Das Studium seiner Schriften im Mittelalter, das sich auf handschriftliche Überlieferung stützte, sollten zunächst die Tabulae erleichtern, ein für jedes einzelne Werk von den Handschriftenkopisten erstelltes und am Anfang oder am Schluss des Textes beigegebenes Inhaltsverzeichnis. Die Tabulae waren das erste und elementarste Instrument, das eine schnelle Orientierung über den Gehalt eines Werkes vermittelte. Die nächste Stufe von Hilfsmitteln für das Studium der Werke bildeten Concordantiae, Abbreviationes und Compendia, welche die wesentlichen Inhalte der Schriften zu erschließen suchten. Eine in vieler Hinsicht wegweisende Rolle, die sich auf die handschriftliche und gedruckte Überlieferung, auf Studien und Forschung der Thomaswerke bis in die Gegenwart auswirkt, kam den mittelalterlichen Katalogen der Werke des Thomas von Aquin zu. Sie legten mehr oder weniger verbindlich fest, welche Schriften für authentisch zu halten und als solche zu studieren und zu tradieren waren. Für die Echtheitsfragen der Opuscula erwies sich z. B. die Tabula aurea des Dominikaners Petrus von Bergamo als besonders
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maßgeblich. Die Tabula aurea wurde erstmals 1473 in Bologna gedruckt; zwei Jahre später erschien sie ebendort zusammen mit einem Index universalis in omnia Opera D. Thomae de Aquino. Die modernen Hilfsmittel des Studiums und der Forschung sind gegenüber den zuvor erwähnten durch literarhistorische, textkritische und systematische Erkenntnisbemühungen vervollkommnet und entsprechen auch den technischen Möglichkeiten unserer von Computersystemen gestützten Arbeitsabläufe. Traditionelle Indices und Lexika, die nach wie vor ein unverzichtbares Arbeitsinstrument sind, werden heute rar. Stattdessen gibt es eine kontinuierlich wachsende Zahl von elektronischen Datenbanken und entsprechenden Internetressourcen, die leicht zugänglich, schnell abrufbar, komfortabel und effektiv in der Benutzung sind. Von den klassischen Lexika seien hier nur einige der gängigen, in ihrer Eigenart jeweils unterschiedlich, erwähnt: R. J. Deferrari/B. M. Inviolata: A Complete Index of The Summa Theologica of St. Thomas Aquinas, Baltimore 1956; L. Schütz: Thomas-Lexikon. Sammlung, Übersetzung und Erklärung der in sämtlichen Werken des h[l]. Thomas von Aquin vorkommenden Kunstausdrücke und wissenschaftlichen Aussprüche, Paderborn 1881; 2. stark erweiterte Auflage 1895, Nachdruck 1958, 1983 (Online edition: http://www.corpusthomisticum.org/tl.html); M. Stockhammer: Thomas Aquinas Dictionary, New York 1965; Ch. H. Lohr, Thomas Aquinas Scriptum super sententiis: an index of authorities cited, Amersham 1980. Ein hilfreiches Arbeitsinstrument ist das elektronische Nachschlagewerk in Form einer CD-ROM der Werke des Thomas, das Schnellsuche nach Begriffen und ihrem Kontext und sowohl qualitative als auch quantitative Auswertung der Ergebnisse ermöglicht: Thomae Aquinatis Opera omnia cum hypertextibus in CDROM, hg. von R. Busa, Milano: Editoria Elettronica Editel 1992; 21997. Der elektronischen Version dieses Nachschlagewerkes (CD-ROM) ging eine mehrbändige Druckfassung voraus: Index Thomisticus … digessit R. Busa, Stuttgart 1974 ff. Viele nützliche Ressourcen zum Werk des Thomas von Aquin bietet das Internet, wobei nicht absehbar ist, wie dauerhaft sie auf dieser sich schnell verändernden Plattform zugänglich sind. Die Erfahrung lehrt, dass der Zugriff auf die bibliographisch ausgewiesenen Internet-Bestände zum Doctor angelicus, anders als beim Buchdruck, temporär limitiert und schon nach kurzer Zeit nicht mehr möglich sein kann (vgl. Murano, Opere diffuse per exemplar e pecia, 746). Es gibt dennoch Internet-Domänen von wissenschaftlichen Institutionen, deren Fortbestehen offenbar langfristig gesichert ist, wie z. B. die der Commissio Leonina (http://leonina.nerim.net/index.php), die Domäne Subsidia studii des Corpus Thomisticum (http://www.corpusthomisticum.org/index.html) der Universität von Navarra in Pamplona, welche 2000 von E. Alarcón eingerichtet wurde und vorbildlich geführt wird. Die letztere bietet u. a. den lateinischen Text der Opera omnia einschließlich der Web-Edition des Index Thomisticus von R. Busa, umfangreiche und mit detaillierten Angaben ausgestattete, getrennte Verzeichnisse der als gegenwärtiger wissenschaftlicher Standard geltenden Druckausgaben der
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Thomasschriften (http://www.corpusthomisticum.org/reoptedi.html) und sämtliche Inkunabeln sowie alle Werkausgaben des Aquinaten (http://www.corpus thomisticum.org/zbital1.html). Ein umfangreiches Angebot zum Thomas-Studium und weiterführende Hinweise auf diesbezügliche Netz-Ressourcen bieten derzeit im europäischen Raum insbesondere die Web-Seiten der Thomas-Institute der Universität zu Köln (http://www.thomasinstitut.uni-koeln.de/11704.html) und der Universiteit van Tilburg zu Utrecht (http://www.thomasinstituut.org/ index.php), des Instytut Tomistyczny der Dominikaner in Warschau (http:// www.it.dominikanie.pl/index.php?lang=pl) und der Società Internazionale San Tommaso d’Aquino, Sezione di Napoli (http://www.rectaratio.it/) sowie des virtuellen Grand Portail Philosophie Thomas d’Aquin (http://thomas-d-aquin.com/). 2. Bibliographien Die umfangreichste der zuletzt im Buchdruck erschienenen Thomas-Bibliographien stammt von R. Ingardia: Thomas Aquinas. International Bibliography 1977–1990, Bowling Green, Ohio 1993. Sie verzeichnet mehr als 4200 Titel. In der zweiten Auflage seines Buches Initiation à saint Thomas d’Aquin, Paris – Fribourg 2002, listet J.-P. Torrell für die Jahre 1993–2002 ca. 150 weitere Titel auf. Von 2000 bis 2007 verzeichnete D. Berger – teilweise kommentiert – in Doctor Angelicus, dem einstigen Jahrbuch der Deutschen Thomas-Gesellschaft, die für das deutsche Sprachgebiet einschlägigen Neuerscheinungen zu Thomas von Aquin und zum Thomismus. Eine kumulative und laufend aktualisierte Bibliographie wird von E. Alarcón im Internet geführt: http://www.corpusthomisticum.org/zbital2.html. 2007 veröffentlichte E. Alarcón den ersten Band einer neuen bibliographischen Reihe Thomistica: An International Yearbook of Thomistic Bibliography, welche die bibliographische Tradition der früheren Periodika Bulletin Thomiste (1924–1965) und Rassegna di Letteratura Tomistica (1966– 1993) fortsetzen sollte. Allerdings ist außer diesem ersten Band der »Thomistica 2006« bislang offenbar kein Folgeband erschienen. Den Wegfall der genannten bibliographischen Reihen fängt teilweise Revue Thomiste, aus der das BThom hervorging, durch Rezensionen und bibliographische Beiträge des Herausgebers S.-Th. Bonino (Thomistica V–X, in: RThom 99/3 [1999], 595–655; 100/4 [2000], 655–693; 102/2 [2002], 297–344; 104 [2004], 601–654; 107/2 [2007], 245–298; 111/2 [2011], 279–346) wieder auf. Auf das philosophische Gebiet beschränkt und selektiv wird die Literatur zu Thomas und zum Thomismus in International Philosophical Bibliography/Répertoire bibliographique de la Philosophie (Neu-Löwen/Löwen) verzeichnet. Einen bibliographischen Teilüberblick über die Thomistica speziell für den angelsächsischen Bereich gibt F. Kerr in New Blackfriars 85 (2004), 628–641 und 87 (2006), 651–659. Eine systematische Bibliographie der Thomas-Übersetzungen lieferte einst A. Schönfeld auf den Web-Seiten der Philosophischen Fakultät der Universität Regensburg: http://
II. Hilfsmittel
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www.uni-regensburg.de/Fakultaeten/phil_Fak_I/Philosophie/Gesch_Phil/WissHilfsmittelSchoenfeld.html. Die Systematik dieser Datenbank gründete auf dem von I. T. Eschmann aufgestellten, von J. A. Weisheipl (Thomas von Aquin, 321– 351) aufbereiteten und von G. Emery und R. Imbach (Torrell, Magister Thomas, 345–373) aktualisierten Katalog der authentischen Werke des Thomas von Aquin. Schönfelds Bibliographie dokumentierte die Veröffentlichungen in Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch bis zum Jahr 2003. Für die Übersetzungen ins Deutsche strebte der Autor Vollständigkeit an, weshalb er auch kleinere Teilübersetzungen verzeichnete, sofern eine vollständige Übersetzung der entsprechenden Schrift noch nicht vorhanden war. Diese Ressource steht unter der angegebenen Web-Adresse nicht mehr zur Verfügung, nachdem sie offensichtlich von R. Schönberger et al. in das Repertorium edierter Texte des Mittelalters, Bd. III, 3683 ff., aufgenommen wurde. Eine reichhaltige Internet-Bibliographie der Thomas-Übersetzungen ins Englische bietet S.-Th. Bonin, Thomas Aquinas in English. A Bibliography: http:// www.home.duq.edu/~bonin/thomasbibliography.html. Diese Datenbank enthält überdies mehrere Links zu englischen Übersetzungen und Ressourcen, die in elektronischer Form verfügbar sind. 3. Einleitungsliteratur und Werkmonographien Dem deutschsprachigen Leser stehen mehrere allgemeine und spezielle Einführungen in Thomas’ Leben und Werk zur Verfügung. In ihnen spiegelt sich der jeweils aktuelle Stand der Thomas-Forschung. Einige der älteren Einführungen, wie die von K. Bernath, G. K. Chesterton, M.-D. Chenu, M. Grabmann, J. Pieper, J. A. Weisheipl und P. Wyser, sind nach wie vor lesenswert, da sie teilweise unersetzliches Fachwissen und ein Gesamtbild vermitteln, obgleich es in dem einen oder anderen Punkt durch die Forschung überholt sein mag. Es gibt eine Reihe neuerer Zugänge, die von den bereits gesicherten Ergebnissen ausgehend tiefere und präzisere Einsichten bieten. Von den neueren Einführungen in Thomas’ Biographie und Werk sind u. a. die Monographien von O. H. Pesch, R. Heinzmann, W. Metz, R. Schönberger, M. Forschner, D. Berger und V. Leppin zu nennen. Spezielle Werkeinführungen, zum Teil auch als Einleitungen zu zweisprachigen Werkausgaben, liegen u. a. von D. Berger, F. Cheneval/R. Imbach, M. Grabmann, R. Heinzmann, P. Hoffmann, A. Speer und A. Zimmermann (siehe Bibliographie am Schluss des Bandes) vor. 4. Periodika und Publikationsreihen Die klassischen Hilfsmittel für Studien und Forschungen zu Thomas von Aquin bedienen sich des Buchdrucks, wenngleich der Anteil elektronischer Medien
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A. Orientierung
dauernd wächst. Die beiden Formen, die klassische und die elektronische, unterstützen und ergänzen sich gegenseitig. Die gedruckten Hilfsmittel wie Indices, Lexika und verschiedene Publikationen, sofern sie in elektronischen Datenbanken zugänglich sind, lassen sich in dieser Form leichter, schneller und effizienter recherchieren. Es gibt viele Publikationsreihen und Periodika, die speziell Thomas von Aquin gewidmet sind. Folgende von ihnen, die der Erforschung von Leben, Werk und Wirkungsgeschichte der Lehre des Aquinaten gewidmet und der thomasischen Tradition verpflichtet sind, bieten sich sowohl als Hilfsmittel als auch als primäre und sekundäre Quelle für Studium und Forschung an: Doctor communis. Rivista della Pontificia Accademia di San Tommaso d’Aquino, Rom (1948–). – Jahrbuch für Philosophie und spekulative Theologie, Fribourg, 1–26 (1886–1912); ab 1914: Divus Thomas, II. Ser.; ab 1923: III. Ser.; ab 1954: FZPhTh. – Divus Thomas. Commentarium de Philosophia et Theologia, Piacenza (1880–). – Bibliothèque Thomiste, Le Saulchoir, Paris (1921–). – Bulletin Thomiste, Le Saulchoir, Kain et Etiolles (1924–). – Rassegna di Letteratura Tomistica (1969–1996). – The Thomist. A Speculative Quarterly Review of Theology and Philosophy, Washington D.C. (1939–). – Revue Thomiste. Revue doctrinale de théologie et de philosophie, Paris, Toulouse (1893–). – Przegląd Tomistyczny, Lwów 1939 (nur ein Heft) und Warschau (1984–). – Ciencia Tomista, Madrid, Salamanca (1910–). – Doctor Angelicus. Annuarium Thomisticum Internationale, Bonn, I–VII (2000–2007). 5. Die Commissio Leonina und andere Einrichtungen der Thomas-Forschung Ein überaus wichtiger Faktor der Thomas-Forschung, zugleich Lieferant von gesicherten Quellentexten und maßgebliche Instanz, die über deren Bestand und Gestalt befindet, ist die Commissio Leonina (Paris). Diese Institution des Dominikanerordens, die primär mit der Textgeschichte und der Edition der Werke des Thomas befasst ist, bildet gleichsam den eigentlichen Kern der Thomasforschung. Von ihrer Kompetenz profitieren alle, die sie auf welche Weise auch immer in Anspruch nehmen. Es gibt außerdem eine Reihe wissenschaftlicher, meist akademischer Institutionen, die sich auf die Erforschung des Lebenswerkes des Thomas von Aquin spezialisieren und sich diesem Erbe verpflichtet haben. Hierzu zählen beispielsweise die Pontificia Università San Tommaso d’Aquino (Angelicum) in Rom, die Società Internazionale Tommaso d’Aquino (S.I.T.A.) sowie die in mehreren Ländern der Welt – u. a. in Deutschland (Köln), Frankreich (Toulouse), Holland (Utrecht) und Polen (Warschau und KU Lublin) – bestehenden, auf Thomas von Aquin fokussierten Zentren der Forschung und Lehre. Henryk Anzulewicz
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III. Thomasforschung zu Beginn des 21. Jahrhunderts So beeindruckend die Hochkonjunktur war, deren sich die Thomasforschung im Zeitraum der Neuscholastik auch über den engeren katholisch-kirchlichen Raum hinaus erfreuen konnte, so ernüchternd wirkte der Einbruch, den diese etwa zwischen 1955 und 1970 erlitt. Über die Ursachen dieses Wandels ist viel spekuliert worden (Zweites Vatikanisches Konzil, Kulturrevolution, kirchenpolitischer Missbrauch des Thomismus usw.), aus der Perspektive der heutigen Situation scheint er nurmehr die kaum außergewöhnliche Talsohle einer dauernden Aufund Abbewegung zu sein, welche die Geschichte der Thomasrezeption als bleibende Signatur durchzieht (Haldane, Thomism, 386). Längst ist an die Stelle der für die »Thomisten alter Schule« deprimierenden Stimmung der »Schleifung alter thomistischer Bastionen« der neue Aufbruchsgeist »einer Thomas-Renaissance unter den jüngeren Theologen« (Pesch, Thomas/Thomismus/Neuthomismus, 463) und Philosophen getreten. Diese Einschätzung Peschs hat sich in den letzten Jahren noch verstärkt: Verzeichnete die von E. Alarcón für das internationale thomistische Jahrbuch Doctor Angelicus erstellte Bibliographie der Thomas-Literatur im Jahr 2002 etwa 500 wissenschaftliche Publikationen weltweit, hat sich diese Zahl bis zum Jahr 2005 verdoppelt (Berger, Thomistische Bibliographie; Alárcon, Bibliographia thomistica). Im Folgenden kann aus dieser Fülle an Literatur nur im Sinne eines exemplarischen Auswahlverfahrens zitiert werden. Dabei wurde deutsch-, englisch- und französischsprachigen Studien sowie solchen Arbeiten, die wiederum eine ausführliche aktuelle Bibliographie enthalten, der Vorrang gegeben. Forschung bedarf immer eines organisatorischen Rahmens (Institute, Zeitschriften, Publikationsreihen usw.), mit dem sie in einem wechselseitigen Verhältnis steht. Daher soll im ersten Teil dieses Forschungsberichtes ein Durchblick über aktuell wichtige Institutionen der Thomasforschung gegeben werden. Der zweite Teil versucht dann, einige wichtige Leitmotive und Themenkreise der gegenwärtigen Thomasforschung zu skizzieren. 1. Institutionen Ein wesentliches Kennzeichen der Thomasforschung war und ist deren Internationalität, die im Zeitalter der Globalisierung und der damit verbundenen Möglichkeiten noch deutlich zugenommen hat. Die historische Verbindung des Aquinaten zu Rom ist ebenso evident wie die Thomasforschung seit jeher – durch die besondere päpstliche Förderung – eng mit dieser Stadt verbunden ist. Hier war es, wo Papst Leo XIII. das große, bislang unabgeschlossene Projekt der Leonina-Edition initiierte ( A.I.). Mehr als hundert Jahre arbeitet man unter der Schirmherrschaft der Päpste an einer der spannendsten historisch-kritischen Editionen des 20. Jahrhunderts. Erst im Jahr 2003
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A. Orientierung
erfolgte der Umzug der Kommission nach Paris. Als nächstes sollen hier u. a. die Edition wichtiger Predigten des Thomas, von De potentia, kleinerer quaestiones disputatae, des Metaphysikkommentars sowie des Römerkommentars fertiggestellt werden (Oliva, Leonine Commission, 507–508). Damit in engem Zusammenhang steht das Projekt, das der an der Päpstlichen Universität Gregoriana lehrende Philosophieprofessor R. Busa SJ bereits in den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ins Leben rief: die elektronische Verarbeitung der Werke des Thomas mit all den damit verbundenen neuen Möglichkeiten. Nachdem sich die Forscher über viele Jahre mit nicht immer ganz leicht zu handhabenden und kostspieligen Datenträgern begnügen mussten, ist es E. Alarcón von der Universität Pamplona zu Beginn unseres Jahrhunderts gelungen, den gesamten Index thomisticus in deutlich leichter zu handhabender Form auch im Internet verfügbar zu machen (Bolognesi, Work of Roberto Busa, 465–476). Auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat der Heilige Stuhl immer wieder die perennierende Geltung des Thomas von Aquin hervorgehoben und somit die Thomasforschung indirekt mitgefördert (Vijgen, Die heutige Autorität des hl. Thomas). Direkt dem Heiligen Stuhl unterstellt ist die von Leo XIII. begründete »Päpstliche (Römische) Akademie des hl. Thomas von Aquin (und der katholischen Religion)«, die »Pontificia Academia (Romana) S. Thomae Aquinatis (et Religionis catholicae)«. Fast die gesamte thomistische Elite der letzten 120 Jahre ist durch diese Schule gegangen oder zumindest wenigstens in engen Kontakt mit ihr gekommen. Nach einer gewissen Niedergangszeit in den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts beschloss Johannes Paul II., diese Institution im Anschluss an seine Enzyklika Fides et ratio neu zu beleben (Motu proprio Inter munera Academiarum). Im Herbst 2003 schließlich konnte die Akademie unter Leitung ihrer Präsidenten A. Lobato OP sowie des argentinischen Philosophen und Erzbischofs M. Sanchez Sorondo in Rom einen großen Internationalen Thomaskongress unter dem Titel »Der christliche Humanismus des Thomas von Aquin im dritten Jahrtausend« veranstalten. Drei umfangreiche Tagungsbände mit fast 300 Abhandlungen in lateinischer, italienischer, spanischer, französischer, englischer und deutscher Sprache geben einen beeindruckenden Einblick in den Stand der päpstlich geförderten Thomasforschung zu Beginn des neuen Jahrhunderts. Daneben finden mehrmals im Jahr in Rom wissenschaftliche Zusammenkünfte der Akademie statt. Außerdem erscheint auch weiterhin als Publikationsorgan der Akademie die Zeitschrift Doctor communis. Interessenschwerpunkt ist die vom philosophischen Schwerpunkt geleitete Thomasforschung. Seit April 2005 fungiert der polnische Dominikaner E. Kaczynski als Präsident der Akademie (Lobato, Pontifical Academy, 309–328). Neben den Päpsten hat sich keine internationale Einrichtung über Jahrhunderte hinweg im Hinblick auf die Thomasforschung so sehr engagiert wie das Studienhaus des Dominikanerordens in Rom. Letztlich geht diese Tradition bis auf Thomas selbst zurück, der bei Santa Sabina auf dem Aventin im Jahr 1265 im
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Auftrag des Ordens ein studium gründete. Im 17. Jahrhundert wurde diese Institution von Kardinal Hieronymus Casante neu belebt (Collegium S. Thomae de Urbe/Minerva), hier überlebten thomistische Traditionen auch Aufklärung und Revolution, um dann schließlich die starke Erweiterung der Studieneinrichtung hin zur »Päpstlichen Universität des hl. Thomas« (das sog. Angelicum) mitzubeeinflussen. Spielt Thomas auch im gesamten Philosophie- und Theologieunterricht eine wichtige Rolle, so gibt es zusätzlich noch ein eigenes, von dem Dominikaner D. Lorenz 1983 gegründetes »Istituto San Tommaso«. Es arbeitet eng mit der »Fédération Internationale des Instituts d’Etudes Médiévales« (FIDEM) zusammen. Die Studenten erlernen hier den hermeneutisch-kritischen Zugang zu den Texten des Thomas, ein vertieftes Eindringen in die Leitmotive des Denkens des Aquinaten sowie die Grundlagen für ein sinnvolles Gespräch zwischen dem Denken des Thomas und jenem der Gegenwart. Auch die Geschichte der Thomasrezeption ist ein eigener Forschungsgegenstand des Instituts, das regelmäßige Kongresse sowie Publikationen veranstaltet. Das offizielle Organ der Universität ist die Zeitschrift Angelicum (jährlich etwa 1000 Seiten): etwa zwei Drittel der dort veröffentlichten Studien gehören dem Bereich der Thomas- und Thomismusforschung zu. Eng mit den Institutionen des »Angelicum« sowie der »Päpstlichen Thomas akademie« hängt eine dritte, weltweit agierende Institution zusammen, die auf dem Internationalen Thomistenkongress im Jahr 1974, ausgehend von einem Vortrag, den der damalige Kardinal K. Wojtyla aus diesem Anlass hielt, von dem späteren Papst zusammen mit den Dominikanern B. d’Amore, V. de Couesnongle, A. Fernández und A. Lobato gegründet wurde: Die Internationale Thomasgesellschaft bzw. »Società Internazionale Tommaso d’Aquino« (S.I.T.A.). Ihr Hauptziel ist neben der wissenschaftlichen Erschließung der Lehre des Thomas v. a. deren Verbreitung in einem aufrichtigen Dialog mit den jeweiligen kulturellen Strömungen. Seit ihrer Gründung hat sie sich innerhalb kürzester Zeit in nahezu allen europäischen sowie mittel- und südamerikanischen Ländern durch nationale Sektionen verbreitet, wobei ein deutlicher Schwerpunkt auf den spanischsprachigen Ländern liegt. Zahlreiche Kongresse und Publikationen künden von einer regen Aktivität (Martinez, In dulcedine societatis, 343–349). Seit 2003 ist die S.I.T.A. auch in Deutschland durch die »Deutsche Thomasgesellschaft e.V.« mit Sitz im Dominikanerkloster St. Paulus in Berlin vertreten. Rein quantitativ stehen die spanischen sowie englischsprachigen Publikationen zur Thomasforschung derzeit an erster Stelle. In Spanien sind es v. a. die Universidad de Navarra, besonders deren Philosophische Fakultät, die jedes Jahr eine Vielzahl spezifischer Thomasstudien sowie Übersetzungen wichtiger Thomasschriften publiziert, und durch die bereits erwähnten Internetaktivitäten die Thomasforschung weltweit deutlich erleichtert hat. In Barcelona ist es die Fundacion Balmesiana, die seit 2002 ein eigenes von E. Martinez geleitetes »Instituto Santo Tomás« unterhält, das Veranstaltungen zu Thomas etwa im Rahmen einer Volkshochschule anbietet.
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In der englischsprachigen Welt ragen neben der Philosophischen Fakultät der Catholic University of America (Washington D.C.) sowie dem »Thomas Aquinas College« (Kalifornien) vor allem das »Center for Thomistic Studies« an der »University of St. Thomas« in Houston (Texas) hervor. Das auf eine Initiative Johannes Pauls II. zurückgehende Institut, das solch bedeutende Thomasforscher wie L. Elders oder J. F. X. Knasas als Professoren vorweisen kann, bemüht sich um einen »lebendigen Thomismus«, der aber seine Basis in einer genauen Kenntnis der Werke des Aquinaten sucht. Es wirbt damit, dass es das einzige »Graduate philosophy program« der Vereinigten Staaten bietet, das sich ausschließlich auf Thomas stützt. Die amerikanischen Dominikaner stellen mit der ihrem Studienhaus zu Washington verbundenen Zeitschrift The Thomist (seit 1939) nach wie vor ein Organ zur Verfügung, das durch die Publikation vieler thomistischer Studien weit über die USA hinaus die Thomasforschung bereichert. Die jüngste US-amerikanische Institution ist das von dem Thomasforscher M. Levering geleitete »Aquinas Center for Theological Renewal« an der »Ave Maria University« in Florida: alle zwei Jahre veranstaltet das Zentrum einen Internationalen Thomaskongress; die vom Institut herausgegebene Zeitschrift Nova et Vetera ist innerhalb weniger Jahre zu einem unverzichtbaren Organ der hauptsächlich an der Theologie orientierten Thomasforschung geworden. In Sydney, Australien, wirkt seit 1997 das »Centre for Thomistic Studies«; im kanadischen Toronto das traditionsreiche »Pontifical Institute of Medieval Studies« durch auf Thomas und den historischen Kontext seines Werkes spezialisierte Forschung und Lehre. In der französischsprachigen Welt ist die Dominikanerschule von Toulouse darum bemüht, an die lange südfranzösische Tradition des Thomasstudiums in verwandelter Form anzuknüpfen. Zentrum ist in diesem Sinne das »Institut SaintThomas-d’Aquin« (ISTA). Am Institut kann ein baccalauréat canonique (Lizentiat für Theologie) mit der Spezialisierung auf das Werk des Thomas erworben werden. Wichtigstes Publikationsorgan der Schule sind die traditionsreiche Zeitschrift Revue Thomiste sowie die mit der Zeitschrift zusammenhängenden wissenschaftlichen Kongresse und Publikationen. Ebenfalls der französischsprachigen Welt ist das 2005 von M. Sherwin an der Theologischen Fakultät der Universität Fribourg (französische Sektion) gegründete und auf die Inspiration des Moraltheologen S. Pinckaers zurückgehende »Institut St-Thomas pour la théologie et la culture« zuzurechnen. Nachdem in der deutschsprachigen Sektion die enge Anlehnung an die Thomasforschung, die als Zielvorgabe bei der Gründung der Universität ursprünglich im Mittelpunkt stand, seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr vorhanden ist, möchte dieses Institut Zeichen eines thomasorientierten Neuanfangs sein, indem es den Fortschritt von Philosophie und Theologie durch einen Dialog mit der gegenwärtigen Kultur auf der Basis des thomistischen Denkens zu fördern beabsichtigt. In Italien stellen die bereits vorgestellten internationalen Einrichtungen die wichtigsten Institutionen der Thomasforschung dar. Daneben entfalten aber auch das auf das Jahr 1248 zurückgehende »Studio Filosofico Domenicano« in Bolog-
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na und seine Zeitschrift Divus Thomas, das »Studio Filosofico Interprovinciale San Tommaso d’Aquino” in Neapel, die Ausbildungsstätte des »Istituto del Verbo Incarnato« im nahe Rom gelegenen Segni, die sich eng an die Thomasauslegung C. Fabros anlehnt und seit 2002 die kritische Gesamtausgabe seiner Schriften veranstaltet, sowie andere römische Universitäten (»Athenäum Pontificium Regina Apostolorum«; »Pontificia Università della Santa Croce«) rege Aktivitäten im Bereich der Thomasforschung. Aufgrund ihrer beachtlichen Tätigkeit seien auch zwei niederländische Einrichtungen genannt: Zum einen das der Universität Tilburg zugehörige »Thomas Instituut« zu Utrecht, das ein Forum für den wissenschaftlichen Austausch und die Forschung über das Denken des Aquinaten sein möchte, sowie die niederländische Sektion der S.I.T.A., die die von L. Elders begründete Tradition der wissenschaftlichen Thomastagungen im Studienhaus Rolduc (nahe Aachen) wiederaufgenommen hat. Während zahlreiche andere im deutschsprachigen Raum angesiedelte Institutionen der Thomasforschung in den letzten 50 Jahren untergegangen sind, gehören das an der Münchner Universität beheimatete »Martin-Grabmann-Institut« sowie das Kölner »Thomas-Institut« zu den Einrichtungen, die eine verhältnismäßig lange Tradition von Thomasstudien aufweisen können und die bis heute bestehen. Besonders zu nennen sind hier die Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes (Akademie-Verlag). Das Kölner Thomas-Institut arbeitet seit geraumer Zeit an einem kleinen Lexikon mit philosophischen Begriffen zu Thomas von Aquin (Verlag durch die Wissenschaftliche Buchgesellschaft geplant) sowie an einer Übersetzung und Kommentierung der ersten zehn lectiones des 4. Kapitels des thomasischen Kommentars zu De divinis nominibus. Die Dominikanerprovinz Teutonia setzt auch im 21. Jahrhundert das 1933 begonnene Projekt der Deutschen Thomas-Ausgabe fort (DTA 12, 2004, 18–21). Seit 2002 bemüht sich die bereits erwähnte »Deutsche Thomasgesellschaft« unter der Präsidentschaft des Dominikaners M. M. Dillmann um eine aktualitätsbezogene Förderung der Thomas- und Thomismusforschung. Dazu gibt sie das 2001 gegründete, umfangreiche Jahrbuch Doctor Angelicus heraus, das die 1993 abgebrochene Rassegna di Letteratura Tomistica als unverzichtbares Instrument der Thomasforschung wiederbelebt hat, indem es eine komplette, teilweise annotierte Bibliographie der gesamten Thomasliteratur des jeweiligen Vorjahres bietet (Martinez, In dulcedine societatis, 345). Außerdem veranstaltet die Gesellschaft die kommentierte Neuauflage wichtiger Arbeiten des französischen Thomisten R. Garrigou-Lagrange. Eine größere Zahl an Thomasforschern verzeichnet auch die stark interdisziplinär ausgerichtete »Internationale Gesellschaft für Theologische Mediävistik« (Jahrbuch Archa Verbi) als Mitglieder. Polen dürfte gegenwärtig in Osteuropa das Land mit der größten Aktivität im Hinblick auf die Thomasforschung sein. Besonders zu nennen ist hier neben der Philosophischen Fakultät der Katholischen Universität Lublin, in der nach wie vor die von Maritain, Gilson und Krapiec geprägte sog. existentialthomisti-
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sche Thomasrezeption eine große Rolle spielt (»Lubliner Schule«), das von Kardinal Stefan Wyszyński 1956 gegründete und seither von den polnischen Dominikanern betreute »Instytut Tomistyczny« (»Thomistische Institut«) in Warschau. Während sich das Institut zunächst eher allgemeintheologischen Themen, dann der Edition spätmittelalterlicher Schriften zuwandte, schenkt es seine Aufmerksamkeit seit 2002 (P. Michał Paluch übernimmt die Leitung) ganz spezifisch der Thomasforschung (Studia Przeglądu Tomistycznego), wobei die Übersetzung wissenschaftlicher Grundlagenliteratur der europäischen Thomasforschung eine wichtige Rolle spielt. Neben diesen speziell der Thomasforschung gewidmeten Einrichtungen gibt es natürlich auch generell an zahlreichen weiteren Philosophischen und Theologischen Fakultäten ein mehr oder weniger stark ausgeprägtes Interesse an der Thomasforschung. 2. Leitmotive Wirft man einen vereinfachenden inhaltlichen Blick auf die Thomasforschung zu Beginn des 21. Jahrhunderts, so fällt auf, dass zwei Spannungsfelder, die bereits jene des vorangegangenen Jahrhunderts bestimmten, nach wie vor prägend sind: Zunächst ist es jenes Spannungsfeld, das zwischen einer stark bis ausschließlich philosophischen auf der einen und einer primär theologischen Thomas interpretation auf der anderen Seite entstanden ist: Inwiefern wird man Thomas überhaupt als Philosophen bezeichnen dürfen? Wenn dem so ist, hatten dann vielleicht die Reformatoren recht, die ihm einen Verrat des Evangeliums an Aristoteles vorwarfen? Und was bedeutet dies dann für das seit vielen Jahren v. a. die deutschsprachige Thomasforschung mitbestimmende ökumenische Interesse (Pesch, Thomas and Contemporary Theology, 152–154; Morerod, Thomisme et oecumenisme)? Ist dem nicht so, welche Geltung haben dann noch die Jahrzehnte lang immer wieder zu hörenden Ermahnungen der Päpste, der thomistischen Philosophie zu folgen (Vijgen, Die heutige Autorität des hl. Thomas)? Nimmt es sich dann nicht seltsam aus, nach wie vor Einführungen in die Philosophie des Thomas zu verfassen, die von dessen theologischer und spiritueller Verankerung völlig schweigen (Zimmermann, Thomas lesen)? Hat dann ein »Thomas-Institut« an einer Philosophischen Fakultät noch ein Bleiberecht? Diese Fragen stehen etwa – zwar nicht explizit benannt, aber doch das Gesprächsklima deutlich prägend – im Hintergrund, wenn mit großer Verve über die Frage gestritten wird, inwieweit die Aristoteleskommentare des Thomas nun als primär theologische oder als rein philosophische Werke zu lesen sind (Jordan/Kaczor, Commentary on the ethics). Nach der an diesem Punkt (vielleicht auch nur implizit) getroffenen Entscheidung werden sich dann die entsprechenden Forschungsschwerpunkte bzw. deren spezifische Ausgestaltung richten: Wer Thomas zuerst und vor allem als Theologen betrachtet, wird der Inspiration des thomasischen
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Denkens durch die Heilige Schrift, dem Einfluss der Frühscholastik sowie der Kirchenväter, zumal Augustins, und auch der dominikanischen Spiritualität auf das Leben und damit verbundene Denken des Thomas besonderes Augenmerk schenken. Sieht man in Thomas dagegen primär den Philosophen, so lenkt man den Blick unwillkürlich auf sein Verhältnis zu den großen Philosophen der Antike (Aristoteles, aber auch Platon) und deren Rezeption im universitären Klima seiner Zeit (Forschner, Thomas von Aquin); teilweise auch noch auf dessen Fortwirken in der späteren Philosophiegeschichte. Das zweite Spannungsfeld hat seine tiefste Wurzel in der Kluft, die zwischen Geschichte und Systematik klafft (Torrell, St. Thomas Aquinas). Auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts erscheinen, zumal im deutschen Sprachraum, eine Fülle an Thomasarbeiten, die sauber und ordentlich, mit allen Mitteln der Kunst, aufarbeiten, was Thomas zu einer bestimmten Frage gesagt hat und inwiefern er damit von wem beeinflusst war. Durch eine exakte historische Rekonstruktion sowie deren Kontextualisierung ist es beispielsweise gelungen, der Position des Thomas zu kirchengeschichtlich brisanten Fragen (Frauenbild, Umgang mit Häretikern, Hexenverfolgung) größere Gerechtigkeit in der wissenschaftlichen Beurteilung zuteil werden zu lassen (Linsenmann, Die Magie bei Thomas). So viel Bewunderung diese Arbeiten verdienen und so notwendig sie als Fundament jeder Form eines lebendigen Thomismus sind, so drängt sich gelegentlich doch der Eindruck auf, man betrete ein Museum, zwar schön restauriert, aber ohne jede Relevanz für die eigene Gegenwart. Die Frage nach der Aktualität des Gesagten erscheint als peinlich und wird ausgeblendet, eine Fruchtbarmachung im Hinblick auf die aktuellen Fragen in Philosophie und Theologie so nicht selten verhindert. Auf der anderen Seite droht freilich die Gefahr, von einer gegenwärtig als Problem empfundenen Frage auszugehen und von hierher sich ein bestimmtes Thomasbild zu rekonstruieren, das vor der historischen Thomasforschung nicht mehr bestehen kann und den geschichtlichen Text nurmehr durch die Brille des systematischen Vorurteils zu lesen imstande ist. Inwiefern dies in den Formen des Transzendentalthomismus innerhalb der Theologie der Fall war, oder inwieweit die im Bereich der Philosophie nach wie vor zahlreichen Studien, die Thomas mit anderen großen Denkern (Descartes; Kant; Hegel; Heidegger) vergleichen, dieser Gefahr erliegen oder eher die nötige Aktualisierung fördern, muss freilich von Fall zu Fall entschieden werden (Feil, Die Grundlegung der Ethik; Kläden, Mit Leib und Seele; Barth, Absolute Wahrheit; McCafferty, Humanism). Derzeit am einflussreichsten dürfte in diesem Zusammenhang der sog. »Analytical Thomism« als typisch angloamerikanische Form der Thomasrezeption – mit seinen wichtigsten Vertretern P. Geach, E. Anscombe, A. Kenny und J. Haldane – sein, der bemüht ist eine Synthese aus der Analytischen Philosophie und der thomistischen Denktradition herzustellen (Kerr, Thomas Aquinas; Paterson/Pugh, Analytical Thomism). Im Bereich der Theologie sind zu Beginn des Jahrhunderts besonders zwei einflussreiche Aktualisierungsversuche zu nennen: In der angelsächsischen Welt hat
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v. a. die Thomasrezeption der »Radical Orthodoxy«-Bewegung in den letzten Jahren von sich reden gemacht: Ausgehend von der französischen Philosophie der Postmoderne wird Thomas in die Nähe von Theologen wie H. U. von Balthasar, H. de Lubac, K. Barth oder J. Ratzinger gerückt, die als »Thomisten« bezeichnet werden: damit soll den Rationalitätskonzepten der Aufklärung bzw. dem als durchwegs negativ eingeschätzten Liberalismus das Konzept eines »postmodernen augustinischen Thomismus« als Alternative gegenübergestellt werden (Milbank/Pickstock, Truth in Aquinas; Rowland, Culture and the Thomist Tradition). Daneben ist die Thomasrezeption der Schule von Toulouse (s. o.) zu nennen, die sich in souveräner Form der Tradition des klassischen Thomismus verpflichtet weiß, weitaus stärker an den Ergebnissen der streng historischen Thomasforschung orientiert ist und eine vorbildliche Aktualisierung des Aquinaten umsetzt, die die beiden genannten Extreme meidet (Bonino, Thomistes ou de l’actualité; Ders., Théologie des religions). Neben diesen zwei Spannungsfeldern scheint gerade auch im deutschen Sprachraum ein gegenüber der vergangenen Jahrhunderthälfte deutlich angestiegenes Bedürfnis nach Schriften, welche in die großen Werke bzw. die Philosophie und Theologie des Thomas einführen, vorhanden zu sein (Mondin, Dizionario enciclopedico; Nichols, Discovering Aquinas; Berger, Aquins »Summa theologiae«; Speer, Die Summa theologiae. Werkinterpretationen; Nieuwenhove/Wawrykow, Theology of Thomas Aquinas; Schönberger, Aquin zur Einführung). Bezüglich der historischen Fragen nach Leben und Werk des Aquinaten, die im 20. Jahrhundert Gegenstand ausgiebiger Forschungen waren, dürfte mit der Thomasbiographie Torrells (Magister Thomas) am Ende dieses Jahrhunderts ein Forschungsstand erreicht worden sein, der auch für das jetzige Jahrhundert grundlegender Ausgangspunkt bleiben wird, auch wenn da und dort sicher Modifikationen in der Beantwortung periphererer Fragen, zumal im Hinblick auf die genaue chronologische Einordnung mancher Thomaswerke, vorzunehmen sein werden (Alarcón, Thomism today, 371–399). Schließlich ist als wesentliche Signatur die zunehmende »Entkonfessionalisierung« des Thomas zu erwähnen: Auch in der protestantischen Theologie hat sich, nachdem bereits die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts wichtige ökumenisch inspirierte Studien verzeichnen konnte (Pesch, Thomas and Contemporary Theology), die allgemeine Thomasrenaissance spürbar ausgewirkt. Am deutlichsten ist dies in der nordamerikanischen protestantischen Moraltheologie zu spüren, wo man die durch die Kritik Barths nicht getroffen geglaubte authentische Naturrechts- und Tugendlehre des Thomas ganz neu für sich entdeckt hat (Bowlin, Contemporary Protestant Thomism). Auch die neueren deutschsprachigen Arbeiten von Stefan Lippert und Stefan Gradl zeigen, dass man im protestantischen Raum deutscher Provenienz fest entschlossen ist, das »evangelische Väter erbe« (U. Kühn) gerade bezüglich Thomas nun mutig und vorurteilsfrei anzu treten (Lippert, Recht und Gerechtigkeit; Gradl, Deus beatitudo hominis). Deutlich komplizierter zeigt sich die Thomasrezeption noch in der orthodoxen
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Theologie: Obgleich eine eigene thomistische Tradition nicht unbekannt ist (Barbour, Georgios Scholarios), scheint Thomas hier bislang fast nur unter kontroverstheologischem Interesse zu existieren: In der trinitarischen Kontroverse sowie der Gnadenlehre und Soteriologie wird er zumeist nur als der typische Vertreter der westlichen Theologie und als Negativfolie herangezogen, um die orthodoxen Vorstellungen strahlen zu lassen (Marshall, Ex Occidente lux?). 3. Interessenschwerpunkte Unter philosophischem Aspekt steht natürlich die Metaphysik in der Interessenrangliste an erster Stelle. Die Thomasforschung des vergangenen Jahrhunderts hat die zentrale Rolle des Seinsbegriffes im philosophischen Denken des Thomas erneut in ein klares Licht gehoben. Dementsprechend sind auch im letzten halben Jahrzehnt eine Fülle an Studien zu diesem Bereich erschienen, die zumeist die von E. Gilson und C. Fabro angestoßenen Impulse fortsetzen, wobei die Frage des Maßes der Abhängigkeit von Aristoteles nach wie vor die Gemüter erhitzt (Clarke, One And The Many; Ferraro, Conoscenza dell’ens; González, Thomistic Metaphysics, 401–437). Damit in engem Zusammenhang steht die sog. natürliche Gotteslehre resp. die Frage der quinque viae, wobei hier die Tendenz vorherrscht, den theozentrischen Charakter des gesamten thomasischen Denkens wieder gegenüber einer anthropozentrischen Interpretation, die durch die transzendentalthomistische Thomasinterpretation im 20. Jahrhundert kurz aufgekommen war (Metz, Christliche Anthropozentrik), hervorzuheben (Barbour, Wissenschaft und Glaube; Berger, Zentrale Bedeutung der q.1; McInerny, Praeambula fidei). Sicher auch aufgrund der Schwierigkeiten, die sich aus dem Verhältnis zu den modernen Naturwissenschaften ergeben, nehmen im strengen Sinne naturphilosophische Fragestellungen eine Randstellung ein (Elders, Naturphilosophie des Thomas), wohingegen die mit diesen in engstem Zusammenhang stehende Anthropologie des Thomas seit ungefähr 15 Jahren eine ungeheure Hochkonjunktur erlebt (Pontificia Academia Sancti Thomae Aquinatis, Atti del Congresso). Damit wiederum untrennbar verbunden zeigt sich das enorme Interesse an den philosophischen Aspekten der Ethik des Aquinaten, besonders dort, wo aktuelle Problemstellungen an diesen herangetragen werden (Elders, Ethics of St. Thomas). So etwa: Wie ist die Position des Thomas von der Beseelung des Menschen im Hinblick auf Abtreibung und Embryonenforschung zu interpretieren (Haldane, On human ensoulment; Floucat, Thomisme face)? Hat die thomasische Theologie des Todes eine Relevanz im Hinblick auf die Euthanasiediskussion (Eberl, Thomistic Understanding, 29–48)? Welche Position würde er im Hinblick auf Emanzipation und Feminismus einnehmen (De Crane, Aquinas, feminism and the common good)? Inwiefern sind seine Äußerungen zu einem »gerechten Krieg« oder zum Geld als »Instrument der Gerechtigkeit« heute noch
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aktuell (Wittreck, Geld als Instrument)? Bis hin zu solchen Fragen wie: Welchen Beitrag leistet die Lehre des Thomas zu einer ökologischen Ethik (Benzoni, Environmental Ethics)? Aber auch mehr grundsätzliche Fragen, wie etwa jene nach der Struktur menschlichen Handelns, dem Zusammenhang von Akten und Formalobjekt, nach der Rolle des Gewissens sowie dem Naturrechtsbegriff des Aquinaten usw., stoßen auf lebhaftes Interesse (Scherz, Naturgesetz; Gradl, Deus beatitudo hominis; Dell’Olio, Moral selfhood; Brungs, Metaphysik der Sinnlichkeit; Kluxen, »Lex naturalis«; Schwartz, Unmittelbarkeit und Vermittlung; McInerny, Vernunftgemäßes Leben). Auffällig ist für diesen Bereich weiterhin, dass man – trotz Einigkeit bezüglich der Tatsache, dass sich Thomas vor allem als Theologe verstanden hat – immer noch Studien verfasst, in denen typisch theologische Fragen unter rein philosophischem Aspekt betrachtet werden (Niederbacher, Glaube als Tugend). Während die Erkenntnistheorie des Thomas in der Neuscholastik mit ihrem apologetischen Hintergrund einen großen Raum einnahm, scheint die Aufmerksamkeit für diese in den letzten Jahren etwas zu verblassen (Mayer, De veritate; Livi, L’epistemologia). In der römisch-katholischen Theologie zeigt sich – dies wohl auch eine Nachwirkung der Weisungen des Zweiten Vatikanischen Konzils sowie der Enzyklika Fides et ratio Papst Johannes Pauls II. – ein besonderes Interesse an der Lösung klassischer fundamentaltheologischer Fragen bei Thomas, wobei allerdings die noch im 20. Jahrhundert besonders ausgiebig diskutierte Frage nach der Rolle der Heilsgeschichte im Denken des Thomas deutlich und damit auch die Diskussionen um den Aufbauplan der Summa Theologiae verstärkt in den Hintergrund getreten sind (Berchtold, Manifestatio veritatis; Marshall, Nature of Theology; Dauphinais/Levering, Reading John). Ausgiebig ist man dagegen nach wie vor bemüht, die thomasische Verhältnisbestimmung von Natur und Gnade resp. Übernatürlichem (und damit auch die genaue Bestimmung des desiderium naturale nach der Gottesschau) möglichst zuverlässig zu rekonstruieren, wobei ein fast flächendeckender kritischer Abschied von der einstmals äußerst einflussreichen diesbezüglichen Thomasdeutung der sog. nouvelle théologie (H. de Lubac u. a.) zu konstatieren ist (Goris, Avoiding Grace; Long, Nature). In großer Fülle erscheinen außerdem Studien, die die Positionen des Thomas im Hinblick auf den interreligiösen Dialog darzustellen bemüht sind (Elders, Dialog; Ellul, Muslim-Christian Dialogue; Soujeoule, Dialogue interreligieux; Bonino, Théologie des religions). Feststellbar ist ebenfalls eine unerwartet große Aufmerksamkeit für die Bibelkommentare des Aquinaten (Guggenheim, Jésus Christ; Dauphinais/ Levering, Reading John; Weinandy, On Scripture), wobei dessen (patristisch-) mittelalterliche Schriftauslegung die Mängel der historisch-kritischen Schriftauslegung überwinden soll (Levering, Ecclesial Exegesis) – mit dem Ziel, eine Integration von Systematik und Exegese im sog. »biblical Thomism« zu erreichen. In der Gotteslehre steht die Trinitätslehre bzw. die dort zentrale Kategorie der relatio subsistens und damit verbunden die Transformation des boethianischen
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Personverständnisses im Mittelpunkt; die von der Kritik Karl Rahners angestoßene Diskussion um das Verhältnis von immanenter und ökonomischer Trinität bei Thomas hat dagegen deutlich an Intensität verloren (Rikhof, Aquinas’ Authority, 213–233; Smith, Trinitarian Theology; Emery, Einheit und Vielheit). Im Verhältnis zu der Rolle, die man der Schöpfung gemeinhin im Denken des Thomas einräumt, hält sich die Zahl der neueren Studien zu diesem Bereich eher in Grenzen ( C.II.5.), wobei freilich an der Schöpfungslehre nachgeordneten, z.T. spekulativ hochkomplizierten Fragen (Weltregierung, Prädestination sowie die theologische Anthropologie), die im neuscholastischen Disput eine wesentliche Rolle spielten, ein neues Interesse erwacht scheint (Goris, Divine Foreknow ledge). Mit der Lehre von der Vorherbestimmung steht jene von der Sünde sowie der Gnade wiederum in engstem Zusammenhang und auch hier kann man, zumindest für den Bereich der Charitologie, ein starkes Interesse feststellen (Wippel, Natur und Gnade; Wawrykow, Hypostatic Union; Oliver, Sweet Delight; Schenk, Providence; Scheuer, Weitergabe): Gerade hier wird das Vorurteil einer Vergewaltigung des biblischen und augustinischen Erbes durch den Aristotelismus des Thomas, an dem bestimmte Formen einer nachtridentinischen, häufig antiprotestantisch enggeführten Thomasauslegung nicht unschuldig waren, endgültig ad absurdum geführt (Pesch, Thomas/Thomismus/Neuthomismus, 439). Ganz eindeutig der größte Teil der jüngeren Thomasarbeiten fällt aber in den Bereich der Moraltheologie. Dabei ist die Freude an der Beschäftigung mit Themen der Fundamentalmoral ungebrochen, die Interpretation des Aquinaten im Sinne einer »autonomen Moral im christlichen Kontext« wird aber kaum mehr vertreten (Abba, Soggetto morale; Giertych, Mysterium fidei; Rickmann, Struttura trinitaria; Porter, Right Reason). Unübersehbar ist dagegen der eminente Einfluss, den die moraltheologische Thomasdeutung S.-Th. Pinckaers sowohl auf die Theologie als auch auf das Lehramt der katholischen Kirche ausübt (Cessario, Hommage). Die von G. Grisez und J. Finnis entworfene »New Natural Law Theory« hat auch im deutschsprachigen Bereich (Rhonheimer, Natural Law) einen gewissen Einfluss und wird bezüglich ihrer thomasischen Grundlegung kontrovers diskutiert (Goyette, Natural law tradition). Das größte Interesse finden freilich ebenfalls hier, wie bereits bei der philosophischen Ethik erwähnt, aktuelle Fragestellungen, die mit den Lösungsansätzen des Aquinaten konfrontiert werden, wobei die Trennungslinie zwischen philosophischer und theologischer Ethik natürlich gerade in diesem Bereich verschwimmt (Leget, Plausibility). Auch zur Theologie der Mystik bei Thomas erscheinen nach vielen Jahrzehnten der Abstinenz von diesem Themenbereich nicht wenige Studien (Pinckaers, Das geistliche Leben; Horst, Gaben des Heiligen Geistes; Lobato, Carisma profetico; Berger, Aspekte; Kwasniewski, Ecstasy of Love; Torrell, St. Thomas Aquinas). Insgesamt zeigt sich weltweit gesehen ein besonderes Interesse an der Christologie bei Thomas, wobei die neueren Studien die Legende vom randständigen Charakter der Christologie im Werk des Aquinaten ebenso ausgeräumt haben
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wie die vielen Vorurteile, die gemeinhin v. a. ihrer Ausarbeitung mit Hilfe eines stark metaphysischen Instrumentariums gegenüber bestanden: Gerade die immer wieder kritisierte Aufarbeitung der christologischen Dogmen durch klare naturphilosophische und metaphysische Begriffe (Natur, Person, Sein, Wesen, Instrumentalursächlichkeit) ist es unter anderem, die jede Versuchung zu einem monophysitischen Triumphalismus im Kern erstickt (Gondreau, Passions; Marschler, Auferstehung; Gormann, Metaphysische Themen; Berger, Instrumentum; Wawrykow, Hypostatic Union). Die Beschäftigung mit ekklesiologischen Elementen in der Theologie des Aquinaten erfreut sich weiterhin großer Beliebtheit, kommt aber in ihren Ergebnissen nicht über die durch die Thomasforschung des vergangenen Jahrhunderts entstandenen Rahmenbedingungen und Rekonstruktionsprobleme hinaus (O’Meara, Theology of Church). Dafür tritt die thomasische Sakramentenlehre, besonders im Hinblick auf Grundlagenfragen, deutlich in den Vordergrund, wobei zumeist auch deren Aktualität im Hinblick auf eine nicht zufriedenstellende Sakramentenpraxis in der Gegenwart herausgearbeitet wird (Röhrig, Zeichen; Berger, Sakrament). Bei der speziellen Sakramentenlehre hält selbstredend die Eucharistielehre den ersten Platz, gefolgt von den Ausführungen des Thomas zum ordo (Schulze, Schönheit des Amtes; Biffi, L’Eucaristia; Scheffczyk, Problem der »eucharistischen Ekklesiologie«; Gherardini, Sacramentalità). Die Eschatologie behält den Randstatus, den sie von jeher in der Thomasforschung besaß, insofern sie nicht für anthropologische Fragen unverzichtbar ist (Leib-Seele-Verhältnis). Während sich – wie bereits erwähnt – v. a. im philosophischen Bereich die Tradition des vergangenen Jahrhunderts fortsetzt, die das Denken des Thomas im Verhältnis zu gegenwärtigen Denkansätzen behandelt, ist neben sie in den letzten Jahren ein ganz neues Interesse an der Aufarbeitung der Thomasrezeption im klassischen Thomismus getreten: Von dem alten, undifferenzierten Vorurteil, das diesen pauschal als Korruptor der authentisch thomasischen Lehre betrachtet (scharfe Gegenüberstellung von »thomasisch« und »thomistisch«), hat man sich verabschiedet und legt die Grundlagen für eine gerechtere und differenziertere Einschätzung dieser Schule (Cessario, Short History; Berger/Vijgen, Thomistenlexikon). Alarcón, Enrique (Hg.): Thomism today (AnFil 39/2), Pamplona 2006, 291–520. Bauerschmidt, Frederick Christian/Fodor, Jim (Hg.): Aquinas in Dialogue. Thomas for the Twenty-First Century, Oxford 2004. Torrell, Jean-Pierre: Situation actuelle des études thomistes, in: RSR 91 (2003), 343–372. van Geest, Paul/Goris, Harm/Leget, Carlo (Hg.): Aquinas as Authority. A collection of studies presented at the second conference of the Thomas Instituut te Utrecht, Dec. 14–16 2000, Löwen 2002. Zemler-Cizewski, Wanda: Rediscovering Thomas Aquinas in the twenty-first century, in: AThR 85 (2003), 735–741.
David Berger
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I. Stationen 1. Kirche und Gesellschaft im 13. Jahrhundert Das Papsttum stand im 13. Jahrhundert auf dem Höhepunkt seiner Geltung und seines Einflusses. Herausragende Persönlichkeiten leiteten vor allem in der ersten Jahrhunderthälfte die römische Kirche, an ihrer Spitze Innozenz III. (1198–1216), vielleicht der bedeutendste mittelalterliche Papst überhaupt. Während die Könige Englands und Frankreichs erbittert um den Vorrang in Westeuropa kämpften und im Imperium der Staufer Philipp († 1208) und dann sein Neffe Friedrich II. (1194–1250) mit dem Welfen Otto IV. († 1218) um die deutsche Königswürde und die Kaiserkrone rangen, wurde Innozenz rasch zur dominierenden Gestalt in der lateinischen Christenheit und wahrte diesen Rang bis zu seinem Tode. An die Grundsätze Gregors VII. (1073–1085) und die daraus entwickelten Positionen der Theologen und Kanonisten anknüpfend, formulierte er wortgewaltig seine hohen Vorstellungen von der einzigartigen päpstlichen Würde und Vollmacht – Vorstellungen, die seine Nachfolger weitgehend übernahmen und die noch Bonifaz VIII. (1294–1303) mit kaum mehr überbietbarer Schärfe und Zuspitzung vertreten sollte, um am Ende freilich zu scheitern. Nach Innozenz’ Überzeugung legte Christus selbst, indem er Petrus zum Fundament seiner Kirche machte, die unumstößliche Primatstellung des apostolischen Stuhls fest. Auch allen Nachfolgern Petri gelten deshalb sämtliche Zusagen, die Christus einst jenem gegeben hatte. Genau wie Petrus stehen sie in unmittelbarer Bindung an Christus; genau wie er empfangen sie aus Christi Hand die Schlüssel des Himmelreiches und damit die universale Binde- und Lösegewalt, wie jenen beruft Christus allein sie zur umfassenden plenitudo potestatis (»Fülle der Macht«), während er den übrigen Gliedern der Kirche nur die pars sollicitudinis (»Teilhabe an der Sorge und Mühe«) zuteilt. So erweist sich der päpstliche Diener Gottes als vicarius Christi (»Christi Stellvertreter«). Unter Gott, doch über die Menschen gestellt, urteilt er über alle, ohne selbst dem Urteil eines Menschen zu unterliegen. Konsequent suchten Innozenz und seine Nachfolger die hohen Ansprüche, die sie mit ihrer päpstlichen Würde verbanden, praktisch durchzusetzen. Das gelang ihnen vor allem innerhalb der Amtskirche. Energisch kontrollierten und korrigierten sie die Amtsführung der Kleriker. Gewichtige Rechtsfälle, etwa Absetzungen oder Versetzungen von Bischöfen zogen sie an sich, streng ahndeten sie Verstöße gegen das Kirchenrecht. Besonders aktiv und prägend wirkten sie als Gesetzgeber der Kirche. Bereits Innozenz III. beeinflusste deren inneres Leben tief mit einer Flut von Erlassen und Entscheidungen. Als erster Papst ließ er eine offizielle, als compilatio tertia bekannte Dekretalensammlung anlegen und 1210 an die Universität Bologna mit der Anordnung übersenden, künftig seine Dekretalen im Universitätsunterricht wie in der Rechtspraxis allein im hier vorliegenden Wortlaut zu benützen. Gregor IX. (1227–1241), gleichfalls ein versierter Kenner des Kirchenrechts, beauftragte 1230 den bedeutenden Kanonisten Raymund von
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Peñafort mit einem noch ehrgeizigeren Unternehmen, mit der Aufgabe nämlich, die erneut bedeutend angewachsene Masse der päpstlichen Dekretalen einschließlich seiner eigenen kritisch zu sichten und nach Beseitigung von Widersprüchen wohlgeordnet neu zusammenzufassen. 1234 vollendete Raymund sein bald Liber Extra genanntes Werk, das rasch zu den grundlegenden Kirchenrechtssammlungen gehörte. Innozenz IV. (1243–1254), einer der führenden Juristen seiner Zeit, suchte nicht nur wie seine Vorgänger die Reform der Kirche in der Rolle des Gesetzgebers weiter voranzutreiben; er verfasste zudem einen umfangreichen, schnell maßgebend werdenden Kommentar zu Gregors Dekretalensammlung. Die Bischöfe gelangten im 13. Jahrhundert zwar in der Regel durch die Wahl der Domkapitel in ihr Amt; sie bedurften jedoch der päpstlichen Bestätigung, und wenn es zu Schwierigkeiten, etwa zu einer strittigen Wahl kam, beanspruchten die Päpste selbst das Recht auf die Bischofseinsetzung. In dem Bestreben, den Episkopat Deutschlands und Italiens im Kampf gegen Kaiser Friedrich II. möglichst vollständig auf seine Seite zu bringen, verbot Innozenz IV. den Domkapiteln schließlich Bischofswahlen ohne Zustimmung und Kontrolle seiner Legaten sogar völlig; er sandte diesen Anweisungen zugunsten bestimmter Personen oder setzte seine Wunschkandidaten ohne jede Mitsprache der Kapitel allein ein. Päpstliche Privilegien förderten die sich nun im Abendland bildenden neuartigen Universitäten, früh schon die wegen des überragenden Rufes ihrer Philosophischen und insbesondere ihrer Theologischen Fakultät wichtige Universität zu Paris. Freilich trat neben die Unterstützung auch hier der kontrollierende Eingriff. So gab der päpstliche Legat Robert Courçon der Pariser Universität 1215 ihre Statuten. Auf Weisung Honorius’ III. (1216–1227) erhielten die Dominikaner und Franziskaner dort theologische Lehrstühle; den schweren Konflikt, der dann in den 1250er Jahren zwischen den Universitätslehrern aus dem Weltklerus und ihren Kollegen aus den Bettelorden ausbrach, beendete Papst Alexander IV. (1254–1261) mit der Bestätigung der Rechte der Mendikanten. Kirchliche Institutionen verboten seit 1210 wiederholt die Berücksichtigung der naturphilosophischen Schriften des Aristoteles in der Lehre, und 1277 verurteilte der Pariser Bischof Étienne Tempier, nach einem ähnlichen Schritt im Jahr 1270, auf päpstliche Initiative hin 219 an der Pariser Universität gelehrte Sätze als irrig. Die meisten Päpste des 13. Jahrhunderts sahen in der Kreuzzugsvorbereitung und in der Werbung für die Kreuzfahrt eine ihrer vordringlichsten Aufgaben, und wenigstens zu Beginn des Jahrhunderts fand der Kreuzzugsgedanke auch unter den Laien noch Resonanz. Die Unternehmen selbst drohten jedoch der päpstlichen Führung mehr und mehr zu entgleiten. Das musste schon Innozenz III. erleben, als die von ihm zur Befreiung des Hl. Landes ausgesandten Kreuzritter sich 1204 gegen Konstantinopel wandten, den byzantinischen Kaiser vertrieben und ein lateinisches Kaisertum begründeten. Ganz ähnlich wandelte sich der erste in einem christlichen Land geführte Kreuzzug, zu dem er 1208 gegen den der hartnäckigen Unterstützung der ketzerischen Albigenser beschuldigten Gra-
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fen Raimund VI. von Toulouse aufrief, schnell zum brutalen Eroberungsfeldzug nordfranzösischer Adliger. Ohne die Initiative des Papstes oder sonst eines hohen Geistlichen machten sich dann 1212 von Nordfrankreich, von Lothringen sowie vom Rheinland aus Kinder, Jugendliche und etliche Erwachsene meist einfacher, bäuerlicher Herkunft zum sog. Kinderkreuzzug auf, überzeugt, den Armen und Unschuldigen werde Gott das gewähren, was er den Mächtigen versagte: die Wiedergewinnung des Hl. Grabes. Ihr Vorhaben scheiterte vollkommen. Doch auch der neue Kreuzzug, um den sich Innozenz seit 1213 bemühte und für dessen Verwirklichung sich sein Nachfolger Honorius mit ganzer Kraft einsetzte, endete 1221 im Nildelta mit einem Desaster. Friedrich II. aber, der Jerusalem 1229 auf dem Verhandlungsweg den Christen zurückgewann, erschien im Hl. Land, nachdem er das Projekt wieder und wieder aufgeschoben hatte, schließlich als Gebannter und gegen das ausdrückliche päpstliche Verbot. Nicht weniger deutlich prägte auf seine Weise der französische König Ludwig IX. die von ihm geführten Kreuzfahrten, die erste von 1248 bis 1254 wie die zweite von 1270, für die er nur noch mit äußerster Mühe Mitstreiter fand, auf der er starb und mit der die Zeit der Kreuzzüge endete. Die weitgespannten päpstlichen Aktivitäten machten die Umstrukturierung und planmäßige Erweiterung der kurialen Verwaltung notwendig. Bereits während des Pontifikats Innozenz’ III. erfolgte denn auch die Neuordnung der päpstlichen Kanzlei. Ungefähr in die gleiche Zeit fallen die Anfänge zweier Institutionen mit gerichtlichen Befugnissen, der Audientia litterarum contradictarum und der Audientia sacri palatii, sowie die der Pönitentiarie, der für päpstliche Gnaden erweise, also für die Lösung von der Exkommunikation und von anderen geist lichen Strafen oder für Dispense zuständigen Behörde. Schließlich nahm die mit der Sorge für die finanziellen Einkünfte der römischen Kirche und mit deren Verwaltung betraute Kammer stetig an Umfang und Bedeutung zu. Die überragende Autorität, welche die Päpste in der abendländischen Christenheit des 13. Jahrhunderts innehatten, trat besonders augenfällig auf den von ihnen einberufenen großen, die ganze Kirche betreffenden Generalkonzilien zutage, am eindrucksvollsten gewiss auf dem Vierten Laterankonzil, das im November 1215 unter der Leitung Innozenz’ III. die Repräsentanten der lateinischen Kirche – etwa 1200 hohe geistliche Würdenträger waren anwesend – so zahlreich wie kaum sonst zusammenführte. Die Versammlung fasste Beschlüsse zu dogmatischen wie kirchenrechtlichen Fragen, zur Bekämpfung der Ketzer und zur Organisation des geplanten Kreuzzugs. Der Papst entschied über die Bestrafung Raimunds VI. von Toulouse und erklärte die Erhebung Friedrichs II. zum deutschen König gegen die Einsprüche der Anhänger Ottos IV. für rechtskräftig. Bedeutend weniger Geistliche folgten im Sommer 1245 Innozenz’ IV. Einladung zum Konzil nach Lyon. Erneut ging es dort um die Reform der Kirche oder um die Lage des Hl. Landes, und erneut spielte Friedrich II. eine besondere Rolle. Dieses Mal freilich verkündete der Papst die Absetzung des Kaisers und sizilischen Königs. Er tat dies indes, wie er später betonte, kraft seiner apostolischen
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Vollgewalt allein, ohne das nur der Feierlichkeit wegen präsente Konzil. Erheblich mehr Teilnehmer besuchten dann wieder das 1274 von Gregor X. (1271– 1276) anberaumte Zweite allgemeine Konzil von Lyon, das sich in erster Linie mit der Vorbereitung eines neuen Kreuzzugs beschäftigte, zu dem es dann freilich nicht kommen sollte. Hingegen ebneten während des Konzils geführte Verhandlungen den Weg zur kurz darauf von Gregor vollzogenen Anerkennung Rudolfs von Habsburg als deutscher König. Wie dieser Blick auf die Konzilien zeigt, unterstand nicht nur die Amtskirche dem päpstlichen Regiment; die Päpste sahen sich vielmehr ganz offenkundig den Inhabern der weltlichen Gewalt gegenüber gleichfalls zur Kontrolle, ja zu massiven Eingriffen berechtigt. In der Tat leitete bereits Innozenz III. aus seinem Hirtenamt die Vollmacht und Verpflichtung ab, auch Könige und Fürsten, die sich schwerer Sünde schuldig machten, notfalls mit Zwang zur Umkehr zu bewegen. Konsequenterweise hielt er sich deshalb zur Einmischung in ihre weltlichen Angelegenheiten befugt, wenn es darum ging, über ihre Sünden zu urteilen. Die Kirchenrechtler präzisierten seinen Ansatz: Ratione peccati (»um der Sünde willen«) kam nach ihrer Überzeugung dem Papst als Ausfluss seiner höchsten geistlichen Gewalt ein Aufsichtsrecht über die weltlichen Herrscher zu, das ihn, sofern sich jene in Sünden verstrickten und hartnäckig darin verharrten, zum Einschreiten und in gravierenden Fällen, die sie exakt herausarbeiteten, gar zu deren Absetzung zwang. Innozenz IV., ein ebenso prominenter wie engagierter Teilnehmer an dieser kanonistischen Debatte, stand uneingeschränkt hinter ihrem Ergebnis. Ihrem Amtsverständnis gemäß beobachteten die Päpste aufmerksam die Taten der weltlichen Machthaber, um nötigenfalls zu intervenieren. Mehrfach sah sich etwa Innozenz III. während des Konflikts des französischen mit dem englischen König zu einem solchen Schritt veranlasst, nicht ohne damit auf den grundsätzlichen Widerspruch Philipps II. von Frankreich († 1223) zu stoßen. Sein äußerst energisches Eingreifen in den deutschen Thronstreit rechtfertigte Innozenz noch zusätzlich mit der speziellen päpstlichen Verantwortung für das westliche Kaisertum, das der apostolische Stuhl zu seinem Schutz einst selbst eingesetzt habe und das er seitdem durch seine Weihe verleihe. Da für gewöhnlich der deutsche König zum Kaiser erhoben werde, müsse der Papst ganz folgerichtig im Falle einer strittigen Königswahl in Deutschland die Thronanwärter einer besonders gründlichen Eignungsprüfung unterziehen. Freilich spielten bei dieser Prüfung für ihn dann nicht nur rein moralisch-religiöse oder rechtliche Gesichtspunkte eine Rolle, sondern nicht zuletzt auch politische. Innozenz hatte das mit dem Tod Kaiser Heinrichs VI. im Jahr 1197 entstandene Machtvakuum geschickt genützt, um, gestützt auf recht fragwürdige Privilegien, dem bisher von den Päpsten direkt beherrschten, relativ bescheidenen Patrimonium Petri um Rom große Gebiete in Mittelitalien, vor allem das Herzogtum Spoleto und die Mark Ancona, hinzuzugewinnen und so das Imperium vom Königreich Sizilien durch ein geschlossenes päpstliches Territorium
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vollkommen zu trennen. Damit wurde er zum eigentlichen Begründer des Kirchenstaates; die Päpste hatten fortan neben ihrer überragenden geistlichen Würde in weit gewichtigerem Umfang als bisher auch die Stellung von weltlichen Herrschern mit ganz speziellen Sorgen und Interessen inne. Innozenz betrachtete die uneingeschränkte Verfügung über den Kirchenstaat als wesentliche Voraussetzung für die Freiheit und universale Wirksamkeit des Papsttums. Ganz offen warnte er seine Kardinäle vor der existenziellen Gefahr, die nicht nur der territorialen Basis der Kirche, sondern zugleich ihrer Unabhängigkeit drohe, wenn das Imperium und das sizilische Königreich wieder wie zur Zeit Heinrichs VI. in die Gewalt eines einzigen Herrschers gerieten. Diese Union zu verhindern, das blieb deshalb ein Hauptziel seiner eigenen politischen Anstrengungen und, da seine Nachfolger seine Einschätzung übernahmen, eine Maxime der päpstlichen Politik durch lange Jahrzehnte hindurch. So versteht es sich, dass Innozenz alles tat, um die Macht Kaiser Ottos IV. zu brechen, sobald der Welfe nach Sizilien ausgriff, und dass er die sizilisch-deutsche Doppelherrschaft des von ihm als Ottos Widerpart im Reich protegierten sizilischen Königs Friedrichs II. ganz anders als dieser auf eine Übergangszeit zu begrenzen suchte. Nur ungern verstand sich Honorius III. dann um des Kreuzzuges willen zur Duldung der unerwünschten Union in Friedrichs Händen. Zu dessen Bruch mit Gregor IX. kam es am Ende nicht allein wegen grundsätzlich unvereinbarer Ordnungsvorstellungen, vor allem des Staufers fehlender Bereitschaft, die päpstliche Obergewalt in gebührendem Gehorsam anzuerkennen, oder wegen seines hartnäckigen Beharrens auf Mitsprache bei den sizilischen Bischofswahlen. Zunehmend verhängnisvoll erschien dem Papst daneben, vielleicht sogar noch davor, des Kaisers Streben nach der völligen Beherrschung Reichsitaliens, als deren Folge er die Einschnürung, ja die Vernichtung des Patrimonium Petri fürchtete. Zweimal exkommunizierte er seinen kaiserlichen Widersacher; 1239 brachte er zudem eine Koalition mit Friedrichs lombardischen Gegnern sowie Genua und Venedig zustande mit dem Ziel, dem Staufer seine sizilische Herrschaftsbasis zu entreißen. Zu den Kirchenstrafen trat nun also die militärische Gewalt als Mittel der päpstlichen Politik und überdies eine intensive Propaganda, die Friedrich als schlimmen Kirchenfeind, ja als den Antichrist brandmarkte. Innozenz IV. verschärfte den Kampf noch weiter. Getreu den Normen des von ihm mitgestalteten geltenden Kirchenrechts entzog er 1245 Friedrich II. und damit erstmals einem gekrönten, zudem seit 25 Jahren regierenden Kaiser sämtliche Ämter und Würden. In seinem Auftrag warben daraufhin die Franziskaner und Dominikaner in Italien und Deutschland für den Kreuzzug gegen den Kaiser und die staufische Herrschaft; sie beschafften Geld zur Besoldung der antikaiserlichen Heere und gewannen mit ihren Predigten und Sondervollmachten die Bevölkerung für das päpstliche Vorgehen. Massiver päpstlicher Druck zwang stauferfreundliche Bischöfe zum Parteiwechsel oder zur Resignation und sicherte kirchentreuen Männern wichtige geistliche Ämter, wertvolle Vorrechte und Vortei-
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le. Dispense, Privilegien und Geldzahlungen zogen schwankende weltliche Große auf die päpstliche Seite, die Furcht vor Kirchenstrafen und dem Entzug des Gewährten hielt sie dort fest. Nach Friedrichs Tod (1250) wirkten die Päpste energisch darauf hin, dass dessen Nachkommen auch ihre letzte Bastion, das sizilische Königreich, verloren. Clemens IV. (1265–1268) belehnte mit diesem Reich schließlich Karl von Anjou, der es tatsächlich zu erobern vermochte. Doch seinen staufischen Vorgängern gleich beunruhigte er die Kurie bald mit seinen Ambitionen und Aktivitäten in Rom und nördlich des Kirchenstaates. Überdies führte die Kooperation mit ihm rasch zu einer immer engeren Bindung der römischen Kirche an das französische Königshaus und am Ende zu jener Abhängigkeit von ihm, welche die Päpste den Staufern gegenüber so entschlossen zu vermeiden gesucht hatten. Wie der Papst übten die hohen Kleriker, die Erzbischöfe und Bischöfe, neben ihrem geistlichen Amt weltliche Gewalt und politischen Einfluss aus. Dies galt vom Episkopat Italiens allerdings nur in relativ bescheidenem Maße. Indes erlangten selbst in Friedrichs Südreich Männer wie die Erzbischöfe Berard von Palermo oder Jakob von Capua bedeutendes Ansehen und Gewicht am Herrscherhof, und die Bischöfe Reichsitaliens hatten zwar ihre einstigen stadtherrlichen Rechte zum großen Teil verloren, aber immerhin einen gewissen Restbestand sowie die dadurch notdürftig legitimierte, eher formelle Position des Stadt oberhauptes für sich gewahrt; bei deren Behauptung kam ihnen zusätzlich das Prestige des städtischen Schutzpatrons zugute, den sie vertraten. Umfangreichere Befugnisse ergaben sich aus der Stadtherrschaft, die nicht wenige Bischöfe Südfrankreichs zusammen mit ihrem geistlichen Amt ganz oder teilweise übernahmen, und selbst in Nordfrankreich beanspruchten Bischöfe weltliche Rechtstitel, etwa die Zuständigkeit als Gerichtsherren, und scheuten zu deren Wahrung zuweilen, wie etwa 1232 der Bischof von Beauvais, weder den Streit mit der städtischen Bürgerschaft noch den Konflikt mit einem so kirchennahen König wie Ludwig IX. Dies alles ließ sich freilich kaum vergleichen mit der Machtfülle der deutschen Erzbischöfe und Bischöfe, denen Friedrich II. 1220 in einem besonderen Privileg ausdrücklich bestätigte, was längst Praxis war, dass sie nämlich in ihrem Herrschaftsbereich über alle wesentlichen weltlichen Herrschaftsrechte verfügten. Seit 1257 gehörten überdies die drei vornehmsten unter ihnen, die Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier, zu den sieben Kurfürsten, die von nun an allein den deutschen König wählten. Zugleich standen die geistlichen Fürsten indessen in einem harten Konkurrenzkampf mit ihren geistlichen und weltlichen Standesgenossen. Um sich in ihm zu behaupten, bedurfte es der ständigen Sorge um die Sicherung und den Ausbau ihres Herrschaftsraumes, ihres Einflusses und ihrer Ressourcen, dazu der nicht selten gewaltsamen Abwehr der Zugriffe fürstlicher Nachbarn. Diese oft geradezu existentiellen Anstrengungen beanspruchten in aller Regel einen großen Teil der fürstlichen Kraft und Aufmerksamkeit, so dass für geistliche Initiativen häufig nur recht wenig Spielraum blieb.
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Der geschilderte Zustand der Kirche bot viel Anlass zur Kritik und zum Konflikt. Dabei stieß die wachsende Neigung der Päpste zu Kontrolle und Einmischung nicht zuletzt innerhalb der Amtskirche selbst auf Missmut und Widerstand, bei aus dem Amt gedrängten Bischöfen etwa oder übergangenen Domkapiteln. Wesentlich folgenreicher und gefährlicher aber war die Unzufriedenheit unter den Laien. Wenn Kaiser Friedrich II. nach 1245 vehement den weltlichen Ehrgeiz, den Machthunger und die Geldgier der Päpste tadelte und die Geistlichkeit, allen voran ihre führenden Repräsentanten, zur Rückkehr zu den apostolischen Lebensformen der Urkirche aufrief, dann sprach er damit eine weit verbreitete Forderung aus. So schlossen sich im November 1246 zahlreiche französische Adlige zusammen, um ihre Rechte gegen den Klerus und die kirchliche Gerichtsbarkeit zu verteidigen und die Kirche zum Ideal ihrer Anfänge zurückzuführen. Erst nach einigen Zugeständnissen löste sich der Bund auf. In England nützte König Heinrich III. die öffentliche Stimmung, um die Zuständigkeit der kirchlichen Gerichte zu begrenzen. Nicht nur Könige und Adlige, auch weniger hochgestellte Kreise der Bevölkerung sahen reichlich Grund, den Zustand der Kirche bitter zu beklagen. Erheblicher Konfliktstoff häufte sich in den Städten an, wo die vom Klerus beanspruchten Standesvorrechte der Steuerfreiheit und der Befreiung von der weltlichen zugunsten der für sie allein zuständigen geistlichen Gerichtsbarkeit auf besonderen Unwillen stießen. Sie erschienen zutiefst ungerecht, da die Geistlichen ja wie alle anderen Bürger von den mit Steuergeldern finanzierten Einrichtungen profitierten, da sich zudem kirchliche Institutionen in den Städten vielfach wirtschaftlich betätigten, also als begünstigte Konkurrenten der bürgerlichen Händler und Kaufleute auftraten, und da das geistliche Gerichtsprivileg überdies zum Teil recht großzügig vergeben wurde. Wenn die Kirche zur Verteidigung ihrer Rechte Kirchenstrafen wie das Interdikt verhängte, so verschärfte sie damit die Spannungen nur noch weiter. Dies aber war umso gefährlicher, als der Klerus lange Zeit keine angemessene Antwort auf die neuen seelsorgerlichen Herausforderungen gerade in den seit dem 12. Jahrhundert rasant wachsenden Städten fand, wo die vom Umland hereinströmenden Zuwanderer bäuerlicher Herkunft meist unter schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen lebten, während die schmale Oberschicht über wachsenden Reichtum und Einfluss verfügte. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass sich insbesondere in den großen europäischen Städtelandschaften, in der Lombardei und in Südfrankreich, in den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts noch immer viele Menschen von außerkirchlichen religiösen Bewegungen wie derjenigen der Katharer angezogen fühlten. Deren Lehre von der Gefangenschaft der Seele im materiellen Reich des bösen Gottes und von ihrer erlösenden Rückkehr zum guten, christlichen Gott des Lichts bot Erklärung für die bedrückende Gegenwart und Zukunftshoffnung; ihre Prediger, die arm, ohne jede irdische Bindung durchs Land zogen, schienen glaubwürdiger als die Vertreter der Kirche dem Vorbild Christi nachzustreben. Kaum eine Rolle spielte dagegen für die breite Öffentlichkeit wenigstens anfäng-
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lich der eindeutig häretische Charakter der katharischen Grundüberzeugungen, etwa derjenigen von der Existenz zweier gleichberechtigter Gottheiten oder vom Alten Testament als einem Werk des Satans. Ganz ähnlich wie die Katharer warben die Waldenser seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert als zu vollkommener Armut verpflichtete Laienprediger für die von ihnen vorgelebte Form der radikalen Christusnachfolge. Obwohl ihre Glaubensvorstellungen völlig mit der kirchlichen Orthodoxie übereinstimmten, machte ihr Beharren auf dem Predigtrecht der Laien freilich auch sie für die Kirche zu Ketzern. Papst Innozenz III. sah in Predigt und Ermahnung und, sofern diese nichts fruchteten, in Kirchenstrafen und schließlich in Zwang und weltlicher Gewalt die angemessenen Mittel, um der Häresie Herr zu werden. Ganz folgerichtig hielt er angesichts der großen Anhängerschaft der Katharer in Südfrankreich sowie der Wirkungslosigkeit aller bisherigen kirchlichen Maßnahmen ihnen gegenüber am Ende das gewaltsame Einschreiten für unvermeidlich. Der von ihm in Gang gebrachte Albigenserkreuzzug verfehlte sein Ziel jedoch völlig. Zum wirksamen Instrument gegen die Häresie wurde erst die von Gregor IX. geschaffene päpstliche Inquisition. Eigens von ihm beauftragte Inquisitoren, bewährte Männer wie der erfolgreiche Kreuzzugsprediger Konrad von Marburg oder einzelne Franziskaner, vor allem aber – erstmals 1231 in Deutschland, seit 1233 auch in Nordund Südfrankreich – Dominikaner, erhielten in neuartiger und bedenklicher Weise die Aufgabe sowohl des Aufspürers und Anklägers als auch des Richters der Ketzer, deren Verteidigungsrechte zum Teil erheblich eingeschränkt wurden. Manche Inquisitoren schöpften ihre Befugnisse mit unerbittlicher Strenge aus, und insbesondere die bislang unbekannte Härte, mit der Konrad vorging, stieß bald auf energischen Widerstand; sie führte zugleich jedoch offenbar zum Ende des ohnehin nicht sehr bedeutsamen Katharertums in Deutschland. Während der Gegensatz zwischen Kaiser und Papst einen ähnlichen Erfolg der Inquisition in Italien fürs erste verhinderte, fand sie in Südfrankreich die volle Unterstützung König Ludwigs IX., so dass der Katharismus auch dort bis zur Jahrhundertmitte fast ganz erlosch. Neben den Katharern und Waldensern gab es eine Reihe anderer Gemeinschaften von eher regionaler Ausstrahlung, deren Mitglieder, gleichfalls überwiegend Laien, ähnlich wie jene unabhängig von der Amtskirche intensiv dem Vorbild Christi und seiner Jünger nachstrebten, also in einfachsten Verhältnissen von ihrer eigenen, meist handwerklichen Arbeit, von Almosen oder Bettel lebten und sich im übrigen dem Dienst am Nächsten, der Krankenpflege oder der Predigttätigkeit widmeten. Entscheidend für das weitere Schicksal der von allen diesen Gruppierungen getragenen breiten religiösen Reformbewegung wurde der Umstand, dass die Päpste seit Innozenz III. klarer als ihre Vorgänger den Ernst des hier wirksamen Heilsstrebens, die Bedeutung des sich hier entfaltenden Engagements für die Lebendigkeit der Kirche erkannten. Sie bemühten sich deshalb darum, jene Gruppen, deren Glaubensgrundsätze ganz der kirchlichen Lehre entsprachen, für die
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Kirche zurückzugewinnen und wieder in sie zu integrieren. Diese mussten sich freilich dazu bereit finden, ihr Leben und Wirken künftig der kirchlichen Kontrolle zu unterwerfen und sich in ihren Predigten auf Mahnungen zur Buße zu beschränken. In der Tat gingen etwa die in der Lombardei weit verbreiteten Humiliaten bereits um 1200 diesen Weg, und zwischen 1208 und 1210 folgten ihnen einzelne waldensische Gruppierungen. Die für die Zukunft bedeutsamsten Reformgruppen indessen, die Dominikaner und die Franziskaner, konnten von Anfang an als Glieder der Kirche und mit ihrer Unterstützung arbeiten. Der nordspanische Chorherr Dominicus Guzman von Osma, der seit 1205 als einfacher Wanderprediger in Südfrankreich wirkte, und sein zunächst noch kleiner Predigerbund erlangten 1216 die päpstliche Bestätigung ihrer Ordensregel. Franziskus von Assisi aber, der 1206 auf seine glanzvollen Aussichten als Kaufmannssohn verzichtete, um gänzlich mittellos Kranke zu pflegen und die Menschen seiner umbrischen Heimat zur Buße und Umkehr zu rufen, wandte sich mit seinen Gefährten wohl bereits 1209 an Innozenz III., versprach ihm Gehorsam und fand Billigung für die Lebensform seiner Bruderschaft. 1223 bestätigte Honorius III. die noch von Franziskus mitformulierte, doch mehrfach überarbeitete Ordensregel der Franziskaner. Anders als die älteren Orden suchten die neuen Bettelorden vor allem in den großen Städten Fuß zu fassen. Die Mitglieder der dort wirkenden Konvente unterstanden dem Leiter und dem Kapitel der jeweiligen Ordensprovinz sowie letztlich dem Generalkapitel des Gesamtordens und dem Ordensgeneral an dessen Spitze. In der Arbeit der Franziskaner spielte neben der Pflege der Kranken und insbesondere der Aussätzigen bald die Predigt und Seelsorge eine immer größere Rolle. Zugleich wuchs die Bedeutung einer soliden theologischen Ausbildung. Damit näherten sich die Minderbrüder, nicht ohne innere Spannungen, den Dominikanern an, für die die Predigt und als Konsequenz das Bemühen um die Einrichtung leistungsfähiger theologischer Studienstätten für die künftigen Prediger von Anfang an die zentralen Anliegen waren. Entscheidende Bedeutung kam in dieser Hinsicht ihrem Pariser Konvent zu, der die begabtesten Schüler aus den einzelnen Ordensprovinzen ausbildete. Beide Mendikantenorden wuchsen rasch. Zunächst standen Italien und Frankreich etwas im Vordergrund ihrer Initiativen, sie dehnten ihre Tätigkeit jedoch bald auf die ganze Christenheit aus und bezogen sogar die Heidenmission ein. So nahm die Zahl der franziskanischen Niederlassungen seit 1221 auch in Deutschland schnell zu. Im gleichen Jahr begannen die Dominikaner dort mit ihrer Arbeit, wo sie freilich bis um 1300 nur etwa halb so viele Konvente wie die Franziskaner gründeten. Seit 1248 erhielten die Lektoren der deutschen Dominikanerkonvente ihre Ausbildung am renommierten Generalstudium ihres Ordens zu Köln, das seinen hervorragenden Ruf seinem ersten Leiter Albertus Magnus verdankte. Die neuartige Erscheinung und Wirksamkeit der Bettelmönche blieb nicht ohne Gegnerschaft. Vor allem die Weltgeistlichen sahen in ihrem Auftreten viel-
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fach eine störende Konkurrenz und reagierten auf ihren wachsenden Einfluss deshalb mit tiefem Misstrauen und nicht selten sogar mit Feindschaft. Zweifellos gefährdeten die Mendikanten durch ihre päpstlich privilegierte Sonderstellung tatsächlich die etablierte Kirchenorganisation und die traditionellen Rechte der örtlichen Priester. Auf Kritik und Widerstand auch außerhalb des Weltklerus stießen die Dominikaner, als sie zu Beginn der 1230er Jahre im päpstlichen Auftrag die Ketzerinquisition betrieben. Dass beide Bettelorden auf Weisung Innozenz’ IV. als Kreuzzugsprediger den Kampf gegen Friedrich II. mittrugen, verschaffte ihnen selbstverständlich gleichfalls neben Freunden erbitterte Feinde. Andererseits erfuhren die Mendikanten die energische Förderung der Päpste, und sie besaßen für gewöhnlich das Wohlwollen der Könige und Fürsten. In besonders hohem Ansehen standen sie wegen ihrer äußerst bescheidenen Lebensweise, ihrer Tätigkeit als Prediger und Seelsorger und ihrer dabei spürbaren Volksnähe bei der Bevölkerung der Städte. Ihre Predigten widmeten sich mit bis dahin seltener Intensität der Lebenswirklichkeit ihrer Hörer. Sie gingen auf deren besondere Situation ein und behandelten in plastischer Sprache die speziellen Sorgen gerade auch des einfachen Volkes, um schließlich eindringlich zur Buße zu mahnen und die Gebote des christlichen Glaubens, die Lehren der Kirche ins Gedächtnis zu rufen. Nicht selten drohte diese neuartige Predigtform die Gläubigen stärker anzuziehen als die traditionelle Messfeier. Die Armuts- und Frömmigkeitsbewegung des 13. Jahrhunderts war durch das Engagement besonders gekennzeichnet, mit dem Frauen sie mittrugen und prägten. Wie im 12. Jahrhundert unterstützten die Prämonstratenser und noch vordem die Zisterzienser zunächst weiterhin jene Frauen, die sich dem Gebet widmen, einfache Arbeit verrichten und die strengen Regeln der Orden befolgen wollten. Sie halfen bei der Gründung entsprechender Frauenkonvente, boten ihnen Schutz und übernahmen dort die Seelsorge. Freilich stieg nach 1200 die Zahl der Frauen rasch an, die das Bedürfnis empfanden, ihr Leben radikal zu verändern und dem Vorbild Jesu in Armut und im Dienst am Nächsten nachzustreben, und ebenso sprunghaft wuchs die Zahl der Frauengemeinschaften, die sich für die Zisterzienserregel entschieden. So vermochte der Zisterzienserorden bald nur noch unter größten Schwierigkeiten ihre Betreuung zu gewährleisten. Er versuchte deshalb energisch, Neuaufnahmen in den Orden zu erschweren oder sogar zu verhindern, hatte damit indes nur begrenzten Erfolg. Nach dem Auftreten der Mendikanten wandten sich viele Frauen ihnen zu. Gewiss sprach sie deren Predigt und Lebensweise unmittelbar an. Zugleich erleichterte deren Konzentration auf die Städte, die Zentren der neuen religiösen Bedürfnisse und Aktivitäten, natürlich den Kontakt mit ihnen. Die Dominikaner kümmerten sich um die zahlreichen, aus den unterschiedlichsten Bevölkerungsschichten stammenden Frauengruppen, die ihre Nähe und ihren Rat suchten, besonders intensiv und nahmen sie zunächst auch bereitwillig in ihren Orden auf. Wie die Zisterzienser standen sie jedoch schnell vor einer kaum mehr zu bewältigenden Betreuungsaufgabe, so dass ihr Generalkapitel 1228 die Inkor-
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porierung weiterer Frauenklöster verbot. Fürsprachen einflussreicher Förderer und vor allem päpstliche Weisungen verhinderten freilich die strikte Verwirklichung dieses Beschlusses. Franziskus hingegen bemühte sich von vornherein, seine Ordensbrüder vor derartigen Belastungen möglichst zu bewahren, zumal er wohl grundsätzlich die karitativ-aktive vor der klösterlich-kontemplativen für die angemessene Lebensform bußfertiger Frauen hielt. Trotz aller Abwehrversuche mussten indessen auch die Franziskaner 1268 auf päpstlichen Druck endgültig ihre seelsorgerliche Verantwortung für die zum Klarissenorden zusammengefasste Gemeinschaft von Frauenkonventen akzeptieren. Da die Bettelorden wie die Zisterzienser als Voraussetzung für die Inkorporierung von Frauenklöstern die strenge Klausur und damit gesicherte Einkünfte der Nonnen forderten, stand der Weg ins Kloster in der Regel nur Frauen aus dem Adel oder der städtischen Oberschicht offen. Schon deshalb konnten viele Frauen ihren Wunsch nach einer das ganze Leben erfüllenden religiösen Betätigung nur außerhalb der Klöster verwirklichen. Doch vermutlich dachten ohnehin keineswegs alle Frauen, die diesen Wunsch hatten, dabei an die Abgeschiedenheit eines Klosters. Nicht wenige wollten vielmehr wie Franziskus in der Nachfolge Christi in der Welt wirken und sich in Armut allein der karitativen Fürsorge für ihre Mitmenschen widmen. Zu denen, die diesen Weg wählten, gehörten denn auch von Anfang an durchaus Angehörige wohlhabender Familien oder gar Hochadlige wie Elisabeth von Thüringen, die ihre letzten Lebensjahre in Armut und Askese verbrachte, ausschließlich besorgt um die Pflege Kranker und Aussätziger. Wie sie handelten seit dem Beginn des Jahrhunderts zahlreiche Frauen vielerorts in Europa, insbesondere nördlich der Alpen, in Deutschland wie in Nordund seit 1250 in Südfrankreich. Bereit zur radikalen religiösen Neuorientierung, gaben sie ihre bisherigen Beziehungen und Gewohnheiten auf zugunsten karitativen Wirkens. Bald tauchte für sie der Name Beginen auf, seit 1240 wurde er allgemein üblich. Zwar erhielten die Beginen schon 1216 die päpstliche Erlaubnis, nach ihrer Weise in Häusern zusammenzuleben, und es fehlte ihnen auch danach nicht an Unterstützung von einflussreicher Seite. Andererseits stießen sie wegen ihrer rechtlich unklaren Stellung zwischen Orden und Laientum schnell auf Kritik und Anfeindung, und im Ganzen überwog die Tendenz, sie zu kontrollieren und klaren Regeln zu unterwerfen. Ganz offenkundig boten die großen Städte dem Beginentum die besten Voraussetzungen für die Entfaltung. Seine Anhängerinnen lebten zum Teil allein oder in ihren Familien, meist jedoch zusammen mit Gesinnungsgenossinnen in eigenen Häusern, in Brabant und Flandern auch in Beginenhöfen, von einer Mauer umschlossenen Bezirken mit mehreren Häusern. Diese Häuser stammten aus ihrem persönlichen Vermögen oder aus Stiftungen von Förderern. Nicht selten hatten sich die Beginen nach festen, vom städtischen Rat oder dem Bischof formulierten Regeln zu richten. Freiwillig verpflichteten sie sich für gewöhnlich zur Ehelosigkeit und evangelischen Armut und bestritten ihren bescheidenen Lebensunterhalt aus Almosen oder dem Erlös von Handarbeit; besondere Bedeu-
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tung besaßen indes häufig die Krankenpflege und der Totendienst, die feierliche Ausgestaltung der Begräbnisse. Einzelne Frauen trieb das Streben nach vollkommener Christusnachfolge so sehr um, dass ihnen in visionärer Schau mannigfache Offenbarungen zuteil wurden. In bisweilen poetisch ausgestalteten Berichten schilderten sie wie etwa Mechthild von Magdeburg in ihrem kurz nach 1250 verfassten Buch vom Fließenden Licht ihre mystischen Erfahrungen und Erkenntnisse. Sie leiteten so die Blüte der Mystik in Deutschland ein, bestärkten mit ihrer ekstatischen Frömmigkeit zugleich freilich die Gegner des Beginentums in ihrem Argwohn und Häresieverdacht. Angenendt, Arnold: Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Darmstadt 42009. Schimmelpfennig, Bernhard: Das Papsttum. Von der Antike bis zur Renaissance, Darmstadt 6 2009. Stürner, Wolfgang: 13. Jahrhundert (1198−1273), in: Gebhardt, Bruno (Hg.): HDtG, Bd. 6, Stuttgart 102007. Stürner, Wolfgang: Friedrich II., 1194–1250, Darmstadt 32009. Wolfgang Stürner
2. Dominikanerorden Der Weg des Thomas in den Dominikanerorden war keineswegs selbstverständlich: Die Eltern hatten ihn früh den Benediktinern als puer oblatus übergeben, wie es für einen Adelssprössling nahelag. Die Umstände, unter denen er diesen Orden verließ, sind nicht vollends geklärt. Dieser Schritt hängt jedenfalls mit seinem Wechsel zum Studium nach Neapel zusammen, zu welchem der Abt von Monte Cassino noch riet, der aber schließlich von den Eltern unterstützt beziehungsweise in die Wege geleitet wurde. Eben hier in Neapel erfolgte auch die Begegnung mit dem Dominikanerorden, dem Thomas schließlich zwischen 1242 und 1244 beigetreten ist. Dieser Schritt bedeutete die Entscheidung für einen jungen, aufstrebenden Orden aus der Gruppe der Bettelorden. Deren weiterer Hintergrund war die vitaapostolica‑Bewegung, die sich im 12. Jahrhundert, vorwiegend in den Städten des Mittelmeerraumes, formiert hatte. Sie gab der theologischen wie sozialen Kritik an den gehobenen Amtsträgern der Kirche vehementen Ausdruck: Dem Anspruch, dass die Bischöfe Nachfolger der Apostel seien, hielten Repräsentanten der neuen Bewegung wie etwa Arnold von Brescia († wohl 1155) den Verweis auf das einfache Leben der Jünger Jesu entgegen. Das Ideal, nudus nudum sequi (»als Nackter dem Nackten zu folgen«) sollte prägend sein und provozierte vehemente Kritik an der kirchlichen Gegenwart, die sich gelegentlich auch mit politischen Änderungsvorstellungen vermischen konnte. Umgekehrt fand die Kirche lange Zeit keinen Ort für die neue Bewegung. Immer wieder kam es zu Häretisierungsvorgängen, insbesondere gegenüber den
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Armen von Lyon, die eine wichtige Keimzelle für die nach Petrus Valdes benannten Waldenser darstellten, und gegenüber den Katharern. Bei den Ersteren stand zunächst die Orientierung an der einfachen Predigt auch durch Laien im Vordergrund des Konflikts, die Letzteren formten ihre Vorstellung von einer reinen Gemeinschaft immer stärker im Sinne eines Dualismus aus, der die Welt in Gut und Böse einteilte. Die Katharer waren besonders in der Provence und im Pyrenäenraum erfolgreich und drohten der offiziellen Kirche weite Gebiete abspenstig zu machen. Eben dies bildet den Hintergrund für die Entstehung der Bewegung um Dominicus Guzman († 1221). Er griff die Ideale der Armutsbewegung auf, verwandte sie aber, in Verbindung mit der Predigt des Evangeliums, als Waffe im antihäretischen Kampf. Nach und nach formte er seine Anhängerschaft zu einer kleinen ordensähnlichen Gemeinschaft, die Anteil an der Integration der Armutsfrömmigkeit in die Kirche nahm. 1215 wurde sie durch den päpstlichen Legaten Peter von Benevent († 1219/20) und Fulko, den Bischof von Toulouse (1206−1231), anerkannt. Zuvor hatten schon 1201 die Humiliaten durch Papst Innozenz III. (1198−1216) Anerkennung erlangt. Parallel zu der Gruppe um Dominicus scharte auch Franz von Assisi (1181/82−1226) eine Gruppe von Anhängern um sich, die das Armuts ideal nicht im Konflikt mit der Kirche, sondern in deren Rahmen leben wollten und die sich zögerlich anschickten, eine Ordensstruktur auszubilden. Das intellektuelle und antihäretische Moment der Bewegung um Dominicus fand sich bei ihnen aber nicht im selben Ausmaß. Der weitere Ausbau zum Orden stieß auf die Schwierigkeit, dass das Vierte Laterankonzil 1215 in c. 13 die Gründung neuer Orden verbot (COD Bd. 2, Paderborn u. a. ³2000, 242). Umgehen konnte man dies nur durch den Anschluss an schon vorhandene Regeln. Deswegen legte Dominicus seinem Orden die Augustinusregel und die hierfür bei den Prämonstratensern gültigen Ausführungsbestimmungen zugrunde. Das unterstrich die Entscheidung für eine klerikale Gemeinschaft und damit die verstärkte Integration der Reform im Geiste der Armut in die kirchlichen Strukturen. Diese verfestigte sich, als unter Innozenz’ Nachfolger Honorius III. (1216−1227) auch eine Anerkennung als neuer Orden ermöglicht wurde. Schon am 22. Dezember 1216 erteilte dieser das Privileg Religiosam Vitam, auf dessen Grundlage Dominicus kurz darauf einen zentral geleiteten Orden gründete. Am 11. Februar 1218 löste der Papst dessen Angehörige von der mit der Augustinerregel gegebenen lokalen Bindung an bestimmte Kirchen und ermöglichte so den Aufbau eines tatsächlichen Ordensverbandes. Dieser trug den offiziellen Titel ordo praedicatorum; die Bezeichnung »Dominikaner« trat erst im 15. Jahrhundert auf. Das erste Generalkapitel beschloss 1220 unter der Leitung des Dominicus in Bologna die völlige Besitzlosigkeit, womit der Orden, seinen spirituellen Wurzeln entsprechend, neben den Franziskanern, den Karmeliten und den 1244 konstituierten Augustinereremiten zu einem der großen Bettelorden des Mittelalters wurde.
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Innerhalb dessen blieb sein Profil geprägt von betonter Papsttreue einerseits, der namengebenden Ausrichtung auf die Predigt andererseits: Die Päpste Honorius III. und Gregor IX. (1227–1241) hoben in ihren Gründungsakten für den Orden besonders die Predigt als Aufgabe hervor, schufen damit freilich auch eine faktische Konkurrenz zu Bischöfen und Weltklerikern. Diese bestand umso mehr, als sich die Dominikaner in der Regel in Städten niederließen und so jene bürgerlichen Kreise erreichen konnten, die ein besonderes Interesse an der Predigt hatten. Aufgrund ihrer Ausrichtung auf die Predigt wurde für die Dominikaner auch die akademische Theologie von Bedeutung. Früher als die Franziskaner drängten sie an die Universitäten und besetzten hier entscheidende Lehrstühle. Bis zu einem gewissen Grad kann man dabei auch von Ordensschulen sprechen, wobei sich die der Dominikaner durch eine besondere Intensität der Aristotelesrezeption bei gleichzeitig hohem Vertrauen in die rationale Durchdringbarkeit der Wirklichkeit auszeichnete. Dem standen idealerweise die Franziskaner mit einer stärkeren Betonung der über rationale Erfassbarkeit hinausgehenden Dimensionen insbesondere des göttlichen Wesens entgegen. Die soziale Plausibilität für solche Konstruktionen bilden die gelegentlich tatsächlich greifbaren LehrerSchüler-Verhältnisse – etwa das des Thomas von Aquin zu Albertus Magnus. Doch so wie auch hier die Frage der direkten Schülerschaft zunehmend fraglich geworden ist ( B.III.1.), wird man generell mit der Betonung der Ordensschulzusammenhänge vorsichtig sein müssen. Ihre Funktion als wichtiges Interpretament der mittelalterlichen Geistesgeschichte verdankt sich zu guten Teilen auch der Dominanz von Ordensangehörigen unter den Erforschern mittelalterlicher Theologie und Philosophie. Wichtig und erkennbar wurde die Ordenszugehörigkeit für Thomas vor allem in seinen spirituellen Schriften. Besondere Bedeutung erlangten die Dominikaner aufgrund ihrer Entstehung wie ihrer hervorragenden wissenschaftlichen Bildung im antihäretischen Kampf. In der Zeit der Entstehung des Dominikanerordens wurde auch die Inquisition eingeführt, das heißt ein Rechtsprozess, in dessen Zentrum nicht mehr der Reinigungseid des Beschuldigten stand, sondern die ausführliche Zeugenvernehmung. 1231 führte Gregor IX. sie als Instrument zur Ketzerbekämpfung ein, und zwar indem er örtlich Inquisitoren benannte, die nun nicht wie in der klassischen Häresiebekämpfung dem Lokalbischof unterstanden, sondern direkt dem Papst. Dieser Zentralisierung des Verfahrens konnten insbesondere die Dominikaner dienlich sein, die einerseits hochgradig mobil waren, weil sie nicht wie Kanonikergemeinschaften an eine bestimmte Kirche oder wie Benediktiner durch die stabilitas loci an ein bestimmtes Kloster gebunden waren. Andererseits waren sie für das neue Verfahren auch deswegen besonders geeignet, weil sie als Personenverband ohnehin zentral organisiert waren. Diese Kombination aus Zentralität und Mobilität fand ihren Ausdruck in der Weise der Profess, durch welche sich ein Dominikaner auf sein asketisches Leben verpflichtete: Sie wurde nicht dem Abt oder Kloster, sondern dem Orden insge-
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samt gegenüber geleistet und führte damit letztlich in eine Verpflichtung gegenüber dem Generalminister. Dieser war als gemeinsame Leitungsfigur seinerseits dem Generalkapitel des Ordens zugeordnet, das im Vergleich zu anderen Orden einen relativ hohen Grad an Wahlelementen aufwies. Unterhalb dieser Ebene gab es Provinzialkapitel – 1228 waren es schon zwölf – mit Provinzialvikaren und für jeden Konvent wiederum ein Kapitel mit einem Prior. Trotz der starken Mobilität sorgten diese unteren Einheiten für eine gewisse Bindung der Ordensangehörigen an lokale Organisationseinheiten. Wie in den anderen Orden üblich, bildeten die Dominikaner auch weitere Zweige aus. Schon Dominicus selbst hatte zuerst in Prouille und Madrid und später auch in Rom Frauenkonvente gegründet. Diesem Beispiel folgte die Provinz Teutonia rasch, während die anderen Regionen zögerlicher waren. Erst 1259 wurde den Dominikanerinnen eine eigene Rolle gegeben, ab 1267 waren sie Teil des Gesamtverbandes. Die Laienanhänger des Ordens formierten sich in einem »Orden von der Buße des Heiligen Dominicus«, der 1285 in den Dominikanerorden integriert wurde. Hinnebusch, William A.: Kleine Geschichte des Dominikanerordens, Leipzig 2004. Melville, Gert/Oberste, Jörg (Hg.): Die Bettelorden im Aufbau. Beiträge zu Institutionalisierungsprozessen im mittelalterlichen Religiosentum (Vita regularis, Bd. 11), Münster 1999. Prudlo, Donald (Hg.): The origin, development, and refinement of medieval religious mendicancies (Brill’s companions to the Christian traditions 24), Leiden 2011. Spiazzi, Raimondo: San Domenico di Guzman. Biografia documentata di un uomo riconosciuto dai suoi contemporanei come »tutto evangelico«, Bologna 1999. Tourault, Philippe: Saint Dominique face aux cathares, Paris 1999. Volker Leppin
3. Scholastische Theologie: Lehrbücher und Inhalte Fragt man nach den grundlegenden Lehrbüchern der Scholastischen Theologie, so sind zunächst die theologischen Summen bzw. Sentenzensammlungen und Sentenzenkommentare in den Blick zu nehmen. Um jedoch – entgegen aller neuzeitlichen antischolastischen Stilisierung – der Bandbreite »Scholastischer Theologie« gerecht zu werden, darf diese keineswegs ausschließlich auf die genannten »systematischen« Gattungen beschränkt gedacht werden. Vielmehr müssen darüber hinaus unmittelbar schriftbezogene Werke, insbesondere Glossen und Kommentare, berücksichtigt werden. 3.1. Zu den Gattungen im Allgemeinen
Grundsätzlich gilt, dass die Entstehung oder Wiederaufnahme der verschiedenen Gattungen eingebettet ist in die − in Anschluss an C. H. Haskins – oft als »Renaissance des 12. Jahrhunderts« bezeichneten tiefgreifenden Veränderungen, die
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praktisch alle gesellschaftlichen Bereiche betreffen. Einher geht ein intellektueller Aufbruch, greifbar am Aufschwung der Schulen, einer zunehmenden Professionalisierung und dem Austausch mit der arabischen und byzantinischen Welt und der daraus resultierenden sukzessiven Rezeption des »ganzen« Aristoteles, durch die u. a. die Standards von Wissenschaftlichkeit neu definiert wurden. Konsequenterweise schlugen sich diese Entwicklungen auch im Schrifttum, respektive den scholastischen Lehrbüchern, nieder, die nun im Folgenden dargestellt werden sollen. 3.1.1. Sentenzensammlungen
Bei den scholastischen Sentenzensammlungen bzw. Summen handelt es sich um wissenschaftliche Literaturgattungen, die vor allem in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts noch nicht klar voneinander abzugrenzen sind, sondern zunächst gleichsam äquivalente Bezeichnungen von Werken darstellen. Von dem relativ breiten Spektrum, das mit dem Begriff sententia verbunden ist, sind vor allem zwei Bedeutungen in Bezug auf die Literaturgattung besonders hervorzuheben. Nach der ersten bezeichnet sententia im 12. Jahrhundert ein kurzes Exzerpt aus der Väterliteratur, daneben aber auch erläuternde Aussagen zeitgenössischer Magister in Bezug auf dogmatische bzw. biblische Fragen. So führt der Liber pancrisis – wie zu Beginn explizit betont wird – nicht nur sententiae vel questiones der Kirchenväter Augustinus († 430), Hieronymus († 420), Ambrosius († 397), Gregor dem Großen(† 604), Isidor († 636) und Beda Venerabilis († 735) auf, sondern berücksichtigt auch die der moderni magistri, das heißt Wilhelm von Champeaux († 1122), Ivo von Chartres († 1115/16), Anselm († 1117) und Radulf von Laon († 1131/33). Die Methode, einzelne sententiae (»Sätze«) aufgrund ihres Inhaltes und ihres als Autorität angesehenen Urhebers zu Sammlungen zusammenzustellen, stellt wie bereits eingangs angedeutet keine neue, geschweige denn genuin christliche Vorgehensweise dar. Bereits in der Antike und bei den Kirchenvätern finden sich Vorläufer. Für die spätere Entwicklung sind insbesondere die Werke Prospers von Aquitanien († nach 455) und Isidors von Sevilla von zentraler Bedeutung. Während Prospers Sententiarum ex operibus S. Augustini delibatarum liber im Zusammenhang der Auseinandersetzungen um das gnadentheologische Erbe des nordafrikanischen Bischofs 392 Auszüge aus den Schriften Augustins eher lose geordnet, das heißt weitgehend nach den Schriften, denen sie entnommen sind, zusammenstellt, sind die Libri tres sententiarum Isidors bereits thematisch gegliedert in eine Art »dogmatischen Abriss« von der Gotteslehre bis zur Eschatologie (I), Tugend- (II) und Lasterlehre (III). Seine Methodik kann Isidor mit dem auch von anderen aufgegriffenen Bild der »Blütenlese auf verschiedenen Wiesen« deutlich machen. Der Zweck solcher »Florilegien« ist primär ein praktischer, nämlich dem Leser die Zeit und Mühe zu sparen, die zitierten Texte in Gänze selbst zu lesen (weitere grundlegende Momente erörtern Rouse/Rouse,
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B. Person
Florilegia of patristic texts, vor allem auf Basis von Florilegien aus dem 12. bis 14. Jahrhundert). Neben diese patristischen Sentenzensammlungen treten sodann weitere Werke, auf welche die prinzipiell als systematische Einleitung in die Heilige Schrift konzipierten Sentenzensammlungen der Scholastik als Vorbilder zurückgreifen. An erster Stelle sind hier die beiden Schriften Augustins De doctrina christiana bzw. Enchiridion ad Laurentium zu nennen, aber auch die − ebenfalls augustinisch geprägten − Werke des Gennadius von Marseille († ca. 500) mit dem Titel Liber sive definitio ecclesiasticorum dogmatum und wohl darauf aufbauend Fulgentius von Ruspe († 532) De fide seu de regula fidei ad Petrum (eine Übersicht des beiden Schriften gemeinsamen Schemas bietet Grillmeier, Vom Symbolum zur Summa, 165 f.). Der Rekurs scholastischer Autoren auf diese Werke macht deutlich, dass die Bedeutung der Kirchenväter für die Entwicklung der Sentenzensammlungen nicht nur in ihrer Funktion als flores bestand, sondern dass man von diesen auch Strukturen und Schemata übernahm. Mit der Zusammenstellung und − unterschiedlich ausgeprägten − Systematisierung der sententiae sind nun jedoch methodologische Probleme verbunden, insofern es zu einem Konflikt zwischen den Autoritäten kommen kann: Ein und dieselbe Frage kann von verschiedenen Kirchenvätern nicht nur unterschiedlich beantwortet worden sein, sondern auch im Widerspruch zur gefundenen Lösung eines anderen stehen. Ähnliches gilt für Sentenzen zeitgenössischer Magister oder sogar für einen einzelnen Autor. Die Patristik hat für analoge Probleme in Bezug auf Unterschiede zwischen den Evangelien die Formel diversa, non adversa geprägt. Diese wird im 12. Jahrhundert aufgegriffen, um damit auszudrücken, dass zwischen den zitierten und zusammengestellten Autoritäten zwar eine »Verschiedenheit« (diversus) des Wortlautes vorliegen kann, aber kein »Widerspruch« (adversus) bestehe. Zur Vermeidung von Widersprüchen, die letztlich die Wahrheitsfrage betreffen, bedarf es freilich z.T. einer hermeneutischen Anstrengung, die als exponere reverenter oder pie interpretari bezeichnet wird. Grundsätzlicher stellt sich Petrus Abaelard († 1142) dem Problem. Er sammelt in seinem Werk Sic et non nicht nur − unter Rekurs auf eine in der Kanonistik vorgebildete Methode − zu 158 Fragen Väterzitate pro und contra, sondern schaltet im Prolog einen differenzierten Katalog von hermeneutischen Regeln zur Lösung der Widersprüche zwischen Autoritäten vor (Klitzsch, Sic et Non). Neben der ausgeführten ersten Bedeutung als Väter-Exzerpt kann sententia nun aber auch den (tieferen) Sinn bzw. Gehalt einer Bibelstelle bezeichnen, wie z. B. Hugos von St. Viktor († 1141) in seinem Didascalicon vorgenommene Unterscheidung von littera, sensus, sententia zeigt (Didascalicon III 9; PL 176, 771D–772A). Diese sententia im Sinne von profundior intelligentia wird im Rahmen des scholastischen Unterrichts in der lectio bzw. quaestio eruiert. Bei der standardisierten, abschnittsweise erfolgenden lectio (»Lesung«) eines als autoritativ angesehenen Textes – neben der Bibel zählen hierzu z. B. auch Kirchenvätertexte oder Texte paganer antiker Autoren − können fünf Phasen unterschieden
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werden (vgl. Leinsle, Einführung, 38): 1. accessus ad auctores (Behandlung von Einleitungsfragen); 2. littera (lauter Vortrag eines Abschnittes des zugrundeliegenden Textes bzw. bei schriftlichen Kommentaren Andeutung des entsprechenden Abschnittes mittels der Anfangsworte); 3. divisio textus (weitere thematische Untergliederung des Abschnittes, die bis zur Satzebene reichen kann); 4. expositio (thematische Darlegung des jeweiligen Lehrgehaltes in Auseinandersetzung mit traditionellen und zeitgenössischen Meinungen); 5. dubia (Entwicklung von Fragen aus dem Text heraus oder Anfragen an den Text und deren Beantwortung); von hier aus entsteht die quaestio als autonome, das heißt von der lectio abgelöste, scholastische Gattung. Neben den Versuchen, divergierende Autoritäten zu harmonisieren, gewinnt auch die Wahrheitsfrage immer mehr an Bedeutung. So werden in zwei getrennten Reihen für eine Problemfrage Pro- und Contra-Argumente angeführt. Nach der conclusio bzw. determinatio magistralis (Antwort des Magisters) werden die Pro-Argumente von der conclusio her widerlegt. Diese quaestiones, die wiederum in z.T. eher zufällig zusammengestellten literarischen Sammlungen zusammengefasst werden können, bilden letztlich nicht nur die formale Grundlage der großen universitären Disputationen des 13./14. Jahrhunderts (quaestiones disputatae bzw. quaestiones quodlibetales – näheres hierzu s. z. B. Imbach/Schulthess, Philosophie im lateinischen Mittelalter, 148–153; Bazán, Questions disputées), sondern zunehmend auch das formale Gestaltungsprinzip der Schriftkommentare sowie ab dem späten 12. Jahrhundert das der summa. Beide Bedeutungen von sententia sind z.T. auch in den Titeln selbständiger Sentenzensammlungen greifbar. So findet sich neben den Bezeichnungen Sententiae a magistro Untolfo collecte bzw. Sententiae Augustini a magistro anshelmo coniuncte auch die auf die Heilige Schrift bezogenen Bezeichnungen Sententiae divinitatis bzw. Sententiae divinae paginae (Grabmann, Geschichte der scholastischen Methode, 22 f.). Allgemein gilt, dass nur in wenigen Fällen der Urheber der Sentenzensammlungen bekannt ist. Einige weisen – wie die beiden letztgenannten Beispiele – bereits einen Titel auf, andere werden nach den Anfangsworten (z. B. Deus summe atque ineffabiliter bonus) oder dem Ort, an dem sie aufbewahrt werden (z. B. Sententie Berolinenses [Berlin]), benannt. 3.1.2. Summen
Wie bereits erwähnt, sind im 12. Jahrhundert als Sentenzensammlung bzw. Summe bezeichnete Werke nur bedingt voneinander abzugrenzen. So werden systematische Sentenzenwerke, vor allem Einführungswerke, oft als summa bezeichnet; kürzere Werke können den Titel summula tragen. Trotzdem findet sich bis zum Ende des 12. Jahrhunderts auch der Titel sententiae für solche Werke; das bekannteste Beispiel sind wohl die Sententiae in IV libros distinctae des Petrus Lombardus († 1160). Andererseits können auch beide Begriffe gleichzeitig zur Bezeichnung eines Werkes herangezogen werden, wie die aus der Mitte des
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12. Jahrhunderts stammende summa sententiarum zeigt. Weiterhin werden nicht nur in der Theologie, sondern auch in den anderen Disziplinen (z. B. Grammatik; Logik; Rhetorik; Jurisprudenz) eine Vielzahl von Schriften mit dem Begriff summa bezeichnet, die einerseits primär auf Vollständigkeit zielende kompilatorische Werke darstellen, andererseits auf das Wesentliche beschränkte Zusammenfassungen oder drittens auf beiden aufbauend, systematische Werke, so dass nicht vorschnell auf eine einheitliche Gattung geschlossen werden darf (Glorieux, Sommes théologiques, 2341–2350). So können theologische Summen die Gestalt alphabetischer Bibellexika (z. B. die nach dem ersten Stichwort benannte Summa Abel des Petrus Cantor oder die Summa Britonis Adams von St. Viktor) aufweisen. Auch summae de vitiis et virtutibus (moralisch-aszetische Handbücher), katechetische Grundrisse, Predigtsammlungen, homiletische Handbücher, Zusammenstellungen der Beichtkasuistik, apologetisch-polemische Schriften oder liturgische Werke können als Summen bezeichnet werden (Leinsle, Einführung, 52 f.; Grabmann, Geschichte der scholastischen Methode, 23 f.). Unter Berücksichtigung dieser Differenzierungen kann unter einer theologischen Summe im engeren Sinne eine Schrift verstanden werden, in der theologisches Wissen vom Verfasser »umfassend«, konzentriert und systematisch, − vor allem ab dem späteren 12. Jahrhundert − mit einem relativ hohen Maß an Selbständigkeit zusammengestellt wird; der Tendenz einer zunehmend größeren Selbständigkeit korrespondiert die Tendenz zur Ausweitung des Umfangs. Die im späteren 12. Jahrhundert immer häufiger mit dem Begriff summa bezeichneten theologischen Sammelwerke zielen nicht mehr nur auf ein Zusammentragen und systematisches Anordnen des Stoffes, wie es bei den frühen Schriften der Fall war, sondern es erfolgt eine breite Erörterung in Form von quaestiones. Den Höhepunkt dieser Entwicklung bilden die großen theologischen Summen des 13. Jahrhunderts, zu deren grundlegenden Charakteristika (Glorieux, Sommes théologiques, 2352– 2357) die prinzipielle Unabhängigkeit von schulischen Lehrveranstaltungen bzw. Lehrvorschriften und von den Sentenzen des Petrus Lombardus gehören, so dass in diesen Summen in besonderer Weise die Person und Originalität bzw. Theologie des jeweiligen Autors greifbar wird. 3.1.3. Sentenzenkommentare
Nachdem die theologischen Summen die frühen Sentenzenwerke abgelöst hatten, haben sie selbst ihren Zenit bald überschritten. Sie verlieren gegenüber den Sentenzenkommentaren immer mehr an Bedeutung. Ab dem frühen 14. Jahrhundert stellen diese die Sententiae in IV libros distinctae des Petrus Lombardus kommentierenden Werke die zentrale Gattung einer systematischen Darstellung des gesamten theologischen Wissens dar. Dabei hat die Kommentierung dieses Werkes bereits kurz nach dem Tod des Autors begonnen (Pseudo-Petrus von Poitiers-Glosse). Auf die von Alexander von Hales († 1245) in den zwanziger Jahren des 13. Jahrhunderts auf Grundlage der Sentenzen des Lombarden gehaltenen
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Vorlesungen geht wohl die Untergliederung in distinctiones zurück, ohne dass dieser die erste Person gewesen wäre, die im schulischen Kontext auf die Sentenzen zurückgegriffen hätte (Colish, Parisian Scholastic Theology, 17). Erst in den Pariser Statuten von 1335 werden die Sentenzen offiziell zum Pflichtstoff an der Theologischen Fakultät, ab wann sie es faktisch waren, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Demnach musste ein Student der Theologie nach der zweijährigen Auslegung der Heiligen Schrift (baccalaureus biblicus) noch zwei Jahre über die Sentenzen lesen, um baccalaureus formatus (eigentlicher Bakkalaureus) zu werden (Flasch, Das philosophische Denken im Mittelalter, 312). Da diese Regelung grundsätzlich auch an den anderen Universitäten Geltung erlangte und bis ins 16. Jahrhundert Bestand hatte, ist die Zahl der überlieferten Sentenzenkommentare immens. Bis heute liegt nur ein relativ geringer Teil in modernen kritischen Editionen vor (einen ersten Überblick bietet das Repertorium von Stegmüller aus dem Jahr 1947 sowie die Ergänzungen Doucets; zum aktuellen Forschungsstand s. Evans/Rosemann, Medieval commentaries). 3.1.4. Exkurs: Unmittelbar schriftbezogene Gattungen
Lag bisher der Schwerpunkt auf systematischen theologischen Lehrbüchern, so darf nicht übersehen werden, dass im 12. Jahrhundert auch in Bezug auf unmittelbar schriftbezogene Lehrbücher entscheidende Entwicklungen stattfanden, die eng mit der Entstehung der bereits genannten Gattungen verbunden waren. So nahm vor allem ab dem 11. Jahrhundert die biblische Glossenliteratur einen enormen Aufschwung. Diese greift auf ein aus der Rechtswissenschaft übernommenes Verfahren zurück, indem sie dem im Zentrum angeordneten Bibeltext zwischen den Zeilen (Interlinearglossen) bzw. am linken und rechten Rand (Marginalglossen) Worterklärungen bzw. ausführlichere Anmerkungen − oft in Gestalt von Vätersentenzen − hinzufügt, so dass eine relativ komplexe aus drei bis fünf Spalten, ergänzt durch die Interlinearglossen, bestehende Anordnung vorliegt (eine Abbildung bietet Lobrichon, Une nouveauté, 102). Die Entstehung der letztlich die gesamte Bibel umfassenden Standardglosse schlechthin, die frühestens seit dem 13. Jahrhundert als Glossa ordinaria bezeichnet wird, ist in ihrer Frühphase vor allem mit der Schule von Laon, das heißt insbesondere Anselm von Laon († 1117) und seinem Bruder Radulf († 1131/33), sowie Gilbert Universalis († 1134) verbunden. Zum Durchbruch verhalf diesem Werk letztlich wiederum Petrus Lombardus durch seine Vorlesungen bzw. die Zitation der Glossa ordinaria in seinen Sententiae in IV libros distinctae, auch wenn seine eigenen Glossen zum Psalter und den Paulusbriefen die bereits vorhandenen ersetzen sollten. Durch Petrus Comestor († 1187) wurde die Glossa ordinaria in Paris zum biblisch-exegetischen Standardwerk für Magister und Schüler und verbreitete sich von hier aus in ganz Europa, mit dem Ergebnis, dass die Heilige Schrift nicht mehr ohne dieses bis ca. Mitte des 13. Jahrhunderts noch leicht erweiterte und überarbeitete Sammelwerk ausgelegt werden konnte; selbst in den großen theolo-
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gischen Summen finden sich Verweise auf die Glossa ordinaria (Smalley, Bible in the Middle Ages, IX−XI, 46–66; Lobrichon, Une nouveauté). Doch scheint es, dass parallel auch bereits der Niedergang einsetzt: zunehmend treten weitere Werke neben die Glossa ordinaria, wie die Postillen des Dominikaners Hugo von St. Cher († 1263) bzw. des Franziskaners Nikolaus von Lyra († 1349). Im Unterschied zu den Glossen schließen in diesen in besonderer Weise auf die Predigttätigkeit bezogenen Werke die Erklärungen zum Bibeltext unmittelbar an diesen an (post illa [verba]). Parallel zur Entstehung der Glossa ordinaria findet eine andere Entwicklung in Bezug auf die Bibelkommentare statt (deren Vielfalt zeigt Stegmüllers Repertorium Biblicum Medii Aevi). Auch hier gewinnt die quaestio zunehmend an Bedeutung, so dass ausgehend von vereinzelten Fragen, wie sie sich z. B. in Abaelards Römerbriefkommentar finden, über die gesonderte Zusammenstellung der quaestiones eines Bibelkommentares (z. B. die Quaestiones de Epistolis Pauli, die auf einen Kommentar Roberts von Melun [† 1167] zurückgehen) letztlich der Typus eines reinen Quaestionenkommentars entsteht. Im 13. Jahrhundert findet dann eine gewisse Arbeitsteilung statt: Der baccalaureus biblicus legt den Text inklusive der Glosse aus, der Magister eruiert die sententia (den Lehrinhalt) in Quaestionen (Smalley, Bible in the Middle Ages, 66–75); der Übergang zu den bereits dargelegten systematischen Gattungen ist hier mit angelegt. Eine Gattung sui generis stellt in gewisser Weise die Historia scholastica des Petrus Comestor dar, insofern dieses die biblische Geschichte von der Schöpfung bis zur Himmelfahrt – später ergänzt um einen Abschnitt über die Apostel – darstellende Werk weder Kommentar noch Glosse ist (Berndt, La théologie comme système du monde, 559 spricht von einer »somme biblique historisante«). 3.2. Zum Aufbau und Inhalt
Nach diesen grundsätzlichen Ausführungen zu Entstehung und Entwicklung der verschiedenen Gattungen sollen nun Aufbau und Inhalt einzelner Sentenzensammlungen bzw. Summen unter Rückgriff auf die von H. Cloes entwickelte Unterscheidung von drei – nicht absolut zu setzenden − Grundtypen (Cloes, La systématisation théologique, 278) dargestellt werden. 3.2.1. »Biblisch-heilsgeschichtlicher« Grundtypus (historico-biblique)
Der erste Grundtypus ist vor allem verbunden mit Schriften aus der Schule von Laon (z. B. Deus summe atque ineffabiliter bonus, Liber Sententiarum Magistri A., Deus de cuius principio et fine tacetur, Principium et causa omnium deus est [= Sententie Anselmi], Sententiae Versavienses, Prima rerum origo, Potest queri quid est peccatum, Divina essentia [= Sententiae Atrebatenses], Sententiae Berolinenses, Deus est sine principio [= Klagenfurter Sentenzen]), deren Erforschung grund legend mit den Namen M. Grabmann, J. De Ghellinck, F. Bliemetzrieder,
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H. Weisweiler und O. Lottin verbunden ist (zu diesen Sammlungen, ihrem Ver hältnis zueinander und dem Stand der Editionen, s. Maas, Liber Sententiarum Magistri, 27–31). Wurden diese Sammlungen früher auf Anselm von Laon selbst zurückgeführt, so besteht mittlerweile Konsens darüber, dass diese von – uns in der Regel nicht bekannten – Kompilatoren zusammengestellt worden sind. Allen ist grundsätzlich dieselbe Struktur gemeinsam – auch wenn sich nicht in allen Sammlungen alle Themen finden. Am Anfang stehen Ausführungen zur Gotteslehre, wobei diese spekulative Thematik, insbesondere die Trinitätslehre, nur äußerst knapp behandelt wird. Es folgen die Schöpfung der Welt, der Engel und die des Menschen. In Bezug auf Menschen und Engel werden neben der Schöpfung auch ihre Natur und ihre Eigenschaften sowie ihr Sündenfall und dessen Folgen dargelegt. Als Heilsmittel werden Erlösung, Sakramente und moralische Lebensweise ausgeführt − dabei wird die regeneratio et reparatio auch mittels des dreiteiligen Schemas »natürliches« bzw. »geschriebenes Gesetz« und »Zeit der Gnade« entfaltet. Die Defizite liegen klar auf der Hand, insofern die Christologie ähnlich kurz ausfällt wie die Gotteslehre, die Eschatologie fehlt gänzlich; der Schwerpunkt liegt eher auf praktisch-ethischen Fragen. Ebenfalls dem biblisch-heilsgeschichtlichen Typus ist Hugos von St. Viktor († 1141) zwei Bücher umfassendes Werk De sacramentis christiane fidei zuzurechnen, das er trotz des erheblichen Umfangs noch als brevis summa bezeichnet. Das erste Buch ist prinzipiell dem opus conditionis (»Schöpfungswerk«) gewidmet, das zweite dem opus restaurationis (»Werk der Wiederherstellung«). Vorangestellt ist eine kurze Praefatiuncula und ein ausführlicher Prolog, in dem Hugos Absicht, ein geschlossenes theologisches System zu entfalten, greifbar wird; damit ist ein gegenüber den Sentenzensammlungen der Schule von Laon deutlich elaborierteres Reflexionsniveau erreicht, und auch in inhaltlicher Perspektive kann Hugo einige Defizite beheben. Er bestimmt hier u. a. die opera restaurationis humanae (»Werke der Erlösung der Menschen«) als Gegenstand der Theologie bzw. Heiligen Schrift (materia divinarum Scripturarum). Durch das opus conditionis wurde das, was nicht war, ins Sein gerufen, durch das opus restaurationis wurde das, was verloren war, melius (»besser«). Deshalb bestehe das opus conditionis in der Erschaffung der Welt mit allen ihren Elementen, das opus restaurationis wird auf die incarnatio verbi und auf die Sakramente, worunter Hugo auch die alttestamentlichen »Gnadenmittel« rechnet, bezogen (Prol. c. II; PL 176,183A– B). Aufgrund der Fokussierung auf die Erlösung des Menschen ist es nur konsequent, dass Hugo das Schöpfungswerk primär als Gegenstand der weltlichen Wissenschaften ansieht und ihm in der Heiligen Schrift nur »propädeutischen und dispositiven Charakter« (Leinsle, Einführung, 81) zuerkennt (Prol. c. II f.; PL 176,183C–184C). In der konkreten Ausführung behandelt Hugo dann mit gewissen Inkonsistenzen im ersten Buch das Hexaëmeron (»Sechstagewerk«), Gott den Schöpfer und von hier aus weitere Aspekte der Gotteslehre (insbesondere Gotteserkenntnis, Wesen und Eigenschaften, Trinitätslehre, göttlichen Willen). Auf die Angelologie folgen die Lehre von der Erschaffung, dem Urstand und Sün-
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denfall der Stammeltern sowie Ausführungen zum göttlichen Erlösungsratschluss im Allgemeinen. Den Abschluss bilden die bereits vorchristlich vorhandenen Heilsmittel Sakramente und Glauben. Das zweite Buch behandelt zunächst die Inkarnation und darauf aufbauend die Kirche, es folgen verschiedene liturgische Aspekte. Die Darstellung einzelner christlicher Sakramente (sacramenta maiora: Taufe, Firmung, Eucharistie) bzw. Sakramentalien (sacramenta minora: Besprengung mit Weihwasser; Benediktionen; etc.) wird unterbrochen durch Exkurse zur Problematik der Simonie, zum Eherecht und moraltheologische Abschnitte (Gelübde, Laster und Tugenden). Erst im Anschluss daran wendet sich Hugo der Buße und der letzten Ölung zu und leitet damit zur Eschatologie über. Obwohl Petrus Lombardus im Prolog seiner Sententiae in IV libros distinctae, die zu dem scholastischen Standardwerk werden sollten, aus Augustins De doctrina christiana die Schemata res-signa bzw. uti-frui als Einteilungsprinzip aufnimmt und damit eigentlich dem begrifflich-logischen Grundtypus (siehe unten) zuzurechnen wäre, orientiert er sich in den faktischen Ausführungen am heilsgeschichtlichen Typus und greift insbesondere auf Hugo von St. Viktor zurück; die augustinischen Schemata spielen nur noch bedingt eine Rolle. So wendet er sich im ersten Buch der Gotteslehre (Trinität, Attribute Gottes) zu. Das zweite Buch behandelt die Schöpfung (Schöpfung im allgemeinen, Angelologie, Hexaëmeron, Erschaffung des Menschen, Sündenfall, Wiederherstellung). Im dritten Buch behandelt der Lombarde dann die Christologie (Inkarnation) und die Tugendlehre. Buch vier ist den Sakramenten und der Eschatologie gewidmet (näheres B. II.5.). Damit liegt – abgesehen von der Ethik − ein in inhaltlicher und struktureller Perspektive kohärentes Werk vor. In den Sentenzenkommentaren gewinnen dann das erste Buch und vor allem Einleitungsfragen zunehmend an Bedeutung; auch die Auseinandersetzung mit Vorgängern und Zeitgenossen nimmt immer mehr Raum ein. 3.2.2. Begrifflich-logischer Grundtyp (logiquae)
Gleichsam als Prototypen des zweiten Grundtypus gelten demgegenüber Petrus Abaelard († 1142) und seine Schule. So greift Abaelard in der sog. Theologia Scholarium, die er in der Praefatio als sacrae eruditionis summa quasi divinae scripturae introductio bezeichnet (Pref. 1, ed. Mews [CChr.CM 13], 31,2 f.), auf die – die Lehre von den theologischen Tugenden Glaube, Hoffnung, Liebe (1 Kor 13) bzw. deren Rezeption durch Augustin im Enchiridion weiterentwickelnde – Trias fides-caritas-sacramentum als Strukturprinzip zurück und sieht darin die Summe des menschlichen Heils ausgedrückt (I,1, ed. Mews [CChr.CM 13], 318,1 f.). Jedoch führt Abaelard entgegen seiner Ankündigung, jedes dieser drei Elemente gesondert vertieft behandeln zu wollen, nur das Element der fides, die nach Abaelard die spes – und damit die dritte theologische Tugend – mitumfasst, weiter aus. In Bezug auf die anderen Elemente finden sich nur kurze einführende Bemerkungen. Mit der fides verbindet Abaelard dann zwei Aspekte, von denen wie-
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derum nur der erste dargestellt wird, das heißt der auf die divinitatis natura bezogene; der zweite auf die göttlichen beneficia (»Wohltaten«) und rectissimae dispensationes uel ordinationes Gottes, die den Symbola der Apostel und Kirchenväter zu entnehmen seien, bezogene bleibt unberücksichtigt (I,17, ed. Mews [CChr.CM 13], 326,207–210). Nahm man früher an, dass Abaelard auch die anderen Elemente ausgeführt habe (Denifle, Die Sentenzen Abaelards), halten neuere Forschungen dies eher für unwahrscheinlich (Marenbon, The philosophy of Peter Abelard, 61; Mews, Sententiae of Abelard, 165 f.). Die uns überlieferten drei Bücher entfalten dann vor allem die Trinitätslehre unter Rekurs auf das Ternar potentia, sapientia und benignitas, über das insbesondere im dritten Buch eine Ausweitung der Themen erfolgt. Weiterhin spielen hermeneutische Fragen nach der Bedeutung der artes für die Darlegung der christlichen Lehre eine besondere Rolle (vgl. zum Gesamten: Klitzsch, Die »Theologien« des Petrus Abaelardus, 379–586). Dass Abaelard jedoch auch die nicht ausgeführten Elemente im Blick hat, zeigt zum einen das bereits erwähnte Sic et non, das – wenn auch in leicht geänderter Reihenfolge – ebenfalls nach dem Schema fides-sacramentum-caritas strukturiert ist. Weiterhin sind uns verschiedene Sentenzensammlungen aus der Schule Abaelards überliefert (s. hierzu Mews, Sententiae of Abelard), die das gesamte Schema ausführen. Dabei folgen die Sententiae magistri Petri Abelardi (= Sententiae Hermanni) sowie die Sententiae Florianenses der Reihenfolge der sog. Theologia Scholarium. Die Sententiae Parisienses sowie die eine größere Unabhängigkeit von Abaelard aufweisenden Sentenzen Rolands und Omnebenes hingegen übernehmen die Reihenfolge von Sic et non, ergänzen das logische Schema aber durch das heilsgeschichtliche und sind deshalb den Mischformen zuzurechnen. Die drei erstgenannten Sentenzensammlungen behandeln – trotz deutlicher Unterschiede − unter dem Stichwort beneficia insbesondere christologisch-soteriologische Fragen (Inkarnation, Zweinaturenlehre). Nur die Sententiae Parisienses bezeichnen auch die Sakramente als beneficia. Bezüglich der behandelten Sakramente liegt ebenfalls eine relativ große Varianz vor (Sententiae magistri Petri Abelardi: Taufe, Altarsakrament, Salbung [dreifach unterschieden], Ehe; Sententiae Parisienses: Taufe, Konfirmation, Altarsakrament, Ehe, Krankensalbung; Sententiae Florianenses: Beschneidung und Taufe, Exorzismus, Altarsakrament – jedoch bricht der Text mitten im Satz ab). Der Abschnitt caritas findet sich nur in den Sententiae magistri Petri Abelardi und den Sententiae Parisienses. Er bietet insbesondere Ausführungen zur Gottes- und Nächstenliebe, zu Laster und Tugenden, Verdiensten, Sünde und Sündenvergebung. Erfährt folglich durch dieses »begrifflich-logische« Dreierschema die »Ethik« unter dem Stichwort caritas eine gesonderte Behandlung, ist mit der Abkehr vom »heilsgeschichtlichen« Aufriss letztlich auch eine Engführung der »Dogmatik« verbunden, insofern bis auf einige Andeutungen insbesondere die Schöpfungslehre, die Ekklesiologie und die Eschatologie keine Berücksichtigung finden.
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3.2.3. Mischformen (plan compositae)
Da die beiden bisher anhand einzelner Beispiele dargestellten Grundtypen gewisse Inkonsistenzen, inhaltliche Schwerpunktsetzungen bzw. Auslassungen mit sich brachten, ist es wenig verwunderlich, dass dem Grundanliegen folgend, das Ganze der Theologie darstellen zu wollen, Versuche unternommen wurden, beide Systeme miteinander zu verbinden. Zu den einflussreichsten Sammlungen dieser Art gehören neben den bereits erwähnten Sentenzen Rolands und Omnebenes die Summa Sententiarum, die Sententiae divinitatis sowie die Ysagoge in theologiam. In der aus sieben Traktaten bestehenden Summa Sententiarum (ca. 1135–1140) kommen eine Vielzahl von Einflüssen zusammen, von denen vor allem Hugos von St. Viktor Schrift De sacramentis christianae fidei prägend wirkte. Dennoch wendet sich der bisher nicht eindeutig zu identifizierende Verfasser im ersten Teil, nach einleitenden Bemerkungen zu den theologischen Tugenden, der Darstellung der fides zu, die er unterteilt in mysterium divinitatis und sacramentum incarnationis (Tract. I, c. IV, PL 176,47C), so dass hier eher Abaelard im Hintergrund zu stehen scheint, vor allem wenn man berücksichtigt, dass unter dem zweiten Aspekt der fides, das heißt unter dem Stichwort beneficia vor allem die Inkarnation behandelt wurde. Die beiden anderen Gliederungsmomente Abaelards, das heißt caritas bzw. sacramentum werden hingegen nicht mehr aufgegriffen, vielmehr wendet sich der Verfasser im Folgenden zunächst der Darstellung der Schöpfung zu. Dem heilsgeschichtlichen Typus entsprechend werden Angelologie, Hexaëmeron, Schöpfung des Menschen, Sünde(nfall) und reparatio (»Wiederherstellung«) behandelt; letztere wird mittels Entfaltung der Sakramente differenziert nach den drei Zeitaltern »natürliches Gesetz«, »geschriebenes Gesetz«, »Gesetz des Evangeliums«. Eine weitere originelle Lösung bieten die wohl in den 1140er Jahren entstandenen Sententiae divinitatis, die der Schule Gilbert Porretas († 1154) zuzurechnen sind. Deren Originalität liegt weniger in dem bewusst eklektischen Vorgehen als in der Positionierung der Gottes- und Trinitätslehre. So beginnt dieses Werk mit der Schöpfungslehre (Hexaëmeron, Menschenschöpfung; die Angelologie wird explizit übergangen), wobei es in Bezug auf den Menschen vier Aspekte betrachtet: Erschaffung ad imaginem et similitudinem Dei; status libertatis; Sündenfall; reparatio (Tract. II [ed. Geyer], 18,25–28). Trotz aller Ähnlichkeit zur Schule von Laon bzw. zu den Viktorinern darf nicht übersehen werden, dass der biblische Bericht von der Schöpfung des Menschen, der Versuchung und dem Sündenfall bei der Behandlung der Themen nicht berücksichtigt wird. Unter dem letzten Aspekt werden die Inkarnation sowie die Sakramente aufgegriffen. Wie die Überleitung zur Gottes- und Trinitätslehre zeigt (Tract. VI [ed. Geyer], 155,6–9), ist für den Verfasser die Gotteserkenntnis eng mit der Wiederherstellung verbunden, so dass es nur konsequent ist, erst jetzt den Traktat De diuinitate et Trinitate anzuschließen.
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Trotz der Nähe zur Schule Abaelards bietet der Verfasser der Ysagoge in theologiam (ca. 1148–1152) ein ganz eigenes logisches Schema, nämlich die Trias divina natura, angelica natura, humana natura (Prol. [ed. Landgraf] 63,3–6), die er in unterschiedlichem Maße heilsgeschichtlich ausformt. So sind die ersten beiden Bücher der »menschlichen Natur« gewidmet. Im Rahmen der Ausführungen zur Schöpfung spielen auch die den Menschen konstituierenden Momente Leib und Seele eine besondere Rolle; unter letzterem werden auch die natürlichen Potenzen und aus diesen resultierend das Wissen und die Tugenden, inklusive der theologischen, dargestellt. Es folgen Ausführungen zu den Verdiensten, zur Gnade und zum freien Willen. Im dritten Abschnitt des ersten Buches wendet sich der Verfasser dann dem Paradies und dem Sündenfall sowie dem Bösen, den Lastern und der Sünde zu. All dies wird streng logisch, das heißt, ohne dass dem biblischen Bericht eine besondere Rolle zukäme, und – wie im gesamten Werk − oft in Verbindung mit graphischen Schemata dargestellt. Nachdem Schöpfung und Fall behandelt worden sind, folgen die remedia malorum bzw. die in die drei heilsgeschichtlichen Epochen unterschiedene restauratio. Eine Besonderheit stellt dabei dar, dass alttestamentliche Zitate auch in hebräischer Sprache angegeben werden. In Bezug auf die Zeit der Gnade werden wiederum die Inkarnation (und Passion) sowie die Sakramente angeführt. Dass er der »englischen« und »göttlichen Natur« deutlich weniger Raum widmet, nämlich das dritte Buch, ist dem Verfasser bewusst. In Bezug auf die Engel wendet er dann analog zum Menschen das Dreierschema creatio, lapsus, confirmatio bonorum angelorum – was der restauratio entspricht − an. In Bezug auf Gott hingegen wird zunächst die menschliche Gotteserkenntnis problematisiert, dann folgt die Darlegung der Gottes- und Trinitätslehre. Den Abschluss bilden Zeugnisse der Propheten – wiederum auch in hebräischer Sprache − und paganer Philosophen, die mittels Röm 1,19 f. und damit der Autorität des Apostels abgesichert werden – hier ist insgesamt der Einfluss Abaelards deutlich spürbar. 3.2.4. Kurzer Ausblick
Diese soeben skizzierte Vielfalt an verschiedenen Entwürfen einer systematischen Darstellung des Ganzen der Theologie in der Frühphase wird dann in unterschiedlichem Maße in der Folgezeit, an deren Ende die großen Summen des 13. Jahrhunderts stehen, aufgenommen; einen ersten Überblick über Summen bzw. Sentenzen, die nach der Mitte des 12. Jahrhunderts entstanden sind, bietet Glorieux (Glorieux, Sommes théologiques, 2360–2364). Besonders hervorzuheben sind u. a. die Summa aurea des Wilhelm von Auxerre († 1231) sowie die als Gemeinschaftswerk der frühen Pariser Franziskanerschule anzusehende sog. Summa Halensis, die Summa Theologica von Albertus Magnus († 1280). Eine eigene Ausprägung gewann der Typus der Summe in der Summa contra gentiles und der Summa Theologiae des Thomas ( C.I.5. und C.I.12.).
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Cloes, Henri: La systématisation théologique pendant la première moitié du XII siècle, in: EThL 34 (1958), 277–329. Evans, Gillian Rosemary/Rosemann, Philipp W. (Hg.): Medieval commentaries on the Sentences of Peter Lombard, Bd.1, Leiden 2002. Klitzsch, Ingo: Abaelard, Sic et Non, in: Danz, Christian (Hg.): Kanon der Theologie, Darmstadt 32012 (2009), 66–72. Klitzsch, Ingo: Die »Theologien« des Petrus Abaelardus. Genetisch-kontextuelle Analyse und theologiegeschichtliche Relektüre (AKThG 29), Leipzig 2010. Leinsle, Ulrich Gottfried: Einführung in die scholastische Theologie, Paderborn u. a. 1995. Maas, Pauline: The Liber Sententiarum Magistri A. Its place amidst the sentences collections of the first half of the 12th century (Middeleeuwse Studies 11), Nijmegen 1995. Smalley, Beryl: The study of the Bible in the Middle Ages, Oxford 31983. Ingo Klitzsch
4. Universität und Ordensstudium Thomas hat an der wichtigsten Universität des 13. Jahrhunderts, der Pariser Universität, sowie an mehreren Studien seines Ordens gewirkt ( B.I.5.). Universitas bedeutete im Mittelalter nicht zunächst jenen umfassenden Horizont universalen Wissens, der durch die Bildungsideale vor allem des 19. Jahrhunderts zum Inbegriff der Universität geworden ist. Vielmehr handelte es sich um einen rechtlichen Terminus, der als universitas magistrorum et scholarium die Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden bezeichnete. Die Gründung für die universitas ging mit entsprechenden Rechtsfolgen von unterschiedlichen Gruppierungen aus: In Paris wie den meisten anderen Universitäten waren es die Magister, die die Korporation bildeten. In Bologna hingegen wurden die Studenten initiativ, die in der Folgezeit dann auch die Leitung der Universität innehatten. Mit Friedrich II. trat am 5. Juni 1224 im Falle Neapels erstmals ein König als Universitätsgründer und weitgehend auch -finanzier auf. Der korporative Zusammenschluss bedeutete eine entscheidende Weiterentwicklung gegenüber der Situation der Gelehrten im 12. Jahrhundert, die in vielen Schulen nebeneinander wirkten. Als Kathedralschulen waren diese dem Bischof zugeordnet, vielfach aber auch als Ausbildungsstätten einzelnen Orden oder Kanonikergemeinschaften, wie etwa im Falle des Stiftes St. Viktor in Paris. Die Bildung der universitas sicherte die im 13. Jahrhundert in der Regel aus Klerikern bestehende Gemeinschaft durch einen eigenen Rechtsrahmen. Als Schutzherr hierfür fungierte in der Regel der Bischof. Der durch Privilegien gewährleistete Schutz galt insbesondere der Sicherung rechtlicher Autonomie gegenüber der städtischen Gemeinschaft. Eklatant zeigte sich die Bedeutung dieses Faktors, als in Paris im Jahre 1229 scharfes Vorgehen der weltlichen Ordnungskräfte gegen Studenten dazu führte, dass die gesamte Universität ihre Lehrtätigkeit aussetzte und zum Teil die Stadt verließ – man redet hier in der Regel von einem »Streik« der magistri. Der Rückgriff auf ein solches Mittel zeigt auch an, dass die Universität durch die sie umlagernden Betriebe
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mittlerweile zu einem gewichtigen Wirtschaftsfaktor gediehen war, auf den eine Stadt schwer verzichten konnte. Neben Paris sind die ältesten Universitäten die von Bologna und die von Oxford. Schon diese drei Modelle zeigen, dass das Idealbild von der mittelalterlichen Universität als zusammengesetzt aus der Fakultät der artes und den höheren Fakultäten Medizin, Jura und Theologie nicht überall in gleicher Weise verwirklicht wurde: Bologna war, ähnlich wie Neapel, ausschließlich auf die Ausbildung von Juristen konzentriert, während es zwischen Paris und Oxford signifikante Unterschiede hinsichtlich der juristischen Fakultät gab: Papst Honorius III. hatte 1219 der Pariser Universität verboten, Römisches Recht zu unterrichten, so dass die juristische Fakultät hier ausschließlich Kirchenrecht lehrte. In Oxford hingegen gab es gleich zwei juristische Fakultäten: die eine, bedeutsamere für das kanonische (Kirchen-) Recht, die andere für das weltliche Römische Recht. Bei aller Varianz allerdings sah das Normalmodell der mittelalterlichen Universität eben jenen genannten Aufbau in die basale artes-Fakultät und die drei höheren Fakultäten vor. Die artes-Fakultät war nach den septem artes liberales benannt, jenen sieben Künsten, deren Beherrschung den freien Römer auszeichnete. Die wohl erste Gesamtdarstellung dieses Bildungskanons, die noch neun Künste umfassenden Disciplinarum libri novem des Varro (116–127 v. Chr.), ist nicht erhalten. Prägend für das Mittelalter wurde das allegorische Lehrbuch des Martianus Capella, De nuptiis Mercurii et Philologiae (um 430). Es normierte die Siebenzahl von Grammatik, Rhetorik und Dialektik sowie Arithmetik, Geome trie, Astronomie und Musik. Die vier letzteren, mathematisch-naturwissenschaftlich ausgerichteten Disziplinen fasste Boethius (ca. 480–524) als Quadrivium (»Vierweg«) zusammen. Isidor von Sevilla († 636) benannte dann die drei anderen sprachlichen Disziplinen als Trivium (»Dreiweg«); hieraus leitet sich im späteren Sprachgebrauch auch die Rede von Trivialbildung für Elementarbildung ab. Für die mittelalterlichen artes-Fakultäten wurde allerdings entscheidend, dass die Gründungen der Universitäten mit der Aristotelesrezeption einhergingen. Der Lehrplan gliederte sich damit nur noch tentativ nach den sieben Disziplinen, maßgeblich wurde vielmehr die Orientierung an bestimmten philosophischen Lehrbüchern, unter denen die des Aristoteles einen herausragenden Platz einnahmen. Nach den 1215 vom Universitätskanzler Robert Courçon († 1219) erlassenen Statuten dauerte das Studium der artes sechs Jahre. Da man davon ausgehen kann, dass das Studium im Jugendalter begonnen wurde, dürfte dies mit etwa zwanzig Jahren abgeschlossen gewesen sein. Nun durfte man an eine der höheren Fakultäten wechseln – was wiederum eine lange Zeit in Anspruch nahm, besonders in der Theologie, die acht Jahre zu studieren war, ehe man dann in Abstufung von verschiedenen Abschlüssen – dem baccalaureus biblicus auf Grundlage der Bibelauslegung und dem baccalaureus formatus oder sententiarius auf Grundlage der Sentenzenvorlesungen – den Magistergrad erlangen konnte. In diesem Studiengang zeichnet sich besonders deutlich ein Charakteristikum der mittelalterlichen Universität ab: die Verschränkung von akademischem Lehren und Ler-
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nen: Noch als Student der höheren Fakultät beginnt man Vorlesungen zu halten und wächst so in die Aufgaben als Magister hinein, bis man sich durch ein Graduierungsverfahren, in dessen Mittelpunkt die Disputation steht ( B.I.3.), zur vollen akademischen Lehre qualifiziert. Wird man dann tatsächlich mit der Ausübung dieser Lehre beauftragt, ist man ein magister actu regens. Diese magistri regentes waren es auch, die die Leitungsorgane der Fakultäten bestimmten – die Dekane für die höheren und den Rektor für die artes-Fakultät, dessen Leitungsfunktion sich im Laufe der Jahre auf die gesamte Universität ausdehnte. Dabei sah wiederum in Paris die Selbstorganisation der artes-Fakultät das Prinzip der Nationen vor, nach denen sich Studenten wie die Magister zusammenfanden. Sie bildeten nur ein grobes Gliederungsprinzip, das nicht voll dem späteren Nationenbegriff analog ist. So gab es in Paris als Nationen die französische, die pikardische, die normannische und die englische – man sortierte sich also nach den der französischen Metropole einigermaßen naheliegenden regionalen Einheiten. Wer aus größerer Ferne kam, musste sich einer dieser Gruppen zuordnen. Gleichwohl wurde so ein Organisationsprinzip begründet, das im 15. Jahrhundert auf den Konzilien eine gewichtige Rolle spielen sollte. Eng mit Paris verknüpft war auch das Studiensystem der Dominikaner, das, trotz zeitweilig auch in diesem Orden herrschender Skepsis gegenüber dem Studium der profanen Wissenschaften, seit dem Generalkapitel von 1219 etabliert wurde. Das wichtigste Studium gehörte zu St. Jacques in Paris, das durch zwei Lehrstühle mit der Universität verbunden war. Hier wurden magistri ausgebildet. In den Ordensprovinzen gab es studia solemnia, deren bedeutendste als studia generalia galten. Sie waren nun ihrerseits ganz auf die Theologie ausgerichtet, für die allerdings auch an den Ordensstudien die artes als Vorbau eingerichtet wurden. Dennoch genügte die Ausbildung hier nicht immer dem umfassenden Anspruch, den die Universitäten erhoben, so dass es wiederholt zu Konflikten kam, wenn Absolventen eines Ordensstudiums an die Universität wechselten. Wie das Beispiel Bologna zeigt, ist aber nicht die Konzentration auf lediglich ein Fach das entscheidende Unterscheidungskriterium zur Universität, sondern der Orden als Träger: Der von der Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden getragenen Institution stand mit den studia eine in die Ordensgemeinschaft integrierte Einrichtung gegenüber, die in eine eigene, spezifische Leitungsstruktur eingebunden war. Dass dies nicht immer einen Verlust an wissenschaftlicher Qualität oder Freiheit bedeuten musste, zeigt das Beispiel des Kölner Ordensstudiums, wo Albertus Magnus ( B.III.1.) in größerer Freiheit Aristoteles lehren konnte, als ihm dies gleichzeitig an der Universität Paris möglich gewesen wäre. Hiervon hat nicht zuletzt auch Thomas von Aquin profitiert. Dessen eigener Werdegang zeigt zudem, dass man das Verhältnis von Universität und Ordensstudium nicht im Sinne eines klaren Gefälles interpretieren darf. Auch später waren bedeutende Gelehrte wie Duns Scotus († 1308) oder vermutlich auch Meister Eckhart († 1328) zeitweilig an Studienhäusern ihrer Orden tätig. Dass es bei den beiden letzteren zufällig jeweils das Haus in Köln war, lässt erkennen, dass hier durch Ordenshäu-
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ser geradezu ein intellektuelles Zentrum entstand, ähnlich wie zeitgleich durch die Präsenz Wilhelms von Ockham († 1347) und anderer Gelehrter in London. Das Engagement des Thomas für die Ordensstudia ist damit Teil einer Ordens politik, die die intellektuellen Standards der eigenen Mitglieder in ganz Europa zu heben trachtete und sich hierzu der höchsten intellektuellen Kompetenz bediente, die man zur Verfügung haben konnte. Emery, Kent/Courtenay, William J./Metzger, Stephen M. (Hg.): Philosophy and theology in the »studia« of the religious orders and at papal and royal courts. Acts of the XVth annual colloquium of the Société Internationale pour l’Étude de la Philosophie Médiévale, University of Notre Dame, 8−10 October 2008 (RPM 15), Turnhout 2012. Frank, Isnard Wilhelm: Die Bettelordensstudia im Gefüge des spätmittelalterlichen Universitätswesens, Stuttgart 1988. Gemeinhardt, Peter/Georges, Tobias (Hg.): Theologie und Bildung im Mittelalter (ArVe, Subsidia 13), Münster 2015. De Libera, Alain: Denken im Mittelalter, Stuttgart 2003. Rüegg, Walter (Hg.): Geschichte der Universität in Europa, Bd. 1: Mittelalter, München 1993. Wei, Ian P.: Intellectual Culture in Medieval Paris. Theologians and the University c. 1100−1330, Cambridge 2012. Volker Leppin
5. Das Leben des Thomas 5.1. Einleitung
Nur wenige Einzelheiten aus dem Leben des Thomas sind bekannt. Ein Grund dafür ist, dass die wichtigsten Quellen für die Rekonstruktion der Biographie – die Viten aus der Feder Wilhelms von Tocco (1240–1323), Bernard Guis (1261/62–1331) und des Petrus Callo (zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts, bis 1348) – erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts zusammengestellt und ediert worden sind und so erst in der Folge eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesen möglich wurde. Zudem handelt es sich bei diesen Viten nicht um Biographien im heutigen Sinne; ihnen eignet vielmehr ein hagiographischer und erbaulicher Charakter, wobei chronologische Daten zugunsten von Anekdoten und Legenden vernachlässigt werden. Wilhelm von Tocco beispielsweise wollte durch seine Darstellung von Geburt, Leben und Tod samt den begleitenden übernatürlichen Zeichen den Nachweis erbringen, dass Thomas mit den großen Figuren der Bibel, Jakob, Joseph, Mose, dem Apostel Thomas und gar Christus verglichen werden könne (Torrell, Magister Thomas). Neben den genannten Viten sind auch die episodischen Erzählungen, die Thomas von Cantimpré (1201–1270), Ptolomaeus (Bartholomäus; Tolomeos) von Lucca (1236–1327) sowie die um 1260 entstandene Legendensammlung Gerhards von Frachet – alles Zeitgenossen des Thomas – überliefert haben, wichtige Quellen zum Leben des Thomas. Auch diese Quellen weisen zahlreiche Ungenau-
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igkeiten und Widersprüche auf, was ein weiterer Grund für die mangelhafte Kenntnis biographischer Einzelheiten ist. Ausführliche wissenschaftliche Biographien liegen erst Mitte des 20. Jahrhunderts vor (Chesterton, Thomas von Aquin; Walz, Thomas von Aquin; Chenu, Werk; Weisheipl, Thomas von Aquin; Pesch, Thomas von Aquin; Torrell, Magister Thomas), wobei einige Schwierigkeiten einer genauen Rekonstruktion des Lebens des Thomas bis heute nicht endgültig gelöst sind. 5.2. Roccasecca und Monte Cassino: Biographische Wurzeln
und erste Prägungen
Als zuverlässig gilt die Nachricht Wilhelms von Tocco, dass Thomas am 7. März 1274 in der Abtei Fossanova gestorben ist. Über den Tag und das genaue Jahr der Geburt allerdings fehlen urkundliche Quellen und die frühen Biographen widersprechen sich. Die Forschung versucht daher, das Geburtsjahr ausgehend vom überlieferten Sterbedatum annähernd zu bestimmen. Nach dem Bericht Wilhelms von Tocco ist Thomas im 49. Lebensjahr, also im Alter von 48 Jahren, gestorben. Seine Geburt wäre demzufolge auf das Jahr 1225 anzusetzen. Bernard Gui gibt an, dass Thomas zum Zeitpunkt seines Todes sein 49. Jahr vollendet und sein 50. begonnen hatte. Das spräche für das Geburtsjahr 1224. Ptolomaeus von Lucca ist der Meinung, Thomas sei im Alter von 50 Jahren gestorben – trotz der von ihm zitierten Aussage einiger anderer, die von 48 als Sterbealter des Thomas sprechen. Heute hat sich die Forschung auf 1224/25 als Geburtsdatum geeinigt, aber auch die Jahre 1226 und 1227 lassen sich aufgrund der Gesamtquellenlage nicht gänzlich ausschließen (Torrell, Magister Thomas). Um den Geburtsort gab es ebenfalls lange Zeit nur Spekulationen: Meinten die einen, Belcastro in den Abbruzzen sei der Ort, so plädierten andere für die Stadt Aquino und dritte für Roccasecca. Inzwischen stimmt die neuere Forschung darin überein, dass Roccasecca, das Stammschloss der Familie, als Geburtsort angenommen werden muss. Das Schloss liegt etwa neun Kilometer östlich der Stadt Aquino in der Grafschaft Aquino, ungefähr auf der Hälfte der Strecke zwischen Rom und Neapel. Diese geographische Lage war durchaus brisant; der familiäre Grundbesitz lag auf der Grenze zwischen päpstlichem und kaiserlichem Territorium und geriet somit immer wieder in den Fokus der politischen Auseinandersetzungen. Diese Situation zwang die Familie zu vorsichtigem Agieren gegenüber den beiden Mächten. Die Grafschaft Aquino war seit dem Ende des 10. Jahrhunderts wechselnd im Besitz der verschiedenen Zweige der Familie. Der Vater des Thomas, Landulf, gehörte nicht zum mächtigen Zweig. Sein Titel miles (»Ritter«) weist ihn als Angehörigen des gebildeten und begüterten, aber niederen Adels aus. Er war Gerichtsherr in seiner Region und stand so im Dienste Friedrichs II. Landulf heiratete in zweiter Ehe Theodora, eine Adelige aus der neapolitanischen Familie Ca-
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racciolo. Aus der Verbindung gingen vier Jungen und fünf Mädchen hervor. Thomas war das jüngste der neun Kinder. Ebenso rudimentär wie die Nachrichten über seine Geburt und Kindheit ist die Quellenlage, was seine Jugendzeit anbetrifft. In den Schriften Thomas’ finden sich hierzu nur indirekte Äußerungen. Die Vita Wilhelms von Tocco ist an dieser Stelle wenig aussagekräftig. Als sicher gilt jedoch, dass der Knabe 1230 von seinen Eltern in das Kloster Monte Cassino gebracht wurde, damals die mächtigste Benediktinerabtei Italiens. Bereits im Alter von ca. fünf Jahren also wurde er, wie in dieser Zeit gerade für die jüngsten Kinder einer Familie durchaus üblich, als Oblatus, also als »Dargebrachter«, dem Kloster anvertraut, um später einmal Mönch zu werden – und dann vielleicht sogar Abt. Vermutlich erhoffte sich die Familie für ihren Sohn diese kirchliche Laufbahn, und was seine Herkunft anbetraf, war es keinesfalls ausgeschlossen, dass Thomas einmal als Abt dieses Klosters zu den mächtigsten Kirchenvertretern Italiens gehören würde. 1230 hatte der Friedensvertrag von San Germano die Feindseligkeiten zwischen Papst und Kaiser erst einmal beendet und auch dem Leben in der Abtei Ruhe verschafft. Während seines Aufenthaltes in Monte Cassino wurde Thomas, wie für Oblati in den Klöstern üblich, in die Grundlagen der Wissenschaft eingeführt. Er wurde in Latein, in der Grammatik der Landessprache, im Lesen und Schreiben sowie in den Grundlagen der Mathematik und der Harmonie unterrichtet und mit dem religiösen Leben der Benediktiner vertraut gemacht. In der Folge der Exkommunikation Friedrichs II. im Jahr 1239 ( B.II.8.) kam es jedoch wieder zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Kaiserliche Truppen fielen in den Kirchenstaat ein, stürmten Monte Cassino und zwangen diejenigen Mönche, die nicht in den Territorien Friedrichs II. geboren waren, die Abtei zu verlassen. Da nur acht Mönche bleiben konnten, war es kaum möglich, das Klosterleben aufrechtzuerhalten, geschweige denn, weiterhin Kinder im Kloster zu erziehen. Auf Empfehlung des Abtes Stephan von Corbario schickte Thomas’ Vater seinen Sohn nach Neapel. Dort sollte er sein Studium an der von Kaiser Friedrich II. erst 1224 gegründeten Universität aufnehmen. Neuere Forschungen verweisen darauf, dass Thomas nicht als Benediktiner-Oblate nach Neapel gegangen sei. Dementsprechend könne auch die Nachricht, er habe in dieser Zeit seine Ordensprofess als Benediktiner abgelegt, nicht zutreffen, zumal dann auch die Einwilligung der Eltern für den Ortswechsel nicht hätte eingeholt werden müssen. Thomas ging also offenbar als Laie nach Neapel. 5.3. Neapel: Studium und Eintritt in den Dominikanerorden (1239–1245)
Mit ca. 15 Jahren war Thomas in dem Alter, in dem üblicherweise das Studium B.I.4.). Hier begonnen wurde. Er schrieb sich in Neapel an der Universität ein ( sollten Männer für den Staatsdienst ausgebildet werden. Gegenüber der päpstlichen Universität in Bologna stellte sie ein kaiserliches Konkurrenzmodell dar.
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Über Thomas’ Studienjahre in Neapel ist nicht viel bekannt. Aber es scheint, dass er nicht nur wie zu der Zeit an den Universitäten üblich, die sieben freien Künste (artes liberales) studierte, sondern auch in erste Berührungen mit Aristoteles kam. Dieses außergewöhnliche Lehrangebot, an prominenten Universitäten wie Paris offiziell verboten, war Friedrich II. zu verdanken, dessen Hof in Palermo zu einem offenen Zentrum auch der außerchristlichen Kultur und Philosophie avancierte. Hier versammelten sich bedeutende Kenner der antiken Philosophie. Zu ihnen gehörten auch arabische Wissenschaftler, die die Tradition der arabischen Aristoteles-Rezeption und Aristoteles-Interpretation des Averroes B.II.7.). Hier wurde die Übersetzung (Ibn Rushd) ins Abendland brachten ( wissenschaftlicher Werke aus dem Arabischen und Griechischen durch die von Michael Scotus begründete Schule vom Kaiser gefördert, so dass aristotelische Wissenschaft, arabische Astronomie und griechische Medizin in Süditalien florierten. Als ein Lehrer des Thomas ist vor allem Petrus von Hibernia überliefert. Die Zeit in Neapel wurde prägend in zweierlei Hinsicht. Zum einen wegen der ersten Beschäftigung mit den Schriften des Aristoteles. Zum anderen durch die Begegnung mit dem Orden der Predigerbrüder oder der Dominikaner, wie sie ebenfalls genannt wurden ( B.I.2.). Seit 1231 gab es auch in Neapel einen Konvent der Dominikaner. Seit 1239 war der Konvent allerdings nur noch von zwei Mönchen bewohnt, die anderen hatte Friedrich II. der Stadt verwiesen (Torrell, Magister Thomas, 30). Wahrscheinlich ist Thomas 1244 mit etwa 18 oder 19 Jahren in den Orden eingetreten. In der Forschung sind die Motive für den Ordenswechsel umstritten. Die einen sehen das Hauptmotiv darin, dass die Dominikaner anders als die Benediktiner die Möglichkeit boten, in Gemeinschaft zu leben und Studium und Seelsorge zu verbinden (Pieper, Thomas von Aquin). Andere meinen, dass Thomas in den Dominikanern vor allem »vorbildliche Repräsentanten der ihn außerordentlich faszinierenden evangelischen Bewegung« (Horst, Person und Werk, 36) gesehen habe. Deren einfaches und besitzloses Leben habe ihn angezogen (Torrell, Magister Thomas). Bei seiner Familie stieß dieser Schritt offenbar auf Unverständnis. Die Forschung folgt hier der Darstellung Wilhelms von Tocco, der berichtet, Theodora, die Mutter, sei nach Neapel gereist, um ihren Sohn umzustimmen, allerdings vergeblich. Sie habe ihn dort nicht angetroffen, da Thomas bereits auf Geheiß des Ordensoberen Johannes von Wildeshausen zur Fortsetzung seines Studiums an die beste Universität jener Zeit, Paris, aufgebrochen sei. Viel ist spekuliert worden, warum sich die Familie mit dem Ordenseintritt anscheinend nicht abfinden wollte: Es wird vermutet, daß die Zugehörigkeit zu einem der Bettelorden für einen Adelssohn als nicht standesgemäß angesehen wurde. Zudem seien mögliche Pläne der Eltern, Thomas solle Abt von Monte Cassino werden, mit dessen Eintritt in den Dominikanerorden durchkreuzt worden. Der Weg nach Paris führte durch das Gebiet, in dem gerade wieder kriegerische Auseinandersetzungen zwischen päpstlichen und kaiserlichen Truppen tob-
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ten. Aber nicht nur diese Gefahr behinderte die Reise, sondern auch die Familie. Alle Biographen berichten, Thomas sei auf der Reise entführt worden. Und in der Tat scheint seine Mutter Theodora zwei seiner Brüder, die im Dienste des Kaisers standen, beauftragt zu haben, die Reisegruppe der Dominikaner zu überfallen und Thomas zu entführen– zunächst nach Monte San Giovanni, einem Schloss der Familie nördlich von Roccasecca. Dort spielt auch die Episode, die in der Forschung immer wieder auf ihren Realitätsgehalt hin traktiert worden ist: Man habe eine hübsche junge Frau zu Thomas gebracht, um ihn in Versuchung zu führen. Daraufhin habe er wutentbrannt ein brennendes Holzscheit nach ihr geworfen und im Gebet das Versprechen der Engel erhalten, für immer in Keuschheit leben zu dürfen. Heute gilt diese Episode als Legende, ebenso wie die einjährige Gefangenschaft auf Roccasecca. Nach neuesten Forschungen dürfte es sich hier eher um einen auferlegten Wohnort gehandelt haben. Ein Kerkeraufenthalt ist nicht nachzuweisen, denn Thomas konnte kommen und gehen, wie er wollte, Besuche empfangen, sich mit den Verwandten unterhalten. Anscheinend hat er die Zeit auch für das Selbststudium genutzt (Torrell, Magister Thomas, 32f.). Einigen Quellen zufolge soll Thomas mit Hilfe seiner Mutter nach einiger Zeit entkommen sein, indem er sich wie Petrus mit einem Seil die Mauer hinuntergelassen habe. Auch dies hat die neuere Forschung inzwischen in den Bereich der Legende verwiesen und vermutet eher, die Familie habe ihn nach einem Jahr ziehen lassen, nachdem sie festgestellt hatte, dass er von seinem Vorhaben nicht abzubringen war (Weisheipl, Thomas von Aquin; Pesch, Thomas von Aquin). Diskutiert wird aber auch ein mögliches politisches Motiv für den Sinneswandel der Familie: Aufgrund der Absetzung Friedrichs II. durch Papst Innozenz IV. anlässlich des Konzils von Lyon (17. Juli 1245) könnte sich die Familie vom Kaiser abgewandt haben. Indem sie Thomas dem Dominikanerorden zurückgab, bezeugte sie ihren guten Willen gegenüber der Kirche (Torrell, Magister Thomas). Diese Deutung verweist jedoch auf ein grundsätzlich anderes Motiv für die Ablehnung des Ordenseintritts des Thomas durch die Familie: Die Kritik galt dann nicht dem Bettelorden an sich, sondern war durch die zeitweilig enge Bindung der Familie an den Kaiser und die sich daraus ergebende Distanzierung gegenüber der Kirche begründet. 5.4. Paris: Fortsetzung des Studiums (1245–1248)
Im Herbst 1245 jedenfalls brach Thomas nach Paris auf. Bis in die neueste Zeit waren sich die Historiker nicht einig, ob dieser Aufenthalt wirklich stattgefunden hat und Thomas von Aquin nach Köln weitergereist ist. Heute sprechen die Forschungsergebnisse René-Antoine Gauthiers dafür, dass Thomas zunächst tatsächlich in Paris war und nicht Theologie, sondern in Fortsetzung seiner Studien von Neapel an der Artistenfakultät studiert hat. Diese These wird dadurch gestützt, dass das Werk des Thomas, insbesondere sein Kommentar zur Nikomachi-
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schen Ethik, gute Kenntnisse der ethica vetus, der sog. »alten Ethik« nach einer lateinischen Übersetzung aufweist, die in den Jahren 1240 bis 1250 nur in Paris bekannt war. Außerdem war Thomas offenbar mit den Kommentaren zu dieser Übersetzung seitens der magistri aus der Artistenfakultät vertraut. Aufgrund dieser Erkenntnis erscheinen Thomas’ Studien in Paris nun mehr als nur wahrscheinlich (Gauthier, Saint Thomas d’Aquin; Torrell, Magister Thomas; Horst, Person und Werk). Weisheipl teilt die Beobachtung, gibt aber zu bedenken, dass im 13. Jahrhundert kein Mitglied des Dominikanerordens Vorlesungen an der artes-Fakultät einer Universität hätte belegen dürfen. Er geht daher davon aus, dass Thomas sich jene Kenntnisse im Selbststudium angeeignet hat. Dagegen wendet Torrell ein, dass die Ordensoberen von diesem Verbot dispensieren konnten. Mit einiger Wahrscheinlichkeit hat Thomas während dieser Zeit den Dominikaner, Magister der Theologie und berühmten Gelehrten jener Zeit, Albertus Magnus ( B.III.1.), kennengelernt und einige seiner Theologie-Vorlesungen besucht. Die Forschung verweist hier auf die von Thomas angefertigte Kopie von Alberts Kommentar zu De caelesti hierarchia. 5.5. Köln: Student und Assistent des Albertus Magnus in Köln (1248–1252)
Als gesichert gilt, dass Thomas Albert 1248 nach Köln begleitete, wo dieser das Generalstudium des Ordens aufbauen sollte. In den folgenden vier Jahren war Thomas Student und Assistent Alberts. Er redigierte nach seinen Vorlesungsnotizen dessen Kommentar zu De divinis nominibus des (Pseudo-)Dionysius Areopagita. Auch hat er als Student der Theologie die Lektionen Alberts über die Nikomachische Ethik gehört, die für ihn prägend werden sollten. Überhaupt scheint es Albert gewesen zu sein, der Thomas über die bereits in Neapel kennengelernte Naturphilosophie hinaus mit den Schriften des Aristoteles vertraut machte. Schon in Paris hatte Albert mehrere Kommentare zu Werken des Aristoteles verfasst. In Köln erlangte Thomas den akademischen Grad des baccalaureus biblicus. Aus dieser Zeit stammen die kursorischen Kommentare zu Jeremia und den Klageliedern, wahrscheinlich auch der zu Jesaja (Weisheipl, Thomas von Aquin; Torrell, Magister Thomas). In dieser Zeit wurde er auch zum Priester geweiht, genaueres ist darüber jedoch nicht bekannt. 5.6. Paris: Lehrtätigkeit an der Universität in Paris (1252–1259)
Um das Jahr 1251 wandte sich der Ordensmeister Johannes von Wildeshausen an Albert mit der Bitte, ihm einen Ordensbruder zu benennen, der fähig sei, an der Universität in Paris zu lehren. Albert empfahl Thomas. Und damit begann für diesen eine unerwartete Karriere. Er wurde mit dem Amt eines baccalaureus sententiarius betraut und nahm seine Lehrtätigkeit auf. Seine Aufgabe bestand darin, Lektionen und Disputationen auszuführen und die Sentenzen des Petrus Lom-
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bardus ( B.II.5.) zu kommentieren. Des Weiteren schrieb er seinen Sentenzenkommentar. Seine Promotion zum Magister, die normalerweise darauf hätte folgen müssen, verzögerte sich, weil das Verhältnis der Ordenstheologen zu den Magistern aus dem Weltklerus angespannt war ( B.III.4.). Der Grund dafür lag bereits einige Jahrzehnte zurück: in den Jahren 1229–1231 hatten bei einem Generalstreik der Magister und Studenten die Bettelorden als Streikbrecher interveniert. 1256 wurde Thomas auf einem neuen Höhepunkt des Streites mit Unterstützung des Papstes zum Magister ernannt und 1257 gemeinsam mit dem Franziskaner Bonaventura in das Kollegium der magistri aufgenommen. Die folgenden zwölf Jahre waren Jahre der Lehre und der reichen Publikationstätigkeit. Gegenstand seiner Vorlesungen war die Heilige Schrift, die von ihm geführten obligatorischen Disputationen sind zusammengefasst in der Serie Quaestiones disputatae de veritate. Aber der Konflikt zwischen Weltklerus und den Mitgliedern der Bettelorden kam nicht zur Ruhe. Er erhielt vielmehr neue Impulse durch den 1256 erschienenen Tractatus de periculis novissimorum temporum des Wilhelm von SaintAmour, der den Mitgliedern der Bettelorden grundsätzlich die Legitimität absprach, sich dem Studium und der Lehre zu widmen, da sie doch nicht von ihrer Arbeit, sondern ausschließlich vom Betteln leben wollten. Damit griff er ihre Positionen in der Seelsorge und an der Universität an. Thomas stürzte sich nun in diesen Streit. Mit seiner Schrift Contra impugnantes, Dei cultum et religionem, die er im Frühjahr 1256 als Apologie der Orden verfasst hat, schritt er zur Verteidigung der neuen religiösen Existenzweise und ihrer Verschränkung von pastoralen und intellektuellen Aktivitäten. Die Einheit von Wissen und Frömmigkeit war Thomas wichtig. Auch das Verständnis von Armut definierte er neu: Anders als die alten Orden gehe es den Bettelorden um den Verzicht auf Grundbesitz und feste Einkünfte. Der Lebensunterhalt solle allein durch Almosen und Erträge aus der Seelsorge erworben werden. Abgelehnt werde die von den alten Orden praktizierte Handarbeit, denn diese habe die Brüder am Studium gehindert. 5.7. Orvieto: Konventslektorat (1261–1265)
Thomas wurde 1259 nach Italien zurückgerufen. Damit endete seine Pariser Lehrtätigkeit. Das Prinzip des Ordens sah vor, dass Professoren nach einiger Zeit in andere Konvente versetzt werden sollten. Dies gab jüngeren Brüdern die Möglichkeit, sich an den Universitäten wissenschaftlich zu qualifizieren. Außerdem hatte man die große Notwendigkeit erkannt, dem Nachwuchs in den Provinzen eine solide Ausbildung zukommen zu lassen. Wo sich Thomas in den Jahren zwischen 1259 und 1261 genau aufhielt und welcher Tätigkeit er nachging, ist durch die Quellenlage nicht eindeutig zu bestimmen. 1261 jedenfalls wurde er in Orvieto Konventslektor bei den Dominikanern, nicht wie in der Forschung lange angenommen (z. B. von Mandonnet) in dem von Innozenz IV. 1244/45 gegründeten, der päpstlichen Kurie unterstellten Studienhaus. Als Konventslektor führte
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er jedoch auch Auftragsarbeiten für die Päpste wie die Catena Aurea ( C.I.7.3.) oder Contra errores Graecorum aus. Das bedeutendste Werk dieser Jahre ist die Summa contra gentiles ( C.I.5.). Thomas hatte sie bereits in Paris begonnen und vollendete sie wahrscheinlich 1265 (Gauthier, Saint Thomas d’Aquin). Die auf der Tradition des 16. und 17. Jahrhunderts basierende Forschungsposition, die davon ausging, es handele sich dabei, wie der Titelbegriff gentiles zeige, um ein Handbuch für Missionare in der islamischen Welt, wird inzwischen als widerlegt betrachtet. Denn ursprünglich ist die Überschrift offener gefasst: Liber de veritate catholicae fidei contra errores infidelium. Auch scheint es sich weniger um eine apologetische Schrift zu handeln oder um eine gegen die in Paris aufgetretenen Irrtümer gerichtete philosophischen Summe. René-Antoine Gauthier (Gauthier, Saint Thomas d’Aquin) sieht sie eher an als »reine Theologie« und »Versuch der Selbstreflexion«, die nicht an Studenten, sondern an Theologen adressiert ist. Weitere bedeutende Publikationen entstanden in dieser Zeit, z. B. die Expositio super Iob, der Kommentar zum Buch Hiob ( C.I.7.4.), in dem Thomas zeigen will, dass die menschlichen Dinge durch göttliche Vorsehung gelenkt werden. Die von ihm angewandte Methode der Auslegung war neu, er setzte statt einer bislang allgemein verbreiteten allegorischen Schriftinterpretation die Literalexegese ein. Sein Bestreben, über möglichst viele Quellen zu verfügen und die Kenntnisse der patristischen Literatur und der Konzilstexte zu vertiefen, veranlasste Thomas zu intensiver Recherche in den päpstlichen Archiven. Dort entdeckte er auch die Akten des Konzils von Chalkedon, die er dann für seine Christologie fruchtbar machte. 5.8. Rom: Leitung des dominikanischen studium (1265–1268)
1265 beschloss die römische Ordensprovinz, auch in Rom ein studium einzurichten, ein Studienhaus, in dem Brüder aus den verschiedenen Klöstern der römischen Provinz ausgebildet werden sollten. Die Gründung erfolgte im Konvent Santa Sabina auf dem Aventin. Thomas wurde mit der Leitung betraut, wobei ihm sowohl die Auswahl der Kandidaten als auch das Material und der Inhalt der Lehre überlassen wurde. Wie es scheint, hat er den Versuch, die Sentenzen des Petrus Lombardus erneut zu kommentieren, aufgegeben. Stattdessen beschloss er, ein neues Werk für den Unterricht zu konzipieren: Ein Handbuch, eine summa der Theologie, sollte die bisher in den Konventen üblichen Moral- und Predigtsummen ersetzen. Thomas hatte vor, eine theologische Synthese zu erarbeiten, die er für die Praxis als notwendig ansah. Er begann einen Teil der Summa Theologiae in Rom. Ob er sie bereits dort in der Lehre verwendete, ist in der Forschung umstritten. Sie war jedenfalls für den Unterricht mit Dominikanerstudenten gedacht und nicht für den universitären Unterricht. An den Universitäten waren nach wie vor die Sentenzen des Lombardus obligatorisch. Thomas konzi-
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pierte die Summa Theologiae für Anfänger. Bis zu seinem Lebensende hat er an ihr gearbeitet. Das Werk blieb unvollendet ( C.I.12.). 5.9. Thomas von Aquin zum zweiten Mal in Paris (1268–1272)
Im Sommer 1268 wurde Thomas wieder nach Paris geschickt. Das war eigentlich gegen die übliche Praxis seines Ordens. Die Gründe lassen sich nur vermuten. Offenbar hatte sich die Lage im Streit an der Universität so zugespitzt, dass man auf sein fundiertes theologisches Wissen und seine Vermittlungsfähigkeit setzte. Thomas von Aquin musste sich der Kontroverse an drei Fronten stellen: Erstens ging es darum, das inzwischen auch in der Studienordnung der Dominikaner vorgeschriebene Aristotelesstudium gegen konservative Kritiker innerhalb der Theologischen Fakultät zu verteidigen. Zweitens schaltete sich Thomas in den Streit an der Pariser Artistenfakultät über die Frage nach der Ewigkeit der Welt ein. Er wandte sich hier gegen die »konsequenten Aristoteliker« (Leppin, Theologie im Mittelalter, 120 f.), deren Lehren von einer doppelten Wahrheit, von der Unpersönlichkeit Gottes, von der Einheit der Seele in allen Menschen und von der Freiheit durch die Erkenntnis für christliche Theologen nicht vertretbar waren. In dieser Zeit entstanden auch die großen Aristoteleskommentare des Thomas ( C.I.9.), unter denen die Sententia libri ethicorum besonders wichtig ist. Der dritte Konfliktbereich betraf wieder einmal die Auseinandersetzung mit den Weltklerikern, die die Vertreter der Bettelorden aus dem Lehrbetrieb der Universitäten ausschließen wollten. Diesmal lautete der Vorwurf, die Dominikaner und Franziskaner rekrutierten ihren Nachwuchs unter noch nicht urteilsfähigen Jugendlichen. Thomas verteidigte die kritisierte Praxis in seiner Schrift Contra retrahentes mit dem Argument, dass Knaben wegen ihrer Lernfähigkeit besonders dazu geeignet seien, sich schon in jungen Jahren auf das Leben im Orden vorzubereiten. 5.10. Thomas’ Zeit in Neapel und sein Tod (1272–1274)
Thomas verließ nach dreieinhalb Jahren 1272 die Stadt Paris. Er war vom Kapitel seiner Provinz beauftragt worden, ein Generalstudium an einem Ort seiner Wahl zu organisieren, die Studenten durfte er wiederum selbst aussuchen. Er entschied sich für seinen Heimatkonvent Neapel. In der folgenden Zeit verfasste er seine Kommentare zu den paulinischen Briefen und zu den Psalmen, deren Auslegung allerdings unvollendet blieb. Er schrieb weitere Aristoteleskommentare und setzte seine Arbeit an dem dritten Teil der Summa Theologiae fort. Bei der Abhandlung der Buße bricht das Werk plötzlich ab. Gründe dafür sind nicht mit Sicherheit zu benennen. Die Zeitgenossen nahmen eine zunehmende Geistesabwesenheit wahr. Der überlieferte Bericht des Bartholomäus von Capua, der im Rahmen des Kanonisationsprozesses wichtig wurde, trägt legendenhafte Züge: Danach sei die eigentliche Veränderung des
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Thomas seit der Messe am Fest des heiligen Nikolaus des Jahres 1273 deutlich wahrnehmbar gewesen. Nach dieser Messe habe er seine Arbeit an der Summa beendet und nicht wieder aufgenommen. Auf die bestürzte Frage nach der Ursache hierfür habe er geantwortet: »Ich kann nicht mehr. Alles was ich geschrieben habe, kommt mir vor wie Stroh im Vergleich zu dem, was ich gesehen habe.« Dennoch machte er sich einige Zeit später auf den Weg zum von Gregor X. einberufenen Konzil nach Lyon. Auf der Reise erkrankte er. Er starb am 7. März 1274 in der Zisterzienserabtei Fossanova. Dort wurde er auch zunächst bestattet. Papst Urban V. verfügte 1368, dass die Gebeine nach Toulouse verbracht werden sollten. Hier befindet sich noch heute sein Grab in der Jakobinerkirche. Chenu, Marie-Dominique: Das Werk des hl. Thomas von Aquin (DTA, 2. Ergänzungsband), Graz/Wien/Köln 21982. Gauthier, René-Antoine: Saint Thomas d’Aquin. Somme contre les gentils. Introduction, Paris 1993. Horst, Ulrich: Thomas von Aquin – Person und Werk, in: MThZ 57 (2006), 35–49. Leppin, Volker: Theologie im Mittelalter, Leipzig 2007. Pesch, Otto Hermann: Thomas von Aquin. Grenze und Größe mittelalterlicher Theologie, Mainz 31995. Pesch, Otto Hermann: Art. Thomas/Thomismus/Neuthomismus, in: TRE 33 (2002), 443−474. Pieper, Josef: Thomas von Aquin. Leben und Werk, München 41990. Torrell, Jean-Pierre: Magister Thomas: Leben und Werk des Thomas von Aquin. Aus dem Französischen übersetzt von Katharina Weibel in Zusammenarbeit mit Daniel Fischli und Ruedi Imbach. Mit einem Geleitwort von Ruedi Imbach, Freiburg i. Br. u. a. 1995. Weisheipl, James A.: Thomas von Aquin. Sein Leben und seine Theologie. Übersetzt aus dem Amerikanischen von Gregor Kirstein, Graz u. a. 1980 (Originalausgabe: Friar Thomas d’Aquino: His Life, Thought and Works, New York 1974). Gury Schneider-Ludorff
II. Traditionen 1. Augustinus
Augustinus galt seit spätestens dem 7. Jahrhundert über Jahrhunderte hinweg als die Lehrautorität schlechthin. Dies war insbesondere in den Kloster- und Kathedralschulen der Fall. Wie für verschiedene theologische Fragen (besonders die Trinitätslehre, die Hermeneutik und die Ekklesiologie betreffend) war Augustinus nicht zuletzt eine entscheidende Quelle für die Kenntnisse über den Platonismus (vgl. STh I q. 77 a. 5; Ed. Leonina 5, 244/245). Hierfür war insbesondere sein Werk De civitate Dei (»Über die Gottesstadt«) wichtig. In der Rezeption ragten ansonsten seit dem 5. Jahrhundert De trinitate (»Über die Trinität«), De doctrina christiana (»Über die christliche Lehre und ihre Unterweisung«) sowie einige antipelagianische Schriften heraus. Der Rückbezug auf Augustinus schloss eine grundsätzlich platonismusfreundliche Theologie mit ein, wie man sie etwa
II. Traditionen – 1. Augustinus
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auch bei Boethius und Pseudo-Dionysius fand. Der Platonismus, auf den diese Tradition rekurrierte, war dabei natürlich nicht an den Dialogen Platons orientiert, die im 13. Jahrhundert weitgehend unbekannt waren, vielmehr handelte es sich um die Form des Platonismus, die ihre entscheidenden Impulse von Plotin erhalten hat und die man in der neuzeitlichen Philosophiegeschichte oft als Neuplatonismus bezeichnet. Das von Augustinus gezeichnete Bild, demzufolge Platon derjenige Philosoph war, der dem Christentum am nächsten stand, war allgemein verbreitet. Durch die mit dem 13. Jahrhundert einsetzende massive Rezeption des Aristoteles (und dessen neuplatonisch geprägter Kommentatoren) als maßgeblicher Lehrautorität, für die etwa Albertus Magnus steht, wurden nun auch die Differenzpunkte, in denen Aristoteles sich von Platon unterschied, in den theologischen Diskurs eingeführt. Daraus ergab sich als Konsequenz, dass auch die Position des Augustinus sich hin und wieder von der als weiterführend empfundenen Lehrmeinung des Aristoteles zu unterscheiden schien. Entsprechend ergab sich als Problem, wie sich die seit langem etablierte Lehrautorität zu der neu in den theologischen Diskurs eingebrachten Lehrautorität des philosophus verhält. Die Frage nach der Augustinusrezeption ist somit zugleich die Frage nach dem Verhältnis zwischen Traditionsprinzip und Erneuerung des theologischen Diskurses im 13. Jahrhundert. Thomas hat dieses Problem insbesondere in der Summa Theologiae bearbeitet. Hier greift Thomas an vielen Stellen auf Augustinus zurück und setzt ihn an nicht wenigen Stellen in direkte Beziehung zu der Meinung des Aristoteles. Demgegenüber greift er in der Summa contra gentiles deutlich seltener auf Augustinus zurück (vgl. aber z. B. Scg. III c. 47; Ed. Leonina 14, 127–129 zur Frage der Möglichkeit der Gotteserkenntnis). Auch in der Lectura supra epistolas Pauli spielt Augustinus keine besonders prominente Rolle. 1.1. Herkunft der Zitate
Die Herkunft der Augustinuszitate ist im einzelnen zumeist unklar. Häufig nennt Thomas nicht nur Augustinus als Autor, sondern auch die Schrift, auf die er sich bezieht. Dabei nennt er in der Regel Titel und Buch des Werkes. Typische Einleitungsformeln sind: Praeterea Augustinus dicit, VIII super Genesim ad litteram, quod … (»Außerdem sagt Augustin im 8. Buch der wörtlichen [Erläuterung] über die Genesis, dass …«; STh I q. 12 a. 10; Ed. Leonina 4, 133a) oder Sed contra est quod dicit Augustinus VI de Trin. … (»Aber dagegen steht, dass Augustin im sechsten Buch über die Trinität sagt …«; STh I q. 13 a. 2; Ed. Leonina 4, 141a). Hinzu kommen Referate der Meinung des Augustinus, die kein direktes wörtliches Zitat einleiten, z. B. praeterea secundum Augustinum, XII super Gen. ad litt. visione intellectuali videntur ea, quae sunt in anima per suam essentiam (»Außerdem werden laut Augustinus, Buch 12 der wörtlichen [Erläuterung] über die Genesis die Dinge, die durch ihr Wesen in der Seele sind, mittels intellektueller Anschauung geschaut«; STh I q. 12 a. 11; Ed. Leonina 4, 134–136), oder kurze Quer-
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verweise auf Augustinus: ut Augustinus dicit (»wie Augustin sagt«; STh II-II q. 5 a. 1; Ed. Leonina 8, 54a). Das Problem besteht nun darin, dass Thomas teilweise ungenau zitiert und bisweilen auch Referate in derselben Weise einleitet wie wörtliche Zitate: Praeterea Augustinus dicit in libro Octoginta trium Quaest. quod … (»Außerdem sagt Augustin im Buch ›83 Fragen‹ dass …« [es folgt die referierte Meinung ohne Zitat]; STh I q. 12 a. 6; Ed. Leonina 4, 125b). Die Einleitung eines Zitates oder eines Satzes, der auf Augustinus zurückgeführt wird, erlaubt also keinen Rückschluss darauf, dass der Satz auch wirklich bei Augustinus steht. Die Herkunft der Zitate ist entsprechend schwierig zu klären. Bei den wörtlichen Zitaten sind drei Möglichkeiten denkbar: a) Übernahme eines Augustinuszitates aus den Sententiae (»Sentenzen«) des Petrus Lombardus (hierzu ist in der Regel das Scriptum des Thomas zu den Sententiae zu vergleichen), b) direktes Zitat aus eigener Kenntnis des Augustinus, c) Übernahme eines Augustinuszitates aus einer anderen Quelle, etwa Albertus Magnus oder anderen Schriftstellern. Für die nicht wörtlichen Zitate, die mehr oder weniger als Referate anzusehen sind, kommen insbesondere in Frage a) feststehende Wendungen und Kernsätze, die man dem Augustinus zuschrieb, wie sie im Schulbetrieb verbreitet waren, b) Übernahme von doxographischen Berichten aus anderen Werken, etwa den Sententiae des Lombarden oder anderen im Schulbetrieb verbreiteten Werken. Von den Werken des Augustinus greift Thomas besonders häufig auf De trinitate, De civitate Dei, De doctrina christiana, De Genesi ad litteram (»Wörtliche [Erläuterung] über die Genesis«) und De diversis quaestionibus LXXXIII (»83 verschiedene Fragen«) zurück. Hinzu kommt ein breites Spektrum von hin und wieder zitierten Werken, besonders antipelagianischen Schriften sowie den theologischen Briefen. Die Predigten werden vergleichsweise selten benutzt, für die sermones ad populum (»Predigten an das Volk«) wird besonders die Sammlung De verbis domini (et apostoli) (»Über die Evangelien [und Paulusbriefe]«) zitiert (vgl. z. B. STh II-II q. 14 a. 1; Ed. Leonina 8, 112/113). Ein eigenes Problem bieten die bisweilen auftauchenden Zitate aus pseudo-augustinischen Werken, so besonders Fulgentius, De fide ad Petrum (STh I q. 41 a. 3; Ed. Leonina 4, 426b; q. 93 a. 5; Ed. Leonina 5, 405a) und Alcherus, De spiritu et anima (STh I q. 77 a. 8; Ed. Leonina 5, 248a; q. 79 a. 8 und 10; Ed. Leonina 5, 274a und 277a; q. 82 a. 5; Ed. Leonina 5, 305). Umgekehrt schreibt Thomas das ganz in der augustinischen Tradition stehende Symbolum Quicumque Athanasius zu (Bekenntnis »Wer auch immer …«; = Athanasianisches Glaubensbekenntnis; STh I q. 42 a. 1–3; Ed. Leonina 4, 435–440 u. ö.). 1.2. Umgang mit den Zitaten
Es entspricht der harmonisierenden Grundtendenz in der Summa Theologiae, dass die referierten Meinungen nicht schlichtweg abgelehnt, sondern häufig in einer Begriffsdistinktion bzw. Präzisierung integriert werden. Berücksichtigt man, dass Thomas gerne auf die Objektionen zurückgreift, um seine eigene Mei-
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nung zu entfalten und von hier aus die positiven Argumente zu besprechen oder zu integrieren, ist auffällig, wie häufig Augustinus gerade auf der sed contra-Seite erscheint. Hinzu kommen die Stellen, an denen Positionen des Augustinus (und auch des Aristoteles) nur implizit und ohne ausdrücklichen Beleg bzw. Verweis genannt werden. Für das Verhältnis des Thomas zu Augustinus sind dabei besonders folgende Konstellationen interessant: A1) In den positiven Argumenten wird Augustinus genannt, ebenso im sed contra: Angestrebt wird ein Ausgleich beider Meinungen, d. h. der scheinbare Widerspruch innerhalb des Werkes des Augustinus wird bearbeitet (z. B. STh I q. 17 a. 1; Ed. Leonina 4, 218a). A2) In den positiven Argumenten werden neben Augustinus weitere Autoritäten genannt, im sed contra wird auf Augustinus zurückgegriffen. B1) In den positiven Argumenten wird Aristoteles genannt, im sed contra wird auf Augustinus zurückgegriffen (STh I q. 9 a. 2; Ed. Leonina 4, 91a; q. 14 a. 8; Ed. Leonina 4, 179a; q. 44 a. 2; Ed. Leonina 4, 457b; q. 45 a. 5; Ed. Leonina 4, 469a; q. 49 a. 2; Ed. Leonina 4, 501a; q. 59 a. 1; Ed. Leonina 5, 92a; q. 75 a. 1, 2 und 5; Ed. Leonina 5, 194a, 196a und 202a; q. 84 a. 8; Ed. Leonina 5, 328a; q. 97 a. 4; Ed. Leonina 5, 434a; q. 102 a. 1; Ed. Leonina 5, 448; q. 103 a. 6; Ed. Leonina 5, 458b; q. 110 a. 3; Ed. Leonina 5, 513a; q. 119 a. 1; Ed. Leonina 5, 571b; I-II, q. 1 a. 6; Ed. Leonina 6, 14a; q. 2 a. 8; Ed. Leonina 6, 24; q. 6 a. 4; Ed. Leonina 6, 59a etc.). B2) In den positiven Argumenten wird neben Augustinus der philosophus genannt, im sed contra wird auf Augustinus zurückgegriffen, d. h. der scheinbare Widerspruch im Werk des Augustinus wird durch die zusätzliche Beachtung einer aristotelischen Lehrmeinung bearbeitet (z. B. STh I q. 14 a. 12; Ed. Leonina 4, 184/185; q. 17 a. 2; Ed. Leonina 4, 220; q. 58 a. 6; Ed. Leonina 5, 89; q. 79 a. 9; Ed. Leonina 5, 275/276; q. 82 a. 1; Ed. Leonina 5, 293; q. 84 a. 2; Ed. Leonina 5, 315a; I-II q. 4 a. 1; Ed. Leonina 6, 37a; q. 5 a. 8; Ed. Leonina 6, 54a etc.). Im sed contra werden Augustinus und der philosophus gemeinsam gegen eine Aussage des philosophus gestellt (in STh I q. 85 a. 6; Ed. Leonina 5, 342/343). C1) In den positiven Argumenten wird auf Augustinus zurückgegriffen, im sed contra wird Aristoteles herangezogen (vgl. STh I q. 5 a. 4; Ed. Leonina 4, 61a; q. 17 a. 4; Ed. Leonina 4, 223a; q. 76 a. 2. 7 und 8; Ed. Leonina 5, 216b. 231a und 232a; q. 77 a. 5; Ed. Leonina 5, 244; q. 79 a. 7. 12; Ed. Leonina 5, 272a. 279; q. 84 a. 6; Ed. Leonina 5, 323a; q. 87 a. 2; Ed. Leonina 5, 359/360a; q. 119 a. 2; Ed. Leonina 5, 575; I-II q. 9 a. 1; Ed. Leonina 6, 74a; q. 12 a. 3; Ed. Leonina 6, 95 etc.). C2) In den positiven Argumenten wird neben Augustinus der philosophus genannt, im sed contra wird auf Aristoteles zurückgegriffen: Augustinus wird aufgrund der Lehrautorität des Aristoteles umgedeutet oder präzisiert (z. B. STh I q. 16 a. 1; Ed. Leonina 4, 206/207; q. 17 a. 3; Ed. Leonina 4, 221; q. 66 a. 2; Ed. Leonina 5, 156/157; q. 79 a. 2,10; Ed. Leonina 5, 259/260; q. 87 a. 1; Ed. Leonina 5, 355/356 etc.). A1 und A2 zeigen dabei, dass Augustinus grundsätzlich wie andere Autoritäten benutzt wird, zugleich jedoch besondere Aufmerksamkeit erhält – für keinen an-
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B. Person
deren Autor versucht Thomas in ähnlicher Häufigkeit, scheinbare Widersprüche innerhalb des Werkes auszugleichen. In den Zitattypen B und C wird Augustinus direkt mit Aristoteles verglichen. Dabei zeigt sich, dass die Fälle, in denen von Augustinus her eine Lösung versucht wird, etwas häufiger sind als die Fälle, in denen Aristoteles maßgeblich wird. Zu B1 und B2: Von Augustinus her markiert Thomas die Stellen, an denen er sich selbst von Aristoteles unterscheidet, so etwa, wenn Gottes Wissen als causa rerum (»Ursache der Dinge«) beschrieben wird: Während für Aristoteles das Wissbare dem Wissen vorangeht und es zugleich begrenzt (analog das Wissen Gottes also nur als Finalursache gelten könnte), gilt dies laut Thomas nur für das Wissen des Menschen im Hinblick auf die scibilia naturalia (»das, was an der Natur wissbar ist«), während Gottes Wissen sich auf die res naturales (»Dinge der Natur«) bezieht und diese tatsächlich effektiv begründet (STh I q. 14 a. 8; Ed. Leonina 4, 179/180). Die Differenz zu Aristoteles kann er auch unter Bezug auf Augustinus durch eine umfangreichere philosophiegeschichtliche Erörterung begründen, etwa wenn er die Ewigkeit auch der prima materia (STh I q. 44 a. 2; Ed. Leonina 4, 457/458) oder die Materialität der Seele (STh I q. 75 a. 1; Ed. Leonina 5, 194/195) bestreitet. Wo er in den positiven Argumenten Augustinus neben Aristoteles zitiert, versucht er in der Regel, die dagegen stehenden Aussagen für beide Autoren zu erklären. So bestreitet er etwa, dass die Seele per essentiam suam (»durch ihr Wesen«) die körperlichen Dinge einsieht, also selbst auch körperlich sein muss, indem er zunächst auf die Philosophiegeschichte zurückgreift und dann im Anschluss an das Augustinuszitat den immateriellen Charakter des Verstehens hervorhebt. Anschließend löst er die angeführten Argumente des Augustinus und des Aristoteles auf: Augustinus habe in De trinitate 10 von der visio imaginaria (Betrachtung im Vorstellungsvermögen) gesprochen, Aristoteles’ Aussage beziehe sich nicht auf eine actu (»aktuell«) gegebene Beschaffenheit, sondern darauf, dass sich die Seele in potentia (»im Bereich der Möglichkeit«) auf sensibilia (»sinnlich Wahrnehmbares«) wie intelligibilia (»Intelligibles«) beziehe (STh I q. 84 a. 2; Ed. Leonina 5, 315/316). Zu C1 und C2: Die in den positiven Argumenten genannte Position des Augustinus wird oft in die Lösung integriert, so etwa, wenn er das bonum (»das Gute«) nicht nur als Finalursache, sondern auch als causa efficiens (»Wirkursache«) (und als causa formalis [»Formalursache«]) deutet und hierfür u. a. ein weiteres Augustinuszitat anführt (STh I q. 5 a. 4; Ed. Leonina 4, 61). Als er die Auffassung, dass die anima animalis nur durch Vermittlung von etwas Körperlichem auf den Körper einwirken könne, bestreitet und festhält, dass die Seele als figura bzw. forma (»Gestalt« bzw. »Form«) auf den Körper einwirke, wird das scheinbar entgegenstehende Zitat des Augustinus integriert, indem es auf die Verursachung der Bewegung bezogen wird (STh I q. 76 a. 7; Ed. Leonina 5, 231). Die Deutung von memoria, intelligentia und voluntas als drei potentiae (»Vermögen«) bzw. vires (»Kräfte«) wird von Aristoteles aus abgelehnt, die entsprechende Deutung der Triade bei Augustinus in den Sententiae des Lombarden wird durch Hinweis auf
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Augustinus selbst bestritten: Augustinus habe intellectus und memoria nicht als potentiae unterschieden, sondern gerade als actus (STh I q. 79 a. 7; Ed. Leonina 5, 272/273), also ist Augustinus mit der auf Aristoteles gestützten eigenen Meinung vereinbar. Die These, dass die intellectiva cognitio (»die Erkenntnis im Bereich des Verstandes«) von den Sinnesdingen abhängt, wird von Aristoteles aus verteidigt und gegen die platonische Meinung philosophiegeschichtlich abgegrenzt. Die dagegenstehenden Zitate aus Augustinus werden in zweifacher Weise bearbeitet: Zum einen führt Thomas bei der Entwicklung der eigenen Meinung ein Augustinuszitat an, das die Abhängigkeit der Verstandeserkenntnis von den Sinnesdingen auszudrücken scheint, zum anderen präzisiert er den Bezug der angeführten Augustinuszitate: Augustinus habe damit nur verdeutlichen wollen, dass sich die Verstandeserkenntnis nicht vollständig auf die Sinnesdinge bezieht bzw. habe von der cognitio imaginaria (»Erkenntnis im Bereich des Vorstellungsvermögens«) gesprochen (STh I q. 84 a. 6; Ed. Leonina 5, 323/324). Selbst dort, wo Thomas die Meinung des Augustinus für überholt hält, skizziert er noch eine positive Deutungsmöglichkeit. So lehnt er die Vorstellung, alle Körperdinge bestünden aus einer einheitlichen Materie, ab und weist das dagegenstehende Zitat des Augustinus damit zurück, dass dieser hier schlichtweg der Meinung Platons gefolgt sei und keine quinta essentia angenommen habe. Erst danach zieht er in Erwägung, ob man die Aussage des Augustinus vielleicht dadurch integrieren kann, dass man sie auf die Einheit der Gesamtordnung bezieht (STh I q. 66 a. 2; Ed. Leonina 5, 156/157). Insgesamt lässt sich sagen, dass Thomas bemüht ist, die eigene Meinung und ihre Begründung bei Aristoteles als mit Augustinus vereinbar erscheinen zu lassen. Ihm dienen dazu philosophiegeschichtliche Einordnungen, begriffliche Fixierungen und Präzisierungen, Relativierungen und auch Umdeutungen der Augustinuszitate. Einen strikten Widerspruch der eigenen Meinung zu Augustinus versucht Thomas auch dort zu vermeiden, wo er sich gegen Augustinus und die platonische Lehrtradition wendet. 1.3. Thomas als von Augustin geprägter Theologe?
So wichtig Thomas die Lehrautorität des Augustinus ist, so deutlich zeigt sich zugleich, dass er die Theologie des Augustinus stark modifiziert. Dies mag zum einen in einer nur selektiven Kenntnis der Augustinuswerke (und der verstärkten Heranziehung von versprengten und aus dem Kontext gelösten Zitaten) liegen, zum anderen in den Denkvoraussetzungen des Thomas selbst. Die Prägung der Theologie des Thomas durch Augustinus ist daher im Vergleich mit der Fülle der Zitate und Bezugnahmen auch wieder vergleichsweise gering. Dies zeigt sich besonders an zentralen theologischen Lehrinhalten. So greift Thomas natürlich auf die augustinische Trinitätslehre zurück, gerade auch auf die aus Augustinus entwickelten Kurzformeln des Symbolum Quicumque, legt aber die von Augustinus deutlich unterschiedene Definition der Person als rationalis
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B. Person
naturae individua substantia (»unteilbare Substanz der vernunftbegabten Natur«) durch Boethius zugrunde (STh I q. 29 a. 1; Ed. Leonina 4, 333a). Immerhin führt Thomas dabei aber auch ein Zitat aus der Passage von De trinitate 6 an, aus der deutlich wird, dass die persona keineswegs einlinig mit der relatio (»Ursprungsrelation«) identifiziert werden kann (STh I q. 29 a. 4; Ed. Leonina 4, 333a). Thomas greift dies auf, indem er die Boethiusdefinition von persona im allgemeinen Sinne festhält, für die göttlichen Personen aber die Zusatzbedingung anführt, dass sie sich nur durch die Ursprungsrelationen unterscheiden, die Ursprungsrelation aber nicht als accidens zu verstehen ist, sondern als ipsa divina essentia: ita divina paternitas est deus pater, qui est persona divina (»so ist die göttliche Vaterschaft Gott Vater, der eine göttliche Person ist«) – im uneigentlichen Sinne kann also persona auch die Hypostase bezeichnen (STh I q. 29 a. 4; Ed. Leonina 5, 333b). Allerdings greift Thomas für seine Trinitätslehre keineswegs flächendeckend auf Augustinus zurück, öfters bleibt unklar, nach welchen Kriterien er auf Augustinus zurückgreift oder ihn unzitiert lässt (unzitiert bleibt Augustinus etwa für das filioque [»und aus dem Sohn«], für das Thomas zwar den Einwand kennt, dass das filioque keineswegs zum symbolum Constantinopolitanae synodi [»das Nicäno-Constantinopolitanische Glaubensbekenntnis«] hinzugefügt werden dürfe, dies jedoch als sachlich impliziert und vom Papst sanktioniert akzeptiert; STh I q. 36 a. 2; Ed. Leonina 4, 376−378). Für die Gnadenlehre greift er auf Augustinuszitate zurück, und zwar sowohl bei der Unterscheidung von gratia operans (»wirkender Gnade«) und gratia cooperans (»mitwirkender Gnade«) (STh I q. 111 a. 2; Ed. Leonina 5, 516/517) als auch bei der Unterscheidung von gratia praeveniens (»allem vorangehende Gnade«) und gratia subsequens (»im Folgenden begleitende Gnade«), ordnet beide Unterscheidungen (die bei Augustinus ja nur in singulären verbalen Ausdrücken und keineswegs als begriffliche Prägungen mit adjektivischen Partizipien vorkommen) seiner Grundunterscheidung von gratia als divinum auxilium quo nos movet ad bene volendum et agendum (»Hilfe Gottes, durch die er uns dazu bewegt, gut zu wollen und zu handeln«) und gratia als habituale donum nobis divinitus inditum (»von Gott in uns gelegte habituelle Gabe«) zu. Durch die zusätzliche, aus Pauluszitaten abgeleitete Differenzierung in gratia gratis data (»die umsonst gegebene Gnade«, scil. die sich darauf bezieht, einen anderen Menschen zu Gott zu führen) und gratia gratum faciens (»die Gnade, die einen gottgefällig macht«) erhält Thomas so ein begriffliches System, das mit der augustinischen Auffassung von Gnade nur noch wenig zu tun hat. Ähnlich wie in der Trinitätslehre zeigt sich also eine gewisse terminologische Nähe, die bei genauerer Betrachtung doch eher eine scheinbare Nähe ist. So stark Thomas also auf Augustinus zurückgreift, so wenig ist er doch in den Grundzügen seines Denkens von Augustinus abhängig. Dauphinais, Michael/David, Barry/Levering, Matthew (Hg.): Aquinas the Augustinian, Washington D.C. 2007. Hertling, Georg Freiherr von: Augustinus-Zitate bei Thomas von Aquin, in: Ders.: Histori-
II. Traditionen – 2. Dionysius Areopagita
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sche Beiträge zur Philosophie, hg. von Joseph Anton Endres, Kempten/München 1914, 97– 151. Volker Henning Drecoll
2. Dionysius Areopagita Die Schriften des Pseudo-Dionysius Areopagita übten wie auf fast alle mittel alterlichen Theologen so auch auf Thomas von Aquin einen großen Einfluss aus. Diese Wirkung gründete sich vor allem auf der Annahme, es handele sich bei dem Verfasser um Dionysius vom Areopag, einen Schüler des Paulus (nach Apg 17,34), so dass seinen Schriften apostolische Autorität zuzukommen schien. Eine Identifizierung mit dem angeblichen ersten Bischof von Paris und Märtyrer »Dionysius« steigerte zusätzlich sein Ansehen. Von Petrus Abaelard im 11. Jahrhundert geäußerte Zweifel an dieser Identität wurden unterdrückt. Erst der Humanismus deckte die Pseudepigraphie auf (Lorenzo Valla, Erasmus von Rotterdam). Zum Corpus Dionysiacum gehören vier Einzelschriften: Über die göttlichen Namen, Über die mystische Theologie, Über die himmlische Hierarchie, Über die kirchliche Hierarchie, sowie zehn Briefe. Diese Schriften sind im späten 5. oder frühen 6. Jahrhundert verfasst worden, wahrscheinlich in Syrien oder in syrischen Kreisen Konstantinopels. Ihr Gehalt und ihre Denkweise gehen zurück auf den Neuplatonismus, insbesondere bei Plotin, Syrianos und Proklos. Dem lateinischen Mittelalter zugänglich wurden die Schriften durch Übersetzungen aus dem Griechischen zuerst von Hilduin von St. Denis (um 830), dann von Johannes Scotus Eriugena (ca. 860) und von Johannes Sarracenus (12. Jahrhundert). Thomas benutzte die beiden letzteren. Robert Grosseteste übersetzte die Schriften des Dionysius zusammen mit dem Kommentar des Maximus Confessor und ergänzte diesen durch eigene Anmerkungen (ca. 1235–1245). Im 13. Jahrhundert häuften sich die Kommentare zum Corpus Dionysiacum, darunter die von Thomas von Vercelli und von Albertus Magnus, dessen Kommentar Thomas kannte. Die umfangreichste Schrift des Corpus ist De divinis nominibus (»Über die göttlichen Namen«). Diese entfaltet die Möglichkeiten, von Gott zu sprechen im Anschluss an die Heilige Schrift in affirmativer und negativer Weise. Da das Wesen Gottes unerkennbar sei, Gott alles Sein überrage und unbegreiflich sei, sei er unaussprechlich. Gott werde in der Heiligen Schrift als namenlos betrachtet oder mit vielen Namen benannt, auf die er sich aber nicht festlegen lasse. Das Wirken Gottes in der Welt erlaube jedoch auch positive Aussagen über ihn: Gott sei der Gute, aus dem alles Sein fließe. Daraus ließen sich alle göttlichen Eigenschaftsbenennungen ableiten. Die Schrift De mystica theologia (»Über die mystische Theologie«) sagt den Sinnen und dem Denken ab und postuliert eine nicht-erkenntnismäßige Einung
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B. Person
mit dem, der alles Sein und Erkennen, jede Bejahung und Verneinung übersteigt. Es komme darauf an, durch Nichtsehen und Nichterkennen den zu sehen und zu erkennen, der Sehen und Erkennen übersteigt. Dieser höchste Grund alles sinnlich Wahrnehmbaren und alles Intelligiblen sei selbst nicht wahrnehmbar und nicht verstehbar. Er sei weder Geist, noch Kraft, noch Licht, noch Leben, weder Einheit, Gottheit, das Gute. Diese Benennungen müssten in ihrer Uneigentlichkeit durchschaut werden. Die Schrift De caelesti hierarchia (»Über die himmlische Hierarchie«) definiert Hierarchie als geheiligte Ordnung, Wissenschaft oder Wirksamkeit, sich Gottes Art anzugleichen und zur nachahmenden Darstellung Gottes zu erheben. Zweck der Hierarchie sei die Angleichung an Gott, das Einswerden mit ihm. Zugrunde liegt dem ein Bild-Abbild-Verhältnis zwischen Sinnlichem und Unsinnlichem, aus dem die religiösen Symbole erwachsen. Diese symbolische Abbild- und Vermittlungsfunktion komme der himmlischen Hierarchie in ihren Triaden zu, die wiederum ihr Abbild in der kirchlichen Hierarchie findet. Dies legt die Schrift De ecclesiastica hierarchia (»Über die kirchliche Hierarchie«) dar. Hier wird Hierarchie als Bezeichnung für geheiligte Akte bestimmt. Die Triade der Sakramente (Taufe, Eucharistie, Firmung) wird vollzogen durch einen dreigegliederten Priesterstand (Bischof, Priester, Diakon) und empfangen von einem dreifachen Laienstand (Mönche, Getaufte, Katechumenen). Diese irdische Hierarchie solle der himmlischen gleichartig sein. Thomas von Aquin kannte das gesamte Corpus Dionysiacum, er kommentierte aber nur De divinis nominibus. Man hat bei Thomas 1702 direkte Zitate, zwölf allgemeine Erwähnungen des Corpus Dionysiacum, elf Passagen aus dem Kommentar des Maximus Confessor und vier aus dem des Hugo von St. Viktor gefunden. Die Zitate verteilen sich mit 899 auf De divinis nominibus, mit 456 auf De caelesti hierarchia, mit 264 auf De ecclesiastica hierarchia, mit 68 auf die Briefe und mit 20 auf De mystica theologia. Die Bevorzugung der Kapitel der Schriften ist ungleichmäßig. So entfallen auf Kap. IV von De divinis nominibus allein 536 Zitate, während Kap. VI nur drei Zitate abgibt. Auch die Verteilung der Zitate auf die Werke des Thomas ist unterschiedlich. 562 finden sich in der Summa Theologiae, 524 im Sentenzenkommentar, 336 in den Quaestiones disputatae, während in der Summa contra gentiles nur 38 Zitate vorkommen (Durantel, Saint Thomas et le Pseudo-Denis, 60 f.). Die Zitate aus dem Corpus Dionysiacum haben bei Thomas, wie bei vielen anderen mittelalterlichen Autoren, eine doppelte Funktion. Sie sollen einerseits ein möglichst genaues Verständnis des zitierten Autors bzw. Textes ermöglichen. Andererseits werden die Zitate nicht um ihrer selbst willen angebracht, sondern dienen dazu, die Auffassungen des Autors zu unterstützen durch eine anerkannte Autorität. Sehr häufig jedoch setzt Thomas Zitate aus dem Corpus Dionysiacum ein als verneinende Erwiderung auf eine zu klärende Frage, und zwar entsprechend der scholastischen Methode der quaestio, die eine Frage stellt, zuerst die Gegenargumente anführt, dann ein die Frage positiv entscheidendes Argument
II. Traditionen – 2. Dionysius Areopagita
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ins Feld führt, dieses in Abwägung der Gegenargumente zu einer Lösung des Problems nutzt und schließlich die Gegenargumente entkräftet oder so interpretiert, dass sie zur positiven Beantwortung der Frage beitragen. Dass das Corpus Dionysiacum häufig für Gegenargumente herhalten muss, hängt mit der Dunkelheit seiner Sprache, der Vagheit seiner Lehren, der Unsicherheit der Übersetzungen zusammen, die manchmal eine irrige oder mangelhafte Deutung ermöglichten. Aber auch die Gegenargumente in den scholastischen quaestiones stammten immer von anerkannten Autoritäten, hier sogar einer apostolischen, so dass es darauf ankam, sie so zu interpretieren, dass der Schein eines Widerspruchs mit der Wahrheit aufgehoben werden konnte. So erläutert Thomas, nachdem er seine Lösung der Frage entwickelt hat, die scheinbar widerstreitende Aussage des Dionysius in den Erwiderungen auf die anfänglichen Gegenargumente, arbeitet den wahren Sinn dieser Aussage heraus, präzisiert oder auch modifiziert ihn. So kann das Gegenargument, ist das Missverständnis beseitigt, sogar als Argument für die Begründung der Lösung dienen und wird so seiner Herkunft von einer apostolischen Autorität gerecht. So stellt Thomas z. B. in der Summa Theologiae die Frage, ob irgendein Name von Gott im eigentlichen Sinn ausgesagt werden könne, und bezieht sich als Argument dagegen auf De caelesti hierarchia 2, wo Dionysius klarmache, dass die Bezeichnungen Gottes als gut und weise eher von ihm zu verneinen als zu bejahen seien. Thomas beantwortet die Frage mit dem Hinweis darauf, dass die Menschen Gott aus den Vollkommenheiten der Geschöpfe erkennen, deren Namen viel eher Gott als diesen zukämen. Die Auffassung des Dionysius sei so zu verstehen, dass er die endliche Weise des Bezeichnens meint, wenn er sagt, die Namen kämen Gott nicht im eigentlichen Sinn zu (STh I q. 13 a. 3; Ed. Leonina 4, 143a). Seltener wird Dionysius von Thomas im Argument angeführt, das zur Lösung des Problems führt. Dies geschieht etwa bei der Frage, ob diejenigen, die Gottes Wesen schauen, alles in Gott schauen, was Thomas auch mit Hilfe von Dionysius verneint. Denn dieser zeige in De caelesti hierarchia 7, dass auch die Engel, die Gottes Wesen schauen, nicht alles in ihm erkennen, da die höheren Engel die niedrigeren erst reinigen müssten (STh I q. 12 a. 8; Ed. Leonina 4, 128b). Hier dient die Autorität des Dionysius zur Verneinung der Frage im Sinne des Thomas. Meist erfolgt der Bezug auf Dionysius zum Zweck der Verneinung der Frage, sei es in den anfänglichen Gegenargumenten, die widerlegt werden, oder im zur Lösung führenden Hauptargument. In beiden Fällen aber legt Thomas Dionysius so aus, dass er mit ihm übereinstimmen kann, also indem er entweder das vermeintliche Gegenargument als Missverständnis entlarvt oder indem er die Meinung des Dionysius direkt für seine Argumentation nutzt. Dieses Verfahren wendet Thomas nicht nur auf Dionysius, sondern auch auf alle anderen von ihm angeführten Autoritäten wie Gregor den Großen, Augustin, Hieronymus usw. an. Seltener als zur Verneinung dient der Bezug auf Dionysius zur Bejahung der Frage, so wenn zuerst gegen die Meinung, dass in Gott alle Vollkommenheiten seien, argumentiert wird und dann die Auffassung des Dionysius die Bejahung der Fra-
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B. Person
ge unterstützt (STh I q. 4 a. 2; Ed. Leonina 4, 51b). In allen Fällen gilt die Autorität des Dionysius wie die anderer uneingeschränkt. Zuweilen vergleicht Thomas die verschiedenen Übersetzungen des Corpus Dionysiacum miteinander. Er stellt z. B. zu einer Stelle aus De caelesti hierarchia 6 fest, dass die alte Übersetzung (des Johannes Scotus Eriugena) sagt, die Engel kennten nicht ihre eigenen Kräfte, während die neue Übersetzung (des Johannes Sarracenus) sagt, die Engel würden auch ihre eigenen Kräfte kennen. Thomas kann der alten Übersetzung auch einen Sinn abgewinnen, aber er entscheidet sich für den Sinn in der neuen (STh I q. 56 a. 1; Ed. Leonina 5, 62b). Inhaltlich hat Thomas vieles mit Dionysius gemeinsam. So verbindet er wie dieser die Theologie mit der Philosophie, wobei er der Theologie den Vorrang einräumt, ohne ihr die Philosophie zu opfern. Sie haben dieselbe Auffassung vom Glauben, der mit der unaussprechlichen göttlichen Wahrheit vereine und der sich von der Vernunft unterscheide, die er ergänze, ohne ihr zu widersprechen. Trotz des Einflusses von Aristoteles folgt Thomas Dionysius darin, dass die sinnliche Welt nur der Widerschein der unsinnlichen Welt ist. Das Sinnliche sei nur die sichtbare Erscheinung des Unsinnlichen, Geistigen, aber es sei das einzige Mittel, um sich zur Wirklichkeit des Unsichtbaren zu erheben. Zu den reinen Wesenheiten gelange man nur durch die irdischen Symbole hindurch (Zum Vorhergehenden Durantel, Saint Thomas et le Pseudo-Denis, 238). Eine mystische Theologie im Sinne des Dionysius lehnt Thomas stillschweigend ab. In De vita contemplativa (STh II-II q. 180; Ed. Leonina 10, 424–434) erwähnt er De mystica theologia nicht, während er De caelesti hierarchia (a. 5), De divinis nominibus (a. 3 und 6) und einen Brief des Dionysius (a. 5) zitiert. Bei der Frage, ob durch die Gnade eine höhere Erkenntnis Gottes möglich werde als durch die natürliche Vernunft, bezieht sich Thomas auf De mystica theologia, der er das Gegenteil entnimmt (STh I q. 12 a. 13; Ed. Leonina 4, 137a). Hier entscheidet sich Thomas für Augustins Auffassung gegen Dionysius. Auch wenn durch die Gnade keine Erkenntnis des Wesens Gottes vermittelt werde, so werde Gott doch durch sein Wirken und aus seiner Offenbarung immer besser erkannt. Der Auffassung von der Gottheit als dem, der alles durch Vorsehung und vollkommene Güte bestimmt, wie sie sich in De divinis nominibus 12 findet, stimmt Thomas zu (STh I q. 13 a. 8; Ed. Leonina 4, 157b). Kritik übt Thomas am »Okkultismus« der mystischen Theologie des Dionysius. Dieser beachte zu wenig, dass es keine liebende Vereinigung mit Gott gebe ohne Erkenntnis. Außerdem sei die Gottesliebe bei Dionysius unpersönlich, da sie sich auf das Gute und Schöne beziehe (Waldmann, Thomas und die ›Mystische Theologie‹ des Pseudodionysius). Thomas kehrt die Reihenfolge der Wege, die zur Erkenntnis Gottes führen, wie sie De divinis nominibus 7 anführt, in charakteristischer Weise um. Während dort davon die Rede ist, Gott werde zuerst durch Aufhebung aller Attribute (omnium ablatio) bestimmt, dann durch Übersteigung (excessu) aller Eigenschaften, die Gott zukommen könnten, schließlich als Ursache von Allem (omnium cau-
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sa), spricht Thomas im Sentenzenkommentar davon, dass Gott zuerst durch Kausalität, als Ursache von allem, erkannt werde, dann durch Verneinung (remotio) aller Attribute, schließlich durch Übersteigerung (eminentia). In der Summa contra gentiles stellt Thomas den Modus der Übersteigerung (modus eminentior bzw. supereminentiae) voran und erläutert ihn dadurch, dass er durch Verneinung und durch Beziehung wie Kausalität zustande kommt (Scg. I c. 30; Ed. Leonina 13, 92a–b). Eine andere Reihenfolge der drei Momente setzt ein mit der Verneinung (via remotionis: Scg. I c. 14; Ed. Leonina 13, 40a), der die Kausalität und die Übersteigerung folgen. Die Umkehrung findet sich in Summa Theologiae (STh I q. 13 a. 8 ad 2; Ed. Leonina 4, 158a), die Gottes absolute Transzendenz betont, sowie eine weitere Variante: Kausalität, Übersteigerung, Verneinung (ratio causalitatis vel excellentiae vel remotionis: STh I q. 13 a. 10 ad 5; Ed. Leonina 4, 161b; q. 84 a. 7 ad 3; Ed. Leonina 5, 326a). Thomas greift die dionysianischen Begriffe auf und verwendet sie in einem durch die aristotelische Methodik bestimmten Beweisverfahren. Dabei tritt der Begriff der Kausalität in den Vordergrund, da er für die Metaphysik des Aristoteles und auch für das Verständnis Gottes bei Thomas grundlegend ist. Er ist der Auffassung, dass die drei Wege eine adäquate und erschöpfende Methodik für die metaphysische Reflexion über Gott darstellen. Das Verfahren, das Thomas im Umgang mit den dionysianischen Begriffen anwendet, zeigt seine konstruktive Aneignung neuplatonischer Überlieferung (Ewbank, Diverse orderings; O’Rourke, Pseudo-Dionysius and Metaphysics, 34–41). Bei der Frage nach der Erkenntnis der Existenz Gottes modifiziert Thomas die Meinung des Dionysius, der in De divinis nominibus 4 behauptete, da Gott über allem Seienden stehe, existiere er nicht. Thomas erklärt, dies könne nicht heißen, dass Gott in keiner Weise existiere, sondern nur, dass er über allen Seienden stehe, und daraus folge nicht, Gott könne in keiner Weise erkannt werden, sondern nur, dass er alles Erkennen übersteigt (STh I q. 12 a. 1 ad 3; Ed. Leonina 4, 115b). Bewiesen werden könne wohl aus seinen Wirkungen, dass Gott existiert (STh I q. 3 a. 4 ad 2; Ed. Leonina 4, 42b). Obwohl Thomas den unendlichen Abstand zwischen Gott und Mensch anerkennt, möchte er doch keine absolute Diskontinuität zwischen beiden akzeptieren, die zur Unmöglichkeit jeder Gotteserkenntnis führen würde, wie er es bei Dionysius gegeben sieht. Für Thomas ist der Schluss aus der Transzendenz der Existenz Gottes auf seine Nicht-Existenz bei Dionysius nicht korrekt (Ross, The Non-Existence of God, 141–145). Während für Dionysius das Gute das höchste Prinzip der Wirklichkeit darstellt, ist es für Thomas das Sein (O’Rourke, Pseudo-Dionysius and Metaphysics, XVI). Thomas erkennt in der Aussage des Dionysius in De caelesti hierarchia 4, das Sein von allem sei die überwesenhafte Gottheit, die Gefahr eines Irrtums, wenn sie falsch verstanden würde. Denn wenn dies hieße, dass Gott das Sein aller Dinge als ihre Form sei, dann liege dem ein Missverständnis zugrunde. Diese Interpretation widerspräche dem Gemeinten. Wenn die Gottheit das formale Sein aller Dinge wäre, dann stünde sie nicht über allem, sondern wäre in allem. Gott
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stehe aber über allem, weil er seinem Wesen nach von allem verschieden sei. Wenn Dionysius davon spreche, dass Gott das Sein von allem sei, dann meine er damit, dass in allem eine Ähnlichkeit mit Gott zu finden sei. In De divinis nominibus 2 werde klargestellt, dass es für Gott weder Berührung noch Vermischung mit anderen Dingen gebe (Scg. I c. 26; Ed. Leonina 13, 82a; vgl. Elders, Die Metaphysik I, 177). Thomas führt als Beleg dafür, dass es von der Materie getrennte, rein geistige Substanzen gebe, die Aussage des Dionysius in De divinis nominibus 4 an, die Engel würden als unstofflich und unkörperlich verstanden (Scg. II c. 91; Ed. Leonina 13, 553b). Außerdem beruft er sich auf De caelesti hierarchia 10, wo von den Hierarchien der Engel die Rede ist, für seine Auffassung, dass es keine zwei gleichrangigen getrennten Substanzen geben könne (Scg. II c. 95; Ed. Leonina 13, 569a). Den Bezug der kirchlichen Hierarchie zur himmlischen der Engel sieht Thomas anders als Dionysius. Während dieser eine volle Nachahmung annimmt, muss sie für Thomas nicht in jeder Hinsicht gegeben sein. Denn z. B. könnten im Himmel niedere Engel nicht die höheren erleuchten, auf Erden aber könnten niedere Wesen die höheren belehren (STh I q. 106 a. 3 ad 1; Ed. Leonina 5, 485a). Außerdem gebe es zwei Arten der Beziehung zwischen Gott und den Geschöpfen, die erste beruht auf dem Verursachtsein durch Gott und ist eine unmittelbare, nicht-hierarchische, die zweite führt die Geschöpfe zu Gott zurück und vollzieht sich durch Vermittlungen höherer Wesen, also hierarchisch, wie Dionysius meint (STh III q. 6 a. 1 ad 1; Ed. Leonina 11, 93b; vgl. Luscombe, Thomas Aquinas and Conceptions of Hierarchy). Was die negative Theologie des Dionysius betrifft, differenziert Thomas zwischen der bloßen Negation von Eigenschaften bei Gott und ihrer Negation im Hinblick auf ihren geschöpflichen Status (O’Rourke, Pseudo-Dionysius and Metaphysics, 34 f.). Thomas schreibt Dionysius wie Augustin die Auffassung zu, das Böse sei nicht seiend, es sei substanzlos (STh I q. 48 a. 3 ad 1; Ed. Leonina 4, 493b). Allerdings versteht Thomas das Böse nicht auf dem Hintergrund der Emanation des Guten, sondern der Schöpfung aus dem Nichts (Padellaro de Angelis, L’influenza da Dionigi l’Areopagita, 74. 90. 104. 108). Die Identifizierung des neuplatonisch gedachten höchsten Einen mit dem Gott der jüdisch-christlichen Tradition bei Dionysius bestimmte die Philosophie und Theologie des Mittelalters, auch bei Thomas von Aquin. Dieser hatte wohl ein Gespür für die Spannungen zwischen beiden, artikulierte sie jedoch nicht deutlich. Er grenzte sich implizit aber von Dionysius ab, indem er Sein und Wesen Gottes gleichsetzte, während jener Gott für überwesentlich erklärte. Thomas bediente sich dennoch oft dionysischer Ausdrucksweisen, um seine abweichenden Auffassungen auszudrücken. So unterschied er zwischen Vernunft und Offenbarung, während Dionysius beides in eins setzte. Thomas vermied den Gedanken der Teilhabe an Gott und der Vergottung des Menschen zugunsten der Unter-
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scheidung zwischen Schöpfer und Geschöpf. Unter aristotelischem Einfluss ersetzte er die Emanationsvorstellung des Dionysius durch die Ursache-Wirkungs-Relation. Erkenntnis Gottes sei durch die Schöpfung möglich statt durch Teilhabe am göttlichen Wissen (Neidl, Thearchia, XVII–XXVII, 432). Durantel, Jean: Saint Thomas et le Pseudo-Denis, Paris 1919. Neidl, Walter M.: Thearchia. Die Frage nach dem Sinn von Gott bei Pseudo-Dionysius Areopagita und Thomas von Aquin, Regensburg 1976. O’Rourke, Fran: Pseudo-Dionysius and the Metaphysics of Aquinas, Leiden/New York/Köln 1992. Waldmann, Michael: Thomas von Aquin und die ›Mystische Theologie‹ des Pseudodionysius, in: GuL 22 (1949), 121–145. Reinhold Rieger
3. Boethius Boethius – »der letzte Römer, der erste Scholastiker« (Lorenzo Valla), ein »Lehrmeister des Mittelalters« (Ferdinand Sassen) – gehört zu den »Founders of the Middle Ages« (Edward Kenneth Rand), die nicht nur die Anfänge dieser Epoche des Abendlandes geprägt haben, sondern darüber hinaus immer wieder gewirkt und Einfluss gewonnen haben. In der Rezeptionsgeschichte des Boethius nimmt Thomas von Aquin einen wichtigen Platz ein, da er, nachdem das starke Interesse an Boethius, das im 12. Jahrhundert die Theologie beherrschte, abgeklungen war, erneut sich intensiv mit Boethius befasste und Kommentare zu zweien seiner Werke schrieb. Anicius Manlius Severinus Boethius, um 480 wohl in Rom in einer Senatorenfamilie als Sohn eines Konsuls geboren, wurde hauptsächlich von Quintus Aurelius Memmius Symmachus, ebenfalls Konsul und später sein Schwiegervater, erzogen, erwarb sich eine ausgebreitete Kenntnis der griechischen und lateinischen Literatur und Kultur, wurde selbst 510 Konsul, 522 Magister officiorum bei dem arianischen Ostgotenkönig Theoderich, kam aber schon 523 in einen Konflikt mit ihm. Denn Theoderich unterstellte ihm, Kontakte zum oströmischen Kaiser Justinian I. in Konstantinopel zu pflegen, und ließ ihn deshalb des Hochverrats anklagen, verhaften und um 524 bei Pavia hinrichten. 3.1. Quadrivium
Boethius war ein fruchtbarer wissenschaftlicher Übersetzer, Kommentator und Schriftsteller, aber auch ein Dichter. Da er der Meinung war, dass die sprachlichen Fächer der artes liberales, Grammatik und Rhetorik, in der römischen Welt gut durch Donatus, Priscian, Cicero, Quintilian, Marius Victorinus vertreten waren, bemühte er sich, der Bildung im Quadrivium, den mathematischen Fächern Arithmetik, Musik, Geometrie und Astronomie, aufzuhelfen (Chadwick, Boethius, 70). Mit diesem Akzent folgte er der pythagoreisch-platonischen Tradi-
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tion. Er schrieb deshalb Abhandlungen zur Arithmetik (De institutione arithmetica), seine erste Schrift, in der er sich an den Pythagoräer Nikomachus von Gerasa, dessen Lehrbuch im Neuplatonismus geschätzt wurde, anlehnte. Gleiches gilt auch von seiner De institutione musica, in der er jedoch selbständiger das Verhältnis von Mathematik und Musik entwickelte. Er unterscheidet dabei drei Arten von Musik: kosmische, menschliche und instrumentale Musik. Kosmische Musik ist in pythagoreischer Tradition die Harmonie des Weltalls, humane Musik die Harmonie des menschlichen Mikrokosmos im Verhältnis von Leib und Seele. Die instrumentale Musik ist die von Menschen erzeugte, auch durch die Stimme. Boethius folgte darin der Harmonica des Ptolemaeus. Die Dreiteilung der Musik findet sich auch bei Aristides Quintilianus (Chadwick, Boethius, 81–83). Von einer Abhandlung zur Geometrie sind nur wenige Fragmente überliefert, auch soll Boethius eine Astronomie verfasst haben, die nicht erhalten ist (Chadwick, Boethius, 102–107). 3.2. Trivium
Boethius befasste sich aber auch und hauptsächlich mit dem Trivium, besonders der Logik. Er betrachtete sie in aristotelischer Weise als ein wesentliches Instrument wissenschaftlicher Argumentation und lehnte die stoische Auffassung von der Logik als einem Teil der Philosophie neben Ethik und Physik ab. Seine Beschäftigung mit der Logik steht im Zusammenhang mit einem umfassenden Vorhaben, die Schriften Platons und Aristoteles’ sowohl zu übersetzen als auch zu kommentieren mit der Absicht nachzuweisen, dass beide einander nicht widersprechen, sondern großenteils übereinstimmen. Diese Zielsetzung entsprach dem neuplatonischen Programm einer Vereinigung des Platon und des Aristoteles, wie sie Ammonios Sakkos ins Auge fasste. An dem umfassenden Plan hat Boethius nur teilweise festgehalten und sich auch anderen Aufgaben zugewandt. (Kappelmacher, Plan, 73 f. 80 f.). Zuerst jedenfalls schrieb er die Commenta in Isagogen Porphyrii, in der er die von Marius Victorinus übersetzte Isagoge des Porphyrius zur Kategorienschrift des Aristoteles in Dialogform kommentierte. Danach übersetzte er diese für die Logik grundlegende Schrift selbst und kommentierte sie erneut, allerdings nicht mehr in Form eines Dialogs. Durch die Kommentare des Boethius wurden der mittelalterlichen Philosophie die Begriffe von Gattung, Art, Differenz, Proprium, d. h. Eigentümliches, und Akzidens, die Prädikabilien also, vermittelt. Porphyrius hatte es abgelehnt, zu den Fragen, ob die Universalien, wie Gattungen und Arten, existierten oder nur im Verstand vorkämen, ob sie körperlich seien oder unkörperlich, ob sie vom Sinnlichen getrennt seien oder mit ihm verbunden, Stellung zu nehmen und dadurch den Universalienstreit ausgelöst, der die Philosophie des Mittelalters begleiten sollte. In seinem ersten Kommentar versucht Boethius eine Klärung der Fragen, er begründet aber nicht mögliche Antworten. Er nimmt Unterscheidungen vor, die für die Universalienfrage hilf-
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reich sind: die Unterscheidungen zwischen Fiktion und Realbegriff, zwischen der Betrachtung eines Dings als dieses Ding und seiner Betrachtung als Art von Dingen. Die Analyse der Fragen ergibt, dass Porphyrius für den Sinn der dritten Frage die eine Alternative der zweiten, für den Sinn der zweiten Frage die eine Alternative der ersten Frage voraussetzen muss. Im zweiten Kommentar stellt Boethius fest, dass bestimmte Dinge, die ihrem Sein nach immer mit anderen verbunden sind, wie eine Linie mit einem Körper, durch Abstraktion, also eine geistige Handlung, von dem mit ihnen Verbundenen unterschieden werden können. Das Abstrahierte ist im Gegensatz zum Körperlichen, an dem es haftet, unkörperlich. Die Universalien Art und Gattung sind etwas anderes als das, womit sie verbunden sind, sei dies körperlich oder unkörperlich. Die Abstraktion von Universalien kann nicht falsch sein, so wie die Zusammensetzung zweier unverträglicher Universalien falsch wäre. Die Abstraktion der Universalien erfolgt aufgrund einer Ähnlichkeit der Dinge untereinander. Die Universalien wie Gattung und Art existieren auf eine Weise, nämlich im sinnlich-individuellen Gegenstand, und sie werden aber auf andere Weise verstanden, nämlich geistig, als wären sie etwas Unkörperliches, das getrennt vom Körperlichen wäre. Die Ähnlichkeiten sind in den Einzeldingen, aber die Universalien werden durch das Denken hervorgebracht, so dass die Art ein Gedanke (cogitatio) ist, der aus der Ähnlichkeit verschiedener Einzeldinge erschlossen wird, die Gattung aber ein Gedanke, der aus der Ähnlichkeit der Arten erschlossen wird. Diese Ähnlichkeit ist in den Einzeldingen sinnlich, in den Universalien aber geistig. Insofern sie sinnlich ist, findet sie sich im Einzelnen, sofern sie geistig erfasst und verstanden wird, ist sie eine Universalie. Die Universalien bestehen in Bezug auf Einzeldinge, aber begriffen werden sie getrennt von diesen. Die Einzeldinge und das Allgemeine, die Universalien, beziehen sich auf dasselbe ihnen Zugrundeliegende, aber dies ist einerseits ein Einzelding, insofern es wahrgenommen wird, und andererseits ein Universale, insofern es gedacht wird (Ita quoque generibus et speciebus, id est singularitati et universalitati, unum quidem subiectum est, sed alio modo universale est, cum cogitatur, alio singulare, cum sentitur in rebus his in quibus esse suum habet. l. I, c. 11. CSEL 48,167). »Singularity and universality are different states of the same thing« (McInerny, Boethius and Aquinas, 80). Die Lösung der Universa lienfrage besteht nach Boethius darin, dass die Universalien in der einen Hinsicht wirklich existieren, nämlich in den Dingen als deren Ähnlichkeit, in der anderen Hinsicht existieren sie nicht, insofern sie begriffen werden. Sie sind unkörperlich, aber sie bestehen in den sinnlichen Dingen. Wenn sie begriffen werden, erscheinen sie so, als ob sie in sich selbst existieren würden und ihr Sein nicht in einem anderen hätten (Quaestio dissoluta est. Ipsa enim genera et species subsistunt quidem alio modo, intelliguntur vero alio, et sunt incorporalia, sed sensibilibus iuncta subsistunt in sensibilibus. Intelliguntur vero ut per semet ipsa subsistentia ac non in aliis esse suum habentia; ebd.). Damit möchte Boethius mehr dem Aristoteles als dem Platon folgen, wie er sich auch auf den Aristoteleskommentator Alexander von Aphrodisias beruft. Allerdings nimmt Boethius nicht
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wie dieser eine Teilhabe des Universalen am Individuellen an. Das Universale findet sich am Individuellen, nicht in diesem. Aber die Universalien sind natürlich vorgegeben, auch wenn sie mental-begrifflich erfasst werden. Dadurch unterscheiden sie sich von den Wörtern, die menschliche Setzungen sind. Aus der Position des Boethius konnten im Mittelalter unterschiedliche Schlüsse gezogen werden: entweder ein aristotelischer Realismus, der die Universalien in den Dingen gegeben sah, oder ein in die Richtung des Nominalismus weisender Konzeptualismus, der das Begriffliche der Universalien betonte (Vgl. dazu Wöhler, Texte zum Universalienstreit, 324 f.). Dem boethianischen Typ der Lösung der Universalienfrage schließt sich auch Thomas an, ohne Boethius zu erwähnen und mit der Modifikation, dass er ausgehend vom aristotelischen Realismus die Universalien als Ideen Gottes betrachtet. Er unterscheidet in neuplatonischer Weise drei Arten von Universalien: das universale in re, das das Wesen der einzelnen Dinge ausmache, das universale quod est a re acceptum per abstractionem, et hoc posterius est re, also das nach den Dingen durch begriffliche Abstraktion erkannt wird, und das universale ad rem, quod est prius re ipsa, das vor den Dingen liegt, weil es als ihre Form ihren Bauplan ausmacht (Sent. I d. 3, q. 3, a. 2 ad 1; Ed. Vives II, 117). Die spezifisch boe thianische Lösung findet sich in der zweiten Art der Universalien am ehesten aufgegriffen. In der Schrift De ente et essentia lehnt Thomas die platonische Auffassung ab, dass dem Wesen als Gattung oder Art ein Sein außerhalb der Dinge zukomme (De ente q. 3; Ed. Leonina 43, 374a). Das Wesen könne aber einerseits unabhängig von anderem betrachtet werden (absoluta consideratio). Andererseits könne das Wesen betrachtet werden, wie es an einem Ding ist. Einerseits sei es in den Dingen, andererseits in der Seele. Diese beiden Gesichtspunkte erinnern an die Unterscheidung des Boethius zwischen dem Sein des Universalen am Einzelding und als Abstraktion durch das Denken. Auch der Begriff der Ähnlichkeit, den Thomas benutzt, wenn er davon spricht, dass das Universale auf die Einzeldinge vermöge einer Ähnlichkeit (similitudo) bezogen wird, könnte von Boethius stammen. Klarer als Boethius unterscheidet Thomas die logische von der ontologischen Ebene bei der Frage nach den Universalien. Nach dem zweiten Isagoge-Kommentar übersetzte Boethius die Kategorien-Schrift des Aristoteles, um sie dann in Anlehnung v. a. an Porphyrius zu kommentieren. Sodann übersetzte und kommentierte er De interpretatione von Aristoteles, im ersten Kommentar für Anfänger in der Philosophie, im zweiten für Fortgeschrittene. Boethius übersetzte auch die aristotelischen logischen Schriften Topica, Elenchi sophistici, Analytica priora und posteriora. Die letzte dieser Übersetzungen ist nicht überliefert. In De topicis differentiis erörtert er die verschiedenen Bedeutungen des Begriffs der Topik und vergleicht Ciceros Topica mit einer Schrift über den rhetorischen Wert der Topik des Aristoteles von Themistius (Chadwick, Boethius, 120). Boethius hatte auch einen Kommentar zu Ciceros Topica verfasst.
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Die beiden ersten Schriften des aristotelischen Organon, die Kategorien-Schrift und De interpretatione bildeten zusammen mit der Isagoge des Porphyrius die Logica vetus des Mittelalters, während die anderen Schriften des Aristoteles nicht in den Übersetzungen des Boethius weiterlebten. Diese wurden erst im 12. Jahrhundert neu übersetzt und damit der Philosophie bekannt gemacht. Auch Thomas arbeitete mit diesen Neuübersetzungen. Boethius verfasste über die Schlusslehre, wie er sie in den Analytiken des Aristoteles fand, eigene Schriften: De syllogismis categoricis, De hypotheticis syllogismis, Introductio ad syllogismos categoricos. Durch die Übersetzung aristotelischer Schriften prägte Boethius maßgeblich die lateinische Terminologie im Bereich der Logik für das Mittelalter. Auch Thomas von Aquin ist in seinen logischen Begriffen, die er häufig auch in theologischen Zusammenhängen verwendet, von Boethius abhängig. 3.3. Theologie
Vorbereitet durch die logische Disziplin, wandte sich Boethius der Theologie zu, um in aktuellen Streitfragen und Unsicherheiten Klarheit zu schaffen. Er schrieb zwischen 512 und 522 fünf kurze Traktate, die Opuscula sacra: 1. Quomodo trinitas unus deus ac non tres dii (De trinitate); 2. Utrum pater et filius et spiritus sanctus de divinitate substantialiter praedicentur; 3. Quomodo substantiae in eo quod sint bonae sint cum non sint substantialia bona (De hebdomadibus); 4. De fide catholica; 5. Contra Eutychen et Nestorium (De duabus naturis). Der vierte oder der fünfte dieser Traktate ist wohl als erster geschrieben worden, der zweite vielleicht vor dem ersten (Hall, Trinity, 20: Chronologie 4, 5, 3, 2, 1). Durch diese fünf Traktate gewann Boethius großen Einfluss auf die Theologie des Mittelalters und ihre scholastische Methode. Einen ersten Aufschwung der Rezeption gab es im 9. Jahrhundert mit Johannes Scotus Eriugena und Hincmar von Reims, dann erst wieder im 12. Jahrhundert mit Thierry von Chartres, Gilbert Porreta, Gottfried von Auxerre, Clarembald von Arras (Sassen, Boethius – Lehrmeister, 116–119). Im 13. Jahrhundert ragen die beiden Kommentare des Thomas von Aquin hervor, der darin Albertus Magnus gefolgt ist. Im Prooemium zum ersten Traktat stellt Boethius programmatisch die Forderung auf, die Glaubenswahrheiten mit dem Verstand zu erfassen (capere intellectu) und mit der Einsicht des menschlichen Verstandes (humanis rationis intuitu) die Gottheit zu verstehen. Am Schluss des zweiten Traktats ruft er dazu auf, den Glauben mit der Vernunft zu verbinden (fidem si poteris rationemque coniunge). Dies hat sicher Anselm von Canterbury, Petrus Abaelard und andere angeregt und auch Thomas von Aquin dazu ermuntert, die Theologie rational zu gestalten. Formal-methodisch ist in den Traktaten die aristotelische Logik bestimmend, inhaltlich sind die Schriften Augustins die Hauptquelle (Sassen, Boethius – Lehrmeister, 113).
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Der erste Traktat, De trinitate, steht wohl deshalb in den Sammlungen an erster Stelle, weil er für die mittelalterlichen Theologen der wichtigste war. Boethius legt die katholische Lehre von der göttlichen Trinität gegen den Arianismus dar, indem er den Begriff der Ununterschiedenheit (indifferentia), den er vom Begriff der Verschiedenheit der Gattung, der Art und der Zahl nach unterscheidet, auf die drei göttlichen Personen anwendet. Um die Besonderheit der theologischen Fragestellungen einschätzen zu können, grenzt Boethius die theologische Methode von der physikalischen und der mathematischen ab. Dies gab Anlass für die mittelalterlichen Kommentatoren, über das System der Wissenschaften nachzudenken. Durch Diskussion der zehn aristotelischen Kategorien versucht Boethius die innertrinitarischen Verhältnisse zu klären. Dabei gewinnt die Kategorie der Relation besonderes Gewicht. Thomas von Aquin schrieb 1255–1259 in Paris einen großen Kommentar zu De trinitate, den er nicht vollendete. Neben einem Textkommentar zum Prooemium und zu zwei Kapiteln hat Thomas zwei Quaestiones mit jeweils vier Artikeln verfasst, um Sachprobleme zu erörtern, die sich ihm anlässlich der Lektüre des Textes von Boethius stellten. Zum Prooemium stellt Thomas die Fragen nach Möglichkeit und Darstellbarkeit der Gotteserkenntnis, zum ersten Kapitel die Frage nach dem Wesen des Glaubens, zum zweiten Kapitel die Fragen nach der Einteilung und den Methoden der Wissenschaften. Im Prolog legt Thomas dar, daß die Lehre des Boethius drei Teile enthalte, die in den Opuscula sacra zu finden seien. Während Boethius in De trinitate von Einheit und Dreiheit Gottes handele, spreche er in Utrum pater von der Aussageweise über die Trinität. Im zweiten Teil, in De hebdomadibus, behandele Boethius den Hervorgang der guten Geschöpfe aus dem guten Gott. Der dritte Teil handele von der Wiederherstellung der Geschöpfe durch Christus und teile sich in zwei Hälften, die eine in De fide catholica über den Glauben, den Christus lehrt, und die zweite in De duabus naturis über die Christologie. Damit hat Thomas die Opuscula sacra des Boethius auf seine übliche Weise systematisiert. In den quaestiones verwendet Thomas zuweilen neben anderen Autoritäten auch Boethius selbst, so dessen Arithmetik, die Kommentare zur Isagoge und zur Kategorienschrift, De hebdomadibus, De consolatione. Der zweite Traktat des Boethius ist der kürzeste und behandelt ebenfalls die Trinitätslehre. Er ist zumeist aus Zitaten von Augustinschriften zusammengesetzt, aber auch aristotelisch geprägt (Hall, Trinity, 26). Der dritte Traktat, De hebdomadibus, befasst sich mit der Frage, wie etwas gut sein könne, ohne es seinem Wesen nach zu sein. Zur Beantwortung dieser Frage bedient sich Boethius der mathematischen Methode, die von Definitionen und Axiomen, oft angelehnt an die Elementatio theologica des Proklos (Chadwick, Boethius, 208 f.), ausgeht und daraus Schlüsse zieht (Ut igitur in mathematica fieri solet ceterisque etiam discipulis, praeposui terminos regulasque quibus cuncta quae sequuntur efficiam). Darin findet sich eine Ontologie des Boethius (Vgl. Schrimpf, Die Axiomenschrift des Boethius). Eines seiner Axiome führt die Unterscheidung zwischen dem Sein und dem, was ist, ein (Diversum est esse et id
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quod est), also zwischen dem Sein als solchem und dem Einzelding. Das Sein als solches kann an nichts teilhaben, das Einzelding hingegen schon. Thomas bezieht sich in De ente et essentia 5 auf die Unterscheidung zwischen esse und id quod est, verwechselt sie aber mit der Unterscheidung zwischen Sein und Wassein (Vgl. McInerny, Boethius and Aquinas, 198). Allerdings hat Thomas der Schrift einen Kommentar gewidmet, in dem er das id quod est als Einzelding versteht (Schrimpf, Die Axiomenschrift des Boethius, 125). »De Hebdomadibus wurde im Mittelalter, etwa vom 9. bis ins 15. Jahrhundert, immer wieder als Schulbuch für das Philosophiestudium benutzt« (Schrimpf, Die Axiomenschrift des Boethius, 35) und zuerst glossiert, dann kommentiert. Die Axiomatisierung wurde Vorbild für den systematischen Aufbau philosophischer und theologischer Abhandlungen. »Boethius’ third tractate taught the Latin West, above all else, the method of axiomatization, that is, of analysing an argument and making explicit the fundamental presuppositions and definitions on which its cogency rests. He taught his successors how to try to state truths in terms of first principles and then to trace how particular conclusions follow therefrom. The West learnt from him demonstrative method« (Chadwick, Boethius, 210). Die Schrift war »Quelle eines christlich modifizierten neuplatonischen Seinsbegriffs« für das Mittelalter (Schrimpf, Die Axiomenschrift des Boethius, 140 f.). Von den Kommentaren des 12. Jahrhunderts aus der Schule von Chartres etwa des Gilbert Porreta und des Clarembald von Arras setzte sich Thomas in seinem Kommentar ab. Dieser entstand wahrscheinlich im Anschluss an den Kommentar zu De trinitate um 1257/58. Er deutet den Titel als Ableitung aus dem griechischen Wort hebdomada, das dem lateinischen edere (»herausgeben«) entspreche. Thomas gliedert in der ihm eigenen Methode den Text des Boethius bis ins Detail. Seine Interpretation wird als sehr getreu bewertet (Schrimpf, Die Axiomenschrift des Boethius, 136–138). Der vierte Traktat, De fide catholica, ist wohl als erster entstanden, also ca. 512. Der Stil ist kein philosophischer, sondern eher kerygmatisch, bekenntnishaft (Hall, Trinity, 21; Chadwick, Boethius, 175). Obwohl Augustin als Quelle nicht erwähnt wird, steht er im Hintergrund des gesamten Traktates. Der Inhalt des christlichen Glaubens wird auf die Autorität des Alten und Neuen Testaments zurückgeführt. Dabei findet eine Auseinandersetzung mit Häresien statt, dem Arianismus, Sabellianismus, Manichäismus und Pelagianismus. Der fünfte Traktat, De duabus naturis, ist veranlasst durch christologische Streitigkeiten des frühen 6. Jahrhunderts, in denen es um das Verhältnis der beiden Naturen, der göttlichen und der menschlichen, in Christus ging, wobei die beiden Hauptgegner Eutyches und Nestorius waren. Um zur Lösung des Problems beizutragen, definiert Boethius die Begriffe der Natur und der Person, die in der trinitarischen und christologischen Diskussion wichtig sind. Beide Begriffe seien zu unterscheiden und nicht miteinander zu verwechseln. Die Person sei die unteilbare Substanz einer vernünftigen Natur (naturae rationalis individua substantia). Diese Definition von Person wurde für die Scholastik klassisch und auch
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Thomas hat sie übernommen. In der STh verteidigt Thomas die Definition des Boethius in einem eigenen Artikel De definitione personae und erläutert sie damit, dass die Person als diejenige erste Substanz aufgefasst werde, die aus sich heraus als einzelne zu handeln in der Lage sei. Diese Substanz werde deshalb individua genannt, weil ihr Einzelheit zukommt (STh I q. 29, a. 1; Ed. Leonina 4, 327 f.). Auch später kommt er auf die Definition zurück, so z. B. in STh I q. 33, a. 2, 1 (Ed. Leonina 4, 359a), wo er die Person eine individuelle Substanz nennt (Persona autem est substantia individua). Er begründet die Anwendbarkeit des Begriffs auf die göttliche Trinität (STh I q. 29, a. 3; Ed. Leonina 4, 331a–332b). Allerdings räumt er gewisse Schwierigkeiten mit der Individualität der Person bei Gott ein. Richard von St. Viktor habe deshalb die Definition des Boethius im Hinblick auf Gott modifiziert (divinae naturae incommunicabilis existentia; ebd. ad 4; Ed. Leonina 4, 332b). 3.4. Trost der Philosophie
Die letzte Schrift des Boethius, im Gefängnis in Padua abgefasst, Consolatio Philosophiae, fand eine viel weitere Verbreitung im Mittelalter als die theologischen Schriften. Sie ist rein philosophisch gehalten und kommt ohne Bezug zur christlichen Religion aus. Ihre Hauptquellen sind die Stoa und der Neuplatonismus. Dennoch wurde die Schrift seit dem 9. Jahrhundert immer wieder abgeschrieben und kommentiert (Sassen, Boethius – Lehrmeister, 116 f.). Die mittelalterliche Trostliteratur ist von ihr beeinflusst (Sassen, Boethius – Lehrmeister, 120 f.). Thomas, dem die klare Unterscheidung zwischen Glaube und Vernunft sympathisch gewesen sein dürfte (Rand, Composition of Boethius, 276), bezieht sich in seiner Schrift De aeternitate mundi auf die Unterscheidung zwischen der Dauer und der Ewigkeit der Welt, wie sie Boethius in De consolatione 5 vornahm (de Vogel, The Problem of Philosophy, 292). Auch die von Boethius behandelten Probleme des Bösen im Verhältnis zu Gottes Güte, des Verhältnisses von Vorsehung und Schicksal, göttlichem Vorherwissen und freien Willen beschäftigten Thomas. »Für Thomas selbst ist Boethius eine bedeutende Autorität. In seinen beiden Summen führt er ihn an 137 Stellen als Autorität an, in den Quaestiones Disputatae an 164 Stellen, und in den Quaestiones Quodlibetales dient er ihm elfmal als Beleg für einen bestimmten Gedanken« (Schrimpf, Die Axiomenschrift des Boethius, 119 f.). Boethius vermittelte Thomas wie anderen vor ihm wesentliche Teile der aristotelischen Logik und prägte seine auf einer Synthese von Platon und Aristoteles beruhende Philosophie und damit auch seine Theologie. Gibson, Margaret (Hg.): Boethius. His Life, Thought and Influence, Oxford 1981. Hall, Douglas C.: The Trinity. An analysis of St. Thomas Aquinas’ Expositio of the De Trinitate of Boethius, Leiden/New York/Köln 1992. McInerny, Ralph M.: Boethius and Aquinas, Washington D.C. 1990. Schrimpf, Gangolf: Die Axiomenschrift des Boethius (De hebdomadibus) als philosophisches Lehrbuch des Mittelalters, Leiden 1966. Reinhold Rieger
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4. Lateinischer Aristotelismus In den siebziger Jahren des 13. Jahrhunderts kommentierte Thomas von Aquin alle großen Werke des Aristoteles. Dies gehörte keineswegs zu den üblichen Aufgaben eines Magisters der Theologie an der Universität Paris, sondern ist die Folge eines lang dauernden kulturellen Prozesses, der die westliche Kultur des 13. Jahrhunderts vor einige Herausforderungen stellte. Es handelt sich um eine das gesamte philosophische Denken betreffende Entwicklung, welche man im allgemeinen als »lateinischen Aristotelismus« bezeichnet. Die Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert markiert tatsächlich die Grenze zwischen zwei Epochen mittelalterlicher Philosophie. Deren frühere ist ganz von Boethius dominiert; von Aristoteles kannte man nur die logischen Schriften. Mit dem 13. Jahrhundert aber kam ein neues Zeitalter auf, das durch die aus dem Arabischen und auch aus dem Griechischen erfolgenden lateinischen Übersetzungen der bedeutenderen Werke des Aristoteles: Metaphysik, Ethik und Naturphilosophie bestimmt war. Es handelt sich hier um einen grundlegenden Vorgang der Geistesgeschichte: Bis um 1250 lernte das lateinische Abendland in aufeinander folgenden Wellen eine überbordende Literatur aus griechischen, jüdischen und arabischen Quellen kennen: Zum ersten Mal sah man sich einem umfassenden heidnischen Denksystem gegenüber, das sich allenfalls teilweise mit der tradierten christlichen Sicht vertrug. Allerdings verlief die Geschichte des lateinischen Aristotelismus durchaus heterogen, und zwar nicht erst zur Zeit des Thomas von Aquin und der Krise der Pariser Universität um 1270, sondern schon von der ersten Hälfte des Jahrhunderts an, als sich zum ersten Mal die Gestalt eines für die lateinische Welt bis dahin unbekannten Aristoteles abzeichnete. Zum Verständnis dieses Vorgangs muss man zwei Fragenkreise bedenken: Erstens: Über welche Werke verfügte man in Paris, in welcher Übersetzung und welchen Status maß man ihnen zu? Die zweite Frage betrifft den kulturellen Horizont: Welchen Platz war man bereit dieser neuen Philosophie zuzumessen? Da die Beantwortung dieser Fragen in einem allmählichen Prozess erfolgte, kann man den lateinischen Aristotelismus nicht als einen monolithischen Block behandeln. Selbst wenn man sich nur auf Paris konzentriert, wird rasch deutlich, dass das Eindringen des Aristoteles in die lateinische Welt in mehreren Etappen erfolgte. 4.1. Erste Etappe: Der vernachlässigte Aristoteles (1200)
Zu Beginn des Jahrhunderts kannte man von Aristoteles lediglich die logischen Schriften: Das Organon war bereits übersetzt (die Logica vetus mit der Kategorienschrift und Perihermeneias, später die Logica nova, d. h. die Ersten und Zweiten Analytiken, die Topik und die Sophistischen Widerlegungen). Gerhard von Cremona († 1184) hatte die Libri naturales (darunter die Physik) aus dem Arabischen
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übersetzt, zudem ist eine erste, freilich nur fragmentarische Übersetzung von De anima und der Metaphysik aus dem Griechischen bekannt. All seinen Werken waren Kommentare beigegeben: die Isagoge von Porphyrius, und die Kommentare des Boethius oder des Themistius. Unter den arabischen Kommentaren waren zu Beginn des Jahrhunderts die von Alfarabi und Avicenna am einflussreichsten; letzterer hat eine Paraphrase der Werke des Aristoteles verfasst. Noch um 1225, als der Name des Averroes aufkam, gilt daher als der »Kommentator« nach wie vor Avicenna. Aber alle seine Werke stehen im Kontext mit Schriften neuplatonischer Provenienz; besondere Bedeutung besaß hier der Liber de causis, den man für aristotelisch hielt – dass er tatsächlich in hohem Maße von Proklos geprägt war, hat erst Thomas von Aquin selbst dank einer 1268 von Wilhelm von Moerbeke erstellten, neuen Übersetzung der Elementatio theologica des Proklos aufgedeckt. Zwar kannte man Plotin gar nicht und von Platon lediglich Timaios, Phaidon und Menon; doch durch Augustin und Pseudo-Dionysios war der Neuplatonismus zur bestimmenden Philosophie geworden. Angesichts der überragenden Bedeutung von Avicenna erstaunt es nicht, dass man den Gedanken entwickeln konnte, bei der Philosophie der ersten Jahrhunderthälfte handle es sich um »eklektischen« oder »neuplatonischen Aristotelismus«. Aristoteles selbst war noch weitgehend unbekannt und wurde am Maßstab eines ausgeprägten Neuplatonismus gemessen (Van Steenberghen, Die Philosophie im 13. Jahrhundert, 117–175). 4.2. Zweite Etappe: Der verbotene Aristoteles (1210–1215)
Das rasche Vordringen des Aristotelismus zu Beginn des 13. Jahrhunderts kann man an den Verurteilungen ablesen, die in Paris auf ihn reagierten. 1210 hielt der Erzbischof von Sens, Petrus von Corbeil, in Paris ein Konzil ab, das unter Androhung der Exkommunikation jegliche Verwendung der Bücher des Aristoteles über die Naturphilosophie im Unterricht verbot: »Nec libri Aristotelis de naturali philosophia nec commenta legantur Parisius publice vel secreto et hoc sub pena excommunicationis inhibemus« (CUP I, n. 11, 70: »Wir verbieten bei Strafe der Exkommunikation, dass über die Bücher des Aristoteles zur Naturphilosophie oder auch über Kommentare hierzu in Paris öffentlich oder heimlich Vorlesungen gehalten werden«). Und als der päpstliche Legat Robert Courçon 1215 mit dem Erlass neuer Statuten für die Universität Paris betraut war, wiederholte er dieses Verbot, die Metaphysik oder die Naturphilosophie des Aristoteles an der artes-Fakultät zu lehren; die Theologische Fakultät war hiervon nicht direkt betroffen, da die Lehre der Philosophie nicht zu ihren Aufgaben zählte. In der Folge wurden einige vorwitzige Professoren (David von Dinant und Amalrich von Bène) bestraft; zugleich mit den devianten Interpretationen aber waren auch die Bücher des Aristoteles selbst betroffen.
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Die Verbote waren von großer Bedeutung, auch wenn sie formal örtlich auf Paris begrenzt waren, wie sich am Verhalten der Universität von Toulouse zeigt, die 1225 Studenten mit dem Hinweis anzuwerben suchte, dass man hier die in Paris verbotenen Bücher des Aristoteles frei studieren könne. Es lässt sich auch vermuten, dass die Verbote letztlich den Grund dafür bildeten, dass die Universität Oxford, an welcher Robert Grosseteste die neue Philosophie mit großem Einsatz betrieb, bald in der Kenntnis der Werke des Aristoteles der Pariser Universität weit voraus war. Die Verbote zeigen den Widerstand des lateinischen Westens gegen das Vordringen der neuen Philosophie: Mit ihnen sollte die christliche Kultur vor jeglichem heidnischen Einfluss geschützt werden. So ist die Krise nicht als Konfrontation zweier unterschiedlicher Philosophien zu verstehen, sondern sie legte eine bestimmte traditionelle Auffassung vom Christentum offen, welche sich gegen das mit schwindelerregendem Tempo erfolgende Eindringen des wiederentdeckten paganen Wissens wandte. 4.3. Dritte Etappe: Der gereinigte Aristoteles (1228–1231)
Am 7. Juli 1228 wandte sich Papst Gregor IX. mit einem Brief gezielt an die Theologieprofessoren in Paris, in welchem er vor einer missbräuchlichen Verwendung einer Philosophie warnte, die die Grundlagen des Glaubens gefährdete. Indem er die Gefahr beschwor, »profanen Neuheiten« zu verfallen, bezeugt der Brief den Konflikt zwischen Christentum und Aristotelismus. Die kulturelle Auseinandersetzung verschärfte sich durch politische Verwicklungen: Der Bischof von Paris Wilhelm von Auvergne versagte bei dem Versuch, die schwere Krise zu meistern. So kam es an der Universität zu einem drei Jahre andauernden Streik, während dessen die Dominikaner einen zweiten von den insgesamt zwölf theologischen Lehrstühlen erlangten. In dieser Situation griff Gregor IX. am 13. April 1231 ein weiteres Mal mit dem Versuch ein, die Lage zu befrieden. Die hierzu verfasste Erklärung Parens scientiarum Parisius sollte für die weitere Entwicklung außerordentliche Bedeutung gewinnen. Mit geringfügigen Abmilderungen wiederholte sie die vorangegangenen Verbote und verlangte, die Bücher der spekulativen Philosophie des Aristoteles (libri naturales) nicht zu benutzen, es sei denn, sie wären durch eine Kommission überprüft und ab omni errorum suspitione (»von jeglichem Verdacht auf Irrtümer«) befreit (CUP I, n. 79, 138). Die Theologen sollten, so der Papst, »sich nicht als Philosophen aufspielen« (nec [Magistri vero et scolares theologie] philosophos se ostendent). Doch diese Maßnahme, die dazu gedacht war, jeglichen Einfluss des Aristoteles auf das christliche Denken zu verhindern, blieb wirkungslos. Das mag daran gelegen haben, dass die auf ihrer Grundlage gebildete dreiköpfige Kommission sich einer letztlich undurchführbaren Aufgabe gegenübersah; aber auch äußere Umstände wie der Unterbrechung der Arbeit durch den Tod des Vorsitzenden der
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Kommission Wilhelm von Auxerre am 3. November 1231 dürften zu ihrem Scheitern beigetragen haben. Letztlich hat diese Maßnahme dem Aristotelismus sogar genützt: Der Brief des Papstes öffnete durch die Abmilderung der Verbote von 1210 und 1215 und den Verzicht auf ein neues Verbot ein Einfallstor für die Aufnahme des Stagiriten und überließ den Magistern selbst die Verantwortung für die Auswahl der zur Kommentierung vorgesehenen Bücher des Aristoteles. 4.4. Vierte Etappe: Der neu übersetzte Aristoteles (1230–1250)
Gleichwohl hielt sich das grundsätzliche Aristoteles-Verbot bis etwa 1245. Unterdessen schwoll die Woge der Aristoteles-Begeisterung an, vor allem weil neue Übersetzungen zur Verfügung standen. Der berühmteste Übersetzer war Michael Scotus, der zwischen 1227 und 1236 im Dienst Kaiser Friedrichs II. stand. Bereits um 1217 hatte er, zusammen mit dem Kommentar des Averroes, De caelo übersetzt, danach wandte er sich De anima und wahrscheinlich auch der Physik und der Metaphysik zu. Die Wirkung des Unternehmens von Michael Scotus war beachtlich. Seine Übertragungen verdrängten die älteren Übersetzungen aus dem Griechischen wie die vetustissima des Jakob von Venedig, oder die media eines anonymen Übersetzers vom Beginn des 13. Jahrhunderts. Gleiches geschah mit den älteren Übersetzungen der Physik aus dem Griechischen und dem Arabischen. Andere Gelehrte, wie Hermannus Alemannus, übersetzten um 1240 in Toledo die Ethik, ehe um 1240‒1243 Robert Grosseteste eine erste vollständige lateinische Übersetzung der Nikomachischen Ethik vorlegte. Da die Texte des Aristoteles stets mit Kommentaren verbunden waren, begründete diese Welle von Übersetzungen den großen Erfolg der von Averroes vertretenen Aristoteles-Interpretation. Averroes wurde nun der Titel des offiziellen commentator beigelegt, und seine Deutung bildete den entscheidenden Anlass für die bald darauf einsetzende Krise des lateinischen Aristotelismus. Nur wenig später übersetzte der Dominikaner Wilhelm von Moerbeke eine beachtliche Anzahl von Werken aus dem Griechischen (zu seinem Verhältnis zu Thomas B.III.5.). Den Anfang bildete die am 22. November 1267 abgeschlossene Übersetzung von De anima in der translatio nova mitsamt dem Kommentar des Themistius. 1271 arbeitete Wilhelm von Moerbeke an einer Übersetzung der Metaphysik aus dem Griechischen; in diesem Jahr konnte er den heute als Buch XI gezählten Abschnitt hinzufügen. Diese Datierung ist für die historische Forschung bemerkenswert, da man durch sie alle Kommentare zur Metaphysik, die das Buch XII noch als elftes zählen, auf die Zeit vor 1271 datieren kann. 4.5. Fünfte Etappe: Der rezipierte Aristoteles (1255)
Seit den vierziger Jahren war Aristoteles endgültig in Paris etabliert. Zwar gab es auch zuvor an der artes-Fakultät bedeutende Logiker auf den Bahnen des Aristoteles, etwa Wilhelm von Shyreswood, Petrus Hispanus, Nikolaus von Paris oder
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Robert Kilwardby. Aber der erste artes-Lehrer, von dem um 1245 Vorlesungen zur Physik und zur Metaphysik des Aristoteles bezeugt sind, ist Roger Bacon. Dies unterstreicht die geringe Wirkung der Aristoteles-Verbote vom Jahrhundertbeginn. Von nun an war die artes-Fakultät in Paris – verglichen mit den in Oxford schon erreichten Fortschritten freilich relativ spät – intensiv mit der Aufnahme des Denkens des Stagiriten befasst. Der Gipfelpunkt in der Entwicklung dieses immer noch recht eklektischen Aristotelismus lässt sich genau bestimmen: Am 19. März 1255 machte die artes-Fakultät das gesamte Werk des Aristoteles für ihren Lehrplan verbindlich. Bei den Theologen hingegen gab es seit einigen Jahrzehnten zwei Lager: einerseits jene, die aufgrund einer traditionalistischen Haltung Befürchtungen gegenüber dem Eindringen der Philosophie in die heilige Wissenschaft hegten, und andererseits diejenigen, die stärker zur philosophischen Spekulation neigten und im Werk des Aristoteles den hervorragendsten Ausdruck profaner Wissenschaft sahen. Zwischen 1220 und 1240 machten Wilhelm von Auvergne, Wilhelm von Auxerre und Philipp der Kanzler reichlich von dem zu dieser Zeit bekannten Werk des Aristoteles Gebrauch; Gleiches gilt wenig später auch für einen Theologen von der Bedeutung eines Alexander von Hales. Aber den Durchbruch in der Erschließung des Aristoteles für die westliche Christenheit bewirkte Albertus Magnus. Das analytische und kritische Werk, das Albert 1248 in Paris begann und dann in Köln fortsetzte, hatte einen bemerkenswerten Einfluss: Er macht Aristoteles verständlich, nimmt an einzelnen Stellen Korrekturen vor und bestimmt den Unterschied zwischen Philosophie und Theologie. Er erlaubt dem Denken, sich von jeglichem Eklektizismus zu befreien, und bahnt unmittelbar den Weg zu der magistralen Synthese, die Thomas von Aquin vollendete. Die Verbote an der artes-Fakultät haben also die Theologen nicht daran gehindert, die Werke des Aristoteles in einer sehr freien Weise dafür zu nutzen, die Welt ebenso wie die Gegenstände der Theologie zu verstehen. 4.6. Sechste Etappe: Der integrierte Aristoteles
Allerdings war nicht sofort klar, was das Werk des Aristoteles auslösen konnte, und die Wirkung auf die christliche Lehre wurde erst mit einer gewissen Verzögerung gegenüber der durch die neuen Übersetzungen möglichen Kenntnis des Gesamtwerkes bewusst. Eine Sachfrage reichte aus, um die Problematik deutlich zu machen, die durch das Eindringen des Aristoteles in den Westen ausgelöst worden war: die Debatte über die Ewigkeit der Welt. Für die christliche Kultur stand fest, dass die Schöpfung, von der das Buch Genesis spricht, einen zeitlichen Beginn der Welt voraussetzte. So bestätigte die Kirche 1215, dass es nur einen Gott gab, der »aufgrund seiner Allmacht die Schöpfung hervorgebracht hat, auf einmal ex nihilo und zu Beginn der Zeit« (DH 800). Hieraus folgte, dass der Gedanke einer ewigen Welt, das heißt einer Welt
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ohne zeitlichen Beginn, mit der Bestreitung ihrer Kreatürlichkeit gleichgesetzt wurde. Als die westliche Welt nun Texte zur Kenntnis nehmen musste, die einen Beginn der Welt leugneten, musste dies einen Schock auslösen. Als das aristotelisch-arabische Corpus im Westen bekannt wurde, konnte man hinsichtlich dieser Frage noch Zweifel hegen: Einzelne arabische Denker wie Avicenna vertraten den Gedanken einer Ewigkeit der Welt, aber es bestand noch keine Gewissheit über die genaue Auffassung des Aristoteles selbst. Das war von besonderer Bedeutung, weil der Name »Aristoteles« für »die menschliche Vernunft« insgesamt stand, insofern diese aufgrund ihrer eigenen Gaben und ihrer natürlichen Ausstattung Erkenntnisse gewinnen kann. So war Roger Bacon hinsichtlich der exakten Interpretation des Aristoteles noch zögerlich, und Philipp der Kanzler wandte einigen Scharfsinn auf, um zu zeigen, dass die Welt nach Aristoteles zwar »dauerhaft« sei, nicht aber »ewig«. Man hatte mittlerweile Aristoteles gründlich studiert, sich sein Werk angeeignet, es durchdrungen und kommentiert. 1267 nahm Bonaventura in seinen Predigten zur Fastenzeit vor der Pariser Universitätsgemeinde Stellung zu der Frage. In den Collationes de decem praeceptis sprach er ausdrücklich die Erkenntnisentwicklung und den neuen Stand der Bewusstseinsbildung in dogmatischen Fragen an: »Ich hörte, als ich ein Student war«, erklärt Bonaventura, »dass Aristoteles die Welt als ewig setzte. Und als ich die Gründe und Argumente hörte, die es dafür gab, da begann sich mein Herz zu ängstigen und begann zu denken: Wie kann das sein? Aber heute ist das alles so offensichtlich, dass niemand daran zweifeln kann.« (Collationes de decem praeceptis II, 28; V, 515) 4.7. Siebte Etappe: Der kritisierte Aristoteles
Dem Beispiel Bonaventuras folgend, hat die Forschung unterstrichen, dass mehrere gewichtige Thesen eindeutig Grundüberzeugungen des christlichen Westens widersprachen, und hat diese im Werk des Aristoteles bzw. seiner Kommentierung durch Araber wie Averroes wiedergefunden: die Ewigkeit der Welt, die Annahme einer allgemeinen Vernunftseele für alle Menschen, die durchgängige Notwendigkeit der Kausalitäten für Mensch und Welt, die ethische Begrenzung des Glücks des Menschen auf das Diesseits. Bonaventura brandmarkte diese Irrtümer in den Jahren 1267–1268. Zu behaupten, dass die Welt ewig sei, bedeute, so erklärte er, die Heilsgeschichte, ja den Sinn der Fleischwerdung Christi zu bestreiten. Anzunehmen, dass es nur eine Vernunftseele für alle Menschen gäbe, hieße, dass das Heil nicht den Seelen zukomme und dass es unsinnig sei, den Geboten Gottes zu folgen. Ein kosmologischer Determinismus führe dazu, die persönliche Verantwortung und den Sinn des Kreuzes Christi zu bestreiten. Bonaventura selbst ist auf die Seligkeit des Menschen nicht eingegangen, aber dieses Thema hat alle großen Köpfe seiner Zeit, zum Beispiel auch Boetius von Dacien und Thomas von Aquin, beschäftigt.
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Man könnte den Eindruck gewinnen, dass mehrere aristotelische Thesen so unvereinbar mit dem Christentum seien, dass jegliche Aufnahme des Aristoteles im christlichen Westen hätte unmöglich sein müssen. Aber die geistige Auseinandersetzung blieb bei der Feststellung eines solchen Gegensatzes nicht stehen, sondern die bedeutenden Denker bemühten sich auch darum, ihren Grund zu verstehen. 4.8. Achte Etappe: Ein neuer Blick auf Aristoteles
All diese Irrtümer resultierten, so Bonaventura, aus einem falschen Gebrauch der Philosophie: Statt sie schlicht ihrem Status gemäß als eine Stufe auf dem Weg zur christlichen Weisheit zu behandeln, gab es Menschen, die bei ihr blieben und sich ganz mit ihr zufrieden gaben. Vom Umgang mit Aristoteles ausgehend, wollte er daher den angemessenen Platz der Philosophie festlegen: Bonaventura kritisierte diese nicht an sich, sondern richtete seinen Ärger auf die Haltung derjenigen, die die Philosophie zu einem autonomen Wissen erheben wollten, auf das sie all ihr Vertrauen richteten. Philosophie ist nach Bonaventura im Gegensatz hierzu ein Weg, der zu anderen Erkenntnissen hinleitet, »weil wer sich daran genügen lässt, in die Finsternis fällt« (Collationes de septem donis Spiritus sancti IV, 12; V, 476). Albertus Magnus nahm bereits eine ganz andere, weitaus freundlichere Haltung ein. Während Bonaventura bestrebt war, die Auswirkung des weltlichen Wissens auf die christliche Weisheit zu begrenzen, richtete sich die Aufmerksamkeit von Albertus Magnus auf das weltliche Wissen selbst, um dessen Entwicklung er sich auch durch die Anwendung einer an die Philosophie anknüpfenden und sie fruchtbar weiter entfaltenden Methode bemühte. Er war zunächst bestrebt, den Lateinern Aristoteles verständlich zu machen, aber darüber hinaus ermutigte er in der Überzeugung, dass dies der Theologie selbst nützen werde, zur autonomen Entwicklung der Philosophie. Ohne den Vorrang des Glaubens vor dem weltlichen Wissen aufzugeben, entwickelte Albertus Magnus doch den lateinischen Aristotelismus in herausragender Weise weiter, indem er sehr exakt die epistemologischen Bedingungen für philosophische und theologische Erkenntnisse bestimmte. Für den vorliegenden Zusammenhang aber ist von besonderer Bedeutung, dass Thomas von Aquin, der sich im Laufe seines Lebens mit derart unterschiedlichen Problemkonstellationen konfrontiert sah, gezwungen war, Stellung zu den aristotelischen Thesen über die Ewigkeit der Welt und die Einheit der Vernunft seele für alle Menschen zu nehmen. Dies brachte ihn dazu, aristotelische Philosophie und Theologie auf eine gänzlich neue Weise in einer originellen Synthese zu harmonisieren. Hierzu bestimmte er mit großer Klarheit die Kompetenzbereiche für die heilige Wissenschaft und die Philosophie, für Glaube und Vernunft, indem er die eine wie die andere Erkenntnisform zu ihren äußersten Möglichkeiten trieb.
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So hat der lateinische Aristotelismus mit einer in der Menschheitsgeschichte sonst nirgends begegnenden Klarheit die Frage nach dem Verhältnis von Vernunft und Glaube aufgeworfen. Wiederum ist es der lateinische Aristoteles, an dessen Verständnis sich die entscheidende intellektuelle Herausforderung des 13. Jahrhunderts herauskristallisierte. Das macht verständlich, warum Thomas von Aquin als ein Dominikaner, der an der Theologischen Fakultät beschäftigt und mit der Aufgabe der heiligen Lehre und der Bibelkommentierung befasst war, einen so gewaltigen Aufwand betrieb, um die Werke des Aristoteles in aller Sorgfalt und Detailgenauigkeit zu kommentieren. Auch wenn eine solche Arbeit nicht ausdrücklich unter seine beruflichen Aufgaben fiel, erwies sich doch eine derartige detaillierte Auslegung des für die Wissenschaft seiner Zeit maßgeblichen Werkes, eben des Corpus Aristotelicum, auch für die Ausübung der Theologie als unverzichtbar, denn es ging hier um das Verhältnis von Glaube und Vernunft. In dieser Hinsicht bewirkte der lateinische Aristotelismus in der Geistesgeschichte des westlichen Denkens einen tiefen Einschnitt. Amerini, Fabrizio/Galluzzo, Gabriele (Hg.): A Companion to the Latin Medieval Commentaries on Aristotle’s Metaphysics (Brill’s companions to the Christian tradition 43), Leiden 2014. Brams, Jozef: La riscoperta di Aristotele in Occidente, Mailand 2003. Honnefelder, Ludger/Wood, Rega/Dreyer, Mechthild/Aris, Marc-Aeilko (Hg.): Albertus Magnus und die Anfänge der Aristoteles-Rezeption im lateinischen Mittelalter. Von Richard Rufus bis zu Franciscus de Mayronis, Münster 2005. König-Pralong, Catherine: Avènement de l’aristotélisme en terre chrétienne. L’essence et la matière, entre Thomas d’Aquin et Guillaume d’Ockham, Paris 2005. Putallaz, François-Xavier/Imbach, Ruedi: Profession: Philosophe. Siger de Brabant, Paris 1997. Van Steenberghen, Fernand: Die Philosophie im 13. Jahrhundert. Aus dem Französischen übertragen von Raynald Wagner, Paderborn 1977. (Übersetzt von Volker Leppin)
François-Xavier Putallaz
5. Petrus Lombardus Petrus Lombardus war der Autor der berühmten Sententiae in IV libris distinctae (»Sentenzen in vier Büchern«), des Standardlehrbuches der Theologie im Hochund Spätmittelalter. Da die Sentenzen seit dem zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts bis zur Reformation − an einigen Universitäten und Seminaren weit darüber hinaus − in ganz Europa dem Unterricht in systematischer Theologie zugrunde lagen, hat das Werk das theologische Denken dieser Epoche entscheidend geprägt. Es gehörte während dieser Zeit zu den Pflichten jedes den Grad des Magisters der Theologie anstrebenden Gelehrten, Vorlesungen über die Sentenzen zu halten. Obwohl bei weitem nicht jede Sentenzen-Vorlesung zur Publikation gelangt ist, gibt es deshalb außer der Heiligen Schrift kein Werk der christlichen Literatur, das häufiger kommentiert worden ist als Petrus Lombardus’ Sentenzen.
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Petrus Lombardus wurde um 1095–1100 bei Novara in Norditalien geboren. Nach Studien in Novara und Lucca zog er um 1133 nach Frankreich, dem Zentrum der theologischen Forschung dieser Zeit. Er weilte zunächst in Reims, seit 1136 in Paris, wo er unter anderem von Petrus Abaelard und Hugo von St.Viktor beeinflusst wurde. Seit den vierziger Jahren unterrichtete er an der Domschule von Notre Dame, wo er rasch Berühmtheit erlangte. Seinem Ruf als hervorragendem Theologen ist es zu verdanken, dass er 1159 zum Bischof von Paris berufen wurde. Zeitgenössischen Berichten zufolge hätte dieses Amt eigentlich Philipp, dem Bruder des Königs, zufallen sollen. Philipp aber zog sich zugunsten von Petrus Lombardus zurück. Dieser starb schon im Juli 1160. Außer den Sentenzen sind uns von Petrus Lombardus Kommentare zu den Psalmen und den Paulusbriefen sowie 35 Predigten überliefert. Die Schriftkommentare stellen Überarbeitungen der entsprechenden Teile der Glossa ordinaria dar, das heißt jenes Bibelkommentares, der Anfang des 12. Jahrhunderts in der Schule Anselms von Laon seine endgültige Form erhielt und Stellen aus der Heiligen Schrift mittels zwischen den Zeilen und an den Rändern des Textes angebrachter Auszüge aus Werken der Kirchenväter und späterer Theologen zu erhellen suchte. Petrus Lombardus’ Revisionen der Glossa zu den Psalmen und Paulusbriefen nahmen bald die Stelle des entsprechenden Materials in der ursprünglichen Glossa ein. Die Sentenzen (das lateinische Wort sententia bedeutet »Lehrsatz«, die Sentenzen sind also eine Sammlung solcher Lehrsätze) stellen die Frucht von Petrus Lombardus’ Theologieunterricht an der Schule von Notre Dame dar. Eine erste Fassung des Werkes kam im akademischen Jahr 1156/57 in Umlauf, eine zweite, leicht überarbeitete Version ein Jahr später. In den Sentenzen löste Petrus Lombardus meisterhaft das zentrale Problem der Theologie des 12. Jahrhunderts: die Aufgabe, das Gesamtgebiet der christlichen Glaubenslehre auf der Grundlage der Heiligen Schrift und der Tradition umfassend sowie klar gegliedert darzustellen. Bis zum 12. Jahrhundert hatte das christliche Denken Westeuropas zwar zahlreiche Bibelkommentare und systematische Schriften zu theologischen Einzelproblemen hervorgebracht, jedoch keine Gesamtdarstellung aller Bereiche der Theologie. Die führenden Denker des 12. Jahrhunderts rangen mit dieser Aufgabe; der Erfolg der Sentenzen ist − dies hat Marcia Colish überzeugend dargetan − darauf zurückzuführen, dass sie sich konkurrierenden theologischen Systementwürfen gegenüber als überlegen erwiesen. Die Hauptquelle der Sentenzen ist Material aus Petrus Lombardus’ Überarbeitungen der Glossa zu den Psalmen und den Paulusbriefen, gefolgt von Zitaten aus Teilen der Glossa ordinaria zu anderen Büchern der Heiligen Schrift. Die Sentenzen benutzen aber auch sehr viele aus Originalschriften geschöpfte Lehrsätze, und zwar vor allem aus Werken des heiligen Augustinus, der in den Sentenzen bei weitem am häufigsten angeführten theologischen Autorität. Eng vertraut war Petrus Lombardus darüber hinaus mit der Schrift De trinitate des Hilarius von Poitiers, mit Johannes Damascenus’ Werk De fide orthodoxa, mit Hugo von St. Viktors De
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sacramentis christianae fidei, mit Petrus Abaelards Sic et non und seiner Theologia »Scholarium«, mit der Summa sententiarum des Otto von Lucca sowie mit kanonistischem Material. Aristoteles spielt in den Sentenzen noch keine Rolle. Die wichtigste Leistung der Sentenzen bestand darin, diese Quellen synthetisierend zu einem Gesamtgebäude der Theologie zusammenzuführen. Um diese Synthese zu erreichen, bediente sich Petrus Lombardus verschiedener Strategien. Die originellste war seine Idee, die vier Bücher der Sentenzen anhand einer klassischen Unterscheidung aus Augustinus’ Werk De doctrina christiana zu gliedern: der Unterscheidung zwischen res und signum, frui und uti. Augustinus zufolge gibt es streng genommen nur eine res (»Ding«), das heißt ein Wesen, das völlig in sich ruht und nicht auf anderes hinausweist. Dies ist Gott selbst. Alles andere ist ein signum (»Zeichen«) der Gottheit und darf als solches nur »benutzt« (uti), nicht aber »genossen« (frui) werden. Als Abbild Gottes steht der Mensch zwischen Ding und Zeichen. Wir dürfen unsere Mitmenschen und uns selbst also lieben, aber nur in Gott oder um Gottes willen. Die Sentenzen bedienen sich dieser Begriffspaare, um die Hauptgebiete der Theologie gegeneinander abzugrenzen. Im ersten Buch des Werkes stehen das Wesen und die Dreifaltigkeit Gottes zur Diskussion; es geht also um das einzige Ding. Buch II befasst sich mit der Schöpfung, einschließlich der Schöpfung der Engel und des Menschen, dem Zustand des Menschen vor und nach dem Sündenfall usw. Hier stehen also Zeichen Gottes im Mittelpunkt. Das dritte Buch wendet sich der Christologie zu; Christus aber ist jenes Wesen, in dem Gott als Ding sich selbst zum Zeichen gemacht hat. Schließlich behandelt Buch IV die Lehre von den Sakramenten, also den gnadenwirkenden Zeichen Gottes. Die Sentenzen schließen mit einigen Kapiteln zur Eschatologie. Innerhalb dieses Schemas geht Petrus Lombardus so vor, dass er versucht, theologische Lehren aus dem Konsensus der Tradition zu gewinnen. Werden zu einem Thema unterschiedliche Meinungen der großen Theologen sichtbar, ergibt sich aus der Zitatensammlung ein Dissens in der Interpretation einer zentralen Schriftstelle oder kommt es gar zu Widersprüchen innerhalb der Lehre einer wichtigen Autorität wie Augustinus, dann bedient Petrus Lombardus sich eines Instrumentariums aus begrifflichen Distinktionen, das schon Abaelard im Vorwort von Sic et non kodifiziert hatte, um zu einer Lösung zu kommen. Verwenden die verschiedenen Autoren etwa ein und denselben Begriff mit variierenden Bedeutungsnuancen? Zeigt der Kontext einer schwierigen Sentenz, dass der Autor seine Lehre anders gemeint haben muss, als eine flüchtige Lektüre es erscheinen lassen mag? Manchmal aber lassen sich mit Hilfe solcher Unterscheidungen die Schwierigkeiten nicht beseitigen. In solchen Fällen weist Petrus Lombardus mit großer Bescheidenheit auf die Grenzen hin, die dem menschlichen Verständnis der Geheimnisse Gottes gesetzt sind. So schreibt er einmal im ersten Buch: Haec quaestio insolubilis est, humanum superans sensum, in qua auctoritates sibi occurrunt (»diese Frage, in der die Autoritäten sich widersprechen, ist unlösbar, da sie das menschliche Verständnis übersteigt«, Sentenzen, Buch I, d. 32, c. 1, 233).
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Eine der theologischen Hauptlehren des Petrus Lombardus hat besondere Berühmtheit erlangt: die Identifikation der Gottes- und Nächstenliebe (caritas) mit dem Heiligen Geist selbst. Seit dem 13. Jahrhundert operierten die Theologen des Mittelalters mit einem aristotelischen Natur- und Menschenverständnis, das der Schöpfung eine starke, wenn auch begrenzte, Autonomie zusprach. Deshalb kam es etwa zur Entwicklung des Naturrechtsgedankens, dem zufolge die Regeln ethischen Handelns sich den Gesetzen der Schöpfung und der Vernunft gleichsam ablesen lassen. Die theologischen Tugenden wurden als habitus beschrieben, die dem Menschen zwar von Gott eingegossen sind, aber in ihrer Struktur natürlichen Tugenden durchaus ähneln. Solcher Aristotelismus ist Petrus Lombardus fremd. Für ihn ist ethisches Handeln ausschließlich in der Nachfolge Christi möglich. Eine Naturrechtslehre kennt er nicht, und natürliche Tugenden sind für ihn theologisch ohne Interesse. Auch die Liebe Gottes und des Nächsten ist nichts, das irgendwie mit Hilfe menschlicher Strukturen erklärbar wäre. In dieser Liebe wird nach Petrus Lombardus der Mensch so vom Heiligen Geist ergriffen, dass er selbst gar nicht mehr als Handelnder erkennbar ist. Schupp hat deshalb behaupten können: »Dann sind im Grunde genommen nicht wir die Liebenden, sondern Gott selbst« (Gnadenlehre des Petrus Lombardus, 224). Mit den meisten Kommentatoren der Sentenzen hat Thomas von Aquin diese Sonderlehre abgelehnt; Zuspruch fand sie unter anderem bei Dionysius dem Kartäuser und Martin Luther. Colish, Marcia L.: Peter Lombard, 2 Bde. (BSIH 41/1–2), Leiden/New York 1994. Rosemann, Philipp W.: Fraterna dilectio est Deus: Peter Lombard’s Thesis on Charity as the Holy Spirit, in: Kelly, Thomas A. F./Rosemann, Philipp W. (Hg.): Amor amicitiae – On the Love that is Friendship: Essays in Medieval Thought and Beyond in Honor of the Rev. Professor James McEvoy, Löwen 2004, 409–436. Rosemann, Philipp W.: Peter Lombard, New York 2004. Rosemann, Philipp W.: Sacra pagina or scientia divina? Peter Lombard, Thomas Aquinas, and the Nature of the Theological Project, in: McEvoy, James/Dunne, Michael W./Hynes, Julia (Hg.): Thomas Aquinas, Teacher and Scholar, Dublin 2012, 50–70. Rosemann, Philipp W.: The Story of a Great Medieval Book: Peter Lombard’s »Sentences«, Peterborough, Ontario 2007. Philipp W. Rosemann
6. Alexander von Hales und die Summa fratris Alexandri Mit den Strömungen, die die Universität Paris und die theologische Wissenschaft in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts besonders prägten, ist der Name Alexander von Hales eng verbunden. Ebenfalls zu nennen sind hier die sogenannte »Ältere Franziskanerschule« und als herausragendes Werk die große Summa Theologiae, die unter seinem Namen läuft, aber als Werk der ganzen Schule zu gelten hat. Zunächst werden Alexander und die bekannten Protagonisten dieses
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Kreises kurz vorgestellt, dann einige Elemente von Alexanders Theologie aus den authentischen Schriften aufgezeigt, schließlich kommen Aufbau und wesentliche Gedankenschritte der Summa in den Blick. 6.1. Geschichtliches
Alexander von Hales (Halesius, Halensis) wurde um 1185 in Hales, Shropshire, heute Halesowen, geboren, erhielt die erste Ausbildung wohl in England, um dann recht bald an die Universität Paris zu gehen, der er bis zu seinem plötzlichen Tod 1245 eng verbunden blieb. Spätestens in den zwanziger Jahren des 13. Jahrhunderts wurde er magister regens der Theologischen Fakultät. Er erwies sich als politisch geschickt, vertrat die Universität bei den Auseinandersetzungen 1229/31 und bei den Aristotelesverurteilungen 1241. Vermutlich 1236 trat er dem Franziskanerorden bei und brachte seinen Lehrstuhl in den Orden mit ein. Er nahm, wie Johannes von Rupella, im Jahr 1239 am Generalkapitel teil, das den General Elias von Cortona absetzte. 1241–1242 legte er gemeinsam mit Johannes von Rupella, Odo Rigaldus und einem weiteren Theologen die Ordensregel aus (expositio quattuor) und nahm 1245 als theologischer Berater am Ersten Konzil von Lyon teil. Seine Theologie wirkte durch seine Schriften, insbesondere aber durch seine Schüler weiter. Unter den Schülern und Weggefährten steht Johannes von Rupella (Jean de La Rochelle) an erster Stelle. Er war schon Franziskaner, als er bei Alexander (wohl auch bei Philipp dem Kanzler und Wilhelm von Auxerre) studierte, erscheint später auch als magister regens der Theologie, ob anstelle von Alexander oder gleichzeitig muss offen bleiben. Er führte 1238 mit dem Bischof von Paris einen öffentlichen Disput über das Anhäufen von Benefizien durch Kleriker. An den Vorbereitungen des Ersten Konzils von Lyon war er beteiligt, starb aber schon im Februar 1245 in Paris. Sein Sentenzenkommentar ist verlorengegangen, überliefert sind u. a. eine Reihe von quaestiones, Bibelkommentare, Predigten und die Summa de anima sowie die Summa de vitiis. Zu den Schülern Alexanders zählt Odo Rigaldus (Eudes Rigaud), geboren um 1205, zwischen 1231 und 1236 in den Franziskanerorden eingetreten, 1245–1248 magister regens, ab 1248 Erzbischof von Rouen, mit König Ludwig IX. 1270 auf dem Kreuzzug nach Tunis, 1274 Teilnehmer am Zweiten Konzil von Lyon, gestorben 1275. Neben einem Sentenzenkommentar und quaestiones sind vor allem viele Predigten überliefert. Aus der nächsten Schülergeneration ist Wilhelm von Militona (Melitona, Middleton) zu nennen, der seit 1248 einen theologischen Lehrstuhl in Paris innehatte, mit Odo Rigaldus an den Talmudverurteilungen beteiligt war, dann dazu bestimmt wurde, die Summa Theologiae Alexanders zu vollenden, was ihm bis zu seinem Tod 1260 nicht völlig gelang. Bonaventura (Lebensdaten B.III.2.) bezeichnet sich selbst als einen Schüler Alexanders und wirkte an der Weiterführung der Summa durch Wilhelm von Militona mit.
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6.2. Grundlinien von Alexanders Denken nach den authentischen Schriften
Aus Alexanders Frühzeit ist ein Exoticon, eine Abhandlung über griechische Verse und Begriffe, erhalten. Der wichtigste authentische Text ist sein Sentenzenkommentar (Glossa in quattuor libros sententiarum), entstanden 1222–1227, der erst im Jahr 1946 von François-Marie Henquinet wiederentdeckt wurde und in drei verschiedenen, zum Teil stark variierenden Versionen vorliegt (Edition in vier Bden., Quaracchi 1951–1957). Weiter sind über 200 quaestiones disputatae überliefert, von denen die erste Reihe (Quaestiones ›antequam esset frater‹) durchgängig ediert ist (drei Bde., Quaracchi 1960), von den späteren nur einzelne (etwa Quaestiones disputatae de gratia, Rom 2008, Quaestiones disputatae de peccato originali, Grottaferrata 2013), sowie eine Reihe von Predigten. Eine große Zahl von Bibelkommentaren (etwa zu Hiob, Jesaja, den vier Evangelien) bezeugt intensive exegetische Arbeit. Das berühmteste Werk, die Summa, ist eine Arbeit der ganzen Schule (s. u.). Als erster magister regens der Theologischen Fakultät legte Alexander seinen Vorlesungen die Sentenzen des Petrus Lombardus zugrunde und teilte sie dazu in distinctiones ein. Reportata (»Mitschriften«) dieser Vorlesung sind als seine Glossa überliefert. Zum Ersten und Vierten Buch stellt er seinen Erklärungen jeweils einen introitus voran, wo er nach der inneren Logik, der die Sentenzen und damit die Theologie insgesamt folgen, fragt. Mit Rückgriff auf ein augustinisches Schema und dessen Übernahme durch den Lombarden beschreibt er die Einteilung: De rebus fruendis est primus liber, scilicet Trinitate et unitate. De rebus utendis, scilicet creatis, est secundus liber. De utrisque tertius, scilicet de Christo, virtutibus et praeceptis. Quartus est de signis, scilicet ecclesiasticis sacramentis. (»Von den Dingen, die zu genießen sind, handelt das erste Buch, also von der Dreifaltigkeit und der Einheit. Von den Dingen, die zu benutzen sind, also von den geschaffenen, handelt das zweite Buch. Von beiderlei das dritte, nämlich von Christus, von den Tugenden und den Geboten. Das vierte handelt von den Zeichen, das heißt von den Sakramenten der Kirche«. Glossa I Intr. n. 2 p. 1). Dann wird diese Ordnung näher ausgeführt, um schließlich (n. 8 p. 4) mit der Einteilung in opus creationis (»Werk der Schöpfung«) und opus recreationis (»Werk der Wiederherstellung«), die auf Hugo von St. Viktor zurückgeht, ergänzt zu werden. Alexanders Kommentar geht eng an den Sentenzen entlang und ergänzt sie an vielen Stellen mit weiteren Zitaten, aber auch mit durchgängigen Argumentationen. Neben Augustinus und anderen Kirchenvätern werden vor allem Anselm von Canterbury, die Glossa ordinaria, Bernhard von Clairvaux sowie Hugo und Richard von St. Viktor angeführt. Die über 200 bekannten quaestiones sind ebenfalls Hörermitschriften. Sie bestehen aus der Einleitung mit dem Gegenstand, den Gegenargumenten, mitunter einem contra, der Antwort und gelegentlich Auflösungen der Argumente. Alexanders Bibelkommentare sind bisher kaum erforscht. Smalley (The gospels, 99–196) untersuchte die Evangelienkommentare näher und datierte ihre
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Entstehung für die Zeit nach 1236. In der Auslegung zeigt sich oft eine Abhängigkeit von Hugo von St. Cher. Einen ersten Einblick ermöglicht die Edition der praefatio zum Johanneskommentar (Young, Accessus). Einige spezifische Fragestellungen können das alexandrische Denken illustrieren. Zum Personbegriff führt Alexander neben den Definitionen von Boethius und Richard von St. Viktor noch anonym eine dritte an, die möglicherweise von ihm stammt: Persona est hypostasis distincta proprietate ad dignitatem pertinente (»Person ist eine Hypostase, die durch eine die Würde betreffende Eigenheit unterschieden ist«, Glossa I d. 23 n. 9b p. 226; vgl. Summa I n. 387 p. 570). Sie findet sich auch bei Thomas von Aquin (STh I q. 29 a. 3 ad 2; Ed. Leonina 4, 331b–332a) wieder (vgl. Hufnagel, Die Wesensbestimmung; Kobusch, Die Entdeckung, 23–31; Weber, Sünde und Gnade, 126–131). Zur Bestimmung des Gewissens findet sich in der Glossa (II d. 40 n. 1) eine ausführliche Abhandlung. Alexander unterscheidet zwischen conscientia und synderesis (Schreibweise der Glossa) und bestimmt zunächst letztere als die scintilla conscientiae (»Gewissensfunken«), als einen habitus connaturalis (»ein der Natur nahes Gehaben«), der zur Vernunft gehörig über ihr steht und das Handeln zum Guten hinführt. Die synderesis ist stets auf das Gute hingeordnet, während die conscientia, die in einer späten quaestio eigens behandelt wird, gut oder böse ausgerichtet sein kann (vgl. Lottin, Psychologie et morale II/ 1, 174–187. 676– 677; Weber, Sünde und Gnade, 107–117). Die Motive der Inkarnation werden im Lauf der Theologiegeschichte noch mit großem Interesse untersucht werden. Die Erlösung geschieht in der Menschwerdung, in der Einigung von Gott und Mensch. Congruentissime in persona Filii facta est unio (»Aufs höchste angemessen geschah die Einigung in der Person des Sohnes«, Q. de incarnatione, q. 15 n. 72; tom. I, 216). Dabei wäre die Inkarnation auch ohne Sünde als Höhepunkt des göttlichen Schöpfungsplanes sinnvoll. Alexander (und in seiner Folge die Summa) argumentiert hier mit der Konvenienz. Aus der Argumentation lässt sich aber nicht sagen, ob die Menschwerdung für Alexander auch ohne Sünde notwendig gewesen wäre oder nicht (vgl. Principe, Alexander, 82–86; Venicio, Das Alte Testament, 49–50; Weber, Sünde und Gnade, 269–278). 6.3. Grundlinien der Summa fratris Alexandri
Die Summa Theologiae (Summa fratris Alexandri, Summa Halensis) galt über Jahrhunderte als das eigentliche Hauptwerk Alexanders. Sie wurde oftmals gedruckt. Als 1924 der erste Band der kritischen Edition erschien, wurden die Einheit des Werkes und die Autorenschaft trotz bereits bekannter Zweifel vehement verteidigt (Summa tom. I, xxvii–xxviii). Die wissenschaftliche Diskussion wurde immer heftiger, bis mit dem vierten Band 1948 als eigener Faszikel ausführliche, von Victorin Doucet verfasste, Prolegomena ausgeliefert wurden, die der These Rechnung tragen, dass die Summa das Werk einer ganzen Schule ist, und
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die für die ersten drei Bücher eine Quellscheidung versuchen. Alexander kann als Autor stehen bleiben, er hat wohl das Werk begonnen und vielleicht den Aufriss vorgegeben. Von den Argumentationen geht aber nur ein Teil auf ihn zurück. Die Summa kann daher insgesamt nicht und auch in Teilen nur mit Vorbehalt als authentischer Niederschlag des halensischen Denkens betrachtet werden. Vielmehr hat sie als eigene Traditionsstufe zu gelten. Nach Alexanders Tod blieb die Arbeit zunächst liegen und wurde mit päpstlicher Bulle Wilhelm von Militona übertragen, der einige Teile zu den ersten drei Büchern (lib. I n. 514–518; n. 333; ev. n. 262; lib. II n. 427–523) und das Vierte Buch bis zur Frage über den Nutzen der Almosen anfügte. So blieb sie nach seinem Tod unvollendet liegen. Für viele quaestiones konnten Quellen ausfindig gemacht werden. Sie stammen von Alexander, Johannes von Rupella, Odo Rigaldus, anonymen Autoren, Philipp dem Kanzler, Wilhelm von Auxerre und später von Wilhelm von Militona und Bonaventura. Als Endredaktoren werden in den Prolegomena Johannes von Rupella (Inquirens) für das Erste und Dritte, ein anonymer Compilator (fr. Considerans) für das Zweite und Wilhelm von Militona für das Vierte Buch benannt. Die Summa wurde nach 1235 begonnen, lag 1245 großteils vor, wurde so auch kopiert. Die Weiterführung erfolgte erst nach 1255, die heutige Gestalt hat sie seit spätestens 1260 (vgl. Prolegomena cccliv–ccclxx): Liber primus (Tom. I) Tractatus introductorius – A. De Unitate et Trinitate Deitatis ordinata ad credulitatem cordis: 1. De substantia divinae Unitatis; 2. De pluralitate divinae Trinitatis – B. De Unitate et Trinitate Deitatis ordinata ad confessionem oris: 1. De divinis nominibus in generali; 2. De divinis nominibus in speciali. Liber secundus A. Prima pars (Tom. II): 1. De creatura in communi; 2. De angelis; 3. De creatura corporali; 4. De homine – B. Secunda pars (Tom. III): 1. De malo; 2. De peccato angeli et hominis; 3. De peccato veniali et mortali. Liber tertius (Tom. IV) A. De Verbo incarnato – B. De legibus et praeceptis: 1. De lege aeterna; 2. De lege naturali; 3. De lege Moysi; 4. De lege Evangelica – C. De gratia et virtutibus: 1. De gratia; 2. De fide formata.
Einführende Abhandlung – A. Einheit und Dreifaltigkeit Gottes hingeordnet auf den Glauben des Herzens: 1. Das Wesen der göttlichen Einheit; 2. Die Vielfalt der göttlichen Dreifaltigkeit – B. Einheit und Dreifaltigkeit Gottes hingeordnet auf das Bekenntnis des Mundes: 1. Die Namen Gottes im allgemeinen; 2. Die Namen Gottes im besonderen. A. Erster Teil: 1. Die Geschöpfe im allgemeinen; 2. Die Engel; 3. Die körperlichen Geschöpfe; 4. Der Mensch – B. Zweiter Teil: 1. Das Böse; 2. Die Sünde des Engels und des Menschen; 3. Lässliche Sünde und Todsünde.
A. Das fleischgewordene Wort – B. Gesetze und Gebote: 1. Das ewige Gesetz; 2. Das natürliche Gesetz; 3. Das Gesetz des Mose; 4. Das Gesetz des Evangeliums – C. Gnade und Tugenden: 1. Die Gnade; 2. Der geformte Glaube.
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Liber quartus (in der kritischen Edition nicht enthalten, hier nach der Ausgabe Venedig 1576) De sacramentis in generali – De Die Sakramente im allgemeinen – Die sacramentis legis naturae et legis Moysi Sakramente unter dem natürlichen Gesetz – De sacramentis Evangelicis: in generali; und dem Gesetz des Mose – Die Sakramente De sacramento baptismi; De sacramento des Evangeliums: im allgemeinen; Das Sakraconfirmationis; De sacramento eucharisti- ment der Taufe; Das Sakrament der Firmung; ae; De paenitentia. Das Sakrament der Eucharistie; Die Buße.
Anhand einiger Themen soll ein Einblick in die Theologie der Summa gewonnen werden. Der tractatus introductorius (»erste Abschnitt«), zurückgehend auf Alexanders Quaestio de theologia, gibt Aufschluss über das Selbstverständnis der doctrina, die an der Theologischen Fakultät gelehrt wird. Die Theologie ist eine Wissenschaft, weil sie sich mit der causa causarum (dem »Grund aller Gründe«), mit Gott befasst. Weil sie aber perficit animam secundum affectionem, movendo ad bonum per principia timoris et amoris, proprie et principaliter est sapientia (»die Seele durch die Affekte vervollkommnet, indem sie diese durch die Grundlagen der Furcht und der Liebe zum Guten führt, ist sie eigentlich und grundsätzlich Weisheit«, Summa lib. I n. 1 p. 2). In der Summa findet sich in der Abhandlung über den Glauben an Gott erstmals die Unterscheidung von Traktaten über den einen Gott (De substantia divinae Unitatis) und über die Dreifaltigkeit (De pluralitate divinae Trinitatis), die gemeinsam den ersten Teil der Gotteslehre darstellen. Den beiden als Ausdruck der fides cordis (»Herzensglauben«) stellt Alexander die confessio oris (»Bekenntnis des Mundes«) gegenüber (vgl. Gössmann, Metaphysik und Heilsgeschichte, 323–370). Die Frage über das Motiv der Inkarnation ist ausgehend von Alexander in der Summa weiterentwickelt. Auch ohne Sünde wäre die Menschwerdung angemessen (convenientia ad incarnationem), und zwar deshalb, weil sie auf die assumptio et unibilitas ad Deum der menschlichen Natur (»ihre Erhebung und Vereinbarkeit mit Gott«) abzielt, die durch den Sündenfall für den Menschen verwirkt war (Summa lib. III n. 23 tom. IV p. 41–42). Die Gnadenlehre (Summa lib. III n. 606–672) speist sich großteils aus Texten des Johannes von Rupella. Sie findet sich nicht, wie bei Petrus Lombardus, im Kontext der Urstandslehre, und auch anders als bei Thomas von Aquin nach der Christologie und der Lehre von den Geboten im Dritten Buch. Die gratia gratis data (»frei gegebene Gnade«) ist als gratia increata (»ungeschaffene Gnade«) mit dem Heiligen Geist identisch, also mit der Liebe, mit der Gott sich den Menschen zuwendet, als gratia creata (»geschaffene Gnade«) sind die Gaben angesprochen, in denen sich diese Liebe im Menschen konkretisiert. Wie diese Gnade sich im einzelnen auswirkt und wie sie den in Sünde gefallenen Menschen wiederaufrichtet, dazu werden ausführliche begriffliche Differenzierungen erarbeitet (vgl. Auer, Die Entwicklung der Gnadenlehre, 2 Bde.).
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6.4. Von Alexander zu Thomas
Thomas von Aquin könnte Alexander gekannt haben, es ist aber nicht wahrscheinlich, dass er, der ab 1244 in Paris sich zunächst den artes widmete, beim Halenser studierte, auch wenn es eine auf Johannes Gerson zurückgehende Tradition (vgl. Fuerst, An Historical Study, 22–23) in diesem Sinne gibt. Albertus Magnus folgt Alexander in vielem. Namentlich Alberts Summa weist starke Verbindungen zur Summa fratris Alexandri auf. Über ihn vermittelt lassen sich auch die Verbindungen zur Summa Theologiae des Thomas erklären (vgl. Gorce, Le problème de trois Sommes). Fornaro, Italo: La teologia dell’immagine nella Glossa di Alessandro d’Hales (TDL.T NS 11), Löwen 1985. Gössmann, Elisabeth: Metaphysik und Heilsgeschichte. Eine theologische Untersuchung der Summa Halensis (Alexander von Hales) (MGI, Sonderband 1), München 1964. Horowski, Aleksander: La »visio Dei« come forma della conoscenza umana in Alessandro di Hales. Una lettura della »Glossa in quatuor libros Sententiarum« e delle »Quaestiones disputatae« (BSC 73), Rom 2005. Venicio, Marcolino: Das Alte Testament in der Heilsgeschichte. Untersuchung zum dogmatischen Verständnis des Alten Testaments als heilsgeschichtliche Epoche nach Alexander von Hales (BGPhMA NF 2), Münster 1970. Weber, Hubert Philipp: Sünde und Gnade bei Alexander von Hales. Ein Beitrag zur Entwicklung der theologischen Anthropologie im Mittelalter (IThS 63), Innsbruck 2003. Hubert Philipp Weber
7. Avicenna und Averroes 1. Abū ‘Alī al-H.usayn ibn Sīnā, lateinisch Avicenna, wurde 980 nahe Bukhāra geboren und starb 1037 in Hamadān. Er erzählt in seiner Autobiographie, dass ihm, weil er schon mit achtzehn Jahren in Logik, Physik und Mathematik erfahren war, allein die Metaphysik des Aristoteles zu erforschen übrig geblieben sei; zu deren Verständnis sei er dank eines Kommentars von al-Fārābī († 950, lateinisch Alfarabi) gelangt. Als Arzt am Hof des samanidischen Sultans von Bukhāra verließ er auf Grund der politischen Instabilität Zentralasiens früh seine Heimatstadt und verbrachte sein Leben damit, seine ärztlichen Dienste verschiedenen Gönnern anzubieten, in Rayy, in Hamadān (wo er auch vizir wurde) und in Is.fa han, unter den Buyiden einem blühenden kulturellen Zentrum. Ihm wurden von der Forschung hunderte von Werken über verschiedene Gegenstände zugeschrieben. Hierunter befinden sich solche in persischer wie in arabischer Sprache. Bei mehreren ist die Zuschreibung schwierig oder zweifelhaft. Unter Avicennas Werken sind zwei äußerst berühmt: Der Kanon der Medizin, eine Summe des Wissens der Zeit, vermehrt um eigene Beobachtungen Avicennas, mit welchem er den Westen bis ins 17. Jahrhundert beeinflusste, und das
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Buch der Heilung [von der Unwissenheit], in welchem er das Denken des Aristoteles in Form einer Enzyklopädie der Wissenschaften der Logik, Physik, Mathematik und Metaphysik aufnimmt. Sein anderes großes philosophisches Werk ist das Buch der Anzeichen und der Hinweise, in dem er die peripatetische Idee in einer eher personalen Weise bearbeitete. Zu seinen Quellen werden, außer Aristoteles, die sogenannte theologia Aristotelis, die griechischen Kommentatoren, Plotin und, natürlich, al-Fārābī gezählt. Fundament von Avicennas Ontologie und Kosmologie bleibt die bekannte Unterscheidung zwischen Essenz und Existenz und folglich zwischen notwendigem Sein und möglichem Sein. Während von al-Fārābī die Existenz als ein zur Essenz hinzugefügtes Akzidens betrachtet wurde, behauptete Avicenna die Ursprünglichkeit der Existenz: Die Tatsache der Existenz ist die erste erworbene Gewissheit des Menschen, die niemand bestreiten kann, nicht einmal wenn er schläft oder betrunken ist. Avicenna zeigte dies durch das als »der fliegende Mensch« bekannte Argument: Stellen wir uns vor, in der Luft zu schweben, ohne unseren Körper sehen zu können und ohne dass die Glieder sich berühren: wir wären gleichwohl nicht in der Lage, nicht zu erkennen, dass wir existieren. Gemäß Avicenna vollzieht sich die Wahrnehmung durch die Seele; diese ist ein individuelles Vermögen, das den Körper lenkt und mit der Essenz des Menschen zusammenfällt. Sie ist geschaffen, immateriell und unabhängig vom Körper (und daher dazu bestimmt, nach dem Tod zu bestehen). Die Existenz keiner der Erfahrung zugänglichen Essenz besitzt in sich selbst die eigene Bestimmung des Seins. Sie entstammt, ist sie mit Essenz verbunden, einem Sein, in dem die Essenz mit der Existenz zusammenfällt, das vollkommen einfach ist, wirklich und daher notwendig. Zu ihm steigen alle anderen, kontingenten Seienden empor; diese absolute Einheit, undefinierbar und unbeweisbar, wird von der Religion »Gott« genannt. Daher wird Gott von Avicenna im Verhältnis zu den Geschöpfen statt als erster Beweger als erste Ursache betrachtet, und genaugenommen als Wirkursache, die das Sein an das überträgt, was – solange es vom Grund getrennt ist – nicht darüber verfügt. Dies zeigt an, dass der Grund dem Gegenstand immer gleichzeitig ist und mit ihm zugleich besteht; daher besteht die Welt schon immer, weil ihr Sein ab aeterno von Gott bewirkt ist. Avicenna erklärt die Existenz der Schöpfung nicht, wie der Koran es vorgibt, mit dem Willen Gottes, sondern mit der Emanation, die allein die Unveränderlichkeit des ersten Seins gewährleistet. Er führt die religiösen Anliegen zu ihrem Ziel, um die ontologische Differenz zwischen Gott und der Schöpfung hervorzuheben. Wie al-Fārābī, setzt Avicenna eine supralunare Welt voraus, die neun Hauptsphären umfasst, jede verbunden mit einer körperlosen Intelligenz, die sie bewegt. Aber weil die Idee der Emanation sich auf die Formel ex uno non fit nisi unum gründet, musste er die Vervielfältigung in der sublunaren Welt erklären. Hierzu führte er eine Abstufung ein, die bei al-Fārābī fehlte. Dies war möglich, weil die unkörperlichen Entitäten, die auf die erste Ursache zurückgehen, vielge-
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staltiges Denkvermögen haben. Von der ersten Intelligenz geht, insofern sie die erste Ursache zum Gegenstand des Denkens hat, eine zweite Intelligenz aus; insofern sie sich selbst als notwendigerweise von der ersten Ursache her existierend denkt, geht die Seele aus der äußersten Sphäre hervor; und insofern sie sich selbst als in sich möglich denkt, geht auch der Körper aus der äußersten Sphäre hervor. Ganz ähnlich bringt die zweite Intelligenz in dreifachem Denken die dritte Intelligenz und die Seele und den Körper der zweiten Sphäre hervor. So setzt es sich bis zur zehnten Sphäre, dem intellectus agens, der unsere Seelen lenkt, fort. Der Verlauf geht nicht bis ins Unendliche weiter, denn nicht alle Intelligenzen geben, selbst wenn sie die gleichen Hinsichten enthalten, Raum für die gleichen Wirkungen: Indem die eine Schritt für Schritt aus der anderen hervorgeht, schwindet ihre Kraft, und der intellectus agens ist nicht mehr in der Lage weitere Entitäten hervorzubringen. Jedenfalls gibt es eine gewisse Symmetrie mit dem skizzierten Schema, weil der intellectus agens zugleich die emanierende Ursache der Materie wie der sie gestaltenden natürlichen Formen und Ursache der Verwirklichung des menschlichen Verstandes ist. Die Materie erhält die Formen vom intellectus agens gemäß seinen verschiedenen Vorprägungen; je vollkommener die Mischung ist, desto vollkommener auch die Form, die in sie eingegangen ist. Auf der untersten Ebene hindert die Widerständigkeit der Qualität die Elemente daran, Leben zu empfangen. Aufsteigend erlangt die Materie durch Einfluss der Himmelsbewegungen jene Homogenität, die ihr die Annahme immer vollkommenerer belebter Formen erlaubt. Avicenna stellt seiner Kosmologie eine Engelslehre an die Seite. Immer auf der Basis des oben erwähnten Emanationsschemas, nimmt er eine dreifache Hierarchie der Engel an: 1) die Cherubinen oder reinen Verstandeswesen; 2) die Engel, die die himmlischen Sphären bewegen; 3) die irdischen Engel, also die menschlichen Seelen, die die Körper lenken. Die Engel schaffen die Verbindung von Gott und Welt, und nehmen Körper an. Auf diese Weise, richten sie es so ein, dass die Seelen, wenn sie sich als solche wiedererkennen, sich wieder auf den Weg zu ihrem Ursprung machen. Genaugenommen gibt es für jeden Menschen zwei Engel: einen zu seiner Rechten, der die höhere Welt der Urbilder schaut und die Gebote weitergibt; den anderen, zu seiner Linken, der sie in Schrift fasst (das heißt ein Engel, der den Körper lenkt und einen anderen, der bewirkt, dass der Körper die Anweisungen des ersten ausführt). Auch die Bewegung des Himmels folgt dem von den Engeln in die Sphäre eingeflößten Begehren, sich mit dem Verstand wiederzuvereinen, aus dem sie hervorgegangen sind. Für Avicenna geht der Weg zur Erkenntnis über vier Stufen: 1. die sinnliche Wahrnehmung, 2. die Vorstellungskraft, die von der Materie, aber nicht von den Bedingungen der Wahrnehmung gelöst ist; 3. das beurteilende Erfassen, das einzelne, sinnlich nicht wahrnehmbare Ideen herausschält; 4. das intelligible Verstehen im eigentlichen Sinn, also das Erfassen des Allgemeinen. Hiernach können die intelligiblen Formen nicht vom Denkvermögen gedacht werden; insofern es ein physisches Vermögen im Gehirn gibt, sind sie als »Geschenke« des intellectus
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agens zu betrachten, Die Vorstellungskraft zeigt dem menschlichen Verstand die Formen und bereitet darauf vor, ein derartiges Geschenk zu empfangen. Avicenna entwickelte zudem eine vierfache Bestimmung des Verstandes, welche schon al-Kindī († ca. 875) und al-Fārābī vorbereitet hatten. Er postuliert: 1) einen möglichen Verstand, also die reine Fähigkeit des Denkens; 2) einen dispositiven Verstand, der die ersten intelligiblen Entitäten erkennt, also die a priori gegebenen Begriffe und die Axiome; 3) einen Verstand im Akt, der auch die abgeleiteten Begriffe erfasst; und 4) einen erworbenen Verstand, in dem sich die vernünftige Seele als vollkommen weise verwirklicht. Ihnen ist als leitendes Prinzip der actus agens an die Seite gestellt. Bemerkenswerterweise passt die Bezeichnung »erworben« vollkommen zu einem derartigen Verstand, weil der mögliche Verstand dank der Verbindung mit dem intellectus agens, von welchem er die Form erhält, auf den Akt bezogen ist. In dieser Phase ist das Denken vollkommen an die Seele angeglichen, die keiner Bilder mehr bedarf, um eine solche Verbindung herzustellen. Die Verbindung mit dem intellectus agens vollzieht sich nach Avicenna immer dann, wenn ein Gedanke im Modus der Verwirklichung gedacht wird. Nach dem Tod verschmilzt der menschliche Verstand mit dem intellectus agens zu einer einzigen Substanz, und der menschliche Verstand enthält in sich die ganze Existenz nach der intelligiblen Ordnung. Der Tod des Körpers bringt darum nicht den der Seele mit sich. Die Gedanken sind unteilbar und können so allein einem unteilbaren, also körperlosen und darum seinerseits unsterblichen Subjekt einwohnen. Die Reife des Verstandes trägt aber entscheidend zur Erreichung der Unsterblichkeit bei. Am seligsten ist jene Seele, die im irdischen Leben eine vollkommene Ausrichtung auf das geistige Denken erlangt hat. Schon da konnte sie ohne die Sinne auskommen und nach dem Tod des Körpers bewahrt sie jene Ausrichtung, kommt in vollkommene Gemeinschaft mit dem intellectus agens und genießt ewiges Vergnügen. Die Seelen befinden sich, je nach dem erzielten Grad der Ausrichtung auf das Denken, auf unterschiedlichen Stufen. Wenn eine Seele auf der niedersten Stufe der Erkenntnis verharrt, welche zur Erlangung der Glückseligkeit im zukünftigen Leben notwendig ist, sie aber immerhin so weit gekommen ist, intellektuelle Tätigkeiten zu vollziehen, leidet sie nach dem Tod des Körpers, weil sie die Grundsätze der Wissenschaft nur durch ihn erwerben konnte; Avicenna sagt nicht, ob ein solches Leiden etwa dadurch abgemildert werden kann, dass ein Minimalzustand der Disposition zur Verbindung mit dem intellectus agens gelangen wird. Schließlich gibt es auch »einfache« Seelen, die keine Kenntnis der geistigen Freude haben; deshalb können sie sich über die Verbindung mit dem intellectus agens nicht freuen, werden aber auch nicht leiden. Mit einer anderen Vorstellung vom Jenseits stand Avicenna religiösen Konzepten näher, insofern er das Schicksal der Seele im Verhältnis zum sittlichen Verhalten bestimmt; aber während der Schmerz über die fehlende Verbindung mit dem intellectus agens für immer dauert, wird jener der Seelen, die ein unmoralisches Leben geführt haben, mit dem Zerfall des Körpers langsam weniger werden.
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Avicenna beschrieb den Weg der Seele zur vollkommenen Erkenntnis mit Worten, die einige Forscher zu der Annahme führten, dass er über die aristotelische Philosophie hinaus eine »höhere« Weisheitslehre mystischer Art angenommen habe. Sie wurde lange mit der sogenannten »östlichen Philosophie« identifiziert, die allerdings entweder zu großem Teil verlorengegangen ist oder vielleicht auch niemals geschrieben wurde. Tatsächlich hat Avicenna sich nie von der Idee einer Erkenntnis auf vernunftgemäßer Grundlage gelöst, auch wenn er verschiedene Wege zu ihrer Beschreibung gewählt hat. Die »östliche Philosophie« dürfte wohl eher eine neue Darlegung der philosophischen Wissenschaft gewesen sein, in welcher Avicenna den Rahmen des Aristotelismus ausdrücklich überschritt. Im Vorwort der überkommenen Logik der Orientalen wird nämlich bekräftigt, dass solche Wissenschaften auch »auf einem anderen Weg als dem der Griechen« begriffen werden können und dass das, was die Griechen Logik nennen, »bei den Orientalen einen anderen Namen« haben könne. Daher hat man angenommen, dass die »orientalische Philosophie« eine Antithese zum griechischen Denken dargestellt habe oder in ihm über die bloße geographische Zuordnung hinaus die Reste persischen Denkens aufgenommen worden seien. Corbin vertrat gegen Nallino die Ansicht, dass hier ein Vorgänger der aufklärerischen Philosophie Sohravardīs zu finden sei; nach Goichon ist die »orientalische Tradition« jene Wissenschaft, die, experimenteller als das Wissen der Griechen, Korrekturen an der Logik und vielleicht an der Metaphysik des Aristoteles vornahm. Es gibt auch die Vermutung, dass sie in die sogenannten »mystischen Traktate« eingegangen sei, die allegorisch den Weg der Seele zu Gott beschreiben; darin wollte man die eigene Philosophie von Avicenna entdecken, »orientalisch« im Vergleich zu der des Aristoteles, deren Widersprüche, wie sie in der theologia dem Stagiriten zugeschrieben wurden, er vielleicht überwinden wollte. Gutas, der nachdrücklich die wörtliche Bezeichnung »Philosophie der Orientalen«, also der in Zentralasien arbeitenden Schüler Avicennas betont, erkannte in dieser Philosophie die Anwendung einer auf »Intuition« beruhenden Erkenntnismethode. So wird die höhere, auf der Idee der »Schärfe« (gr. ἀγχίνοια, ar. dhakā’) gegründete Form der Vernünftigkeit behandelt. Wer die Intuition besitzt, begreift alle Begriffe und Beweise (besonders den Syllogismus), ohne den logischen Verfahren auszuweichen, ohne Mühe auf einem schnelleren Weg, als das bei der Menge an Regeln möglich wäre. Über Intuition verfügten vor allem die Propheten, denen Avicenna ein besonderes darstellendes Vermögen zuschreibt, welches fähig ist, Bilder und Urbilder aus dem intellectus agens zu empfangen. Aber er meinte, dass der Prophet auch die sich aus allgemeingültigen Beweisen ergebende Wahrheit kenne, die sich ihm aber nicht aufgrund des üblichen wissenschaftlichen Vorgehens erschließe, sondern mittels der »Intuition«. Ihm wird darum ein »heiliger Verstand« zugeschrieben. Durch ihn ist er dauerhaft mit dem intellectus agens verbunden. 2. Abū ’l-Walīd Muh.ammad ibn Rushd, lateinisch Averroes, im westlichen Mittelalter der berühmteste muslimische Denker, wurde 1126 in Cordoba geboren.
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Er wirkte am almohadischen Hof von ‘Abd al-Mu’min, Abū Ya‘qūb und Ya‘qūb al-Mans.ūr, sowohl als Philosoph als auch als Jurist und Arzt. Nachdem er um 1195 wegen seiner Ideen angefeindet und nach Lucena verbannt worden war, wurde er später wieder in seine Aufgaben am Hof eingesetzt. Er starb 1198 in Marrakesch. Averroes war im ganzen Westen besonders für seine Kommentare zu fast dem gesamten Werk des Aristoteles (einschließlich Platons Politeia für die Politiktheo rie) berühmt, die auch ins Lateinische und Hebräische übersetzt wurden. Dabei gibt es drei Arten: 1) die sogenannten »kurzen Kommentare«, die in Wirklichkeit Auszüge darstellten, in welchen Averroes seine eigenen Ideen herausstellte; 2) die mittleren Kommentare, Paraphrasen der aristotelischen Werke, und 3) die langen Kommentare, die eigentlichen systematischen Erläuterungen. Man meint, dass Averroes sich besonders in den Kommentaren frei gefühlt habe, seine eigene philosophische Meinung auszudrücken. Das wichtigste Bedürfnis des Averroes ist die Rechtfertigung der Philosophie. Ihr hat er den Entscheidungstraktat gewidmet, in welchem er die Frage vom juristischen Standpunkt aus angeht. Nach ihm gibt es im Koran ständige Einladungen an den Menschen, über sich selbst und die Welt nachzudenken. Da die beste Erkenntnisform die beweisende ist, folgt, dass das heilige Buch dem Menschen nicht allein empfiehlt, sich mit der Philosophie zu beschäftigen, sondern ihm dies verpflichtend vorschreibt. Diese Verpflichtung betrifft aber nicht alle, sondern allein diejenigen, die die Stufe erlangt haben, die nötig ist, um philosophische Beweise zu verstehen. Es gibt drei verschiedene Ebenen der Mitteilung: die philosophische, die dialektische – typischerweise die der Theologen – und die rhetorische, typischerweise die der Masse. Diese Mitteilungsebenen finden sich auch im Koran, wo es neben Versen mit einem für alle verständlichen Sinn Verse gibt, die trotz eines klaren Wortlautes von dem, der hierzu im Stande ist, allegorisch ausgelegt werden müssen, und »dunkle« Verse, für die man nicht mit Sicherheit entscheiden kann, ob sie wörtlich oder übertragen zu verstehen sind. Aufgrund einer mutigen Lesart von Sure III, 7 behauptet Averroes, dass »die Menschen mit sicherem Wissen«, also die Philosophen, ebenso wie Gott die wahre Bedeutung der dunklen Verse des Korans erkennen. Anders gesagt, sie haben das Recht zur allegorischen Interpretation, ohne dass ihre Auslegungen aufgrund eines Gegensatzes zu denen der Juristen des Abfalls vom Glauben bezichtigt werden. Selbstverständlich gibt es nur eine Wahrheit. Daher gibt es für die Vorstellung von Averroes als einem Theoretiker einer »doppelten Wahrheit«, die im Westen gepflegt wurde ( B.II.4.), keine Grundlage. Er strebte im Gegenteil danach, die Rechtgläubigkeit zu sichern (dabei gehörte er zur strengen malikitischen Rechtsschule, die die Tradition des Zeitraums des Propheten in Medina bevorzugte). Auch die beiden anderen Anschuldigungen, die im lateinischen Mittelalter vorgebracht wurden (nämlich die Behauptung der Ewigkeit der Welt und die Bestrei-
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tung der Unsterblichkeit der Seele), entbehren, wie unten dargelegt wird, jeglicher Grundlage. Für Averroes kommt die Offenbarung als Erkenntnisquelle der Vernunft nicht gleich (und es ist unmöglich, dass es »engelartige« Menschen gibt – die Propheten –, die ohne Studium Inhaber wissenschaftlicher Erkenntnis sind); aber die Behauptungen der Schrift stehen, in rechter Weise interpretiert, in Einklang mit den Thesen der Philosophen. Averroes schrieb daher Die Widersprüchlichkeit der Widersprüchlichkeit der Philosophen als Entgegnung auf den berühmten rechtgläubigen Theologen al-Ghazālī († 1111), der in Die Widersprüchlichkeit der Philosophen deren zwanzig Fehler notiert hatte, von denen er drei als ungläubig beurteilte: die Auffassung von der Ewigkeit der Welt; die Zuschreibung der alleinigen Erkenntnis der Universalien an Gott und die Leugnung der leiblichen Auferstehung. Die erste These beantwortete Averroes, indem er sie auf eine bloße Frage der Bezeichnung beschränkte: die Philosophen stimmen hinsichtlich der Existenz von Seienden insofern überein, als es einerseits solche Entitäten gibt, die Ergebnis einer Wirkursache und aus Materie gemacht sind (erneuerte Entitäten), und andererseits solche, die nicht aus Nichts gemacht sind, nicht aus Nichts hervorgegangen und nicht irgendeiner Zeit vorausgegangen sind (ewige Entitäten). Aber es gibt ein Sein, das nicht aus einer präexistenten Materie gemacht worden ist und nicht irgendeiner Zeit voranging, sondern Ergebnis eines Urhebers ist: die Welt in ihrer Gesamtheit. Je nach Einsicht in die Ähnlichkeit mit der ersten oder mit der zweiten Art von Entitäten nennen einige die Welt »erneuert«, die anderen »ewig«. Das was Averroes interessiert, ist jedoch, dass anerkannt wird, dass die Welt ihren Grund nicht in sich selbst hat, sondern dass sie ihre Grundlage in Gott hat; im Übrigen sagt auch der Koran nie, dass die Welt aus Nichts und in der Zeit geschaffen wurde. In Bezug auf den zweiten Punkt hat es für Averroes keinen Sinn, sich zu fragen, ob Gott allein die Universalien kennt oder auch die einzelnen Dinge: Eine solche Unterscheidung hat ihren Ursprung im menschlichen Verstand. Aber die göttliche und die menschliche Erkenntnis sind grundlegend verschieden: Diese ist ein Ergebnis der Wirklichkeit, jene die Ursache; deshalb sind sie nicht zu vergleichen. Gott kennt sehr wohl die einzelnen Dinge (sonst wären die Grundsätze des Korans wie zum Beispiel das Endgericht nicht einsehbar), aber auf unaussprechliche Weise. Zum dritten Punkt gibt der Koran keine klare oder eindeutige Auskunft, daher muss er ausgelegt werden. Wahrscheinlich nahm Averroes auch im Jenseits ein körperliches Dasein an, aber ohne eine Wiederherstellung der irdischen Körper zu behaupten. In der Widersprüchlichkeit der Widersprüchlichkeit hat Averroes auch eine Sicht der Prophetie entwickelt, die stärker mit der Religion im Einklang steht. Der Prophet leitet in moralischen Fragen die Menschen an, die unfähig sind, den Verstand zu gebrauchen, und er dient für sie auch als Quelle zur Erkenntnis Gottes, der Engel und der Seligkeit. Der Koran ist die beste der Schriften.
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Averroes meint, dass die Vermischung von Philosophie und Religion im Denken seiner Vorläufer sowie die Verunreinigung des Aristoteles durch neuplatonische Ideen die Wirkung des Stagiriten auf die Wahrheitserkenntnis geschwächt haben könnte. Der Versuch, den wahren Aristoteles wiederzugewinnen, brachte es mit sich, dass er sich von recht originellen Thesen seiner Vorläufer, wie dem kosmologischen Modell al-Fārābīs oder Avicennas Unterscheidung von Essenz und Existenz, wieder abwandte, um sie durch die klassische aristotelische Lehre von Gott als Ursache der Bewegung und den Substanzen als erste Grundlage des Seins zu ersetzen. Ein sehr wichtiger Punkt im Denken des Averroes war seine Lehre der Verstandesarten, welche er im Laufe seines Lebens wesentlichen Veränderungen unterzog. Auch wenn sich Averroes’ Meinung zur Rolle des intellectus agens als Ursache der sublunaren Existenz nach und nach gewandelt hat, hat er ihn doch stets als eine körperlose Substanz verstanden, die die menschliche Seele übersteigt und an der Spitze der Hierarchie der Intelligenzen steht. Er versuchte den Zusammenhang dieses Verstandes mit dem möglichen (oder materiellen) Verstand, dem intellectus possibilis, so genau wie möglich zu klären. Dabei bewegte er sich auf der Linie, auf welcher Aristoteles, al-Kindī, al-Fārābī und Avicenna gesehen hatten, dass jeder Mensch über einen eigenen möglichen Verstand verfüge, um durch ihn Erkenntnis (und damit die Glückseligkeit) zu erlangen. Von Alexander von Aphrodisias und Themistius war er mit einer Veranlagung beziehungsweise einer Substanz identifiziert worden. Anfangs teilte Averroes die Einstellung von Alexander (und von seinem Vorgänger Ibn Bājja), dass der materielle Verstand eine Veranlagung des Denkens sei. Später entschied Averroes sich für eine mittlere Position, indem er den materiellen Verstand als das verstand, was aus der Verbindung einer menschlichen Veranlagung mit einem körperlosen Verstand, also dem intellectus agens, der das menschliche Denken tätig macht, hervorgeht. Auf diese Weise erreicht der materielle Verstand eine Stufe, auf der er etwas zu denken vermag, das anders als er selbst ist, nämlich die materiellen Gegenstände. Wenn der intellectus agens nicht mit der menschlichen Veranlagung verbunden ist, bleibt diese ein tatsächlicher Verstand, der sich selbst zum Gegenstand hat. Noch später verstand Averroes den materiellen Verstand als eine einzelne körperlose und ewige Substanz, die in der Hierarchie unmittelbar unter dem intellectus agens liegt. Er erlangt durch die Gegenstände des Denkens sowohl den ewigen Anblick des theoretischen menschlichen Denkens als auch den intellectus agens, der sich folglich mit ihm verbindet. Die Aktualisierung des Denkens im Menschen ist einem vom intellectus agens ausströmenden Licht vergleichbar; dieser wirkt durch das Vorstellungsvermögen wie auch, aufgrund eines Willensaktes der menschlichen Seele, durch den materiellen Verstand. So kann der intellectus agens aufgrund der Verbindung des materiellen Verstandes mit der Vorstellungskraft der einzelnen Individuen zum Gegenstand des menschlichen Denkens werden: Auf diese Weise erklärt sich die
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Verbindung des menschlichen Verstandes mit dem intellectus agens. In diesem Stadium trägt der menschliche Verstand den Namen »erworbener Verstand«. Es vollzieht sich die Vereinigung des materiellen Verstandes mit der Vorstellungskraft der einzelnen Individuen in einer nicht wesenhaften Weise. So erhält diese Vorstellungskraft, durch die Vermittlung jenes Verstandes, die Züge der Vergänglichkeit, die dem theoretischen Denken angehören, und partizipiert an der Verbindung des intellectus agens mit dem theoretischen Denken, wie es dem materiellen Verstand gegenwärtig ist. So ist das menschliche Denken ewig in Bezug auf den materiellen Verstand und vergänglich in Bezug auf die Bilder. Daher bringen die Bilder der Vorstellungskraft den Denkprozess in Bewegung, während der materielle Verstand als Gefäß dient (in der Tat kann er keine Form besitzen, da eine solche die Authentizität des Denkprozesses verletzen würde). So bewirkt er, dass die intelligiblen Dinge existent werden. Der materielle Verstand enthält alle Gedanken nicht durch sich selbst, sondern weil er, insofern die menschliche species ewig ist, in jedem Moment herbeiführen kann, dass mindestens ein Mensch existiert, der philosophische Gedanken denkt; auf diese Weise hängt er vollständig von der Vernunft und von dem Bewusstsein ab, das die menschlichen Individuen von ihm haben. Dennoch gelingt es Averroes nicht, zu erklären, auf welche Weise der materielle Verstand sich mit dem menschlichen Organismus verbindet, wie es dem Menschen gelingt, ihn zu bewegen, und wie er den Menschen mit einem Verstandesbewusstsein ausstattet. Zum Individuum gehören allein die Erkenntnistätigkeiten, die mit der körperlich-sinnlichen Existenz (Wahrnehmung, Erinnerung, Vorstellung etc.) verbunden sind; sie werden von einer individuellen Seele zusammengehalten, welche mit dem Körper stirbt. Die Verstandeserkenntnis hingegen muss, da die allgemeinen Begriffe für alle Menschen gleich weit von den Wahrnehmungen entfernt sind, in allen Menschen die gleiche sein. Von hier wird ein einzelner ewiger intellectus possibilis aufgenommen, der durch seine Tätigkeit die Unsterblichkeit des Menschengeschlechts (aber nicht der einzelnen Individuen) gewährleistet. Averroes betrachtet die Frage der Unsterblichkeit als nebensächlich im Vergleich zu der der Verstandesarten. Dennoch ist er, weil die Sinne ebenso wie die Vorstellungskraft bestimmt sind, zu vergehen, überzeugt, dass mit dem Körper die praktischen und die verstandesgemäßen Gedanken, auch die wissenschaftliche Erkenntnis und selbst der Verstand in habitu enden. Für die Unsterblichkeit kommt somit allein der materielle Verstand in Frage. Dessen Überleben ist durch die Verbindung mit dem intellectus agens auch noch dann gewährleistet, wenn er von allen im Laufe des menschlichen Lebens erworbenen wissenschaftlichen Gedanken entleert ist. Bello, Iysa A.: The Medieval Islamic Controversy between Philosophy and Orthodoxy. Ijmā’ and Ta’wīl in the Conflict between al-Ghazālī and Ibn Rushd, Leiden u. a. 1989. Corbin, Henry: Avicenne et le récit visionnaire. Étude sur le cycle des récits avicenniens, Paris 2 1979.
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Davidson, Herbert A.: Alfarabi, Avicenna, and Averroes on Intellect. Their Cosmologies, Theories of the Active Intellect, and Theories of Human Intellect, New York/Oxford 1992. Elamrani-Jamal, Abdelali: Averroès, de l’Épitomé au Commentaire Moyen du De Anima, questions de méthode, in: Baffioni, Carmela (Hg.): Averroes and the Aristotelian Heritage, Neapel 2004, 121–136. Gutas, Dimitri: Avicenna and the Aristotelian Tradition. Introduction to Reading Avicenna’s Philosophical Works, Leiden u. a. 1988. Nallino, Carlo Alfonso: Filosofia »orientale« od »illuminativa« d’Avicenna?, in: RSO 10 (1923– 25), 433–467 (ND in: Raccolta di scritti editi e inediti, vol.VI, Rom 1948, 218–256). (Übersetzt von Thies Jarecki)
Carmela Baffioni
8. Papsttum und weltliche Mächte im 13. Jahrhundert Welche Situation fand Thomas von Aquin vor, als er über das Verhältnis von Kirche und Welt nachdachte? Beide Seiten, Kirche und Welt, waren in ihrer Entwicklung zu seinen Lebenszeiten noch auf dem Wege, erreichten keine klar erkennbaren Ziele. Wählt heute der Historiker eine Perspektive vom Papsttum her, so wird eine Übersicht über eine Entwicklung möglich, die jedoch erst lange nach dem Tod des Thomas von Aquin ihre Richtungsstabilität empfängt. Seit den Zeiten der Kirchenreform im »Investiturstreit« des 11. Jahrhunderts hatten es die Päpste verstanden, den Apostolischen Stuhl und damit sich selbst als Zentrum der Christenheit und Spitze der kirchlichen Amtshierarchie immer deutlicher ins allgemeine Bewusstsein zu heben. Die »Konkordate« zwischen Päpsten und europäischen Herrschern des 12. Jahrhunderts haben die von der frühscholastischen Wissenschaft erreichte schärfere Unterscheidung von »Geistlichem« und »Weltlichem« dazu genutzt, praktische Regelungen für die beiderseitigen Anteile an Bischofseinsetzungen und Abtwahlen zu finden. Sie haben die gefundenen Lösungen dann in zahlreichen Konflikten erprobt und durchgespielt (dazu Benson, Bishop-Elect). Der deutsche Herrscher und römische König und Kaiser musste sich daran gewöhnen, die Päpste in Rom nicht mehr als ihm unmittelbar zugeordnet behandeln zu können, erst recht nicht als Reichsbischöfe seiner Herrschaft eingegliedert zu sehen. Die Kämpfe zwischen Heinrich V., Lothar von Supplinburg, Konrad III., Friedrich I. Barbarossa, Heinrich VI. und den Päpsten sprechen eine deutliche Sprache, so verschieden die Konflikte im einzelnen auch ausfallen mochten. Auch die Kreuzzugsbewegung war keineswegs dem Kaisertum allein zugeordnet, vielmehr wirkten hier – unter der geistlichen Leitung der Päpste – der französische und bald auch der englische König mit dem Kaiser geradezu um die Wette. Doch eine hierarchische Herrschaftsstruktur unter den Königreichen Europas wollte sich damit nicht eigentlich herausbilden. Im 13. Jahrhundert hat sich diese Unentschiedenheit zunächst auf einem gesteigerten Niveau fortgesetzt. Papst und Kurie gelang es zwar mit Hilfe von neuen Kräften in der Christenheit, der Bettelorden und der universitären Wissenschaf-
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ten, die eigene Position an der Spitze der kirchlichen Amtshierarchie weithin unbestritten zu behaupten und sie auch gegen Bestreitung zu befestigen. An dem Pariser Bettelordenstreit um Wilhelm von Saint-Amour lässt sich das im Einzelnen aufzeigen. Hier setzte sich die »mendikantische Ekklesiologie«, die Auffassung der Kirche als eines einheitlich geschlossenen Verbandes unter der hier archischen Leitung des Papstes gegen das ältere Modell eines eher föderalen Zusammenspiels aller Ortskirchen durch (Congar, Aspects ecclésiologiques). Noch nicht entschieden war damit aber – erst das 14. Jahrhundert sollte hier die wesentlichen Erörterungen bringen –, wie es mit dem Wirken der Kirche und ihrer Amtsträger in die weltliche Herrschaft hinein und über sie bestellt war. Der Weg der Päpste des 13. Jahrhunderts von Innozenz III. zu Bonifaz VIII. sollte hier eine entscheidende Bedeutung gewinnen. Mit Innozenz III. (1198–1216) hatte ein Papst den Stuhl Petri inne, der in wahrhaft weltumspannenden Kategorien zu denken wusste und der seine Entscheidungen im Horizont der gesamten Christenheit traf und verwirklichte. Er hat das Papsttum mit glänzender Rhetorik und durchdachten Positionen mittels seiner Erklärungen, Urteile und Maßnahmen auf zuvor kaum erträumte Anspruchshöhe geführt. Das neuartige gelehrte Kirchenrecht der Kanonisten, die im Verfolg ihrer Traditionen die päpstlichen Verlautbarungen als »Dekretalen« verstanden, sie sammelten, durchdachten und ordneten, sorgte für eine systematische Verarbeitung und geistige Durchdringung dieser Denkanstöße (Kempf, Papsttum). Die rasch sich entwickelnden Universitäten des Abendlandes bildeten darüber hinaus neuartige Instrumente der Kommunikation und Reflexion. Nicht zuletzt sie verhalfen dem päpstlichen Willen zu nachhaltiger Durchsetzung, auch wo keine unmittelbaren Eingriffsmöglichkeiten vermittels der Amtshierarchien der Landeskirchen zur Verfügung standen. In der Reichskrise des Kaisertums, in der Doppelwahl zweier deutschen Könige (1198) nach dem Tode des Staufers Heinrich VI. wurde der Papst von beiden Seiten um Rat und Hilfe angegangen, wenn nicht gar um eine Entscheidung ersucht. Innozenz III. war ganz der Mann, eine solche zu treffen. Vor allem konnte er seine Meinung wirkungsvoll begründen. In einer Konsistorialansprache, die in einem Spezialregister der Kurie (dem sogenannten »Thronstreitregister«) schriftlich festgehalten wurde, hat er 1200/01 die verschiedenen Ansprüche der beiden Gewählten eingehend geprüft und die Königskandidaten sorgfältig gewogen (Deliberatio … de tribus electis, ed. Kempf, Regestum super negotio imperii, 71–91 [nr. 29]; gekürzt mit dt. Übersetzung in: Miethke/Bühler, Kaiser und Papst, 80–88). Wenig später (1202) hat Innozenz III. in einem Schreiben an die abgewiesene staufische Partei (Venerabilem), das später als »Dekretale« in das spätmittelalterliche Gemeine Recht eingehen sollte (X 1.6.34, gedruckt bei Fried berg, CIC(L) Bd. 2, 79–82) und damit bis tief in die Neuzeit hinein an den europäischen Universitäten ausgelegt und interpretiert worden ist, für die deutsche Herrschaftssukzession Grundlinien fixiert, die dauerhaft die spätere Entwicklung bestimmten. Darüber hinaus hat Innozenz III. auch in vielen anderen Ent-
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scheidungen und Stellungnahmen über die gesamte abendländische Christenheit hin maßstabsetzend Prinzipien formuliert, die gerade damit, dass sie in die bald überall verfügbaren Sammlungen des Kirchenrechts eingingen, eine breite und zugleich nachhaltige Wirkung hatten. Die brillanten und doch flexiblen Formulierungen rationaler Grundsätze, die häufig Maximen der langen kirchenrechtlichen Tradition konkretisierten, ergänzten oder gänzlich neu formulierten, sicherten seinen Rechtstexten ebenso wie deren gute Erreichbarkeit in einem Zeitalter handschriftlicher Vervielfältigung in ganz Europa eine dauernde Beachtung. Für Innozenz III. stehen sich Kirche und Staat, Papst und weltlicher Herrscher nicht als zwei voneinander unterschiedene Institutionen gegenüber, gleichwohl sind sie an ihren Aufgaben innerhalb der Christenheit voneinander unterscheidbar. Jede der beiden Instanzen kann und muss einen eigenen Aufgabenbereich grundsätzlich selbständig versehen. So ließ der Papst etwa im deutschen Thronstreit keinen Zweifel an dem herkömmlichen selbständigen Wahlrecht der deutschen Fürsten, fordert aber auch von diesen die Anerkennung der päpstlichen Entscheidungen über die Kaiserkrönung und einer für diese nach seiner Auffassung nötigen päpstlichen Prüfungskompetenz im Vorfeld. Insofern vertrat der Papst hier eine grundsätzlich »dualistische« Auffassung von dem Verhältnis beider Gewalten, zielte auf ihr Zusammenwirken, wollte keineswegs die eine in der anderen, die weltliche in der geistlichen Sphäre aufgehen lassen. Gleichwohl hat er der geistlichen Gewalt eine gewisse Überlegenheit vorbehalten, weil die Entscheidungen der weltlichen Seite im Falle des Missbrauchs weltlicher Kompetenz oder auch nur sündhafter Verfehlung eines Herrschers (ratione peccati, certis causis inspectis) dem Urteil der geistlichen unterworfen blieben (Innozenz III., Reg. VII.43; oder X 2.1.13, bei Friedberg, CIC(L) Bd. 2, 242–244; Exzerpte daraus mit Übersetzung auch in Miethke/Bühler, Kaiser und Papst, 95–97). Wie die priesterliche Lösegewalt gegenüber jeder Sünde, so ist auch die letzte Prüfungskompetenz des Papstes eine von Gott verliehene Schlüsselgewalt, die ihm im Konfliktfall eine grundsätzliche Überlegenheit sichert. Diese Position, die sich eng an die herkömmliche priesterliche Verantwortung für das Seelenheil des Sünders hält, gibt dem Papst als der Spitze der Amtskirche sehr weitreichende Eingriffsmöglichkeiten in die Sphäre der weltlichen Fürsten, zumal über das Vorliegen der Voraussetzungen eines päpstlichen Eingriffs niemand anderes als der Papst selbst entscheidet. Der summus pontifex (»höchste Bischof«) erhält damit, modern gesprochen, eine Kompetenzkompetenz, die das so ausgewogen erscheinende Gleichgewicht beider Gewalten im Konfliktfall recht asymmetrisch verschiebt. Diese den Papst deutlich bevorzugende Einstellung hat Innozenz nicht ausschließlich dem Kaiser gegenüber gezeigt. Er hatte stets das gesamte Gebiet der abendländischen Christenheit im Blick. Mit dem kurzen Zwischenspiel des vierten Kreuzzugs und des lateinischen Kaisertums in Byzanz erweiterte sich sogar sein Einflussbereich in den griechischen Osten des Mittelmeerraumes, wenngleich es dem Papst all seinen Bemühungen zum Trotz
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nicht gelang, die Folgen der Kirchenspaltung des 11. Jahrhunderts mit der Ostkirche selbst wieder zu beseitigen. Selbstverständlich war mit den glänzenden und schon von den Zeitgenossen bewunderten Aktionen und Erklärungen des Papstes wie in anderen Fällen auch hier keineswegs ein politischer Erfolg gesichert. Innozenz III. hat das mehrfach selbst erfahren müssen. Im deutschen Thronstreit etwa konnte sich der vom Papst geförderte Kandidat Otto IV. zunächst gegen die staufische Partei zwar nicht durchsetzen. Allerdings brachte dann der unvorhersehbare Mord aus anscheinend vorwiegend persönlichen Motiven an dem bereits siegreichen Philipp von Schwaben den Welfen Otto IV. doch noch zum Zuge. Fast sofort entzweite den Papst jedoch ein tiefes Zerwürfnis mit »seinem« Kaiser. Der dagegen nun vom Papst ins Feld geschickte (ursprünglich von Innozenz verworfene) Staufer Friedrich II. setzte sich schließlich in Deutschland durch, aber wiederum nicht in erster Linie der päpstlichen Unterstützung wegen. Er verdankte seinen Erfolg eher der starken staufischen Partei und seinem eigenen Auftreten. Friedrich II. seinerseits geriet sehr rasch nach seiner Kaiserkrönung (1220) in heftige Konflikte mit den Nachfolgern des 1216 verstorbenen Innozenz III., vor allem mit Gregor IX. und Innozenz IV. Anlass und Ursache der Entzweiung war zunächst die Verzögerung des bereits 1215 von Friedrich II. eidlich gelobten Kreuzzugs, der erst über ein Jahrzehnt später (1227/28) zustande kam. Dieser Kreuzzug fand statt in der merkwürdigen Gestalt eines kaiserlichen Heereszuges nach Palästina, der von dem Herrscher unter Kirchenbann durch Verhandlungen zum Erfolg geführt wurde. Andere Probleme, auf die der Staufer in seinem Königreich Sizilien beim Kampf um die Durchsetzung seiner Herrschaft stieß, Streitigkeiten um und in Gebieten des Patrimonium Petri, schließlich und vor allem der Dauerkonflikt mit der Welt der aufblühenden Stadtkommunen unter der Führung Mailands in Reichsitalien, all dies ließ den Kampf zwischen Kaiser und Papst eskalieren, ließ kriegerische Lösungsversuche Friedrichs bis zu seinem Tode (1250) andauern und brachte trotz langen blutigen Kriegen keine eigentliche Entscheidung. Eine neue Stufe in dem Ringen zwischen Kaiser und Papst wurde erreicht, als Innozenz IV. sich kurz nach seiner Thronbesteigung nach gescheiterten Verhandlungen mit dem Kaiserhof entschloss, aus Italien nach Lyon zu fliehen, um dort die schon von seinem Vorgänger Gregor IX. geplante, von Friedrich II. jedoch mit militärischen Mitteln verhinderte Kirchenversammlung gegen den Kaiser schließlich doch durchzuführen. Das »Erste Konzil von Lyon« wird heute von der katholischen Kirche offiziell unter die Generalkonzilien der mittelalterlichen Kirche gerechnet. Neben dem Erlass von Canones zum inneren Leben der Kirche hat der Papst dort eine rechtsförmige Untersuchung gegen den Kaiser durchgeführt, die auch Taddeus von Suessa, der als Rechtsvertreter des Herrschers anwesende Oberhofrichter des Kaisers, nicht verhindern konnte (zum Verfahren Roberg: Hauptquelle). Der Prozess gipfelte konsequent in einer ausdrücklichen Amtsenthebung des Kaisers: Am 17. Juli 1245 setzte Innozenz IV. Friedrich II. ab
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»in Gegenwart des Konzils« und »nach eingehender Beratung auf dem Konzil«, aber nicht durch dessen förmlichen Beschluss, vielmehr aufgrund eigener päpstlicher Kompetenzfülle, direkt und unmittelbar, wegen »schwerster Vergehen«, wegen Meineids, Friedensbruchs, Sakrilegs und Ketzereiverdachts. (Absetzungsbulle in COD Bd. 2/1, 215–222; eingegangen in den »Liber Sextus« Papst Bonifaz’ VIII.: VI 2.14.2 – und damit dauerhaft Gegenstand kanonistischer Kommentierung an den Universitäten Europas – gedruckt bei Friedberg, CIC(L) Bd. 2, 1007–1011; deutsche Teilübersetzung in: Miethke/Bühler, Kaiser und Papst, 108–111). Zum ersten Male im Mittelalter wurde damit vom Papst das Recht auf Absetzung des höchsten weltlichen Fürsten in Anspruch genommen. Gregor VII. noch hatte dagegen 1076 die Amtsenthebung Heinrichs IV. in ein Gebet an Petrus gekleidet, in dessen Namen er alle Treuepflichten gegen den Herrscher für aufgehoben erklärte (Caspar, Register, 270 f., n. III.10a). Jetzt wurde der Kaiser zwar auch als von Gott verworfen und abgesetzt bezeichnet. Der Papst erklärte ihn jedoch nicht allein deklaratorisch für abgesetzt, indem er das Urteil Gottes wiederholend verkündete, er enthob den Kaiser darüber hinaus durch eigenes Urteil seiner Herrschaft, entband wiederum alle ihm durch Eide Verpflichteten ihrer Verbindlichkeiten und verbot unter Androhung des Bannes, ihm künftig als Kaiser Gehorsam zu leisten. Die Kurfürsten wurden aufgefordert, für einen Nachfolger zu sorgen. Es verwundert nicht, dass der zeitgenössische Chronist Matthew Paris († 1259) den Papst auf dem Konzil, mit einer nichtliturgischen Tiara gekrönt gezeichnet hat (Ladner, Papstbildnisse, 120 f. mit Tafel XXIV b/c), mit der Papstkrone, die spätestens seit Innozenz III. päpstliche plenitudo potestatis symbolisiert (Engels, Tiara). Der Papst hat im schriftlich aufgesetzten und auf dem Konzil verkündeten Absetzungsdekret diese seine Entscheidung, die die kurialen Ansprüche gegenüber weltlicher Herrschaft faktisch auf eine unüberbietbare Höhe trieb, dabei nicht eigentlich begründet, er hat nur die Abscheulichkeit der »schwerstwiegenden Untaten« des Kaisers herausgestrichen. In seinem gelehrten Kommentar zum Dekretalenrecht, an dem er, der vor seiner Kurienkarriere an der Universität Bologna das Kirchenrecht unterrichtet hatte, auch noch in Mußestunden als Papst weitergearbeitet hat (abgeschlossen etwa 1251), hat er jedoch auch zum Text dieses seines eigenen Urteils eine kanonistische Begründung skizziert, in die seine Auffassung über die Stellung des Papstes in der Welt eingegangen ist. Angesichts der hohen wissenschaftlichen Bedeutung hat dieser gesamte Kommentar insgesamt eine nachhaltige Wirkung in der kanonistischen Begriffsbildung des späteren Mittelalters erreicht (Sinibaldus Fliscus, Apparatus ad II.27.27 [Ad apostolicae dignitatis], fol. 316v–317v; dazu Kempf, Absetzung Friedrichs II; auszugsweise Übersetzung des Textes ins Deutsche: Miethke/Bühler, Kaiser und Papst, 112). Zudem ist von Innozenz IV. selbst oder doch aus seinem nächsten Umkreis kurz nach dem Urteil von Lyon (Ende 1245/Anfang 1246 in Antwort auf Manifeste des kaiserlichen Hofes) ein eigenes Schriftstück in Umlauf gesetzt worden, das die kuriale Position noch einmal darlegt. Der als persönliches Schreiben
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des Papstes stilisierte Text mit den Anfangsworten Eger cui lenia (»Ein Kranker, dem milde [Arzneien nicht helfen]«) enthält zusätzliche Argumente für den an Traditionen anknüpfenden, doch in der Begründung neuartigen Weltanspruch des Papstes (Herde, Pamphlet, 511‒538, jetzt in: Herde, Gesammelte Abhandlungen, Bd. 2/1, 217–276; nach der ältesten Überlieferung auch in: Frenz/ Herde, Memorialbuch des Albert Behaim, 102–110 n. 32; Teilübersetzung ins Deutsche bei Miethke/Bühler, Kaiser und Papst, 119–121]). Innozenz IV. benennt in seinem Kommentar als Grundlage der päpstlichen Kompetenz eine von Christus selbst an seinen Stellvertreter, zuerst an Petrus, sodann an die Päpste als dessen Nachfolger verliehene plenitudo potestatis (»Fülle der Amtsvollmacht«), denn Christus musste als ein dominus discretus (»beson nener Herr«) alle jene Kompetenzen, die ihm auf Erden als Gottmenschen aufgrund seiner Wesenseinheit mit dem Schöpfer zukamen, nach ihm an einen Stellvertreter auf Erden übertragen (Benson, Plenitudo potestatis). In dem Pamphlet wird dann festgestellt, die plenitudo potestatis des Papstes in der Kirche erstrecke sich über geistliche und weltliche Angelegenheiten. Das ergebe sich aus alttestamentlichen Präzedentien und auch aus dem Christusvikariat des Papstes. Sodann wird argumentativ die »Konstantinische Schenkung« ins Feld geführt, jene damals bereits altehrwürdige Fälschung eines angeblichen Privilegs Konstantins, das der Kaiser angeblich für Papst Silvester I. ausgestellt haben soll (Miethke, Konstantinische Schenkung). Freilich hätte das traditionelle Verständnis dieser Schenkung damals als zumindest sperrig erscheinen können, konnte man aus dem Bericht doch auch herauslesen, der Papst leite seine Kompetenz in weltlichen Angelegenheiten aus einer (revozierbaren?) Schenkung des Kaisers ab. Deshalb griff Innozenz eine zuvor ganz selten vertretene Meinung aus der vorangegangenen vielstimmigen kanonistischen Diskussion auf und verhalf ihr weithin zum Durchbruch. Der bedeutende Dekretist Huguccio von Pisa († 1210) hatte in seiner – noch weitgehend ungedruckten – Dekretsumme, wahrscheinlich von vor 1190 (hier zu Di. 22 c. 1 s.v. celestis) die folgende Argumentation abgelehnt (um eine »dualistische« Gegenposition zu beziehen): […] et secundum hoc oportet concedere nullum imperatorem rite exercuisse gladium, qui illum non acceperit a Romana ecclesia, presertim postquam Christus Petro concessit iura utriusque imperii. Quod intelligens Constantinus in resignatione regalium resignavit beato Silvestro gladium ostendens non legitime se usum fuisse gladii potestate nec legitime habuisse, cum ab ecclesia non receperit. Set in hac questione ego aliter sentio […] (»und demnach muss man eingestehen, dass kein Kaiser sein Schwert richtig geübt hat, der es nicht von der Römischen Kirche erhalten hätte, insbesondere nachdem Christus dem Petrus die Rechte der beiden Reiche übertragen hat. Als Konstantin das einsah, hat er durch den Verzicht auf seine Herrschaftsrechte sein Schwert an den Heiligen [Papst] Sylvester zurückgegeben und damit gezeigt, dass er die Amtsvollmacht des Schwertes nicht rechtmäßig gebraucht und auch nicht rechtmäßig in Besitz gehabt hatte, da er das nicht von der Kirche empfangen hatte«; hier zitiert nach
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Kempf, Papsttum, 207 f. Anm. 37). Danach hat also Konstantin der Kirche nur zurückgegeben, was ihr nach Gottes Willen zustand. Der Kaiser gab seine eigene, bis dahin von Gott nur »geduldete«, weil ohne kirchliche Billigung geübte, inordinata (»ungeordnete«) und damit tyrannische Herrschaft auf, die er außerhalb der Kirche geübt hatte, gab sie zeitgleich mit seinem Eintritt in die Kirche an diese zurück, um vom Papst eine endlich »geordnete« (ordinata: vgl. Röm 13,1) legitime Gewalt innerhalb der Kirche zurückzuerhalten. Dieses wegweisende Neuverständnis des in der Konstantinischen Schenkung Geschehenen sollte freilich andererseits heute nicht missverstanden werden. Noch waren Kirche und Staat nicht in zwei verschiedene Institutionen auseinandergetreten, die beide in ihrem »Außenverhältnis« zueinander hätten in Beziehung treten können. Vielmehr verstanden sich beide, »kirchliche« wie »staatliche« Spitze, weiterhin als für das Gesamt des christlichen Volkes zuständig, nur eben für unterschiedliche Ziele. Von einer derartigen Hierarchie der verschiedenen Zwecke her bedeutet daher die vom Papst beanspruchte Suprematie zunächst noch keine absolute herrschaftliche Hoheit, wenngleich auf dieser Basis auch durchaus immer deutlicher die Forderung nach einer absoluten Überordnung erhoben werden konnte. Für die Zeitgenossen des 13. Jahrhunderts waren denn auch solche Ansprüche tendenziell verständlich, was allein darin ablesbar wird, dass die unterschiedlichen gewachsenen Sonderverhältnisse des Papstes zu bestimmten weltlichen Herrschaftsrechten mehr und mehr im Sinne einer allgemeinen Oberhoheit der geistlichen über die weltliche Gewalt verstanden wurden. Der in England und Skandinavien seit den frühmittelalterlichen Missionszeiten übliche sogenannte »Peterspfennig«, ursprünglich »eine Art Devotionszins« für den Heiligen Stuhl (Becker, Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte2, Bd. 3, 1638 f.), wird seit dem 13. Jahrhundert immer stärker in diesem neuen Sinne einer vollständigen Unterwerfung interpretiert. Die Schutz- und Lehnszinse, zu denen sich vor allem iberische Fürsten seit dem 11. Jahrhundert, sowie dann der englische König John Lackland zu Beginn des 13. Jahrhunderts verpflichtet hatten, konnten ebenso für diese Auffassung ins Feld geführt werden (Fried, Der päpstliche Schutz). Die damals sich verfestigende weltliche Herrschaft des Papstes im Patrimonium Petri (dem späteren »Kirchenstaat«: Schimmelpfennig, Potestatis monarchia) wurde gleichermaßen argumentativ verwandt wie auch die im 13. Jahrhundert mehrfach hoch strittige und umkämpfte Lehnhoheit des Papstes über das Herkunftsland der Grafen von Aquino, das Königreich Sizilien. Der Thomas-Schüler Ptolomaeus von Lucca wird dann später (um 1305) einen »papalistischen« Traktat über die päpstliche Herrschaft in Süditalien verfassen (Clavuot, De iurisdictione ecclesie). Je stärker sich beide Instanzen, Kirche und weltliche politische Ordnung institutionell verfestigten, desto deutlicher konnte, ja musste jeder Anspruch auf hierarchische Oberhoheit als Weltanspruch, als Weltherrschaftsanspruch verstanden werden: drei Jahrzehnte nach Thomas’ Tod hat die Bulle Unam sanctam Papst Bonifaz’ VIII. (DH n. 870–875) von 1302 das in unüberbietbarer Schärfe deutlich
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gemacht, wenn dort (in dem berüchtigten Schlusssatz) formuliert ist: »Dass dem höchsten Bischof von Rom untertan zu sein für jedes menschliche Geschöpf schlechthin heilsnotwendig ist, erklären, sagen und setzen wir fest« (Porro subesse Romano pontifici omni humanae creaturae declaramus, dicimus, diffinimus omnino esse de necessitate salutis; dazu etwa Ubl, Die Genese der Bulle). Der französische König Philipp der Schöne hat, unterstützt von seinem Hof und auch der Pariser Universität, in solchen Erklärungen eine unmittelbare Bedrohung seiner Selbständigkeit erkannt und erbittert dagegen gekämpft. Hochrangige Intellektuelle des späten 13. und des 14. Jahrhunderts wie Johannes Quidort, Marsilius von Padua oder Wilhelm von Ockham haben ihr Lebenswerk daran gewendet, derartige päpstliche Ansprüche zurückzuweisen und argumentativ zu widerlegen. Diese Erörterungen gehören zur Geschichte der Freiheitsidee und damit zum politischen Denken des 14. Jahrhunderts, sind Teil der Geschichte der werdenden Staatlichkeit im späteren Mittelalter. Damit können sie für uns auch ein Stück der Wirkungsgeschichte des Thomas von Aquin widerspiegeln. Clavuot, Ottavio: De iurisdictione ecclesie super regnum Apulie et Sicilie, in: DA 68 (2012), 545–591 (Text: 564–591). Conciliorum oecumenicorum generaliumque decreta, Bd. 2/1, The General Councils of Latin Christendom from Constantinople IV to Pavia-Siena (869–1424), Turnhout 2013. Frenz, Thomas/Herde, Peter (Hg.): Das Brief- und Memorialbuch des Albert Behaim (MGH Briefe des späteren Mittelalters, 1), München 2000. Miethke, Jürgen: De potestate papae. Die päpstliche Amtskompetenz im Widerstreit der politischen Theorie von Thomas von Aquin bis Wilhelm von Ockham, Tübingen 2000 [durchgesehene Studienausgabe unter dem Titel: Politiktheorie im Mittelalter. Von Thomas von Aquin bis Wilhelm von Ockham, Tübingen 2008]. Mollat du Jourdin, Michel/Vauchez, André (Hg): Histoire du christianisme des origines à nos jours. Tome VI: Un temps d’épreuves (1274–1449), Paris 1990; deutsche Ausgabe bearbeitet und hg. von Bernhard Schimmelpfennig: Die Zeit der Zerreißproben (1274–1449) (GCh 6), Freiburg i. Br. 1991. Roberg, Burkhard: Überlieferung und Interpretation der Hauptquelle des Lugdunense I von 1245, in: AHC 22 (1990), 31–67. Stürner, Wolfgang: Friedrich II., Bd. 1: Die Königsherrschaft in Sizilien und Deutschland, 1194–1220; Bd. 2: Der Kaiser, 1220–1250, Darmstadt 1992; 2000. Ubl, Karl: Die Genese der Bulle »Unam sanctam«, Anlass, Vorlagen, Intention, in: Kaufhold, Martin (Hg.): Politische Reflexion in der Welt des späten Mittelalters/Political Thought in the Age of Scholasticism. Essays in Honour of Jürgen Miethke (SMRT 103), Leiden/Boston 2004, 129–149. Vauchez, André (Hg.): Histoire du christianisme des origines à nos jours. Tome V: Apologée de la papauté et expansion de la chrétienté (1054–1274), Paris 1993; deutsche Ausgabe bearbeitet und hg. von Odilo Engels: Machtfülle des Papsttums (1054–1274) (GCh 5), Freiburg i. Br. 1994. Jürgen Miethke
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B. Person
9. Dominikanische Spiritualität Der Dominikanerorden (eigentlich Ordo fratrum praedicatorum, Orden der Predigerbrüder, offizielle Abkürzung OP, zur Entstehung B.I.2.) folgte in seiner Observanzfrömmigkeit weitgehend dem althergebrachten »monastisch-kanonikalen Lebensstil« der vita religiosa (Frank, Der Beitrag, 103). Die Spiritualität der von Dominicus gegründeten und 1216 erstmals päpstlich bestätigten Ordensgemeinschaft war daher nie besonders originell. Grundlage des kommunitären Zusammenlebens ist bis heute die Augustinusregel; den Alltag bestimmen jedoch vor allem die Konstitutionen, die sich anfangs noch stark an den Consuetudines der Prämonstratenser orientierten (vgl. Thomas, De oudste Constituties, 129–157), aber seit dem 13. Jahrhundert immer wieder verändert und den jeweiligen Zeitumständen angepasst wurden (Thomas kann vor diesem Hintergrund seine Unterscheidung zwischen der lex aeterna und der lex humanitus posita vornehmen, denn das menschliche Recht ist nach dominikanischer Praxis wandelbar, solange es dem bonum commune folgt.). Diese Wandelbarkeit der eigenen Satzungen hat wesentlich zur Stabilität des Ordens beigetragen, zumal ihnen von Anfang an eine identitätsstiftende Funktion zukam, da Dominicus von seinen Brüdern keineswegs als Vorbild angesehen werden wollte, sondern sich als Gründer auch selbst den Konstitutionen unterstellte (die »gemeinschaftliche Verwirklichung des korporativen Ordensideals« sollte gegenüber einer bloßen »Nachahmung des Stifters« stets Vorrang behalten, wie Frank, Die Grundlegung, 18, erklärt; trotz der hagiographischen Literatur hat Dominicus daher im Vergleich mit Franz von Assisi und anderen charismatischen Ordensgründern nie dieselbe Verehrung genossen). Unveränderbar war und ist lediglich der im Prolog der Konstitutionen formulierte Zweck des Ordens, die Glaubensverkündigung »zum Heil der Seelen« (wörtlich heißt es: »cum ordo noster specialiter ob predicationem et animarum salutem ab initio noscatur institutus fuisse«, zit. nach Thomas, De oudste Constituties, 311). Diesem Zweck wird alles andere untergeordnet, was zu einem »außergewöhnlich funktionale[n], ja funktionalistische[n] Verständnis« der Dominikaner »bei der Handhabung religiöser Anliegen« (Melville, Die Welt, 209) geführt hat. So kann der einzelne Bruder selbst von der Teilnahme am gemeinsamen Chorgebet, einem der traditionellen Elemente der vita communis, dispensiert werden, wenn es die Predigtvorbereitung oder seine seelsorglichen Aufgaben erfordern. Zudem soll das officium divinum ausdrücklich breviter et succincte persolviert werden. Als Grund hierfür geben die Konstitutionen neben der zu fördernden Andacht der Brüder das Studium an, das nicht unnötig gestört werden soll. Da die »Verkündigung des Glaubens, besonders an Zweifelnde und Ungläubige, die sich die junge Gemeinschaft als Aufgabe gestellt hatte, […] nicht nur gründliche Kenntnis der Glaubenslehre, sondern auch ihre rationale Begründung und Durchdringung« erforderte (Senner, Blühende Gelehrsamkeit, 7), legte der Dominikanerorden auf das Studium stets besonderen Wert. So durfte kein Kon-
II. Traditionen – 9. Dominikanische Spiritualität
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vent ohne Lektor gegründet werden, um sowohl die Ausbildung der Novizen und Ordensstudenten als auch die Weiterbildung der in der Seelsorge tätigen Brüder zu gewährleisten; d. h. das Kloster wurde nicht mehr nur als Lebens-, sondern auch als Lerngemeinschaft verstanden. Zu den innovativen Neuerungen des Dominikanerordens, die im Laufe des Spätmittelalters dann auch von anderen Ordensgemeinschaften übernommen wurden, gehört in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass das dormitorium in cellulae aufgeteilt wurde, die einzelnen fratres als Schlaf- und Wohnraum zugewiesen wurden, um ihnen das ungestörte Studium – wenn nötig sogar nachts bei Kerzenschein – zu ermöglichen (In cellis legere, scribere, orare, dormire et etiam de nocte vigilare ad lumen possunt, qui voluerint, propter studium; zit. nach Thomas, De oudste Constituties, 362). Schon Dominicus hatte eine profunde theologische Ausbildung als unabdingbare Voraussetzung für die Predigt angesehen und mit seiner Aussendung der Brüder nach Paris und Bologna eine Anbindung an das neu entstandene Universitätsmilieu gesucht, aus dem sich dann spätestens unter seinem Nachfolger Jordan von Sachsen (Ordensmeister 1222–1237) ein erheblicher Teil des Nachwuchses rekrutierte (vgl. Hinnebusch, History, Bd. 1, 312–317). Nicht zufällig lernte daher auch Thomas den Dominikanerorden während seines Studiums in Neapel (ab 1239) kennen. In dem 1231 gegründeten Konvent der Stadt lebten damals zwar lediglich zwei Brüder, nämlich Johannes de Sancto Giuliano OP und Thomas Lentini (Tommaso Agni) OP; aber die Spiritualität des aufstrebenden, noch relativ jungen Ordens muss auf den Studenten einen nachhaltigen Eindruck gemacht haben, denn zwischen 1242 und 1244 trat Thomas selbst in Neapel in den Dominikanerorden ein (zu den unterschiedlichen Datierungsmöglichkeiten vgl. Tugwell, Albert and Thomas, 204; Torrell, Magister Thomas, 30). Während die ältere Forschung noch annahm, dass Thomas von dem damaligen Ordensmeister Johannes von Wildeshausen (Amtszeit 1241–1252) eingekleidet wurde, gilt heute als sicher, dass ihn Thomas Lentini in Neapel in den Orden aufgenommen hat. Thomas’ Eintritt bei den Dominikanern war keineswegs selbstverständlich. Schon Wilhelm von Tocco OP berichtet in seiner Ystoria, dass die »Edlen der Stadt« erstaunt reagierten, dass Thomas trotz seiner adeligen Herkunft einem Bettelorden beitrat und damit auf eine vielversprechende Karriere in Monte Cassino verzichtete (Ystoria, Nr. 7). Auch die Familie stemmte sich mit allen ihr verfügbaren Mitteln gegen Thomas’ Entscheidung. Ihr Widerstand richtete sich nicht generell gegen ein religiöses Leben im Kloster – Thomas war mit großer Wahrscheinlichkeit bereits Benediktinerprofesse, zumindest aber Oblate, als er die Dominikaner kennenlernte (vgl. Horst, Wege, 115–123) –, sondern wandte sich vielmehr gegen seinen Eintritt in eine Ordensgemeinschaft, die den Eltern offensichtlich nicht standesgemäß erschien (schon 1235 war der Konvent in Neapel wegen der Aufnahme eines Adeligen in Schwierigkeiten geraten). Hinzu kam, dass die Dominikaner in den zeitgenössischen Auseinandersetzungen zwischen Friedrich II. und dem Papst auf der Seite des Papsttums standen, während Thomas’ Familie zunächst mehrheitlich den Kaiser unterstützte. Dennoch gelang es
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B. Person
der Familie nicht, Thomas von seinem Entschluss abzubringen, den Marie-Dominique Chenu deshalb radikal nennt und sogar mit der demonstrativen Abkehr des Franz von Assisi vom Reichtum seines Vaters vergleicht (vgl. Chenu, St. Thomas d’Aquin, 11). Thomas selbst betont in seinen Schriften wiederholt das Recht, auch gegen den Willen der eigenen Eltern in ein Kloster einzutreten, und greift dabei meist auf ein Hieronymus-Zitat zurück, das von ihm bezeichnenderweise dahingehend erweitert wird, dass notfalls nicht nur der Vater, sondern auch die Mutter zu Boden getreten werden müsse (vgl. z. B. STh II-II q. 101 a. 4; Ed. Leonina 9, 371: per calcatam perge matrem), wenn sie sich dem Eintrittswilligen in den Weg stellt. Der Zusatz wird heute allgemein als autobiographische »Reminiszenz eines Konflikts« gedeutet, »der sich zwischen Sohn und Mutter […] abgespielt hat, als Thomas um Aufnahme in den Predigerorden nachsuchte« (Horst, Thomas von Aquin, 43). Über die Motive seiner Ordenswahl gibt Thomas dagegen keine Auskunft. Es lässt sich daher über die möglichen Beweggründe nur spekulieren. Mit seinem intellektuellen Profil entsprach der Dominikanerorden zweifellos Thomas’ ausgeprägter »Neigung zum Studium« (Torrell, Magister Thomas, 37). Dagegen spielte die Gründergestalt des heiligen Dominicus bei seiner Entscheidung offenbar keine nennenswerte Rolle, denn Thomas hat ihn nur vereinzelt in seinen Werken erwähnt. Das Opusculum Contra impugnantes und andere kleinere Schriften aus der Zeit des Bettelordensstreits legen vielmehr nahe, dass Thomas vor allem von dem Armutsideal der Mendikanten angezogen wurde (vgl. die Arbeiten von Horst), die sich bewusst in die Nachfolge des Christus pauper und seiner Jünger (mit Bezug auf Mt 10) stellten, ihre Lebensweise also nicht mehr rein aszetisch wie in der vita monastica, sondern explizit christologisch begründeten. Allerdings unterschieden sich die Dominikaner in ihrer Armutsvorstellung von Anfang an von derjenigen des Franz von Assisi, der in der freiwilligen Armut ein Ideal an sich sah, während die Besitzlosigkeit im Dominikanerorden meist nur als Mittel zum Zweck verstanden wurde, um die Mobilität der Prediger zu erleichtern, und gegenüber dem Verkündigungsauftrag untergeordnet blieb. Im Bettel ordensstreit distanzierte sich Thomas daher auch deutlich von der Armutskonzeption der Minoriten und deren Forderungen völliger Besitzlosigkeit: Jesus habe zwar keine possessiones besessen, aber für seine Predigt und Lehre das Notwendige erhalten und nicht erbettelt, wie Thomas betont; folglich stünde auch den Dominikanern für ihre seelsorgliche Arbeit und ihre Lehrtätigkeit ein Honorar (debitum) zu (vgl. Horst, Wege, 66 f. 208 f.; auf dieser Grundlage entwickelten sich die Dominikanerkirchen, wie Frank, Das mittelalterliche Dominikanerkloster, 128–142, dargelegt hat, zu bedeutenden »paraparochialen Kultzentren« in der städtischen Gesellschaft). So sehr das Armutsideal also ein entscheidender Beweggrund für Thomas gewesen sein mag, den Dominikanern beizutreten, so sehr hat er sich doch auch den Grundsatz seines Ordens, dass die Predigt »zum Heil der Seelen« Vorrang vor allem anderen, auch der Selbstheiligung des einzelnen Ordensmanns hat und daher den Gelübden und Observanzen lediglich ein inst-
II. Traditionen – 9. Dominikanische Spiritualität
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rumentaler Charakter zukommt, zu eigen gemacht (vgl. daher auch Thomas’ Unterscheidung zwischen finis, media und exercitia in STh II-II q. 186 a. 9). In seinem Opusculum Contra impugnantes hat Thomas diese von den Dominikanern zunächst wohl »eher gelebte als rational bedachte Praxis« (Horst, Wege, 20) untermauert: Die Schrift stellte »erstmals in strikt theologischer Argumentation […] Wesen und Sendung des Predigerordens« dar (ebd.) und nahm zugleich einige Gedanken seiner Theologie des Ordensstandes vorweg, die Thomas in seinen späteren Werken entwickeln sollte. So betont Thomas schon in Contra impugnantes gegenüber Wilhelm von SaintAmour und anderen Kritikern an der Pariser Universität, die den Mendikanten das Recht auf wissenschaftliche Betätigung absprachen, die Bedeutung des Stu diums für das Ordensleben: Zwar folgt Thomas dabei durchaus der dominikanischen Tradition, dass das Studium nur eine der cura animarum dienende Funk tion hat (die Formulierung in den Konstitutionen lautete: studium nostrum ad hoc principaliter ardenterque summo opere debeat intendere, ut proximorum animabus possimus utiles esse; zit. nach Thomas, De oudste Constituties, 311), aber gleichzeitig sieht er im Studium ein notwendiges spirituale solatium, das »nicht nur Voraussetzung pastoraler Aktivitäten, sondern Bedingung der klösterlichen Existenz« schlechthin ist (Horst, Wege, 211). Damit wandte sich Thomas sowohl gegen anti-intellektuelle Tendenzen in der monastischen Tradition als auch gegen die anfängliche Unsicherheit in seinem eigenen Orden, ob »die auf die Meditation zielende Lesung der Schrift und der Väter durch die neuen Formen der Scholastik« ergänzt werden dürfe (ebd.). So war die Beschäftigung mit der Philosophie, insbesondere mit den Werken des Aristoteles im Dominikanerorden zunächst keineswegs unumstritten (in den Konstitutionen hieß es ursprünglich: In libris gentilium et philosophorum non studeant, zit. nach Thomas, De oudste Constituties, 361). Albertus Magnus und seinem Schüler Thomas gebührt daher das Verdienst, den eigenständigen Wert der Philosophie erkannt und ihr trotz mancher Widerstände im Orden den Weg geebnet zu haben. Beide haben daher den Orden nachhaltig geprägt, nicht zuletzt auch deswegen, weil sie einer 1259 vom Generalkapitel in Valenciennes eingesetzten Kommission angehörten, die eine ausführliche Studienordnung erarbeitete, die einen maßgeblichen Einfluss auf die weitere Entwicklung des Ordens und den Ausbau seines Studiensystems haben sollte. Wirkungsgeschichtlich bedeutsam war und ist auch die berühmte Synthese, mit der Thomas die Spiritualität des Dominikanerordens auf den Punkt gebracht hat: »Betrachten und das, was man betrachtet hat, anderen weitergeben« (con templari et contemplata aliis tradere; STh II-II q. 188 a. 6; Ed. Leonina 10, 529). Aufgrund dieses funktionalen und relativ nüchternen Selbstverständnisses hat der Dominikanerorden keine gesonderten Formen der Devotion hervorgebracht. Aber bis heute sucht er Wissenschaft, Seelsorge und Gebet zu verbinden. Seine Grundorientierung zeugt »von einer Spiritualität des Pragmatischen« (Melville, Die Welt, 213). Ihr verdankt Thomas wesentliche Impulse für sein Werk, und umgekehrt hat er sie selbst mit geprägt und gestaltet.
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B. Person
Emery, Kent/Wawrykow, Joseph (Hg.): Christ among the medieval Dominicans. Representations of Christ in the texts and images of the Order of Preachers (Notre Dame Conferences in Medieval Studies, Bd. 7), Notre Dame 1998. Engel, Ulrich (Hg.): Dominikanische Spiritualität (Dominikanische Quellen und Zeugnisse, Bd. 1), Leipzig 2000. Frank, Isnard Wilhelm: Der Beitrag der Orden zur Spiritualität im Spätmittelalter, in: ArVe 3 (2006), 101–127. Horst, Ulrich: Wege in die Nachfolge Christi. Die Theologie des Ordensstandes nach Thomas von Aquin (QGDOD NF, Bd. 12), Berlin 2006. Lippini, Pietro: La spiritualità domenicana (Attendite ad Petram, Bd. 1), Bologna 1987. Elias H. Füllenbach
III. Beziehungen 1. Der Lehrer: Albertus Magnus
1.1. Zumeist ist es das Los des Schülers, im Schatten des Lehrers zu stehen oder in dessen Schatten verbannt zu werden. Anders hat es die philosophiehistorische Forschung lange Zeit bei Albertus Magnus (ca. 1200–1280) und Thomas von Aquin gehalten. Thomas galt als der große Systematiker und als der herausragende Denker der mittelalterlichen Theologie und Philosophie, dem gegenüber seinem Lehrer Albert nur die Position eines zwar äußerst gelehrten und umfassend gebildeten, letztlich aber bloß kompilatorisch arbeitenden Aristoteles-Vermittlers zugewiesen wurde. So wurde noch 1933 unter den Vorzeichen der Neuscholastik das zwei Jahre zuvor in Köln begonnene Projekt der kritischen Ausgabe der Werke Alberts als ein verdienstliches Unternehmen zur Erfassung der Umgebung des Thomas von Aquin gewürdigt, in dessen Werk die aristotelisch-christliche Philosophie ihre normative Gestalt erhalten habe. Gleichzeitig scheint man jedoch anfänglich in der Albert-Edition auch die Gefahr gesehen zu haben, dass durch sie das Ansehen und die Größe des Thomas verdunkelt werden könnte (Geyer, Autobiographie; Ehrle, Scholastik; Dreyer, Editio Coloniensis). Inzwischen ist die Bedeutung Alberts für die Entwicklung der Philosophie des Mittelalters dank der Herausgabe eines großen Teils seiner Werke in einer historisch-kritischen Fassung und dank der durch sie ermöglichten verbesserten Erforschung seines Denkens deutlich klarer erkennbar (Hoenen/de Libera, Albertus Magnus). Nach wie vor ist jedoch das doktrinelle Verhältnis zwischen ihm und seinem Schüler Thomas nur wenig erforscht. Dies mag u. a. mit der Eigenart von Alberts Werk zu tun haben. Während man die theologisch-philosophische Position des Thomas zu bestimmten Sachfragen aufgrund der sachlich-systematischen Struktur seiner beiden Summen und der strikt thematischen Ausrichtung vieler seiner Texte relativ leicht und genau rekonstruieren kann, verhält es sich bei Albert anders. Die sachlich-systematisch angelegten Texte, wie beispielsweise der Sentenzen-Kommentar sowie die beiden Summen liegen noch nicht bzw. nur
III. Beziehungen – 1. Der Lehrer: Albertus Magnus
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teilweise in der kritischen Werkausgabe vor. In den bislang edierten Kommentaren zu den Texten des Corpus Dionysiacum und zum Werk des Aristoteles sind systematisch ausgearbeitete Positionen Alberts, wenn überhaupt, trotz der außerordentlich guten Indices nur mit Mühe rekonstruierbar. Denn in seinen Kommentierungen bemüht er sich nicht nur darum, paraphrasierend die jeweilige Textstelle und den in ihr thematisierten Sachverhalt verständlich zu machen. Oft präsentiert er zusätzlich auch noch das gesamte ihm zugängliche Wissen seiner Zeit zu diesem speziellen Sachverhalt und verbindet diese Vielfalt zu einer Einheit. Alberts eigene Position erscheint daher in vielen Fällen eher als ein in homogenes Gesamt unterschiedlicher Sichtweisen denn als konsistente und systematisch ausgefeilte Deutung (Burger, Prolegomena). Gerade dieser MelangeCharakter seines Denkens erlaubt es zwar in vielen Fällen, Gemeinsamkeiten zwischen ihm und Thomas zu entdecken. Diese bleiben hinsichtlich ihres systematischen Gehaltes letztlich aber zwangsläufig eher vage. Beispielhaft wird dies an einem Beitrag zum Wahrheitsverständnis von Albert und Thomas deutlich (Senner, Wahrheit). Nachdem der Autor zunächst ausführlich die einschlägigen Stellen im Werk Alberts und dann in den Schriften des Thomas dargestellt hat, kommt er zu folgendem Fazit: Für beide besitzt die philosophische Erkenntnis neben der theologischen einen Eigenwert. Infolgedessen ist für beide eine Bestandsaufnahme philosophischer Definitionen zur Bestimmung des Wahrheitsbegriffs notwendig. Beide haben ein ganzheitliches Wahrheitsverständnis, das logische ebenso wie ethische und ontologische Aspekte umfasst. Für beide ist Wahrheit philosophisch wie auch theologisch in Gott begründet. Bei Albert hebt der Verfasser die Fülle des berücksichtigten Materials und die immer wieder neu ansetzende Auseinandersetzung mit dem Thema, bei Thomas die Weite der einbezogenen Thesen, den methodischen Ansatz bei der Empirie und die Systematik der Behandlung des Gegenstandes hervor. Es bleibt aber nicht nur ungeklärt, worin das Eigentümliche der Position des Albert besteht, sondern auch, ob und wie sich Thomas mit dieser Position seines Lehrers auseinandergesetzt hat. Die folgenden Überlegungen geben zunächst einen skizzenhaften Abriss der Biographie Alberts unter Berücksichtigung der Daten, die sich auf die unmittelbare Zusammenarbeit von Albert und Thomas beziehen (1.2.). Angesichts der immer noch sehr lückenhaften Forschung zum Verhältnis von Albert und Thomas scheint es sinnvoll, sodann alle diejenigen Informationen zum Thema zusammenzutragen, die sich auf den Zeitraum des unmittelbaren Kontaktes zwischen Thomas und Albert beziehen (1.3.). In diesem Kontext werden vor allem die Ergebnisse der Forschung zu doktrinellen Einflüssen Alberts auf das Werk des Thomas vorgestellt, die im Kontext der Erstellung der kritischen Editionen beider Werke erarbeitet worden sind. Im letzten Teil des Beitrages sind zunächst allgemeine Hinweise zum Einfluss Alberts auf das Werk des Thomas zusammengestellt. Sodann wird an einem konkreten Beispiel zu zeigen versucht, wie man sich diesen Einfluss vorstellen könnte (1.4.).
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1.2. Albertus Magnus wurde in Lauingen an der Donau (Schwaben) geboren. Er studierte u. a. in Padua die artes und Rechtswissenschaft. Hier lernte er den wenige Jahre zuvor gegründeten Dominikanerorden kennen, in den er wahrscheinlich im Jahre 1223 eintrat. Nach Abschluss seines Noviziats war er über eine längere Zeitspanne Lehrer an verschiedenen Studienhäusern des Ordens. Zu Beginn der 1240er Jahre schickte ihn der Orden zum Theologiestudium nach Paris. 1245 schloss er seine Studien ab, wurde zum Magister der Theologie promoviert und erhielt einen der theologischen Lehrstühle an der Universität. Thomas lernte Albert wahrscheinlich während seines ersten Paris-Aufenthaltes in den Jahren 1246 bis 1248 kennen. Als gesichert kann gelten, dass Albert zusammen mit Thomas am Ende des akademischen Jahres 1248 von Paris nach Köln aufbrach. Albert sollte entsprechend einem Beschluss des Generalkapitels in Köln ein Studium generale für die Deutsche Ordensprovinz einrichten. Im Herbst wird Albert mit der Lehre dort begonnen haben. Thomas setzte dann bei Albert sein Theologiestudium fort. 1251 oder 1252 wurde Albert vom Generaloberen des Ordens gebeten, eines der jungen Ordensmitglieder für die Ernennung zum baccalaureus und für die Lehre an der Universität in Paris zu benennen. Er schlug Thomas vor und bat Hugo von St. Cher um Unterstützung seines Vorschlages. Der Ordensgeneral stimmte zu, und Thomas verließ Köln. Albert lehrte als Leiter des Studium generale bis 1254 in Köln. Während der 1250er Jahre bis ca. 1270 war er kirchenpolitisch aktiv, was ihm die Gelegenheit gab, große Teile Westeuropas kennenzulernen. Von 1254 bis 1257 war er Provinzial der Ordensprovinz Teutonia, von 1260 bis 1262 Bischof von Regensburg. Danach erhielt er den Auftrag zur Kreuzzugspredigt bzw. zur Organisation von Kreuzzugspredigten. Während der letzten zehn Jahre seines Lebens lebte er in Köln. Er starb dort am 15. November 1280 (Craemer-Ruegenberg, Albertus Magnus). 1.3. Wenn Thomas Albertus Magnus während seines ersten Paris-Aufenthaltes kennenlernte, dann ist es denkbar, dass er in St. Jacques einige Theologie-Vorlesungen Alberts besuchte. In der Forschung wird als Beleg dafür die von Thomas angefertigte Kopie von Alberts Kommentar zu De caelesti hierarchia angeführt, die Spuren des Pariser Systems der Pecien aufweist. Albert schloss um 1246 wahrscheinlich auch den Kommentar zum Buch II der Sentenzen des Petrus Lombardus ab; zuvor war De bono entstanden. Anfang der 1240er Jahre, als er Lektor an den deutschen Konventstudien war, hatte er De natura boni, De sacramentis, De incarnatione und De ressurectione sowie De IV coaequaevis verfasst. Letztere bildet zusammen mit der ebenfalls in diesem Zeitraum entstandenen Schrift De homine die beiden Teile der Summe De creaturis. Alle diese Texte könnte Thomas gekannt haben. Der Editor der Anthropologie Alberts, Henryk Anzulewicz, hebt hervor, dass De homine Thomas in seinen anthropologischen Überzeugungen deutlich beeinflusst habe (Anzulewicz, Einleitung). So sei die Seelenlehre des Thomas, deren Betonung der Einzigkeit der Substantialform des menschlichen Körpers zumeist als dessen genuine Leistung bewertet wird, von Albert bereits in dieser Frühschrift systematisch entfaltet worden. Aus ihr habe Thomas
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zudem seine Textkenntnisse zu David von Dinant. Dennoch seien die Divergenzen zwischen beiden in der Intellekt- und Erkenntnislehre unübersehbar. Albert reformuliere in De homine die augustinische und pseudo-dionysische Illuminationslehre auf der Grundlage der aristotelischen Thesen zum intellectus agens und der arabischen Lehre vom fluxus formarum. Demgegenüber schließe sich Thomas eng an Aristoteles an. In der Zeit seines Kölner Aufenthaltes redigierte Thomas auf der Grundlage seiner Notizen die Reinschrift der Vorlesung Alberts zu De divinis nominibus des Dionysius. Dies kann als gesichert gelten, da man im Codex Neapolitanus (Neapel, Biblioteca Nazionale I B 54) die Hand des Thomas hat identifizieren können. Auch die von Albert wahrscheinlich noch in Paris gehaltene Vorlesung zu De ecclesiastica hierarchia, ebenfalls eine Schrift aus dem Corpus Dionysiacum, gibt es in diesem Codex in einer handschriftlichen Fassung von Thomas. Sie könnte 1249 in Köln entstanden sein. René-Antoine Gauthier vertritt die These, dass Thomas in Köln auch Alberts frühe Ethik-Vorlesung redigiert habe (Gauthier, S. Thomas et l’Éthique à Nicomaque). Er kommt zu diesem Schluss aufgrund von Beobachtungen, die er im Zusammenhang seiner Arbeit an der kritischen Edition des Kommentars des Thomas zur Nikomachischen Ethik und der gleichfalls von Thomas stammenden Tabula libri Ethicorum gemacht hat. Bei diesem Text handelt es sich um eine Art Lexikon zur Aristotelischen Ethik, dessen Definitionen größtenteils wörtliche Zitate aus Alberts früher Ethik-Kommentierung sind. Gauthier nimmt an, dass Thomas diese Zusammenstellung zu dem Zeitpunkt unternahm, als er die Arbeit am zweiten Teil der Summa Theologiae begonnen hatte. Die Tabula ist unvollendet geblieben. Thomas habe kurz darauf mit seinem eigenen Ethik-Kommentar begonnen. Im Ethik-Kommentar des Thomas hat Gauthier etwa 350 Textstellen gefunden, bei denen er den Einfluss Alberts glaubt nachweisen zu können. Bei etwa 200 Stellen handele es sich um Erläuterungen Alberts, die Thomas übernommen habe. Die übrigen Stellen sind Zitate aus den Werken von Aristoteles, Cicero und den von Robert Grosseteste übersetzten griechischen Ethik-Kommentaren, die er der Ethik-Kommentierung Alberts entlehnt haben soll. Jedoch scheint Thomas – so Gauthier – Alberts Kommentar nicht noch einmal gelesen zu haben, als er seinen eigenen Ethik-Kommentar redigiert habe. Denn es gebe eine Reihe von Stellen, an denen Thomas statt der korrekten Erläuterung Alberts eine falsche angebe. Alle diese Beobachtungen sprechen nach Gauthier dafür, dass Thomas den Text der Ethik-Vorlesung Alberts gut gekannt haben muss, und dass er diese Kenntnisse in Köln erworben haben könnte, als er diesen Text redigiert habe. Gauthier sieht zudem den Einfluss von Alberts Ethik-Vorlesung auch im Sentenzen-Kommentar des Thomas, in der Summa contra gentiles und in De malo gegeben. 1.4. Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, dass Thomas in seiner Zeit als Student Alberts dessen Kommentare zum Corpus Dionysiacum und dessen erste Kommentierung der Nikomachischen Ethik gelesen bzw. studiert haben
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muss. Die Kenntnisse des Thomas von Alberts Arbeiten müssen zudem sehr genau gewesen sein. Darüber hinaus wird man annehmen können, dass Thomas auch weitere frühe Arbeiten Alberts, wie beispielsweise De homine, gekannt hat. Doktrinelle Einflüsse der Schriften Alberts auf das Denken des Thomas wird man also mindestens überall dort suchen können, wo dieser sich mit Themen befasst, die auch Gegenstand der frühen Werke Alberts sind. Die Forschung weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Naturrechtslehre des Thomas sowie seine inhaltliche Bestimmung der Formen des irdischen Glücks von Albert geprägt sein könnten. Möglicherweise verdankt sich auch die Wertschätzung des Thomas für die philosophisch-theologischen Positionen des Corpus Dionysiacum dem Einfluss Alberts. Darüber hinaus ist auch zu fragen, ob Thomas durch seinen Lehrer nicht auch im Blick auf die Architektur ganzer Theoriezusammenhänge beeinflusst sein könnte. Im Folgenden sei diese Hypothese an einem Beispiel etwas näher ausformuliert. Wolfgang Kluxen hat die ersten Quaestionen des zweiten Teils der Summa Theologiae des Thomas (STh I-II q. 1–5; Ed. Leonina 6, 6–54) als Elemente einer »Metaphysik des Handelns« rekonstruiert (Kluxen, Philosophische Ethik). Der Gedankengang sei kurz skizziert: Orientiert an den Eingangskapiteln der Nikomachischen Ethik entwickelt Thomas in diesem Textabschnitt den Gedanken, dass Lebewesen sich durch Tätigkeiten verwirklichen. Dies gilt auch für den Menschen. Menschliches Handeln ist (wie jede Tätigkeit) auf ein Ziel bezogen. Zum Teil stehen diese Ziele dergestalt in einer hierarchischen Ordnung, dass es ein erstes bzw. letztes Ziel allen Tuns gibt. Dieses Ziel wird um seiner selbst willen erstrebt, während alle anderen Ziele Mittel zum Erreichen eines höheren Zieles sind. Auf dieses Letztziel sind alle vernunftlosen Geschöpfe natural bezogen, während die vernunftbegabten Geschöpfe sich in ihrem Handeln selbst daraufhin entwerfen. Thomas setzt das Letztziel des Menschen – Aristoteles hierin folgend – mit dem Glück gleich, das er inhaltlich als Schau des göttlichen Wesens und (in Anlehnung an Augustinus) als ›Genießen‹ Gottes bestimmt. Anders als Aristoteles ist er davon überzeugt, dass der Mensch vollkommen glücklich werden kann. Dies sei ihm aber erst nach seinem irdischen Leben in der Gemeinschaft mit Gott möglich. Die Ausführungen des Thomas zu Letztziel und Glückseligkeit sowie zu ihrem inhaltlichen Zusammenhang mit Gott zeigen nach Kluxen eine Gesamtordnung auf, in der auch alles menschliche Handeln eingebunden ist und von der es seine Bestimmtheit erhält. Sie geben seiner an der Vernunfteinsicht orientierten Ethik einen letzten metaphysischen Bezugspunkt, ja bilden zusammen mit anderen Teilen aus dem zweiten Teil der Summa eine »Metaphysik des Handelns«. Zusammengehalten würden Metaphysik und Ethik bei Thomas durch die theologische Gesamtperspektive, in der die Summe konzipiert ist. Diese Architektur, das Miteinander von Metaphysik und Ethik und die sie zur Einheit führende theologische Perspektive unterscheiden die Überlegungen des Thomas grundlegend von ihrer aristotelischen Vorlage. Angeregt sein könnte die-
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se Konzeption von Albert (Müller, Natürliche Moral), näherhin von Ausführungen, die dieser zum Thema Krieg und Frieden in seinem Kommentar zu De divinis nominibus des Pseudo-Dionysius macht (Super Dionysium De divinis nominibus XI, Editio Coloniensis 37, I, 410–426). Hintergrund ist die Frage des zu kommentierenden Textes, ob der Begriff »Frieden« ein angemessener Name für Gott ist, was von Albert bejaht wird. Krieg sei ein Sachverhalt aus der Sphäre der verursachten Dinge und sei als Widerstreit einander entgegengesetzter Elemente zu deuten. Für den unter ihm Leidenden sei er ein Mangel an Vollkommenheit, die mit der Ruhe des Friedens gegeben war (Dreyer, ›Bellum dicitur quasi minimum bonum‹). Der Zusammenhang von Ursache und Verursachtem spielt für seine weitere Argumentation eine wichtige Rolle. Albert nimmt eine erste Ursache nach Art einer Finalursächlichkeit an, die zugleich höchstmögliche Einheit und infolgedessen Inbegriff des Friedens sei. Die Finalursächlichkeit wirkt nach Albert in der Weise, dass die Ausrichtung oder Nicht-Ausrichtung auf sie hin Konsequenzen für diejenigen hat, die in einer solchen Finalordnung stehen. Im Fall der Finalursächlichkeit, die zugleich höchstmögliche Einheit ist, haben die auf sie hingeordneten Dinge nach Maßgabe ihrer Hinordnung selbst Einheit und Frieden. Denn die Dinge sind konnatural untereinander aufgrund der ihnen allen gemeinsamen Hinordnung auf das Letztziel. In dem Maß aber, in dem sie sich von diesem entfernen, vervielfältigten sie sich nach Albert, was die Bildung von Gegensätzen und mittelbar die Entstehung von Krieg zur Folge hat. Krieg ist für Albert also nicht eine unmittelbare Wirkung Gottes als der ersten Ursache, sondern Folge einer mangelnden Bezogenheit der Dinge auf ihn hin und damit letztlich Folge ihres jeweiligen – niederrangigen – ontischen Status. Die sich anschließende Frage, ob alle den Frieden ersehnten, wird von Albert positiv beantwortet: Der Friede werde zwar nicht als Friede und damit nicht an sich erstrebt. Vielmehr ersehne man an sich ein Gutes und den Frieden nur, insofern er ein Gut sei. Das Gute werde also nicht um des Friedens willen ersehnt, sondern der Frieden um des Guten willen. Je nach Beschaffenheit der Dinge verlangten diese nach (göttlichem) Frieden. Von den mit Verstand und Vernunft begabten Wesen werde er als Idee ersehnt und auch erlangt. Die naturhaften Dinge ersehnten ihn einem Bild oder einer Spur entsprechend, in der die Ähnlichkeit der göttlichen Güte nachklinge. Derjenige aber, der zur Friedensintention im Widerspruch stehe, der also Krieg führen wolle, damit er – so Albert – nach Zerstörung der Hindernisse Ruhe in seinen eigenen Gütern finde, ersehne den Frieden und partizipiere an ihm wie an einem verdunkelten Bild. Er verlange Krieg und Frieden zugleich, aber nicht mit Bezug auf dasselbe: Den Frieden suche er an sich, den Krieg und die Trennung im Blick auf die anderen, durch die er daran gehindert werde, bei seinen Gütern auszuruhen. Will er seiner Tätigkeit nach Krieg, so intendiere er nach Albert jedoch damit den Frieden, ein Widerspruch, den man auch beim Streben nach einem Guten konstatieren könne: Jemand ersehne ein Übel als ein Gutes, insofern es eine Ähnlichkeit mit dem ersten Gut
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habe. Da es sich jedoch um ein kontingentes und unvollkommenes Gut handle, sei es vom universalen Gut getrennt, das überall und immer gut sei. Diese Überlegungen Alberts im Kommentar über De divinis nominibus zur finalursächlich geprägten Schöpfungsordnung können also in der Weise verstanden werden, dass sie die neuplatonisch formulierten Rahmenbedingungen menschlichen Handelns benennen, insofern sie die allgemeinen, d. h. naturalen Vorgegebenheiten jeder Sittlichkeit aufzeigen. Das, was Albert hier nur in einer knappen Skizze entwickelt, könnte für Thomas zum Anstoß geworden sein, seine Ethik im zweiten Teil der Summa Theologiae mit einer »Metaphysik des Handelns« zu fundieren. Freilich gilt das oben Gesagte auch für diese zwischen Thomas und Albert möglicherweise bestehende doktrinelle Beziehung: Der spezifische Duktus der Gedankengänge Alberts des Großen macht es schwer, wenn nicht sogar unmöglich, Abhängigkeiten zwischen Thomas und ihm definitiv nachzuweisen. Anzulewicz, Henryk: Einleitung, in: Abertus Magnus: Über den Menschen. De homine. Nach dem kritisch erstellten Text übersetzt und hg. von Henryk Anzulewicz und Joachim R. Söder, Hamburg 2004, XI–XLIX. Dreyer, Mechthild: Die Editio Coloniensis im Kontext der philosophischen und theologischen Mittelalterforschung, in: Honnefelder, Ludger/Dreyer, Mechthild (Hg.): Albertus Magnus und die Editio Coloniensis (Lectio Albertina 1), Münster 1999, 9–22. Dreyer, Mechthild: »Bellum dicitur quasi minimum bonum.« Zur sittlichen Beurteilung des Krieges bei Albertus Magnus, in: Beestermöller, Gerhard/Justenhoven, Heinz-Gerhard (Hg.): Friedensethik im Spätmittelalter. Theologie im Ringen um die gottgegebene Ordnung (BFE 30), Stuttgart 1999, 10–23. Gauthier, René-Antoine: S. Thomas et l’Éthique à Nicomaque, in: Thomas von Aquin: Sententia libri Politicorum, Tabula libri Ethicorum (Opera omnia, Ed. Leonina XLVIII), Rom 1971, I–XXV. Kluxen, Wolfgang: Philosophische Ethik bei Thomas von Aquin, Hamburg 1964, 21980. Senner, Walter: Wahrheit bei Albertus Magnus und Thomas von Aquin, in: Enders, Markus/ Szaijf, Jan (Hg.): Die Geschichte des philosophischen Begriffs der Wahrheit, Berlin 2006, 103–148. Mechthild Dreyer
2. Der Kollege: Bonaventura 2.1. »Zwei Fürsten der Scholastik«
Dass Thomas und Bonaventura in einem Atemzug genannt werden, hat eine lange Tradition. Nur wenige Jahre Altersunterschied trennte die beiden »Fürsten der Scholastik«; sie waren einige Zeit zugleich als theologische Lehrer in Paris tätig, wurden beide zum Konzil von Lyon berufen (1274) und starben im gleichen Jahr. Bereits in der Göttlichen Komödie (Paradies, 11. und 12. Gesang) erscheinen sie einander zugeordnet, ebenso wie Franziskus und Dominicus: Wie die beiden Or-
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densgründer, so vertreten die beiden herausragenden Exponenten der Mendikanten-Theologie in jeweils besonderer Weise den »cherubischen«, auf das Licht des Intellekts bezogenen Aspekt der Theologie, und ihren »seraphischen« Aspekt, der das Feuer der mystischen Liebe symbolisiert. In der Bulle Triumphantis Hierusalem Sixtus’ V. (1588), aus Anlass der Erhebung Bonaventuras zum Kirchenlehrer, wird unter Rückgriff auf biblische Bilder, die selbst eine lange Tradition im Selbstverständnis der Bettelorden haben, pointiert formuliert: Hi enim sunt duae olivae et duo candelabra (Offb 11,4) in domo Dei lucentia, qui et caritatis pinguedine et scientiae luce totam Ecclesiam collustrant. Hi singulari Dei providentia eodem tempore tanquam duae stellae exorientes ex duabus clarissimis regularium Ordinum familiis prodierunt […] (»Thomas und Bonaventura sind die beiden Ölbäume, die beiden Leuchter im Haus des Herrn; sie erleuchten mit dem Öl der Liebe und dem Licht der Wissenschaft die gesamte Kirche. Durch Gottes besondere Vorsehung gingen zur selben Zeit aus den beiden ruhmreichen Orden zwei Sterne auf.«: Opera omnia, Bd. I, L). Während die Editoren der Opera omnia Bonaventuras um die Wende zum 20. Jahrhundert bemüht waren, in ihren Scholien die Gemeinsamkeiten zwischen Thomas – dem seit langem anerkannten doctor communis – und Bonaventura zu betonen, dessen Theologie und Philosophie weniger Beachtung gefunden hatte als seine geistlichen Werke, begannen ab den zwanziger Jahren zahlreiche Forschungsarbeiten, die sich auf die verdienstvolle Textausgabe stützten, gerade die Eigenständigkeit des theologischen und philosophischen Konzeptes Bonaventuras aufzuweisen. Eine der ersten, bahnbrechenden Untersuchungen wurde von Etienne Gilson vorgelegt (Gilson, Bonaventura; dt.: 1929, in einer zweiten Übersetzung 1960). Der Kenner des Thomismus wie des Augustinismus kommt hier zum Schluss, das System des Aquinaten und dasjenige Bonaventuras seien die beiden »universalsten Verständnisse des Christentums: weil sie sich ergänzen, können sie weder einander ausschließen noch sich decken« (Gilson, Bonaventura, 526). Bonaventura und Thomas haben als scholastische Theologen gemeinsame Quellen und gemeinsame Felder der Lehre. Sie haben als Mitglieder der neuen Bettelorden ähnliche Interessen und gemeinsame Gegner. Doch verläuft ihre Biographie unterschiedlich, was auch unterschiedliche Schwerpunkte im jeweiligen literarischen Werk zur Folge hat. Und sie setzen – innerhalb des großen Rahmens scholastischer Theologie – durchaus unterschiedliche Akzente in der Lösung theologischer und philosophischer Fragen, die ohne Zweifel auch von unterschiedlichen Vorentscheidungen und ihrer unterschiedlichen Persönlichkeit getragen sind. 2.2. Bonaventuras Lehrtätigkeit 1254–1257
Johannes Petrus Fidanza wurde vermutlich im Jahr 1217 in Bagnoregio (Latium, unweit des Lago di Bolsena) geboren. Anders als bei Thomas ist über seine Kind-
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heit und Jugend wenig bekannt. Er selbst erzählt (Legenda minor VII, 8), dass er in jungen Jahren auf die Fürbitte des heiligen Franziskus von einer lebensgefährlichen Krankheit geheilt worden sei. Daraus lässt sich schließen, dass in der Familie eine besondere Verehrung des Heiligen aus Assisi gepflegt wurde. Einer Legende zufolge geht auch der Name »Bonaventura« auf Franziskus zurück, der beim Anblick des Kindes »das Gute, das kommen werde«, prophezeit habe. Ob jedoch Franziskus, der 1226 starb, und Bonaventura sich jemals persönlich begegneten, ist historisch nicht zu belegen. Anders als im Werk des Thomas, der seinen Ordensvater kaum jemals erwähnt, spielen die Heiligen Franziskus und Dominicus bei Bonaventura eine viel größere Rolle. Sicher ist jedenfalls, dass Bonaventura der erste seines Ordens war, der die Geistigkeit des Poverello für eine Theologie fruchtbar werden ließ, welche zugleich den Standards der scholastischen Methode verpflichtet war. Rechnet man vom Datum seiner Promotion zum Magister der Theologie (1253/54) zurück, so muss Bonaventura etwa 1235 das Studium der artes zu Paris begonnen haben. 1243 könnte er in den Orden eingetreten sein – denn als Ordensmitglied die artes zu studieren, war nicht üblich – und das fünfjährige Theologiestudium aufgenommen haben. Als baccalaureus biblicus las Bonaventura ab 1248 mit Studenten cursorie das Lukas-Evangelium (als Magister überarbeitete er später diesen Kommentar: Opera omnia, Bd. VII); in den Jahren 1250–1252 kommentierte er die vier Bücher Sentenzen des Petrus Lombardus und arbeitete sodann seinen Kommentar schriftlich aus. Der Sentenzen-Kommentar Bonaventuras (Opera omnia, Bde. I–IV) darf als »der vielleicht inhaltlich bedeutendste« seiner Gattung angesehen werden (Grabmann, Geschichte der katholischen Theologie, 67). Auch Thomas kannte ihn. Vermutlich 1252/53 erhielt Bonaventura die Zulassung zur Promotion. Der Orden hatte ihn als Nachfolger auf dem Lehrstuhl des Wilhelm von Militona vorgesehen. Doch aufgrund der angespannten Lage an der Universität, deren weltgeistliche Professoren den zunehmenden Einfluss der Bettelorden begrenzen wollten, und des diese Situation noch verschärfenden Eklats, der durch den Liber Introductorius in Evangelium aeternum (so hatte Gerhard von Borgo San Donnino die Einleitung in die von ihm 1254 herausgegebenen Schriften Joachims von Fiore betitelt) ausgelöst worden war, wurde Bonaventura zwar promoviert, nicht aber in das Consortium Magistrorum aufgenommen. Er teilte dieses Schicksal mit Thomas. Beide erlangten nur aufgrund massiver und wiederholter Interventionen Papst Alexanders IV. die Zulassung (Herbst 1257). Während dieser Jahre blieb Bonaventura nicht untätig, im Gegenteil. Es entstanden in erstaunlich kurzer Zeit ebenso umfangreiche wie qualitätvolle Kommentare zu biblischen Büchern: die Überarbeitung des Lukas-Kommentars, der Kommentar zu Ekklesiastes und zum Johannes-Evangelium. Auch das Breviloquium, in der Zielsetzung vergleichbar dem Compendium des Thomas ( C.I.13.), dürfte aus den Jahren 1254–1257 stammen. Diese kleine »Summa« sollte Studierenden das theologische Grundwissen vermitteln, das die Voraussetzung für die
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Hauptaufgabe des Theologen ist: die fruchtbare Schriftinterpretation. Im Prolog geht es um fundamentaltheologische Fragen (Was ist Theologie als Wissenschaft, wie verhält sie sich zur Offenbarung Gottes? Jesus Christus als fleischgewordenes Wort Gottes und die Hl. Schrift als Offenbarungszeugnis), in den folgenden sieben Abschnitten werden die Gotteslehre, Schöpfungslehre, Christologie und Soteriologie, Pneumatologie und Gnadenlehre (samt ihren moraltheologischen und geistlichen Implikationen), die Sakramententheologie (einschließlich der notwendigsten kirchenrechtlichen Kenntnisse) und die Eschatologie behandelt. Das Breviloquium wurde von späteren Autoren – nicht immer unter Nennung des Verfassers – häufig herangezogen und exzerpiert. In Teil II des Breviloquium (»Schöpfung«) findet man einen klaren Grundriss bonaventurianischer Erkenntnistheorie und Anthropologie: Bonaventura vermeidet es strikt, den Menschen als animal rationale zu bezeichnen, er bevorzugt stattdessen creatura rationalis. Die größte Rolle in seiner Anthropologie spielt die Bestimmung des Menschen als »Gottes Abbild«: imago Dei zu sein ist seinshafte, unverlierbare Struktur des menschlichen Geistes, die zugleich eine dynamische Komponente einschließt, nämlich den Anspruch, dass die wesenskonstitutive Relation zu Gott als dem Urbild in Erkenntnis und tätiger Liebe verwirklicht werden muss. Selbstverständlich ist auch bei Thomas von der Gottebenbildlichkeit die Rede (STh I q. 93; Ed. Leonina 5, 401–412), aber der Gedanke nimmt auffällig geringen Raum ein, während er bei Bonaventura allgegenwärtig ist – ein Beispiel für die Unterschiedlichkeit beider Theologen, wie sie sich in der Gewichtung bestimmter Themen ausdrückt. Vielleicht kann man sagen: Ein Gedanke, der Bonaventuras Denken innerlich treibt und formt, ist die Hinordnung jedes einzelnen Menschen auf Gott, des Abbildes auf das Urbild. Von dieser engen Bezogenheit her bemisst sich das Gewicht bestimmter Einzelfragen im Bereich der Erkenntnistheorie und Anthropologie. – Offenbar hat die theologische Reflexion über die Gottebenbildlichkeit Bonaventura dazu geführt, eine Deutung des Verhältnisses von Seelenpotenzen (»Selbstbewußtsein«/memoria, Erkenntnis und Willen) und der Seelensubstanz im Sinne eines Verhältnisses von Akzidentien zur Substanz (und damit einer realen Differenz, wie bei Thomas) abzulehnen. Er vertritt aber auch nicht die Auffassung einer bloß »gedachten Unterschiedenheit« (distinctio rationis), wie später Heinrich von Gent, sondern nimmt eine mittlere Position ein: Die Potenzen gehören zum Wesen der Geistseele (naturales et consubstantiales), sind aber voneinander unterschieden, d. h. nicht schlechthin identisch mit der Substanz (sunt in eodem genere per reductionem: Sent. 1 d. 3 p. 2 a. 1 q. 3). Vielmehr verhalten sich die Akte der drei Potenzen zur einen Seelensubstanz analog wie die drei göttlichen Personen zur einen göttlichen Wesenheit. – Ein weiterer Unterschied zu Thomas in der Anthropologie sei angesprochen: Für Bonaventura ist die Seele des Menschen zwar auch forma corporis, aber ebenso hoc aliquid und vor allem imago Dei, wobei dies auch in besonderer Weise für die mit dem Leib verbundene Seele gilt (Sent. 2 d. 1 p. 2 a. 3 q. 2; d. 16 a. 2 q. 1; Schlosser, Cognitio et amor, 16 f.). Damit hängt zusammen, dass bei Bonaventura der meta-
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physische Abstand zwischen dem Sein der Engel und dem der Menschen geringer erscheint als bei Thomas: Aufs Wesentliche gesehen übertrifft auch der Engel den Menschen nicht an Gottebenbildlichkeit. Wie alles geschaffene Seiende ist nach Bonaventura auch das rein geistig Seiende (Engel, Seele) zusammengesetzt aus »Form« und »geistiger Materie« (materia spiritualis). Im Hinblick auf das Verhältnis von Seele und Leib – wie es gerade in der eschatologischen Frage nach dem Status der getrennten Seele sichtbar wird – hat Gilson (Gilson, Bonaventura, 271) zutreffend festgestellt: »Die thomistische Seele empfindet Verlangen nach dem Körper, weil sie eine unvollendete Substanz ist, der etwas fehlt […], die Seele Bonaventuras hingegen verlangt nach einem Körper, weil sie diesem Körper eine Gunst erweisen will […], dieses Verlangen ist ein Akt der Liebe, des Edelmutes und der Freigebigkeit, nicht Ausdruck eines Mangels oder Bedürfnisses.« Bonaventuras Lehrtätigkeit umfasste, wie üblich, nicht nur Vorlesungen, sondern auch Disputationen und Predigten. Drei Reihen von Quaestiones disputatae aus den Jahren 1255–1257 (Opera omnia V) sind mit Sicherheit authentisch; in ihnen sind wesentliche Themen bonaventurianischen Denkens aufgenommen: In De scientia Christi geht es zum einen um das Wesen göttlicher Erkenntnis als schöpferischer Erkenntnis, zum anderen um eine Erkenntnistheorie und Gnadenlehre, die am Paradigma des menschlichen Wissens Christi entwickelt werden. Q. 4 bietet die ausführlichste Darlegung der Erkenntnistheorie Bonaventuras, in der sich aristotelische Elemente mit der augustinischen Illuminationslehre verbinden. Bonaventura vertritt die Ansicht, Platon müsse durch Aristoteles ergänzt werden; denn wenn man alle Erkenntnis aus den Ideen ziehen wolle und das sinnenhaft Gegebene verachte, gerate man in die Gefahr des Gegenteils, nämlich einer generellen Skepsis zu verfallen, wie einst die Nachfahren der Platonischen Akademie. Die Berührung der rationes aeternae in jeder Erkenntnis mit Gewissheitscharakter (cognitio certitudinalis) gilt Bonaventura, der hier klarer ist als Augustinus, nicht als gnadenhaft-übernatürlich, sondern dem Menschen als geistigem Geschöpf eigen (vgl. dazu auch Sermo theologicus IV; Sent. 2 d. 24). Die von Thomas vertretene Interpretation des göttlichen Licht-Einflusses hält Bonaventura für unzureichend. Entscheidend ist, dass die Illuminationsgegenwart Gottes für das geistbegabte Geschöpf nicht Einschränkung seiner Würde ist, sondern im Gegenteil: in dieser Bezogenheit auf nichts Geringeres als die absolute Wahrheit und unerschöpfliche Gutheit, durch die Erkenntnis und Wille/Liebe angezogen werden, besteht seine Würde. Thema der Quaestionen De mysterio trinitatis sind die Eigenschaften Gottes. Gott wird als dreifaltig geglaubt; inwieweit ist dieses Geheimnis dem Denken zugänglich? Was bedeuten »Einheit«, »Einfachheit«, »Ewigkeit« des Wesens Gottes in Verbindung mit der geoffenbarten Dreifaltigkeit? Damit ist die Frage nach dem Verhältnis von Vernunft-Erkenntnis und Glaubenserkenntnis, von philosophischer Theologie und Offenbarung gestellt. Nach Bonaventura, der, wenn man so will, den augustinisch-anselmianischen »Optimismus« teilt, kann der Mensch zu bestimmten Erkenntnissen über Gott mit seiner Vernunft gelangen, ja seine
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Vernunft kann eigentlich gar nicht anders. Im Unterschied zu Thomas ist für Bonaventura das »anselmische Argument« der erstrangige Weg, wenn auch nicht der einzige, das Sein Gottes aufzuweisen (De mysterio trinitatis q. 1 a. 1; Sent. 1 d. 8 p. 1 a. 1 q. 2; Itinerarium 5, 3. 4): »Der Intellekt selbst hat, so wie er geschaffen ist, in sich ein Licht, das ausreicht, jenen Zweifel weit von sich zu weisen und sich so der Torheit (im Sinne des insipiens, der in seinem Herzen spricht: Es gibt keinen Gott) zu entreißen« (De mysterio trinitatis q. 1 a. 1 ad 1.2.3). Gottes Sein ist von einer derartigen »Wahrheit«, »unbezweifelbar«, dass es nicht als nicht-seiend gedacht werden kann; vielmehr wird das kontingente Seiende als solches überhaupt nur erfasst im Licht des vollkommenen Seins (nicht des analogen esse commune!). Um aber dieses für sich genommen in den Blick zu bekommen, bedarf es einer Aufdeckung der Erkenntnisbedingungen (plena resolutio). Die Dreifaltigkeit Gottes dagegen muss im Glauben angenommen werden. Dabei steht das von der Offenbarung Vorgestellte jedoch nicht im Widerspruch zu dem von der Vernunft Erkannten, sondern wirft im Gegenteil nochmals ein besonderes Licht darauf. Gute zwei Jahre später (1259) zeigt Bonaventura im Itinerarium V–VI, wie die Erkenntnis Gottes auf dem Weg der metaphysischen Einsicht und auf dem Weg der geoffenbarten Wahrheit den Menschen zum mystischen Staunen (admiratio) erheben kann. De perfectione evangelica behandelt ein geistlich-praktisches Thema: »Über die Vollkommenheit, wie sie das Evangelium empfiehlt«. Diese Quaestionen-Reihe ist vermutlich etwas früher als Thomas’ Contra impugnantes ( C.I.13.) gehalten worden und lässt am deutlichsten die angespannte Lage in den Jahren 1254/55 erkennen, als beide Mendikantenorden sich gegen Wilhelm von Saint-Amour verteidigen mussten. Der Schwerpunkt Bonaventuras liegt auf der besonderen Form evangelischer Armut, dem Verzicht auf Gemeinschaftsbesitz (q. 2 a. 2). Dies ist, so will Bonaventura nachweisen, keine Neuerung oder häretische Übertreibung – wie die Gegner der Bettelorden behaupteten –, sondern eine von der Kirche selbst in der Heiligsprechung der beiden Ordensgründer Franziskus und Dominicus gewissermaßen approbierte Lebensform. Bonaventura argumentiert mit der universalkirchlichen Sendung der neuen Orden durch den Papst und dem Vorrang der Seelsorge vor der Handarbeit. 2.3. Bonaventura als Generalminister des Minderbrüderordens
Die innerhalb weniger Jahre entstandenen Werke zeigen offenkundig die außerordentliche Fruchtbarkeit des theologischen Denkens Bonaventuras. Zu dem Zeitpunkt jedoch, als die weltgeistlichen Gegner der Mendikanten dem unmissverständlichen Befehl des Papstes nachgaben, »namentlich die Fratres Thomas und Bonaventura im Consortium zu akzeptieren«, hatte sich für Bonaventura bereits das Aufgabenfeld geändert: Am 2. Februar 1257 war er zum Generalminister des Minderbrüder-Ordens gewählt worden. Er übernahm ein schwieriges Erbe. In dem rasch gewachsenen Orden, der bereits dreißig- bis fünfunddreißig-
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tausend Minderbrüder in 32 Provinzen umfasste, waren verschiedene Strömungen wirksam, hatten sich neue Aufgaben gestellt, für die Lösungen gefunden werden mussten, und zwar in Treue zur eigenen Tradition und dem Charisma des Ordensvaters. Eines der Probleme war die unverhohlene Sympathie für joachitisches Gedankengut, die etwa Bonaventuras Vorgänger Johannes von Parma, ein persönlich frommer Mann, an den Tag gelegt hatte – und er war nicht der einzige im Orden, der fasziniert davon war. Während Thomas sich im Übrigen schon sehr früh, nämlich in seinem Sentenzenkommentar (Sent. 4 d. 43 q. 1 a. 3 qla. 2) unmissverständlich von der Exegese Joachims distanziert, ist v. a. in Bonaventuras Spätwerk Hexaëmeron die Adaptation einiger Gedanken Joachims festzustellen; allerdings ist er mit Thomas einig im Hinblick auf die unaufgeb bare Christozentrik der Geschichte (Ratzinger, Geschichtstheologie, JRGS 2, 571 f. 589 f.). In den folgenden Jahren widmete sich Bonaventura der Konsolidierung des Minderbrüder-Ordens, und zwar nicht allein auf der Ebene der Organisation (Constitutiones Narbonnenses 1260), sondern vor allem in geistlicher Hinsicht. Diesem Ziel sollten das »Große« und das »Kleine Franziskus-Leben« (Legenda maior für die Tischlesung, Legenda minor für die Lesungen des Stundengebetes 1260–1263) dienen, aber auch Werke wie das »Innere Gespräch über die vier geistlichen Übungen« (Soliloquium de quattuor mentalibus exercitiis), der berühmte »Pilgerweg des Menschen zu Gott« (Itinerarium mentis in Deum) und »Der Dreifache Weg – oder: Entflammung der Liebe« (De triplici via – sive Incendium amoris), Bonaventuras Lehrbuch der geistlichen Theologie. Gerade diese Werke, die im Œuvre des Thomas keine Parallele haben, hatten – auch in ihrer volkssprachlichen Rezeption – eine große Wirkungsgeschichte (McGinn, The Flowering of Mysticism, 87), weniger die theologisch-systematischen, mit Ausnahme vielleicht des Breviloquium. In den späten sechziger Jahren könnten sich Bonaventura und Thomas erneut in Paris begegnet sein. Sie waren durch zwei Entwicklungen herausgefordert, die wohl auch den Anstoß gegeben hatten, Thomas erneut nach Paris zu rufen. »Theologen greifen die Lebensweise Christi an, Philosophen seine Lehre«, formulierte Bonaventura prägnant (Hexaëmeron I, 9). Zum einen war die Auseinandersetzung um die Berechtigung der Bettelorden und ihre Stellung in der Kirche wieder aufgelebt. Der Wortführer der Mendikantengegner hieß diesmal Gerhard von Abbeville, und er machte reichlich Gebrauch von den Argumenten, die Wilhelm von Saint-Amour in seinem Straf-Exil gesammelt hatte. Die Gelegenheit für einen neuen Angriff war günstig, da nach dem Tod Clemens IV. der päpstliche Stuhl zwei Jahre vakant blieb. Zum anderen trat fast gleichzeitig an der artes- Fakultät eine Richtung hervor, die man später als »heterodoxen Aristotelismus« bezeichnete (Van Steenberghen, Die Philosophie im 13. Jahrhundert, Kap. 8). Anders als die Magister Thomas oder John Peckham, die sich etwa der Abhaltung von Disputationen bedienten, meldete sich Bonaventura in den intellektuellen wie praktischen Kontroversen hauptsächlich als Prediger zu Wort, allerdings mit
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Predigten für die Universität Paris: den Collationes (d. h. Abendpredigten von beachtlicher Länge, meist an den Samstagen der Fastenzeit) »Über die 10 Gebote« (1267), »Über die Sieben Gaben des Hl. Geistes« (1268) und »Über das Sechstagewerk« (Hexaëmeron, 1273, unvollendet). Neben der Apologia pauperum, welche die Bettelorden, ja das Ordensleben in der Kirche überhaupt, gegen die Mendikantengegner verteidigt (1269), geben vor allem diese Predigtreihen einen Einblick in die angespannte Situation (zum Mendikantenstreit Horst, Evangelische Armut und Kirche). Freilich ist zu berücksichtigen, dass es sich bei allen Collationes um nicht-autorisierte Mitschriften (Reportationes) handelt und im Fall des Hexaëmeron zwei bedeutend unterschiedliche Redaktionen überliefert sind. Angesichts der »frechen Selbstüberschätzung philosophischer Forschung« (improbus ausus philosophicae investigationis), sah sich Bonaventura genötigt, zu bestimmten Thesen aus der Artistenfakultät Stellung zu nehmen und dabei grundsätzlich einen Blick auf das Verhältnis von Philosophie und Theologie zu werfen. Bonaventura geht davon aus, dass Gott der Geber jeder Wissenschaft ist, aber nicht jede auf die gleiche Weise gegeben wird: nicht alles Wissen ist »Theologie«. Philosophie ist »sichere Erkenntnis der Wahrheit, insofern diese Gegenstand der Erforschung ist« (veritatis ut scrutibilis notitia certa: De donis Spiritus IV, 6). Die Wissenschaften behalten ihre Eigenständigkeit bezüglich Methode und Gegenstand, sind aber aufeinander hingeordnet. Sie sollen und können nicht zu zwei einander ausschließenden Weltdeutungen werden, die nebeneinander existieren. Um tatsächlich zu ihrer ganzen Wahrheit zu gelangen, darf sich die Philosophie nicht in sich selbst verschließen. Bleibt der Philosoph nicht offen für Antworten, die er sich selbst nicht geben kann, fällt er in Irrtum. Die »philosophiekritischen« Äußerungen Bonaventuras nehmen mit der eskalierenden Situation an Schärfe zu, wobei eben in Rechnung zu stellen ist, dass eine Predigt kein Traktat ist. Im Übrigen scheint es, dass auch Thomas’ schärfste Worte in den Auseinandersetzungen jener Jahre fallen, etwa in Contra retrahentes – gegen die Bettelordensgegner –, und gegen Personen, die höchst anfechtbare philosophische Theorien vor Studenten präsentieren, die noch kein eigenes Urteilsvermögen in diesen Dingen haben können. Auch Bonaventuras Kritik richtet sich nicht eigentlich gegen Aristoteles oder Platon – denen nicht vorzuwerfen ist, dass sie die Fülle der Wahrheit nicht erreichten –, sondern gegen Philosophen, die Christen sind und dennoch Thesen vertreten, die dem Glauben diametral widersprechen. Es handelte sich vor allem um drei miteinander verknüpfte Probleme, an denen sich die Diskrepanz zwischen einer bestimmten Form der Aristoteles-Rezeption und dem christlichen Glauben immer deutlicher manifestierte: die Annahme der Ewigkeit der Welt; es gebe kein Wissen Gottes vom Einzelnen, daher auch keine Vorsehung für das einzelne Wesen; und die menschliche Seele sei nicht individuell unsterblich. Alle drei Fragen tangieren die Auffassung von der menschlichen Person, ihrer Erkenntniskraft, ihrer Freiheit, Verantwortung und ewigen Seligkeit: Die Leugnung der Individualität der Person, ihres Geistes und Willens, ist nach Bonaventura »der schlimmste Irrtum von allen« (De donis Spiritus VIII,
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16–19). Für Bonaventura hat die Vernunft große Reichweite. So unternimmt er es, nachdem er eine Reihe von philosophischen Argumenten aufgeführt hat, dass die Ewigkeit der Welt nicht beweisbar sei, das Gegenteil zu erweisen. Darin unterscheidet er sich von Thomas. Alle christlichen Theologen waren sich selbstverständlich einig, dass die Welt einen von Gott gesetzten Anfang hat (Quellentexte: Nickl, Bonaventura), unterschiedlicher Ansicht jedoch, ob diese Überzeugung einfach ein Glaubenssatz sei, oder rational beweisbar. Thomas war der Auffassung, dass weder der Anfang der Welt noch das Gegenteil bewiesen werden könnten. Für Bonaventura dagegen gehört die Nicht-Ewigkeit der Welt zu jenen Erkenntnissen, die dem Menschen de facto zuerst durch die Offenbarung (Gen 1,1) bekannt werden, die aber an sich dem menschlichen Geist zugänglich sind; denn die Einsicht in die radikale Kontingenz alles Seienden ist auch vor dem Glauben an die Schöpfung möglich. Man könnte durchaus sagen, dass Bonaventura die durch den Glauben noch ungemein verstärkte Vernunft verteidigte, während Thomas bemüht war, einer Verflachung des Naturbegriffs und einem banalen Optimismus entgegenzutreten. 2.4. Zusammenfassung
Thomas und Bonaventura favorisieren unterschiedliche Lösungen in bestimmten Fragen, von denen einige herausgegriffen wurden. Bereits in Handschriften des 13. Jahrhunderts sind »die Stellen, an denen Frater Thomas und Frater Bonaventura unterschiedlicher Ansicht sind«, zusammengestellt (Grabmann, Geschichte der katholischen Theologie, 68). Die beiden Scholastiker unterscheiden sich aber auch zuweilen in der Wahl der Terminologie, was auf Grundentscheidungen zurückschließen lässt – abgesehen davon, dass ihr Stil verschieden ist –, und vor allem im jeweiligen Gewicht, das sie bestimmten Themen zumessen. Während Thomas nach anfänglich heftigen Kontroversen in seinem eigenen Orden bald schulbildend wurde – und in ähnlicher Weise später der Franziskaner Johannes Duns Scotus –, hatte Bonaventura zwar treue Schüler, aber eine eigene theologische Schule führt sich nicht auf ihn zurück. Es sei denn, man betrachtete ihn als Inspirator des Neu-Augustinismus, der seine Vollgestalt in Wilhelm de la Mare und John Peckham erreichte (Van Steenberghen, Die Philosophie im 13. Jahrhundert, 440 f.). Diese beiden Franziskaner hatten freilich nicht unbedeutenden Anteil daran, dass sich die thomistische Schule festigte; denn sie war zur Antwort auf Wilhelms Correctorium fratris Thomae – einer scharfen, aber begründeten Kritik an 116 Thesen des Aquinaten und ihren Folgerungen – herausgefordert. Die Auseinandersetzung zwischen Kritikern und Verteidigern ging unter dem Namen »Korrektorienstreit« in die Geschichte ein. Man kann also sagen: die direkte Kontroverse spielt sich nicht zwischen Thesen Bonaventuras und denen des Aquinaten ab. Doch gibt es unverkennbar unterschiedliche Grundentscheidungen, die in eine jeweils andere Richtung führen, was die Neu-Augustinisten klar erkannten.
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Statt die einzelnen Lehrunterschiede aufzulisten, soll abschließend das Profil Bonaventuras im Spiegel eines konkreten Werkes gezeichnet werden, das für sein gesamtes Denken repräsentativ sein kann: des Itinerarium. Es enthält nicht nur eine der wenigen autobiographischen Stellen; hier werden sozusagen in einem »Modell« die Tragpfeiler des ganzen Denkgebäudes sichtbar. Auf den ersten Blick ist ersichtlich, dass es sich um eine Verbindung von Philosophie, Theologie und Mystik handelt. Von der Zielsetzung her ist es die Beschreibung des geistlichen Pilgerweges (itinerarium), das Ziel ist Gott (in Deum), der im Menschen wohnen will. Die Reise wird nicht mit den Füßen unternommen, sondern mit dem Geist (mentis), d. h. der Seele, insofern sie »durch Erkenntnis und Liebe Gottes fähig ist«. Eine »Ortsveränderung« im geistigen Bereich geschieht durch »Verähnlichung« (Umgestaltung: transformatio, transitus), die bewirkt wird durch Erkenntnis, vor allem aber durch Liebe. Das Mittel, um die Gegenwärtigkeit Gottes wahrzunehmen, ist die Betrachtung (speculatio). Sechs solche Betrachtungen, drei Paare, werden vorgestellt: Es beginnt mit der unmittelbar sich zeigenden körperlichen Wirklichkeit, an der der Betrachtende erkennen soll, dass es sie nicht gäbe, wäre Gott nicht ihr Ursprung und hielte er sie nicht im Sein. Dann soll der Mensch sich selbst anschauen und begreifen, dass er nicht diese – erkennende, sehnsuchtsvolle – Person wäre, wenn er nicht durch seine geistigen Kräfte auf die höchste Wahrheit und Gutheit bezogen wäre. Und schließlich wird Gott selbst betrachtet: als das vollkommene Sein, das der Mensch durch den rechten Gebrauch seiner Erkenntniskraft ertasten kann, und als der Dreifaltige, von dem man nur aufgrund seiner Selbsterschließung als Liebe in Christus wissen kann. Das Itinerarium zeigt also, was die verschiedenen Bereiche des menschlichen Erkennens für die Kontemplation beisteuern können: naturphilosophische Erwägungen, Anthropologie, Erkenntnistheorie (darum ist dieses Werk auch unter philosophischen Gesichtspunkten von hohem Interesse), und wie das theologische Wissen in die verkostende Erfahrung übergehen kann. Die Betrachtungen »erheben« jedoch nur dann zur Erfahrung des Friedens in Gott (pax ecstatica), wenn sie von der Liebe zu Christus getragen sind. Ohne diese innere Bindung bleiben sie nur ein Denkvollzug, der die Seele nicht umgestaltet, wie im Prolog und im VII. Kapitel ausdrücklich gesagt wird. Das Programm des Itinerarium ist christozentrisch und wurzelt nach Bonaventuras eigener Aussage in der Vision des hl. Franziskus bei seiner Stigmatisation: vom Gekreuzigten in der Gestalt eines sechsflügeligen Seraph. Die sechs speculationes des Itinerarium sind gewissermaßen die Flügel, deren sich die Liebe bedient, um sich zu ihrer Vollgestalt aufzuschwingen: zur »sapientia«. Dieses Wort ist für Bonaventura zentral (vgl. Sent. 3 d. 35 q. 1; Sent. 1 prooem. q. 3). Weisheit ist mehr als die Summe von Wissen, sie ist definiert als die Verbindung von Erkenntnis und Liebe, wobei der Liebe der Vorrang zukommt. Sie hat verschiedene Grade, die höchste Form ist die mystische Erfahrungserkenntnis – die für Bonaventura nicht denkbar ist ohne Bezug zur »Weisheit des Gekreuzigten« (1 Kor 1,23 f.), nämlich als der letztgültigen Offenbarung göttlicher Liebe,
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B. Person
die zur antwortenden Liebe und damit zur Angleichung befähigt. Aber auch die Theologie als Wissenschaft ist »Weisheit«; denn auch in ihr verbinden sich Erkenntnis und Neigung. So liegen die Früchte der theologischen Wissenschaft, die rational-diskursiv vorgeht, nicht nur in der Widerlegung von Gegnern und in der Stärkung des Glaubens durch Argumente, sondern gerade in der Freude, welche die tiefere Erkenntnis einer geglaubten und geliebten Wahrheit schenkt (Sent. 1 prooem. q. 2). Bonaventura ist kein »Voluntarist«, noch behauptet er, dass die Theologie eine praktische Wissenschaft im Sinne einer übernatürlichen Ethik sei. Aber er teilt auch nicht die Ansicht des Thomas, dass sie primär »theoretisch«spekulativ sei. Das letzte Ziel aller Erkenntnis von Gott ist nämlich die Heiligkeit des Menschen; diese aber besteht in der Liebe, d. h. im »Willen«, der mit Gottes Willen geeint ist. Bonaventura: Der Pilgerweg des Menschen zu Gott, übersetzt und kommentiert von Marianne Schlosser, St. Ottilien 2010. Caroli, Ernesto (Hg.): Dizionario Bonaventuriano, Padua 2008. Hammond, Jay/Hellmann, Wayne/Goff, Jared (Hg.): A Companion to Bonaventure, Leiden 2013. Schlosser, Marianne: Bonaventura begegnen, Augsburg 2000. Van Steenberghen, Fernand: Die Philosophie im 13. Jahrhundert. Aus dem Französischen übertragen von Raynald Wagner, Paderborn 1977. Wéber, Édouard-Henri: Dialogue et dissensions entre Saint Bonaventure et Saint Thomas d’Aquin à Paris (1252–1273), Paris 1974. Marianne Schlosser
3. Die »Heiden« als Herausforderung 3.1. Begriffsklärungen
Thomas verfügt über drei sprachliche Ausdrücke, mit denen die Nicht-Christen bezeichnet werden können: der umfassendste Ausdruck ist infidelis (»Ungläubiger«), der nach ihm zwei verschiedene Kategorien von Nicht-Christen umfasst. Wenn der Begriff im Sinne einer »reinen Negation« gebraucht wird, dann meint er eine Person, die den Glauben nicht besitzt, weil sie davon nie etwas gehört hat (STh II-II q. 10 a. 1; Ed. Leonina 8, 78/79; STh II-II q. 10 a. 5; Ed. Leonina 8, 84– 86). Diese Art der Ungläubigkeit ist keine Sünde im eigentlichen Sinne, vielmehr handelt es sich um eine poena (»Strafe«), die als Folge der Erbsünde zu deuten ist (STh II-II q. 10 a. 1; Ed. Leonina 8, 78/79): »und dies ist die Ungläubigkeit der Heiden« (STh II-II q. 10 a. 5; Ed. Leonina 8, 84–86). Wie dieser Passus bezeugt, verfügt Thomas zur Bezeichnung von Heiden im Sinne von Menschen, die den Glauben nicht besitzen, weil er ihnen nicht verkündet wurde, über zwei Wörter: paganus und gentilis. Das zweite Wort kommt bei ihm viel häufiger vor als das erste: den Term paganus treffen wir im Werke das Thomas 51 Mal an (dazu 14
III. Beziehungen – 3. Die »Heiden« als Herausforderung
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Mal in der Catena aurea), während gentilis 691 verwendet wird (dazu 181 Vorkommnisse in der Catena). Zum Vergleich kann angemerkt werden, dass der Ausdruck mahumetistae im ganzen Opus nur ein einziges Mal anzutreffen ist (Scg. I c. 2 n. 11; Ed. Leonina 13, 6) und der Name des Propheten Mohammed vier Mal, davon einmal in der Scg. (I c. 6 n. 41; Ed. Leonina 13, 17b) und einmal in der STh (II-II q. 12 a. 1 arg. 2; Ed. Leonina 8, 103). Wird dagegen die infidelitas (»Ungläubigkeit«) als Ablehnung des christlichen Glaubens aufgefasst, also als contrarietas ad fidem (»Gegensatz zum Glauben«), weil jemand den Glauben zurückweist oder verachtet, dann handelt es sich um eine Sünde, wobei wiederum zwei Fälle zu unterscheiden sind: die Juden und die Häretiker (STh II-II q. 10 a. 5; Ed. Leonina 8, 84–86). Im Falle der Juden wird der Glaube in figura, d. h. in einer noch bildhaften Form, abgelehnt. Die Häresie dagegen ist das Bekenntnis einer von der Orthodoxie abweichenden christlichen Lehre (STh II-II q. 11 a. 1; Ed. Leonina 8, 97/98). Als besonderes Kennzeichen der Heiden wird der Polytheismus (Scg. I c. 42, n. 353; Ed. Leonina 13, 118; De articulis fidei, pars 1; Ed. Leonina 42, 245–252b) und die Idolatrie (im Sinne von STh II-II q. 94 a. 1–4; Ed. Leonina 9, 304–310) immer wieder erwähnt oder auch die Verehrung von Menschen als Götter (z. B. STh III q. 25 a. 3 arg. 2; Ed. Leonina 11, 278). Als error gentilium werden überdies nicht nur die Leugnung der providentia (»Vorsehung«; z. B. Scg. III c. 135 n. 3099; Ed. Leonina 14, 409b) oder der Allmacht Gottes (vgl. De articulis fidei, p. 1; Ed. Leonina 42, 245–252b) bezeichnet, sondern auch eine Ablehnung der Sündhaftigkeit des außerehelichen Geschlechtsverkehrs (z. B. STh II-II q. 154 a. 2 ad 1; Ed. Leonina 10, 219). Den gentilium philosophi (»heidnischen Philosophen«) wird an anderer Stelle die Behauptung der Ewigkeit der Welt oder der Ewigkeit der Materie unterstellt (Scg. II c. 38 n. 1150; Ed. Leonina 13, 357). Hinsichtlich des Glaubensaktes übernimmt Thomas die augustinische Umschreibung, die festhält, dass credere (»Glauben«) ein cum assensione cogitare (»Nachdenken mit Zustimmung«; vgl. STh II-II q. 2 a. 1; Ed. Leonina 8, 26a; De ver. q. 14 a. 1; Ed. Leonina 22/2, 436a) ist, wobei zu betonen ist, dass dabei Intellekt und Wille zusammenwirken: während der Intellekt erfasst, was zu glauben ist, vollzieht der Wille den Akt der Zustimmung (vgl. STh II-II q. 4 a. 2; Ed. Leonina 8, 44/45). Der Glaubensakt als kognitiver Akt unterscheidet sich sowohl vom Zweifel als auch vom Meinen, vom Wissen und vom Einsehen: im Falle des Zweifels kann sich der Nachdenkende nicht für eine von mehreren Möglichkeiten entscheiden, während von suspicere (»vermuten«) oder opinari (»meinen«) gesprochen werden kann, wenn der Verstand eine Aussage ihrer Verneinung mit mehr oder weniger starker Überzeugung vorzieht. Wenn die Zustimmung zu einer Aussage durch ein unmittelbares, eindeutiges Sehen des Gegenstandes oder eine durch Beweise gewonnene Erkenntnis desselben veranlasst wird, dann handelt es sich um intellectus (»Einsicht«) oder scientia (»Wissen«). Das Glauben ist deshalb zwischen Wissen und Meinen anzusetzen: der Glaube liegt infra scientiam (»unterhalb des Wissens«), weil das Wahre nicht gesehen wird; er liegt ober-
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halb des Meinens propter firmitatem assensionis (»wegen der Festigkeit der Zustimmung«; De ver. q. 14 a. 2; Ed. Leonina 22/2, 439a–444b). Es steht für Thomas fest, dass der Mensch, um gerettet zu werden, gewisse Inhalte des Glaubens, die notwendigerweise als Sätze artikuliert sind (nach STh IIII q. 1 a. 2; Ed. Leonina 8, 27/28 ist der Gegenstand des Glaubens, wie er vom Glaubenden wahrgenommen wird, aliquid complexum per modum enuntiabilis), explicite (»ausdrücklich«) glauben muss: nach den frühen Quästionen De veritate muss zu allen Zeiten explizit an die Existenz Gottes und an die Vorsehung geglaubt werden (De ver. q. 14 a. 11; Ed. Leonina 22/2, 469–472b), in der späteren STh dagegen wird ausdrücklich festgehalten, der Glaube an das Geheimnis der Menschwerdung und des Leidens Christi sei ebenso heilsnotwendig (STh II-II q. 2 a. 7; Ed. Leonina 8, 33–35) wie der Glaube an die Dreifaltigkeit (a. a. O. a. 8; Ed. Leonina 8, 35–37). Mehrfach nimmt Thomas zur Frage nach dem Heil der Heiden, die vor der Menschwerdung geboren sind, Stellung. Für ihre Rettung genügt ein impliziter Glaube an Christus (De ver. q. 14. a. 11, ad 5; Ed. Leonina 22/2, 471b): sed gentiles, qui fuerunt salvati, sufficiebat eis, quod crederent Deum esse remuneratorem (»für die Heiden, die gerettet wurden, genügte, dass sie glaubten, dass Gott Vergeltung übe«, Super Hebr. c. 11, l. 2; Ed. Vives 21, 692b). In De veritate beantwortet Thomas den Einwand des »Waldmenschen«: wie kann ein Mensch, der in silvis inter lupos (»im Wald unter den Wölfen«) lebt, etwas explizit glauben, von dem er gar keine Kenntnis haben kann? Thomas antwortet darauf, es sei anzunehmen, die göttliche Vorsehung sorge dafür, dass jeder Mensch über das für sein Heil Notwendige verfüge, indem Gott ihm entweder das zu Glaubende revelaret (»mitteile«) oder ihm einen Verkünder des Glaubens sende (De ver. q. 14 a. 11, ad 1; Ed. Leonina 22/2, 471). 3.2. Der Christ und die Heiden
Thomas setzt sich eindringlich nicht nur mit der Frage auseinander, ob der Christ mit den Ungläubigen diskutieren und Umgang pflegen soll, sondern behandelt auch das Problem, in welcher Weise die christliche Gesellschaft sich zu Ungläubigen verhalten soll. Eine Diskussion mit den Ungläubigen ist sinnvoll, wenn es dabei um die Zurückweisung von Irrtümern geht oder wenn sie ad exercitium (»übungshalber«) durchgeführt wird und wenn die Zuhörer dadurch in ihrem Glauben gestärkt werden können (STh II-II q. 10 a. 7; Ed. Leonina 8, 87/88). Im Gegensatz zu den Häretikern, die durchaus, sogar körperlich, genötigt werden dürfen, ist es nicht angebracht, die Heiden (und Juden) zum Glauben zu zwingen, da der Glaube ein Akt des freien Willens ist (STh II-II q. 10 a. 8; Ed. Leonina 8, 88–90). Der Umgang mit der communio infidelium (»den Heiden«) ist den im Glauben Standhaften erlaubt (STh II-II q. 10 a. 9; Ed. Leonina 8, 90/91). Weil die politische Ordnung dem menschlichen Recht untersteht, wird die Herrschaft von ungläubigen Fürsten über Christen durch das göttliche Recht nicht aufgehoben
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(STh II-II q. 10 a. 10; Ed. Leonina 8, 91/92). Wenn dadurch Zwietracht vermieden werden kann, sind die religiösen Riten der Ungläubigen durchaus zu tolerieren (STh II-II q. 10 a. 11; Ed. Leonina 8, 92/93). Es ist ebenfalls nicht angebracht, Kinder von Ungläubigen gegen den Willen der Eltern zu taufen (STh II-II q. 10 a. 12; Ed. Leonina 8, 93–96). Zwei Bibelstellen sind für das Thema von besonderem Gewicht: wenn Paulus Kol 3,11 sagt, in Christus gebe es weder Heiden noch Juden, Beschnittene und Unbeschnittene (ähnlich Gal 3,28), dann ist dies nach Thomas so zu verstehen, dass im Glauben der Mensch als solcher erneuert wird: Paulus »zeigt, dass diese Erneuerung allen gemeinsam ist, andernfalls beträfe sie nicht den Menschen als solchen« (ostendit hanc innovationem esse omnibus communis alias non pertineret ad hominem inquantum homo, Super Col., c. 3, l. 2; Ed. Vives 21, 405b). Weit bedeutsamer ist indes die Stelle Röm 1,19–32, wo nicht allein von der Gotteserkenntnis der Heiden, sondern auch von ihrem Handeln und ihrer Schuld die Rede ist (vgl. unten). 3.3. Intellektuelle Auseinandersetzungen
Von den erwähnten gesellschaftlichen und sozialen Beziehungen zu den Ungläubigen muss die intellektuelle Konfrontation mit ihnen abgegrenzt werden. Es können in diesem Zusammenhang drei verschiedene Ebenen unterschieden werden. Im Zusammenhang mit der bereits erwähnten, bedeutungsschweren Passage im Römerbrief wurde während des ganzen Mittelalters die Frage der Möglichkeit einer natürlichen Gotteserkenntnis sowie der Konsequenzen einer solchen gestellt. Thomas’ Ausführungen zu dieser Stelle in seinem Kommentar zum Römerbrief sind von besonderem Interesse (Super Rom., c. 1, l. 6–8; Ed. Vives 20, 395– 408). Weil die gentiles eine wahrhafte Gotteserkenntnis haben konnten, sind sie, wie der Apostel sagt (Röm 1,20), inexcusabiles (»unentschuldbar«). Diese Behauptung kann indes nur verstanden werden, wenn genau bestimmt werden kann, was es bedeutet, wenn von einer vera cognitio Dei (»wahren Gotteserkenntnis«) der Heiden die Rede ist. Damit kann nicht eine Wesenserkenntnis gemeint sein, da der Mensch als endlicher Seiender von sich aus dazu unfähig ist, aber eine Erkenntnis auf dem dreifachen Weg causalitatis, excellentiae, negationis (»der Kausalität, der Eminenz und der Negation«; Super Rom., c. 1, l. 6, n. 115; Ed. Vives 20, 399b) im Sinne des Dionysius Areopagita, indem die veränderlichen Seienden auf ein erstes Prinzip zurückgeführt werden. Eine Reflexion zu den Bedingungen dieser Abhängigkeit der Wirkungen von der Ursache führt zur Einsicht, dass dieses Prinzip »über allem ist« (quod est super omnia, ebd.), und dass es, weil es alles transzendiert »nichts von dem ist, was von ihm abhängt« (nihil eorum, quae sunt in creaturis, ebd.). Der Passus des Paulus, wenn er davon spricht, dass das Unsichtbare Gottes durch ea quae facta sunt intellecta conspiciuntur (»das, was geschaffen ist, mit dem Intellekt erkannt wird «, Röm 1,19), hat den Weg und die Mittel einer derartigen Gotteserkenntnis mit aller Deutlichkeit
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B. Person
und Klarheit zusammengefasst. Die Heiden sind indes schuldig geworden, weil sie Gott nicht in der ihm zustehenden Weise verehrt haben (Super Rom., c. 1, l. 7; Ed. Vives 20, 400–404) und nicht in Übereinstimmung mit der von ihnen erkannten Natur Gottes gehandelt haben. Thomas beruft sich immer wieder auf den Anfang dieser Stelle aus dem Römerbrief, z. B. wenn er ein Autoritätsargument sucht, um die Beweisbarkeit der Existenz Gottes zu belegen (STh I q. 2 a. 2, s.c.; Ed. Leonina 4, 30), oder wenn die Meinung, Aussagen über Gott und die Geschöpfe seien äquivok, zurückgewiesen werden soll: »Dies steht ebenso im Gegensatz zu den Philosophen, die Vieles von Gott bewiesen haben, wie zu Paulus, der sagt, ›das Unsichtbare Gottes könne durch das, was geschaffen ist, mit dem Intellekt erkannt werden‹« (STh I q. 13 a. 5; Ed. Leonina 4, 146b). Diese Verwendung der Stelle verdeutlicht, dass die Berufung auf die Heiden in diesem Kontext eine eminent positive Funktion erfüllen kann. Auch wenn der Titel Summe gegen die Heiden (Summa contra gentiles) zweifelsohne nicht von ihm selber stammt, so fasst er dennoch einen zentralen Aspekt der theologisch–philosophischen Synthese des Thomas zusammen. Es kann des Weiteren behauptet werden, dass das im Syntagma contra gentiles zum Ausdruck Gebrachte einen bedeutsamen Aspekt des intellektuellen Vorhabens des Dominikaners artikuliert. Er wolle, so formuliert Thomas selber, »die Wahrheit kundtun« (veritatem manifestare), indem er die entgegengesetzten Irrtümer widerlege (errores eliminando contrarios, Scg. I c. 2, n. 9; Ed. Leonina 13, 6; vgl. auch c. 1 n. 7; Ed. Leonina 13, 3). In der Tat kann das gesamte Schrifttum des Thomas mit diesem doppelten Gesichtspunkt zusammengefasst werden. Die Vernetzung von Zurückweisung des Irrtums mit der Kundgabe der Wahrheit wird besser einsichtig, wenn berücksichtigt wird, dass der Inhalt des christlichen Glaubens, den Thomas als Theologe verkünden will, zwar die Fähigkeit der menschlichen Vernunft übersteigt, aber nicht im Gegensatz stehen kann zur Vernunft, da es undenkbar ist, dass Gott sich dadurch selbst widerspricht, was der Fall wäre, wenn die geoffenbarten Inhalte zu den Prinzipien der natürlichen Vernunft im Gegensatz stünden (Scg. I c. 7 n. 42–46; Ed. Leonina 13, 19). Wenn dies richtig ist, dann können zwar die Grundlehren des Christentums (mit Ausnahme weniger Grundannahmen wie der Existenz Gottes z. B.) nicht bewiesen werden, aber es kann gezeigt werden, dass philosophische Argumente, die gegen den Glauben vorgebracht werden, nicht haltbar sind, d. h. »nicht schlüssig sind« (non recte procedere, Scg. I c. 7 n. 47; Ed. Leonina 13, 19b). Diese theoretischen Voraussetzungen liefern die Grundlage für eine Diskussion des Christen, genauer des christlichen Theologen, mit den Ungläubigen: da diese nur anerkennen, was allen Menschen gemeinsam ist, d. h. die Vernunft (ratio), ist mit ihnen auf der Grundlage der Vernunft allein zu diskutieren. Die Scg., wo Thomas mit allen oben genannten Kategorien von Ungläubigen verhandelt, ist die Durchführung dieses Programms, das indes auch in den anderen Schriften verwirklicht wird, wenn es darum geht, die der menschlichen Vernunft zugängli-
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chen Aspekte der christlichen Lehre aufzuweisen oder jene Gegner zu besiegen, die meinen, im Namen der Vernunft den Glauben angreifen zu können. Der Auseinandersetzung mit der Philosophie, insbesondere mit der »heidnischen« Philosophie der Antike, kommt im Schrifttum des Thomas ein sehr wichtiger Platz zu. Den antiqui philosophi (»antiken Philosophen«) schreibt Thomas, der ihre Lehren entweder aus Aristoteles oder aus der eigenen Lektüre kennt, eine Reihe kennzeichnender Philosopheme zu: immer wieder erwähnt er, sie hätten nicht zwischen Sinneswahrnehmung und intellektueller Erkenntnis unterschieden (z. B. Scg. II c. 66, n. 1436; Ed. Leonina 13, 439; STh I q. 75 a. 3; Ed. Leonina 5, 199/200; STh I-II q. 34 a. 1; Ed. Leonina 6, 235/236) oder sie hätten nur ein »materielles Prinzip« der Wirklichkeit angenommen (STh I q. 4 a. 1; Ed. Leonina 4, 50) oder, weil sie die Vorstellung nicht übersteigen wollten, hätten sie behauptet, quod non est corpus nihil esse (»was kein Körper sei, existiere nicht«, STh I q. 75 a. 1; Ed. Leonina 5, 194b). Als Irrtum dieser »antiken Philosophen« wird auch angeführt, dass sie behaupteten: omne quod videtur, verum est (»alles, was gesehen wird, ist wahr«, STh I q. 16. a. 1, arg. 2; Ed. Leonina 4, 206a), oder ex nihilo nihil fieri (»aus nichts entstehe nichts« STh I q. 45 a. 2, arg. 1; Ed. Leonina 4, 465a). Unter den vorsokratischen Philosophen bezieht sich Thomas gelegentlich, und nicht nur in den Aristoteles-Kommentaren, wo der Text dazu Anlass gibt, auf Anaxagoras, Demokrit, Empedokles und Heraklit. Von diesem letzteren wird nicht nur die These, alles sei in ständiger Bewegung (z. B. STh I q. 84 a. 1; Ed. Leonina 5, 313–315) und quod affirmatio et negatio sit simul vera (»Widersprüchliches sei gleichzeitig wahr«, In Met. XI, l. 5, n. 11; Ed. Vives 25, 203–209) diskutiert, sondern Thomas zitiert auch das Fragment 91, man könne nicht zweimal in denselben Fluss steigen, wörtlich (»sicut Heraclitus dixit quod non est possibile aquam fluvii currentis bis tangere«, STh I q. 84 a. 1; Ed. Leonina 5, 313–315). Anaxagoras dagegen wird die Lehre des abgetrennten und immixtus (»unvermischten«) Intellekts zugeschrieben (z. B. STh I q. 66 a. 1 ad 5; Ed. Leonina 5, 155b; STh II-II q. 15 a. 3; Ed. Leonina 8, 120; De pot. q. 6 a. 6; Ed. Vives 13, 198a; q. 6 a. 9; Ed. Vives 13, 209b u. ö.). Die Geschichte der antiken Philosophie wird als ein Fortschritt gedeutet, der in Aristoteles seinen Höhepunkt erreicht hat, wie mehrere zusammenfassende Aperçus zeigen: z. B. bezüglich der fortschreitenden Entdeckung der Idee der Schöpfung (STh I q. 44 a. 2; Ed. Leonina 4, 457–459) oder der Erkenntnisfähigkeit der menschlichen Seele (STh I q. 84–87; Ed. Leonina 5, 313–363). Insbesondere im Zusammenhang mit den erkenntnistheoretischen Fragen wird klar, inwiefern die media via des Aristoteles von Thomas im Sinne einer Überwindung des platonischen Idealismus und eines ihm entgegengesetzten Materialismus interpretiert wird. Auch wenn es außer Zweifel steht, dass Thomas zentrale Aspekte der platonischen Tradition, namentlich durch die Vermittlung von Dionysius Areopagita und dem Liber de causis, wie z. B. den Gedanken der metaphysischen Teilhabe oder der Seinsmitteilung, übernommen hat, bleibt für ihn Aristoteles jener Philosoph, dessen Vorgehen und Methode exemplarisch ist. Was im Zusammenhang mit der Erkenntnis der immateriellen
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Substanzen bezüglich des Vorgehens von Aristoteles im Vergleich zu Platon gesagt wird, nämlich die Methode des Aristoteles, die die Bewegung analysiert (via motus) und das Kausalitätsprinzip bedenkt, sei certior (»sicherer«) und augenfälliger, aber in gewisser Hinsicht weniger befriedigend als der Weg Platons, darf wohl für das gesamte Feld der Philosophie als wegleitend betrachtet werden (De substantiis separatis, c. 3; Ed. Leonina 40, 46a–47a). Die sehr eingehende Beschäftigung mit dem Denken des Aristoteles mittels der Kommentierung von elf aristotelischen Schriften zeugt von der Überzeugung, dass das Studium der Philosophie als solcher laudabile (»lobenswert«) ist, »wegen der Wahrheit, die die Philosophen, mit Hilfe des offenbarenden Gottes, wahrgenommen haben, wie es in Röm 1 gesagt ist« (STh II-II q. 167 a. 1, ad 3; Ed. Leonina 10, 346b). Der eindeutige Vorrang des Aristoteles hat indes die Anerkennung der Leistungen anderer antiker Denker nicht gänzlich geschmälert. Als Beispiel dafür können Sokrates und Seneca aufgeführt werden. Der Lehrer Platons, dessen Meinungen vornehmlich in den Kommentaren zur Ethik und zur Politik ausführlich diskutiert werden, begegnet in den systematischen Schriften vor allem als Theoretiker des Tugendwissens (posuit omnes virtutes esse quasdam scientia, De malo q. 8 a. 3 ad 18; Ed. Leonina 23, 205b; vgl. STh I-II q. 59 a. 2; Ed. Leonina 6, 236–238), während Thomas offensichtlich Senecas Werk De beneficiis vor Augen hatte, als er die beiden Fragen zur Dankbarkeit und Undankbarkeit in der STh redigierte (vgl. II-II q. 106 und 107, darin 25 explizite Verweise; Ed. Leonina 9, 396–409). Die stoici (»Stoiker«) vertraten nach Thomas die falsche Auffassung, dass alle Leidenschaften (STh I-II q. 24 a. 2–3; Ed. Leonina 6, 180/181) und alle delectatio (»Lust«; STh I-II q. 34 a. 2–3; Ed. Leonina 6, 236–238) schlecht sind. Er weist auch energisch die ihnen zugeschriebene Meinung zurück, dass der Weise keine Traurigkeit kenne (STh III q. 46 a. 6 ad 2; Ed. Leonina 11, 443b): »Hier ist zu beachten, dass es gewisse Philosophen gab, nämlich die Stoiker, die behaupteten, dass eine derartige turbatio (»Verwirrung«) und diese Leidenschaften den Weisen nicht betreffen, wiewohl nach ihnen der Weise sich fürchtet, sich freut und begehrt, aber er verspürt in keiner Weise Traurigkeit (tristatur). Die Falschheit dieser Meinungen erhellt offensichtlich daraus, dass Jesus, die höchste Weisheit, betrübt (turbatus) war.« (Super Joh., c. 13, l. 4, n. 1797; Ed. Vives 20, 214b). In der Vorrede zu seinem Kommentar zum Johannesevangelium hat Thomas, einen Text von Jesaja (6,1) interpretierend die vier Wege zusammengefasst, mittels derer die antiqui philosophi (»antiken Philosophen«) zur Gotteserkenntnis gelangt sind (Super Joh., prol., n. 2–6; Ed. Vives 19, 673–675). Als der erfolgreichste Weg zur Erkenntnis Gottes wird an dieser Stelle die den Sinnen offenkundige Ordnung (videmus) und Zielhaftigkeit der sichtbaren Welt eingeführt, die mit Notwendigkeit dazu führt, »etwas Höheres, das diese Dinge auf das Ziel hinordnet und sie steuert« (n. 3), anzunehmen. Andere Philosophen haben dagegen die Unveränderlichkeit als Kriterium der Vollkommenheit betrachtet und auf dieser Grundlage ein erstes, unveränderliches (immobile) Prinzip aller Dinge gefordert. Die Platoniker schließlich gingen davon aus, dass alles, was an etwas teil-
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hat, reducitur (»zurückgeführt wird«) auf etwas, das durch sein Wesen (per essentiam) diese Vollkommenheit besitzt. Da alles, was ist, am esse (»sein«) teilhat, ist es notwendig, dass es etwas gibt, quod sua essentia sit suum esse (»das durch sein Wesen sein Sein ist«, n. 5), dessen Wesen sein Sein ist. Eine letzte Gruppe von Philosophen hat die Existenz Gottes wegen der Unvollkommenheit aller menschlichen Erkenntnis als notwendig erachtet: weil alle vom menschlichen Intellekt erfassbare Wahrheit begrenzt ist, ist es notwendig, dass eine erste und höchste Wahrheit, »die jeden Intellekt übersteigt«, existiert (n. 6). Diese Darstellung dessen, was die Philosophie bezüglich jener Frage, die alles Fragen bewegt, leistet, verdeutlicht recht anschaulich, was nach Thomas die Philosophie der »Heiden« zu erreichen vermag. Trotz dieser recht positiven Einschätzung, die einen Bibelkommentar eröffnet, darf allerdings nicht vergessen werden, was er an anderer Stelle in ebenso klarer Sprache vermerkt: »Kein Philosoph hat vor der Ankunft Christi, trotz aller seiner Anstrengung, von Gott und von dem, was für das ewige Leben notwendig ist, so viel wissen können, wie nach der Ankunft Christi eine einzige alte Frau (vetula) dank des Glaubens wissen kann« (In Apost., c. 1; Ed. Vives 27, 203b). Das hängt mit den Grenzen des menschlichen Intellekts zusammen: sed cognitio nostra est adeo debilis quod nullus philosophus potuit unquam perfecte investigare naturam unius muscae (»Ist doch die Erkenntnisfähigkeit des Menschen so schwach, dass bisher noch kein Philosoph das Wesen einer Fliege hat ergründen können «, In Apost., c. 1; Ed. Vives 27, 204a). Bianchi, Luca: L’errore di Aristotele: La polemica contro l’eternità del mondo nel XIII secolo, Florenz 1984. Dales, Richard C.: Medieval Discussions on the Eternity of the World (BSIH 18), Leiden/New York 1990. Elders, Leo: Thomas d’Aquin et ses prédécesseurs. La présence des grands philosophes et Pères de l’Église dans les œuvres de Thomas d’Aquin, Paris 2015. Vansteenkiste, Clemens: Autori arabi e giudei nell’opera di San Tommaso, in: Ang. 37 (1960), 336–401. Vansteenkiste, Clemens: Avicennacitaten bij S. Thomas, in: TFil 25 (1963), 457–507. Vansteenkiste, Clemens: Cicerone nell’opera di San Tommaso, in: Ang. 36 (1959), 343–382. Vansteenkiste, Clemens: San Tommaso d’Aquino ed Averroè, in: RSO 32 (1957), 585–623. Wissink, Jozef B. M. (Hg.): The Eternity of the World in the Thought of Thomas Aquinas and his Contemporaries, Leiden/New York 1990. Ruedi Imbach
4. Bettelorden und Weltkleriker Aufgrund ihres Selbstverständnisses war es für die Dominikaner von Beginn an klar, dass sie an die Universitäten strebten. Als Alexander von Hales (ca. 1185– 1245) 1236 in den Franziskanerorden eintrat, wurden auch diese zu Teilen das akademischen Körpers, obwohl sie sich eingedenk der Schlichtheit ihres Ordens-
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gründers zunächst hiervon ferngehalten hatten. Die Bettelorden bildeten nun aber innerhalb der Körperschaft der Universität für die dort bislang dominierenden Weltgeistlichen, also die keinem Orden angehörenden Kleriker, eine Herausforderung eigener Art: Die Weltkleriker lebten in der Regel entweder von Pfründen oder von collecta, die die Studenten bezahlten. Eben auf letzteres aber konnten die Bettelmönche gänzlich verzichten, so dass sie sich schlicht als die billigere Variante akademischer Lehre anboten und damit die Grundlagen der Einkünfte anderer Professoren untergruben. Äußeres Zeichen der divergierenden Interessen war ein Konflikt im Zusammenhang der Aussetzung der Lehrtätigkeit durch die Weltkleriker der Universität Paris 1229–1231, mit welcher diese B.I.4.). gegen Übergriffe der Ordnungskräfte gegen Studenten protestierten ( Genau in dieser Zeit wurde der Dominikaner Roland von Cremona († 1259) nach Paris berufen, was als klare Durchbrechung der Protestlinie der Weltgeistlichen erschien. Die wirtschaftliche Konkurrenz verband sich insbesondere in Paris und Oxford mit einer Anzahl anderer Konflikte. So erwiesen sich insbesondere die Dominikaner mit ihrer zentralen Organisation als eine strategisch vorgehende Gemeinschaft, die den Eindruck erweckte, auch unter Zuhilfenahme externer Mächte wie der Päpste in die universitäre Korporation vorzudringen und sich hier mehr Rechte anzumaßen, als ihr zustand. So war es anfänglich keineswegs ausgemacht, dass ihnen in Paris zwei Lehrstühle zustanden, über welche sie aber frei verfügten. Auch der Umstand, dass die Bettelordensangehörigen den universitären artes-Abschluss durch Absolvierung der eigenen Ordens-studia umgehen konnten, warf Fragen nach den für sie gültigen intellektuellen Standards auf. Vor diesem Hintergrund kam es wiederholt zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Welt- und Ordensklerikern. 1255 schrieb der Weltgeistliche Wilhelm von Saint-Amour – wohl zusammen mit Mitstreitern – den Traktat De periculis novissimorum temporum. In ihm verwies er die Bettelorden auf das benediktinische Ideal der Einfachheit und der Zurückhaltung gegenüber dem Studium. Dem hielt Thomas in Contra impugnantes Dei cultum et religionem entgegen, dass gerade das benediktinische Ideal auf sorgfältige Bildungspflege hinauslief und die Bettelorden mithin in der besten Tradition standen. Der sogenannte Mendikantenstreit hatte aber nicht allein eine intellektuell-publizistische Dimension: Die Proteste der Weltkleriker stellten grundsätzlich die Akzeptanz der Bettelordensangehörigen innerhalb der universitären Körperschaft in Frage. Diese wurde dann allerdings durch das Eingreifen der Päpste gesichert. Innozenz IV. (1243–1254) stand dabei noch eher auf Seiten der Weltkleriker. Mit der Bulle Etsi animarum hob er am 21. November 1254 die zuvor den Bettelorden erteilten Privilegien für Predigt und Bestattungsrechte auf, die ihnen einen weitreichenden Zugang zur bürgerlichen Bevölkerung eröffnet hatten (CUP, Denifle. Bd. 1, Nr. 240). Alexander IV. (1254–1261) wiederum hob diese Bestimmungen noch im selben Jahr auf und räumte mit der Bulle Quasi lignum vitae vom 14. April 1255 den Bettelorden wieder das Recht auf je-
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weils zwei Lehrstühle ein. Damit war korporationsrechtlich deren Status zunächst wieder gesichert. Allerdings blieb die Debatte akut, und die Mendikanten wurden zu einer allgemeinen Zielscheibe von Kritik und Spott. So integrierte Jean de Meun in den Roman de la Rose eine mehr als tausend Verse umfassende Schimpfrede gegen die Bettelorden, und auch andere Autoren hinterfragten grundsätzlich die Legitimität des Armutsideals. Allerdings spitzte sich die Debatte mit dem Ende des 13. Jahrhunderts mehr und mehr auf die Franziskaner zu, die schließlich im 14. Jahrhundert den theoretischen Armutsstreit mit dem Papsttum ausfochten. Dufeil, Michel-Marie: Guillaume de Saint-Amour et la polémique universitaire parisienne 1250–1259, Paris 1972. Le Goff, Jacques: Die Intellektuellen im Mittelalter, Stuttgart 42001. Zimmermann, Albert (Hg.): Die Auseinandersetzungen an der Pariser Universität im XIII. Jahrhundert (MM 10), Berlin u. a. 1976. Volker Leppin
5. Wilhelm von Moerbeke 5.1. Leben und Werk
Der flämische Dominikaner Wilhelm von Moerbeke (Guillelmus de Morbeka) ist im Mittelalter zweifelsohne der produktivste Übersetzer des griechischen Aristoteles ins Lateinische (vgl. Brams, La Riscoperta di Aristotele, mit Hinweisen auf weitere Literatur, sowie die Beiträge in Brams/Vanhamel, Guillaume de Moerbeke). Seine Übersetzungstätigkeit ist ab 1260 bezeugt. Am 24. April schloss er in Nicea (apud Niceam urbem Grecie) die Übersetzung des Kommentars Alexanders von Aphrodisias zu Aristoteles’ Meteorologie ab; am 23. Dezember beendete er in Thebe die Übersetzung von Aristoteles’ De partibus animalium. Allerdings war Moerbeke schon vor 1260 tätig. So muss aus inneren Gründen die erste Fassung seiner Übersetzung der Meterologie selbst vor der Übersetzung von Alexanders Kommentar erfolgt sein (Vuillemin-Diem, Meteorologica, 340–347). Spätestens vom November 1267 an (Übersetzung von Themistius, In De anima) hielt sich Moerbeke am Papsthof in Viterbo auf, wo er mehrere Jahre blieb und zahlreiche Übersetzungen vollendete. Vor dem 15. Juni 1271 wurde er Kaplan und Beichtvater des Papstes. Am 9. April 1278 wurde er zum Erzbischof von Korinth ernannt. In dieser Stadt schloss er im Februar 1280 seine Übersetzung der Tria Opuscula des Proklos ab. 1283 war Moerbeke wieder am Papsthof; möglicherweise ist er hier 1286 gestorben. Wilhelm von Moerbeke ist wohl vor allem als Aristotelesübersetzer bekannt. Einige dieser »Übersetzungen« sind tatsächlich Bearbeitungen früherer Übertragungen. Das gilt etwa für die Physik, deren von Jakob von Venedig im 12. Jahr-
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hundert vorgenommene Übersetzung er bearbeitete. Andere Übersetzungen sind ganz sein Werk; darunter sind solche Texte (wie das vierte Buch der Meteorologie), für die es ältere griechisch-lateinische Übersetzungen gab, aber auch solche wie die Politik und die Poetik, die Moerbeke der lateinisch-sprachigen Welt erstmalig erschloss. Moerbeke scheint seine Übersetzungen als ein sich ständig weiterentwickelndes Projekt angesehen zu haben. Für mehrere Texte lässt sich zeigen, dass Moerbeke sie noch ein- oder mehrmals bearbeitet hat, um sie zu verbessern, meist weil er neue griechische Quellen zur Verfügung hatte. Er übertrug auch die Werke anderer Autoren als Aristoteles; darunter finden sich naheliegender Weise Kommentare zu Aristoteles von Alexander von Aphrodisias, Ammonius, Simplicius und Themistius, aber auch Werke von Proklos, Archimedes, Ptolemaeus, Galen und anderen. Möglicherweise hat Wilhelm mathematische Traktate – unter anderem von Archimedes – für den polnischen Gelehrten Witelo übersetzt, um ihn bei der Abfassung seiner Perspectiva zu unterstützen. Das würde erklären, warum Wilhelm, nachdem er ausschließlich philosophische Texte übersetzt hatte, sich plötzlich mit solchen zur Optik befasste. Allerdings ist es auch möglich, dass die Sache sich umgekehrt verhält und es Moerbeke war, der durch seine Übersetzungen Witelos Interesse an dieser Thematik weckte (s. hierzu u. a. Paravicini-Bagliani, Guillaume de Moerbeke et la cour pontificale, 39–42; Steel, Guillaume de Moerbeke et saint Thomas, 76). In jedem Falle scheint Witelo der einzige Benutzer von diesen Übersetzungen im 13. Jahrhundert gewesen zu sein; er könnte sich sogar unmittelbar auf deren Autograph gestützt haben. Daneben könnte die Übersetzung von Galens De virtutibus alimentorum nach einer Andeutung im Vorwort auf Bitten des Arztes Rosellus von Arezzo verfertigt worden sein. Sicherer ist der Umstand, dass zwischen Moerbeke und seinem Landsmann Heinrich Bate eine enge Beziehung bestand. Persönlich trafen sich die beiden Gelehrten auf dem Konzil von Lyon (1274). Bate war zudem ein reger Nutzer von Moerbekes Übersetzungen, auch von solchen, die sonst nur sehr begrenzt rezipiert wurden, wie etwa der Liber Iudicialium des Ptolemaeus. In seinem Speculum divinorum et quorundam naturalium (lib. XI, c. 12) teilt er mit, dass Moerbeke durch seinen Tod daran gehindert wurde, ihm seine Übersetzung von Proklos’ In Parmenidem zuzusenden. Seine Magistralis Compositio hat Bate dem dominikanischen Übersetzer gewidmet. 5.2. Wilhelm von Moerbeke und Thomas von Aquin: eine besondere Beziehung?
Dass zwischen Wilhelm von Moerbeke und Thomas von Aquin eine enge Beziehung bestand, ist wiederholt beobachtet worden. Bereits im Katalog von Stams (ca. 1350), der die dominikanischen Schriftsteller des Mittelalters vorstellt, heißt es Fr. Wilhelmus Brabantinus, Corinthiensis, transtulit omnes libros naturalis et moralis philosophiae de graeco in latinum ad instantiam fratris Thomae (»Bruder
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Wilhelm von Moerbeke aus Brabant, [Bischof] von Korinth, hat auf Drängen von Bruder Thomas alle Bücher der Natur- und Moralphilosophie aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt«). In der um 1320 im Hinblick auf die Seligsprechung geschriebenen Ystoria S. Thomae Wilhelms von Tocco ist die Formulierung etwas weniger eindeutig: Scripsit super philosophiam naturalem et moralem et metaphysicam, quorum librorum procuravit quod fieret nova translatio quae sententiae Aristotelis continet clarius veritatem (»Er schrieb Kommentare über die Natur- und Moralphilosophie wie auch über die Metaphysik; für diese Bücher hatte er eine neue Übersetzung machen lassen, welche die Wahrheit der Lehre des Aristoteles klarer darbietet«). Auch wenn Moerbekes Name hier nicht fällt, bleibt der Gedanke derselbe: Es war Thomas, von dem die Initiative für die neuen (gegebenenfalls von Moerbeke erstellten) Übersetzungen ausging. In der späteren Historiographie führten diese und ähnliche Äußerungen zu dem Bild von zwei eng zusammenwirkenden dominikanischen Gelehrten, von einem Wilhelm von Moerbeke, der am Schreibtisch des Thomas von Aquin steht und ihm dunkle Passagen erläutert. In der modernen Forschung ist man sich einig, dass dieses romantisierende Bild nicht aufrecht erhalten werden kann. 1974 erklärte Lorenzo Minio-Paluello zu Recht: »This is probably nothing more than a legend originating in hagiography (…)« (zitiert nach Gauthier, Saint Thomas d’Aquin, 84). Nimmt man sie wörtlich, so enthält die Aussage im Katalog von Stams definitiv zwei Fehler: Erstens hat Moerbeke keineswegs alle Schriften des Aristoteles übersetzt. Zweitens hat Moerbeke gewiss nicht eine Anregung durch Thomas von Aquin gebraucht, um mit der Übersetzung des Aristoteles zu beginnen, ist doch seine Arbeit schon um 1260 in Griechenland bezeugt, so wie seine Übersetzungstätigkeit auch nicht mit dem Tod des Thomas endete. Folglich sind gewiss nicht alle Übersetzungen Moerbekes ad instantiam fratris Thomae entstanden. Zudem gibt es keinen direkten Beleg für eine persönliche Beziehung zwischen Thomas und Moerbeke. Zwar besteht die Möglichkeit, dass beide 1267/68 zusammen in Viterbo lebten, als Moerbeke Beichtvater des Papstes war und Thomas Lektor für Theologie, aber dies ist nicht zweifelsfrei nachweisbar. Die Diskussion darüber, was von ihrer Beziehung bleibt, wenn die traditionelle Legende einmal dekonstruiert ist, ist allerdings noch nicht abgeschlossen. Muss man jede mögliche Zusammenarbeit zwischen Thomas und Moerbeke ausschließen? Wenigstens zwei der möglichen Positionen verdienen es, genauer vorgestellt zu werden: Wiederholt und mit aller Entschiedenheit hat der Mitherausgeber der Ed. Leonina Gauthier jegliche Form der Zusammenarbeit bestritten (vgl. Belege bei Gauthier, Saint Thomas d’Aquin, 84 f.). Er verweist auf die häufigen Interpretationsfehler in den Kommentaren des Thomas: Hätte er Moerbeke um weitere Erläuterungen bitten können, hätte er diese wohl vermeiden können. Anscheinend hatte er lediglich eine Kopie von Moerbekes Übersetzung zur Verfügung, die die in allen Manuskripten begegnenden individuellen Fehler aufwies. Tatsächlich argumentiert Thomas gelegentlich mit Formulierungen im griechischen Text. Aber
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das muss nicht bedeuten, dass er diese Informationen unmittelbar von Moerbeke erhielt. Es ist bekannt, dass Moerbeke solche Informationen dem Text gelegentlich am Rand hinzugefügt hat und dass solche Marginalnotizen zusammen mit dem Haupttext abgeschrieben wurden. Zudem hat Thomas, wie Gauthier vermerkt, keineswegs alle Übersetzungen Moerbekes benutzt und auch nachdem er dessen Übersetzungen schon kannte, noch andere im Gebrauch gehabt. In Verbindung mit dem Fehlen jeglichen belastbaren historischen Nachweises, sollte man die Vorstellung von einer Zusammenarbeit wohl als rein fiktional aufgeben: Thomas war nur einer von vielen Nutzern der Übersetzungen Moerbekes. Gleichwohl bestätigt sich auch hier: »Une légende pourtant aura toujours ses défenseurs, et quelquefois talentueux.« (»Eine Legende findet immer ihre Verteidiger und manchmal sogar begabte«; Gauthier, Saint Thomas d’Aquin, 84). 1989 unterzog Steel die ganze Angelegenheit in einem Aufsatz einer neuerlichen Durchsicht und überprüfte, ob die Legende von der Zusammenarbeit zwischen Thomas und Moerbeke gerettet werden könne. Steel bestreitet nicht das Fehlen eines direkten Nachweises für eine enge Zusammenarbeit und gesteht zu, dass deren romantische Version nicht aufrecht erhalten werden kann – tatsächlich stimmt er in den meisten Punkten mit Gauthier überein. Aber er betont, dass es verschiedene Gründe gibt, die für die Hypothese eines Kontaktes zwischen beiden Gelehrten sprechen. Dabei lässt er sogar die Möglichkeit offen, dass wenigstens manche von Moerbekes Übersetzungen auf Anforderung des Thomas entstanden sind. Steels zentrales Argument ist der bevorzugte Gebrauch, den Thomas von Moerbekes Übersetzungen macht. Es ist allgemein anerkannt, dass Thomas sie als erster benutzt hat. Erstmals zitiert er Moerbekes Übersetzung der Politica in Buch III der Summa contra gentiles (zur Datierung C.I.5.). Zudem kann eine Analyse der im Autograph erhaltenen Teile der Scg. belegen, dass Thomas während der Arbeit an Buch III, vielleicht sogar schon an Buch II auf Moerbekes De historia animalium, De generatione animalium und De motu animalium stieß; bis dahin bezieht er sich auf die Übersetzung von Michael Scotus. Gleichwohl hat er die überwiegende Mehrheit der Zitate in dem Werk weiterhin älteren Übersetzungen entnommen. In den Jahren 1266 bis 1268, in welchen sich Thomas in Rom und Moerbeke (spätestens seit November 1267) am Papsthof aufhielt, wurde Thomas mit einigen anderen Aristotelesübersetzungen vertraut, darunter der Rhetorica und der Metaphysica. In derselben Zeit begann er auf der Grundlage von Moerbekes Übersetzung mit der Kommentierung von Aristoteles’ De anima, wahrscheinlich auch von De sensu et sensato und De memoria et reminiscentia. Zudem benutzte Thomas in seiner Sentencia libri de anima die 1267 vollendete Übersetzung von In de anima des Themistius. Thomas war auch der erste Nutzer der 1268 abgeschlossenen Übersetzung von Proklos’ Elementatio Theologica, von der er möglicherweise im selben Jahr eine Abschrift nach Paris brachte.
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Für seine Kommentare zu den Analytica Posteriora und der Metaphysica benutzte Thomas hingegen noch ältere Übersetzungen, verband sie allerdings mit besonderen Anleihen aus Moerbekes Übersetzung. Für die Analytica Posteriora benutzte er die Übersetzung Jakobs von Venedig, aber auch deren Bearbeitung durch Moerbeke; diese Bearbeitung ist durch wenige Handschriften bezeugt, und Thomas war fast ihr einziger Benutzer, was gelegentlich als Beweis für die Zusammenarbeit zwischen Übersetzer und Kommentator gewertet wurde. Unter den Übersetzungen der Metaphysica waren Thomas die translatio Jacobi und anonyma-media, aber auch zwei Versionen von Moerbekes Text bekannt: eine weitverbreitete Fassung, der zweiten Stufe von Moerbekes Bearbeitung, sowie die selten bezeugte Erstübersetzung (vgl. Vuillemin-Diem, Metaphysica, 275–280). Steel vertritt nun die These, dass Thomas eine solche reiche Menge von Übersetzungen Moerbekes kurz nach ihrer Verfertigung nur besitzen konnte, wenn Moerbeke ihn über ihre Entstehung informierte und ihm vielleicht sogar Abschriften lieferte. Tatsächlich lässt sich bei mehreren Übersetzungen zeigen, dass Thomas’ Abschrift – wenngleich sie, wie andere Abschriften auch, Fehler enthielt – eine unabhängige Stellung in der Textüberlieferung besitzt und direkt von Moerbekes Autograph abstammt. Reichte die Zusammenarbeit zwischen Thomas und Moerbeke bis hierhin oder war sie bei bestimmten Gelegenheiten noch enger? Steel verweist auf zwei Texte, die ad instantiam Thomae übersetzt worden sein könnten: Ehe Moerbeke im Jahre 1271 in Viterbo die vollständige Übersetzung von Simplicius, In De caelo, abschloss, übersetzte er einen Teil dieses Textes (das sogenannte fragmentum Toletanum, das F. Bossier entdeckt hat und das in einer Handschrift in Madrid erhalten ist). Es behandelt die astronomische Erklärung der konzentrischen Sphären. Tatsächlich hat Thomas in seinem Kommentar zu Metaphysica XII, 8, wo es um dasselbe Thema geht, nicht die gesamte Übersetzung des Simplicius benutzt, sondern nur eben dieses Fragment. Sollte es also Thomas gewesen sein, der Moerbeke gebeten hatte, nach Material zu suchen, das ihm helfen könnte, die Beweisführung des Aristoteles zu verstehen? Eine ähnliche Hypothese wurde hinsichtlich der 1268 abgeschlossenen Teilübersetzung von Philoponus’ De anima angestellt. Der Text behandelt den Status und die Funktion des Intellekts, ein Thema, das von unmittelbarer Bedeutung für die angeregte zeitgenössische Debatte de unitate intellectu war. Der Herausgeber der Übersetzung, Verbeke, hat vermutet, dass sie für Thomas erstellt worden sei. Allerdings lässt sich der Gebrauch bei Thomas nicht nachweisen. Einen weiteren Aspekt hat kürzlich Valérie Cordonier (zum Teil in Zusammenarbeit mit Carlos Steel) hinzugefügt, welcher die Komposition des Liber de bona fortuna betrifft. Dieses Werk, für das es als Ganzes keine Entsprechung im Griechischen gibt, besteht aus zwei Teilen, die beide aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt worden sind: ein Abschnitt aus den Magna Moralia und ein Abschnitt aus der Eudemischen Ethik. Steel und Cordonier konnten nun zeigen, dass diese Fragmente und auch ein anderer Teil der Eudemischen Ethik von
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Moerbeke übersetzt worden sind (vgl. Cordonier/ Steel, Guillaume de Moerbeke). Darüber hinaus argumentiert Cordonier, dass Thomas bei der Komposition des Liber de bona fortuna aus den genannten Vorlagen eine (im Einzelnen freilich nicht ganz klare) Rolle gespielt hat und auch für ihre Verbreitung an der 5.3.). Es legt sich sogar nahe, dass Universität Paris mitverantwortlich war ( Moerbeke zur Übersetzung des Fragmentes der Magna Moralia durch Thomas angeregt wurde, der gerade zu dieser Zeit damit befasst war, eine mit dem christlichen Glauben harmonisierbare aristotelische Theorie von der göttlichen Vorsehung zu rekonstruieren (vgl. Cordonier, Sauver le Dieu, bes. 107–108). 5.3. Thomas von Aquin als Förderer der Übersetzungen
Wilhelms von Moerbeke
Ungeachtet der Frage nach einer besonderen Beziehung zwischen Thomas und Moerbeke, war Thomas in jedem Falle verantwortlich für die Förderung und Verbreitung (wenigstens einiger) der Übersetzungen Moerbekes an der Universität Paris. Dies zeigt zunächst ein Brief, den die artes-Fakultät nach dem Tod des Thomas an das Ordenskapitel der Dominikaner richtete. Darin baten die magistri, ihnen bestimmte Texte zur Verfügung zu stellen, deren Zusendung ihnen Thomas noch zugesagt hatte. Auch wenn der Name nicht fällt und die Identifikation der Texte nicht ganz eindeutig ist, ist sich die Forschung doch überwiegend einig, dass es sich nicht um Werke des Thomas selbst, sondern um Übersetzungen Moerbekes handelt (vgl. Vanhamel, Biobibliographie, 372–376). Darüber hinaus lag in mehreren Fällen Thomas’ Manuskript von Moerbekes Übersetzung dem Text zugrunde, den die bekannte Buchhändlerfamilie de Sens an der Universität Paris verbreitete (das sogenannte exemplar) (vgl. Beullens/ De Leemans, Aristote à Paris). Für die Metaphysica konnte Vuillemin-Diem zeigen, dass diese Verbindung möglich ist, für die Meteorologica hat sie argumentiert, dass es sich tatsächlich so verhält (Vuillemin-Diem, Meteorologica, 188– 192). Gleiches kann auch für Aristoteles’ De historia animalium und Ethica Nicomachea wie auch für Proklos’ Elementatio Theologica gezeigt werden. Schließlich haben auch das Ansehen des Thomas und seiner Aristoteleskommentare den Übersetzungen, auf denen sie basierten, eine hohe Nachhaltigkeit verschafft. Diese wurden nicht um ihrer selbst willen gelesen und gedruckt, sondern als Mittel, Thomas’ Auslegung zu verstehen. Hingegen konnten Übersetzungen, die von Thomas nicht kommentiert worden waren (wie De historia animalium oder De incessu animalium) leicht in Vergessenheit geraten. Beullens, Pieter/De Leemans, Pieter: Aristote à Paris: le système de la pecia et les traductions de Guillaume de Moerbeke, in: RTPM LXXV (2008/1), 87–135. Brams, Jozef: La Riscoperta di Aristotele in Occidente (Eredità Medievale 22/3), Mailand 2003, bes. 105–130.
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Brams, Jozef/Vanhamel, Willy (Hg.): Guillaume de Moerbeke. Recueil d’études à l’occasion du 700e anniversaire de sa mort (1286) (AMP 1/7), Löwen 1989. Cordonier, Valérie: Sauver le Dieu du Philosophe: Albert le Grand, Thomas d’Aquin, Guillaume de Moerbeke et l’invention du Liber de bona fortuna comme alternative autorisée à l’interprétation averroïste de la doctrine aristotélicienne de la providence divine, in: Bianchi, Luca (Hg.): Christian Readings of Aristotle from the Middle Ages to the Renaissance (Studia Artistarum, 29), Turnhout 2011, 65–114. Cordonier, Valérie/Steel, Carlos: Guillaume de Moerbeke traducteur du Liber de bona fortuna et de l’Éthique à Eudème, in: van Oppenraay, Aafke M. I. (Hg.): The Letter before the Spirit: The Importance of Text Editions for the Study of the Reception of Aristotle (Aristoteles Semitico-Latinus, 23), Leiden 2012, 401–446. Gauthier, René-Antoine: Saint Thomas d’Aquin. Somme contre les gentils, introduction par René-Antoine Gauthier (Collection Philosophie Européenne), Paris 1993. Paravicini-Bagliani, Agostino: Guillaume de Moerbeke et la cour pontificale, in: Brams, Jozef/Vanhamel, Willy (Hg.): Guillaume de Moerbeke. Recueil d’études à l’occasion du 700e anniversaire de sa mort (1286) (AMP 1/7), Löwen 1989, 23–52. Steel, Carlos: Guillaume de Moerbeke et saint Thomas, in: Brams, Jozef/Vanhamel, Willy (Hg.): Guillaume de Moerbeke. Recueil d’études à l’occasion du 700e anniversaire de sa mort (1286) (AMP 1/7), Löwen 1989, 57–82. Vuillemin-Diem, Gudrun: Metaphysica. Translatio Guillelmi de Morbeka (Aristoteles Latinus XXV 3.1), Leiden 1995, bes. 247–285. Vuillemin-Diem, Gudrun: Meteorologica. Translatio Guillelmi de Morbeka (Aristoteles Latinus X 2.1), Turnhout 2008, bes. 188–191 und 349–355. (Übersetzt von Volker Leppin)
Pieter De Leemans
C. Werk
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C. Werk
I. Schriften 1. De ente et essentia (»Über Seiendes und Wesenheit«) Das noch vor Beginn seiner Magistertätigkeit in Paris, in den Jahren 1254–1256 entstandene und damit zu den frühen Schriften zu zählende Opusculum De ente et essentia (»Über Seiendes und Wesenheit«) verfasste Thomas von Aquin in erster Linie wohl für seine Pariser Schüler und Ordensbrüder, denen er anhand einer systematischen Erörterung der grundlegenden Begriffe ens (»Seiendes«) und essentia (»Wesenheit«) zur Klärung seinerzeit intensiv diskutierter Fragen aus dem Bereich der Metaphysik zu verhelfen beabsichtigte. In einer Art »Brevier der Metaphysik des Seins« befasst er sich dabei, u. a. mit Bezug auf Aristoteles, Boethius, Avicebron, Avicenna und Averroes sowie unter Verweis auf neuplatonische Autoritäten wie Proklos oder den Liber de causis, mit den Hauptgedanken der tradierten Metaphysik und legt – in gegenüber späteren Werken ungewohnt freier Form – den Zusammenhang zentraler metaphysischer Begriffe dar (neben »Seiendem« und »Wesenheit« insbesondere »Materie« und »Form«, »Akt« und »Potenz« sowie »Substanz« und »Akzidens«). Zwar finden sich die grundlegenden Aussagen auch in den beiden späteren Summen wieder, sie werden hier jedoch mit einem besonderen Problembewusstsein und einer ihnen eigenen spekulativen Kraft auf solche Weise entfaltet, dass der kurze Traktat eine außergewöhnlich hohe Verbreitung erfuhr und von den späteren Hauptwerken nicht verdrängt wurde. So existieren neben über 180 erhaltenen Handschriften ca. 40 gedruckte Ausgaben, zudem sind seit dem 14. Jahrhundert zahlreiche Kommentare verfasst worden, die sich mit dem komplexen Inhalt der kurzen Schrift auseinandersetzen (vgl. Grabmann, De Commentariis in Opusculum, der eine Übersicht der Kommentare vom 14.–20. Jahrhundert liefert; sowie Feckes, Das Opusculum des hl. Thomas; und Senko, Les Commentaires anonymes); hervorgetreten ist dabei insbesondere der Ende des 15. Jahrhunderts veröffentlichte Kommentar des Dominikaners Thomas de Vio (Cajetan) (vgl. Cajetan, In »De ente et essentia«; Porro, Tommaso d’Aquino). Im Prooemium von De ente et essentia begründet Thomas von Aquin zunächst, dass wir eine genaue Kenntnis der für ein adäquates Verständnis der Metaphysik fundamentalen, jedoch schwierig zu bestimmenden Begriffe »Seiendes« und »Wesenheit« erlangen müssen, da diese Avicenna zufolge dasjenige sind, »was vom Intellekt zuerst erfasst wird«, und sonst möglicherweise »ein kleiner Irrtum am Anfang zu einem großen am Ende wird« (vgl. De ente, prooem.; Ed. Leonina 43, 369a: Quia paruus error in principio magnus est in fine secundum Philosophum in I Celi et mundi, ens autem et essentia sunt que primo intellectu concipiuntur, ut dicit Auicenna in principio sue Methaphisice, ideo ne ex eorum ignorantia errare contingat, ad horum difficultatem aperiendam dicendum est quid nomine essentie et entis significetur […]). Der nachfolgende, in sechs Kapitel eingeteilte Gang der Untersuchung muss dabei mit der Bedeutung des kategorial bestimmbaren
I. Schriften – 1. De ente et essentia (»Über Seiendes und Wesenheit«)
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(Real-) »Seienden« beginnen, um anschließend zu dessen immanenten und konstitutiven Ursachen, der »Wesenheit« der Dinge, voranzuschreiten: essentia autem est secundum quam res esse dicitur (»wegen der Wesenheit aber spricht man vom Sein eines Dinges«) [vgl. De ente, c. 2; Ed. Leonina 43, 371a]. Dies geschieht in mehreren Stufen (vgl. c. 1): Zunächst ist die Wesenheit der aus Materie und Form zusammengesetzten (physischen) Substanzen zu betrachten, da diese unserer Vernunft leichter zugänglich sind, anschließend die der einfachen, von der Materie abgetrennten (metaphysischen) Substanzen (Seele – Intelligenz – Gott), denen in höherer Weise Wesenheit eignet. Zudem sind »Seiendes« und »Wesenheit« in ihrem Status gegenüber allgemeinen logischen Begriffen wie »Gattung«, »Art« und »Differenz« zu bestimmen, anhand derer sie in die (Wesens-)Defini tionen der Dinge eingehen. In den aus Materie und Form zusammengesetzten Substanzen, so beginnt Thomas in Kap. 2, muss auch die Wesenheit zusammengesetzt sein und demzufolge Form und Materie umfassen; da die Materie jedoch Individuationsprinzip ist, könnte daraus gefolgert werden, dass somit auch die Wesenheit lediglich als partikuläre aufzufassen sei. Um diesem Missverständnis vorzubeugen, nimmt Thomas eine grundlegende Differenzierung vor: Nicht die Wesenheit des Dinges qua Individuum, wie sie sich auf dessen individuelle materia signata (»anzeigbare Materie«), das principium individuationis, bezieht, ist definierbar; in die Definition geht das zu bestimmende Einzelding vielmehr aufgrund seiner materia non signata (»nicht anzeigbaren Materie«), »der Art nach« ein: non enim in diffinitione hominis ponitur hoc os et hec caro, sed os et caro absolute que sunt materia hominis non signata (»In der Definition des Menschen wird nicht dieser Knochen oder dieses Fleisch angegeben, sondern Knochen und Fleisch im absoluten Sinne, welche die nicht anzeigbare Materie des Menschen sind«; vgl. De ente, c. 2; Ed. Leonina 43, 371a). Wie zwischen Individuum und Art, so besteht auch zwischen Art und Gattung ein Verhältnis des Anzeigbaren und Nicht-Anzeigbaren: So, wie die Art gegenüber dem Individuum unbestimmt ist, ist die Gattung der Art gegenüber unbestimmt, indem sie alle Arten umfasst. Schließlich lässt sich auf diese Weise noch einmal zweierlei unterscheiden hinsichtlich dessen, was wesenhaft Gegenstand einer Definition ist: 1. Die Wesenheit eines Dinges gemäß dem Artbegriff (z. B. homo), wie sie von dem individuellen Ding (z. B. Sokrates) »als Ganzes« ausgesagt werden kann und dabei auch die »anzeigbare Materie« unbestimmt miteinschließt: Et hoc modo essentia speciei significatur nomine hominis, unde homo de Sorte predicatur (vgl. De ente, c. 2; Ed. Leonina 43, 373a) 2. Der Wesensbegriff (»die Natur«) der Art selbst (z. B. humanitas), wie sie sich nur auf einen Teil des Einzeldinges bezieht, indem die individuelle »anzeigbare Materie« ausgeschlossen bzw. von dieser abgesehen wird, da sie nicht dasjenige ist, wodurch der Mensch Mensch ist. »Und da der Teil nicht vom Ganzen ausgesagt wird, ergibt sich, dass die humanitas weder vom Menschen noch von Sokrates ausgesagt wird.« (vgl. De ente, c. 2; Ed. Leonina 43, 373b).
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Das über die Wesenheit der Dinge Erkannte – im Sinne allgemeiner, definitorischer Begriffe –, so erörtert Thomas fortführend in c. 3, kommt der Wesenheit selbst nicht in absoluter Betrachtung, sondern nur akzidentell zu, insofern diese Begriffe im Intellekt, nicht jedoch in den Einzeldingen sind. Dennoch haben sie in ihrer logischen Allgemeinheit aufgrund der konstitutiven Formursache und des transzendentalen Seinsbegriffs ein ontologisches fundamentum in re (vgl. Seidl, Einleitung zu Thomas, Über Seiendes und Wesenheit). Im vierten Kapitel geht Thomas zur Untersuchung der Wesenheit der abgetrennten Substanzen über. Im Unterschied zu den aus Materie und Form zusammengesetzten Substanzen haben die von der Materie abgetrennten Substanzen, die Intelligenzen und die Seelen, eine andere Art der Zusammensetzung, nämlich eine solche aus Potenz und Akt, indem sie sich in ihrer Wesenheit (Form) potentiell zu dem von der ersten Ursache (Gott) empfangenen Sein als Akt verhalten. Durch die Zusammensetzung aus Akt und Potenz erklärt sich auch die Vielfalt und Hierarchie der Vernunftwesen, bei der die menschliche Seele an unterster Stelle steht und nur Möglichkeit (Potenz) gegenüber der aktualen Erkenntnis der intelligiblen Formen ist, die der ersten Ursache, dem reinen Akt, näher stehen: et ideo Philosophus comparat eam tabule in qua nichil est scriptum (»Und daher vergleicht sie der Philosoph mit einer leeren Tafel, auf der nichts geschrieben ist«; vgl. De ente, c. 4; Ed. Leonina 43, 377b). Diese nähere Bestimmung der abgetrennten, unstofflichen Substanzen erfolgt in De ente et essentia durch die Gegenüberstellung zur einfachen, ersten Substanz, d. h. zu Gott (vgl. zum in Kap. 4 eingefügten Existenzbeweis Seidl, Bemerkungen zur »quarta via«; Seidl, Gottesbeweise). In Gott findet sich keine Zusammensetzung mehr, vielmehr fällt hier in einzigartiger Weise die Wesenheit mit dem Sein zusammen ([…] excepto primo quod est in fine simplicitatis, cui non conuenit ratio generis aut speciei et per consequens nec diffinitio propter suam simplicitatem […]; vgl. De ente, c. 6; Ed. Leonina 43, 381b). Allein in ihm sind Seiendes und Wesenheit gänzlich identisch, wohingegen in allem verursachten Seienden die Wesenheit neben Kontingentem und Akzidentellem nur einen Teil des Seienden ausmacht (vgl. c. 5). Im sechsten Kapitel thematisiert Thomas abschließend die gegenüber der substantiellen Wesenheit unvollkommene Essenz der Akzidentien, die in unselbständiger Weise immer von einer Hinzunahme des Subjekts in die Definition bestimmt ist. Ziel der Darlegungen »Über Seiendes und Wesenheit« war es, zu zeigen, so heißt es zusammenfassend am Ende der Schrift, »wie die Wesenheit in den Substanzen und Akzidentien vorliegt, und zwar in den zusammengesetzten wie auch in den einfachen Substanzen; ferner wie sich bei ihnen allen die allgemeinen logischen Bedeutungen finden. Eine Ausnahme macht hier das erste Prinzip (Gott), das von unendlicher Einfachheit ist. Ihm kommt kein Begriff einer Gattung oder Art zu und folglich, wegen seiner Einfachheit, auch keine Definition« (vgl. De ente, c. 6; Ed. Leonina 43, 381b). Thomas von Aquin, De ente et essentia, S. Thomae de Aquino Opera omnia, t. 43; (= Ed. Leonina 43, Rom 1976).
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Thomas von Aquin, Über Seiendes und Wesenheit. Thomas von Aquin, mit Einleitung, Übersetzung und Kommentar, herausgegeben von Horst Seidl (PhB 415), Hamburg 1988. Thomas von Aquin, De ente et essentia – Über das Seiende und das Wesen. LateinischDeutsch, übersetzt und eingeleitet von Wolfgang Kluxen, Freiburg i. Br. 2007. Gumppenberg, Rudolf: Zur Seinslehre in »De ente et essentia« des Thomas von Aquin, in: FZThPh 21 (1974), 420–438. Lorenz, Dietrich: I fondamenti dell’ontologia tomista. Il trattato »De ente et essentia« (Philosophia 10), Bologna 1992. Porro, Pasquale: Tommaso d’Aquino, L’ente e l’essenza, Mailand 1995. Stein, Edith: Thomas von Aquin, Über das Seiende und das Wesen (De ente et essentia) – mit den Roland-Gosselin-Exzerpten, eingeführt und bearbeitet von Andreas Speer und Francesco V. Tommasi (ESGA 26), Freiburg i. Br. 2010. Sabine Folger-Fonfara
2. Die quaestiones disputatae 2.1. Die quaestiones disputatae als scholastische Lehrform
und Literaturgattung
Seit der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts legten die Statuten der theologischen Fakultät drei wesentliche, auf Petrus Cantor (ca. 1130–1197) zurückgehende Aufgaben eines Magisters der Theologie fest: legere (Kommentieren eines autoritativen Textes, allen voran der Heiligen Schrift), disputare (Disputieren) sowie praedicare (Predigt bzw. im weiteren Sinne die Seelsorge). Keine dieser Lehrformen scheint für die hochmittelalterliche Schulwissenschaft so typisch wie die im Laufe des 12. Jahrhunderts in den Lehrbetrieb eingeführte disputatio. Wurde zunächst v. a. die lectio durchgeführt, d. h. die Lesung und Kommentierung eines Textabschnittes aus der Bibel oder den Sentenzen des Petrus Lombardus, so entwickelte sich bald im geistig regen Universitätsklima jener Jahre das Bedürfnis, die durch Text und Kommentar bei den Zuhörern entstandenen Fragen ausgiebig zu diskutieren. Jenen an die lectio anschließenden Diskussionsverlauf bezeichnet man als quaestio. Auch wenn der Magister hier noch den Vorsitz hat, so gewinnen die Zuhörer und deren Fragehorizont nun einen großen Einfluss: denn von diesen werden zahlreiche, untereinander und auch der Lehrmeinung des Magisters widersprechende Autoritäts- und Vernunftargumente vorund miteinander ins Gespräch gebracht. Das letzte Wort freilich hat wieder der Magister, der auf der Basis der durchgeführten Diskussion die Veranstaltung mit seiner Lehrentscheidung abschließt. Die quaestio ist Ausdruck einer deutlich angewachsenen Vorliebe für die dialektische Methode auch innerhalb der Theologie. Diese Präferenz führte zu einer raschen Abkoppelung der Diskussion von der lectio bis hin zu deren fester Organisation in der sog. disputatio. Dabei unterschied man die disputatio privata, die gleichsam den universitären Alltag prägte und allein zwischen Magister, seinem Bakkalaureus und den Studenten stattfand, von der disputatio publica, an der
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auch Studenten anderer Studienhäuser und Kollegen des Magisters teilnahmen, was für letzteren natürlich eine besondere Herausforderung darstellte. Zweimal im Jahr, in der Advents- und Fastenzeit, nahmen diese öffentlichen Disputationen eine besonders feierliche Form in den sog. quodlibeta an. Ihr Thema, das meist in einer inhaltlich klar begrenzten These bestand, wurde einige Wochen vor der Disputation öffentlich angekündigt. In der Veranstaltung, die insgesamt drei Stunden dauerte, brachten zunächst Lehrer und Studenten Gegenargumente zur angekündigten These vor. Der zu Füßen des Magisters sitzende dienstälteste Bakkalaureus versuchte dann diese durch Gegenargumente zu entkräften. Erst am darauf folgenden Tag wurde der Magister aktiv: Ausführlich formulierte und begründete er seine These und widerlegte – bezugnehmend auf die Äußerungen seines Assistenten – die vorgebrachten Einwände. In einem nicht näher festgelegten, angemessenen Zeitraum erstellte der Magister nach der Disputation eine schriftliche Fassung des Diskussionsverlaufes und übergab sie der Universitätsbuchhandlung zur Veröffentlichung (handschriftliche Vervielfältigung!). Konsens besteht in der Forschung darüber: Die quaestiones des Thomas sind – ganz allgemein gesprochen – der schriftliche Niederschlag dieser Lehrform. Wohl vor allem aufgrund des nur bruchstückhaften Wissens, das wir von den damals bindenden Unterrichtsreglements besitzen, gehen die Meinungen in der Thomasforschung aber darüber auseinander, wie das Verhältnis des realen Ablaufs der von Thomas durchgeführten Disputationen zu den schriftlich fixierten Resultaten genau zu denken ist: Gehen die uns schriftlich vorliegenden quaestiones disputatae des Thomas ausnahmslos auf disputationes privatae zurück (Bazán, Questions disputées, 69–86) oder sind gerade die wichtigsten unter ihnen Niederschlag feierlicher Disputationen (Torrell, Magister Thomas, 83)? Entspricht jeder Artikel einer quaestio disputata einer gesamten Disputation (Mandonnet, Chronologie, 271 f.) oder ist dieses Ereignis vielmehr in einer gesamten quaestio festgehalten worden (Dondaine, Secrétaires, 209–216)? Muss man nicht vielmehr mit der Mehrheit der neueren Forschungsliteratur ganz deutlich zwischen der Veranstaltung der disputatio und der Redaktion des Textes unterscheiden: d. h. gebrauchten die Mitarbeiter des Thomas und in der Endredaktion dieser selbst die handschriftlichen Aufzeichnungen von der Lehrveranstaltung nicht sehr frei bei der Erstellung des zur Publikation bestimmten Textes (Bazán, Questions disputées, 70–85; Torrell, Magister Thomas, 81–82)? Für diesen Ansatz scheint zu sprechen, dass 1.) die quaestio zur Zeit des Thomas bereits eine feste Literaturform ist, die eine großzügige Überarbeitung der Pro- und Contra-Argumente sowie der Formulierungen des Magisters im Sinne der Einhaltung einer bestimmten Form geradezu notwendig machte. Dies führte dahin, dass sich die quaestio soweit verselbständigte, dass sie zu einem feststehenden Strukturelement ansonsten neuer literarischer Formen wurde (Summa Theologiae) und manche der schriftlich erhaltenen quaestiones disputatae wohl nie wirklich stattgefunden haben; 2.) zeigen die Texte der quaestiones disputatae auch inhaltlich ein Niveau, das so wohl selbst in den Diskussionen der Pariser Studen-
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ten nicht gegeben war, sowie eine Länge, die dem, was wir vom Ablauf eines Schultages wissen, nicht korreliert. 2.2. De veritate
Die allgemein bekannteste der quaestiones disputatae des Aquinaten dürfte ohne Zweifel De veritate sein. An der Authentizität des Werkes besteht kein Zweifel. Alle frühesten Quellen gehen davon aus, dass Thomas die in dem Werk enthaltenen quaestiones im Rahmen seines ersten Lehraufenthaltes an der Universität zu Paris (1252–1265) disputiert und schon kurz darauf den überarbeiteten Text zur Publikation freigegeben hat. Die kritische Edition des Textes durch Hyacinthe-François Dondaine in der Leonina im Jahr 1956 konnte zudem zeigen, dass wir zu den meisten der quaestiones (De ver. q. 2–22; Ed. Leonina 22/1, 37a–22/3, 649b) das von Thomas selbst diktierte Original besitzen. Der Rückgriff auf dieses Original ermöglichte auch eine Korrektur von fast tausend Stellen, die in den bisherigen Druckausgaben fehlerhaft, z.T. auch sinnentstellend wiedergegeben waren. Eine Bezugnahme auf diesen historisch-kritisch erstellten Text ist also unbedingt notwendig, wenn man sich dem authentischen Denken des Thomas über De veritate nähern möchte. De veritate besteht aus insgesamt 29 quaestiones, auf die sich 253 Artikel verteilen. Das Thema des Werkes geht weit über das hinaus, was der Titel, der von dem Thema der ersten quaestio herrührt, vermuten lässt: Es handelt sich hier keineswegs um eine einfache Darstellung der Epistemologie des Aquinaten, sondern um einen großen Überblick über die Rolle der beiden Transzendentalien, des Wahren und des Guten, im Lebenskreis der Natur wie jenem der Gnade sowie die dazugehörigen intelligiblen Vermögen im Stufenbau der geistigen Schöpfung (Gott, Engel, Seele Christi, Mensch). Überblickt man den Gesamttext, ist er im Aufbau geprägt von zwei wesentlichen Themenschwerpunkten: Die ersten 20 quaestiones behandeln die Wahrheit und deren Erkenntnis, die übrigen neun in einer deutlichen Analogie zum ersten Teil das Gute und das Streben nach diesem. Beide Teile zeichnen sich noch einmal durch einen ähnlichen Binnenaufbau aus: Zunächst behandeln sie jeweils nach allgemeinen Begriffserklärungen Gott als die Quelle alles Wahren bzw. Guten, in einem zweiten Schritt die Verwirklichung des Wahren und Guten in der Schöpfung (bei Engeln und Menschen). Die erste quaestio gibt eine Definition der Wahrheit und ordnet diese ins Gesamt der Transzendentalien ein. Dabei wird bereits hier die theozentrische Struktur aller Überlegungen zur Wahrheit deutlich: Beruht doch die Unveränderlichkeit der Begriffsinhalte, ihre Unabhängigkeit von Raum und Zeit auf der Ewigkeit und Unveränderlichkeit Gottes bzw. seines Wesens und Denkens (De ver. q. 1 a. 6; Ed. Leonina 21/1, 22a–25a). Ganz in diesem Sinne handelt die folgende quaestio von der in der thomistischen Schule über Jahrhunderte ausführlich und kontrovers diskutierten Frage nach dem Wissen Gottes, die folgenden quaestiones ziehen daraus mit der Lehre von Vorhersehung und Vorherbestimmung die Kon-
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sequenzen. Die achte und neunte quaestio schreiten dann zur Schöpfung fort, indem sie von der Erkenntnis- und Kommunikationsfähigkeit der Engel sprechen. Auch jene, die mit der aus der Offenbarung begründeten Angelologie des »engelgleichen Lehrers« nicht allzu viel anfangen können, werden gerade hier viele wesentliche Punkte der thomistischen Philosophie besonders klar und deutlich ausgesprochen finden. Die nächsten quaestiones (De ver. q. 10–17; Ed. Leonina 22/2, 295a–528b) wenden sich ausführlich dem Menschen zu: Wie ist die mens (»der Geist des Menschen«) beschaffen? Was unterscheidet die höhere von der niederen Vernunft? Wie teilt der Mensch das als wahr Erkannte seinen Mitmenschen mit? (als De magistro häufig separat ediert). Wie zeigt sich das Wahre in Prophetie und Glauben, wie im Gewissen des Menschen? Während diese quaestiones die eher strukturellen Fragen disputierten, greifen die folgenden (De ver. q. 18–20; Ed. Leonina 22/2, 529a–589b) die Frage nach der faktischen Realisierung der Strukturen auf: Was zeichnete die Erkenntnis der ersten Menschen im Zustand der Paradiesesgnade im Unterschied zum Erkennen der gefallenen und durch die Sünde verwundeten Natur aus? Welche Erkenntnis besitzt die menschliche Seele nach ihrer Trennung vom Leib? Und schließlich: Wie ist die Erkenntnis der Seele Christi beschaffen? Der zweite Teil setzt wieder mit der grundsätzlichen Frage nach dem Wesen des Guten sowie dem Streben nach diesem im Allgemeinen ein (De ver. q. 22; Ed. Leonina 22/3, 611a–649b), geht dann der eng mit dem Wissen Gottes zusammenhängenden Frage nach dessen Willen nach (De ver. q. 23; Ed. Leonina 22/3, 651a–675b). Die folgenden drei quaestiones stellen den freien Willen des Menschen, dessen Sinnlichkeit und die passiones animae (»Leidenschaften der Seele«) dar. Wiederum folgen den strukturellen Aspekten in den letzten drei Quaestionen die Fragen nach deren konkreter Verwirklichung: nach der Gnade im Allgemeinen, der Gnade im Akt der Rechtfertigung sowie der Gnade, die von der göttlichen Natur Jesu auf seine menschliche Natur und von daher im Akt der Rechtfertigung auf die Menschheit überströmt. De veritate hat im Gesamt des thomasischen Werkes eine besondere Bedeutung dadurch erlangt, dass es das umfangreichste, eigenständige frühe Werk des Thomas ist, und sich daher Lehrentwicklungen bei Thomas anhand des Vergleichs mit diesem Werk besonders gut ausmachen lassen (besonders in der Gnadenlehre und der Christologie). 2.3. De potentia
Die Quaestiones disputatae De potentia (Ed. Vives 13, 1–319) sind während des Romaufenthalts des Aquinaten (1265–1268), wohl kurz vor der Redaktion der Prima der Summa Theologiae entstanden. Auch hier ist davon auszugehen, dass das Werk tatsächlich auf am von Thomas im Auftrag seines Ordens auf dem römischen Aventin bei Santa Sabina begründeten Studienhaus abgehaltene Disputationen zurückgeht. Wie bei De veritate hat die erste quaestio dem Gesamt-
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werk seinen Titel gegeben, das allerdings inhaltlich sehr verschiedene Quaestionen versammelt, was die frühen Werkkataloge im Unterschied zu den späteren Druckausgaben dazu veranlasste, das Werk auch als De potentia Dei et ultra zu benennen oder mit der Zusatzbezeichnung […] cum annexis zu versehen. Freilich ist auffällig, dass sich die hier versammelten Quaestionen auf weite Strecken gleichsam wie Vorarbeiten zur kurz darauf (oder parallel dazu?) verfassten Prima der Summe lesen (Weisheipl, Thomas von Aquin, 184–197). Tatsächlich handeln nur die ersten sechs Fragen (Ed. Vives 13, 1–211) in irgendeiner Weise von der Macht Gottes: im Allgemeinen, ihrer Absolutheit und eventuellen Grenzen (z. B. De pot. q. 1 a. 6: Ob Gott die Macht hat zu sündigen?); q. 2 von der generativen Macht (potentia generativa) und deren Entfaltung in der in q. 3 behandelten Schöpfermacht. Die dritte quaestio dürfte in ihrer außergewöhnlichen Länge und ihrer spekulativen Tiefe den Höhepunkt der gesamten quaestio disputata darstellen. Die folgenden quaestiones (4–6) haben die Schöpfung der Materie, die Erhaltung der Dinge im Sein sowie die Wunder, besonders die Wundermacht der Dämonen und Engel, zum Gegenstand. Mit der siebten quaestio beginnt der zweite, trinitarische Teil des Werkes, in dem zunächst von der Einfachheit Gottes gesprochen (a. 1: Utrum Deus sit simplex?) und in diesem Zusammenhang dann auch eine schöne Entfaltung der für Thomas grundlegenden Vorstellung gegeben wird, dass Gottes Wesen sein Sein ist, Gott das Ipsum esse subsistens (»für sich selbst bestehende Sein«), actus purus (»reine Seinswirklichkeit«) ist (De pot. q. 7. a. 2 ad 4; Ed. Vives 13, 218). In diesem Zusammenhang findet sich auch eine besonders klare Darstellung des thomasischen Seinsbegriffes: Sein ist nicht zu verstehen als neutrales Dasein der Vorhandenheit, sondern als perfectio omnium perfectionum – Vollkommenheit aller Vollkommenheiten (De pot. q. 7 a. 2 ad 9; Ed. Vives 13, 219), höchste Form und Vollendung. Obgleich also, wie erwähnt, der hier beginnende Teil eher als Annex aufzufassen ist, scheint eine gedankliche Verbindung doch gegeben: Bildet die reale Zusammensetzung alles Geschaffenen aus Sein und Wesenheit, aus Seinswirklichkeit (Akt) und Seinsmöglichkeit (Potenz) ein wesentliches Leitmotiv des ersten Teiles, wird der zweite eröffnet durch den Hinweis auf die absolute Einfachheit Gottes, die jede Zusammensetzung aus den beiden genannten Komponenten negiert und so zu dem Schluss des Ipsum esse subsistens kommen muss (De pot. q. 3 a. 5; Ed. Vives 13, 49 f.). Vorbereitet wird damit aber auch q. 8, die zur Frage der realen Relationen in Gott, die die göttlichen Personen begründen, fortschreitet. Die letzte quaestio fragt nach der processio (»dem Hervorgang«) der göttlichen Personen. Auch in diesem Werk fällt – zumal im Vergleich mit der deutlich einfacher aufgebauten Summa Theologiae – eine eminent metaphysisch gespeiste theologische Spekulation auf, die freilich dennoch bemüht ist, den Vorgaben der Offenbarung den Primat einzuräumen. Ausdruck dieses aus unserer heutigen Perspektive anscheinend problemlosen Zusammenspiels von Offenbarung und Philosophie ist etwa die in q. 3 a. 5 vertretene Position des Thomas, dass schon Aristoteles und Platon die Schöpfungswahrheit der creatio ex nihilo (»Schöpfung aus dem
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Nichts«) erkannt hätten. Das harmonische Zusammen von Glaube und ratio zeigt sich zunächst in der im ersten Teil entfalteten Gotteslehre: Die von der biblischen Schöpfungslehre ausgehenden Überlegungen sind durchdrungen von dem stark von der ganz eigenen, (neu-)platonische und aristotelische Denktraditionen aufnehmenden Seinslehre des Thomas geprägten Leitmotiv der absoluten Macht Gottes: Wenn Gott der Schöpfer aller Dinge aus dem Nichts ist, wie die Heilige Schrift lehrt, so setzt sich diese Schöpfung permanent in die Zeit hinein fort, hält Gott gleichsam über aller Bewegung und Zeit stehend den Schöpfungsakt dauernd fest (creatio continua), indem er nicht nur allen Dingen ihr Wesen schenkt, sondern sie auch permanent im Sein erhält und diese so in einer totalen Abhängigkeit von ihrem Schöpfer stehen. Hier findet die von der Schule des hl. Thomas immer wieder mit großer Anstrengung verteidigte Lehre von der realen Unterscheidung von Sein und Wesenheit im Geschaffenen sowie die damit zusammenhängende Lehre von der absolut unfehlbaren Vorherbewegung der freien Geschöpfe durch Gott unter Wahrung dieser Freiheit ihre wichtigsten Belegstellen (De pot. q. 3 a. 7; Ed. Vives 13, 57–62; q. 5 a. 1–2; Ed. Vives 13, 144–150). 2.4. De malo
Besonders verwickelt erscheinen die Diskussionen um die genaue Datierung bzw. den Entstehungsvorgang von De malo, weshalb sie hier nur sehr vereinfacht wiedergegeben werden sollen: Während ein Teil der Forscher im Anschluss an Ptolomaeus von Lucca davon ausgeht, dass die in dem Werk versammelten Quaestionen ebenfalls am Römischen Studienhaus bei Santa Sabina disputiert wurden (Weisheipl, Thomas von Aquin; Mandonnet, Chronologie), verweisen v. a. die jüngeren Forscher ausgehend von Palémon Glorieux (Quaestiones disputatae, 109–110) auf die ungeheure Fülle an anderen Schriften, die Thomas sicher in dieser Schaffensperiode bereits verfasst hat, sowie auf textinterne Argumente, die zeigen, dass etwa die q. 6 (Ed. Leonina 23, 145a–153) dieser Quaestionensammlung die Verurteilung vom Dezember 1270 voraussetzt und deshalb erst nach diesem Datum, also während der zweiten Lehrtätigkeit des Aquinaten in Paris (1268–1272) disputiert worden sein kann. Am wahrscheinlichsten scheint, dass Thomas die Quaestionen in den Studienjahren 1269–1271 mit seinen Studenten diskutiert hat. Genau sind dagegen die Daten, die wir zur Veröffentlichung des Textes festhalten können: Ausgehend von den Preislisten der Pariser Buchhändler (1275–1280) kann man davon ausgehen, dass die ersten 15 Quaestionen um 1270, die letzte (q. 16; Ed. Leonina 23, 279a–334b) in den späteren Versionen der Textsammlung ab 1272 (von Thomas selbst hinzugefügt) veröffentlicht wurde. Hatten wir von De potentia als von einer Vorarbeit zur Prima der Summa Theologiae gesprochen, so gilt ähnliches nun von De malo im Hinblick auf die Secunda Pars (vgl. etwa De malo, q. 2–7; Ed. Leonina 23, 27a–190b mit STh I-II q. 71–89; Ed. Leonina 7, 3a–148b; De malo, 7–15; Ed. Leonina 23, 155a–278b mit STh II-II q. 35–153, Ed. Leonina 8–10).
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Wieder hat der Titel der ersten quaestio dem gesamten Werk seinen Namen gegeben und wieder ergeben sich die Fragen der folgenden Quaestionen nur teilweise stringent aus dem Oberthema: die erste quaestio fragt nach dem Wesen und Ursprung des Bösen, die zweite und dritte handeln über die Sünde und deren Ursachen, die folgenden über die Ursünde und deren Konsequenzen. Erwähnenswert ist, dass sich in De malo, q. 5 a. 3 (Ed. Leonina 23, 135a–136b) die klarste Darlegung des Thomas über den sog. Limbus puerorum – eine Theorie, über deren Berechtigung in den letzten Jahren in der katholischen Theologie intensiv diskutiert wird – findet. Es folgt eine quaestio, die den bislang gut nachvollziehbaren Gedankengang zu durchbrechen scheint: de electione humana (»über den freien Willen des Menschen«). Überhaupt hat diese kurze Quaestion (besonders folgende Stelle De malo, q. 6 co; Ed. Leonina 23, 145a–153: Intelligo enim quia volo; et similiter utor omnibus potentiis et habitibus quia volo) zu einer ausgiebigen, bis heute nicht abgeschlossenen Diskussion in der Sekundärliteratur des 20. Jahrhunderts geführt, die sich darum dreht, ob Thomas mit diesem Text, motiviert durch die Verurteilung von 1270, eine Wende hin zum Voluntarismus vollzogen hat: d. h. eine Abkehr von einer extrem formulierten Lehre von der Bewegung des Willens durch den Intellekt, wie wir sie etwa in De veritate finden, zugunsten einer Betonung der Ungenötigtheit der Wahl und der Aktivität des Willens in der Willensbewegung (Schenk, Gnade, 573–602). Wieder gut in den Hauptgedankenweg fügen sich die folgenden Fragen ein, die von den lässlichen Sünden sowie der Todsünde handeln. Dabei wird dem Stolz eine zentrale Rolle im Hinblick auf den Fall in die Todsünde eingeräumt. Die quaestiones 9–15 (Ed. Leonina 23, 209a–278b) behandeln die (in ihrer Zusammenstellung als Lasterkatalog auf Gregor zurückgehenden) sieben Hauptlaster: Eitelkeit, Neid, Zorn, Trägheit, Geiz, Völlerei und Wollust. Abschließend (De malo, q. 16; Ed. Leonina 23, 279a–334b) bietet Thomas eine sehr ausführliche Darstellung der zentralen Fragen der Dämonologie. Ohne den kirchlichen, eng an die augustinische Tradition angelehnten Glauben an die Dämonen, die naturphilosophischen Vorstellungen seiner Zeit aufzugeben, stellt Thomas zumal im letzten Artikel dieser Quaestio (Inwiefern die Dämonen den Intellekt des Menschen verändern können?) gegen alle Dämonenhysterie heraus, dass der Mensch den dämonischen Mächten nicht machtlos ausgeliefert ist. Diese können ihm nur schaden, wenn er ihnen die Gelegenheit dazu gibt. 2.5. De virtutibus
Auch die Quaestionen über die Tugenden (Ed. Vives 14, 178–229) sind während des zweiten Pariser Lehraufenthaltes des Aquinaten, parallel zum zweiten Teil der Secunda entstanden (1271–1272). Glorieux konnte zeigen, dass q. 3 a. 1–2 (De correctione fraterna) eindeutig als Basistext für STh II-II q. 33 a. 7 (Ed. Leonina 8, 269a–271b) gedient hat und daher vor dieser, also spätestens im Studienjahr 1269–70, entstanden sein muss. Die quaestio umfasst mit ihren 36 Artikeln ziem-
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lich genau den Stoff, der über die ca. 40 bis 41 Wochen eines Studienjahres verteilt disputiert wurde. Der Text setzt sich aus fünf größeren Quaestionen zusammen: Die erste legt die Grundlagen, indem sie klärt, inwiefern die Tugend als habitus, als vollkommene Tüchtigkeit eines Könnens, einer Lebenshaltung einzuschätzen ist. Darauf folgt eine interessante Auseinandersetzung mit dem Tugendbegriff Augustins, der in der Scholastik durch Petrus Lombardus (erweitert noch durch Petrus Porreta) präsent war. Dabei zeigt Thomas bereits hier eine deutliche Umstrukturierung des augustinischen Tugendbegriffs in der Fassung des Lombarden: Das Vorübergehende im Sinne einer bewegenden, aktualen Kraft, das jenen auszeichnete, wird zugunsten des Bleibenden eines habitus uminterpretiert. Interessanterweise fehlten in dem auf Thomas zurückgehenden Text von q. 1 a. 2 die Antworten auf die Einwände neun bis 21: sie wurden später von dem Dominikaner Vinzenz de Castro auf der Basis des Textes von STh I-II q. 65 a. 4; Ed. Leonina 6, 425a–427b ergänzt. Die folgenden Artikel fragen nach dem Träger bzw. Urgrund (Subjekt) der Tugend, und Thomas entscheidet sich, beeinflusst von Alberts Kommentar zur Nikomachischen Ethik für die psychologische Erklärung; ob die Tugenden von Natur aus in uns sind oder durch Akte erworben werden: zwar gibt es in uns eine aptitudo (»natürliche Eignung«) zum tugendhaften Handeln, deren Ausentwicklung liegt aber nicht in unserer Natur, sie vollzieht sich erst durch das tatsächliche Handeln. Die Artikel zehn bis elf behandeln die von Gott dem Menschen als Folge der Gnade eingegossenen Tugenden sowie deren Vermehrung durch die von der göttlichen Liebe getragenen Verdienste des Menschen. Während a. 12 einen inhaltlichen Abschluss der quaestio bildet, indem er noch einmal die Unterschiede zwischen den verschiedenen Arten der Tugend ordnend anführt, stellt der letzte Artikel mit seiner Frage, ob die Tugend »in der Mitte« ist, eine ganz vom christlichen Glauben geprägte Auseinandersetzung mit der Tugenddefinition des Aristoteles dar: Während Thomas diese Bestimmung der Tugend als Mittelweg für die moralischen und intellektuellen Tugenden gelten lässt, scheint sie ihm für die theologischen Tugenden nicht angemessen, denn der Glaube an Gott, die Hoffnung auf ihn und die Liebe zu ihm können niemals mit dem menschlichen Maß der Mitte gemessen werden, sind sie doch niemals so stark, wie sie eigentlich angesichts ihres Objektes sein müssten. Konsequent folgt dann eine quaestio über die caritas, die übernatürliche Gottes- und Nächstenliebe, die unter den Tugenden Königin ist (a. 5). Es folgt eine kleine Abhandlung über die brüderliche Zurechtweisung (s. o.), die nur scheinbar aus dem Rahmen fällt, jedoch einen Teilaspekt der Nächstenliebe behandelt; gefolgt von einer aus vier Artikeln bestehenden Quaestion über die göttliche Tugend der Hoffnung. Darüber, warum Thomas hier keine quaestio über die göttliche Tugend des Glaubens angeschlossen hat, wird man nur spekulieren können: Ist es, weil er im ersten Artikel der Quaestion über die Hoffnung bereits den Zusammenhang der Hoffnung mit dem Glauben behandelt hat und ihm dies ausreichend erschien? Oder glaubte er das Thema besser in seinen quaestiones De veritate aufgehoben, wo er bereits ausführlich (De ver. q. 14 a. 3; Ed. Leonina 22/2, 444b–448a)
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über die Tugend des Glaubens disputiert hatte? Stattdessen folgt eine solche über die vier Kardinaltugenden (justitia, prudentia, fortitudo, temperantia). Auffällig ist, dass Thomas dieselben Themen kurz darauf in ähnlicher Form an verschiedenen Stellen der Summe der Theologie behandelt hat (STh I-II q. 61–66; Ed. Leonina 6, 394a–437b; STh II-II q. 17; Ed. Leonina 8, 124a–133b und STh IIII q. 23; Ed. Leonina 8, 163a–173b). Oft jedoch lohnt sich ein Rückgriff auf die Quaestiones disputatae, da hier viele Positionen viel ausführlicher dargestellt und diskutiert werden (Utz, Grundlagen). So kann man auch hier erahnen, warum einer der großen Kommentatoren des Thomas im 17. Jahrhundert, Xantes Mariales, bemerkte, er habe aus dem Studium der quaestiones disputatae des Aquinaten mehr Nutzen gezogen als aus jenem aller übrigen Werke. 2.6. Übrige quaestiones disputatae
Der Vollständigkeit halber sollten auch die übrigen Quaestiones disputatae des Thomas noch kurz Erwähnung finden: In Rom und als Vorarbeit der q. 75–89 (Ed. Leonina 5, 194a–384b) der Prima Pars ist die kleine Quaestio disputata De anima entstanden, die in 21 Artikeln grundlegende Aspekte der christlichen Seelenlehre disputiert. Ebenfalls hier (1267/68) situieren die Forscher die Quaestio disputata De spiritualibus creaturis, die in elf Artikeln Engel und Menschen unter dem Aspekt ihrer Eigenschaft als geistige Wesen betrachtet. Für die Dogmatiker seit mehr als 600 Jahren von großem Interesse ist die Quaestio disputata De unione verbi incarnati, deren Entstehungszeit nach wie vor stark umstritten ist: beides daher, da hier Thomas im Unterschied zur Christologie der Tertia anzunehmen scheint, dass es in Christus zwei esse (ein primäres, göttliches, und ein sekundäres, menschliches) gibt (a. 4). Wäre die Quaestio disputata also erst nach der Christologie der Summa entstanden, könnte man annehmen, Thomas habe gegen Ende seines Lebens gerade jene Position widerrufen, die zum Urbestand der thomistischen Theologie gehört. Die neueren Forscher nehmen tatsächlich an, dass die Quaestion, wie man die dort enthaltenen Äußerungen zum Sein Christi auch interpretieren mag, noch vor dem Beginn der Arbeit an der Tertia disputiert wurde. Bazán, Bernardo C.: Quaestiones disputatae de anima: Préface, in: S. Thomae de Aquino Opera omnia iussu Leonis XIII P. M. edita, Bd. 24/1 (Commissio Leonina), Rom/Paris 1996, 1*– 102*. Bazán, Bernardo C./Fransen, Gérard/Wippel, John W./Jacquart, Danielle (Hg.): Les questions disputées et les questions quodlibétiques dans les facultés de théologie, de droit et de médecine, Turnhout 1985. Elders, Leo: Der Dialog beim hl. Thomas von Aquin, in: ders.: Gespräche mit Thomas von Aquin, hg. von David Berger und Jörgen Vijgen, Siegburg 2005, 33–56. Glorieux, Palémon: Die »Quaestiones disputatae« des hl. Thomas und ihre chronologische Aufeinanderfolge, in: Bernath, Klaus (Hg.): Thomas von Aquin, Bd. 1, Darmstadt 1978, 95–131. David Berger
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3. Kommentare zu Boethius 3.1. Super Boethium De Trinitate
Thomas von Aquin nimmt die Tradition der Boethius-Kommentare wieder auf, wie sie vor allem in Chartres gepflegt worden ist (Thierry von Chartres; Gilbert Porreta; Clarembald von Arras), mit der Aristoteles-Rezeption aber zum Erliegen gekommen war. In seiner frühen Zeit schreibt er als seinen ersten Kommentar überhaupt (abgesehen von der institutionell vorgeschriebenen Kommentierung der Sentenzen des Petrus Lombardus) diesen Boethius-Kommentar (1257/58). Thomas ist im 13. Jahrhundert allem Anschein nach der Einzige, der Boethius kommentiert und nicht nur mit den einschlägigen Adagien anführt. Die Absichten, die Thomas mit diesem Kommentar verfolgt, erläutert er – wie auch sonst – nicht. Es ist aber wohl nicht von ungefähr, dass ein Autor zur Grundlage genommen wird, der eine philosophische Durchdringung der christlichen Trinitätslehre verfolgt hat. Thomas hat sich freilich seit seinen frühen Schriften von einer rein rationalen Begründung der Trinitätslehre distanziert. Ihre Inhalte lassen sich nur rational erläutern und in dem Minimalsinne als rational erweisen, dass sie nicht vernunftwidrig sind. Aber weder philosophische Begründungsgänge noch die für eine trinitarische Verfasstheit Gottes in Anspruch genommenen Texte der antiken Philosophie sind nach der Auffassung des Thomas von zulänglicher Beweiskraft. Dieser Kommentar, dessen Text zu etwa zwei Dritteln auch als Autograph überliefert ist, ist fragmentarisch geblieben; zur Erörterung der Trinitätslehre selbst ist es nicht mehr gekommen. Die Arbeit an einem systematischen Werk mit nicht ganz fremder Zielrichtung, an der Scg., tritt wohl, so ist vermutet worden, an dessen Stelle. Es handelt sich im Falle des Boethius-Kommentars weder um eine reine Texterläuterung noch um eine Sammlung von sachlichen Fragestellungen, für die der Text lediglich den mehr oder weniger naheliegenden Anlass geliefert hat. Das Werk umfasst vielmehr beides, so dass einerseits ein Traktat über die Gotteserkenntnis im Kontext von Wissen und Erkennen des Menschen entstanden ist, andererseits aber die Kommentierung über die ersten Sätze des ersten Kapitels nicht hinausdringt. Thomas interpretiert zunächst den Prolog des Boethius, er tritt aber dann in einen Quaestionen-Kommentar ein, d. h. der Text des Boethius wird zum Anlass genommen, Fragen im scholastischen Stil aufzubringen und zu bewältigen. Im Prolog versucht er – wie auch bei den Aristoteles-Kommentaren –, in der Sammlung der sog. Opuscula sacra eine bestimmte Ordnung sichtbar zu machen. In allen sechs quaestiones geht es um die Lehre von der Erkenntnis Gottes, gegliedert nach verschiedenen Hinsichten: Zuerst richtet sich das Interesse auf die Gotteserkenntnis des Menschen in einem allgemeinen Sinne (q. 1), dann auf die Notwendigkeit und den Zusammenhang der göttlichen Offenbarung (q. 2), schließlich auf den Glauben, der sich auf Offenbarung beruft. Die zweite Gruppe setzt mit der Erörterung des Prinzips der Mannigfaltigkeit (q. 4) ein und wendet sich
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dann der Gliederung der drei theoretischen Disziplinen (q. 5) zu, um dann abschließend die Methode der Gewinnung dieses Wissens durchzugehen (q. 6). Thomas hat also zuerst das Problem der Gotteserkenntnis zu bewältigen. Hierzu führt er zunächst einen Begriff von Erkenntnis ein, der zwar auf einer allgemeinen Mitteilung göttlichen Lichtes beruht, für seine einzelnen Erkenntnisleistungen aber nicht auf eine jeweilige göttliche Erleuchtung rekurrieren muss. Schon die Sprache, in der solche Erkenntnisse artikuliert werden, zeigt, dass der Mensch keine unmittelbare Erkenntnis hat, sondern lediglich eine, die über die Wirkungen Gottes vermittelt ist. Dies bedeutet notwendig zugleich eine Einschränkung dieser Erkenntnis, denn eine adäquate Erkenntnis einer Sache im Ausgang von den Wirkungen dieser Sache ist nur dort möglich, wo sich die Vollkommenheit von Ursache und Wirkung auf demselben Niveau halten. Gott aber überragt die Geschöpfe auf unendliche Weise. Daher kann der Mensch nicht hoffen, einen Wesensbegriff Gottes – im aristotelischen Sinne – zu gewinnen. Erkenntnis wird nicht allein durch ihre Reichweite, sondern auch durch ihren Einsatzpunkt bestimmt. Thomas kann in der ersten Frage seine These vorbringen, dass weder die Vernunft als Bedingung jeglicher Erkenntnis vor dieser noch Gott als Ermöglichungsgrund aller Erkenntnis als Erster erkannt wird. Insbesondere die augustinische Tradition hatte die Unableitbarkeit des geistigen Selbstbezuges vertreten und aus diesem Umstand dessen Vorgängigkeit gefolgert. Thomas versucht die Unumgänglichkeit der Erfahrungserkenntnis für jede Erkenntnisintention zu zeigen. Erkenntnis im strengen Sinne ist Wissenschaft. In der zweiten Frage geht Thomas dem Problem nach, in welcher Weise es von Gott eine Wissenschaft geben kann. Der Mensch kann in zweierlei Weise von Gott wissen. Der eben beschriebene Ausgang von der durch Wahrnehmung und Erfahrung gegebenen Wirklichkeit ist die Basis der natürlichen Theologie – hier wohl erstmals als philo sophia theologica bezeichnet. Aber auch auf der Basis der Glaubensartikel, dem Kondensat der göttlichen Offenbarung, lässt sich eine Theologie als Wissenschaft aufbauen; diese Artikel bilden hier die Prämissen, so wie andere Wissenschaften ebenfalls bestimmte Prämissen voraussetzen. Dies stellt natürlich die Frage nach dem Verhältnis von Glaubenswissenschaft und philosophischer Rationalität. Zentrale Aussage des Thomas hierzu ist, dass beides nicht in einen Widerspruch geraten kann – wenn wirkliche Erkenntnis vorliegt. Denn wie die Gnade die Natur voraussetzt und nicht ersetzt, vervollkommnet und nicht vernichtet, so hat auch die natürliche Vernunft in der Offenbarungstheologie ihren legitimen Ort, an dem sie mehrere Funktionen erfüllen kann. Es muss freilich gefordert werden, dass es sich nicht bloß im formalen Sinne um philosophische Thesen und Modelle handelt, sondern auch um philosophische Einsichten. Zuletzt stellt Thomas – was für Boethius nicht nur in diesem Text eine belangvolle Frage war – darüber hinaus den esoterischen Charakter des Glaubens zur Diskussion. Die dritte Frage ist dem Begriff des Glaubens gewidmet. Er muss abgehoben werden von bloßer Meinung einerseits und allgemeinverbindlichem Wissen an-
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dererseits. Glaube ist zwar eine gegenüber der Einsicht unvollkommenere Weise, die Wahrheit zu besitzen, dafür aber ist sie erstens eine universelle, d. h. allen Menschen unabhängig von ihrer Begabung und ihren Interessen zugängliche Weise. Anders als die rationale Erkenntnis, die dem Für und Wider ausgesetzt bleibt, gründet der Glaube auf göttlicher Autorität. Diese ist aber zweitens anders als die Vernunft nicht irrtumsanfällig. Der Glaube ist freilich nicht nur eine epistemische, sondern auch eine moralische Kategorie. Die Anerkennung des Göttlichen ist etwas, was diesem Göttlichen zukommt; das heißt der Glaube gehört zur Tugend der Gerechtigkeit. Noch in der STh fasst Thomas Religion in dieser Weise. Mit der vierten Frage tritt Thomas in den Umkreis der Trinitätslehre. Mannigfaltigkeit beruht immer auf Andersheit. Freilich ist nicht jede Verschiedenheit Grund für Andersheit. In Abhebung dazu wird im Folgenden die Unterscheidung der Dinge in Gattungen, Arten und Individuen erörtert; dies ist die erste systematische Darstellung der thomasischen Theorie der Individuation. Die beiden letzten Fragen dieses Kommentars haben die größte Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Die Erweiterung der Wissensbestände und das Zugänglichwerden der aristotelischen Wissenschaftstheorie haben vielfältige Versuche hervorgebracht, dem Kanon der Wissenschaft eine bestimmte Ordnung zu verleihen. Hier stehen zuerst insbesondere die theoretischen Wissenschaften (Physik, Mathematik, Theologie) im Blick. Thomas unterscheidet diese nach dem Zweck dieses Wissens sowie nach der ontologischen Verfassung von dessen jeweiligen Gegenständen. Es ist dabei das Formalobjekt, das den jeweiligen Wissenschaften ihre gegenständliche Einheit verschafft. Herausragendes Interesse hat die thomasische Unterscheidung von Negation und Abstraktion gefunden. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang naturgemäß wiederum der Wissenscharakter der Gotteserkenntnis. Thomas schließt sich der aristotelischen These an, dass alle Erkenntnis mit der sinnlichen Wahrnehmung einsetzt, behauptet aber auch ebenso wie Aristoteles, dass sich das Wissen nicht auf deren Gegenstände beschränkt. Denn alles sinnlich Gegebene ist durch etwas in seiner Verfassung bestimmt, und dieses ist nicht wieder sinnlich gegeben. Wenn es sich nicht um innere Prinzipien der Dinge, sondern um Gott handelt, so ist dieser zwar ebenso in der Kategorie der Kausalität fassbar, aber innerhalb der Grenzen der menschlichen Rationalität ist damit keine adäquate Erkenntnis verbunden. Im Anschluss an Dionysius Areopagita spricht Thomas von einem dreifachen Weg: Da die erste Ursache ihre Wirkung unendlich übersteigt, müssen Prädikate, die diesen Wirkungen zukommen, negiert werden (via negativa). Die Negation ist aber doppeldeutig: Sie kann eine einfache und vollständige Verneinung besagen, aber auch die Distanznahme zu einem bestimmten Sinn des Prädikats. Mit Bezug auf das göttliche Sein hat die Negation den Sinn einer Steigerung zu einem Inbegriff (via eminentiae). Damit sind also keine äußeren Grenzen markiert, denn anders als diese haben die hier gemeinten selbst einen angebbaren Grund. So ist die Einbeziehung dieser Erkenntnisgrenzen nicht bloß eine Einschränkung, sondern eine Steigerung dieser Erkenntnis – aber nicht in dem Sin-
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ne, wie Gegenstände anderer Wissensformen in einer zusätzlichen Weise erkannt werden. 3.2. Super Boethium De hebdomadibus
Dieser Kommentar des Thomas von Aquin, der in 33 Handschriften überliefert ist, wurde ehedem dem ersten Pariser Magisterium zugeordnet; hierfür gibt es jedoch keinen anderen Grund als den, dass in dieser Zeit mit Gewissheit sein anderer Boethius-Kommentar entstanden ist. Die Leonina-Editoren (Louis-Jacques Bataillon und Pierre-Marie Gils) haben deshalb vorgeschlagen, diesen Text an den Anfang der 1270er Jahre zu rücken; inzwischen sind ihnen einige Gelehrte darin gefolgt. Ein positiver Beweis ist dafür freilich ebenfalls noch nicht erbracht. Immerhin hat Thomas in dieser Zeit auch den Liber de causis kommentiert, dessen neuplatonische Herkunft von ihm erstmals durchschaut wurde und der einen ähnlich axiomatischen Aufbau hat. Dieser Kommentar hat vor allem wegen seiner systematischen Behandlung des Begriffes der Teilhabe immer wieder die Aufmerksamkeit der Forscher auf sich gezogen, doch wurde er mitunter wohl zu leichtfertig als eine Abhandlung über Metaphysik und nicht als Kommentar interpretiert. Auffällig ist, dass Thomas anders als in seinen sonstigen Kommentaren die bisherigen Auslegungen (Clarembald von Arras; Gilbert Porreta) nicht berücksichtigt. Anders auch als bei seinen Kommentaren zu sonstigen philosophischen Werken stellt Thomas diesem Text eine Auslegung einer Schriftstelle voran. Hierin hebt er insbesondere den Selbstzweckcharakter theoretischer Tätigkeit hervor, die darin dem Spiel des Menschen gleicht. Der rätselhafte Titel De hebdomadibus, unter dem das dritte Boethius-Opusculum im Mittelalter zitiert wurde, ist auf sehr unterschiedliche Weise erläutert worden. Thomas bringt »hebdomas« mit dem griechischen Wort für »hervorbringen«, »herausgeben« zusammen und bezieht es daher auf Grundbegriffe, die das Denken hervorbringt. Der Text selbst behandelt eine konkrete Sachfrage: Wie ist es zu verstehen, dass die Dinge nicht durch eine bestimmte Funktionalität, sondern insofern sie sind, gut sind, aber gleichwohl nicht wesenhaft gut, womit sie nämlich dann mit dem göttlichen Wesen identisch würden? Der Beantwortung dieser Frage geht nun eine axiomatisch verfasste Ontologie voraus, die ganz besonders das Interesse des Thomas gefunden hat. Diese Axiomatik beruht auf evidenten Sätzen. Dass es sich hierbei um »allgemeine Begriffe des Geistes« handelt, meint nicht die universelle Verbreitung, sondern vielmehr die Allgemeinheit von deren Inhalten: Es sind dies die transzendentalen Bestimmungen des Seienden, Einen und Guten. Zunächst ist nur von den Weisen die Rede, wie der Begriff des Seienden verwendet wird. Thomas klärt dies mit Hilfe einer zweifachen Unterscheidung: Die Satzform enthält die Differenz zwischen Subjekt und Prädikat. Das Sein kann beide Stellen einnehmen, in der ersten Funktion meint es das, was ist, in der zwei-
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ten hingegen dasjenige, was es ist. Die Wortform betrifft die Unterscheidung zwischen abstrakten und konkreten Begriffen: Während konkrete Begriffe etwas bezeichnen, das in sich Bestand hat und mehrere Bestimmungen hat, ist mit dem abstrakten Begriff die Bestimmung selbst gemeint, die zwar selbst kein Sein hat, aber gleichwohl das Konkrete bestimmt. Hierdurch wird nun einerseits der Sonderstellung des Seinsbegriffes Rechnung getragen, denn dieser ist der unbestimmteste Begriff; er wird aber andererseits über die sprachlichen Formen doch mit anderen vergleichbar. So gilt etwa: So wenig man vom Laufen sagen kann, dass es läuft, so wenig kann man vom Sein aussagen, dass es ist. Anders als Boethius, so scheint es, fasst Thomas das Sein nicht als Form, sondern als Akt. Dieser ist zwar ähnlich wie die Form nicht selbst wirklich und aktuiert ähnlich wie die Form sein komplementäres Element, ist aber eben nicht selbst eine Form, also kein strukturgebender Inhalt. Zentral für Boethius ist die Unterscheidung, dass zwar alle Bestimmungen der Dinge auf Teilhabe beruhen bzw. im Teilhaben bestehen, dass aber das Sein selbst an nichts teilhat. Diese Dichotomie gibt Thomas Gelegenheit, sich in systematischer Weise zu diesem Begriff, den Aristoteles für eine unbrauchbare Metapher gehalten hat, zu äußern. Obwohl er wie die gesamte Tradition seit dem Parmenides des Platon immer wieder darauf hinweist, dass Teilhabe nicht die Teilbarkeit des Partizipierten voraussetzt, geht er doch von dem Begriff des Teiles aus. Von Albertus Magnus übernimmt er die Etymologie des Wortes participare; dies bedeute quasi partem capere (»einen Teil von etwas nehmen«). Dies wiederum besagt die teilweise Realisierung dessen, was das Partizipierte sozusagen »ganz« enthält. Thomas entwickelt drei Fälle dieser Relation: (a) in der ersten (vielleicht logisch zu nennenden) Form von Partizipation wird einem Einzelnen teilweise das zugesprochen, was der je höhere Begriff enthält; Sokrates realisiert nicht alles, was Menschsein heißt, und Menschsein nicht alles, was Lebendigkeit ausmacht; (b) in ähnlicher Weise hat das Subjekt am Akzidens und die Materie an der Form teil. Auch hier liegt ein Verhältnis des Besonderen zum Allgemeinen vor; (c) in einem dritten Sinn kann man auch davon sprechen, dass die Wirkung an ihrer Ursache partizipiert, was zumal dann gilt, wenn in der Wirkung nicht alles wiederkehrt, was die Ursache hervorzubringen imstande ist. Diesen dritten Sinn, so sagt Thomas, übergehe Boethius. In den beiden anderen Bedeutungen habe Boethius jedoch Recht, wenn auch selbst hier nicht ohne Einschränkung. Denn auch das abstrakt Bezeichnete kann als partizipierend gedacht werden: das Weißsein etwa hat teil an der Farbe. Auf der Basis der Unterscheidung des konkret und abstrakt Bezeichneten kann dann Thomas aber sagen, dass das erstere – obgleich im Fall von ens der Inhalt von der höchsten Allgemeinheit ist – am letzteren teilhat. Und genau dies sagt ja Boethius. Thomas entfaltet hier also eine knapp skizzierte Systematik des Partizipationsbegriffs. Sie ermöglicht es, zum einen die Begrenztheit der boethianischen Aussage sichtbar zu machen, ihr aber andererseits auch einen nachvollziehbaren Sinn zu verleihen und ihren begrifflichen Ort anzugeben.
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Das Gutsein der Dinge wird in einem ersten Schritt aus ihrem Streben entnommen: Allen Dingen kommt es auf etwas an, sie erstreben ihre Vervollkommnung und ihre Verwirklichung. Es gibt also jeweils etwas, dem sie zuneigen, und etwas, wovor sie fliehen. Unter der Voraussetzung, dass zwischen dem Streben und dem Erstrebten eine Entsprechung herrscht, kann daraus geschlossen werden, dass auch das Strebende, also jede endliche Wirklichkeit, gut ist. Damit kann Thomas nun der Klärung der Sachfrage nähertreten. Der Sache nach ist zwar Gott als Grund aller Wirklichkeit dasjenige, was zuerst, vor aller Erkenntnis erkannt wird. Für uns als Wesen, denen die Erkenntnis der sinnenfälligen Dinge natürlich ist, sind es jedoch faktisch zuerst die Wirkungen. Nun kann man eine Wirkung auch unabhängig von ihrer Ursache, d. h. dann nicht als Wirkung betrachten. Dass das erste Gut existiert, ist damit nicht bestritten – dies geht ohnehin aus dem allgemeinen Menschheitsbewusstsein hervor. Dieser Aspekt wird aber ausgeblendet, wenn etwas nicht in seinen Relationen, hier die Relation der Herkunft, sondern für sich genommen ins Auge gefasst wird. Welchen Status, so ist die Frage, hat dann das Gutsein der Dinge, wenn man vom ersten Gutsein absieht? Daraus ergibt sich zuerst, dass sich das Gutsein und das Sein der Dinge unterscheiden. Wenn alle Prädikate vom selben ausgesagt werden, muss es in diesem eine Differenz geben, weil sonst auch die Prädikate miteinander identisch würden. In diesem Sinne ließe sich das Gutsein als die Vollkommenheit des Seins und Tätigseins verstehen. In diesem Sinne ist aber eine Unterscheidung von Sein und Gutsein vorausgesetzt, denn im umgekehrten Falle wären alle Dinge mit dem Gutsein identisch und sie wären nicht nur mit dem ersten Gut identisch, sondern auch insgesamt nur eines. Da die Folgerung falsch ist, muss es auch die Prämisse sein. Die Dinge sind insbesondere insofern endlich, als sie nicht einfach sind und aus einem anderen hervorgehen. Nur Gott ist wesentlich gut. Die endlichen Dinge sind es, weil sie kraft des göttlichen Willens existieren – eines Willens, welcher der Wille eines wesentlich guten Wesens ist. Man kann also durchaus sagen, dass die Dinge gut sind, insofern sie sind. Denn sie sind nur, insofern sie durch den göttlichen Willen existieren. Sie wären also nur dann nicht, insofern sie sind, gut, wenn sie nicht aus dem göttlichen Willen hervorgingen. Es muss dabei nicht nur das Gutsein berücksichtigt werden, sondern auch, dass sich die Dinge ihrem Wesen nach unterscheiden. Auch diese Wesensnatur geht aus dem göttlichen Wesen hervor, also wiederum aus dem, das seiner Natur nach gut ist. Die Schwierigkeit, welche in dieser Abhandlung das Thema bildet, beruht auf der Doppelsinnigkeit in dem, wie den endlichen Dingen ihr Gutsein zugeschrieben wird. Es muss also von einem doppelten Gutsein in den Dingen die Rede sein: Es muss nämlich unterschieden werden zwischen dem Gutsein, das in einer unmittelbaren Beziehung auf das erste Gute steht, das die Dinge hervorbringt und sein lässt, und demjenigen Gutsein, das in dem jeweiligen Vollkommensein von Verfassung und Wirken besteht. Die Dinge sind also auch unter der – der Sache nach natürlich völlig ausgeschlossenen – Bedingung, dass sie nicht aus dem ersten Guten hervorgingen, gut, dann aber nicht, insofern sie sind. Sie
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sind vielmehr zwar in sich betrachtet gut (und nicht bloß in Relation auf das erste Gute); dies sind sie aber nur in einer bestimmten Hinsicht, eben der ihrer Verfasstheit und dem sich daraus ergebenden Tätigsein und Wirken. Grabmann, Martin: Die theologische Erkenntnis- und Einleitungslehre des hl. Thomas von Aquin auf Grund seiner Schrift »In Boethium de Trinitate«. Im Zusammenhang der Scholastik des 13. und beginnenden 14. Jahrhunderts dargestellt (ThomSt 4), Fribourg 1948. Hoffmann, Peter (Hg.): Thomas von Aquin, Expositio super librum Boethii De trinitate I/ Kommentar zum Trinitätstraktat des Boethius I. Lateinisch-Deutsch, 2 Bde., übersetzt und eingeleitet (HBPhMA 3/I–II), Freiburg i. Br. u. a. 2006/2007. Maurer, Armand Augustin: St. Thomas Aquinas. The Devision and Methods of the Sciences: Questions V and VI of his Commentary on the De Trinitate of Boethius, Toronto 41986. McInerny, Ralph M.: Boethius and Aquinas, Washington D.C. 1990. Reder, Paul (Hg.): Thomas von Aquin, Expositio in libri Boethii De hebdomadibus/Kommentar zur Hebdomaden-Schrift des Boethius. Lateinisch-Deutsch, übersetzt und eingeleitet (HPhBMA, 18), Freiburg i. Br. u. a. 2009. Schönberger, Rolf: Ipsum esse nondum est. Zu einer Neuinterpretation einer neudatierten Thomasschrift, in: Leibold, Gerhard/Löffler, Winfried (Hg.): Entwicklungslinien mittelalterlicher Philosophie, Wien 1999, 107–119. Rolf Schönberger
4. Sentenzenkommentar Nachdem Thomas 1251/52 (oder 1252/53) als baccalaureus biblicus an der Universität zu Paris die kursorische Lektüre der Bibel absolviert hatte (Oliva, Débuts de l’enseignement, 225), war es in den folgenden zwei Jahren, in denen er am Kolleg St. Jacques den Lehrstuhl für Auswärtige unter dem Regens Elias Brunet innehatte, seine Pflicht, in seinen Vorlesungen als baccalaureus sententiarius die Sentenzenbücher des Petrus Lombardus zu kommentieren. Das entsprach dem Studienkanon dieser Zeit und war Voraussetzung für die weitere wissenschaftliche Laufbahn des Aquinaten. An der Art und Weise, wie Thomas mit seiner Textvorlage umging, wird die Eigenständigkeit seines Denkens bereits zu diesem frühen Zeitpunkt seiner theologischen Entwicklung deutlich. Die einzelnen Distinktionen des Sentenzenwerkes bildeten für ihn die Grundlage einer Reihe von quaestiones (»Fragen«), die wiederum in quaestiunculae (»Artikel und Unterartikel«) untergliedert waren. In dieser feingliedrigen Systematik entfaltete er seine Reflexionen der Textabschnitte des Sentenzenwerkes, das er zu Beginn eines jeden Abschnittes einteilte (divisio textus). Den Abschluss bildet dann eine expositio (»Auslegung«) des Textes, die aber nicht den Höhepunkt des Gedankenganges darstellt, sondern als »Überbleibsel des immer weniger geschätzten wörtlichen Kommentars« (Torrell, Magister Thomas, 61; Chenu, Werk, 305) anzusehen ist, während für Thomas das bohrende Nachfragen und die daraus resultierenden Verästelungen der Theologie im Mittelpunkt seines Interesses standen. Besonders eindrücklich wird
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der Vergleich zwischen der Textvorlage des Lombarden und dem Kommentar des Aquinaten in der Distinctio 33 des drittes Buches, die Thomas in 41 Fragen unterteilt hat, so dass er auf 88 Druckspalten (Ed. Vives 9, 501a–545b) Gedanken entwickelt, die sich auf zwei Druckseiten des Lombarden beziehen (Chenu, Werk, 307). Mehr noch als die strukturellen Veränderungen waren es die inhaltlichen Akzente, mit denen Thomas neue Perspektiven entworfen hat. Dabei stand die Aristoteles-Rezeption im Vordergrund, die sich allein schon an der Fülle von Zitaten aus den Werken des Stagiriten, und hier der Nikomachischen Ethik an erster Stelle, ablesen lässt. Thomas profitierte dabei von den inzwischen erschienenen Übersetzungen der aristotelischen Werke und trug selbst maßgeblich dazu bei, dass die aristotelische Philosophie nun für die wissenschaftstheoretische Begründung der Theologie wie auch ihre dogmatische Entfaltung herangezogen wurde. In den Zeitraum seiner Sentenzenkommentierung fiel auch die offizielle Genehmigung für die Artistenfakultät der Pariser Universität, über die Bücher des Aristoteles zu dozieren, nachdem dieses faktisch längst geschehen, aber vom Papst bis dahin verboten gewesen war (Torrell, Magister Thomas, 59). Die Originalität dieses Sentenzenkommentars zeigt sich auch in dem produktiven Umgang mit theologischen Denktraditionen und der Bezugnahme auf die zu dieser Zeit aktuellen Fragestellungen. Neben den patristischen Autoritäten, die Thomas zitiert und unter denen Augustin, Pseudo-Dionysius, Gregor der Große und Johannes Damascenus hervorragen, ist vor allem die enge Verbindung zu seinem Lehrer Albertus Magnus zu nennen, dessen Einfluss sich insbesondere in den ersten drei Büchern bemerkbar macht, während Thomas sich vom vierten Buch an von der neuplatonisch-dionysianischen Fokussierung seines Lehrers löst (Chenu, Werk, 309). Neben Albertus Magnus ist es vor allem Bonaventura, auf dessen wenige Jahre zuvor – 1248–1255 – erarbeiteten Sentenzenkommentar Thomas Bezug nimmt. Andere theologische Diskurse werden von ihm nicht namentlich zugeordnet, sondern auf anonyme quidam verwiesen. Einen Einblick in die Arbeitsweise des Aquinaten vermitteln die Streichungen und Änderungen im dritten Buch, dessen Autograph erhalten ist (Grabmann, Werke des Hl. Thomas, 288; Gils, Textes inédits). Seine theologische Originalität bereits zu diesem frühen Zeitpunkt tritt deutlich zu Tage, wenn berücksichtigt wird, dass Thomas in seinem Sentenzenkommentar teilweise Positionen bezog, die mit den Ansichten, wie sie die Mehrheit der Pariser Magister zu dieser Zeit vertraten, nicht übereinstimmten. Im Prolog seines Kommentars hat Thomas seine Prinzipien für die systematische Behandlung des theologischen Stoffes dargelegt (Emery, Trinité créatrice; Oliva, Débuts de l’enseignement). Ausgehend von Jesus Sirach 24,40 soll die intentio der Sentenzenbücher aufgezeigt werden (Sent. I prol.; Ed. Vives 7, 3). Die trinitarische Struktur der Weisheit Gottes, die Thomas hier entfaltet, wird dann zum theologischen Prinzip und zum Gliederungsschema des gesamten Sentenzenkommentars, denn durch die Weisheit werden die verborgenen Dinge Gottes
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offenbart (Buch I), die Schöpfungswerke hervorgebracht (Buch II) sowie wiederhergestellt (Buch III) und vervollkommnet (Buch IV). Dementsprechend behandelt Thomas im ersten Buch die Gotteslehre, im zweiten die Schöpfungslehre, im dritten die Christologie und Tugendlehre sowie im vierten Buch die Sakramentenlehre und die Lehre von den letzten Dingen (Ruello, Thomas et Pierre, 180 f.). Im Unterschied zum Lombarden, der dem augustinischen res-signum-Schema folgte, teilte Thomas die vier Sentenzenbücher nach dem neuplatonischen exitus-reditus-Schema ein (Philippe, Plan des Sentences; Weisheipl, Thomas von Aquin, 72 f.). Demnach soll die sacra doctrina ihre Gegenstände im ersten Teil (Buch I und II) unter dem Gesichtspunkt ihres Ausganges von Gott als ihrem »Prinzip« darstellen, während im zweiten Teil (Buch III und IV) dann ihre Rückkehr zu Gott in den Blick kommt (Sent. I d. 2 div. text.; Ed. Vives 7, 31b). Diese systematische Konzeption, die Einflüsse der Schule von Laon aufweist (Reyero, Aquin als Exeget, 34 f.), ist auch noch für die Summa Theologiae maßgebend gewesen. Thomas ging damit über Alexander von Hales hinaus, der das Ordnungsschema von exitus und reditus in seinem Sentenzenkommentar bereits anführte, es aber nicht wie der Aquinate als Ersatz für das augustinische res-signum-Schema verstand (Emery, Trinité créatrice, 323–328). Die Frage, was denn unter »Theologie« im Sinne der sacra doctrina genau zu verstehen ist, hat Thomas in fünf Artikel untergliedert. Zunächst befasst er sich mit der Notwendigkeit einer solchen Lehre, geht dann – zweitens – der Frage nach, ob es sich hierbei um eine oder mehrere Wissenschaften handele und – drittens – ob sie eine spekulative oder eine praktische Wissenschaft darstelle, bevor er – viertens – ihren Gegenstand und – fünftens – ihre Methode erörtert (Sent. I prol. q. 1 a. 1–5; Ed. Vives 7, 4b–11a). In diesen fundamentaltheologischen Reflexionen wird der »hermeneutische Ort« (Ebeling, Gotteslehre bei Lombardus und Aquin), den die Gotteslehre bei Thomas hat, gerade auch im Vergleich mit dem Lombarden deutlich. Während Petrus Lombardus das Reden von Gott mit der augustinischen Unterscheidung von uti und frui näher zu bestimmen versucht, konzentriert sich Thomas darauf, das Spezifikum der Theologie in ihrem Verhältnis zu den anderen Wissenschaften zu ergründen (Sent. I prol. q. 1 a. 2 sol.; Ed. Vives 7, 6ab). Unter dem Begriff sacra doctrina fasst er die Heilige Schrift und die theologische Wissenschaft zusammen, so dass damit die göttliche Offenbarung wie auch ihre argumentative Darlegung bezeichnet wird (Sent. I prol. q. 1 a. 5; Ed. Vives 7, 10b). Die Heilige Schrift, deren Auslegung für Thomas nach dem vierfachen Schriftsinn erfolgt, führt zu den Erkenntnisprinzipien der Theologie, und von diesen Prinzipien aus ist es das Ziel der Theologie, den Irrtum zu zerstören, zu sittlichem Handeln anzuleiten und sich in die Wahrheit zu versenken (Sent. I prol. q. 1 a. 5; Ed. Vives 7, 10b). Der aristotelische Einfluss macht sich vor allem in der theologischen Ethik bemerkbar, wie sie Thomas in seinem Kommentar zum dritten Sentenzenbuch entwickelt. Dabei erfolgt die Verknüpfung von Christologie und Moraltheologie über den Nachweis, dass Christus selbst die drei theologischen Tugenden Glaube,
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Hoffnung und Liebe besessen hat (Sent. III d. 23 div. text.; Ed. Vives 9, 341a–342a). Der Tugendbegriff bietet Thomas die Möglichkeit, Kategorien der aristotelischen Ethik für die Theologie aufzugreifen, wobei in soteriologischer Hinsicht die caritas ins Zentrum rückt. Im Zusammenhang einer Theologie der Hoffnung hat Thomas auch das fundamentale Thema christlicher Gewissheit erörtert, indem er den Unterschied zwischen Glaubens- und Hoffnungsgewissheit hervorhob (Sent. III d. 26 q. 2 a. 4 ad 5; Ed. Vives 9, 414b). Danach zeichnet sich die Hoffnungsgewissheit dadurch aus, dass sie in der Verlässlichkeit der göttlichen Heilsordnung gründet, während das tatsächliche Erreichen des letzten Zieles davon abhängt, dass das Handeln des Menschen von der Liebe geformt wird und er sich dadurch das ewige Leben verdient (Basse, Certitudo Spei, 75–81). In der beatitudo-Lehre seines Sentenzenkommentars kommt die Aristoteles-Rezeption des Thomas von Aquin besonders ausgeprägt zur Geltung (Leonhardt, Glück als Vollendung, 96–105). In Auseinandersetzung mit der theologischen Tradition, die den beatitudo-Begriff eschatologisch auffasste, hat Thomas eine anthropologisch fundierte und ethisch ausgerichtete Konzeption entworfen, die auch noch das Grundgerüst für die Secunda Pars der Summa Theologiae bildete. Dabei knüpfte er an die handlungstheoretischen Darlegungen der Nikomachischen Ethik an, zeigte aber zugleich auf, dass die beatitudo nach theologischem Verständnis das irdische Glück transzendiert (Sent. IV d. 49 q. 1 a. 1 qla. 4 sol.; Ed. Vives 11, 460a). Das Glück, das der Mensch im Diesseits erlangen und auch der Philosoph beschreiben kann, sei als participatio (»Teilhabe«) an der wahren beatitudo zu verstehen (Sent. IV d. 49 q. 1 a. 1 qla. 4 sol.; Ed. Vives 11, 463a–464a). Indem nun Thomas zwischen der beatitudo increata, d. h. Gott selbst, und der beatitudo creata im Menschen unterscheidet (Sent. IV d. 49 q. 1 a. 2 qla. 1 sol.; Ed. Vives 11, 466a–467a), löst er das Problem, wie menschliches Handeln zum ewigen Glück in Beziehung zu setzen ist, mit Hilfe einer teleologischen Verhältnisbestimmung. Als letztes Ziel des Menschen ist die beatitudo somit Objekt des menschlichen Willens und sind dessen Akte darauf ausgerichtet, bis er in der Gottesschau, die sich im Intellekt vollzieht, zur Ruhe kommt (Sent. IV d. 49 q. 1 a. 1 qla. 2 sol.; Ed. Vives 11, 461ab). Angesichts der Weiterentwicklung seines theologischen Denkens hat Thomas eine gründliche Überarbeitung seines Sentenzenkommentars in Angriff genommen, sie dann aber abgebrochen und stattdessen mit der Summa Theologiae ein neu konzipiertes Werk verfasst. Nach seinem Tod wurden – u. a. von Thomas Sutton und Petrus von Bergamo – eine Reihe von Konkordanzen erstellt, um die Lehraussagen beider Werke zu harmonisieren. Weil die Sentenzenbücher des Lombarden weiterhin die entscheidende Bezugsgröße der theologischen Theoriebildung waren, behielt auch der Sentenzenkommentar des Thomas von Aquin für die Auseinandersetzung mit seinem Denken innerhalb seines Ordens wie auch darüber hinaus bis ins 15. Jahrhundert hinein – etwa bei dem Princeps thomistarum Johannes Capreolus (um 1380–1444) – eine vorrangige Bedeutung, bis er dann von der Summa Theologiae abgelöst wurde, die fortan für die Thomas-Rezeption maßgeblich wurde.
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Chenu, Marie-Dominique: Das Werk des hl. Thomas von Aquin (DTA 2. Ergänzungsband), Graz/Wien/Köln 21982, 298–313. Emery, Gilles: La Trinité créatrice. Trinité et création dans les commentaires aux Sentences de Thomas d’Aquin et ses précurseurs Albert le Grand et Bonaventure (BiblThom 47), Paris 1995. Oliva, Adriano: Les débuts de l’enseignement de Thomas d’Aquin et sa conception de la »Sacra Doctrina«. Édition du prologue de son »Commentaire des Sentences« de Pierre Lombard (BiblThom 58), Paris 2006. Ruello, Francis: Saint Thomas et Pierre Lombard. Les relations trinitaires et la structure du commentaire des Sentences de saint Thomas d’Aquin, in: StTom 1 (1974), 176–209. Weisheipl, James A.: Thomas von Aquin. Sein Leben und seine Theologie. Übersetzt aus dem Amerikanischen von Gregor Kirstein, Graz u. a. 1980, 57–80. Michael Basse
5. Schriften gegen die pagane Philosophie und die konsequenten Aristoteliker Thomas ist Theologe, aber ein philosophierender Theologe, denn er war zutiefst davon überzeugt, dass nur eine Theologie mit einer soliden philosophischen Grundlage tauglich und nützlich ist. Deshalb hat er zeitlebens Philosophie betrieben und sich mit der Philosophie und den Philosophen der Vergangenheit und der Gegenwart auseinandergesetzt. In einigen Schriften hat sich diese Beschäftigung zu einem eigentlichen Disput entwickelt. In dieser Auseinandersetzung stand nicht nur das Verhältnis von Vernunft und Glaube, von Philosophie und Theologie im Mittelpunkt, sondern Thomas hat sich auch mit großer Eindringlichkeit einerseits mit dem Problem der Vernünftigkeit des Glaubensinhalts (Scg.) und andererseits mit explizit philosophischen Streitfragen (Ewigkeit der Welt, Einheit des Intellekts) auseinandergesetzt. 5.1. Summa contra gentiles (»Summe gegen die Heiden«)
In der ältesten Handschrift trägt diese Schrift, an der Thomas von 1257 bis 1265, zuerst in Paris und dann in Italien gearbeitet hat, den Titel: Liber de veritate catholicae fidei contra errores infidelium. In derselben Handschrift wird das Werk auch als Tractatus de fide catholica contra gentiles bezeichnet. Die geläufige Bezeichnung des Werkes als Summa hingegen ist späteren Datums und ist nicht in jeder Hinsicht zutreffend. Das Vorhaben und das Programm dieser sehr bedeutenden Schrift wird am Anfang klar erklärt, indem Thomas das officium sapientis (»die Aufgabe des Weisen«) darstellt: Nach Aristoteles ist die Betrachtung der höchsten Ursachen die dem Weisen zustehende Aufgabe. Sie kann in zweifacher Weise verwirklicht werden, nämlich (1) veritatem divinam meditatam eloqui (»als Mitteilung der Wahrheit«) und (2) errorem contra veritatem impugnare (»als Zurückweisung des Irr-
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tums«; Scg. I c. 1 n. 7; Ed. Leonina 13,6). Thomas befolgt gleichzeitig ein aristotelisches Programm (Sophistische Widerlegungen 165a24–27) und eine paulinische Anregung (Tit 1,9), wenn er beabsichtigt, einerseits die Wahrheit des christlichen Glaubens manifestare (»kundzutun«) und die Irrtümer zu widerlegen. Mit den in beiden Varianten des Titels genannten gentiles (»Heiden«) oder infideles (»Ungläubigen«) sind in erster Linie zum einen die antiken, jüdischen und arabischen Philosophen und zum anderen die Häretiker gemeint, wie eine gründliche Prüfung der Durchführung des angekündigten Programms bestätigt. Frühere Interpreten glaubten, Thomas habe das Werk als Handbuch für christliche Missionare verstanden, aber es scheint angemessener, es als eine streng theoretische Auseinandersetzung mit denkbaren Irrtümern, die in historischer Gestalt aufgetreten sind, zu deuten (zu den verschiedenen Interpretationen des Werkes vgl. Hoping, Weisheit als Wissen des Ursprungs, 33–62). Das Vorhaben kann also umschrieben werden als »Exposition des christlichen Weisheitswissens in Auseinandersetzung mit den Gentiles« (Hoping, Weisheit als Wissen des Ursprungs, 69). Thomas hält ausdrücklich fest, dass er in der Diskussion mit seinen Gegnern so weit wie möglich vernünftig argumentieren will, da die ratio (»Vernunft«) die einzige Grundlage ist, die von allen Gesprächspartnern, d. h. den Heiden, den Juden und den Muslimen, anerkannt wird. Dieses Vorgehen gründet auf zwei grundlegenden theoretischen Voraussetzungen, die das ganze Werk tragen: Es gibt einen zweifachen Modus der Gott betreffenden Wahrheitserkenntnis. Zum einen gibt es Wahres, das die naturalis ratio (»natürliche Vernunft«) von Gott erkennen kann; zum anderen gibt es Wahres, welches das Vermögen des menschlichen Intellekts übersteigt (Scg. I c. 3; Ed. Leonina 13, 7–10) und das den Menschen zum Glauben vorgelegt ist. Was die Lehren betrifft, die der natürlichen Vernunft zugänglich sind, kann gezeigt werden, dass sie den Menschen mit Recht zu glauben vorgelegt wurden (Scg. I c. 4; Ed. Leonina 13, 11–14); gleichzeitig kann die Notwendigkeit bewiesen werden, »dass dem Menschen von Gott her auch das zu glauben aufgegeben wird, was die Vernunft übersteigt« (Scg. I c. 5; Ed. Leonina 13, 14–16), da auf diese Weise der Mensch fähig wird, »nach etwas zu verlangen und sich strebend auf etwas hin zu richten, was über den ganzen Stand des gegenwärtigen Lebens hinausgeht«. Die Wahrheit der Vernunft kann der Wahrheit des Glaubens nicht entgegengesetzt sein. Daraus folgt, dass die methodischen und argumentativen Fehler philosophischer Thesen, die dem Glauben widersprechen, aufgezeigt werden können: »Was für Argumente auch gegen die fidei documenta (»Glaubenssätze«) aufgesetzt werden mögen, sie sind nicht richtig ex primis principiis (»aus den Erstprinzipien«), die der Natur mitgegeben und per se notis (»aus sich einsichtig«) sind, geschlossen« (Scg. I c. 7, n. 47, n. 52; Ed. Leonina 13, 19–21). In einem ersten Teil, der die drei ersten Bücher umfasst, will Thomas »auf dem Wege der Vernunft« ergründen, »was die menschliche Vernunft von Gott« wissen kann (Scg. I c. 9, n. 57; Ed. Leonina 13, 22 f.), und zwar in drei Schritten: Zuerst soll von Gott in sich selbst die Rede sein (Buch I; vgl. Schönberger, Thomas von
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Aquin, 17–75), danach vom Hervorgang der Dinge aus Gott (Buch II; vgl. Schönberger, Thomas von Aquin, 76–115) und schließlich von der Hinordnung der Dinge auf ihr Ziel, d. h. Gott (Buch III; vgl. Schönberger, Thomas von Aquin, 116–173). Diese Untersuchung wird im vierten Buch ergänzt durch eine Darstellung jener Lehren über Gott und sein Verhältnis zu den Menschen, die von ihm selbst geoffenbart worden sind und den Inhalt des Glaubens ausmachen (Scg. IV c. 1, n. 3347; Ed. Leonina 15, 3–7; vgl. Schönberger, Thomas von Aquin, 174– 208). Wenn das Werk als Einheit verstanden wird, dann ist offenkundig, dass die in der Geschichte der Auslegung hin und wieder verwendete Bezeichnung als »philosophische Summe« unzulänglich und unangemessen ist, aber nichtsdestotrotz ist unbestreitbar, dass die Schrift weitgehend in einer philosophischen Diskussion grundlegender Lehren des Christentums besteht. Weil Thomas selbst klar erläutert hat, was unter philosophischer Theologie im Gegensatz zu christlicher Theologie zu verstehen ist, kann das Unternehmen auch in den ersten drei Büchern nicht schlichtweg mit einer philosophischen Theologie identifiziert werden, denn diese gelangt durch die Erforschung der endlichen Dinge, die sie um ihrer selbst willen erforscht, zur Erkenntnis Gottes, während der christliche Theologe von den Geschöpfen nur im Hinblick auf Gott spricht (Scg. II c. 4, n. 876; Ed. Leonina 13, 278–280): Einer solchen Theologie »von oben« steht also eine natürliche Theologie »von unten nach oben« entgegen (Kretzmann, The Metaphysics of Theism, Kapitel 1). Da Thomas in diesem Werk allerdings mit der Betrachtung Gottes anfängt und des Weiteren die philosophischen Fragen gemäß einer von der Theologie vorgegebenen Ordnung bespricht, ist es angemessen und zutreffend, das Unternehmen der ersten drei Bücher als »Philosophie von oben« zu bezeichnen (Michon, Somme contre les gentils, 33–45; nach Kretzmann, The Metaphysics of Theism). Zusammen mit dem vierten Buch kann jedoch die Scg. als ein Versuch gedeutet werden, die sapientia (»Weisheit«) in einem umfassenden Sinne darzustellen (Gauthier, Saint Thomas d’Aquin), oder sie kann eben als eine Darstellung des christlichen Weisheitswissens gelesen werden. Im Anschluss an die methodischen Prolegomena (Scg. I c. 2–9; Ed. Leonina 13, 2–23) zur Absicht, zur Struktur und zur theoretischen Grundlegung des Werkes wird im ersten Buch zuerst die Frage der Existenz Gottes (c. 10–13) beantwortet, und danach wendet sich die Untersuchung der Behandlung seiner Essenz (c. 14– 27) und seiner perfectio (»Vollkommenheit«; c. 28–102) zu. Thomas widerlegt sowohl die Auffassung, nach der die Existenz Gottes nur geglaubt werden kann (c. 12), als auch jene, die meint, sie sei evident (c. 10–11), und legt dann einen fünffachen Beweis der Existenz Gottes vor. Die beiden Beweise eines ersten unbewegten Bewegers aus der Physik des Aristoteles bilden die Grundlage der sehr ausführlichen ersten beiden Wege. Der Traktat zum Wesen Gottes gründet auf der These, der Mensch könne in diesem Leben dieses Wesen ausschließlich auf der via remotionis (dem »Wege der Verneinung«; c. 14) erfassen. Nach dem Ausschluss der Bewegung, der Zeit (c. 15), der Potentialität (c. 16–17) sowie der Zusammensetzung (c. 18–27) wird die Lehre formuliert, Gott sei reiner Akt, dessen
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esse (»Sein«) mit der essentia (»dem Wesen«) zusammenfalle (c. 22). Im Zusammenhang mit der absoluten Vollkommenheit Gottes wird das Thema der Namen Gottes, die entsprechend einer analogica praedicatio (»analogen Aussageweise«) verwendet werden, aufgerollt (c. 30–36). In diesem Sinne kann behauptet werden, Gott sei gut (c. 37–41), einer (c. 42) und unendlich (c. 43). Die Tätigkeiten Gottes werden anhand der neuplatonischen Triade Leben, Denken, Wollen dargestellt (c. 44–102). In der sehr umfänglichen Abhandlung zur göttlichen Erkenntnis (c. 44–71) wird nicht nur die Identität von Subjekt, Objekt und Akt der Erkenntnis aufgewiesen (c. 44–48), sondern vor allem soll gezeigt werden, dass Gott, indem er sich selbst erkennt, alle anderen Seienden auf vollkommene Weise sowie in ihrer Singularität und Kontingenz erkennt (c. 49–59. 63–71). Wiewohl das göttliche Wollen mit seinem Wesen identisch ist (c. 72–74) und Gott das andere intendiert, indem er sich selbst will (c. 75), ist er frei (c. 83–88). Da Erkennen und Wollen das Leben voraussetzen (Scg. I c. 97, n. 812; Ed. Leonina 13, 261–263), wird das erste Buch mit der Erörterung des Lebens Gottes (c. 97–98) und seiner Glückseligkeit (c. 99–102) abgeschlossen. Im zweiten Buch steht das Verhältnis Gottes zu den von ihm abhängigen Dingen zur Diskussion. Dieses Buch besteht aus drei Teilen, in denen zuerst die Schöpfung im Allgemeinen (c. 6–38), dann die Verschiedenheit, Vielheit und Unterscheidung der geschaffenen Seienden (c. 39–45) und schließlich das Wesen dieser Seienden, vor allem der intellektuellen Substanzen (c. 46–101), untersucht werden. Die Schöpfung ist dare esse (»Gabe des Seins«, Scg. II c. 15, n. 925; Ed. Leonina 13, 294–299), durch die Gott sein Sein communicare per modum similitudinis (»anderen abbildhaft mitteilen«, Scg. II c. 7, n. 883; Ed. Leonina 13, 283) will. Die absolute Vollkommenheit des allmächtigen (c. 32–35) und freien Schöpfers kann indes nur durch eine Vielheit verschiedener Arten von Seienden abgebildet werden (c. 45), und zur Perfektion des Ganzen bedurfte es vernünftiger Wesen, die Gott nicht nur durch ihr Existieren, sondern auch durch ihr Handeln, d. h. ihr Erkennen und Wollen, nachahmen (c. 46–47). Diese Seienden sind zwar immateriell (c. 51), aber aufgrund ihrer ontologischen Abhängigkeit aus esse (»Sein«) und essentia (»Wesen«), Akt und Potenz sind sie zusammengesetzt (c. 52–54). In 35 Kapiteln legt Thomas nach dieser allgemeinen Abhandlung zu materielosen Substanzen eine anthropologische Synthese vor, die unter der Fragestellung, warum gewisse intellektuelle Substanzen mit einem Körper vereint sind, eingeführt wird (c. 56–90). Zwei spezifisch thomasische Thesen bilden die Grundlage dieser Abhandlung: (i) Die Seele ist Form des Körpers (c. 68–70). Mit dieser Lehre verteidigt Thomas die Einheit des Menschen als einer aus Seele und Körper zusammengesetzten Substanz, ohne die Unsterblichkeit der Seele zu leugnen (c. 79–82). (ii) Der mögliche und aktive Intellekt sind aliquid animae (»Teile der menschlichen Seele«). In diesem Zusammenhang setzt sich Thomas nicht nur kritisch mit Avicennas Konzeption eines von der Seele getrennten aktiven Intellekts auseinander, sondern vor allem mit Averroes, der nach dem Verständnis des Thomas die Einheit des möglichen Intellekts gelehrt hat (c. 73–78). Die für Tho-
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mas zentrale These der Einheit von Leib und Seele bestätigt und belegt die mirabilis rerum connexio (»wunderbare Ordnung des Kosmos«, Scg. II c. 68, n. 1453; Ed. Leonina 13, 440–447), da der Mensch als horizon et confinium (»Horizont und Grenze«, ib.) das vollkommenste körperliche Wesen und das niederste Wesen der höheren Gattung ist. Bevor Thomas am Ende dieses Buches noch einmal besondere Aspekte der immateriellen Substanzen bespricht (c. 91–101) und namentlich die dann 1277 vom Pariser Bischof Étienne Tempier verurteilte Lehre, jede immaterielle Substanz bilde eine eigene Art (c. 94), ausführt, erklärt Thomas, dass und wie die menschliche Seele direkt von Gott geschaffen wird (c. 87–89). Im dritten Buch wird in drei Teilen von Gott als dem Ziel und Lenker der Dinge gehandelt: (1) Zuerst weist Thomas auf der Grundlage des Prinzips, omne agens agit propter finem (»dass jedes Tätige um eines Zieles willen tätig ist«), nach, dass Gott das Ziel aller Dinge ist (c. 1–63) und dass alle Geschöpfe entsprechend ihrer Möglichkeiten ihn nachahmen (c. 20). Die intellektuellen Substanzen verwirklichen ihre Hinordnung auf das erste Prinzip durch ihre Erkenntnis Gottes. Ausführlich wird in diesem Zusammenhang die Frage der felicitas hominis (des »menschlichen Glücks«) erörtert, und Thomas kommt zum Ergebnis, dass das höchste Glück des Menschen nur in einer Tätigkeit des Intellekts bestehen kann, nicht aber in der Erkenntnis der immateriellen Substanzen besteht, wie Averroes geglaubt hat (c. 41–45); dieses Glück kann allein in der Betrachtung Gottes verwirklicht werden (c. 37). Diese contemplatio Dei kann allerdings erst nach dem Tode in vollkommener Weise erreicht werden (c. 48), wenn das Wesen Gottes gesehen wird (c. 52–62) und auf diese Weise alles menschliche Verlangen gestillt wird (c. 63). (2) Die providentia Dei (»göttliche Vorsehung«), die sich auch auf die kontingente Wirklichkeit und die singularia (»Einzeldinge«) erstreckt (c. 72.75–76), steht im Mittelpunkt des zweiten Teiles (c. 64–110), wo nicht nur nachdrücklich die vernünftige Ordnung und Anordnung der Dinge durch eine Verschiedenheit und Rangordnung der Formen und der daraus folgenden Tätigkeiten bestätigt wird (c. 97), sondern auch die Möglichkeit, dass Gott etwas außerhalb der von ihm geschaffenen Ordnung durch miracula (»Wunder«) tun kann (c. 98–110), erörtert wird. (3) Im dritten Teil des dritten Buches (c. 111–163) wird untersucht, auf welche Weise die göttliche Vorsehung die geistigen, d. h. aber die mit einem freien Willen ausgestatteten Substanzen lenkt. Die göttlichen Gesetze, namentlich der Dekalog (c. 114–129), aber auch die sog. Evangelischen Ratschläge (Gehorsam, Keuschheit und Armut) spielen in diesem Zusammenhang eine bedeutsame Rolle (c. 130–139), aber Thomas behandelt auch Strafe und Verdienst (c. 140–146) und beschließt diesen Teil mit einer ausführlichen Begründung der Auffassung, der Mensch bedürfe der göttlichen Hilfe, d. h. der Gnade, um sein Endziel zu erreichen (c. 147–163). Im vierten Buch werden ausdrücklich jene Inhalte des christlichen Glaubens verhandelt, die von der natürlichen Vernunft nicht erkannt werden können und
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quae nobis revelata sunt divinitus (»die uns von Gott offenbart worden sind «, Scg. IV c. 1, n. 3347; Ed. Leonina 15, 3–7), die aber der natürlichen Vernunft nicht widersprechen können (n. 3348): »Derlei hat man aufgrund der Autorität der Heiligen Schrift zu beweisen, jedoch nicht aufgrund der menschlichen Vernunft. Trotzdem gilt es zu zeigen, dass es der natürlichen Vernunft nicht widerspricht, um es gegen den Angriff der Ungläubigen zu verteidigen.« In einem ersten Durchgang wird die Doktrin der göttlichen Dreifaltigkeit dargestellt (Scg. IV c. 2–26; Ed. Leonina 15, 7–108); danach folgt die Erörterung der Menschwerdung (c. 27–78), wobei in diesem Zusammenhang auch die Sakramententheologie besprochen wird (c. 56–78). Die Scg. wird beschlossen mit den Traktaten zur Auferstehung (c. 79–97) und dem Jüngsten Gericht und einem Hinweis auf die »neue Erde« und den »neuen Himmel« nach dem Gericht (c. 97): »Nachdem das Letzte Gericht stattgefunden hat, wird die menschliche Natur vollständig zu ihrem abschließenden Ende gelangt sein. Da nun alle Körperdinge des Menschen wegen geschaffen wurden, […], so ist es auch für die gesamte körperhafte Schöpfung recht, wenn sich ihr Zustand derart ändert, dass er dem Zustande der Menschen entspricht.« Die Scg. ist der umfassende Versuch, die Inhalte des christlichen Glaubens in die Sprache der Vernunft, wie sie ein Gelehrter des 13. Jahrhunderts vernehmen konnte, zu übersetzen. Für diesen Versuch ist beides konstitutiv: das Bewusstsein, dass die Theologie auf die Philosophie angewiesen ist, und die Anerkennung der Autonomie der Philosophie. 5.2. De aeternitate mundi (»Von der Ewigkeit der Welt«)
Die Forschung ist sich bezüglich des Entstehungszeitpunktes dieser polemischen Schrift (Ed. Leonina 43, 85a–89b) nicht einig. Am wahrscheinlichsten scheint es, die Redaktion zu Beginn des zweiten Pariser Lehraufenthaltes (1268–1272), also um 1270, anzusetzen. Zum Verständnis des Opuskels muss zuerst daran erinnert werden, dass Thomas seit Beginn seiner Lehrtätigkeit das Problem der Ewigkeit der Welt diskutiert hat (Sent. II d. 1, q. 1, art. 5; Ed. Vives 8, 15a–22b). Immer wieder hat er dazu Stellung bezogen, so z. B. in De pot. q. 3 a. 14 und 17; Ed. Vives 13, 87b–91a und Ed. Vives 13, 101b–109a; in Quodl. III a. 31; Ed. Leonina 25, 290 f. (Ostern 1270) sowie in STh I q. 46 a. 1 und 2 (Ed. Leonina 4, 478–483) (zur diesbezüglichen Lehrentwicklung vgl. Wippel, Thomas Aquinas and the Possibility of Eternal Creation, 191–214). In den beiden, noch vor der Rückkehr nach Paris abgeschlossenen und dem Thema gewidmeten Fragen der STh hat er seine diesbezügliche Auffassung zusammengefasst und festgehalten, dass zum einen die Ewigkeit der Welt nicht philosophisch bewiesen werden kann und dass zum anderen auch der zeitliche Anfang der Welt nicht beweisbar ist. Aufgrund eines Hinweises in der Ystoria des Wilhelm von Tocco wurde vermutet, Thomas habe die Schrift De aeternitate mundi als Antwort auf die Antrittsvorlesung des John Peckham (Dezember 1269), der eine der seinen diametral
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entgegengesetzte These vertreten hat, abgefasst (Brady, John Peckham). Es ist allerdings wahrscheinlicher, dass Thomas in seiner Schrift zu einer umfassenderen Debatte Stellung bezieht. Wilhelm von Baglione, der Nachfolger Bonaventuras auf dem Lehrstuhl in Paris, hat beispielsweise 1266/67 eine umfangreiche Quaestio zum Thema der Ewigkeit der Welt verfasst, wo er nicht nur vehement die Theologen angreift, die der Philosophie allzu sehr vertrauen, sondern vor allem die Auffassung verteidigt, es könne bewiesen werden, dass die Welt nicht ewig ist (Brady, The Questions of Master William of Baglione). In seinen Pariser Vorträgen zu den Zehn Geboten (De decem praeceptis, 1267) und den Gaben des Heiligen Geistes (De donis spiritus sancti, 1268) klagt Bonaventura nicht nur die nach seiner Auffassung grundlegenden philosophischen Irrlehren der Einzigkeit des Intellekts, des Determinismus und der Ewigkeit der Welt an, sondern hält fest, dass bedauerlicherweise Zeitgenossen die aristotelische These der Ewigkeit der Welt vertreten. Schließlich sind auch die beiden Fragen zu erwähnen, die Peckham der Schöpfung aus dem Nichts und der Möglichkeit einer ewigen Schöpfung widmet und in denen er die bereits von Bonaventura in seinem Sentenzenkommentar vertretene Meinung, nach der die Ewigkeit der Welt nicht nur mit dem Glauben, sondern auch mit der Vernunft nicht vereinbar sei, entfaltet und vertieft (Edition Brady, John Peckham, sowie Argerami/Dales, Medieval Latin Texts on the Eternity of the World, 73–87). Es ist deshalb wahrscheinlich, dass die Gegner (aduersarii, Ed. Leonina 43, 85a), an die sich Thomas wendet, in diesen franziskanischen Kreisen zu suchen sind. Nicht belanglos ist ein weiterer Punkt, auf den Wippel (Thomas Aquinas and the Possibility of Eternal Creation) und Weisheipl (The Date and Context of Aquinas’ De aeternitate mundi) hingewiesen haben: In seinen frühen Stellungnahmen zum Thema hat Thomas die Meinung vertreten, Aristoteles habe die These der Ewigkeit der Welt bloß als wahrscheinlich betrachtet. Noch in der STh bemerkt er, dass die diesbezüglichen Argumente des Stagiriten nicht demonstrative simpliciter (»schlechthin beweiskräftig«) seien, sondern nur secundum quid (»relativ«; I q. 46 a. 1; Ed. Leonina 4, 478–481). Beim Kommentieren des achten Buches der Physik (während des zweiten Pariser Lehraufenthaltes) ist er allerdings zur Überzeugung gelangt, dass Aristoteles die Ewigkeit der Welt als probatum (»bewiesen«) betrachtete (In Phys. lib. 8 l. 10 n. 986; vgl. Stroick, Die Ewigkeit der Welt). Im späteren Kommentar zur Metaphysik (wohl um 1272) wird er diese Auffassung noch klarer aussprechen, wenn er sagt, es sei offensichtlich, dass »Aristoteles der festen Meinung war und geglaubt hat, es sei notwendig, dass die Bewegung ewig sei« (In Met. lib. 12 l. 5 n. 2496). Auch in De aet. wird dies offensichtlich vorausgesetzt, wenn gezeigt werden soll, dass das Geschaffensein und das Ewig-Sein sich nicht widersprechen, dass also die Aristoteles zugeschriebene Lehre denkbar und philosophisch vertretbar ist. Ausgangspunkt der Argumentation im Traktat De aet. ist die im Vierten Laterankonzil (1215) festgelegte Lehre eines zeitlichen Anfangs der Schöpfung: Gott hat die geistigen und körperlichen Geschöpfe ab initio temporis (»am Anfang der
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Zeit«) aus dem Nichts erschaffen (DH, n. 800). Der von Thomas diskutierte Zweifel (dubitatio, Ed. Leonina 43, 85a) betrifft also die Frage: utrum potuerit semper fuisse, ob die Welt hätte ewig sein können. Thomas formuliert die zu prüfende Frage mit großer Präzision: Er fragt nicht, ob die Welt ewig ist oder nicht, sondern ob es möglich sei, dass etwas, das immer wäre, geschaffen sei: utrum sit possibile aliquid fieri quod semper fuerit (Ed. Leonina 43, 85b). Es ist daher von entscheidender Bedeutung zu berücksichtigen, dass die gesamte Diskussion des Traktates sich auf der Ebene der Modalität der Möglichkeit abspielt. Als gläubiger Christ lehnt Thomas die Wirklichkeit einer ewigen Welt ab, als Philosoph dagegen erwägt er die Möglichkeit einer ewigen Welt. Nach Thomas eigener Aussage hängt in dieser Problematik alles davon ab – in hoc ergo tota consistit questio (Ed. Leonina 43, 86a) –, ob die Sätze (1) ›x ist geschaffen‹ (creatum) und (2) ›x besitzt keinen Anfang seiner Dauer‹ (durationis initium) sich widersprechen. Wäre dies der Fall, dann wäre die Auffassung der Gegner, die behaupten, die Ewigkeit der Welt sei unmöglich, wahr, denn alle sind sich darin einig, dass Gott nichts Widersprüchliches tun kann. Zur Beantwortung der aufgeworfenen Frage muss geklärt werden, (a) ob die Ursache der Wirkung stets zeitlich vorausgeht und (b) wie die Behauptung, die Geschöpfe seien ex nihilo (»aus dem Nichts«) erschaffen worden, zu verstehen ist. Was den zweiten Aspekt (b) angeht, präzisiert Thomas, »aus dem Nichts geschaffen« meine zwar eine Ordnung, aber nicht eine zeitliche Abfolge – wie wenn zuerst das Nichts und dann das Seiende gewesen wäre –, sondern eine Wesensordnung: Der »Natur nach ist das Nichts früher als das Seiende« (Ed. Leonina 43, 88a), was sagen will, dass das Sein des Geschaffenen direkt von Gott abhängt: Das Geschöpf hat sein esse (»Sein«) nur ab alio (»durch ein anderes«); sich selbst überlassen und in sich betrachtet ist es nihil (»Nichts«); deshalb ist der Natur nach für das Geschöpf das Nichts früher als das esse (»Sein«) (Ed. Leonina 43, 88a). Hinsichtlich des ersten Punktes (a) weist Thomas nach, dass eine Gleichzeitigkeit von Ursache und Wirkung durchaus existieren kann, wie beispielsweise das Phänomen des Lichtes zeige. An der Vorgehensweise in dieser Schrift fällt ein ausgeprägter Sinn für präzise Unterscheidungen auf: Wie in früheren Texten zu dieser Debatte betont Thomas, dass es notwendig ist, zu unterscheiden zwischen (i) der dogmatisch festgelegten Lehre vom zeitlichen Anfang der Schöpfung und (ii) dem Begriff der creatio (»Schöpfung«). Das Geschaffensein meint eine ontologische Abhängigkeit von Gott und diese ist ohne zeitliche Begrenzung widerspruchslos denkbar. Gleichzeitig unterscheidet Thomas genau zwischen einem Irrtum im philosophischen Verstand und einer Häresie: Es ist häretisch, den zeitlichen Anfang der Schöpfung zu leugnen, aber die These der Ewigkeit der Welt ist philosophisch gesehen kein Irrtum, da Geschaffensein und Ewig-Sein sich nicht widersprechen. Wenn die Lehrentwicklung bezüglich der in dieser Schrift abgehandelten Frage berücksichtigt wird, dann verdient vor allem die Art und Weise, wie hier das Verhältnis von Vernunft und Glaube, Philosophie und Theologie gesehen wird, besondere Beachtung (vgl. Michon, Thomas d’Aquin et la controverse sur l’Eternité
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du monde, 126–145). In seinen früheren Stellungnahmen zu der Problematik hat Thomas, vornehmlich im Anschluss an Moses Maimonides (vgl. Wohlman, Thomas d’Aquin et Maïmonide, 23–50) einen diesbezüglichen philosophischen Agnostizismus vertreten, indem er das Problem für philosophisch unentscheidbar hielt: aus philosophischer Sicht sind beide Thesen möglich: (1’) Die Welt ist ewig; (2’) die Welt hat einen zeitlichen Anfang. Keine der beiden Thesen kann stringent bewiesen werden: ad neutram partem quaestionis sunt demonstrationes erklärt er im frühen Sentenzenkommentar (Sent. II d. 1 q. 1. a. 5; Ed. Vives 8, 18b). Die durch den Glauben vorgeschriebene Lehre (»Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde«) steht so besehen nicht im Widerspruch zur Philosophie. Ein genaues Studium der Schriften des Aristoteles hat ihn dazu veranlasst, seine frühere Meinung, Aristoteles habe die Ewigkeit nicht stringent bewiesen, aufzugeben. Jetzt besteht also ein Gegensatz zwischen der philosophischen These (1’) »die Welt ist ewig« und dem zu glaubenden Satz: (2’) »Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde«. Das Verhältnis des zu Glaubenden und des philosophisch Erwiesenen erfordert deshalb eine neue Prüfung. Thomas vermeidet die Gefahren eines radikalen Gegensatzes von christlichem Glauben und philosophischer Vernunft oder einer doppelten Wahrheit dadurch, dass er (i) erstens mittels eines metaphysisch geprägten Schöpfungsbegriffs klar unterscheidet zwischen creatio und durationis initium der Schöpfung und (ii) zweitens die philosophische Diskussion im Modus der Möglichkeit führt, indem er untersucht, ob ein Widerspruch besteht zwischen Geschaffensein und Ewig-Sein, d. h. ob es possibile (»möglich«) wäre, dass etwas zugleich geschaffen und immer wäre. Dieses Vorgehen zeugt von Thomas’ Bemühen, Vernunft und Glaube so weit wie möglich zu versöhnen. Zugleich wird dadurch deutlich, dass er gleichzeitig an zwei Fronten zu kämpfen hatte: (A) Auf der einen Seite gilt es, jene theologische Position, die, wie Bonaventura und seine Anhänger, in der Selbständigkeit der philosophischen Reflexion eine Gefahr für das christliche Denken sieht, zu berichtigen. Die in De aet. gemeinten Gegner befinden sich eindeutig in diesem Lager. (B) Auf der anderen Seite ist der Widerspruch der philosophischen zur theologischen Wahrheit, wie er von einigen »radikalen Aristotelikern« propagiert wird, zu vermeiden, wie wenn etwas nach der Lehre des Glaubens wahr wäre, was philosophisch falsch wäre. Thomas versucht die Nicht-Widersprüchlichkeit einer philosophischen These nachzuweisen, von der er sich zugleich im Namen des Glaubens trennt. 5.3. De unitate intellectus (»Von der Einheit des Intellekts«)
Die Adressaten dieses kurz vor der Pariser Verurteilung vom 10. Dezember 1270 verfassten, polemischen Traktates (Ed. Leonina 43, 291a–314b) sind leicht zu identifizieren, denn am Anfang seiner Schrift (§ 1; Paragrapheneinteilung nach der Ausgabe de Libera, Commentaire) beklagt sich Thomas darüber, dass seit einer gewissen Zeit sich ein Irrtum hinsichtlich des Intellekts verbreite, der sich
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auf dicta (»Aussagen«) des Averroes stütze und die Deutung des sog. intellectus possibilis (»möglichen Intellekts«), von dem Aristoteles spricht, betreffe: Diese folgenreiche Irrlehre behauptet, der mögliche Intellekt sei eine vom Körper getrennte Substanz (These A). Die von Thomas kritisierten Philosophen behaupten überdies die Einzigkeit dieses Intellekts (These B). Am Ende der ausgesprochen polemischen Schrift (§ 118) ergänzt Thomas das Porträt seines Gegners, den er als Christ bezeichnet, der irreverenter (»respektlos«) von seinem Glauben spricht. Seine Haltung muss abgelehnt werden, weil er (i) daran zweifelt, ob die erwähnte Lehre vom Intellekt im Gegensatz stehe zur christlichen Lehre, (ii) sich von seinem eigenen Glauben distanziert und schließlich (iii) die Allmacht Gottes in Frage stellt, wenn er behauptet, Gott könne keine Vielheit von Intellekten erschaffen, weil dies eine contradictio (»Widerspruch«) einschließen würde. Noch gefährlicher ist nach Thomas allerdings die Behauptung, jemand könne der Vernunft folgend etwas als notwendig folgern, dessen Gegenteil er glaube. Der Gegner meint also »der Glaube beziehe sich auf Aussagen, deren contraria (»Gegenteil«) notwendig concludi (»gefolgert«) werden kann (§ 119). Wie de Libera überzeugend nachgewiesen hat (de Libera, Commentaire, 506–521), wird im Finale des Traktats, wo der Gegner angeklagt wird, er behaupte: »Ich beweise p und glaube nicht-p«, nicht nur das Prinzip der »doppelten Wahrheit«, mit dem Étienne Tempier den Syllabus von 1277 eröffnet, erstmals formuliert, sondern es wird auch im Zusammenhang mit der dem Gegner zugeschriebenen expliziten Leugnung des Höllenfeuers das Postulat einer klaren Abgrenzung der Kompetenzen formuliert: Der Philosoph hat nicht das Recht, darüber zu disputare (»diskutieren«), was allein den Glauben betrifft. Wiewohl der zu bekämpfende Irrtum im Widerspruch steht zum christlichen Glauben, da er die individuelle Unsterblichkeit und damit das System von Strafe und Belohnung im Jenseits ablehnt (vgl. § 2), will Thomas den Nachweis erbringen, dass die dem Averroes zugeschriebene These A, nach welcher der mögliche Intellekt als eine getrennte Substanz gedeutet wird, den Prinzipien der Philosophie widerspricht und zudem im Widerspruch steht sowohl zum Wortlaut als auch zur Lehre von Aristoteles’ De anima. In einem ersten Argumentationsgang (Kapitel 1) will Thomas durch eine direkte und sehr präzise Bezugnahme auf den Text zeigen, dass (a) nach Aristoteles id quo intelligimus (»das, wodurch wir erkennen«) Form des physischen Körpers ist (§ 11), dass (b) der mögliche Intellekt ein Teil der Seele ist (§ 26) und dass (c) die Tätigkeit des Intellekts nicht die Tätigkeit eines körperlichen Organs ist, sondern als eine vom Körper unabhängige Tätigkeit verstanden werden muss. Aus diesem Grunde kann sie durchaus »getrennt« genannt werden (§ 38). Während das erste Kapitel dem Bemühen gewidmet ist, die richtige mit der Auffassung, der Intellekt sei ein Teil der Seele, verträgliche Deutung der aristotelischen Definition der Seele als »erster Akt des physischen, organischen Körpers« (De anima II, 1; 412a19– 20; Ed. Leonina 24, 13) zu erörtern, und gleichzeitig aufzeigt, dass Averroes den Text des Stagiriten peruerse exponit (»pervertiert«), fällt dem zweiten Kapitel die
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Aufgabe zu, zu belegen, dass die Auslegung des arabischen Kommentators auch im Widerspruch steht zur ganzen peripatetischen Tradition. In diesem Nachweis werden nicht nur Themistius (§ 49–52), Theophrast (§ 53–54) und Alexander von Aphrodisias (§ 55) aufgerufen, sondern Thomas beruft sich auch auf Avicenna (§ 56–57) und al-Ghazali (§ 58). Am Ende dieses Nachweises erscheint Averroes als philosophie peripatetice deprauator (§ 59; Ed. Leonina 43, 302b). Das Vorgehen im Kapitel III ist nicht mehr philologisch, sondern philosophisch: Es soll bewiesen werden, dass der »Intellekt ein Vermögen der Seele ist, die Form des Körpers ist« (§ 60; Ed. Leonina 43, 302b), und zwar mittels einer Analyse der Tätigkeiten des Intellekts. Insbesondere soll die Bedeutung des Satzes hic homo singularis intelligit (»dieser einzelne Mensch erkennt«, § 61; Ed. Leonina 43, 303a) geklärt werden. Nach dieser Analyse verfehlt die Lehre des Averroes, nach welcher der getrennte Intellekt mittels des sinnlichen Vorstellungsbildes mit dem Menschen sich vereinigt und die nach Thomas zwei Subjekte des Erkenntnisbildes impliziert (§ 62; vgl. de Libera, Commentaire, 197–225), die Erfahrung des Erkennens, die jeder Mensch machen kann. Diese Erfahrung kann nur angemessen verstanden werden, wenn der Intellekt als Tätigkeitsprinzip mit dem Körper als Form vereint ist (§ 77). In den Kapiteln IV und V soll die These B, d. h. die Behauptung, es existiere nur ein einziger möglicher Intellekt für alle Menschen, widerlegt werden. Eine derartige Lehre widerspricht nicht nur den Phänomenen, sondern destruiert auch die Grundlage der Ethik und der conuersatio ciuilis (»menschliches Zusammenleben«) (§ 87): Im Zusammenhang mit der Widerlegung der Argumente der Gegner, die eine Vielheit von Intellekten ablehnen, löst Thomas das schwierige Problem, wie ein identisches Erkanntes von numerisch verschiedenen Intellekten erkannt werden kann und wie der Lehrer und der Schüler trotz verschiedener Erkenntnisakte dasselbe Wissen besitzen (§ 109) mit Hilfe der Unterscheidung zwischen id, quod intelligitur (res scita; »dem, was erkannt wird«), und id, quo intelligitur (»dem, wodurch etwas erkannt wird«; species intelligibilis; Ed. Leonina 43, 312b). Thomas verfolgt in seiner Schrift ein doppeltes Ziel: Zum einen will er die Auslegungskompetenz dessen, der von der Tradition als Commentator bezeichnet wird, in Frage stellen; zum anderen ist die Schrift ein Angriff auf jene Zeitgenossen, die »nur den Kommentar des Averroes vor Augen haben« (§ 117; Ed. Leonina 43, 314a). Dass Siger von Brabant zu diesen Zeitgenossen gehört, ist offensichtlich (wie namentlich das Argument belegt, Gott könne nicht ohne Widerspruch eine Vielheit von Intellekten schaffen, § 96, vgl. § 101), aber gleichzeitig hat Thomas mit seiner Schrift die zukunftsträchtige Festschreibung einer averroistischen Position gefördert. Es ist wahrscheinlich, dass er den kirchlichen Behörden Stoff für eine Verurteilung geliefert hat. de Libera hat aber auch zu Recht darauf hingewiesen (de Libera, Commentaire, 13), dass in der Auseinandersetzung mit der Behauptung eines einzigen, vom Individuum getrennten Intellekts die Frage, wer erkennt, wenn erkannt wird, mit einer bislang unbekannten Dring-
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lichkeit gestellt wurde und somit das Erkenntnissubjekt als mögliches philosophisches Problem entdeckt wurde. Die Schrift des Thomas ist allerdings auch in methodischer Hinsicht besonders aufschlussreich, da Thomas darin seine bereits im zweiten Buch der Scg. erprobte und im Physikkommentar ebenfalls angewendete, dreifache Strategie gegen Averroes und seine Anhänger exemplarisch verwirklicht, indem er zu zeigen versucht, dass die Lehren seiner Gegner (1) die Intention des Aristoteles verfehlen, (2) im Widerspruch stehen zur Wahrheit und (3) mit dem christlichen Glauben nicht vereinbar sind. Während in De aet. die Autonomie der Philosophie und ihres Vorgehens verteidigt wird, soll dieses Werk den Nachweis erbringen, dass Lehren, die in offenem Widerspruch stehen zum christlichen Glauben philosophisch widerlegt werden können. Imbach, Ruedi/Oliva, Adriano: La philosophie de Thomas d’Aquin, Paris 2009. De Libera, Alain: Commentaire du De unitate intellectus contra averroistas de Thomas d’Aquin, Paris 2004. Michon, Cyrille (Hg.): Thomas d’Aquin et la controverse sur l’Eternité du monde. Traités sur l’Eternité du monde de Bonaventure, Thomas d’Aquin, Peckham, Boèce de Dacie, Henri de Gand et Guillaume d’Ockham, Paris 2004. Porro, Pasquale: Tommaso d’Aquino. Un profilo storico-filosofico, Rom 2012. Torell, Jean-Pierre: Initation à saint Thomas d’Aquin, sa personne et son œvre. Nouvelle édition profondément remaniée et enrichie d’une bibliographie mise à jour, Paris 32015. Ruedi Imbach
6. Kommentar zu Dionysius, De divinis nominibus Der Kommentar zu De divinis nominibus ist der einzige Kommentar des Thomas zu einer Schrift des Pseudo-Dionysius. Nachdem er in Köln Albertus Magnus beim Schreiben von dessen Kommentar behilflich gewesen war, machte er sich wahrscheinlich 1265/66 bei einem Romaufenthalt oder auch schon 1260/61 selbst daran, über diese Schrift einen Kommentar abzufassen. Thomas legte seinem Kommentar die lateinische Übersetzung von Johannes Sarracenus zugrunde, verglich sie aber manchmal mit der des Johannes Scotus Eriugena. An anderen Kommentaren zu dieser Schrift kannte Thomas neben dem des Albert die Kommentare von Maximus Confessor, Hugo von St. Viktor, Robert von Lincoln, Thomas von Vercelli, Robert Grosseteste. In seiner Einleitung ordnet Thomas die von ihm zu kommentierende Schrift ins Gesamtwerk des Dionysius ein. Dieser habe das Wissen, das von Gott in der Heiligen Schrift enthalten sei, in vierfacher Weise in vier Schriften dargestellt. Über die Einheit des göttlichen Wesens und die Unterschiedenheit der göttlichen Personen, die keine Ähnlichkeit mit der Schöpfung aufweisen, handele ein Werk, das, wie Thomas meint, nicht erhalten ist, auf das sich Dionysius aber gelegentlich bezieht, De divinis hypotyposibus. Von dem, was die Heilige Schrift über Gott
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aussagt und wovon eine geschöpfliche Ähnlichkeit zu finden ist, spreche Dionysius in zweifacher Weise. Einerseits handele es sich um Eigenschaften Gottes, die von Gott auf die Geschöpfe übergegangen seien. Andererseits finden sich Eigenschaften Gottes in der Heiligen Schrift erwähnt, die von den Geschöpfen auf ihn übertragen wurden. Die ersten würden in De divinis nominibus, die zweiten in der nicht überlieferten Schrift De symbolica theologia behandelt. Da aber jede Ähnlichkeit der Geschöpfe mit Gott unvollkommen sei und Gott alles Geschöpfliche weit übersteige, müsse sie zugleich von Gott verneint werden. Denn ungeachtet dessen, was der menschliche Verstand durch die Geschöpfe von Gott erkennen könne, bleibe Gott selbst verborgen und unerkannt. Dies zeige Dionysius in De mystica theologia. Damit hat Thomas der Schrift De divinis nominibus die Funktion innerhalb der Theorie der Gotteserkenntnis zugewiesen, die Eigenschaften Gottes von Gott selbst her zu verstehen, obwohl und weil sie Ähnlichkeiten mit denen der Schöpfung aufweisen. Bei der Auslegung des Textes verfolgt Thomas dieselbe Methode, wie er es auch bei anderen Texten, etwa denen des Boethius oder des Aristoteles, tut. Zuerst teilt er den Text in Abschnitte ein, wobei er von den größten Einheiten ausgeht, die er immer feiner weiter unterteilt, meist in jeweils zwei Einheiten, so dass eine stark verschachtelte Textstruktur sichtbar wird. Dabei tut er dem Text manchmal etwas Gewalt an, indem er versucht, ihn in das dichotomische Raster zu zwingen. Der eigentliche Kommentar bezieht sich auf die niederste Gliederungsebene. Wiederholt weist Thomas darauf hin, dass eine Hauptquelle für die Auffassungen des Dionysius die Platoniker sind (z. B. De div. c. 5 l. 3; Ed. Vives 29, 496a). Zuweilen jedoch stellt er auch eine Abweichung des Dionysius von den Platonikern oder eine Korrektur fest (a. a. O.; c. 1 l. 3; Ed. Vives 29, 391a; c. 5 l. 3; Ed. Vives 29, 507b; c. 11 l. 4; Ed. Vives 29, 564a; c. 13 l. 3; Ed. Vives 29, 576a). Damit ordnet Thomas Dionysius in eine philosophische Tradition ein und zeigt zugleich seine Differenz. Thomas weist im Prooemium seines Kommentars auf den dunklen Stil des Dionysius hin und erklärt ihn damit, dass er nicht aus Unerfahrenheit stamme, sondern aus dem Bemühen, die heilige Lehre vor dem Spott der Ungläubigen zu verbergen. Er führt drei Schwierigkeiten im Verständnis dionysianischer Texte auf: Die erste sei der platonische Denkstil, der ungewohnt sei. Die Platoniker nähmen für alle zusammengesetzten und materiellen Dinge, die sie auf einfache und abstrakte Prinzipien zurückführen wollten, von ihnen getrennte Arten an, die immateriell seien und an denen die einzelnen Dinge teilhätten. Die sinnlichen Dinge enthielten etwas, das nicht ihre Art bestimme, wie den individuellen Stoff. Die getrennten Arten aber besäßen keine ihnen fremde Beimischung und stünden über den Individuen, die an ihnen teilhätten. Die Platoniker betrachteten so nicht nur die sinnlichen Einzeldinge, sondern auch das Allgemeinste wie das Gute, das Eine, das Sein. Sie nähmen an, es gebe ein Erstes, das das Wesen der Gutheit, der Einheit, des Seins sei, was sie Gott nennen, und von dem alles andere Gute, Eine, Seiende abgeleitet sei. Diese Auffassung der Platoniker widerspreche dem Glauben und der Wahrheit im Hinblick auf die getrennten natürlichen
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Arten, nicht jedoch im Hinblick auf das erste Prinzip aller Dinge. Daher nenne Dionysius Gott das Gute, Übergute, erste Gute oder die Gutheit alles Guten. In ähnlicher Weise nenne er ihn das Überleben, die Überwesenheit, die Thearchie, d. h. die erste Gottheit, da der Name Gottes auch auf die Geschöpfe durch Teilhabe anwendbar sei. Weitere Schwierigkeiten bestünden bei Dionysius in der Knappheit des Stils, aber auch in einer Wortfülle, die einen tiefen Sinn berge. Dionysius lege, so Thomas, in den beiden ersten Kapiteln seiner Schrift einige notwendige Voraussetzungen für die folgenden Betrachtungen dar, bevor er im dritten Kapitel beginne, sein inhaltliches Anliegen zu verfolgen. Nachdem er seine Schrift in die Folge einer anderen Schrift über die Trinität gestellt habe, beginne er, einerseits die Methode zu erläutern, andererseits den Begriff der göttlichen Namen zu erörtern. Methodisch stütze sich Dionysius auf die Offenbarung, d. h. die Apostel und Propheten, wie sie durch die Heilige Schrift sprächen, nicht auf menschliche Vernunft. Die Heilige Schrift sei also die Grundlage für die theologische Erkenntnis bei Dionysius. Während die menschliche Vernunft das erschließe, was für den Menschen erkennbar und mitteilbar sei, kämen in der Glaubenslehre für den Menschen Unbekanntes und Unsagbares zum Ausdruck, dem der Mensch im Glauben mit größerer Gewissheit anhänge als dem natürlich Erkannten. Die göttliche Wahrheit übersteige nämlich jede menschliche Erkenntnis und Rede. Der Glaube vermittle die göttliche Wahrheit nicht in direkter Schau als eine an sich erkennbare und aussagbare, sondern in der Verborgenheit. Dies zu erläutern, führt Thomas 1 Kor 13,12 an. Die Unaussprechlichkeit sei aber kein Mangel, da der Glaube mit Höherem und Gewisserem verbinde als die natürliche Vernunft. Dionysius führe den Gegenstand seiner Abhandlung ein, wie es auch in anderen Wissenschaften geschehe, nämlich so, dass Prinzipien und Schlüsse demselben Bereich angehören. Die Prinzipien, aus denen seine Lehre folge, stammten aus der göttlichen Offenbarung, wie sie in der Heiligen Schrift niedergelegt sei. Deshalb sei alles, was von der verborgenen Gottheit erkannt und ausgesagt werden kann, rückgebunden an die Heilige Schrift. Dies bedeute jedoch nicht, dass alle Folgerungen schon direkt in der Schrift zum Ausdruck gekommen sein mussten, sondern nur, dass sie mit ihr nicht unvereinbar und ihr nicht fremd seien. Da es nur Gott selbst zukomme, sich vollkommen zu erkennen, könne Gott nur erkannt werden, wenn er sich offenbare. Da das Wesen Gottes übernatürlich sei, sei auch das Wissen darüber übernatürlich und wäre für den Menschen unerschwinglich, wenn es nicht von Gott selbst offenbart würde. Dies sei in der Heiligen Schrift zu finden, deren Wahrheit ein Licht sei, das der ersten Wahrheit entströme, das aber nicht das Wesen Gottes an sich erleuchte, sondern nur bis zu einem gewissen Grad. Dionysius zeige durch Vernunftgründe wie durch Autoritäten, dass Gott nur sich selbst bekannt sei, den Menschen aber verborgen (womit Thomas dem Dionysius eine protoscholastische Methode unterstellt). Die beiden Vernunftgründe rekonstruiert Thomas als (nicht formal korrekten) Syllogismus, den ersten mit der allgemeinen Prämisse (Obersatz): Göttliches wird von Gott
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geoffenbart entsprechend der Fassungskraft derer, denen es geoffenbart wird, und der zweiten Prämisse (Untersatz): Das Unendliche zu erkennen übersteigt die Fassungskraft des endlichen Verstandes, woraus der Schluss folgt: Also wird aus der göttlichen Offenbarung nicht das, was Gott selbst ist, von irgendeinem erkannt. Der zweite Vernunftgrund geht von der Prämisse aus, dass der höhere Grad des Seins nicht vom niederen verstanden werden kann, und folgert mit der Prämisse, dass Gott jeden Grad des Seins übersteigt, er könne durch kein Seiendes verstanden werden. Thomas modifiziert jedoch diese negative Einschätzung der Gotteserkenntnis durch Dionysius, indem er andeutet, dass der geschaffene Verstand dennoch in irgendeiner, wenn auch nicht geschaffener Weise, das göttliche Wesen betrachten könne. Die Namen, die Gott beigelegt werden, kommen ihm nicht an sich zu, sondern nur in einer vom Geschöpflichen abgeleiteten Weise. Thomas geht von einer Ähnlichkeit zwischen Gott und Schöpfung aus, so dass die auf Gott angewandten Namen, wenn auch nicht wie von den Geschöpfen, so doch durch Übersteigerung des Geschöpflichen gelten könnten. Einerseits könnten also vom Menschen Aussagen über Gott gemacht werden, andererseits müssten sie verneint werden und das Gegenteil davon behauptet werden. Dionysius lege dar, dass Gott so Vernunft genannt werde, dass er aber auch Übervernunft genannt werden müsse. Das, was Thomas Autoritätsargumente bei Dionysius nennt, führt er an dieser Stelle auf Schrifttexte zurück (Ex 33,20; 1 Tim 6,16; Hiob 11,7; Röm 11,33). Diesen biblischen Vorgaben entsprechend weise Dionysius drei Arten der Erkenntnis Gottes zurück: Die erste, durch die etwas als es selbst gesehen wird, die zweite, durch die etwas durch rationale Untersuchung erkannt wird, und die dritte, durch die etwas durch ein Drittes erkannt wird, so dass Gott also unsichtbar, unerforschlich und unerschließbar sei. Obwohl aber die Erkenntnis des überwesenhaften Gottes nur Gott selbst zukomme, teile sich Gott in seiner Güte doch den Geschöpfen mit. Damit hat Thomas in lectio 1 seines Kommentars zum ersten Kapitel von De divinis nominibus die Methode, die in dieser Schrift verfolgt wird (modus procedendi in hoc opere), dargestellt. Gemäß den lectiones 2 und 3 erläutere Dionysius dann den Begriff der göttlichen Namen, zuerst im Hinblick auf die Erkenntnis Gottes, die durch seine Namen ermöglicht wird, dann wie Gott benannt werden könne. Die Bedeutung der Namen Gottes trete nur hervor, wenn auf eine Erforschung des Göttlichen nach unserer Vernunft verzichtet und sich auf die Heilige Schrift verlassen wird, in der die göttlichen Namen überliefert, durch die die Gaben Gottes und die Quelle dieser Gaben dargestellt würden. Denn durch die Namen werde zweierlei vermittelt: die Mitteilung der göttlichen Gaben und die Quelle derselben. Wenn Gott der Lebendige genannt werde, sei damit einerseits die Mitteilung des Lebens durch ihn an die Geschöpfe gemeint, andererseits Gott selbst als Ursprung des Lebens. Dieser Ursprung werde allerdings durch den Namen nicht erkannt, wie er an sich ist, er bleibe vielmehr unsagbar und unerforschlich, sondern Gott werde als Prinzip und Ursache erkannt, also durch endliche Kategorien. Dies bedeute, dass, da die Eigenschaften der Geschöpfe in Gott
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in höchster Vollkommenheit präexistierten und durch Teilhabe den Geschöpfen zuteil wurden, die Geschöpfe erkennbar, Gott hingegen verborgen sei, das Verborgene aber dem Menschen durch das Geschöpfliche zugänglich werde. Dass Gott viele unterschiedliche Namen gegeben werden, wie der Gute, der Lebendige, der Weise, rühre nicht von einer Vielheit oder Verschiedenheit in ihm selbst her, sondern diese Namen seien alle in ihm eins und stammten aus den verschiedenen Eigenschaften der Geschöpfe, die an der Vollkommenheit Gottes als des ersten Prinzips, des Ursprungs dieser Eigenschaften teilhaben. Diese Erkenntnis Gottes sei im irdischen Leben möglich. Sie unterscheide sich aber von der Erkenntnis, die die Heiligen im zukünftigen Leben haben werden. Die irdische Gotteserkenntnis werde gespeist durch die Heilige Schrift und die Traditionen der kirchlichen Hierarchie, die nicht in der Heiligen Schrift enthalten seien. Diese Vermittlungen der Offenbarung bedienten sich der menschlichen Verständnismöglichkeiten, drückten also Unsinnliches durch Sinnliches, Unkörperliches durch Körperliches, Einfaches durch Zusammengesetztes und Verschiedenes aus. Während der menschliche Geist im irdischen Leben auf die leiblichen Sinne angewiesen und zugleich durch sie eingeschränkt sei in der Teilhabe am Ewigen, werde er nach der Auferstehung von der Bindung an die Materie befreit und zur Teilhabe am Ewigen fähig. Gott bleibe also auch nach der Erkenntnis, die die Menschen von ihm im irdischen Leben gewinnen, verborgen. Diese Verborgenheit habe ihren Grund in der Bindung der Gotteserkenntnis an Zeichen, die sowohl Eigenschaften benennen, die von Gott auf die Geschöpfe ausgehen, als auch umgekehrt als Metaphern von den Geschöpfen auf Gott übertragen werden. Die Erkenntnis bleibe aber nicht bei der begrenzten Form dieser Zeichen stehen, sondern strebe über sie hinaus. Am Ende der lectio 2 interpretiert Thomas den abschließenden Abschnitt des Dionysius als Beweis für das zuvor Behauptete und rekonstruiert ihn als komplexen Syllogismus: Alle Erkenntnisse bezögen sich auf existierende Dinge, da ihre Gegenstände Seiendes sind. Seiendes aber sei endlich und ein endliches Seiendes sei Gegenstand endlicher Erkenntnis. Gott aber übersteige in seiner Unendlichkeit jedes endliche Wesen, so dass er folglich keiner Erkenntnis zugänglich sei, weil er jede geschöpfliche Erkenntnis übersteige und von keiner erfasst werden könne. Nach der lectio II zum zweiten Kapitel kann Gott von keinem geschaffenen Verstand vollkommen erkannt werden, da er über jeder Bejahung und Verneinung steht, die der endliche Verstand von ihm bilden könnte. Aus dem allem wird deutlich, dass für Thomas die Schrift De divinis nominibus von der Gotteserkenntnis handelt. In der dritten lectio zum ersten Kapitel zeigt Thomas, wie Dionysius drei Weisen, Gott durch Benennung zu erkennen, entwickelt: Verneinung, Ursache, Erscheinung. Das letzte, zu dem die menschliche Erkenntnis im endlichen Leben gelangen könne, sei, dass Gott über allem stehe, was vom Menschen gedacht werden kann. Deshalb sei die Verneinung die Gott angemessenste Benennung. Denn alles, was durch einen Namen bezeichnet werden kann, sei kleiner als Gott, da er jede menschliche Erkenntnis, die durch Namen ausgedrückt werde, übersteige.
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Die zweite Weise der Benennung durch die Ursache setzt voraus, dass zwischen Ursache und Wirkung eine Ähnlichkeit bestehe. Jede Ursache könne nach ihrer Wirkung benannt werden, insofern sie eine Ähnlichkeit mit ihr aufweist. Die Ähnlichkeit aller Dinge bestehe im göttlichen Wesen nicht in geschöpflicher Weise, sondern in höchster Weise als Ursache für das Geschöpfliche. Die so von Gott ausgesagten Namen werden nicht als Metaphern vom Geschöpflichen auf ihn übertragen, sondern umgekehrt verstanden als Ausdrücke der von der unermesslichen göttlichen Wesensfülle als Ursache auf die Geschöpfe übertragenen Eigenschaften. Eine dritte Weise der Benennung Gottes bezieht sich auf Erscheinungen, die Propheten oder Lehrern zuteil wurden und Gott symbolisch darstellten. Die erste Weise der Verneinung werde in De mystica theologia behandelt, die zweite mit den intelligiblen Hervorbringungen in De divinis nominibus, die dritte, die sich sinnlicher Ähnlichkeit bedient, im nicht überlieferten Buch De symbolica theologia. Thomas betont mit Dionysius, dass Gott nicht an sich in seinem Wesen erkannt werden könne, sondern nur aus der Ordnung des ganzen Universums, die Gott dem Menschen geschaffen habe, damit er durch sie Gott erkenne, insofern das Universum unvollkommene Ähnlichkeit mit Gott besitze. Die Erkenntnis Gottes aus der Schöpfung erfolge in dreierlei Weisen: durch Negation, da nichts Geschaffenes Gott entspreche, durch Übersteigerung, da Gott alles Geschaffene an Vollkommenheit übertrifft, durch Verursachung, da alles Geschaffene von Gott als Ursache kommt. Letztlich bedeute Gott zu erkennen, zu wissen, dass von Gott nicht erkannt werden könne, wer er an sich sei. Mit dem starken Akzent, den Thomas auf die Kausalität für die Gotteserkenntnis legt, geht er über Dionysius hinaus. Er unterscheidet deutlicher als dieser Begriffe, die von Gott schlechthin verneint werden müssen, von solchen, die nur insofern verneint werden müssen, als sie spezifisch Geschöpfliches ausdrücken (De div. c. 7 l. 4; Ed. Vives 29, 521– 523; vgl. O’Rourke, Pseudo-Dionysius and Metaphysics, 30–35). Die Namen, die Gott beigelegt werden könnten, bezeichneten nicht sein Wesen, sondern den Hervorgang von vollkommenen Eigenschaften aus Gott in ihrem Übergang auf die Geschöpfe. Sobald sie von Gott ausgesagt werden sollten, müsse betont werden, sie überstiegen ihr geschöpfliches Sein. So bezeichne der Name des Seins den Hervorgang des Seins aus Gott in das Seiende, von Gott ausgesagt aber das, was alles Seiende übersteigt. Gott das Sein, das Gute, das Leben zu nennen, bedeute zuerst, ihn für die Ursache des Seins, des Guten, des Lebens zu erklären (De div. c. 5 l. 1; Ed. Vives 29, 494–503). Thomas hebt sich von Dionysius dadurch ab, dass er nicht die Einheit Gottes, an der das geschaffene Viele teilhat, in den Vordergrund rückt, sondern das Sein Gottes, so dass die Lehre von der göttlichen Trinität nicht in Gefahr kommt (Elders, Die Metaphysik II, 183–185). Thomas weist darauf hin, dass Dionysius das Gute als Name Gottes vor dem Sein behandelt, weil Gott das Gute seinem Wesen nach zukomme, während es den Geschöpfen nur durch Teilhabe am göttlichen Guten zukomme, also ihr Sein
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bestimme (De div. c. 4 l. 1.; Ed. Vives 29, 425b). Aus dem Guten selbst fließe das Sein und das, was Ursache sei, sei gut (De div. c. 3; Ed. Vives 29, 418–424). Deshalb komme dem Guten der Vorrang vor dem Sein zu. Es sei die allgemeinere und höhere Ursache. Das Gute wirke sich auch auf Nichtseiendes aus, auf das Seiende der Möglichkeit nach, das auf das Gute hingeordnet sei (De div. c. 3; c. 5 l. 1; Ed. Vives 29, 494–503). Thomas findet bei Dionysius die Lehre vom Nichtsein des Bösen. Alles, was sei, habe eine Ursache oder sei selbst eine Ursache. Das Böse jedoch habe keine Ursache, noch sei es eine Ursache eines anderen. Da alles nur sich Ähnliches hervorbringe, bewirke das Gute nur Gutes. Da das Gute produktiv sei, könne es das Böse nicht sein. Das Böse stamme nicht aus dem Guten als einer Ursache, sei also nicht verursacht. Das Gute sei jedoch nur keine Ursache des Bösen an sich, nicht des Bösen als Akzidens. Das Böse sei kein wesenhaftes Sein, wie es das Gute sei, sondern habe als Seiendes, als böses Ding am Guten teil. Böse sei diese Sache, weil ihr etwas von dem Guten abgeht, das sie haben sollte. Dem stehe auch die Auffassung, das Böse sei die Privation des Guten, nicht entgegen, da das böse Ding nicht schlechthin nichtseiend sei, sondern als Ding gut und seiend, als Böses aber nichtseiend, insofern es des Seins des Guten ermangele (De div. c. 4 l. 14; Ed. Vives 29, 464–466). Am Ende von De divinis nominibus weise Dionysius darauf hin, dass, während er hier die eigentlichen Namen Gottes behandelt habe, er die bildlichen Aussagen von Gott in einem anderen Werk De symbolica theologia erläutern wolle, einer Schrift, die, wie Thomas feststellt, uns nicht überliefert ist (De div. c. 13 l. 4; Ed. Vives 29, 580b). Thomae Aquinatis In librum Beati Dionysii de divinis nominibus expositio, cura et studio Ceslai Pera, Turin/Rom 1950 (Ed. Taurini). Durantel, Jean: Saint Thomas et le Pseudo-Denis, Paris 1919, 209–237. Neidl, Walter M.: Thearchia. Die Frage nach dem Sinn von Gott bei Pseudo-Dionysius Areopagita und Thomas von Aquin, Regensburg 1976. O’Rourke, Fran: Pseudo-Dionysius and the Metaphysics of Aquinas, Leiden/New York/Köln 1992. Reinhold Rieger
7. Bibelkommentare 7.1. Exegese als Theologie
Da Thomas von Aquin vor allem als systematischer Denker gilt, der in seinen Summen eine nie wieder erreichte Synthese des theologischen Stoffes erzielt hat, übersieht man oft sein Wirken als Exeget. In der Tat besteht ein großer Teil seines umfangreichen Œuvres aus Bibelkommentaren. Als authentisch gelten die Kommentare zu Hiob, den Psalmen, Jesaja und Jeremia (samt Klageliedern), zu Mat-
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thäus, Johannes und den Paulinen, sowie eine Katene aus patristischen Auslegungen zu den vier Evangelien. Mit Ausnahme der zuletzt genannten Katene spiegeln diese Kommentare die Vorlesungen des Thomas zu den entsprechenden Büchern wider. Allerdings handelt es sich bei den Texten meist um Mitschriften, die seine Sekretäre anfertigten. Nur die Auslegungen zu Jesaja und zu Hiob – beide entstanden in einer frühen Schaffensperiode – wurden von Thomas selbst schriftlich überarbeitet und publiziert. Entsprechend tragen sie den Titel expositio, während man die als Mitschriften bekannten Auslegungen als lectura bezeichnet. Gleichwohl dürfen auch letztere eine, wenn auch abgeschwächte, Authentizität beanspruchen. Thomas hat also während seiner gesamten Lehrtätigkeit als Schriftausleger gearbeitet, und nichts anderes wurde von ihm als Lehrer für angehende Prediger erwartet (Chenu, Werk, 263–297; Prügl, Thomas Aquinas as a Scriptural Exegete). Eine Übersicht über die Schriftkommentare des Thomas von Aquin muss sich zunächst der Frage stellen, wie Thomas sein Amt als Schriftausleger versteht und welchen Platz die Schriftauslegung im Gesamt seiner Theologie einnimmt. Wenn Thomas zu Beginn aller seiner größeren systematischen Werke über die Aufgabe des Theologen reflektiert, stellt er dabei immer auch Überlegungen zu einer Hermeneutik des Schriftstudiums an. Schriftauslegung gilt ihm als wesentlicher Bestandteil von Theologie, die er als sacra doctrina versteht. In dieser »heiligen Lehre« gilt es, sowohl den Lehrinhalt als auch die Vermittlung dieses Inhalts, das Lehren, zu berücksichtigen. Diese Vermittlung ereignet sich nicht nur zwischen Theologieprofessor und Studenten, sondern nimmt ihren Anfang bereits in der Offenbarung: Gott teilt sich selbst, sein Wesen und seine Vorsehung, erkennbar und rational nachvollziehbar in der Schrift mit. Die Erkenntnis Gottes entspricht der Vermittlung der Offenbarung, d. h. sie ist »wissenschaftlich« im Sinne des aristotelischen Verständnisses von scientia. Sie beruht auf ersten Prinzipien, woraus sich weitere Einsichten in den Gegenstand der Wissenschaft ableiten lassen. Thomas sieht in den Glaubensartikeln der Kirche jene ersten Prinzipien, mit Hilfe derer es möglich ist, einen Zusammenhang innerhalb der göttlichen Offenbarungsdaten herzustellen und von da aus zu einem tieferen Verstehen der Glaubensgeheimnisse zu gelangen. Die Glaubensartikel sind für Thomas aber nichts anderes als verdichtete Aussagen der Schrift, so dass Schrift und Dogma die Glaubenswahrheit übereinstimmend, wenn auch im Stil verschieden, mitteilen. Die Aufgabe des Exegeten besteht daher darin, die Schrift in der Analogie des Glaubens auszulegen, d. h. die Übereinstimmung und wechselseitige Erläuterung von Dogma und Schriftzeugnis zu erhellen; denn die Schrift vermittelt die Glaubenswahrheit bisweilen weitschweifig, dunkel und mit unterschiedlichsten literarischen Formen und Sprechweisen (STh II-II q. 1 a. 9 ad 1). Somit ist der Theologe als Schriftausleger in gleicher Weise dem Aufzeigen und der Vermittlung der Glaubenswahrheit verpflichtet (Torrell, Le savoir théologique chez saint Thomas; O’Brien, ›Sacra Doctrina‹ Revisited).
I. Schriften – 7. Bibelkommentare
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Theologie ist für Thomas sowohl spekulative als auch praktische Wissenschaft, und auch darin partizipiert sie an dem Wissen Gottes, »der in gleicher Weise sich selbst erkennt und das, was er tut« (STh I q. 1 a. 4). Diese doppelte Ausrichtung auf Verstehen und Handeln entdeckt Thomas auch in der Schrift. In seiner Aus legung zu 2 Tim 3,16 führt er aus, dass sie in spekulativer Hinsicht die Wahrheit lehrt und den Irrtum überführt, in praktischer Hinsicht aber den Glaubenden vom Bösen abhält und zum Guten hinführt. Diesen vier Wirkungen der Schrift gesellt sich als fünfte hinzu, dass sie Vollkommenheit bewirkt, also die ganze Person formt: Verstand, Charakter, Wille, Wort und Tat. Theologie bleibt für Thomas dennoch ein primär rationales, d. h. argumentatives Unterfangen. Doch gerade gegen eine solche rationale Vereinnahmung scheint sich die Schrift zu sträuben; einmal wegen der reichen bildlichen Sprache sowie der weithin poetischen literarischen Formen, dann aber auch wegen der logischen Inkohärenz der dort zusammengestellten Texte. Thomas ignoriert die literarische Vielfalt der Schrift nicht, sondern erblickt in den Metaphern, Bildern und Vergleichen der Schrift eine notwendige Struktur göttlicher Offenbarung, die im Letzten immer symbolhaft bleiben muss, um auf die jeweils größere Wirklichkeit zu verweisen, die sich unter diesen Symbolen verbirgt. Oft können geistige Sachverhalte nur im Bild ausgedrückt werden, zudem vermag die Metapher eine Idee ungleich dichter und reicher zum Ausdruck zu bringen als eine nüchterne Definition. Vor allem aber erschließt das Bild eine geistige Wahrheit auch dem, der nicht über die intellektuellen Fähigkeiten verfügt, die Wahrheit als unmittelbar intellektuellen Begriff zu erfassen. Und dennoch darf der Schriftausleger nicht beim Bild stehen bleiben, sondern muss es erklären, seinen Sinn erschließen, und zwar in einer der Theologie und ihrer Vermittlung angemessenen, d. h. überprüfbaren, »argumentativen« Weise. Die Sorge um die Überprüfbarkeit von theologischen Aussagen bestimmt auch die Einstellung des Aquinaten zum geistlichen Schriftsinn und der im Altertum und Mittelalter selbstverständlich praktizierten allegorischen Auslegung. Weder kritisiert noch verwirft Thomas diese Methode, er hält aber fest, dass mit alle gorischen Auslegungen kein theologisches Argument geführt werden darf (STh I q. 1 a. 9–10). Seine eigenen Kommentare wenden den geistlichen Schriftsinn äußerst selten an, und wenn, dann niemals ohne zuvor den Literalsinn erläutert zu haben. Thomas versichert, dass alles, was in der Schrift in bildlicher Weise ausgedrückt ist oder was sich als allegorische Auslegung bisweilen anbietet, sich andernorts im biblischen Kanon in eindeutiger Sprache, also im Literalsinn wiederfindet. Der Exeget muss also zutiefst mit dem gesamten Wortlaut der Schrift vertraut sein, um solche Querverbindungen zu erkennen, in denen sich die Offenbarungswahrheit wechselseitig zeigt und erhellt. In dem Bemühen, die Glaubenswahrheit in der Schrift rational nachvollziehbar aufzuzeigen, sieht Thomas eine didaktische Herausforderung, denn der Ausleger der Heiligen Schrift beteiligt sich aktiv und verantwortungsvoll am theologischen Vermittlungsprozess. So wie er im Vorwort der Summa Theologiae die
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zufällige Auswahl der biblischen Vorlesungen und der Disputationsthemen kritisiert und im Theologiestudium seiner Zeit eine didaktisch-sachliche Ordnung vermisst (ordo disciplinae), so verwendet er auch in der Bibelauslegung alle Sorgfalt darauf, einen inneren Zusammenhang innerhalb der Offenbarungsdaten herzustellen. Solches Bemühen um ordo, um Zusammenhang und Kohärenz darf man geradezu als Leitmotiv und Richtlinie thomasischer Exegese sehen. Thomas hat das Selbstverständnis des Theologen als eines Schriftauslegers in seinen beiden Antrittsvorlesungen (principia) zum Ausdruck gebracht, mit denen er im Spätsommer 1257 sein Lehramt an der Pariser Universität beginnt. Darin vergleicht er die göttliche Weisheit mit dem Regen, der sich auf die Berge und von dort in die Täler ergießt (Ps 104,13). Die Berge seien die Theologen, deren Verstand näher am Licht der göttlichen Weisheit ruht und die die göttliche Lehre je nach dem Fassungsvermögen der Hörer weiterreichen. Theologie ist daher sich im Lehr- und Lernprozess vollziehendes Empfangen, Aneignen und Auslegen der Schrift, worin Thomas, neben der Lehre selbst, die Lehrer, die Lernenden und den Kommunikationsvorgang betrachtet. In der zweiten Predigt wurde von dem angehenden Theologieprofessor eine Lobrede auf die Schrift erwartet, mit der üblicherweise auch eine Deutung des biblischen Kanons verbunden war. Auch hier bringt Thomas zum Ausdruck, dass sich in der Betrachtung der Heiligen Schrift die gesamte Theologie, genauer gesagt der gesamte Plan der göttlichen Vorsehung wie in einem Prisma entfaltet. Die Schrift erfreut sich höchster Autorität und ewiger, unveränderlicher Wahrheit, da Gott ihr Autor ist. Kraft dieser Autorität entfaltet die Schrift ihre besondere Wirkkraft, indem sie den Verstand zum Glauben und das Streben zur Liebe führt. Die Wahrheit der Heiligen Schrift zeigt sich ferner in der Weise ihrer einheitlichen Vermittlung: »Alle, die die heilige Lehre weiterreichen, lehren dasselbe.« (Principium »Hic est liber mandatorum« (= De commendatione et partitione sacrae scripturae, I, Ed. Marietti, Opuscula theologica I, 435, § 1200)). Evangelisten, Kirchenväter und Theologieprofessoren sind somit Glieder ein und derselben Vermittlungskette und verfolgen als Gegenstand ihrer »Lehre« die göttliche Wahrheit. Die Schrift führt den Menschen zum göttlichen Leben, zunächst in der Gnade, dann in der Gerechtigkeit und schlussendlich in der Herrlichkeit; darin liegt die utilitas (»der Nutzen«) der Schrift. Nach diesem großen Panorama, wonach das Ziel der Offenbarung die Teilgabe am göttlichen Leben ist, entfaltet Thomas die Absicht und den Charakter der einzelnen Bücher im biblischen Kanon. Beide Testamente sind Hilfen auf diesem Weg zum Leben, das Alte Testament als vorschreibendes Gesetz, das Neue Testament als helfende Gnade. 7.2. Formale Kennzeichen der thomasischen Exegese
Thomas folgt in seinen Auslegungen dem Schrifttext sehr eng. Jeder Begriff, jedes Bild, jede Aussage wird erklärt und in einen größeren Zusammenhang eingeordnet. Mit philologischen Problemen hält er sich nicht lange auf, um dafür umso
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schneller zum theologischen Sinn zu kommen. Thomas ist weder des Griechischen noch des Hebräischen mächtig. Auf die textkritischen Arbeiten seiner Mitbrüder im Pariser Dominikanerkloster, die an einem Variantenapparat zur Vulgata arbeiten (den sog. Korrektorien), greift er nie zurück. Wenn er Etymologien einfließen lässt, stammen diese in der Regel aus den bekannten Enzyklopädien des Schulbetriebs seiner Zeit. Dennoch legt er einen feinen Sinn für die Sprache und ihren Stil an den Tag. Er erkennt stilistische und rhetorische Figuren, ist mit Hebraismen vertraut und konsultiert ältere Kommentare und Nachschlagewerke (Domanyi, Der Römerbriefkommentar des Thomas von Aquin, 77–119). Sein Hauptinteresse jedoch gilt dem theologischen Verständnis des Bibeltextes. »Der gute Exeget stellt nicht die Wörter, sondern den Sinn eines Bibeltextes in den Mittelpunkt seiner Betrachtung«, sagt Thomas im Matthäuskommentar (Super Matth. q. 27, l. 1; Ed. Marietti 5a, 358, § 2321). Durch den Einschub von kurzen Fragen erfährt die Auslegung gelegentlich eine systematische Note. Diese an der scholastischen Gepflogenheit der Quaestio anknüpfende Form lenkt aber nicht vom auszulegenden Text ab, sondern hilft zu einem besseren Verständnis. Niemals bietet der Schrifttext oder ein einzelnes Wort für Thomas nur den Anlass zu einer unabhängigen Erörterung. Der Aquinate vermag im Gegenteil die Frage so zu formulieren, dass ihre Antwort und Struktur nicht nur ein theologisches Einzelproblem, sondern gelegentlich auch eine längere Passage des biblischen Textes entschlüsselt. Das auffälligste Merkmal der scholastischen Exegese des Aquinaten ist die Methode der divisio textus (»Textunterteilung«). Dabei wird der gesamte Text eines biblischen Buches in zunächst große Einheiten gegliedert, die in sich wiederum mehrmals unterteilt werden, bis die Auslegung zu den kleinsten Einheiten, manchmal nur ein einzelner Vers oder gar ein Nebensatz, gelangt. Die divisio textus legt sich über das gesamte Buch wie ein Koordinatennetz, das dem Ausleger als Referenzsystem dient, einzelne Aspekte der Auslegung in einen größeren literarischen, vor allem aber doktrinären Zusammenhang einzuordnen, wie er zu Beginn eines jeden größeren Auslegungsabschnittes skizziert wird. Mit Hilfe der divisio textus vermag Thomas die Haupt- und Nebenthemen in einem jeden Buch der Heiligen Schrift zuzuordnen, und somit der Auslegung einen inneren Zusammenhang zu geben. Damit erweist sich der Schriftkommentar ebenfalls als systematisches Werk, nicht indem er ein Thema wie in den Summen oder Disputationen unabhängig entwirft und (äußerlich) strukturiert, sondern indem er den theologischen Zusammenhang des Schrifttextes nach der Analogie des Glaubens (von innen her) entfaltet (Rossi, La ›divisio textus‹). Dieses Thema eines jeden biblischen Buches wird in den Vorworten der Kommentare vorgestellt, wo Thomas üblicherweise wichtige hermeneutische Informationen sammelt. Diese Prologe folgen dem Schema mittelalterlicher Einleitungen (accessus ad auctores), die für Kommentare und Lehrbücher aller Wissenschaftsarten ähnlich strukturiert sind. Man erwartet dort Auskunft über den Autor, den Gegenstand, den literarischen Stil (modus procedendi) und den Nutzen (utilitas)
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des Buches. Die historischen und literarischen Informationen stammen häufig aus den Vorworten des Hieronymus zu den einzelnen Büchern der Vulgata sowie aus der Glossa ordinaria oder anderen exegetischen Sammelwerken. Thomas ragt unter den Schriftauslegern des 13. Jahrhunderts nicht mit besonderem philologischen Wissen oder spezifischen exegetischen Fähigkeiten heraus. Vielmehr sind es auch in diesem Genre sein theologisches Gespür, seine sprachliche Intuition und seine prägnante, zielgerichtete Interpretation, die ihn als Theologen auszeichnen. Die Theologie der thomasischen Schriftkommentare unterscheidet sich dem Inhalt nach nicht oder kaum von der seiner Summen. Jedoch veranlasst ihn der Kontext des auszulegenden Gotteswortes dazu, Akzente neu zu setzen, Zusammenhänge anders herauszustellen und die eine oder andere Lehre in einen neuen, größeren Kontext einzufügen. Meisterhaft vermag er dabei die biblischen Metaphern als Sinnverdichtungen aufzugreifen und damit die Imagination der Zuhörer anzuregen. Um ein schwieriges Schriftwort zu verstehen, stellt Thomas nicht selten die geschilderte Szenerie in einen vertrauteren Kontext, um damit seiner Deutung größere Plausibilität zu verleihen; sei es eine Situation alltäglicher Erfahrung oder auch naturwissenschaftliche Annahmen, die v. a. das Interesse der philosophisch Gebildeten unter seinen Hörern bzw. Lesern ansprechen. 7.3. Die Catena aurea
Das populärste bibelexegetische Werk des Thomas ist nicht ein Kommentar im strengen Sinn, sondern eine Anthologie patristischer Texte zu den vier Evangelien, gewissermaßen ein Nachschlagewerk, das Thomas von 1263 bis 1268 auf Bitten Papst Urbans IV. zusammengestellt hat. Die Absicht dieser »goldenen Kette« ist, die Evangelien mit Hilfe eines fortlaufenden Kommentars aus patristischen Auslegungen zu erschließen und dabei gleichermaßen die Stimmen der abendländischen wie auch der östlichen Väter zu Wort kommen zu lassen. Gerade in der Kommentierung des Lukas- und Johannesevangeliums führt Thomas neue, d. h. im Westen bislang unbekannte Texte griechischer Autoren ein, die ihm über die Katene des Niketas von Antiochien zugeflossen sind. Thomas lässt für seine Zwecke eigens eine Übersetzung dieser Katene anfertigen, die allerdings heute verschollen ist. Trotz ihres Charakters als Textsammlung ist die Catena aurea dennoch als fortlaufender Kommentar geschrieben (Conticello, San Tommaso ed i Padri; Bataillon, La diffusione manoscritta). Vers für Vers legt Thomas anhand der Väterzitate die Evangelien aus. Dass die Auslegung wie ein zusammenhängendes Ganzes gelesen werden kann, liegt an der geschickten Redaktion des Aquinaten. Thomas hält sich nicht immer sklavisch an den Wortlaut der Vätertexte, sondern versucht, wie er im Vorwort unumwunden zugibt, den Sinn derselben zu erfassen, auch wenn dies auf Kosten des Wortlauts geschieht. Die dadurch bereits angepassten patristischen Zitate verknüpft er mit Überleitungen, in denen der hervorzuhebende Gedanke nicht selten vorweggenommen oder so
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eingeleitet ist, dass das folgende Zitat wie eine Bekräftigung oder Auflösung des Vorhergesagten erscheint. Im Vorwort zur Matthäus-Katene rechtfertigt Thomas seine Methode: Wegen des oft weitschweifigen Stils der Väter müssten die Aussagen bisweilen komprimiert werden, damit deren Sinn besser hervortrete. In einigen Fällen, wie bei den Predigten des Johannes Chrysostomus über Matthäus, habe er sich ganz vom Wortlaut der Vorlage getrennt, wenn die Übersetzung den ursprünglichen Sinn entstellt. Diese Überlegungen verdeutlichen, für wie zentral Thomas das Herausschälen des sensus bzw. der sententia (»Sinn«) von Texten, auch von Bibeltexten, erachtet. Darin sieht er sich auch durch Chrysostomus bestärkt, wenn dieser fragt, warum die Kirche vier Evangelien und nicht nur eines verehrt. Diese vier Texte stellen, so Thomas in den Fußstapfen des Chrysostomus, nicht vier verschiedene Lehren dar, sondern alle vier verkünden eine einzige sententia und eine einzige doctrina (»Lehre«). Auch wenn ein einziger Evangelist genügt hätte, alle Wahrheit in seiner Lebensschilderung Jesu zusammenzufassen, so stellt doch die wiederholte Erzählung einen größeren und weitaus anschau licheren Beweis für die Glaubenswahrheit dar. Selbst die scheinbaren Widersprüche unterstreichen lediglich die zugrunde liegende Wahrheit, denn völlige Konformität würde den Eindruck einer Fälschung erwecken, während die kleinen Unterschiede erst jene große, überzeugende Konsonanz hervorbringen. Die Auswahl der Väterzitate trifft Thomas gezielt nach theologischen Schwerpunkten. Diese entspringen zum Teil seinen eigenen theologischen Vorlieben, zum Teil legen sie sich aus der intensiven Väterlektüre nahe, wodurch Thomas seine eigene Theologie befruchten lässt. Wiederkehrende Motive sind daher Offenbarung, Wahrheit, Lehre, Anweisung zum rechten Leben, Gnade und Erlösung, Hauptfragen der Theologie also, die Thomas in der Väterexegese in reicher Weise variiert wiederfindet. Für Thomas ist somit das Studium der Väter ein entscheidender Weg, seinen eigenen theologischen Stil zu finden; ein Stil, aus dem eine ungekünstelte, enge Vertrautheit mit dem Offenbarungstext atmet und der ohne große Umschweife auf die theologische Bedeutung der Evangelientexte abzielt. 7.4. Der Kommentar zu Hiob
Thomas wird 1261 von seinem Orden als Lehrer an den Konvent in Orvieto versetzt, wo sich in jenen Jahren bevorzugt auch die päpstliche Kurie aufhielt. Dort beginnt er seinen wohl bedeutendsten Schriftkommentar, die Expositio super Iob ad litteram, die als die Frucht seiner Schriftvorlesung in jenen Jahren angesehen werden darf. Wie der Titel verrät, wählt Thomas dafür bewusst eine literale, also »buchstäbliche« Auslegung und distanziert sich damit von einer jahrhundertealten Praxis, den schwierigen Text des Hiob nach dem geistlichen Schriftsinn zu entschlüsseln. Das Vorbild dafür ist im lateinischen Mittelalter der monumentale Kommentar Gregors des Großen, die berühmten Moralia in Iob. Diese Auslegung sieht in Hiob einen alttestamentlichen Typos (»Vorausbild«) des leidenden Gott-
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essohnes sowie der Kirche, die sich in der Welt zahlreichen Prüfungen ausgesetzt weiß. Die Freunde Hiobs symbolisieren dagegen die Häretiker, die mit ihren Angriffen die Kirche bedrängen und auf die Probe stellen. Neben dieser allegorischen Auslegung zielt Gregor aber vor allem auf den »moralischen« Sinn ab, worunter man nicht die ethische Dimension des Bibeltextes verstehen darf, sondern dessen Applikation auf das innere geistliche Leben. In dieser Auslegungsstufe ist das Zielobjekt der Allegorie nicht mehr Christus, sondern die mens, d. h. die geistig personale Mitte des Menschen, die mittels der übertragenen Bedeutung des Schrifttextes porträtiert wird. Thomas von Aquin (der diese ältere Auslegungstradition des Hiob nicht grundsätzlich kritisieren will) erblickte dagegen in dem Buch eine breit angelegte Erörterung über das Problem der göttlichen Vorsehung, welche er bei gewissen nicht-christlichen Philosophen geleugnet und missinterpretiert findet (Chardonnens, L’homme sous le regard de la providence). Der Vorsehungsglaube wird ja angesichts ungerechten Leidens in der Welt auf eine besondere Probe gestellt, da hier die Gerechtigkeit Gottes und seine Macht zu verblassen drohen. Thomas wird zu der neuen Fragestellung in der Hiobauslegung als eines Problems des Providenzglaubens durch den jüdischen Philosophen und Schriftgelehrten Moses Maimonides angeregt, der in seinem Führer der Unschlüssigen das Buch Hiob als eine Parabel betrachtet, welche fünf verschiedene Providenzlehren vorstellt. Maimonides, der seine aristotelische Weltanschauung mit dem jüdischen Gesetz zu vereinbaren versucht, favorisiert dabei eine Vorsehungslehre, nach welcher sich Gottes Vorsorge nur auf die geistigen Wesen, nicht aber auf die sublunare, körperliche Welt erstrecke. Der Leib des Menschen hat daher nur in dem Maß an der vorhersehenden Sorge Gottes teil, in welchem der Verstand für ihn Vorsorge trifft. Hiob habe dies erst durch die Gottesrede am Ende des Buches verstanden. In dieser Auslegung des Maimonides sieht Thomas die Allmacht Gottes missdeutet und verkannt, da sich nach christlicher Lehre Macht und Vorsehung Gottes sehr wohl bis auf die unbelebte Materie, das kleinste Sandkorn erstreckte. Ohne sich im Einzelnen auf eine polemische Auseinandersetzung mit den heidnischen Naturphilosophen oder mit Maimonides einzulassen, hebt Thomas über den gesamten Kommentar hinweg immer wieder den Sinn von Naturereignissen und Besonderheiten in der Pflanzen- und Tierwelt hervor, wie sie die Hiobdichtung in reicher poetischer Fülle ausbreitet. In allen diesen Phänomenen zeige sich die schaffende, ordnende und lenkende Hand Gottes. Göttliche Providenz meint für Thomas aber nicht nur Bewahrung der materiellen Welt, sondern vor allem Gottes Fürsorge und Führung für den Menschen, dessen Lebensziel darin besteht, zur Erkenntnis, Freundschaft und Vereinigung mit Gott zu gelangen. Auf diesem Lebensweg gibt Gott dem Menschen auch Mittel an die Hand (Verstand, Gesetz, Gnade), so dass dieser das Ziel nicht nur erkennt, sondern sich auch auf Hilfen stützen darf, um nicht vom Weg abzukommen. Auch der Satan hat in diesem Szenario seinen Platz: er ist der Versucher, der den Menschen aus der Bahn zu werfen versucht und gegen den der Kampf in diesem Leben zu führen ist. Hiob,
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der Aufrichtige und Gerechte, widersetzt sich nicht nur den Versuchungen durch den Satan, er erweist sich in seinen Reden auch als der weise Theologe, der die Gesetze von Gottes Vorsehung erkennt und das Ziel des Menschen, nämlich Auferstehung und ewiges Leben bei Gott, prophetisch vorhersieht. In dieser Schau und dem Wissen, dass der Lohn Gottes ein eschatologisches und kein diesseitiges Gut ist, erweist sich Hiob seinen gegen ihn argumentierenden Freunden über legen, die unter allen Umständen die altjüdische Vergeltungslehre verteidigen wollen und Hiobs Leiden auf eine vorangegangene Sünde seinerseits oder seiner Familie zurückführen. Hiobs bessere Einsicht bewahrt ihn freilich nicht davor, gegen Gott aufzubegehren. Anders als Gregor der Große, der in Hiob ein Vorbild an Heiligkeit und Tugend erblickt, für welches sich Gott ein für allemal verbürgt hat, tadelt Thomas den biblischen Dulder, weil er seine Zunge nicht unter Kontrolle gehabt und gegen Gott gemurrt habe. Die Verfluchung seiner Geburt (Hiob 3) sei aber angesichts des heftigen Schmerzes, der ihn traf, nur als lässliche Sünde zu bewerten, denn Hiob habe den Fluch nicht bei klarem Verstand ge äußert, sondern als er von Leid und Emotionen überwältigt gewesen sei. Den göttlichen Lohn habe sich Hiob dadurch dennoch nicht verwirkt, da er am Ende bereut und die Größe Gottes anerkannt habe. Die Providenzthematik ist seit jener Beschäftigung mit Hiob eine feste Konstante, ja geradezu ein Interpretament der theologisch-teleologischen Gesamtschau des Thomas. Bis in sein Spätwerk erblickt er in der Providenzlehre ein Zentrum des christlichen Glaubens, da der Weg des menschlichen Lebens von der vorausschauenden Fürsorge Gottes geleitet ist und der Sinn des Daseins auf Gott als das höchste und höchst liebenswerte Gut hinzielt. Zeitgleich mit dem Hiobkommentar arbeitet Thomas an dem dritten Buch der Summa contra gentiles, worin ebenfalls die göttliche Providenz mit allen ihren Verzweigungen und Nebenthemen abgehandelt ist. Beide Schriften erhellen sich gegenseitig, wobei die Ausführungen in der Summa contra gentiles freilich umfangreicher, systematischer und konziser sind als in der Expositio super Iob. Noch in der Summa Theologiae trägt Thomas den Gedanken vor, dass der gesamte christliche Glaube im Grunde auf die zwei fundamentalen Glaubensartikel zurückgeführt werden kann, die Schöpfung und die göttliche Vorsehung (STh II-II, q. 1, a. 7). 7.5. Der Kommentar zu den Paulusbriefen
Thomas hat während seiner Karriere offensichtlich mindestens zweimal über die Paulusbriefe gelesen, zumindest legt dies der textliche und handschriftliche Befund nahe. Allerdings lässt sich nicht mit letzter Gewissheit sagen, wann Thomas diese Vorlesungen gehalten hat und ob er die zweite Vorlesung bis zum Ende geführt hat. In der handschriftlichen Überlieferung heben sich nur Röm und 1 Kor (bis c. 10) als überarbeitete Fassung ab (Bataillon, La diffusione manoscritta). In jedem Fall betrachtet Thomas die Briefe des Apostels (inklusive Past und Hebr) als ein einziges zusammenhängendes biblisches Buch, das es auch als Ganzes aus-
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zulegen gilt. Davon zeugt vor allem der Prolog zum Römerbrief, der der gesamten Auslegung als Hauptprolog und Übersicht vorangestellt ist. Thomas benennt darin als die materia (»Thema«) der Paulinen die Gnade. Er versteht dies nicht nur im Sinne eines paulinischen Leitmotivs, sondern so, dass Paulus mit jedem einzelnen Brief einen besonderen Aspekt der Gnade verdeutlichen möchte, und zwar unter einem dreifachen Gesichtspunkt: Zuerst findet sich die Gnade im Haupt des Leibes, welches Christus ist (Hebr). Danach kommt den Vorstehern im Leibe Christi eine besondere Gnade zu (Past). Und schließlich erstreckt sich die Gnade in den gesamten mystischen Leib Christi (alle übrigen, insbesondere die an die Heidenchristen adressierten Briefe). Nachdem Thomas das paulinische Briefcorpus so hinsichtlich seiner Adressaten unterschieden hat, fügt er eine weitere inhaltliche Differenzierung hinzu: Zunächst wird die Gnade »in sich« betrachtet (Röm); danach geht es um die sakramentale Gnade (1 und 2 Kor), sowie um die »überflüssigen« alttestamentlichen Sakramente (Gal). Danach kommt die Gnade als einheitsstiftende göttliche Wirklichkeit in den Blick, wie sie durch die Kirche hervorgebracht wird (Eph, Phil, Kol, 1 und 2 Thess). Über die Vorsteher der Kirche handeln schließlich Past (geistliche Vorsteher) und Phlm (weltliche Vorsteher). Den modernen Leser und Exegeten mag diese Systematisierung des paulinischen Briefcorpus befremden, sie verdeutlicht aber, dass Thomas die Paulinen unter einer spezifisch ekklesialen Perspektive von Gnade liest, die von der alten Idee des mystischen Leibes getragen ist. Auch in anderen Werken des Aquinaten erweist sich das corpus mysticum als die dominierende Sicht von Kirche, welche von der inneren Verbindung mit ihrem Haupt Christus lebt und sich daraus konstituiert. Eine Erörterung des mystischen Leibes begegnet zwar auch in der Summa Theologiae, doch hat die Darstellung in den Pauluskommentaren den Vorzug, dass die einzelnen Elemente jener Ekklesiologie aus einem engen Schriftbezug gewonnen werden; die daraus resultierende biblische Sicht von Kirche ergänzt daher die dogmatischen Aussagen über die Kirche in den Summen und systematischen Werken des Thomas. Thomas widmet in seiner Paulusauslegung auch dem Autor, der Gestalt des Apostels Paulus, einige bemerkenswerte Gedanken (Pesch, Paul as Professor of Theology). Als Lehrer und Apostel ist er selbst ein wichtiges Glied im Leib der Kirche. Thomas trennt ihn dabei nicht von den anderen Aposteln, mit denen zusammen er das Fundament der Kirche bildet. Dem Briefautor, Theologen und Vorsteher der Gemeinden bringt Thomas eine besondere Sympathie entgegen und porträtiert ihn als das vas electionis (»erwählte Gefäß«), in dem die Gegenwart des Geistes und die Auswirkung der Gnade in besonderer Weise zusammenfließen. Paulus ist der Prototyp des doctor (»Lehrer«), der die tiefen Einsichten in das Gesetz Gottes geduldig und in dem Maß, wie es seine Zuhörer verdauen können, weitergibt. Die Kirche, die Thomas in seiner Paulinenauslegung entwirft, ist somit alles andere als ein theoretisches Konstrukt, sondern atmet die Unmittelbarkeit der urkirchlichen Verkündigung. Dazu gehört die Heiligkeit der Vorsteher und Apostel ebenso wie die Unzulänglichkeiten der Gläubigen, die es in der
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Predigt zu erziehen gilt. In dieser Zuordnung hat Thomas auch seine Aufgabe und gewiss auch seine eigene Vorstellung von Kirchenreform gesehen. 7.6. Die Kommentare zum Matthäus- und zum Johannesevangelium
Legt man die grobe Einteilung des biblischen Kanons zugrunde, die Thomas als junger Theologe bereits zu Beginn seines Sentenzenkommentars skizziert, so darf man mit Recht davon ausgehen, dass er jenen biblischen Büchern, die sich eines vorrangig »argumentativen« Stils bedienen, mit größerem Interesse begegnet als jenen, die sich anderer literarischer Stile befleißigen, wie etwa die historischen oder narrativen Bücher der Bibel. Zu den »argumentativen« Büchern, und damit zu den eigentlich »theologischen« Schriften, rechnet er vor allem die Briefe des Apostels Paulus und das Hiobbuch, zwei Bücher, die Thomas mit originellen Auslegungen versehen hat. Neben den »argumentativen« Büchern der Bibel heben sich aber gerade auch die Evangelien als bevorzugte Texte der thomasischen Exegese ab, woraus man schließen darf, dass Thomas der Christologie eine zentrale Stellung innerhalb seiner Theologie einräumt. Die Catena aurea bildet hierzu eine nicht zu unterschätzende Vorarbeit, von welcher Thomas zeitlebens zehrt. Daneben verfasst er wichtige Kommentare sowohl zu Mt (stellvertretend für die Synoptiker) als auch zu Joh. Thomas wählt diese beiden Evangelien mit Bedacht, erblickt er in Mt doch vor allem das Geheimnis der Menschheit Christi entfaltet, in Joh dagegen das Geheimnis seiner Gottheit. Beide Kommentare datieren aus der späteren Schaffensperiode des Thomas, nämlich aus der Zeit des zweiten Pariser Lehraufenthaltes. Die Auslegung zu Mt kann mit einiger Sicherheit in das Schuljahr 1269/70 datiert werden, der Kommentar zu Joh ist wohl zwischen 1270 und 1272 entstanden. Für beide Abhandlungen greift Thomas auf seine Catena aurea zurück, doch nur der Johanneskommentar ist in einer vom Meister selbst autorisierten Mitschrift veröffentlicht worden, während die reportationes (»Mitschriften«) des Matthäuskommentars erhebliche Lücken, gerade in der Auslegung der Bergpredigt, aufweisen. (Ein vollständiger Text fand sich erst vor etwa 50 Jahren in einer Basler Handschrift; diese harrt aber immer noch der Edition.) Die Entscheidung, mit der Vorlesung über Mt vor allem das Geheimnis der Menschheit Christi zu lehren, hat Thomas auch vor dem Hintergrund der in jenen Jahren neu entfachten Auseinandersetzungen an der Pariser Universität um die Rechte, Ansprüche und Spiritualität der Mendikanten getroffen. Vertreter der Professoren aus dem Weltklerus um Gerhard von Abbeville haben in jenen Jahren ihre Attacken auf die Bettelorden, deren Verständnis von Armut und deren Rekrutierung von Novizen erneuert. Thomas sieht sich daher – neben der Abwehr averroistischer Einsprüche – gezwungen, auch das Armutsideal seines Ordens zu verteidigen, das sich an der Nachfolge Christi orientiert, wie sie sich aus der wörtlichen Auslegung der synoptischen Evangelien nahelegt. Dabei setzt Thomas den Akzent nicht wie die Franziskaner auf die unbedingte, absolute und höchste Armut, sondern auf die Nachahmung Christi als Lehrer und Prediger. Für den Aqui-
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naten erweist sich Christus wegen der großen Redekompositionen in Mt vor allem als Lehrer. Entsprechend rückt Thomas den Lehrer, die Lehre und das Lehren in den Mittelpunkt seiner Matthäusauslegung (Horst, Evangelische Armut und Kirche, 77–81). Diese thematischen Oberbegriffe legen daher die Struktur des Evangeliums und des Kommentars fest: Die Lehre selbst, identifiziert in der Bergpredigt (c. 5–7), bildet den programmatischen Beginn des Evangeliums, während die Wunder in den beiden folgenden Kapiteln als confirmatio doctrinae (»Bekräftigung der Lehre«) dienen. In der Aussendungsrede (Mt 10) stellt Thomas die magistri doctrinae (»Lehrer der Lehre«) vor, welche wiederum in den folgenden Kapiteln die potentia doctrinae (»Macht der Lehre«) erfahren und demonstrieren. Die sechs letzten Kapitel, Endzeitreden, Leidensbericht und Auferstehung, subsumiert Thomas unter dem Motto des finis doctrinae (»Zwecks und Ziels der Lehre«). Dazwischen ragt allerdings als ein dramatischer Höhepunkt die Verklärung (Mt 17) hervor, die Christus gleichsam als den göttlich legitimierten, von Mose und Elia bestätigten, höchsten Lehrer der gesamten Heilsgeschichte demonstriert. Die Festlegung auf Jesus, den Lehrer, ergibt sich für Thomas perfekt aus dem Selbstverständnis der Dominikaner als Predigerorden in der Nachfolge des gött lichen Meisters. Nur kurze Zeit später, in den christologischen Quästionen der Tertia Pars der Summa Theologiae, versieht Thomas das Erdenleben Jesu unübersehbar mit eben jenen Merkmalen, die auch die dominikanische Sendung und das Ordensideal der Predigerbrüder charakterisieren. Christus kam nämlich nicht nur in die Welt, um am Kreuz zu sterben oder um in seiner Person göttliche und menschliche Natur zu vereinen, sondern auch, um unter den Menschen lehrend und heilend zu wirken. Um für diese Aufgabe bestens gerüstet zu sein, wählte Jesus ein Leben in Armut, in der Gemeinschaft der Jünger, nicht in monastischer Weltflucht, sondern den Kontakt mit den Menschen suchend und sein Leben auf der Erde als eine einzige Unterweisung der Menschen in Wort und Tat führend. Der Jesus, den Thomas seinen Studenten im Matthäuskommentar zeichnet, trägt ebenso unverkennbar den Habit eines Dominikaners. Die schriftliche Form des Johanneskommentars verdanken wir dem langjährigen Sekretär des Thomas, Reginald von Piperno, der seine eigene Vorlesungsmitschrift auf Bitten einiger Mitbrüder und des Propstes von St. Omer, Adenulf von Anagni, publikationsreif ausgearbeitet hat. Angesichts seines hohen Arbeitspensums gerade in den letzten Schaffensjahren hält es die heutige Thomasforschung für eher unwahrscheinlich, dass Thomas die Zeit für eine eigenhändige Revision aufgebracht habe. Er hat darin ohne Zögern den Fähigkeiten seines Sekretärs vertraut, der sich dazu in umfangreicher Weise der Catena aurea bedient hat. Einen Höhepunkt der Theologie der Gottheit Christi bildet ja bereits der Johannesprolog, dem Thomas trotz des durch die Vorlesungseinheit bedingten knappen Umfangs eine bemerkenswerte Auslegung widmet. Der Bedeutung des Logos als Wort nähert er sich mit einigen philosophischen Überlegungen an, die auch die augustinische Ausrichtung des thomasischen Denkens kundtun. Das ›Wort‹ ist Ausdruck und Abbild des menschlichen Verstandes und der im Verstand erkann-
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ten Ideen. Folglich beschreibt der Begriff des Logos sowohl die potentia operativa (»tätige Wirkmächtigkeit«) des Sohnes als auch seine inwendige Existenz im Vater. Thomas stellt ferner eine scharfsinnige Untersuchung über das Tempus des Verbs im ersten Vers (erat – »war«) an, worin er die Vor- und Nachteile der jeweiligen Interpretation durchexerziert, um zu dem Schluss zu gelangen, dass mit dem hier gebrauchten Imperfekt die Ewigkeit Gottes am besten ausgedrückt ist. Jedoch führe der Johannesprolog mit seinen wuchtigen Begriffen »Wort«, »Logos«, »Anfang«, »Prinzip« etc. nur vor Augen, dass die menschliche Sprache beim Geheimnis Gottes an ihre Grenzen stößt und daher auf Bilder – als solche wertet er die genannten Begriffe – angewiesen ist, um das Geheimnis der Hervorgänge in Gott annähernd zu umschreiben. Jedes Bild vermag zwar einen oder mehrere Aspekte zu verdeutlichen, zieht aber gleichzeitig eine Einengung der Wesensaussage nach sich. Daher muss der Theologe aus einer Vielzahl von Bildern und Analogien eine Vorstellung der göttlichen Erkenntnis konstruieren, denn es gibt keinen einzelnen Begriff, der dies zu leisten vermag. Gleichwohl darf der Theologe es nicht bei der Aufzählung der Ähnlichkeiten belassen, sondern muss auch auf die immer größere Unähnlichkeit hinweisen, um das trinitarische und christologische Dogma und damit auch die Schrift richtig auszulegen. Neben den Überlegungen zum christologischen Dogma formuliert Thomas in seinem Johanneskommentar auch einige bemerkenswerte Ausführungen über den Heiligen Geist (vgl. Joh 3; Parakletsprüche). Damit entwirft er eine Trinitätstheologie, die über die Erläuterung der dogmatischen Begrifflichkeit hinaus eine unerwartet reiche und innerliche Geistspiritualität entfaltet, in der sich die Glaubenden inmitten des liebenden und dynamisch aufeinander antwortenden Austausches innerhalb der drei Personen Vater, Sohn und Geist umfangen erfahren. Auch in dieser Hinsicht gilt, dass der Kommentar dank der Vorgabe des biblischen Textes Zusammenhänge aufzuzeigen und Akzentuierungen zu setzen vermag, die in dieser variantenreichen Weise in den Summen kaum erreicht werden. Die thomasischen Schriftkommentare erweisen sich somit als eine die systematische Lehrdarstellung und Erörterung bereichernde Gattung thomasischer Texte, in der Thomas als biblisch orientierter und zutiefst vom Schriftwort inspirierter Theologe begegnet, dem es als Lehrer stets darum ging, die Glaubenswahrheit in ihrer biblisch dokumentierten Mannigfaltigkeit zu verstehen und den Hörern nach dem Maß ihrer Auffassungs- und Vorstellungsgabe zu vermitteln. Aillet, Marc: Lire la Bible avec S. Thomas. Le passage de la ›littera‹ à la ›res‹ dans la Somme théologique (SF n.s. 80), Fribourg 1993. Dauphinais, Michael/Levering, Matthew (Hg.): Reading John with St. Thomas Aquinas. Theological Exegesis and Speculative Theology, Washington D.C. 2005. Reyero, Maximino Arias: Thomas von Aquin als Exeget. Die Prinzipien seiner Schriftdeutung und seine Lehre von den Schriftsinnen (SlgHor N.F. 3), Einsiedeln 1971. Ryan, Thomas F.: Thomas Aquinas as Reader of the Psalms (SSpT 6), Notre Dame 2000. Weinandy, Thomas G./Keating, Daniel A./Yocum, John P. (Hg.): Aquinas on Scripture. An Introduction to his Biblical Commentaries, London/New York 2005. Thomas Prügl
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8. De rationibus fidei Vor dem Hintergrund der Missionsanstrengungen der Bettelorden zu Beginn des 13. Jahrhunderts (Altaner, Dominikanermission; Hagemann, Christentum und Islam) hat Thomas von Aquin die Schrift De rationibus fidei verfasst, in der er in kritischer Auseinandersetzung mit dem Islam – sowie im Blick auf die Lehre vom Fegefeuer auch mit den Griechen und Armeniern – zentrale Inhalte des christlichen Glaubens entfaltet hat. Dazu veranlasst wurde er durch die Anfrage eines nicht näher bekannten »Cantor« aus Antiochia, das 1268 von den Mameluken erobert wurde. Die Schrift des Thomas von Aquin stellt eine prägnante Zusammenfassung seiner Summa contra gentiles dar, auf die er sich auch an einigen Stellen direkt bezieht (Scg. c. 1; Ed. Leonina 40, B 57, 58–64; c. 7; Ed. Leonina 40, B 66, 29–31; c. 10; Ed. Leonina 40, B 73, 110–112). Daraus ergibt sich, dass De rationibus fidei nach 1264 verfasst worden ist, als Thomas die Summa contra gentiles abgeschlossen hatte. Die Schrift gliedert sich in zehn Kapitel, in denen die dogmatischen Differenzen zum Islam von der Christologie bis zur Prädestina tionslehre dargelegt werden. Bei der Behandlung der muslimischen Positionen zeigt sich, dass Thomas hier allgemeine Sichtweisen wiedergibt, wie sie zu seiner Zeit im christlichen Abendland vertreten wurden. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass er sich selbst mit dem Koran beschäftigt haben könnte, der damals in einer lateinischen Übersetzung vorlag, die von Petrus Venerabilis initiiert worden war (Hagemann/Glei, Einleitung, 38). Schon der Ausgangspunkt, den der Aquinat in De rationibus fidei wählt, ist programmatisch für seine Vorgehensweise. An den Anfang stellt er ein Zitat aus dem Ersten Petrusbrief: »Haltet den Herrn Christus heilig in euren Herzen, seid immer bereit zur Verantwortung jedem gegenüber, der von euch Rechenschaft fordert über das, was an Hoffnung und Glauben in euch ist« (1 Petr 3,15). Von daher bemüht sich Thomas aus einem apologetischen Interesse heraus aufzuzeigen, wie er sich die »Verantwortung« des christlichen Glaubens gegenüber dem Islam vorstellt. Dabei fokussiert er den Glauben auf das Bekenntnis zur Trinität und das verbum crucis (»Wort des Kreuzes«; De rat. c. 1; Ed. Leonina 40, B 57, 15–20), während er die Hoffnung zum einen als die Erwartung dessen bestimmt, was nach dem Tod kommt, und zum anderen auf die Hilfe Gottes ausrichtet, die den Menschen in seinem Bestreben unterstützt, sich seine zukünftige Glückseligkeit durch Werke des freien Willens zu erwerben (a. a. O., 20–24). In diesen knappen Darlegungen kommt die Grundstruktur der Gnaden- und Tugendtheologie zur Geltung, wie sie Thomas dann in der Secunda Pars seiner Summa Theologiae entfaltet hat. Diese theologischen Koordinaten bilden im Folgenden den Bezugsrahmen für die Auseinandersetzung mit den Positionen der Muslime sowie der Griechen und Armenier. Für eine Apologetik im Sinne des Aquinaten ist es zwecklos, einfach nur Autoritäten anzuführen, die von der Gegenseite nicht anerkannt werden, vielmehr gilt es, eine gemeinsame Basis für den kritischen Dialog zu suchen und sich deshalb
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auf moralische und philosophische Argumente zu beschränken. Ausdrücklich abgewiesen wird auch der Versuch, den Glauben beweisen zu wollen, denn das entspreche nicht der Erhabenheit des Glaubens, dessen Wahrheit den menschlichen Geist übersteige (De rat. c. 2; Ed. Leonina 40, B 58, 1–15). Umgekehrt könne der christliche Glaube aber auch nicht widerlegt werden, weil das, woran Christen glauben, von Gott selbst offenbart sei und somit aus der höchsten Wahrheit hervorgehe. Es kann deshalb nach Thomas nicht darum gehen, die Rationalität des Gegenstandes respektive Grundes christlichen Glaubens unter Beweis zu stellen, sondern es soll die Plausibilität des Glaubens aufgezeigt werden. Der Aquinat bewegt sich hier ganz auf der Linie seiner methodologischen Reflexionen, die er in seinem Kommentar zu Boethius und in den ersten Kapiteln der Summa contra gentiles dargelegt hat. Nachdem Thomas in den ersten beiden Kapiteln seiner Schrift den Rahmen für seine Argumentation abgesteckt hat, wendet er sich im dritten Kapitel der Frage zu, wie verständlich gemacht werden kann, dass Christus Gottes Sohn ist. Ausgehend von der Beobachtung, dass es in der Natur unterschiedliche Formen der Zeugung gibt, konstatiert Thomas zunächst, dass die Zeugung des Gottessohnes als ein rein geistiges Geschehen aufzufassen ist. Gemäß dem Grundsatz, dass der Mensch über Gott nur so sprechen kann, wie es der similitudo (»Ähnlichkeit«) dessen entspricht, was er in seinem Verstand vorfindet, erläutert Thomas sodann das Hervorgehen des Sohnes aus dem Vater in Analogie zu der Bildung eines Gedankens als dem inneren verbum intellectus (»Wort des Verstandes«), dem ein bezeichnender Laut als verbum exterius (»äußeres Wort«) entspricht (De rat. c. 3; Ed. Leonina 40, B 58 f., 19–106). Anschließend markiert Thomas die entscheidende Differenz zwischen menschlichen Worten und dem Sohn Gottes als dem einen, vollkommenen und einfachen »Wort Gottes«, insofern der Sohn in der göttlichen Natur subsistiert, d. h. nicht als deren Akzidenz anzusehen ist, und die Zeugung hier nicht als ein Prozess in einem zeitlichen Nacheinander vorgestellt werden darf, sondern ein ewiges Geschehen bezeichnet (De rat. c. 3; Ed. Leonina 40, B 59, 107–129). Im vierten Kapitel befasst sich Thomas mit der Pneumatologie und der Trinitätslehre. Zunächst stellt er den Grundsatz auf, quod omnem cognitionem sequitur aliquid appetitiva operatio (»dass jedem Erkennen eine strebende Tätigkeit folgt«) und die Liebe als das »Prinzip« aller strebenden Tätigkeiten anzusehen ist (De rat. c. 4; Ed. Leonina 40, B 59, 3–6). Die vollkommene Liebe, die aus Gott hervorgeht, identifiziert Thomas mit dem Heiligen Geist und lässt diesen zugleich aus dem Sohn hervorgehen, weil die vernunftgemäße und heilige Liebe nur aus dem Wort entstehen kann. In Anknüpfung an die traditionelle Redeweise von den drei Personen bzw. Hypostasen entkräftet Thomas den Vorwurf des Tritheismus, indem er darlegt, dass sich die göttlichen Personen nicht nach ihrer Wesenheit unterscheiden, sondern allein nach ihren Relationen. Im fünften und sechsten Kapitel thematisiert der Aquinate die Menschwerdung Gottes, um so gegen die islamische Leugnung des Kreuzestodes Christi dessen Heilsbedeutung aufzuzeigen. Die Menschwerdung des Gottessohnes ist für
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Thomas ein Akt der Güte Gottes, wodurch die gefallene Natur des Menschen »repariert« wird (De rat. c. 5; Ed. Leonina 40, B 61, 62–65). Dabei wird der lapsus des Menschen auf die »Verkehrtheit« seines Willens und daraus resultierende Verfehlungen seines Handelns zurückgeführt, während das eigentliche Sein des Menschen, seine Vernunftbegabung, davon unberührt bleibt (De rat. c. 5; Ed. Leonina 40, B 61, 44–65). Weil es aber die besondere Qualität der menschlichen Natur erfordert, dass er nicht mit Zwang, sed per propriam voluntatem (»sondern durch seinen eigenen Willen«) wieder in den rechten Status gelangt, bedurfte es der richtigen Ausrichtung seines Willens durch die Liebe Gottes, deren Größe sich daran zeigt, ut idem esset Deus et homo (»dass Gott und Mensch eins wurden« – De rat. c. 5; Ed. Leonina 40, B 62, 101–105). Zugleich ist dem Menschen damit Hoffnung gegeben, dass er an der vollkommenen Glückseligkeit partizipieren kann. Von diesen grundlegenden Ausführungen zur theologischen Anthropologie und Soteriologie aus geht Thomas über zur Erläuterung der unio hypos tatica im Mensch gewordenen Gottessohn, indem er in Analogie zur Einheit von Seele und Leib des Menschen die Plausibilität des christlichen Dogmas von den zwei Naturen Christi darlegt. Damit steht dann auch der argumentative Rahmen bereit, um im siebten Kapitel das Leiden und Sterben des Gottessohnes zu thematisieren, dessen conventia (»Angemessenheit«) demjenigen, der es pia intentione consideret (»mit einer frommen Intention betrachtet«), unmittelbar einleuchtet und die Thomas nun den Dei cultores (»Verehrern Gottes«), zu denen er Christen wie Muslime und Juden zählt, aufschlüsseln möchte (De rat. c. 7; Ed. Leonina 40, B 66, 26–41). Während die Passion Christi als ein Leiden gemäß seiner menschlichen Natur zu verstehen ist, liegt der Sinn des Kreuzestodes für Thomas darin, dass Christus gestorben ist, ne propter mortis timorem aliquis veritatem desereret (»damit niemand aus Furcht vor dem Tod die Wahrheit preisgebe« – De rat. c. 7; Ed. Leonina 40, B 66, 65–67). Die Menschen sollen durch dieses Vorbild zur Tugend ermutigt werden und gegen alle Versuchungen, hochmütig sich selbst zu vertrauen oder nach irdischen Annehmlichkeiten zu trachten, ihr Vertrauen auf Gott richten und dafür nicht nur Schmähungen erdulden, sondern sogar den Tod auf sich nehmen. Neben dem Vorbildcharakter ergibt sich die Heilsbedeutung des Kreuzestodes Christi für Thomas auch noch dadurch, dass nach dem ordo iustitiae (»der Ordnung der Gerechtigkeit«) für eine Sünde eine Strafe auferlegt werden muss (De rat. c. 7; Ed. Leonina 40, B 67, 158–160). Thomas bedient sich hier der Satisfaktionslehre, wonach der Sohn Gottes für die Sünden der Menschen sterben musste, weil diese allein aus sich heraus Gott nicht hinreichend Genugtuung leisten konnten. Im achten Kapitel schließen sich Überlegungen zum Verständnis des Abendmahls an, die vor allem die Auffassung der Wandlung von Brot und Wein betreffen und sich gegen die Vorstellung wenden, der Leib Christi werde geteilt und ihm werde durch den Verzehr etwas von seiner Größe genommen. Mit Blick auf die eigentliche Intention seiner Schrift, die Auseinandersetzung mit dem Islam, beschränkt sich Thomas an diesem Punkt darauf, mit der Allmacht Gottes zu ar-
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gumentieren, die er auf der Seite der Muslime voraussetzt, während er es im Sinne der Arkandisziplin für nicht statthaft hält, weiter in die Mysterien dieses Sakramentes einzudringen, quia infidelibus secreta fidei pandi non debent (»weil die Geheimnisse des Glaubens nicht vor Ungläubigen ausgebreitet werden dürfen« – De rat. c. 8; Ed. Leonina 40, B 69, 66–68). Das neunte Kapitel bildet eine Besonderheit, insofern es auf die dogmatischen Differenzen zwischen der lateinischen Kirche und der griechischen sowie armenischen Christenheit in Bezug auf die Vorstellung von einem Fegefeuer eingeht. Im systematischen Duktus der bisherigen Darlegungen schließt sich damit ein Thema der Eschatologie an, das für die Auseinandersetzung mit dem Islam nicht unmittelbar relevant war, aber nach Auffassung des Aquinaten für den Adressaten seiner Schrift angesichts der geographischen Nähe der Griechen und Armenier wichtig sein konnte. Dabei charakterisiert Thomas die Auffassung der lateinischen Kirche so, dass sie hier inter errores contrarios media cauto passu incedit (»umsichtig den Mittelweg zwischen konträren Irrtümern beschreitet« – De rat. c. 9; Ed. Leonina 40, B 69, 21 f.), und begründet sie mit einer Fülle von biblischen Belegen. Im zehnten und letzten Kapitel erörtert Thomas abschließend, wie sich die Prädestination Gottes zur Freiheit des Menschen verhält, und vertieft damit noch einmal einen zentralen Aspekt der theologischen Anthropologie, ohne darüber informiert zu sein, dass innerhalb der islamischen Theologie umstritten war, ob die Vorherbestimmung Gottes oder die Willensfreiheit des Menschen stärker zu betonen sei (Hagemann/Glei, Einleitung, 46 f.). Nach dem ihm vorliegenden Bericht grenzt sich Thomas allein gegen einen strikten Determinismus ab und unterstreicht demgegenüber die soteriologische Relevanz des freien Willens und der verdienstvollen Werke des Menschen, die daraus hervorgehen. Die Schrift De rationibus fidei hat eine große Wirkung gezeitigt, was sich an der Anzahl von Handschriften und – ab dem 15. Jahrhundert – auch Drucken ablesen lässt. Eine griechische Übersetzung von Demetrios Kydones, der auch die Summa Theologiae und die Summa contra gentiles übersetzt hat, sorgte für die Verbreitung der Schrift im byzantinischen Raum (Dondaine, Préface, B 7). Grabmann, Martin: Die Schrift De rationibus fidei contra Saracenos, Graecos et Armenos ad Cantorem Antiochenum des heiligen Thomas von Aquin, in: Schol. 17 (1942), 187–216. Hagemann, Ludwig: Christentum und Islam zwischen Konfrontation und Begegnung (Studien 4), Altenberge 1983. Hagemann, Ludwig/Glei, Reinhold: Einleitung, in: Thomas von Aquin: De rationibus fidei. Kommentierte lateinisch-deutsche Textausgabe (CIsC.L 2), Altenberge 1987, 9–55. Michael Basse
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9. Aristoteleskommentare Die Vermittlung des Wissens geschieht im Mittelalter im Allgemeinen anhand von Lehrbüchern. Die aristotelischen Pragmatien haben sich der Form nach ebenfalls für die Verwendung in der Lehre angeboten, doch waren die Kontroversen um die aristotelische Philosophie gewaltig, auch wenn 1255 der Status dieser Werke als Lehrbücher erreicht war. Es schienen sich die Geister zu scheiden zwischen denjenigen, welche die Statur und das Gewicht der aristotelischen Philosophie erkannten, und denjenigen, die vor allem die inhaltlichen Gegensätze zur christlichen Lehre vor Augen hatten. Nachdem Verbote der öffentlichen Lehre über die Bücher des Aristoteles nicht wirklich erfolgreich waren, haben es einzelne unternommen, Aristoteles zu kommentieren (Richardus Rufus, Roger Bacon, Albertus Magnus). Die Rezeption der aristotelischen Schriften ging einher mit einer Rezeption von Schriften aus der arabischen Philosophie, die einem ebenfalls respektablen Stadium der Aristoteles-Zuwendung entstammten. Thomas von Aquin hat erst etwa Ende 1267 damit begonnen, aristotelische Schriften zu kommentieren. Das Kommentarwerk ist also eine in sechs Jahren erbrachte Leistung (über 1,1 Mio. Wörter). Während Albertus Magnus sein Unternehmen der Kommentierung als eines der Vermittlung zur lateinischen Tradition deklariert, sagt Thomas zu seiner Intention nichts. Sie muss aber doch von beträcht licher Motivationskraft gewesen sein, denn dieses Projekt hat in seinen letzten Lebensjahren einen ganz wesentlichen Teil seiner Arbeit in Anspruch genommen (immerhin hat selbst Albert während der Phase seiner Aristoteles-Kommentierung keine systematischen theologischen Werke verfasst). Wie vielen aristotelischen Texten sich Thomas insgesamt mit einem Kommentar hätte zuwenden wollen, lässt sich durch nichts erschließen. Die arabischen Kommentare werden herangezogen, doch wird die Auslegung oder Thetik des Averroes teilweise scharf zurückgewiesen. Dies könnte für die Intention sprechen, eine Rettung des Aristotelismus unternehmen zu wollen, ohne in den Sog des Averroismus zu geraten. Da Thomas keine lange Lebensspanne mehr beschieden war, hat er nurmehr zwölf Schriften kommentiert, dies aber in teilweise umfangreichen Werken; fünf davon sind unvollendet geblieben: Periherm. (bis II, 2); In Anal. post.; In Phys.; De caelo et mundo (bis III, 8); De gen. et corr. (bis I, 17); Meteor. (bis II, 10); De anima; De sensu; De mem.; In Eth.; Pol. (bis III, 6); In Met. (I–XII). Es ist immer wieder diskutiert worden, ob diese Kommentare aus dem Unterricht an den Ordenshochschulen bzw. der Universität hervorgegangen sind. Es handelt sich anders als bei den unüberschaubar vielen aus der artes-Fakultät hervorgegangenen Kommentaren wohl um gelehrte Arbeiten des Thomas, die gegenüber anders gearteten und anders urteilenden Aristoteles-Interpretationen eine Alternative bieten sollten. Die Kommentare haben im Mittelalter große Beachtung gefunden und gehören als einzige zu denen, die auch von modernen Auslegern verwendet werden. Am 2. Mai 1274, knapp zwei Monate nach dem Tod des Thomas, wendet sich die Pariser artes-Fakultät mit einem Nachruf an das Generalkapitel der Pre-
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digerbrüder und verbindet diesen mit der Bitte, ihr den philosophischen Nachlass des Thomas zur Verfügung zu stellen. Kommentar heißt in der Philosophie des Mittelalters nicht Erläuterung fremder Gedanken unter völliger Vernachlässigung eigener Überzeugungen. Der Kommentar ist eine Form der Aneignung. Daher finden sich immer wieder Stellen, an denen Thomas ausdrücklich sagt, unter welchen Bedingungen und Einschränkungen der vorgelegte Gedanke zustimmungsfähig ist. Immer wieder stößt man auf Passagen, in denen Thomas von Aquin Aristoteles korrigiert – zumeist geschieht dies aber eher unauffällig. Es wird dem Leser aber auch keine schrankenlose Verfremdung zugemutet. Daneben sind hierbei auch diejenigen Züge hervorzuheben, die auch aus anderen Typen der Kommentierung vertraut sind: Der Kommentator verortet das jeweilige Opus im Gesamtwerk bzw. der Systematik des Wissens – für das mittelalterliche Verständnis des Wissens kongruieren die aristotelischen Bücher mit den entsprechenden Gegenständen der Wissenschaften. Der Kommentator sucht in den kommentierten Schriften generell eine durchdachte und durchgeführte Architektonik und ist bestrebt, im Corpus der Schriften eines Autors eine umfassende Systematik sichtbar zu machen. Am Text arbeitend erläutert er Begriffe, einen auffälligen oder abweichenden Sprachgebrauch, sodann die gedanklichen Schritte. Es wird verständlich zu machen versucht, was der kommentierte Autor sagt und was er tut. Für die Erläuterung werden Stellen in anderen Werken ebenso herangezogen wie andere zugängliche Kommentare. Die zeitlich unmittelbar vorangehenden werden aber nicht namentlich erwähnt. Die Voraussetzungen waren alles andere als optimal: Die zur Verfügung stehenden Übersetzungen waren nicht leicht verständlich. Der Text wird je nach Kommentar in unterschiedlich große lectiones (»Sinnabschnitte«) gegliedert, an deren Anfang stets die divisio textus (»erschließende Gliederung«) der im Text vollzogenen Schritte steht. Thomas unterstellt wie andere Kommentatoren jeweils eine vollständig rationale und zufallsfreie Komposition der Werke. Es handelt sich bei Thomas nicht um eine Paraphrase, als die man – übrigens nicht besonders treffend – die Kommentare des Alberts rubriziert hat. (Sie haben eher im Hinblick auf die Einarbeitung zusätzlichen Materials eine Analogie zu dem, was man in der Musik eine Bearbeitung nennt.) Während Albert vornehmlich eine Erschließung im Auge hat, die aber mit historischen und systematischen Exkursen ergänzt wird, intendiert der bekannte Averroist Siger von Brabant in erster Linie eine Interpretation der aristotelischen Texte. Für Albert und Thomas ist Aristoteles »der Philosoph«, aber nicht die Wahrheit. Thomas kann sagen: Nec video quid pertineat ad doctrinam fidei, qualiter philosophi verba exponantur (»Ich sehe auch nicht, was es mit der Lehre des Glaubens zu tun hat, in welchem Sinne die Worte des Aristoteles ausgelegt werden«; De art. 43, a. 34; Ed. Leonina 42, 333). Gegen einen Interpretationshabitus, für den es ausschließlich darum geht, Aristoteles zu verstehen, formuliert Thomas – in einem Aristoteles-Kommentar! – den viel zitierten Satz: quia studium philoso-
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phiae non est ad hoc quod sciatur quid homines senserint, sed qualiter se habeat veritas rerum. (»Das Studium der Philosophie ist nicht dazu da zu wissen, was andere gedacht haben, sondern wie es sich in Wahrheit verhält«; De caelo I, 22, n. 299; Ed. Leonina 3, 91). Der immense Aufwand, den Thomas erbracht hat, um zu wissen, was Aristoteles gedacht hat, zeigt freilich, dass für diese letzte Perspektive aus dem Werk des Aristoteles etwas Konkurrenzloses zu gewinnen ist. Man kann also auch die Kommentartexte als Aussagen des Thomas zu Sachfragen (und nicht bloß zu anderen Texten) nehmen, muss aber damit rechnen, dass er hier nicht seine abschließenden Gedanken artikuliert. Eine »christliche Philosophie« zeigt sich hier nicht. Thomas weiß um die anderen Voraussetzungen des Aristoteles, auch wenn sein Bild des Philosophen als Persönlichkeit naturgemäß ganz schemenhaft ist. Dies ist für ihn aber auch nicht von Interesse. So sind Thomas’ Kommentare Werken anderer philosophischer Köpfe sehr viel verwandter als historischen oder philologischen Formen der Erschließung. Thomas selbst hat zwei verschiedene Formen der Kommentierung realisiert, die auch aus der Titelgebung zu entnehmen sind: Der Begriff Sententia meint eine eher zusammenfassende Darstellung, die darauf verzichtet, sich in alle exegetischen Details einzulassen; mit Expositio hingegen ist eine Erläuterung des Textes gemeint, welche sich auch einer kritischen Erörterung einzelner Punkte nicht entzieht (zu In Anal. post. und Periherm.). Die Beurteilung der Leistung ist kontrovers. Während manche Forscher in den Kommentaren eine christlich motivierte Verfremdung des aristotelischen Textes zu erkennen meinen, sind andere eher angetan von der Zurückhaltung des Thomas, die weitaus mehr gelten lässt, als aus dem zeitgenössischen Kontext zu erwarten gewesen wäre. Eine falsche Arbeitshypothese wäre es, lediglich mit theologisch motivierten Verschiebungen, Ergänzungen und Korrekturen zu rechnen. Solche Modifikationen können auch einem modifizierten philosophischen Gedanken entstammen. Daneben sind aber gewiss auch Differenzen in Betracht zu ziehen, die nicht aus dem Christentum, also einer anderen Überzeugung erwachsen, sondern etwa aus der Andersartigkeit der Sprachen, solchen, die sich aus dem historischen Abstand und den kulturellen Verschiebungen ergeben. Dies sind Differenzen, die dem Kommentator kaum oder gar nicht aufgefallen sein können. Gauthier hat zu Recht hervorgehoben, dass die Möglichkeit des Thomas, eine Reihe erst jüngst von Wilhelm von Moerbeke übersetzter griechischer Kommentare mit einzubeziehen, seinen Kommentaren eine besondere Stellung gibt (Ed. Leonina 45/1, 273*ff.; Ed. Leonina 45/2, 88*ff.) Die Einbeziehung von weiteren Texten und einschlägigen Kommentaren ist nicht in allen Kommentaren im gleichen Maße der Fall. Thomas diskutiert mitunter auch Interpretationen, vor allem der griechischen Kommentartradition, die er nur indirekt, insbesondere aus Averroes, gekannt hat. Wilhelm von Moerbeke hat aber nicht, wie ein mittelalterlicher Thomas-Biograph behauptet hat, auf Bitten des Thomas für ihn Übersetzungen aus dem Griechischen angefertigt; der dem Thomas vorliegende Text ist mitunter deutlich schlechter als andere Überlieferungen.
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Man kann in einem Kommentar durchaus Thesen finden, bei denen fraglich ist, ob ihnen Aristoteles tatsächlich zugestimmt hätte. Man kann aber auch Argumente finden, deren Schlussfolgerungen mit denen des Aristoteles übereinstimmen, die aber gleichwohl nicht explizit die seinen sind. Anders als wenn ein Neuplatoniker Aristoteles kommentiert, etwa um die Konvergenz von Platon und Aristoteles unter Beweis zu stellen, kann man bei Thomas wohl keine generelle Tendenz erkennen – es sei denn, die minutiöse Aneignung des Textes und seine Bewahrung vor bedenklichen Inanspruchnahmen. Noch ein Hinweis: Die folgenden Kurzübersichten können naturgemäß nur jeweils einige Punkte herausgreifen. Statt eines Durchgangs durch den gesamten Text mit kurzen Seitenblicken auf irgendwelche Auffälligkeiten werden jeweils einige wenige, aber paradigmatische Stellen herangezogen. Bei den meisten Kommentaren ist auch die Forschungsliteratur (die neueren Gesamtdarstellungen ohnehin) noch nicht über summarische Darstellungen, die punktuell auf einige Auffälligkeiten verweisen, hinausgekommen. In jedem Fall sind die ausführlichen Einleitungen zu den Editionen der Kommentare in der Editio Leonina für denjenigen, der sich über den Stand der historischen Erkenntnis informieren will, unabdingbar. 9.1. De anima (Ed. Leonina 45,1)
Mit diesem Kommentar, den Thomas zwischen Ende 1267 und Sommer 1268 in Rom (Santa Sabina) verfasst hat, setzt sein Projekt der Aristoteles-Kommentierung ein. Gewiss nicht ohne Bedeutung ist, dass Thomas gleichzeitig auch an den Untersuchungen zur menschlichen Seele in der STh (I q. 75–89; Ed. Leonina 5, 194–384) arbeitet. Die eine Zeit lang vertretene Auffassung, wonach nur der Kommentar zu den Büchern II und III eine expositio sei, während der zu Buch I eine reportatio durch Reginald von Piperno sei, ist mittlerweile vollständig und endgültig widerlegt. Zu beachten ist in formaler Hinsicht, dass die Grenze zwischen den Büchern II und III anders verläuft als in heutigen Aristoteles-Ausgaben; im Übrigen stimmt auch die Lektionen-Zählung der neuen historisch-kritischen Ausgabe nicht mehr mit der älteren Zählung, nach der naturgemäß in der älteren Literatur zitiert wird, überein (das zweite Buch zählt weiter von II, 25 [bisher III, 1] bis II, 30 [bisher III, 6]; ab III, 1 bleibt die Zählung um sechs zurück). Thomas orientiert sich an einer Reihe von ihm vorliegenden Kommentaren zur aristotelischen Seelen-Schrift, die heute längst noch nicht alle ediert vorliegen. Sein Interesse an diesem Thema ist aber, wie in allen seinen Kommentaren, primär ein sachliches. Der Begriff der Seele umfasst sowohl die Funktion der Belebung in allen Stufen des Lebendigseins als auch die verschiedenen Stufen des Auffassens – von der Wahrnehmung über die Vorstellung zu den Verstandesleistungen, aber auch die verschiedenen Formen des Auf-etwas-aus-Seins, das Begehren und das vernünftige, d. h. durch Abwägung von Alternativen begründete Wollen. Thomas steht – von den zahlreichen konkreteren Problemstellungen ab-
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gesehen – natürlich auch vor der grundsätzlichen Frage, wie sich einerseits die funktionale Sicht als Belebungsprinzip mit der anderen vereinbaren lässt, dass man der Seele als Ort der Erkenntnis Selbständigkeit gegenüber dem Leib und seinen Funktionen zusprechen muss. Ohne diese keine Unsterblichkeit und ohne diese wiederum keine Auferstehung – des numerisch identischen Menschen. Diese theologischen Fragen bringt Thomas wie üblich in diesem Kommentar höchst marginal zur Sprache. Wenn sich in diesem Kommentar, der sich eine aristotelische Pragmatie zu erläutern vornimmt, überhaupt so etwas wie ein Schwerpunkt angeben lassen soll, so liegt dieser wohl in der Intellektlehre. Thomas folgt also dem Text, angefangen bei der Auseinandersetzung mit den Lehren der Vorgänger – deren Lehren Thomas auch in seinen Abhandlungen kritisch diskutiert – über die Definition der Seele bis zur Differenzierung ihrer einzelnen Vermögen, vor allem der Sinneswahrnehmung. Erst mit der Theorie der Verstandeserkenntnis setzt das dritte Buch ein. Wie Aristoteles bestimmt auch Thomas den Verstand zunächst im Vergleich mit der sinnlichen Erkenntnis. Auch der Verstand verhält sich empfangend und nicht bloß aktivierend im Verhältnis zu den bereits inne liegenden Ideen. Diese Empfänglichkeit, die ja kein passives Ausgesetztsein ist (dies wäre ein Missverständnis des vielzitierten Vergleichspunktes von Verstand und unbeschriebener Schreibtafel), hat wiederum eine Unbestimmtheit zur Voraussetzung; selbst nicht geformt ist er der »Ort der Formen«, und zwar potentiell aller Formen. Zu wirklicher Erkenntnis ist er nun aber dadurch fähig, dass er Formen als solche aufnehmen kann, und zwar in universeller Weise. Dies wiederum ist dadurch ermöglicht, dass er an kein Organ mit entsprechend spezialisierter und eingrenzender Ausstattung gebunden ist, die einen bestimmten Korridor sinnlicher Wahrnehmung zur Folge hat. Die Natur des Verstandes ist in gewisser Hinsicht ein Bestimmtwerdenkönnen, er wird aber gerade nicht bestimmt wie ein natürliches Wesen. Er ist aber gleichwohl ein Vermögen der Seele. Ungeachtet der vielfältigen Belehrung oder Beeinflussung durch Averroes’ Großen Kommentar liegt hier der eigentliche Kontroverspunkt. Denn jene Unterscheidung scheint zugleich eine Trennung nahezulegen; nahezulegen vielleicht, aber nicht unabweisbar zu fordern. Seit etwa 40 Jahren war dieser Averroes-Text im lateinischen Westen zugänglich; aber seit anderthalb Jahrzehnten wird darin nicht bloß eine Verständnishilfe gesehen, sondern eine gefährliche Irreführung. Der Ton wird polemischer und die Auseinandersetzung, vor allem in Paris, nimmt auch andere Formen an. Aus einer interpretatorischen Kontroverse wird eine Maßregelung von Averroes-Anhängern, aber eben auch eine Verdächtigung aller, die der Philosophie des Aristoteles großen Raum geben. Aber zur Sache: Die Abtrennung des Verstandes zu einer Entität außerhalb der Seele, zu der diese nur ein Verhältnis der Teilhabe unterhalten kann, hält Thomas aus zwei Gründen für falsch, die beide einen Widerspruch namhaft machen. Es widerspricht zum einen der Lehre des Aristoteles und es steht zum anderen auch mit sich selbst im Widerspruch. Aristoteles spreche von dem Verstand, »durch
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den die Seele erkennt«, und daher könne von einer Trennung von Seele und Geist nicht die Rede sein. Die Intellekttheorie ist ein integraler Bestandteil der aristotelischen Lehre von der Seele. Wenn ein getrennter Verstand Subjekt des Erkennens wäre, dann wäre dieses eben doch nicht die Tätigkeit der Seele. Gewiss spricht Aristoteles von einem separatus (»Getrenntsein«) des Geistes, dies aber bezieht sich auf Geschiedenheit von einem körperlichen Organ, nicht auf eine Separierung vom individuellen Menschen. Es liegt aber auch ein Selbstwiderspruch in der averroistischen Theorie, weil ja auch diese Aussage selbst die Aussage eines individuellen Menschen, die Behauptung eines Intellekttheoretikers ist und nicht einem überindividuellen anonymen Intellekt entstammt. Thomas verweist also nicht auf ein Faktum, das darin besteht, dass ein bestimmter Mensch eine Auffassung hat: hic homo intelligit. Dies ist nur dann oder doch insbesondere dann von argumentativem Wert, wenn es sich auf denjenigen bezieht, der darin eine Erkenntnis vom Intellekt hat. Mit der Trennungsthese handelt sich der Averroismus aber auch ein Verbindungsproblem ein. Dies scheint er aber so zu lösen, dass – so Thomas’ Einwand – der Mensch gerade nicht zum Erkennenden, sondern zum Erkannten wird. An dieser Stelle (III, 1) verweist Thomas – ein seltener Fall – auch auf ein anderes Werk, hier auf Scg. II c. 59–75 (Ed. Leonina 13, 414–480). Aus der Prägung und Aktivierung des Verstandes durch die geistigen Formen ergibt sich sogar noch ein weiteres Argument: Denn es sind nicht diese Formen, die Gegenstand der Erkenntnis sind, sondern eben die Wirklichkeit. Diese wird »durch« die Formen erkannt, diese sind also Prinzip, nicht Inhalt und Gegenstand der Erkenntnis. Damit scheint Thomas beiden Ansprüchen, die mit der Erkenntnis notwendig verbunden sind, Genüge getan zu haben: sowohl der Individualität des Erkennens als auch der Objektivität der Erkenntnis. Da diese aber auf die Geformtheit der Dinge angewiesen ist, kommt hier nochmals die aristotelische Ontologie ins Spiel, die Thomas hier wie auch anderwärts gegen die platonische Ontologie und Erkenntnistheorie abhebt. Ebenso wie die Ideen nicht als Gehalte in der Seele zu denken sind, derer man sich im Falle sinnlicher Eindrücke zu erinnern hätte, sind die Ideen auch nicht von den materiellen Dingen getrennt. Sie können also auch als Formen nicht mehr der unmittelbare Gegenstand intellektueller Erkenntnis sein. Daher bedarf es einer Verstandesleistung, für die in der Philosophie Platons keine Notwendigkeit bestand: Das Allgemeine muss aus seiner Besonderung herausgehoben werden. Diese Leistung ist eine abstrahierende, also eine wirkliche Tätigkeit. Dies nennt Thomas mit der Tradition – der Ausdruck kommt freilich bei Aristoteles selbst noch nicht vor – intellectus agens. Er ist wie ein Licht, durch welches die latent und in der Dunkelheit verborgen bleibenden Farben zu deutlich voneinander abgehobenen Farben werden. Diese Leistung ist keine Erkenntnis, sondern eine die Erkenntnis ermöglichende Bedingung – so wie Helligkeit selbst noch keine Unterscheidung enthält. Auch ausbleibende Modifikationen können auffällig sein. Bezüglich der Gegenstände der Verstandeserkenntnis bleibt Thomas in der aristotelischen Traditi-
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on. Zwar sind Wahrheit und Falschheit an die Verbindung von Gehalten gebunden, aber auch diese Gehalte selbst werden in wahrer Weise aufgefasst. Dies wird nicht durch eine göttliche Erleuchtung oder eine entsprechende Ausstattung begründet. Der Begriff »Wahrheit« hat im Falle des Gehaltes insofern eine etwas andere Bedeutung, als er nicht die Falschheit zur Alternative hat. Von Belang ist die Analogie: So wie sich ein Sinn nicht in seinem spezifischen Formalobjekt täuschen kann, so auch nicht der Verstand in dem, was er denkt (obgleich er es falsch benennen kann). Auf diesem notwendigen Wahrsein der einfachen Gegenstände baut das mögliche Wahrsein der Sätze auf. Thomas folgt Aristoteles darin, dass der Begriff Seele insbesondere in sich zwei Vermögen enthält, aus deren Betätigung er auch ursprünglich gewonnen wurde: Neben der Erfassung ist dies die Bewegung – verstanden im weitesten Sinne. Nicht nur die Bewegung, deren Ursache das Lebendige selbst ist, die also einsetzt und in Gang gehalten wird, sofern überhaupt etwas lebendig ist (Wachsen, Wahrnehmen), sondern auch die Ortsbewegung. Die eigene Bewegung im Raum ist auch der Grund, warum Lebewesen Sinneswahrnehmung haben; ohne diese könnten sie sich nicht im Raume orientieren. Initiiert wird diese Bewegung durch das Streben, durch ein latentes Ausgerichtetsein auf Ziele, deren reales Auftreten auch das Streben in Gang bringt. Dies stellt natürlich die Frage nach der Freiheit des Willens. Diese ist nicht damit gesichert, dass Motive, Bewegungsgründe, auftreten. Vielmehr ist der Wille, wie Thomas mit Aristoteles sagt, »in der Vernunft«. Wollen ist diejenige Form des Strebens, die durch rationale Vermittlung in Gang kommt. Dass das Streben der Gattungsbegriff des Wollens ist und dieses Wollen durch kein bloß passives Bewegtwerden durch ein Objekt entsteht, ist ein Kennzeichen der aristotelischen Willenslehre und der sich daran orientierenden Tradition. 9.2. Physik (Ed. Leonina 2)
Dieser Kommentar ist in die erste Phase von Thomas’ zweiter Pariser Lehrtätigkeit (1268/69) zu datieren; er ist in 64 vollständigen Manuskripten überliefert. Im ersten Teil des Kommentars legt Thomas die Vetus des Jakob von Venedig zugrunde, wechselt aber dann im zweiten Teil zur Moerbekana. Der entsprechende Kommentar des Averroes ist einerseits für Thomas’ Werk die wichtigste Quelle, andererseits aber immer wieder auch Gegenstand der Kritik. Wie überall bestimmt Thomas auch hier die Koordinaten der Wissenschaft. Jedes Wissen hat sein Sein im Verstand, kommt also durch Abstraktion von der Materie zustande, es verhält sich aber gleichwohl nicht jedes Wissen auf dieselbe Weise zur Materie. Es lässt sich denken, dass die eine Form der Wirklichkeit sich nur in der Materie realisieren und manifestieren kann, weil ihr Sein von dieser abhängt. Im gegenteiligen Fall steht die Wirklichkeit zwar in Abhängigkeit von der Materie, doch kann sie ohne die Beziehung zur Materie bestimmt werden. In diese beiden Bereiche scheiden sich die Gegenstände der Naturphilosophie und
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der Mathematik. Bei den mathematischen Gegenständen ist zwar zu berücksichtigen, dass etwa Rundes immer in materieller Konkretheit vorkommt, man aber für die Bestimmung der Rundheit auf diese Materie keinen Bezug zu nehmen braucht. Daneben lässt sich, so zeigt Thomas die systematische Vollständigkeit, noch etwas denken, dass weder seinem Sein nach noch begrifflich von der Materie abhängt. Dies gilt für Gott und die reinen Geister als materiefreie Wesenheiten und die ontologischen Grundbegriffe wie Substanz und Seiendsein, Akt und Potenz, die nicht nur auf materielle Dinge anwendbar sind. Auf diese Weise zeigt Thomas die Gliederung der drei theoretischen Disziplinen der Philosophie. Was nun der Materie verhaftet ist, unterliegt auch der Veränderung, der Bewegung im weitesten Sinne. Die Naturphilosophie handelt aber nicht von allem irgendwie Bewegten, sondern nur von demjenigen, was das Prinzip seiner Bewegung und seiner Ruhe in sich selbst hat. Was von dieser Art ist, nennt man Natur. Die aristotelische Physik ist also die allgemeine Grundlegung für die Durchdringung der Phänomene der Natur. Die anderen Abhandlungen des Aristoteles gliedern sich nach diesen Bewegungsaspekten: In De caelo geht es um die primäre Form der Bewegung, nämlich die Ortsbewegung, in De generatione wird die Bewegung zur Form und die Bewegung der Elemente als der ersten Bewegbaren in einer noch allgemeinen Weise untersucht. Die spezielleren Bewegungen sind im Buch De meteororum, die unbelebten wiederum in De mineralibus und die Bewegungen der belebten Dinge in De anima Gegenstand der Untersuchung. Thomas folgt Aristoteles akribisch in seiner Verteidigung der Möglichkeit der Naturbetrachtung gegen die Einreden des Eleatismus. Hier ist besonders zu sehen, dass er in dem, was er tut, der aristotelischen Philosophie eine konzeptionelle Verstehensleistung zuschreibt, die sowohl der vorsokratischen als auch der platonischen Philosophie überlegen ist. Aufschlussreich für den Umgang mit dem aristotelischen Naturbegriff ist Thomas’ Diskussion der Naturteleologie. Er schließt sich Aristoteles an, dass Zweckmäßigkeit dann einen Grund haben muss, wenn sie nicht ausnahmsweise, sondern regulär auftritt. Die Frage, wie dies möglich ist bei Wesen, welche künftige Zustände nicht antizipieren können, beantwortet Aristoteles nur mit einem Vergleich: Auch die vollendete Kunst überlege ja nicht. Und läge die Schiffsbaukunst nicht im Schiffsbauer, sondern im Holz selbst, so würde sich das Schiff ähnlich wie ein Baum selbst organisieren. Thomas kommentiert dies so: Wenn die Natur wie die Kunst mit geeigneten Mitteln die Ziele erreicht, ohne doch Mittel und Zwecke als solche zu kennen, dann muss diese Natur eben »eine göttliche Kunst« sein, die den Dingen eingegeben worden ist (In Phys. II, 14; n. 8; Ed. Leonina 2, 96). Die vollendete Kunst überlegt nicht; sie überlegt aber, bis sie vollendet ist. Dies kann die Natur nicht. Also versteht man das reguläre Auftreten von Zweckmäßigkeit in der Natur nur dann, wenn man Natur als Schöpfung versteht. Dass ein von außen gesetzter Zweck nicht bloß Zweck des Zwecksetzenden bleibt wie bei der Technik, sondern wirklich zum Zweck des Wesens selbst gemacht wird, ist nur durch eine göttliche Kunst möglich; diese Kunst nennt man Schöpfung.
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Von besonderem Interesse muss zweifellos die Auseinandersetzung mit der aristotelischen Lehre von der Ewigkeit der Welt sein. Dieses Lehrstück galt schon in der frühen Phase der Aristoteles-Rezeption als ein besonders neuralgischer Punkt, bei dem der Widerspruch zur Schöpfungslehre des Christentums besonders eklatant schien. Dabei handelt es sich nicht um irgendeine These der aristotelischen Naturphilosophie, sondern darum, dass die methodische Kohärenz selbst und damit die sinnvolle Verwendung des Begriffes Natur damit untrennbar verbunden schien. Thomas hat bekanntlich die Beweisbarkeit der Schöpfung, aber nicht die eines zeitlichen Anfangs gelehrt. Zwischen beidem schien ihm kein zwingender Zusammenhang zu bestehen. Wenn er aber auch die zeitliche Unendlichkeit der Welt für philosophisch nicht bewiesen hält, dann hat er nur deswegen nicht direkt der aristotelischen Theorie widersprochen, weil er – mit Maimonides – Aristoteles selbst keinen strikten Beweisanspruch zusprechen wollte (so noch in De pot. q. 3 a. 17; Ed. Vives 13, 101–109 und in STh I q. 46 a. 1; Ed. Leonina 4, 478–481). Dass dies eine aussichtslose Auslegung der aristotelischen Texte beinhalte, hat Thomas seit seinem Physik-Kommentar ausdrücklich bekundet. Es geht zunächst um den Beweis für die Ewigkeit der Welt selbst, den Aristoteles mit dem Argument geführt hat, dass sich ein Anfang der Zeit nicht denken lasse. Zeitliche Grenzen werden durch ein Jetzt bestimmt wie räumliche durch einen Raumpunkt. Jedes Jetzt ist nun aber dadurch bestimmt, dass es einen Vorgänger und einen Nachfolger hat. Durch die Relation zu diesen ist ein Jetztpunkt ein bestimmter. Wenn aber jedes Jetzt einen Vorgänger haben muss, dann kann es folgerichtig kein erstes Jetzt geben. Thomas hält dieses Argument in seinem Kommentar zu dieser Stelle für einen Fehlschluss. Das Beweisresultat beruhe nämlich auf einer Erschleichung. Dass es kein erstes Jetzt gibt, gilt ja nur dann, wenn die Welt keinen Anfang in der Zeit gehabt hat. Dies aber war doch gerade die Frage. Es liegt also nicht wie sonst mitunter eine bloße Statusbestimmung eines Argumentes, sondern ein regelrechter Einwand vor. Derlei ist in den Kommentaren des Thomas ziemlich selten. Er hält aber nach wie vor – auch in seinem antiaverroistischen Opusculum – daran fest, dass die Zeitlichkeit der Welt philosophisch nicht beweisbar und damit auch das Gegenteil möglich ist. Aus ihr ergibt sich ein a fortiori-Argument: Die zeitliche Unendlichkeit der Welt zieht keineswegs die Konsequenz nach sich, dass die Natur sich selbst erklärt. Aristoteles schließt auf einen ersten unbewegten Beweger. Dies gilt aber natürlich umso mehr, wenn das Universum einen zeitlichen Anfang hat. Es bedarf dann einer Instanz, welche die Bewegung initiiert. Die Bewegung setzt aber etwas voraus, was in Bewegung versetzt wird. Averroes hat in seinem Kommentar die biblische Schöpfungslehre daher für naturphilosophischen Nonsens erklärt, insofern dadurch das elementare Prinzip jeder Erklärung, dass aus nichts nichts wird, verletzt werde. Thomas entgegnet darauf, dass sich aus der Bewegungsinitiierung von partikularen Zusammenhängen nichts für das Problem ergibt, wie man den Hervorgang des Ganzen zu denken habe. Er verweist aber auch auf die aristotelische Metaphysik II, wo Aristoteles an einer
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von Thomas viel zitierten Stelle sagt, dass das im höchsten Maße Wahre das im höchsten Maße Seiende sei und dies der Grund für alles andere Sein sei. Es trifft die Wahrheit, wenn man sagt, dass jede Veränderung einen Träger voraussetzt. Der Hervorgang des Ganzen kann also nicht als eine Veränderung gedacht werden – wovon auch! Thomas verwendet hier einen neuplatonisch getönten Ausdruck (emanatio). Wie auch an anderen Stellen (STh I q. 44 a. 1; Ed. Leonina 4, 455–457) sind hier Platon und Aristoteles gemeinsam auf dem höchsten Niveau angesiedelt, auf dem zum ersten Male nicht bloß faktische Veränderungen oder Entstehen und Vergehen überhaupt gedacht worden sind, sondern das Prinzip des gesamten Seins. Thomas mildert in seinen Kommentaren im Allgemeinen die aristotelische Platon-Kritik, auch wenn natürlich deren zentraler Punkt, die Verwerfung der Ideenlehre, mitvollzogen wird. Mit der Theorie des zeitlichen Anfangs drohen Aporien, die aus der Unvermeidlichkeit hervorgehen, auch von diesem ersten Zeitpunkt mit Worten wie »vorher« und »nachher« zu sprechen. Wir sprechen aber hiervon, ohne dass wir damit eine Realität unterstellen; es handelt sich nur um eine Vorstellung, die sich ganz analog zu dem einstellt, dass man bei einer räumlich begrenzten Welt gleichwohl von einem Außerhalb sprechen kann. Thomas konstatiert also Konvergenzen und Divergenzen. Immer »gewesen« ist nur Gott, aber dass die Welt immer Bestand haben wird, gilt für beide Lehren. Der Versuch, zeigen zu wollen, Aristoteles habe nichts gegen den Glauben gesagt, sei völlig aussichtslos. Dass Aristoteles keinen Beweisanspruch erhebe und nur für beide Seiten Gründe anführe, eine solche Lesart sei leichtfertig. Dies klingt im Blick auf frühere Stellen bei Thomas auch nach einer Selbstkritik. Thomas berücksichtigt in seiner ausführlichen Diskussion der Stelle auch das Problem der Beliebigkeit des zeitlichen Anfanges. Aber wenn Gott als ein willentlich Tätiges gedacht wird, das für sein Tun einen Zeitpunkt festsetzen kann, dann ist dies zwar im ersten Zug pariert, wird aber umgehend mit der nächsten Schwierigkeit konfrontiert, dass dies ja nur für zeitliche Wesen gelten kann. Mehr kann hier nicht gesagt werden. Denn der Grund, warum Gott die Welt überhaupt erschaffen hat, ist nur er selbst. Mehr vermag die Vernunft des Menschen über die Weisheit Gottes nicht zu sagen. Hier zeigt sich wie in einem Nukleus das Vorgehen des Thomas, die vermeintlichen Widersprüche, die von Seiten des integralen Aristotelismus vorgebracht werden, aufzulösen, die Kompatibilität »unseres Glaubens« mit Aristoteles zu zeigen, diesen aber in einen größeren Kontext einzuordnen. 9.3. Peri Hermeneias (Ed. Leonina 1*, 1)
Dieser Kommentar ist zwischen dem 10. Dezember 1270 und Mitte Oktober 1271 (Torrell, Magister Thomas, 356), also während des zweiten Pariser Magisteriums, entstanden. Es ist Wilhelm von Berthout, einem Propst in Löwen, gewidmet. Das Werk blieb unvollendet, es bricht bei Periherm. 19 b 26 ab; der Grund für den Abbruch ist unbekannt.
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Thomas stellt dem Kommentar ein Vorwort voran, in dem er den vorliegenden Text verortet. Mit Berufung auf Aristoteles’ De anima (III, 6) vollzieht der Verstand zwei unterschiedliche Tätigkeiten. Zum einen fasst der Verstand das »Unteilbare« auf, also das, was eine Sache in ihrem Wesen ausmacht, zum anderen aber bringt er das solchermaßen Aufgefasste in ein Verhältnis; er vollzieht in diesem zweiten Schritt das, was später Kant eine Synthesis genannt hat. Diese Verbindung kann aber wiederum eine zweifache sein: Der gebildete Begriff kann einem anderen zu- oder abgesprochen werden. Thomas fügt über jene aristotelische Bestimmung in der Seelenschrift noch eine dritte Leistung hinzu: Diese Tätigkeit ist eine Vernunfttätigkeit, ratiocinatio, durch welche die Vernunft vom Bekannten zum Unbekannten gelangt. Damit ist der klassische Stufenaufbau der Logik (Begriff – Urteil – Schluss) gewonnen. Die Logik ist eine Wissenschaft von der Vernunft, rationalis scientia, und widmet sich diesen drei Formen: Die Kategorienschrift den Begriffen, den affirmativen und negativen Aussagen Perihermeneias, den Schlüssen die Analytiken. Den merkwürdigen Titel der vorliegenden Schrift gibt Thomas mit Boethius wieder als De interpretatione. Interpretatio wiederum heißt hier vox significativa que per se aliquid significat (»Bedeutungslaut, der an sich etwas bezeichnet«; Prooem. n. 3; Ed. altera retractata I*/1). Damit wird der Gegenstand einerseits von bloßen Konjunktionen und Präpositionen, andererseits von Zeichenlauten der Tiere unterschieden, die aus der Natur und aus einer Absicht oder mit einer Vorstellung verbunden hervorgehen. Nomen und Verbum sind aber, so Thomas, eher Prinzipien des Verstehens als Auslegungen. Denn zur Auslegung gehört es, etwas als wahr oder falsch zu verstehen. Daher gehören Sätze, die Wünsche oder Befehle zum Ausdruck bringen, nicht zum Gegenstand dieses Buches. Der Titel muss also im folgenden Sinne verstanden werden: De enunciatiua oratione (»Über die aussagende Rede«; Prooem. n. 4; Ed. Leonina 1, 7). Die Teile der Aussage, Nomen und Verbum, sind also hier nicht für sich von Interesse, sondern nur, insofern sie Teile sind. Thomas erörtert ausführlich die Anlage der Schrift und versucht zu rechtfertigen, warum darin nur von Nomen und Verbum, nicht aber von anderen Teilen des Satzes die Rede ist, warum zwar von Affirmationen und Negationen, jedoch nicht von hypothetischen und kategorischen Sätzen gesprochen wird, und warum der Laut selbst weiter keine Berücksichtigung findet. Der Text bringt selbst den Gegenstand in einen Zusammenhang mit Schrift, sprachlichen Lauten und Eindrücken der Seele. Diese letzteren ergeben sich aus den Einwirkungen auf die Seele. Der aktivische Anteil des Verstandes an der Bestimmtheit des Aufgenommenen bleibt hier im Kommentar ausgeklammert. Dass es aber nicht bei diesen Eindrücken bleibt, liegt in der sozialen Natur des Menschen begründet. Wäre der Mensch von Natur ein einsames Wesen, bedürfte es keiner Mitteilung. Diese geschieht durch den bedeutsamen Laut, denn nur so ist ein gelingendes Zusammenleben möglich; Menschen verschiedener Sprache, so fügt Thomas hinzu, können nicht so gut zusammenleben. Auch die Notwen-
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digkeit der Schrift begründet Thomas damit, dass Menschen längst nicht nur das ihnen unmittelbar Gegebene mitteilen. Im Kapitel über das Verbum (16 b 22–25) sagt Aristoteles: »Auch das Wort ›seiend‹ ist dies [nämlich ein Zeichen für das Sein oder Nichtsein der Sache] nicht, wenn man es für sich allein ausspricht; denn für sich selbst ist es nichts, sondern bedeutet (lediglich) eine gewisse Verbindung mit hinzu, die sich ohne das, was jeweils miteinander verbunden wird, nicht verstehen läßt« (Übers. Weidemann, Aristoteles). In seinem Kommentar wendet Thomas gerade zu dieser Stelle (I, 5) besonders große exegetische Mühe auf. Zunächst macht Thomas eine korrigierende Bemerkung zur lateinischen Übersetzung. Dann zeigt er den gedanklichen Zusammenhang: Aristoteles will sagen, dass Verben für sich genommen über Sein und Nichtsein eines Sachverhaltes nichts aussagen. Die Begründung hierfür ergibt sich aus einem Grenzfall: Da dies nicht einmal für das Wort »sein« gilt, das eben für sich nichts besagt, gilt dies a fortiori für alle anderen Aussagewörter auch. Aber warum sagt eigentlich »sein« nichts? Thomas diskutiert nicht weniger als drei Deutungsvorschläge, bevor er selbst einen Vorschlag macht. Der neben Simplicius wohl bedeutendste griechische Aristoteles-Kommentator, Alexander von Aphrodisias, dessen Deutung Thomas durch Boethius vermittelt kennt, begründet die Aussage damit, dass »seiend« ein äquivoker Begriff ist, der erst einer Hinzufügung bedarf, um eine bestimmte Bedeutung zu erhalten. Thomas wendet ein, dass »seiend« nicht einfach mehrdeutig ist, sondern eine primäre und eine sekundäre Bedeutung hat, so dass man zunächst die primäre Bedeutung mit diesem Wort verbinden wird, aber nicht keinerlei Bedeutung, und dass zweitens äquivoke Begriffe nicht einfach nichts, sondern eben vieles bedeuten. Porphyrius schlägt vor: Das Aussagewort bezeichnet nicht die Natur einer Sache (wie »Mensch« oder »weise«), sondern eine Zusammensetzung. Auch dies findet Thomas nicht einleuchtend: Wenn »seiend« über die Zusammensetzung hinaus (was man seit Abaelard Kopula nennt) nicht auch eine Natur bezeichnete, könnte es niemals als Nomen auftreten. Ammonius – auch er ein Verfasser umfänglicher Aristoteles-Kommentare – deutet Aristoteles’ Aussage in dem Sinne, dass darin nicht Wahr- oder Falschsein behauptet werden. Dies aber hat »sein«, so das Bedenken des Thomas, ja mit allen Nomina und Verben gemeinsam, Aristoteles will aber hier etwas ganz Spezifisches geltend machen. »Damit wir genauer den Worten des Aristoteles folgen«, so leitet Thomas seine eigene Deutung ein. Die Bedeutungsfreiheit von »sein« liege an der Kopulafunktion, denn die Zusammensetzung – durch die etwas ein Satz wird – kann ohne ihre Komponenten nicht verstanden werden. Allerdings wird diese Zusammensetzung ja nur mit-bedeutet, ist also sekundär. In erster Linie meint es vielmehr dasjenige, was in den Verstand »fällt« in der Weise der actualitas (»Aktualität«), nicht als ein Etwas. Denn für sich genommen besagt »ist«: im Akt sein.
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Von ebenfalls zentraler Bedeutung ist das Seeschlacht-Kapitel (c. 9). Hier wendet sich Aristoteles einem Problem zu, das sich aus seiner Bestimmung des Satzes ergibt. Wenn sich Aussagen generell von anderen Sätzen durch ihren möglichen Wahrheitswert unterscheiden, dann muss dies auch für Sätze gelten, in denen von künftigen Ereignissen wie der morgigen Seeschlacht die Rede ist. Wenn aber ein Satz über ein künftiges Ereignis wahr ist (gleichgültig, ob irgendjemand dies wissen kann), dann scheint unter der Hand sich die Kontingenz des Ereignisses in Notwendigkeit zu verwandeln. Zunächst ist Thomas mit Aristoteles der Auffassung, dass sich die Modalität von Ereignissen nicht aus der Logik des Satzes ergeben kann. Nun gibt es Dinge, die notwendig sind; daneben aber auch solche, deren Eintreten einer gewissen Tendenz ihrer Ursache entspricht, und schließlich solche, deren Eintreten ebenso gut möglich ist wie deren Nichteintreten. Thomas diskutiert anhand des Boethius-Kommentars auch den megarischen und stoischen Determinismus. Insbesondere im Blick auf die menschliche Praxis, deren Dynamik nur dadurch verständlich wird, dass Dinge sich nicht ohne das menschliche Zutun einstellen. Diesem aber geht eine Überlegung vorher, das heißt ein Abwägen von Gründen. Thomas berücksichtigt hierbei aber auch einigermaßen ausführlich einen theologischen Determinismus, also die Behauptung, aus der göttlichen Voraussicht ergäbe sich die Notwendigkeit des Vorhergesehenen. Darin sieht er einen Anthropomorphismus: Gott steht außerhalb der Zeit, so dass ihm etwas gar nicht als Künftiges gegeben ist; in der Ewigkeit ist vielmehr »alles zugleich« (Boethius). Das göttliche Wissen weiß die Dinge aber gleichwohl auch hinsichtlich der Art und Weise, wie sie hervorgebracht werden: die notwendigen Ereignisse als notwendige, die zufälligen als zufällige. Da auch der göttliche Wille als außerhalb der Ordnung der Dinge stehend gedacht werden muss, um als Ursache des Seins und seiner Differenzierungen gedacht werden zu können, gehen aus seinem Wollen die Notwendigkeit und Kontingenz der Dinge allererst hervor. Auch für den Menschen gilt, dass die Motive seines Willens diesen nicht nötigen. Die partikularen Güter sind ja nicht identisch mit dem, was der Mensch notwendiger Weise wollen muss, und sind auch nicht dessen notwendige Mittel. Was nicht in jeder Hinsicht gut ist, muss nicht gewollt werden (I, 14). Was nun aber das grundlegende Problem des Zusammenhanges der erschöpfenden Alternative von Wahrheit und Falschheit von Aussagesätzen angeht, so sagt Thomas, dass daraus nicht die Notwendigkeit vermeintlich künftiger kontingenter Ereignisse folgt. Vielmehr liegt in deren Modalität der Grund dafür, dass nicht bei jeder Art von Bejahung und Verneinung jeweils eine der beiden Aussagen wahr sein muss. Dies kann nicht gelten, wenn es sich um künftige kontingente Ereignisse handelt (I, 15). 9.4. Posterioria Analytica (Ed. Leonina 1*, 2)
Dieser Kommentar schließt an den unabgeschlossen gebliebenen zu Peri hermeneias an. Er wurde noch in Paris begonnen, dann in Neapel fortgesetzt und zu
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Ende gebracht. Während Thomas im ersten Pariser Teil (I, 1–26; Ed. Leonina 1, 137–240) die lateinische Übersetzung des Jakob von Venedig zugrunde legt, gebraucht er im zweiten Teil (I, 27–II, 20; Ed. Leonina 1, 241–403) die Übersetzung des Wilhelm von Moerbeke. Nach Gauthier entspricht Thomas mit diesen Kommentaren einem Anliegen der artes-Fakultät und daher verwendet er bei diesen Werken die Übersetzungen, die dort im Gebrauch sind. Er stützt sich vielfach auf den ersten lateinischen Kommentar zu diesem Werk von Robert Grosseteste und auf den des Albertus Magnus – und dies, wie üblich, ohne deren Namen zu nennen. Er kennt auch wohl die Paraphrase des Themistius, die auch vor den beiden anderen Kommentaren berücksichtigt worden ist. Dass er darüber hinaus den mittleren Kommentar des Averroes gekannt habe, den Wilhelm von Luna etwa 1230 übersetzt hat, ist nicht beweisbar. Die Zweiten Analytiken explizieren die aristotelische Lehre vom Wissen. Ohne der Frage nachzugehen, ob und in welchem Maße Aristoteles selbst in seinen großen Pragmatien dem Begriff des Wissens folgt, den er hier expliziert, wird hier über die Bestimmung der Beziehung auf Gründe dargelegt, wie der Beweis Wissen erzeugt und von welcher Art die Prämissen des Beweises sind. Damit, dass im zweiten Viertel des 12. Jahrhunderts dieser Text in der Übersetzung des Jakob von Venedig bekannt wird, ergibt sich wenigstens prinzipiell – denn zunächst, d. h. bis Anfang des 13. Jahrhunderts, findet das Werk keine besondere Aufmerksamkeit – die Möglichkeit, was bisher mit dem Titel Wissen belegt und auf seine existentielle Bedeutsamkeit hin befragt wurde, nun auch mit einer ausgearbeiteten Theorie des Wissens zu verbinden. Thomas hat zwei Werke aus dem aristotelischen Organon kommentiert. Er ordnet die Thematik der Zweiten Analytiken der Vernunft zu. Diese vermag nicht nur die Tätigkeiten anderer Seelenvermögen, sondern auch, da der Verstand sich auf sich selbst zu beziehen imstande ist, seine eigenen Akte zu erkennen. Aus der Vernunftbestimmtheit der niederen seelischen Akte gehen die herstellenden Künste hervor, aus der Selbstbeziehung der Vernunft eine Kunst, durch die ihre Tätigkeiten »ordnungsgemäß, leicht und ohne Irrtum« vonstatten gehen können: die Logik. Die Logik ist eine Vernunftwissenschaft nicht nur wegen ihres Subjektes, was ja auf alle Wissensdisziplinen zutrifft, sondern auch wegen ihres Gegenstandes. Sie ist also »die Kunst der Künste«. Es lassen sich nun aber an der Vernunft drei Typen von Tätigkeiten unterscheiden. Die erste Form von Vernunfttätigkeit im weitesten Sinne – es handelt sich genauer gesagt um eine Leistung des Verstandes – besteht in der Auffassung von Wesensbestimmungen. Diese Tätigkeit untersucht Aristoteles, wie Thomas in seinem Vorwort sagt, in der Kategorienschrift. Die zweite Tätigkeitsform besteht in der Verknüpfung dieser Begriffe; diese Verknüpfung – also die höhere Einheit des von-etwas-etwas-Aussagens und nicht die bloße Aneinanderreihung von Wörtern – bildet eine Aussage und kann daher wahr oder falsch sein. Dies thematisiert Peri hermeneias. Die dritte Leistung besteht wiederum in der Verknüpfung von Aussagen. Von einem zum anderen zu gelangen macht die Eigentümlichkeit
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der Vernunft aus. Dadurch wird sie zum Erkenntnisvermögen, denn durch diese Tätigkeit kann man auch vom Bekannten zum Unbekannten gelangen. Hiervon handeln alle übrigen Bücher des Organon. Diese Tätigkeit der Aussagenverknüpfung kann wiederum drei unterschiedliche Formen annehmen. Wirkliches Wissen lässt sich nur gewinnen durch den Rekurs auf erste Prinzipien – daher der Bezug zur »Auflösung« im Titel der Analytiken. Von dieser judikativen Logik, die ihre Bezeichnung aus der Verbindung von Wissen und Gewissheit in der wahren Aussage hat, lassen sich zwei Formen denken: Entweder gründet die Gewissheit auf der Form des Syllogismus (Erste Analytik) oder auf dem Inhalt, der aus sich heraus und nicht wieder vermittelt über ein Argument gewiss ist – das Thema der Zweiten Analytik. Neben der judikativen Logik steht die inventive Logik, welche auf Erkenntnisgewinn abzielt, dieser aber kann mit unterschiedlichen Graden der Gewissheit verbunden sein: Im Ausgang von bloß wahrscheinlichen Sätzen wird auch nur eine Meinung erzeugt (Topik) oder eine Vermutung, welche das Gegenteil nicht völlig ausschließt (Rhetorik) oder durch eine besondere Darstellung gewonnen wird (Poetik). Nur erwähnt wird ein dritter Teil, die sophistische Logik, welche in den Sophistischen Widerlegungen behandelt wird. Aus der thomasischen Gliederung der vorliegenden Analytik geht hervor, dass die Lehre von den notwendigen Prinzipien den Kernbestand auch des Kommentars ausmachen muss. Mit Aristoteles unterscheidet Thomas zwei Sorten solcher Prinzipien, denn für jegliches Wissensgebiet gibt es spezifische Letztbegründungen, hinter welche dieses Wissen nicht mehr zurück kann. Es müssen aber daneben auch allgemeine Prinzipien angenommen werden, welche für alle Wissensgebiete begründende Funktion haben. Thomas interpretiert dies mit dem stoischen Begriff der communes animi conceptiones (»allgemeinen Begriffe der Seele«), welchen er aus Boethius entnimmt. Die übergreifenden ebenso wie die spezifischen Prinzipien sind beide durch sich selbst, also notwendig wahr; dies liegt offenkundig in ihrem Prinzipiencharakter begründet. Andernfalls müssten auch die Sätze, auf die man sich beruft, wiederum begründet werden. Der darin implizierte infinite Regress stünde im Widerspruch zur Möglichkeit des Wissens. Was nun aber die allgemeinen Prinzipien von spezifischen abhebt, ist ihr epistemischer Status: Jene allgemeinen Prinzipien sind nicht nur notwendig wahr, sondern auch notwendiger Bestandteil des menschlichen Wissens. Sie sind einer Begründung weder bedürftig noch fähig. Sie sind mit der Vernunft und dem für sie natürlichen Licht (lumen naturale) immer schon mitgegeben. Dies heißt nicht, dass sie sich nicht bestreiten lassen. Aus Met. IV weiß Thomas, dass die Herakliteer dies bestritten haben. Aber die Bestreitung der allgemeinen Prinzipien hat nur verbalen Charakter. Das Prinzip des Widerspruchs (non contingit idem esse et non esse) ist daher das bekannteste Prinzip. Der Charakter des Prinzips muss verstanden werden aus dem Verhältnis von Subjekt und Prädikat. Daraus bestehen alle Aussagen, daher muss es ein besonderes Verhältnis sein. Wenn das Prädikat nicht im Subjekt enthalten ist, dann bedarf
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es eines äußeren Grundes, der das Zukommen des Prädikates einsichtig macht. Die Notwendigkeit von Prinzipien, die sich aus dem spezifischen Wissensbegriff ergibt, konvergiert mit der Möglichkeit, dass das Prädikat im Subjekt enthalten ist. Die Notwendigkeit wird also nicht durch einen Mittelterm, also eben nicht wiederum durch einen Syllogismus, vermittelt. Thomas ist wohl näher an der scholastischen Diskussion als am aristotelischen Text, wenn er sagt, dass die Selbstverständlichkeit darin gründet, dass mit dem Verstehen der beteiligten Termini zugleich die aus ihnen gebildete Aussage als unabweisbar verstanden wird. Der Satz, dass das Ganze größer als eines seiner Teile ist, ist schon dann gewiss, wenn man weiß, was mit den Begriffen »Ganzes« und »Teil« gemeint ist. Der Subjektbegriff kann ohne das Prädikat gar nicht gedacht werden. Er bringt das zum Ausdruck, was im Subjektbegriff gedacht ist, was ihn also ausmacht. Mit diesem Kommentar dringt Thomas so weit wie sonst nirgends in die Beweistheorie ein. Wenn Wissen durch Beweis erzeugt wird, Beweise nun aber aus zwei Prämissen und drei Begriffen bestehen, zuletzt jedoch auf Prinzipien beruhen, dann stellt sich die Frage, wie diese Prinzipien zugänglich werden, da sie ja gemäß den Voraussetzungen nicht ihrerseits wieder in Form eines Beweises begründet werden können. Diese Unmöglichkeit ist nur dann kein Manko, wenn ein Beweis auch gar nicht erforderlich ist. Aus diesen beiden Formen des Wissens ist nach Thomas die menschliche Erkenntnis organisiert. Die Unbeweisbarkeit kann nun nicht ihrerseits wieder bewiesen werden. Sie wird verschiedentlich gezeigt, d. h. an einzelnen Beispielen wie jenem von Ganzem und Teil vorgeführt. Thomas nennt einen Satz dieser Art dignitas (Übersetzung von »Axioma«) oder auch maxima propositio, höchste Aussage. Thomas begründet die höchsten Prinzipien mit dem Rang der darin verwendeten Begriffe. Die Erstrangigkeit des Prinzips vom Widerspruch oder vom ausgeschlossenen Dritten liegt darin begründet, dass das ens derjenige Begriff ist, der – mit Avicenna! – als erster erfasst wird. Während aber der Zusammenhang der Transzendentalien deduktiv strukturiert wird, geht Thomas der Frage nach dem Zusammenhang und der Reihenfolge der obersten Prinzipien nicht weiter nach. Dies ist aber Gegenstand von Diskussionen in der Philosophie des 14. Jahrhunderts. Bemerkenswert an diesem Kommentar ist die große Textnähe, die fast nirgends durch größere Dispute einer Sachfrage unterbrochen wird oder sich einen kritischen Seitenblick auf andere Positionen erlaubt. Auch theologische Motive scheinen sich nirgends bemerkbar zu machen. Insbesondere in der Eingangsund der Schlusslektion wird aber das Bestreben fühlbar, die platonische Lehre von der Anamnesis mit Aristoteles zurückzuweisen. Es ist zwar, wie der Text sagt, zum Erwerb des Wissens immer ein Vorwissen nötig, dies aber lässt sich nicht in die Präexistenz der Seele zurückdatieren. Thomas verbindet diese platonische Lehre mit dessen These von den separaten Ideen. Eine Theorie göttlicher Erleuchtung wird in diesen Passagen ebenfalls nicht erwähnt. Thomas folgt minutiös den aristotelischen Darlegungen über die Struktur des Wissens, die Gründe und Formen des Beweises.
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9.5. Nikomachische Ethik (Ed. Leonina 47,1 und 47,2)
Diesen Kommentar hat Thomas in Paris 1271/72 verfasst (also deutlich später, als die ältere Literatur unterstellt!). Immer wieder ist darauf verwiesen worden, dass er gleichzeitig an der Secunda Secundae, d. h. am moraltheologischen Teil der STh gearbeitet hat. Der Text, den Thomas zugrunde legt, ist eine Revision der Grosseteste-Übersetzung; diese, im Übrigen nicht sehr qualitätvolle Revision stammt aber nicht von Wilhelm von Moerbeke. Thomas selbst hat bereits als »Assistent« die erste Ethik-Vorlesung Alberts in Köln mitgeschrieben (Albert hat später in den 1260er Jahren sich der Mühe einer zweiten Kommentierung unterzogen). Diese Mitschrift hat noch zwanzig Jahre später deutliche Spuren in Thomas’ eigenem Kommentar hinterlassen, wenn sich auch eine erneute durchgängige Benutzung nicht hat wahrscheinlich machen lassen. Entsprechungen in den arabischen Kommentierungsanstrengungen konnte Thomas nicht verwenden. Bei diesem Kommentar handelt es sich um eine Sententia, somit um »eine knappe, am Inhalt orientierte Zusammenfassung des aristotelischen Textes« (Torrell, Magister Thomas, 357). Kein anderer Kommentar des Thomas hat bisher eine ähnlich starke Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Erwartungsgemäß sind die Urteile darüber ganz gegensätzlich. Während nicht nur handwerkliche Mängel (Gauthier, Préface), sondern grundlegende Abweichungen von seinen eigenen Auffassungen, wie sie in den systematischen Werken zum Ausdruck kommen, geltend gemacht werden (Jaffa, Thomism and Aristotelianism; Oehler, Thomas von Aquin als Interpret), haben andere ein eher organisches Verhältnis zwischen Text, Kommentar und anderen Ethik-Texten herauszuarbeiten versucht (Elders, Commentary on the Nicomachean Ethics; Rhonheimer, Praktische Vernunft). Unbestreitbar ist, dass die Nikomachische Ethik zwar die endgültige Fassung der aristotelischen Ethik darstellt, die Ethik des Thomas hingegen nicht in diesem Kommentar ihre definitive und vollständige Form erhält. Diese letztgültige Auffassung muss man vielmehr im zweiten Teil der Theologischen Summe suchen. Insbesondere ist natürlich die Frage, wie sich der teleologische Ansatz des Aristoteles zu dem deontologischen der Lehre vom Gesetz verhält, von Bedeutung. Mit solchen Hinweisen ist aber noch nicht vollständig bestimmt, in welchem Verhältnis die beiden bedeutenden Texte zueinander stehen. Nicht unwichtig für den Hintergrund der thomasischen Ethik-Kommentierung ist, dass die Möglichkeit einer eigenständigen philosophischen Ethik im intellektuellen Kontext des 13. Jahrhunderts keineswegs selbstverständlich ist. Vollständig zugänglich wird die Nikomachische Ethik erst durch die Übersetzung des Robert Grosseteste, der in diesem Zusammenhang auch einige der bruchstückhaft zugänglichen griechischen Kommentare dazu ins Lateinische überträgt. Roger Bacon hat den vollständigen Ausfall der philosophischen Ethik in der arabischen Tradition beklagt. Thomas profitiert nicht nur im Einzelnen von Bestimmungen und Beschreibungen des Aristoteles (es gibt im Mittelalter ohnehin kein
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formales Interesse an Ethiktypen oder -»modellen«, sondern nur eines an einzelnen inhaltlichen Sach- und Begründungsfragen); er lässt ausdrücklich auch Ethik als eine eigenständige philosophische Leistung zu. Der Unterschied zwischen dem richtigen und falschen Handeln wird nicht nur durch die Vernunft erkannt, sondern auch durch die Vernunft gesetzt, dem Vermögen also, durch das sich der Mensch von allen Wesen unterscheidet. Mit Aristoteles setzt auch Thomas die Bestimmung des Menschen in die Glückseligkeit und er folgt ihm auch in all dem, worin dieser nicht das Glück des Menschen sehen kann. Daher ist die Ethik des Aristoteles in ihren Grenzen, die übrigens ein beträchtliches Territorium umschließen, berechtigt. Anders als die hellenistischen Ethiken, die das Glück darin zu suchen gelehrt haben, was beim Menschen selbst liegt, hat Aristoteles in solchen Gedanken einen künstlichen Reduktionismus gesehen, in dem das verlassen wird, was Menschen gemeinhin als Glück ansehen. Auch Augustinus hat den auf Lust oder Tugend reduzierten Glücksbegriff für widersinnig erachtet. Die Glückseligkeit muss aber eben auch nach aristotelischer Lehre in einem umfassenden Sinne verstanden werden. Der geltend gemachte Widerspruch zum Freiheitsinteresse verschwindet, wenn man in Rechnung stellt, dass Glück ohnehin etwas meint, was keineswegs vollständig in der Hand des Menschen ist. Wenn aber ein umfassender Begriff von Glück aufrechterhalten wird, dann handelt es sich um ein Glück, das in diesem Leben gar nicht realisiert werden kann. Diejenige Form von Eudaimonie, die dem »Leben in Fülle« gleichkommt, kann jedoch nicht Gegenstand einer philosophischen Ethik sein. Während andere daraus den Schluss gezogen haben, dass eine philosophische Ethik grundsätzlich vergeblich und unmöglich ist, hat Thomas die aristotelischen Auffassungen dennoch für berechtigt gehalten. Er verteidigt dessen Verständnis von Glück ausdrücklich gegen den stoischen Reduktionismus. Auch wenn diesem Verständnis von Glück eine andere Reichweite zugeschrieben werden muss, so folgt doch daraus nicht deren inhaltliche Falschheit. An diesem und vielen anderen Punkten hat es die Stellung des Thomas mit zwei Oppositionen zu tun: Während für die (wenn man so sagen darf) historisch orientierte Aristoteles-Orthodoxie jeder Schritt darüber hinaus zugleich eine Verfremdung bedeutet, deretwegen Thomas’ Projekt abzulehnen ist, erachtet der Theologismus jede Unterbietung der christlichen Perspektive als eine Verkürzung, zuletzt als einen Finitismus und einen alles andere ausschließenden Humanismus, der im Ergebnis ebenso abzulehnen ist. Thomas weist daher in seinem Kommentar mehr als einmal darauf hin, dass Aristoteles durchgängig nur vom Glück »in diesem Leben« spricht. Dies trifft zu, hat aber aus dem Munde des Thomas offenkundig eine andere Bedeutung: Für Aristoteles kommt ein anderer Begriff gar nicht in Frage – er hat es ja unter anderem gerade in Platons Ethik mit einer Position zu tun, die Ethik durch den Bezug auf einen universellen Begriff des Guten zu begründen versucht; die Beschränkung durch Thomas ist von anderer Natur, wenn sie gegen ein Glück im erlösten Leben nach dem Tode abgegrenzt wird. Darin liegt aber insofern keine sachliche
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Beschneidung, weil über ein Glück nach dem Tode mit den Mitteln der Vernunft auch gar nichts auszumachen ist. Jenen Bezug nun auf das Gute kann wiederum nach Platon freilich nur der Philosoph – in der Erkenntnis – herstellen. Demgegenüber betont Aristoteles die Beschränkung auf dasjenige Gute, das gewollt und praktisch realisiert werden kann. In dieser Realisierung besteht das Glück. Thomas relativiert nun – bei aller Zustimmung zur aristotelischen Kritik an der platonischen Ideenlehre – dessen Kritik am umfassenden Begriff des Guten. Seiner Auffassung nach muss man Aristoteles so verstehen, dass er zwar bestreitet, dass in jeglichem Gebrauch derselbe Begriff des Guten in Rede stehe, dass er aber (wie auch Met. XII, 10 zeige) keineswegs bestreite, dass man sinnvoll von einem allgemeinen und von allem getrennten reinen Guten sprechen könne. Dies aber hat keinen Einfluss auf die Bestimmung des Glückes. Der Bezug auf Gott wird in Thomas’ Kommentar sehr zurückhaltend in Anspruch genommen. Er weiß genau und sagt ausdrücklich, dass Aristoteles naturgemäß dem Sprachgebrauch der Antike folgt und gemeinhin in einem weiten Sinne von Gott bzw. dem Göttlichen spricht. Der vielleicht naheliegende Ausweg, der sich bei der aristotelischen Diskussion der Auffassung Solons, wonach niemand vor dem Tode glücklich zu preisen ist, anbietet, wird nicht beschritten. Wenn einerseits das Glück in diesem Leben immer bedroht ist, nach dem Ende des Lebens und seinen Kontingenzen aber wiederum nicht mehr realisiert werden kann, dann bleibt für Aristoteles nur zu sagen, der Tugendhafte vermeide durch kluges Handeln nach Möglichkeit das Unglück oder trage es, wenn es doch eintritt, mit Geduld. Dies ist nach Thomas eine zutreffende Bestimmung. Doch sind in der Rede von Glück formale Kennzeichnungen gegenwärtig, die zwar eine Vollendung der Tugend zulassen, aber keine vollendete Glückseligkeit. Dieser Gesichtspunkt ist zwar nur als ausgeklammerter präsent, aber eben doch präsent. Durch das Definiens Tugend folgt im Text eine umfassende Diskussion des Begriffes der Tugend, ihrer Entstehung, Ausdifferenzierung, Beurteilung etc., die den größten Teil der Nikomachischen Ethik ausfüllt, nach deren Durchgang das letzte Buch dann wieder zur Lehre von der Glückseligkeit zurückkehrt und sie zum Abschluss bringt. Naturgemäß spielen insbesondere in der Ethik bei Thomas Gesichtspunkte eine Rolle, die Aristoteles eher fremd sind. Der Abstand zwischen Text und Kommentar ergibt sich aber auch aus der Sprache. In dem Abschnitt über das Freiwillige (hekousion/ἡκούσιον) spricht Aristoteles beispielsweise von Handlungen, die man von sich aus tut oder unterlässt. Dieser Ausdruck wird im Lateinischen mit voluntarium wiedergegeben, so dass hier schon vom Wortfeld her ein Zusammenhang mit der Willenstätigkeit hergestellt wird. Eine eingehende Analyse des Kommentars kann freilich immer nur in einer mikroskopischen Durchdringung der entsprechenden Partien in anderen Werken des Thomas erfolgen – bei den Kernthemen wie bei den auf den ersten Blick unscheinbareren Themenstellungen. Dabei sind aber zur Absicherung immer auch zeitgenössische oder unmittelbar vorher entstandene Kommentare wie etwa die des Albertus Magnus oder solche aus der Pariser artes-Fakultät heranzuziehen.
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9.6. Metaphysik (Ed. Vives, 24, 334–25, 229)
Der Metaphysik-Kommentar entstammt den frühen 1270er Jahren. Das Buch Lambda der aristotelischen Metaphysik wird bereits als Buch XII angeführt, der Text ist also entstanden, nachdem Wilhelm von Moerbeke das bis dato unübersetzt gebliebene Buch XI (Met. K) übersetzt hatte; die neue Zählweise setzt sich ungefähr ab Mitte 1271 durch. Die Bücher II und auch das Aporienbuch III des Kommentars, das von den Kommentatoren nicht immer berücksichtigt wurde, wurden entweder nochmals überarbeitet oder zu einem späteren Zeitpunkt abgeschlossen. Der Kommentar gehört nicht zu den fragmentarischen Werken (das Werk schließt mit einer Doxologie), auch wenn die Bücher XIII und XIV ausgespart bleiben; den Grund dieser Beschränkung nennt Thomas aber nicht. Den Kommentar hat Thomas noch in Paris begonnen, aber wohl erst in Neapel zum Abschluss gebracht. Besonders unübersichtlich ist die Lage bei dem Text, der dem Kommentar zugrunde liegt. Es haben sich bisher mindestens fünf verschiedene Übersetzungen oder deren Versionen identifizieren lassen. Thomas stellt dem Kommentar ein Vorwort voran, in dem er sein Konzept der Metaphysik skizzenartig konzipiert. Thomas setzt mit dem Begriff der Ordnung ein. Sofern diese nicht eine bloße Konstellation, sondern eine Hinordnung auf eines ist, dann muss es darin je ein Element des Bestimmens und eines des Bestimmtwerdens geben. Dies gilt für die Ordnung von Körper und Seele und für die der seelischen Vermögen ebenso wie für die Ordnung der Wissenschaften. Auch diese werden auf eines hingeordnet, nämlich auf die Vollkommenheit des Menschen, seine Glückseligkeit also. Eine Wissenschaft muss diese Ordnung stiften und diese kann nur die Weisheit sein, denn Ordnung zu stiften ist Sache des Weisen. Es kann zudem nur diejenige Wissenschaft sein, welche das am meisten Verstandesmäßige zum Gegenstand hat. Anders als Albert hat sich Thomas in der Naturphilosophie wenig von Aristoteles wegbewegt. Seine philosophische Originalität entfaltet sich am signifikantesten in der Metaphysik. Hierzu gehört zentral der Gedanke, dass das Sein ein gegenüber der Form noch allgemeineres Prinzip darstellt, das einerseits als reiner Akt gedacht wird, andererseits aber die Form dadurch selbst ein Moment der Potentialität erhält. Der Begriff der Substanz bleibt erhalten, doch verändert er seinen Status. Es gibt selbständig Seiendes. Dies wird durch den Gedanken des Schöpfergottes nicht aufgehoben. Dieser aber erhält die Dinge im Sein und lässt damit etwas sein, was gerade in dieser Selbständigkeit ein Abbild des göttlichen Seins darstellt. In seinem Kommentar zu Met. IV, wo Aristoteles die sachliche Identität von Sein und Einheit vorführt, nimmt Thomas dies zum Anlass für die Differenzierung, der Begriff »Mensch« sei bezogen auf die Wesensnatur und der Begriff res (»Ding«) auf die Wesenheit überhaupt; »seiend« hingegen werde imponitur ab actu essendi (»im Hinblick auf den Akt des Seins beigelegt«: In Met. IV, 2; Ed. Vives 24, 473–478). Dies wiederum gibt die Gelegenheit, Avicennas These zu erörtern, Sein verhalte sich zum Wesen akzidentell. Das Sein kann nicht im We-
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C. Werk
sen enthalten sein, da es sich sonst um etwas Notwendiges handelte. Die Andersheit des Seins kann aber, obgleich die Existenz aller endlichen Dinge kontingent ist, nicht als Akzidens gedacht werden, weil es auf diese Weise völlig äußerlich würde. Es wird, wie Thomas sich vorsichtig ausdrückt, gleichsam durch die Prinzipien des Wesens, d. h. durch die jeweilige Form und Materie konstituiert. Ein Mensch zu sein ist nicht identisch damit, eine Pflanze zu sein. Kennzeichnend für diesen Kommentar ist auch, dass der bloße Verweis des Aristoteles auf die verschiedenen Weisen, in denen Sein ausgesagt wird, als Gelegenheit genommen wird, eine Art Deduktion der Kategorien zu unternehmen. So wie anderwärts die Vierzahl der Kardinaltugenden oder die Siebenzahl der Gaben des Hl. Geistes einsichtig zu machen versucht wird, so soll auch hier die bloße Reihung durch die verschiedenen Bezüge sichtbar gemacht werden; die »rhapsodische Aufraffung« wird nicht kritisch vermerkt oder unkritisch hingenommen, sondern in eine Ableitung überführt (In Met. V, 9; Ed. Vives 24, 543 f.). Darin zeigt sich am Beispiel eines einzelnen Lehrstückes, dass der Kommentator dem Philosophen immer noch mehr Vernunft zutraut als in den Texten unmittelbar sichtbar ist. Dass es ohne Zurichtung nicht ganz abgeht, geht aus Thomas’ Interpretation des Dynamis-Kapitels hervor. Aristoteles kennt keinen Begriff von Möglichkeit, der einzig in der Widerspruchsfreiheit der beteiligten termini bestünde. Was man seit Duns Scotus das »logisch Mögliche« nennt, hat schon Thomas klar vom real Möglichen unterschieden, aber eben zudem versucht, dies im Text der Metaphysik wieder zu finden (In Met. V, 14; Ed. Vives 24, 547 f.). Das Aporienbuch (In Met. III; Ed. Vives 24, 416–460), das längst nicht in allen mittelalterlichen Metaphysik-Kommentaren behandelt wird, ist für Thomas zum einen eine Gelegenheit, eine Übersicht über die Verteilung und Abfolge der einzelnen Themengebiete der Metaphysik zu geben. Es ist zum anderen aber auch ein Anlass, die prinzipielle Berücksichtigung des Für und Wider herauszustellen. Daraus ergibt sich etwas, was objektiv zweifelhaft erscheint, also kein existentieller, aber auch kein methodisch herbeigeführter Zweifel wie bei Descartes. Der Zweifel bringt Bewegungslosigkeit mit sich, seine Auflösung hingegen die Freisetzung des Denkens. Dies ist also keine didaktische Veranstaltung, in der gezeigt wird, was sich alles an Pros und Cons anführen lässt, vielmehr ist die Untersuchung der Wahrheit selbst wesentlich keine kontextlose Einsicht, sondern besteht in der Auflösung einander widerstreitender Thesen und Argumente. Nur so wird überhaupt auf eine umsichtige und nicht blinde Weise nach der Wahrheit gesucht. Aus diesen und weiteren Gründen ist es die Gewohnheit des Aristoteles – solche Bemerkungen über den aristotelischen Denkstil macht Thomas in seinen Kommentaren häufiger –, in den Untersuchungen konträre Lehrmeinungen zu referieren. Anders als in den anderen Pragmatien geschieht dies in der Metaphysik an einem Ort und nicht jeweils punktuell bei der Thematisierung einzelner Sachfragen. Thomas verbindet dies auch grundsätzlich mit der Vorgehensweise, durch die Aristoteles sich von anderen Philosophen – den Platonikern – unterscheidet: Aristoteles geht –
I. Schriften – 9. Aristoteleskommentare
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entsprechend der wirklichen Organisation der menschlichen Erkenntnis, muss man ergänzen – von den Sinnen aus und gelangt dann zu Wirklichkeiten, die von Materie frei sind (In Met. II, 5; Ed. Vives 24, 413–415). Thomas vollzieht ja auch weitestgehend die aristotelische Deutung der voraristotelischen Philosophie mit – allerdings bringt er Platon und Aristoteles sicherlich in einem höheren Maße zur Konvergenz, als dies Aristoteles für gerechtfertigt gehalten hätte. Die rationale Theologie des Aristoteles wird in skizzenhafter Weise in In Met. XII (Ed. Vives 25, 184–229) vorgebracht. Die Prinzipienlehre vollzieht Thomas durchaus mit. Form und Materie sind Prinzipien des Werdens und können deshalb nicht auch ihrerseits wieder geworden sein. Sie können dessen ungeachtet aber geschaffen sein. Wenn Aristoteles vorweg ohne Materie bestehende Formen ablehnt, so stellt Thomas doch die Frage, ob man hier nicht von derjenigen Form sprechen müsse, welche den Untergang des Dinges übersteht, nämlich die Geistseele. Den Beweis für einen ersten unbewegten Beweger akzeptiert Thomas in gewisser Weise, wenn er auch seiner Überzeugung nach auf einer in Wahrheit unerwiesenen These beruht, nämlich der Anfangslosigkeit der Bewegung. Nur ist auch dann, wenn diese falsch ist, aus dem zeitlichen Anfang a fortiori ein Argument zu gewinnen. Thomas folgt der philosophischen Theologie des Aristoteles ohne größere Distanznahme: Dass das Erste aller Wirklichkeit unbewegt, immateriell und lebendig sein muss, kann er ohne Einschränkung bejahen. Das Denken des Denkens interpretiert Thomas nicht als rein exklusiven Selbstbezug. Vielmehr sage Aristoteles, dass von ihm »der Himmel und die Natur« (In Met. XII, 7; Ed. Vives 25, 216a) abhänge. Da sich also Gott als dieses Prinzip wisse, müsse er auch alles das wissen, dessen Prinzip er sei. Thomas geht nicht nur hier so weit, auch dem aristotelischen Gott eine Lenkung der Welt zuzuschreiben (anderwärts noch unter Berufung auf andere Stellen). Thomas interpretiert die Art der Bewegung, deren erster Beweger Gott ist, anders als etwa Averroes nicht als reine Strebensbeziehung der natürlichen Dinge nach Ewigkeit, sondern auch als real verursachte Bewegung. Die Schlussbemerkungen des Aristoteles im zwölften Buch greift Thomas auf, um die interne und die externe Gutheit des Universums zu unterstreichen. Die besondere Gutheit des Ganzen – anderwärts in seinem Werk mehrfach mit Gen 1,31 parallelisiert – ist nur die eine Seite, auf der anderen Seite steht eine Art Universalteleologie, durch die alles im Ordo des Seienden seinen Platz hat. – Die seit langem vorgesehene Edition des Kommentars wird für die weitere interpretatorische Durchdringung einen großen Schritt bedeuten. Bazán, Bernardo Carlos: Le commentaire de saint Thomas d’Aquin sur le Traité de l’âme, in: RSPhTh 69 (1985), 521–547. Bourke, Vernon J.: The Nicomachean Ethics and Thomas Aquinas, in: Maurer, Armand A. (Hg.): St. Thomas Aquinas, 1274–1974. Commemorative Studies, Bd. 1, Toronto 1974, 239–259. Bürke, Bernhard: Das neunte Buch (Θ) des lateinischen großen Metaphysik-Kommentars von Averroes. Text-Edition und Vergleich mit Albert dem Großen und Thomas von Aquin, Bern 1969.
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10. Kommentar zum Liber de causis In der ersten Hälfte des Jahres 1272, gegen Ende seines zweiten Lehraufenthalts an der Pariser Universität und nur zwei Jahre vor seinem Tod, verfasste Thomas von Aquin – während er sich noch in der Arbeit an seiner Summa Theologiae befand – den Kommentar zu dem im 9. Jahrhundert im Raum Bagdad auf Arabisch verfassten Liber de causis (»Buch von den Ursachen«) und trug damit wesentlich zu dem Einfluss bei, den dieses Werk auf die mittelalterliche Metaphysik des Abendlandes ausübte. Insbesondere für die Autoren des 13. und 14. Jahrhunderts stellte der Liber de causis einen inspirierenden und vielfach kommentierten Grundtext dar (1255 wurde er – noch unter der Annahme, es handle sich hierbei um einen Text des Aristoteles – offiziell in den Lehrplan der Pariser Universität aufgenommen). Wir finden in dieser Schrift eine Art Synthese sowohl antik-paganen – aristotelischen und (neu-)platonischen – als auch christlichen Gedankenguts hinsichtlich der Darlegung einer als kontinuierlich zu bestimmenden, hie rarchisch abgestuften Kausalkette von der noch jenseits der Ewigkeit liegenden, ersten aller Ursachen über die Stufen des höheren Seins (Intelligenz und Seele) bis hin zu den in der Zeit geschaffenen, körperlichen und sinnenfällig wahrnehmbaren Dingen. Das zentrale Anliegen dieses Buches liegt somit offenbar in dem Versuch einer konsistenten Entfaltung des immanenten Durchwirkens der causa prima, die in Anklang an die platonische, aristotelische und neuplatonische Tradition sowohl als »reine Gutheit«, »reines Sein« oder als »absolute Einheit« bezeichnet wird, aber auch mit dem Göttlichen selbst identifiziert wird. Neben dieser ontologisch-schöpferischen Perspektive im Rahmen einer Hierarchisierung der universalen Ursachen thematisiert der aus 31 Lehrsätzen und deren Erklärungen bestehende Liber de causis in besonderer Weise auch die epistemologischen Möglichkeiten hinsichtlich der causa prima (Thomas nimmt in seiner Zählung auf der Grundlage einer Unterteilung der vierten Proposition 32 Lehrsätze an). In welcher Weise ist uns ein Sprechen über den unhintergehbaren Anfang von allem möglich, wenn dieses nicht mehr auf einer zugrundeliegenden Prinzipienkenntnis beruhen kann? Anders gefragt: Inwieweit ist es uns möglich, das im Liber de causis entworfene Verursachungsmodell intellektiv einzuholen und zu legitimieren? Zunächst ist Thomas von Aquin die entscheidende Wende in der Debatte um die Verfasserfrage des im 12. Jahrhundert vermutlich durch Gerhard von Cremona ins Lateinische übersetzten Liber de causis zuzuschreiben (zum Verhältnis arabischer und lateinischer Termini im Buch von den Ursachen vgl. den Begriffsindex bei D’Ancona Costa, Commento al »Libro delle cause«, 437–463). Während vorangehende Autoren dieses Werk mehrheitlich noch Aristoteles zuordneten, da sie in ihm eine Ergänzung des zwölften Buches seiner Metaphysik gefunden zu haben glaubten, erkennt Thomas in ihm ein Kompendium neuplatonischer Provenienz aufgrund von dessen offenkundiger Abhängigkeit und Übereinstimmung mit der Stoicheiōsis theologikē (»Elementatio theologica«) des Proklos, die ihm in
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der 1268 von Wilhelm von Moerbeke abgeschlossenen Übersetzung aus dem Griechischen ins Lateinische vorlag: Et in graeco quidem invenitur sic traditus liber Procli Platonici, continens CCXI propositiones, qui intitulatur »Elementatio theologica«; in arabico vero invenitur hic liber qui apud Latinos »De causis« dicitur, quem constat de arabico esse translatum et in graeco penitus non haberi (In librum de causis, prooem., ed. H. D. Saffrey, 3,3–7). Mit der kommentierenden Auslegung des Liber de causis wurde die proklische Systematisierung des neuplatonischen Denkens für die mittelalterlichen Autoren dauerhaft wirksam. Zwar trifft die ontologische Ausfaltung des Systems der Ursachen ein zentrales Moment, das sich auch in Thomas’ Aristoteles-Kommentaren findet; die neuplatonischen Elemente, wie sie nicht nur im Kommentar zum Liber de causis, sondern auch in seinen Kommentaren zu De divinis nominibus des Pseudo-Dionysius Areopagita, zu Boethius’ De hebdomadibus und in der Schrift De substantiis separatis deutlich sichtbar werden, sind jedoch noch immer entgegen einer einseitig aristotelischen Verortung seines Denkens hervorzuheben. Sie liefern entscheidende Hinweise für eine adäquate Gesamtdeutung der thomasischen Metaphysik (vgl. Vansteenkiste, Il Liber de causis negli scritti; Beierwaltes, Liber de causis als neuplatonisches Element). Scheint das Anliegen des Liber de causis, wie bereits erwähnt, durchgängig stärker ontologisch-schöpferisch als epistemologisch geprägt, so stellt Thomas gleich zu Beginn des Vorworts seines Kommentars ein deutlich erkenntnistheoretisches Interesse seiner Interpretation heraus: Sicut Philosophus dicit in X° Ethicorum, ultima felicitas hominis consistit in optima hominis operatione quae est supremae potentiae, scilicet intellectus, respectu optimi intelligibilis. Quia vero effectus per causam cognoscitur, manifestum est quod causa secundum sui naturam est magis intelligibilis quam effectus, etsi aliquando quoad nos effectus sint notiores causis […]. Oportet igitur quod simpliciter loquendo primae rerum causae sint secundum se maxima et optima intelligibilia, eo quod sunt maxime entia et maxime vera cum sint aliis essentiae et veritatis causa, ut patet per Philosophum in II° Metaphysicae, quamvis huiusmodi primae causae sint minus et posterius notae quoad nos: habet enim se ad ea intellectus noster sicut oculus noctuae ad lucem solis quam propter excedentem claritatem perfecte percipere non potest. (Super librum de causis expositio, prooem., Ed. Vives 26, 514b/515a). Gemäß Aristoteles besteht die letzte Glückseligkeit des Menschen (ultima felicitas hominis) in der Tätigkeit des Intellekts als seinem obersten und vornehmsten Vermögen und richtet sich dabei auf das höchst Erkennbare. In dieser Hinsicht ist zwar die Ursache an sich, d. h. ihrer Natur nach, das höchst Seiende und Wahre und damit intelligibler als die effectus (»Wirkungen«), da diese ja durch die Ursache allererst erkannt werden; für uns sind es jedoch die Wirkungen, die sich aufgrund ihrer empirischen Gegebenheit als bekannter erweisen, während unser
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Intellekt die Ursachen, wie von der Helligkeit des Sonnenlichts geblendet, nicht vollständig erfassen kann (vgl. hierzu z. B. Kapitel 5 und 21 des Liber de causis). Neben dieser stärker erkenntnistheoretisch geprägten Herangehensweise wird in weiten Teilen der Expositio vor allem Thomas’ Bemühen deutlich, im Liber de causis zu konstatierende Inkonsistenzen zum Zwecke eines über dessen ursprüngliche Struktur hinausgehenden höheren Grades an systematischer Geschlossenheit auszuräumen. Möglich scheint ihm dies durch Bezugnahmen auf platonische, aristotelische und christliche Lehren, gerade auch vermittels patristischer Autoritäten (so wird mehrfach Augustinus angeführt). Zudem beabsichtigt Thomas gleichsam synthetisierend, das Gemeinsame der Problematik im Liber de causis, in der Proklischen Elementatio und – wie bereits Albertus Magnus – im Corpus Dionysiacum herauszustellen. In seiner Kommentierung der einzelnen Lehrsätze des Liber de causis ordnet Thomas diese zunächst den jeweils zugrundeliegenden Propositionen der Proklischen Elementatio zu; im Anschluss an diesen Verweis auf die »positio platonica« folgt dann seine kritische und differenzierte Interpretation. Hinsichtlich der ›platonischen Position‹ unterscheidet Thomas allerdings zwischen der wiederzugebenden positio und ihrer tatsächlichen ratio (»Sinngehalt«) – häufig akzeptiert er lediglich eine von ihnen. Exemplarisch hierfür sei der Umgang mit dem Lehrsatz aus dem ersten Kapitel des Liber de causis angeführt, der allen weiteren Ausführungen zugrundeliegt: »Jede erstere Ursache beeinflusst das von ihr Verursachte mehr als die universelle zweite Ursache«. Zwar postuliert Thomas entsprechend der »positio platonica« den absoluten Primat der Erstursache gegenüber allen nachfolgenden Prinzipien, er bestimmt diese Vorrangstellung – die »ratio platonica« gleichermaßen korrigierend – jedoch nicht durch eine Priorität der Formen im Sinne (platonisch) abgetrennter Wesenheiten, sondern vielmehr (aristotelisch) im Sinne der Wirkursache bzw. aufgrund der Wirkursächlichkeit des schöpferischen Prinzips (vgl. Fidora/Niederberger, Von Bagdad nach Toledo, 234 f.). In besonderer Weise hervorzuheben ist Thomas’ Auslegung der im dritten Kapitel des Liber de causis thematisierten creatio mediante intelligentia (»Schöpfung vermittels der Intelligenz«), derzufolge die erste Ursache das Sein der Seele mittels der Intelligenz geschaffen habe. Thomas betont diesbezüglich, dass die Intelligenz nicht als Prinzip der Seele in schöpferischer Weise aufgefasst werden könne, sondern lediglich in der Weise einer (hyliathischen) Einformung. Durch eine Entfaltung des Grundsatzes, dass die Intelligenz als an der ersten Ursache Partizipierendes selbst keine Schöpfungsursache sei, wahrt Thomas somit die Monokausalität der göttlichen Schöpfung (vgl. hierzu D’Ancona-Costa, Saint Thomas lecteur). Schließlich sei auf die Interpretation des achten Kapitels des Liber de causis hingewiesen, in der sich Thomas – ähnlich wie sein Lehrer Albertus Magnus – mit der Bedeutung des auch in der lateinischen Übersetzung beibehaltenen Begriffs des arabischen yliathin auseinandersetzt. Dieses ist wohl am ehesten mit »Bestimmtheit« zu übersetzen, die allen mit Form versehenen Ursachen zu-
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kommt – allein der ersten Ursache ist eine solche aufgrund ihres »bloßen Seins« abzusprechen. Thomas leitet diesen Begriff des yliathin etymologisch vom griechischen ›hyle‹ her und bringt es damit unweigerlich mit einer gewissen »Materialität« in Verbindung (die so allerdings für die höheren Stufen des Seins nicht erklärbar scheint). Unabhängig von dieser problematischen Herleitung hat die Kennzeichnung der Erstursache als »ohne yliathin«, d. h. als »bestimmungslos«, unmittelbar Eingang in Thomas’ Lehre von Gott als dem ipsum esse gefunden (vgl. hierzu Speer, Yliathin quod est principium individuandi; Piché, Causa prima et esse). Während Thomas seinen Kommentar zum Liber de causis in Paris verfasste, zählte vermutlich Aegidius Romanus (1243–1316) zu seinen Schülern, der den letzten wirkmächtigen Kommentar des 13. Jahrhunderts schrieb (1290). Unübersehbar sind hierin die direkten Anknüpfungspunkte an die thomasische Expositio, so etwa die zuvor erwähnte Bestimmung Gottes als ipsum esse. Zwischen 1273 und 1276 verwendet schließlich Siger von Brabant († 1283) für seine Quaestiones in Librum de causis den Kommentar des Thomas und betont im Anschluss daran erneut die absolute Transzendenz der Erstursache und ihre alleinige Schöpfertätigkeit. Thomas von Aquin, Super librum de causis expositio, ed. H. D. Saffrey (Textus Philosophici Friburgenses 4/5), Fribourg/Löwen 1954. D’Ancona Costa, Cristina: Tommaso D’Aquino: Commento al »Libro delle cause«, Mailand 1986. D’Ancona Costa, Cristina: Saint Thomas lecteur du Liber de Causis. Bilan de recherches contemporaines concernant le De Causis et analyse de l’interprétation thomiste, in: Dies.: Recherches sur le Liber de Causis, Paris 1995, 229–258 (= RThom 92 [1992], 611–649). Beierwaltes, Werner: Der Kommentar zum Liber de causis als neuplatonisches Element in der Philosophie des Thomas von Aquin, in: PhR 11 (1964), 192–215. Fidora, Alexander/Niederberger, Andreas: Von Bagdad nach Toledo. Das »Buch der Ursachen« und seine Rezeption im Mittelalter. Lateinisch-deutscher Text, Kommentar und Wirkungsgeschichte des Liber de causis, Mainz 2001, insbes. 231–237. Vansteenkiste, Clemens: Il Liber de causis negli scritti di San Tommaso, in: Ang. 35 (1958), 325–374. Sabine Folger-Fonfara
11. De regno ad regem Cypri Aufnahme und Verarbeitung der Schriften des Aristoteles haben die mittelalterliche Scholastik nachhaltig geprägt. In einem gestuften Prozess eigneten sich die Gelehrten des lateinischen Westens das gesamte aristotelische Corpus an, zuerst die Texte zur Logik, dann die zu Physik und Metaphysik, schließlich die Schriften zur praktischen Philosophie, d. h. vor allem die Nikomachische Ethik und Politik. Die Politik hat erst um 1260 durch den niederländischen Dominikaner Wilhelm von Moerbeke († 1286) eine lateinische Übersetzung (aus dem Griechischen) er-
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halten. Kaum aber war damit dieser Text den mittelalterlichen Universitäten zugänglich, setzten sofort intensive Bemühungen um Aneignung und genaueres Verständnis ein. Aristotelische Begriffe, aristotelische Theoreme, aristotelische »Sprache« bildeten fortan eine wichtige, ja bald die wichtigste Basis theoretischer Überlegungen der scholastischen Gelehrten zur Politik der eigenen Zeit. Die Attraktivität rationaler Überlegungen abseits einer übermächtigen Offenbarungswahrheit wirkte offenbar unwiderstehlich, auch auf Theologen, zumal alle bereits unabhängig davon an den Universitäten hatten lernen müssen, was Wissenschaft im Sinne des Aristoteles bedeuten konnte, ja sie haben dessen Wissenschaftsbegriff ausgeweitet und formalisiert. Der Lehrer und Ordensbruder des Aquinaten in Paris und Köln Albertus Magnus († 1280) war wohl der erste, der den neuen Text gleich zweimal eines eigenen Kommentars würdigte und ihn in sein Großprojekt einer kommentierenden Paraphrase sämtlicher aristotelischer Werke einbezog (Politica; vgl. Flüeler, Rezeption, II, 2 [nr. 1] [datiert 1267–1280]). Auch Thomas von Aquin hat bald seinerseits einen kurzgefassten Überblick über die Politica begonnen, den er freilich über Buch III, c. 6 der modernen Zählung nicht hinausführte (Sententia libri politicorum [Ed. Leonina 48]; vgl. Flüeler, Rezeption, II, 47 [nr. 55] [datiert 1269– 1271]).Was in den älteren Drucken noch folgt, ist dem (späteren) fortlaufenden Kommentar des Pariser Artisten Petrus de Alvernia entnommen (Scriptum; vgl. Flüeler, Rezeption, II, 42 f. [nr. 49] [datiert 1272–1295]). Thomas hat aber etwa gleichzeitig mit dieser die aristotelische Argumentation vorwiegend raffenden Sententia seine Aristoteleslektüre auch zum Entwurf einer selbständigen politischen Theorie genutzt. Als Rahmen für diesen damals neuartigen Versuch wählte er die zu dieser Zeit beliebteste Gattung eines frei entworfenen politischen Traktats, einen »Fürstenspiegel«, dem er den Titel gab: De regno ad regem Cypri (durch Dondaines Ausgabe [Ed. Leonina 42, 421–471] sind sämtliche frühere Drucke überholt. Eine Liste von 42 Drucken ebenda, 432a–434b. Der Titel wird im Text selbst bestätigt: Ed. Leonina 42, 449a 3 f., vgl. auch die Liste der Benennungen in den alten Werklisten, Ed. Leonina 42, 421a). In spätmittelalterlichen Handschriften und in fast allen älteren Drucken findet sich ein Traktat von vier Büchern, De regimine principum überschrieben. Die Forschung hatte Mühe, eine Erklärung zu finden. Die Unterscheidung zwischen einem originären Text des Thomas, der bis in den Anfang von Kapitel De regno II c. 8 [= II. c. 4 der Vulgatafassung] reicht, einerseits und einer umfangreichen Ergänzung durch Thomas’ jüngeren Ordensbruder und Beichtvater Ptolomaeus von Lucca († 1327) andererseits steht aber heute fest (bereits Quétif/Echard, Scriptores Ordinis Praedicatorum, Bd. I, p. 337, hat das vermerkt, jetzt vgl. vor allem O’Rahilly, Notes on St. Thomas, 396–410. 605–614; dessen Ergebnisse in der Ed. Leonina 42 vollauf bestätigt werden). Ptolomaeus hat danach ein ihm vorliegendes Fragment des Thomas durch eine Fortsetzung – freilich eigener Absicht – in einem eigenen Traktat mit neuer Überschrift zu dem neuen Gesamttext fortgeführt, der freilich weiterhin Thomas von Aquin zugeschrieben wurde (dazu
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Blythe, Introduction; auch Blythe, Life and Works, 159–167; vgl. etwa Struve, Entwicklung, 165 f. Freilich übergeht die gesamte Diskussion oft stillschweigend, dass kein einziges Ms. die Fortsetzung des Ptolomaeus ohne den »Vorspann« des Thomas–Textes überliefert). Das thomasische Fragment birgt weitere Schwierigkeiten. Eine Fixierung der Abfassungszeit bleibt unsicher (vgl. Ed. Leonina 42, 424/425). Unbekannt ist, welcher »König von Zypern« die Widmung entgegennehmen sollte. Thomas hatte zwei Lusignan–Herrscher der Insel zu Zeitgenossen, Hugo II. (1251−1267) und Hugo III. (König von Zypern seit 1267, dazu König von Jerusalem seit 1272, † 1284). Weil der Anjou–König von Sizilien/Neapel und Landesherr des Aquinaten Karl II. mit Hugo III. seit 1272 im Streit um das Königtum Jerusalem lag, hat man gemeint, in dieser Zeit sei eine Widmung an Hugo III. durch Thomas unwahrscheinlich (Quétif/Echard, Scriptores Ordinis Praedicatorum, Bd. I; aufgegriffen von Cranz, Aristotelianism, 214). Doch selbst dieses für sich wenig sichere Argument lässt immer noch eine Widmung durch Thomas an Hugo III. (vor 1272) offen. Die »klassische« Datierung des Textes auf 1265–1267 hat Hugo II. im Blick. Flüeler, der aufgrund anderer Überlegungen den gesamten Traktat 1271/73 ansetzt (Flüeler, Rezeption, I, 27 f.), muss jedoch an Hugo III. denken. Das scheint zunächst keine erhebliche Differenz. Jede Antwort hat jedoch den unvermittelten Abbruch des Fragments zu erklären. Die Frühdatierung zieht den plötzlichen Tod des noch jugendlichen Widmungsempfängers heran, die spätere sieht auch diesen Textabbruch in jener späten Lebenskrise (im Jahre 1273) begründet, in der Thomas auch manch andere Schrift unvollendet ließ (Torrell, Initiation, 432 f.; vgl. auch den vielzitierten Bericht des Bartholomäus von Capua für den Kanonisationsprozess des Thomas [1321] über die Lebenskrise, zuletzt ed. Robiglio, Sopravvivenza, 90). Als weitere Frage bleibt das Problem, ob das vorliegende Fragment wirklich eine authentische Schrift des Thomas von Aquin ist oder ob wir es mit einer »collection of fragments« zu tun haben, unzusammenhängend und diskontinuierlich niedergeschrieben, vielleicht aus dem Nachlass des Thomas von fremder Hand ungeschickt zusammengestellt, oder gar ihm nur unterschoben? Die letzte Auffassung hat nachdrücklich und mit minuziöser Aufmerksamkeit auf philologische Details Eschmann vertreten (Eschmann, Two Powers, 177–205; vgl. Eschmann, Introduction, bes. XV, vgl. XXIV–XXVI; auch etwa Jordan, De regno and the place, 151–168). Diese Auffassung hat besonders im angelsächsischen Raum, bis in die Handbücher und auch neuere Monographien hinein Anhänger gefunden (etwa Black, Political Thought, 22; zurückhaltender: Dyson, Thomas, Political Writings, XIX; doch auch z. B. Kempshall, Common Good, 132). Noch jüngst nahm Blythe – im Anschluss an eine unveröffentlichte Studie aus dem Nachlass von Hans Baron – zumindest noch Interpolationen in einem ursprünglichen Thomastext an und suchte derartige Überarbeitungen interpretatorisch aufzuweisen, durch die kurz nach Thomas’ Tod Ptolomaeus von Lucca einen ursprünglich konsequent »monarchistischen« Thomastext gewissermaßen »repub-
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likanisch« aufgeweicht hätte (Blythe, Life and Works, 157–190, dazu aber die Rezension von Miethke). Aber man kann den fragmentarischen Text von »De regno« auch anders lesen. Er lässt sich als Auftakt zu einem bereits in Grundzügen klar erkennbaren Entwurf einer politischen Theorie verstehen, die durchaus ihres Verfassers würdig ist. Eindrucksvoll hat dies Berges gezeigt, und vor und nach ihm viele andere (Berges, Fürstenspiegel, bes. 116–121. 195–211. 317–319; eine überzeugende Kritik an Eschmann übte auch Boyle, The »De regno« and the Two Powers, 237–247 [zuletzt in: Boyle, Facing History, 1–12]; Fitzgerald, St. Thomas and the Two Powers, 515–556; weitere Literaturhinweise bei Miethke, De potestate papae, 25–56). Aufriss des Fragments (schematisch wiedergegeben in Ed. Leonina 42, 425; auch Berges, Fürstenspiegel, 199. 210 f.) und Gesamtplan (entworfen insbes. in De regno II c. 4; Ed. Leonina 42, 467b 43–468a 114 [= I c. 15 der Vulgatfassung]) scheinen klar: zuerst steht die ratio regiminis im Fokus der Untersuchung, d. h. eine Wesensbestimmung des Königtums, eine Theorie der Monarchie und ihrer Verkehrung in der Tyrannis, Möglichkeiten eines Widerstandes gegen Tyrannei. Dann tritt die ratio regentis in den Blick, das officium des Königs und seine denkbaren und wünschenswerten Motivationen. Schließlich war geplant, die ratio gubernationis, die (vernünftigen) Aufgaben der Regierung zu behandeln, wobei zuerst die institutio eines Gemeinwesens dargestellt werden sollte. Dem sollte dann die auf die Verfassung gerichtete Sorge des Regenten um den Bestand, die conservatio des Gemeinwesens folgen, d. h. insbesondere seine Sorge für die Sukzession in den Ämtern und für das »gute Leben« der Menge im Inneren durch Gesetzgebung und Leitung, sowie die militärische Verteidigung nach außen. Schließlich hätte allgemein die Sorge um Fortschritte in der Sittlichkeit der Menge (promotio, perficere) Gegenstand der Erörterung sein sollen (zu diesem Dreischritt vgl. De regno II c. 4 [= I c. 15 Vulgatfassung]; Ed. Leonina 42, 467b 43–46). Von diesem weitgespannten Programm hat Thomas im Fragment jedoch allein noch die Gründung einer Stadt behandelt (civitas, d. h. einer πόλις in aristotelischem Sinn; vgl. jedoch De regno II c. 1 [= I c. 12 Vulgatfassung]; Ed. Leonina 42, 464b 21, wo civitas aut regnum [!] gleichberechtigt genannt sind). Mitten in Überlegungen zu Umständen, auf welche ein Stadtgründer achten müsse (mäßiges und gesundes Klima, Fruchtbarkeit des Bodens, Schönheit des Landes), bricht der Text unvermittelt ab. Der letzte Satz bemüht die Ästhetik: es sei günstig, wenn in einer menschlichen Gemeinschaft Erfreuliches – mit Maßen – als Gewürz des Lebens zu finden sei, ut animi hominum recreentur (De regno II c. 8 [= II c. 4 Vulgatfassung]; Ed. Leonina 42, 471b 49–51). Während Thomas’ Ordensbruder Vinzenz von Beauvais († 1264) kurz zuvor in seinem enzyklopädischen Speculum universale eine Kompilation von Autoritäten mit Handlungsanweisungen vorwiegend für Hofleute anstrebte und wenigstens z.T. auch lieferte, wollte Thomas, wie bereits der abstrakte Titel der Abhandlung (De regno) anzeigt und wie im Prooemium auch deutlich und explizit geschrie-
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ben steht (De regno II c. 1; Ed. Leonina 42, 449a 1–2), dass sein künftiges Werk regie celsitudini dignum meeque professioni et officio congruum sein sollte (»der königlichen Hoheit würdig und auch meinem eigenen Beruf und Amt angemessen«). Er verspricht also, einen Text vorzulegen, der auch seiner Wissenschaft entsprechen werde, die zugleich niemand geringerem als dem König als würdiges – und das heißt doch auch diesem nützliches – Geschenk gegeben werden solle. Damit wird angedeutet, dass hier der Nutzen wissenschaftlicher Abhandlung deutlich werden könne. Wenn er aber »wissenschaftlich« vorgehen wollte, so konnte das für einen scholastischen Gelehrten im 13. Jahrhundert nur bedeuten, den Vorgaben aristotelischer Wissenschaftslehre und Wissenschaftslogik entsprechend zu verfahren. Damit allerdings geht Thomas einen merklichen Schritt über das eingeschränkte Zutrauen des Aristoteles in das »Handlungswissen« von »Ethik« und »Politik« hinaus. Er greift hier wie selbstverständlich auf eine erst in der Scholastik nicht zuletzt durch seine eigenen Anregungen entwickelte Auffassung von einer »praktischen Wissenschaft« zurück, die eine vertiefte Reflexion des aristotelischen »Handlungswissens« ermöglicht hat (Lutz-Bachmann, Politischer Denker). War für den griechischen Philosophen – anders als für Platon – in Ethik und Politik ein »praktisches Wissen« in Verhalten und Handeln für eine glückliche Lebensführung wichtig, vorteilhaft und in gewissem Sinne sogar notwendig, wenngleich klar von dem theoretischen Wissen einer spekulativen Wissenschaft unterschieden, so haben die mittelalterlichen Rezipienten seiner Theorien im Prozess von deren Aneignung und gedanklichen Durchdringung den Weg einer stärkeren Fortentwicklung des von Aristoteles vorgelegten Modells zu einer »praktischen Wissenschaft« eigener Würde eingeschlagen. Thomas steht zusammen mit anderen am Beginn dieses Weges, er nennt etwa die »Ethik« explizit eine scientia und stellt sie damit als praktische Wissenschaft neben die spekulativ theoretischen Wissenschaften etwa der Physik oder der Metaphysik, wenn sicherlich auch nicht unmittelbar auf dieselbe Stufe, weil er ihre tiefere Begründung in der Vernunft des Menschen selber sucht und sieht. Die Aussage des Aristoteles, »die aus der praktischen Selbsterfahrung des Menschen in der gelingenden oder auch misslingenden Interaktion miteinander hervorgeht und ein Ziel für das Handeln extrapoliert, […] um das von den Menschen stets erstrebte Lebensziel in der Polisgemeinschaft nicht zu verfehlen« (Lutz-Bachmann, Politischer Denker, 57), wird damit verlassen in Richtung auf eine deontologisch von der Vernunft her bestimmte und immer stärker normativ verstandene Sollensordnung, die als solche verinnerlicht werden kann. Damit ist Thomas ein früher Vertreter einer »politischen Theorie« im engeren Sinn, an die Aristoteles so noch nicht hatte denken wollen, so allgemeine Aussagen er zu Grundgegebenheiten menschlichen Zusammenlebens auch machen konnte. All die gleichwohl »allgemeinen« Aussagen des alten Griechen haben die scholastischen Gelehrten und hat bereits Thomas von Aquin genau gelesen und im Zusammenhang zu verstehen versucht. Thomas liest Aristoteles allerdings mit
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mittelalterlichen Augen (dazu genauer Miethke, Spätmittelalter, 93–97). Vieles übernimmt er unmittelbar, anderes erhält zumindest eine eigene, eine neue Färbung. Dass der Mensch auf Gesellschaft hin angelegt sei, das ist auch für Thomas naturgegeben (De regno II c. 1; Ed. Leonina 42, 464a 20–21: homo est animal naturaliter sociale in multitudine vivens, vgl. De regno I c. 1; Ed. Leonina 42, 449b 37–38). Thomas übersetzt aber das aristotelische ζῷον πολιτικόν nicht (wie seine Vorlage, die Übersetzung des Wilhelm von Moerbeke) mit animal civile, sondern als animal sociale et politicum (De regno I c. 1; Ed. Leonina 42, 449b 26). Mit dieser Doppelformel ist die Geselligkeit des Menschen von seiner πόλις- bzw. Politikfähigkeit sprachlich – und damit auch sachlich – unterschieden. Der »natürliche« Zusammenschluss menschlicher Wesen zum Staat ist aber damit auch gleichsam formalisiert in Richtung auf eine stärkere Betonung des Willens der Beteiligten, eine Tendenz die sich noch im Mittelalter in späteren politischen Theorien bis zu einer Vorstellung verstärken sollte, die sich der »klassischen« Theorie (des 17. Jahrhunderts) eines ursprünglichen »Gesellschaftsvertrages« stark annähert. Der Mensch bedarf als Vernunftwesen, auch hier folgt Thomas Aristoteles, zur angemessenen Verwirklichung seiner Möglichkeiten der Vernunft. Nur im freien Austausch mit Artgenossen kann er ein ausreichendes Leben erlangen. Von Aristoteles übernommen wird ebenfalls der Gedanke, die Stufen gesellschaftlicher Organisation (Familie–Dorf–Stadt) auf die jeweils erreichbare Autarkie des Lebens zu beziehen. Thomas erweitert jedoch die aristotelische Linie über die πόλις hinaus bis in den Flächenstaat hinein, er setzt die Reihe domus–vicus–civitas (De regno I c. 1; Ed. Leonina 42, 451a 158–167; als erster Gipfel: civitas, que est perfecta communitas) fort zunächst durch provincia, die wenig später stillschweigend durch regnum ersetzt erscheint. Damit ist mehr als eine nur quantitative Veränderung vorgenommen. Ein verdoppelter (!) Gebrauch des Vollkommenheitsbegriffs zeigt das an: während zunächst (De regno I c. 1; Ed. Leonina 42, 451a 163) die civitas – gut aristotelisch – als perfecta communitas bestimmt ist, wird die provincia sodann gleich als »noch vollkommener« beschrieben (magis, Ed. Leonina 42, 451a 165–166). Damit aber ändert Thomas die Gesamtstruktur des aristotelischen Entwurfs, der in der Polis das unüberbietbare Modell und Ziel politischer Kommunikation gesehen hatte. Thomas unterstreicht das noch, wenn er den Lenker von »Stadt oder Provinz« (civitas vel provincia) als einer »vollkommenen Gemeinschaft« (perfecta communitas) als »König« tituliert, sofern er »wegen des Gemeinwohls« (propter bonum commune) regiert (De regno I c. 1; Ed. Leonina 42, 451a 167–175). Damit schließt er die »Vollkommenheit« der politischen Verfassung gleich zu Beginn seiner Schrift und stärker, weil direkter als Aristoteles an die Bedingung des Gemeinwohls an. Aus Aristoteles stammt auch das Sechserschema der guten und entarteten Verfassungsformen. Anders als Aristoteles jedoch, der sich nur manchmal und nicht grundsätzlich zugunsten der Monarchie ausgesprochen hat, erkennt Thomas (wie später die meisten mittelalterlichen Autoren) in der Monarchie die absolut »bes-
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te« Staatsform, welcher er freilich – mit aristotelischen Begriffen – die Tyrannis als absolut schlechteste unmittelbar gegenüberstellt, in welche die beste Staatsform ganz unvermittelt umkippen und abstürzen kann (Schmidt, König und Tyrann, 339–357). In einer längeren Erörterung (De regno I c. 6; Ed. Leonina 455a 14–16) werden sogar – im Mittelalter sonst seltene – Überlegungen dazu angekündigt, wie eine Verfassung gegen Tyrannei institutionell gesichert werden könne. Doch blieb dieses Versprechen schließlich uneingelöst, der Traktat sollte niemals bis an dieses Ziel gelangen. Noch weiter von Aristoteles entfernt sich Thomas naturgemäß dort, wo er auf die Kirche in ihrem Verhältnis zur weltlichen Gewalt zu sprechen kommt. Auch die mittelalterliche Kirche hat sich erst in einem komplizierten Prozess allmählich als Institution mit klar angebbaren Organisationsgrenzen zu begreifen gelernt. Im 13. Jahrhundert war diese Entwicklung noch lange nicht abgeschlossen. Thomas bleibt dem Gedanken der aristotelischen Entelechie treu und löst die Aufgabe einer Zuordnung durch eine komplexe Theorie letzter Zwecke des Menschen und seiner gesellschaftlichen Verfassungen, die er in eine hierarchische Ordnung fügt (Berges, Fürstenspiegel, bes. 204–207; vgl. Wieland, Praktische Philosophie, 73–77). Mensch und Gesellschaft haben – wie bei Aristoteles – zunächst das wesentliche und notwendige Ziel der Selbsterhaltung (finis debitus, De regno II c. 3; Ed. Leonina, 465b 6); das jedenfalls muss ein König seinem Volke ermöglichen. Darüber hinaus aber muss ein Mensch sich selbst und muss ein König sein Volk dazu bringen, nach den richtigen Grundsätzen, »gut«, d. h. vivere secundum virtutem (»gemäß der Tugend zu leben«; bene vivere, II c. 3 [= I c. 14 Vulgatfassung]; Ed. Leonina, 466a 58–64). Die Untertanen zu einer vernunftgemäßen Sittlichkeit zu führen, würde als königliche Aufgabe durchaus genügen, wenn der Mensch von Gott nicht zu noch Höherem bestimmt wäre, zur »höchsten Seligkeit, die man sich nach dem Tode in der Schau Gottes erhofft« (II c. 3 [bzw. I c. 14 Vulgatfassung]; Ed. Leonina 42, 465b 35–36; vgl. 466a 75 f.). Anleitung dazu jedoch kann kein König leisten, denn Gott selbst hat dafür allein »die Diener der Kirche Christi« bestimmt, die im Papst ihre Spitze haben, cui omnes reges populi Christiani oportet esse subiectos sicut ipsi Domino Ihesu Christo (»dem alle Könige eines christlichen Volkes genau so unterworfen sein müssen wie dem Herrn Jesus Christus selbst«: Ed. Leonina 42, 466b 114–115). Das klingt nach »papalistischer« Übersteigerung, nach einem Weltherrschaftsanspruch für den Papst. Thomas zeigt in seinem Verhalten und in seiner Rhetorik hier wie sonst eine hohe Schätzung des Papstes; er war zweifellos ein »praktischer Papalist«. Doch gerade in De regno hat er sehr sorgfältig versucht, in seinen Darlegungen und in seiner Theorie beide Sphären penibel voneinander zu unterscheiden, sie getrennt und unvermischt zu halten. Dem Papst wie dem König wird je eine prinzipiell unabhängige Leitungsaufgabe zugewiesen. Thomas legt größten Wert darauf, dass der König für sich allein für Lebenserhaltung und Tugendleben seiner Untertanen zuständig ist und bleibt und dass Kirche und Papst
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unmittelbar nur das zu bestimmen haben, was zur ewigen Gottesschau führt. Für Thomas hat der Papst eindeutig die Spitze der amtskirchlichen Hierarchie inne, ist Träger aller Ehrentitel der Tradition, die an einer Stelle (De regno II c. 3 [= I c. 14 Vulgatfassung]; Ed. Leonina 466b 110–116) auch gehäuft auf ihn appliziert werden können. Dabei bleibt gerade dort jedoch offen, ob sich diese Kompetenzbeschreibung auf die ganze Christenheit, die Welt oder nur auf jene Gebiete bezieht, in denen der Papst besondere weltliche Kompetenzen beansprucht, wie besonders im Patrimonium Petri, im Königreich Sizilien oder in England. Selbst dort, wo Thomas sonst scheinbar unüberbietbar allgemein formuliert, bleibt die merkliche Unterscheidung zwischen geistlicher und weltlicher Kompetenz jedenfalls prinzipiell bestehen (z. B. in der frühen Sentenzenvorlesung Sent. II d. 44 q. 2 a. 3 ad 4; Ed. Vives 7, 594b: …in his autem quae ad bonum civile pertinent, est magis obediendum potestati saeculari quam spirituali […], nisi forte potestati spirituali etiam saecularis potestas conjungatur, sicut in papa, qui utriusque potestatis apicem tenet, scilicet spiritualis et saecularis, hoc illo disponente qui est rex ›in aeternum, secundum ordinem Melchisedek‹, ›rex regum et dominus dominantium‹, cuius potestas non corumpetur in saecula saeculorum, Amen; »In Angelegenheiten jedoch, die zum bürgerlichen Wohl gehören, muss man der weltlichen Amtsgewalt mehr gehorchen als der geistlichen, wenn da nicht der geistlichen Amtsgewalt auch die weltliche Amtsvollmacht verbunden ist, wie etwa beim Papst, der den Gipfel beider Amtsgewalten innehat, der geistlichen und der weltlichen, was jene Instanz so angeordnet hat, der da König ist ewiglich nach der Weise Melchisedeks’ [Ps 109/110.4], ›König aller Könige und Herr aller Herren‹ [1 Tim 6,15], dessen ›Gewalt nicht vergeht in Ewigkeit‹ [vgl. Dan 7,14]«). Mit keinem Wort erwähnt Thomas jemals einen möglichen Konflikt zwischen der weltlichen Herrschaft und der geistlichen Leitung, wie er ihn doch selbst in seinem Leben bitter genug erfahren hatte. Vor allem setzt Thomas offenbar voraus, dass Papst und Priester stets ihrer Aufgabe treu bleiben und sich keiner Grenzüberschreitungen oder unberechtigter Ansprüche schuldig machen, während König und Kaiser der Weisungsgewalt des Priesters in geistlichen Dingen und im Falle jeder Übertretung auch darüber hinaus (gewissermaßen ratione peccati also) unterworfen bleiben. Dieser Widerspruch wird von Thomas nicht aufgelöst. Das machte seinen Entwurf später für papalistische Anwendung, ja Ausschlachtung anfällig. Freilich hat auch sein Bemühen, analytisch die Differenz beider Instanzen offen zu halten, weitergewirkt. Schüler und Nachfolger haben die fragmentarischen Ansätze des Thomas später entschieden vereinseitigt, und das in beide mögliche Richtungen. Ptolomaeus von Lucca oder Aegidius Romanus († 1316) haben eindeutig »papalistische« Entwürfe vorgelegt, Johannes Quidort von Paris († 1307) hat dagegen unter Benutzung der analytischen Werkzeuge des Thomas den französischen König Philipp den Schönen gegen die Ansprüche Papst Bonifaz’ VIII. zu verteidigen gewusst und damit einer Trennung von Staat und Kirche nachhaltig vorgearbeitet (Miethke, De potestate papae, 44 f.). So blieb Thomas von Aquin als früher Re-
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präsentant einer »Theorie der Politik« im späteren Mittelalter besonders durch seinen Fürstenspiegel »De regno« nachhaltig wirksam. Berges, Wilhelm: Die Fürstenspiegel des späten Mittelalters, Leipzig 1939, ND 1952. Blythe, James M.: The Life and Works of Tolomeo Fiadoni (Ptolemy of Lucca), (Disputatio, 16), Turnhout 2009 [jedoch vgl. dazu die Rezension durch J. Miethke im Internetportal der Zeitschrift Francia: www.perspectivia.net/content/publikationen/francia/francia-recensio/ 2010-3/MA/blythe_miethke (05.10.2010)]. de Boni, Luis Alberto: Entre a urbe e o orbe – o De regno no contexto do pensamento político de Tomás de Aquino, in: Ders.: De Abelardo a Lutero. Estudios sobre filosofía prática na idade média (Coleção Filosofía 161), Porto Alegre 2003, 103–126. Dyson, Robert W. (Hg.): St. Thomas Aquinas, Political Writings, ed. and translated, Cambridge 2002. Flüeler, Christoph: Rezeption und Interpretation der aristotelischen »politica« im späten Mittelalter, Bd. I–II, Amsterdam 1992. Lutz-Bachmann, Matthias: Thomas von Aquin als politischer Denker. Ein neuer Ansatz zur »Politischen Theorie« im Mittelalter, in: Brantl, Dirk/Geiger, Rolf/ Herzog, Stephan (Hg.): Philosophie, Politik und Religion. Klassische Modelle von der Antike bis zur Gegenwart, Berlin 2013, 55–66. Miethke, Jürgen: De potestate papae. Die päpstliche Amtskompetenz im Widerstreit der politischen Theorie von Thomas von Aquin bis Wilhelm von Ockham, Tübingen 2000 [durchgesehene Studienausgabe unter dem Titel: Politiktheorie im Mittelalter. Von Thomas von Aquin bis Wilhelm von Ockham, Tübingen 2008], bes. 25–45. Torrell, Jean-Pierre: Initiation à Saint Thomas d’Aquin. Sa personne et son œuvre, Fribourg 1993, 22002. Ubl, Karl/Vinx, Lars: Zur Transformation der Monarchie von Aristoteles bis Ockham, in: Vivarium 40 (2002), 41–74. Wieland, Georg: Praktische Philosophie und Politikberatung bei Thomas von Aquin, in: Kaufhold, Martin (Hg.): Theoretische Reflexion in der Welt des späten Mittelalters, Leiden/ Boston 2004, 65–83. Jürgen Miethke
12. Der Aufbau der Summa Theologiae 12.1. Historischer Kontext
Thomas von Aquin beabsichtigte nach Ausweis des Prologs zur Prima pars, in seiner Summa Theologiae kurz und klar das darzustellen, was zur Theologie gehört (ea quae ad sacram doctrinam pertinet), und zwar nach der Ordnung dieser Wissenschaft (secundum ordinem disciplinae). Dieses Vorhaben war freilich nicht originell. Die Summa steht in einer langen Tradition. Einerseits hatte der schon in der vorchristlichen Antike einsetzende Prozess der Auswahl und Reduzierung von Überlieferung die literarischen Gattungen verschiedengestaltiger Florilegien und Enzyklopädien hervorgebracht. Andererseits hatte es seit der Alten Kirche (Origenes, De principiis; Augustinus, Enchiridion de fide, spe et caritate) bis ins 11. Jahrhundert bedeutende, wenn auch nur vereinzelte Versuche gegeben, die
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Fülle theologischer Überlieferung in einer durchdachten sachlichen Ordnung darzubieten und mit Hilfe nichttheologischer (philosophischer) Mittel zu erörtern. Im 12. Jahrhundert wurde es an den großen theologischen Schulen üblich, Sätze aus der Heiligen Schrift und der kirchlichen Überlieferung in Sentenzensammlungen (Sententiae) zusammenzustellen. Für solche Materialsammlungen, die auch für die verschiedensten anderen Gebiete (Grammatik, Logik, die Philosophie und ihre Teile, Zivilrecht und Kanonistik) erstellt wurden, bürgerte sich der Name der Summa ein, die nach der Definition Roberts von Melun eine singulorum brevis comprehensio (»kurze Zusammenfassung von einzelnem«) ist. Mitte des 12. Jahrhunderts wurden beide Begriffe in dem der Summa sententiarum miteinander verbunden. In den Schulen des 12. Jahrhunderts bemühte man sich auch erneut, die in diesen Sammlungen zusammengetragenen Materialien zu ordnen. Es gab dafür unterschiedliche Ansätze. In der Schule von Laon reihte man einzelne theologische Themen noch in sehr lockerer Folge aneinander, in der man schon eine rudimentäre heilsgeschichtliche Ordnung erkennen kann: Gott, die Engel, den Menschen, Sünde und Erlösung, die Sakramente, Naturgesetz und geschriebenes Gesetz. Hugo von St. Viktor in Paris machte die heilsgeschichtliche Abfolge auch terminologisch sehr deutlich, indem er zwischen opera conditionis (den »Werken der Schöpfung« – vom Sechstagewerk mit Gott als Schöpfer über die Engel und Menschen bis zu den Sakramenten und dem Glauben als Mittel zum Heil) und den opera restaurationis (den »Werken der Wiederherstellung oder Erlösung« – von der Inkarnation über die Kirche mit ihrer Liturgie und einzelnen Sakramenten bis zur Eschatologie) unterschied. Dagegen entwarfen Petrus Abaelard und seine Schüler eine sachliche Dreiteilung von fides (»Glaube« – als Tugend und als Glaubensinhalte, vor allem Gottes- und Schöpfungslehre), caritas (»Liebe« – im wesentlichen Fragen der Ethik) und sacramenta (»Sakramente« – unter Einschluss der Inkarnation). Andere systematische Werke bemühten sich um eine Verbindung heilsgeschichtlicher Prinzipien mit anderen sachlichen Gesichtspunkten. Die größte Wirkung hatte schließlich der Aufbau, den Petrus Lombardus in seinen vier Sentenzenbüchern befolgte, seit dieses Werk sich im zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts an den theologischen Fakultäten der Universitäten Paris und Oxford als Grundlage einer regulären Vorlesung durchsetzte. Sein Aufbau wurde zum Grundriss aller Sentenzenkommentare des Mittelalters: Buch I enthält nach einer hermeneutischen Einleitung (d. 1) die Lehre von Gott; es behandelt zunächst die Trinität (d. 2–34), anschließend die Eigenschaften Gottes abgesehen von der Trinität (d. 35–48). Buch II ist auf die Lehre von der Schöpfung (d. 1–20) und von Urstand, Fall und Sünde (d. 21–44) aufgeteilt. Buch III umfasst die Christologie mit dem Erlösungswerk Christi (d. 1–22) sowie – durch die Frage nach Glauben, Hoffnung und Liebe Christi eingeleitet – die Lehre von den drei theologischen und den vier Kardinaltugenden, ferner von den Gaben des Heiligen Geistes, von den Zehn Geboten und den Lastern, von Gesetz und Evangelium (d. 23–40). Buch IV behandelt schließlich die Sakramentenlehre (d. 1–42)
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und die Eschatologie (d. 43–50). Dieser Aufbau mag klar und einprägsam sein; er weist aber auch erhebliche Schwächen auf. So hat die allgemeine Gotteslehre neben der Trinitätslehre eine nur rudimentäre Stellung; die Frage nach dem Wesen Gottes ist in den Abschnitt über die Zeugung des Sohnes eingefügt (I d. 8) und kann sich dadurch nicht angemessen entfalten. Die Gnadenlehre wird nur in der Darstellung des Urstandes der ersten Menschen vor dem Fall ausführlich behandelt (I d. 26–27), d. h. als Voraussetzung der Sündenlehre, dagegen nicht im Zusammenhang mit der Soteriologie. Die – wie im Mittelalter üblich – als Tugendlehre gestaltete Ethik ist ohne innere Motivation, gewissermaßen in Stichwortanknüpfung, an die Christologie angehängt (III d. 23 c. 1–2). 12.2. Der Aufbau der Summa Theologiae
Wer den von Thomas entworfenen Aufbau der Summa Theologiae verstehen und das in ihm Geleistete würdigen möchte, der muss den historischen Hintergrund kennen. Thomas selbst war wie jeder Universitätslehrer der Theologie im Mittelalter mit den Sentenzen des Petrus Lombardus vorzüglich vertraut. Wie er im Prolog zur Prima pars sagt, hatte er didaktische Bedenken gegen die zeitgenössische theologische Literatur, wozu selbstverständlich an erster Stelle die Sentenzenkommentare gehörten. Dies dürfte durch eine Behauptung des Ptolomaeus von Lucca (Hist. eccl. 23,15; Ferrua, Fontes, 368) bestätigt werden, der behauptet, das in Rom verfasste 1. Buch eines Sentenzenkommentars gesehen zu haben, das zwar gelegentlich bezeugt, aber nicht erhalten ist. Falls diese Nachricht richtig ist, hat Thomas, was schon im 13. Jahrhundert vorkam, als Magister eine neue Fassung seines Sentenzenkommentars begonnen, sie aber aus den im Prolog der Summa Theologiae genannten Gründen wieder verworfen und ein neuartiges Werk in Angriff genommen. Der Aufbau seiner Summa Theologiae stellt in der Tat eine Alternative zu den Sentenzen dar, die den theologischen Stoff secundum ordinem disciplinae bieten möchte. Thomas gibt in der Summa selbst zahlreiche Hinweise auf deren Aufbau: in den Prologen zu den verschiedenen Teilen, in den Einleitungen zu den Großabschnitten (in der Literatur zuweilen mit einem unangemessenen Begriff als »Traktate« bezeichnet) sowie in vielen Überleitungen zwischen Gruppen von Quaestionen mit Rück- und Vorverweisen. So leitet er z. B. nach der Erörterung über die Existenz Gottes (STh I q. 2; Ed. Leonina 4, 27–34) mit einer längeren Überlegung zu den folgenden Fragen über die Eigenschaften Gottes über: »Wenn von etwas erkannt ist, ob es existiert, dann bleibt zu fragen, auf welche Weise es existiert, damit wir von ihm wissen, was es ist.« (STh I q. 3 intr.; Ed. Leonina 4, 35). In dieser Abfolge der Fragen an sit, quomodo sit und quid sit nimmt Thomas die alte rhetorische Tradition der drei naturgemäßen Fragen jeder Erörterung (an sit, quid sit, quale sit; vgl. Quintilian, Institutio oratoria 3. 6. 80) mit leichten Änderungen auf. Ein grundlegendes Mittel nicht nur zur Lösung der gestellten Probleme, sondern auch bereits zur Differenzierung der Problemstellungen und damit zur Fein
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strukturierung des Aufbaus ist die Unterscheidung (distinctio) zweier (oder mehrerer) Hinsichten auf der gleichen Frageebene, besonders häufig und grundlegend angewandt in der Behandlung eines Themas im Allgemeinen (in generali) und im Einzelnen (in speciali). Der Leser der Summa empfängt auf weiten Strecken des Werks den Eindruck, durch eine gleichsam natürlich vorgegebene Abfolge von Fragen und durch sachlich begründete Unterscheidungen in einem logisch zwingenden Gang von Erkenntnis zu Erkenntnis vorwärts zu gehen und so die ganze Fülle theologischen Wissens nach ihrem inneren Zusammenhang abzuschreiten. Einen ersten Hinweis auf die Grobstruktur der Summa gibt Thomas bereits in C.II.1.). Sache der Theologie ist der wissenschaftstheoretischen q. 1 der Prima ( danach Gott; denn alle möglichen Gegenstände werden hier in Hinsicht auf Gott (sub ratione Dei) behandelt: entweder weil sie selbst Gott sind oder weil sie auf Gott als ihren Ursprung und als ihr Ziel hingeordnet sind (vel quia sunt ipse Deus vel quia habent ordinem ad Deum ut ad principium et finem; a. 7 crp.; Ed. Leonina 4, 19–21; vgl. ordinata aliqualiter ad ipsum; ad 2; Ed. Leonina 4, 19). Hier ist die Gegenstandsbestimmung aus dem Sentenzenkommentar: [res] secundum quod exeunt a Deo ut a principio et secundum quod referuntur in ipsum ut in finem (»insofern sie von Gott als ihrem Ursprung ausgehen und auf ihn als ihr Ziel bezogen sind«; Sent. I d. 2 div. text.; Ed. Vives 7, 31) oder – noch kürzer – aut Deus aut ea, quae ex Deo et ad Deum sunt (»entweder Gott oder das, was aus Gott und auf Gott hin ist«; Sent. I q. 1 a. 4 sol.; Ed. Vives 7, 9) aufgenommen. Aus dieser Grundbestimmung leitet Thomas vor Beginn der materialen Dogmatik die Aufbauprinzipien des Werks her (STh I q. 2 intr.; Ed. Leonina 4, 27): Die hauptsächliche Aufgabe der Theologie sei die Erkenntnis Gottes – nicht allein, wie er an sich ist, sondern auch insofern er der Ursprung und das Ziel der Dinge, besonders der vernunftbegabten Schöpfung, ist (non solum secundum quod in se est, sed etiam secundum quod est principium rerum et finis earum). Deshalb handle das Werk erstens von Gott selbst, zweitens von der Bewegung der vernunftbegabten Schöpfung zu Gott hin (de motu rationalis creaturae in Deum), drittens von Christus, der als Mensch für uns der Weg zu Gott hin ist (de Christo, qui, secundum quod homo, via est nobis tendendi in Deum). Die Prima pars, deren Gegenstand Gott ist, besteht nach Thomas wieder aus drei Teilen. Im ersten geht es um das, was zum Wesen Gottes (essentia Dei) gehört (q. 2–26; Ed. Leonina 4, 27–304), im zweiten um das, was die Unterscheidung der Personen (distinctio personarum) in Gott betrifft (q. 27–43; Ed. Leonina 4, 305– 454), im dritten um den Hervorgang der Geschöpfe (processio creaturarum) aus ihm (q. 44–119; Ed. Leonina 4, 455–5, 577). Thomas entwickelt also zunächst die von Petrus Lombardus weitgehend vernachlässigte allgemeine Gotteslehre, sodann eine gegenüber den Sentenzen und ganz allgemein gegenüber der im 12. Jahrhundert üblichen Prominenz dieses Themas komprimierte Trinitätslehre und anschließend eine sehr umfangreiche Lehre von der Schöpfung, die vom Lombarden in die erste Hälfte des zweiten Sentenzenbuchs verwiesen war. In der Pri-
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ma spiegelt sich deutlich der Fortschritt der Theologie unter dem Einfluss des inzwischen rezipierten Aristoteles wider. Die Ausführungen über das Wesen Gottes vor der Entfaltung der Trinität sind nach dem bereits erwähnten rhetorischen Frageschema an sit, quid sit, quale sit aufgebaut. An der Spitze steht die Frage nach der Bekanntheit, Beweisbarkeit und Tatsache von Gottes Dasein (q. 2; Ed. Leonina 4, 27–34). Ihr folgen Fragen nach der Art und Weise seines Seins (q. 3–11; Ed. Leonina 4, 35–113), die durch Ausschluss dessen, was er nicht ist (quomodo non sit), beantwortet werden und zur Erkenntnis seiner Einfachheit (simplicitas; q. 3), Vollkommenheit (perfectio; q. 4) und Güte (bonitas; q. 5–6), Unendlichkeit (infinitas; q. 7–8), Unveränderlichkeit (immutabilitas; q. 9) und Ewigkeit (aeternitas; q. 10) sowie seiner Einheit (unitas; q. 11) führen. Nachdem festgestellt wurde, wie Gott an sich ist, wird noch erörtert, wie er von uns erkannt (q. 12) und mit Namen genannt (q. 13) wird. In einem dritten Schritt handelt Thomas vom Wirken (operatio) Gottes, wobei er zwischen dem in ihm selbst verharrenden (q. 14–24; Ed. Leonina 4, 166–289) und dem in einer äußeren Wirkung hervortretenden (q. 25–26; Ed. Leonina 4, 290–304) Wirken unterscheidet. Zum ersteren gehören (1.) das Wissen (scientia; q. 14) mit Fragen zu den Ideen (q. 15), zu Wahrheit und Falschheit (q. 16–17) und – da Einsehen (intelligere) Leben ist – zum Leben Gottes (q. 18), (2.) das Wollen (voluntas; q. 19) mit den Haltungen (habitus) der Liebe (q. 20), Gerechtigkeit und Barmherzigkeit (q. 21) und (3.) dasjenige Wirken Gottes, in dem sich Intellekt und Wille miteinander verbinden: Vorsehung (providentia; q. 22) und Vorherbestimmung (praedestinatio; q. 23) mit der Metapher vom »Buch des Lebens« (liber vitae; q. 24). Zum zweiten gehört die Macht (potentia), mit der Gott nach außen wirkt (q. 25). Die Überlegungen, die das in sich einheitliche Wesen Gottes betreffen, schließt Thomas mit der Frage nach Gottes Glückseligkeit (beatitudo) ab (q. 26). Die Entfaltung der Trinitätslehre im zweiten Teil umfasst wieder zwei Abschnitte. Im ersten werden die Verhältnisse der göttlichen Personen an sich (absolute) behandelt (q. 27–38; Ed. Leonina 4, 305–395). Bevor die göttlichen Personen näher betrachtet werden, spricht Thomas aber von ihrem Hervorgehen (processio) aus Gott (q. 27) und ihren Beziehungen (relationes) in Gott (q. 28). Anschließend fragt er zunächst im Allgemeinen nach dem Begriff persona (q. 29), nach der Zahl der Personen (q. 30), ihrer Einheit oder Vielheit (q. 31) und den Problemen ihrer Erkennbarkeit (q. 32); sodann im Einzelnen nach den Personen des Vaters (q. 33), des Sohnes (q. 34), mit Überlegungen über die Verwendung des Begriffs »Bild« (imago) für die zweite und dritte Person (q. 35), und des Heiligen Geistes als Person (q. 36), Liebe (q. 37) und Gabe (donum; q. 38). Im zweiten Abschnitt (Ed. Leonina 4, 396–454) werden die göttlichen Personen in ihrer Stellung zum göttlichen Wesen (q. 39), in ihrem Verhältnis zueinander (q. 40–42) und in ihrer Sendung (missio) behandelt (q. 43). Auf die Trinitätslehre folgt im dritten, bei weitem umfangreichsten Teil die Schöpfungslehre, auch sie wieder dreigeteilt. Ihr erster, kurzer Abschnitt widmet sich dem Vorgang der Schöpfung durch eine erste Ursache (prima causa), d. h.
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durch Gott (q. 44–46; Ed. Leonina 4, 455–484). Im zweiten, ausführlichsten Abschnitt wird unter dem Begriff der Unterscheidung der Dinge (distinctio rerum) die Fülle des Geschaffenen behandelt. Der speziellen Schöpfungslehre stellt Thomas die allgemeine Frage nach Einheit und Vielfalt der Welt voran (q. 47; Ed. Leonina 4, 485–489). Aber auch innerhalb der speziellen Schöpfungslehre beginnt er mit allgemeinen Überlegungen: Fragen nach dem ontologischen Charakter und dem Verhältnis des Guten und Bösen (q. 48; Ed. Leonina 4, 490–498) sowie nach der Ursache des Bösen (q. 49; Ed. Leonina 4, 499–503). Die Schöpfung besteht nach zeitgenössischer Anschauung aus rein geistigen, rein körperlichen und aus Körperlichem und Geistigem zusammengesetzten Geschöpfen (STh I zu q. 50 intr.; Ed. Leonina 5, 3). Rein geistige Geschöpfe sind die Engel (q. 50–64; Ed. Leonina 5, 5–147), an denen Thomas nacheinander ihr Wesen (substantia; q. 50–53: mit Fragen nach ihrem Verhältnis zum Körper und zum Ort), ihr Erkennen (intellectus, cognitio; q. 54–58), ihr Wollen (voluntas) an sich (q. 59) und in ihrem liebenden Handeln (amor sive dilectio; q. 60), schließlich ihre Erschaffung (q. 61), ihre Vervollkommnung in Gnade oder Herrlichkeit (gratia vel gloria; q. 62) und den Fall einiger von ihnen in Schuld und Strafe (culpa, poena; q. 63–64) betrachtet. An der Erschaffung der körperlichen Welt unterscheidet Thomas in Anlehnung an den biblischen Schöpfungsbericht drei Aspekte: den Schöpfungsvorgang (opus creationis; q. 65; Ed. Leonina 5, 148–153), das Werk des Scheidens (opus distinctionis) an den ersten drei Schöpfungstagen (q. 66–69; Ed. Leonina 5, 154–176) und die Ausgestaltung der Welt (opus ornatus) an den folgenden drei Tagen (q. 70–72; Ed. Leonina 5, 177–185) sowie die Vollendung des Werks am siebten Tag (q. 73; Ed. Leonina 5, 186–188). Mit einem Rückblick auf das gesamte Schöpfungswerk schließt dieser Abschnitt (q. 74; Ed. Leonina 5, 189–193). Ein Viertel der gesamten Prima pars ist dem dritten Bereich der Geschöpfe gewidmet: dem Menschen, der aus geistiger und körperlicher Substanz besteht (q. 75–102; Ed. Leonina 5, 194–452). In einem ersten Durchgang behandelt Thomas die grundlegende Eigenart (natura) des Menschen (q. 75–89), in einem zweiten die Erschaffung des ersten Menschen (q. 90–102). Nun ist aber am Menschen für die Theologie in erster Linie die Seele (anima) von Bedeutung, der Körper dagegen nur, insofern er auf die Seele Einfluss hat. Deswegen steht im Mittelpunkt dieses ersten Durchgangs allein die menschliche Seele, und zwar unter den drei Aspekten ihres Wesens, ihrer Vermögen und ihrer Tätigkeit. (1.) Im Blick auf das Wesen (essentia) der Seele (q. 75–76) geht es um ihr Verhältnis zum Körper. Die Seele ist weder ein Körper (q. 75 a. 1), noch ist sie einfach mit dem Menschen identisch (q. 75 a. 4); sondern sie stellt ein unkörperliches und selbständiges Prinzip dar (quoddam principium incorporeum et subsistens; q. 75 a. 2 crp.), das mit dem Körper vereint ist (q. 76). (2.) Die Grundlage des Seelenlebens sieht Thomas im Anschluss an Aristoteles in den Seelenvermögen (animae potentiae = δυνάμεις [dynámeis]), von denen er fünf Gattungen (genera) unterscheidet: das Vermögen zu leben (genus vegetativum), das sinnliche (sensitivum), begehrende (appetitivum), örtlich bewegende (motivum secundum locum) und übersinnlich
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erkennende (intellectivum) Vermögen (q. 78 a. 1). In q. 77 redet er davon im Allgemeinen und stellt fest, dass es eine Mehrzahl von Vermögen gibt (a. 2), die er in q. 78–83 näher behandelt. Er meint zwar, für die Theologie seien besonders die Erkenntnis- und Begehrungsvermögen relevant (q. 78 intr.), sieht aber auch, dass ihr Verständnis von dem anderer Vermögen abhängt. Dementsprechend handelt er nach Erörterungen über die Voraussetzungen des Erkenntnisvermögens (q. 78) zunächst über die intellektiven (q. 79), danach über die Begehrungsvermögen (q. 80–83): nach allgemeinen Bemerkungen (q. 80) über das sinnliche Begehren (sensualitas; q. 81), das Wollen (voluntas; q. 82) und das freie Entscheiden (liberum arbitrium; q. 83). (3.) Von den Tätigkeiten der Seele (actus animae) sind für die Theologie unmittelbar nur die von Bedeutung, die dem Erkenntnisvermögen und den Begehrungsvermögen entspringen. Nun betreffen die Tätigkeiten der Begehrungsvermögen die Ethik (moralis scientia); deswegen müssen sie in der Secunda pars der Summe behandelt werden, und der vorliegende Abschnitt kann sich auf die Tätigkeit des Erkenntnisvermögens konzentrieren (q. 84 intr.). Hier erörtert Thomas zunächst das Erkennen körperlicher Dinge (q. 84–86), der Seele selbst (q. 87) und dessen, was über dem Menschen ist (nämlich immaterieller Substanzen: der Engel und Gottes; q. 88) durch die mit dem Körper verbundene Seele. Zuletzt handelt er noch vom Erkennen der von ihrem Körper getrennten Seele (q. 89). Ein zweiter Durchgang (q. 90–102; Ed. Leonina 5, 385–452) ist der Erschaffung des Menschen vor dem Fall, d. h. im Urstand, gewidmet (prima hominis productio). Hier spielt auch der menschliche Körper eine wichtige Rolle. Der gesamte Durchgang besteht aus vier Schritten von unterschiedlicher Weite. (1.) Zunächst behandelt Thomas den Vorgang der Erschaffung der Seele (q. 90) und des Körpers des ersten Menschen (q. 91) sowie der Frau aus der Rippe des Mannes (q. 92). (2.) Anschließend geht er kurz auf das Ziel dieses Schöpfungsakts ein: die Hervorbringung des Menschen als Bild und Gleichnis Gottes (ad imaginem et similitudinem Dei; q. 93). (3.) Besonders ausführlich erörtert er sodann den Zustand des ersten Menschen (q. 94–101) einerseits im Hinblick auf seine Seele (q. 94–96) – sowohl auf den Intellekt (q. 94) als auch auf den Willen (q. 95–96), andererseits im Hinblick auf den Körper (q. 97–101), dessen Aufgaben bei der Bewahrung des Individuums (q. 97) wie bei der Erhaltung der Art (q. 98–101) er betrachtet. Dabei kommen Fragen nach Körperlichkeit und Geschlecht (q. 99), Gerechtigkeit (q. 100) und Wissensstand (q. 101) der ersten Menschen in den Blick. (4.) Abschließend fragt Thomas nach dem Ort des ersten Menschen, dem Paradies (q. 102). Ein dritter und letzter Abschnitt der Schöpfungslehre ist der Lenkung der Schöpfung (rerum gubernatio) gewidmet (q. 103–119; Ed. Leonina 5, 453–577). Der kurzen Klärung allgemeiner Fragen nach Faktum, Ziel, Einheitlichkeit und Wirkungen der Lenkung (q. 103) folgt eine differenzierte Untersuchung dieser Wirkungen: der Bewahrung (conservatio) des Geschaffenen (q. 104) und seiner Veränderung (mutatio), wobei wieder zwischen Gott (q. 105) und Geschaffenem
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als Ursachen solcher Veränderungen unterschieden wird: Einwirkungen verschiedenster Art von Engeln (q. 106–114), von Körpern (q. 115–116) und von Menschen (q. 117–119) auf andere Geschöpfe bis hin zur menschlichen Fortpflanzung (q. 118–119). Den umfangreichsten von Thomas selbst verfassten Teil der ganzen Summa Theologiae bildet die Secunda pars, die, wie bereits in der Prima (q. 84 intr.) gesagt wurde, der Ethik (moralis scientia, moralis materia) gewidmet ist. Dieser Teil stellt den auffallendsten Fortschritt gegenüber den Sentenzen dar: Während der Lombarde seine Behandlung der Tugenden (virtutes) durch die Frage einführt, ob Christus Glaube, Hoffnung und Liebe besessen habe (III d. 23 c. 1), worauf er nach dem Wesen des Glaubens fragt (c. 2), und während er ihr Gegenteil, die Laster (vitia), nicht zusammenhängend, sondern an verschiedenen Stellen behandelt – z. B. in der Sündenlehre bei den Tatsünden (II d. 42 c. 6–8), bei und nach den Zehn Geboten (III d. 38–40) und anderswo –, bietet Thomas eine umfassende, differenzierte und sorgfältig durchkomponierte, anthropologisch und psychologisch begründete Lehre vom guten und schlechten Handeln als der Bewegung der vernunftbegabten Schöpfung zu Gott hin und ihrer Behinderung. Dieser zweite Teil ist so groß, dass er noch einmal zweigeteilt wird: in eine Prima [pars] secundae [partis], abgekürzt: STh I-II, und eine Secunda [pars] secundae [partis], abgekürzt: STh II-II. Der Prima secundae stellt Thomas nur einen kurzen Prolog voran, in dem er begründet, dass nach der Behandlung Gottes und des durch seine Vollmacht nach seinem Willen Geschaffenen in der Prima pars nunmehr der Mensch als Gottes Abbild betrachtet werden müsse – als der Urheber seiner Handlungen, da er gleichsam einen freien Willen und die Macht über sein Handeln besitze. Der Ethik im engeren Sinne schickt Thomas eine Gruppe von Fragen voraus, die sie religiös begründen. Da das zielgerichtete menschliche Verhalten durch Gründe bestimmt wird, die von diesem Ziel ausgehen, muss zunächst das angestrebte Ziel umfassend geklärt werden. Das letzte Ziel (ultimus finis) des menschlichen Lebens, in dem alle anderen Ziele gegründet sind, ist aber die Glückseligkeit (beatitudo), der Thomas q. 1–5 widmet (q. 1 intr.; Ed. Leonina 6, 6). Nun kann zwar der Mensch wie jedes Geschöpf vollkommene Glückseligkeit in der Schau des göttlichen Wesens (in visione divinae essentiae; q. 3 a. 8 crp.) nicht aus eigener Kraft erlangen. Eine unvollkommene Glückseligkeit kann er aber schon in diesem Leben durch seine natürlichen Kräfte (per sua naturalia) erreichen (q. 5 a. 5). Dazu benötigt er gewisse Handlungen (actus), wie er ja durch andere Handlungen wiederum auf dem Weg zu seinem Ziel behindert wird. Da sich Handlungen immer in einzelnen Situationen abspielen, vollendet sich jede Handlungswissenschaft (operativa scientia) in der speziellen Ethik. Thomas möchte im Folgenden die menschlichen Handlungen zunächst im Allgemeinen (STh I-II), danach im Einzelnen (STh II-II) betrachten. Im allgemeinen Teil, der Prima secundae, handelt Thomas in einem ersten Abschnitt von den menschlichen Handlungen (humani actus) selbst (q. 6–48; Ed.
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Leonina 6, 52–308), in einem zweiten von den Grundlagen (principia) der Handlungen (q. 49–114; Ed. Leonina 6, 309–7, 355). Bei den Handlungen unterscheidet er wieder zwei Gruppen. Die eine, die dem Ziel des Menschen – der Glückseligkeit – näher steht, umfasst diejenigen Handlungen, die dem Menschen eigentümlich sind (q. 6–21), die andere jene, die ihm mit den anderen Lebewesen gemeinsam sind (q. 22–48). Die spezifisch menschlichen Handlungen werden vom Willen geleitet (sunt voluntarii), der ein vernunftbestimmtes Streben (rationalis appetitus) ist. Bevor sie im Blick auf ihre moralische Qualität betrachtet werden (q. 18–21), muss untersucht werden, wie der Wille in ihnen handlungsleitend wirkt (q. 6–17). Thomas geht deshalb zuerst auf die Möglichkeit willentlichen und die Ursachen unfreiwilligen Handelns im Allgemeinen (z. B. Gewalt oder Furcht) ein (q. 6), betrachtet sodann im Anschluss an Cicero und Aristoteles die Umstände (circumstantiae) menschlichen Handelns (q. 7), darauf in einer Reihe von Quaestionen solche Akte, die unmittelbar vom Willen hervorgerufen und auf ein Ziel gerichtet sind (wie das Wollen [voluntas], Genießen [fruitio] und Streben [intentio]; q. 8–12), die mittelbar zielgerichteten (das Wählen [electio], Planen [consilium], Zustimmen [consensus] und Gebrauchen [usus]; q. 13–16), schließlich Akte, die vom Willen befohlen werden (q. 17). Zuletzt geht er noch auf den moralischen Charakter menschlicher Handlungen ein – einerseits im Blick auf ihre Güte oder Schlechtigkeit (q. 18–20), andererseits hinsichtlich ihrer Folgen: Rechtschaffenheit oder Sünde, Ruhm oder Schuld, Verdienst oder Verfehlung (q. 21). Eine zweite Gruppe von Verhaltensweisen, die Thomas noch in q. 6 intr. als »dem Menschen und anderen Lebewesen gemeinsame actus« bezeichnet, sind in Wirklichkeit keine Handlungen, sondern Vorgänge, von denen der Mensch ohne aktives Zutun bewegt wird, auch wenn sie zu äußerem Handeln hinführen können: Affekte, in der griechischen Tradition πάθη (páthē) genannt, in der lateinischen als perturbationes, affectiones oder affectus und passiones wiedergegeben (so nebeneinander bei Augustinus, De civitate Dei 9, 4, 1). Thomas gebraucht, wie zu seiner Zeit üblich, vorzugsweise den Begriff passiones animae (»Leidenschaften der Seele«), obwohl er auch die Synonyme affectio und affectus kennt. Zunächst betrachtet er die passiones im Allgemeinen in vierfacher Hinsicht: im Blick auf das leidende Subjekt (hier als subiectum bezeichnet; q. 22), auf ihre Unterschiedenheit (q. 23), auf ihre moralische Qualität (q. 24) und ihre Rangordnung untereinander (q. 25). Anschließend geht er ausführlich auf die einzelnen Affekte ein (q. 26–48), die er (vgl. STh I q. 81 a. 2 crp.; Ed. Leonina 5, 289) einerseits dem begehrenden Seelenvermögen (concupiscibilis [potentia]; q. 26–39), andererseits dem zornmütigen (irascibilis [potentia]; q. 40–48) zuordnet. Im Einzelnen geht er weit über die auf Platon und die Stoa zurückgehende kanonische Vierzahl der Hauptaffekte (Liebe und Freude, Furcht und Trauer) hinaus. Auf der Seite des begehrenden Vermögens nennt er drei Paare positiver und negativer Affekte: Liebe und Hass (amor et odium; q. 26–29), Begierde und Abneigung (concupiscentia et fuga; q. 30) und Freude und Trauer oder Schmerz (delectatio et tristitia, dolor;
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q. 31–39). Zum zornmütigen Vermögen gehören die Paare von Hoffnung und Verzweiflung (spes et desperatio; q. 40), Furcht und Mut (timor et audacia; q. 41– 45) sowie der ohne Gegenstück vorgestellte Zorn (ira; q. 46–48). In einem zweiten Abschnitt der Prima secundae widmet sich Thomas den Prinzipien der menschlichen Handlungen, die er in innere (intrinseca; q. 49–89) und äußere (extrinseca; q. 90–114) einteilt. Innere Prinzipien sind das Vermögen (potentia) und die durch Einübung dauerhaft ausgebildete Anlage (habitus). Da über die Seelenvermögen schon früher (STh I q. 77–83) gehandelt wurde, kommen jetzt die habitus zur Sprache, aus denen die konkreten Einzelhandlungen hervorgehen. Nach allgemeinen Ausführungen über das Subjekt, über Entstehung, Wachstum und Verminderung bis zur Zerstörung des habitus und über Unterscheidungen zwischen verschiedenen habitus (q. 49–54) geht Thomas auf ihre konkrete Verfasstheit ein (q. 55–89). Da er zuvor zwischen dem guten und dem schlechten habitus unterschieden hat, d. h. zwischen dem, der zu einem naturund vernunftgemäßen Handeln befähigt, und dem, der die Anlage zu einem natur- und vernunftwidrigen Handeln enthält (q. 54 a. 3 crp.), teilt er jetzt die habitus in gute, d. h. Tugenden (virtutes; q. 55–67), sowie drei mit ihnen verbundene Aspekte auf der einen Seite (q. 68–70), und in schlechte, d. h. Laster und Fehler (vitia et peccata) auf der anderen Seite (q. 71–89). Auf beiden Seiten werden die üblichen Grundfragen nach dem Wesen, dem Subjekt und der Ursache gestellt; es finden sich aber auch schwerpunktmäßige Erörterungen einzelner Aspekte. So unterscheidet Thomas in der Einteilung der virtutes (q. 57–62), die aristotelische Zweiteilung von ethischen und dianoetischen Tugenden erweiternd, zwischen intellektuellen (intellectuales; q. 57), ethischen (morales; q. 58–61; hier eine erste Vorstellung der Kardinaltugenden: q. 61) und theologischen Tugenden (q. 62). Eine eigene Gruppe von Fragen widmet er den Besonderheiten (proprietates) der Tugenden: ihrem Charakter als Mitte, Maß und Regel (medium, mensura, regula; q. 64), ihrer Verbindung miteinander (connexio) und der Rolle der Liebe unter ihnen (q. 65), ihrer Rangordnung untereinander (q. 66) und ihrer Fortdauer nach dem Tode (q. 67). Drei zusätzliche Quaestionen sind durch biblische Traditionen veranlasst: Sie gelten den in Jes 11,2–3 erwähnten sieben Gaben (dona) des Heiligen Geistes (q. 68), den vollkommenen Werken (beatitudines) der Seligpreisungen in Mt 5,3–12 (q. 69) und den vom Apostel Paulus in Gal 5,22–23 genannten Früchten (fructus) des Heiligen Geistes (q. 70) in ihrem Verhältnis zum Handlungs- und Tugendverständnis und in ihren Beziehungen zueinander. In der Darstellung der Laster und Fehler (q. 71–89) nehmen neben den üblichen Fragen nach Wesen, Einteilung, Verhältnis zueinander und Subjekt zwei Themen breiteren Raum ein: Die Ursachen der Sünde (causae peccati; q. 75–84) werden nach allgemeinen Überlegungen (q. 75) differenziert erörtert – zum einen innere, im Subjekt begründete: von Seiten der Vernunft Unwissenheit (ignorantia; q. 76), von Seiten des sinnlichen Strebens Schwäche oder Leidenschaft (infirmitas seu passio; q. 77), von Seiten des Willens Bosheit (malitia; q. 78), zum andern äußere: Gott (q. 79), der Teufel (q. 80) und andere Menschen, d. h. Adams Fall und seine
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Folgen (die Erb- oder Ursünde [originale peccatum], q. 81–83), schließlich solche Sünden, die andere nach sich ziehen (die sieben Hauptsünden oder Hauptlaster [vitia capitalia], q. 84). Ein weiteres breit erörtertes Thema sind die Wirkungen der Sünde (effectus peccati): die Zerstörung des Guten in der Menschennatur (corruptio boni naturae; q. 85), die Befleckung der Seele (macula animae; q. 86) und die Versetzung in einen Anklagezustand, der Strafe verlangt (reatus; q. 87–89). Hier diskutiert Thomas näher die schon q. 72 a. 5 eingeführte Unterscheidung von Todsünde und lässlicher Sünde (peccatum mortale und veniale; q. 88–89). Mit den äußeren Prinzipien der menschlichen Handlungen kommt Thomas im letzten Abschnitt der Prima secundae zu einem Themenkomplex, der die Ethik eng mit zentralen theologischen Fragen verbindet. Grundsätzlich ist zwischen zwei Arten äußerer Einwirkung auf den Menschen zu rechnen. Eine von ihnen veranlasst zum Bösen: der Teufel, über dessen Versuchung schon in STh I q. 114 gehandelt wurde. Für die Behandlung im Zusammenhang mit der Ethik bleibt demnach die äußere Bewegung zum Guten, die von Gott ausgeht: Er unterrichtet uns durch das Gesetz (lex) und hilft uns bei unserem Handeln durch die Gnade (gratia). Im ersten Komplex (STh I-II q. 90–108; Ed. Leonina 7, 149–288) handelt Thomas nach der Klärung allgemeiner Fragen (q. 90–92) von den verschiedenen Arten des Gesetzes: dem ewigen Gesetz in Gott (q. 93), dem Naturgesetz (lex naturae, naturalis; q. 94), dem menschlichen Gesetz (lex humana, positiva; q. 95–97), dem alttestamentlichen Gesetz (lex vetus), das im Ganzen (q. 98–99) wie in seinen verschiedenen Teilen – den ethischen (moralia; q. 100), kultischen (caeremonialia; q. 101–103) und das Verhältnis zwischen den Menschen regelnden (iudicialia; q. 104–105) Vorschriften – eingehend behandelt wird, dem Gesetz des Evangeliums, als »neues Gesetz« bezeichnet (lex Evangelii, quod dicitur lex nova; q. 106–108), und dem Gesetz des Zunders (lex fomitis), des Rests an Erbsünde, der nach der Taufe im Menschen zurückbleibt und von dem bereits bei der Behandlung der Erbsünde die Rede gewesen war (STh I-II q. 81 a. 3 ad 2). Die zweite Gruppe von Fragen (q. 109–114; Ed. Leonina 7, 289–355) betrifft die Gnade Gottes bei der Bemühung um rechtes Handeln. Zuerst erörtert Thomas die Notwendigkeit göttlicher Gnade auf verschiedenen Gebieten (q. 109), ihr Wesen (q. 110) und ihre Arten (q. 111), sodann ihre Ursache und besondere Umstände ihres Empfangs (q. 112), schließlich ihre Wirkungen: die Rechtfertigung des Gottlosen (iustificatio impii) durch die wirkende Gnade (gratia operans; q. 113) und das Erwerben von Verdiensten (merita) mit Hilfe der mitwirkenden Gnade Gottes (gratia cooperans; q. 114). Die Secunda secundae bietet eine ausgefeilte materiale Ethik, die Thomas für nützlicher als allgemeine moralische Reden hält, weil sich Handlungen auf einzelne, konkrete Situationen beziehen (eo quod actiones in particularibus sunt). In seinem ausführlichen Prolog nennt er zwei Möglichkeiten, konkret über Moralfragen zu sprechen: einerseits in der seit der Antike üblichen, für alle Menschen gültigen Gestalt der Tugendlehre, die den Hauptteil der Secunda secundae einnimmt (q. 1–170; Ed. Leonina 8, 7–10, 364), andererseits im Blick auf beson-
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dere Menschen und Stände (status), denen gleichsam ein Anhang von 19 Quaestionen gewidmet ist (q. 171–189; Ed. Leonina 10, 365–554). Der Aufbau der Tugendlehre ist klar und einleuchtend: Sie behandelt zunächst die drei aus 1 Kor 13,13 abgeleiteten theologischen Tugenden Glaube (fides; q. 1–16), Hoffnung (spes; q. 17–22) und Liebe (caritas; q. 23–46), sodann die auf Platons Politeia zurückgehenden vier Kardinaltugenden (virtutes cardinales) Klugheit (prudentia; q. 47–56), Gerechtigkeit (iustitia; q. 57–122), Tapferkeit (fortitudo; q. 123–140) und Besonnenheit (temperantia; q. 141–170). Ein detaillierter Überblick über diese Tugenden wäre durch die unvermeidlichen Wiederholungen ermüdend. Deshalb soll hier nur auf einige Besonderheiten hingewiesen werden. Eine grundlegende Neuerung gegenüber älteren Darstellungen begründet Thomas bereits im Prolog zu STh II-II: Da eine getrennte Behandlung von Tugenden, Gaben des Heiligen Geistes, Lastern und Geboten vielfache Wiederholungen nach sich zöge, habe er die kürzere und bequemere Betrachtungsweise (compendiosior et expeditior considerationis via) gewählt, die diese verschiedenen Aspekte jeweils in der Behandlung der einzelnen Tugenden zusammenführt. Deshalb sind die Abschnitte über die Tugenden häufig zunächst nach den vier Aspekten von Wesen, Gaben, Lastern und Geboten unterteilt (so bei Glaube, Hoffnung, Gerechtigkeit und Tapferkeit). Bei der Klugheit sind an zweiter Stelle deren Arten (partes, »Teile«; q. 48–51) eingeschoben, während bei der Liebe nach differenzierter Behandlung dieser Tugend (q. 23–44) einschließlich ihrer Wirkungen Freude, Friede, Barmherzigkeit und Wohltätigkeit, Almosengeben und brüderliche Zurechtweisung (q. 28–33) die ihr entsprechende Gabe der Weisheit (sapientia) mit ihrem Gegenteil, dem Laster Dummheit (stultitia), angefügt ist (q. 45–46). Noch ausführlicher ist die Behandlung der Besonnenheit (q. 141–170) durch die Erfassung ihrer zahlreichen unmittelbaren und mittelbaren Erscheinungsweisen (partes, »Teile«; zur Terminologie vgl. II-II q. 48 crp.): der ihre Vollständigkeit bedingenden (partes integrales) Schamhaftigkeit und Anstand (verecundia, honestas), der ihr zugehörigen, aber frei erwählten (partes subiectivae) Nüchternheit (sobrietas) und Keuschheit (virginitas) und der zu ihren Möglichkeiten zählenden (partes potentiales) Enthaltsamkeit (continentia), Milde (clementia, mansuetudo), Maßhalten (modestia) mit den Gestalten (vgl. q. 160 a. 2 crp.) Demut (humilitas), Wissbegierde (studiositas) im Gegensatz zur Neugierde (curiositas) und Bescheidenheit im Reden und Handeln wie in der äußeren Ausstattung (q. 144–169). Am umfangreichsten ist allerdings der Abschnitt über die Gerechtigkeit (q. 57–122). Die Darstellung ihrer Arten (q. 61–120) nennt als partes integrales nur das Tun des Guten und das Vermeiden des Bösen (q. 79). Bei den partes subiectivae (q. 61–78) werden vor allem Laster aufgeführt (q. 63–78) – weit überwiegend Verstöße gegen die iustitia commutativa (vgl. q. 61 a. 2 crp.: das gerechte Verhalten zweier Personen gegeneinander; q. 64–78), wobei Thomas zwischen Schädigungen des Mitmenschen durch Taten wie Mord, Körperverletzung und Raub (q. 64–66) und durch Worte bei Gerichtsverfahren (q. 67–71) wie außerhalb des Gerichts (q. 72–76) unterscheidet. Am umfassendsten erörtert er
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die partes potentiales (q. 80–120): die Religion (religio; q. 81–100) mit inneren (Devotion, Gebet) und äußeren Tugenden (Verehrung, Opfer u. a.) sowie zahlreichen Lastern des Aberglaubens (superstitio; q. 92–96) und der Irreligiosität (q. 97–100), ferner Ehrerbietung gegenüber Eltern und Vaterland (pietas; q. 101), Hochachtung und Gehorsam (q. 102–105), Dankbarkeit (q. 106–107), strafende Gerechtigkeit (vindicatio; q. 108), Wahrhaftigkeit (q. 109–113), Freundschaft (q. 114–116), Freigebigkeit (q. 117–119) und Billigkeit (epieikeia, die von Aristoteles eingeführte Tugend ἐπιείκεια; q. 120). Den zweiten, kurzen Teil der Secunda secundae bildet eine Ethik besonderer christlicher Stände (q. 171–189; Ed. Leonina 10, 365–554). Sie behandelt in drei Schritten (1.) die Auszeichnung durch spezielle Gnadengaben (gratiae gratis datae; q. 171 intr.): die Gabe des Prophezeiens (q. 171–174) einschließlich der Ekstase (raptus; q. 175), des Redens in Zungen (q. 176), der Weisheit und Wissenschaft (q. 177) und der Wundertätigkeit (q. 178); (2.) die klassischen Lebensformen des tätigen und beschaulichen Lebens (vita activa et contemplativa; q. 179–182); (3.) die verschiedenen Ämter und Zustände (officia et status) der Menschen (q. 183), zumal des Zustands der Vollkommenheit (status perfectionis; q. 184), der an den Bischöfen (q. 185) und an den Religiosen (q. 186–189) dargestellt wird, während die Behandlung der kirchlichen Ämter in die Tertia pars verwiesen wird (q. 184 intr.). Im Prolog zur Tertia pars (Ed. Leonina 11, 5) knüpft Thomas an den in STh I q. 2 intr. entwickelten Plan an und betont, nach der Bestimmung des letzten Ziels des Menschenlebens sowie der Tugenden und Laster, der Hilfen und Hindernisse auf dem Weg zu diesem Ziel, folge nun die Betrachtung des Erlösers und der von ihm dem Menschengeschlecht verschafften Wohltaten. Die Tertia pars müsse deshalb drei Themenkreise behandeln: den Erlöser selbst, sodann seine Sakramente, durch die wir das Heil erlangen, und zuletzt das Ziel des unsterblichen Lebens, an das wir durch die Auferstehung gelangen. Ausgeführt hat Thomas selbst nur noch die Behandlung des Erlösers (STh III q. 1–59; Ed. Leonina 11) und der Sakramente bis zum Bußsakrament, dessen Darstellung nach STh III q. 90 (Ed. Leonina 12, 210–212) abbricht. Die Ausführungen über den Erlöser sind wieder zweigeteilt. Zunächst wird das Geheimnis der Menschwerdung behandelt (ipsum incarnationis mysterium; q. 1–26; Ed. Leonina 11, 6–287). Nachdem eingangs die Angemessenheit (convenientia) der Menschwerdung Gottes kurz erörtert wurde (q. 1), handelt Thomas von der Vereinigung von Gott und Mensch (de modo unionis Verbi incarnati; q. 2–15): hinsichtlich des Vorgangs der Einswerdung (q. 2), der aufnehmenden (göttlichen) Person (q. 3) und – besonders ausführlich – des aufgenommenen Anteils der menschlichen Natur (q. 4–6) und der vom Sohn Gottes in diese mit aufgenommenen Momente (q. 7–15) – der Vollkommenheiten (perfectiones), wie des Gnadenzustands Christi (gratia habitualis; q. 7–8), seines Wissens (scientia; q. 9–12) und der Vollmacht seiner Seele (potentia animae; q. 13), sowie der Mängel (defectus) von Körper und Seele (q. 14–15). In einem dritten Schritt stellt Tho-
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mas die Konsequenzen aus der gottmenschlichen Einung dar – im Blick auf Christus selbst (q. 16–19), auf sein Verhältnis zum Vater: Unterordnung (subiectio; q. 20), Gebet (oratio; q. 21), Priesteramt (sacerdotium; q. 22), Annahme als Sohn (adoptio; q. 23) und Vorherbestimmung (praedestinatio; q. 24), sowie auf sein Verhältnis zu uns: als Gegenstand unserer Anbetung (adoratio; q. 25) und als Mittler (mediator) zwischen Gott und den Menschen (q. 26). In einem zweiten Abschnitt seiner Christologie (q. 27–59; Ed. Leonina 11, 288–548) geht Thomas auf die Taten und Leiden des Erlösers ein. Er betrachtet in vier Abschnitten den Weg von seinem Eintritt in die Welt (Empfängnis, Geburt, Beschneidung, Taufe; q. 27–39) über den Verlauf seines Lebens (Lebensweise, Versuchung, Lehre, Wundertaten; q. 40–45) und seinen Fortgang aus der Welt (Passion, Tod, Begräbnis, Hinabsteigen zu den Toten; q. 46–52) bis zu seiner Erhöhung (exaltatio: Auferstehung, Himmelfahrt, Sitzen zur Rechten des Vaters, richterliche Vollmacht: q. 53–59). Nach der Christologie wendet sich Thomas den Sakramenten der Kirche zu (q. 60–65; Ed. Leonina 12, 3–61), die vom fleischgewordenen göttlichen Wort ihre Wirksamkeit haben (q. 60 intr.). Wieder betrachtet er zunächst das Sakrament im Allgemeinen: Wesen (q. 60), Notwendigkeit (q. 61), hauptsächliche Wirkung: die Mitteilung von Gnade (q. 62), untergeordnete Wirkung (effectus secundarius): die Verleihung eines dauerhaften Merkmals (character; q. 63), die Autorität oder den Vermittler, die bei der Verwaltung der Sakramente wirken (q. 64), und die Zahl der Sakramente, deren Siebenzahl Thomas bereits als selbstverständlich voraussetzt (q. 65). Anschließend beginnt er mit der Darstellung der einzelnen Sakramente: Taufe (q. 66–71; Ed. Leonina 12, 62–124), Firmung (q. 72; Ed. Leonina 12, 125–137), Eucharistie (q. 73–83; Ed. Leonina 12, 138–285) und Buße (q. 84–90; Ed. Leonina 12, 286–338). Wie bereits die drei vollendeten Abschnitte zeigen, sind seine Ausführungen – je nach der Bedeutung der Sakramente – von ganz unterschiedlicher Länge. Auch ihr innerer Aufbau hat noch nicht die schematische Konzentration auf die vier aristotelischen Ursachen (causae), die das spätmittelalterliche Sakramentendogma prägt, weist aber neben den spezifischen Aspekten auch stereotype Fragen auf, die bei der Taufe und der Eucharistie auf verschiedene Quaestionen, bei der Firmung, der nur eine Quaestion gewidmet ist, auf die Artikel verteilt sind. Bei der Eucharistie behandelt Thomas Wesen (q. 73), Materie (einschließlich der Wandlung; q. 74–77) und Form (die Einsetzungsworte; q. 78), Wirkung (q. 79), Empfang (q. 80–81), Verwaltung (minister; q. 82) und äußeren Vollzug (ritus; q. 83). Die Behandlung des Bußsakraments sollte Wesen, Wirkung, Teile, Empfänger, Verwaltung und Vollzug umfassen (q. 84 intr.). Ganz ausgeführt hat Thomas nur die ersten beiden Punkte; nach den allgemeinen Erörterungen über die drei Teile Reue, Beichte und Genugtuung (contritio, confessio et satisfactio; q. 90) bricht sein Manuskript ab. Nach einem Erlebnis unbekannter Art während der Messe in der Frühe des 6. Dezember 1273 stellte er die Weiterarbeit an der Summa wie überhaupt sein Schreiben abrupt ein (Akten des Kanonisationspro-
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zesses bei Ferrua, Fontes, 318 f.). Später, vielleicht schon von Reginald von Piperno, wurde die Tertia pars durch Texte, die anderen Werken, vor allem dem Sentenzenkommentar, entnommen waren, um ein Supplementum mit den fehlenden Partien ergänzt, über das hier wegen seines sekundären Charakters nicht mehr berichtet werden soll. 12.3. Ein tieferer Plan hinter dem äußeren Aufbau?
Die in groben Zügen beschriebene Architektonik der Summa Theologiae ist durchsichtig und nachvollziehbar. Dennoch hat sich die Thomas-Forschung nicht damit begnügt, sie zu durchleuchten, sondern hat versucht, hinter dem sichtbaren Aufbau einen tieferen Plan aufzuspüren. Den Anstoß dazu gab Chenu mit seinem Aufsatz »Le plan de la Somme théologique de S. Thomas« (Chenu, Le plan), der aber erst seit 1950 durch seine Einleitung in das Werk des Thomas (Chenu, Werk) zur Wirkung gekommen ist. An sie schloss sich eine lebhafte Diskussion unter katholischen Theologen an, die – noch immer im Banne der Enzyklika Aeterni patris – eigene systematisch-theologische Entwürfe gerne in das Gewand von Thomas-Interpretationen kleiden. Diese Diskussion ist inzwischen abgeflaut, aber noch nicht beendet, ohne bisher zu einem einhellig anerkannten Ergebnis zu führen. Hinter Chenus Überlegungen stand der Gedanke, in Thomas einen wichtigen Zeugen für das aktuelle Interesse an einer heilsgeschichtlich ausgerichteten Theologie zu finden. Chenu sah in der Bewegung von Gott aus – zu Gott zurück, die Thomas in STh I q. 2 intr. andeutet, einen Kreislauf (»cycle«) von »émanation« und »retour« nach dem neuplatonischen Schema von exitus (Prima) und reditus (Secunda). Dass die Tertia dabei nur die Rolle eines nachträglich angefügten Stückes zu spielen scheint, erkannte er selbst (Chenu, Le plan, 101). Mit der Schwierigkeit, dass die Christologie erst in der Tertia entwickelt wird, mussten sich alle folgenden heilsgeschichtlichen Deutungen auseinandersetzen, die durch Chenu angeregt waren. Am konsequentesten betont Seckler, nach Thomas trage »die Heilsgeschichte selbst den theologischen Gesamtentwurf«; denn der ordo disciplinae folge dem ordo rerum (Seckler, Das Heil in der Geschichte, 35). Das Problem der nachhinkenden Christologie wird von ihm wie von vielen anderen Interpreten dadurch gelöst, dass sie christologische Elemente auch in Prima und Secunda nachzuweisen suchen. Pesch behauptet, Chenu und Seckler fortführend, Thomas zeichne »in den ersten beiden Büchern der STh eine Heilsgeschichte, wie sie ohne Sünde, aber mit Christus als ihrer Mitte und ihrem Höhepunkt verlaufen wäre – erst im dritten Buch kommt mit dem Kreuz die auf die Sünde bezogene Dimension der faktischen Heilsgeschichte in den Blick« (Pesch, Thomas von Aquin, 394). Manche Forscher verteilen die Anteile der Doppelbewegung anders. So sieht etwa Leroy in STh I q. 1–43 einen »theologischen«, im Rest der Summe (ab I q. 44) einen »ökonomischen« Teil, auf den das exitus-reditus-Schema allein zutreffe. I q. 44–119 seien vom exitus bestimmt, obwohl gelegentlich, besonders in der Engellehre, schon vom reditus die Rede sei,
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der dann die Secunda und Tertia beherrsche (Leroy, Rez. von Patfoort). Leroy fand Zustimmung bei Torrell (Torrell, Magister Thomas, 170). Neuerdings nimmt auch Johnstone diesen Ansatz auf, möchte jedoch die Auferstehung Christi zum Schlüssel für das Verständnis des Planes machen (Johnstone, The Debate on the Structure). Dagegen haben einige Forscher Chenus Plan ganz verworfen. So sieht Schillebeeckx die Bewegung der vernunftbegabten Schöpfung zu Gott hin in allen Teilen der Summe walten (Schillebeeckx, Heilseconomie). Auch Patfoort will ganz auf Chenus Schema verzichten, da der reditus in der Prima beginne und sich bis zur Tertia erstrecke, also keine gliedernde Funktion habe (Patfoort, Les clefs, 49–70). O’Meara wiederum sieht in der Gnade das Moment, das der Summa ihre Struktur verleihe (O’Meara, Grace as a theological structure). Noch weiter entfernt sich von Chenus Plan der Philosoph Metz, der »die Einzigkeit des thomasischen Gedankens ans Licht bringen« möchte (Metz, Architektonik der Summa Theologiae, 3). Er verwirft die heilsgeschichtliche wie die christologische Deutung vollkommen (a. a. O. 185 f. 193–199 u. ö.). Dagegen möchte er in der triadisch aufgebauten Summa wie im Bau ihrer Prima die aristotelische Dreiteilung in theoretische, praktische und poietische Wissenschaften in eigentümlicher Verwandlung wiedererkennen (a. a. O. 89) – ebenso wie die »drei Hauptschritte« des Neuen Testaments und die augustinische »Trias memoria – intelligentia – dilectio« (a. a. O. 104). Alle vorgetragenen Auffassungen haben zweifellos zu einem tieferen Verständnis einzelner Aspekte der Summa beigetragen. Sie kranken aber durchweg daran, dass sie diese einzelnen Aspekte zum Schlüssel eines umfassenden Plans machen, der sich immer nur teilweise mit den programmatischen Aussagen des Thomas und mit ihrer Ausführung in der Summa zur Deckung bringen lässt. Die Thomas-Forschung sollte sich besser mit dem begnügen, was sich aus dem Text erheben lässt, und sich eher bemühen, das Denken des Aquinaten aus der Geschichte der theologischen Systembildung heraus zu verstehen, wie das Heinzmann versucht – allerdings in problematischer Weise auf ein vermutetes Vorbild fixiert: die Summe Colligite Fragmenta eines Magister Hubertus vom Ende des 12. Jahrhunderts (Heinzmann, Plan der Summa theologiae). Obwohl sich der Aufriss dieser Summe »in allen entscheidenden Punkten mit dem der STh des Thomas völlig deckt« (a. a. O. 463), bleibt es fraglich, ob Thomas dieses Werk gekannt hat. Seine Summa muss vielmehr vor dem Hintergrund der ihm sicher bekannten zeitgenössischen Werke, vor allem aber der von ihm selbst kommentierten Sentenzen des Petrus Lombardus, betrachtet werden. Chenu, Marie-Dominique: Le plan de la Somme théologique de S. Thomas, in: RThom 47 (1939), 93–107. Chenu, Marie-Dominique: Das Werk des hl. Thomas von Aquin, Heidelberg u. a. 1960, 336– 365. Ferrua, Angelico (Hg.): S. Thomae Aquinatis vitae fontes praecipuae, Alba 1968.
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Heinzmann, Richard: Der Plan der »Summa Theologiae« des Thomas von Aquin in der Tradition der frühscholastischen Systembildung, in: Eckert, Willehad Paul (Hg.): Thomas von Aquin. Interpretation und Rezeption. Studien und Texte, Mainz 1974, 455–469. Johnstone, Brian: The Debate on the Structure of the Summa Theologiae of St. Thomas Aquinas from Chenu (1939) to Metz (1998), in: van Geest, Paul u. a. (Hg.): Aquinas as Authority, Löwen 2002, 187–200. Leroy, Marie-Vincent: Rezension von Patfoort (1983), in: RThom 84 (1984) 298–304. Metz, Wilhelm: Die Architektonik der Summa Theologiae des Thomas von Aquin (Paradeigmata 18) Hamburg 1998. O’Meara, Thomas F.: Grace as a Theological Structure in the Summa theologiae of Thomas Aquinas, in: RThAM 55 (1988), 130–153. Patfoort, Albert: L’unité de la Ia Pars et le mouvement interne de la Somme Théologique de S. Thomas d’Aquin, in: RSPhTh 47 (1963), 513–544. Patfoort, Albert: Saint Thomas d’Aquin. Les clefs d’une théologie, Paris 1983. Pesch, Otto Hermann: Thomas von Aquin, Mainz 1988. Schillebeeckx, Edward: De sacramentele Heilseconomie, Antwerpen 1952. Seckler, Max: Das Heil in der Geschichte. Geschichtstheologisches Denken bei Thomas von Aquin, München 1964, 33–47. Ulrich Köpf
13. Kleinere Werke Unter der Überschrift Opuscula (»Kleinere Werke«) sammeln sich etwa 30 Schriften von höchst unterschiedlicher Thematik, Gattung und Umfang. Das kürzeste darunter dürfte ein Gebet sein (Adoro te devote bzw. Te devote Laudo), das längste – kaum als opusculum zu bezeichnen – das Compendium theologiae. Teils handelt es sich um ausgeführte Traktate zu bestimmten Themen, teils um Verteidigungsschriften, es finden sich darunter Gutachten, Briefe, liturgische Texte und Predigten. Die Thematik spannt sich von eher naturwissenschaftlichen Fragen, etwa: wodurch der Herzschlag verursacht sei (De motu cordis), zu praktisch-theologischen Erwägungen, zum Beispiel nach der Beurteilung von Astrologie (De iudiciis astrorum) und der Besteuerung von Untertanen (Epistola ad ducissam Brabantiae). Eine allseits zufriedenstellende Systematisierung solch unterschiedlichen Materials erscheint kaum möglich. Der folgende Überblick orientiert sich an dem Vorschlag von Eschmann und Weisheipl (Weisheipl, Thomas von Aquin, 322), dem gemäß die Opuscula nach Gattungen geordnet werden. Für die Opuscula De rationibus fidei und De regno C.I.8. bzw. C.I.11. 13.1. Abhandlungen über bestimmte Themen 13.1.1. De principiis naturae (Ed. Leonina 43, 39–47)
Thomas war noch nicht zum Magister der Theologie promoviert, als er für einen studierenden Mitbruder diese komprimierte Einführung in die Lehre von den Prinzipien des Werdens und Vergehens schrieb (ca. 1252–1254). Auf der Basis
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hauptsächlich von Aristoteles’ Physik I und II sowie Metaphysik V werden philosophische Grundlagen erläutert: Sein der Potenz/dem Akt nach, Substanz und Akzidens, Materie, Form, Privation, die vier Ursachen und ihre Spezifikationen sowie das Wesen der »Analogie«. 13.1.2. Compendium theologiae (Ed. Leonina 42, 83–205)
Ähnlich wie Bonaventuras Breviloquium, um das ihn studierende Mitbrüder baten, ist auch Comp. theol. auf eine Bitte, des Socius Reginald, hin begonnen worden. Ähnlich ist auch seine Zielsetzung: eine »Kurzfassung«. Thomas begründet die Möglichkeit mit dem Hinweis auf das Offenbarungshandeln Gottes: Gottes Weisheit, der eingeborene Sohn, ist unendlich; und doch hat sich diese Weisheit entäußert, ist ein »kurzes Wort« geworden, das allen zum Heil werden soll: Aeterni Patris Verbum sua immensitate universa comprehendens […] breve fieri voluit nostra brevitate assumpta (Comp. theol. I, 1; Ed. Leonina 42, 83a1–4). Für die Gliederung griff Thomas auf ein berühmtes Beispiel zurück: Augustins Enchiridion ad Laurentium (»Handbüchlein«). Im ersten Teil werden die Glaubensgegenstände anhand der Artikel des Credo erläutert (daher nicht die Sakramentenlehre). Der zweite Teil ist der Tugend der Hoffnung gewidmet, die sich nach Thomas gerade im Gebet zu Gott Ausdruck verschafft; Modell christlichen Betens ist das Vaterunser. Der dritte Teil wäre dem Doppelgebot der Liebe gewidmet gewesen. Doch bricht das Comp. theol. mit II, 10 ab. Der Zusatz eines Schreibers beklagt, dass Thomas’ Tod die Fertigstellung verhindert habe. Der erste Teil dürfte aufgrund der Ähnlichkeit mit Scg. in Rom 1265–1267 verfasst, der zweite Teil könnte später, vielleicht 1272/73, begonnen worden sein. 13.1.3. De articulis fidei et ecclesiae sacramentis (Ed. Leonina 42, 245–257)
Das Werk ist für Leonhard, Bischof von Palermo, verfasst; eine genaue zeitliche Einordnung ist schwierig: die Schrift ist wohl zwischen 1261 und 1270 entstanden. Es handelt sich im ersten Teil um einen Kommentar zum Apostolischen Glaubensbekenntnis, dessen zwölf Artikel Thomas in zweimal sechs unterteilt: Die ersten sechs bezieht er auf den Glauben an die göttliche Natur Christi, die zweiten sechs auf seine Menschheit. Die Erklärung der einzelnen Artikel nimmt jeweils auch auf die Irrlehren Bezug, die im Lauf der Geschichte vertreten wurden. Im zweiten Teil geht es, wie der Titel sagt, um die sieben Sakramente. Die Schrift fand weite Verbreitung, vor allem im 15. Jahrhundert im deutschsprachigen Bereich. Nikolaus von Cues sah in ihr eine hervorragende Instruktion für den Klerus und schrieb die Lektüre auf jeder Diözesan- oder Provinzialsynode vor.
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13.1.4. De substantiis separatis (1271–73; Ed. Leonina 40, D39–D80)
»Über die reinen Geistwesen« ist Antwort auf eine Anfrage (Reginalds?), kann aber wegen seines Umfangs und seiner systematischen Bedeutung unter die Abhandlungen gezählt werden. Thema sind die von den Philosophen als »getrennte Substanzen«, von den Gläubigen als »Engel« bezeichneten Wesen, ihr Verhältnis zu Gott, dem Schöpfer, zu Gottes Wissen und seiner Vorsehung (z. B. De substantiis, c. 14–15; Ed. Leonina 40, D65 ff.). Thomas legt zunächst die Lehre der Philosophen (Platon, Aristoteles, Avicebron) dar, diskutiert und widerlegt sodann die Auffassung des Origenes und der Manichäer. Ein zweiter Teil (ab De substantiis, c. 18; Ed. Leonina 40, D71 ff.), unvollendet, ist der kirchlichen Lehre von den Engeln gewidmet. Unter den Theologen, auf die sich Thomas beruft, nimmt Pseudo-Dionysius Areopagita einen hervorragenden Platz ein. 13.2. Schriften zum Ordensleben
Außer in STh II-II, 186–189 und einigen Quodl. legt Thomas vor allem in drei Werken seine Auffassung zum Ordensleben dar: Contra impugnantes Dei cultum et religionem (»Gegen diejenigen, welche die Verehrung Gottes und das Ordensleben bekämpfen«), De perfectione vitae spiritualis (»Über die Vollkommenheit im geistlichen Leben«) und Contra doctrinam retrahentium a religione, kurz: Contra retrahentes (»Gegen diejenigen, welche andere vom Ordenseintritt abhalten«). Bereits aus dem Titel von 1) und 3) ist ersichtlich, dass es sich um »polemische« Schriften handelt, um die Verteidigung des Ordenslebens bzw. seines eigenen Ordens und des Mendikanten-Ideals schlechthin. Alle drei Werke entstanden im Zusammenhang des sog. Bettelordensstreites, schweren Auseinandersetzungen zwischen dem Weltklerus angehörenden Professoren der Pariser Universität und den neuen Mendikantenorden, die sich – mit zwei Höhepunkten in den Jahren 1256 und 1268/69 – bis zum Zweiten Konzil von Lyon (1274) hinzogen. In Anbetracht dessen, dass Thomas’ Stil zumeist von klarer Nüchternheit geprägt ist, welche seine Persönlichkeit nahezu verbirgt, ist in diesen drei Werken seine eigene innerliche Beteiligung, ja ein leidenschaftliches Engagement zu spüren. Contra impugnantes (Ed. Leonina 41, A49–166) stammt aus der ersten Phase des Bettelordensstreites und wurde zwischen Frühjahr und Herbst 1256 verfasst, jedenfalls vor der Verurteilung der Schrift De periculis novissimorum temporum (»Über die Gefahren der letzten Zeiten«) des Protagonisten der gegnerischen Partei, Wilhelm von Saint-Amour. Thomas war damals zum Magister promoviert, aber noch nicht in das Professorenkollegium (Consortium Magistrorum) aufgenommen. Die ersten 24 Kapitel enthalten die Definition von religio (Ordensleben), und weisen nach, dass Studium, Lehre und Seelsorgetätigkeit für Ordensleute erlaubt sind, Handarbeit dagegen – die traditionell als dem Mönch besonders angemessen galt – nicht verpflichtend sein muss. In den folgenden 17 Kapiteln werden
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nacheinander die Argumente Wilhelms widerlegt. Die Quintessenz der Auffassung Thomas’ könnte man in dem Satz fassen: Nec est aliquod opus misericordiae ad cuius executionem religio institui non possit, et si non sit hactenus instituta (»Es gibt kein Werk der Barmherzigkeit, zu dem nicht ein Orden gegründet werden kann, auch wenn er bislang noch nicht existierte«: Ed. Leonina 41, A54); docere est actus misericordiae (»Lehren aber gehört zu den geistlichen Werken der Barmherzigkeit«; Ed. Leonina 41, A58). De perfectione vitae spiritualis (1270; Ed. Leonina 41, B67–111) entstand in der zweiten Phase des Bettelordensstreites, der ab 1268 wieder aufflammte. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass Thomas auch aus diesem Grund im gleichen Jahr aus Italien zurückkehrte, um ein zweites Mal in Paris die Aufgabe eines akademischen Lehrers zu übernehmen. Die Feindseligkeit zwischen Pfarrklerus und Bettelorden hatte gewiss einen handgreiflichen Grund: die Konkurrenz hinsichtlich der Einkünfte; aber sie wurde ausgebaut zu einem Angriff auf die Berechtigung der Bettelorden überhaupt. Begünstigt wurden die Gegner durch die lange Sedisvakanz, aufgrund derer den Mendikantenorden der päpstliche Schutz abging. Zur Frage stand, was »Vollkommenheit« bedeute: Contra adversarium perfectionis christianae (»Gegen denjenigen, der die christliche Vollkommenheit angreift«) hieß ein Werk des Hauptgegners der Mendikanten, Gerhard von Abbeville (Sommer 1269). Ab 1267 hatte er in Quodlibeta und Predigten die Armutsauffassung der Mendikanten, speziell der Franziskaner, bestritten. Wenn zur »Vollkommenheit« der evangelische Rat der Armut gehören soll, wie steht es dann mit der »Vollkommenheit« der Bischöfe – die nach der Ekklesiologie des Pseudo-Dionysius Areopagita perfectores sind, also andere vervollkommnen – und des Pfarrklerus? Während die Ordensleute erst später in der Kirchengeschichte aufgetaucht seien, könnten Bischöfe und Pfarrklerus ihre Sendung auf Christus selbst zurückführen, der die Apostel und die Zweiundsiebzig erwählt habe. Damit wird zugleich der Unterschied zwischen Bischofsamt und Pfarrklerus relativiert. Thomas’ Antwort führt zunächst aus, inwiefern die evangelischen Räte Hilfsmittel zum »vollkommenen Leben« sind. Die Vollkommenheit des Christen besteht in der caritas, der Gottes- und der daraus folgenden Nächstenliebe: Für jeden gilt das Gebot, Gott über alles zu lieben. Die übrigen Gebote und die evangelischen Räte liegen dagegen auf der Ebene der Mittel. Unbedingt notwendige Mittel sind die Zehn Gebote; die Räte ermöglichen es, die Liebe facilius (»leichter«) auf Gott zu richten: Omnia igitur consilia, quibus ad perfectionem invitamur, ad hoc pertinent ut animus hominis ab affectu temporalium avertatur, ut sic liberius mens tendat in Deum, contemplando, amando, et eius voluntatem implendo (»Alle Räte, durch die wir zur Vollkommenheit eingeladen werden, zielen darauf, den Geist des Menschen von der Neigung zum Irdischen abzuziehen, auf dass er freier auf Gott hinstrebe: in Beschauung, Liebe und Erfüllung des Willens Gottes«; Perf. vitae spir., c. 6; Ed. Leonina 41, B71ab). Ähnlich gilt das Gebot, den Nächsten zu lieben wie sich selbst, für alle Christen; zugleich aber gibt es beson-
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ders vollkommene Grade dieser Liebe, z. B. die Hingabe des leiblichen Lebens, zu denen nicht alle gerufen sind (Perf. vitae spir., c. 13. 14; Ed. Leonina 41, B81‒86). In einem zweiten Argumentationsstrang antwortet Thomas auf die Frage, was den status perfectionis ausmacht (Perf. vitae spir., c. 15; Ed. Leonina 41, B86/87; Perf. vitae spir., c. 23; Ed. Leonina 41, B97‒102) bzw. wer dazu gehört (Perf. vitae spir., c. 16 ff.; Ed. Leonina 41, B87). Konstitutiv für den »Stand der Vollkommenheit« ist die öffentliche und feierliche Selbstverpflichtung (votum, »Gelübde«) zu einem vollkommenen Werk, das aber nicht bloß partikulär oder zeitlich begrenzt ist (wie etwa eine Wallfahrt), sondern totam vitam (»das ganze Leben«) prägt und Gott übereignet. Thomas unterscheidet klar zwischen der persönlichen Vollkommenheit eines Menschen und dem »Stand der Vollkommenheit«: Unde patet quosdam perfectos quidem esse, qui tamen perfectionis statum non habent; alios vero perfectionis quidem statum habere, sed perfectos non esse (»Es liegt auf der Hand, dass es vollkommene Menschen gibt, die nicht dem Stand der Vollkommenheit zugehören, und andere, die zwar diesem Stand zugehören, aber nicht vollkommen sind«: Perf. vitae spir., c. 18; Ed. Leonina 41, B90). Zum Stand der Vollkommenheit gehören die Ordensleute, welche sich durch die Gelübde der evangelischen Räte sozusagen in den Stand der Knechtschaft begeben, und die Bischöfe, die sich in ihrer Weihe zu einer dreifach vollkommenen Nächstenliebe verpflichten, welche das Maß des Gebotenen überschreitet: Sie dürfen ihren Feinden nicht ausweichen, sie sind verpflichtet, animam suam ponere pro ovibus (»ihr Leben für die anvertraute Herde zu geben«) und nicht nur zeitliche und geistige Wohltaten, sondern geistliche Wohltaten zu spenden. Die consecratio bzw. benedictio, die der Bischof empfängt, entspricht gewissermaßen der Mönchsweihe anlässlich der Ordensprofess und überragt diese, wie die mit der Kontemplation verbundene Seelsorge die reine Kontemplation überragt (Perf. vitae spir., c. 19. 20; Ed. Leonina 41, B90‒92). Demgegenüber sind Thomas zufolge presbyteri et archidiaconi nicht im Stand der Vollkommenheit, da ihnen das entsprechende votum fehlt (Perf. vitae spir., c. 25–29; Ed. Leonina 41, B101‒110.). Perf. vitae spir. ist somit auch für die Theologie des Bischofsamtes eine wichtige Quelle. Contra retrahentes (1271; Ed. Leonina 41, C37–74) befasst sich mit ähnlichen Fragen, dem Verhältnis von Geboten und Räten, die beide auf die Vollkommenheit hingeordnet sind, welche in der caritas besteht: unicuique praecipitur ut Deum diligat quantum potest (»Jedem ist geboten, Gott zu lieben, so sehr er nur kann«: Contra retrahentes, c. 6; Ed. Leonina 41, C46), die Mittel sind unterschiedlich. In diesem Zusammenhang behandelt Thomas auch das Problem, ob Kinder zum Räteleben erzogen werden sollen, ob frisch zum Glauben Bekehrte oder solche, die eine Bekehrung von einem lasterhaften Leben erfahren haben, zum Ordensleben zuzulassen seien. Thomas antwortet in allen drei Fällen mit Ja; denn für ihn sind die Gebote nicht die niedrigere Vorstufe der Räte, was er für einen Hauptirrtum seiner Gegner hält (Contra retrahentes, c. 6; Ed. Leonina 41, A94 ff.). Obgleich es sich um eine einschneidende Entscheidung handelt, hält Thomas es für wenig sinnvoll, alle möglichen Leute vor dem Ordenseintritt um Rat zu fra-
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gen; denn es gibt nicht viele, die dafür Sinn haben. Vor allem soll man nicht die eigenen Verwandten fragen (Contra retrahentes, c. 8. 9; Ed. Leonina 41, A124 ff.), ein sicherlich auch auf eigene Erfahrung gegründeter Ratschlag, hatte doch Thomas selbst den Widerstand seiner Familie zu spüren bekommen. Hinter dem Vorschlag, sich mit vielen Leuten zu beraten, sieht er ein tieferes Problem: den Zweifel daran, dass es »Berufung« gibt. Im Wort der Heiligen Schrift könne Christus auch heute Menschen ansprechen, wie er in seinem irdischen Leben etwa Matthäus angesprochen hat (Contra retrahentes, c. 9; Ed. Leonina 41, A129 f.). Auf die Behauptung der Gegner, es sei nicht erlaubt, sich durch ein Gelübde derart zu binden, antwortet Thomas: Zum einen hänge die sittliche Qualität eines Werkes von dem zugrunde liegenden Willen ab; diese ist desto vollkommener, je entschiedener er das Gute wolle. Laudabilius igitur est virtutis opus, et magis meritorium, si fiat voluntate firmata per votum (»lobenswerter und verdienstvoller ist ein tugendhaftes Werk, wenn es einem Willen entspringt, der durch ein Gelübde gefestigt ist«: Contra retrahentes, c. 12; Ed. Leonina 41, C62). Zum anderen sei das Gelübde latriae actus (»Akt der Anbetung Gottes«). Die letzten Kapitel (Contra retrahentes, c. 14–16; Ed. Leonina 41, A140 ff.) sind der Verteidigung der mendikantischen Armut gewidmet; c. 15 ist eine Betrachtung der Armut Christi, qui in omnibus paupertatem servandam verbo docuit et exemplo monstravit (»der in seinem Wort gelehrt und beispielhaft vorgelebt hat, die Armut in allen Dingen zu wahren«: c. 15; Ed. Leonina 41, C68). Für den Christen ist die Armut eine Form der Kreuzesnachfolge. Wenn ein Orden frei ist von Besitz – Thomas denkt hier vor allem an Immobilien – kann er sich freier der Kontemplation und der Seelsorge widmen. Gerade im Stil dieses Werkes ist die leidenschaftliche innere Beteiligung des Verfassers spürbar. Er hatte sich offensichtlich dem Predigerorden angeschlossen, weil ihm die apostolisch begründete Armut als die anziehendste Form der Christusnachfolge erschien. In der Kirchengeschichte habe es immer Leute gegeben, die »Feinde des Kreuzes Christi« waren, schreibt Thomas in c. 1. Die Argumente derer, die andere vom Leben nach den Räten abhalten wollen, seien erronea et pestifera doctrina (»eine Lehre voll von Unwahrheit und Verderben«). Und im letzten Satz fordert er jeden Gegner zu einem offenen geistigen Duell: Si quis his contradicere voluerit, non coram pueris garriat, sed scribat, et scripturam proponat in publico; ut ab intelligentibus diiudicari possit quid verum sit, et hoc quod erroneum est, auctoritate veritatis confutetur (»Wenn jemand dem widersprechen will, was ich geschrieben habe, dann soll er nicht vor Kindern daherschwätzen, sondern soll seine Ansicht zu Papier bringen und veröffentlichen, damit von Leuten, die etwas verstehen, beurteilt werden kann, was daran wahr sei, und das, was falsch ist, durch die Kraft der Wahrheit verworfen werde!«: c. 16; Ed. Leonina 41, C74).
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13.3. Gutachten und Briefe 13.3.1. Contra errores Graecorum (1263/64; Ed. Leonina 40, A69–105)
Der Titel dieser Schrift ist etwas irreführend, da es sich nicht um eine polemische Schrift handelt (Torrell, Magister Thomas, 141). Thomas nimmt hier auf Anfrage Papst Urbans IV. Stellung zu einer Textsammlung, die Nikolaus von Durazzo, Bischof in Kalabrien, ab 1254 zusammengestellt hatte. Die Schrift war betitelt: Libellus de processione Spiritus Sancti et de fide Trinitatis ex diversis auctoritatibus sanctorum confectus contra Graecos (Text: Ed. Leonina 40). Der Libellus wollte mit Zitaten aus griechischen Kirchenvätern nachweisen, dass diese die Position der lateinischen Kirche in verschiedenen zwischen Ost und West kontroversen Fragen teilten: bezogen auf den Hervorgang des Hl. Geistes aus dem Vater und dem Sohn, den Primat des Papstes, die Verwendung ungesäuerten Brotes bei der Feier der Eucharistie und die Lehre vom Purgatorium. Ohne genaue Kenntnis der Herkunft aller Texte zu besitzen, scheint Thomas die zweifelhafte Authentizität mancher Zitate vermutet zu haben. Hermeneutisch interessant ist das Prooemium, wo er die Prinzipien der Auslegung erläutert: Erstens müsse man bei schwer zu verstehenden Stellen (dubia) berücksichtigen, dass manche präzise Formulierung erst nach dem Auftreten einer Kontroverse erarbeitet worden sei, man daher von früheren Vätertexten nicht die gleiche begriffliche Exaktheit erwarten dürfe, an die man heute gewöhnt sei: si qua in dictis antiquorum doctorum inveniuntur, quae cum tanta cautela non dicantur quanta a modernis servatur, non sunt contemnenda aut abiicienda, sed nec etiam ea extendere oportet, sed exponere reverenter (»Wenn man daher in den Worten der alten Lehrer Dinge findet, die nicht mit der gleichen Vorsicht ausgedrückt sind, die heutige Lehrer wahren, so darf man jene Texte doch nicht verwerfen oder verächtlich beiseite schieben, noch darf man sie überinterpretieren, sondern man muss sie so auslegen, wie es die Achtung vor den alten Vätern gebietet«, Ed. Leonina 40, A71). Zweitens seien Übersetzungsprobleme zu bedenken: multa quae bene sonant in lingua Graeca, in Latina fortassis bene non sonant, propter quod eandem fidei veritatem aliis verbis Latini confitentur et Graeci […] Unde ad officium boni translatoris pertinet ut ea quae sunt Catholicae fidei transferens, servet sententiam, mutet autem modum loquendi secundum proprietatem linguae in quam transfert (»Vieles klingt im Griechischen gut und richtig, aber im Lateinischen vielleicht gerade nicht; weswegen Lateiner und Griechen die gleiche Wahrheit des Glaubens mit jeweils anderen Worten bekennen […] Zur Aufgabe eines guten Übersetzers gehört es, bei der Übersetzung einer Wahrheit des gemeinsamen katholischen Glaubens von der einen in die andere Sprache den Sinn des Satzes zu wahren, wobei er sich der sprachlichen Eigentümlichkeit der Übersetzungssprache anpasst«: Ed. Leonina 40, A71). Etwa in dieselben Jahre (1261–1265) ist die Expositio super I. et II. decretalem zu datieren (Ed. Leonina 40, E29–44). Thomas kommentiert hier für den Erzdiakon von Todi zwei Texte des Vierten Laterankonzils, nämlich das Glaubensbekenntnis des Konzils (Firmiter) und die Verurteilung (Damnamus) des trinitäts-
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theologischen Konzepts Joachims von Fiore, der seinerseits die Trinitätstheologie des Petrus Lombardus angegriffen hatte. 13.3.2. Gutachten für den Generalmagister Johannes von Vercelli
Johannes von Vercelli war Generalmagister von 1264–1283. Mehrfach richtete er an Thomas Anfragen zu pastoralen und theologischen Themen. Die erste Anfrage dürfte aus den Jahren 1265–1267 stammen: Responsio ad Ioannem Vercellensem de articulis CVIII (Ed. Leonina 42, 279–294). Der Dominikaner Petrus von Tarantasia, Magister in Paris – der spätere Papst Innozenz V. – war hinsichtlich seiner Lehre angegriffen worden; jemand hatte 108 Sätze zusammengestellt, welche angeblich Zweifel an seiner Rechtgläubigkeit aufkommen ließen. Thomas rechtfertigt in seiner Stellungnahme seinen Mitbruder und wirft dem Ankläger vor, er habe manches missinterpretiert, verstehe teilweise gar nicht, worum es gehe, auch sei die Textgrundlage offenkundig verändert worden. Wenig später (1269) hatte Thomas eine Frage zu beantworten, die für die Dogmengeschichte nicht uninteressant ist. Der Generalmagister bat ihn um Stellungnahme zur Frage der Absolutionsformel beim Bußsakrament (De forma absolutio nis; Ed. Leonina 40, C33–41): Sollte man, wie es der Verfasser einer entsprechenden Schrift forderte, statt der indikativischen Formel (»Ich spreche dich los…«) nur mehr die deprekative gebrauchen (wie sie etwa auch beim Bußakt zu Beginn der Messe oder bei der Komplet üblich ist)? Thomas erläutert die Vollmacht, die Christus den Aposteln verliehen habe; daher sei eine Ablehnung der indikati vischen Formel praesumptuosum, ut non dicam erroneum (»eine Anmaßung, um nicht zu sagen, ein Irrtum«). Im gleichen Jahr legte der Generalmagister einer Kommission aus sieben Ordensmitgliedern, darunter Thomas, ein weiteres Problem vor: Es ging um die Frage, ob der Ordensobere in bestimmten Fällen den Untergebenen verpflichten könne, die Wahrheit, die nur dieser weiß, offenzulegen (De secreto; Ed. Leonina 42, 487 f.). Konkreter Anlass war der Fall, dass zwei Dominikaner behaupteten, der Autor eines Sentenzenkommentars zu sein. Thomas war nicht in allen konkreten Fragen mit den übrigen Kommissionsmitgliedern einer Meinung. Er plädierte dafür, dass in Fällen, wo ein weltlicher Richter eine Antwort unter Eid fordern könne, auch der geistliche Obere die Offenlegung der Wahrheit fordern dürfe. In der Karwoche 1271 – Thomas ließ in seiner Antwort durchblicken, dass er wenig erfreut war, bei der feierlichen Liturgie dieser Tage gestört zu werden – verlangte der Generalmagister eine Stellungnahme zu damals offensichtlich heiß diskutierten Fragen: Responsio ad magistrum Ioannem Verc. de XLIII articulis (Ed. Leonina 42, 327–335): Es ging unter anderem darum, wie man sich das Jüngste Gericht vorstellen solle, und um kosmologische Fragen: Werden die Gestirne von Engeln bewegt, und welchen Einfluss haben die Himmelskörper auf Erden? Dass Astrologie und damit verwandte Gebiete die Theologen beschäftigten, zeigt nicht nur die Tatsache, dass der General die gleiche Anfrage auch noch
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an Albertus Magnus und Robert Kilwardby schickte, sondern dass Thomas mehrfach in derartigen Fragen angegangen wurde. Thomas bemerkt, unter den gestellten Fragen seien einige praeter limites theologicae facultatis (»fallen nicht in das Gebiet der theologischen Disziplin«; Ed. Leonina 42, 335, z. 616 f.), und warnt: Multum autem nocet talia que ad pietatis doctrinam non pertinent vel asserere vel negare quasi pertinentia ad sacram doctrinam (»Es bringt großen Schaden, Dinge, die mit der Glaubenslehre nichts zu tun haben, zu behaupten oder zu bestreiten, als gehörten sie in den Bereich der Theologie«: Ed. Leonina 42, 327). 13.3.3. Weitere Antwort-Schreiben
Über nahezu die gleiche Problematik wollte auch ein Konventslektor aus Venedig Auskunft (Resp. ad lectorem Venetum de XXX sive XXXVI articulis, 1271; Ed. Leonina 42, 339 ff.). Nachdem ihr Lehrer geschrieben hatte, wandten sich auch die dortigen Studenten an Thomas mit weiteren Fragen, so dass dieser eine erweiterte Antwort verfasste (daher die unterschiedliche Artikel-Anzahl). Ein anderer Lektor aus Besançon (Resp. ad lectorem Bisuntinum de VI art., 1271?) richtete ebenfalls eine Reihe recht unterschiedlicher Fragen an den berühmten Magister. Der Einfluss der Himmelskörper auf die irdische Wirklichkeit und die damit verbundenen Fragen der Astrologie (De iudiciis astrorum; Ed. Leonina 43, 183– 186) sowie geheimnisvolle Vorgänge in der Natur (De operationibus occultis naturae; Ed. Leonina 43, 201) beschäftigten offenkundig breite Kreise, neu angestoßen war die Frage auch durch die Rezeption der arabischen Philosophie. Iud. astr. (1269–1272?) ist vielleicht an Reginald gerichtet. Thomas stellt klar, dass die Gestirne wohl auf die Witterung und auf die körperliche Verfasstheit von Mensch und Tier Einfluss ausüben, nicht aber auf die Freiheit und damit auf die Geschichte des Menschen. Willensentscheidungen können höchstens mittels der körperlichen Disposition einen Einfluss erfahren, der aber in keiner Weise Notwendigkeit auferlegt. Das zweite Werk ist »an einen Ritter jenseits der Alpen«, vermutlich in Italien, gerichtet; das heißt, Thomas verfasste das Schreiben in der zweiten Pariser Zeit (Torrell, Magister Thomas, 228 f.). Geheimnisvolle Vorgänge in der Natur, für die es keine Erklärung gibt, sind deswegen noch nicht als übernatürlich zu betrachten. Verwandt mit dieser Thematik ist auch der Antwortbrief an Jakob von Tonengo De sortibus aus den Jahren 1270/71 (Ed. Leonina 43, 229–238, rec. brev. 239– 241). Auch hier geht es um die Begriffe Freiheit, Vorsehung und Zufall. Vor dem Hintergrund der konkreten kirchenpolitischen Situation – der päpstliche Stuhl war vakant, der Bischofsstuhl in Vercelli ebenfalls, und man konnte sich nicht auf einen Kandidaten einigen – fragte Jakob an, ob man zum Losverfahren Zuflucht nehmen dürfe. Thomas erläutert, wann, zu welchem Ziel und auf welche Weise man das Los verwenden dürfe.
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Sehr praktisch und aktuell war die Anfrage des Konventslektors aus Florenz, die sich auf die Erlaubtheit von Spekulationsgeschäften (Torrell, Magister Thomas, 141) bezog: De emptione et venditione ad tempus (1262/63; Ed. Leonina 42, 393 f.). Thomas beriet sich, bevor er antwortete, mit Kardinal Hugo von St. Cher und dem designierten Bischof von Neapel, die beide damals am päpstlichen Hof weilten. Um »wirtschaftsethische« Fragen – z. B.: Darf man von Leuten Steuern erheben, die selbst Wucher treiben? – geht es unter anderem auch in der Epistola ad comitissam Flandriae (»Brief an die Gräfin von Flandern«), wie die Schrift De regimine Iudaeorum ad ducissam Brabantiae (1270/71) passender betitelt sein sollte (Ed. Leonina 42, 375–378). Wer die Adressatin war, wird kontrovers beantwortet, vermutlich Margarita von Konstantinopel, die den Predigerbrüdern als Wohltäterin sehr verbunden war. Mit naturwissenschaftlich-medizinischen Fragen befassen sich zwei Briefe, die an Magister Philipp, einen Magister der Medizin in Bologna, gerichtet sind (Torrell, Magister Thomas 227 f.): De mixtione elementorum (1270/71; Ed. Leonina 43, 153–157) erläutert, dass die Elemente ihre virtus (»Wirkmöglichkeiten«) behalten, wenn sie Verbindungen eingehen (Säftelehre), nicht aber ihre Form. De motu cordis (1273?; Ed. Leonina 43, 127–130) erklärt die Bewegung des Herzens als eine natürliche (nicht vom Willen oder einer sonstigen äußeren Ursache bewirkte). 13.3.4. Epistola ad Bernardum abbatem Casinensem
Dieses kleine Schriftstück (Ed. Leonina 42, 413–415) ist Thomas’ letztes Werk. Es berührt eigenartig, dass es sich um die Frage dreht, wie die Lebenszeit eines Menschen und sein Sterben in der Vorsehung Gottes wurzeln. Auf der Reise zum Konzil von Lyon wurde Thomas von den Mönchen Monte Cassinos gebeten, ihnen eine Textstelle Gregors des Großen zu erläutern, die offensichtlich zu Kon troversen Anlass gegeben hatte. Thomas ließ seine Auslegung der fraglichen Stelle an den Abt senden. Die theologisch schwierige Frage nach dem Verhältnis von Vorsehung Gottes und menschlicher Freiheit wird von Thomas mit großer Klarheit dargelegt, indem er den Unterschied zwischen dem ewigen Wissen Gottes und dem sukzessiv gewonnenen menschlichen Wissen aufzeigt: Manifestum est autem quod ex hoc, quod video aliquem sedere, nulla ei ingeritur necessitas sessionis. Impossibile est haec dua simul esse vera, quod video aliquem sedentem, et ipse […] non sedeat; et similiter non est possibile quod Deus praesciat aliquid esse futurum, et illud non sit; nec tamen propter hoc futura ex necessitate eveniunt (»Es ist klar, dass aus der Tatsache, dass ich jemanden sitzen sehe, diesem keine Notwendigkeit zu sitzen auferlegt wird. Unmöglich können diese zwei Sachverhalte gleichzeitig wahr sein: Dass ich jemanden sitzen sehe, und dass er nicht sitzt. Ähnlich unmöglich ist, dass Gott etwas als zukünftig weiß, und es nicht sein wird. Das heißt aber nicht, dass das, was zukünftig ist, aus Notwendigkeit so kommt.«).
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Interessant ist, dass Thomas sich als »Sohn« des Abtes bezeichnet, semper et ubique ad oboedientiam promptum (»immer und überall zum Gehorsam bereit«); er sah sich anscheinend in einer besonderen Bindung an Monte Cassino (aufgrund der Oblation), die durch seine Profess im Predigerorden nicht einfach ungültig geworden sei. 13.3.5. Epistola exhortatoria ad fratrem Ioannem
Dieser kurze Brief enthält praktische Weisungen für Lernmethoden und Lebensgestaltung, die einem fruchtbaren Studium förderlich sind. Seit Mandonnet und Grabmann wurde die Authentizität des Opusculum stark bezweifelt; Torrell erwähnt es nicht, Weisheipl (Thomas von Aquin, 346) jedoch möchte an der Zuschreibung an Thomas (»wahrscheinlich«) festhalten. 13.4. Liturgische Texte und Gebete 13.4.1. Officium Ss. Corporis Christi (Ed. Vives 29, 335–343)
Seit Beginn des 14. Jahrhunderts ist Thomas in den Quellen als »Verfasser« der Eigentexte zum Fronleichnamsfest bezeugt. Dass die Eigentexte zu den Horen des Stundengebetes und zur Messfeier auf ihn zurückgehen, wurde in der Forschung zuweilen in Zweifel gezogen, da die erste Liste der Thomas-Werke, die auf seinen Socius Reginald zurückgeht, keinen Hinweis auf das Officium enthält. Für Thomas als Verfasser spricht die theologische Qualität der Texte (Hymnen, Oration, Antiphonen und Sequenz), deren tragende Gedanken und verwendete biblische Anklänge sich mit den Eucharistie-Quästionen der STh mühelos parallel setzen lassen. Der Einwand, dass erst relativ spät sein Name erwähnt wird, verliert an Gewicht, wenn man folgendes bedenkt: Liturgische Texte, welche das Gebet der gesamten Kirche ins Wort bringen, werden nicht im eigentlichen Sinn durch einen einzelnen Autor »verfasst«; sie werden zusammengestellt oder auf der Grundlage älterer Texte neu komponiert. Bereits vor der gesamtkirchlichen Einführung des Festes Corpus Domini durch Urban IV. (mit der Bulle Transiturus vom 11. August 1264) gab es liturgische Texte zur Verehrung des Altarssakramentes: 1246 hatte der Bischof von Lüttich, dessen Diözese eines der Zentren eucharistischer Frömmigkeit war, auf Bitten der Gläubigen ein solches Fest eingeführt. Der spätere Papst Urban IV., der in Lüttich Archidiakon gewesen war, war mit dieser Praxis vertraut. 1252 übernahm der Kardinallegat Hugo von St. Cher das Fronleichnamsfest für seinen Legationsbereich. Wenige Jahre später schien die Zeit reif, die diözesane oder mit einzelnen Orden verbundene liturgische Feier zu einem Fest der Gesamtkirche zu erheben; der konkrete Anlass dafür dürfte das eucharistische Wunder von Bolsena gewesen sein. Wenige Wochen nach der ersten Feier des Festes starb jedoch Urban IV. Erst Johannes XXII. förderte durch die Aufnahme der Bulle Transiturus in die sog. »Clementinen« die gesamtkirch-
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liche Verbreitung des Festes entscheidend (1317). Unter diesen Umständen erscheint es plausibel, dass Thomas’ Beteiligung an der Liturgie des Festes erstmals von Ptolomaeus von Lucca, der in den Jahren 1312–1317 schrieb, bezeugt wird. Zu Recht berühmt geworden sind die Hymnen: Pange lingua (zur ersten und zweiten Vesper: parallel zu Pange lingua gloriosi proelium certaminis, dem Passions-Hymnus des Venantius Fortunatus), Sacris solemniis (zur Matutin, in der Form der asklepiadeischen Strophe) und Verbum supernum prodiens (Laudes). Die Sequenz Lauda Sion ist ein Meisterwerk theologischer Klarheit, wo in schlichten Worten die Theologie der Realpräsenz, der Substanz-Wandlung und der bleibenden Akzidentien sowie die Wirkungen des Empfangs ausgedrückt werden. Die Magnificat-Antiphon: O sacrum convivium zeigt die zeitumspannende Dimension des Sakraments auf, das in der Passion Christi wurzelt und deren Gedächtnis ist, die Gläubigen aller Zeiten durch die Gegenwart Christi mit ihm vereint, und vorausverweist auf das eschatologische Hochzeitsmahl. Die Oration des Festtages enthält die Bitte um die rechte Gesinnung (»Verehrung«) gegenüber diesem Sakrament (»Gedächtnis deines Leidens«), so dass seine Wirkung auch tatsächlich empfangen bzw. »die Frucht verkostet« wird. 13.4.2. Gebete
Das Gebet Adoro te devote, ein persönliches Gebet in der Ich-Form, gehört wohl zur Gattung der Elevationsgebete (ähnlich dem Ave verum corpus), es ist von besonderer Innigkeit und ein sprachliches Meisterwerk. In jüngster Zeit legte R. Wielockx eine genaue literarische Analyse und Neu-Edition vor; ursprünglich dürfte das Gebet mit den Worten Te devote laudo begonnen haben. Es werden Thomas noch weitere Gebete zugeschrieben (Ed. Vives 32, 819– 823), die aber nicht zweifelsfrei zu den authentischen Werken gerechnet werden. 13.5. Predigten und Predigtreihen
Predigen war neben der Vorlesung bzw. der Kommentierung eines autoritativen Textes und der Disputation Aufgabe des Universitätslehrers. Für Mitglieder der beiden Bettelorden galt die Regelung, dass sie, wenn an einem Tag der morgendliche Sermo (»Predigt«) auf sie traf, sie auch die Collatio (»Predigt in der Vesper«) zu übernehmen hatten. Unter Thomas’ Namen sind zahlreiche Predigten überliefert, jedoch können als authentisch nur 19 gelten (Ed. Leonina 44/1; Bataillon, Les sermons attribués, 325–341; Torrell, Magister Thomas, 370 f.). Wichtiger noch als diese »Solitäre« sind die Predigtreihen (Ed. Vives 27, 183– 229): Collationes de decem praeceptis (auch unter dem Titel: De duobus praeceptis caritatis et decem legis praeceptis: »Über das Doppelgebot der Liebe und die Zehn Gebote im Gesetz Moses«), Collationes in Symbolum apostolorum (»Über das Apostolische Glaubensbekenntnis«), in Orationem dominicam (»Über das Herrengebet«), Expositio Salutationis angelicae (»Auslegung des Engelsgrußes«). Die
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drei Predigtreihen über die christlichen Grundgebete stammen vermutlich aus dem Jahr 1273 und wurden wahrscheinlich in Neapel, vielleicht aber auch etwas früher in Rom, gehalten. De decem praec. stammt entweder aus den Jahren 1261– 1268 oder von 1273. Die Predigten haben ein katechetisches Anliegen, sie sind von schlichter, aber präziser Sprache, auf ausgefallene Beispiele verzichtet Thomas. Ursprünglich wurden sie in der Volkssprache gehalten, die reportata (»Mitschriften«) später zu kleinen Abhandlungen überarbeitet. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Predigten über das Ave Maria zu Diskussionen seiner Interpreten Anlass gaben: Während Thomas hinsichtlich der Frage der Erbsünde der Gottesmutter die zur damaligen Zeit klassische theologische Auffassung teilte, Maria sei zwar mit der Erbsünde empfangen, aber bereits im Mutterleib davon befreit worden, könnte hier eine Stelle im Sinn der Immaculata-Lehre verstanden werden: nec originale nec mortale nec veniale peccatum incurrit (»sie fiel weder in die Erbsünde noch in eine Todsünde noch in eine lässliche Sünde«). Bataillon, Louis-Jacques: Les sermons attribués à saint Thomas. Questions d’authenticité, in: MM 19 (1988), 325–341. Boyle, Leonard E.: Thomas Aquinas and the Duchess of Brabant, in: PPMRC 8 (1983), 23–35. Dondaine, Antoine: La lettre de saint Thomas à l’abbé du Montcassin, in: Maurer, Armand A. (Hg.): St. Thomas Aquinas 1274–1974. Commemorative Studies, Bd. 1, Toronto 1974, 87– 108. Fäh, Hans Louis: Compendium theologiae – Grundriß der Glaubenslehre, lateinisch-deutsch, Heidelberg 1963. Gy, Pierre-Marie: L’Office du Corpus Christi et la théologie des accidents eucharistiques, in: RSPhTh 66 (1982), 81–86. Gy, Pierre-Marie: L’Office du Corpus Christi et S. Thomas d’Aquin. État d’une recherche, in: RSPhTh 64 (1980), 491–507. Hoffmann, Fritz/Kulok, Alfred (Hg.): Thomas von Aquin als Seelsorger. Drei kleine Werke, Leipzig 21988. Horst, Ulrich: Bischöfe und Ordensleute, Berlin 1999. Horst, Ulrich: Thomas von Aquin. Professor und Consultor, in: MThZ 48 (1997), 205–218. Horst, Ulrich: Wege in die Nachfolge Christi, Berlin 2006. Lescoe, Francis J.: De substantiis separatis: Title and Date, in: Maurer, Armand A. (Hg.): St. Thomas Aquinas 1274–1974. Commemorative Studies, Bd. 1, Toronto 1974, 51–66. Maidl, Lydia/Pesch, Otto Hermann: Thomas von Aquin, Freiburg i. Br. 1994, 88–115. Paschetta, Eugenia: La natura del moto in base al De motu cordis di S. Tommaso, in: MM 19 (1988), 247–260. Portmann, Anton/Kunz, Franz Xaver (Übers.): Katechismus des hl. Thomas von Aquin oder: Erklärung des apostolischen Glaubensbekenntnisses, des Vater Unsers, Ave Maria und der zehn Gebote Gottes, Luzern 1882 (ND Kirchen/Sieg 1971). Thomas von Aquin: De principiis naturae – Die Prinzipien der Wirklichkeit, Lateinisch-deutsche Ausgabe, übersetzt und kommentiert von Richard Heinzmann, Stuttgart 1999. Thomas von Aquin: Die Vollkommenheit des geistlichen Lebens, übersetzt von Eberhard M. Welty, Vechta 1933. Thomas von Aquin: Vom Wesen der Engel. Übersetzung, Einführung und Erläuterung von Wolf-Ulrich Klünker, Stuttgart 1989 [Ü].
II. Themen – 1. Theologie als Wissenschaft
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Torrell, Jean-Pierre: Les »Collationes in decem praeceptis« de Saint Thomas d’Aquin. Édition critique avec introduction et notes, in: RSPhTh 69 (1985), 5–40. 227–263. Tück, Jan-Heiner: Gabe der Gegenwart. Theologie und Dichtung der Eucharistie bei Thomas von Aquin, Freiburg i. Br. 2009. Wielockx, Robert: »Adoro te devote«. Zur Lösung einer alten Crux, in: AT(R) 21 (2007), 101– 138. Wielockx, Robert: Poetry and Theology in the Adoro te devote: Thomas Aquinas on the Eucharist and Christ’s Uniqueness, in: Emery, Kent (Hg.): Christ among the medieval Dominicans, Paris 1998, 157–174. Marianne Schlosser
II. Themen 1. Theologie als Wissenschaft 1.1. Historischer Kontext
Eine umfassende Reflexion der Theologen auf ihr eigenes Tun setzte erst spät ein und entwickelte sich mühsam. Natürlich hatte man sich schon immer Gedanken über einzelne Aspekte dieses Tuns gemacht – vor allem über den Umgang mit der Heiligen Schrift, die verschiedenen Schriftsinne, das Verhältnis von Glaube und Vernunft und die Art des Argumentierens. Im 12. Jahrhundert waren solche Überlegungen besonders um Methodenfragen erweitert und zuweilen sogar in Quaestionen gebündelt worden. Doch eine planmäßige und Vielseitigkeit anstrebende Reflexion auf das spezifische Geschäft des Theologen, die man als Wissenschaftstheorie bezeichnen kann, ist erst im frühen 13. Jahrhundert aufgekommen. Diese Neuerung hatte verschiedene Gründe: 1. An der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert entstand durch Zusammenschluss vorhandener Schulen zuerst in Paris und in Oxford die neue Bildungsinstitution der Universität mit vier Fakultäten, darunter auch einer Theologischen Fakultät. Von den anderen Fakultäten wurde der Theologie zwar der erste Rang zugestanden. Doch durch die Zusammenarbeit innerhalb der einen Universität musste sie sich mit den anderen Disziplinen vergleichen lassen, und aus sachlichen Berührungen entstand ein Konkurrenzverhältnis besonders zur Artistenfakultät. Es legte sich nahe, zu fragen, ob die Theologie überhaupt eine Wissenschaft wie andere Disziplinen sei und wie sie sich zu ihnen verhalte. 2. Die Frage spitzte sich dadurch zu, dass sich im Laufe der Aristoteles-Rezeption des 12./13. Jahrhunderts in der Artistenfakultät der aristotelische Wissenschaftsbegriff durchsetzte und dass nun gefragt wurde, ob er auch in der Theologie Geltung habe.
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3. Ein weiteres Problem ergab sich daraus, dass durch das Bekanntwerden der aristotelischen Metaphysik das Vorhandensein einer bereits aus Augustinus und Boethius bekannten philosophischen Theologie noch stärker ins Bewusstsein trat als bisher und als Herausforderung an die christliche Theologie begriffen wurde. 4. Schließlich musste der konkrete theologische Wissenschaftsbetrieb an der Universität Anlass zur Besinnung auf das eigene Tun geben. Als Aufgaben des Theologen im Lehrbetrieb wurden angesehen: Vorlesung, Disputation und Predigt. Gegenstand der Vorlesung des Theologieprofessors (Magister theologiae) wurde nach anfänglichen Experimenten mit verschiedenen Textbüchern bald ausschließlich die Heilige Schrift. Daneben wurde im 2. Viertel des 13. Jahrhunderts die Vorlesung über die Sentenzen des Petrus Lombardus durch den bacca laureus theologiae in seiner zweiten Ausbildungsphase (als baccalaureus sententiarius) üblich. Aus dem Nebeneinander von Bibel- und Sentenzenvorlesung mussten sich Überlegungen über das Verhältnis beider ergeben – zumal in der Anfangszeit, als sich noch Widerstand gegen die Aufnahme der Sentenzen ins theologische Lehrprogramm regte. In der Tat wurden solche Überlegungen im 13. Jahrhundert von verschiedenen Pariser und Oxforder Theologen angestellt, vor allem unter der Frage nach dem Urheber (auctor) oder der Wirkursache (causa efficiens) der Theologie (Köpf, Anfänge, 248–253. 265–267). Aber sie blieben rudimentär und führten nirgends zu umfassender Rechenschaft über die tatsächlich vom Theologen geleistete Arbeit. Das größte Hindernis bei der wissenschaftstheoretischen Bemühung um die Theologie war die im Mittelalter herrschende Unfähigkeit, klar zwischen Theologie und Heiliger Schrift zu unterscheiden. Sie zeigt sich bereits am Theologiebegriff. Das 12. Jahrhundert kannte das Wort theologia aus Augustinus, Pseudo-Dionysius und Boethius in den in sich wieder nuancenreichen Bedeutungen von Metaphysik (als Teil der theoretischen Wissenschaft), als Rede von Gott und als Heilige Schrift. In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts gewann es daneben die Bedeutung von »Theologie« im Sinne der an den Kathedralschulen betriebenen theologischen Wissenschaft, ohne dass dadurch seine älteren Aspekte ausgeschieden wurden (Köpf, Anfänge, 11–19). Diese Unklarheit setzte sich im 13. Jahrhundert und darüber hinaus fort. Jetzt wurde sacra scriptura (seltener: sacra pagina) – wörtlich: »Heilige Schrift« – zu einer geläufigen Bezeichnung für die Theologie als die an der theologischen Fakultät betriebene Disziplin. Auch Thomas kennt sie; er bevorzugt allerdings in auffälliger Weise eine Formulierung, die den Interpreten Anlass zu vielen Deutungsversuchen gegeben hat: sacra doctrina (wörtlich: »Heilige Lehre«). Man hat darin eine geniale Wortschöpfung des Thomas mit besonderen didaktischen Aspekten gesehen und gemeint, sacra doctrina bezeichne mehr als nur die wissenschaftliche Theologie. Doch diese Vermutungen sind grundlos. Bereits der Franziskaner Alexander von Hales hat den Begriff mehrere Jahrzehnte vor Thomas in die Diskussion eingeführt (neben anderen, später wieder aufgegebenen, wie z. B. doctrina theologica, theologica disciplina, theologica scientia). Bei Thomas ist sacra doctrina einfach ein Synonym für sacra
II. Themen – 1. Theologie als Wissenschaft
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scriptura oder theologia. Das zeigen eine Formulierung wie sacra Scriptura seu doctrina (STh I q. 1 a. 2 ad 2; Ed. Leonina 4, 9) und der häufige, ungeregelte Wechsel zwischen sacra scriptura und sacra doctrina, aber auch die Unterscheidung der auf die biblische Offenbarung bezogenen von der philosophischen Theologie: theologia, quae ad sacram doctrinam pertinet, differt secundum genus ab illa theologia, quae pars philosophiae ponitur (»Die theologia, die zur Theologie gehört, unterscheidet sich der Gattung nach von jener theologia, die einen Teil der Philosophie bildet«; STh I q. 1 a. 1 ad 2; Ed. Leonina 4, 7b). Im Übrigen ist die allen späteren Ausgaben zu Grunde liegende Leonina, die nur sieben Handschriften der Biblioteca Apostolica Vaticana heranzieht und den Text sogar oft gegen die handschriftliche Überlieferung herstellt, für eine zuverlässige Untersuchung des Sprachgebrauchs nicht ausreichend. Doch lässt sie deutlich erkennen, dass Thomas wie seine Zeitgenossen an der grundlegenden Schwäche der wissenschaftstheoretischen Diskussion leidet: an der Unfähigkeit, klar zwischen der Theologie als einer Wissenschaft und ihrem Ursprungstext, der Heiligen Schrift, zu unterscheiden. Dieser allgemeine Mangel hatte unmittelbare Folgen für die Ausbildung einer theologischen Wissenschaftstheorie. Bei der Reflexion auf die Eigenart der Theologie griff man nicht nur auf die vorliegenden allgemeinen Wissenschaftslehren und Wissenschaftseinteilungen vom Typ De ortu et divisione scientiarum (»Entstehung und Einteilung der Wissenschaften«) und auf Erörterungen über den Wissenschaftscharakter der Philosophie im Rahmen der sieben artes liberales zurück, sondern orientierte sich vor allem an den verbreiteten literarischen Einleitungsschriften (introductio, accessus ad auctores u.ä.). In der allgemeinen Ein leitungsliteratur lagen fast alle Fragen vor, mit deren Hilfe die Theologie im 13. Jahrhundert auf sich selbst reflektieren konnte – bis hin zum Schema der vier aristotelischen Ursachen: causa efficiens (»Urheber«), causa materialis (»Gegenstand«), causa formalis (»Wirklichkeit schaffendes, zu einer Wissenschaft verbindendes Moment«) und causa finalis (»Ziel«). Den konkreten Ort solcher Reflexion auf die Theologie boten im theologischen Lehrbetrieb vor allem die Sentenzenvorlesung, an deren Anfang ein erster Fragenkomplex über die Eigenart des behandelten Werks gestellt wurde, sowie die Antrittsvorlesung zu Beginn der Vorlesung über das erste Sentenzenbuch, für Einzelfragen die Disputationes de quolibet, für ganze Fragenkomplexe auch die Disputationes ordinariae des Magisters. Die wichtigsten Quellen unserer Kenntnis wissenschaftstheoretischer Reflexion auf die Theologie sind aber die einleitenden Quaestionen einerseits der Sentenzenkommentare, andererseits der theologischen Summen, einer außerhalb der universitären Lehre entstandenen, aber nicht selten die Ergebnisse der Lehre zusammenfassenden Werkgattung, deren Zeit mit dem ersten Viertel des 14. Jahrhunderts endete.
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C. Werk
1.2. Thomas von Aquin
Über die Theologie als Wissenschaft hat sich Thomas wiederholt geäußert: vor allem im Eingang zum ersten Buch seines Sentenzenkommentars (Sent. I q. 1; Ed. Vives 7, 4–11), der auf die Pariser Sentenzenvorlesung 1254/56 zurückgeht, in der zwischen 1255 und 1259 entstandenen Expositio super librum Boethii De Trinitate (»Kommentar zu Boethius De trinitate«), die nach der theologischen Erkenntnis und dem Wissenschaftscharakter der Theologie fragt, und zu Beginn der Summa Theologiae (STh I q. 1; Ed. Leonina 4, 5–26), deren Prima pars 1266–68 während seiner Wirksamkeit in Rom entstanden ist. Im Sentenzenkommentar stellt Thomas die Fragen nach der Notwendigkeit der Theologie, verbunden mit Überlegungen zu ihrem Verhältnis zu den anderen Wissenschaften (a. 1), nach ihrer Einheit (a. 2), anschließend (a. 3) in drei Kurzfragen (quaestiunculae) nach ihrem Ziel und seiner Verwirklichung (qla. 1), ihrem Wissenschaftscharakter (qla. 2) und ihrem weisheitlichen Charakter (qla. 3), sodann nach ihrem Gegenstand (a. 4) und nach ihrer Methode (a. 5). In der Summa behandelt er alle im Sentenzenkommentar vorkommenden Themen, rückt aber die Frage nach dem Wissenschaftscharakter als a. 2 hinter die nach der Notwendigkeit, schiebt zwischen die Fragen nach dem Ziel und nach dem weisheitlichen Charakter eine eigene (a. 5) nach dem Verhältnis der Theologie zu den anderen Wissenschaften ein und entfaltet am Ende die im Sentenzenkommentar (a. 5) nicht klar geschiedenen und erläuterten Aspekte wissenschaftlichen und literarischen Vorgehens in drei getrennten Fragen nach der argumentativen Methode (a. 8), nach dem Gebrauch von Metaphern (a. 9) und nach dem mehrfachen Sinn der Heiligen Schrift (a. 10). Im Folgenden werden wir uns auf die abschließende Erörterung in der Summa konzentrieren, zuweilen aber auch auf die älteren Werke zurückblicken. Für eine umfassende Behandlung der Erkenntnis- und Wissenschaftsthematik, die im vorliegenden Zusammenhang nicht möglich ist, müssten auch die Ausführungen der Summa besonders über Wissen und Erkennen Gottes (STh I q. 14; Ed. Leonina 4, 166–198), der Engel (STh I q. 54; Ed. Leonina 5, 39–53) und Christi (STh III q. 9–13; Ed. Leonina 11, 138–178), über die menschliche Gotteserkenntnis (STh I q. 12; Ed. Leonina 4, 114–138; auch q. 32; Ed. Leonina 4, 349–357), die intellektuellen Seelenvermögen (STh I q. 79; Ed. Leonina 5, 258–281) und das Erkennen des Menschen (STh I q. 84–89; Ed. Leonina 5, 313–384), über die intellektuellen Tugenden im Allgemeinen (STh I-II bes. q. 57; Ed. Leonina 6, 364– 371), die theologische Tugend des Glaubens (STh II-II q. 1–16; Ed. Leonina 8, 7–123) und die Kardinaltugend der Klugheit (prudentia) (STh II-II q. 47–56; Ed. Leonina 8, 348–406), ferner von den Quaestionen große Teile der Quaestiones disputatae de veritate und einzelne Quodlibeta herangezogen werden. In STh I q. 1 a. 1 (Ed. Leonina 4, 6–8) fragt Thomas zunächst nach der Notwendigkeit der (christlichen) Theologie neben den anderen Wissenschaften. Sie scheint durch das Vorhandensein der nichttheologischen Wissenschaften (philosophicae disciplinae), vor allem aber einer in der Metaphysik vorliegenden philo-
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sophischen Theologie (theologia sive scientia divina) überflüssig geworden zu sein. Thomas begründet ihre Notwendigkeit zweifach: zum einen aus der Hinordnung des Menschen auf ein Ziel, das sein vernünftiges Begreifen übersteigt, das er deshalb nur aus einer vorgängigen Offenbarung kennen kann, zum andern aus der Heilsnotwendigkeit einer Gotteserkenntnis, die durch göttliche Offenbarung allgemeiner und sicherer vermittelt wird als durch die Vernunft (crp.). STh I q. 1 a. 2 (Ed. Leonina 4, 8–11) stellt die Frage nach der Wissenschaftlichkeit der Theologie, die schon früh in den Mittelpunkt wissenschaftstheoretischer Erörterungen gerückt war. Zwei unterschiedliche Argumente spielen dabei von Anfang an eine zentrale Rolle: Jede Wissenschaft beruhe auf Prinzipien, die nicht mehr bewiesen werden könnten und müssten, weil sie unmittelbar einsichtig seien (principia per se nota; arg. 1; Ed. Leonina 4, 9). Die Theologie gehe aber von den Glaubensartikeln (articuli fidei) aus, denen nur der Glaubende zustimme. Die in Sent. I q. 1 a. 3 qla. 2 ad 2 (Ed. Vives 7, 7a) vorgetragene Überlegung, die Glaubensartikel gingen aus einer vom Glaubenslicht bewirkten Evidenzerfahrung hervor, verfolgt Thomas später nicht mehr, sondern greift auf einen verbreiteten Gedanken zurück, der in der wissenschaftstheoretischen Diskussion der Zeit an verschiedenen Stellen begegnet: auf das Deuteschema der Subalternation (subalternatio: »Unterordnung«). Nach Aristoteles stellt eine übergeordnete Wissenschaft Sätze bereit, die von der untergeordneten Wissenschaft als Prinzipien übernommen werden, aus denen sie Schlussfolgerungen zieht. Bonaventura hatte den Begriff subalternatio auf das Verhältnis der Sentenzen zur Heiligen Schrift angewandt (Sent. I Prooem. q. 2 ad 4). Thomas übernahm in der Summa den von ihm erstmals in Exp. in Boeth. (q. 2 a. 2 ad 5; Ed. Leonina 50, 96) angewandten Gedanken: Wie bestimmte artes (z. B. die Musik) mit von ihnen auf Treu und Glauben übernommenen Prinzipien argumentierten, die aus ihnen übergeordneten Wissenschaften (z. B. der Arithmetik) bekannt seien, so gehe die Theologie als Wissenschaft aus den geglaubten Prinzipien einer ihr übergeordneten Wissenschaft hervor: aus dem Wissen Gottes und der Seligen (scientia Dei et beatorum; STh I q. 1 a. 2 crp.; Ed. Leonina 4, 9a). Ein weiteres Argument, das sich auf Aristoteles wie auf Augustinus stützen kann (arg. 2), besagt, Wissenschaft handle nicht von Einzelnem, sondern vom Allgemeinen; die Theologie habe es aber mit vielen geschichtlichen Einzelheiten zu tun, mit Personen und Ereignissen, von denen die Bibel berichtet. Diesem Argument setzt Thomas – Lösungen früherer Autoren vereinfachend – den Gedanken entgegen, Theologie interessiere sich für das Einzelne nur, insofern es exemplarisch (als sittliches Vorbild) auf Allgemeines verweise (ad 2). Während manche Zeitgenossen der Theologie nur in eingeschränktem Sinne den Charakter einer Wissenschaft zuschreiben, tut Thomas das ohne Vorbehalt. In der ganzen quaestio gebraucht er immer wieder für sacra doctrina und sacra scriptura das Synonym haec scientia (»diese Wissenschaft«). Nachdem er der Theologie Wissenschaftlichkeit zugestanden hat, stellt auch Thomas die herkömmliche Frage, ob es sich um eine einheitliche Wissenschaft handle (a. 3). Wie die meisten seiner Zeitgenossen sieht er ihre Einheit nicht etwa
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durch unterschiedliche Methoden oder gar durch den konkreten Lehrbetrieb gefährdet, sondern mit einem aristotelischen Argument (Anal. post. A 28, 87a38 u. ö.) durch ihre verschiedenen Gegenstände. Er beweist die Einheit der Theologie nur anfänglich und beiläufig wie viele andere Autoren aus einer Einheit der Analogie dieser Gegenstände (so Sent. I q. 1 a. 2 ad 2; Ed. Vives 7, 6b), hauptsächlich aber aus der göttlichen Inspiration, die sie eine (sol.). In der Summa greift er den Gedanken der Offenbarung wieder auf, gebraucht ihn jetzt aber, um die gemeinsame Quelle als einheitschaffende Struktur (una ratio formalis) des Gegenstandsbereichs dieser Wissenschaft zu bezeichnen (a. 3 crp.). Die Theologie betrachte auch alle Gegenstände der nichttheologischen Wissenschaften, die sie behandelt, in einer einzigen Hinsicht: insofern sie mögliche Inhalte göttlicher Offenbarung sind (ad 2). Sachlich angemessen müsste sich an die behandelte Frage die nach dem eigentlichen Gegenstand der Theologie anschließen. Thomas geht darauf aber erst später ein und stellt zunächst die in der zeitgenössischen Diskussion sehr verbreitete Frage, ob die Theologie »spekulativ« oder »praktisch« sei (a. 4). Das ist eine Variante der Frage nach dem Ziel der Theologie, die ihren Kern im Verifikationsproblem hat. Vorausgesetzt ist stets, dass die Theologie als Wissenschaft auf das Erkennen der höchsten Wahrheit abzielt. Es stellt sich aber die Frage, ob ihr letztes Ziel das reine Erkennen (theoria, speculatio) sei oder ob sie sich erst in der affektiven Aneignung des Erkannten (als scientia affectiva), ja womöglich erst in der Anwendung des Erkannten im Handeln (als scientia practica) vollende. Vor allem die franziskanischen Theologen der Zeit, aber auch Albertus Magnus in seiner Summa Theologiae, fassen die Theologie als eine praktische Wissenschaft auf, die auf das Handeln abziele. In der sehr ausführlich und differenziert geführten Diskussion über das Thema nimmt Thomas von vornherein eine andere Position ein. Bereits im Sentenzenkommentar betont er, obwohl die Theologie auch den Menschen zum rechten Handeln führe, sei ihr letztes Ziel die Betrachtung der ersten Wahrheit (d. h. Gottes) im künftigen Leben (contemplatio primae veritatis in patria). Deshalb sei sie hauptsächlich (principaliter) spekulativ (Sent. I q. 1 a. 3 qla. 3 sol. 1; Ed. Vives 7, 7). In der Summa argumentiert er von den Gegenständen her, aber mit dem gleichen Ergebnis. Die Theologie erstrecke sich, wie zuvor (STh I q. 1 a. 3 ad 2; Ed. Leonina 4, 11–14) gesagt, auf verschiedene auch von den philosophischen Disziplinen behandelte Themen, spekulative wie praktische, doch in einer einzigen Wissenschaft – so, wie Gott mit demselben Wissen sich selbst und das, was er tut, erkenne. Dennoch sei die Theologie eher spekulativ, weil sie sich mehr mit Göttlichem als mit menschlichem Tun befasse. Von diesem handle sie nur, insofern der Mensch dadurch zur vollkommenen Gotteserkenntnis hingeführt werde, in der die ewige Seligkeit bestehe (crp.). Im Sentenzenkommentar hatte Thomas von vornherein festgestellt, (1.) die Theologie herrsche über alle anderen Wissenschaften und (2.) sie gebrauche alle anderen wie Lehnsleute (vassalli), da ihr Endzweck (finis) dem der ganzen übrigen Wissenschaft (philosophia) übergeordnet sei (a. 2 sol.). In der Summa (a. 5)
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argumentiert er eingehender und bringt auch die Schwächen der Theologie zur Sprache. Vor allem im Blick auf die Gewissheit ihrer Prinzipien, der Glaubensartikel (articuli fidei; arg. 1) und in ihrer Abhängigkeit von anderen Wissenschaften (arg. 2) scheine sie diesen Wissenschaften unterlegen. Das erste Argument entkräftet er durch die aristotelische Unterscheidung zwischen dem, was an sich (secundum naturam), und dem, was für uns (quoad nos) gewiss ist. Wenn die Glaubensartikel unsicher erschienen, dann nicht, weil sie es tatsächlich wären, sondern wegen der Schwäche der menschlichen Einsicht (ad 1). Zum zweiten Einwand betont er, die Theologie benutze die anderen Disziplinen als untergeordnete Wissenschaften, die ihr dienten (inferiores et ancillae), und nicht wegen ihrer eigenen Mangelhaftigkeit, sondern wegen der Schwäche unserer Einsicht: Diese werde durch Erkenntnisse aus der natürlichen Vernunft leichter zu dem geführt, was die Vernunft übersteigt. Ihre Prinzipien empfange sie dagegen durch Offenbarung unmittelbar von Gott (ad 2). Deshalb kann Thomas sagen, die Theologie habe ihre Gewissheit vom Licht des göttlichen Wissens (ex lumine divinae scientiae). In jeder Hinsicht überrage sie alle spekulativen und praktischen Wissenschaften (crp.). Seit den Anfängen der wissenschaftstheoretischen Diskussion spielt in ihr der Begriff der Weisheit (sapientia) eine wichtige Rolle. Bereits der erste Inhaber des theologischen Lehrstuhls der Dominikaner in Paris, Roland von Cremona, meinte in seiner Summa, die Theologie sei weder ars noch scientia in dem Sinn, in dem diese Begriffe in der Philosophie gebraucht werden, sondern etwas Edleres: sapientia (Köpf, Anfänge, 219). Seitdem wurde in zahlreichen Erörterungen über ihren weisheitlichen Charakter nachgedacht. Die Autoren nahmen damit einen Begriff auf, der über den Bereich der Wissenschaft hinaus in die religiöse Sphäre zurückreicht. Er ist in der Bibel verankert und nahm schon in der frühgriechischen Philosophie eine bedeutende Stellung ein. Die wissenschaftstheoretische Diskussion greift bei seiner Näherbestimmung vor allem Formulierungen aus Augustinus und Aristoteles auf. Nach Augustinus handelt die Weisheit im Unterschied zur bloßen Wissenschaft vom Ewigen und Göttlichen (z. B. De trin. 12,14,22; CChr.SL 50, 374–377; 14,1,3; CChr.SL 50A, 423–425; u. ö.); Aristoteles nennt vor allem drei Merkmale: die Weisheit handle von den Prinzipien, sei besonders genau und herrsche über die übrigen Wissenschaften (z. B. Met. A2, 982a6–19; Eth. Ni. Z7, 1141a9–b3). Thomas, der die Theologie als Wissenschaft im vollen Sinne auffasst, kann dennoch die Frage nach ihrem Charakter als Weisheit nicht umgehen. In seinem Sentenzenkommentar wendet er dagegen ein, der Theologie fehle es an der nach Aristoteles nötigen Gewissheit über die Ursachen (Sent. I q. 1 a. 3 qla. 3 arg.; Ed. Vives 7, 7a), erwidert aber, für den Gläubigen gehe aus dem eingegossenen Glauben (fides infusa) größere Gewissheit hervor als selbst aus den ersten Prinzipien der Vernunft. Die Theologie ist für ihn daher im eigentlichsten Sinne (propriissime) Weisheit (Sent. I q. 1 a. 3 sol. 3; Ed. Vives 7, 8b). Mit Aristoteles (Eth. Ni. Z7) unterscheidet er drei spekulative habitus (»Haltungen, Zustände, Fertigkeiten«)
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der Seele, die sich alle in der Theologie finden: Insofern sie das Haupt und die Ordnerin aller Wissenschaften sei und die höchsten Ursachen betrachte, sei sie Weisheit; doch da sie auch Schlüsse und Prinzipien behandle, sei sie zugleich schlussfolgernde Wissenschaft und Einsicht in diese Prinzipien (scientia de conclusionibus et intellectus de principiis; Sent. I q.1 a. 3 sol. 1; Ed. Vives 7, 7). In der Summa (STh I q. 1 a. 6; Ed. Leonina 4, 17 f.) wendet er gegen den weisheitlichen Charakter der Theologie ein, sie empfange ihre Prinzipien anderswoher, sie begründe nicht die Prinzipien anderer Wissenschaften und werde durch ein Studium erworben (arg. 1–3). Seine Antwort beruht darauf, dass die Theologie im eigentlichsten Sinne von Gott als der höchsten Ursache handle (propriissime determinat de Deo secundum quod est altissima causa), und zwar nicht nur im Blick auf das, was die Philosophen aus seinen Geschöpfen erkennen, sondern auch auf das, was allein er selbst von sich wisse und was er anderen durch seine Offenbarung mitgeteilt habe. Mit diesem Wissen von der höchsten Ursache übe die Theologie aber das Amt des Ordnens und Richtens über die nachgeordneten Ursachen und menschlichen Handlungen aus und erfülle dadurch in höchstem Maße (maxime) und schlechthin (simpliciter) die Aufgaben der Weisheit (crp.). Die Einwände lösten sich im Blick auf die Herleitung der Theologie vom göttlichen Wissen auf, von dem alles menschliche Erkennen geordnet werde (ordinare; ad 1). Da die Theologie auf Offenbarung beruhe, habe sie die Prinzipien anderer Wissenschaften nicht zu begründen, sondern zu beurteilen (iudicare; ad 2). Der dritte Einwand führt trotz des Ansatzes beim Studium nicht zur Reflexion auf die Besonderheit der konkret betriebenen Theologie. Thomas unterscheidet zwischen zwei Arten des Urteilens und dementsprechend auch der Weisheit. Die eine gehe als Gabe des Heiligen Geistes aus einer Neigung (inclinatio) hervor, die andere beruhe auf einer durch Studium und Lehre erworbenen Erkenntnis, wenngleich ihre Prinzipien durch Offenbarung empfangen werden (ad 3). Erst spät (STh I q. 1 a. 7; Ed. Leonina 4, 19–21) wirft Thomas thematisch die Frage auf, die ein Kernstück der zeitgenössischen wissenschaftstheoretischen Erörterungen bildet, die von den anderen Autoren an früherer Stelle behandelt wird und die auch von ihm in den früheren Artikeln der Summa schon mehrfach gestreift worden ist: die Frage nach dem Gegenstand der Theologie. In der wissenschaftstheoretischen Diskussion wird dafür neben dem älteren und allgemeineren Begriff materia (»Inhalt«, auch causa materialis) zumeist (und selbst noch von Luther; z. B. WA 40 II 2; 328,1) der dem modernen Leser schwer verständliche Begriff subiectum theologiae gebraucht. Er wird in der Forschung meist – vermeintlich wortgetreu – als »Subjekt der Theologie« wiedergegeben. Doch diese Formulierung ist missverständlich, ja falsch. Wir verstehen heute unter dem »Subjekt« den Urheber, den die Theologen des 13. Jahrhunderts in Anlehnung an die literarischen Einleitungsschriften als auctor oder als causa efficiens (»Wirkursache«) der Theologie bezeichnen. Das lateinische Wort subiectum ist die Übersetzung des aristotelischen ὑποκείμενον (hypokeímenon), das nach der im Mittelalter einflussreichen Kategorienschrift in der Wissenschaft einerseits den Ge-
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genstand des Redens, andererseits die menschliche Seele als Träger von Wissen bezeichnet. In der Wissenschaftstheorie kommt nur die erstere Bedeutung zum Tragen. Dagegen wird das lateinische Wort obiectum, dem unser deutsches »Gegenstand« entspricht, von den Autoren des 13. Jahrhunderts weniger in der Wissenschaftstheorie als in Psychologie und Tugendlehre gebraucht. Thomas formuliert den Sprachgebrauch seiner Zeit kurz und treffend: Sic enim se habet subiectum ad scientiam, sicut obiectum ad potentiam vel habitum (»Denn das subiectum verhält sich so zu einer Wissenschaft, wie das obiectum zu einem Vermögen oder einer Disposition [der Seele]«; STh I q. 1 a. 7 crp.; Ed. Leonina 4, 19). Was Thomas hier ausführt, wurde allerdings schon von einzelnen Zeitgenossen als Problem erkannt; sie versuchten gelegentlich, freilich noch ohne breitere Wirkung, für den Gegenstand der Wissenschaft den Begriff obiectum einzuführen (Köpf, Anfänge, 86 f.). Bei der inhaltlichen Bestimmung des Gegenstandes der Theologie hatte die Diskussion in den wissenschaftstheoretischen Einleitungsabschnitten von Summen und Sentenzenkommentaren einerseits die Fülle der in diesen Werken behandelten Themen im Auge, andererseits mehrere von der Tradition vorgegebene knappe Lösungen: Gott, Christus, das Erlösungswerk und die von Petrus Lombardus den Sentenzen vorangestellte augustinische Formel von res et signa (»Dinge und Zeichen«). Mit viel Scharfsinn bemühte man sich, die verschiedenen vorgegebenen Lösungen entweder durch Differenzierung des Gegenstandsbegriffs miteinander zu verbinden (so die frühen Pariser Franziskaner) oder durch einfache Unterscheidung von Gegenstand und Sache Gott als die Sache der Theologie herauszustellen (erstmals bei Albertus Magnus) oder einen neuen, umfassenden Begriff einzuführen. So bestimmt Bonaventura als Sache der Theologie das credibile, d. h. den Gegenstand des Glaubens, insofern er in dieser Wissenschaft durch Anwendung der Vernunft einsichtig gemacht werde (Sent. I prooem. q. 1 ad 5–6). Vermutlich in Auseinandersetzung mit seinem franziskanischen Kollegen schuf Thomas zunächst im Sentenzenkommentar eine neue Alternativformel für die Sache der Theologie, die alle vorliegenden Vorschläge, auch den Bonaventuras, einschließen sollte: ens divinum cognoscibile per inspirationem (»das göttliche Seiende, insofern es durch Inspiration erkennbar ist«). Alles, was in der Theologie behandelt wird, sei entweder Gott oder das, was von Gott stamme und zu ihm hinstrebe (aut Deus aut ea, quae ex Deo et ad Deum sint; Sent. I q. 1 a. 4 sol.; Ed. Vives 7, 9). In seiner Summa verzichtet er auf die Einbeziehung des religiösen Subjekts in die Gegenstandsbestimmung und erklärt lapidar Gott zur Sache der Theologie. Alles werde in ihr in Hinsicht auf Gott behandelt: entweder weil es Gott selbst sei oder weil es auf Gott als Ursprung und Ziel hingeordnet sei (a. 7 crp.; ad 2; Ed. Leonina 4, 19). Diese Lösung sieht er auch durch den Blick auf die Prinzipien bestätigt: die Glaubensartikel, in denen die ganze Theologie im Grunde (virtute) enthalten sei. Der Glaube aber richte sich auf Gott, der somit Sache der ganzen Theologie wie des Glaubens sei (crp.). Diese klare Sachbestimmung macht Thomas auch zur Grundstruktur seiner Summa (STh I Prol.; C.I.12.).
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In den letzten drei Artikeln der Summa (STh I q. 1 a. 8–10; Ed. Leonina 4, 21– 26) behandelt Thomas eingehend die im Sentenzenkommentar (a. 5) nicht in der nötigen Weise geschiedenen und allzu kurz beantworteten Fragen nach der Vorgehensweise (modus procedendi) der Theologie und der Heiligen Schrift. Wie sehr auch noch in der späteren Darstellung begriffliche Unklarheit herrscht, zeigt der verwirrende Gebrauch von sacra doctrina und sacra scriptura an mehreren Stellen, der die Herausgeber der Leonina wiederholt zu Entscheidungen gegen das einhellige Zeugnis der Handschriften veranlasst hat. In STh I q. 1 a. 8 (Ed. Leonina 4, 21–23) fragt Thomas zunächst, ob die Theologie die argumentative, d. h. wissenschaftliche, Methode gebrauche. Zweifel daran nähren vor allem zwei in der Diskussion oft zitierte Worte – eines, das den Glauben gegen die Argumente ausspielt (Ambrosius; arg. 1), und ein anderes, das die Verdienstlichkeit eines von der Vernunft gestützten Glaubens bezweifelt (Gregor der Große; arg. 2). Gegen die Argumentation aus der auctoritas, d. h. aus einer von der Tradition vorgegebenen und mit Autorität ausgestatteten Aussage, gelte aber der Einwand des Boethius, das Argument aus der Autorität (locus ex auctoritate) sei am schwächsten (arg. 2). Die Lösung der Probleme in der Summa ist eindeutiger als in früheren Werken. Im Sentenzenkommentar hatte Thomas wie andere Autoren betont, die Theologie sei als Weisheit zugleich Wissenschaft von den Schlüssen und Einsicht in die Prinzipien (Sent. I q. 1 a. 3 sol. 1; Ed. Vives 7, 7). Auch im Boethiuskommentar unterscheidet er in jeder Wissenschaft Prinzipien und Schlüsse (Exp. In Boeth. I q. 2 a. 2 ad 4; Ed. Leonina 50, 96a) und betont, Ziel unseres Glaubens sei die Einsicht in das Geglaubte (ad 7). In der Summa dagegen lässt er sich nicht mehr auf ein rückwärtsgewandtes Glaubensverständnis ein. Hier behauptet er einfach, die Theologie argumentiere nicht, um ihre Prinzipien zu beweisen, sondern gehe von ihnen aus, um etwas anderes zu zeigen (STh I q. 1 a. 8 crp.), sie führe argumentierend von den Glaubensartikeln zu anderen Aussagen hin (ad 1), sie gebrauche die Vernunft, nicht um den Glauben zu beweisen, sondern um anderes aufzuweisen (ad 3). Als Möglichkeiten theologischer Argumentation aus den Prinzipien hatte Thomas im Sentenzenkommentar in Anlehnung an ein älteres Schema drei Aufgaben genannt: die Beseitigung von Irrtümern, die ethische Belehrung und die Betrachtung der Wahrheit in der Heiligen Schrift (Sent. I q. 1 a. 5 sol.; Ed. Vives 7, 10). In der Summe schreibt er der Theologie, analog zur Funktion der Metaphysik in der Philosophie, die Aufgabe zu, sich mit dem auseinanderzusetzen, der ihre Prinzipien leugnet. Diese Auseinandersetzung solle argumentativ sein, wenn der Gegner (wie der Häretiker) etwas von dem Geoffenbarten anerkenne. Wenn er aber an nichts Geoffenbartes glaube, bleibe nur die Aufgabe, seine Gedankengänge gegen den Glauben zu widerlegen (STh I q. 1 a. 8 crp.). Den Gebrauch der Vernunft im Dienste des Glaubens rechtfertigt Thomas mit einem altkirchlichen, zuvor von Bonaventura (Sent. II d. 9 a. un. q. 9 ad 2) formulierten, schon im Boethiuskommentar (Exp. In Boeth. I q. 2 a. 3 crp. 1; Ed. Leonina 50, 97–100) aufgenommenen, in der Summa (STh I q. 1 a. 8; Ed. Leonina 4,
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21–23) aber in klassischer Klarheit ausgedrückten Gedanken: die Gnade (hier: der Offenbarung) hebe die Natur (hier: den Gebrauch der Vernunft) nicht auf, sondern vollende sie; deshalb diene die natürliche Vernunft dem Glauben (Cum enim gratia non tollat naturam, sed perficiat, oportet quod naturalis ratio subserviat fidei; a. 8 crp.; Ed. Leonina 4, 22). Aus diesem Grundsatz ergibt sich eine abgestufte Rangordnung der auctoritates im Gebrauch des Theologen: Seine Autoritäten sind im eigentlichen Sinne und mit zwingender Beweiskraft (proprie, ex necessitate argumentando) die von Aposteln und Propheten verfassten kanonischen Schriften, im eigentlichen Sinne, aber nur mit der Kraft des Wahrscheinlichen, die anderen Kirchenlehrer, mit der Beweiskraft nur äußerlicher und wahrscheinlicher Argumente die Philosophen (ad 2). Im folgenden a. 9 von STh I q. 1 geht Thomas zu einem Thema über, das sich kaum mehr mit der Theologie als Wissenschaft verbinden lässt, sondern die Heilige Schrift betrifft: zum Gebrauch von Metaphern. Bezeichnenderweise haben die Herausgeber der Leonina hier an zwei Stellen das in den Handschriften gebotene Wort doctrina durch scriptura ersetzt. In der Tat ist eine bildliche Redeweise in Metaphern und Gleichnissen der von Thomas als Wissenschaft im strengen Sinne aufgefassten Theologie nicht angemessen. Schon im Sentenzenkommentar schloss Thomas daraus, dass die menschliche Vernunft in diesem Leben (in via) gewohnt sei, aus sinnlichen Eindrücken Erkenntnisse zu gewinnen; sie müsse durch Metaphern, Symbole oder Gleichnisse zur Kenntnis der Offenbarung hingeführt werden (Sent. I q. 1 a. 5 sol.; Ed. Vives 7, 10). In der Summa führt er die Rechtfertigung bildlicher Rede durch die aristotelische Auffassung vom Erkenntnisweg des Menschen in größerer Breite aus: Es sei für den Menschen natürlich, durch die Vermittlung der Sinnendinge zum Einsehbaren zu gelangen; denn unser ganzes Erkennen beginne mit der sinnlichen Wahrnehmung. Zur sachlichen Begründung bildlicher Rede führt Thomas immer wieder den Gedanken der Konvenienz (Angemessenheit) an (conveniens est, convenit: STh I q. 1 a. 9 crp., ad 3; Ed. Leonina 4, 24b). Im letzten Artikel der wissenschaftstheoretischen Einleitung der Summa (STh I q. 1 a. 10; Ed. Leonina 4, 25 f.) fragt er nach dem vierfachen Sinn der Heiligen Schrift (hier immer: sacra scriptura), den er im Sentenzenkommentar nur knapp vorgestellt hatte (Sent. I, q. 1 a. 5 sol.; Ed. Vives 7, 10). Er begründet den mehrfachen Schriftsinn mit dem Willen Gottes, des Urhebers (auctor) der Heiligen Schrift, der nicht nur Worte (voces), wie in allen Wissenschaften, sondern auch – was eine Besonderheit dieser Wissenschaft sei – durch Worte bezeichnete Sachen (ipsae res significatae per voces) als Bezeichnung von etwas anderem verwende. Die grundlegende Bezeichnung von Sachen durch Worte bringe den historischen oder wörtlichen Sinn hervor. Die Bezeichnung anderer Sachen durch diese mit Worten bezeichneten Sachen heiße geistlicher Sinn. Dieser sei wieder dreifach geteilt: in den allegorischen Sinn, nach dem das Geschehen im Alten Testament als zeichenhaftes Vorbild für das Neue diene, den tropologischen oder moralischen Sinn, nach dem das Geschehen in Christus und in seinen Vorbildern
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Zeichen für unser Verhalten sei, und den anagogischen Sinn, nach dem die künftigen Verhältnisse in der ewigen Herrlichkeit bezeichnet werden. Schließlich kann Thomas auch im von Gott als dem Urheber der Schrift intendierten wörtlichen Sinn einer einzelnen Schriftstelle einen mehrfachen Sinn erkennen (crp.): die Geschichte, in der einfach etwas erzählt wird, die Ätiologie, die eine Begründung gibt, und die Analogie, nach der eine Stelle einer anderen nicht widerspricht (ad 2), ferner den parabolischen (gleichnishaften, bildlichen) neben dem eigentlichen Sinn (ad 3). Unter dem andauernden Einfluss der Enzyklika Aeterni patris von 1879 hat die Scholastikforschung Thomas die Schaffung einer neuen, geradezu unüberbietbaren theologischen Wissenschaftstheorie zugeschrieben, die ihren Höhepunkt in der Subalternationstheorie habe. In seiner einst grundlegenden Studie über die Theologie als Wissenschaft im 13. Jahrhundert hat Chenu Thomas als »le maître de cette opération de grande envergure, qui devait commander le développement ultérieur de la doctrine sacrée« charakterisiert (Chenu, Théologie, 9). Wer seine wissenschaftstheoretischen Ausführungen unvoreingenommen vor ihrem historischen Hintergrund analysiert, der erkennt freilich, dass ihre Originalität begrenzt ist. Thomas hat keine neuen Fragen aufgeworfen und keine neuen Lösungsansätze vorgetragen, sondern Begriffe und Überlegungen aus der zeitgenössischen Diskussion aufgenommen. Er hat nicht, wie vor ihm der Dominikaner Richard Fishacre in Oxford und der Franziskaner Bonaventura in Paris, auf die konkrete Arbeit des Theologen in ihren verschiedenen Aspekten reflektiert, sondern wie die meisten Zeitgenossen die theologische Wissenschaft in einen problematischen Zusammenhang mit der Heiligen Schrift gesetzt. Das drückt sich auch in seinem ungeklärten Theologiebegriff aus, der sacra doctrina und sacra scriptura als Synonyme gebraucht und dazu führt, dass der Theologie Eigenschaften zugeschrieben werden, die eigentlich auf die Heilige Schrift zutreffen und ihre Charakterisierung als Wissenschaft im Sinne der nichttheologischen Disziplinen erschweren. Die Theologie erscheint ihm nicht als menschliches Tun, das mit der Philosophie und den artes liberales nach allgemein gültigen Maßstäben verglichen werden kann, sondern als velut quaedam impressio divinae scientiae (»gleichsam eine gewisse Einprägung des göttlichen Wissens« in das menschliche Bewusstsein; STh I q. 1 a. 3 ad 2; Ed. Leonina 4, 12b): als ein Wissen, dessen Idealgestalt die Heilige Schrift ist und das am Offenbarungscharakter der Schrift teilhat – mit manchen in ihrer Sprachgestalt liegenden problematischen, vor allem aber mit positiven Folgen wie dem Empfang ihrer Prinzipien unmittelbar von Gott. Innerhalb der angedeuteten Grenzen zeichnet sich Thomas vor seinen Zeitgenossen aber auch in mehrfacher Hinsicht aus: Er verfolgt gegenüber ihren häufigen Unsicherheiten und Unklarheiten eine eindeutige Linie, reduziert die erwogenen Möglichkeiten auf wenige oder eine einzige und bemüht sich um durchsichtige Strukturierung der verschiedenen Aspekte, vertritt eindeutige Positionen, argumentiert scharfsinnig und formuliert klar und prägnant. Die unbe-
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streitbaren Vorzüge seiner Darstellung gehen zu einem guten Teil auf sein didaktisches Geschick ( C.III.3.). Chenu, Marie-Dominique: La théologie comme science au XIIIe siècle (BiblThom 33), Paris 1927, 31957. Grabmann, Martin: Die theol. Erkenntnis- und Einleitungslehre des hl. Thomas von Aquin auf Grund seiner Schrift »In Boethium de Trinitate«. Im Zusammenhang der Scholastik des 13. und beginnenden 14. Jahrhunderts dargestellt (ThomSt 4), Fribourg 1948. Köpf, Ulrich: Die Anfänge der theologischen Wissenschaftstheorie im 13. Jahrhundert (BHTh 49), Tübingen 1974. Oliva, Adriano: Quelques éléments de la doctrina theologie selon Thomas d’Aquin, in: Olszewski, Mikołaj (Hg.): What is »Theology« in the Middle Ages? (ArVe Subsidia 1), Münster 2007, 167–193. Ulrich Köpf
2. Gotteslehre 2.1. Wissenschaftstheoretische Einordnung 2.1.1. Gott als Gegenstand der Theologie
»Gott« ist der zentrale Gegenstand und das Organisationsprinzip aller Inhalte der Theologie, so Thomas in der einleitenden quaestio der Theologischen Summe (STh I q. 1 a. 7r.; Ed. Leonina 4, 19). Angesichts des Einwandes, dass die Theologie ausweislich des Glaubensbekenntnisses neben Gott weitere Inhalte – von der Schöpfung über den Menschen, die Christologie, die Kirche, die Sakramente, die Sünde und ihre Vergebung oder auch die letzten Dinge – behandle (a. a. O. o. 2; Ed. Leonina 4, 19), hält Thomas fest, dass Gott nicht der ausschließliche Gegenstand, wohl aber die formale Hinsicht sei, unter der sich der Gegenstand der Theologie erschließe (a. a. O. ad 2, vgl. r.; Ed. Leonina 4, 19): Wie die Bewegung und also alles, was bewegt sein kann, als Bewegtes Gegenstand der Physik sei, so ist Gott die formale Hinsicht der Theologie: Sie befasst sich mit dem Seienden, soweit es mit Gott zu tun hat – entweder so, dass es selbst Gott ist, oder dass es auf Gott bezogen ist, und zwar als auf des Seienden Ursprung oder Ziel. Das impliziert, dass schlechthin alles Gegenstand der Theologie ist, denn – so zeigt er implizit bereits in den beiden ersten viae der Gottesbeweise, explizit in den die Schöpfungslehre einleitenden Artikeln von STh I q. 44; Ed. Leonina 4, 455–463 – schlechterdings alles Seiende ist von Gott her und auf Gott hin insofern, als es sein Sein Gott verdankt und in seinem Sein dazu bestimmt ist, die Güte seines Ursprungs so weit wie ihm auf der jeweiligen Seinsstufe möglich widerzuspiegeln (STh I q. 4 a. 3r.; Ed. Leonina 4, 53b/54a; q. 44 a. 3r. und 4r.; Ed. Leonina 4, 460 und Ed. Leonina 4, 461; a. a. O. q. 15 a. 2r.; Ed. Leonina 4, 201/202). Somit ist Gott, und alles Seiende als in Gott Begründetes, Gegenstand der Theologie.
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2.1.2. Theologie und Philosophie
Doch die Theologie ist nicht die einzige Wissenschaft, die für diesen Gegenstand zuständig ist. Im Rahmen des prooemium zum Kommentar zur Metaphysik des Aristoteles (zum Folgenden vgl. In Met. prooem.; Ed. Vives 24, 333/334) diskutiert Thomas die (bis heute nicht gelöste) Frage nach dem genauen Gegenstand der aristotelischen Metaphysik (die maxime intelligibilia [das im höchsten Maß der Erkenntnis Zugängliche]) angesichts dreier Alternativen, die alle ihren Anhalt an Aussagen des Aristoteles haben: Gegenstand könnten die Ursachen und Gründe des Seienden sein; Gegenstand könnte das Höchstallgemeine und so das Seiende, insofern es Seiendes ist, sein; und Gegenstand könnte der Bereich des selbständigen Unbewegten und Nicht-Wahrnehmbaren und insoweit Gott sein. Thomas verbindet alle drei Gegenstandsbestimmungen miteinander: Die Metaphysik befasst sich mit dem Seienden, insofern es Seiendes ist, damit aber zugleich mit der Frage nach den letzten Ursachen des Seins des Seienden und folglich auch mit Gott und dessen Sein. Diese Entsprechung in den formalen Hinsichten und den Gegenstandsbereichen der beiden Wissenschaften wird von Thomas nirgends ausdrücklich gemacht, ist aber bewusst gewählt: Wie sich die Theologie im Ausgang von ihrer Zentralhinsicht »Gott« mit diesem und in zweiter Linie mit dem in Gott begründeten Seienden befasst, so befasst sich die Metaphysik mit dem Seienden als solchem (sc. als Seiendem), und folgeweise und unter der Frage nach dem Grund des Seins mit Gott. Wenn auch die Bewegungsrichtungen der Wissenschaften einander entgegengesetzt sind – von Gott zum Sein des Seienden auf der einen, vom Sein des Seienden zu Gott auf der anderen Seite –, so ist doch deutlich, dass beide Wissenschaften denselben Inhalt haben. Damit ist ein zentrales Anliegen und ein entscheidendes Problem der Gotteslehre des Thomas markiert, das den Leitfaden der folgenden Darstellung abgibt: Das Verhältnis des »Gottes der Philosophen« zur christlichen Tradition der Rede von Gott. 2.2. Der Einsatzpunkt der Gotteslehre – die Gottesbeweise ( C.II.4.)
Die Unterscheidung zweier Bewegungsrichtungen – von Gott zum Seienden in der Theologie, vom Seienden zu Gott in der Philosophie – wird von Thomas selbst in bezeichnender Weise durchbrochen: Zwar bewegt sich der Gedankengang der Theologischen Summe zunächst dem Programm folgend von der Gotteslehre (STh I q. 3–43; Ed. Leonina 4, 35–454) auf die Schöpfungslehre (STh I q. 44–119; Ed. Leonina 4, 455–503, Ed. Leonina 5) hin; diese Gotteslehre selbst aber findet ihren konstitutiven Ausgangspunkt in den später von Kant als »kosmologisch« (bzw. teleologisch) bezeichneten Gottesbeweisen (STh I q. 2 a. 3r.; Ed. Leonina 4, 31a/32b). Diese entnimmt Thomas der aristotelischen Metaphysik (vgl. In Met. XII l. 6 [2517]; Ed. Vives 25, 210–213; vgl. Scg. I c. 13; Ed. Leonina 13, 30–39), und diese Beweise vollziehen, der Grundbewegung der Metaphysik entsprechend, eine Bewegung vom Seienden und seiner Verfasstheit zu Gott als dem
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Grund dieses Seienden. Die Rede von Gott in der Theologie findet, so scheint es, ihren Ausgangspunkt in der Metaphysik. Diese Feststellung ist allerdings nur halbrichtig, denn die bereits vielfach analysierten quinque viae sind insbesondere durch die »Wegabschlussfiguren« ausgesprochen interessant (hoc omnes intelligunt deum etc., vgl. Slenczka, Gottesbeweis), in denen Thomas eigens die offenbar nicht selbstverständliche Identifika tion des Beweisergebnisses mit dem durchschnittlichen Sinn, in dem von Gott gesprochen wird, vornimmt: Hoc omnes dicunt / intelligunt Deum (»das nennen alle/verstehen alle unter ›Gott‹«) – so verfährt Thomas übrigens auch in seinem Metaphysikkommentar (In Met. XII l. 8 [2543]; Ed. Vives 25, 219–223). Diese »Wegabschlussfiguren« setzen voraus, dass auch abgesehen von diesen Beweisen von Gott gesprochen wird und somit der Begriff Gott einen Sinn hat; die Gottesbeweise eröffnen somit die Möglichkeit der Rede von Gott nicht allererst oder führen den Begriff Gott ein, sondern sie rekurrieren auf ein bereits umlaufendes Reden von Gott und somit auf einen semantisch bereits gefüllten Begriff. Dies setzt Thomas übrigens auch im Kontext der quinque viae voraus: Die Gottesbeweise folgen auf die Behandlung der Frage, ob die Existenz Gottes überhaupt eines Beweises bedarf (und nicht selbstevident – per se notum – ist: STh I q. 2 a. 1; Ed. Leonina 4, 27–29, vgl. Scg. I c. 10 und 11, hier bes. 11; Ed. Leonina 13, 23–28), und auf die Auseinandersetzung mit der Behauptung, dass es möglicherweise unmöglich sei, Gottes Existenz zu beweisen (STh I q. 2 a. 2; Ed. Leonina 4, 30; Scg. I c. 12 f.; Ed. Leonina 13, 28–39). Der a. 1 stellt eine Auseinandersetzung mit dem anselmischen Gottesbeweis dar, nach dem, so Thomas, das Sein Gottes in dem Sinne selbstevident ist, dass es mit dem rechten Verständnis des Begriffes Gott (id quo maius cogitari nequit) mitgesetzt ist. Dieser Selbstevidenz widerspricht Thomas mit dem zunächst eigenartigen Argument, dass der Begriff von Gott, der dessen Dasein selbstevident impliziere, seinerseits nicht in der Weise selbstevident sei, dass er jedem vernünftigen Wesen zugänglich sei; das könne man daran sehen, dass es Personen gibt, die materielle Sachverhalte – Holz- oder Steinfiguren etc. – als Gott bezeichneten und verehrten (STh I q. 2 a. 1 ad 2; Ed. Leonina 4, 28b, vgl. Scg. I c. 11; Ed. Leonina 13, 24–28), Sachverhalte also, über die hinaus durchaus Höheres gedacht werden könne. Thomas geht somit davon aus, dass es Verwendungsweisen des Begriffes »Gott« gibt, in denen der semantische Gehalt des Begriffs verunklart ist, allerdings ohne dass der Begriff »Gott« äquivok wird. Der Begriff, so scheint es, wird in bestimmten religiösen Alltagssprachen (etwa in der Anwendung auf Steinfiguren) so verwendet, dass sein Gehalt zugleich erschlossen wie partiell verdeckt ist. Diese Situation vorausgesetzt gewinnen die Wegabschlusswendungen (»dies meinen alle mit dem Begriff ›Gott‹«) einen sehr profilierten Sinn; sie heben nicht darauf ab, dass faktisch alle mit dem Begriff »Gott« das Ergebnis der Gottesbeweise meinen, sondern sie notieren, dass genau das Ergebnis des (kosmologischen oder teleologischen) Beweises dasjenige ist, was diejenigen, die den Begriff Gott verwenden, eigentlich meinen. Das auf dem Wege der Gottesbeweise Erreichte ist genau dasjenige, worauf der Begriff Gott
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eigentlich verweist, oder umgekehrt: Die Gottesbeweise leisten eine Aufklärung des semantischen Gehaltes des Begriffs »Gott«. 2.3. Die Gotteslehre der Theologischen Summe
Dies entspricht nun dem Ergebnis der Beweise und der Funktion, die die quinque viae im Gedankengang der Theologischen Summe haben. 2.3.1. Das Beweisergebnis und die Gotteslehre
Das Beweisergebnis ist eben nicht nur der Nachweis, dass derjenige Sachverhalt existiert, den der Begriff »Gott« bezeichnet; denn es ist gerade kein Begriff von Gott vorausgesetzt, bezüglich dessen dann gezeigt würde, dass ein Exemplar des Begriffs existiert. Vielmehr wird dieser Begriff im Laufe des Beweises erst generiert und in der folgenden Gotteslehre entfaltet – freilich mit dem Anspruch, so die umlaufende Rede von Gott über sich selbst aufzuklären. Strenggenommen ist der Existenzbeweis zugleich eine Definition des Begriffes. Exemplarisch die prima via (zum folgenden STh I q. 2 a. 3r.; Ed. Leonina 4, 31a/32b): Die Definition sieht im Zentrum so aus, dass zunächst im Ausgang vom Phänomen des Bewegtseins (constat aliqua moveri in hoc mundo – es steht fest, dass etwas in der Welt bewegt ist) der Verweis des Bewegten auf ein Bewegendes eingeführt wird und als Verhältnis zwischen zwei Verschiedenen dadurch bestimmt wird, dass die Selbstbewegung ausgeschlossen wird. Damit stellt sich grundsätzlich für jedes bewegte Seiende die Frage, wodurch es selbst wiederum bewegt ist; da die Bewegung dieser Frage selbst aber nicht ins Unendliche gehen kann, muss ein erstes Bewegendes angenommen werden, das selbst unbewegt ist – und dies eben ist es, was der Begriff »Gott« bezeichnet. Damit wird aufgeklärt, was dieser Begriff »Gott« »vermeint«. Diese so in ihrem Gehalt bestimmte und als seiend erwiesene Entität ist nun dadurch mit allem anderen Seienden verbunden, dass sie bewegt; zugleich aber von allem anderen Seienden dadurch unterschieden, dass sie nicht bewegt ist; entsprechend in der secunda via (ebd.): Es wird der Begriff einer Entität hergeleitet und ihre Existenz erwiesen, die allem anderen Seienden dadurch gleich ist, dass sie Ursache ist, von eben allem anderen aber dadurch unterschieden, dass sie ihrerseits auf keine Ursache verweist. 2.3.2. Das Grundkriterium legitimer Rede von Gott
Diese Grundbestimmung ist nun das generative Zentrum der auf die Gottesbeweise folgenden Entfaltung des Gottesbegriffs (STh I q. 3–11; Ed. Leonina 4, 35– 113), die unter der Frage, quomodo sit (»wie er sei«) bzw. – da Gottes Wesen unbekannt ist: – quomodo non sit (»wie er nicht sei«) (STh I q. 3 prooem.; Ed. Leonina 4, 35a) steht. Denn die Forderung, dass es sich bei dem fraglichen Seienden um einen Beweger bzw. eine Ursache handeln muss, die nicht aufgrund eines
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Willkürakts, sondern aufgrund ihrer internen Verfasstheit die Rückfrage nach einem Beweger bzw. einer Ursache nicht mehr zulässt, schließt es aus, dass der unbewegte Beweger bestimmte Eigentümlichkeiten hat, die ein Seiendes als angewiesen auf anderes kennzeichnen. Das Ergebnis der quinque viae, mit dem der semantische Gehalt des Begriffes »Gott« definiert bzw. gegenüber der religiösen Alltagssprache zurechtgerückt wurde, wird somit zum Kriterium, anhand dessen geklärt wird, welche auf bewegtes bzw. verursachtes Seiendes anwendbaren Bestimmungen auf Gott keine Anwendung finden können. Im Zentrum handelt es sich dabei darum, alle Bestimmungen auszuschließen, die eine »Potentialität« in das Wesen Gottes eintragen würden. »Potentialität« indiziert einen Ausstand an Verwirklichung (noch nicht), den jeweils das Seiende nicht aus sich selbst überwinden kann, sondern zu dem es von einem anderen seiner selbst bewegt werden muss. 2.3.3. Die simplicitas Gottes als Grundlage der Gotteslehre
Die Grundlagen dafür werden in der Theologischen Summe in q. 3 gelegt, einer quaestio, die sich mit der simplicitas Gottes befasst und jede Gestalt der Differenz in ihm bzw. der Zusammensetzung aus Koprinzipien ausschließt (vgl. dazu auch De pot. q. 7; Ed. Vives 13, 214–243), und zwar unter beständigem Rückverweis auf die in den Gottesbeweisen gewonnenen Bedingungen, die ein Exemplar erfüllen muss, das als primum (movens; causa; exempla bzw. actus purus) in Frage kommt: Weder ist Gott ein corpus, noch finden sich in ihm die Differenzen von Form und Materie, von Wesen und Einzelexemplar und von Sein und Wesen. Die Feststellung der simplicitas schließt zunächst also jede Zusammensetzung in Gott aus; erst im fünften Artikel, der sich mit der Frage befasst, ob Gott in irgendeinem Genus sei (also Exemplar einer Gattung), wird deutlich, dass das Ausschließen von Zusammensetzung zugleich ausschließt, dass es mehr als ein Exemplar von »Gott« geben kann: Die simplicitas Dei stellt sicher, dass er unicus ist (STh I q. 3 a. 5r.; Ed. Leonina 4, 43a/44b). 2.4. Negative Theologie
Zugrunde liegt diesem Ansatz der Gotteslehre die thomasische Feststellung, dass Gott vom intellectus creatus nicht in essentia sua (»in seinem Wesen«) erkannt und bezeichnet werden kann. Vielmehr kann er nur daraufhin, dass er Ursprung der Schöpfung ist, erkannt werden; nur so kann dann von ihm gesprochen werden (STh I q. 12 a. 12r.; Ed. Leonina 4, 136; q. 13 a. 5r.; Ed. Leonina 4, 146b/147a zur »analogen« Rede von Gott; vgl. auch De pot. q. 7 a. 5r. und a. 7; Ed. Vives 13, 225b–227b; vgl. Exp. in Boeth. q. 1 a. 2; Ed. Leonina 50, 83b–85b). Dass überhaupt von Gott gesprochen werden kann, liegt daran, dass die Schöpfung auf ihn als auf ihre Ursache zurückverweist, und hier gilt: omne agens agit sibi simile (»jedes aktive Prinzip bringt etwas ihm Ähnliches hervor«) (vgl. Rosemann, Omne
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agens agit sibi simile) bzw.: omnis effectus agentis univoci adaequat virtutem agentis (»jede Wirkung eines gleichsinnig bezeichneten Wirkenden ist der Auszeichnung des Wirkenden gleich«) (etwa De pot. q. 7 a. 7r.; Ed. Vives 13, 233; auch: omne agens agit inquantum est actu [»jedes Wirkende wirkt in dem Grade, in dem es selbst Wirklichkeit hat«]: STh I q. 79 a. 3r.; Ed. Leonina 5, 264, vgl. q. 88 a. 1r.; Ed. Leonina 5, 364b/365b): alle Wirkungen weisen eine Ähnlichkeit mit ihrer Ursache auf und partizipieren an den Bestimmungen, die auch von der Ursache gelten. Entsprechend kann Gott aus der Schöpfung erkannt und mit geschöpflichen Prädikaten bezeichnet werden, allerdings unter dem Vorbehalt, dass die unendliche Differenz, die zwischen Schöpfer und Geschöpf im Blick auf die jeweilige Vollkommenheit besteht, in Rechnung gezogen werden muss. Die Erkenntnis Gottes aus der Schöpfung ist tatsächlich eine Erkenntnis und Gott bleibt nicht etwa unbekannt, und entsprechend ist die Bezeichnung mit geschöpflichen Prädikaten nicht etwa eine bloße Äquivokation. Thomas führt hier den von Aristoteles übernommenen Begriff der »Analogie« ein, der es erlaubt, die semantische Pluralität von Begriffen zu sortieren, so dass etwa »Sein« sowohl von Substanzen (nicht in anderem Seiendes) als auch von Akzidentien (in anderem Seiendes) ausgesagt werden kann: Das ist möglich insofern, als die Substanzen der Seinsgrund der Akzidentien sind. Entsprechend können geschöpfliche Prädikate »analog« von Gott ausgesagt werden daraufhin, dass Gott die an perfectio weit höherstehende Ursache der geschöpflichen Wirklichkeit ist: Die Schöpfung erlaubt eine Erkenntnis ihres Ursprungs unter der Voraussetzung, dass alle Momente der Potentialität (noch nicht – Unvollkommenheit) negiert und alle Aktualität (Vollkommenheit) auf das Höchstmaß gesteigert werden (De pot. q. 7 a. 7r.; Ed. Vives 13, 233; vgl. STh I q. 3 prooem.; Ed. Leonina 4, 35; STh I q. 12 a. 12r.; Ed. Leonina 4, 136; vgl. Scg. I c. 14; Ed. Leonina 13, 40/41). Entsprechendes gilt dann von der Verwendung geschöpflicher Begriffe zur Bezeichnung Gottes (STh I q. 13 a. 2r.; Ed. Leonina 4, 141a/142a). Die Ähnlichkeit zwischen Ursache und Wirkung, die die Anwendung geschöpflicher Prädikate erlaubt, kann nur unter dem Vorbehalt der Unähnlichkeit von Gott und Geschöpf geltend gemacht werden. Dies stellt die Gotteserkenntnis des Menschen unter den Bedingungen seiner Existenz in der geschaffenen Welt unter den Vorbehalt, dass er Gott nicht in seinem Wesen erkennen kann (STh I q. 12 a. 11r.; Ed. Leonina 4, 135a), und dass diese Erkenntnis Gottes dem Menschen per sua naturalia (mittels seiner natürlichen Ausstattung) nicht möglich ist (a. a. O. a. 4r.; Ed. Leonina 4, 98b/99b): Der Mensch erkennt insgesamt (STh I q. 84; Ed. Leonina 5, 313–329; q. 89 a. 1r.; Ed. Leonina 5, 370a/371b; De ver. q. 10 a. 6r.; Ed. Leonina 22/2, 310a–314a), und so auch mit Bezug auf Gott, nur durch das Medium der Sinnlichkeit (De ver. q. 10 a. 11r.; Ed. Leonina 22/2, 335b–336b, vgl. STh I q. 88 a. 1r. und a. 3r.; Ed. Leonina 5, 364b/365b und Ed. Leonina 5, 368, vgl. Scg. IV prooem.; Ed. Leonina 15, 3–5). Dieser Einschränkung steht allerdings ein theologischer Vorbehalt gegenüber der Behauptung zur Seite, dass der Mensch niemals in der Lage sein werde, Gott per essentiam zu erkennen (zum Folgenden STh I q. 12 a. 1r.; Ed. Leonina 4,
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114b/115a; Scg. IV prooem.; Ed. Leonina 15, 3–5): Die Anthropologie des Thomas steht unter dem Vorzeichen, dass es zur natürlichen Ausstattung des Menschen gehöre, seine Erfüllung darin zu finden, dass er Gott (sein principium essendi) erkennt – und so sei es alienum a fide (»ein Widerspruch gegen den Glauben«), wenn der Mensch nie an seinen Ursprung attingere/pertingere (»rühre«); dies weist voraus auf eine Wesensschau Gottes, die nur nach diesem Leben und nur aufgrund einer besonderen Ausstattung des Menschen möglich sein wird, die aber darin bestehen wird, dass die essentia Gottes selbst zur forma des mensch lichen Erkenntnisvermögens wird (vgl. STh I q. 12 a. 5r.; Ed. Leonina 4, 123; vgl. die drei Gestalten der Gotteserkenntnis in Scg. IV prooem.; Ed. Leonina 15, 3–5). 2.5. Die Durchführung der Gotteslehre 2.5.1. Die Bestimmungen der »substantia« Dei
Die Gotteslehre der Summe ist die diesen Grundprinzipien folgende Entfaltung des mit den Gottesbeweisen etablierten Begriffes einer ersten Ursache. Im Aufbau aller Bezugnahmen des Thomas auf eine Gotteslehre geht eine Lehre vom Wesen Gottes der innertrinitarischen Differenzierung voraus (Wesen Gottes STh I q. 3–26; Ed. Leonina 4, 35–304, trinitarische Differenzierung q. 27–43; Ed. Leonina 4, 305–454; vgl. entsprechend Scg. I c. 15–102; Ed. Leonina 13, 41–270 und IV c. 2–26; Ed. Leonina 15, 7–108; vgl. den Ort der Trinitätslehre in De pot. q. 9 und 10; Ed. Vives 13, 257b–319 folgen der Lehre vom Wesen Gottes in q. 7 und 8; Ed. C.II.3.]). Der Aufbau der Lehre vom Wesen Gottes gibt Vives 13, 214–257b [ sich einerseits als Entfaltung der Bestimmungen, die aus den effectus bezüglich einer causa prima non causata auszumachen sind, auf der anderen Seite folgt sie material der Bestimmung des ersten Bewegers in der aristotelischen Metaphysik, in deren Kommentierung Thomas eben die Logik einer Herleitung der Eigenschaften der ersten Ursache aus ihrer kosmologischen Funktion, die seine eigene Gotteslehre leitet, auch angelegt sieht und hervorhebt (vgl. In Met. 12 l. 7–9; Ed. Vives 25, 213–229). Material bietet Thomas – gemäß dem Grundsatz agere sequitur esse (»das Wirken folgt dem Sein«) – zunächst die Bestimmungen, die zur göttlichen substantia gehören und derer man ansichtig wird, indem man die geschöpflichen imperfectiones bezüglich seiner negiert. Hier werden auf der einen Seite die erwähnten Bestimmungen zur simplicitas geboten (Weigel, Aquinas), dann die Vollkommenheiten Gottes: perfectio (q. 4), die auf die Untersuchung des bonum in communi (des Guten im Allgemeinen) folgenden Bestimmungen der bonitas Gottes (q. 6), die Unermesslichkeit, die Unveränderlichkeit, die Ewigkeit und die Einheit Gottes. Diese Abfolge ist nicht beliebig; sie orientiert sich an den Transzendentalien, d. h. an den Bestimmungen, die einem Seienden als Seienden zukommen (esse [q. 3], bonum [q. 5 und 6]; unum [q. 11]; vgl. zum Zusammenhang nur De ver. q. 1 a. 1r.; Ed. Leonina 22/1, 3–8a; das Transzendentale des verum folgt in den
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Bestimmungen zur scientia Dei). Alle anderen Eigenschaften werden diesen beiden zugeordnet bzw. fügen Aspekte hinzu, die sich daraus ergeben, dass das so bestimmte Wesen im Verhältnis zur Vielfalt der Schöpfung steht. 2.5.2. Die operationes Dei
Darauf folgt die Bestimmung der göttlichen operationes, deren Gestalt sich daraus ergibt, dass Gott sich im Zuge der Entfaltung der die Substanz betreffenden Vollkommenheiten als immaterielles Wesen und so als essentia intelligibilis oder spiritualis – als Geist – entpuppt hat. Folglich müssen an ihm auch die Vollzüge identifizierbar sein, die eine essentia spiritualis als solche auszeichnen: intelligere (Einsehen, Wissen: STh I q. 14–17; Ed. Leonina 4, 166–224; vgl. De ver. q. 2; Ed. Leonina 22/1, 37–95), voluntas (»Wille«; vgl. STh I q. 19–24 ; Ed. Leonina 4, 230– 289; De ver. q. 23; Ed. Leonina 22/3, 651–675) und potentia (»Verfügungsmacht«; STh I q. 25; Ed. Leonina 4, 290–300, De pot. q. 1 und 2; Ed. Vives 13, 1–35). Auch hier werden weitere Bestimmungen in die quaestiones zu den jeweiligen Traktaten eingefügt (so nicht nur die Behandlung der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit [STh I q. 21; Ed. Leonina 4, 258–262], der Vorsehung [a. a. O. q. 22; Ed. Leonina 4, 263–270] und der Prädestination [a. a. O. q. 23; Ed. Leonina 4, 271–285], sondern auch des librum vitae [»des Buches des Lebens«; a. a. O. q. 24; Ed. Leonina 4, 286–288] unter die quaestiones zur voluntas Dei). Diese Zuordnungen sind flexibel – so behandelt Thomas etwa in der De ver.; Ed. Leonina 22/1–22/3 die Vorsehung und die Prädestination nicht unter der Rubrik der voluntas (De ver. q. 23; Ed. Leonina 22/3, 651–675), sondern der scientia Dei (a. a. O. q. 5 und 6; Ed. Leonina 22/1, 137–195). Vorausgesetzt ist jeweils, dass alle diese Prädikate und operationes in Gott keine Realdistinktion bedeuten – sein Wesen ist von seinem Erkennen realiter so wenig unterschieden wie von seiner bonitas oder seinem Wollen. Gott ist sein Erkennen – jede andere Alternative dazu würde das Erkennen zum prinzipiell kontingenten Akt einer davon unterschiedenen Substanz herabsetzen und damit eine Differenz in Gott eintragen, die als Potentialität der fundamentalen Anforderung an eine causa prima non causata (dass sie nämlich actus purus sein muss) widersprechen würde (STh I q. 14 a. 4r.; Ed. Leonina 4, 171). Diese Identifikation des Wesens Gottes mit seinen Attributen und operationes gilt auch hinsichtlich aller anderen Prädikate und operationes: Wie er sein Erkennen ist, so ist er sein Wollen und seine bonitas und eben auch sein Sein. Alle diese Begriffe führen keine Unterscheidung in Gott ein, sondern nur eine unterschiedliche, mit der endlichen Natur der menschlichen Begriffe gegebene Differenz in der Hinsicht auf Gott (De ver. q. 2 a. 1r.; Ed. Leonina 22/1, 37–42b): Sie unterscheiden sich nicht hinsichtlich der res, sondern nur nach dem modus intelligendi (Sinn).
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2.6. Gott und das Sein 2.6.1. Die Einheit von esse und essentia in Gott
Damit hängt die mit Abstand interessanteste Feststellung im Rahmen der Gotteslehre und im Rahmen der Fixierung der simplicitas Gottes zusammen: die These, dass in Gott eine Unterscheidung von essentia und esse nicht statthat. 2.6.1.1. Esse und essentia
Diese Unterscheidung als »Realdistinktion« gehört zu den wesentlichen thomasischen Sonderlehren (neben STh I q. 3 a. 5; vgl. Ed. Leonina 4, 43–45; STh I q. 44 a. 1; Ed. Leonina 4, 455/456; De ente et essentia c. 6; De pot. q. 7 a . 2r.; Ed. Vives 13, 216b–219; Expositio in librum Boethii De Ebdomadibus, c. 3; Ed. Leonina 50, 275–277; Scg. I c. 22 und 25 etc.; Ed. Leonina 13, 68−70), die er, wie die erste Erwähnung in De ente et essentia zeigt, seiner Avicenna-Rezeption verdankt (De ente c. 5 und 6; Ed. Leonina 43, 379–381). Diese Unterscheidung ist darum bezüglich ihres Sinnes viel diskutiert worden, weil sie nicht einsinnig ist und je nach der Perspektive, in der sie wahrgenommen wird, andere Facetten entfaltet. Im Rahmen der Gotteslehre stellt sie zunächst lediglich fest, dass die Einheit und Einfachheit Gottes – die das Gesamtthema der q. 3 darstellt – nicht nur die Differenz zwischen Wesen und Einzelexemplar ausschließt: Gott ist seine Gottheit (STh I q. 3 a. 4r.; Ed. Leonina 4, 42). Vielmehr schließt die Einfachheit Gottes auch die Unterscheidung zwischen Sein und Wesen aus. Der Sinn dieser Feststellung differenziert sich nun nach zwei Bedeutungen, die der Begriff »Sein« bei Thomas hat (vgl. bereits De ente c. 5; vgl. c. 6; Ed. Leonina 43, 378–381): Zum einen hat er die Bedeutung des esse commune, das allen Angehörigen aller Kategorien gleichsinnig, wenn auch analog zukommt, und das sich im Falle der Entitäten, die Substanzen sind, als »Selbständigkeit« (im Unterschied zum esse in alio [»Sein in etwas anderem«]) manifestiert – von diesem Begriff von »Sein« her hat Johannes Duns Scotus in seiner kritischen Rezeption der Unterscheidung des Thomas die Einsinnigkeit der Existenzfeststellung mit Bezug auf Gott und auf Kreatürliches behauptet (vgl. Johannes Duns Scotus, Ordinatio I d. 8 q. 3 [Opera Omnia IV, 169–229]). Mit Bezug auf diese Bedeutung des Seins besagt die Feststellung, dass esse und essentia in Gott keine Unterscheidung leiden, dass Gottes Sein im Wesen Gottes mitgesetzt ist: Gott ist notwendig (vgl. Scg. I c. 22; Ed. Leonina 13, 68–70). 2.6.1.2. Esse und essentia in Gott
An dieser Feststellung ist Thomas, wie seine Auseinandersetzung mit dem anselmischen Gottesbeweis zeigt (STh I q. 2 a. 1r.; Ed. Leonina 4, 27b/28a; Scg. I c. 10; Ed. Leonina 13, 23/24), relativ desinteressiert; sie spielt in seiner Gotteslehre fast keine Rolle. Denn die Pointe seines Begriffs von esse liegt darin, dass er das esse
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als etwas behandelt und betrachtet, was – zum Wesen hinzutretend – dieses Wesen (die dem Wesensbegriff entsprechende Wesensform) in rerum natura (als ens) verwirklicht. Die essentia – der Wesensbegriff endlicher Wesen – bezeichnet etwas Kontingentes resp. ein potentiell Seiendes: Die Existenz eines oder mehrerer Exemplare dieses Wesens ist nicht mit dem Begriff gegeben (etwa De ente, c. 5; Ed. Leonina 43, 378/379). Das bedeutet eben, dass die Wesensform eines individuellen Seienden nicht als solche ist (sonst würde der Begriff das Sein einschließen), sondern zu ihrer Realisation eines Prinzips bedarf, das nicht mit ihr identisch und nicht mit ihr bereits gesetzt ist – und dies ist das Sein, durch das ein Seiendes bestimmten Wesens wird. Damit gilt zunächst: wäre im Falle Gottes das göttliche Wesen nicht sein Sein, so wäre das göttliche Wesen durch das Sein, das ihm, dem Wesen, damit nur kontingent zukäme; das Wesen wäre in potentia zum Sein, mögliches Seiendes, käme ins Sein durch etwas von ihm Unterschiedenes (das Sein) und käme somit als Kandidat für die causa prima non causata nicht in Frage (STh I q. 3 a. 5r.; Ed. Leonina 4, 43a/44b; De pot. q. 7 a. 2r.; Ed. Vives 13, 216b–219; Scg. I c. 22; Ed. Leonina 13, 68–70). 2.6.1.3. Gott als das Sein
Das hat Konsequenzen für den mit Gott identifizierten Begriff des Seins (Schönberger, Transformation; Kremer, Seinsphilosophie; Kenny, Aquinas): Sein ist nämlich damit dasjenige, was das Wesen aktualisiert, so dass Sein und Wesen unter dieser Rücksicht als Potentialität und Aktualität oder in Analogie zu Materie und Form zu stehen kommen (vgl. bes. De ente, c. 6 und 5; Ed. Leonina 43, 378–381; Scg. I c. 22; Ed. Leonina 13, 68–70). Entsprechend kann Thomas das esse als actualitas omnium actuum bzw. als perfectio perfectionum bezeichnen (De pot. q. 7 a. 2 ad 9 ; Ed. Vives 13, 219 ; vgl. STh I q. 3 a. 5r.; Ed. Leonina 4, 43a/44b): es ist gleichsam die Aktualität, die jede Form ins Sein überführt, selbst aber in keiner Wesensform erschöpft wird. Da die Wesensbegriffe bzw. -formen zugleich untereinander im Blick auf ihre Dignität und ihren Rang nach dem Grad ihrer Aktualität abgestuft sind, bezeichnet das abstrakte esse nicht einfach das esse commune im Sinne der bestimmungsärmsten Existenzfeststellung, die allem Seienden gleichermaßen zukommt und bezüglich dessen die weiteren perfectiones (vivere, intelligere) hinzuträten (Abgrenzung De ente, c. 6; Ed. Leonina 43, 379b– 381; Scg. I c. 26; Ed. Leonina 13, 81–85). Vielmehr bezeichnet ›Sein‹ den Inbegriff der Aktualität, die alles Seiende jedweder Perfektion realisiert, die Aktualität, die in allen anderen Wesensformen je nach der Kapazität dieser Wesensformen rezipiert wird, die aber von keiner endlichen Wesensform ausgeschöpft wird. Als Begriff für die »Idee des Seins« rückt das esse damit als höchste der Wesensformen, die zugleich in allen anderen Wesensformen partizipativ rezipiert ist, in die Reihe der Wesensformen ein (vgl. STh I q. 3 a. 5r.; Ed. Leonina 4, 43a/44b; bes. De pot. q. 7 a. 2 ad 5 und ad 9; Ed. Vives 13, 218b/219a); dies ist der Ansatzpunkt für die spätere Rezeption dieses Gedankens durch Meister Eckhart (Quaestiones Parisi-
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enses, 1–10; Prologus in opus tripartitum, 36–48). Unter dieser Perspektive besagt die Identifikation von esse und essentia im Falle Gottes nicht nur, dass die essentia Gottes notwendigerweise existiert, sondern zugleich, dass »Gott das Sein ist«, das in allen anderen individuellen Wesensformen in abgestuften Modi und damit nicht nur partizipativ, sondern auch limitiert repräsentiert wird (STh I q. 3 a. 5; Ed. Leonina 4, 43a/44b; q. 44 a. 1r.; Ed. Leonina 4, 455; De pot. q. 7 a. 2r. und ad 10; Ed. Vives 13, 218a/219a). In diesem Sinne besagt die Formel nicht einfach, dass Gottes Wesen notwendig »ist«, sondern dass »das Sein« Gottes Wesen ist. Die von Thomas an den genannten Stellen des Öfteren gebrauchte Wendung, nach der Gott »sein« Sein ist (est suum esse), ist daher mit einer Betonung auf dem est zu lesen und als Abgrenzung gegen ein habet oder participat in zu verstehen. Sie besagt damit, dass Gott nicht am Sein partizipiert wie alle anderen Entitäten, die durch das Sein sind und deren Aktuosität den Begriff des Seins nicht ausschöpft. Vielmehr ist das Sein, das Gott »hat«, mit seinem Wesen identisch. Und das wiederum heißt: Er ist nicht eines bestimmten Wesens, sondern sein Sein ist sein Wesen. Dies zu sagen ist nur sinnvoll, wenn dieses sein Sein das esse ipsum ist: Gott ist das esse per se subsistens und in diesem Sinne actus purus. 2.6.2. Geschaffenes und göttliches esse
Das Verhältnis des göttlichen Seins zum geschaffenen Sein wird damit bei Thomas unter die Bestimmung gestellt, dass das geschaffene Seiende am Sein partizipiert, während Gott das Sein ist (vgl. nur STh I q. 44 a. 1r. u. ö.; Ed. Leonina 4, 455). Diese Zuordnung ist nicht unproblematisch, weil sie den Gedanken nahelegt, dass das geschaffene Seiende an Gott selbst partizipiert und die Schöpfung gleichsam eine Emanation Gottes ist, wie Thomas ausdrücklich im Übergang zur Schöpfungslehre das Verhältnis bezeichnet (STh I q. 45 a. 1r. und a. 2r.; Ed. Leonina 4, 464 und Ed. Leonina 4, 465b/466a). Das genaue Verständnis des Verhältnisses von esse quod est Deus und des esse creatum ist Gegenstand tiefgreifender Differenzen in der Rezeption und in der neuzeitlichen Thomasinterpretation geworden: Schon die frühen Rezipienten – Duns Scotus und Meister Eckhart – gelangten in der Auseinandersetzung mit Thomas zu jeweils unterschiedlichen Interpretationen, die darin begründet sind, dass beide den Doppelsinn des Begriffs esse (als esse commune und als actus actuum) nicht zusammenhalten: Duns Scotus optiert für ein Verständnis als esse commune und auf dieser Basis für ein univokes Verständnis des esse in der Anwendung auf Gott und auf die Schöpfung; Meister Eckhart hingegen gelingt es, das Verhältnis des esse quod est Deus und des esse participatum dadurch zur Sprache zu bringen, dass er das mit dem göttlichen Wesen identische Sein als intelligere fasst und so das Einbegriffensein des esse creatum in das esse Dei und das Ursprungs- und Partizipationsverhältnis zwischen dem göttlichen und dem geschaffenen Sein zur Sprache bringt (Quaestiones Parisienses; Utrum in Deo idem sit esse et intelligere; Prologus in opus tripartitum). In der neueren Diskussion wird insbesondere die Frage verhandelt, wie unter der
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Voraussetzung eines analogen Verständnisses des Seins Gottes und des Seins der Schöpfung beide »Grade« des Seins ins Verhältnis gesetzt werden und wie sich bei Thomas das aristotelische Nebeneinander von causa und causatum einerseits und der aus der platonischen Tradition stammende und durch die beschriebene Deutung des esse als actus actuum in seiner Problematik für das Verhältnis von Gott und Schöpfung intensivierte Partizipationsbegriff zueinander verhalten (Geiger, Participation; Kremer, Seinsphilosophie; Dümpelmann, Kreation). 2.6.3. Gottes Verhältnis zur Welt im Blick auf seine operationes
Höchst prekär gestaltet sich im Rahmen dieser Gotteslehre, die an der kosmologischen Funktion der unhintergehbaren, keiner Einwirkung von außen unterliegenden Ursache orientiert ist, die nähere Bestimmung des Verhältnisses Gottes zur Welt nicht nur hinsichtlich des esse, sondern auch hinsichtlich der operationes Gottes. 2.6.3.1. Gottes Erkennen des anderen seiner selbst
Die Frage nach dem Verhältnis Gottes zur Welt stellt sich hier bezüglich der Akte, die für das göttliche Wesen konstitutiv sind, daher insbesondere als Frage danach, ob und in welchem Sinn Gott die Schöpfung und das einzelne Seiende in ihr erkennt (STh I q. 14 a. 5r.; Ed. Leonina 4, 172; vgl. De ver. q. 2 a. 2–7 jeweils r.; Ed. Leonina 22/1, 44a–45a. 51b–51b. 56b–57b. 61b–63a. 65b–66b. 68; Scg. I c. 48 und 49; Ed. Leonina 13, 140–143). Die Frage, ob Gott anderes seiner selbst, und zwar propria cognitione (»in eigentlichem Sinne«) erkennt (STh I q. 14 a. 5r. und 6r.; Ed. Leonina 4, 172 und Ed. Leonina 4, 176; vgl. De ver. q. 2 a. 3–5 jeweils r.; Ed. Leonina 22/1, 51b–51b. 56b–57b. 61b–63a), ist darum intrikat, weil einerseits die göttliche Vollkommenheit ohne die Vollkommenheit des Erkennens aller Wirklichkeit schwer vorstellbar ist; auf der anderen Seite darf eine bejahende Antwort nicht dazu führen, dass Änderungen in der Schöpfung zur Annahme entsprechender Änderungen im göttlichen Wissen nötigen, die in Gott als primum movens non motum nicht statt haben können; und diese Antwort darf nicht dazu führen, dass das göttliche Erkennen durch das, was es erkennt, erst zu seiner Vollendung kommt (vgl. die objectiones zu den genannten articuli). Thomas beantwortet die Frage grundlegend mit der Auskunft, dass Gott das andere nicht als anderes erkennt, sondern insofern erkennt, als er sich selbst und damit in der Ursache aller Dinge diese erkennt (STh I q. 14 a. 5r.; Ed. Leonina 4, 172): Indem Gott sich selbst erkennt, erkennt er in sich selbst (als der causa exemplaris) das andere seiner selbst. Gottes Erkennen entspricht darin dem menschlichen Erkennen, das ebenfalls dadurch zustande kommt, dass vom einzelnen sinnlichen Seienden ein Phantasma gebildet und das Seiende dann durch seinen Wesensbegriff repräsentiert wird. Gottes Erkennen richtet sich umgekehrt auf die in seiner Selbsterkenntnis mitgesetzte Erkenntnis
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der Schöpfungsideen (als Spiegelungen seiner bonitas), in denen er das Seiende außerhalb seiner erkennt, das diesen Ideen entspringt und entspricht (ebd.). Diese Antwort weckt die jeweils gleich im folgenden articulus als obiectio eingeführte These, dass Gott nicht das individuelle andere seiner selbst erkennt, sondern in sich nur die individuellen Exemplaren gemeinsamen Bestimmungen (Wesensbegriffe bzw. das allen gemeinsame Sein) erkennt, oder dass er in anderer Weise die Vielfalt des Geschaffenen in der Erkenntnis eines einheitsbildenden Momentes erkennt (wie man die Speichen eines Rades erkennt, indem man die Nabe erkennt: STh I q. 14 a. 6r.; Ed. Leonina 4, 176). Diese an sich mit der Bestimmung Gottes als des Seins naheliegende Bestimmung lehnt Thomas darum ab, weil sich Erkenntnis nicht mit dem Erkennen des Gemeinsamen erschöpft, sondern erst mit der Erkenntnis dessen, was die Kreaturen untereinander unterscheidet. Dass Gott in dieser Weise alles, aber doch in sich selbst erkennt, hängt nach Thomas an dem zwischen Gott und Welt bestehenden Kausalverhältnis: In der Selbsterkenntnis Gottes als der höchstvollkommenen Ursache der Wirklichkeit sind alle Grade der partizipativen Repräsentation dieser Vollkommenheit miterkannt, und zwar nicht nur das weniger Allgemeine im Allgemeineren, sondern auch die unterschiedlichen Exemplare im Allgemeineren. Daher erkennt Gott alles Seiende in sich selbst als in ihm Präkonzipiertes. Das wird dann plausibel, wenn mitgedacht wird, dass das Erkennen sich ohnehin so vollzieht, dass der Erkennende die durch die sinnliche Erscheinung seinem Geist eingeformte individuelle Wesensnatur erkennt. Der göttliche Geist erkennt ebenfalls die – in ihm als alle Vollkommenheitsstufen einschließende Ursache präsente – bestimmte Wesensnatur, erkennt sie aber nicht als vom Individuum abstrahierte, sondern als im Geist Gottes präkonzipierte Wesensnatur. Diese Überlegungen des Thomas lassen sich so auf den Begriff bringen, dass Gott das andere seiner selbst in sich selbst erkennt. Unbefriedigend ist das darum, weil diese Behauptung, im Allgemeinen sei das Individuelle mitgesetzt, voraussetzt, dass es eine Implikation des Individuellen im Allgemeinen gibt, das sich zum Allgemeinen verhält wie die Art zur Gattung und in der Form einer Dihärese daraus abgeleitet werden kann, was evidenterweise ein Ungedanke ist: Mit dem Allgemeinbegriff ist das bestimmte, kontingente Einzelexemplar gerade nicht erkannt (vgl. dazu weitergehend De ver. q. 4 a. 6r.; Ed. Leonina 22/1, 133b/134a). 2.6.3.2. Ähnliche Probleme
Ähnliche Probleme stellen sich bezüglich der Frage, wie das creare Gottes und andere Prädikate, die ihm aus dem Ursache-Verhältnis zur Welt zukommen, zu verstehen sind: Sie können zum Wesen Gottes nicht in dem Verhältnis stehen wie die substantialen Prädikate oder die intrinsischen operationes, denn dann wäre sein Verhältnis zur Welt und damit die Welt ewig (Scg. II c. 32 und c. 35; Ed. Leonina 13, 344–351; vgl. STh I q. 13 a. 7r.; Ed. Leonina 4, 152b/153a). Thomas geht hier davon aus, dass es sich bei der Schöpfung um eine relatio handelt, die
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ein reales Verhältnis der Schöpfung zu Gott, nicht aber eine reale Ausrichtung Gottes auf die Schöpfung, sondern nur ein ihm Äußerliches aussagt – wie die Relation des Erkennens nur auf Seiten des Erkennenden eine reale Ausrichtung aussagt, während dem Gegenstand der Erkenntnis nur durch das ihm äußerlich bleibende Erkennen eine Zuordnung zukommt, die ihm selbst aber äußerlich bleibt. Das creare ist somit ein creari, eine Bestimmung der Schöpfung, aber nicht des Schöpfers (ebd.). 2.6.3.3. Komplexe Verhältnisbestimmungen
Dieser Gedanke ist nun aber darum eigentümlich, weil Thomas das Verhältnis von Gott und Welt in zwei anderen Sachthemen – der Frage nach der Allgegenwart Gottes (STh I q. 8 a. 3r.; Ed. Leonina 4, 87) und der Frage nach dem Verhältnis der Zeit zu Gottes Ewigkeit (STh I q. 10 a. 4r.; Ed. Leonina 4, 98b/99b) – in ein Verhältnis bringt, bezüglich dessen man bei neuzeitlichen Positionen einen Pan entheismus diagnostizieren würde: Thomas stellt zum einen fest, dass Gott nicht nur als Wirkender, auch nicht nur dadurch, dass er die gesamte Schöpfung sich präsent hält, in ihr gegenwärtig ist, sondern vielmehr per essentiam (»durch sein Wesen«, STh I q. 8 a. 3r.; Ed. Leonina 4, 87). Alle Wirklichkeit ist somit jeweils der Ort der Gegenwart des Wesens Gottes – was Thomas allerdings ausdrücklich dadurch auf ein Verhältnis der Differenz hin entschärft, dass er feststellt, dass Gott ut causa essendi (»als Ursache des Seins«) essentialiter gegenwärtig sei. Was damit in gleichsam räumlicher Hinsicht gilt, gilt auch in zeitlicher: Thomas setzt Zeit und Ewigkeit so ins Verhältnis, dass die Ewigkeit nicht die unendliche Verlängerung der Zeit, sondern deren Inbegriff ist: Das totum simul, die Einheit dessen, was im Medium der Zeit in ein Nacheinander differenziert ist (STh I q. 10 a. 4r.; Ed. Leonina 4, 98b/99b). Deutlicher noch als in den Bestimmungen zur Allgegenwart treten hier unter den Bestimmungen von Zeit und Ewigkeit die Schöpfung und ihre Ursache nicht (oder nur durch einen gewaltsamen Eintrag) in das Verhältnis unterschiedener Entitäten, sondern es deutet sich eine (von Thomas ausdrücklich nicht gewollte) Lesart an, die sie gleichsam als zwei Perspektiven auf ein Phänomen unterscheidet (vgl. auch Scg. II c. 35; Ed. Leonina 13, 348–351). 2.7. Metaphysischer und religiöser Gottesbegriff
Der skizzierte Gottesbegriff des Thomas hat seinen Ursprungsort in der Fragerichtung der Metaphysik vom Seienden auf seinen Grund hin; er stellt also die Antwort auf die Frage nach dem letzten Grund der geradehin und alltäglich erfahrenen Wirklichkeit dar und entfaltet die Implikationen dieses Grundes. Dieser Begriff von Gott wird in der für Thomas typischen Weise ergänzt durch der Offenbarung entspringende Einsichten – etwa durch die inneren trinitarischen Relationen in Gottes Wesen, oder durch die Lehre von der Inkarnation der zweiten Person der Trinität. Diese spezifisch christlichen Aussagen über Gott ordnet Tho-
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mas der metaphysischen Gotteslehre nach und ein – programmatisch in der Summa contra gentiles (Scg. I c. 3; c. 9; Ed. Leonina 13, 7–10; 22/23; Verhältnis der Teile I und IV). Die interne Bezüglichkeit Gottes, die in der Trinitätslehre ausgesagt ist, wird dabei aber begründet und plausibilisiert durch den Hinweis auf triadische Strukturen, die sich bereits mit dem Begriff eines höchstvollkommenen geistigen Wesens ergeben (zum Folgenden vgl. STh I q. 14 a. 5r.; Ed. Leonina 4, 172; q. 19 a. 2r.; Ed. Leonina 4, 233; STh I q. 29 a. 4r.; Ed. Leonina 4, 333a/334a und q. 27 a. 1r.; Ed. Leonina 4, 305a/306a sowie Scg. IV c. 11; Ed. Leonina 15, 32−46 [Sohn und intelligere Gottes] und c. 19; Ed. Leonina 15, 74–79 [Geist und voluntas Gottes]): Dass Gott »Geist« bzw. ein intelligibles Wesen (vernünftig und nur der Vernunft, nicht den Sinnen zugänglich) ist, impliziert, dass sein Sein durch die Akte gekennzeichnet ist, die vernünftiges Seiendes als solches ausmachen: Erkennen und Wollen. Dass Gott Ursache aller Wirklichkeit ist, erschließt ein drittes Moment des Begriffs Gottes: die potestas (»Macht«). Dieses Wesen als geistiges erkennt und will, erkennt und will aber nichts anderes als sich selbst und differenziert sich in sich selbst in Erkenntnissubjekt und -objekt bzw. in Objekt und Subjekt des Wollens, ohne dabei seine Einheit mit sich selbst zu verlieren. Die christliche Rede von trinitarischen Personen und ihre durch die altkirchliche Tradition ausformulierten Verhältnisse werden damit plausibilisierbar als die Explikation dieser internen Differenziertheit des Geistes und bringen sie auf den Begriff. Unter dieser Rücksicht ist es conveniens (»passend«), dass die christliche Trinitätslehre eben den Gott, den die Philosophie bzw. die menschliche Vernunft als Ursprung der Welt erschließt, als den Dreieinigen preist und anspricht. Die Differenzierung dieser drei Personen entspringt der Offenbarung, weist sich aber dadurch aus, dass sie den Einsichten, die dem natürlichen Erkennen zugänglich sind, nicht widerspricht, sondern sie erschließt und über sich hinausführt. Das heißt aber insgesamt, dass der Begriff von Gott auch dort, wo er durch spezifisch christliche Einsichten »vollendet« wird, unter dem Vorzeichen der Anforderungen bleibt, die an eine »erste unverursachte Ursache« zu stellen sind: sie muss unveränderlich sein; sie ist daher leidenschaftslos und unfähig zur Reaktion auf Kontingentes und zur eigentlichen Verbindung mit den Unwägbarkeiten und Unberechenbarkeiten der menschlichen Geschichte. Hier zeigen sich nun bei Thomas in der Beschreibung des Verhältnisses, in das Gott per intellectum et potestatem zur Welt tritt, mit großer Klarheit die klassischen Probleme, vor die eine Verbindung des von Pascal so genannten »Gottes der Philosophen« mit derjenigen religiösen Erfahrung Gottes stellt, die sich in den biblischen Texten und der kirchlichen Frömmigkeitstradition reflektiert (etwa die Möglichkeit der kontingenten Erhörung des Bittgebets). Thomas interpretiert dabei alle der christlichen Tradition unverzichtbaren Aussagen über ein geschichtliches Handeln Gottes und die traditionell vertretene Bezugnahme Gottes auf die kontingente und veränderliche Schöpfung unter dem Vorbehalt der Wahrung der Unveränderlichkeit Gottes, ohne die er »unverursachte Ursache« nicht sein kann: Das gilt ohnehin für alle christologischen Bestimmungen: sie stehen unter dem Vorbehalt der Un-
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terscheidung dessen, was Gott, und dessen, was der Menschheit in der Person Christi zuzuschreiben ist (vgl. STh III q. 16, bes. a. 4r.; Ed. Leonina 11, 203−205; a. 5r.; Ed. Leonina 11, 205). Das gilt aber bereits für das Verhältnis des Schöpfers zu seiner Schöpfung: Gott erkennt in der Tat die von ihm unterschiedene veränderliche und unvollkommene Welt, aber eben in den Urbildern, die er in sich trägt und somit unter Wahrung der Unveränderlichkeit seines Erkennens (s. o.); es bestehen in der Tat Relationen zwischen der endlichen Welt und dem unendlichen Gott, wobei es sich aber nicht um Relationen Gottes zur Welt handelt, sondern um Relationen der Welt zu Gott; wie also damit die Unveränderlichkeit Gottes gewahrt wird (s. o.). So gilt auch für das Heilswerk, das Christus in der Einheit von göttlicher und menschlicher Natur vollbringt: es ist ebenso wie der Vollzug der Gnadenmitteilung eigentlich ein Werk der menschlichen Natur, das der göttlichen zugesprochen werden kann und muss (vgl. STh III die Artikel der q. 16; Ed. Leonina 11, 197–218 und bes. q. 46 a. 12r.; Ed. Leonina 11, 452), in das sie aber nicht eigentlich involviert sein kann: So leidet Christus nach der menschlichen Natur und ist nach seiner menschlichen Natur Haupt der Kirche dergestalt, dass er die ihm in unüberbietbarer Weise zugeeignete und von ihm erworbene Gnade durch die Werkzeuge der Sakramente an seinen Leib – die Kirche – weitergeben kann ( C.II.7.). Man könnte dies als eine Überfremdung der religiösen Erfahrung durch eine philosophische Vorgabe verstehen; Thomas aber ist – wie übrigens auch Aristo teles – der festen Überzeugung, dass der metaphysische Gottesbegriff nicht als Fremdkörper an die religiöse Gotteserfahrung herangetragen wird, sondern die aufgeklärte Gestalt dessen darstellt, was eigentlich auch das religiös bewegte Subjekt allenfalls unter Gott verstehen kann. Die große Leistung dieser Verbindung von metaphysischer bzw. außerchristlicher Erschlossenheit des Sinnes von Gott und der im christlichen Glauben implizierten Bezugnahme auf den Vater Jesu Christi liegt darin, dass die christliche Rede von Gott anschlussfähig wird für die jedem Menschen zugängliche Wirklichkeitserfahrung. Das Urteil über die von Thomas vorgenommene Verbindung von Aristotelismus und christlichem Glauben hängt letztlich an der Frage, ob diese These des Thomas – dass der metaphy sische Gottesbegriff die aufgeklärte Gestalt der religiösen Bezugnahme auf Gott darstellt – richtig ist oder ob ein religiöser Begriff von Gott spezifisch anders strukturiert ist und anderen Erfahrungen entspringt als derjenigen der Metaphysik. Geiger, Louis-Bertrand: La participation dans la philosophie de S. Thomas d’Aquin, Paris 1953. Kenny, Anthony: Aquinas on Being, Oxford 2002. Kremer, Klaus: Neuplatonische Seinsphilosophie und ihre Wirkung auf Thomas von Aquin, Leiden 1966. Slenczka, Notger: Gottesbeweis und Gotteserfahrung. Überlegungen zum Sinn des kosmologischen Arguments und zum Ursprung des Gottesbegriffs, in: Runggaldier, Edmund/ Schick, Benedikt (Hg.): Letztbegründungen und Gott, Berlin 2010, 6–30. Weigel, Peter: Aquinas on Simplicity. An Investigation into the Foundations of his Philosophical Theology, Oxford 2008. Notger Slenczka
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3. Trinitätslehre 3.1. Trinitätslehre und trinitarische Theologie
Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Trinitätslehre des Thomas von Aquin konzentriert sich seit dem Ende des Neuthomismus auf die Bedeutung und Stellung der Trinitätstheologie in der Gesamtkonzeption seiner Theologie. Ermöglicht es die Konzeption der Trinitätslehre bei Thomas sowie ihr Status im theologischen System, christliche Theologie insgesamt als trinitarische Theologie zu betreiben, oder gibt es bei Thomas eine nur ungenügend vermittelte Spannung zwischen einer philosophischen Gotteslehre auf der Basis der natürlichen Vernunft und einer trinitarisch konzipierten theologischen Gotteslehre? Anlass für die Konzentration auf diese Frage ist vor allem Rahners Kritik an der Trennung der Traktate über die Einheit und die Dreiheit Gottes (De Deo Uno und De Deo Trino), wie sie seit »der Verdrängung der Sentenzen des Lombarden durch die Summe des heiligen Thomas« üblich geworden sei (Rahner, Mysterium Salutis (MySal) II, 317–401, 323). Rahner sieht in dieser konzeptionellen Strukturierung der christlichen Gotteslehre, die er auf Thomas zurückführt, einen wichtigen Grund dafür, »daß die Christen bei all ihrem orthodoxen Bekenntnis in ihrem religiösen Daseinsvollzug beinahe nur ›Monotheisten‹ sind« (a. a. O., 319). Sind somit die systematische Stellung und die konzeptionelle Entfaltung der Trinitätslehre bei Thomas Gründe für die Marginalisierung der Trinität im christlichen Glaubensvollzug und ihre Beschränkung auf die Liturgie und die nur Fachleuten zugängliche, abstrakt-begriffliche Spekulation? Rahners grundsätzliche Kritik an der Stellung der Trinitätslehre bei Thomas, die zu einem a-trinitarischen Traktat De Deo Uno (a. a. O., 325) und damit zu einem nicht spezifisch christlichen Gottesverständnis führe, verbindet sich mit einer sehr speziellen Kritik der Konzeption der Trinitätslehre, die den Eindruck erwecke, »es könne in ihr von den göttlichen Personen nur absolut Formales (mit Hilfe der Begriffe der zwei Prozessionen und der Relationen) gesagt werden, und selbst diese betreffe nur eine absolut in sich geschlossene und in ihrer Wirklichkeit nicht nach außen geöffnete Wirklichkeit (von der wir, die Ausgeschlossenen, nur in einem seltsamen Paradox wüßten)« (ebd.). Obwohl dieser Interpretation der Trinitätslehre des Thomas und ihrer angeblichen Wirkungsgeschichte von Anfang an widersprochen wurde, dient sie Rahner als Negativfolie, vor deren Hintergrund er seine These vom »Grundaxiom über die Einheit von ›ökonomischer‹ und ›immanenter‹ Trinität« (a. a. O., 327) entwickelt. Mit der Frage nach Status und Konzeption der Trinitätslehre bei Thomas steht darum zugleich die Frage nach der Zuordnung der trinitarischen Wesen Gottes in sich selbst und im Wirken des trinitarischen Gottes nach außen gegenüber dem, was nicht Gott ist, zur Debatte. Ebenso geht es um die Frage, ob Thomas’ Gotteslehre grundsätzlich als am einen Wesen Gottes oder an seiner trinitarischen Personalität ausgerichtet zu interpretieren sei (vgl. Emery, Essentia-
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lisme ou personnalisme). Rahner hatte in seiner Kritik Thomas als Repräsentanten der westlichen »psychologischen« Konzeption der Trinitätslehre interpretiert. Die Berechtigung dieser Zuordnung des Thomas, ja die Legitimität der grundsätzlichen Unterscheidung eines »westkirchlichen« und eines »ostkirchlichen« Typs der Trinitätslehre, der von Théodore de Régnon populär gemacht wurde (vgl. Barnes, De Régnon Reconsidered), gehört zu den Hintergrundmotiven der neueren Beschäftigung mit der Trinitätslehre des Thomas. 3.2. Systematische Entfaltungen der Trinitätslehre im Werk des Thomas
Thomas behandelt die Trinitätslehre in systematischer Form in unterschiedlichen Werken mit unterschiedlicher Strukturierung, je nach der spezifischen Absicht des jeweiligen Werkes, entsprechend seinem literarischen Genre und mit unterschiedlichen Zuspitzungen. Mit der Betonung von Absicht und Funktion der einzelnen Schriften wird in der neueren Forschung zugleich unterstrichen, dass in unterschiedlichen Kontexten die in der Summa Theologiae präsentierte Konzeption, einschließlich der Einbettung der Trinitätslehre in das theologische Gesamtkonzept, schrittweise vorbereitet wird. Im Kommentar zu den Sentenzen des Lombarden (1252–1256) richtet sich Thomas gemäß den Regeln des Sentenzenkommentars nach der systematischen Struktur der Sentenzen, spitzt seine Behandlung der Trinität aber auf die Rolle der processiones zu: Die processiones der Personen der Trinität in der Einheit des göttlichen Wesens sind Grund und Ursache des Hervorgangs der Geschöpfe aus der Schöpfungstätigkeit des dreieinigen Gottes. Die Behandlung der Trinität in der Summa contra gentiles (1259–1264/65) entspricht dem apologetischen Interesse dieses Werkes, das durch eine dreifache Unterscheidung gegliedert ist: die Untersuchung Gottes in sich selbst, die Untersuchung der Geschöpfe und der Beziehung der Geschöpfe auf Gott als ihren finis ultimus. In jedem dieser Abschnitte wird die Reflexion in zwei Schritten durchgeführt: Im Hinblick auf das, was der natürlichen Vernunft zugänglich ist, und im Hinblick auf das, was durch die Offenbarung erschlossen worden ist und nur aus ihr verstanden werden kann. Auf diese Weise wird das von der Vernunft von Gott Erkennbare in Buch I behandelt, das Mysterium der Trinität aber in Buch IV. Thomas entfaltet die Lehre in zwei Hauptabschnitten, die der Zeugung des Sohnes (Scg. IV c. 2–14; Ed. Leonina 15, 7–66) und dem Hervorgang des Heiligen Geistes (Scg. IV c. 15–25; Ed. Leonina 15, 66–101) gewidmet sind. Den Abschluss bildet der Nachweis, dass es in Gott zwei und nur zwei Hervorgänge gibt (Scg. IV c. 26; Ed. Leonina 15, 101– 108). Die lehrmäßige Entfaltung geht in jedem der beiden Teile vom Rückgriff auf das Schriftzeugnis aus und stellt den katholischen Glauben unter fortwährendem Rekurs auf die patristische Theologie als angemessene Lehrentfaltung der Schrift im Gegenüber zu den Irrlehren dar. In einem dritten Teil werden die Einwände gegen den katholischen Glauben an den Sohn und den Geist erörtert und zurückgewiesen. In diesem Zusammenhang erfolgt die eigentliche systematische Ent-
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wicklung der Lehre vom Sohn als Wort und vom Geist als Liebe, untermauert von einer durchgängigen Reflexion auf die für Thomas zentrale Kategorie der Relation (vgl. Emery, Le traité). Im Compendium theologiae (1265–1267; Ed. Leonina 42, 75–205) wird diese Struktur der Gotteserkenntnis des Glaubens nicht in apologetischer, sondern in explikativer Absicht in drei Grundaussagen konzentriert: die Einheit des göttlichen Wesens, die Dreiheit der Personen und die Wirkungen der Gottheit (Circa divinitatem vero tria cognosci oportet. Primo quidem essentiae unitatem, secundo personarum trinitatem, tertio divinitatis effectus, I c. 2). Nach der Erörterung der Gotteserkenntnis, die auch von den Philosophen gewonnen werden kann (vgl. I c. 36), erfolgt so die Darstellung des Glaubens an den Sohn (das Wort) (I c. 37‒44) und an den Heiligen Geist (die Liebe) (I c. 44–49), die in eine grundsätzliche Überlegung einmündet, inwieweit die Dreiheit der trinitarischen Personen in der Einheit des göttlichen Wesens erfasst werden kann, so dass gezeigt werden kann, dass diese drei nicht drei Götter, sondern ein Gott sind (et ii tres not tres Dei, sed unus Deus est, I c. 36). Die systematische Darstellung im Traktat De rationibus fidei, das zeitlich derselben Periode zuzuordnen ist, entspricht ungefähr demselben Muster, das sich auch in den katechetischen Werken des Aquinaten findet (vgl. De rat., Prolog). De potentia in den Quaestiones disputatae (1265–1276; Ed. Leonina 21) ist in chronologischer und systematischer Hinsicht die direkte Hinführung zur Behandlung der Trinitätslehre in der Summa Theologiae (1265/66–1273). Quaestio 7 erörtert die Frage der Einfachheit des göttlichen Wesens, quaestio 8 behandelt die Frage der trinitarischen Relationen, gefolgt von der Erörterung der trinitarischen Personen in quaestio 9. Die abschließende quaestio 10 diskutiert die processio (»den Hervorgang«): ob es überhaupt in Gott Hervorgang geben kann (art. 1) und ob es sich um einen einzigen Hervorgang handele (art. 2). Das wiederum verlangt eine Klärung der Frage, wie sich die Ordnung der Hervorgänge zur Relation in der Gottheit verhalte (art. 3). Die beiden abschließenden Artikel dieser quaestio werden dann der Klärung des Verhältnisses zwischen den Hervorgängen des Sohnes und des Heiligen Geistes gewidmet. Vergleicht man diese systematischen Darstellungen, werden unterschiedliche Schwerpunkte deutlich. Die Trinitätslehre in der Summa contra gentiles bietet z. B. einen vollständigeren Schriftbezug als die Summa Theologiae und diskutiert in diesem Zusammenhang auch die Auseinandersetzungen der Theologie der Väter mit häretischen Lehrformen ausführlicher als die spätere Summa. Darin berührt sie sich mit dem Johanneskommentar Super Joh., der nahezu alle spekulativen Fragen der Trinitätslehre in der Exegese einzelner Textstellen erörtert und so die biblischen Kontexte der entsprechenden Lehrfragen deutlich macht. Dadurch lässt sich die Komplementarität von Schriftauslegung und lehrmäßiger Darstellung erkennen: Beide haben die Aufdeckung der geoffenbarten Wahrheit zum Ziel, die der einheitliche Gegenstand der Schrift und der sacra doctrina (»lehrmäßige Entfaltung«) ist. Dabei haben die Fragen der immanenten Trinität den Vor-
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rang vor der ökonomischen Trinität. Auch im Kontext der Schriftauslegung ist die Darstellung der Beziehungen der Trinität zur Schöpfung in der Heilsgeschichte das Resultat seiner – im Kontext der Schriftauslegung entfalteten – Reflexionen auf die immanenten Beziehungen der Trinität (vgl. Emery, Biblical Exegesis). Auch in der Schriftauslegung ist der dreifaltige Gott der »transzendente Urgrund der Heilsgeschichte« (K. Rahner). 3.3. Die Trinitätslehre in der Summa Theologiae
Im ersten Artikel der Summa Theologiae begründet Thomas die Notwendigkeit einer sacra doctrina (»heilige Lehre«) für das Heil des Menschen damit, dass der Mensch auf Gott als das Ziel seines Daseins bezogen ist, das das begreifende Verstehen der natürlichen Vernunft überschreitet. Damit sich der Mensch in seinen Absichten und Handlungen auf dieses Ziel ausrichten kann, muss es erkannt sein. Darum war es heilsnotwendig für den Menschen, dass diese Bestimmung durch die göttliche Offenbarung erkannt würde, die die menschliche Vernunft übersteigt (STh I q. 1; Ed. Leonina 4, 6–26). Die Theologie hat insofern auf der einen Seite Gott selbst zum alleinigen Inhalt (STh I q. 1 a. 7; Ed. Leonina 4, 19– 21) und ist durch die göttliche Offenbarung Belehrung von Gott durch Gott als die Wahrheit aller Dinge; insofern auf der anderen Seite Gott Grund und Ziel des menschlichen Daseins, ja der ganzen Schöpfung ist, schließt das auch ein, dass der Weg beschrieben wird, wie Menschen zur Erkenntnis Gottes finden können. Der Auffassung von Chenu, dass dem Aufbau der Summa ein neuplatonisches Schema des Ausgangs aller Dinge aus Gott und der Rückkehr aller Dinge zu Gott zugrunde liege, wobei Christus als Bedingung der Rückkehr zu Gott nach seiner Auffassung Gegenstand des dritten Teils sei, hat M. Seckler, Y. Congar folgend, entgegengehalten, dass nicht ein neuplatonisches Exitus-Reditus-Schema die Matrix der Summa vorgibt, sondern die Ordnung der Heilsgeschichte, verstanden als die Gesamtsumme des Geschehens, das von Gott ausgeht und auf dem Wege geschichtlicher Realisierung zu Gott zurückkehrt. Dabei ist zu beachten, dass Thomas in der Summa Theologiae nicht vom Prozess der Entdeckung ausgeht, sondern den Begründungszusammenhang allen Geschehens in der Heilsgeschichte zu entfalten sucht. Diese Begründung kann aber, gerade aufgrund der Offenbarung Gottes in Christus durch den Heiligen Geist, die von der Heiligen Schrift und vom Glauben der Kirche zum Ausdruck gebracht wird, von keinem anderen ausgehen als von Gott selbst. So betrachtet sind die Ausrichtung der Gotteserkenntnis auf das, was für den Menschen heilsnotwendig ist, und ihr Einsatz bei ihrem Begründungszusammenhang in Gott selbst durchaus kompatibel (vgl. Pesch). Der erste Teil der Summa (De Deo) ist nach Thomas dreigeteilt. Er thematisiert erstens das göttliche Wesen (STh I q. 2–26; Ed. Leonina 4, 27–304), zweitens die Unterscheidung der göttlichen Personen (q. 27–43; Ed. Leonina 4, 305–454) und drittens den Hervorgang der Geschöpfe aus Gott (q. 44; Ed. Leonina 4, 455–463;
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vgl. STh I q. 2 Prolog; Ed. Leonina 4, 27). Die im Neuthomismus übliche Strukturierung der Traktate De Deo Uno und De Deo Trino geht auf die spätmittelalterlichen Kommentatoren der Summa, v. a. auf Kardinal Cajetan de Vio zurück, der in seinem Kommentar eine metaphysische Unterscheidung zwischen dem einen Gott und der Trinität einführt (Smith, Trinitarian Theology, 39–47). Er bezeichnet Gott als concretum individuale naturae divinae (»konkretes Individuum des göttlichen Wesens«), von dem abgesehen von den drei Personen der Trinität gesprochen werden kann, und unterscheidet das absolute Wesen Gottes gegenüber seinem relativen Wesen, dem Wesen in der Beziehung der drei trinitarischen Personen. Das Dominantwerden dieser Deutung hat auch durch die starke Berücksichtigung von Cajetans Kommentierung in der Leonina die Zweiteilung der Gotteslehre im Neuthomismus begünstigt und dem in der neueren trinitätstheologischen Diskussion häufig geäußerten Vorwurf des »Monopersonalismus« Vorschub geleistet. Thomas gibt zwei Gründe an, warum es notwendig ist, dass die Dreieinigkeit Gottes den Menschen durch Offenbarung erschlossen werden musste. Erstens wird durch das trinitarische Verständnis der Schöpfung durch das Wort der Irrtum ausgeschlossen, als würde Gott aus einer Notwendigkeit seines Wesens schaffen (ex necessitate naturae, STh I q. 32 a. 1 ad 3; Ed. Leonina 4, 349–357). Demgegenüber lässt die Trinitätslehre die Schöpfung als Akt der göttlichen Freiheit erkennen. Zweitens – und das ist für Thomas principalius (»der wichtigere Grund«) – damit wir die richtige Auffassung vom Heil des Menschengeschlechtes gewinnen können, das durch den inkarnierten Sohn und die Gabe des Heiligen Geistes vollendet wird. Dieser Notwendigkeit der Offenbarung der Dreifaltigkeit Gottes entspricht die Zuordnung der Erkenntnisweisen Gottes. Die natürliche Vernunft, die Erkenntnisquelle der philosophischen Erkenntnisformen erkennt Gott nur auf der Basis der Erkenntnis der Geschöpfe, so dass wir, schließen wir von den Wirkungen auf die Ursache, durch die natürliche Vernunft Gott notwendig als omnium entium principium erkennen (»höchstes Prinzip alles Seienden«, STh I q. 32 a. 1; Ed. Leonina 4, 349–351). Da die Schöpferkraft Gottes aber den trinitarischen Personen communis (»gemeinsam«) ist, führt uns die natürliche Vernunft nur zur Erkenntnis der Einheit des Wesens Gottes, nicht aber ad distinc tionem personarum (»zur Unterscheidung der Personen«, ebd.), die durch die Offenbarung erschlossen wird. Damit grenzt sich Thomas scharf von allen Versuchen ab, den Glauben an die Trinität durch notwendige Vernunftgründe beweisen zu können, von Anselm von Canterbury und Richard von St. Viktor ebenso wie von den franziskanischen Theologen in der Tradition Bonaventuras. Qui autem probare nititur Trinitatem Personarum naturali ratione, fidei dupliciter derogat (»Wer die Dreiheit der Personen durch die natürliche Vernunft zu beweisen sucht, schadet dem Glauben in doppelter Weise«; STh I q. 32 a. 1; Ed. Leonina 4, 349–351), da der Glaube sich auf das Unsichtbare richtet (vgl. Hebr 11,1) und er dem Gespött der Ungläubigen preisgegeben werde, wenn er durch logisch notwendige Gründe bewiesen werden
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soll, die sich als nicht zwingend erweisen. Während die rationale Explikation des Glaubens sich auf die im Glauben anerkannten Autoritäten stützt, genügt gegenüber Nicht-Glaubenden der Nachweis, »dass das, was der Glaube verkündet, nicht unmöglich ist« (STh I q. 31 a. 1; Ed. Leonina 4, 343; vgl. STh II-II q. 1 a. 5 ad 2; Ed. Leonina 8, 56). Die Vernunft hat für den trinitarischen Glauben eine explikative, aber keine konstitutive Funktion. Damit ist zugleich ausgeschlossen, dass die Dreiheit der Personen der Trinität aus der Einheit des göttlichen Wesens logisch abgeleitet werden könnte. In der Entfaltung seiner Gotteslehre unterscheidet Thomas zunächst zwischen der immanenten Einheit-in-relationaler-Dreiheit (STh I q. 2–43; Ed. Leonina 4, 27–454) und der Beziehung des trinitarischen Gottes zur Schöpfung (STh I q. 44 ff.; Ed. Leonina 4, 75–265). Diese Unterscheidung ergibt sich aus der Zurückweisung des Arianismus und des Sabellianismus, die für Thomas’ Trinitätslehre strukturgebende Funktion hat. Der Arianismus betrachtet den Sohn und den Geist als Geschöpfe (STh I q. 21 a. 1; Leonina 4, 285 f.) und folglich ihre Hervorbringung als transitives, etwas Anderes außerhalb Gottes setzendes Schaffen. Der Sabellianismus betrachtet die Hervorbringung des Sohnes als einen schöpferischen Akt Gottes in der Welt, wenn der eine Gott die Gestalt des Sohnes in der Inkarnation annimmt, was zur Aufhebung der Unterscheidung der Personen führt. Thomas unterscheidet darum unter modifizierender Aufnahme der aristotelischen Handlungstheorie zwischen processio ad aliquid extra (»einem Hervorgang nach außen«) und processio in ipso Deo (»einem Hervorgang innerhalb Gottes selbst«). Sie sind in unterschiedlichen Handlungsformen begründet, dem immanenten Handeln, das wie z. B. ein geistiger Verstehens- oder Kommunikationsakt (verbum cordis; »Wort des Herzens«; STh I q. 27 a. 1; Ed. Leonina 4, 305– 309) im geistigen Handlungssubjekt bleibt und dem transeunten oder dem transitiven Handeln, das in der z. B. Produktion von etwas Materiellem eine Wirklichkeit außerhalb des Handelnden setzt. Da Gott ein geistiges Wesen ist, müssen die Beziehungen innerhalb der Trinität ausschließlich als immanente Handlungen verstanden werden. Auf dieser Distinktion baut die zweite Unterscheidung zwischen dem einen göttlichen Wesen auf, das den drei göttlichen Personen communis (»gemeinsam«) ist, und dem, was für jede der Personen proprium (»eigentümlich«) ist. Thomas unterscheidet also nicht zwischen dem einen Gott (De Deo Uno) und dem dreifaltigen Gott (De Deo Trino), sondern nimmt die von den Kappadoziern profilierte Unterscheidung zwischen dem einen gemeinsamen Wesen (koinon) und den eigentümlichen Identitäten der Personen (idion) auf (vgl. Emery, Trinitarian Theology, 44–48). Die Dreiheit der Personen ist eine Unterscheidung innerhalb des einen göttlichen Wesens (in Deo non sit aliud essentia quam persona, STh I q. 39 a. 1; Ed. Leonina 4, 396–398). Da aber »das Allgemeine dem Verständnis nach früher ist als das Eigentümliche« (Commune enim, secundum intellectum, est prius proprio; STh I q. 33 a. 3; Ed. Leonina 4, 360), muss vom einen göttlichen Wesen ausgegangen werden (STh I q. 2–26; Ed. Leonina 4, 27–304), bevor die Dreiheit
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der Personen erörtert wird (STh I q. 27–43; Ed. Leonina 4, 305–454). Nach diesem Raster behandelt Thomas auch im Kernstück des trinitarischen Traktats zuerst das Gemeinsame der Personen (STh I q. 29–32) und dann ihre Eigentümlichkeiten als Vater (q. 33), Sohn (q. 34–35) und Heiliger Geist (q. 36–38). Nach einer einleitenden Behandlung der »Hilfsbegriffe« der processio (des »Hervorgangs«, q. 27) und der relatio (»Beziehung«, q. 28) hat die Trinitätslehre der STh folgende Struktur. 1. Die Personen absolute (»absolut betrachtet«) (q. 29–38) 1.1 Die Personen in Hinsicht auf das ihnen Gemeinsame (q. 29–32) 1.2 Die Personen in Hinsicht auf das ihnen Eigentümliche (q. 33–38) 1.2.1 Der Vater (q. 33) 1.2.2 Der Sohn (q. 34–35) 1.2.3 Der Heilige Geist (q. 36–38) 2. Die Personen in ihrem Verhältnis comparative (»gemeinsam betrachtet«) (q. 39–43) 2.1 Im Verhältnis zum göttlichen Wesen (q. 39) 2.2 Im Verhältnis zu ihren Eigentümlichkeiten (q. 40) 2.3 Im Verhältnis zu den notiones (»Merkmalen«) (q. 41) 2.4 In Hinsicht auf ihre wechselseitigen Beziehungen (q. 42) 2.4.1 Beziehungen von Gleichheit und Ähnlichkeit 2.4.2 Die missio (»Sendung«) der Personen (q. 43) Bei den »Vorfragen« des Hervorgangs und der Relation definiert Thomas zunächst wieder die Parameter der Diskussion in der Abgrenzung vom Arianismus und Sabellianismus. Hervorgang darf weder nach dem Muster einer von der Ursache ontologisch verschiedenen Wirkung verstanden werden (Arianismus), noch als Übergang der Ursache in die Wirkung (Sabellianismus). Da Gottes Wesen geistig ist, muss ein Hervorgang als emanatio intelligibilis (»geistiges Hervorgehen«) verstanden werden, das sich innerhalb desselben Wesens vollzieht. Zugleich aber muss Thomas (im Unterschied zu Aristoteles’ Verständnis immanenter geistiger Akte) zeigen, dass es im geistigen Hervorgang doch so etwas gibt wie die Setzung einer geistigen Realität, eines realen Relats innerhalb der durch den Hervorgang begründeten Relation. Im Blick auf die Relationen, die in den Hervorgängen begründet sind, vertritt Thomas die These, dass sie die Personen unterscheiden ohne ihre Wesenseinheit in der Trinität aufzuheben. Weder (substantielle) Verschiedenheit noch Mangel (und insoweit ontologische Abstufung) können somit die Unterscheidung begründen, weil sie die Einheit des göttlichen Wesens und die Gleichheit der Personen negieren würden. In seiner, die Kategorienlehre des Aristoteles modifizierend aufnehmenden Erörterung unterscheidet Thomas zwei Aspekte der Relation, ihr esse (»Seinsstatus«) und ihre ratio (ihren »eigentümlichen Charakter«). Die Relation ist nun keine interne Bestimmung eines Subjekts (wie etwa Qualität oder Quantität), sondern drückt ein Verhältnis ad aliud (»zu einem anderen«) aus. Bei geschaffenem Seienden haben sie zudem nur akzidentellen, nicht we-
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sensnotwendigen Status, weil sie in einem anderen oder durch ein anderes Seiendes sind. Auf Gott angewandt sind nun die beiden Hinsichten zu differenzieren. Im Blick auf ihr esse (»Seinsstatus«) muss die Relation identisch sein mit dem Wesen Gottes, weil es in Gott keine Akzidentien gibt. Im Blick auf ihre ratio (ihren »eigentümlichen Charakter«) ist die Relation Entgegensetzung in Hinsicht auf den Ursprung: Vaterschaft, Sohnschaft und Hervorgang (Hauchung). Im Blick auf ihren eigentümlichen Charakter sind die Relationen so real unterschieden, aber nicht im Blick auf ihren Seinsstatus, der mit dem einen Wesen identisch ist. In der Person kommen diese beiden Dimensionen zur Einheit: die Einheit des Wesens als hypostatische Subsistenz im einen Wesen Gottes und die personale Besonderheit (vgl. Lamont). Ausgerüstet mit diesen beiden Hilfsbegriffen kann Thomas nun die Bestimmung des trinitarischen Personbegriffs durch die Interpretation der berühmten Formel des Boethius in Angriff nehmen: persona est individua substantia rationa(bi)lis naturae (»Eine Person ist eine individuierte Substanz einer vernünftigen (vernunftfähigen) Natur«). Nach Thomas ist »individuierte Substanz« als die erste Substanz, das konkrete Subjekt der aristotelischen Metaphysik zu verstehen. Sie ist durch ihren modus existendi (ihre »Existenzweise«) charakterisiert: Sie existiert – und das ist Wesen der Substanz – in sich selbst und durch sich selbst. Eine Natur bezeichnet nach Thomas das Handlungsprinzip von etwas, das Prinzip der Bewegung und Ruhe. Zur rationalen Natur gehört darum die Handlungsfreiheit, die Selbstbestimmung des Willens durch Einsicht und die Freiheit, sich auf ein so erkanntes Ziel hin zu bewegen. Diese drei Elemente, Individualität (unterscheidende Besonderheit), Substanzhaftigkeit (Existenz durch sich selbst) und Rationalität (Fähigkeit zu selbständig freiem Handeln) machen, so betont Thomas, die Person zum Vollkommensten in der Natur (STh I q. 29 a. 3; Ed. Leonina 4, 331 f.). Auf Gott angewandt schützt diese Persondefinition die gleiche Gottheit der Personen (die göttliche geistige Natur) gegen den Arianismus. Sie gibt zugleich ihrer realen Unterschiedenheit der Personen und ihrer Subsistenz gegen den Sabellianismus eine Basis. Obwohl Subordinatianismus und Modalismus so konsequent vermieden werden können, ist die Gefahr einer tritheistischen Interpretation der Boethiusformel noch nicht gebannt. Das erreicht Thomas dadurch, dass er den Personbegriff als subsistierende Relation interpretiert (relatio ut subsistens oder relatio per modum subsistentiae quae est hypostatsis, STh I q. 29 a. 4; Ed. Leonina 4, 333) und die beiden Bestimmungselemente der Relation aufnimmt. Gemäß ihres esse (»Seinsstatus«) subsistiert die Person auf Grund des göttlichen Wesens, mit dem sie identisch ist. Gemäß ihrer ratio (»charakteristischen Eigentümlichkeit«) in der Beziehung ad aliud (»zu anderem«) hat die Person eine spezifische Identität, aber kein eigenes Seinsprinzip. Damit ist ein tripersonalistischer christlicher Monotheismus definiert. Was trägt diese begriffliche Grundlegung nun für die Lehre von den drei Personen der Trinität aus? Thomas verfolgt bei allen drei trinitarischen Personen eine doppelte Zielsetzung. Zunächst müssen die drei trinitarischen Namen in der
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immanenten trinitarischen Beziehung geklärt werden. Dabei ist entscheidend, dass ihre spezifische personale Eigentümlichkeit stets mit der Subsistenz im einen göttlichen Wesen zusammengedacht wird. Dann wird auf dem Weg der Ableitung und Analogie aus den innertrinitarischen Beziehungen die Bedeutung der trinitarischen Personen für die Beziehung Gottes zur Welt geklärt. Obwohl wir die Bezeichnungen der Rede von den trinitarischen Personen im Zusammenhang des geschaffenen Seienden lernen mögen, wie »Vater« und »Sohn«, so sind doch die Beziehungen in den göttlichen Personen primär, weil es hier um die Priorität der durch den Namen bezeichneten Wirklichkeit geht und nicht um unser erstes Erfassen der Bedeutung dieser Ausdrücke. In seiner Darstellung der Person Gottes des Vaters verbindet Thomas die Aspekte der Vaterschaft und der Ursprungslosigkeit im Begriff des Prinzips, der viel weiter ist als der Begriff der Ursache und »das, aus dem etwas hervorgeht« (sit, a quo procedit alius; STh I q. 33 a. 1; Ed. Leonina 4, 358) bezeichnet. Damit ist die erste Person der Gottheit hinsichtlich ihrer Beziehung zu dem, der aus ihr hervorgeht, charakterisiert. Die ewige Beziehung zwischen Gott dem Vater und Gott dem Sohn, indem der Vater dem Sohn die ganze Natur ohne Einschränkung mitteilt, ist darum der Grund für die Mitteilung seiner Gaben an seine Geschöpfe, die jedoch immer eingeschränkt ist. Gott der Vater ist in seiner Beziehung zum Sohn und zum Geist als das der Gottheit immanente Prinzip der Grund aller Beziehungen des trinitarischen Gottes zu den Geschöpfen. Er ist aber zugleich das Prinzip ohne ein übergeordnetes Prinzip, der ursprungslose Ursprung. Ursprungslosigkeit darf nach Thomas nicht mit Bonaventura als fontalis plenitudo (»Quellfülle«, STh I q. 33 a. 4 ad 1; Ed. Leonina 4, 363) gedeutet werden, denn es gibt für Thomas keine positiven Eigenschaften des Vaters abgesehen von den konkreten Beziehungen der Personen. Die Darstellung der Person des Sohnes erfolgt anhand der Namen »Wort« und »Bild«. Der Begriff des Wortes nimmt in der gesamten Trinitätslehre eine zentrale Stellung ein, weil er auch als Beispiel für die immanenten Handlungen dient, durch die die Hervorgänge erklärt werden (vgl. STh I q. 27 a. 1; Ed. Leonina 4, 305–309). Nach Thomas bezeichnet beim Menschen das äußere, gesprochene Wort nicht die Realität, sondern das innere Wort, den geistigen Begriff der Wirklichkeit. Da Gott als geistiges Wesen keine Stimme braucht, bezieht sich im Zusammenhang der Trinitätslehre das Wort streng auf den geistigen Begriff. Da der Begriff aus der geistigen Tätigkeit des Begreifenden hervorgeht, bezeichnet das Wort auch in Bezug auf Gott etwas, das aus einem anderen hervorgeht, also eine Ursprungsrelation und erfüllt damit die konstitutive Bedingung für das Personsein. Das Wort bildet eine relationale Wirklichkeit, von der in personaler Terminologie gesprochen werden muss. Hinsichtlich des Wesens bezeichnen der Intellekt und das Verstehen die ganze Gottheit. Als personale Besonderheit ist das Wort den trinitarischen Personen nicht gemeinsam. Vielmehr ist der Vater der Sprecher des Wortes und das Wort, das, was er spricht, ist der Sohn. Während beim Menschen Sein und Verstehen nicht identisch sind und damit das verstehende Wort im menschlichen Sein ein Akzidens ist, eine Eigenschaft, die nicht
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zum menschlichen Wesen gehört, sind bei Gott – auf der Basis der Einfachheit Gottes (STh I q. 14 a. 4; Ed. Leonina 4, 171 f.) – Verstehen und Sein identisch. Gehört das Wort zum Wesen Gottes, muss es auch etwas Subsistierendes sein, da alles, was zum Wesen Gottes gehört, subsistiert. Indem Gott das Wort als Emanation des göttlichen Intellekts aus sich hervorgehen lässt, wird ein Begriff konstituiert, der das gleiche Wesen hat wie der Intellekt selbst. Darum kann nach Thomas der Hervorgang dieser zweiten Person »Zeugung« heißen, denn er ist durch die Kommunikation derselben Natur charakterisiert, und darum kann dieses Wort Gott der Sohn sein. Nach Thomas ist der Sohn zugleich das Bild des Vaters, so dass das »Bild« auch als Personenname des Sohnes fungieren kann. Thomas lehnt die griechische, z. B. bei Johannes Damascenus belegte Auffassung ab, wonach der Heilige Geist das Bild des Vaters sei. Thomas argumentiert, dass der Heilige Geist, wiewohl er vom Vater dessen Natur empfängt, dennoch nicht »geboren« genannt wird. Durch das Geborensein wird aber die similitudo speciei (»Artähnlichkeit«, STh I q. 35 a. 2; Ed. Leonina 4, 373 f.) zwischen dem Hervorgehenden und dem, woraus es hervorgeht, ausgesagt. Das gilt vom Sohn, weil er das Wort ist, das vom Vater gesprochen wird, und beide derselben geistigen species angehören (wie der Begreifende und der Begriff). Das aber kann vom Heiligen Geist nicht gesagt werden, der in seiner personalen Besonderheit Liebe ist, d. h. Bewegung zu einem Objekt. So gilt für Thomas: Als Wort des Vaters ist der Sohn auch das Bild des Vaters. Thomas schließt hier eine weitere Reflexion an. Das Wort ist der Name für die Person des Sohnes und bringt eine einzigartige personale Beziehung zum Ausdruck. Damit ist indirekt auch eine Beziehung zu den Geschöpfen ausgesagt. Wenn die Person des Wortes eine individuierte Substanz einer rationalen Natur ist und diese rationale Natur das Wesen des Schöpfers ist, ist mit dem Personsein eine Beziehung zu den Geschöpfen indirekt mitgesetzt. Das Wort bringt alles zum Ausdruck, was zum Wesen, also zum Intellekt des Vaters gehört. Indem Gott der Schöpfer sich erkennt, erkennt er jedes Geschöpf. Indem das Wort den Vater zum Ausdruck bringt, bringt es so auch alle Geschöpfe zum Ausdruck. Das geschieht in der Weise, wie Gott sich selbst in seiner scientia cognoscitiva (seinem »erkennenden Wissen«) und seine Geschöpfe in seiner scientia factiva (»seinem erkennenden und operativen Wissen«) erkennt. Daraus erklärt sich die Schöpfermittlerschaft des Wortes Gottes, die Thomas unter Berufung auf Ps 33,9 erklärt: »Er sprach und sie wurden gemacht.« Das Wort enthält also die ratio factiva (den »schöpferisch-rationalen Grund«) von allen Dingen, die Gott schafft. Die personale Besonderheit des Heiligen Geistes stellt Thomas durch den Namen »Liebe« dar. Wie Gott erkennt, so will er auch (STh I q. 19–20; Ed. Leonina 4, 231–257). Während der handelnde Intellekt ein Wort bildet, bildet der Wille eine impressio (einen »Eindruck«) von dem, was er liebt. Dieser Eindruck ist ein Impuls, eine Attraktion oder ein Affekt der Zuwendung zum Geliebten (STh I q. 37 a. 1; Ed. Leonina 4, 387 f.). Der Heilige Geist ist diese Liebe in Person, der dynamische Impuls des liebenden Willens des Vaters und des Sohnes. Der Hervor-
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gang der Liebe ist also eine immanente Handlung, die durch eine Ursprungsbeziehung zum Willen charakterisiert ist, die durch das Wort vermittelt ist, insofern der Wille das liebt, was der Intellekt (das innere Wort) ergreift. Insofern der Heilige Geist Liebe ist, ist er auch die gratis gegebene Gabe, was den Charakter dieser Liebe expliziert. Analog zur Schöpfungsmittlerschaft des Sohnes verankert Gott in der Liebe als der personalen Besonderheit des Heiligen Geistes die Beziehung zwischen der immanenten Trinität und dem Handeln der Trinität in der Heils ökonomie: »Wie der Vater sich selbst und alle Geschöpfe durch das Wort ausspricht, das er zeugt, insofern das gezeugte Wort den Vater und alle Geschöpfe vollständig zur Darstellung bringt (sufficienter repraesentat), so liebt er auch sich selbst und alle Geschöpfe durch den Heiligen Geist, insofern der Heilige Geist hervorgeht als Liebe der ursprünglichen Güte, gemäß derer der Vater sich und alle Geschöpfe liebt.« (Unde, sicut pater dicit se et omnem creaturam verbo quod genuit, inquantum verbum genitum sufficienter repraesentat patrem et omnem creaturam; ita diligit se et omnem creaturam spiritu sancto, inquantum spiritus sanctus procedit ut amor bonitatis primae, secundum quam pater amat se et omnem creaturam; STh I q. 37 a. 2; Ed. Leonina 4, 390). Die Explikation der personalen Besonderheiten ist bei Thomas die Begründung und Darstellung der Zuwendung des dreieinigen Gottes zur Schöpfung. Es wird also von den göttlichen Personen keinesfalls nur absolut Formales gesagt, das nur eine geschlossene, nicht nach außen geöffnete Wirklichkeit betrifft. Vielmehr ist die Lehre von den trinitarischen Personen die materiale Begründung für die Öffnung der göttlichen Dreifaltigkeit nach außen, die wir auf der Basis der in der Schrift und im Glauben der Kirche bezeugten Offenbarung in vernünftiger Explikation nachvollziehen können. Die immanente Trinitätslehre expliziert auf der Basis des Glaubens die in Gottes trinitarischem Wesen verankerte Begründung des Inhalts und der Form der trinitarischen Heilsökonomie (vgl. Emery, Personal Mode). Nachdem er die personalen Besonderheiten der trinitarischen Personen herausgearbeitet hat, stellt sich für Thomas nun das Problem, wie sie in ihren Beziehungen entfaltet werden können: zu dem einen göttlichen Wesen (q. 39), zu den Relationen und ihren proprietates (»Besonderheiten«, q. 40) und zu den notiones (»Merkmalen ihrer Tätigkeiten«). Dieser Teil der Trinitätslehre, der von der Lehre von den Appropriationen eingeleitet wird, ist in der neueren Diskussion vielfach kritisiert worden. So wird Thomas vorgeworfen, er mache die Schöpfung zum Werk des Vaters und ignoriere die biblische Redeweise, dass Gott durch den Sohn schaffe. Ebenso wird an Thomas kritisiert, er depersonalisiere die Schöpfung, indem er sie als generisches Werk der Trinität darstelle (LaCugna, God for us, 143–180; bes. 159 f.). Weiterhin ist kritisch gefragt worden, ob bei Thomas die Werke der Trinität nicht unterschiedslos das Werk jeder Person und aller Personen sei und so die Unterschiede der Personen in der Heilsökonomie aufgehoben würden. In den Diskussionen seiner Zeit versuchte Thomas in diesem Teil des Trinitätstraktats sich von häretischen Bestimmungen der Beziehung von Person und Wesen abzusetzen: Von der Tendenz zum Tritheismus, die auftaucht, wenn
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die Personen als res (»unabhängige Wirklichkeit«) bezeichnet werden (der Vorwurf gegen Roscelin); von einer faktischen Quaternität, die dann auftritt, wenn das göttliche Wesen faktisch eine vierte unabhängige Größe in der Trinität wird (die Kritik an Gilbert Porreta); von der Auffassung, die Wesenseigenschaften seien in den Personen unterschiedlich realisiert und Gott könne so allein mit den Mitteln der Logik als einer und als drei erkannt werden (der kritische Einwand gegen Abaelard). Thomas verfolgt mit seiner Darstellung das Ziel, die Gottheit aller drei Personen im Werk der Schöpfung festzuhalten (durch die Betonung des einen Wesens Gottes des Schöpfers), zugleich aber auch die personale Differenzierung im Werk der Schöpfung zuzulassen, die vom Zeugnis der Schrift gefordert wird (vgl. Min, Paths). Solche Differenzierungen können aber nicht von außen zugeschrieben, sondern müssen aus den personalen Beziehungen der Trinität gewonnen werden. Alle drei Zielsetzungen werden in einer Grammatik der trinitarischen Rede von Gott realisiert (vgl. Min, God). Thomas geht aus von dem Axiom, dass das eine Wesen Gottes die drei Personen ist und umgekehrt. Dadurch ist die Gottheit der Personen gewahrt. Das Verhältnis von wesentlicher Einheit und personaler Unterschiedenheit erklärt Thomas auch im Kontext der Lehre von der Appropriation mit der Unterscheidung von esse (oder res: »Seinsstatus«) und ratio (»charakteristisches Verstehensmerkmal«), vgl. STh I q. 28 a. 2 (Ed. Leonina 4, 321–324), q. 39 a. 1 (Ed. Leonina 4, 396 f.) und q. 40 a. 1 (Ed. Leonina 4, 411 f.): »Die Person bezeichnet nämlich die Beziehung von etwas, das in der göttlichen Natur für sich bestehend ist« (prout est subsistens in natura divina). Vergleicht man die Beziehung mit dem Wesen, non differt re (»unterscheidet sie sich nicht im Seinsstatus«), sondern nur sed ratione tantum (»nach dem charakteristischen Verstehensmerkmal«). Vergleicht man sie aber mit der gegenüberstehenden Beziehung, habet virtute oppositionis realem distinctionem (»hat sie aufgrund der Gegenüberstellung einen realen Unterschied«). Im Blick auf die Appropriation von Wesenseigenschaften ist davon auszugehen, dass die Schöpfung ein gemeinsames Handeln aller drei Personen aufgrund ihres gemeinsamen Wesens ist. Als Zueignung von Wesenseigenschaften bringt die Lehre zum Ausdruck, dass die göttlichen Personen aufgrund ihrer personalen Besonderheit in der immanenten Trinität im Werk der Schöpfung und Erlösung auch besondere Rollen spielen, die nach der Logik der Hervorgänge in Gott bestimmt sind. In der Grammatik der trinitarischen Rede von Gott wird die Rede von Gott oder den Personen nach dem Subjekt und den Prädikaten so geordnet, dass das eine göttliche Wesen (Natur), die zwei Hervorgänge (Zeugung des Sohnes und Hauchung des Geistes), die drei Personen von Vater, Sohn und Geist, die vier Relationen (aktive und passive Zeugung; aktive und passive Hauchung) und die fünf notiones (»Merkmale« der Lebensbeziehungen in Gott) unterschieden und in der trinitarischen Rede aufeinander bezogen werden. Dabei ist nach Thomas stets zwischen res significata (»dem bezeichneten Gehalt«) und modus significationis (»der Art und Weise der Bezeichnung«) zu unterscheiden.
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»Gott« und die »Gottheit« sind auf Grund der Einfachheit des göttlichen Wesens identisch, unterscheiden sich aber in ihrem modus significationis. Da »Gott« das göttliche Wesen in dem, der sie besitzt, bezeichnet, kann »Gott« an die Stelle der Person treten, z. B. wenn gesagt wird, »Gott ist gezeugt« im Blick auf den Sohn oder »Gott zeugt« im Blick auf den Vater. »Gott« kann auch an die Stelle der Rede vom göttlichen Wesen treten, z. B. in der Aussage »Gott schafft«. Die »Gottheit« kann in der ihr angemessenen Weise der Bezeichnung nicht den Platz einer Person einnehmen, denn sie bezeichnet das Wesen in seiner abstrakten Form. Was die Personen besonders bezeichnet und wodurch sie voneinander unterschieden sind (proprium, proprietates), kann nach dem modus significationis der Rede von Personen darum nicht dem göttlichen Wesen zugeschrieben werden. Sonst würde man sagen, »das Wesen zeugte das Wesen«, die Aussage von Joachim von Fiore, mit der er gegen die Grammatik der trinitarischen Prädikation verstieß (vgl. STh I q. 39 a. 2. 4. 6; Ed. Leonina 4, 398–406). In den Zusammenhang der Erörterung der innertrinitarischen Beziehungen der göttlichen Personen kann Thomas nun die heilsgeschichtlichen Sendungen der göttlichen Personen einfügen (STh I q. 43; Ed. Leonina 4, 445–454). Der Übergang zur Heilsökonomie ist insofern im relationalen Zentrum der immanenten Trinität verankert. Für Thomas ist im Begriff der missio (»Sendung«) zweierlei impliziert: eine Beziehung vom Sendenden zum Gesandten und eine Beziehung zum Zielpunkt der Sendung. Das Verhältnis von Sendendem zum Gesandten beinhaltet bei den trinitarischen Personen weder eine Unterordnung nach Status oder Autorität, noch eine Trennung des Gesandten vom Sendenden, sondern allein ein Gefälle nach der Ordnung der trinitarischen Ursprungsrelationen im Rahmen der Wesensgleichheit. Unter den unterschiedlichen Hervorgängen drücken Zeugung und Hauchung ewige Beziehungen aus, Sendung und Gabe, die auf die Empfänger in der Zeit ausgerichtet sind, zeitliche Beziehungen. Hervorgang und Geben können sowohl ewig sein (in der Beziehung der göttlichen Personen) als auch zeitlich (in der Beziehung zu denen, die die Sendung des Sohnes und die Gabe des Heiligen Geistes empfangen). Während Gott schon vor den heilsgeschichtlichen Sendungen in allen geschaffenen Dingen als modus essendi (»die Ursache ihres Daseins«) gegenwärtig ist, ist er in den Sendungen in einer neuen Weise anwesend. Für die rationalen Geschöpfe ist er da als Erkenntnisinhalt im Erkennenden und als Geliebter im Liebenden. Diese neue Weise der Gegenwart des dreieinigen Gottes ist nichts anderes als die gratia gratum faciens (»heiligmachende Gnade«, STh I q. 43 a. 3; Ed. Leonina 4, 448). Für den Vater in seiner eigentümlichen Ursprungslosigkeit als Prinzip ohne übergeordnetes Prinzip ist es nicht conveniens (»angemessen«), gesandt zu werden, ist es angemessen, dass er gesandt wird, sichtbar in der Inkarnation und – wie der Heilige Geist – unsichtbar im Geschenk der Gnade. Die Sendung des Sohnes erfolgt im Modus der Weisheit, die Sendung des Heiligen Geistes im Modus der Liebe. In der Seele eines rationalen Geschöpfs bewirkt das die assimilatio (»Angleichung«) an die göttliche Person durch die Gnadengabe: Durch die Erleuchtung des Geistes durch
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das Wort, die sich im Affekt der Liebe, der Gabe des Geistes, fortsetzt. Dennoch bestehen zwischen der Sendung des Sohnes und des Heiligen Geistes auch Unterschiede, die in ihrer personalen Eigentümlichkeit und ihrer Funktion in der Heils ökonomie begründet sind. Der Sohn ist sichtbar gesandt als der auctor sanctifi cationis (»Urheber der Heiligung«, STh I q. 43 a. 7; Ed. Leonina 4, 452), der Geist als indicium (»Kennzeichen«) der Heiligung, das im Geschaffenen durch Zeichen seiner Wirksamkeit präsent werden kann. Für den Sohn ist es angemessen, dass er in der Inkarnation ein sichtbares menschliches Geschöpf in der Einheit seiner Person annimmt, so dass in der Einheit der Person über beide dieselben Aussagen gemacht werden können. Weil der Heilige Geist sichtbare Geschöpfe nicht angenommen hat, kann von ihm nicht prädiziert werden, was von den Geschöpfen ausgesagt werden kann. Diese Unterschiede werden jedoch umfasst von der relationalen Struktur und der einheitlichen Pointe der Heilsgeschichte. Die Struktur der Heilsgeschichte besteht darin, dass Spiritus Sanctus manifestet Filium, sicut Filius Patrem (»Der Heilige Geist den Sohn manifestiert, der Sohn aber den Vater«, STh I q. 43 a. 7; Ed. Leonina 4, 252 f.). Das gemeinsame Ziel besteht darin, dass andere, also rationale Geschöpfe ad similitudinem unigeniti alii regenerentur (»zur Ähnlichkeit des eingeborenen Sohnes verwandelt werden«, ebd.). Aus der Erörterung der innertrinitarischen Beziehungen wird so die Basis der theologischen Anthropologie, der theologischen Ethik als Gnadenlehre und der Eschatologie entwickelt. 3.4. Trinitarische Theologie als Entfaltung der Trinitätslehre
Die Kritik an der Stellung und Konzeption der Trinitätslehre des Thomas hat in den letzten vierzig Jahren die Trinitätslehre zu einem Schwerpunkt der Thomasforschung gemacht. Dabei ist die konstitutive Stellung der Trinitätslehre für das theologische System des Thomas und für das Verständnis der Zuordnung von natürlicher Vernunft und geoffenbarter Wahrheit neu bestimmt worden. Entscheidend dafür ist die Einsicht, dass die Stellung der Trinitätslehre als Integral des theologischen Systems aus der Interpretation ihrer Konzeption gewonnen werden kann. Damit wird die Trinitätslehre nicht nur für Dogmatik und Ethik, sondern auch für eine Theologie der Religionen relevant, die das explizite und implizite Gespräch, das Thomas mit jüdischen und anderen Gelehrten seiner Zeit führte, für die gegenwärtige Theologie neu fruchtbar macht (vgl. Min, Paths). Die Renaissance trinitarischer Theologie, die in der Kritik an der neuthomistischen Behandlung der Trinitätslehre einen ihrer wichtigsten Impulse hatte, hat durch die historische und systematische Rekonstruktion der Trinitätslehre des Aquinaten eine der wichtigsten Ressourcen für die konstruktive Entfaltung der Trinitätslehre als des konzeptionellen Integrals einer trinitarischen Theologie wiederentdeckt (vgl. Schwöbel).
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Emery, Gilles: The Trinitarian Theology of Saint Thomas Aquinas. Translated by Francesca Aran Murphy, Oxford 2007 (frz. Orig.: Paris 2004). Emery, Gilles: Trinity in Aquinas, Ypsilanti 2003. Min, Anselm Kyongsuk: Paths to the Triune God: An Encounter between Aquinas and Recent Theologies, Notre Dame 2005. Rahner, Karl: Der dreifaltige Gott als transzendenter Urgrund der Heilsgeschichte, in: Mysterium Salutis. Grundriss heilsgeschichtlicher Dogmatik, hg. von Johannes Feiner und Magnus Löhrer, Bd. 2: Die Heilsgeschichte vor Christus, Einsiedeln/Zürich/Köln 1967, 317–401. Smith, Timothy L.: Thomas Aquinas’ Trinitarian Theology. A Study in Theological Method, Washington D.C. 2003. Christoph Schwöbel
4. Gottesbeweise 4.1. Vorüberlegungen
Im Begriff des Gottesbeweises müssen, um ihn zu verstehen, seine beiden Bestandteile, der Begriff des Beweises und der Begriff Gottes geklärt werden. a. Gottesbeweise sind Existenzbeweise, sie erheben den Anspruch, die Existenz eines Gegenstandes, der Gott genannt wird, zu beweisen. Was beweisen heißt, hängt vom jeweiligen Begriff des Beweises und von den Kriterien für einen Beweis ab. Zur Grundbedeutung des Begriffs des Beweises gehört, dass er ein Verfahren darstellt, das die Wahrheit einer Aussage unterstützt, sie also plausibel erscheinen lässt, und/oder ihr eine Begründung gibt, die sie rechtfertigt. Der Beweis kann also ein Plausibilitäts- und Überzeugungsbeweis sein, der zeigt, dass ein Satz wahr ist, oder ein Begründungsbeweis, der zeigt, warum der Satz wahr ist (Morscher, Gottesbeweise, 106). Das Verfahren, wie Überzeugung oder Begründung erreicht werden können, hängt von den jeweiligen Kriterien für Überzeugung oder Begründung ab, die aus der entsprechenden Wissenschaftstheorie stammen. Der Begründungsbeweis ist ein deduktiver Beweis, weil er als Prämisse einen Allsatz hat, der z. B. eine Ursache mit ihrer Wirkung verbindet, und weil er dann aus der Existenz der Ursache auf die Existenz der Wirkung schließt, also die Wirkung (W) aus der Ursache (U) ableitet (∀xy(∃xUx→∃yWy); ∃xUx→∃yWy; ∃yWy. Beispiel: Immer wenn es Regen gibt, gibt es Nässe; es gibt Regen, also gibt es Nässe.). Der Überzeugungsbeweis ist ein induktiver Beweis, der aus der Existenz der Wirkungen auf die Existenz der Ursache zurückschließt und dabei den Allsatz über die Verbindung von Ursache und Wirkungen voraussetzt, aber nur eine Möglichkeit (M) der Existenz der Ursache begründen kann (∀xy(∃xUx→ ∃yWy); ∃yWy→M∃xUx; M∃xUx. Beispiel: Immer wenn es Regen gibt, gibt es Nässe; es gibt Nässe, also gab es möglicherweise Regen). Der induktive Beweis könnte aber auch mit einer die Wirkungen mit einer Ursache verknüpfenden Prämisse gebildet werden und wäre dann formal vom deduktiven Beweis nicht mehr zu unterscheiden, da sein Resultat nicht nur möglich, sondern deduktiv abgelei-
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tet ist (∀xy(∃xWx→∃yUy); ∃xWx→∃yUy; ∃yUy. Beispiel: Immer wenn es Nässe gibt, gab es Regen; es gibt Nässe, also gab es Regen). Diese Form des induktiven Beweises setzt aber eine vollständige Induktion der Zurückführung aller Fälle der Wirkungen auf die eine Ursache voraus, also eine induktiv vollständige Bestätigung des Allsatzes. Dies ist empirisch unmöglich, da es nie ausgeschlossen werden kann, dass auch eine andere Ursache die Wirkung hervorbringen kann, es sei denn, Ursache und Wirkung wären äquivalent. b. Der Begriff Gottes bezeichnet im Begriff des Gottesbeweises den Gegenstand des Beweises, der, da jeder Beweis die Wahrheit eines Satzes nachweisen will, kein Einzelding meinen kann, sondern in abgekürzter Weise einen Satz, eine Aussage über einen Einzelgegenstand, der Gott genannt wird, nämlich die Aussage der Existenz Gottes. Für den Gottesbeweis ist also nicht das Einzelding »Gott« Gegenstand, sondern die Aussage seiner Existenz. In der Aussage über seine Existenz ist das Einzelding »Gott« Gegenstand. Obwohl sich ein Gottesbeweis nur indirekt über seinen Gegenstand, die Existenzaussage, auf Gott als Einzelding bezieht, muss geklärt werden, was unter Gott zu verstehen sei, um einen Beweis für seine Existenz führen oder verstehen zu können. Außerdem muss geklärt werden, was unter Existenz zu verstehen sei. Denn bevor die Wahrheit einer Aussage verteidigt werden kann, muss klar sein, was die Aussage meint. Aus diesem Klärungsbedarf folgen drei Fragen an einen Gottesbeweis: 1. Was heißt Beweis? 2. Was heißt Existenz? 3. Was heißt Gott? Die Autoren von Gottesbeweisen müssen mit diesen drei Fragen konfrontiert werden und auf sie antworten können, soll ihr Beweisversuch verständlich sein. 4.2. Klärung der Grundbegriffe für die Gottesbeweise bei Thomas
a. Da die Theologie für Thomas eine Wissenschaft ist (STh I q. 1 a. 3; Ed. Leonina 4, 11 f.), die argumentativ verfährt (a. a. O. a. 8; Ed. Leonina 4, 21 f.), kann und muss sie den Beweis benutzen, um ihre Aussagen zu stützen. Wie die Metaphysik argumentiert die Theologie gegen diejenigen, die ihre nur aus der Offenbarung zu gewinnenden Prinzipien leugnen, indem sie nachweist, dass sie sich widersprechen, wenn sie das eine Prinzip aus der Offenbarung annehmen, das andere aber ablehnen. Die Theologie benutzt also den indirekten Beweis, der aus den falschen Konsequenzen der Negation einer Aussage auf ihre Wahrheit schließt. Da der Glaube sich auf unfehlbare Wahrheit stütze, könne es keinen Beweis für das Gegenteil der Wahrheit geben (a. a. O. r.). Thomas unterscheidet zwei Arten des Beweises: demonstratio propter quid (Beweis durch die Ursache des zu Beweisenden), also den Begründungsbeweis, und demonstratio quia (Beweis aus den Wirkungen des zu Beweisenden, Überzeugungsbeweis). Der erste erschließt das zu Beweisende aus diesem an sich Vorangehenden, aus seiner Ursache, der zweite Beweis aus dem, was für den Beweisenden dem zu Beweisenden vorangeht, den Folgen, den Wirkungen der Ursache.
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Das setzt voraus, dass aus einer Wirkung auf ihre Ursache geschlossen werden kann (STh I q. 2 a. 2, r.; Ed. Leonina 4, 30). Die Unterscheidung geht auf Aristoteles’ Zweite Analytik zurück (78a–79a). Beim Gottesbeweis stellt sich also die Frage, ob er ein direkter oder indirekter Beweis ist und ob er ein Begründungs- oder ein Überzeugungsbeweis, bzw. ein deduktiver oder ein induktiver Beweis ist. b. Was bedeutet für Thomas Existenz? Das Sein (esse) ist das, was allem am innerlichsten ist und allen am tiefsten zukommt, weshalb es formal allem zukommt, das in Wirklichkeit ist (STh I q. 8 a. 1, r.; Ed. Leonina 4, 82). Das Sein ist die Verwirklichung (actualitas) einer Form oder Natur (STh I q. 3 a. 4, r.; Ed. Leonina 4, 42). Insofern unterscheidet sich das Sein vom Wesen (essentia), das auch potentiell sein kann. Es gibt ein Sein durch Teilhabe am Sein als solchem, das Seiende. Das Sein verleiht also dem Seienden Wirklichkeit, Aktualität. Thomas unterscheidet zwei Verständnisweisen von Existenz: Das Sein kann den Akt des Wirklichseins (actus essendi), der durch die zehn Kategorien bestimmt ist, oder die Wahrheit der Zusammensetzung von Subjekt und Prädikat im Aussagesatz bedeuten (STh I q. 3 a. 4 ad 2; Ed. Leonina 4, 42b; De ente, 1; Ed. Leonina 43, 369a). In welchem Sinn kann von einem Sein Gottes gesprochen werden? c. Was versteht Thomas unter Gott? Thomas nennt Gott häufig die erste Ursache (causa prima) (z. B. De ente, 4; Ed. Leonina 43, 377a; STh I q. 2 a. 3; Ed. Leonina 4, 31b; q. 3, a. 4; Ed. Leonina 4, 42a). Das geht auf Aristoteles’ Vorstellung vom ersten Bewegenden zurück, das nicht bewegt wird, aber selbst anderes bewegt, und ewig ist (Met. 12, 1072a). Thomas spricht auch vom ersten Prinzip (primum principium) (De ente, 4; Ed. Leonina 43, 376a; STh I q. 44 a. 3 ad 2; Ed. Leonina 4, 458b), vom ersten Seienden (Scg. I, 14. 22; Ed. Leonina 13, 40a. 69a; STh I q. 3 a. 4; Ed. Leonina 4, 42b), von der ersten einfachen Substanz (De ente, 1; Ed. Leonina 43, 370a). In Gott sind Sein und Wesen identisch, aber nicht so, dass er nur Sein wäre, sonst wäre er das allem endlichen Seienden zukommende Sein, sondern er ist das reine Sein, das sich vom Sein aller anderen Dinge unterscheidet (De ente, 6; Ed. Leonina 43, 379–381; Scg. I, c. 22; Ed. Leonina 13, 68 f.; STh I q. 3 a. 4; Ed. Leonina 4, 42). Gott könne, so Thomas, nicht seinem Wesen nach erkannt werden, sondern nur aus seinen Wirkungen und Taten. Diese Erkenntnis Gottes müsse von den Wirkungen auf die Ursache zurückschließen, jedoch nicht direkt, sondern auf dem Umweg über das Geschaffene, das endliche Eigenschaften habe, die Gott nicht zukommen. Deshalb sei es notwendig, diesen Rückschluss nach Pseudo-Dionysius auf dreierlei Weise zu vollziehen, durch Verneinung der endlichen Eigenschaften, durch ihre Übersteigerung und durch den Schluss von einer endlichen Wirkung auf eine unendliche Ursache. Das Wort »Gott« könne demnach nicht definiert werden, da es nicht das göttliche Wesen an sich meine, sondern es sei ein Wort, das eine Handlung ausdrückt (nomen operationis), nämlich die allumfassende Macht über die Dinge (universalis rerum providentia). Im Unterschied zu den endlichen Dingen, deren Begriff nach Aristoteles (Met. 4, 1012a21) die
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Definition ist, bezeichnet das Wort »Gott« nicht seine Definition, sondern nur sein Wesen in der Brechung der Negation oder der Analogie. So kann es als Allgemeinbegriff, der nicht die Eigenschaften von Gattung oder Art hat, aber auch kein Eigenname ist, die Natur Gottes für uns bezeichnen (Scg. I, 14. 30; Ed. Leonina 13, 40 f. 92–94; STh I q. 13 a. 1. 5. 8. 9. 10; Ed. Leonina 4, 139–161). 4.3. Die theologische Bedeutung der Gottesbeweise nach Thomas
a. Für Thomas ist es notwendig, dass es über die Weltwissenschaften (philosophicae disciplinae) hinaus eine Wissenschaft gebe, die auf der Offenbarung Gottes beruhe, eine heilige Lehre (sacra doctrina), die das Vermögen der menschlichen Vernunft übersteige. Diese Lehre sei notwendig, da der Mensch auf Gott als sein Ziel hingeordnet sei, dieses Ziel aber mit den Mitteln der Vernunft nicht erkennen könne. Auch die Begrenztheit der menschlichen Verstandeskräfte und die Endlichkeit des menschlichen Geistes machten eine Offenbarung notwendig, um den Menschen zum Heil zu führen. Neben dieser offenbarungsgestützten Theologie gebe es aber auch eine philosophische Theologie, die sich auf die Vernunft gründe (STh I q. 1 a. 1; Ed. Leonina 4 , 6b). Die Theologie sei eine Wissenschaft, die ihre Prinzipien nicht in sich selbst enthalte, wie die theoretischen philosophischen Wissenschaften, die ihre Prinzipien aus dem natürlichen Verstand gewinnen, sondern die einer anderen, höheren Wissenschaft, derjenigen Gottes und der Seligen (scientia Dei et beatorum), untergeordnet sei (Subalternation) (STh I q. 1 a. 2; Ed. Leonina 4, 9a). Die Einheit der Theologie als Wissenschaft beruhe auf ihrem einheitlichen Formalobjekt, der göttlichen Offenbarung, nicht in inhaltlicher Weise, sondern in formaler Hinsicht als durch Gott vermitteltes Wissen (STh I q. 1 a. 3; Ed. Leonina 4, 12a). Die Theologie betrachte nur etwas, insofern es göttlich geoffenbart ist (secundum quod sunt divinitus revelata). Dies bedeutet, dass die Theologie nicht die Weltdinge in gleicher Weise wie Gott behandelt, sondern nur insofern, als sie auf Gott als ihren Ursprung und ihr Ziel bezogen sind (a. a. O. ad 1; Ed. Leonina 4, 12). b. Gott ist der erste und einzige Gegenstand der Theologie, weshalb sie auch Rede von Gott (sermo de Deo) heißt. Denn alles werde in der Theologie im Hinblick auf Gott (sub ratione Dei) behandelt, entweder weil es Gott sei oder weil es auf Gott hingeordnet sei. Obwohl Gott nicht definiert werden könne und es kein Wissen von seinem Wesen an sich geben könne, könnten seine Wirkungen sowohl der Natur als auch der Gnade anstelle einer Wesensbestimmung oder Definition verwendet und der Argumentation als Statthalter eines Begriffs zugrunde gelegt werden (STh I q. 1 a. 7; Ed. Leonina 4, 19b). Diese Bestimmung Gottes geschieht also mit einer Kennzeichnung, die sagt, Gott sei das, von dem gilt, es sei die erste Ursache usw. c. Die Theologie behandelt also zuerst mit Hilfe einer Kennzeichnung Gottes sein Wesen. Die erste Frage, die sich dabei stellt, ist die, ob so etwas, das Gott
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genannt wird, existiert, also die Frage nach seiner Existenz (STh I q. 2 div.; Ed. Leonina 4, 27b). Der Versuch, die Existenz Gottes zu beweisen, stellt also das notwendige Fundament der gesamten Theologie dar. Wenn diese Frage nicht beantwortet werden könnte, hinge das ganze Unternehmen der Theologie in der Luft (Scg. I c. 9; Ed. Leonina 13, 22b). Die Theologie entfalte also die Gotteserkenntnis nach ihren Möglichkeiten, einerseits durch rationale Methoden, andererseits durch Bezug auf Offenbarung bzw. Autorität und durch Widerlegung von Einwänden dagegen vermittelst indirekter Beweise (Scg. I c. 9; Ed. Leonina 13, 22). Das erste Ziel der Gotteserkenntnis müsse es sein, die Existenz Gottes zu beweisen. 4.4. Die Möglichkeit des Gottesbeweises
a. Beweisbarkeit der Existenz Gottes: Thomas erörtert mögliche Einwände gegen eine Beweisbarkeit der Existenz Gottes. Es gebe Autoren, wie Moses Maimonides, die behaupteten, Gottes Existenz sei nicht rational zu beweisen, da sie eine Einsicht des Glaubens sei, der sich auf das Unsichtbare beziehe, so dass die Existenz Gottes nur auf dem Wege des Glaubens und der Offenbarung angenommen werden könne (Scg. I c. 12; Ed. Leonina 13, 28a.; STh I q. 2 a. 2, 1; Ed. Leonina 4, 30a). Thomas wendet dagegen ein, dass die Aussage der Existenz Gottes kein Glaubenssatz sei, sondern zu den Voraussetzungen des Glaubens (praeambula ad articulos fidei) gehöre. Der Glaube setze die natürliche Erkenntnis Gottes voraus, wie die Gnade die Natur voraussetze (STh I q. 2 a. 2 ad 1; Ed. Leonina 4, 30b). Der zweite Einwand ergibt sich aus der Unkenntnis des Menschen vom Wesen Gottes. Wenn Gottes Wesen nicht bekannt sei, könne seine Existenz nicht bewiesen werden. Obwohl Thomas zugesteht, dass uns das Wesen Gottes nicht zugänglich sei, schließe das die Beweisbarkeit der Existenz Gottes nicht aus. Ein Dass-Beweis sei möglich, der sich wohl nicht auf das Wesen, aber auf die Wirkungen Gottes beziehe. Die Wirkungen würden anstelle der Definition oder Wesensbestimmung der Ursache genommen, um die Existenz der Ursache zu beweisen. Dafür reiche es vorauszusetzen, was der Name Gottes bedeute, nicht aber sein Wesen zu kennen. Denn die Frage nach dem Wesen folge der Frage nach dem Sein. Die Namen Gottes bezeichneten seine Wirkungen in der Welt, so dass auf diesem Wege ein Beweis der Existenz Gottes möglich sei (Scg. I c. 12; Ed. Leonina 13, 29b; STh I q. 2 a. 2, 2; Ed. Leonina 4, 30a). Der dritte Einwand gegen eine Beweisbarkeit der Existenz Gottes setzt dies schon voraus, gibt aber zu bedenken, dass die Wirkungen Gottes ihm nicht entsprächen, weil sie endliche seien, er selbst aber unendlich. Der unendliche Gott übersteige alle endlichen, sinnlichen Vermittlungsweisen. Thomas stellt aber klar, dass der Ursprung der Erkenntnis dessen, was über das Endliche und Sinnliche hinausgeht, im Endlichen und Sinnlichen liegen müsse. Andererseits gesteht er zu, dass diese Erkenntnis nicht vollkommen sei (Scg. I, 12; Ed. Leonina 13, 29b; STh I q. 2 a. 2, 3; Ed. Leonina 4, 30a).
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b. Obwohl bei Gott Sein und Wesen zusammenfallen, sein Sein sein Wesen ist, in ihm Akt und Potenz nicht unterschieden werden können, da Gott das reine Sein und als solches das reine Wesen ist, ist doch für die Menschen nur sein Sein, nicht sein Wesen an sich erkennbar. Allerdings ist auch Gottes Sein nicht schlechthin und an sich erkennbar, sondern nur, insofern es die Wahrheit einer Aussage über Gottes Existenz ist: wir können nicht Gottes Sein an sich erkennen, aber wir können wissen, dass der Satz: Gott existiert, wahr ist. Die Wahrheit dieses Satzes wird aus den Wirkungen Gottes in der Welt erschlossen (STh I q. 3 a. 4, ad 2; Ed. Leonina 4, 42b). Gottes Sein ist für uns nicht kategorial bestimmbar wie das Sein der endlichen Dinge, sondern nur logisch-semantisch in einer Existenzaussage. Die Identität von Sein und Wesen in Gott schließe nicht die Beweisbarkeit seiner Existenz aus, da sie sich auf das Sein Gottes an sich beziehe. Von dem Sein, das in der Aussage zur Darstellung kommt, also dem Sein für uns, gelte diese Identität nicht. So sei das Sein Gottes beweisbar, indem Beweisgründe gefunden würden, die den Satz, dass Gott existiert, als wahr erweisen (Scg. I c. 12; Ed. Leonina 13, 29a). c. Da Gottes Wesen an sich unerkennbar bleibt und von ihm keine Gattung und keine Artbestimmung angegeben werden können, kann dem Gottesbeweis keine Definition Gottes zugrunde gelegt werden. Da Gottes Sein sein Wesen sei, müsste das Seiende die Gattung sein, unter die er falle. Das Seiende könne aber nach Aristoteles nicht eine Gattung sein, da jede Gattung Artbestimmungen unter sich enthalte, die außerhalb des Wesens der Gattung stünden, aber keine Artbestimmung zu finden sei, die außerhalb des Seienden wäre. Also falle Gott nicht unter einen Gattungsbegriff (STh I q. 3 a. 5, r.; Ed. Leonina 4, 43b). Dies schlösse eine Beweisbarkeit der Existenz Gottes aus, da der Mittelbegriff eines Beweises eine Definition des zu Beweisenden sein müsste. Da aber anstelle der Definition Gottes seine Wirkungen treten, sei ein Beweis möglich. d. Beweisbar sei, so Thomas, nicht das Sein, die Existenz Gottes an sich, sondern nur für uns. Die Wirklichkeit des Seins Gottes (actus essendi), die mit seinem Wesen zusammenfällt, sei an sich unerkennbar und deshalb unbeweisbar. Dem Sein für uns nach aber, das sich in der Aussage durch Verbindung von Subjekt und Prädikat darstellt, sei die Existenz Gottes beweisbar, insofern die Wahrheit der Aussage erwiesen werden könne (Scg. I c. 12; Ed. Leonina 13, 29a; STh I q. 3 a. 4 ad 2; Ed. Leonina 4, 42b). Die Beweisbarkeit der Existenz Gottes setzt somit einen logisch-semantischen Begriff der Existenz voraus. Sie gründet nicht auf einer Definition Gottes, sondern auf dessen Kennzeichnung durch seine Wirkungen. Sie setzt die Möglichkeit des Schlusses von den Wirkungen auf ihre Ursache voraus. Sie führt nicht zu einem Begründungsbeweis, einem deduktiven Beweis, sondern nur zu einem Überzeugungsbeweis, einem induktiven Beweis.
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4.5. Die Notwendigkeit des Gottesbeweises
Nachdem gezeigt worden ist, dass ein Gottesbeweis möglich sei, stellt sich die Frage, ob er auch notwendig sei. Dies scheint für diejenigen nicht der Fall zu sein, die annehmen, Gottes Existenz sei evident, sie sei von sich her unmittelbar bekannt (per se notum). Thomas führt drei Typen dieser Argumentation an. Der erste, vertreten durch Johannes Damascenus, gehe davon aus, dass das evident sei, dessen Erkenntnis allen von Natur aus gegeben sei, wie es bei den ersten Prinzipien der Fall sei. Das gelte auch vom Wissen von Gottes Existenz. Also sei es evident, dass Gott existiert. Das habe seinen Grund darin, dass das Streben des Menschen von Natur aus auf Gott als seinem letzten Ziel gerichtet sei (Scg. I c. 10; Ed. Leonina 13, 23b; STh I q. 2 a. 1 ad 1; Ed. Leonina 4, 28a). Es sei wohl wahr, so Thomas, dass der Mensch nach Gott als seiner Glückseligkeit von Natur aus strebe und dass er das, wonach er strebe, auch von Natur aus erkenne. Das bedeute aber nicht, schlechthin zu erkennen, dass Gott existiere. Denn die angestrebte Glückseligkeit habe nur eine Ähnlichkeit mit Gott selbst. Also sei es notwendig, dass der Mensch auf schlussfolgerndem Wege über diese Ähnlichkeit Gottes in seinen Wirkungen zur Erkenntnis Gottes gelange (Scg. I c. 11; Ed. Leonina 13, 25b; STh I q. 2 a. 1 ad 1; Ed. Leonina 4, 28a). Der zweite Typ der Argumentation gegen die Notwendigkeit eines Gottesbeweises und für die Annahme, die Existenz Gottes sei evident, ist logisch-semantisch. Er geht davon aus, dass alles das evident ist und von sich aus bekannt, was aus den Begriffen, wenn ihre Bedeutung erfasst wird, abgeleitet werden kann (quae statim cognitis terminis cognoscuntur). Die ersten Prinzipien des Beweisens sind nach Aristoteles (Anal. Post. I, 3, 4; 72b18) von dieser Art. Wenn verstanden werde, was ein Teil ist und was das Ganze ist, dann wisse man von selbst, dass das Ganze größer als der Teil ist. Ebenso verhalte es sich mit der Aussage, dass Gott existiere. Denn sobald verstanden werde, was das Wort »Gott« bedeutet, stelle sich von selbst die Erkenntnis ein, dass Gott existiere. Bei der Bestimmung der Bedeutung des Wortes »Gott« bezieht sich Thomas auf Anselm von Canterbury, der in seinem Proslogion Gott als das bezeichnet hatte, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden könne. Er übernimmt in der Scg. (I c. 10; Ed. Leonina 13, 23a) diese Formel (aliquid quo maius cogitari non potest), wandelt sie aber in der STh (I q. 2 a. 1, 2; Ed. Leonina 4, 27a) ab, wenn er sagt, das Wort »Gott« bezeichne das, über das nichts Größeres bezeichnet werden könne (id quo maius significari non potest). Dadurch wird der semantische Aspekt verstärkt, der bei Anselm noch dem kognitiven untergeordnet war. Wenn also jemand diese Bedeutung erfasst habe, dann existiere Gott in seinem Verstand. Da aber die wirkliche Existenz größer sei als die bloße Existenz im Verstand, müsse Gott der Bedeutung des Wortes entsprechend nicht nur im Verstand, sondern auch in der Wirklichkeit existieren. Deshalb sei die Existenz Gottes aufgrund der Bedeutung des Wortes »Gott« unmittelbar evident und an sich bekannt.
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ußerdem sei in dem Satz ›Gott existiert‹ das Prädikat identisch mit dem SubA jekt bzw. in der Bedeutung des Subjekts eingeschlossen, es handele sich also um eine analytische Aussage. Gegen diesen Typ der Behauptung der Evidenz der Existenz Gottes wendet Thomas ein, dass die Voraussetzung nicht gegeben sei, dass nämlich jeder, der das Wort »Gott« hört und versteht, darunter das versteht, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden könne. Denn es habe Menschen gegeben, die Gott für die Welt oder etwas Körperliches gehalten hätten. Aber auch wenn es so sei, dass jeder unter Gott die genannte Bestimmung verstehe, lasse sich daraus nicht seine Existenz als evident erschließen, da aus dem Verstehen nur das Sein im Verstand folge. Die Verneinung der Existenz Gottes brächte keinen Widerspruch hervor, es sei denn, die Annahme der Existenz würde schon vorausgesetzt. Die Behauptung der Evidenz von Gottes Existenz wäre also eine Petitio principii (Scg. I c. 10. 11; Ed. Leonina 13, 23–28; STh I q. 2 a. 2,2 und ad 2; Ed. Leonina 4, 30). Der anselmische, logisch-semantische Typ der Existenzbehauptung scheitert ebenso wie der damascenische, naturalistische Typ. Der dritte Typ einer Annahme der Evidenz der Existenz Gottes ist der augustinische, der mit der Identität von Gott und Wahrheit argumentiert (De vera religione 31,57; 39,72; Soliloquia 2,1–2). Da die Existenz der Wahrheit evident sei, sei auch die Existenz Gottes evident. Die Evidenz der Existenz der Wahrheit zeige sich daran, dass auch ihre Leugnung das Geleugnete voraussetzen muss, insofern sie einen Wahrheitsanspruch erhebt. Denn wenn die Wahrheit nicht existiere, sei es jedenfalls wahr, dass die Wahrheit nicht existiere. Daraus sei ersichtlich, dass Wahrheit existiere. Thomas gibt zu, dass es evident sei, dass Wahrheit existiere. Aber er bestreitet die schlechthinnige Identität von Wahrheit und Gott und weist darauf hin, dass die Existenz Gottes als die erste Wahrheit für uns nicht evident sei (STh I q. 2 a. 2, 3 und ad 3; Ed. Leonina 4, 30). Thomas nennt nur für den ersten Typ den Hauptvertreter, Anselm und Augustin nennt er nicht als Vertreter der beiden anderen Typen. Er wendet gegen alle drei Typen ein, dass das Gegenteil einer evidenten Wahrheit nicht gedacht werden könne, wie Aristoteles über die ersten Prinzipien des Beweisens sage. Die Nichtexistenz Gottes könne aber sehr wohl gedacht werden, wie Ps 52,1 zeige. Da alle drei Typen des Nachweises einer Evidenz der Existenzannahme Gottes scheitern, erweist sich ein Beweis der Existenz Gottes als notwendig. Thomas führt nun die Auffassung, die Existenz Gottes sei evident, auf einen genetischen und auf einen gnoseologischen Grund zurück. Der genetische Grund bestehe in der Gewohnheit der Menschen, unter Gott das zu verstehen, was auch notwendigerweise existiert, so dass die Gewohnheit den Schein der Natur annehme. Der gnoseologische Grund bestehe in der Nichtunterscheidung zweier Weisen von Evidenz, nämlich der Evidenz schlechthin an sich und der Evidenz in Bezug auf uns (Scg. I c. 11; Ed. Leonina 13, 24a: notum per se simpliciter/ quoad nos per se notum). Auf die erste Weise sind alle analytischen Aussagen evident, da sich ihre Wahrheit aus der Bedeutung von Subjekt und Prädikat unmittelbar er-
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gibt. Es könne aber Aussagen geben, die, obwohl sie analytisch wahr sind, doch nicht für diejenigen evident sind, die die Bedeutung ihrer Termini nicht hinreichend kennen. Es hänge also vom jeweiligen semantischen Wissen ab, ob diese Aussagen evident sind. Dafür gebe Boethius in De hebdomadibus Beispiele. Die Aussage der Existenz Gottes gehöre zu dieser Klasse von Aussagen. Denn obwohl sie an sich evident sei, weil Gottes Wesen das Sein einschließe, sei sie doch für unsere Erkenntnisfähigkeit, dem die volle Einsicht in Gottes Wesen verwehrt sei und dem die volle Kenntnis der Bedeutung des Wortes »Gott« im Hinblick auf das Wesen Gottes verschlossen sei, nicht evident. Deshalb sei ein Beweis für uns notwendig (STh I q. 2. a. 2, r.; Ed. Leonina 4, 30). 4.6. Die Durchführung der Gottesbeweise
Die Beweise für die Existenz Gottes finden sich bei Thomas in Scg. I c. 13 (Ed. Leonina 13, 30–34) und in der STh I q. 2 a. 3 (Ed. Leonina 4, 31 f.). Es handelt sich jeweils um fünf Beweisversuche, die aber nicht genau einander entsprechen. In der Scg. will Thomas Gründe (rationes) zusammenstellen, mit denen sowohl die Philosophen als auch die katholischen Lehrer Gottes Existenz bewiesen haben, er geht also gewissermaßen historisch vor, indem er sich auf bisherige Beweisversuche bezieht. In der STh hingegen verfährt Thomas eher systematisch, wenn er feststellt, dass die Existenz Gottes auf fünf Wegen bewiesen werden könne (quinque viis probari potest). Allerdings gibt er auch hier kein Prinzip an, aus dem diese fünf Beweise abgeleitet werden könnten, so dass sie in beiden Fällen induktiv erhoben zu sein scheinen. Da die quinque viae, die fünf Wege der STh, zum Inbegriff des thomasischen Gottesbeweises geworden sind, sollen die Gottesbeweise an ihrem Leitfaden dargestellt werden. 4.6.1. Der erste und, wie Thomas sagt, offensichtlichste Weg zur Einsicht in die Existenz Gottes bezieht sich auf die Bewegung oder allgemeiner auf die Veränderung. Gemäß der induktiven Methode der Beweise knüpft Thomas an die Erfahrung, die Sinneswahrnehmung an, die zeige, dass in der Welt Bewegung bzw. Veränderung vor sich gehe. Diese Beobachtung verbindet Thomas mit dem Axiom, dass alles, was bewegt wird, von einem anderen bewegt wird (omne quod movetur, ab alio movetur). Um das zu erläutern, definiert er die Bewegung bzw. Veränderung als die Überführung eines Möglichen in ein Wirkliches (de potentia in actum). Da es nicht möglich sei, dass etwas in derselben Hinsicht wirklich und möglich wäre, könne nicht dasselbe zugleich und in derselben Hinsicht das Bewegte und das Bewegende sein, also nicht sich selbst bewegen. Das Axiom mache es plausibel, dass das, was ein anderes bewegt, selbst von einem dritten bewegt wird und so fort. Diese Kette der Verursachung könne aber nicht ins Unendliche reichen (procedere in infinitum), da es sonst kein erstes Bewegendes, keine erste Ursache gäbe. Wenn es aber keine erste Ursache gäbe, dann gäbe es überhaupt keine Bewegung, überhaupt keine Veränderung, da diese eine erste Ursache vor-
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aussetzen. Also sei es notwendig, eine erste Ursache anzunehmen, die von nichts anderem verursacht sei. Dies verstünden alle unter Gott. Der erste Beweis operiert 1. mit einer empirischen Beobachtung (der Erfahrung von Veränderung), 2. einer Definition (der von Veränderung), 3. einem Axiom (dem Satz, dass alles durch anderes bewegt werde), 4. einem Postulat (dass es keinen unendlichen Regress bei der Ursachenkette geben könne). Der Beweis ist also voraussetzungsreich und keineswegs rein induktiv. Das in Anspruch genommene Axiom und das Postulat sind so stark, dass sie das induktive Moment in der Argumentation an den Rand drängen und ihr einen deduktiven Charakter geben. Auf die empirische Beobachtung könnte verzichtet werden. Das bedeutet aber, zumal nach Thomas der Gottesbeweis nicht deduktiv sein könne, dass auch seine induktive Durchführung scheitert und dass er nur um den Preis der petitio principii, des Zirkelschlusses, gelingt, also scheitert (Gegen Seidl, Gottesbeweise, Beilagen II und IV). Denn die Induktion ist nur eine scheinbare, da die das Ergebnis präjudizierenden Voraussetzungen das induktive Moment verdrängen. Ein induktiver Ansatz schließt es von vorneherein aus, die Ursachenkette durch eine erste Ursache abzuschließen, weil induktiv nie sicher sein kann, den Anfang der Kette erreicht zu haben. Dies wäre nur durch ein Postulat möglich. Das Postulat der Unmöglichkeit des unendlichen Regresses ist aber mit der Induktion unverträglich. Induktiv betrachtet müsste offengelassen werden, wie sich die Regression in der Ursachenkette vollzieht, und es dürfte nicht schon unterstellt werden, eine Bewegung, eine Veränderung und deren Ursachen, seien nicht möglich, wenn es nicht eine erste Ursache gäbe. Somit setzt dieser Beweisversuch der Existenz der ersten Ursache diese schon voraus und ist deshalb als Beweis wertlos. In der Scg. wird der Beweis aus der Bewegung bzw. Veränderung ausdrücklich auf Aristoteles (Phys. VII,1) zurückgeführt und in zwei Wege aufgeteilt. Innerhalb dieser Wege finden sich Varianten der Beweise, so beim ersten Weg die Annahme, dass ein das andere Bewegendes selbst nicht bewegt sei, so dass daraus unmittelbar die Existenz eines unbewegten Bewegers folge, und die andere Annahme, dass der Rückgang auf Bewegende nicht ins Unendliche fortgesetzt werden könne, es also ein erstes unbewegtes Bewegendes geben müsse. Die diesen beiden Beweisen zugrundeliegenden zwei Voraussetzungen, die in der STh als Axiome erscheinen, werden hier als ihrerseits zu beweisende Theoreme eingeführt. Das erste Theorem, das besagt, alles Bewegte werde durch anderes bewegt, beweise Aristoteles auf dreierlei Weise, indem er in Phys. VIII, 1.4.5 die Möglichkeit eines sich selbst Bewegenden widerlegt. Auch das zweite Theorem, das den infiniten Regress der Bewegungsursachen verbietet, begründe Aristoteles auf dreifache Weise in Phys. VII, 1.2.VIII, 5, so durch die Widersprüchlichkeit zwischen der angenommenen Unendlichkeit und der Endlichkeit der einzelnen Bewegungsereignisse und durch die Notwendigkeit eines ersten Bewegenden für die Bewegung überhaupt. Der zweite Weg, der mit der Bewegung argumentiert, geht ebenfalls von der Gültigkeit des Theorems aus, dass jedes Bewegte bewegt wird, und erklärt diesen
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Satz für notwendig wahr. Aristoteles halte es in Phys. VIII,2 für unmöglich, dass es irgendwann einmal keine Bewegung mehr gäbe. Deshalb sei der Beginn der Bewegung nicht kontingent, sondern notwendig. Allerdings, so Thomas, sei das Theorem nicht an sich wahr, da daraus Unmögliches folgen würde. So müsse es ein erstes Bewegendes geben, das seinerseits nicht bewegt werde. 4.6.2. Der zweite Weg des Gottesbeweises stützt sich nach der STh auf den Begriff der Wirkursache (causa efficiens). Auch hier wird von einer empirischen Beobachtung ausgegangen, dass nämlich im Sinnlichen eine gerichtete Ordnung von Wirkursachen, nicht jedoch etwas, das von sich selbst Wirkursache wäre, gefunden werde. Die Unmöglichkeit einer Selbstverursachung entspricht der im Axiom des ersten Beweises ausgesprochenen Notwendigkeit, dass jedes Bewegte durch anderes bewegt wird. Außerdem könne, so Thomas weiter, die geordnete Reihe der Wirkursachen nicht unendlich sein, es müsse eine erste Ursache geben, die die mittleren erzeuge, die wiederum die letzte der Reihe hervorbrächten. Das entspricht dem Postulat der Unmöglichkeit des infiniten Regresses im ersten Beweis. Wenn es also, so Thomas, keine erste Wirkursache gäbe, so auch keine mittlere oder letzte. Wenn bei den Wirkursachen unendlich zurückgeschritten werden könnte, gäbe es keine erste Ursache, keine mittleren Ursachen, aber auch keine letzte Wirkung. Da dies nicht sein könne, müsse eine erste Wirkursache angenommen werden. Auch hier im zweiten Beweisversuch wird der induktive Einsatz durch Axiome und Postulate in den Hintergrund gedrängt: die Induktion ist wieder nur ein Schein. Denn nicht durch Beobachtung, sondern durch Axiom und Postulat muss angenommen werden, dass keine Selbstverursachung und kein unendlicher Regress möglich ist. Die Folgerung aus der Nichtexistenz einer ersten Ursache auf die Unmöglichkeit von Ursachen überhaupt, ist nicht einleuchtend, da gerade induktiv eine Ursachenkette angenommen werden kann, ohne eine erste Ursache postulieren zu müssen. Induktiv könnte die Frage nach dem Anfang der Ursachenkette offengelassen werden. Dem Beweisversuch liegt der Fehlschluss zugrunde, der Verzicht auf die Annahme einer ersten Ursache beim unabgeschlossenen Rückgang auf Ursachen bedeute eine Verneinung von Ursachen überhaupt. Wenngleich es stimmt, dass die Aufhebung einer Ursache die Aufhebung ihrer Wirkung nach sich zieht (nach Scg.: remota causa, removetur id cuius est causa), kann daraus nicht der Schluss gezogen werden, die Aufhebung der ersten Ursache habe zur Folge, dass die mittleren Ursachen unmöglich würden (remoto primo, medium causa esse non poterit). Denn beim infiniten Regress auf die Annahme einer ersten Ursache zu verzichten, hieße noch nicht, damit jede Ursache, sondern nur eine Erstheit einer Ursache zu leugnen. Der zweite Weg ist im Wesentlichen eine Wiederholung des ersten Wegs mit dem Unterschied, dass der erste Weg sich auf die Bewegung, also eine Wirkung, der zweite Weg auf die Ursachen bezieht. Da aber Ursache und Wirkung immer zusammengehören, sind sie beide in beiden Beweisen gemeint.
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In der Scg. I c. 13 wird der Beweis aus den Ursachen auf Aristoteles, Met. 2, 994a5, zurückgeführt. Dort verknüpft Aristoteles selbst die Bewegung mit ihrer Verursachung und postuliert, dass die Ursachen der Bewegung keine unendlichen Reihen ausmachen könnten. Auch er meint, eine unendliche Ursachenreihe ohne erste Ursache sei ein Widerspruch, da ohne erste Ursache überhaupt keine Ursache möglich wäre (994a17). 4.6.3. Der dritte Weg stützt sich auf die Beobachtung, es gebe Dinge, die möglicherweise sind oder nicht sind (possibilia esse et non esse), was am Entstehen und Vergehen erkennbar sei. Aber es sei unmöglich, dass solche Dinge immer existierten. Denn das, bei dem es möglich sei, dass es nicht existiert, existiere einmal nicht (quod possibile est non esse, quandoque non est). Wenn alles einmal nicht sein könnte, habe es eine Zeit gegeben, in der es nichts gab. Dann aber gäbe es heute auch nichts, da aus dem Nichts nichts entstehen könnte. Da es aber offensichtlich etwas gebe, könnten nicht alle Dinge die Möglichkeit besitzen, auch nicht zu sein, es müsse vielmehr etwas Notwendiges geben. Jedes Notwendige habe eine Ursache außerhalb seiner selbst oder nicht. Auch hier sei es nicht möglich, ins Unendliche zurückzuschreiten. Also müsse ein durch sich selbst Notwendiges angenommen werden, das das erste sei und Ursache für alles andere Notwendige sei. Im dritten Weg wird aus der Unmöglichkeit, dass es nur Mögliches gäbe (das würde heißen, es gab einmal nur Nichts), auf die Notwendigkeit eines Notwendigen geschlossen, dessen Sein nicht nicht sein könne. Dieser Beweisversuch, der im zweiten Teil auf das Ergebnis der beiden ersten Beweise mit dem Postulat der Negation eines unendlichen Regresses zurückgreift, beruht auf einer Modallogik, für die die Möglichkeit (M) nicht in der Notwendigkeit (N) impliziert ist. Es gilt hier das Axiom, dass die Möglichkeit zum Nichtsein die zeitweilige Wirklichkeit des Nichtseins impliziere. (Statt N¬∃xfx →M¬∃xfx wird M¬∃xfx→¬∃xfx angenommen.) Dabei wird also verneint, dass es möglich wäre, ein Mögliches könne notwendigerweise sein, und postuliert, es müsse einmal nicht sein. Warum aber muss etwas, dessen Nichtexistenz grundsätzlich möglich ist, tatsächlich einmal nicht sein? Ist das nicht ein unzulässiger Sprung von der Möglichkeit in die Wirklichkeit? »Allen Arten der Modallogik gemeinsam ist, […] daß man von der möglichen Wahrheit einer Aussage nicht auf die tatsächliche Wahrheit der Aussage schließen kann« (Menne, Einführung in die formale Logik, 64). Thomas ignoriert die Feststellungen des Aristoteles in der Ersten Analytik 1, 15, 33b, dass, wenn etwas notwendig keinem oder nicht jedem zukommt, es möglich sei, dass es keinem oder nicht jedem zukommt, und in De int. 13, 23a, dass, da aus jedem Besonderen das Allgemeine folgt, aus dem Notwendigen das Mögliche folgt. Auch beim dritten Beweisversuch liegt ein Fehlschluss vor. Er beruht darauf, daß der Spezial- und Beispielfall einer Möglichkeit, das Entstehen und Vergehen, zum Paradigma der Möglichkeit erhoben wird und an ihm die Eigenschaften der Modalitäten abgelesen werden. Bei einem Ding, das entsteht und vergeht, kann es
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sinnvoll sein zu sagen, es müsse einmal nicht gewesen sein, und wenn es nur solche Dinge gäbe, dann müsse es einmal nichts gegeben haben. Dieses Verhalten ist aber nicht durch die bloßen Modalitäten bedingt, sondern durch den weiteren Faktor der Zeitlichkeit, der mit den Begriffen des Entstehens und Vergehens verbunden ist. Deshalb ist es unzulässig, von der Logik des Entstehens und Vergehens auf die Logik der Modalitäten zu schließen und von Möglichkeit und Notwendigkeit zu sprechen, so dass ein Notwendiges notwendig zu sein scheint. Die Logik des Entstehens und Vergehens lässt nur auf die Notwendigkeit eines Nicht entstandenen als des Anfangs der Entstehung schließen, nicht aber auf ein Notwendiges. Der Fehlschluss des dritten Beweisversuchs besteht also in der Verwechslung des Spezialfalls mit der allgemeinen Regel. Thomas beachtet nicht, dass Aristoteles in der Ersten Analytik 1, 15, 34a sagt: »Man muss aber das Unmögliche und Mögliche nicht nur auf das Werden beziehen, sondern auch auf die wahre Aussage, auf das Sein und auf alle anderen Weisen, nach denen man von dem Möglichen spricht.« Die Quelle für die Auffassung des Thomas könnte aber auch Aristoteles sein, der in De int. 12, 21b sagt: »Es scheint aber, dass dasselbe vermögend ist zu sein und nicht zu sein. Denn alles, was vermögend ist […] zu gehen, ist auch vermögend, nicht zu gehen […] Davon ist der Grund, dass alles auf diese Weise Vermögende nicht immer aktuell ist, so dass ihm auch die Verneinung beiwohnen kann.« Damit will Aristoteles aber nur sagen, dass die Aussage, etwas könne sein und nicht sein, nicht widersprüchlich ist, da die Verneinung von Mfx nicht M¬fx, sondern ¬Mfx ist. Aristoteles geht also umgekehrt wie Thomas davon aus, dass der Grund für das Vermögen, zu sein und nicht zu sein, darin liege, dass das betreffende Ding auch einmal nicht war. Er meint nicht, wie Thomas es tut, dass aus dem Vermögen, zu sein und nicht zu sein, das einmal bestandene Nichtsein erschlossen werden könnte. Diesem modallogischen Beweisversuch mit den Begriffen der Möglichkeit und Wirklichkeit entspricht in der Scg. I c. 15 (Ed. Leonina 13, 41–44) ein Beweis für die Ewigkeit Gottes. Schon daran zeigt sich, dass hier das Moment der Zeitlichkeit die leitende Funktion hat und dass die Modalitäten dadurch bestimmt sind. Der Beweis geht davon aus, dass es in der Welt Dinge gibt, die das Vermögen, zu sein und nicht zu sein, zu entstehen und zu vergehen, haben, die also eine Ursache besitzen. Da bei den Ursachen nicht ins Unendliche zurückgegangen werden könne, müsse eine erste notwendige Ursache angenommen werden. Dieser Beweisversuch operiert nicht mit den problematischen modallogischen Voraussetzungen wie der in STh, sondern ist eine weitere Variation des ersten Weges. 6.4. Der vierte Weg bezieht sich auf die Seinsstufen oder Grade des Seins, auf das Quantitative, das Mehr oder Weniger von Eigenschaften. Das setze voraus, dass es ein Maximum der jeweiligen Eigenschaft gäbe, an der alle anderen Grade gemessen werden. Wenn es ein solches Maximum gäbe, dann müsse es nach Aristoteles, Met. 2, 993b, auch ein Maximum an Sein (maxime ens) geben. Außerdem sei das Maximum einer Eigenschaft die Ursache für jeden anderen Grad dieser Eigenschaft an den Dingen. Es müsse also etwas geben, das für jedes Seiende
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Ursache seines Seins ist, wie es für jede Eigenschaft eine Ursache gebe. Von der Ursache für jede Eigenschaft wird auf die Ursache alles Seienden geschlossen, die auch Ursache aller Vollkommenheiten (causa esse et bonitatis et cuiuslibet perfectionis) sei. Dieser Beweisversuch setzt voraus, dass alle Eigenschaften quantitativ bestimmt werden können nach ihrem Grad und dass sie an einem Maximum gemessen werden müssen. Dagegen kann eingewandt werden: 1. Es kann nicht-graduelle Eigenschaften geben. 2. Wenn Eigenschaften gradierbar sind, können sie an einem beliebigen Maßpunkt gemessen werden, der nicht das Maximum sein muss. 3. »Daraus, daß es Grade in einer Hinsicht gibt, folgt nicht, daß etwas in dieser Hinsicht Größtes existiert« (Bochenski, Die fünf Wege, 256). Die Rede vom Maximum als Kriterium für eine Eigenschaft hat nur dann Sinn, wenn damit nicht das quantitative Maximum gemeint ist, sondern ein qualitatives Maximum, eine Reinheit der Eigenschaft, die nicht gestört wird durch andere, widerstrebende Eigenschaften. Außerdem wird mit der Annahme, der höchste Grad einer Eigenschaft sei die Ursache für die anderen Grade, vorausgesetzt, es gäbe eine Ursache, die nicht etwas anderes bewirkt, sondern das Wesen von etwas ist, also eine Formalursache. Die Fassung des Beweises in Scg. I c. 13 geht auch von Aristoteles, Met. 2, 993b, aus, wo gezeigt werde, dass das, was in höchstem Maße wahr sei, auch in höchstem Maße seiend sei. Dann aber wird Bezug genommen auf Met. 4, 1008b35, wo Aristoteles zeige, dass es ein in höchstem Maße Wahres geben müsse, weil von zwei Falschen eines falscher sein könne als das andere, folglich das andere wahrer als das eine, weil es dem schlechthin Wahren näher stehe. Wegen dieser Annäherung an das höchste Wahre müsse auch ein höchstes Seiendes angenommen werden. Hier liegt eine Konzentration auf das Verhältnis von Wahrem und Seiendem vor, das darin besteht, das Wahre sei immer auch ein Seiendes (gemäß dem Axiom ens et verum convertuntur »das Seiende und das Wahre fallen zusammen«). Diese Variante des Gottesbeweises ist nicht nur durch die aristotelische Ontologie bestimmt, sondern auch durch den Neuplatonismus mit der Auffassung von Seinsstufen und Graden der Vollkommenheit des Seins auch in seinen Qualitäten. Außerdem liegt hier die Transzendentalienlehre zugrunde, der gemäß das Seiende, sofern es nicht durch Nichtsein gestört ist, das Wahre, Gute, Eine sei. 4.6.5. Der fünfte Weg bezieht sich auf die Ordnung in der Welt (gubernatio rerum) und argumentiert mit ihrer Teleologie. Es zeige sich nämlich, dass Dinge, die selbst der Erkenntnis entbehrten, auf ein Ziel hinstrebten, zu einem optimalen Zustand. Dabei werde deutlich, dass sie dies nicht zufällig, sondern durch eine Absicht geleitet täten. Da sie aber selbst nicht der Erkenntnis fähig seien, die notwendig wäre, um das Ziel zu erfassen und aktiv anzustreben, müssten sie durch etwas anderes auf ihr Ziel hin ausgerichtet werden, das Denken und Erkenntnis besitze. Also gebe es ein denkendes Wesen, das alle natürlichen Dinge auf ihr Ziel hin ausrichte. Auch dieser Beweisversuch ist problematisch. Die Voraussetzung, dass alle natürlichen Dinge einem Ziel zustrebten, ein Optimum anstrebten, wird nicht be-
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wiesen und kann bestritten werden. Diese Voraussetzung gibt sich wieder als induktiv gewonnen (videmus »wir sehen«) aus, ist aber durchaus nicht empirisch gesichert, vielmehr ein Axiom. Außerdem ist zuerst nur von Dingen die Rede, die der Erkenntnis entbehrten, aber noch nicht von allen diesen Dingen, wie später vorausgesetzt. Auch ist nicht klar, warum es ein einziges Denkendes geben müsse, das alle natürlichen Dinge auf ihr Ziel ausrichte, und es nicht mehrere solcher Intelligenzen geben könne. »Bewiesen wird nur, daß es wenigstens einen Ordner gibt, der wenigstens einige Naturdinge zum Ziele führt. Thomas erschließt aber viel mehr als das: nämlich den Satz […], der besagt, daß es ein Wesen gibt, welches alle Naturdinge zum Ziel leitet. Der logische Fehler ist hier so grob, daß man von einem Versehen sprechen kann« (Bochenski, Die fünf Wege, 257). Es handelt sich hier um eine »unzulässige Quantorenvertauschung der Form (∀x)(∃y) Zyx ⇒ (∃y)(∀x)Zyx« (Löffler, Logische Annäherungen, 138). In der Scg. I c. 13 findet sich eine andere Variante des teleologischen Beweises aus der Ordnung der Welt, für den sich Thomas auf Johannes Damascenus, De fide orth. I,3, und Averroes, Com. magn. in Phys. 2,75, beruft. Hier wird nicht auf das Ziel des einzelnen Dings Bezug genommen, sondern von der Ordnung der Weltdinge, die einander zugeordnet und auf ein gemeinsames Ziel hingeordnet seien, ausgegangen und daraus auf eine Macht geschlossen, die diese zielgerichtete Ordnung schaffe. Dabei ist vorausgesetzt, dass die Welt einem Ziel zustrebe und die gegensätzlichen Kräfte in ihr diesem Ziel zugeordnet seien. Das aber ist keine induktiv zu gewinnende Erkenntnis, sondern eine metaphysische Voraussetzung. Den fünf Beweiswegen zur Einsicht in die Existenz Gottes liegt eine gemeinsame Struktur zugrunde. Sie gehen aus von einer Beobachtungstatsache, interpretieren diese mit einem oder mehreren Axiomen, und schließen mit Hilfe des Postulats der Unmöglichkeit eines infiniten Regresses in der Ursachenkette auf eine erste Ursache, sei es eine Wirkursache (1–3), sei es eine Formalursache (4), sei es eine Finalursache (5). Dabei wird das Prinzip der Kausalität vorausgesetzt. Die kausale Abhängigkeit der Dinge rührt für Thomas daher, dass ihre Existenz, ihr Sein nicht mit ihrem Wesen identisch ist. Alles, dessen Sein von seinem Wesen unterschieden ist, habe sein Sein von einem anderen. Alles, was sein Sein von einem anderen hat, gehe auf eine erste Ursache zurück, die ihr Sein aus sich selbst habe und das Sein schlechthin sei. Wäre dies nicht so, müsste in einem infiniten Regress immer weiter zurückgeschritten werden (De ente 5; vgl. Heinzmann, Thomas, 61 f.). Die fünf Seinsbestimmungen, auf die die fünf Wege Bezug nehmen, nämlich die Bewegung (1), Verursachung (2), Möglichkeit (3), Steigerung (4), Zweckhaftigkeit (5) sind allgemeine Bestimmungen des Seienden als solchen und lassen sich auf die Endlichkeit des Seienden zurückführen. Diese Endlichkeit bringt die Differenz von Sein und Wesen mit sich und die kausale Bedingtheit. Die endlichen Wesen lassen sich, so Thomas in den fünf Wegen, auf etwas zurückführen, dessen Sein mit seinem Wesen identisch ist und das nur eines sein kann (vgl. Wilcox, Oneness, 267).
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Die nichtempirischen Voraussetzungen der Beweisversuche sind so stark, dass sie das induktive Moment unwirksam werden lassen und der Anspruch, einen induktiven Gottesbeweis zu führen, nicht eingelöst wird. Allerdings gelingt auch ein deduktiver Beweis nicht, da in allen fünf Beweisversuchen Schlussfehler oder unbegründete Behauptungen auftreten. Die Schlussfolgerung aus jedem der fünf Beweise ist nicht die Behauptung der Existenz Gottes als solcher, da von dieser nicht die Rede ist und auch der Ausdruck »Gott« nicht vorkommt, sondern jeweils ein anderes Ergebnis, das aber dann so interpretiert wird, dass es die Existenz Gottes bestätigt. Der erste Weg führt zu der Einsicht in ein erstes Bewegendes, das durch nichts anderes bewegt wird, und dieses werde von allen unter Gott verstanden (hoc omnes intelligunt Deum). Der zweite Weg führt zur Notwendigkeit, eine erste Wirkursache anzunehmen, die alle Gott nennen (quam omnes Deum nominant). Der dritte Weg erklärt es für notwendig, etwas zu setzen, das durch sich selbst notwendig sei, was alle Gott nennen (quod omnes dicunt Deum). Der vierte und der fünfte Weg enden mit der Feststellung, es gebe eine Ursache des Seins von allem bzw. ein letztes Ziel aller Dinge, und identifizieren dies mit Gott durch die Formel, dass wir das Gott nennen (hoc dicimus Deum). Dies könnten Anklänge an Aristoteles, Met. 12, 1072b27, sein (Seidl, Gottesbeweise, XXX). Die fünf Beweise werden also erst zu Gottesbeweisen im eigentlichen Sinn durch diese Identifikation desjenigen, dessen Existenz bewiesen wurde, mit dem, was traditionell Gott genannt werde. Wird diese Identifikation bestritten, und sie kann grundsätzlich in jedem der fünf Fälle bestritten werden, liegt kein Beweis für die Existenz Gottes vor. Wird sie akzeptiert, kann der Schluss gezogen werden, dass Gott existiert bzw. dass der Satz, dass Gott existiert (STh I q. 2 a. 1; Ed. Leonina 4, 28a: propositio, Deus est), wahr ist. Thomas scheint mit diesem Verfahren zuzugeben, dass die fünf Beweise nur dann Gottesbeweise sind, wenn sie als solche interpretiert werden bzw. wenn das, dessen Existenz bewiesen wurde, als Gott verstanden wird. Er schließt damit nicht aus, dass dieser bewiesene Gegenstand auch anders verstanden werden könnte. Denn dass ihn alle als Gott verstehen, ist keine grundsätzliche, apodiktische allgemeingültige Aussage, sondern Ausdruck einer Beobachtungstatsache, eine durch Induktion gewonnene Aussage, die den Regeln der empirischen Induktion unterliegt. Dabei bleibt erstens der Umfang der Menge, auf die die Allaussage Bezug nimmt, unklar, zweitens hat die Allaussage nur eine hypothetische Gültigkeit. Somit liegen keine Definitionen des Ausdrucks »Gott« vor, auch keine explikativen Einführungen oder Festsetzungen seiner Bedeutung (gegen Siegwart, Definitionstheoretische Betrachtung, 95), sondern Interpretationen von philosophischen Begriffen mit einem traditionellen theologischen Begriff. Dies ist schon deshalb der Fall, weil es keine fünf verschiedenen Definitionen eines Begriffs geben kann, es sei denn, sie wären äquivalent, also inhaltlich nicht verschieden. Die Gottesbeweise des Thomas sind oder vielmehr wären sie, wenn sie gelungen wären, »Gottes«-Beweise, also Beweise der Existenz von etwas, das traditionellerweise »Gott« genannt wird.
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Gott erscheint den fünf Beweisen entsprechend 1. als unbewegt, 2. als wirksam, 3. als notwendig, 4. als seinssetzend, 5. als zielführend für alles Seiende. Insofern sind die fünf Wege nicht nur Beweisversuche für die Existenz Gottes, sie geben vielmehr auch Auskunft über das Wesen Gottes, wie es von seinen Wirkungen in der Welt her erscheint. Der induktive Charakter der Beweise liegt nicht zuerst in ihrer Anknüpfung an Erfahrungs- und Beobachtungstatsachen wie der Bewegung, der Verursachung usw., die ohnehin durch Axiome und Postulate überspielt werden, sondern in der induktiven Interpretation desjenigen, dessen Existenz bewiesen sein soll, als Gott. Darin, dass alle das, dessen Existenz bewiesen sein soll, Gott nennen, liegt der induktive Zug der Beweise. Die Induktion ist nicht für die Beweise selbst konstitutiv, sie bestimmt vielmehr ihre Interpretation als Gottesbeweise. Thomas hat so versucht, seinen Anspruch, die Existenz Gottes nicht deduktiv, sondern induktiv zu beweisen, einzulösen. Entscheidend für die Gottesbeweise ist die induktive Interpretation philosophischer Beweise mit einem theologischen Begriff. 4.7. Die Quellen der Gottesbeweise
Die fünf Beweise in der STh erwecken den Eindruck, Thomas habe seine Gottesbeweise selbständig gebildet. In der früheren Scg. beruft er sich für die einzelnen Beweise ausdrücklich auf die Gründe von Philosophen und katholischen Theologen, durch die sie die Existenz Gottes beweisen wollten (rationes quibus tam philosophi quam doctores Catholici Deum esse probaverunt). Die Hauptquelle ist Aristoteles, aber auch Platon, Johannes Damascenus, Avicenna, Maimonides, Averroes und der Liber de causis liefern Argumente. Von Aristoteles benutzt Thomas vor allem die Physik und die Metaphysik. In Phys. VII und VIII behandelt Aristoteles die Bewegung, wie sie beim Bewegten und beim Sichselbstbewegenden in Erscheinung tritt und auf ein unbewegtes Bewegendes zurückführt. Met. 2, 1 spricht von dem in höchstem Grade Wahren, das Ursache für Wahres überhaupt sei, und Met. 2, 2 führt das Postulat der Unmöglichkeit des infiniten Regresses ein. Met. 12, 6 zeigt die Notwendigkeit eines ersten Bewegenden. Platon stellte im Phaidros, 245c–e, fest, dass alles Bewegende bewegt werde, fasste aber den Begriff der Bewegung allgemeiner als Aristoteles. Auch Platon sieht im Anfang aller Bewegung ein sich selbst Bewegendes, das, da es selbst ohne Anfang ist, unvergänglich sei. Allerdings identifiziert er dies mit der Seele. Aus den Leges X hat Aristoteles in Phys. VIII wesentliche Gedanken übernommen (Seidl, Gottesbeweise, 117). Johannes Damascenus in De fide orthodoxa I, 3, und Averroes in seinem großen Kommentar zur Physik des Aristoteles geben Hinweise auf die Ausrichtung der Ordnung der Welt durch einen Weltregierer. Maimonides führt in Dux neutrorum II, 1 vier Beweise für die Existenz Gottes an, von denen die ersten drei auf Aristoteles zurückgehen. Sie argumentieren mit
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der Beobachtung der Bewegung und mit der Notwendigkeit von Notwendigem, die sich in den ersten drei Beweisen des Thomas wiederfinden (Seidl, Gottesbeweise, 96–98). Bei Avicenna, Met., könnte eine Quelle für den dritten Beweis des Thomas zu finden sein, die ihm vielleicht durch Maimonides vermittelt wurde (Elders, Begründung, 145). Avicenna wird von Thomas auch für eine Variante des vierten Beweises herangezogen (a. a. O. 146). Bochenski, Joseph Maria: Die fünf Wege, in: FZPhTh 36 (1989), 235–265. Elders, Leo: Zur Begründung der »Fünf Wege«, in: Bernath, Klaus (Hg.): Thomas von Aquin II, Darmstadt 1981, 136–162. Heinzmann, Richard: Thomas von Aquin. Eine Einführung in sein Denken (UB 447), Stuttgart 1994. Löffler, Winfried: Logische Annäherungen an die quarta via des Thomas v. Aquin, in: Ricken, Friedo (Hg.): Klassische Gottesbeweise in der Sicht der gegenwärtigen Logik und Wissenschaftstheorie, Stuttgart 21998, 138–166. Morscher, Edgar: Die Gottesbeweise als vermeintliche Stütze von Religion und Theologie, in: FZPhTh 42 (1995), 101–117. Seidl, Horst (Hg.): Thomas von Aquin, Die Gottesbeweise in der »Summe gegen die Heiden« und der »Summe der Theologie«. Text mit Übersetzung, Einleitung und Kommentar (PhB 330) Hamburg 21986. Siegwart, Geo: »Et hoc dicimus Deum«. Eine definitionstheoretische Betrachtung zu STH Iq2a3, in: Ricken, Friedo (Hg.): Klassische Gottesbeweise in der Sicht der gegenwärtigen Logik und Wissenschaftstheorie, Stuttgart 21998, 91–108. Wilcox, John R.: The five ways and the oneness of God, in: Thom. 62 (1998), 245–268. Reinhold Rieger
5. Schöpfungslehre Ausgangspunkt der thomasischen Schöpfungslehre, die sich in ihrer systematisch abschließenden, umfassendsten, alle vorangegangenen Denkbewegungen bündelnden Form in der Summa Theologiae findet (STh I q. 44–119; Ed. Leonina 4, 455a–5, 577b), ist zunächst das Bemühen, in dem bereits in der Vätertheologie aktuellen Spannungsfeld zwischen den Extremen dualistischer Schöpfungsvorstellungen (platonisch-gnostischer Dualismus) auf der einen und der monistisch-pantheistischen Schöpfungsauffassung (stoischer Monismus) auf der anderen Seite einen Thomas als typisch katholisch geltenden Mittelweg (STh, De ver. q. 24 a. 12; Ed. Leonina 22/III, 712b–720b) zu finden. Die Lösung sucht er hier in der Durchdringung des Schöpfungsdogmas mit Hilfe aristotelischer Kategorien (Form, Materie, Ursache, Wirkung usw.), womit er auch dem damals geltenden Wissenschaftsbegriff gerecht wird. Bereits sein Lehrer Albertus Magnus hatte diesen Versuch unternommen, bei Thomas jedoch tritt die mit Hilfe des aristotelischen Kausalschemas und seines ganz eigenen Seinsbegriffes gestaltete Schöpfungstheologie besonders klar zutage. Überhaupt lässt sich sagen, dass die Schöp-
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fungswahrheit in der philosophisch-theologischen Synthese des Thomas, die alles von Gott ausgehen und zu ihm heimkehren sieht, einen ganz zentralen Punkt einnimmt, sozusagen den »verborgenen Notenschlüssel« (Pieper, Philosophia negativa, 16) zu seinem Denken bildet. 5.1. Die creatio ex nihilo als Vernunftwahrheit
Schöpfung nennt man nach Thomas emanationem totius entis a causa universali (»Ausgang alles Seienden aus der umfassenden Ursache«: STh I q. 45 a. 1; Ed. Leonina 4, 464a–465b). Schöpfung meint, dass alles, was ist, vollkommen und ohne Ausnahme von Gott stammt, von ihm verursacht ist, der als das ipsum esse subsistens (»für sich seiende Sein«) schlechthin auch die erste unverursachte Ursache aller Ursachen sein muss. Nichts kann sich seiner absoluten Erstursächlichkeit entziehen. Aus dieser Grundidee folgen vier für das Denken des Thomas zentrale Einsichten: 1.) Zunächst, dass Gott bei seiner Schöpfung nicht auf etwas schon zuvor, unabhängig von dieser Schöpfung Vorhandenes zurückgreift. Das creare aus Gen 1,1 bedeutet nach der Glossa ordinaria »etwas aus nichts machen«. Während es Thomas selbst in seinen frühen Werken (Sent. II d. 1 q. 1 a. 3; Ed. Vives 8, 11–13), beeinflusst von Avicenna und Petrus Lombardus, noch für möglich hielt, dass sich Gott bei der Schöpfung zusätzlicher Hilfsursachen bediente und die »alten Philosophen« annahmen, dass Gott bei seinem Schaffen auf ein bereits vorhandenes »Urmaterial« zurückgegriffen habe, lehnt dies Thomas in den späteren Schriften strikt ab (Scg. II c. 21; Ed. Leonina 13, 312a–320b; De pot., q. 3 a. 4; Ed. Vives 13, 44–49a; STh I q. 44–45; Ed. Leonina 4, 455a–477b). Gott ist »kreativ« nicht wie ein menschlicher Künstler kreativ ist, sondern in absoluter Form. Er ist nicht auf irgendetwas unabhängig von ihm »vor« der Schöpfung Liegendes angewiesen, sondern er schafft alles aus dem Nichts bzw. Nichtseienden (creatio ex nihilo: STh I q. 45 a. 1; Ed. Leonina 4, 464a–465b). Er ruft die Dinge aus dem Nichtsein ins Dasein und ist so ihre causa efficiens (»Wirkursache«). 2.) Aber auch bei der Idee, die dieser Schöpfung zugrunde liegt, ist zwischen dem menschlichen Künstler und Gott als Schöpfer ein alles entscheidender Unterschied: […] artifex enim producit determinatam formam in materia […] Manifestum est autem quod ea quae naturaliter fiunt, determinatas formas consequuntur. Haec autem formarum determinatio oportet quod reducatur, sicut in primum principium, in divinam sapientiam, quae ordinem universi excogitavit, qui in rerum distinctione consistit. Et ideo oportet dicere quod in divina sapientia sunt rationes omnium rerum, quas supra diximus ideas, id est formas exemplares in mente divina existentes (»Der Künstler bringt nämlich eine bestimmte Form in einem Stoff hervor auf Grund eines Vorbildes, auf das er schaut […] Es ist nun eine offensichtliche Tatsache, dass alles, was in der Natur wird, bestimmte Formen erlangt. Diese Bestimmtheit der Formen muss, als auf ihren Urgrund, auf die göttliche Wesenheit zurückgeführt werden. Denn sie hat die in der Verschiedenheit
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der Dinge bestehende Ordnung des Weltganzen ausgedacht. Deswegen müssen in der göttlichen Weisheit die Wesensgründe aller Dinge, die Ideen, enthalten sein«: STh I q. 44 a. 3; Ed. Leonina 4, 460a–461b). Diese uns in ihrer konkreten Verwirklichung in der Zeit als viele Ideen begegnenden Wesensgründe sind in Gott wieder ganz eins: So ist also Gott das erste Vorbild aller Dinge, die causa exemplaris (»absolute Vorbildursache«) seiner Schöpfung. 3.) Gott ist aber nicht nur die vorbildliche, sondern auch die causa finalis (»Ziel ursache«) seiner Schöpfung. Für Thomas ist es eine feststehende, aus der Erfahrung allgemein erhebbare Wahrheit, omne agens agit propter finem (»dass alles, was wirkt, wegen eines Zieles wirkt«). Das Ziel übt auf dieses Wirken eine gewisse Ursächlichkeit aus. Gott aber ist als das absolute Sein auch der absolut Erstwirkende. Für dieses Erstwirkende aber gilt: […] intendit solum communicare suam perfectionem, quae est eius bonitas. Et unaquaeque creatura intendit consequi suam perfectionem, quae est similitudo perfectionis et bonitatis divinae. Sic ergo divina bonitas est finis rerum omnium (»[…] es erstrebt nur, seine Vollkommenheit, das ist seine Gutheit, anderen mitzuteilen. Jedes Geschöpf aber strebt nach Erreichung der eigenen Vollkommenheit, die eine Ähnlichkeit mit der göttlichen Vollkommenheit und Gutheit ist. So ist also die göttliche Gutheit das Ziel aller Dinge«: STh I q. 44 a. 4; Ed. Leonina 4, 461a–463b). 4.) Es hängt mit dem Gedanken der Schöpfung aus dem Nichts aufs engste die Vorstellung zusammen, dass alles Geschaffene seine Existenz nur durch Teilhabe, durch Partizipation besitzt. Wenn Gott das subsistierende Sein selbst ist und dieses Sein nur ein einziges sein kann, dann besitzt alles das, was in der Schöpfung aus Gott hervorgeht, so auch das Sein. Aber es ist nicht sein eigenes Sein selbst, sondern es hat nur mitgeteiltes Sein, besitzt sein Sein nur durch Teilhabe: Necesse est igitur omnia quae diversificantur secundum diversam participationem essendi, ut sint perfectius vel minus perfecte, causari ab uno primo ente, quod perfectissime est. Unde et Plato dixit quod necesse est ante omnem multitudinem ponere unitatem. Et Aristoteles dicit, in II Metaphys., quod id quod est maxime ens et maxime verum, est causa omnis entis et omnis veri, sicut id quod maxime calidum est, est causa omnis caliditatis (»Infolgedessen ist alles, was sich durch die verschiedene Teilhabe im Sein unterscheidet, so dass es mehr oder weniger vollkommen das Sein besitzt, notwendig verursacht von dem ersten Seienden, das auf vollkommenste Weise ist. Darum hat auch Platon gesagt, man müsse notwendig vor jeder Vielheit eine Einheit annehmen. Und Aristoteles sagt, was am meisten seiend und am meisten wahr sei, sei die Ursache jedes Seienden und jedes Wahren, wie das, was am meisten warm ist, die Ursache jeder Wärme ist«: STh I q. 44 a; Ed. Leonina 4, 455a–457b). Die Tatsache, dass, wie Thomas annimmt, bereits Platon und Aristoteles die Partizipation des geschaffenen am ungeschaffenen Sein erkannt haben, sowie die Einsicht, dass sich dieses Prinzip stringent aus der mit der bloßen Vernunft erkennbaren Eigenschaft Gottes als ipsum esse subsistens herleiten lässt, bringt ihn zu der Position, dass es sich bei der Lehre von der Schöpfung aus dem Nichts um eine denknotwendige Ver-
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nunftwahrheit handelt: […] quod creationem esse non tantum fides tenet, sed etiam ratio demonstrat (Sent. II d. 1 q. 1 a. 2; Ed. Vives 8, 9/10; »Dass es eine Schöpfung aus Nichts gibt, hält nicht nur der Glaube fest, auch mit der Vernunft kann es bewiesen werden«). In diesem Punkt grenzt er sich dann ganz deutlich von den Schöpfungsvorstellungen wichtiger Zeitgenossen, wie etwa Bonaventura, Albert oder Moses Maimonides ab. Die starke Betonung der Totalerschaffung aller Dinge durch Gott führt nicht nur zur Partizipationslehre, sie bringt es auch mit sich, dass die geschaffenen Dinge in jedem Augenblick ihres Daseins darauf angewiesen sind, dass der Schöpfer den Schöpfungsakt gleichsam unaufhörlich festhält (STh I q. 104 a. 1; Ed. Leonina 5, 463a–446b). Die Geschöpfe müssen sozusagen unaufhörlich in direktem Kontakt mit der Quelle des Seins stehen, sonst würden sie sofort ins Nichts zurücksinken: Sic autem se habet omnis creatura ad Deum, sicut aer ad solem illuminantem. Sicut enim sol est lucens per suam naturam, aer autem fit luminosus participando lumen a sole, non tamen participando naturam solis; ita solus Deus est ens per essentiam suam, quia eius essentia est suum esse; omnis autem creatura est ens participative, non quod sua essentia sit eius esse. (»So aber verhält sich jedes Geschöpf zu Gott wie die Luft zur erleuchtenden Sonne. Wie nämlich die Sonne durch ihre Natur leuchtend ist, die Luft aber Licht wird, indem sie am Licht der Sonne teilnimmt, ohne aber an der Natur der Sonne teilzunehmen, so ist Gott allein seiend durch seine Wesenheit, weil seine Wesenheit sein Sein ist; jedes Geschöpf aber ist seiend durch Teilhabe, denn seine Wesenheit ist nicht sein Sein«: STh I q. 104 a. 1; Ed. Leonina 5, 463a–466b). Hier hat die thomasische Lehre von der göttlichen Vorsehung und Vorherbestimmung ihren tiefsten Grund: Dabei wurde allerdings die Lehre von der Vorsehung in der Summa bereits in der Gotteslehre behandelt, während die executio ordinis (»Weltregierung«) als zeitliche Auswirkung des göttlichen Gedankens im Zusammenhang mit der Schöpfungslehre platziert wird. Auch wenn diese Trennung bereits von Petrus Lombardus vorgegeben war, brachte sie doch die Gefahr mit sich, dass der Zusammenhang von Schöpfungs- und Vorsehungswahrheit zunehmend in Vergessenheit geriet (Scheffczyk, Schöpfung und Vorsehung, 92–93). 5.2. Die Schöpfung als Glaubensgeheimnis
Zwar kann die Tatsache der Schöpfung aus dem Nichts mit dem Licht der Vernunft erkannt und die Schöpfungslehre so, wie der niederländische Thomist Leo Elders (Die Metaphysik, 282) meint, zum »krönenden Teil der Metaphysik« werden. Dennoch ist diese nicht einfach ein philosophischer Traktat, der, wie der schwedische Thomasforscher Piet E. Persson (Sacra doctrina, 297) kritisiert, die biblische Schöpfungslehre durch eine »bibelfremde Metaphysik« ersetzt, sondern das »philosophische Interesse der Vernunft ist in die theologisch-gläubige Perspektive aufgenommen« (Te Velde, Schöpfung und Partizipation, 101). Dies zeigt sich besonders an zwei, das bisher Ausgeführte ergänzenden Aspekten:
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Zum ersten hält Thomas von seinen frühesten Schriften an mit wachsender Intensität (Sent. II d. 1 q. 1 a. 5; Ed. Vives 5, 15–22; Quodl., IIIa. 31; Ed. Leonina 25/2, 290a–291b; De pot., q. 3 a. 17; Ed. Vives 13, 101–109) und wiederum gegen den theologischen Mainstream (allen voran wieder die Position seines Kollegen Bonaventura) seiner Zeit fest, dass der zeitliche Anfang der Welt ein Glaubensgeheimnis und eben nicht auf rein philosophischem Wege zugänglich ist (STh I q. 46 a. 2; Ed. Leonina 4, 481a–482b; Antweiler, Die Anfangslosigkeit der Welt). So wird uns diese Kenntnis nur dadurch zuteil, dass sie uns der göttliche Wille offenbar werden lassen will (manifestari) und wir auf diese Manifestation Gottes mit dem Akt des Glaubens antworten. Dies ist tatsächlich durch das erste Wort der Heiligen Schrift (Gen 1,1) geschehen, durch das wir erfahren, »dass Gott im Anfang Himmel und Erde schuf« (STh I q. 46 a. 3; Ed. Leonina 4, 483–484b). Thomas gibt nicht nur einen sorgfältigen, außergewöhnlich ausführlichen, durch seine zahlreichen Konvenienzargumente bestechenden Kommentar zum SechsTage-Werk (I q. 66–74: Es gibt in der gesamten Summe nur noch zwei weitere bibeltheologische Abschnitte von solcher Ausführlichkeit!), sondern auch eine sehr tiefschürfende Auslegung dieses Bibelwortes, die auch schon den zweiten der genannten Aspekte ins Gespräch bringt: »Im Anfang« meint zunächst »in der Zeit«, um den Irrtum der Ewigkeit der Welt auszuschließen. Denn die Zeit ist mit den Dingen miterschaffen. Und zweitens: »Im Anfang« heißt aber vor allem auch »im Sohne« (ebd.). Die Überlegungen einer rein philosophischen Schöpfungslehre werden nun ganz verlassen und die Schöpfungstat wird in engsten Zusammenhang mit der Trinitätslehre gebracht, ohne dieserhalb in den häufig überbordenden Symbolismus anderer Scholastiker zu verfallen. Sicut enim principium effectivum appropriatur patri, propter potentiam, ita principium exemplare appropriatur filio, propter sapientiam, ut sicut dicitur, omnia in sapientia fecisti, ita intelligatur Deum omnia fecisse in principio, idest in filio; secundum illud apostoli ad Coloss. I, in ipso, scilicet filio, condita sunt universa (»Wie nämlich der Wirkgrund dem Vater zugeeignet wird wegen der Macht, so wird die Exemplarursächlichkeit dem Sohn zugesprochen wegen der Weisheit. Auf diese Weise wird die Stelle aus Ps 104: ›Alles hast du in der Weisheit erschaffen‹ so verstanden, dass Gott alles im Anfang, das heißt im Sohne erschaffen hat, nach dem Apostel, der sagt (Kol 1,16): ›In ihm‹, d. h. im Sohn, ›ist das All gegründet‹.«: STh I q. 46 a. 3; Ed. Leonina 4, 483a–484b) Sehr interessant ist in diesem Zusammenhang eine kaum bekannte Stelle aus dem Kommentar zum Kolosserbrief: Circa quod sciendum est, quod Platonici ponebant ideas, dicentes, quod quaelibet res fiebat ex eo quod participabat ideam […] Loco enim harum idearum nos habemus unum, scilicet filium, verbum Dei (»Die Platoniker nahmen Ideen an, indem sie sagten, jegliches Ding entstehe kraft der Teilhabe an der Idee […] An der Stelle dieser Ideen haben wir nur eine: den Sohn, das Wort des Vaters«: Super Col. c. l 1. 4; Ed. Vives 21, 385a). Überhaupt finden sich in den Schriftkommentaren einige weitere beeindruckende Stellen, die die Schöpfung in Christus ausarbeiten: So zu Röm 11,36 oder an der bereits benannten
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Stelle im Kommentar zum Kolosserbrief, wo eine dreifache Christusbeziehung der Schöpfung vorgestellt wird. Dieser Gedanke wird ausführlich schon im Trinitätstraktat der Summa Theologiae entwickelt: Der Sohn trägt im Anschluss an den Prolog des Johannesevangeliums als bevorzugten Namen »Wort Gottes« (logos). Diese Bezeichnung bringt nicht nur die Beziehung des Sohnes zum Vater, sondern auch seine Beziehung zu der Schöpfung zum Ausdruck. Gott erkennt in einem einzigen Erkenntnisakt sich und zugleich die ganze Schöpfung. Sein einziges Wort ist so nicht nur Ausdruck des Vaters, sondern im Bezug auf die Geschöpfe ist es Ausdruck und Tat zugleich (STh I q. 34 a. 3; Ed. Leonina 4, 369a–371b). In der Schöpfungslehre (STh I q. 45 a. 6; Ed. Leonina 4, 474a–475b) wird die Frage nach dem Zusammenhang von Trinität und Schöpfung erneut aufgenommen: Wenn auch der Schöpfungsakt als solcher Gott aufgrund seines Seins und so allen Personen der Dreieinigkeit gemeinsam zukommt, so wird doch den Personen aufgrund der innertrinitarischen Hervorgänge eine je andere Stellung in der Schöpfung zugesprochen: Unde et Deus pater operatus est creaturam per suum verbum, quod est filius; et per suum amorem, qui est spiritus sanctus. Et secundum hoc processiones personarum sunt rationes productionis creaturarum, inquantum includunt essentialia attributa, quae sunt scientia et voluntas (»Gott der Vater hat die Schöpfung gewirkt durch sein Wort, das ist der Sohn, und durch seine Liebe, das ist der Heilige Geist, und in diesem Sinne sind die Hervorgänge der Personen Gründe der Hervorbringung der Dinge, insofern sie die Wesensmerkmale in sich beschließen, das Wissen und den Willen«: STh I q. 45 a. 6; Ed. Leonina 4, 474a–475b). Weil jede Wirkung immer auch von ihrer Ursache kündet, so leuchtet in den vernunftbegabten Geschöpfen, die sich durch Verstand und Willen auszeichnen, die Dreifaltigkeit »in der Art einer Spur«, eines entfernten Abbildes auf (STh I q. 45 a. 7; Ed. Leonina 4, 475a–476b). Auf geradezu faszinierende Weise werden hier die ewigen innertrinitarischen Hervorgänge mit dem Schöpfungsakt in der Zeit und dem Menschen, der die Mitte der Schöpfungsordnung bildet, in einem großartigen Gedanken zusammengebracht. 5.3. Schöpfung und Ordo-Denken
In der Thomasforschung gibt es seit Jahrhunderten den Versuch, möglichst griffig das »Wesen«, die Denkform schlechthin der thomistischen Denktradition festzulegen (vgl. Berger, Wesen des Thomismus). Ein nicht unbeträchtlicher Teil der neueren Thomasforscher vertritt dabei die These, es sei der Gedanke der ordo (»Ordnung«), der die gesamte Synthese des Aquinaten am zentralsten auszeichne (Ramirez, De ordine placita). Wie man sich auch zu dieser These stellt, der Gedanke der Ordnung ist tatsächlich für das Bild, das Thomas von dem Ergebnis der Schöpfungstat, der geschaffenen Welt, entwirft, grundlegend. Die Schöpfungslehre sagt uns eindeutig, dass es in dieser Welt nichts gibt, das nicht ausnahmslos von Gott stammt. Zugleich liest Thomas im Römerbrief (13,1), dass »alles, was von Gott stammt, geordnet ist«, und er folgert: Quaecumque autem sunt a Deo, ordi-
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nem habent ad invicem et ad ipsum Deum (»Was immer aber von Gott ist, ist unter sich aufeinander und auf Gott hingeordnet«: STh I q. 47 a. 3; Ed. Leonina 4, 489). Darin besteht die höchste Vollkommenheit des Alls, dass ihm diese klare Ordnung zugrunde liegt (Scg. III c. 64; Ed. Leonina 14, 178a–183b). Die Wirklichkeit ist klar geordnet und von daher auch klar erkennbar, gestuft in ein festes Seinsgefüge, das sich von der unterstehenden, noch ganz der Materie verhafteten Stufe der leblosen Dinge bis zur höchsten Ebene, dem Reich der reinen Geister erstreckt (STh I q. 47 a. 2; Ed. Leonina 4, 486a–488b). Woher erhält nun eine jede Komponente ihren festen Platz in dieser Ordnung? Und wodurch werden diese Stufen zusammengehalten, so dass sie eine echte Synthese der Wirklichkeit bilden? Die Ordnung der Schöpfung ist bestimmt durch ihren Schöpfer als ihrer umfassenden Ursache. Dieser ist aber als das Sein selbst erkannt worden. Es ist also eine Ordnung des Seins, in der die Dinge der Schöpfung organisiert sind. Dabei gilt dann: Quanto aliqua sunt nobiliora in universo, tanto oportet quod magis participent ordine, in quo bonum universi consistit (»Je höher der Rang, den ein Wesen im All innehat, desto mehr ist es notwendig, dass es teilhat an jener Ordnung, in welcher das Gut des Alls besteht«: Scg. III c. 90; Ed. Leonina 14, 275a–277b) Je größer das Maß des Seins ist, das das Geschöpf nicht aus sich hat, sondern an dem es sein Schöpfer, als die Quelle allen Seins, teilhaben lässt, um so höher steht es in dieser hierarchischen Ordnung. Dabei ist das Sein nicht als univoker (eindeutiger), sondern als analoger Begriff zu verstehen: Wenn wir sagen, dass der Mensch ist und dass Gott ist, so haben Gott und Mensch zwar gemeinsam, zu sein, denn Gott ist der Schöpfer des Menschen und jener erhält von Gott sein Sein. Dennoch kann gar kein Zweifel sein, dass Gott anders seiend ist als der Mensch. In Gott ist dieses Sein in absoluter Fülle und ungeworden, im Menschen geworden und durch sein Wesen beschränkt. Das Sein, von dem wir hier reden, ist also weder völlig identisch (univok) noch ist es so verschieden, dass beide Seienden ausschließlich die bloße Bezeichnung »sein« gemeinsam hätten (äquivok); es besteht vielmehr eine Ähnlichkeitsbeziehung (Analogie). Diese Analogia entis (»Analogie des Seins«) verhindert durch ihre Nähe und Distanz zusammenhaltende Grundstruktur ein vorschnelles undifferenziertes Reden und eine Vermenschlichung Gottes, zugleich hält sie den Menschen doch in der Nähe Gottes und verhindert so ein Auseinanderfallen von Schöpfer und Geschöpf. Die Ordnung, die Thomas in der Schöpfung verwirklicht sieht, ist nun nicht einfach völlig statisch in dem Sinne, dass jede Seinsstufe eine eigene, für sich abgeschlossene Insel bilden würde. Sie ist ausgespannt zwischen einer nur begonnenen und einer noch ausstehenden Vollkommenheit (STh I-II q. 1 a. 6; Ed. Leonina 6, 14a–15b). So strebt die Schöpfung von Natur aus zu ihrem Schöpfer, zur Vollendung, aus der sie hervorgegangen ist, zurück. Bei diesem Streben gibt es eine universale Solidarität der Seinsstufen, denn darin »besteht die Ordnung der Dinge, dass die einen durch die anderen zu Gott geführt werden« (STh I-II q. 11 a. 1; Ed. Leonina 6, 90a–91b). Gott könnte diese Führung von seiner Macht her auch völlig ohne das Zutun des Geschöpfes übernehmen, und doch tut er es nicht: Non
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ergo est ex defectu potentiae ejus quod mediante creatura agit; sed ex abundantia bonitatis ipsius, ex qua provenit quod non solum communicat creaturae quod sit in se bona, sed hanc dignitatem ut sit aliis causa bonitatis (»Es liegt also nicht an einem Mangel seiner Macht, wenn er durch Vermittlung seines Geschöpfes wirkt, sondern an dem Überschwang seiner Güte. Daher kommt es, dass er nicht nur dem Geschöpf mitteilt, in sich gut zu sein, sondern auch die Würde, für andere Ursache der Güte zu sein«: STh I q. 47 a. 3 ad 1; Ed. Leonina 4, 488a–499b). Thomas treibt sein Ordnungsdenken sogar soweit, dass er selbst die Tatsache des Bösen in diesen Zusammenhang akzeptiert (vgl. STh I q. 48 a. 2; Ed. Leonina 4, 492a–493b). Mag die Kurzsichtigkeit des Menschen in einem gewissen Egoismus dies nicht immer bemerken, Gott versteht es in seiner großen Ordnung perfekt, dieses Schlechte zuzulassen, um es in den Dienst des Guten und Schönen zu stellen. Denn, so fragt Thomas (STh I q. 48 a. 2): Wo wäre die ertragende Geduld und der heiligmäßige Starkmut der Märtyrer, gäbe es die Schlechtigkeit und Brutalität ihrer Mörder nicht? 5.4. Die Schöpfung reiner Geister und der Materie
Ordnung basiert auf distinctio (»Unterscheidung«). Die distinctio ist nach der productio und zusammen mit der conservatio und gubernatio das dritte Element, das nach Thomas die Schöpfung auszeichnet (STh I q. 44 prol.; Ed. Leonina 4, 455ab). Die allgemeinste Unterscheidung jedoch, die sich bezüglich der Schöpfung treffen lässt, ist jene zwischen der rein geistigen und der rein körperlichen Schöpfung (STh I q. 50 prol.; Ed. Leonina 5, 3ab). Mit der Heiligen Schrift nennt Thomas die rein geistige Kreatur Engel. Zu den Engeln hat Thomas eine ganz besondere Beziehung. Zum einen wird Thomas schon seit dem 15. Jahrhundert mit den Ehrentiteln Doctor Angelicus (»Engelgleicher Lehrer«) und Doctor angelorum (»Lehrer über die Engel«) geschmückt. Zum anderen ist der Aquinate einer der ersten Theologen, der mit großem Nachdruck für die reine Geistigkeit der Engel eintritt. Dies legt ihm wiederum – neben der Heiligen Schrift – das oben skizzierte Ordnungsdenken nahe. Die Vollkommenheit des Alls verlangt, dass es auf allen Seinsstufen Wesen gibt: rein körperliche, geistig-körperliche und rein geistige Wesen. Die oberste Stufe steht Gott, der wesentlich durch Verstand und Willen wirkender Geist ist, am allernähesten. So muss sich in ihr diese Geistigkeit in besonders vollkommener Form spiegeln. In den Engeln tut sie dies nach Thomas tatsächlich (STh I q. 50 a. 1; Ed. Leonina 5, 3a–5b). In ihnen findet sich das nicht, was alle anderen Geschöpfe sonst auszeichnet: die Zusammensetzung von Materie und Form. Dennoch unterscheiden sie sich unendlich weit von Gott, dessen Wesen sein Sein ist, durch die allerfundamentalste Eigenheit der Schöpfung, dadurch, dass auch bei ihnen Wesen und Sein real voneinander verschieden sind (STh I q. 50 a. 2; Ed. Leonina 5, 5a–7b). Die Engel sind keine aus der Substanz Gottes hervorgegangene Form kleiner Götter, sondern Geschöpfe (De pot., q. 3, a. 18; Ed. Vives 13, 109–114). Ihre Zahl ist groß, denn Gott schafft je mehr
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Wesen, je vollkommener diese sind (STh I q. 50 a. 3; Ed. Leonina 5, 8a–9b). Da jede Seinsstufe noch einmal eine eigene, klar gegliederte Ordnung kennt, besteht auch in der Engelwelt eine feste Hierarchie. Durch ihre reine Geistigkeit besitzen die Engel auch eine überragende, weil von der Materie nicht gehemmte Erkenntniskraft (STh I q. 55 a. 1–2; Ed. Leonina 5, 54a–8b; De ver. q. 8 a. 9) und einen freien Willen, der keinerlei Schwanken oder Veränderung kennt (STh I q. 59–60; Ed. Leonina 5, 92a–105b). Diese in der Schöpfungswelt einzigartige Erkenntniskraft haben sowohl die guten Engel, die sich bei der sittlichen Prüfung durch Gott bewährt haben, als auch die von Gott abgefallenen Engel, die Dämonen, inne (STh I q. 61–64; Ed. Leonina 5, 106a–147b). Dennoch sind die guten Engel den Dämonen überlegen. Denn ihnen wurde sogleich nach der Bewährung die beseligende Schau Gottes, als der Quelle aller Wahrheit, zuteil (STh I q. 62 a. 8–9; Ed. Leonina 5, 117a–120b). Sie ist es, die die Engel dazu befähigt, die göttlichen Geheimnisse den Menschen mitzuteilen, das Geschaute weiterzuvermitteln. In die universale Solidarität, die die Weltordnung nach Thomas prägt, sind auch die Engel in einer uns Heutigen vielleicht etwas seltsam anmutenden Selbstverständlichkeit einbezogen. Den stärksten Kontrast zur obersten Stufe der Schöpfungswelt bildet das, was Thomas die creatura corporalis (STh I q. 65 prol.; Ed. Leonina 5, 148ab:»körperliche Schöpfung«) nennt. Das heißt die materielle Schöpfung, das, was Gott im Hexaëmeron (»Werk der sechs Tage«), von dem uns die Genesis (Gen 1,1–2,4) berichtet, erschaffen hat. Von Interesse sind in den Ausführungen des Thomas dazu weniger die naturwissenschaftlichen Überlegungen, die der Aquinate einfach aus den damaligen Anschauungen in seine Theologie übernimmt, sondern die davon unabhängigen grundsätzlichen Gedanken. Thomas stellt sich hier gegen die stets lauernde Verführung durch manichäistische Gedanken: Wenige Jahre vor seiner Geburt hatte sich das Vierte Laterankonzil erneut gegen dualistische Theorien, nach denen die körperliche Welt nicht von Gott geschaffen, sondern Produkt eines widergöttlichen Prinzips sei, ausgesprochen (DH 800). Für Thomas ist dagegen ohne jeden Zweifel klar, dass Gott auch die Körperwelt geschaffen hat und sie so als gut zu betrachten ist (STh I q. 65 a. 1; Ed. Leonina 5, 148a–149b). Die Chance einer besonderen Betrachtung der Erschaffung der materia prima nimmt Thomas noch einmal ausdrücklich wahr, um auch hier zu betonen, dass Gott ex nihilo, ohne alle Hilfsursachen, auch diese erschaffen hat (STh I q. 44 a. 2; Ed. Leonina 4, 457a–458b; Scg. II c. 16; Ed. Leonina 13, 299a– 304b). Eine von Natur aus böse Materie, die Gott, wie Origenes annahm, gleichsam nachträglich zur Strafe für den Sündenfall der bösen Engel geschaffen habe, gibt es nicht (STh I q. 65 a. 2; Ed. Leonina 5, 149a–150b). Dennoch sind die materiellen Dinge nie Selbstzweck. Eingeordnet in die große Hierarchie der Seinsstufen, haben sie zunächst dem Menschen zur Erfüllung seiner Aufgaben zu dienen, aufs Ganze gesehen jedoch sind sie ein Teil der universalen Hinordnung der gesamten Schöpfung auf Gott als ihr Ziel (STh I q. 65 a. 2; Ed. Leonina 5, 149a–150b).
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Genau in der Mitte zwischen der rein geistigen und der körperlichen Schöpfung steht die Erschaffung des Menschen: Die Abhandlung über den Menschen stellt gleichsam die Krönung und Synthese der Gedanken über die rein geistigen Kreaturen auf der einen und die rein körperlichen Geschöpfe auf der anderen Seit dar. Denn der Mensch ist quasi orizon et confinium spiritualis et corporalis naturae (»Gleichsam wie der Horizont und die Grenze der geistigen und körperlichen Natur«: Sent. III prol.; Ed. Vives 9, 1 f.). Wie der Horizont Himmel und Erde vermählt, so steht der Mensch zwischen den beiden Welten nicht als trennender Fremdkörper, sondern als verbindende Mitte, indem er beide in sich vereint. In der gesamten Anthropologie des Thomas wird so die für ihn geradezu typische Denkform des Sowohl-als-auch (Analektik) in besonderer Weise deutlich. Acar, Rahim: Talking about God and Talking about Creation: Avicenna’s and Thomas Aquinas’ Positions (IPTS 58), Leiden/Boston 2005. Burrell, David B.: Analogy, Creation and Theological Language, in: Van Nieuwenhove, Rik/ Wawrykow, Joseph (Hg.): The Theology of Thomas Aquinas, Notre Dame 2005, 77–98. Pesch, Otto Hermann: Schöpfungslehre und Schöpfungsperspektive in der Theologie des Thomas von Aquin, in: KuD 49 (2003), 2–23. Scheffczyk, Leo: Schöpfung und Vorsehung (HDG II, 2a), Freiburg i. Br. 1963, 71–106. Te Velde, Ruor: Schöpfung und Partizipation, in: Speer, Andreas (Hg.): Thomas von Aquin. Die Summa theologiae. Werkinterpretationen, Berlin/New York 2005, 100–124. David Berger
6. Anthropologie 6.1. Der Ort der Anthropologie im theologischen System 6.1.1. Doppelter Ort in den Summen
In der Theologischen Summe des Thomas finden sich die Bestimmungen zur Anthropologie an zwei Stellen, nämlich in der Schöpfungslehre einerseits und in der Handlungstheorie, mit der Thomas die Grundlage für die Ethik des zweiten Teils der Summe schafft, andererseits. Thomas verbindet beide Orte eng miteinander: In der Handlungstheorie stellt er, als er sich der Behandlung der intrinsischen Prinzipien menschlicher Akte zuwendet (den potentiae animae (»Vermögen der Seele«) und den habitus (»Handlungsdispositionen«); STh I-II q. 49 prooem.; Ed. Leonina 6, 309), fest, dass es der Analyse der potentiae zu menschlichen Akten nicht mehr bedürfe, da diese in Teil I der Summe behandelt seien; er verweist auf STh I q. 77; Ed. Leonina 5, 236–249. Dort wiederum begründet er die Vielzahl der potentiae der menschlichen Seele damit, dass der Mensch zwar (im Unterschied zu den essentiae non spirituales [»den nicht mit Geist ausgestatteten, körpergebundenen Wesen«]) die höchste Vollkommenheit (die beatitudo [»Glückseligkeit«]) erlangen kann, dass er aber als ein geistiges Wesen auf einer niedrigeren Stufe als die rein geistigen Wesen (»Engel«) diese bonitas universalis et perfecta
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(»das umfassende und vollkommene Gutsein«) nur als Ergebnis einer Vielzahl von Akten erlangt – genau die Beschreibung dieser Vielzahl von Akten bietet Thomas in der Handlungstheorie bzw. der Ethik des zweiten Teils der Summe (STh I-II q. 5 a. 7r.; Ed. Leonina 6, 53, vgl. a. a. O. q. 6 prooem.; Ed. Leonina 6, 55). Das bedeutet, dass in der Anthropologie der Schöpfungslehre die ontologischen Fundamente der Anthropologie gelegt werden, die im Rahmen des zweiten Teils der Summe als ein bestimmter Selbstvollzug ausgelegt wird. Entsprechend bietet Thomas auch in der Summa contra gentiles in der auf die Gotteslehre (p. I) folgenden Schöpfungslehre die Grundlegung der Anthropologie (STh II-II c. 56–90; Ed. Leonina 8, 405–9, 293), die er dann in p. III in derselben Weise wie in der Theologischen Summe über die Frage nach dem Strebeziel aller, und insbesondere der essentiae spirituales in eine Ethik (als Lehre vom Strebeziel [finis] des Menschen) überführt (bes. Scg. III c. 25–37; Ed. Leonina 14, 65–94). Die knappere Fassung in der Summa contra gentiles lässt dabei die Zusammengehörigkeit der – unterbrochen nur durch die Analyse der substantiae separatae (»der körperlosen Wesen«) (Scg. II c. 91–101; Ed. Leonina 13, 552–602) – direkt aufeinander folgenden Passagen zu den potentiae und zum Strebeziel besser erkennen. Unbeschadet dessen konzentriert sich das Folgende auf die Theologische Summe. 6.1.2. Aufbau und Kontext der Analyse der potentiae animae
in der Theologischen Summe
Im Rahmen der Schöpfungslehre erschließt sich die Darstellung des Wesens des Menschen im Rahmen der Gesamtanlage, die sich an der Unterscheidung der spiritualia und der corporalia orientiert: Zunächst behandelt Thomas die rein geistigen Geschöpfe – die Engel und die Dämonen (STh I q. 50–64; Ed. Leonina 5, 3–147); dann die an die Materie als Bedingung ihrer Existenz gebundenen Geschöpfe – die Genese der unbelebten Wirklichkeit, der Pflanzen und der Tiere, die sich am Sechstagewerk orientiert (STh I q. 65–74; Ed. Leonina 5, 148–193). Und an dritter Stelle (STh I q. 75–102; Ed. Leonina 5, 194–452) eben den Menschen als dasjenige Wesen, das ex spirituali et corporali substantia componitur (»aus geistiger und körperlicher Substanz zusammengesetzt ist« [STh I q. 75 prooem.; Ed. Leonina 5, 194a]). Diese Anlage erlaubt es Thomas, die christliche Tradition einer am Siebentagewerk der Genesis orientierten Schöpfungslehre zu verbinden mit der aristotelischen Zuordnung der Seele und des Leibes als Form und Materie: Die Anthropologie schließt an die Darstellung der göttlichen Schöpfungswerke an; der Erschaffung des Menschen am sechsten Tag wird in STh I q. 72 a. un. (Ed. Leonina 5, 184 f.) nur sehr knapp Erwähnung getan; die Anthropologie setzt dann in q. 75 (Ed. Leonina 5, 194) ohne konstitutiven Bezug auf den Schöpfungsbericht neu ein und kehrt erst in q. 89 (Ed. Leonina 5, 370) zu den Fragestellungen zurück, die sich für die scholastischen Theologen aus dem nichtpriesterlichen Schöpfungsbericht (Gen 2) ergeben, nämlich der Frage nach dem Vorgang der Erschaffung des Menschen und seiner Verfasstheit im Urstand. Tho-
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mas ordnet diese Fragen der Betrachtung der natura hominis (STh I q. 75–89; Ed. Leonina 5, 194–384) zu, und zwar als Betrachtung der productio des Menschen (STh I q. 75 prooem.; Ed. Leonina 5, 194), die ihn in seinem Verhältnis zu seinem Ursprung (STh I q. 90–92; Ed. Leonina 5, 385–400), im Blick auf seine Bestimmung (imago Dei; STh I q. 93; Ed. Leonina 5, 401–412), im Blick auf seine ursprüngliche Verfasstheit und Vollkommenheit (status innocentiae, STh I q. 94– 101; Ed. Leonina 5, 413–447) und im Blick auf seinen ursprünglichen Ort (paradisus; STh I q. 102; Ed. Leonina 5, 448–452) definiert. 6.1.3. Quellen der Anthropologie
In der Gesamtanlage der Schöpfungslehre verbindet Thomas somit eine an platonisierend-dualistischen Kategorien (Leib − Geist) orientierte Kosmologie als Rahmen der Schöpfungslehre mit einer an Aristoteles orientierten Anthropologie, die er mit Motiven der christlichen Tradition (Sechstagewerk; Urstand des Menschen) vermittelt. Die menschlichen Fähigkeiten werden durchgehend eingeordnet in das Verhältnis zu den im Blick auf die Vollkommenheit nachgeordneten rein körpergebundenen Wesen und zu den im Blick auf die Vollkommenheit übergeordneten rein geistigen Wesen (Engel und Gott; etwa STh I q. 79 a. 1r. und a. 2r.; Ed. Leonina 5, 258 und Ed. Leonina 5, 259b/260a; q. 80 a. 1r.; Ed. Leonina 5, 282; q. 83 a. 1r.; Ed. Leonina 5, 307; q. 85 a. 1r.; Ed. Leonina 5, 330b/331a vgl. die entsprechende Gesamtanlage der Quaestiones disputatae de veritate pss.; Ed. Leonina 22/1, 22/2, 22/3). Die theologische Betrachtung des Menschen, so hält Thomas fest (STh I q. 75 prooem.; Ed. Leonina 5, 194), hat sich mit der Seele des Menschen zu befassen, mit dem Leib nur insofern, als er im Verhältnis zur Seele steht. Die Zuordnung von res spiritualis und corporalis, die die Schöpfungslehre insgesamt prägt, setzt sich also in der Anthropologie fort. Die Anthropologie selbst steht im Gefolge der augustinischen Verbindung der biblischen Tradition mit der platonisch-neuplatonischen bzw. aristotelischen Deutung der menschlichen Existenz. Die sowohl bei Aristoteles als auch bei Augustin die Anthropologie leitende Frage danach, wie der Mensch zur εὐδαιμονία/ beatitudo bzw. felicitas (»Ruhe der Erfüllung«) gelangt, und die damit verbundene Deutung des Menschen als auf ein bonum (»Strebeziel«) ausgerichtetes Wesen verbindet Thomas, den βίος φιλοσόφικος (bios philosophicos) aus Buch 10 der Nikomachischen Ethik aufnehmend (vgl. In Eth. X l. 9–10; Ed. Vives 26, 64–70), im Gefolge Augustins mit der Auskunft, dass der Mensch in Gott sein Strebeziel findet, dieses aber im durchschnittlichen, am Genuss der Welt und an der amor sui orientierten Lebensweise zunächst und zumeist verfehlt (vgl. nur, für die Aristotelesrezeption in der Anthropologie grundlegend: STh I q. 76 a. 1r.; Ed. Leonina 5, 208–210).
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6.2. Die Grundlegung der Anthropologie: die Einheit der Seelenform
Für die Grundlegung rezipiert Thomas die aristotelische Anthropologie und situiert sich damit gleichzeitig in den zeitgenössischen Diskussionen, insbesondere in der Frage nach der Einheit der Wesensform des Menschen und in der durch die averroistische Aristotelesdeutung gestellte Frage nach der Individualität des intellectus. Zunächst ist deutlich, dass Thomas die anima als das Formprinzip betrachtet, das eine bestimmte portio materiae zu einem Körper bestimmter Gestalt informiert, der bewegungsfähig ist und in dem sich Lebensprozesse abspielen; in diesem Sinne hat die anima im Menschen die Funktion der forma, und in diesem Sinne nimmt Thomas die aristotelische Definition der Seele auf (De unit. c. 1; Ed. Leonina 43, 292–301a; vgl. STh I q. 76 a. 4 ad 1; Ed. Leonina 5, 224 und De anima II l. 1 und 2; Ed. Vives 24, 55–62). 6.2.1. Abgrenzungen
Thomas sieht sich in Übereinstimmung mit Aristoteles, wenn er diese forma als Einheit fasst, was in der zeitgenössischen Aristotelesrezeption nicht selbstverständlich ist: Es bedeutet nämlich, dass dasjenige Prinzip, das den Menschen zu den spezifisch menschlichen Vollzügen des intelligere und des freien Wollens befähigt, zugleich dasjenige Prinzip ist, das diesen Menschen zur Bewegung und zu allen vegetativen und sensorischen Vollzügen befähigt, die der Mensch mit den Tieren und Pflanzen gemeinsam hat; und es bedeutet, dass die Seele ebenso Subjekt der unentrinnbar körpergebundenen und mit dem Körper vergehenden Vollzüge ist wie Subjekt der Vollzüge, für die ein körperliches Organ nicht notwendig ist und die somit den Untergang des Körpers überdauern ( 6.2.2.). Eine Alternative dazu wäre die Vorstellung, dass das Prinzip der intellektuellen Vollzüge einem bereits durch eine andere – animalische – Seelenform ins Sein gerufenen Lebewesen beigefügt wird, so dass das Prinzip der intellektuellen Vollzüge nicht als die zugleich das Sein vermittelnde forma substantialis, sondern als forma accidentalis zu stehen käme, oder aber – geleitet vom Referat des Aristoteles schreibt Thomas diese These Platon zu – der intellectus verhält sich zum individuellen Menschen-Lebewesen wie ein Prinzip, das dieses gegen es selbständige Lebewesen sich dienstbar macht und bewegt (etwa STh I q. 76 a. 3r.; Ed. Leonina 5, 220b/221a, vgl. die gegen Platon gerichteten Einleitungen der r. der folgenden articuli). Das zentrale Argument des Thomas gegen diese Position besteht in dem Hinweis darauf, dass nur dann, wenn die anima als Prinzip des intellectus die seinsgebende forma des Lebewesens darstellt, die rationalen Akte (Erkennen und Wollen) als Akte dieses bestimmten Lebewesens bezeichnet werden können – und dies sei notwendig, denn: Experitur […] unusquisque seipsum esse, qui intelligit – »Jeder erfährt, dass er selbst es ist, der erkennt« (STh I q. 76 a. 1r.; Ed. Leonina 5, 209a). Diese Selbsterfahrung spiegelt sich in der aristotelischen Feststellung (In Eth. I, l. 10 und 13; Ed. Vives 25, 257–260. 265–268), dass die dem
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Menschen eigentümliche spezifische Tätigkeit, in der der Mensch seine beatitudo findet, das intelligere sei, das damit eben auch dem Menschen als Subjekt unmittelbar attribuiert werden muss. Das auf Selbsterfahrung gestützte (s. o. »experitur […] unusquisque«) Faktum der Einheit der Lebewesen erlaubt dann auch nicht die Annahme mehrerer substantialer Formen in dem einen Lebewesen, deren jede die Teile des Lebewesens informieren würde, die spezialisierte Vollzüge des Lebewesens realisieren (STh I q. 76 a. 3 r. und 4r.; Ed. Leonina 5, 221 und Ed. Leonina 5, 223b/224a), und zu denen sich die anima intellectiva wie ein motor verhielte. In diesem Falle würde sich die Frage nach einem einheitsstiftenden Prinzip dieser substantialen Formen ebenso stellen wie die Frage, wie es möglich ist, dass die Vollzüge der jeweiligen Seelenformen wechselseitig prädizierbar sind (eben etwa: dieses Lebewesen denkt). 6.2.2. Die Einheit der Seelenform und die Unsterblichkeit der Seele
Thomas selbst geht davon aus, dass die Seele die Wesensform des Menschen darstellt und – wie die forma substantialis in allen Seienden – eine einzige und einheitliche ist. Sie hat ihre spezifische Bestimmtheit als menschliche Wesensform als anima intellectiva: Der Mensch ist unter den körpergebundenen animalia dasjenige Wesen, das zum begrifflichen, d. h. über das Sinnliche hinausführenden Denken und zur Selbstbestimmung gegen seine Triebe und Leidenschaften ( 6.4.3.) fähig ist. Diese anima intellectiva schließt aber die Vollkommenheiten aller ihr vor- und untergeordneten substantialen Formen ein – die Fähigkeit zur Bewegung, zum Stoffwechsel (vis nutritiva) ebenso wie die übrigen organischen Vollzüge und die Sinneswahrnehmungen: Sic igitur anima intellectiva continet in sua virtute quidquid habet anima sensitiva brutorum, et nutritiva plantarum – »so enthält die Verstandesseele in ihrer Fähigkeit alles, was der Sinnenseele der Tiere und der Stoffwechselseele der Pflanzen eignet.« (STh I q. 76 a. 3r. und 4r.; Ed. Leonina 5, 221 und Ed. Leonina 5, 223b/224a). Die Seelenform ist allerdings für die niedrigeren Vermögen darauf angewiesen, sich mit der materia zu verbinden und als gestaltende Form einen Körper und entsprechende Organe auszubilden: sie kann ihre operationes nur in diesen Organen aktualisieren (vgl. STh I q. 76 a. 5r.; vgl. a. 8r.; Ed. Leonina 5, 227b/228a und Ed. Leonina 5, 232b/233a). Daher sind diese Seelenvermögen an den Körper gebunden und enden mit der Trennung der Seele vom Körper, ebenso wie die substantialen Formen der Tiere ohne den individuellen Leib nicht fortbestehen (STh I q. 75 a. 3r. und a. 6r.; Ed. Leonina 5, 199b/200a und Ed. Leonina 5, 203b/204a; q. 77 a. 8r.; Ed. Leonina 5, 248b/249a; Scg. II c. 82; Ed. Leonina 13, 513–518). Die höchsten, im eigentlichen Sinne intellektiven Seelenvermögen allerdings sind an körperliche Organe nicht gebunden und überstehen somit den Tod als Trennung der Seele vom Leib (vgl. etwa Scg. II c. 79. 80. 81; Ed. Leonina 13, 498–513; De anima, lib. 3 l. 10 [Ed. Vives 24, 165–168]; STh I q. 75 a. 6r.; Ed. Leonina 5, 203b/204a; q. 77 a. 8r.; Ed. Leonina 5, 232b/233a); das impliziert ferner, dass die anima intellectiva eine subsistente
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Form ist, dass ihr also Sein nicht nur insofern zukommt, als sie realisierendes Moment an einem Kompositum aus Form und Materie ist (STh I q. 75 a. 2r.; Ed. Leonina 5, 196; q. 118 a. 1r.; Ed. Leonina 5, 563b/564a). 6.2.3. Die Seele und ihre Vermögen (potentiae)
Damit ist deutlich, dass die Wesensform des Menschen in sich selbst differenziert ist. Qua forma substantialis verleiht sie das Sein, das aber nicht unmittelbar die Aktualisierung aller operationes (Bewegung; Stoffwechsel; sinnliche Wahrnehmung; Denken und Wollen) einschließt. Denn das Sein des Menschen ist auf Verwirklichung angelegt, nicht immer schon erreichte Verwirklichung (STh I q. 77 a. 1r.; Ed. Leonina 5, 236b/237a, vgl. die entsprechende Bestimmung zu den Engeln in STh I q. 64 a. 1r. und 2r.; Ed. Leonina 5, 139b/140a und Ed. Leonina 5, 141) – das unterscheidet ihn und andere Wesen von Gott, der Verwirklichung ohne Ausstand (potentia) ist (actus purus; STh I q. 77 a. 1r.; Ed. Leonina 5, 236b/237a). Das Sein des Menschen stellt sich daher dar als Vielzahl von potentiae (»Vermögen«), die indizieren, dass dieses Seiende in ihm angelegte Möglichkeiten im Laufe einer Geschichte verwirklicht (vgl. bes. den bereits zitierten Artikel: STh I q. 77 a. 2r.; Ed. Leonina 5, 240). Entsprechend unterscheidet Thomas die potentiae des Menschen in vier Arten (vgl. STh I q. 78 a. 1r.; Ed. Leonina 5, 250b/251a): die potentia vegetativa, die sich auf den einzelnen, unmittelbar durch die Seele informierten Körper und die in ihm ablaufenden Vorgänge der Ernährung, des Wachstums und der Fortpflanzung bezieht (dazu a. a. O. a. 2r.; Ed. Leonina 5, 252); die potentia sensitiva, die durch passiv beeinflussbare Sinne auf weitere Körper bezogen ist und somit auf allgemeinere genera von Objekten bezogen ist; die potentia appetitiva und die potentia motiva secundum locum, die beide auf die Außenwelt ausgreifen; schließlich die potentia intellectiva, die mittels der sinnlich vermittelten Eindrücke nicht nur auf sinnlich aktuell wahrnehmbare, sondern auf das Allgemeine und somit auf alle Objekte – die entia inquantum sunt entia – bezogen ist und durch die dem Menschen somit auch die nichtsinnlichen Entitäten erschlossen sind. 6.2.4. Der ordo der Seelenvermögen
Im Zentrum des Interesses des Thomas steht in der Theologischen Summe, aber auch in den einschlägigen Passagen der großen Disputationen (De ver. q. 10; Ed. Leonina 22/2, 295–346 und q. 23 a. 7 und 8; Ed. Leonina 22/3, 668b–675 sowie q. 9; Ed. Leonina 22/2, 277–294; De Spiritualibus Creaturis q. 1 a. 3 f.) und in der Kommentierung von De anima (In De anima, III; Ed. Vives 24, 133–197), die Beschreibung der potentiae intellectivae: des Erkenntnisvermögens und des Willens. Hier erweist sich, dass die Orientierung am Hylomorphismus des Aristoteles der auf den ersten oberflächlichen Blick statischen Anthropologie eine Dynamik einzeichnet, nach der die spezifische Ausstattung der anima humana die
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Aufgabe vorzeichnet, im Laufe des Menschenlebens eine angelegte Bestimmung zu realisieren. Die Identifikation dieser Bestimmung orientiert sich an letztlich platonischen Kriterien, nach denen das vom Sinnlichen Unabhängige dem Körperlichen und das Allgemeine dem Individuellen nicht nur als das Vollkommenere dem Unvollkommenen gegenüber übergeordnet ist, sondern dessen Bedingung darstellt; diese Kriterien sind an mehreren Punkten anthropologisch relevant, insbesondere in der Identifikation eines ordo der potentiae animae (STh I q. 77 a. 2r. und a. 4r.; Ed. Leonina 5, 240 und Ed. Leonina 5, 243b/244a): Hier gilt, dass zwar ohne die ,unvollkommeneren‹, auf den Stoffwechsel und die sinnliche Wahrnehmung bezogenen potentiae die jeweils höheren unter den Bedingungen des Menschseins nicht zur Realisation kommen; dass umgekehrt aber genau darin sich zeigt, dass die an die Körperkonstitution gebundenen potentiae ihren finis in den intellektualen potentiae haben, die somit ontologisch vorgeordnet sind (vgl. STh I q. 77 a. 4r. und a. 7r.; Ed. Leonina 5, 243b/244a und Ed. Leonina 5, 247). Die körpergebundenen Anlagen haben den höheren zu dienen. 6.2.5. Mann und Frau
Die geschlechtliche Differenz des Menschen spielt bei Thomas eine marginale Rolle. Er geht mit Aristoteles davon aus, dass die Frau ein durch Zufall entstehender defizienter Mensch ist und begründet das damit, dass natürlicherweise der Zeugungsakt auf das Hervorbringen von etwas Ähnlichem abzielt (STh I q. 92 a. 1 ad 1; Ed. Leonina 5, 396a); die Differenz ist erklärungsbedüftig, Thomas erwägt u. a. einen schwächenden Einfluss des feuchten Südwindes (ebd.). Die geschlechtliche Differenz ist aber kein Defekt der Schöpfung, sondern schöpfungsgemäß, da für die Zeugung ein aktives und ein passives Prinzip notwendig sind, und dies bei den Lebewesen durch die geschlechtliche Differenzierung gewährleistet sei. Allerdings erschöpft sich die Zuordnung von Mann und Frau nicht in der Fortpflanzung, sondern zielt auch auf die vita domestica (»das häusliche Zusammenleben«), die sich um ein Verhältnis der Unterordnung der Frau unter den Mann als Haupt und entsprechend unterschiedliche Aufgaben gruppiert (STh I q. 92 a. 2r.; Ed. Leonina 5, 398). Dem ihm und seinen Zeitgenossen durchaus zugänglichen Einwand, damit werde ein Verhältnis der Herrschaft des Menschen über den Menschen etabliert, das eine Sündenfolge sei und in der Beschreibung des Schöpfungsaktes keinen Raum haben dürfe (STh I q. 92 a. 1 o. 2; Ed. Leonina 5, 396), begegnet er mit der Feststellung, dass die Unterdrückung und die Unterwerfung eines Menschen als Mittel für den Zweck des anderen Sündenfolge sei, nicht aber die subiectio oeconomica vel civilis, secundum quam praesidens utitus subiectis ad eorum utilitatem et bonum – »das haushalterische oder bürgerliche Unterordnungsverhältnis, in dem der Vorstehende die Untergebenen zu deren [der Untergebenen] Nutzen und Wohl gebraucht« (STh I q. 92 a. 1 ad 2; Ed. Leonina 5, 396b/397b). Dieses Verhältnis der Fürsorge entspreche dem Schöpfungswillen Gottes.
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Insgesamt steht die Frau nach Thomas dem Mann im Blick auf die Ausstattung mit den höheren potentiae animae nicht nach (wenn sie auch schwächer sind): wie er ist die Frau bestimmt zum höheren Leben des Erkennens, und darum ist der Mensch – im Unterschied zu den Pflanzen – mit dem je anderen Geschlecht nicht dauerhaft verbunden und somit frei zum individuellen Vollzug des Erkennens (STh I q. 92 a. 1r.; Ed. Leonina 5, 396). Die mit dem höchsten Seelenteil und seinen operationes – Erkenntnisvermögen und Wille – gegebene Ausrichtung des Menschen auf das Übersinnliche ist nun zu skizzieren. Mit dieser Zuordnung des höchsten zu den körpergebundenen Seelenteilen ist einerseits ein immer schon realisiertes Verhältnis vorgezeichnet, das sich in der Beschreibung des Erkenntnisprozesses manifestiert (s. u.; vgl. etwa: STh I q. 85, hier bes. a. 1r. bis 3r.; Ed. Leonina 5, 330b/331a, 333b–334b und 336; vgl. De ver. q. 10 a. 4r.; 5r.; 6r.; Ed. Leonina 22/2, 306b/307a, 308b–309b, 311b–313a), zum anderen eine Sollbestimmung, die sich in der Frage nach der Ausrichtung des Willens niederschlägt (s. u.). 6.3. Das Erkenntnisvermögen 6.3.1. Der Vorgang des Erkennens
Das menschliche Erkennen hebt, im Unterschied zum Erkennen der Engel oder gar Gottes (STh I q. 14; Ed. Leonina 4, 166–194; STh I q. 53–58; Ed. Leonina 5, 30–91, vgl. etwa De ver. q. 2; q. 8; Ed. Leonina 22/1, 69/70) bei den Sinnen und den dort rezipierten Eindrücken an, die im sensus communis zusammengeführt (Ursprung: In De anima III l. 3; Ed. Vives 24, 141–145) und durch die vis imaginativa (»Einbildungskraft«) als gemeinsame sinnliche Form identifiziert werden. Die potentia intellectiva ist grundsätzlich die Empfänglichkeit für die von diesem sinnlichen Material abstrahierten Wesensformen, also für die ontologischen Korrelate des Wesensbegriffs (STh I q. 79 a. 2r.; Ed. Leonina 5, 259a–260a). Der Intellekt ist somit ein passives Vermögen: intellectus possibilis (STh I q. 79 a 3r.; Ed. Leonina 5, 264, vgl. etwa STh I q. 79 a. 2r.; Ed. Leonina 5, 259). Diese Empfänglichkeit des intellectus possibilis – nach der die Seele nata est fieri omnia (»dazu da ist, alles zu werden«), d. h. die Wesensformen aller Dinge in sich aufzunehmen, wie Thomas häufig sagt (etwa STh I q. 79 a. 7r.; Ed. Leonina 5, 272a–273a; q. 80 a. 1r.; Ed. Leonina 5, 282; In De anima III l. 9/10; Ed. Vives 24, 163–168) – ist allerdings angewiesen darauf, dass diese Wesensformen in Analogie zum Einwirken sinnlicher Gegebenheiten auf die Sinne überhaupt dem Verstand zugänglich werden. Verantwortlich dafür ist der intellectus agens, die Fähigkeit, im Sinnlichen die allgemeine Form von den partikularen Realisationsbedingungen (die Hundhaftigkeit vom aktuell durch die Sinne gegebenen und durch die Einbildungskraft repräsentierten Pudel) zu unterscheiden (De anima III l. 10; Ed. Vives 24, 165– 168; STh I q. 79 a. 4r. und 5r.; Ed. Leonina 5, 267–269). Diesen intellectus agens bezeichnet Thomas als lumen (»Licht«) (De ver. q. 10 a. 6r.; Ed. Leonina 22/2,
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311b–313a); es handelt sich um ein Orientiertsein des Weltumgangs auf das Allgemeine hin. Dieser intellectus agens ist nach Thomas eine partikulare, höchst unvollkommene Teilgabe an der unmittelbaren, nicht diskursiven und sinnlich vermittelten Intuition des Wesens, das Gott und den Engeln eigentümlich ist, die nicht das Allgemeine durch das sinnlich Individuelle, sondern das Individuelle durch das Allgemeine erkennen (STh I q. 79 a. 4r.; Ed. Leonina 5, 267a/268a, vgl. De anima III l. 10 [Ed. Vives 24, 165–168]; vgl. aber die Abgrenzung gegen eine Teilhabe an Gott in Scg. II c. 85; Ed. Leonina 13, 533/534). 6.3.2. Die Individualität des intellectus 6.3.2.1. Die averroistische Gegenposition
Entscheidend ist dabei, dass sich Thomas in den einschlägigen Passagen der Summen, insbesondere aber im De anima-Kommentar, in den Quaestionen De sub stantiis separatis und De anima und in seiner Schrift De unitate intellectus von der averroistischen Deutung des intellectus abgrenzte, die von der Einheit des intellectus possibilis in allen Menschen ausging und die er an der Pariser Universität etwa durch Siger von Brabant und andere Lehrer der Philosophischen Fakultät repräsentiert sah (Dales, Problem; Pegis, St. Thomas). Die Auseinandersetzung mit dem häretischen Aristotelismus und damit die Rettung der Orientierungskraft des Aristoteles für den christlichen Glauben ist ein Grundmovens der theologischen und philosophischen Arbeit des Thomas und motiviert beispielsweise das in den sechziger Jahren in Angriff genommene Projekt der Kommentierung aller Werke des Aristoteles (Slenczka, Thomas). Thomas deutet die averroistische Position als Wiedergänger eines Platonismus, der seiner Diagnose nach die höheren Seelenvermögen nicht als Vollzüge des jeweiligen Lebewesens fassen kann, sondern das Subjekt dieser Vermögen den animalischen Vermögen als motor zuordnet (s. o.; STh I q. 76 a. 2r.; Ed. Leonina 5, 216b/217a). In der Tat stützt sich Siger von Brabant (zum Folgenden vgl. Siger, De anima intellectiva, bes. c. 3 und 4; 6; bes. 7) auf die Unterscheidung, die Aristoteles zwischen den leibgebundenen Seelenvermögen und den nicht an die materia und die durch sie gebildeten Organe gebundenen intelligiblen Vermögen setzt; er weist darauf hin, dass die intelli giblen Vermögen zwar eines Leibes für die operatio des Erkennens und damit für das aktuelle Erkennen bedürfen, wohl aber für ihr Sein auf die Realisation in der Materie nicht angewiesen sind. Damit ist aber auch nicht zu sehen, inwiefern diese Vermögen, die sich der leiblich gestützten Anlagen und Organe bedienen, durch diesen Leib individuiert sein sollten – wie für die materielosen substantiae separatae in Met. 12 gilt, dass sie in jeder species eine sind, so gibt es auch für die vom Körper trennbare anima intelligibilis kein Individuationsprinzip (a. a. O. 6, 7; 7). Der Gewinn der Position liegt darin, dass die Unabhängigkeit des Vernünftigen und des Erkennens von individuellen Besonderheiten und die überzeitliche Gültigkeit des Wahren nachvollziehbar und verständlich wird, wenn sie als am
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Ort des Subjektes sich vollziehender Beitrag zu etwas das Subjekt Übersteigendem gefasst wird. 6.3.2.2. Die Position des Thomas
Thomas insistiert einerseits darauf, dieser Position nicht aus christlicher Motivation und mit einer christlichen Argumentation zu widersprechen, sondern er hält sie aus rein philosophischen Gründen einerseits sachlich und andererseits als Aristotelesinterpretation philologisch für falsch (De unit. prooem.; Ed. Leonina 43, 291; philologische Argumentation c. 1; Vernunftargumentation c. 3; vgl. Scg. II c. 78; Ed. Leonina 13, 493–497; De spirit. q. 1 a. 9r. und 10r.; Ed. Vives 14, 44b–46a; 51a–52b). Er verweist darauf, dass eine solche Position weder erklären könne, wie umgangssprachlich der individuelle Mensch als Subjekt des Erkennens auftreten könne, noch könne unter dieser Voraussetzung klar werden, wie einem bestimmten Menschen seine Verfehlungen oder Verdienste zugeschrieben werden könnten, da diese Wirkungen einer Instanz wären, die mit ihm nicht identisch ist, sondern sich seiner nur bedient (etwa De unit. c. 3 und c. 4; Ed. Leonina 43, 307b–310a). Das Votum des Thomas zielt darauf, das durch den Leib identifizierbare menschliche Individuum als das Subjekt auch der intelligiblen Akte zu etablieren, und er tut dies, indem er die anima intellectiva als diejenige Instanz beschreibt, von der alle niederen, körpergebundenen Seelenvermögen ausgehen und die den Körper informiert – mit der Folge, dass sie als individuelle auf diesen Körper hin geschaffen und durch die Beziehung zu diesem Körper auch nach der Trennung von ihm geprägt bleibt. Dieses Interesse an der Individualität bestimmt den gesamten Komplex der Ausführungen des Thomas zum Verhältnis von Seele und Leib; dadurch dürfte auch sein Votum für eine unmittelbare Erschaffung der Menschenseele durch Gott und sein Widerspruch gegen die These, dass die Menschenseele im Zeugungsakt weitergegeben wird, begründet sein (STh I q. 91 a. 2r.; Ed. Leonina 5, 392; a. 3r.; Ed. Leonina 5, 393; a. 4r.; Ed. Leonina 5, 395; De pot. q. 3 a. 9r.; Ed. Vives 13, 69/70a ). Im Zeugungsakt weitergegeben wird nur die virtus seminis (»die Kraft des Samens«), aus dem und dessen Form sukzessiv die unterschiedlichen Stufen der Seelenform entstehen und bei Ausbildung der je höheren wieder vergehen: Erst bildet sich die anima vegetabilis; dann die anima sensibilis unter Einschluss der potentiae vegetabiles etc., bis schließlich durch einen Schöpfungsakt die anima rationalis entsteht und induziert wird, die dann das Subjekt auch aller niedrigerstufigen potentiae ist. 6.4. Der Wille
Wie das Erkennen in der Rezeptivität der Sinnlichkeit und in den formae sensibiles ihre »Vorstufe« hat, so ist auch der Wille eine Gestalt des appetitus (»Strebevermögens«), das sich auch unter den Bedingungen der Animalität einerseits und unter den Bedingungen rein geistiger Wesen (Engel und Gott) andererseits mani-
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festiert: In allen Fällen indiziert der appetitus eine Gestalt der Passivität, ein Bewegtwerden durch ein Strebeziel, dem allerdings eine Neigung (inclinatio) entspricht (STh I q. 80 a. 1r. und 2r.; Ed. Leonina 5, 282 und 284). Der Wille ist darum ein Moment der potentia intellectiva, weil er die Fähigkeit und die Neigung des Menschen zur Sprache bringt, nichtsinnliche Sachverhalte nicht nur zu erkennen, sondern sich durch sie bewegen zu lassen. 6.4.1. Der Mensch und sein Strebeziel: Die beatitudo
Dabei geht Thomas davon aus, dass der Mensch von vornherein durch seinen Willen auf ein Ziel hin angelegt ist – der Wille will immer ein bonum (»Gutes«) (STh I-II q. 8 a. 1r.; Ed. Leonina 6, 68). Diese Auskunft ist analytisch, denn zu einem bonum wird etwas, indem es Gegenstand des Strebens wird (De ver. q. 1 a. 1r.; Ed. Leonina 22/1, 3–8a). Mit dieser Feststellung ist noch nicht entschieden, ob das bonum, auf das der Wille ausgerichtet ist, ein wirkliches Gut oder ein apparens (»scheinbares«) bonum ist. Das bonum, auf das der menschliche Wille immer schon und unverrückbar ausgerichtet ist, ist das Erlangen von beatitudo (vgl. STh I q. 94 a. 1r.; Ed. Leonina 5, 413; 82 a. 1r. und 2r. Ed. Leonina 5, 293 und 296), die man als »Ruhe der Erfüllung« kennzeichnen könnte, ein Zustand, der erreicht ist, wenn ein bonum complens appetitum (»ein Gut, das das Streben erfüllt«), erreicht ist (STh I-II q. 2 a. 7r.; Ed. Leonina 6, 23). Diese der Auslegung der Nikomachischen Ethik entstammende Auskunft legt Thomas – darin der augustinisch-neuplatonischen Interpretation dieser Tradition folgend, aber die aristotelische Beschreibung des der Philosophie gewidmeten Lebensvollzugs aufnehmend (vgl. In Eth. I l. 19 und 20; Ed. Vives 25, 282–287; I l. 5; Ed. Vives 25, 243–246; dort Verweis auf lib. X l. 10–12; Ed. Vives 26, 67–73) – so aus, dass der Mensch diese beatitudo in der Schau Gottes findet, in der das dem Menschen gemäße bonum, nämlich die höchste Realisation seiner potentia intellectiva, erreicht sei, indem der Mensch dasjenige bonum erfasst, das alles Streben erfüllt, und das in höchstem Maß Erkennbare, das alle Erkenntnis einschließt, erfasst (vgl. nur: STh I q. 12 a. 1r.; Ed. Leonina 4, 114b/115a; STh I q. 82 a. 1r.; Ed. Leonina 5, 293; a. a. O. a. 4r.; Ed. Leonina 5, 303; vgl. Scg. III c. 25–63; Ed. Leonina 14, 65–178 auf dem Hintergrund von c. 2–24; Ed. Leonina 14, 5–65). Thomas weist in der Auslegung der Ausführungen des Aristoteles zum philosophischen Lebensvollzug darauf hin, dass Aristoteles mit dem Hinweis auf die in der speculatio (der theoretischen Beschäftigung [mit Gott]) erreichte felicitas nur von der Erfüllung handle, die in hac vita (in diesem Leben) erreichbar sei (In Eth. X l. 11; Ed. Vives 26 70–73 und l. 13; Ed. Vives 26, 76–79). Für Thomas ist es eindeutig und ebenfalls ohne Rekurs auf spezifisch christlich-religiöse Einsichten nachvollziehbar, dass die beatitudo vom Menschen nicht unter den Bedingungen des irdischen Lebens erreicht werden kann (vgl. den Argumentationsgang in Scg. III c. 38–48; vgl. den Gedankengang in den Artikeln von STh I-II q. 2 und q. 3; Ed. Leonina 6, 17–36 vgl. knapp De ver. q. 27 a. 2r.; Ed. Leonina 22/3, 793b–794b). Die unter den
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Bedingungen irdischer, leibgebundener Existenz mögliche Gotteserkenntnis unterscheidet sich wesentlich von der Schau Gottes, in der der Mensch seine beatitudo (»Erfüllung«) findet: Die endgültige Gotteserkenntnis ist eine Schau des göttlichen Wesens, das selbst zur forma des erkennenden Verstandes wird (vgl. etwa STh I q. 12 a. 2r. und 5r.; Ed. Leonina 4, 116b/117b und Ed. Leonina 5, 123; STh I-II q. 3 a. 6r.; Ed. Leonina 6, 58). Die endgültige beatitudo ist erst erreicht in einer Schau Gottes, die im Unterschied zu der von den effectus auf die Ursache schließenden und somit nur mittelbar erkennenden gegenwärtigen Gotteserkenntnis eine unmittelbare Schau des göttlichen Wesens darstellt (vgl. bes. Scg. III c. 39−41; Ed. Leonina 14, 95−106). Die einem Beweisverfahren wie dem kosmologischen Gottesbeweis entspringende metaphysische Gotteserkenntnis ist, so hält Thomas fest, zudem in dem Sinne negativ, dass sie lediglich die Unvollkommenheit des sichtbaren Seienden, von dem der Beweis ausgeht, bezüglich der prima causa negiert, aber nicht zur positiven Einsicht in die essentia Gottes gelangt (Scg. III c. 39; Ed. Leonina 14, 95–98). 6.4.2. Der Weg zum Erreichen des übernatürlichen Strebeziels
Die Beschreibung des Menschen als ein auf das Erlangen von beatitudo in der Schau Gottes ausgerichtetes Wesen trägt Thomas in Teil II der Theologischen Summe vor, in dem er darstellt, mittels welcher interner und externer Prinzipien die actus des Menschen so bestimmt werden, dass er diejenigen actus vollbringt, die ihn zum Erreichen des eigentlichen Strebeziels der beatitudo – zur Schau Gottes also – qualifizieren (STh I-II q. 1–5; Ed. Leonina 6, 6–54). Hier sortiert Thomas der aristotelischen, am Streben nach wesensentsprechender Vollendung orientierten Ethik die kirchliche Zuordnung der ewigen Seligkeit als Lohn eines gnadenhaft ermöglichten Erwerbs von merita zu (STh I-II q. 5 a. 7r.; Ed. Leonina 6, 53), die er interessanterweise nicht mit Bibel- oder Kirchenväterautoritäten begründet, sondern mit Aristoteleszitaten (ebd., vgl. Scg. III c. 25 und c. 37; Ed. Leonina 14, 65–70 und 92–94). Spezifisch theologisch oder spezifisch christlich ist nicht die Einsicht in die Bestimmung des Menschen zur Schau Gottes, sondern die Einsicht, dass diese Bestimmung über das Leben im Kontext der sinnlichen Wirklichkeit hinausreicht, damit die Fähigkeiten des Menschen übersteigt, der – und zwar schon die Protoplasten – zum Erreichen ihres übernatürlichen Ziels der göttlichen Gnade bedarf (STh I q. 90 a. 1r.; Ed. Leonina 5, 385; vgl. STh I-II q. 114 a. 2r. und ad 1; Ed. Leonina 7, 346). Die Protoplasten waren nach Thomas mit eben der die Kräfte der höheren Vermögen des Menschen über das natürliche Maß hinaus vervollkommnenden Gnade ausgestattet (STh I q. 95 a. 1r.; Ed. Leonina 5, 420b/421a), die sie (und in der Folge alle Menschen) mit dem Sündenfall verloren haben. Die Sünde ist dabei nicht der Verlust des Menschseins und seiner natürlichen Fähigkeiten, für die der Begriff der imago Dei steht (STh I q. 93 a. 3r. und 4r.; Ed. Leonina 5, 404 und 404b/405), sondern der Verlust der angemessenen Ausübung dieser Fähigkeiten so, dass der Mensch in dieser Aus-
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übung Gott similis (»ähnlich«) ist. Die klassische, auch von Thomas übernommene Unterscheidung der im lateinischen Text von Gen 1,27 verwendeten Begriffe imago (»Bild«) und similitudo (»Gleichnis«) deutet er so, dass mit similitudo eine perfectio der imago (STh I q 93 a 9r.; Ed. Leonina 5, 410b/411a) gemeint ist, die der Mensch in der Ausrichtung auf Gott als auf das summum bonum im Akt der dilectio so realisiert, dass alle seine Anlagen und die ihnen entsprechenden, mehr oder weniger weitreichenden Zielsetzungen diesem finis ultimus untergeordnet sind. Mit dieser Ausrichtung auf Gott vollzieht sich eine Selbstbestimmung des Menschen, die alle seine Lebensvollzüge und insbesondere seine Animalität (die passiones), die ihn an die Körperwelt bindet, auf das Ziel hin ausrichtet, das die anima intellectualis ihm vorzeichnet; was der Mensch in hac vita (»in diesem Leben«) erreichen kann und erreichen soll, ist eine Ausrichtung auf Gott, die ihn zu einer zum Erlangen des Strebeziels aufnahmefähigen materia macht (vgl. STh I-II q. 4 a. 4r.; Ed. Leonina 6, 40). 6.4.3. Der Widerstand der passiones (weltgebundenen Leidenschaften)
Das entscheidende, mit dem Menschsein gestellte Problem ist der Umgang mit den passiones animae sensitivae. Im Aufbau der Theologischen Summe folgt die Darstellung der passiones, die der Mensch mit allen körpergebundenen Wesen gemeinsam hat (STh I-II q. 22–48; Ed. Leonina 6, 168–271), auf die Darstellung des spezifisch menschlichen Handelns, das willentlich und so durch ein rationales, den Menschen auf ein höchstes Ziel ausrichtendes Vermögen gesteuert ist (STh I-II q. 6–21; Ed. Leonina 6, 55–167). Damit ist ein Problem des Menschseins markiert, das dazu bestimmt ist, unter den Bedingungen der Animalität vernunft orientiert (ausgerichtet auf das bonum quod est Deus) zu handeln. Thomas unterscheidet die passiones in die passiones concupiscibiles und die passiones irascibiles. Auch die passiones beziehen sich auf das bonum und malum: Alle passiones stehen im Umfeld des Erstrebens des Guten und Meidens des Übels, dies aber in unterschiedlicher Weise: Die passiones concupiscibiles (STh I-II q. 23 a. 1r.; Ed. Leonina 6, 173; q. 25 a. 2r.; Ed. Leonina 6, 184b/185a) erfassen das Gute und Üble als Angenehmes und zu Meidendes in der leitenden passio der amor (negativ: odium bzw. fuga), die sich differenziert in das desiderium (»Erstreben eines Abwesenden«), das gaudium (der Zustand der Erfahrung des gegenwärtigen bonum) und die tristitia (der Zustand der Erfahrung des gegenwärtigen malum). Die passiones irascibiles bestimmen das Verhältnis zum bonum und zum malum dadurch, dass das Erlangen oder Vermeiden mit Schwierigkeiten verbunden ist (STh I-II q. 23 a. 1r.; Ed. Leonina 6, 173), deren Überwindung erstrebt wird; die Leit-passio ist hier die spes (negativ: desperatio; q. 25 a. 3r.; Ed. Leonina 6, 186), die sich differenziert in timor (»Furcht«) und audacia (»Mut«) sowie ira (»Zorn«). Diese passiones sind zum einen an die körperliche Konstitution des Menschen gebunden und ihm mit allen animalia gemeinsam (STh I-II q. 22 a. 1r. und 3r.; Ed. Leonina 6, 168 und 171; vgl. q. 6 prooem.; Ed. Leonina 6, 55); zum anderen sind
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diese passiones nicht per se ein Übel oder moralisch verwerflich, sondern ethisch unbestimmt. Den Charakter als bonum oder malum gewinnen sie ausschließlich von ihrem Verhältnis zur ratio bzw. zur intelligiblen Bestimmung des Menschen: sie werden zu einem malum, wenn sie sich der Ausrichtung der Vernunft entziehen, und ein bonum, wenn sie von der Vernunft regiert und begrenzt sind (STh I-II q. 24 a. 1r.; Ed. Leonina 6, 179). 6.4.4. Die Tugenden
Die mit dem Wesen des Menschen vorgezeichnete Ausrichtung des Lebensvollzuges auf das summum bonum hin erfüllt sich somit in der Auseinandersetzung mit den passiones animae und in der Aufgabe, das leibgebundene Streben der höheren Bestimmung des Menschen unterzuordnen. Die rechte Ausrichtung des gesamten Selbstvollzuges ist das durch Tugenden bestimmte Leben. Tugenden – die wesentlichen Einsichten übernimmt Thomas wieder von Aristoteles – sind dabei solche die potentiae der Seele bestimmenden Handlungsdispositionen, die den Menschen in ein vom Ziel des intellectus her moderiertes Verhältnis zu den ins Extrem tendierenden passiones animae setzen. Diese Tugenden werden entweder durch Gewöhnung eingeübt – das gilt für die Kardinaltugenden. Oder sie werden – soweit sie die natürlichen Bedingungen des Menschseins übersteigen – »eingegossen«, und zwar mit der göttlichen Gnade, die sich in den potentiae animae in den Tugenden des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe niederschlägt C.II.7.). Alle Tugenden stehen untereinander im Verhältnis einer Ordnung ( und haben natürlicherweise in der Ausrichtung auf das bonum commune ihr Ziel; bei dem Menschen aber, der im Verfolg seiner übernatürlichen Bestimmung begriffen ist, haben sie in der Ausrichtung auf Gott als das summum bonum durch Glaube, Hoffnung und Liebe ihr Ziel (Scg. III c. 151–153; Ed. Leonina 14, 444– 449; vgl. STh I-II q. 62 a. 3r.; Ed. Leonina 6, 403; a. 4r.; Ed. Leonina 6, 404b/405a; q. 66 a. 4r.; Ed. Leonina 6, 434a/435a; Scg. III c. 147–154; Ed. Leonina, 435–457). Mit einem durch diese Tugenden moderierten Lebensvollzug erfüllt der Mensch das göttliche Gesetz, das ebenfalls im Gebot der Gottesliebe kulminiert (Scg. III c. 116; Ed. Leonina 14, 365–367) – denn die Liebe ist der Modus, in dem der Mensch auf etwas um dessen selbst willen und damit als summum bonum strebend orientiert ist (STh II-II q. 23; Ed. Leonina 8, 163–173). 6.4.5. Die Einsicht in die Vorläufigkeit des Natürlichen
und in die Notwendigkeit der göttlichen Hilfe
Damit erfüllt sich im Blick auf die Bestimmung des Menschen das die Theologie des Thomas strukturierende adagium, dass die Gnade die Natur nicht aufhebt, sondern voraussetzt und vollendet. Die Ausrichtung auf ein Strebeziel ist dem Menschen – das zeigt bereits die Zuordnung der entsprechenden Bestimmungen in Teil III der Summa contra gentiles, in dem Thomas immer noch das der Ver-
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nunft Zugängliche beschreibt – fassbar; es ist ihm auch einsichtig zu machen, dass das in ihm angelegte Streben in diesem Leben keine Ruhe findet, sondern über seine natürlichen Anlagen hinausführt. Ihm ist ebenfalls einsichtig zu machen, dass er eines auxilium (»einer Hilfe«) bedarf, um die auf das Erlangen des Strebeziels hinführende Haltung der Liebe des summum bonum um seiner selbst willen zu erreichen. Die Gnadenlehre bildet in der Summa contra gentiles (Scg. III c. 147 und folgende; Ed. Leonina 14, 435–457) den Übergang zu dem, was dem Menschen natürlicherweise nicht zugänglich ist, sich aber als conveniente – passende – Lösung der mit dem Streben des Menschen einhergehenden und dessen Erfolg entgegenstehenden Probleme plausibilisiert: Dass Christus und die in ihm vollbrachte Erlösung der Weg ist, auf dem der Mensch die in seinem Wesen vorgezeichnete Lebensbewegung erfolgreich vollzieht in dem Sinne, dass er zur Ruhe der Erlösung in der Schau Gottes gelangt. 6.4.6. Der Störfall der Sünde
Dabei ist vorausgesetzt, dass der Mensch nicht nur, wie die Protoplasten, einen Weg zum Erreichen dieses Zieles mühelos – aber eben auch mit Hilfe der Gnade – zu gehen hat, sondern dass diese göttliche Hilfe, ohne die der Mensch sein übernatürliches Strebeziel nie erlangte, verloren ist und die natürliche Ordnung, zu der der Mensch bestimmt ist, sich in Unordnung verkehrt hat. Die Sünde – der Verlust der similitudo oder der durch die Gnade begründeten Urstandsgerechtigkeit, zugleich die Überschreitung des göttlichen Gebotes – hat ihren Ursprung und ihr Wesen im inordinatus appetitus boni, in der Unordnung des Strebens nach einem Gut. Diese Unordnung hat ihr Zentrum darin, dass der Mensch seiner concupiscentia folgt und sich selbst bzw. die Welt dadurch zum summum bonum macht, dass er ihr (und nicht Gott) um ihrer selbst willen anhängt (STh I-II q. 77 a. 4r. und 5r.; Ed. Leonina 7, 65 und 66b/67a): Er stellt nicht alle Strebun gen, die ihm seine Konstitution vorzeichnet, unter den Vorbehalt des Strebens nach dem summum bonum. Dass die Sünde Verlust der similitudo mit Gott ist, plausibilisiert Thomas selbst damit, dass er die similitudo in die Entsprechung zum Weltverhältnis Gottes legt (zum Folgenden vgl. Scg. III c. 1; Ed. Leonina 14, 3−5 und STh I-II q. 77 a. 5r.; Ed. Leonina 7, 66b/67a): Wie Gott die gesamte Wirklichkeit durchdringt, in jedem ihrer Teile als Ganzer gegenwärtig ist und die Welt und alles in ihr auf ihr Ziel hinbewegt, so durchdringt und beherrscht der Mensch, sofern er in seinem gesamten Selbstvollzug auf Gott als das höchste Gut ausgerichtet ist, qua Vernunftseele seinen Leib (STh I q. 95 a. 2r. und 3r.; Ed. Leonina 5, 422 und 423) und dessen weltbezügliche passiones (concupiscibiles und irascibiles) und entspricht darin Gott. Die similitudo ist die aktuale Herrschaft über die Welt, während die imago Dei die potentiae intellectivae meint, die den Menschen für diese Herrschaft bestimmen und – unbeschadet der Notwendigkeit der Gnade − ausstatten.
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Dales, Richard: The Problem of the Rational Soul in the Thirteenth Century, Leiden 1995. Hellmeier, Paul Dominikus: Anima et intellectus. Albertus Magnus und Thomas von Aquin über Seele und Intellekt des Menschen, Münster 2011. Krämer, Klaus: Imago trinitatis. Die Gottebenbildlichkeit des Menschen in der Theologie des Thomas von Aquin, Freiburg i. Br. 2000. Pegis, Anton Charles: St. Thomas and the Problem of the Soul in the Thirteenth Century, Toronto 1934/ND Wetteren 1976. Perler, Dominik: Transformationen der Gefühle. Philosophische Emotionstheorien von 1270–1670, Frankfurt a. M. 2012. Rahner, Karl: Geist in Welt (= Sämtliche Werke, Bd. 2), Solothurn u. a. 1995. Notger Slenczka
7. Gnade und Rechtfertigung 7.1. Die Perspektive der konfessionellen Differenz
Die Beschreibung des thomasischen Verständnisses der Rechtfertigung des Sünders und des Prozesses der Gnadenvermittlung steht von vornherein hermeneutisch unter dem Vorzeichen der an dieser Frage aufgebrochenen und bis heute virulenten konfessionellen Differenz. Thomas von Aquin gilt vor allem Luther, aber auch den anderen Reformatoren als derjenige Theologe, der durch die Rezeption aristotelischer Grundaxiome das Verhältnis von Gott und Mensch so ausformuliert hat, dass sich die von den Reformatoren diagnostizierten Verirrungen der spätmittelalterlichen Frömmigkeit und Theologie einstellen mussten (Pesch, Theologie der Rechtfertigung; Pesch/Kühn, Rechtfertigung). Auf der anderen Seite wurde nicht nur von altgläubigen und konfessionell-katholischen Theologen der Versuch unternommen, zu zeigen, dass das Verständnis der Be gnadigung durch Thomas rechtgläubig sei, sondern auch der Lutherische Theologe Johann Georg Dorsche veröffentlichte 1655 eine Schrift mit dem Titel Thomas Aquinas veritatis evangelicae confessor, in der er zu zeigen suchte, dass Thomas sich bezüglich der Beschreibung des Gnadenhandelns Gottes in Einklang befindet mit der Rechtfertigungstheologie der Confessio Augustana und der reformatorischen Bekenntnisschriften. Während dieser Text von dem Anliegen bestimmt war, die römische Kirche um den Kronzeugen ihrer in Trient festgeschriebenen kirchenoffiziellen Soteriologie zu bringen, bemühen sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sowohl protestantische (beispielsweise Kühn, Via caritatis) als auch römisch-katholische (beispielsweise O. H. Pesch, Theologie der Rechtfertigung) Theologen darum, zu zeigen, dass und inwiefern die thomasische Gnadenlehre über alle Differenzen hinweg mit der protestantischen Deutung der Rechtfertigung vereinbar ist. Die 1999 in Augsburg vom Lutherischen Weltbund und Vertretern der römischen Kurie anerkannte gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre scheint die Differenzen beseitigt zu haben, die mit dem Namen Luthers auf der einen Seite, mit dem des Thomas von Aquin auf der anderen
II. Themen – 7. Gnade und Rechtfertigung
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Seite verbunden waren. Es wird jedem, der in diese Auseinandersetzungen der Reformationszeit eingeführt ist, unmöglich sein, Thomas von Aquin nicht in ihnen zu verorten. Das ist nicht völlig unsachgemäß, weil die seinerzeit verhandelten Fragen auf diesem Gebiet ebenso wie die des Zeitalters der Reformation sich in die Fronten der Auseinandersetzung Augustins mit Pelagius und den Semipe lagianern einzeichneten und gemeinsam deren Wirkungsgeschichte darstellen. Unsachgemäß ist es darum, weil die Präzisionen in der Wahrnehmung dieser Fragestellung und die Schibboleths, die sich in der Reformationszeit ausbilden, nur um den Preis des Anachronismus das Kriterium für eine Bewertung des thomasischen Umgangs mit diesen Fragen abgeben können. Im folgenden kann es nur darum gehen, im Bewusstsein der Unentrinnbarkeit dieser Perspektive die Position des Thomas auf deren systematische Pointen hin zu profilieren. 7.2. Der Kontext der Gnadenlehre in den Summen
In der Theologischen Summe gehört die Gnadenlehre (STh I-II q. 109‒114; Ed. Leonina 7, 289–355), in deren Rahmen Thomas die Lehre von der iustificatio impii (»Rechtfertigung des Gottlosen«) (STh I-II q. 113; Ed. Leonina 7, 328–343) als effectus gratiae (»Wirkung der Gnade«) behandelt, in den Rahmen der Handlungstheorie, die Thomas als Fundament seiner Ethik in STh I-II; Ed. Leonina 6 und 7 vorträgt; an ähnlicher Stelle ist die Gnadenlehre in der Scg. III plaziert (Scg. III c. 147–163; Ed. Leonina 14, 435–475). In der Theologischen Summe stellt diese Handlungstheorie das menschliche, d. h. vom auf das bonum (»Gut«) der beatitudo (»Ruhe der Erfüllung«) ausgerichteten Willen gesteuerte Handeln dar (Aufbau STh I-II q. 6 a. 1 prooem.; Ed. Leonina 6, 55): zunächst hinsichtlich des dem Menschen eigentümlichen Handelns: Spezifisch menschliches Handeln ist willensbestimmt (Wille als Handlungsprinzip, STh I-II q. 6–17; Ed. Leonina 6, 55–126; bonitas und malitia actuum: q. 18–21; Ed. Leonina 6, 127–167). Sodann werden die handlungsbestimmenden Einflüsse, die der Mensch mit dem Tier gemeinsam hat, skizziert: die passiones (STh I-II q. 22–48; Ed. Leonina 6, 168–308). Anschließend wendet sich Thomas den inneren und äußeren handlungsbestimmenden Prinzipien zu (Aufbau STh I-II q. 49 a. 1 prooem.; Ed. Leonina 6, 309): die Handlungsdispositionen (habitus [STh I-II q. 49–54; Ed. Leonina 6, 309–348), darunter insbesondere die virtutes (STh I-II q. 55–67 [70]; Ed. Leonina 6, 349–445 [Ed. Leonina 6, 461–464]) und die vitia bzw. peccata (STh I-II q. 71–89, Ed. Leonina 7, 4–148), durch die sich der Mensch ins Verhältnis zu seinen passiones setzt. Sodann folgen die außerhalb des Handlungssubjekts gelegenen Prinzipien: das Gesetz (STh I-II q. 90–108) und die Gnade (STh I-II q. 109–114). In der Summa contra gentiles ist der Sinn dieser Einordnung noch besser zu erkennen: Thomas handelt im Teil III zunächst von der Ausrichtung alles Seienden, und insbesondere des mit Rationalität ausgestatteten, auf ein wesensentsprechendes bonum, das Gott selbst ist, dessen bonitas alle Kreaturen auf je ihrer Vollkommenheitsstufe darzustellen bestimmt sind (Scg. III c. 18–24; Ed. Leonina 14, 42–65). Das Stre-
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beziel des Menschen bzw. der mit ratio ausgestatteten Wesen liegt nun in der felicitas oder beatitudo (Scg. III. c. 25; Ed. Leonina 14, 65–70), die sie in der contemplatio Gottes finden (Scg. III. c. 37; Ed. Leonina 14, 92–94; Scg. III c. 38–63; Ed. Leonina 14, 94–178). Die dann folgenden Bestimmungen zur providentia Gottes (Scg. III c. 64–97; Ed. Leonina 14, 178–303) und zu den Wundern, die Gott im Vollzug dieser providentia auch unter Durchbrechung der von ihm gestifteten Ordnung verwirklicht (Scg. III. c. 98–100; Ed. Leonina 14, 304–312), bereiten die Kapitel über das Gesetz und die Gnade vor (Scg. III. c. 101–146 und 147–163; Ed. Leonina 14, 312–435 und 435–475), die eben von den Medien handeln, durch die Gott den Menschen zum Erlangen seiner Bestimmung führt: Das Gesetz richtet dabei den Menschen im Modus der Forderung auf die dilectio Gottes und damit auf Gott als das höchste Ziel aus (Scg. III c. 115 und 116; Ed. Leonina 14, 364– 367), während die Gnade diejenige Gabe ist, durch die Gott den Menschen für das Erreichen dieses Ziels ausstattet und zu einer perfectio führt, für die er zwar bestimmt ist, die er aber aus eigenen Kräften nicht erreichen kann (Scg. III. c. 99 und 101; Ed. Leonina 14, 306–310 und 312–315, vgl. Scg. III c. 147; Ed. Leonina 14, 435–437; De ver. q. 27 a. 2r.; Ed. Leonina 22/3, 793b–794b). Die Gnadenlehre ordnet sich also in eine Deutung der Bestimmung des Menschseins ein, nach der der Mensch durch seinen rationalen Willen auf ein bonum, die beatitudo, ausgerichtet ist, dabei aber in einem konfliktträchtigen Verhältnis zu seinen auf weltliche bona ausgerichteten passiones steht. Die beatitudo (»Ruhe der Erfüllung«) findet der Mensch aber nur in einem übernatürlichen Gut, das er nur dann erreichen kann, wenn durch die göttliche Gnade die ihm eigenen Kräfte über ihr natürliches Maß hinaus gesteigert werden. Gesetz und Gnade sind die äußeren Mittel, durch die die göttliche Vorsehung die sinnengebundenen Vernunftwesen auf ihren finis ultimus hin leitet (vgl. Scg. III c. 111–114; Ed. Leonina 14, 355–364 [Überleitung und Beginn des Gesetzestraktats]). Die iustificatio impii (»Rechtfertigung des Gottlosen«) wiederum ordnet sich für Thomas in den Kontext der durch die Gnade vermittelten Konformität des menschlichen mit dem göttlichen Willen bzw. mit der praktischen Vernunft ein: Sie ist die Gestalt, die die Gabe der Gnade unter den Bedingungen der Sünde erhält: die Gestalt der Vergebung der Sünde und der Umkehr des Willens von der Ungerechtigkeit zur Gerechtigkeit (STh I-II 113 a. 1r.; Ed. Leonina 7, 328). 7.3. Das Gesetz und die Gottesliebe
Die Gnade ordnet sich damit dem anderen externen handlungsbestimmenden Prinzip, dem Gesetz, zu; daher ist der Gesetzestraktat knapp anzusprechen (zum Folgenden vgl. im Einzelnen und für Belege Slenczka).
II. Themen – 7. Gnade und Rechtfertigung
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7.3.1. Das Gesetz und das Gottesverhältnis
Entscheidend ist, dass nach Thomas die Vernunft und die ihr (als Niederschlag der lex aeterna) entspringende lex naturalis eigentlich die hinreichende Grundlage der Einrichtung aller menschlichen Gemeinschaft und eines vernünftigen und damit guten Lebensvollzuges ist. Damit stellt sich aber die Frage, warum es eigentlich neben dem aus dem natürlichen Gesetz abgeleiteten menschlichen Gesetz noch ein göttliches Gesetz gibt. Ein Teil der franziskanischen Tradition – B.III.2.) etwa der Zeitgenosse und Pariser Kollege des Thomas, Bonaventura ( – verweist hier auf die Verdunkelung des Wissens um die lex naturalis aufgrund des Sündenfalls. Zu dieser naheliegenden Auskunft greift Thomas nicht, nicht zuletzt deshalb, weil ihm trotz seiner Einsicht in die Depravation der menschlichen Orientierung am Guten die Ethik und die Politik des Aristoteles und das römische Recht Beweis genug für die Funktionsfähigkeit der Einsicht in die lex naturalis ist. Der Zweck der lex divina wird dadurch deutlich, dass sich nach Thomas diese lex divina nicht auf sittliche und rechtliche Vorschriften für das Verhalten der Menschen untereinander beschränkt, sondern auch noch Regeln für das Gottesverhältnis und Normen für die Gestaltung des Gottesdienstes enthält: Zum einen natürlich die ersten, auf das Gottesverhältnis bezogenen Gebote, und dann die lex ceremonialis, die nach Thomas nichts anderes als Auslegungen des dritten Gebotes des Dekalogs (Gebot der Feiertagsheiligung) sind (STh I-II q. 99 a. 3r. und a. 4r.; Ed. Leonina 7, 201 und 202; STh I-II q. 100 a. 11r.; Ed. Leonina 7, 220b/221b). Diese Bezugnahme auf die Gottesverehrung und auch das Gebot der Gottesliebe allein aber zeichnet den Dekalog noch nicht vor der lex naturalis und deren Umsetzung in das positive Recht aller Völker aus: Im Recht aller Völker finden sich Vorschriften für den Umgang mit Göttern und für die gemeinschaftliche Gottesverehrung. Denn die Pflicht zur Gottesverehrung und auch zur Gottesliebe an sich ist eine Einsicht der Vernunft und folgt aus der lex naturalis; und jedes Gemeinwesen schreibt daher eine gemeinschaftliche Gottesverehrung vor. Der Unterschied zwischen den auf Gott bezogenen Geboten anderer Völker und der lex divina, der biblischen Gesetzgebung liegt nun aber darin, dass die Gesetzeskorpora anderer Völker Formen der gemeinschaftlichen Verehrung eines oder mehrerer Götter nur in der Ausrichtung auf das von der Vernunft vorgeschriebene Ziel des bonum commune vorschreiben (STh I-II q. 99 a. 3r.; Ed. Leonina 7, 201). Dort ist die Gottesverehrung also dem letzten Zweck des bonum commune unterstellt und dient ihm, so dass Thomas damit die Religionsgesetzgebung aller Völker außerhalb des Geltungsbereiches der biblischen Gesetzgebung als für das bonum commune funktionalisierte Religion deutet. 7.3.2. Das Gesetz und das Gebot der Gottesliebe
Das positive göttliche Gesetz unterscheidet sich dadurch von diesen Gesetzeskorpora, dass es den letzten Zweck der natürlichen praktischen Vernunft – das bonum
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commune – einem weitergehenden Zweck unterstellt: In der lex divina geht es, so Thomas, nicht allein um die Herstellung zwischenmenschlicher Gemeinschaft, sondern um diese nur insoweit, als sie notwendig ist zur Herstellung einer Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen (STh I-II q. 99 a. 3r.; Ed. Leonina 7, 201; vgl. a. 2r. u. ö.; Ed. Leonina 7, 200). Die lex divina gewährleistet die Gemeinschaft unter den Menschen nur als ein Mittel zu einem weiteren und höheren Zweck, nämlich dem Ziel, Gemeinschaft von Gott und Mensch herzustellen. Nur weil die Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch auch an sittliche Bedingungen geknüpft ist – der Grund alles Guten, Gott, kann nur mit ihrerseits auf menschliche Weise guten Menschen Gemeinschaft haben (STh I-II q. 99 a. 2r.; Ed. Leonina 7, 200) – nur darum also und zu diesem Zweck enthält die lex divina auch eine sittliche Gesetzgebung und ein Judizialgesetz, die aber material in der beschriebenen Weise dem Vernunftgesetz entsprechen bzw. Ableitungen und Näherbestimmungen darstellen. Die lex divina richtet somit die praktische Vernunft und ihren Zweck aus auf die Gemeinschaft von Gott und den Menschen und vermittelt in der lex nova die Fähigkeit, auf dieses Ziel in der erforderlichen Weise ausgerichtet zu sein durch die inneren habitus des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung. Die damit vorgenommene Identifikation der lex divina moralis (im Zentrum des Dekalogs und der neutestamentlichen Gebote) mit der lex naturalis erlaubt die These, dass die praktische Vernunft und das ihr entsprechende Recht wie der Dekalog letztlich und eigentlich auf die Gemeinschaft von Gott und Mensch ausgerichtet sei und erst mit der Integration in diese Gemeinschaft zu ihrer Wahrheit komme. An der Zweckbestimmung des Dekalogs (Ausrichtung auf die Liebe zu Gott um seiner selbst willen) kommt also der eigentliche Sinn der lex naturalis heraus. 7.3.3. Die gesetzeskonforme Gesinnung
Das schließt nun eine weitere Pointe ein: Diese lex divina besteht im wesentlichen aus der Gesetzgebung des Alten und dem Gesetz des Neuen Testaments. Die Gesetzgebung des Alten Testaments ist wie die lex humana insgesamt gleichgültig gegenüber der inneren Einstellung des handelnden Subjekts. Thomas ist sich dessen bewusst, dass diese Einstellung eigentlich nicht Gegenstand einer Normierung durch die lex humana sein kann (STh I-II q. 100 a. 9r.; Ed. Leonina 7, 217b/218a; vgl. a. 10r.; Ed. Leonina 7, 219). Das Gesetz insgesamt ist nach Thomas ein Mittel, den Menschen zu gewohnheitsmäßig gemeinschaftskonformem Verhalten zu erziehen – durch Strafe und Belohnung (STh I-II q. 112 a. 1r. und ad 1; Ed. Leonina 7, 323). Das Gesetz als lex humana fordert aber keine gesetzes konforme Gesinnung, wenn es sie auch im Prozess der Gewöhnung hervorbringt (STh I-II q. 100 a. 9r.; Ed. Leonina 7, 217b/218a). Nun enthält das Alte Testament aber offensichtlich auch Gebote, die eine Gesinnung fordern: nicht nur das Gebot der Gottes- und der Nächstenliebe, das nach christlicher Überzeugung die lex vetus zusammenfasst (Scg. III c. 116 und
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117; Ed. Leonina 14, 365–368; STh I-II q. 99 a. 1 ad 2; Ed. Leonina 7, 199b; vgl. aber q. 100 a. 10r.; Ed. Leonina 7, 219), sondern eben auch das Verbot des Begehrens. Thomas stellt angesichts dessen nun die Frage, ob dies Gebot, das kein Tun, sondern eine innere Haltung fordert, erfüllbar sei, und bejaht diese Frage, denn: Der Mensch kann sich für den Empfang der Liebe disponieren und – wenn er sie empfangen hat – auch dieses Gebot erfüllen. Alle anderen Gebote des Alten Testamentes aber fordern ebenso wie die Gebote der lex humana nur die Entsprechung eines äußeren Handelns, nicht aber eine handlungsleitende gesetzeskonforme Gesinnung (STh I-II q. 100 a. 10r. und ad 2; Ed. Leonina 7, 219). 7.3.4. Die lex interna (das ins Innere geschriebene Gesetz)
Zur Erfüllung des Liebesgebotes – der Ausrichtung des menschlichen Lebens auf das summum bonum um seiner selbst willen – bedarf es also dessen, dass der Mensch die Gesinnung, die es fordert, irgendwoher erhält; denn diese kann er nicht selbst machen. Das Liebesgebot und die Frage nach der gesetzeskonformen Gesinnung weisen über die lex vetus und damit auch über die lex humana hinaus auf eine Quelle einer Gesinnung, die nicht dem Gesetz entspringen kann, nämlich auf die lex evangelica (vgl. STh I-II q. 106–108; Ed. Leonina 7, 273–288, hier bes. STh I-II q. 106 a. 1r.; Ed. Leonina 7, 273 und a. 2r.; Ed. Leonina 7, 274). Diese lex evangelica zeichnet sich nach Thomas dadurch aus, dass sie keine äußere Vorschrift ist, sondern eine lex interna, d. h. eine in das Innere des Menschen eingehende Vorschrift, oder anders: ein Sollen, das sich in ein zwangloses Wollen übersetzt: principaliter lex nova est lex indita, secundario autem est lex scripta (»ursprünglich ist das Neue Gesetz ein eingegebenes Gesetz, in zweiter Linie erst ein geschriebenes«; STh I-II q. 106 a. 1r.; Ed. Leonina 7, 273). Die lex divina in Gestalt nun der lex evangelica verweist damit auf die sakramental vermittelte Gnade (STh I-II q. 107 a. 2r.; Ed. Leonina 7, 278b/279a), durch die der Mensch in den unverfügbaren Tugenden des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung auf das übervernünftige Ziel Gottes bzw. der Gemeinschaft mit Gott ausgerichtet wird und in dieser Ausrichtung der Mensch ist, der auf das von der Vernunft vorgeschriebene bonum commune hin nicht nur aus Furcht vor der Strafe handelt, sondern es auch will (STh I-II q. 91 a. 5r.; Ed. Leonina 7, 156; q. 99 a. 6r.; Ed. Leonina 7, 204 ). 7.3.5. Das Gesetz und die Gnade
Die Gnade ist die Grundlage der Konstitution eines Subjekts, das in der rechten Gesinnung – das heißt: im Modus der Liebe (willentlich und nicht genötigt) – Gott um seiner selbst willen als summum bonum erstrebt und darauf alle Zwecke seines Lebens ausrichtet. Dabei ist im Aufbau des Gnadentraktats der Summa contra gentiles deutlich erkennbar, dass Thomas die Gnade nicht ausschließlich der Bewältigung der menschlichen Selbstverfehlung zuweist, sondern die göttliche Hilfe auch ohne die Voraussetzung der Sünde als die Bedingung eines in
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Glaube, Hoffnung und Liebe auf Gott als summum bonum hin orientierten Lebens betrachtet, denn: das eigentliche Lebensziel des Menschen ist ein solches, das alle Bedingungen des Menschseins übersteigt (Scg. III c. 147; Ed. Leonina 14, 435–437). Erst unter den Bedingungen der Sünde gewinnt die Vermittlung der Gnade den Charakter einer iustificatio impii (vgl. STh I-II q. 113 a. 1r.; Ed. Leonina 7, 328). Das auxilium (»die Hilfe«) der Gnade hatten auch Adam und Eva vor dem Fall nötig, um sich auf den Empfang ihres übernatürlichen Ziels in angemessener Weise zu disponieren; sie freilich waren bereits mit der Schöpfung mit Gnade und daher mit der Urstandsgerechtigkeit ausgestattet (STh I q. 95 a. 1r.; Ed. Leonina 7, 174), die durch den Sündenfall – mit Folgen für alle von Adam und Eva abstammenden Menschen – verlorenging. 7.4. Die Sünde 7.4.1. Das Wesen der Sünde
Die Sünde hat nicht das Ende des Menschseins zur Folge; unter dieser Rücksicht ist es selbstverständlich, dass alle für das Menschsein spezifischen Fähigkeiten und Handlungsoptionen erhalten bleiben. Die Sünde hebt weder die Willentlichkeit menschlicher Handlungen und damit eben auch nicht deren Freiheit auf; grundsätzlich ist der Mensch auch nach wie vor willentlich auf das bonum ausgerichtet. Freilich handelt es sich nun um ein um die natürliche Ordnung (nach der alles auf Gott als das summum bonum ausgerichtet und ihm untergeordnet ist) unbekümmertes Streben nach dem Guten: Das peccatum ist der actus inordinatus (»der ordnungswidrige Akt«; STh I-II q. 82 a. 2r. und a. 4r.; Ed. Leonina 7, 96 und 98b/99a): Formal ist Sünde ein willentlicher Ungehorsam gegen den (im Gesetz manifestierten) Willen Gottes (STh I-II q. 4r.; Ed. Leonina 6, 37–46) und damit gegen sich selbst und gegen den Nächsten (STh I-II q. 82 a. 4r.; Ed. Leonina 7, 98b/99a); material ist sie die concupiscentia, die eben jene Verkehrung des Strebens darstellt und deren Zentrum wiederum der amor sui ist (STh I-II q. 71 a. 1r.; Ed. Leonina 7, 3b/4a; STh I-II q. 71 a. 6r.; Ed. Leonina 7, 9a; STh I-II q. 77 a. 4r.; Ed. Leonina 7, 66a). 7.4.2. Die Folgen der Sünde
Das peccatum hinterlässt nun Wirkungen in der Seele; das gilt für die Sünden des Einzelnen, vor allem aber für die Sünde der Ureltern, die nach Thomas Auswirkungen auf alle Nachfahren hat (STh I-II q. 81 a. 1r.; Ed. Leonina 7, 87b/88b): während die Seelenvermögen, die für das Menschsein spezifisch sind, unbeschädigt bleiben (andernfalls wäre die Sünde ein Ende des Menschseins), wird die im Urstand den Menschen geschenkte, ihn auf Gott ausrichtende iustitia originalis – die durch die Urstandsgnade gewährleistet ist (STh I q. 95 a. 1r.; Ed. Leonina 7, 174, vgl. die Artikel STh I-II q. 109 a. 1r.; Ed. Leonina 7, 289b/290b, 2r.; Ed. Leo-
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nina 7, 291, 3r.; Ed. Leonina 7, 295, 4r.; Ed. Leonina 7, 297) – völlig zerstört (vgl. STh I-II q. 81; Ed. Leonina 7, 87–93). Die Ausrichtung des Menschen auf die virtus als Neigung zum wesensentsprechenden bonum bleibt zwar auch nach dem Sündenfall erhalten (andernfalls könnte die Befreiung von der Sünde nicht als Erfüllung der wesensgemäßen Bestimmung des Menschen gefasst werden), erfährt aber durch die Sünde eine Schwächung (vgl. STh I-II q. 85 a. 1r.; Ed. Leonina 7, 110), so dass der Mensch und sein Leben nicht mehr auf das übernatürliche bonum ausgerichtet ist. Der Verlust aber der Ausrichtung des Menschen auf Gott (die Liebe Gottes um seiner selbst willen und damit als summum bonum; Scg. III c. 116; Ed. Leonina 14, 365–367) führt zu einer Unordnung, in der auch die unteren Seelenteile – die passiones – sich der ratio nicht mehr unterordnen (STh I q. 115 a. 1r.; Ed. Leonina 5, 538b/539a u. ö.). Dieser Schaden ist per se unheilbar, heilbar nur durch Gott selbst (STh I-II q. 87 a. 3r.; 124). 7.5. Die Gnade
Die Gnade ist nun die Ausstattung der Seele mit der Fähigkeit zur Ausrichtung des Menschen auf das wesensgemäße, seine natürlichen Fähigkeiten aber übersteigende Strebeziel, nämlich auf Gott als das bonum ultimum (De ver. q. 27 a. 2r.; Ed. Leonina 22/3, 793b–794b), auf das der Mensch als durch die spezifischen Fähigkeiten der voluntas und des intelligere vor anderen Lebewesen ausgezeichnete Wesen eben in der Weise hinstrebt, dass er dieses bonum erkennt und will und so auf die ewige bonitas nicht nur bezogen ist, sondern sie – auf seiner Seinsstufe – auch widerspiegelt (STh I q. 93 a. 2r.; Ed. Leonina 5, 401; a. 9r.; Ed. Leonina 5, 410b/411a). 7.5.1. Die eingegossene Gnade
Diese Gnade ist eine qualitas, die der Seele eingegossen wird und die Seele bzw. ihre potentiae verändert. Thomas grenzt diese Deutung der Gnade ab gegen die später auch von vielen Reformatoren vertretene Vorstellung, dass der Begriff gratia ausschließlich eine göttliche Haltung des Wohlwollens bezeichne; zur Begründung seiner Deutung bezieht sich Thomas auf die unterschiedlichen Referenten des Begriffs gratia und den Zusammenhang derselben (vgl. STh I-II q. 110 a. 1r.; Ed. Leonina 7, 311); der Begriff kann eine innere Haltung, etwas umsonst Gegebenes und die gratiarum actio (»das Abstatten von Dank«) bezeichnen: Die gratia als benevolentia oder Liebe Gottes ist so geartet, dass sie das bonum, das sie liebt, in demjenigen, dem diese Liebe gelte, nicht voraussetze, sondern schaffe (dazu STh I q. 20 a. 2r.; Ed. Leonina 4, 254) – dies sei die gratia im Sinne eines beneficium gratis datum; dieses beneficium wiederum weckt in demjenigen, der es empfängt, die gratia im Sinne der gratiarum actio. In den quaestiones de veritate kann Thomas dies durch den Gedanken stützen, dass dasjenige, auf das sich die Liebe Gottes richtet, dieser Liebe auch würdig sein müsse – und diese dignitas vermit-
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telt die Gnade als Ursprungsgnade oder als gratia post lapsum animae infusa (De ver. q. 27 a. 1r.; Ed. Leonina 22/3, 790b/791a). 7.5.2. Ontologie der Gnade
Im Blick auf ihren personontologischen Status ist diese Gnade – verglichen mit den drei nach Aristoteles (Nikomachische Ethik II, 1, vgl. In Eth. Ni. II l. 1) mit Bezug auf die Seele möglichen Bestimmungen – weder eine potentia der Seele (dann müsste sie unverlierbar zu ihrer Natur gehören), noch ein habitus (»Tugend«), noch eine passio, sondern eine qualitas, die der Seele einwohnt und ihre Vermögen bestimmt (STh I-II q. 110 a. 2r.; Ed. Leonina 7, 312). Die Charakterisierung als qualitas hebt dabei einerseits darauf ab, dass es sich nicht einfach um einen motus (»Vollzug«) handelt, der von einem äußeren agens abhängig bleibt, sondern um eine zwar verlierbare, aber der Seele eigene Ausstattung, die einen motus – den der Liebe auf Gott hin – begründet. Freilich hat diese qualitas nicht, wie die virtutes, die potentiae animae als Subjekt, sondern die Seele selbst: sie ist weder mit dem motus (»Vollzug«) der Liebe und auch nicht mit der virtus der Liebe – als inclinatio des Willens – identisch, sondern ein Analogon zur Natur der Seele, die sich in bestimmten Fähigkeiten und entsprechenden Akten realisiert (vgl. De ver. q. 27 a. 2r.; Ed. Leonina 22/3, 793–794b und STh I-II q. 111 a. 4r.; Ed. Leonina 7, 321): Diese Seele wird, um ein ihre natürlichen Fähigkeiten und Strebungen übersteigendes Ziel zu erstreben und zu erreichen, auf eine ontologisch höhere Stufe erhoben (Scg. III c. 147; Ed. Leonina 14, 435–437). Diese Gnade, die gratia gratum faciens, entspringt der Gnadenfülle Christi (STh III q. 2 a. 10r. und 12r.; Ed. Leonina 11, 48 und 51; q. 8 a. 1r.; Ed. Leonina 11, 126; a. 5r.; Ed. Leonina 11, 132; q. 49 a. 1r.; Ed. Leonina 11, 471; q. 62 a. 5r.; Ed. Leonina 12, 27) und wird durch die Sakramente dem Menschen mitgeteilt (Taufe), wieder zugewendet (Buße), im Menschen vermehrt (Konfirmation und Eucharistie) oder ihm als Hilfe für spezielle Situationen oder Aufgaben zugewendet (Ehe, Priesterweihe, Letzte Ölung – vgl. die Zuordnung der Sakramente zu Lebensstationen: STh III q. 65 a. 1r.; Ed. Leonina 12, 56b/57b). 7.5.3. Die gratia gratis data
Die gratia gratis data ist von dieser gratia gratum faciens unterschieden; die Gaben der gratia gratis data sind die in 1 Kor 12 erwähnten Gaben des Heiligen Geistes (STh I-II q. 111 a. 4r.; Ed. Leonina 7, 321), die nicht alle Christen mit denselben, sondern je nach dem Bedürfnis der Kirche verschiedene Christen je unterschiedlich mit besonderen Begabungen ausstattet (Scg. III c. 154; Ed. Leonina 14, 449–457), die dazu bestimmt sind, dass ein Mensch dem anderen zum Erreichen des finis ultimus verhilft; dies – Hilfe zum Erreichen des finis ultimus zu sein – ist die Grundbestimmung der Gnade überhaupt (vgl. STh I-II q. 111 a. 1r.; Ed. Leonina 7, 317).
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7.6. Die Gnade und die »Rechtfertigung des Gottlosen«
Nun stellt die Wiederherstellung und Neuausrichtung des Menschen einen Prozess dar, der als solcher voraussetzungs- und aspektreich und in seinem Zustandekommen erklärungsbedürftig ist – und an diesem Punkt hat die Wendung iustificatio impii ihren Ort (zum Folgenden vgl. STh I-II q. 113 a. 1r.; Ed. Leonina 7, 328). Denn die iustificatio ist der Begriff für die Wirkung der Gnade. Diese wirkt den Vorgang der Gerechtmachung des Menschen: Er wird eben durch die Gnade auf einen finis supernaturalis ausgerichtet und damit zum einen in das rechte Verhältnis zum Nächsten bzw. zum das Gesetz leitenden bonum commune gesetzt. Zum anderen erhält er die Gerechtigkeit im augustinischen Sinne der richtigen Ordnung aller Vermögen, durch die er in der Unterordnung unter Gott und seinen Willen zugleich Herr seiner unteren Seelenvermögen bzw. seines Leibes wird. In diesem Sinne ist nach Thomas auch Adam im status innocentiae ein iustificatus. Der Zusatz impii zeigt an, dass dieser Prozess unter den Bedingungen der corruptio des Menschen durch die Sünde seinen terminus a quo in der inius titia hat, das heißt: einsetzt mit der Bewältigung der Sünde des Menschen, deren Ausgangspunkt die Vergebung ist und in deren Vollzug ein Gerechter entsteht. 7.6.1. Die Gnade und das Kreuz
Die remissio peccatorum ist ein Ausfluss der ewigen Liebe Gottes, deren Aus wirkung am Menschen durch die Sünde unterbrochen wird (STh I-II q. 113 a. 2r.; Ed. Leonina 7, 329). Die Vergebung wird dabei ermöglicht durch die satisfactio des Kreuzes Christi, die Christus für die mit ihm als ihrem Haupt verbundene Kirche erbringt und die so zugleich den Gliedern des Leibes zugerechnet wird ([…] liberavit nos tanquam membra sua a peccatis […]; sicut si homo per aliquod opus meritorium quod manu exerceret, redimeret se a peccato quod pedibus commisisset. Sicut enim naturale corpus est unum ex membrorum diversitate consistens, ita tota ecclesia, quae est mysticum corpus Christi, computatur quasi una persona cum suo capite, quod est Christus. [»Er hat uns als seine Glieder von den Sünden befreit […]; wie wenn ein Mensch durch ein verdienstliches Werk, das er mit der Hand vollbrachte, sich von einer Sünde erlöste, die er mit den Füßen begangen hätte, wie nämlich der natürliche Leib einer ist, der aus der Verschiedenheit der Glieder besteht, so wird die ganze Kirche, die der mystische Leib Christi ist, wie eine Person mit ihrem Haupt, das Christus ist, gerechnet.«] STh III q. 49 a. 1r.; Ed. Leonina 11, 471; vgl. dazu auch das Gegenbild des Zusammenhangs aller Menschen mit Adam: STh I-II q. 81 a. 1r.; Ed. Leonina 7, 87b/88b). Diese Zurechnung der Strafleistung und des Verdienstes Christi ist nun allerdings nicht im späteren reformatorischen Sinne als Zurechnung einer fremden Identität oder fremder verdienstlicher Akte zu verstehen, sondern wird von Thomas durchaus rational als per pretium suae passionis erfolgt bezeichnet, bzw. eben untrennbar mit der Wirksamkeit Christi zum Vertreiben der Sünde verbunden (ebd.), die die aus
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dem Kreuz fließende und durch die Sakramente vermittelte Gnade am Subjekt hervorbringt. Der Akt der Vergebung ist Endpunkt einer Veränderung am Ort des empfangenden Subjekts, die von der infusio gratiae (»dem Eingießen der Gnade in die Seele«) ausgeht und sich in einer dadurch ermöglichten Bewegung des freien Willens auf Gott hin und gegen die Sünde niederschlägt, die die remissio culpae abschließt (STh I-II q. 113 a. 6r.; Ed. Leonina 7, 334). 7.6.2. Der Prozess der Gerechtmachung
Diese Veränderung hat im Blick auf das betroffene Subjekt Prozesscharakter (STh I-II q. 113 a. 8r. und ad 1; Ed. Leonina 7, 339b/340b): Dabei kommt es Thomas darauf an, dass unbeschadet dessen, dass diese Veränderung als Änderung des Willens willentliche und insofern freie Akte einschließt, der gesamte Vorgang als Werk der Gnade qualifiziert bleibt. Genau dafür werden die unterschiedlichen Aspekte der Gnade eingeführt und unterschieden: die gratia operans und cooperans, und die gratia praeveniens und subsequens (STh I-II q. 111 a. 3r. und a. 2r.; Ed. Leonina 7, 320 und 318). Diese Unterscheidungen heben darauf ab, dass im Prozess der iustificatio die eine Gnade in unterschiedlichen Phasen des Prozesses in unterschiedlicher Weise wirkt, nämlich so, dass sie einerseits ein handlungsfähiges Subjekt konstituiert, und dass sie dieses handlungsfähig gemachte Subjekt zum Handeln befähigt und sein Handeln mitbestimmt (STh I-II q. 111 a. 3r.; Ed. Leonina 7, 320); sie erlauben zugleich die Einbindung aller menschlichen Aktivität, die dieser Prozess einschließt, unter das Vorzeichen der Alleinwirksamkeit der Gnade (vgl. zum solus: STh I-II q. 111 a. 2r.; Ed. Leonina 7, 318) zu stellen. 7.6.3. Der Ort des menschlichen Willens und Handelns
Die Frage nach dem Stellenwert der menschlichen Aktivität tritt nun bei Thomas, der zeitgenössischen Diskussion entsprechend, in der Frage auf, ob es eine praeparatio ad gratiam gibt (etwa STh I-II q. 112 a. 2r.; Ed. Leonina 7, 324) und ob die durch die Gnade ermöglichten Werke des Menschen zum Erlangen des Lebensziels beitragen (etwa STh I-II q. 113 a. 3r.; Ed. Leonina 7, 332). Die Position des Thomas ist hier von klarer Eindeutigkeit: Er beantwortet bereits die Frage, ob der Mensch im Stand der natura corrupta sich zur Gnade hinwenden, sich auf sie vorbereiten oder gar den Willen Gottes ex puris naturalibus erfüllen und das ewige Leben verdienen kann, negativ (vgl. auch STh I-II q. 114 a. 2r.; Ed. Leonina 7, 346). Der Mensch konnte zwar im Stand der natura incorrupta ex puris naturalibus die Gebote hinsichtlich der in ihnen geforderten Handlungen (quoad substantiam), nicht aber hinsichtlich des Motivs (ex charitate) erfüllen; diese Lebensrichtung der Gottesliebe entspringt auch für Adam und Eva der göttlichen Gnade (STh I-II q. 109 a. 2r.; Ed. Leonina 7, 291; a. 3r.; Ed. Leonina 7, 295; a. 4r.; Ed. Leonina 7, 297). Im Stand der natura corrupta ist der Mensch zur Erfüllung der Gebote in jeder Hinsicht unfähig, damit aber nicht nur dazu unfähig, sich
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das ewige Leben ohne die Gnade zu erwerben (STh I-II q. 109 a. 5r.; Ed. Leonina 7, 298b/299a), sondern auch dazu unfähig, sich aus sich selbst und ohne die Hilfe der Gnade auf die Gnade vorzubereiten (STh I-II q. 112 a. 2r.; Ed. Leonina 7, 324; Scg. III c. 149; Ed. Leonina 14, 439–441). Die conversio zu Gott (und die entsprechende aversio von der Sünde), die in der Tat die Bedingung für das Erlangen der Gnade ist, ist eine Wirkung der Gnade selbst (gratia praeveniens oder gratia operans), die den menschlichen Willen dazu bestimmt, diese conversio zu wollen (STh I-II q. 109 a. 6r. und 7r.; vgl. STh I-II q. 113 a. 5r.; Ed. Leonina 7, 334 und 114 a. 5r.; Ed. Leonina 7, 348). Der gesamte Prozess der praeparatio ad gratiam, den Thomas der dispositio materiae ad formam vergleicht (STh I-II q. 112 a. 2r.; Ed. Leonina 7, 324), ist selbst ein Werk der Gnade, durch die Gott eben das mit der potentia des Willens begabte Lebewesen bewegt. Dass nun eine Bewegung des Willens in diesem Prozess mitgedacht werden muss, ist eigentlich selbstverständlich, denn Gott bewegt das mit einer anima intelligibilis ausgestattete Wesen auf die diesem zukommende Art: Er bewegt es zum Wollen (STh I-II q. 113 a. 3r.; Ed. Leonina 7, 332a). Diese dispositio materiae ist dabei kein zeitlich der Gnade vorausgehender und sie konditionierender Akt, sondern ein Moment an der verändernden Kraft der Gnade selbst, die, indem sie dem Menschen gegeben wird, selbst die Voraussetzungen schafft, derer sie bedarf (STh I-II q. 113 a. 7r.; Ed. Leonina 7, 338). 7.6.4. Verdienste
Freilich geht Thomas davon aus, dass der Wille im Prozess des auf Gott hin ausgerichteten Lebens aufgrund des Geschenkes der verändernden Gnade nun tatsächlich auf Gott hin strebt und dieses Streben sich in operationes, die als actus boni verdienstlich sind, niederschlägt (STh I-II q. 114; Ed. Leonina 7, 344–355). Die Gnade bringt in den potentiae des Willens Handlungsdispositionen und -neigungen hervor – virtutes, die mit der und durch die Gnade eingegossen werden (virtutes infusae: Glaube, Hoffnung und Liebe) und die die wesensentsprechende Ausrichtung des Willens auf Gott darstellen (STh I-II q. 114 a. 4r.; Ed. Leonina 7, 347, vgl. dazu die Ausführungen im Traktat über die Einzeltugenden STh II-II q. 62; Ed. Leonina 9, 41–61 und q. 65; Ed. Leonina 9, 79–83). Als Willensbestimmungen sind sie dem Willen als Subjekt zuzuschreiben, als Gnadengabe Gottes aber stellen sie jedes Verdienst des Willens unter das Vorzeichen, dass Gott dessen Subjekt ist (STh I-II q. 114 a. 2r.; Ed. Leonina 7, 342 und 3r.; Ed. Leonina 7, 347b; vgl. etwa die Antwort auf die Frage, ob das erworbene meritum de condigno oder de congruo die vita aeterna verdient: STh I-II q. 114 a. 3r.; Ed. Leonina 7, 347b); auch das so erworbene Verdienst ist per se und als Tat des Menschen keine dem Lohn der seligen Schau Gottes entsprechende Leistung und insofern von Gott gnadenhalber als äquivalent (meritum de congruo) akzeptiert; dieses Akzeptieren ist aber motiviert durch den Blick auf das eigentliche Subjekt dieses Verdienstes, die Gnade des Heiligen Geistes – und im Blick auf dieses Subjekt ist das meritum de condigno – des Lohnes würdig (STh I-II q. 114 a. 3r.; Ed. Leonina 7, 347b).
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Insgesamt steht der gesamte durch die Gnade eröffnete Prozess unter dem Vorzeichen, dass durch ihn – vor dem Sündenfall und nach dem Sündenfall, durch den die Gabe der Gnade den Charakter der iustificatio impii erhält – das menschliche Subjekt zum Empfänger des Heils (der beatitudo in der Schau Gottes nach diesem Leben) disponiert wird, wie die materia zur Aufnahme einer bestimmten Form vorbereitet sein muss (STh I-II q. 4 a. 4r.; Ed. Leonina 6, 40; STh I-II q. 5 a. 7r.; Ed. Leonina 6, 53). Diese Form, die aufgenommen wird, ist das Wesen Gottes selbst, das nach Thomas (vgl. Artikel Gott, vgl. STh I q. 12 a. 1r. und 5r.; Ed. Leonina 6, 94 und 102) selbst zur forma des menschlichen Geistes wird. Nur die materia bene disposita kann diese forma aufnehmen – und diese dispositio beschreibt der Vorgang der Begnadigung bzw. der Rechtfertigung des Gottlosen einerseits als einen Vorgang der Veränderung des menschlichen Wollens, übersetzt den Vorgang andererseits aber in die Logik von (gnadengewirktem) Verdienst und Lohn (vgl. STh I-II q. 5 a. 7r.; Ed. Leonina 6, 53). 7.7. Handlungsfähigkeit und menschliches Tun sola gratia
Insgesamt kommt es Thomas in der Tat darauf an, diese Disposition für die ewige Einheit mit Gott, die conversio des Menschen und sein Werden vom Gerechten zum Sünder einerseits als einen Vorgang zu beschreiben, der sich an einem mit Wille und somit autonomer Handlungsfähigkeit begabten Wesen vollzieht: Die Verwandlung durch die Gnade ist eine Verwandlung, die Akte des Wollens, damit Akte der Freiheit, und das spezifisch menschliche Tun betrifft; daher ist der von Gott geleitete motus der iustificatio ein motus liberi arbitrii (STh I-II q. 113 a. 5r. und a. 6r.; Ed. Leonina 7, 334 und 336). Diesen gesamten Komplex des Wollens beschreibt Thomas aber andererseits als durch ein anderes zum Wollen und Vollbringen bestimmt (STh I-II q. 112 a. 2r.; Ed. Leonina 7, 324); er beschreibt damit unter seinen Voraussetzungen wie und gemäß Augustin einerseits und Luther andererseits das Paradox eines zum Wollen bestimmten Subjekts oder einer Freiheit, die sich selbst, unbeschadet ihres Charakters als Freiheit, nicht in der Hand hat. Cessario, Romanus: Christian Satisfaction in Aquinas. Towards a Personalist Understanding, Washington D.C. 1980. Kasten, Horst: Taufe und Rechtfertigung bei Thomas von Aquin und Martin Luther, Göttingen 1969. Kühn, Ulrich: Via caritatis. Theologie des Gesetzes bei Thomas von Aquin, Göttingen 1965. Pesch, Otto Hermann: Theologie der Rechtfertigung bei Thomas von Aquin und Martin Luther. Versuch eines systematisch-theologischen Dialogs, ND Darmstadt 1985. Pesch, Otto Hermann/ Kühn, Ulrich: Rechtfertigung im Gespräch zwischen Thomas und Luther, Leipzig 1967. Wawrykow, Joseph P.: God’s Grace and Human Action. ›Merit‹ in the Theology of Thomas Aquinas, Notre Dame 1995. Notger Slenczka
II. Themen – 8. Theologische Ethik
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8. Theologische Ethik Thomas hat seine Ethik in maßgeblicher systematischer Gestalt im zweiten Teil der Summa Theologiae entfaltet. Nachdem er im ersten Teil über Gott und den Ursprung aller Dinge aus ihm gehandelt hat, geht es im zweiten Teil um die Rückkehr alles Geschaffenen, insbesondere des Menschen zu Gott. Die umfassende göttliche Lenkung der Dinge zurück zu ihrem Ursprung als Ziel ist allerdings beim Menschen, dem als Bild Gottes Vernunft, freie Entscheidung und Selbstmächtigkeit zukommen, durch dessen eigene Freiheit, seinen Willen und seine Erkenntnis, vermittelt (STh I-II prooem.; Ed. Leonina 6, 5ab). Die allgemeine Lenkung Gottes zeigt sich hier entsprechend der Natur des Menschen darin, dass dieser sich selbst auf das ihm entsprechende Ziel hinlenkt. Genau diese selbsttätige Rückkehr durch das Handeln des Menschen, die der zweite Teil der Summa zum Thema macht, ist Gegenstand der Ethik, die wesentliche Elemente der aristotelischen Ethik aufgreift, die sich aber, da es um die Rückkehr zu Gott als dem Ziel des Menschen geht, als theologische Ethik charakterisieren lässt (Kluxen, Philosophische Ethik). Sie ist eingeteilt in die Frage nach dem Glück als dem letzten Ziel menschlichen Handelns und in die Frage nach dem Handeln, durch das der Mensch dieses Ziel erreichen kann. Damit ist die Lehre vom Glück – anders als in der Summa contra gentiles – aus der Behandlung der göttlichen Lenkung herausgenommen und als Ziel der individuellen Vollendung des Einzelnen durch sein Handeln zur Grundlage der Ethik als eigenständiger Wissenschaft geworden (Kluxen, Philosophische Ethik, 108 f.). 8.1. Glück als Ziel menschlichen Handelns
Die Einteilung in die Frage nach dem Glück und nach dem Handeln ergibt sich für Thomas aus der Struktur der spezifisch menschlichen Handlung selbst (zum Folgenden STh I-II q. 1; Ed. Leonina 6, 6–16). Unter den actiones hominis (»Handlungen des Menschen«), zu denen auch alle unbedachten und unbewussten Handlungen zählen, sind die actiones proprie humanae (»spezifisch menschlichen Handlungen«), die aus Vernunft und Wille, also aus freier Willensentscheidung hervorgehen und die allein Gegenstand der Ethik sind, immer auf ein Ziel als ihre Ursache bezogen. Auf dieses Ziel wird der Mensch als rationales Wesen nicht nur – wie alles andere Geschaffene – durch eine inclinatio bzw. einen appetitus naturalis von außen hin bewegt, sondern er bewegt sich selbst durch den appetitus rationalis zu diesem Ziel. Der Wille intendiert dabei notwendig – wenn auch nicht immer bewusst – ein einziges, letztes Ziel, dessentwegen er alles andere erstrebt und in dem sich alles Streben des Menschen erfüllt. Im Streben nach diesem Ziel ihrer Vollendung stimmen alle Menschen überein, auch wenn sich ihre Vorstellungen, worin diese Vollendung besteht, unterscheiden. Inhaltlich kann dieses letzte, den Menschen erfüllende Ziel, das Glück, aber weder in Reichtum, Ehre, Ruhm, Macht noch in einem Gut des Körpers – etwa
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der Wollust – oder der Seele, ja in gar nichts Geschaffenem bestehen, sondern allein in dem universalen Gut, das Gott ist. Es wird durch eine operatio (»Tätigkeit«) erlangt und besteht in dieser Tätigkeit, aber nicht in einer Tätigkeit der Sinne, sondern des vorzüglichsten Teils des Menschen, nämlich des von den Sinnen unabhängigen intellectus speculativus: in der Betrachtung des den Intellekt übersteigenden göttlichen Wesens (STh I-II q. 3 a. 7; Ed. Leonina 6, 34 f.). Von diesem vollkommenen Glück in der Schau Gottes unterscheidet Thomas allerdings das unvollkommene Glück, das in Anlehnung an Aristoteles in der guten Verfassung des Körpers, in äußeren Gütern und in der Gemeinschaft mit Freunden besteht (STh I-II q. 4; Ed. Leonina 6, 37–46). All dies kann zum vollkommenen Glück beitragen und in ihm mitenthalten sein, auch wenn es für das vollkommene Glück nicht notwendig ist. Thomas negiert damit im Rahmen seiner theologischen Ethik das irdische Glück nicht, sondern erkennt es als integralen Bestandteil an. Während der Mensch jedoch das unvollkommene Glück allein aufgrund seiner eigenen Natur in diesem Leben erreichen, allerdings auch immer wieder verlieren kann, vermag er das vollkommene Glück, auch wenn er immer schon darauf als sein letztes Ziel ausgerichtet ist und es auch prinzipiell erreichen kann, nicht aufgrund seiner eigenen Natur und auch nicht in diesem Leben zu erreichen (STh I-II q. 5 a. 5; Ed. Leonina 6, 51 f.), sondern kann es – als sein übernatürliches Ziel, das auch erst im Glauben erkennbar ist – allein durch das Wirken Gottes und erst im künftigen Leben erlangen. Thomas sieht den Menschen also von Natur aus auf ein übernatürliches Ziel hin ausgerichtet, das er nicht aus der Kraft seiner Natur erreichen kann. Damit ist bereits vom Glücksbegriff her eine theologische Ethik konzipiert, in der das eigene Handeln des Menschen mit der gnadenhaften Zuwendung Gottes zusammengedacht ist. 8.2. Die Struktur der guten und schlechten Handlung
Da das Glück durch eine Tätigkeit des Menschen erlangt wird, analysiert Thomas C. zunächst die actio humana (»menschliche Handlung«), ihre Freiwilligkeit ( II.6.) sowie die Struktur der guten und schlechten Handlung. Grundlegend gilt dabei, dass eine Handlung in dem Maß gut oder schlecht ist, in dem sie das ihr gemäße Sein verwirklicht oder verfehlt. Die schlechte Handlung ist zwar gut, insofern sie überhaupt eine Handlung ist, schlecht aber in dem Maß, in dem ihr die Seinsfülle fehlt (STh I-II q. 18 a. 1; Ed. Leonina 6, 127 f.). Das ihr gemäße Sein sieht Thomas in der Ordnung der Vernunft, da das Gute für den Menschen darin besteht, gemäß der Vernunft zu sein, das Schlechte in dem, was gegen die Vernunft ist (STh I-II q. 18 a. 5; Ed. Leonina 6, 131). Als Momente der Seinsfülle der Handlung entfaltet Thomas dann die drei fontes moralitatis. Das Objekt der Handlung ist grundlegend, weil es die Art der Handlung bestimmt, die Artbestimmung aber das erste ist, was zur Fülle des Seins gehört. Umgekehrt ergibt sich aus dem Objekt, wenn es nicht der Ordnung der Vernunft entspricht (z. B. Wegnahme fremden Eigentums), die grundlegende
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Schlechtheit einer Handlung (STh I-II q. 18 a. 2; Ed. Leonina 6, 128 f.). Ist aber das Objekt der Handlung gut, so müssen zu dieser grundlegenden Gutheit noch die angemessenen Umstände hinzukommen (wer wann warum etwas tut usw.); denn auch die Vollkommenheit des Seins wird erst durch entsprechende Akzidentien erreicht (STh I-II q. 18 a. 3; Ed. Leonina 6, 129). Schließlich gewinnt die Handlung – ähnlich wie bei Dingen, die von anderen abhängen – die Fülle ihrer Gutheit vom Ziel her, um dessentwillen sie getan wird (STh I-II q. 18 a. 4; Ed. Leonina 6, 130). Insgesamt gilt, dass eine Handlung erst dann gut ist, wenn alle drei Momente gut sind, schlecht dagegen bereits dann, wenn nur eines der Momente schlecht ist. Nach dieser grundlegenden Charakterisierung der fontes moralitatis stellt Thomas die entscheidende Bedeutung des Ziels für die Artbestimmung der Handlung heraus. Ausgehend von der Unterscheidung zwischen innerem Willensakt und äußerer Handlung, denen je ein eigenes Objekt zukommt, ist es das Ziel (als Form), das die Handlung (als Materie) ethisch qualifiziert. So ist Stehlen, um Ehebruch zu begehen, eher als Ehebruch denn als Diebstahl zu bestimmen (STh I-II q. 18 a. 6; Ed. Leonina 6, 132 f.). Die Art der einen Handlung ist in der anderen enthalten. Dies gilt freilich nur, wenn das Objekt der äußeren Handlung notwendig auf das Ziel hingeordnet ist. Ist die Hinordnung dagegen nur zufällig, handelt es sich nicht um eine, sondern um zwei schlechte Handlungen (STh I-II q. 18 a. 7; Ed. Leonina 6, 133 f.). Entsprechend wird eine gute Handlung, die mit schlechtem Ziel getan wird (z. B. Almosen geben um eitlen Ruhmes willen), insgesamt schlecht (STh I-II q. 20 a. 1; Ed. Leonina 6, 153 f.), während es umgekehrt Handlungen gibt, die von sich her schlecht sind und auch durch ein gutes Ziel nicht geheiligt werden (z. B. Stehlen, um Almosen zu geben). Hinzu kommt die Bedeutung der Umstände für die ethische Qualifikation der Handlung. Sie können eine vom Objekt her zunächst indifferente Handlung gut oder schlecht machen (STh I-II q. 18 a. 9; Ed. Leonina 6, 137 f.). Und sie können, auch wenn sie als akzidentielle Bestimmungen meist nur das Maß des Gut- oder Schlechtseins verändern, in manchen Fällen zu wichtigen Merkmalen des Objekts werden und die Art der Handlung verändern. So ist der Ort, an dem etwas geschieht, meist ein erschwerender oder erleichternder Umstand, kann aber auch entscheidend dafür sein, dass die Handlung der Vernunft widerstreitet (STh I-II q. 18 a. 10; Ed. Leonina 6, 138 f.). Schließlich fragt Thomas nach dem Verhältnis von innerem Willen und äußerer Handlung für die ethische Qualität der Handlung. Entscheidend ist für ihn, dass das Objekt des Willens, das die Handlung qualifiziert, immer das von der Vernunft dem Willen vorgelegte Objekt ist. Damit hängt die ethische Qualität der Handlung nicht vom Objekt an sich ab, sondern davon, ob es von der Vernunft des Handelnden als etwas Gutes oder Schlechtes wahrgenommen wird. Wird etwas an sich Gutes als schlecht angesehen, ist der Wille, der dieses Objekt verfolgt, schlecht. Selbst der Glaube an Christus ist schlecht, wenn er als etwas Schlechtes angesehen und gewollt wird. Wird dagegen etwas an sich Schlechtes als gut be-
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trachtet, entschuldigt dieser Irrtum nur, wenn es sich um eine unfreiwillige und unverschuldete Unwissenheit handelt, nicht jedoch bei freiwilliger und selbst verschuldeter Unwissenheit durch Nachlässigkeit. Für Thomas ist also – auch wenn das ewige Gesetz Gottes, an dem die Vernunft partizipiert, das höchste Maß ethischer Qualität darstellt – doch die menschliche Vernunft das unmittelbare Maß für den Menschen (STh I-II q. 21 a. 1; Ed. Leonina 6, 164 f.). Weil etwas in begrenzter Perspektive gut sein kann, was in umfassenderer Perspektive schlecht ist, handelt der Mensch nicht erst dann gut, wenn er den Willen Gottes materialiter erfüllt, dazu fehlt ihm die Einsicht, sondern schon dann, wenn er das tut, was seiner Natur und seiner Vernunft entspricht, und es formaliter will, um den Willen Gottes zu erfüllen. Weiterhin gilt, dass der Wille nur dann gut ist, wenn er sich auch im äußeren Tun verwirklicht. Nur wenn die Ausführung aufgrund äußerer Umstände unmöglich ist, ist auch der unausgeführte Wille gut. Umgekehrt beeinflusst das faktische Ergebnis der Handlung ihre ethische Qualität nur dann, wenn das Ergebnis mitbedacht war, sich aus der Natur der Handlung ergibt und erwartbar war. 8.3. Innere und äußere Prinzipien ethischen Handelns
Nach der Analyse der Handlung und ihrer Struktur wendet sich Thomas den inneren und äußeren Prinzipien zu, durch die das Handeln gut oder schlecht wird. Die inneren Prinzipien sind die Vermögen des Menschen, aus denen alle Handlungen hervorgehen, sowie die Verfassung dieser Vermögen, nämlich die Tugenden und Laster als Prinzipien guter und schlechter Handlungen. Als äußere Prinzipien nennt Thomas den Teufel, der den Menschen zum Schlechten verführt, und Gott, der den Menschen durch sein Gesetz belehrt und ihm durch die Gnade C.II.7.) hilft, so dass er das Gute tun kann. Die Wirksamkeit dieser äußeren ( Prinzipien bleibt dabei, so sehr sie ihren Ursprung außerhalb des Menschen haben, dem Menschen nicht äußerlich, sondern entfaltet sich vermittelt über seine eigenen Vermögen. 8.4. Sittliche Tugenden
Ähnlich wie in der Lehre vom Glück nimmt Thomas auch in seiner Tugendlehre die Bestimmungen des Aristoteles auf und bindet sie in seine umfassendere theologische Konzeption ein. Zunächst wird virtus (»Tugend«) generell als ein habitus bestimmt, durch den die Vermögen des Menschen so vervollkommnet werden, dass sie zum Guten befähigen. Tugenden im eigentlichen Sinne sind die Vervollkommnungen der spezifisch menschlichen Vermögen, des Verstandes und des Willens. Entsprechend lassen sich intellektuelle und sittliche Tugenden unterscheiden, wobei es die sittlichen Tugenden sind, durch die das Glück erreicht wird. Allerdings unterscheidet Thomas – in Entsprechung zum unvollkommenen und vollkommenen Glück – zwischen den virtutes acquisitae und infusae (»er-
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worbene und eingegossene Tugenden«) (STh I-II q. 61 und q. 63; Ed. Leonina 6, 394–400. 406–411). Die erworbenen Tugenden sind jene, die der Mensch durch Übung seiner natürlichen Vermögen im Tun des Guten herausbilden kann, durch die er die passiones (»Leidenschaften der Seele«) ordnet und durch die er das Glück dieses irdischen Lebens erlangen kann, nämlich die vier Kardinaltugenden Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Maß. Die eingegossenen Tugenden dagegen sind jene, die von Gott durch Gnade und Zuwendung geschenkt werden und die es dem Mensch ermöglichen, das vollkommene Glück in der Gemeinschaft mit Gott zu erreichen, nämlich die drei theologischen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe (STh I-II q. 63; Ed. Leonina 6, 406–411). Thomas lässt diese beiden Arten der Tugenden aber nicht isoliert voneinander stehen, sondern integriert sie zu einer theologischen Gesamtsicht. Dies zeigt sich bereits daran, dass er nicht die seit dem 12. Jahrhundert gängige philosophische, sondern nur die augustinisch-lombardische theologische Tugenddefinition aufgreift: »Die Tugend ist eine gute Beschaffenheit des Geistes, kraft deren man recht lebt, die niemand schlecht gebraucht, die Gott in uns ohne uns wirkt.« (STh I-II q. 55 a. 4; Ed. Leonina 8, 400 f.). Diese Definition erfasst für ihn auf vollkommene Weise den ganzen Begriff der Tugend. Die gute Beschaffenheit meint den habitus, der die geistigen Vermögen des Menschen vervollkommnet; den Zusatz »die Gott in uns ohne uns wirkt« bezieht Thomas dagegen nur auf die eingegossenen Tugenden. Die integrale Sicht des Thomas zeigt sich vor allem in der für ihn charakteristischen Lehre von den virtutes morales infusae (»eingegossenen sittlichen Tugenden«). Sie besagt, dass mit den theologischen Tugenden zugleich auch alle anderen, sittlichen Tugenden (Kardinaltugenden) eingegossen werden. Während dabei die erworbenen Tugenden unvollkommen sind und nur secundum quid (»in gewisser Hinsicht«) gut genannt werden, sind die eingegossenen sittlichen Tugenden vollkommen und erfüllen auf wahre und vollkommene Weise den Begriff der Tugend (STh I-II q. 65 a. 2; Ed. Leonina 6, 423 f.). Diese zunächst merkwürdig erscheinende Konzeption hat ihren Grund darin, dass in der Sicht des Thomas für die Verwirklichung des vollkommenen Glücks in der Gemeinschaft mit Gott das alltägliche sittliche Leben in dieser Welt wie auch die Verwirklichung des irdischen unvollkommenen Glücks nicht belanglos, sondern mit entscheidend und erforderlich sind. Die theologischen Tugenden stellen nicht ein zum sonstigen Leben des Menschen beziehungsloses »zweites Stockwerk« dar, sondern durchformen das ganze Leben des Menschen auf sein vollkommenes Glück als seine letzte Zielbestimmung hin. Weil aber die erworbenen sittlichen Tugenden im Blick auf das vollkommene Glück unangemessen sind, muss Gott, der den Menschen auf das vollkommene Glück hin geschaffen hat, ihm auch Prinzipien zu seiner Natur hinzugeben, die ihm das Erreichen dieser übernatürlichen Bestimmung ermöglichen. Diese von Gott geschenkten Prinzipien sind die theologischen Tugenden, die sich direkt auf Gott als ihren Gegenstand richten, die erst durch Offenbarung überliefert sind und aus denen die sittlichen Tugenden unmittelbar hervorgehen (STh I-II q. 65 a. 3; Ed. Leonina 6, 424 f.). Sie treten an die
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Stelle der natürlichen Prinzipien, aus denen sonst durch Übung die erworbenen sittlichen Tugenden hervorgehen (STh I-II q. 63 a. 3; Ed. Leonina 6, 409 f.). Im Hintergrund steht auch die Einsicht, dass die unvollkommenen Tugenden, da sie nur eine Neigung darstellen, ein opus de genere bonorum (»der Art nach gutes Werk«) zu vollbringen und im objektiven Sinne richtig zu handeln, nicht zusammenhängen (man kann Tapferkeit besitzen, ohne zugleich maßvoll zu sein usw.), während die vollkommenen Tugenden, da sie den Menschen dazu geneigt machen, ein gutes Werk auch bene (»auf gute Weise«) zu tun, notwendig zusammenhängen. Denn der, der etwas auf gute Weise tut, bedarf dazu aller Tugenden (STh I-II q. 65 a. 1; Ed. Leonina 6, 418–423). Der Unterschied zwischen den eingegossenen und den erworbenen sittlichen Tugenden zeigt sich dabei nicht in unterschiedlichen Handlungen, die aus ihnen hervorgehen – die erworbene wie die eingegossene Maßhaltung äußert sich im maßvollen Essen und Trinken –, sondern besteht im Form gebenden Grund. So ist die Richtschnur der erworbenen Tugenden das Gesetz der natürlichen Vernunft, der eingegossenen Tugenden das göttliche Gesetz und die vom Glauben erleuchtete Vernunft. Die Maßhaltung im Essen wird gemäß dem Gesetz der Vernunft mit der Gesundheit begründet, gemäß dem göttlichen Gesetz damit, dass der Mensch »seinen Leib kasteie und im Zaum halte« (1 Kor 9,27). Auch unterscheiden sie sich durch den Wirklichkeitszusammenhang, auf den sie hingeordnet sind. Während die erworbenen Tugenden dazu befähigen, sich in der menschlichen Gemeinschaft gut zu verhalten, machen die eingegossenen Tugenden dazu fähig, sich im Reich Gottes als »Bürger der Heiligen und Hausknechte des Herrn« (Eph 2,19) gut zu verhalten. Dabei geht es für Thomas allerdings nicht nur um eine neue Zielausrichtung auf das letzte Ziel des Menschen (STh I-II q. 63 a. 4 ad 1; Ed. Leonina 6, 411), sondern um einen »der Art nach« bestehenden Unterschied zwischen erworbenen und eingegossenen sittlichen Tugenden (STh I-II q. 63 a. 4; Ed. Leonina 6, 410 f.). Der Handelnde bekommt nicht nur ein neues Ziel, sondern wird selbst verwandelt. Diese integrale Sicht zeigt sich schließlich auch darin, dass Thomas in seinem Tugendtraktat der I-II nicht nur die Kardinaltugenden und theologischen Tugenden, sondern auch die Gaben des Geistes, die Seligpreisungen und die Früchte des Geistes behandelt. Und sie zeigt sich vor allem auch darin, dass Thomas in der Entfaltung der speziellen Tugendlehre in II-II in die Behandlung der theologischen Tugenden und Kardinaltugenden an verschiedenen Stellen die Gaben des Geistes einbaut und schließlich auch die besonderen Gaben behandelt, die nur einigen Menschen zukommen, etwa den Propheten aufgrund besonderer Geistesgaben und Charismen oder den Geistlichen und Ordensleuten aufgrund ihres Standes.
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8.5. Natürliches Sittengesetz
Auch in der Behandlung des Gesetzes als äußerem Prinzip ethisch guten Handelns erweist sich die theologische Gesamtsicht des Thomas als leitend: Die philosophische Lehre vom natürlichen Sittengesetz wird theologisch grundgelegt, umgekehrt aber ist das Gesetz Gottes durch die eigene Vernunft des Menschen vermittelt. Unter »Gesetz« (lex von ligare = binden, verpflichten) versteht Thomas dabei allgemein eine Regel, durch die man zum Handeln oder Unterlassen verpflichtet wird. Da diese Regel für den Menschen die Vernunft ist, die ihn auf das letzte Ziel seines Handelns hinlenkt, ist sie es, die dem Gesetz bindende und verpflichtende Kraft gibt (STh I-II q. 90 a. 1; Ed. Leonina 7, 149 f.). Für Gesetze ist weiter charakteristisch, dass sie das Handeln auf das Gemeinwohl ausrichten, dass sie von dem erlassen werden, der die Sorge für das Gemeinwesen trägt und die Macht der Durchsetzung besitzt, und dass sie öffentlich bekannt gegeben werden (STh I-II q. 90 a. 4: Ed. Leonina 7, 152). Ausgehend von dieser Definition entfaltet Thomas vier Arten des Gesetzes. Die für die Ethik zentrale lex naturalis (»natürliche Sittengesetz«) ist dabei im ewigen Gesetz Gottes grundgelegt, also in dem aus der göttlichen Vernunft entspringenden Schöpfungsplan, der sich in der Ordnung des gesamten Universums, in allen Handlungen und Bewegungen manifestiert, der durch das göttliche Wort promulgiert ist und in Gott selbst sein Ziel hat. Von diesem ewigen Gesetz ist alles Geschaffene geregelt und bemessen und nimmt so am ewigen Gesetz teil. Dadurch gewinnen die Geschöpfe ihr Wesen, ihre Eigengesetzlichkeit und die Hinneigung zu den ihnen eigentümlichen Akten und Zielen. Der Mensch zeichnet sich dabei vor allen anderen Geschöpfen dadurch aus, dass er aufgrund seiner Vernunft so am ewigen Gesetz teilnimmt, dass er nicht nur durch dieses Gesetz geregelt und bemessen ist, sondern selbst für andere gesetzgebend und ordnend tätig werden kann. In dieser ordnenden und gesetzgebenden Fähigkeit der Vernunft besteht seine Hinneigung zu dem ihm wesensgemäßen Handeln und Ziel, die ihm aus der Teilnahme am ewigen Gesetz zukommt. Diese Teilnahme der vernünftigen Kreatur am ewigen Gesetz nennt Thomas das natürliche Gesetz (STh I-II q. 91 a. 2; Ed. Leonina 7, 154). Dieses entfaltet und konkretisiert sich bis zu den einzelnen Vorschriften des natürlichen Sittengesetzes durch die gesetzgebende und ordnende Tätigkeit der Vernunft in einem mehrstufigen Prozess. Eine erste Entfaltung ergibt sich auf der Ebene der obersten, durch sich selbst einleuchtenden und bekannten Prinzipien (zum Folgenden STh I-II q. 94 a. 2; Ed. Leonina 7, 169 f.). Hier sind von den Prinzipien, die analytisch einleuchten (Nichtwiderspruchsprinzip im Bereich der theoretischen Vernunft), solche Prinzipien zu unterscheiden, die erst aufgrund der Kenntnis der Sache einleuchten. Die erste Art von Prinzipien ist für die praktische Vernunft in dem Grundsatz gegeben: »Das Gute ist zu tun, das Schlechte zu meiden.« Denn wie sich das Nichtwiderspruchsprinzip aus der Differenz von Sein und Nichtsein ergibt, das Sein aber das in allem Erkennen immer schon vorausgesetzte Ersterkannte ist, so
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ist für die praktische Vernunft das Gute – und damit die Differenz von gut und schlecht – das Ersterkannte, das in allen praktischen Urteilen immer schon vorausgesetzt wird. Dieses Prinzip ist keine Leerformel oder Tautologie, sondern drückt die Befähigung der praktischen Vernunft zur Unterscheidung von Gut und Böse überhaupt aus, eine Unterscheidung, die in allen präskriptiven Sätzen mit enthalten ist. Prinzipien der zweiten Art lassen sich nicht aus diesem Grundsatz ableiten, er bringt lediglich die in allen konkreten sittlichen Urteilen vorausgesetzte Differenz zum Ausdruck; sie ergeben sich vielmehr erst aus der Kenntnis der menschlichen Natur und der ihr – auch als Manifestation des ewigen Gesetzes – innewohnenden inclinationes naturales (»natürlichen Hinneigungen«). Ohne Anspruch auf Vollständigkeit nennt Thomas: 1) die mit allem Seienden gemeinsame Neigung, das eigene Sein zu erhalten und das Gegenteil abzuwehren; 2) die mit allen Lebewesen gemeinsame Neigung zur Vereinigung von Mann und Frau und zur Erziehung der Kinder; 3) die dem Menschen eigentümliche Neigung, die Wahrheit über Gott zu erkennen und in Gemeinschaft zu leben. Ausgehend von diesen natürlichen Neigungen erfasst die Vernunft deren Ziele als etwas Gutes und als etwas im Tun zu Verfolgendes, so dass sich aus der Ordnung der natürlichen Neigungen auch eine Ordnung der grundlegenden Gebote des Naturgesetzes abzeichnet. Dabei sind durch die natürlichen Neigungen weder die konkreten ethischen Urteile der Vernunft festgelegt, so dass die Vernunft nur »Ableseorgan« wäre, noch sind sie beliebig manipulierbares »Rohmaterial« für die Vernunft. Eine weitere Differenzierung des natürlichen Sittengesetzes ergibt sich, weil die praktische Vernunft in ihrem Fortschreiten vom Allgemeinen zum Besonderen sich den zufälligen Dingen des menschlichen Handelns zuwendet. Während die allgemeinsten Grundsätze des sittlichen Naturgesetzes hinsichtlich ihrer Gültigkeit und ihrer Bekanntheit für alle gleich sind, kommt den aus diesen Grundsätzen abgeleiteten nächstliegenden Folgerungen eine zunehmende Fehlermöglichkeit zu. Veränderungen der Normen sind möglich, in Einzelfällen können moralische Grundsätze ungültig werden (so wird der Grundsatz »Hinterlegtes Gut muss zurückgegeben werden« unvernünftig, wenn etwa ein verliehenes Schwert zurückgefordert wird, um damit einen Mord zu begehen). Ebenso sind die konkreten Einzelvorschriften nicht allen bekannt (so war nach Thomas bei den Germanen Diebstahl kein Vergehen) (STh I-II q. 94 a. 4; Ed. Leonina 7, 171 f.). Ausgehend vom natürlichen Sittengesetz erweist sich dann das menschliche Gesetz, also die von Menschen eingesetzten positiven Regelungen mit entsprechender Strafandrohung, als notwendig, um jenes – auch wenn es in das Herz aller Menschen geschrieben ist – in der Gesellschaft durchzusetzen. Dabei besitzt das menschliche Gesetz nur dann eine Vernunftgrundlage, wenn es das natürliche Gesetz auf die konkrete gesellschaftliche Situation auslegt bzw. dem natürlichen Gesetz nicht widerspricht. Dazu kann es entweder – wie im Völkerrecht – die naturgesetzlichen Forderungen positiv-gesetzlich zur Geltung bringen, oder es kann – wie im Bürgerlichen Recht – um Angelegenheiten gehen, die zwar einer
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gesetzlichen Regelung bedürfen, deren konkrete Ausgestaltung aber auf Konvention oder Festlegung beruht (ein Beispiel aus heutiger Zeit wäre etwa: Autoverkehr muss zwar geregelt werden, ob aber durch Rechts- oder Linksverkehr ist gleichgültig). In jedem Fall sind menschliche Gesetze dann gerecht, wenn sie dem Allgemeinwohl dienen, wenn sie von der rechtmäßigen Autorität erlassen sind und wenn sie Lasten und Nutzen auf alle gleich verteilen. Weiter erläutert Thomas, dass das menschliche Gesetz, da es sich auf das Allgemeinwohl richtet, in allgemeinen Vorschriften bestehen muss, die sich nicht nur auf Einzelfälle beziehen. Angesichts gewandelter Verhältnisse kann es dabei Veränderung und Verbesserung der Gesetze geben, allerdings kann ständige Veränderung wie auch Überregulierung die Autorität der Gesetze untergraben. Schließlich führt Thomas das positive göttliche Gesetz an, das als Gesetz der Liebe und der Freiheit die innere Gesinnung des Menschen ordnet. Inhaltlich umfasst es die Weisungen des Alten Testamentes mit den naturgesetzlichen Geboten des Dekalogs und den kultischen und rechtlichen Weisungen sowie die Weisungen des Neuen Testamentes. Dieses göttliche Gesetz ist notwendig, weil der Mensch ein Gesetz braucht, das sein Handeln auf das übernatürliche Ziel hinlenkt; weil es den Menschen, der sich im konkreten Handeln irren kann, über das richtige Handeln sicher macht; weil es nicht nur, wie das menschliche Gesetz, das äußere Verhalten reguliert, sondern sich auf die Ordnung der inneren Akte bezieht; weil es das menschliche Gesetz, das nicht alles Unerlaubte verbieten kann, ergänzt, indem es alle Sünden verbietet. Bormann, Franz-Josef: Natur als Horizont sittlicher Praxis. Zur handlungstheoretischen Interpretation der Lehre vom natürlichen Sittengesetz bei Thomas von Aquin, Stuttgart/Berlin/ Köln 1999. Kluxen, Wolfgang: Philosophische Ethik bei Thomas von Aquin, Hamburg 1964, 21980. Merks, Wilhelm: Theologische Grundlegung der sittlichen Autonomie. Strukturmomente eines autonomen Normbegründungsverständnisses im lex-Traktat der Summa Theologiae des Thomas von Aquin, Düsseldorf 1978. Schockenhoff, Eberhard: Bonum hominis. Die anthropologischen Grundlagen der Tugend ethik des Thomas von Aquin (TTS 28), Mainz 1987. Schröer, Christian: Praktische Vernunft bei Thomas von Aquin, Stuttgart/Berlin/Köln 1995. Speer, Andreas (Hg.): Thomas von Aquin: Die Summa theologiae. Werkinterpretationen, Berlin/New York 2005. Stephan Ernst
9. Christologie 9.1. Hinführung: Die Christozentrik des Thomas
In seinem Kommentar zum Kolosserbrief betont Thomas: Sicut qui haberet librum ubi esset tota scientia, non quaereret nisi ut sciret illum librum, sic et nos non oportet amplius quaerere nisi Christum (»So wie einer, der ein Buch hätte, in dem
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die ganze Weisheit vorhanden ist, nach nichts anderem fragen würde, als danach, dieses Buch zu kennen, so müssen wir nicht irgendetwas über Christus hinaus fragen.«; Super Col., c. 2 l. 1; Ed. Vives 21, 393b). Entsprechend heißt es in seinem Kommentar zum Johannesevangelium: »Sic ergo Christus seipsum designavit viam, et coniunctam termino: quia ipse est terminus habens in se quidquid desiderari potest, scilicet existens veritas et vita. Si ergo quaeras, qua transeas, accipe Christum, quia ipse est via […]. Si vero quaeras quo vadis, adhaere Christo, quia ipse est veritas, ad quam desideramus pervenire […]. Si quaeris quo permaneas, adhaere Christo, quia ipse est vita […]. Adhaere ergo Christo, si vis esse securus: non enim poteris deviare, quia ipse est via« (»So also hat sich Christus selbst als den Weg und mit diesem zugleich verbunden das Ziel bezeichnet; denn er selbst ist das Ziel, welches in sich selbst hat, was man nur ersehnen kann, er ist nämlich die Wahrheit und das Leben. Wenn du also fragst, worauf du gehen sollst, ergreife Christus, der selbst der Weg ist […]. Wenn du fragst, wohin du gehst, hange an Christus, denn er selbst ist die Wahrheit, nach der wir streben […]. Wenn du fragst, wodurch du Bestand hast, hange an Christus, denn er ist das Leben […]. Hange also an Christus, wenn du sicher sein willst: du kannst nämlich nicht fehlgehen, weil er der Weg ist«; Super Joh., c. 14 l. 2; Ed. Vives 20, 232a). Diese hervorgehobenen Aussagen machen deutlich, dass man bei Thomas in dem Sinne von Christozentrik sprechen kann, dass alle Wirklichkeit im Inneren des Mysteriums Christi konzentriert ist und der Mensch sie hier erlangen kann. 9.2. Die Christologie im Aufbau der Summa Theologiae
Gleichwohl ist es offenkundig, dass Thomas nicht Jesus Christus als »Subjekt« der heiligen Lehre bezeichnet, sondern Gott: »In der heiligen Lehre wird alles in Hinsicht auf Gott behandelt; entweder weil es Gott selbst ist« (secundum quod est in se [STh I q. 2 prooem.; Ed. Leonina 4, 27a]), »oder weil er der Dinge Ursprung und Ziel ist« (secundum quod est principium rerum et finis earum [STh I q. 2 prooem.; Ed. Leonina 4, 27a]). Bekanntlich hat Thomas mit dieser grundlegenden binären Unterscheidung die Dreiteilung der Summa Theologiae begründet: »Im ersten handeln wir von Gott; im zweiten von der Bewegung des vernunftbegabten Wesens zu Gott; im dritten von Christus, der, insofern er Mensch ist, für uns den Weg bereitet, zu Gott aufzusteigen« (primo tractabimus de Deo; secundo, de motu rationalis creaturae in Deum; tertio, de Christo, qui, secundum quod homo, via est nobis tendendi in Deum [STh I q 2. prooem.; Ed. Leonina 4, 27a]). So bestimmt er den Ort der Christologie im ordo disciplinae, in welchem der Aufstieg als Aufgabe jenes »Wegs« erscheint, den Jesus Christus verkörpert; dank dessen vollendet sich die Bewegung des Menschen zu Gott in Ausübung seiner Freiheit. Dies formuliert der Doctor Angelicus so: »Weil der Herr Jesus Christus unser Erlöser […] uns in sich selbst den Weg der Wahrheit vorgelegt hat, auf welchem wir vermittelt durch die Auferstehung zur Seligkeit des ewigen Lebens gelangen können, ist es notwendig, den ganzen theologischen Lauf zum Ziel zu führen,
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der dem Studium des universalen Erlösers selbst und der von ihm zum Menschengeschlecht gebrachten Wohltaten folgt«. (Quia salvator noster dominus Iesus Christus […], viam veritatis nobis in seipso demonstravit, per quam ad beatitudinem immortalis vitae resurgendo pervenire possimus, necesse est ut, ad consummationem totius theologici negotii, post considerationem ultimi finis humanae vitae et virtutum ac vitiorum, de ipso omnium salvatore ac beneficiis eius humano generi praestitis nostra consideratio subsequatur [STh III prooem.; Ed. Leonina 11, 5a]). Die Christologie ist so das Ziel oder die Vollendung des ganzen theologischen Laufs: die consummatio totius theologici (STh III prooem.; Ed. Leonina 11, 5a). Thomas teilt die christologische Thematik in zwei Teile: »Im ersten möchten wir das Mysterium der Fleischwerdung angehen, durch das Gott sich, mit dem Ziel uns zu erlösen, zum Menschen gemacht hat; im zweiten Teil wollen wir sehen, was der gleiche unser Erlöser, das ist der Mensch gewordene Gott, bewirkt und erlitten hat«. (prima est de ipso incarnationis mysterio, secundum quod Deus pro nostra salute factus est homo; secunda de his quae per ipsum salvatorem nostrum, idest Deum incarnatum, sunt acta et passa [STh III prol.; Ed. Leonina 11, 5b]) Der Aufbau der Summa Theologiae hat in der Forschung einige Debatten hervorgerufen, besonders hinsichtlich der Einordnung Christi an dritter Stelle, nachdem christologische Inhalte schon in der Secunda Pars behandelt worden sind – etwa das neue Gesetz und die Gnade – und auch über die Schöpfung, zumal des Menschen gesprochen worden ist, bei welcher nicht von Jesus Christus abgesehen werden kann. Tatsächlich ist dessen Gegenwart in die Bewegung des exitus wie auch des reditus einbezogen. Bedeutsamer sind aber die drei folgenden Beobachtungen: 1. Das Thema der Christologie begegnet im Werk des Doctor Angelicus vor und neben der Summa Theologiae (vgl. hierzu Biffi, I misteri) sowohl in systematisch orientierten Abhandlungen als auch in biblischen Kommentaren, in welchen sich verstreute Bemerkungen zu christologischen Themen finden. Eine besonders ausführliche Behandlung findet sich im Sentenzenkommentar. Dessen Struktur entsprechend, verwirklicht sich das Mysterium Christi letztlich im Mysterium der Rückkehr des Menschen – und mit ihm des Universums – zu Gott, in welchem alle Dinge wiedergutgemacht und restituiert sind. Der Gedanke aber, dass Christus mittels seiner Mysterien wirksam zu Gott zurückführt, lenkt zur Perspektive der Summa Theologiae zurück. 2. Die zweite Beobachtung ist, dass auch nach dem Aufbau des Sentenzenkommentars die »Theologie« und die »Anthropologie« durch die Vorstellung von Jesus Christus bestimmt werden. 3. Drittens ist zu bemerken, dass Thomas im Sentenzenkommentar nicht nur eine einfache Theologie der »abstrakten« Beschaffenheit Christi ausarbeitet, sondern die verschiedenen Ereignisse seines Lebens theologisch meditiert, das heißt er betrachtet die Fleischwerdung nicht bloß quasi-überzeitlich, sondern in ihrem
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geschichtlichen Hergang. Thomas strebt also an, die theologische Tragweite des Mysteriums der Empfängnis Christi, der Heiligung, Jungfräulichkeit und Mutterschaft Mariens, der Geburt, Beschneidung und Taufe Jesu, seiner Transfiguration, des Leidens, des Todes und der Höllenfahrt sowie der Auferstehung und der Himmelfahrt des Herrn, letztlich also von allen konkreten Verwirklichungen des christologischen Mysteriums zu ermitteln. So kann er »den Nutzen der Mysterien« offenlegen und damit ihren Beitrag zur Offenbarung des Heilsereignisses, ihre Beispielhaftigkeit – oder ihren erleuchtenden Charakter und vor allem ihre Verdienstlichkeit aufzeigen. Letztere stellt in seiner Interpretation die Kategorie mit der höchsten Konstanz dar. Sie bezieht sich vor allem auf Christi Leiden, während wenigstens keimhaft in der Auferstehung Christi auch unsere Auferstehung aufscheint, und dies nicht nur exemplarisch, sondern wirksam. 9.3. Ontologie und Ökonomie des Mysteriums Christi
Die Einteilung der Christologie ist in der STh III nach Art eines Diptychons in Abhandlungen de ipso incarnationis mysterio – die ersten 26 Quaestionen – und de his quae per ipsum Salvatorem nostrum, idest Deum incarnatum, sunt acta et passa – die Fragen 27–59 – eingeteilt; der erste Teil betrifft genaugenommen convenientia (»die Plausibilität«) der Menschwerdung, de modo unionis Verbi incarnati (»die Art der Vereinigung des menschgewordenen Wortes«), und de his quae consequuntur ad hanc unionem (»die Folgen dieser Vereinigung« [STh III q. 1 intr.; Ed. Leonina 11, 6]). Bei der Grobeinteilung in ersten und zweiten Teil geht es letztlich um die Ontologie der Fleischwerdung bzw. deren Struktur, welche die Mysterien in sich trägt, sie verwirklicht und in ihnen mitlebt, oder besser: die deswegen in den Mysterien ist, weil eine solche Struktur einerseits nie abstrakt für sich bestanden hat und andererseits die Geschichte grundlegend zur Erleuchtung dessen beiträgt, was sie selbst überliefert. Wenn Thomas nach diesem Diptychon von Abstraktheit und Konkretion vorgeht, folgt er nicht einer ungeprüften Vorannahme. Er kann es zugrunde legen, weil er mit der licentia docendi magister in sacra Pagina geworden ist. In der Pagina hat er mittels der lectio oder im Moment der inventio die Entwicklungsstadien des Mysteriums Christi erkannt und angenommen, die er später nach dem ordo disciplinae gesammelt und untereinander differenziert hat. Jene Mysterien, die man gewöhnlich als »Leben Christi« bezeichnet, unterteilt Thomas in vier Schritte: Post praedicta, in quibus de unione Dei et hominis et de his quae unionem sequuntur, tractatus est, restat considerandum de his quae Filius Dei in natura humana sibi unita fecit vel passus est. Quae quidem consideratio quadripartita erit. Nam primo considerabimus de his quae pertinent ad ingressum eius in mundum; secundo, de his quae pertinent ad processum vitae ipsius in hoc mundo; tertio, de exitu ipsius ab hoc mundo; quarto, de his quae pertinent ad exaltationem ipsius post hanc vitam (»Nach dem Vorgesagten, worin von der Vereinigung zwischen Gott und Menschen und den Folgen der Vereinigung gehandelt wurde,
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bleibt uns zu bedenken, was der fleischgewordene Sohn Gottes in der mit ihm geeinten menschlichen Natur getan und gelitten hat. Unterteilen wir diese Betrachtungen in vier Punkte: erstens, sein Eingang in die Welt; zweitens, die Entwicklung seines Lebens hier auf der Erde; drittens, sein Hinscheiden aus dieser Welt; viertens, seine Erhöhung nach diesem Leben«; STh III q. 27 intr.; Ed. Leonina 11, 288). Stärker analytisch heißt es in den betreffenden Quaestionen selbst: De conceptione Christi, de eius nativitate, de eius circumcisione, de eius baptismo, de modo conversationis ipsius, de tentatione eius, de doctrina, de miraculis, de passione eius, de morte, de sepultura, de descensu ad inferos, de eius resurrectione, de eius ascensione, de sessione ad dexteram Patris, de iudiciaria potestate (»Die Empfängnis Christi, seine Geburt, seine Beschneidung, seine Taufe, seine Lebensweise, seine Versuchung, seine Lehre, die Wunder, sein Leiden, der Tod, das Begräbnis, die Höllenfahrt, seine Auferstehung, seine Himmelfahrt, das Sitzen zur Rechten des Vaters, die Macht zu richten«; vgl. die Einleitungen zu STh III q. 27. 40. 46. 53; Ed. Leonina 11, 288. 397. 435. 503). 9.4. Das theologische Interesse an den Mysterien Christi
Vor allem Marie-Dominique Chenu, der geniale Erforscher des historischen Thomas und Verfasser der berühmten und im Grundsatz immer noch nicht veralteten Einführung in das Werk des Thomas, hat die Aufmerksamkeit der Thomas-Forschung auf die Mysterien des Lebens Christi nach der Summa Theologiae gelenkt (vgl. hierzu auch Biffi, I misteri). Die Theologie hat sich in den fünfziger Jahren besonders mit der theologischen Methode befasst, vor allem ging es dabei um das Verhältnis von »immanenter Gotteslehre« und »Ökonomie«. Im Falle des Thomas wurde dies auf die lange umstrittenen und unterschiedlichen Lösungen zugeführte Frage des ordo beziehungsweise der Anlage der Summa Theologiae zugespitzt. Hier ergab sich, dass Thomas den theologischen Stoff nicht biblisch nach dem Gang der Offenbarung gegliedert hat, sondern nach dem neuplatonischen Schema der Bewegung von exitus und reditus. Dabei beobachtete Chenu selbst, »daß die Summa ihre Wurzeln hat in einem evangelischen Boden […], weil hier das Grundgesetz ihrer Entstehung vorliegt« (Chenu, Werk, 263). Nicht allein im Licht des Interesses an »Konstruktionsverfahren« befand er zudem, dass das Werk des Thomas »ganze Abteilungen« enthält, »die ein übrigens sehr bedauerlicher Gebrauch allzuoft im Gefolge der modernen Aufteilung der Stoffgebiete oder der Einteilung der Probleme beiseiteließ« (Chenu, Werk, 176), so etwa die »drei biblischen Berichte über die Schöpfung, über das Alte Gesetz, über das Leben Christi«. Sie »erfüllen […] in der Summa ganze Blocks von Quästionen und Artikeln« (STh I q. 67–74; Ed. Leonina 5, 163– 193; STh I-II q. 105; Ed. Leonina 7, 258–272; STh III q. 30–58; Ed. Leonina 11, 315–540), und bewahren »noch der spekulativsten Theologie einen biblischen Gehalt und eine biblische Atmosphäre« (Chenu, Werk, 179).
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Aber »nichts wäre irriger und intellektuell verheerender, als sich in diesen theologischen Texten zu ergehen, ohne sich in der verborgenen Kommunikation mit dem Worte Gottes zu halten und ohne gleichsam in der Ergriffenheit der Kontemplation zu stehen. Die rationalen Strukturen können die gleichen bleiben – das Licht, das sie erhellt, hat von vornherein unseren Geist in eine andere Welt versetzt« (Chenu, Werk, 186). In Wirklichkeit werden damit genau die drei Abschnitte der Summa Theologiae benannt, die die »spekulative Bewegung der neuzeitlichen Theologie […] nach und nach […] entfernt« oder »in eine vorgängige und nicht mehr ins Ganze eingefügte exegetische Zone« verweist (Chenu, Werk, 293). Für ihren Teil lassen die Quaestionen 27–59 – wo eben das »evangelische Leben Christi« behandelt wird – den Grund und den biblischen Nährboden für die christologische Spekulation des Thomas in der Summa Theologiae erkennen; sie erlauben daher eine neue historischere und vollständigere Einsicht in seine Methodologie sowie die Anordnung bzw. den Plan der Summa selbst. Tatsächlich wurden diese Quaestionen und die Mysterien Christi insgesamt in der Folgezeit zum Gegenstand besonderer Forschung (vgl. Biffi, I misteri, dort umfassende Literaturangaben). Hier kann ihr Inhalt nicht umfassend vorgestellt, es sollen aber doch Grundlinien ihrer Interpretation in Erinnerung gerufen werden: 1. vor allem die häufige Verwendung patristischer allegorischer Exegese, die die Grenzen literarischer Exegese überschreitet, um zu erhellen, welche Gehalte und Bedeutungen in den einzelnen Mysterien des »Lebens Christi« enthalten sind. 2. dem folgend, die Anwendung auf verschiedene Ursächlichkeiten: verdienstlich, beispielhaft, wirksam, welche, je nach den Mysterien, mit denen sie verbunden sind, die Fähigkeiten oder die vis oder virtus der Mysterien selbst erkennen lassen. Sie folgen dabei dem Prinzip Quia […] humanitas Christi est divinitatis instrumentum […] ex consequenti omnes actiones et passiones Christi instrumentaliter operantur, in virtute divinitatis, ad salutem humanam (»Weil […] die Menschheit Christi Werkzeug der Gottheit ist […], wirken folglich alle Taten und Leiden Christi instrumentell kraft der Gottheit zum Heil der Menschen«; STh III q. 48 a. 6 r.; Ed. Leonina 11, 469), sowie: Quidquid contingit circa carnem Christi, […] fuit nobis salutiferum virtute divinitatis unitae (»Was auch immer nach dem Fleisch Christi geschieht, hat uns kraft der geeinten Gottheit zum Heil geholfen«; STh III q. 50 a. 6r.; Ed. Leonina 11, 485b). So ist das ganze Leben Christi als Exempel verstehbar: Omnis enim Christi actio nostra est instructio (»Jede Tat Christi nämlich ist eine Anweisung für uns«; In Sent. IV d. 1 q. 2 a. 5 qla. 3 arg. 1; Ed. Vives 10, 37b). Diese Grundsätze gelten für alle Mysterien Christi und helfen einerseits, den einzelnen und objektiven Wert der Menschheit Christi als geschichtlichen Ausdruck der Menschlichkeit Gottes zu bekräftigen, und daher andererseits den in den Taten der Menschheit mitgegebenen »Überschuss« zu erkennen, ihre virtutem excedententem omnem virtutem humanam (STh III q. 48 a. 6 ad 1; Ed. Leonina 11, 469b).
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Unter allen Mysterien Christi wird der passio Christi von Thomas eine besondere Bedeutung zugeschrieben, und zwar in der Weise, dass dieser passio zugesprochen wird, dass sie in ihrer Aktualität und anthropologischen »Immanenz« erkannt wird, während sie zugleich das Objekt affektiver Betrachtung darstellt. Für den Doctor Angelicus strahlen vom Leiden Christi in einzigartiger Intensität – propter genus operis (STh III q. 48 a. 1 ad 3; Ed. Leonina 11, 463b) – die theologischen, christlichen und anthropologischen Bedeutungen und Gehalte aus, durch welche es in das Zentrum der Heilsgeschichte rückt. Dieses Mysterium ist dazu bestimmt, sich in der ganzen Welt auszubreiten: virtus passionis eius ad totum mundum diffundenda erat (STh III q. 46 a. 10 ad 1; Ed. Leonina 11, 450a). Besonders bedeutsam ist in hermeneutischer Hinsicht die Berufung auf die Ursächlichkeit per modum efficentiae, die, wenn Thomas sie auch besonders am Leiden Christi erklärt und anwendet, für alle österlichen Mysterien gilt: der Tod, die Grablegung, die Höllenfahrt, die Auferstehung und die Erhöhung haben die Eigenschaft, objektiv das Heil zu bewirken (STh III q. 51 a. 1 ad 2; Ed. Leonina 11, 487b; STh III q. 56 a. 1 ad 1 und 2; Ed. Leonina 11, 525b; STh III q. 56 a. 2; Ed. Leonina 11, 526; STh III q. 57 a. 6 ad 1; Ed. Leonina 11, 535a). Ausdrücklich auf die passio Christi bezogen, hebt Thomas hervor, dass sie fuit quaedam causa universalis humanae salutis, tam vivorum quam mortuorum (»eine gewisse allgemeine Ursache des menschlichen Heils für die Lebenden wie die Toten war«) und dass sie non habuit temporalem virtutem et transitoriam, sed sempiternam (»nicht eine zeitliche und vergängliche Kraft hatte, sondern eine ewige«), durch welche non habuit tunc maiorem efficaciam passio Christi quam habeat nunc (»das Leiden Christi damals keine größere Wirksamkeit hatte, als es jetzt hat«; STh III q. 52 a. 8r.; Ed. Leonina 11, 501b). Solche gegenwärtige Gültigkeit vollzieht sich durch applicatio (STh III q. 52 a. 2 ad 2; Ed. Leonina 11, 494a). Durch den Glauben und die Sakramente ist jetzt der contactus (STh III q. 48 a. 6 ad 2; Ed. Leonina 11, 469b), die coniunctio (STh III q. 52 a. 7r.; Ed. Leonina 11, 500), die copulatio (STh III q. 62 a. 5 c: Ed. Leonina 12, 27) mit dem Leiden möglich. Die Folge ist die configuratio, die in den Sakramenten besteht configurantia nos passioni Christi (STh III q. 52 a. 1 ad 2; Ed. Leonina 11, 493). Auf diese Weise wird die sakramentale Heilsvermittlung an die Christologie rückgebunden, anders gesagt: Die Gehalte der Christologie ergießen sich in die Sakramente. Es wird also der Weg von den mysteria Verbi incarnati zu den Ecclesiae sacramenta, quae ab ipso Verbo incarnato efficaciam habent (STh III q. 60 intr.; Ed. Leonina 12, 3), vollzogen, wobei vor allem an die passio des fleischgewordenen Wortes gedacht ist. Für den Doctor Angelicus entspringen die Sakramente (der überlieferten Lehre folgend) gewissermaßen am Kreuz, das in sie aufgrund einer realen repraesentatio ausstrahlt: Sacramenta Ecclesiae specialiter habent virtutem ex passione Christi, cuius virtus quodammodo nobis copulatur per susceptionem sacramentorum (»Die Sakramente der Kirche haben auf eigene Weise ihre Kraft aus dem Leiden Christi, dessen Kraft sich auf eine bestimmte Weise durch den Empfang
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der Sakramente mit uns verbindet«; STh III q. 62 a. 5 r.; Ed. Leonina 12, 27b) Diese virtus findet sich im Herzen der Geschichte, da per fidem passionis Christi iustificabantur antiqui Patres, sicut et nos (»die Väter des Alten Bundes durch den Glauben an das Leiden Christi ebenso gerechtfertigt wurden wie auch wir«; ebd.). 9.5. Schluss
In der Christologie des Thomas zeigt sich ein lebendiges und einmaliges Empfinden für die historischen Wechselfälle im Leben Jesu von Nazareth, welches die Dimension des Mysteriums erscheinen lässt. Wie jedes gottmenschliche Geschehen lassen sich auch diese Ereignisse nicht eindimensional phänomenologisch auflösen: Die Einmaligkeit und die Unvergleichbarkeit der Geschichte Jesu Christi besteht darin, die Geschichte des menschgewordenen Sohnes Gottes zu sein. Exegetische Befunde zu einzelnen Versen beeinträchtigen oder gefährden diese theologische Interpretation und die übergeschichtliche Bedeutung des Lebens Christi in keiner Weise; sie ist, lässt man sich ohne Abstriche nach der einen oder anderen Seite auf die wahrnehmbare Dimension des Glaubens und die überprüften beziehungsweise überprüfbaren Ereignisse ein, unauflösbar mit dem Grundsatz der Gottessohnschaft verbunden. Es handelt sich hier also um eine Christologie, die in realistischer Würdigung der wahren Menschheit des Wortes ihren Ursprung in der Lektüre »von oben« findet; »von unten« hingegen kann man nicht in einem kontinuierlichen Prozess zum Verständnis der Identität Jesu, zu seiner Person oder zu jenem Subjekt gelangen, welchem letztlich die menschlichen Handlungen, die acta et facta carne des Sohnes Gottes, zuzuschreiben sind. Auch wenn man solche wenig glücklichen Kategorien – »von oben« oder »von unten« – gebraucht, bleibt doch nur eines bestehen: dass das »Wort«, das »bei Gott war« und das »Gott war«, »Fleisch geworden ist« (Joh 1,1.14), beziehungsweise dass es – wie es das Glaubensbekenntnis fasst – der Glauben an »Gottes einigen Sohn, der vom Vater geboren ist vor der ganzen Welt, Gott von Gott, Liecht vom Liecht, wahrhaftigen Gott von wahrhaftigen Gott, geborn, nicht geschaffen, mit dem Vater in einerlei Wesen, durch welchen alles geschaffen ist: welcher umb uns Menschen und umb unser Seligkeit willen vom Himmel kommen ist, und leibhaftig worden durch den heiligen Geist von der Jungfrauen Maria und Mensch worden« (BSLK, 26). Thomas lässt, wie oben dargelegt, der Analyse der Mysterien jene des »Mysteriums an sich«, strukturell vorausgehen. Offensichtlich ist auch für ihn der kreative Ausgangspunkt aller Christologie der ökonomische Aspekt, zu dessen Entfaltung der ontologische nicht vorausgesetzt ist. Gleichwohl wird dieser hieraus abgeleitet: Er existiert nicht für sich, unabhängig von der Ökonomie, und doch erlaubt er dem Doctor Angelicus als systematische Voraussetzung auf bestimmte Weise, den Sinn der Ereignisse Jesu zu erhellen und vertieft wahrzunehmen. Ziel des Thomas ist es, die bloß punktuellen acta et passa zu überschreiten, um sie zu einem Bild beziehungsweise einem einheitlichen Gesamtzusammenhang
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zusammenzufügen und darin aufgehen zu lassen. Mit Hilfe seiner theologischen Exegese will er das »Mysterium« bzw. das »Sakrament« im Sinne der augustinischen Unterscheidung von »Sache« und »Zeichen« erhellen. In jedem Fall wird eine angemessene Christologie beide Aspekte stets in zirkulärer Verbindung zusammenhalten – ungeachtet der verbreiteten Abneigung gegen einen synthetischen, als abstrakt verurteilten theologischen Diskurs oder, wie Thomas sagen könnte, gegen den ordo causalitatis im Verhältnis zum ordo generationis. Wie ausgeführt greift Thomas auf die übliche Unterscheidung der »Ursachen« zurück, um den Eigenwert der Handlungen Christi zu erfassen. Vor allem hebt er die Wirkursache hervor, welche die Tat Christi in ihrer Objektivität und Wirkung erkennen lässt. Erst im Horizont der Aufgabe, den Eigenwert der historischen Taten Christi zu erfassen, enthüllt sich der Sinn mancher kleinteiliger Aspekte der thomistischen Exegese, die in ihrer Verflochtenheit zu einem Licht strahl gebündelt werden, der von diesen Taten ausstrahlt und alle oberfläch lichen, vorschnellen Versuche ihrer Zuordnung entlarvt. In dieser Perspektive wird verständlich, wieso sie für Thomas ein unerschöpfliches Objekt der Betrachtung darstellen können. Er erforscht, wie er in der Summa contra gentiles schreibt, ihre mirabiles rationes: rationes, die nicht einfach die notwendigen Forderungen unserer Rationalität befriedigen sollen, sondern die Begründungen darstellen, welche in den Augen des Glaubens Klarheit gewinnen. So heißt es in der Scg. IV q. 54; Ed. Leonina 15, 173a: »Wenn einer aufmerksam und mit Hingabe anfängt, über die Mysterien der Fleischwerdung nachzudenken, wird er eine so tiefe Weisheit finden, dass er die Grenzen des menschlichen Verstandes überschreitet, wie der Apostel sagt (1 Kor 1,25): ›Denn die göttliche Torheit ist weiser als die Menschen‹. So geschieht es, dass sich in der frommen Reflexion immer mehr die wunderbaren Gründe dieses Mysteriums offenbaren.« Abschließend sei festgehalten: Thomas spricht auf Grund der Einzigartigkeit der acta et passa Filii Dei von deren unerschöpflicher vis oder virtus. Es ist umstritten, ob dies so zu verstehen ist, dass jedes Mysterium für sich tatsächlich aktiv ist oder nur insofern es in Jesus Christus aufgehoben ist. Aber beide Perspektiven müssen sich keineswegs ausschließen. Der Gebrauch der Kategorien vis und virtus dürfte jedenfalls in angemessener Weise die transzendente und eschatologische Dimension der Ereignisse Christi ausdrücken, das heißt ihre Wirklichkeit wie ihre Verbindung mit dem Leben der Kirche sowie besonders, wie angedeutet, die Verbindung der Mysterien Christi mit den Sakramenten; diese stellen die wirksame Vergegenwärtigung beziehungsweise die Art dar, auf welche man in das mysterienhafte und beständige Leben Christi jenseits der punktuellen Begegnung in der Zeit aufgenommen ist. Die Untersuchung der Christologie ließe sich in den Bibelkommentaren des Thomas, vor allem zu den Paulusbriefen, zum Johannesevangelium und zum Matthäusevangelium, fortsetzen oder auch mit einer Analyse jenes Aspektes seiner Christologie, den ich den »kreativen Ausgangspunkt« genannt habe, an welchem
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die Mysterien stets neu wirklich werden und die hermeneutischen Kriterien – eine Untersuchung der wirklichen Gründe vermittels einer genauen Analyse des wörtlichen und des mystischen Sinns – ständig angewandt werden. Wesentlich andere Einsichten wären hiervon allerdings nicht zu erwarten. So bleibt nur die Erinnerung an jenen von Wilhelm von Tocco überlieferten Ausspruch Christi: »Du hast gut über mich geschrieben, Thomas« (vgl. Biffi, I misteri, 295–336): Louis Veuillot hat über den Blick, mit welchem Thomas auf dem Fresko des Seligen Doctor Angelicus im Refektorium von San Marco in Florenz den Gekreuzigten betrachtet, geschrieben: »Dies gehört zu den schönsten Dingen auf der Welt« (Chenu, St. Thomas d’Aquin, 51). Wir wissen von der beständigen Vertrautheit des Thomas mit Jesus Christus im Gebet. Selbst dort, wo man meinen könnte, dass die christologische Systematisierung im ordo disciplinae des Doctor Angelicus an ihre Grenzen käme, ist sein theologischer Blick auf die Person Christi gerichtet, an der er sich vor allem festgehalten hat. Beim Empfang des Vaticums beteuerte der Doctor Angelicus nach Wilhelms Bericht: Sumo te pretium redemptionis anime mee, sumo te uiaticum peregrinationis mee, pro cuius amore studui, uigilaui et laboraui; te predicaui, te docui, nichil umquam contra te dixi« – »Dich empfange ich, Preis der Erlösung meiner Seele, Trost meiner Pilgerfahrt. Für deine Liebe habe ich studiert, habe ich gewacht und mich angestrengt. Dich habe ich gepredigt und gelehrt und niemals habe ich irgendetwas gegen dich gesagt« (Ystoria, c. 58). Und ihm wurde die Gnade zuteil, Jesus Christus selbst reden zu hören: Thoma, bene scripsisti de me, quam recipies a me de tuo labore mercedem? – »Du hast gut/richtig über mich geschrieben, Thomas. Welchen Lohn willst du dafür empfangen?« Die Antwort des Thomas ist bekannt: Domine, non nisi te – »Nichts anderes, als dich, Herr«. Biffi, Inos: I misteri di Cristo in Tommaso d’Aquino. Il Commento alle Sentenze e altre opere, Mailand 2013. Torrell, Jean-Pierre: Le Christ en ses mystères: la vie et l’œuvre de Jésus selon saint Thomas d’Aquin, 2 Bde. (CJJC 78/79), Paris 1999. (Übersetzt von Thies Jarecki)
Inos Biffi
10. Sakramentenlehre Thomas äußert sich zu den Sakramenten in Sent. 4, Scg. IV, 56–78, STh III. q. 60 ff. Nicht vergessen sollte man die Schriftkommentare, wo Thomas an den entsprechenden Stellen auf einzelne Sakramente eingeht. Eine kurze Zusammenfassung der allgemeinen Sakramentenlehre und eine Darstellung der einzelnen Sakramente bietet art. fid. II. Die STh bricht mitten in der Erörterung des Bußsakramentes ab (mit STh III q. 90; Ed. Leonina 12, 327–338), so dass die letzten Quaestionen der speziellen Sakramentenlehre nachträglich aus Sent. ergänzt sind.
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Die Sakramententheologie des Aquinaten ist eingebettet in sein Gesamtkonzept von Theologie. Man muss daher die Quaestionen über die Sakramente vor dem Hintergrund der Lehre von Gott, von der Zielsetzung des Menschen und vor allem der Christologie lesen (Walsh, Sacraments, 326–364). Der III. Teil der STh handelt de ipso Salvatore, de sacramentis eius, quibus salutem consequimur, de fine immortalis vitae ad quam per ipsum resurgendo pervenimus (»von der Person des Erlösers, seinen Sakramenten, durch die wir das Heil erlangen, und vom Ziel des unvergänglichen Lebens, zu dem wir durch ihn gelangen, wenn wir auferstehen«: STh III prooem.; Ed. Leonina 11,5a). An die theologische Ausfaltung der Christologie schließt sich unmittelbar die Erörterung der Sakramente an: Post considerationem eorum quae pertinent ad mysteria Verbi incarnati, considerandum est de Ecclesiae sacramentis, quae ab ipso Verbo incarnato efficaciam habent (»Nachdem wir die Geheimnisse des fleischgewordenen Wortes bedacht haben, wenden wir uns nun den Sakramenten der Kirche zu, die ihre Wirksamkeit von eben diesem fleischgewordenen Wort haben«). Thomas geht die Thematik in der STh unter fünf bzw. sechs Aspekten an: Was ist eigentlich ein Sakrament (STh III q. 60; Ed. Leonina 12, 3–13)? Worin besteht ihre Notwendigkeit (STh III q. 61; Ed. Leonina 12, 14–18)? Was ist die Wirkung der Sakramente (STh III q. 62 f.; Ed. Leonina 12, 19–40)? Wie verhält sich göttliches und menschliches Wirken in der Feier der Sakramente (STh III q. 64; Ed. Leonina 12, 41–55)? Ihre Anzahl (STh III q. 65; Ed. Leonina 12, 56–61)? Aus der theologischen Tradition (Augustinus, Dionysius, Isidor) standen verschiedene Definitionen zur Verfügung, die Thomas selbstverständlich rezipiert. Im 12. Jahrhundert waren bereits wichtige Fragen geklärt worden (v. a. durch Petrus Lombardus und Hugo von St. Viktor); so war etwa die Frage nach der Zahl der Sakramente im 13. Jahrhundert kein Diskussionsgegenstand mehr, jedoch gab man sich Mühe, diese sieben Zeichen als konvenient zu erweisen. Andere Fragen, z. B. nach der Wirkweise der Sakramente, wurden zu Thomas’ Zeiten intensiv diskutiert. 10.1. Zeichen
Sakramente gehören zur Gattung der signa (»Zeichen«) (STh III q. 60 a. 1; Ed. Leonina 12, 3a), sie verweisen auf eine res sacra. Entscheidend und unterscheidend ist jedoch, dass die »heilige Wirklichkeit«, welche die Sakramente bezeichnen, nicht nur in sich selbst heilig ist (wie es viele Zeichen für die Heiligkeit Gottes gibt), sondern Heiligung des Menschen »wirkt« (STh III q. 60 a. 2; Ed. Leonina 12, 4a). Letztlich ist diese heilige Wirklichkeit, auf die die Sakramente verweisen, Christus selbst. Insofern jedes Sakrament die Heiligung des Menschen durch Christus zum Inhalt hat, verweist es zum einen auf die causa (»den Ursprung«) des Heiles, das Leiden Christi, ist also Gedächtnis des Kreuzes; es bezeichnet zugleich die Gnade, die im Empfang dem Menschen zuteil wird (die vermittelte Gnade ist sozusagen das Wesen, forma, des Sakramentes), und verweist proleptisch voraus auf sein Ziel: die letzte Vollendung im ewigen Leben (finis). Jedes
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Sakrament umspannt also Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, ist signum rememorativum, demonstrativum, prognosticum (STh III q. 60 a. 3; Ed. Leonina 12, 5a). In besonders eindrucksvoller Weise bringt dies, bezogen auf das Sakrament der Eucharistie, die Magnificat-Antiphon zum Fronleichnamsofficium ins Wort: O sacrum convivium, in quo Christus sumitur, recolitur memoria passionis eius, mens impletur gratia, et futurae gloriae nobis pignus datur (»O heiliges Gastmahl, in dem Christus als Speise genommen wird, das Gedächtnis seines Leidens begangen, die Seele mit Gnade erfüllt und uns ein Unterpfand der künftigen Herrlichkeit gegeben wird«: Adam, Te Deum, 76 f.). 10.2. Wort und sinnenhaftes Element
Die Eigenart eines Sakraments ist seine sinnliche Wahrnehmbarkeit, obwohl die Gnade, wie ein Einwand zu Recht sagt, keine sinnenhaft wahrnehmbare Wirklichkeit ist. Thomas begründet dies zunächst mit einer Parallele aus der Erkenntnistheorie: Est autem homini connaturale, ut per sensibilia pervenit ad cognitionem intelligibilium. Signum autem est per quod aliquis devenit in cognitionem alterius (»Es entspricht der Natur des Menschen, mittels der sinnenhaft wahrnehmbaren Dinge zur Erkenntnis der geistigen Dinge zu gelangen. Ein Zeichen ist ja gerade etwas, wodurch jemand zur Erkenntnis von etwas anderem gelangt«: STh III q. 60 a. 4; Ed. Leonina 12, 6a). Vergleichbares lässt sich auch für die Heilige Schrift sagen: per similitudinem rerum in divina Scriptura res spirituales nobis describuntur (»geistliche Inhalte werden uns in der Hl. Schrift mit Hilfe von Dingen [oder Ereignissen] als deren Abbild beschrieben«: ebd.). Die tiefere Begründung aber liegt in der Parallelität der einzelnen Sakramente zu ihrer Ursache: Der Erlöser ist ja der »fleischgewordene« Logos (STh III q. 60 a. 6; Ed. Leonina 12, 8a, s. u. zu STh III q. 61 a. 1; Ed. Leonina 12, 14a). Die Struktur der Sakramente, welche ein materielles Zeichen (Wasser, Chrisam etc.) – in der berühmten Definition Augustins: elementum – bzw. einen sichtbaren Vollzug (Salbung, Waschung, Handauflegung etc.) einerseits und Worte andererseits umfasst, bildet die Wirklichkeit Christi ab: Sacramentum consistit in verbis et rebus corporalibus, sicut in Christo, qui est sacramentorum auctor, est verbum caro factum. Et sicut caro Christi sanctificata est et virtutem sanctificandi habet per Verbum sibi unitum, ita et res sacramentorum sanctificantur, et vim sanctificandi habent per verba, quae in his proferuntur. (»Ein Sakrament besteht in Worten und körperlicher Wirklichkeit – wie es bei Christus ist, dem Urheber der Sakramente: er ist das Wort, das Fleisch geworden ist. Wie das Fleisch Christi durch das mit ihm geeinte Wort geheiligt ist und heiligende Kraft besitzt, so wird auch die leibhafte Wirklichkeit der Sakramente geheiligt durch die Worte, die dabei gesprochen werden, und erhält dadurch die Kraft zu heiligen«: STh III q. 60 a. 6; Ed. Leonina 12, 8a). Somit kann die Wirklichkeit des Sakramentes analog den Prinzipien von »Form« und »Materie« gedacht werden: Aus dem materiellen
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Zeichen und den der »Form« entsprechenden Worten wird eine Wirklichkeit (unum: STh III q. 62 a. 4 ad 4; Ed. Leonina 12, 25b). Dieser Gedanke wird ergänzt durch ein weiteres Konvenienzargument: Auch der Mensch, der geheiligt werden soll, ist Leib und Seele. Dem entspricht das Heil-Mittel: per rem visibilem corpus tangit et per verbum ab anima creditur (»es berührt aufgrund der Sichtbarkeit den Leib, aufgrund des Wortes setzt die Seele den Akt des Glaubens«). Durch die Worte geschieht die notwendige oder zumindest angemessene Bestimmung des Vorgangs; denn das materielle Zeichen, z. B. eine Salbung oder Waschung, ist für sich genommen offen auf mehrerlei Deutungen. Thomas betont mit Augustinus, dass es nicht einfach auf den auszusprechenden Wortlaut ankommt – daher ist auch nicht die Sprache maßgebend, in der das Sakrament gefeiert wird –, sondern auf den Inhalt, d. h. den Sinn der Worte (STh III q. 60 a. 7 ad 1; Ed. Leonina 12, 10a). Nicht jeder Versprecher macht das Sakrament ungültig. Entscheidend ist, dass der Spender »tun will, was (Christus und) die Kirche tut«; das schließt ein, die Worte gewissenhaft und mit Liebe auszusprechen (über die Intention des Spenders: STh III q. 60 a. 8; Ed. Leonina 12, 12a). 10.3. Sakramente in der Heilsgeschichte (STh III q. 61; Scg. IV c. 57)
Thomas teilt die zu seiner Zeit allgemeine Überzeugung, dass es auch vor Christus Heilszeichen, »Sakramente«, gegeben habe. Er begründet dies wiederum theologisch-anthropologisch: Gottes Weisheit gibt zu allen Zeiten dem Menschen das ihm Nötige (STh III q. 61 a. 1 ad 2; Ed. Leonina 12, 15a). Der menschlichen Natur – und zwar vor allem der erbsündlich geschädigten Natur – entspricht es, vom sinnlichen Wahrnehmbaren zum Geistigen aufzusteigen. Ein rein geistiges Heilmittel würde ihr nicht helfen. Auch bestünde die Gefahr, dass der Mensch, der körperlichen Wirklichkeit verhaftet und ständig mit ihr beschäftigt, sich im religiösen Bereich superstitiosa exercitia (»abergläubischen Praktiken«) zuwenden würde, gäbe ihm Gottes Vorsehung nicht äußere Zeichen, in denen er seinen Glauben an die erlösende Macht Gottes ausdrücken kann. Thomas denkt strikt theozentrisch: Ein Zeichen des Heiles muss von Gott initiiert sein, damit es heilshaft wirken kann. Freilich hat die Feier solcher Zeichen auch eine »aufsteigende« Dimension, sie ist »Gottesdienst« (STh III q. 60 a. 5; Ed. Leonina 12, 7a). Doch kann die Heiligung des Menschen nicht von ihm selbst ausgehen: Quia ergo sanctificatio hominis est in potestate Dei sanctificantis, non pertinet ad hominem suo iudicio assumere res quibus sanctificetur (»Die Heiligung des Menschen steht in der Macht Gottes, der heilig macht; daher kommt es nicht dem Menschen zu, nach seinem Urteil auszusuchen, womit er geheiligt wird«). Dies gilt für die Zeit vor Christus, wie für die Zeit nach ihm (STh III q. 61 a. 4 ad 1; Ed. Leonina 12, 17b). Während Bonaventura und andere Theologen des Hochmittelalters für das Ehesakrament die Einsetzung im Paradies – also vor dem Sündenfall – vertraten, da dieses Sakrament Zeichen der tiefsten Einigung zwischen Gott und Mensch
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sei, wie es jetzt Zeichen der innigen Verbindung Christi mit der Kirche sei (Brev. VI, 13), betont Thomas, dass die Sakramente Heilmittel für den gefallenen Menschen sind (STh III q. 61 a. 2; Ed. Leonina 12, 15a). Vor dem Sündenfall habe eine ungebrochene Beziehung zu Gott bestanden, so dass keine Zeichen nötig waren. Nach dem Sündenfall jedoch gab es von Anfang an solche Zeichen des Heils (verschiedene Opfer und Bußriten), die den Menschen innerlich von Gott »eingegeben« wurden. Deutlicher ausgestaltet werden die Zeichen mit dem Fortschreiten der Offenbarung Gottes an das Volk, v. a. sub lege scripta (nach dem Sinaibund). Die wichtigsten Sakramente sind das Paschalamm, in dem das Leiden Christi vorausgebildet ist (STh III q. 61 a. 3 ad 3; Ed. Leonina 12, 17b), und die Beschneidung als signum fidei iustificantis (»Zeichen des rechtfertigenden Glaubens«: STh III q. 62 a. 6 ad 3; Ed. Leonina 12, 28b). Als Zeichen des Heils sind die Sakramente aller Zeiten mit Christi Heilswerk verbunden und davon abhängig. Nullus autem sanctificari potest post peccatum nisi per Christum [Röm 3,25 f.] Et ideo oportebat ante Christi adventum esse quaedam signa visibilia, quibus homo fidem suam protestaretur de futuro Salvatoris adventu (»Niemand kann nach dem Sündenfall Heiligung erlangen außer durch Christus [mit Bezug auf Röm 3,25 f.]. Es musste also auch vor dem Kommen Christi einige sichtbare Zeichen geben, durch die der Mensch seinen Glauben an das Kommen des Erlösers bekundete«: STh III q. 61 a. 3; Ed. Leonina 12, 16a). Doch ist die Zeit nicht belanglos; denn im Neuen Bund ist Christus mit seinem Heilswerk gegenwärtig, anders, als wenn er noch erwartet wird. Der Mensch kommt in Kontakt (copulatur) mit dem Erlöser und seinem Leiden per fidem et sacramenta (STh III q. 62 a. 6; Ed. Leonina 12, 28a). Der Glaube als ein geistig-seelischer Akt kann sich auf ein noch erwartetes Ereignis der Zukunft beziehen – ähnlich wie eine Zielursache bereits wirken kann, ohne schon Wirklichkeit zu sein. Die Kraft der Sakramente als sichtbar-äußere Zeichen dagegen ist abhängig von der bereits geschehenen Passion als ihrer causa efficiens. Daher lautet Thomas’ Lösung: Die Glaubenden des Alten Bundes wurden durch den Glauben gerechtfertigt wie wir; die Heilszeichen der Zeit vor Christus waren Bekundungen dieses Glaubens, significabant Christi gratiam, non tamen eam causabant (»sie bezeichneten die Gnade Christi, bewirkten sie aber nicht«). Dies letztere kommt nur den Sakramenten des Neuen Bundes zu, welche in der bereits vollzogenen Passion Christi ihren Wurzelgrund haben: continent et conferunt gratiam (»sie enthalten die Gnade und vermitteln sie«: STh III q. 61 a. 4 ad 3; Ed. Leonina 12, 18b). Sie sind sichtbare Gestalt der unsichtbaren Gnade. 10.4. Die heiligende Wirkung der Sakramente
Die Frage, wie die Sakramente der Kirche Heil vermitteln bzw. bewirken, wurde zu Thomas’ Zeit intensiv diskutiert (STh III q. 62; Ed. Leonina 12, 19–29). Zu beachten ist, dass es hier um die Sakramente im Allgemeinen geht, und nicht um den besonderen Fall des Altarssakramentes, in dem aufgrund der Realpräsenz
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der Erlöser substantialiter und nicht nur gemäß seiner Kraft, virtus, gegenwärtig ist. Auf der einen Seite wollte man an der Formulierung, die Sakramente seien vasa gratiae (»Gefäße der Gnade«) festhalten, auf der anderen Seite schien die Wirklichkeit der »Gnade« unmittelbar von Gott gegeben, die ihren »Sitz« einzig in der Seele des gerechtfertigten Menschen haben kann. Zahlreiche Theologen vor Thomas – auch Bonaventura neigt dieser Theorie zu – vertraten daher die Auffassung, Gott gebe anlässlich der Spendung eines Sakramentes die Gnade. In diesem Zusammenhang wird häufig das Beispiel von einer an sich wertlosen Blei-Münze angeführt, die – weil es der König so bestimmt hat – demjenigen, der sie vorweist, hundert Goldstücke einbringt. Diese Auffassung von den Sakramenten als »Blei-Statthalter« lehnt Thomas ab; denn sie würde den Sakramenten eine nur äußerliche Bedeutung zuweisen, und letztlich den Unterschied zwischen den Sakramenten vor Christus und nach seiner Passion aufheben (STh III q. 62 a. 1; Ed. Leonina 12, 19a). Thomas präsentiert daher eine andere Lösung: die Unterscheidung principale agens bzw. causa principalis und causa instrumentalis (zwischen Haupt-Ursache und Instrumental-Ursache); und er begründet seine Lösung christologisch. Gott als principale agens wirkt die Gnade im Menschen als eine Ähnlichkeit bzw. Teilhabe an seinem eigenen Wesen. Die Instrumental-Ursache dagegen wirkt nicht aus eigener Kraft, sondern durch die Kraft und mit dem Ziel dessen, der sich ihrer bedient. Principalis autem causa efficiens gratiae est ipse Deus, ad quem comparatur humanitas Christi sicut instrumentum coniunc tum, sacramentum autem sicut instrumentum separatum. Et ideo oportet quod virtus salutifera a divinitate Christi per eius humanitatem in ipsa sacramenta derivetur. (»Zuallererst ist es Gott, der die Gnade wirkt. Die Menschheit Christi verhält sich zur göttlichen Person wie ein mit ihr verbundenes Werkzeug, ein Sakrament aber wie ein getrenntes Werkzeug. Daher muss die heilschaffende Kraft von der Gottheit Christi über seine Menschheit in die Sakramente fließen«: STh III q. 62 a. 5; Ed. Leonina 12, 26a). Wie die Menschheit Christi in der hypostatischen Union das Werkzeug der göttlichen Person war – ähnlich wie ein Mensch mit seiner Hand einen anderen stützt –, so sind die Sakramente der Kirche instrumenta separata – wenn der Mensch zur Hilfeleistung an einem anderen sich eines Seiles oder Stabes bediente. Die Sakramente sind somit ihrerseits mit der menschlichen Natur des Erlösers verbunden und gewissermaßen die Verlängerung seines gottmenschlichen Wirkens in die Geschichte hinein, bis zu seiner Wiederkunft am Ende der Zeiten (passio Christi quodam modo applicatur hominibus per sacramenta: »Die Menschen kommen in Verbindung mit dem Leiden Christi mittels der Sakramente«: STh III q. 61 a. 1 ad 3; Ed. Leonina 12, 15a; vgl. Scg. IV c. 56; Ed. Leonina 15, 189 f.). Gott bedient sich für sein Gnadenwirken der Sakramente. Auf die Frage, wie die Sakramente »Gnade enthalten«, antwortet Thomas: im Sinne einer virtus fluens (»fließenden Kraft«), insofern sie eben Instrumente göttlichen Wirkens sind; ähnlich wie in einem gesprochenen Wort die »Kraft« wirkt, dass der Hörende den Sinn versteht (STh III q. 62 a. 3; Ed. Leonina 12, 23a; STh III q. 62 a. 4 ad 1; Ed. Leonina 12, 25a).
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Das Leiden Christi ist der Wurzelgrund der Heiligung des Menschen in zwei Richtungen: Erstens weil dadurch die »Erlösung« als Befreiung von Sünde gewirkt wurde; zweitens weil die Lebenshingabe Christi an den Vater (offerens seipsum oblationem et hostiam Deo: STh III q. 62 a. 5; Ed. Leonina 12, 26a) der vollkommenste Akt der Gottesliebe und Anbetung (cultus divinus) ist. Mit dem Leiden Christi in Verbindung zu treten – was in der Feier und im Empfang der Sakramente geschieht –, bedeutet also nicht nur Befreiung von Schuld, sondern Befähigung des Gerechtfertigten zum vollkommenen Gottes-Dienst, der das gesamte Leben umfasst (vgl. STh III q. 62 a. 5 ad 3; Ed. Leonina 12, 27b; STh III q. 63 a. 6; Ed. Leonina 12, 39a). Ganz besonders ist diese Befähigung Wirkung derjenigen Sakramente, die das Leben auf Dauer Gott übereignen, indem sie eine Ähnlichkeit mit Christus als dem Hohenpriester einprägen (character: STh III q. 63 a. 1; Ed. Leonina 12, 30a; STh III q. 63 a. 3; Ed. Leonina 12, 34a) und zu Handlungen Christi befähigen: Taufe, Firmung, Weihesakrament. 10.5. Kirchliche Dimension
Dass Gott bzw. Christus als der gottmenschliche Erlöser principalis agens ist, hat Folgen für die Frage der Spendung der Sakramente in der Kirche. Die innere Wirkung des Sakramentes (interior effectus: gratia, character) wird allein von Gott gewirkt. Der menschliche minister (»Spender«, wörtlich: der eine Aufgabe bzw. Dienst, munus, ausübt) ist selber Gott gegenüber »Werkzeug«. Aus diesem Grund wirkt ein Sakrament nicht »mehr« oder besser, wenn der minister ein guter Mensch ist (STh III q. 64 a. 1 ad 2; Ed. Leonina 12, 41b), als wenn er weniger gut ist. Jedoch ist notwendig, dass das menschliche instrumentum dem principalis agens »konform« ist: Durch die (Priester-)Weihe wird die Vollmacht bzw. Befähigung verliehen, Werkzeug zu sein (Scg. IV c. 74; Ed. Leonina 15, 237–239). Nullus potest sacramenta dispensare, quantumcumque sit bonus, nisi potestatem accipiat dispensandi […] Per hoc excluditur quorundam error dicentium quod omnes boni possunt sacramenta dispensare, et nulli mali (»Niemand kann Sakramente spenden, wie gut er als Mensch auch sein mag, wenn er nicht die Vollmacht dazu empfangen hat […] Dadurch wird der Irrtum widerlegt, dass alle guten Menschen Sakramente spenden könnten, und umgekehrt kein schlechter«: Scg. IV c. 77; Ed. Leonina 15, 244a). Thomas legt besonderen Wert auf die Einsetzung aller sieben Sakramente durch Christus selbst. Während etwa Bonaventura die Auffassung vertritt, Christus habe ganz neu und zugleich in vollendeter Gestalt drei Sakramente eingesetzt, nämlich Taufe, Eucharistie und Weihesakrament, zwei (Ehe und Buße) habe er aus dem Alten Bund gewissermaßen bestätigt und sie vollendet, und bei Firmung und Krankensalbung habe er gewissermaßen den Grund gelegt, diese beiden Sakramente seien nach Ostern zu ihrer Vollgestalt geführt worden (Bonaventura, Brev. VI, 4), ist Thomas sehr zurückhaltend, was die Vollmacht der Apostel bzw. der Kirche anbetrifft. Zwar sind gewisse ausdeutende und begleitende Riten in
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die Verantwortung der Kirche gegeben, nicht aber die Einsetzung von Sakramenten: apostoli et eorum successores sunt vicarii Dei inquantum ad regimen Ecclesiae constitutae per fidem et fidei sacramenta. Unde sicut non licet eis constituere aliam Ecclesiam, ita non licet eis tradere aliam fidem, neque instituere alia sacramenta (»Die Apostel und ihre Nachfolger sind Stellvertreter Gottes im Hinblick auf die Leitung der Kirche, die im Glauben und den Sakramenten des Glaubens ihren Bestand hat. Ebensowenig wie sie eine andere Kirche gründen dürfen, dürfen sie einen anderen Glauben weitergeben oder andere Sakramente einsetzen«: STh III q. 64 a. 2 c. ad 3; Ed. Leonina 12, 43b). Obwohl Christus diese Vollmacht, die er als Mensch hatte, den Aposteln hätte weitergeben können, tat er es nicht: zum einen, damit kein Mensch die Hoffnung auf Menschen setze, zum anderen um der Einheit der Kirche willen (STh III q. 64 a. 4 ad 1; Ed. Leonina 12, 45a). Die Wirkung der Sakramente wird nicht vom Menschen hervorgebracht, aber sie wirken auch nicht ohne jede Disposition. Der minister sacramenti ist kein »unbeseeltes Werkzeug«, sondern muss seinen freien Willen, seine Intention, Christus angleichen (STh III q. 64 a. 1. 3. 4. 5; Ed. Leonina 12, 41a; STh III q. 64 a. 8 ad 1; Ed. Leonina 12, 52a). Voraussetzung auf Seiten des Spenders ist, dass er tun kann und will, was die Kirche tut, intentio conferendi et faciendi quod facit Ecclesia, (»die Absicht, zu geben und zu tun, was die Kirche tut«). Thomas geht hier erstaunlich konkret auf verschiedene Fehlformen auf der Seite der Spender ein (verkehrte Absicht, verwerfliche Nebenziele, mangelnder Glaube: STh III q. 64 a. 6 ad 2; Ed. Leonina 12, 47b; STh III q. 64 a. 9 ad 1; Ed. Leonina 12, 53b; STh III q. 64 a. 10; Ed. Leonina 12, 54a). Die Zielrichtung ist deutlich: ein Sakrament darf möglichst wenig von der Perfektion des menschlichen minister abhängen; denn es geht um das Heil und den geistlichen Fortschritt des Empfängers. Voraussetzung für den fruchtbaren Empfang ist, dass der Empfänger zumindest der Gnade keinen Widerstand entgegensetzt – was der Fall wäre, wenn der Wille, getauft zu werden, vorgetäuscht ist, oder jemand im Zustand schwerer Sünde die Eucharistie empfängt. In letzterem Fall würde er zwar in den Gestalten von Brot und Wein (sacramentum tantum) Leib und Blut Christi empfangen (res et sacramentum), nicht aber die damit gegebene Gnade: die Vereinigung mit Christus und den Gliedern seines mystischen Leibes (res sacramenti). So kann es vorkommen, dass jemand zwar das Sakrament, als äußeres Zeichen, empfängt, nicht aber dessen Wirkung, und umgekehrt: dass jemand zwar das Zeichen nicht empfängt, aber dennoch die dadurch bezeichnete Gnade erhält – z. B. im Fall der Begierdetaufe –, denn Gott hat seine Gnade nicht so an die Sakramente gebunden, dass er nicht auch außerhalb ihrer die Gnadenwirkung mitteilen könnte (STh III q. 64 a. 7; Ed. Leonina 12, 50a).
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10.6. Siebenzahl
Die Siebenzahl der Sakramente war seit Mitte des 12. Jahrhunderts allgemein akzeptiert. Die Konvenienz gerade dieser sieben Heilszeichen suchte man mit verschiedenen Zuordnungen auch einsichtig zu machen, etwa mit der Parallelisierung zu den sieben Tugenden. Die Eucharistie wäre demgemäß das Sakrament der Liebe, die Krankensalbung das der Stärke etc. Thomas bevorzugt die Analogie zwischen geistlichem Leben und natürlichem Leben des Menschen (Scg. IV c. 58; Ed. Leonina 15, 193 f.; STh III q. 65 a. 1; Ed. Leonina 12, 56a; art. fid. p. II; Ed. Leonina 42, 252–257): Zwei Sakramente – nämlich Weihesakrament und Ehe – beziehen sich auf die Auferbauung der Kirche als der Gemeinschaft der Gläubigen (die Ehe deswegen, weil zu ihren Zielen nicht nur die gegenseitige Treue – fides – und die Abbildung des Bundes Christi mit der Kirche – sacramentum – gehören, sondern auch Nachkommenschaft: proles: Scg. IV c. 78; Ed. Leonina 15, 246 f.); die fünf anderen zielen auf die Vollendung des einzelnen Gläubigen. Wie es im natürlichen Leben der Zeugung, des Wachstums, der Ernährung, unter Umständen der Heilung von Krankheit bedarf, so auch im geistlichen Leben. Die Taufe ist neue Zeugung bzw. Eintritt in das neue Leben, die Firmung entspricht der Zunahme an Kräften, die Eucharistie der Ernährung, das Bußsakrament und die extrema unctio (»Letzte Salbung«) der Heilung. Denn der Christ ist durch den Habitus der heiligmachenden Gnade der Möglichkeit zur Sünde nicht enthoben; seine Einsicht bleibt fehlbar, sein Wille wandelbar. Obwohl die extrema unctio ohne Zweifel auf den Heimgang vorbereiten soll, betont Thomas, dass sie nur Kranken gespendet werden kann, deren leibliches Leben in Gefahr ist – also nicht Verurteilten oder sonst in Todesgefahr befindlichen Personen. Bei der Spendung dieses Sakraments hält Thomas, entsprechend dem grundlegenden Text Jak 5,14– 16 mehrere Priester für wünschenswert. Die Wirkung des Sakramentes erstreckt sich auf leibliche wie seelische Heilung (Scg. IV c. 73; Ed. Leonina 15, 233–236); denn durch die Erkrankung und Schwächung des Körpers wird auch die geistig-seelische Kraft in Mitleidenschaft gezogen. 10.7. Die Eucharistie und die übrigen Sakramente
Obwohl der Empfang der Taufe »notwendiger« zum Heil ist als der Empfang der Eucharistie, da sie das geistliche Leben grundlegt und zu allen weiteren Akten dieses Lebens befähigt (Scg. IV c. 59; Ed. Leonina 15, 194 ff.), gilt Thomas das Altarssakrament als das »wichtigste« Sakrament (potissimum: STh III q. 65 a. 3; Ed. Leonina 12, 59a), auf das sozusagen alle anderen Sakramente zulaufen. Der Vorrang kommt diesem Sakrament vor allem aufgrund der Realpräsenz Christi zu: Anders als bei den anderen Sakramenten ist der Erlöser nicht nur mit seiner Kraft (virtus) gegenwärtig, sondern substantialiter. Das geistliche Gut der ganzen Kirche ist hier substantialiter enthalten (STh III q. 65 a. 3 ad 1; Ed. Leonina 12, 60b). Mehr als hier empfangen wird, kann man nicht empfangen.
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Das Weihesakrament (mit sieben Stufen: Presbyter, Diakon, Subdiakon, Akolyth, Exorzist, Lektor und Ostiarier; der Empfang der Tonsur als Aufnahme in den Klerikerstand ist für Thomas kein Ordo, sondern nur ein Versprechen, sich dem Dienst Gottes zu weihen) sieht Thomas ganz auf die Eucharistie hingeordnet. Daher ist die Priesterweihe für Thomas (wie auch für die meisten anderen Theologen seiner Zeit) die höchste Weihestufe; denn mit ihr wird die Konsekrationsvollmacht verliehen. Im Hinblick auf die Spendung der Eucharistie wird dem Priester auch die Vollmacht zur Sündenvergebung im Bußsakrament verliehen (Scg. IV c. 74; Ed. Leonina 15, 237–239.). Zwar hat der Bischof über die priesterliche Weihegewalt hinausgehende Vollmachten: etwa die Spendung der Weihen selbst und der Firmung (hinsichtlich der Firmung, die den Christen zum furchtlosen Zeugnis in Wort und Leben befähigt, hält Thomas – gegen die Auffassung der griechischen Kirche – daran fest, dass ihre Spendung allein dem Bischof zukomme; als Beleg dafür gilt ihm Apg 8,14–17), sowie aller Riten mit vollendendem Charakter, wie der Kirchweihe und der Jungfrauenweihe. Denn die Bischöfe stehen an Stelle der Apostel; sie sind nach der Ekklesiologie des Dionysius perfectores. Aber all diese Vollmachten können in den Augen des Thomas qualitativ nicht die Konsekrationsvollmacht hinsichtlich des Altarssakramentes übertreffen. Sicherlich darf man eine Spannung innerhalb der Theologie des Weihesakramentes bei Thomas konstatieren; denn zum einen bleibt die Schwierigkeit zu lösen, wie der Bischof zu den ihm allein eigenen, auch durch Suspension nicht verlierbaren Weihe-Vollmachten kommt, und zum anderen, wie er, im Unterschied zum Seelsorgepriester, in statu perfectionis sein kann, was ja eine dauerhafte Verpflichtung einschließt (vgl. Perf. vitae spir.; STh II-II q. 183. 184; Ed. Leonina 10, 445 ff.). Allerdings scheint Thomas, obwohl er in der Bischofsweihe keine neue sakramentale Weihestufe annimmt, das im Bischof verwirklichte sacerdotium als die eigentliche Vollgestalt des Priestertums aufzufassen, nicht als dessen Steigerung, sondern als dessen Ursprung (vgl. Scg. IV c. 76; Ed. Leonina 15, 241a: […] episcopalis potestas, quae etsi quidem quantum ad consecrationem corporis Christi non excedat sacerdotis potestatem, excedit tamen eam in his quae pertinent ad fideles. Nam et ipsa sacerdotalis potestas ab episcopali derivatur. – »Die bischöfliche Vollmacht geht zwar, was die Konsekration des Leibes Christi betrifft, nicht über diejenige des Priesters hinaus; sie übertrifft die des Priesters jedoch in dem, was die Gläubigen anbelangt. Denn gerade die priesterliche Vollmacht ist von der bischöflichen abgeleitet«). Als dem potissimum sacramentum widmet Thomas der Eucharistie breiten Raum (STh III q. 73–83; Ed. Leonina 12, 138a; in Scg. IV c. 61–69; Ed. Leonina 15, 198–251, mehr als ein Drittel des gesamten Sakramentstraktates, wobei die einzelnen Irrtümer behandelt werden, wie sie vor allem seit den Thesen Berengars bekannt waren, aber offensichtlich auch von Nichtchristen, Muslimen, als Einwände vorgebracht wurden: Rat. fid. 8; Ed. Leonina 40, B68 f.) und geht vor allem auf die mit der Realpräsenz verbundenen Fragen ein, etwa die Klärung des Begriffs der substantialen Wandlung, für die es in der Natur keine Parallele gibt (Scg.
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IV c. 63; Ed. Leonina 15, 200–206), und des Problems der weiter bestehenden Akzidentien (divina virtus potest producere effectus quarumcumque causarum secundarum sine ipsis causis secundis: »Gottes Kraft kann die Wirkungen von beliebigen Zweitursachen hervorbringen, auch ohne diese«: Scg. IV c. 65; Ed. Leonina 15, 209–213). Eine prägnante Zusammenfassung bietet art. fid. II, wo die beiden effectus sacramenti dargelegt werden: die Konsekration von Brot und Wein in Leib und Blut Christi, so dass Christus totus (»ganz«) unter jeder der beiden Gestalten und in jedem Teil der sakramentalen Species gegenwärtig ist (corpus verum); sowie die Vereinigung des Menschen, der das Sakrament in der rechten Disposition empfängt, mit Christus, so dass durch dieses Sakrament auch die Einheit des corpus mysticum, der Kirche, bezeichnet und bewirkt wird. Eine eucharistische Theologie in Gebetsform sind die Hymnen des Fronleichnamsofficiums, besonders aber die Sequenz Lauda Sion Salvatorem. In diesen Texten, wie auch in dem Gebet Adoro te (bzw. Te devote laudo) liegt der Akzent auf der Liebe des Erlösers, der in diesem Sakrament bei seinen Gläubigen bleibt bis zu seiner Wiederkunft. Finkenzeller, Josef: Die Lehre von den Sakramenten im allgemeinen. Von der Schrift bis zur Scholastik (HDG IV/1a), Freiburg i. Br. 1980. Gy, Pierre-Marie: Avancées du traité de l’Eucharistie de S. Thomas dans la Somme par rapport aux Sentences, in: RSPhTh 77 (1993), 219–228. Schenk, Richard: Opfer und Opferkritik aus der Sicht römisch-katholischer Theologie, in: Ders. (Hg.): Zur Theorie des Opfers. Ein interdisziplinäres Gespräch, Stuttgart 1995, 193– 250. Simonin, Henri-Dominique/Meersseman, Gilles Gérard: De sacramentorum efficientia apud theologos Ordinis Praedicatorum (Fasc. I 1229–1276), Rom 1936. Walsh, Liam: Sacraments, in: Van Nieuwenhove, Rik/Wawrykow, Joseph (Hg.): The Theology of Thomas Aquinas, Notre Dame 2005, 326–364. Marianne Schlosser
11. Eschatologie Greift man, um die Lehre des Aquinaten über einen bestimmten Gegenstand kurz und bündig in ihrer endgültigen Ausprägung darzustellen, gerne auf die »Summe der Theologie« zurück, so ist dies bei der Eschatologie nur begrenzt sinnvoll. Wie bekannt hat Thomas die Arbeit an seinem berühmtesten Werk beim Traktat über die Sakramente abgebrochen. Manche Fragen der Eschatologie hat er zwar bereits an anderen Stellen der Summa Theologiae ausführlich behandelt: So über den Tod des Menschen (STh I-II q. 85 a. 6; Ed. Leonina 7, 116a–117b), die Richtergestalt Jesu (STh III q. 59; Ed. Leonina 11, 541a–548b), die Leibbeschaffenheit des Auferstandenen (STh III q. 54; Ed. Leonina 11, 508a–515b), oder die himmlische Schau Gottes von Angesicht zu Angesicht (STh I q. 12; Ed. Leonina 4,
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114a–138b; Scg. III c. 37; Ed. Leonina 14, 92a–94b und Scg. III c. 51; Ed. Leonina 14, 139a–143b) bzw. das Endziel des Menschen (STh I-II q. 3–5; Ed. Leonina 6, 26–54b). Auch über die Grundausrichtung seiner Eschatologie sind wir grob durch den Prolog zur Tertia informiert. Dort spricht Thomas von der Dreiteilung dieser pars: Nach der Betrachtung des Endzieles des Menschen und der Wege, die dorthin führen (Secunda!), wird der Blick ganz auf den Retter aller Menschen gelenkt, der diese Wege zuallererst ermöglicht: Es ist zunächst von Christus zu handeln, dann seinen Sakramenten, durch die uns das von ihm erwirkte Heil zufließt; und schließlich über »die Vollendung im glückseligen Leben, zu dem wir durch die Auferstehung gelangen« (Scg. III prol.; Ed. Leonina 11, 5ab). Diese wenigen Anmerkungen zeigen erstens, dass die Eschatologie für Thomas – um in einem Bild zu sprechen – nicht der letzte, in sich abgeschlossene Waggon am Zug der Theologie ist, sondern in allen anderen Traktaten eine manchmal nur angedeutete, aber doch immer vorhandene Größe darstellt (Künzle, Moderne Eschatologie, 109–120). Zweitens: Die Eschatologie des Thomas rückt also in ihren Mittelpunkt die Auferstehung aller Menschen, die ihre Exemplar- und v. a. auch Wirkursache in der Auferstehung Jesu hat (Berger, Historisch-genetischer Kommentar, 666–669). Diesen Grundaspekt hat der Kompilator des Supplementums (Reginald von Piperno?) übersehen und dessen Eschatologie nach einem chronologischen Prinzip strukturiert, das von da an die Handbücher der Dogmatik bestimmte (Tod, besonders Gericht, Himmel, Hölle, Fegefeuer, allgemeines Gericht und Auferstehung des Fleisches). Auch die Füllung dieser neuen Struktur geschieht mit Texten aus dem Sentenzenkommentar, also einem sehr frühen Werk des Thomas. Zur Rekonstruktion seiner Eschatologie bietet sich daher vielmehr an, den Traktat, den Thomas über die letzten Dinge an das Ende seiner Summa contra gentiles gestellt hat (Scg. IV c. 79–97; Ed. Leonina 15, 248a–300b), zum Ausgangs- und Leitpunkt zu nehmen. Er stellt den abschließenden und »vollständigsten Abriß« zu diesem Thema dar (Torrell, Magister Thomas, 135). Daneben bieten aber auch das Compendium theologiae (kurz nach der Summa contra gentiles entstanden) sowie die Expositio in Symbolum Apostolorum (aus der letzten Lebensphase des Thomas) knappe, aber umso eindrucksvollere Aussagen. In der Summa contra gentiles ist es auch, wo Thomas sofort nach seinen Überlegungen zum Sakrament der Ehe auf die Auferstehung des Leibes durch die Auferstehung Christi zu sprechen kommt. Denn wenn wir durch Christi Leiden und Tod von Sünde und Tod befreit wurden und uns die Kraft der Erlösung in den Sakramenten als physischen Instrumentalursachen der Gnade zufließt, so wird uns die Wirkung seiner Auferstehung erst voll am Ende der Zeiten zuteil, wenn alle Menschen in der Kraft der Auferstehung Christi auferstehen werden (Scg. IV c. 79; Ed. Leonina 15, 248a–252b). Gemäß seinem methodischen Prinzip, nach dem immer zuerst das Allgemeine behandelt und von dort aus das Besondere geklärt wird, kommt Thomas hier erst nach der sog. Allgemeinen Eschatologie auf den Zustand der getrennten Seelen nach dem Tod zu sprechen. Es ist anzunehmen, dass Thomas diese Gliederung, der sich die folgende Darstellung der
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Eschatologie ebenfalls bedient, auch für den letzten Traktat seiner Summa Theologiae gewählt hätte (Elders, Eschatologie, 247–250). 11.1. Die Zweigesichtigkeit des Todes
Wie bereits erwähnt, wird der Tod in beiden Summen bereits in anderen Zusammenhängen vor der Eschatologie behandelt. Da er aber für unser heutiges Verständnis fundamental zur Eschatologie gehört, seien hier die wichtigsten Grundzüge der Lehre des Thomas über diesen Gegenstand skizziert. Leitmotivisch durchzieht die diesbezüglichen Überlegungen des Aquinaten die Paradoxie des Todes: Zum einen ist er, da der Leib des Menschen ein aus Gegensätzen zusammengesetztes Compositum ist, etwas ganz Natürliches. Zum anderen jedoch ist der Tod eine Folge der Sünde (Comp. theol. c. 152; Ed. Leonina 42, 139ab). Sein Wesen besteht in einem zutiefst beklagenswerten, unnatürlichen Zustand (Scg. IV c. 79; Ed. Leonina 15, 248a–252b): der Trennung der unzerstörbaren Seele vom Leib, die die Seele zutiefst verwundet zurücklässt (Comp. theol. c. 230; Ed. Leonina 42, 179b–180a). Denn die Seele, abgetrennt von ihrem Leib, ist kein komplettes menschliches Wesen, keine ganze Person mehr (De pot. q. 9 a. 2 ad 14; Ed. Vives 13, 263a; STh I q. 75 a. 4; Ed. Leonina 5, 200a–201b). Deshalb hat Gott diesen Defekt der Natur im paradiesischen Zustand der Urgerechtigkeit auch ausgesetzt (STh I-II q. 85 a. 6; Ed. Leonina 7, 116ab–117b). Dass hier im Hintergrund die stark von Aristoteles inspirierte, zur Zeit des Aquinaten heiß umkämpfte Lehre des Thomas von der Seele als der einzigen Wesensform des Körpers (STh I q. 75 a. 4–7; Ed. Leonina 5, 200a–207b; STh I q. 76 a. 1; Ed. Leonina 5, 208a–215b) steht, ist offensichtlich. Dass die thomasische Erklärung des Todes in der gegenwärtigen Diskussion über die Todesdefinition einen hilfreichen Gesprächsbeitrag darstellt, sei lediglich am Rande erwähnt (Eberl, Thomistic Understanding, 29–48). Vor dem Hintergrund der neueren Theologie scheinen noch zwei Aspekte erwähnenswert: 1.) Auch wenn Thomas den Zusammenhang zwischen Leib und Seele stark betont, so kann er dennoch weder für die neueren Ganztodtheorien, die ja bewusst in anti-scholastischen Zusammenhängen formuliert wurden, noch für die Vorstellung einer »Auferstehung im Tod« in Anspruch genommen werden. Dagegen steht unüberwindlich seine feste Überzeugung von der Unsterblichkeit der Geistseele (Pesch, Thomas von Aquin, 198). 2.) Im Augenblick des Todes, d. h. der Trennung der Seele vom Leib, hört auch die Möglichkeit einer Bekehrung zu bzw. Abkehr von Gott, des Verdienstes oder der Sünde auf. Ist die Seele doch an ihrem Ziel angekommen und kennt daher keine Bewegung bzw. Veränderung mehr (Scg. IV c. 95; Ed. Leonina 15, 291a–296b). Sie geht in die Ewigkeit ein, die frei ist von jedem Hauch eines Wandels (Comp. theol. c. 150; Ed. Leonina 42, 138b). Der Wille der getrennten Seele verharrt sozusagen unveränderlich in jener Disposition bezüglich der Wahl des Endzieles, die ihn kurz vor dem Tod auszeichnete (Scg.
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IV c. 92; Ed. Leonina 15, 288a–290b und Scg. IV c. 95; Ed. Leonina 15, 291a–296b). Innerhalb der Thomasrezeption ist allerdings umstritten, ob Thomas in STh I q. 64 a. 2; Ed. Leonina 5, 141a–145b annimmt, dass der Mensch im Augenblick des Todes bzw. in einem einzigen Augenblick danach noch die Möglichkeit einer Änderung dieser Disposition habe (so zuerst Kardinal de Vio Cajetan, dann Getino, Glorieux, Pesch und auch Vertreter der »Endentscheidungshypothese«), oder ob er an der besagten Stelle gerade dies abgelehnt habe (so Silvester von Ferrara, die Salmantizenser, Brinktrine und Garrigou-Lagrange). 11.2. Die Auferstehung
Die Auferstehung aller Menschen ist für Thomas, ausgehend von 1 Kor 15,12 zuerst eine Konsequenz aus der Auferstehung Christi (Comp. theol. c. 239; Ed. Leonina 42, 185a–186a). Wie alle Gnadengeschenke Gottes auf die Menschheit durch die Menschheit Christi, als der Instrumentalursache unseres Heiles, überfließen, so ist die Auferstehung Christi die Wirk- und Exemplarursache unserer Auferstehung (Comp. theol. c. 239; Ed. Leonina 42, 185a–186a). Die Auferstehung ist aber zugleich eine wunderbare Erfüllung unserer tiefsten natürlichen Bedürfnisse: Wie bereits gesehen, ist nichts der Natur des Menschen so zuwider wie eine Seele ohne ihren Leib: »Nihil autem quod es contra naturam potest esse perpetuum« (Scg. IV c. 79; Ed. Leonina 15, 248a–251b). Ohne ihren Leib befindet sich die Seele in einem Zustand quälender Unruhe, den das vollkommene Glück der Auferstehung beenden wird (ebd.). Hier bekommt das fragile Glück des paradiesischen Zustandes einen dauerhaften Status. Eine beliebte traditionelle Streitfrage in der Thomasrezeption ist, inwiefern dieses Glück der Seele durch die Wiedervereinigung mit ihrem Leib wesenhaft (intensive) oder nur akzidentell (extensive) wächst. Die Vertreter eines wesenhaften Wachstums berufen sich zumeist auf den Sentenzenkommentar (In Sent. IV, d. 49 q. 4 a. 5 sol. 2 ad 1; Ed. Vives 11, 532b), haben aber alle späteren Aussagen des Thomas (besonders STh I-II q. 4 a. 5; Ed. Leonina 6, 42a–44b) gegen ihre Ansicht. Dabei ist es für Thomas selbstverständlich, dass der auferstehende Mensch denselben Leib wiederaufnimmt (numerische Identität), den er bereits bei seinem Erdenwandel besaß (Comp. theol. c. 153; Ed. Leonina 42, 139a–140a). Auch die Tatsache, dass dieser Leib eventuell ganz verwest und in anderen Substanzen aufgegangen ist (die beliebte scholastische Frage nach dem Kannibalismus und seinen Folgen für die Auferstehung des Fleisches), kann für Thomas daran nicht rühren: Auch im irdischen Zustand ändert sich durch den Stoffwechsel die Materie des menschlichen Leibes ja dauernd und doch bleibt der Mensch numerisch derselbe (Scg. IV c. 81; Ed. Leonina 15, 252a–259b; Comp. theol. c. 161; Ed. Leonina 42, 143b–144a). Ist die Seele jedoch die einzige substantielle Form des Leibes und behält ihr Sein kontinuierlich, kann sie die einstige Materie wieder in die Einheit der Person aufnehmen. Gestützt auf die Heilige Schrift geht Thomas davon aus, dass die Leiber der zur Schau Gottes Auferstandenen ganz der Seele
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bzw. dem Geist untertan sein werden. Aktivitäten, die die Vergänglichkeit des Lebens auszeichneten (Nahrungsaufnahme, Geschlechtsverkehr), gibt es nicht mehr (Scg. IV c. 82; Ed. Leonina 15, 260a–262b; Comp. theol. c. 156; Ed. Leonina 42, 142a); auch wenn die dafür nötigen Organe im Hinblick auf die Integrität des Auferstehungsleibes vorhanden sein werden (Comp. theol. c. 157; Ed. Leonina 42, 142b). Was uns heute etwas seltsam anmutet, ist doch Ausdruck einer entschiedenen Stellungnahme des Thomas gegen die vielfältigen Formen des Gnostizismus und deren Materie- bzw. Leibfeindlichkeit. In diesem Zusammenhang wendet er sich energisch gegen die hier anzusiedelnde Vorstellung, die die Leiber der Auferstandenen ganz in einen Geist verwandelt sehen möchte (Comp. theol. c. 153; Ed. Leonina 42, 139b–140a). Dagegen spricht für Thomas nicht nur die Offenbarung, sondern auch die Vernunft, da sich Materie nicht in Geist wandeln kann. Und wieder wird dieser Position des Thomas mit Vorstellungen Nachdruck verliehen, die leiblich sehr konkret werden: Die Männer und Frauen werden ihr Geschlecht beibehalten, sie werden im Alter, in dem auch Christus auferstand, auferstehen (Scg. IV c. 86; Ed. Leonina 16, 272a–276b; In Apost. a. 11 (c.12); Ed. Vives 27, 222b–224a). 11.3. Die Seele nach dem Tod
Da die Seele im irdischen Leben der Ausgangspunkt des moralisch Guten und Bösen war, ist es für Thomas zuhöchst angemessen, dass sie die Vergeltung ihrer Taten sogleich nach dem Ablauf der Zeit des Verdienens empfängt (In Sent. IV d. 45 q. 1 a. 1: Ed. Vives 11, 356–360a; art. fid. c. 1; Ed. Leonina 42, 245–252b). Dazu nimmt Thomas – allerdings nur an wenigen Stellen seines Gesamtwerkes – an, dass die Seele sozusagen vor ein »besonderes Gericht« gestellt wird: Dies ist nach Thomas gemäß Röm 2,15 so zu verstehen, dass das Gewissen des Menschen gleichsam als Ankläger in Erscheinung tritt (STh II-II q. 67 a. 3 ad 1; Ed. Leonina 9, 101b). Hinzu kommt eine besondere göttliche Erleuchtung, die die Seele in jenem Augenblick erkennen lässt, ob sie des Lohnes würdig ist, der Läuterung bedarf oder nur Strafe verdient (De ver. q. 19 a. 1; Ed. Leonina 22/2, 561a–567b). Gemäß dem scholastischen Fragekanon hat Thomas in diesem Zusammenhang auch die Frage nach dem Aufenthaltsort der getrennten Seelen behandelt. Dabei fällt auf, dass er den stark mythisch-folkloristischen Vorstellungen der Theologie seiner Zeit eher reserviert gegenüber steht: Stets betont er die fundamentale Unabhängigkeit der geistigen Substanzen von der Materie, spricht dann aber mit Rücksicht auf den biblischen und kirchlichen Sprachgebrauch (»Gott ist im Himmel«) von gewissen Orten, in denen sich die Seelen »gleichsam wie an einem Platz« (quasi in loco) befinden. Elders (Eschatologie, 254) betont gegenüber Mondin (Dizionario enciclopedico, 250) u. a., dass Thomas hier gerade nicht den mythischen Vorstellungen seiner Zeit erliegt, sondern die in der Bibel und der Tradition vorgefundenen Ortsbezeichnungen für ihn Zustände (status) sind, die
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ihre Referenzpunkte im antiken Weltbild finden. »Ort« bezeichnet hier für Thomas »eine Beziehung zum Weltall oder einem seiner Teile, nicht aber einen die Seele umgreifenden materiellen Wohnsitz« (ebd.). Wichtiger ist Thomas, dass zwischen den Seelen am Reinigungsort sowie in der himmlischen Herrlichkeit und uns eine universale Solidarität der die Mitglieder der Kirche vereinenden Liebe besteht (cf. In Apost., a. 10 [c.11]; Ed. Vives 27, 220b–222b): Wir können und sollen für die Seelen am Reinigungsort beten und diesen unsere verdienstvollen Werke fürbittweise zuwenden, während wir die Seelen in der himmlischen Herrlichkeit um ihre Fürbitte bei Gott anrufen dürfen (STh II-II q. 83; Ed. Leonina 9, 192a–211b). 11.4. Himmel – Hölle – Purgatorium
Die in der Gnade Verstorbenen erreichen ihr Endziel in der himmlischen, beseligenden Schau Gottes (visio beata). Ohne das Dazwischentreten einer geschaffenen Idee dürfen sie Gott intuitiv, in einem einzigen ungeteilten Akt schauen. Zu dieser Schau von Angesicht zu Angesicht vereinigt sich die göttliche Wesenheit selbst mit dem Intellekt des Menschen: »Videbitur autem Deus per essentiam ab intellectu creato, non per aliquam sui similitudinem, qua in intellectu praesente, res intellecta possit distare, sicut lapis per similitudinem suam praesens est oculo, per substantiam vero absens, sed, sicut supra ostensum est, ipsa Dei essentia intellectui creato coniungitur quodammodo, ut Deus per essentiam videri possit« (Gott wird vom erschaffenen Verstand durch das Wesen geschaut werden, nicht durch irgendeine Ähnlichkeit von ihm, bei deren Gegenwart im Verstand das verstandene Ding fern sein könnte – wie der Stein durch seine Ähnlichkeit im Auge gegenwärtig, aber der Substanz nach abwesend ist–, sondern das Wesen Gottes selbst verbindet sich irgendwie mit dem erschaffenen Verstand, so dass Gott durch das Wesen geschaut werden kann: Comp. theol. c. 164; Ed. Leonina 42, 144b). Die Beschauung zieht sie gleichsam ganz in das trinitarische Leben hinein. In ihnen wird der Vater sein ewiges Wort zeugen, in ihnen werden Vater und Sohn die Liebe hauchen, die der Heilige Geist ist. Wenn er auch hier in fast atemberaubender Weise in den Hintergrund tritt, der Unterschied zwischen Gott und Geschöpf bleibt auch in der himmlischen Schau erhalten. Selbst wenn der Mensch in seiner irdischen Beschauung schon sehr weit fortgeschritten ist, wird er für die Verbindung seines Verstandes mit dem Wesen Gottes noch eines von Gott ihm speziell für diese Schau eingegossenen Erkenntnislichtes bedürfen, des Glorienlichtes (lumen gloriae). Dieses disponiert den erschaffenen Verstand zur intellektuellen Schau der göttlichen Substanz (Scg. III c. 53; Ed. Leonina 14, 146a–148b; Quodl. VII, 1 ad 2; Ed. Leonina 25/1, 9a). Aber auch dieses hebt die endliche Fassungskraft des Menschen nicht auf. Diese ist es wieder, die dafür sorgt, dass er in Gott zwar auch »die unendliche Seinsweise und unendliche Erkennbarkeit schauen darf; aber er besitzt diese unendliche Seinsweise nicht selbst und vermag also nicht in unendlicher Weise zu erkennen« (STh I q. 12 a. 7 ad 3; Ed. Leonina 4,
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114a–138b). Während Gott die Glückseligkeit kraft seines Wesens besitzt, gewinnt sie der Mensch kraft der Teilhabe am göttlichen Licht (Comp. theol. c. 106; Ed. Leonina 42, 121b). Nach dem Verdienst der Seligen richtet sich der jeweilige Grad dieses Lichtes und damit jener der Glückseligkeit (Super Matth. 20, 10; Ed. Vives 16, 334a; STh I q. 12 a. 6 ad 3; Ed. Leonina 4, 126b). Das Glück der Gottesnähe wird nach der Auferstehung des Leibes auf diesen überfließen (Scg. IV c. 86; Ed. Leonina 15, 272a–276b). In den besonderen Vorzügen, den »Brautgaben« (dotes) des Auferstehungsleibes der Seligen: Feinheit, Klarheit, Leidensunfähigkeit und Behändigkeit (subtilitas, claritas, impassibilitas und agilitas), kommt dies zum Ausdruck (Comp. theol. c. 168; Ed. Leonina 42, 146a). Bildlich zu verstehen sind die drei Klassen von Seligen, die eine besondere Auszeichnung (aureola) als Quelle sekundärer Seligkeit erhalten: die Jungfrauen, die Märtyrer und – wen wird es wundern, der Thomas als passionierten Lehrer kennt – die Lehrer der Theologie (STh III Suppl., q. 96; Ed. Leonina 12, 231a–240a) Den Ausschluss von der beseligenden Schau Gottes von Angesicht zu Angesicht nennt Thomas mit der Tradition »Hölle« (infernum). Sie ist eine Folge der im Tod unabänderlich gewordenen Abwendung des Menschen von seinem letzten Ziel in der Todsünde. Die Endgültigkeit der Todsünde fordert eine ewige Strafe (Scg. III c. 144; Ed. Leonina 14, 429a–432b). Das abgrundtiefe Leiden besteht zunächst im keine Hoffnung mehr zulassenden Fehlen des göttlichen Lichtes bzw. Ausschluss von der himmlischen Herrlichkeit, der sog. poena damni (Comp. theol. c. 174; Ed. Leonina 42, 149a–150a; In Apost., a. 12; Ed. Vives 27, 224–226), und einem eigentümlichen Leiden an der Schuld, dem remorsus con scientiae (Comp. theol. c. 175; Ed. Leonina 42, 150a). Hinzu kommt die Strafe der Feuerqualen (poena sensus): Thomas schließt zwar nicht ganz aus, dass es sich bei dem in der Heiligen Schrift erwähnten Feuer der Hölle um eine Metapher handeln könnte (Sent. IV d. 44, q. 3 a. 3 qla. 3 co; Ed. Vives 30, 350b), tendiert dann aber doch dazu, dieses körperlich zu verstehen (Comp. theol. c. 179; Ed. Leonina 42, 151ab). Dazu muss vor der allgemeinen Auferstehung die getrennte Seele ihre Vermögen bewahren (STh III Suppl., q. 70; Ed. Leonina 12, 147a–151a) und das Feuer die besondere Qualität besitzen, auch geistige Substanzen zu quälen (Comp. theol. c. 180; Ed. Leonina 42, 151b–152a); danach wird der Auferstehungsleib der Verworfenen im Unterschied zu dem der Seligen der Seele nicht untergeordnet, er wird leidensfähig und ganz dem Materiellen unterworfen sein. Auch hier nimmt Thomas, analog zur himmlischen Herrlichkeit, verschiedene Grade des Strafmaßes an (STh III Suppl., q. 97 a. 5 ad 3; Ed. Leonina 12, 242a) – dass er dadurch zum wichtigsten Inspirator von Dante Alighieris Divina Commedia wurde, sei am Rande erwähnt. Im Prozess der expliziten Ausbildung der definitiven Lehre der katholischen Kirche vom Purgatorium (»Fegefeuer«) kommt Thomas eine zentrale Rolle zu. Das Purgatorium ist nach Thomas der Zustand, in den jene Seelen nach dem Tod geraten, die zwar nicht in der Todsünde gestorben sind und denen daher die visio beata sicher ist, die aber noch von lässlichen Sünden und noch ausstehenden
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Werken der Sühne entstellt sind (Comp. theol. c. 181–182; Ed. Leonina 42, 152ab; De rat. c. 9; Ed. Leonina 40, B 69a–B 72b). Auch dieser Zustand ist gezeichnet durch eine eigentümliche Paradoxie: Wenn auch die Sicherheit, irgendwann die visio zu erlangen, Anlass größter Freude ist, leiden diese Seelen Schmerzen, die alle Schmerzen, die wir aus diesem Leben kennen, weit in den Schatten stellen. Sie rühren primär aus der direkten Betroffenheit der Seele durch das unbändige, aber ungestillte Verlangen nach der Schau Gottes (Sent. IV d. 21, q. 1 a. 1 sol. 3; Ed. Vives 10, 587b/588a; Scg. IV c. 91; Ed. Leonina 15, 284a–287b). Neben dem Purgatorium kennt Thomas noch zwei weitere Zustände der Verstorbenen: Zum einen jenen Zustand, in dem sich die Heiligen des Alten Bundes vor der Ankunft Christi, die erst die Zulassung zur Gottesschau ermöglichte, befanden (sinus Abrahae/»Schoß Abrahams«) (STh III q. 52 a. 6; Ed. Leonina 11, 499a–501b; STh III q. 48 a. 5 ad 1; Ed. Leonina 11, 468b; STh III q. 52 a. 4 ad 2; Ed. Leonina 11, 497b). Sowie den Limbus als jenen Zustand, in dem sich die unmündigen Kinder befinden, die ohne Taufe, d. h. in der Erbsünde, aber ohne persönliche Sünde verstorben sind. Um die Freuden der übernatürlichen Schau Gottes wissen sie nicht, so leben sie, ohne zu leiden, im Zustand eines natürlichen Glücks (De malo, q. 5 a. 3; Ed. Leonina 23, 135a–136b). 11.5. Das allgemeine Gericht
Neben dem individuellen Gericht, das sich auf die Seele bezieht, spricht Thomas in den beiden letzten Kapiteln der Summa contra gentiles vom endgültigen, allgemeinen Gericht bei der Wiederaufnahme des Leibes und der danach folgenden Erneuerung der Welt. Da auch nach dem Tod des Menschen dessen Taten weitere Konsequenzen haben, kann ein abschließendes Urteil erst am Ende der Zeit gegeben werden, in einem Gericht, »bei dem alles, was sich wie auch immer auf einen jeden Menschen bezieht, abschließend und für alle offenkundig beurteilt wird« (STh III q. 59 a. 5; Ed. Leonina 11, 545a-547b). In diesem Gericht wird gemäß Joh 5,27 Christus zusammen mit den Aposteln und anderen Heiligen als Richter auftreten (In Apost., a. 9 [c.10]; Ed. Vives 27, 219b) Für seine Zeit sehr zurückhaltend zeigt sich Thomas im Hinblick auf die Spekulationen im Zusammenhang mit den Zeichen, die dem Jüngsten Tag bzw. dem allgemeinen Gericht vorausgehen werden (Elders, Eschatologie, 259–260). Nach dem Gericht aber wird – Thomas lehnt sich hier eng an die Aussagen der Heiligen Schrift (Offb 10,6; 21,1; 1 Kor 7,21) – der »Weltbrand« stattfinden, d. h. eine Reinigung der ganzen Welt und deren Überführung in einen neuen, dem neuen Menschen angemessenen Zustand. In ihrer Substanz wird die gesamte Schöpfung weiter da sein – ihre vergängliche Gestalt freilich wird nach Röm 8,21 durch Unvergänglichkeit bzw. Zeitlosigkeit überformt werden.
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Berger, David: »…de fine immortalis vitae, ad quem per ipsum resurgendo pervenimus« – Zur Eschatologie des Thomas von Aquin, in: Ang. 83 (2006), 727–746. Dewan, Lawrence: La mort dans la perspective de la sagesse divine – selon saint Thomas, in: De Koninck, Thomas/Morin, Lucien (Hg.): Urgence de la Philosophie. Actes du Colloque du cinquantenaire de la Faculté de philosophie, Québec 1986, 571–579. Elders, Leo: Die Eschatologie des hl. Thomas von Aquin, in: ders., Gespräche mit Thomas von Aquin, hg. von David Berger und Jörgen Vijgen, Siegburg 2005, 247–262. Künzle, Pius: Thomas von Aquin und die moderne Eschatologie, in: FZPhTh 8 (1961), 109– 120. David Berger
III. Strukturen 1. Philosophie und Theologie Als man im 19. Jahrhundert in der katholischen Theologie Thomas neu entdeckte ( D.IV.), wurde sein Werk im Zeichen der Neuscholastik sehr strikt in Philosophie und Theologie unterteilt. Das ging an dem engen Zusammenhang beider Wissensgebiete in seinem Œuvre vorbei. So wie die mittelalterliche Universität die Theologie in einem unauflöslichen Zusammenhang mit der Philosophie sieht, tut dies durchweg auch der »Doctor Angelicus«. Zu den Grundthemen seiner Zeit gehörte ja auch die Auseinandersetzung mit Wissenskonzeptionen, die die Philo B.II.4.), dass der sophie gegenüber der Theologie soweit verselbständigten ( Eindruck entstehen konnte, man vertrete die Theorie einer doppelten Wahrheit. Thomas ging es darum, die Einheit der Wahrheit zu sichern – und dabei der Theologie ein klares Prä gegenüber philosophischen Zugängen zu geben, letztere also letztlich in einen theologisch bestimmten Erkenntnisbogen einzuspannen. Allerdings wäre sein Verständnis von den anderen Wissenschaften – und damit vornehmlich der Philosophie – als ancillae (»Mägden«) der Theologie (STh I q. 1 a. 5; Ed. Leonina 4, 16) verkürzt verstanden, wollte man darin den schieren Dominanzanspruch der Theologie und mit diesem verbunden eine Degradierung der Philosophie verstehen. Im konkreten Zusammenhang diente das Wort letztlich dazu, zu begründen, warum die Theologie der anderen Wissenschaften bedurfte, man könnte auch sagen: warum das mittelalterliche Wissenschaftssystem, das die artes-Fakultät mit den anderen höheren Fakultäten auch der Theologie vorordnete, wissenschaftstheoretisch angemessen war. Seinem Selbstverständnis nach hat Thomas sich um eine möglichst redliche und präzise Wahrnehmung der Philosophie bemüht und nicht zuletzt deswegen ja auch auf die besten erreichba B.III.5.), welche ihm die Mögren Aristoteles-Übersetzungen zurückgegriffen ( lichkeit geben sollten, den antiken Philosophen unverstellt zu interpretieren. Das Problem, das sich Thomas hierbei allerdings stellte, war der Umstand, dass die vorausgesetzte Entsprechung von Vernunft und Offenbarung auch unter der
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gegebenen Bedingung gelten musste, dass die anerkannte – aristotelische – Philosophie nun einmal eine vorchristliche war. Die Schwierigkeit ihrer christlichen Adaption begleitete die Aufnahme in der westlichen Theologie von Anfang an: Schon 1210 verbot eine Provinzialsynode in Paris Vorlesungen über die libri de naturali philosophia. 1215 wurde das Verbot, unter Einschluss eines Hinweises auf die Metaphysik, in die Pariser Universitätsstatuten übernommen. Am 7. Juli 1228 warnte Papst Gregor IX. (1227–1241) die Lehrer der Pariser Theologischen Fakultät davor, die Naturphilosophie in der Theologie aufzugreifen. Diese ablehnende Haltung gegen Aristoteles konnte zwar durch das Wirken von Albertus B.III.1.) aufgebrochen werden, aber die konsequenten Aristoteliker Magnus ( ( B.II.4.) provozierten neue Abwehrreflexe, welche auch das Wirken des Thomas in Frage stellten. In jedem Fall machten die Debatten bewusst, dass Aristoteles nicht mit jener Selbstverständlichkeit christlich adaptierbar war, wie Thomas dies gelegentlich suggerierte. Unstrittig ist dabei die Integration der logischen Denkregeln – als Autorität für solche war Aristoteles ja schon lange vor dem 13. Jahrhundert bekannt und eta bliert, zunächst durch die dann sogenannte Logica vetus, welche neben der Isagoge des Porphyrius und den logischen Schriften des Boethius auch Aristoteles’ Kategorienschrift sowie De interpretatione enthielt. Im 12. Jahrhundert waren als Logica Nova die Analytiken, die Topik und die sophistischen Widerlegungen aus dem Werk des Stagiriten hinzugekommen. All dies konnte Thomas also in gewisser Weise voraussetzen. Neu zu integrieren waren nun die physikalischen und ethischen Bücher, vor allem aber die Metaphysik des Aristoteles, da deren Inhalt und Anspruch einen Konflikt mit dem theologischen Weltbild nahezu zwingend evozierte. Wenn daher im Folgenden von Philosophie die Rede ist, so geht es, sofern nicht ausdrücklich anderes benannt wird, um einen qualifizierten Philosophiebegriff, welcher nicht alle Teile der artes-Fakultät in den Blick nimmt, sondern allein jene, die potentiell in Konkurrenz zur Theologie treten können, also die Metaphysik. Dies war nach In Met. VI. l. 1 (Ed. Vives 24, 590–595) diejenige Wissenschaft, die sich mit dem Unbeweglichen befasst. Da Aristoteles an anderer Stelle eben das Unbewegliche auch als göttlich bezeichnete (1072 b 24 ff.), ergab sich unmittelbar ein Überschneidungsbereich mit der christlichen Theologie, der zur Frage nach der klaren Zuordnung beider Erkenntnisweisen führte. Typisiert kann man im Œuvre des Thomas drei Wege nachvollziehen, Philosophie und Theologie miteinander zu versöhnen: der erste besteht in einer Bereichszuordnung. Eine solche findet sich in den Grundlagenüberlegungen zur Zuordnung beider Disziplinen und funktioniert in der Weise, dass die philosophische Reflexion selbst auf die Notwendigkeit der Theologie zuführt. Der zweite Weg besteht in einer theologischen Umdeutung der Philosophie wie in der theologischen Wissenschaftstheorie, und der dritte schließlich verschränkt die Denkfiguren aus beiden Bereichen in einer vollendeten Weise, wie sie sich vor allem in der Verbindung von Entelechie und Eschatologie nachvollziehen lässt.
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C. Werk
1.1. Bereichszuordnung von Philosophie und Theologie
Die Grundstruktur, einen Ausgleich zwischen recht verstandener Philosophie und philosophisch reflektierter Theologie zu finden, prägte alle Werke des Thomas, insbesondere die beiden großen Summen. So behandelte er in der Summa contra gentiles die Gotteslehre in einer Weise, die die potentielle Konkurrenz zwischen philosophischer und theologischer Deutung kenntlich machte. Vernunft und Philosophie haben hiernach ihren Ort, um bestimmte Erkenntnisse zu erlangen, insbesondere die bloße Einsicht in die Existenz Gottes – so wie ja auch die Summa Theologiae in den fünf Wegen des Gottesbeweises eine rationale Hinführung zur Erkenntnis Gottes demonstrierte, die sich insbesondere im Beweis vermittels der Bewegung sehr deutlich auf die Metaphysik des Aristoteles bezog. Ebenso klar aber konnte die vernünftige Gotteslehre die Trinitätslehre nicht erfassen (Scg. I c. 3; Ed. Leonina 13, 7). Diese Grenze des vernünftigen Denkens stand Thomas von früh an fest: Er hatte sie schon sehr deutlich in der ersten Frage seines Kommentars zu De trinitate von Boethius benannt und behielt diese Überzeugung bis in die Summa Theologiae bei. Die Philosophie war damit anerkannt – aber nur begrenzt. Mit dieser Zuweisung zu bestimmten Bereichen verband sich für Thomas, dass ein Widerspruch zwischen vernünftiger und offenbarungsgeleiteter Erkenntnis nicht vorgesehen war: Quamvis autem praedicta veritas fidei Christianae humanae rationis capacitatem excedat, haec tamen quae ratio naturaliter indita habet, huic veritati contraria esse non possunt (Scg. I, 7; Ed. Leonina 13, 19: »Wenn auch die eben erwähnte Wahrheit des christlichen Glaubens die Aufnahmefähigkeit der menschlichen Vernunft übersteigt, kann doch das, was die Vernunft als Eingegebenes hat, nicht im Widerspruch zu dieser Wahrheit stehen«).
Hinter einer solchen Aussage stand auch eine Vorstellung vom Glauben, die diesen zugleich – so die Ausführungen im Kommentar zu Boethius’ De trinitate, quaestio 3 – als epistemologisch nötig für die volle Gotteserkenntnis und als Modus zur Erreichung voller Humanität bestimmte. In einem organischen Denkmodell waren so vernünftige Gotteserkenntnis als Präparation und Glaubenserkenntnis als Erfüllung einander zugeordnet. Diese Überzeugung setzte Thomas auch methodisch um: Ex quo evidenter colligitur, quaecumque argumenta contra fidei documenta ponantur, haec ex principiis primis naturae inditis per se notis non recte procedere. Unde nec demonstrationis vim habent, sed vel sunt rationes probabiles vel sophisticae. Et sic ad ea solvenda locus relinquitur. (Scg. I, 7; Ed. Leonina 13, 19: »Daraus folgt mit Evidenz, dass welche Argumente auch immer gegen die Zeugnisse des Glaubens vorgebracht werden, diese nicht korrekt aus ersten, der Natur eingegebenen evidenten Prinzipien hervorgehen. Daher haben sie auch nicht die Kraft eines Beweises, sondern sind Wahrscheinlichkeitsschlüsse oder Trugschlüsse. Und so bleibt Raum, sie aufzulösen.«)
Kritisch mag man hierin eine immunisierende Strategie entdecken – Thomas kommt man aber näher, wenn man solche Aussagen als einen intellektuell unge-
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heuer anregenden Appell versteht, bei Widersprüchen zwischen Vernunft und Glaube stets darauf zu vertrauen, dass diese nur scheinbar sein können – und danach zu suchen, wie sich dieser Schein auflösen lässt. Angesichts der Überschneidung der Gegenstände von Metaphysik und Theologie konnte der Ausgleich beider nicht – oder, im Blick auf die Trinitätslehre, nur aspektiv – im Erkenntnisobjekt liegen. Vielmehr verortete Thomas ihn im Erkenntnissubjekt, das heißt in der Weise, wie der Mensch zur Erkenntnis gelangte. Entfaltet hat er dies im Prooemium seines Kommentars zur aristotelischen Metaphysik. Um metaphysica genauer zu bestimmen, suchte er hier nach dem höchsten Erkennbaren beziehungsweise nach dem, was dieses von anderen Erkenntnisgegenständen unterscheidet. Er benannte drei Differenzen und kam entsprechend zu drei unterschiedlichen Wissenschaften, die jeweils spezifische Ausformungen der Metaphysik sind. Der erste Unterschied liegt im Grad der Gewissheit der Erkenntnis. Die höchste Gewissheit erlangt das erkennende Subjekt – ganz im Sinne der aristotelischen Wissenschaftslehre –, wenn es sein Wissen aus Ursachen erlangt. Demnach sei die gewisseste und folglich höchste Wissenschaft diejenige, die die ersten Ursachen behandelt: in Thomas’ Terminologie die prima philoso phia. Den zweiten Unterschied setzte Thomas in der Allgemeinheit der Erkenntnis, wobei er voraussetzte, dass die rationale Erkenntnis einen höheren Grad an Allgemeinheit erreiche als die sinnliche. Unter diesem Gesichtspunkt ist das höchste Erkennbare das Allerallgemeinste, also das ohne jede weitere Bestimmung eingeführte Seiende, das Seiende, insofern es seiend ist: ens inquantum ens. Die Wissenschaft hiervon bezeichnete Thomas im engeren Sinne als metaphysica, was hier also die Bedeutung von »Ontologie« annahm. Auch für den dritten Unterschied legte Thomas die Unterscheidung von rationaler und sinnlicher Erkenntnis zugrunde: Was nichtsinnlich, also (nur) der rationalen Erkenntnis zugänglich ist, ist offenbar das Nichtmaterielle, Geistige. Demnach ist – voraus gesetzt wiederum, dass die rationale Erkenntnis und ihr Gegenstand höher sind als die sinnliche mit ihren Gegenständen – ein Erkenntnisgegenstand umso höher, je geistiger er ist. Da dies aber in besonderer Weise von den Engeln und vor allem von Gott gilt, handelt die höchste Wissenschaft von diesen und ist insofern theologia sive scientia divina (Ed. Vives 24, 333–25, 230). Theologie in diesem Sinne bleibt aber etwas anderes als die in Offenbarung gegründete christliche Theologie. In Scg. I, 3 hat Thomas ausgeführt, dass selbst in der Gotteserkenntnis, die er im Metaphysikkommentar systematisch auch der Philosophie zuschrieb, ein philosophisches Defizit vorlag, insofern der menschliche Verstand nicht in der Lage sei, zur Substanz Gottes vorzudringen (Ed. Leonina 13, 8). Entsprechend konnte und musste Thomas die christliche Theologie der Metaphysik differenzierter und präziser zuordnen. Dies hat er in seinem Kommentar zu Boethius’ De trinitate und vor allem in der Summa Theologiae getan. Er wählte hier für das Problem der Theologie einen Zugriff, der den Konflikt mit der Metaphysik provozieren musste, indem er als Gegenstand der Theologie Gott selbst bestimmte (STh I q. 1 a. 7; Ed. Leonina 4, 19). Die gleichwohl sachlich
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gebotene Abgrenzung der Theologie von der Metaphysik nahm er nun in inhaltlicher Hinsicht durch die Bestimmung vor, dass es in der Theologie wenigstens unter anderem um solche Fragen gehe, die durch die bloße Vernunft schlechterdings nicht erreicht werden konnten. Hierfür nannte er insbesondere das Heil des Menschen. Denn, so führte er unter Verweis auf Jes 64,4 Vg. (»a saeculo non audierunt neque auribus perceperunt oculus non vidit Deus absque te quae praeparasti expectantibus te«, entspricht Jes 64,3: »Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der so wohltut denen, die auf ihn harren«) aus, die letzte Bestimmung über das Heil liegt in Gott und ist somit der menschlichen Erkenntnis, sofern diese nur ihrer Eigentätigkeit folgt, entzogen. Dabei zeigt schon der Gebrauch des Jes-Zitates, wie souverän Thomas biblische und philosophische Aspekte aufeinander bezog, verwies es doch durch die Erwähnung des Auges unmittelbar auf die sinnliche Wahrnehmung, welche einerseits gemäß den angeführten Ausführungen im Metaphysikkommentar unterhalb der rationalen stand, andererseits aber nach der aristotelischen Epistemologie den Ausgangspunkt jeder menschlichen Erkenntnis bildete: Der menschlichen Erkenntnis im Blick auf Gott Begrenztheit zuzusprechen, stellte also keinen Akt theologischer Hegemonie dar, sondern bildete eine konsequente Folgerung aus der Lehre des Stagiriten selbst. So führt die philosophische Analyse selbst darauf, dass menschliche Erkenntnis, um Gott recht wahrzunehmen, der Offenbarung bedarf (STh I q. 1 a. 1; Ed. Leonina 4, 6/7). In diesen Reflexionen zeigt sich, in welchem Ausmaß Thomas sich bemühte, Theologie und Philosophie einander so zuzuordnen, dass die Grenzen der Letzteren, Raum für Erstere ließen, ohne aber der Philosophie bloß von außen zu begegnen: Die philosophische Einsicht selbst sollte darauf führen, dass der Mensch einer weiteren, auf sein Heil und auf Gott selbst bezogenen Wissenschaft bedurfte. Diese Art der Bereichszuordnung war für die Verhältnisbestimmung von Philosophie und Theologie bei Thomas maßgeblich und prägte sein Werk auch über weite Strecken. Sie wurde entsprechend auch für die strenge Unterscheidung von Philosophie und Theologie in der neuzeitlichen Deutung des Thomas leitend. Eine solche übersieht aber die anderen Wege der Zuordnung. 1.2. Theologische Umdeutung der Philosophie
Dieser Weg zeichnet sich sehr klar im Bereich der wissenschaftstheoretischen Grundlegung der Theologie ab. Da diese oben ( C.II.1.) ausführlich dargestellt ist, kann hier knapp und akzentuiert darauf eingegangen werden. Die Problemstellung ergab sich daraus, dass die Rede von Theologie als Wissenschaft, die für Thomas durch ein Zitat von Augustin aus De trinitate 14 autoritativ gesichert war, ihrerseits einer Begründung bedurfte. Mit seinem Versuch in STh I q. 1 a. 2 (Ed. Leonina 4, 8/9), die Wissenschaftlichkeit der Theologie zu begründen, stieß Thomas allerdings an die Grenzen des Aristotelesgebrauchs. Frage wie Antwort setzten ein Wissenschaftsverständnis im Sinne der Analytica posteriora des Aristote-
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les voraus. Das bedeutete also, durchaus problematisch, die Theologie an den ihr gegenüber externen Maßstäben paganer Philosophie zu messen. Das musste zu Schwierigkeiten führen, hatte Aristoteles doch Wissenschaft paradigmatisch anhand des Maßstabs der Mathematik entworfen. Ja, gerade jenes Kriterium, das laut dem Metaphysikkommentar den hohen Rang der Metaphysik begründen sollte, die Allgemeinheit, stand für die Theologie in Frage, handelte sie doch von historischen Einzelgeschehnissen, »puta de gestis Abrahae, Isaac et Iacob, et similibus« (»zum Beispiel von den Taten Abrahams, Isaaks und Jakobs und ähnlichem«; Ed. Leonina 4, 8). Noch gewichtiger war allerdings auf Erkenntnisebene das Fehlen der Evidenz in der Theologie. Der Umstand, dass die christliche Wahrheit nicht jedermann erkennbar, sondern im Letzten zu glauben war, musste zu einem Problem werden, wenn man sie an einem philosophischen Wissenschaftsverständnis maß, für das nach Aristoteles Beweisbarkeit und Ableitung aus selbstevidenten Prinzipien maßgeblich war. Und eben hier kommt Thomas auf eine bemerkenswerte Weise in einen Bereich, in dem der Ausgleich von Theologie und Philosophie nur noch auf Kosten der Letzteren zu leisten war. Schon Zeitgenossen erkannten, dass das Modell, mit dem Thomas der menschlichen Theologie als dem göttlichen Wissen subalternierter Wissenschaft die evidente Grundlage sichern wollte, konsequent durchdacht nicht greifen konnte: Anders als in dem von ihm gewählten Parallelbeispiel der Unterordnung der Musik unter die Mathematik bestand zwischen menschlicher und göttlicher Wissenschaft nicht nur ein kontingenter, sondern ein notwendiger Subjektunterschied: Der menschlich Erkennende kann die Gewissheit seiner Prinzipien immer nur von einem anderen, eben Gott, empfangen, nie aber selbst besitzen. Damit war das aristotelische Erklärungsmodell letztlich zu einem formalen Gerüst erstarrt, das nur so weit Eigenständigkeit besaß, wie es der theologischen Erklärung diente. 1.3. Harmonische Verschränkung von Philosophie und Theologie
Diese Brechung war aber eher ein Randphänomen in der Zuordnung von Philosophie und Theologie. Was Thomas vorschwebte, war vielmehr ein Modell der vollkommenen Harmonie von Vernunft und Offenbarung. Diese wurde aber nicht nur, wie oben ausgeführt, durch Bereichsabgrenzung erreicht, sondern durch eingehende Reflexionen auf die Methode. Die Theologie ordnet hiernach unterschiedliche Themen und Fragestellungen einander in besonderer Hinsicht zu. In der aristotelischen Wissenschaftssprache gesprochen: Gott ist nicht allein als subiectum Gegenstand der Theologie, sondern als obiectum auch die ordnende Sichtweise, unter der deren Erkenntnisse zusammengestellt sind: So wie man Stein und Mensch unter der Sichtweise der Zuordnung zu Lebewesen unterschiedlichen Bereichen zuordnen muss, unter der Sichtweise der Farblichkeit jedoch zusammen betrachten kann, gewinnen auch die Themen der Theologie ihre Einheit in Gott als dem obiectum (STh I q. 1 a. 7; Ed. Leonina 4, 19). Diesen in der Summa Theologiae dicht zusammengefassten Gedanken hat Thomas in der Sum-
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ma contra gentiles ausführlicher entfaltet: Nach Scg. II c. 4 betrachtet der Philosoph die Gegenstände unter dem Gesichtspunkt, welcher Art sie sind. Der Theologe hingegen betrachtet sie unter dem Gesichtspunkt, inwiefern ein Gegenstand von Gott her oder auf ihn hin geordnet ist (Ed. Leonina 13, 278 f.). Dass Gott damit das ordnende obiectum der Theologie ist, gibt dieser eine soteriologische Ausrichtung, denn es geht in ihr um genau jene Erkenntnis Gottes, wie sie für die Erlangung des Heils notwendig ist. So kann es dann durchaus zu Überschneidungen einzelner Erkenntnisse von Philosophie und Theologie kommen, der Unterschied liegt allein in jener durch das obiectum begründeten Zuordnungsstruktur. Als herausragendes Beispiel solcher gegenseitigen Durchdringung von Theologie und Philosophie kann die Eschatologie gelten, die Thomas so durchkomponierte, dass er die Entelechielehre des Aristoteles aufgriff, nach welcher jedes Seiende auf ein ihm inhärierendes Ziel hin existiert: »omnes conveniunt in appetitu finis ultimi: quia omnes appetunt suam perfectionem adimpleri« (»Alle [Menschen] kommen im Begehren nach einem letzten Zweck überein, denn alle streben danach, ihre Vollkommenheit zu erfüllen«; STh I-II q. 1 a. 7; Ed. Leonina 6, 15). Was glatt aus aristotelischem Denken entwickelt zu sein scheint, gewinnt nun aber eine spezifisch christliche Ausrichtung durch die Füllung des finis ultimus. Denn als diesen setzt Thomas mit der christlichen Tradition die beatitudo (»Seligkeit«). Diese nun aber weist ihrerseits über diese geschaffene Welt hinaus, führt also ganz in der oben für das Heil bestimmten Weise in einen Bereich, der die Erkenntnismöglichkeiten der Philosophie übersteigt: »[…] impossibile est beatitudinem hominis esse in aliquo bono creato. Beatitudo enim est bonum perfectum, quod totaliter quietat appetitum […] Obiectum autem voluntatis, quae est appetitus humanus, est universale bonum; sicut obiectum intellectus est universale verum. Ex quo patet quod nihil potest quietare voluntatem hominis, nisi bonum universale. Quod non invenitur in aliquo creato, sed solum in Deo.« (»Unmöglich ist es, dass die Seligkeit des Menschen in einem geschaffenen Gut besteht. Seligkeit nämlich ist ein vollkommenes Gut, das das Begehren ganz zur Ruhe bringt […]. Das Objekt des menschlichen Willens aber, der das menschliche Streben ist, ist das allgemeine Gut, so wie das Objekt der Vernunft das allgemeine Wahre ist. Daraus ist klar, dass nichts den Willen des Menschen zur Ruhe bringen kann außer das allgemeine Gut. Das wird nicht in irgendeinem Geschaffenen gefunden, sondern allein in Gott.«; STh I-II q. 2 a. 8; Ed. Leonina 6, 24b). Damit führt also die Benennung der beatitudo auf Gott hin und damit in den Bereich der spezifisch christlichen Eschatologie. Der Weg von der philosophischen Analyse zur in der Offenbarung gegründeten theologischen Aussage ist damit ausgesprochen glatt und harmonisch. Die drei skizzierten Wege der Zuordnung von Philosophie und Theologie bei Thomas zeigen die hochgradige Ambivalenz dieses Verhältnisses. Eine klare Bereichszuweisung steht neben einer deutlichen Umformung der Philosophie durch die Theologie und schließlich einer harmonischen Verschränkung, von der man wohl annehmen darf, dass sie dem Ideal von Thomas’ Denken am Nächsten
III. Strukturen – 2. Scientia practica
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kommt. Diese Vielfalt macht deutlich, wie die Rede von den anderen Wissenschaften als den ancillae der Theologie eigentlich zu verstehen ist: Sie dienen der göttlichen Wissenschaft und arbeiten ihr zu. Aber indem sie dies tun, formen sie sie zugleich auch um. Philosophie und Theologie sind damit nicht in ein statisches Verhältnis zueinander gebracht, sondern ihre Zuordnung erfolgt mit hoher Dynamik und der intellektuellen Bereitschaft, Argumente unterschiedlicher Provenienz stets neu abzuwägen. Hoping, Helmut: Weisheit als Wissen des Ursprungs. Philosophie und Theologie in der »Summa contra gentiles« des Thomas von Aquin, Freiburg i. Br./Basel/Wien 1997. Jenkins, John I.: Knowledge and Faith in Thomas Aquinas, Cambridge 2007. Piclin, Michel: Philosophie et théologie chez Thomas d’Aquin, Paris 1983. Wilpert, Paul: Das Problem der Wahrheitssicherung bei Thomas von Aquin. Ein Beitrag zur Geschichte des Evidenzproblems, Münster 1931. Volker Leppin
2. Scientia practica 2.1. Enzyklopädische Kontexte der Theologie
Der Status der wissenschaftlichen Theologie – der sacra doctrina – im Verhältnis zu den philosophischen Wissenschaften, der Metaphysik als scientia speculativa (»betrachtende Wissenschaft«) und der Ethik als scientia practica (»auf das Tun hin orientierender Wissenschaft«) einerseits, zum religiösen Orientiertsein und dem daraus fließenden Lebensvollzug andererseits und zur visio beatifica drittens gehört zu den interessantesten Aspekten des Theologiebegriffs bei Thomas. 2.2. Theologie als theoretische und praktische Wissenschaft 2.2.1. Die Unterscheidung bei Aristoteles
Zunächst wird das Thema in der wissenschaftstheoretischen Grundlegung der Theologie behandelt unter der Frage, ob die Theologie eine scientia practica oder eine scientia speculativa sei. Diese Unterscheidung geht zurück auf Aristoteles (bes. In Eth. VI l. 3 f.; Ed. Vives 26, 404–410; In Met. I l. 1; Ed. Vives 24, 335–343; In Eth. I l. 1–3; Ed. Vives 25, 231–240): In der Differenzierung der intellektuellen virtutes unterscheidet er die mit dem Notwendigen und Bleibenden befassten Wissenschaften von denjenigen, die das Kontingente zum Gegenstand haben (zum Folgenden vgl. In Eth. VI l. 3 f.; Ed. Vives 25, 489–495): Während jene auf dem Wege der Induktion oder Deduktion nach dem Allgemeinen und dem Grund des Vorfindlichen fragen und in diesem Sinne zu allgemeinen und notwendigen Sätzen gelangen, haben es andere Wissenschaften mit dem Kontingenten zu tun; sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie mit dem menschlichen Um-
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gang mit Vorfindlichem zu tun haben, entweder als einem solchen, das bei sich selbst bleibt (actio/praxis: Sehen, Verstehen, Wollen), oder einem solchen, das auf die Herstellung eines externen Produkts zielt (factio/poiesis). Diese Wissenschaften lassen, da sie mit solchem befasst sind, das auch anders sein kann, keine Urteile zu, die quantitativ allgemein und modal notwendig wären, sondern lediglich hypothetische und am Einzelfall orientierte Einsichten. Während die Wissenschaft von der Praxis beispielsweise die Erkenntnistheorie wäre, fallen unter die Betrachtung der factio alle technischen Wissenschaften sowie auch die Ethik, die sich mit dem Menschen als Strebewesen befasst; deren Ziel allerdings ist wieder eine Praxis – die theoria des Philosophen im βίος φιλοσοφικός (In Eth. X; Ed. Vives 26, 43–89). Darauf Bezug nehmend ordnet Thomas die scientia practica den res operabiles zu (Omnis scientia practica est de rebus operabilibus ab homine (»jede praktische Wissenschaft handelt von Sachen, die vom Menschen getan werden können«); STh I q. 1 a. 4sc.; Ed. Leonina 4, 14a). Der scientia speculativa hingegen ordnet er das Prädikat und das Kriterium der certitudo zu (STh II-II q. 9 a. 3r.; Ed. Leonina 8, 76). Im Blick auf das Verhältnis von Metaphysik, die eine scientia speculativa ist, und Ethik – im Ausgangspunkt der Frage nach dem bonum menschlichen Handelns (In Eth. I l. 1; Ed. Vives 25, 231–235) eine klassische scientia practica – zeigt sich natürlich, dass die Verhältnisse beider Fragehinsichten komplex sind: Der menschliche Lebensvollzug ist dann dem Wesen des Menschen entsprechend ausgerichtet, wenn der Mensch seine beatitudo in der theoria (Schau) Gottes findet, die Gegenstand der Metaphysik ist; umgekehrt erweist sich so die scientia speculativa als Erfüllung eines Vollzuges – des intelligere –, auf den hin die scientia practica den Menschen orientiert und den – als actio – sie thematisiert. Das weist darauf hin, dass es ein wissensfreies Orientiertsein auf Handeln hin ebenso wie ein Wissen ohne Orientierungsleistung nicht oder nur als Grenzfall gibt. 2.2.2. Die Zuordnung der Theologie
Entsprechend entscheidet sich Thomas bezüglich der Frage nach dem Charakter der sacra doctrina auch nicht für eine der beiden Alternativen. Die Theologie ist in erster Linie eine scientia speculativa. Das setzt voraus, dass sie eine scientia ist (STh I q. 1 a. 2r.; Ed. Leonina 4, 9); dies nicht, weil sie den natürlichen Verstandesprinzipien entspringt, sondern weil sie einer übergeordneten Wissenschaft entspringt wie die Musik der Arithmetik. Die übergeordnete Wissenschaft im Falle der Theologie ist das Wissen, das Gott von sich selbst hat, und an dem er dem Menschen per revelationem (»durch die Offenbarung«) teilgibt (STh I q. 1 a. 3r.; Ed. Leonina 4, 12; vgl. Scg. I c. 3; Ed. Leonina 13, 7–10, dazu s. u.). Da sie das Vorfindliche in diesem Wissen begründet bzw. daraus deduziert, handelt es sich um eine Wissenschaft, die zugleich – als mit Gründen befasste und mit höchster Gewissheit ausgestattete – sich als spekulative Wissenschaft bewährt.
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Allerdings hat die sacra doctrina einen eminent handlungsorientierenden Charakter, wie allein Buch II der Summa Theologiae oder Buch III der Summa contra gentiles zeigt, die eine Theorie des menschlichen Handelns entfalten, das genau auf den Gegenstand als letztes Ziel ausgerichtet ist, der material und formal Gegenstand der Theologie ist, die alles sub ratione Dei (»auf Gott hin«) untersucht: vel quia sunt ipse Deus; vel quia habent ordinem ad Deum, ut ad principium et finem (»entweder, weil sie selbst Gott sind; oder weil sie auf Gott als Ursprung und Ziel ausgerichtet sind«). (STh I q. 1 a. 7r.; Ed. Leonina 4, 19). Weil Gott das Strebeziel aller Wirklichkeit ist und bestimmungsgemäß auch für den Menschen sein C.II.6.), hat es die sacra doctrina eben auch mit den operabilia zu tun, und soll ( zwar in höchst eminenter Weise, da sie das menschliche Handeln auf den letzten Zweck hin betrachtet (vgl. dazu auch STh II-II q. 8 a. 3r. und q. 9 a. 3r.; Ed. Leonina 8, 68 und 76). 2.3. Das Verhältnis zur Orientierungsleistung der philosophischen Letztbegründungsdisziplinen 2.3.1. Gestufte Wahrheit
Damit steht die Theologie in Konkurrenz zur Metaphysik einerseits und zur philosophischen Ethik andererseits und hat mit ihnen das Gegenstandsgebiet gemeinsam, wie Thomas ausdrücklich feststellt (STh I q. 1 a. 7r. principium; Ed. Leonina 4, 19; vgl. STh II-II q. 2 a. 4r.; Ed. Leonina 8, 30). Allerdings erhebt Thomas den Anspruch, dass der Theologie mit dem lumen divinum (»dem göttlichen Licht«) (im Unterschied zum ebenfalls eine Teilhabe am göttlichen Licht darstellenden Licht des intellectus, vgl. STh I q. 79 a. 4r.; Ed. Leonina 5, 267a/268a) eine Erkenntnisquelle zur Verfügung steht, die die Möglichkeiten der Philosophie übersteigt, und dass die so gewonnenen Einsichten über Gott die Grundlage derjenigen Einsichten, die der Philosophie zugänglich sind, darstellen. Entsprechend ordnet er in der Summa contra gentiles unter dem begrifflich problematischen Titel eines duplex veritatis modus (»einer doppelten Weise der Wahrheit«) Stufen der Erkenntnis – des Ungebildeten; des Wissenschaftlers; des Theologen, dem Offenbarungswahrheiten über Gott erschlossen sind; der Engel und Gottes – einander zu, mit der Pointe, dass auf der jeweils höheren Stufe dasselbe wie auf der niedrigeren, aber besser, erkannt wird, ohne dass dies den auf der niedrigeren Stufe Stehenden einsichtig wird. Damit ist aber der Anspruch verbunden, insoweit den Angehörigen der niedrigeren Stufe die Einsichten der höheren Stufe einsichtig zu machen, als ein Widerspruch zwischen beiden Stufen ausgeschlossen wird. Genauer sieht es so aus, dass die offenbarten Wahrheiten, auf die sich die Theologie bezieht, eine Schnittmenge mit den auch der Philosophie zugänglichen Wahrheiten aufweisen (Scg. I c. 4; Ed. Leonina 13, 11–14). Zu diesen Wahrheiten stehen die das natürlich Zugängliche übersteigenden Einsichten des christlichen
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Glaubens ausweisbar im Verhältnis nicht des aufhebenden Widerspruchs, sondern der Vollendung (Scg. I c. 6; Ed. Leonina 13, 17–19). 2.3.2. Die Gotteserkenntnis und die visio Dei
Dieses Programm wird darum für den Umgang mit der Philosophie relevant, als auch diese in der Gestalt der aristotelischen Metaphysik, in der sie Thomas rezipiert, die Wirklichkeit in etwas Göttlichem als principium begründet und auf dieses Göttliche als finis bezogen weiß und den Menschen als ein Strebewesen deutet, das in der Schau dieses Wesens ausgerichtet ist und in ihr zur Ruhe der Erfüllung (εὐδαιμονία[eudaimonia]/felicitas/beatitudo) gelangt. Thomas erhebt nun den Anspruch, dass die theoria des Göttlichen, die die Philosophie gewährt und die er mit der in der aristotelischen Metaphysik präsentierten Gotteserkenntnis identifiziert, eine höchst unvollkommene und uneigentliche Erkenntnis sei, die das desiderium des Menschen mitnichten erfülle (In Eth. X l. 11; Ed. Vives 26, 70–74 und l. 13; Ed. Vives 26, 76–78). Die Ruhe der Erfüllung findet der Mensch gerade nicht in der spekulativen Gotteslehre (STh I-II q. 3 a. 6r.; Ed. Leonina 6, 33; Scg. III c. 39 und 40; Ed. Leonina 14, 95–102), die imperfectiones aufweist, die damit über sich hinaus auf eine von ihr her nicht zugängliche Erkenntnis hinweist. Die Ruhe besteht übrigens auch nicht in der Erkenntnis, die durch den Glauben zugänglich ist. Die Unvollkommenheit der in hac vita (»in diesem Leben«) erreichbaren Gotteserkenntnis hängt wesentlich an ihrem durch die Wirkungen Gottes und damit durch die Sinnenwelt vermittelten Charakter (STh I-II q. 3 a. 6r.; Ed. Leonina 6, 33), und vor allem an der Tatsache, dass im Rahmen der philosophischen Gotteslehre von Gott im Wesentlichen nur ausgesagt werden kann, was er nicht ist: quid sit remanet ignotum (»was er ist, bleibt unbekannt«) (Scg. III c. 39; Ed. Leonina 14, 95–98). Das ändert auch die durch den Glauben zugängliche Einsicht in Gott nicht, deren Unvollkommenheit wieder wesentlich darin liegt, dass sie sich auf fremde Kenntnis stützt und so Vermittlungscharakter hat (Scg. III c. 50; Ed. Leonina 14, 137–139). Die Gotteslehre der Philosophie ebenso wie die der Theologie haben den Charakter der Vorläufigkeit und gewähren eine unvollkommene Ruhe der Zufriedenheit (STh I-II q. 3 a. 6r.; Ed. Leonina 6, 33). Sie verweisen damit auf eine Vollkommenheit, die post hac vita (»nach diesem Leben«) erreicht wird und die in der visio Dei besteht, in der die essentia Dei geschaut wird und der Mensch mit der Fähigkeit ausgestattet wird, Gott selbst zu schauen (STh I q. 12 a. 5r.; Ed. Leonina 4, 123; Scg. III c. 53; Ed. Leonina 14, 146–149). Diese Ausstattung besteht darin, dass Gott zur forma des menschlichen Erkenntnisvermögens wird, also eine unmittelbare intelligible Schau des göttlichen Wesens realisiert ist (STh I q. 12 a. 5r.; Ed. Leonina 4, 123, vgl. STh I-II q. 3 a. 8r.; Ed. Leonina 6, 35a–36a; Scg. III c. 25; Ed. Leonina 14, 65–70; c. 37; Ed. Leonina 14, 92–94). Die Theologie und die in ihr vermittelte Gotteserkenntnis gewährt selbst so wenig wie die Philosophie die heilvolle beatitudo (»Ruhe der Erfüllung«). Sie sys-
III. Strukturen – 3. Theologie als didaktische Aufgabe
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tematisiert das Heilswissen, das dem Glauben durch die Schrift als Partizipation an dem Wissen, das Gott von sich selbst hat, gewährt wird. Aber auch dieses Wissen des Glaubens (STh II-II q. 8 und 9; Ed. Leonina 8, 66–77) ist nicht per se heilsam, sondern nur dann, wenn es zugleich zu einer Ausrichtung des Menschen und aller seiner Zwecke auf dasjenige führt, was ihm im Glauben vorgestellt ist: Wenn der Mensch in seiner Lebensbewegung auf Gott als das summum bonum ausgerichtet ist, und das heißt: Ihn um seiner selbst willen liebt (STh II-II q. 9 a. 3r.; Ed. Leonina 8, 76; vgl. STh I-II q. 65 a. 4r.; Ed. Leonina 6, 425a–426a). Berndt, Rainer (Hg.): ›Scientia‹ und ›Disciplina‹. Wissenstheorie und Wissenschaftspraxis im 12. und 13. Jahrhundert, Berlin 2012. Bradley, Denis J. M.: Aquinas on the twofold human good: reason and human happiness in Aquinas’s moral science, Washington D.C. 1997. Honnefelder, Ludger: La métaphysique comme science transcendentale entre le Moyen Âge et les Temps Modernes, Paris 2002. Niederbacher, Bruno: Theologie als Wissenschaft im Mittelalter. Texte, Übersetzungen, Kommentare, Münster 2006. Slenczka, Notger: Thomas von Aquin und die Synthese zwischen dem biblischen und dem griechisch-römischen Gesetzesbegriff, in: Behrends, Okko (Hg.): Der biblische Gesetzesbegriff. Auf den Spuren seiner Säkularisierung, Göttingen 2006, 109–149. Notger Slenczka
3. Theologie als didaktische Aufgabe: Die Summa Theologiae
und der theologische Lehrbetrieb
Die Summa Theologiae des Thomas von Aquin ist wie andere theologische Summen des 13. Jahrhunderts kein unmittelbarer Ausfluss einer theologischen Lehrtätigkeit. Niederschlag regulärer theologischer Lehre sind in dieser Zeit 1. die relativ selten erhaltenen kurzen Kommentare, die das Ergebnis der kursorischen Vorlesung des baccalaureus biblicus bilden, und die vielen umfang reichen und gründlichen Schriftkommentare, die aus den zuweilen jahrelangen Vorlesungen des Theologieprofessors über einzelne biblische Bücher hervorgehen; 2. die Sentenzenkommentare, in denen die in der Regel einmalige Vorlesung des baccalaureus sententiarius über die vier Sentenzenbücher des Petrus Lombardus als Nachschrift (reportatio) oder überarbeitet – zuweilen in mehreren Redaktionen – festgehalten ist; 3. Quaestionen und Quaestionensammlungen (Quaestiones disputatae und Quaestiones de quolibet, Quodlibeta), in denen die Disputationen der Magistri aufgezeichnet sind. Die literarische Gattung der theologischen Summa, deren Ausarbeitung mit dem ersten Viertel des 14. Jahrhunderts ausläuft, gehört nicht zu den unmittelbaren Erträgen der Lehre. Sie ist eine Privatarbeit der Magistri, die in ihr allerdings
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oft die Ergebnisse ihrer Lehrtätigkeit in überarbeiteter und gereifter Form darbieten. Die Summa bietet ihrem Verfasser die Möglichkeit, sich sowohl im Gesamtaufbau als auch in der Feinstruktur vom Zwang der Sentenzenkommentierung zu lösen, die an den vorgegebenen Text der Sentenzen gebunden ist und dadurch in oft problematischer Weise zwischen der Auslegung dieses Texts und der freien Erörterung von Sachfragen vermitteln muss. Obwohl auch die Summa Theologiae kein unmittelbares Ergebnis einer universitären Lehrtätigkeit ihres Verfassers ist, steht sie doch unter einem didaktischen Programm, das Thomas im Prolog zur Prima pars formuliert. Er stellt an den Anfang die Forderung, der »Lehrer der katholischen Wahrheit« habe nicht nur die Pflicht, Fortgeschrittene zu unterrichten, sondern auch Anfänger auszubilden. Deshalb wolle er im vorliegenden Werk den Inhalt der christlichen Religion auf eine Weise vortragen, die der Ausbildung von Anfängern entspreche. Nun ist die Prima pars der Summa in den Jahren 1266 bis 1268 entstanden, während Thomas im Auftrag des Provinzialkapitels von Anagni in Rom eine Lehrtätigkeit außerhalb des üblichen institutionellen Rahmens ausübte. Zuvor war er 1261 bis 1265 Lektor am Dominikanerkonvent von Orvieto gewesen, d. h. am Hausstudium (Partikularstudium) dieses Konvents. Er war dort für die Ausbildung der fratres communes verantwortlich gewesen, jener Mitbrüder, die nicht an einem Generalstudium oder gar an der Universität Theologie studieren konnten, sondern sich in elementarerer Weise auf Predigt und Seelsorge vorbereiteten. Mit der Erfahrung aus diesem Unterricht nahm er eine auf seine Person zugeschnittene Lehrtätigkeit am römischen Konvent von Santa Sabina auf. In der Summa Theologiae spiegelt sich diese Tätigkeit gewiss nicht unmittelbar wieder. Aber in ihr dürften sich doch Erfahrungen niedergeschlagen haben, die Thomas bereits in Orvieto und danach in Rom mit dem Unterricht von fratres communes gemacht hatte. Nachdem Thomas im Prolog das allgemeine didaktische Ziel des Werks festgelegt hat, lässt er eine scharfe Kritik an der vorliegenden Literatur aus dem theologischen Lehrbetrieb folgen: Sie sei besonders ungeeignet für Anfänger (incipientes, novitii) in der Theologie teils (1.) wegen der Vielfalt unnützer Quaestionen, Artikel und Argumente; teils (2.), weil das den Neulingen nötige Wissen nicht nach der Ordnung des Faches (secundum ordinem disciplinae) dargeboten werde, sondern nach den Erfordernissen der Auslegung von Textbüchern oder nach dem Anlass einer Disputation; teils (3.), weil die häufige Wiederholung derselben Dinge in den Hörern Überdruss und Verwirrung schaffe. Der zweite Einwand bezeichnet den eigentlichen Grund der allgemeinen Misere: Der Stoff eines Faches könne nach seiner inneren Ordnung nicht in der Kommentierung eines Buches (gemeint sind in erster Linie die Sentenzen des Petrus Lombardus) oder in Disputationen über beliebig gewählte Themen dargeboten werden (eine Anspielung auf die Disputationes de quolibet). In den Sentenzenkommentaren ist die Auslegung des Sentenzentextes (bei Thomas auf die Divisio textus [Gliederung des Textes] konzentriert) mit der anschließenden Diskussion
III. Strukturen – 3. Theologie als didaktische Aufgabe
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von Fragen verbunden, die mehr oder weniger eng an wichtige Begriffe und Themen des Textes anknüpfen, aber nicht immer zu einer in sich zusammenhängenden Darstellung der Disziplin beitragen. Der erste Einwand bezieht sich auf die Vielzahl und Vielfalt der Fragestellungen und der vorgebrachten Argumente – sowohl in den Sentenzenvorlesungen als auch in den Quaestiones disputatae. Thomas selbst hat sich in seinem Sentenzenkommentar bereits viel stärker auf das Wesentliche beschränkt als seine Zeitgenossen, die oft lange Reihen von einem Dutzend oder mehr Argumenten zusammentragen. Das liegt teilweise daran, dass sie gerne die von ihren Lehrern gebrauchten Argumente wiederholen und um einige neue auctoritates vermehren. In seinen Quaestionen bringt Thomas aber wesentlich mehr Argumente vor, z. B. in De veritate q. 2 a. 3 (Utrum Deus cognoscat alia a se: »Ob Gott anderes als sich selbst erkennt«; Ed. Leonina 22/1, 47b–55a) nicht weniger als 20 pro und elf contra, was entsprechend viele responsiones (»Antworten auf die Argumente«) nach sich zieht. Seine Kritik zielt auf Vereinfachung und Konzentration auf die zentralen Fragen, Gesichtspunkte und Materialien ab. Der dritte Einwand kritisiert die häufige Wiederholung derselben Themen und Argumente, die in den Sentenzenkommentaren mit ihrem durch den zu kommentierenden Text vorgegebenen, nicht immer sachlich angemessenen Aufbau und mit ihrer durch die Materialfülle bedingten Unübersichtlichkeit oft unvermeidlich ist, aber den didaktischen Wert des Werks beeinträchtigt. In seiner Summa Theologiae möchte Thomas den Inhalt der Theologie kurz und klar darlegen, soweit der Stoff es gestattet. Die Durchführung dieses Vorhabens ist ihm in einer Weise gelungen, die sich sehr vorteilhaft von den systematischen Werken der Zeitgenossen unterscheidet. Er hat dies erreicht einerseits durch die Befolgung eines von ihm neu entworfenen, wohldurchdachten Gesamtplans, über dessen Grundzüge der Verfasser von Anfang an immer wieder in Prologen zu den einzelnen Teilen und in vielen zurück- und vorausverweisenden Überleitungen zwischen Gruppen von quaestiones Rechenschaft ablegt ( C.I.12.), andererseits durch eine einfache und klare Binnengliederung der kleinsten selbständigen Einheiten, der articuli. Ihr einheitlicher Aufbau beginnt mit der stehenden Formel Videtur quod (»Es scheint, dass«), die einen bejahenden oder, häufiger, einen verneinenden Satz einleitet, z. B. bejahend: Videtur quod Deus sit corpus (»Es scheint, dass Gott ein Körper sei«; STh I q. 1 a. 3 ad 1; Ed. Leonina 4, 35a), und verneinend: Videtur quod Deus non sit (»Es scheint, dass Gott nicht existiere«; STh I q. 1 a. 2 ad 3; Ed. Leonina 4, 31a). In beiden Fällen stellt der einen Artikel einleitende Satz eine Behauptung auf, die im folgenden widerlegt werden soll. Häufig wird die im Einleitungssatz enthaltene Behauptung aber differenziert beurteilt, d. h. durch differenzierende Behandlung der Aussage in einerseits bejahender und andererseits verneinender Weise beantwortet, z. B.: Videtur quod Deum esse sit per se notum (»Es scheint, dass Gott Sein aus sich bekannt sei«; STh I q. 2 a. 1; Ed. Leonina 4, 27a) durch Distiktion des »aus sich Bekannten« mit Hilfe einer aristotelischen Unterscheidung in die Aspekte secundum se (»an sich«) und quoad nos (»für
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uns«) (Ed. Leonina 4, 27b/28a). Auf den einleitenden Satz folgen die Argumente, die für ihn sprechen, anschließend, durch Sed contra (»Aber dagegen«) eingeleitet, ihm widersprechende Argumente. Seine Forderung nach einer den Anfängern entgegenkommenden Vereinfachung befolgt Thomas dadurch, dass er in den meisten Fällen die Argumente für den einleitenden Satz auf zwei oder drei beschränkt und die Argumente contra auf ein einziges. Seltener finden sich mehr Argumente pro – bis zu sechs oder sieben – und ein zweites Argument contra. Im corpus articuli (»Hauptteil des Artikels«), das stereotyp mit der Formel: Respondeo dicendum quod (»Ich antworte folgendermaßen«) beginnt, gibt Thomas seine Stellungnahme zu der einleitenden Behauptung. Diese wird anschließend durch Antworten auf die verschiedenen Argumente pro ergänzt, eingeleitet durch die Formel Ad primum, secundum … (»Zum ersten, zweiten … «). In der Literatur wird immer wieder die Frage aufgeworfen, »ob dieses Werk wirklich ein Handbuch für Anfänger ist« (Speer, Summa theologiae lesen, 5). Über die tatsächliche Fähigkeit der einzelnen Leser, es zu verstehen, lässt sich natürlich nichts sagen. Wenn man die Frage bedenkt, muss man allerdings beachten, dass es sich nicht um jugendliche Leser handelte. Das Studium der Theologie setzte ein mit der Promotion zum Magister abgeschlossenes Studium der artes an der Universität oder – bei Angehörigen der Bettelorden – mindestens an einem studium (einer Ausbildungsstätte) des Ordens (Hausstudium, Provinz- oder Generalstudium) voraus, das – zumal bei in jugendlichem Alter Eingetretenen – mehrere Jahre zu dauern pflegte. Wer das Studium der Theologie aufnahm, der besaß deshalb bereits eine gründliche Ausbildung in den artes und der Philosophie. Wenn Thomas in seinem Prolog von »Anfängern« spricht, dann meint er Neulinge in der Theologie (huius doctrinae novitii). Für diese ist das Werk aber in der Tat vorzüglich geeignet. Durch seinen klaren Aufbau im ganzen wie in seinen kleinsten Einheiten, durch die Begrenzung des in den Argumenten pro und contra gebotenen Stoffes, durch die stereotype, geradlinige Problemlösung einschließlich der Auseinandersetzung mit den Argumenten und durch seine knappen, prägnanten Formulierungen hat Thomas in der Summa Theologiae tatsächlich ein Werk geschaffen, das den Anfänger Schritt für Schritt durch die Dogmatik und Ethik führt und ihm auch den Zugang zu schwierigeren Problemen eröffnet. Boyle, Leonard E.: The Setting of the Summa theologiae of St. Thomas – Revisited, in: Pope, Stephen J. (Hg.): The Ethics of Aquinas, Washington D.C. 2002. Chenu, Marie-Dominique: Das Werk des hl. Thomas von Aquin, Heidelberg u. a. 1960. Speer, Andreas: Die Summa theologiae lesen – eine Einführung, in: Ders., Thomas von Aquin: Die Summa theologiae. Werkinterpretationen, Berlin/New York 2005, 1–28. Torrell, Jean-Pierre: Magister Thomas, Freiburg i. Br. u. a. 1995, 160–176. Ulrich Köpf
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I. Kanonisation Auch wenn einige seiner Lehren zunächst umstritten blieben und seine Heiligsprechung erst 1323 erfolgte, setzte die Verehrung von Thomas bereits unmittelbar nach seinem Tod am 7. März 1274 ein. Da der bekannte Dominikaner nicht in einem Konvent seines Ordens, sondern auf dem Weg nach Lyon in der Zisterzienserabtei Fossanova gestorben war, nahmen Kult und Legendenbildung dort ihren Anfang. So sagten zwei Zeugen im Heiligsprechungsprozess aus, dass sich der fast erblindete Subprior der Abtei, Johannes von Ferentino, zu dem Totenbett des Verstorbenen bringen ließ und er nach Berühren des Leichnams von seinem Augenleiden geheilt worden sei (Ystoria, Nr. 61). Thomas wurde an seinem Sterbeort beigesetzt. An dem Requiem in Fossanova nahmen u. a. der Franziskanerbischof Franziskus von Terracina sowie zahlreiche Adelige der Umgebung teil. Unter ihnen war auch, wie Wilhelm von Tocco OP berichtet, eine Nichte des Verstorbenen, die den Leichnam ihres Onkels jedoch nur am Eingang des Klausurbereichs verehren durfte (Ystoria, Nr. 62). Nach der Totenmesse hielt Reginald von Piperno OP eine Ansprache, in der er vor allem über die Ehre redete, ein Zeuge und Gefährte des Gelehrten gewesen zu sein. In den folgenden Wochen wurde der Leichnam umgebettet und Thomas’ Grabstätte an einen anderen Ort innerhalb der Klausur verlegt – vermutlich weil die Zisterzienser befürchteten, dass die Dominikaner darauf bestehen könnten, den Toten in einer ihrer Kirchen beizusetzen. Als im Herbst 1274 das Grab erneut geöffnet wurde, soll ein wohlriechender Duft den gesamten Raum erfüllt haben. Thomas’ sterbliche Überreste wurden daraufhin in die Abteikirche überführt (bzw. nach anderer Überlieferung dorthin zurückgebracht), und die Mönche sangen statt der üblichen Totengebete die Messe Os justi für einen heiligen Bekenner. Während Thomas in Fossanova also bereits als ein Heiliger verehrt wurde, spitzte sich die Kontroverse um sein Werk zunehmend zu. Sie erreichte ihren ersten Höhepunkt in der Verurteilung aristotelischer Theorien durch Bischof Étienne Tempier vom 7. März 1277, die sich vor allem gegen die Artistenfakultät der Pariser Universität, aber auch gegen einzelne Lehren von Thomas richtete, auch wenn sein Name nicht ausdrücklich genannt wurde (zur umfangreichen Forschungsdiskussion vgl. die Arbeiten von Hissette). Weitere Maßnahmen wie Tempiers Vorgehen gegen den Augustineremiten Aegidius Romanus, der bei Thomas studiert hatte, sollten indirekt auch den verstorbenen Dominikaner treffen. Schließlich leitete Tempier einen Ketzerprozess gegen Thomas ein, der jedoch – vermutlich auf Betreiben von Johannes von Vercelli OP (Ordensmeister 1264‒1283) – nach Rom transferiert wurde, wo der Orden einige bedeutende Fürsprecher besaß. Wegen der bis zum 25. November 1277 dauernden Sedisvakanz wurde der Prozess in Rom vorübergehend ausgesetzt, und auch danach ging er nur schleppend voran, obwohl beispielsweise John Peckham OFM, der Nachfolger Robert Kilwardbys OP als Erzbischof von Canterbury, darauf drängte, Thomas endlich zu verurteilen. Erst Honorius IV., der »die Angelegenheit eher als
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Schulfrage denn als Glaubensfrage« einschätzte (Torrell, Magister Thomas, 315), griff 1285/86 das Verfahren wieder auf und leitete den Prozess an die Magister der Theologischen Fakultät in Paris weiter, die sich gegen eine Zensur aussprachen. Doch die Auseinandersetzung um Thomas’ Werk war damit noch nicht beendet, sondern setzte sich im sogenannten »Korrektorienstreit« zwischen Dominikanern und Franziskanern weiter fort. Die Verurteilung von 1277 wurde sogar erst 1325, also erst nach Thomas’ Heiligsprechung, durch den Pariser Bischof Étienne Bourret in quantum doctrinam beati Thome predicti tangere possunt wieder zurückgenommen (Denifle, Chartularium II, Nr. 838, 280‒282). Im Dominikanerorden führten die anhaltenden Angriffe auf die Lehren des »verehrungswürdigen« Mitbruders Thomas, »dessen Andenken zu feiern ist«, wie es das Generalkapitel von 1279 formuliert (vgl. Torrell, Magister Thomas, 322), zu einer zunehmenden Solidarisierung. Schon 1278 wurden – vermutlich als Reaktion auf die Verurteilung einiger thomistischer Lehrsätze durch Robert Kilwardby OP ein Jahr zuvor – zwei Brüder nach England geschickt, um gegen Thomaskritiker in den eigenen Reihen vorzugehen. Ab 1286 führten die Bestimmungen der Generalkapitel zu einer allmählichen, wenn auch nicht durchgängigen Schulbildung im Orden. Schließlich wurde auf den Generalkapiteln von 1309 und 1313 die Doktrin des Aquinaten an allen Schulen des Ordens für verbindlich erklärt. 1315 folgte die Anordnung, sämtliche Werke des Thomas für die Konventsbibliothek anzuschaffen. Zudem wurde festgelegt, dass Lektoren, die contra communem doctrinam Thome verstießen, den Oberen anzuzeigen seien (vgl. den Überblick von Burbach, Early Dominican and Franciscan Legislation). Diese Bestimmungen dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es im Dominikanerorden immer wieder auch Gelehrte gab, die nicht in allem der Lehre des Thomas folgten, sondern wie z. B. Meister Eckhart andere Positionen vertraten. Auch das Kanonisationsverfahren ging zunächst nicht vom Orden, sondern von Johannes XXII. aus, der zu Beginn seines Pontifikats (1316–1334) »die Absicht geäußert haben soll, einen Heiligen aus dem Predigerorden zu kanonisieren« (Krafft, Papsturkunde, 756) – möglicherweise auch, um sich für die Gastgeberschaft des Dominikanerkonvents von Lyon zu bedanken, in dessen Räumen das Konklave und damit auch seine Wahl zum Papst stattgefunden hatte. Zwar waren für Raymund von Peñafort OP und die Dominikanerin Margarete von Ungarn bereits Prozesse eingeleitet worden, doch der Papst bevorzugte offenbar von Anfang an einen anderen, im Rufe der Heiligkeit Verstorbenen des Ordens. Möglicherweise hatte Johannes XXII. bei seinem Kanonisationsvorschlag den 1299 in Carcassonne gestorbenen Martin Donadieu OP im Sinn, für den aber außerhalb des Dominikanerordens keine richtige Verehrung aufkam (vgl. Pernoud, Die Heiligen, 278). Wie eine erhaltene Liste von Buchanschaffungen aus dem Jahre 1317 belegt, bewunderte der Papst aber auch die Werke von Thomas, die er nicht nur kaufen ließ, sondern selbst benutzte und sogar mit eigenhändigen Randnotizen versah.
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Nun wurde auch der Orden aktiv: 1317 beauftragte das sizilianische Provinzkapitel in Gaeta Wilhelm von Tocco OP, der anscheinend schon seit längerem Informationen über Thomas’ Biographie einholte, und Robert von Benevent OP damit, geeignetes Material für die Causa zusammenzustellen. Ein Jahr später reisten die beiden Ordensbrüder von Neapel aus über Marseille nach Avignon, um dem Papst eine Liste von Wundern, die dem Verstorbenen zugeschrieben wurden, mehrere Petitionen aus dem Königreich Sizilien und die erste Fassung einer Thomasvita, der von Wilhelm von Tocco verfassten Ystoria, zu übergeben. Bei der Audienz im August 1318 soll Johannes XXII. bereits seiner Überzeugung Ausdruck verliehen haben, dass Thomas heiligmäßig gelebt habe und daher im Himmel sei; auch die Lehre des Aquinaten sei ohne Wunder gar nicht möglich gewesen (vgl. Mandonnet, La canonisation, 26). Einen Monat später – möglicherweise nach Zustimmung einer kleinen Kardinalskommission – eröffnete der Papst das Verfahren und beauftragte zwei Bischöfe, nämlich den Erzbischof von Neapel und den Bischof von Viterbo, sowie den päpstlichen Notar Pandulf Savelli als Delegierte mit der Untersuchung des Falls: Das am 13. September 1318 ausgestellte Mandat De occultis sapientiae führte als Petenten die Witwe Karls II. und ihre beiden Söhne Philipp von Tarent und Johannes von Gravina sowie den Adel, die Stadt und die Universität von Neapel auf; der Dominikanerorden wurde dagegen nicht genannt. Die erste Zeugenbefragung, bei der 42 Zeugen angehört wurden, fand ab dem 21. Juli 1319 im bischöflichen Palast in Neapel statt. Im Winter 1320/21 präsentierte Wilhelm von Tocco in Avignon eine weitere Liste von Wundern, die er gemeinsam mit Bischof Angelus von Viterbo in Fossanova untersucht hatte. Da dieser Ortstermin ohne den erkrankten Erzbischof von Neapel stattgefunden hatte und damit die kirchenrechtliche Form nicht korrekt eingehalten worden war, ordnete Johannes XXII. im Juni 1321 eine zweite Untersuchung in Fossanova an, mit der nun die Bischöfe von Anagni und Terracina sowie erneut Pandulf Savelli betraut wurden. Dieses neue Mandat mit dem Titel Cum secundum evangelicam, das »in der Agenda ausgedehnte Übernahmen aus den hierin gleichlautenden Litterae Innocenz’ III. über Kunigunde, Gilbert und Wulfstan« zeigt, wurde selbst als Grundlage für die Kanonisierungsverfahren von Philipp von Bourges und Margarete von Ungarn benutzt (Krafft, Papsturkunde, 759). Bei der zweiten Befragung in Fossanova, die sich fast ausschließlich auf die miracula post mortem bezog, wurden im November 1321 über 100 Personen angehört. Wahrscheinlich war der auswärtige Informativprozess damit bereits Ende 1321 abgeschlossen, auch wenn die Heiligsprechung erst anderthalb Jahre später erfolgte. Vermutlich wollte Johannes XXII. »den Kultakt auf einen besonders geeigneten Termin legen […], der zwischen dem Bündnisschluß mit Johann von Böhmen und dem Prozeß gegen Kaiser Ludwig IV. lag und somit als Machtdemonstration politische Wirkung zeigen konnte« (Krafft, Papsturkunde, 759). Zudem legen es einige erhaltene Quellen über die Feierlichkeiten nahe, dass der Papst mit der Heiligsprechung von Thomas ein deutliches Zeichen zugunsten der
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gemäßigten dominikanischen Position im Armutsstreit und gegen die radikalen Franziskanerspiritualen setzen wollte. Nachdem in einem geheimen Konsistorium vom 4. Juli 1323 die Kanonisation endgültig beschlossen worden war, folgte am 14. oder 16. Juli ein öffentliches Konsistorium, bei dem der Papst in seiner Predigt über Ps 4,4 die Ergebnisse des Informationsprozesses zusammenfasste und insbesondere Thomas’ außerordentliche Gelehrsamkeit hervorhob. Mit seinem ausdrücklichen Lob für die apostolische Lebensweise der Dominikaner wandte sich Johannes XXII. aber auch ermahnend an das anwesende Königspaar von Neapel, das eher den radikalen Armutsvorstellungen der Spiritualen nahestand (vgl. Walz, Papst Johannes XXII., 43). Anschließend trug Petrus Canterii OP anstelle des erkrankten Postulators Johannes von Neapel OP im Namen des Dominikanerordens, der zur Deckung der Kosten auf dem Generalkapitel von Rouen 1320 von jedem Konvent den Beitrag von einem Florin erhoben hatte, die Bitte um die Heiligsprechung von Thomas vor. Dieser Bitte schlossen sich dann König Robert von Neapel, der eine Ansprache über Joh 5,35 hielt, und mehrere hochrangige Kirchenvertreter wie der Patriarch von Alexandrien, Odo Sala OP, an. Die letzte Predigt hielt bezeichnenderweise ein Bischof aus dem Franziskanerorden, nämlich Johannes de la Tixanderie OFM, Bischof von Lodève, der über das Bibelzitat Doctor gentium in fide (1 Tim 2,7) sprach. Die offizielle Heiligsprechung fand dann am 18. Juli 1323 in der festlich illuminierten Kirche Notre-Dame in Avignon statt und verlief nach dem üblichen Zeremoniell mit Veni Creator, der vorgeschriebenen Kanonisationsformel, dem Te Deum und der Feier der Messe zu Ehren des neuen Heiligen. Die sowohl im Original als auch in zahlreichen Abschriften erhaltene Heiligsprechungsbulle Redemptionem misit dominus, die in ihrer Schilderung von Thomas’ Biographie wiederholt auf die Zeugenaussagen des Informationsprozesses und Wilhelms Ystoria rekurriert und sogar an einer Stelle Aristoteles zitiert, ist auf denselben Tag datiert. Wie die überlieferten Rechnungsbücher des päpstlichen Küchenchefs nahelegen, zogen sich die Feierlichkeiten anlässlich der Heiligsprechung jedoch noch einige Tage bis zum 22. Juli hin. Lange hat man angenommen, dass Wilhelm von Tocco zum Zeitpunkt der Heiligsprechung bereits verstorben war, doch Claire le Brun-Gouanvic hat inzwischen nachgewiesen, dass der erste Thomasbiograph und Promotor des Kanonisationsverfahrens noch lebte und vermutlich nur wegen seines hohen Alters nicht mehr nach Avignon gereist ist (vgl. le Brun-Gouanvic, Ystoria). Seine in vier Fassungen erhaltene Thomasvita wurde später von Bernard Gui OP überarbeitet und fand weite Verbreitung. Im Laufe der Zeit wurden viele Thomaslegenden weiter ausgeschmückt; aber auch das Gerücht, Thomas sei von einem im Dienste Karls von Anjou stehenden Arzt vergiftet worden, hielt sich hartnäckig und hat sogar Eingang in Dantes Divina Commedia gefunden. Für den italienischen Dichter ist Thomas bereits der Theologe schlechthin.
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1369 ordnete Urban V. auf Drängen des Dominikanerordens die Überführung der Reliquien nach Toulouse und damit in einen Konvent des Ordens an, obwohl die Pariser Universität ebenfalls um sie gebeten hatte. Vermutlich wurde auch die Heiligsprechungsbulle, die lange als verschollen galt und erst in den 1920er Jahren wieder aufgefunden wurde, zusammen mit den Reliquien nach Toulouse gebracht. Nachdem sich bereits Johannes XXII. bei seiner Auswahl der Messgebete am Heiligsprechungstag an den liturgischen Texten für die lateinischen Kirchenlehrer orientiert hatte, erhob Pius V. (Michele Ghislieri OP, Pontifikat 1566–1572) Thomas mit der Bulle Mirabilis Deus vom 11. April 1567 offiziell zum Kirchenlehrer. Grabmann sah daher schon in der Heiligsprechung einen »entscheidenden Wendepunkt« in der Rezeption von Thomas’ Werk (Grabmann, Die Kanonisation, 235). Gerulaitis, Leonardas V.: The Canonization of Saint Thomas Aquinas, in: Vivarium 5 (1967), 25−46. Grabmann, Martin: Die Kanonisation des hl. Thomas von Aquin in ihrer Bedeutung für die Ausbreitung und Verteidigung seiner Lehre im 14. Jahrhundert, in: DT III. Serie 1 (1923), 233−249. Krafft, Otfried: Papsturkunde und Heiligsprechung. Die päpstlichen Kanonisationen vom Mittelalter bis zur Reformation. Ein Handbuch (ADipl Beiheft 9), Köln/Weimar/Wien 2005, 755 ff. Mandonnet, Pierre: La canonisation de Saint Thomas d’Aquin 1317−1323, in: BiblThom 3 (1924): Mélanges thomistes, 1−48. Walz, Angelus: Historia canonizationis Sancti Thomae de Aquino, in: Xenia thomistica 3 (1925), 105−172. Wielockx, Robert: Autour du procès de Thomas d’Aquin, in: Zimmermann, Albert (Hg.): Thomas von Aquin. Werk und Wirkung im Licht neuerer Forschungen. 25. Kölner Mediaevistentagung, 16. – 19. September 1986 (= MM 19), Berlin u. a. 1988, 413−438. Elias H. Füllenbach
II. Die Auseinandersetzungen um Thomas im ersten Jahrhundert nach seinem Tod Im Dominikanerorden ist schon bald nach dem Tod des Thomas die Tendenz spürbar, sein Denken nicht nur innerhalb des Ordens, sondern auch für die Kirche insgesamt als maßgeblich durchzusetzen (vgl. die Beschlüsse der Generalkapitel von Mailand 1278 [MOFPH 3, 199], Paris 1279 [a. a. O., 204 f.] und vor allem Paris 1286 [a. a. O., 235]). Diese Anstrengungen mussten zunächst zwei kirchliche Verurteilungen überwinden, die 1277 Aussagen des Thomas getroffen hatten. Am 7. März 1277, auf den Tag drei Jahre nach dem Tod des Thomas, hatte der Bischof von Paris, Étienne Tempier († 1279), im Rahmen der Auseinandersetzungen mit dem radikalen Aristotelismus an der dortigen Universität 219 Sätze als
II. Die Auseinandersetzungen um Thomas im ersten Jahrhundert nach seinem Tod
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heterodox verurteilt, unter denen sich auch Auffassungen des Thomas finden, ohne dass dieser jedoch direkt angegriffen wurde. Gleichfalls indirekt gegen Thomas gerichtet war die kurz danach ebenfalls von Bischof Tempier ausgesprochene Maßregelung des Augustinereremiten Aegidius Romanus († 1316), der bei Thomas studiert und Auffassungen von diesem übernommen hatte. Ein um diese Zeit von Tempier auch direkt gegen Thomas angestrengtes Verfahren wurde von der römischen Kurie an sich gezogen, dann aber nach mehreren Pontifikatswechseln 1285 von dem den Dominikanern freundlich gesonnenen Honorius IV. (1285–1287) wieder nach Paris zurückverwiesen, hier aber nicht dem Bischof, sondern den Magistern der Theologischen Fakultät anvertraut, da »der Papst die Angelegenheit eher als Schulfrage denn als Glaubensfrage erachtete« (Torrell, Magister Thomas, 315). Eine Verurteilung des Thomas kam nicht zustande, Aegidius Romanus wurde rehabilitiert. 1325 schließlich, zwei Jahre nach der Heiligsprechung des Thomas, nahm der Bischof von Paris, Étienne Bourret († 1325), diejenigen Teile der Verurteilung seines Vorgängers von 1277 zurück, die als gegen Thomas gerichtet betrachtet werden konnten. Anders verlief die Sache in England. Am 18. März 1277 hat der Erzbischof von Canterbury, der Dominikaner (!) Robert Kilwardby († 1279), mit Zustimmung aller Magister der Universität Oxford 30 Thesen verurteilt, unter denen sich auch die des Thomas zur Einheit der substantiellen Form finden. Sein Nachfolger John Peckham († 1292) aus dem Franziskanerorden, der schon als Magister in Paris zu den schärfsten Gegnern des Thomas gehört hatte, hat diese Zensuren bestätigt und 1286 um weitere ergänzt (vgl. Torrell, Magister Thomas, 316 f.). Diese Verurteilungen blieben jedoch lokal begrenzt. An der Universität Paris galt Thomas nach der Aussage seines Schülers und Mitarbeiters Ptolomaeus von Lucca bereits 1317 als communis doctor (»allgemeiner Lehrer«) (S. Thomae Aquinatis vitae fontes praecipu[i], ed. Angelico Ferrua, Alba 1968, 362). Auf wissenschaftlicher Ebene wurde der Streit um Thomas im sog. Korrektorien–Streit geführt. Der Franziskaner Wilhelm de la Mare († 1290) veröffentlichte um 1279 ein Correctorium, in dem er 118 Passagen aus dem Werk des Thomas aufführte und mit Korrekturen versah. Diese Schrift, die von den Verteidigern des Thomas Corruptorium genannt wurde, rief in den achtziger Jahren des 13. Jahrhunderts mehrere Gegenschriften von jungen Gelehrten aus dem Dominikanerorden auf den Plan, die dem Thomaskritiker Rationalismus vorwarfen und auf der Basis der thomasischen Unterscheidung von Glaube und Vernunft die Grenzen der letzteren herausstellten. Zugleich zeigen diese Korrektorien »das Selbstbewußtsein einer sich bildenden Schule« (Torrell, Magister Thomas, 320). Da aber auch den Anhängern des Thomas die Spannungen in seinem Werk, etwa zwischen Aussagen des frühen Sentenzenkommentars und solchen der späten Summa Theologiae, nicht verborgen blieben, haben sie sich um eine Vereinheitlichung bemüht. Während die einen die Unterschiede als denkerische Weiterentwicklung des Thomas interpretierten (melius dixit), haben andere die Widersprüche schlicht benannt (aliter dixit) und zu beseitigen versucht, teils auch,
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indem man in Anlehnung an das bekannte Vorgehen Augustins Retractationes verfasste und diese Thomas in den Mund legte (De concordantiis in quo concordat seipsum in passibus apparenter contrariis, Ed. Vives 28, 560–574). Aber auch innerhalb des Dominikanerordens war die Autorität des Thomas durchaus nicht unangefochten. Der entschiedenste Gegner war hier Durandus de S. Porciano (Saint–Pourçain) († 1334), der als Magister zunächst an der Universität Paris, dann am Päpstlichen Hof von Avignon und schließlich als Bischof, zuletzt von Meaux, wirkte. Durandus wurde von mehreren ordensinternen Instanzen gemaßregelt und musste seinen gegenüber Thomas kritischen Sentenzenkommentar mehrfach überarbeiten. Die teilweise sehr heftige Kritik hingegen, die der zeitweilig ebenfalls in Paris lehrende Dietrich von Freiberg († 1318/20) an seinem Mitbruder Thomas übte, scheint die Ordensoberen wenig interessiert zu haben. Einen Rückschlag erlitt die Thomasrezeption durch den erstaunlichen Siegeszug, den die von Thomas abgelehnte, von den Franziskanertheologen seit Johannes Duns Scotus († 1308) hingegen propagierte Lehre von der Immaculata conceptio Beatae Mariae Virginis (»Unbefleckten Empfängnis Mariens«) ab dem 14. Jahrhundert antrat. Der Streit der Dominikaner mit den Anhängern dieser Auffassung eskalierte 1387 in Paris, als der Dominikaner Johannes de Montesono († nach 1412) sich für die Ablehnung der neuen Lehre u. a. auf Thomas berief, und Pierre d’Ailly († 1420) im Namen der Universität erklärte, dieser sei ein Magister wie alle anderen, deren Lehre man annehmen oder ablehnen könne, und keine auctoritas (»Autorität«), der man zu folgen habe. Damit wandte er sich auch gegen Papst Urban V. (1362–1370), der am 31. August 1368 in einer Bulle den Magistern von Toulouse die Lehre des Thomas als benedicta et catholica (»gesegnet und katholisch«) zu befolgen aufgetragen und ein Jahr später die Übertragung der Gebeine des Heiligen von Fossanova nach Toulouse angeordnet hatte. Johannes de Montesono wurde im Sommer 1388 verurteilt und die Dominikaner, die vergeblich an den Papst appellierten, 1389 bis 1403 von der Universität Paris ausgeschlossen, an der das Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariens bereits seit einigen Jahren begangen wurde (vgl. Chenu, Maître). Mit allen Mitteln, auch mit Legendenbildungen und Fälschungen, suchten die Anhänger des Thomas, ihm Autorität zuzuerkennen. Dazu gehört auch die seit Ende des 15. Jahrhunderts und noch von Leo XIII. (1878–1903) in der für die Durchsetzung des Neuthomismus maßgeblichen Enzyklika Aeterni Patris vom 4. August 1879 (vgl. ASS 12 [1879] 97–115; 110) sowie bis weit ins 20. Jahrhundert Innozenz VI. (1352–1362) zugeschriebene Aussage, dass die Lehre des Thomas die aller anderen mit Ausnahme der Bibel sowohl an Angemessenheit der Ausdrucksweise als auch an Wahrheit der Aussagen überrage, so dass diejenigen, die sich an sie hielten, niemals vom Weg der Wahrheit abwichen und diejenigen, die sie angriffen, im Verdacht des Irrtums stünden. Diese Aussage, die sich bei dem Papst, dem man sie zuschreibt, nicht belegen lässt, geht, wie die Skotisten bereits im 17. Jahrhundert nachzuweisen suchten, im Kern zwar auf einen Papst zurück, Clemens VI. (1342–1352), wurde von diesem aber lange vor seiner Papstwahl in
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einer Predigt gemacht (vgl. Balić, Bedeutung, 188–194). In der wahrscheinlich am 7. März 1324 in Paris gehaltenen Predigt Ecce plus quam Salomon hic, von der zentrale Passagen ediert sind (Laurent, Pierre Roger, 167–170), begegnen zwar ähnliche Gedanken, aber keine wörtliche Übereinstimmungen mit dem Innozenz VI. zugeschriebenen Zitat. Chenu, Marie-Dominique: »Maître« Thomas est-il une »autorité« ? Note sur deux lieux théologiques au XIVe siècle, in: RThom 30 (1925), 187–194. Peter Walter
III. Reformatorische Auseinandersetzung Thomas von Aquin ist für die protestantischen Schriftsteller und Theologen des 16. Jahrhunderts Galionsfigur und Sinnbild einer verfehlten Theologie. Luther apostrophiert ihn, neben anderen, als »sawtheologen« (WA 56, 274,11–14), da seine theologische Systematik, derer sich auch die Schriftauslegung bedient, von rationalen Voraussetzungen her betrieben wird, die den auf die Schrift fokussierten evangelischen Lehraussagen schlicht zuwider laufen. Es ist heute unstrittig, dass mit dieser Einschätzung nicht nur Thomas, sondern ein Großteil der scholastischen Theologen zu Unrecht verurteilt werden. Denn es ist die Frage zu stellen, was die scharf urteilenden Kritiker des Thomas historisch von ihm gewusst haben – und was sie hätten wissen können –, vor allem aber, durch welche Veränderungen des originalen Thomas hindurch ihnen der spätmittelalterliche Thomismus den von Trient in den Rang eines Kirchenlehrers erhobenen Gelehrten vermittelte. Dass sich hier eine große Bandbreite höchst unterschiedlich qualifizierter Bezüge auf den Dominikanertheologen auftut, macht schon ein oberflächlicher Blick in die Werke etwa eines Thomas de Vio Cajetan OP, eines Johannes Eck, oder gar eines Alexander Prierias und Johannes Tetzel OP deutlich. So wenig deren Aufnahme des Thomas frei von zeitbedingten Überzeichnungen und Engführungen ist, so wenig unberührt ist die kontroverstheologische Polemik der Protestanten von Fehlurteilen und ungerechten Karikaturen. Die moderne Thomasrezeption geht nun freilich auch nicht unbelastet an die Aufarbeitung eines jahrhundertealten Missverhältnisses heran: kritisieren die einen in anachronistischer Weise die Thomasrezeption der evangelischen Theologen des 16. Jahrhunderts vor dem Hintergrund gegenwärtiger Einsichten in dessen Werk und Vermittlung, so sind andere Stellungnahmen ebenso unangemessen von dem ökumenischen Aufbruch aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts geprägt und nivellieren in guter Absicht, freilich historisch nicht immer berechtigt, die unterschiedlichen Ansätze und Formulierungen der Protagonisten ihres Vergleiches. Bei allen erreichten Fortschritten der Rezeptionsgeschichtsforschung kann von einem Konsens im Blick auf ein valides Untersuchungsverfahren noch nicht die Rede sein.
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Luther kritisiert Thomas vor allem wegen dessen ihm durch den spätmittelalterlichen Thomismus eines Gabriel Biel oder die Ordenstradition im Gefolge Aegidius Romanus’ und Augustinus Triumphus von Ancona OESA vermittelten vermeintlich falschen Ansatzes, Theologie zu treiben. Das macht Luther selbst – und die sich auf diese Passagen berufende Forschung – vor allem an dessen ha bitus-Lehre fest. In Aufnahme der in seinem Orden und in Erfurt insbesondere seit längerem heimischen Aristoteles-Kritik überträgt er diese im Bewusstsein der Übereinstimmung mit den maßgeblichen Autoritäten seiner Ausbildungstradition auf den hervorragendsten der ihm bekannten scholastischen Lehrer (WA 7, 737, 14–19). Auch wenn der artistische viae-Streit in Erfurt keine so gravierende Rolle mehr gespielt haben dürfte, stellt sich für den in nominalistischer Tradition erzogenen Augustiner die Frage eines angemessenen Umgangs mit dem Schrift- und Traditionszeugnis vor allem vor dem Hintergrund seiner eigenen existentiellen Auseinandersetzung mit Fragen der Heilsgewissheit, der Willensfreiheit und des Gehorsams gegenüber dem Liebesgebot. Er wird gleichsam zum »Opfer irreführender ›second-hand-Kenntnisse‹« (Pesch, Martin Luther, 89) seiner Lehrer, wenn er die theologische Innovation des Thomas als dem Schriftzeugnis diametral entgegengesetzt und der kirchlichen Lehre widersprechend interpretiert. Diese Einschätzung des Missverständnisses kann nun freilich auf der anderen Seite den grundsätzlichen Einwand Luthers gegenüber einer unangemessenen Ausdrucksweise nicht entkräften: Die ihm vermittelte scholastische Theologie bedient sich nicht des modus loquendi theologicus, sondern eines philosophischen oder menschlichen Duktus, wie er es insbesondere in seiner Kritik an Gabriel Biel deutlich werden lässt. Dieser, hermeneutisch in der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium kulminierende Unterschied manifestiert sich vor allem an der vielfach kritisierten Rede von Sünde und dem Sein des Menschen: »Das Reden von Gott wird unsachgemäß, wo der Mensch durch eine falsche Auslegung seiner selbst daran gehindert wird, sich als den zu verstehen, der er in Wahrheit ist.« (Mostert, Luthers Verhältnis, 360). Dies geschieht, weil Thomas und in seiner Folge zahlreiche Scholastiker die Schrift unangemessen in der Aristoteles entlehnten philosophischen Terminologie auslegen (WA.TR 1, 118, 1–3; 5, 686, 15–17; WA 8, 127, 3–36). Auch Melanchthon ist wohl schon bei Georg Simler, der noch nach der via antiqua in Köln erzogen worden war, einem soliden spätmittelalterlichen Thomismus und Aristotelismus begegnet. Im Studium lernte er später auch den gemä ßigten Nominalismus der Heidelberger, vor allem aber der Tübinger Fakultäten kennen. Früh findet sich bei ihm Kritik an der scholastischen Transsubstantiationslehre und an der Messopfertheologie, für die er insgesamt Thomas verantwortlich macht (Studienausgabe 1, 162–167). Freilich kann er sehr viel unbefangener mit Thomas umgehen, weil er dessen philosophische Grundlagen nicht in gleicher Weise strikt ablehnt wie Luther. Wohl wehrt auch er sich gegen eine unzulässige Vermischung theologischer und philosophischer Semantik, vermag aber die Philosophie des Aristoteles im Gewande der Rhetorik von Cicero durch-
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aus fruchtbar zu machen (Maurer, Melanchthon, I, 200; Kuropka, Melanch thon, 27 f.). Dass er die Werke des Dominikaners gelesen hatte und auch in Schriften traktiert, zeigen unterschiedliche, freilich in der Forschung bislang noch nicht weiter untersuchte Befunde, etwa seines umfangreichen de anima-Kommentars, in dem er auf erasmischer Grundlage die thomistische Affektenlehre rezipiert, der Auslegung von Sach 1,3 durch Anselm von Canterbury im Sinne einer passiven conversio, die er der aktiven Deutung des Thomas vorzieht. Die Unterscheidung von praecepta und consilia nutzt er zur Kritik an Thomas (Studienausgabe 4, 79–81, 148), ebenso wie die Neigung des Erasmus’, die Nächstenliebe durch moralische Tugenden zu ergänzen (Maurer, Melanchthon, II, 382). Insgesamt dürfte Melanchthon über recht gute Kenntnisse des Werkes von Thomas verfügt haben, freilich erwähnt er ihn recht selten. Huldrych Zwingli hat während seiner Studien in Basel vor allem bei Thomas Wyttenbach die ältere Schule und damit wohl auch die Scholastik eines Thomas kennengelernt. In seiner Bibliothek befanden sich zahlreiche Werke des Dominikaners sowie seiner prominenten Schüler Lambertus de Monte Domini und Johannes Capreolus. Seit der Übernahme des Pfarramtes in Glarus hat er sich dann aber vor allem auf der Basis des Werkes von Duns Scotus mit der Scholastik auseinandergesetzt. Diese Lektüre hatte bleibenden Wert und prägt seine Theologie nachhaltig. Er übernimmt das aristotelische Weltbild und stimmt darin zunächst mit Thomas überein. Ihm lehnt er sich zunächst auch in seiner Staatslehre an. In seiner Verteidigungsschrift Vom Erkiesen und Freiheit der Speisen wird aber deutlich, dass er sich zunehmend von der scholastischen Theologie löst (Zwinglis sämtliche Werke, Bd. 1, 74–136; bes. 109). Dies bestätigt der von ihm mitgetragene, wenn nicht initiierte Beschluss des Zürcher Rates vom 21. Juli 1522, mit dem Lambert von Avignon die Predigt untersagt wurde, weil er sich bei seiner Auslegung des Evangeliums gerade nicht der scholastischen Tradition enthalten hatte. Johannes Calvin setzt sich weniger explizit mit Thomas auseinander als vielmehr mit der Scholastik insgesamt. Sie wird weitgehend mit den théologiens sorboniques identifiziert, wobei dieses Bild nicht eindeutig ist. So kann etwa Petrus Lombardus positiv abgesetzt werden. Insofern darf sein verallgemeinernd negatives Urteil nicht darüber hinwegtäuschen, dass er sich im Blick auf die Methode, Themen und ihre systematische Entfaltung sehr wohl auf die scholastische Theologie beruft und durchaus von ihr lernt. Vor allem die systematischen Distinktionen und die praktische Logik der Quaestiones finden sich bei ihm wieder. Dies nicht immer bewusst, sondern zum Teil unter keiner expliziten Berufung auf die ihm vorausliegende Tradition. Die neuere Forschung (Steinmetz, Schreiner, Thompson und Pitkin) nimmt hierbei besonders die wachsende Rezeption der mittelalterlichen – scholastischen – Exegese wahr, die Calvin zunächst als Steinbruch für die ältere Tradition der Väter dient, sodann aber systematisch auch ihrer allgemeinen Verwerfung entzieht. Noch weitgehend unbekannt ist seine Stellungnahme zum Bibelausleger Thomas, der ihm auf vielerlei Weise begegnete.
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Mit diesen herausragenden Gestalten wird die Thomas-Rezeption bei den Reformatoren nicht hinreichend beschrieben. Es dürfte aber deutlich geworden sein, dass von einer einheitlichen Stellungnahme nicht die Rede ist. Exemplarisch sei dafür auf zwei Vertreter der evangelischen Bewegung hingewiesen, die noch einmal einen ganz anderen Zugang zu Thomas hatten als die Gründerväter der sich dann durchsetzenden Reformationen in Wittenberg, Zürich und Genf: Bal thasar Hubmaier und Andreas Bodenstein von Karlstadt. Ersterer wurde durch seine Studien bei Johannes Eck mit der nominalistischen via moderna vertraut und lernte in diesem Licht auch Thomas kennen. Später verwarf er die scholastische Bußlehre unter dem Einfluss der Werke Luthers und entwickelte in direkter Konfrontation zur mittelalterlichen Tauflehre von Thomas und vor allem Gabriel Biel seine Vorstellungen von der Geisttaufe. Karlstadt hingegen war in Wittenberg als Thomist für die Lehre in der via antiqua verantwortlich. Seine theologische Haltung verbindet sich mit hervorragenden Kenntnissen des Rechts und wird erst durch die intensive Lektüre von Augustins Schrift De spiritu et littera grundlegend verändert. Für zahlreiche andere reformatorische Theologen steht eine Analyse ihres Verhältnisses zu den Werken Thomas von Aquins und der sich auf ihn berufenden spätmittelalterlichen Theologen noch aus. Farthing, John L.: Thomas Aquinas and Gabriel Biel. Interpretations of St. Thomas Aquinas in German Nominalism on the Eve of the Reformation, London 1988. Hunsinger, George: Aquinas, Luther, and Calvin. Toward a Chalcedonian resolution of the Eucharistic controversies, in: Gregersen, Niels Henrik u. a.: The gift of Grace. The future of Lutheran theology, Minneapolis 2005, 181–193. Mostert, Walter: Luthers Verhältnis zur theologischen und philosophischen Überlieferung, in: Junghans, Helmar (Hg.): Leben und Werk Martin Luthers von 1526 bis 1546, Berlin 1983, I, 347–368; II, 839–849. Mühlen, Karl-Heinz zur: Luthers Kritik am scholastischen Aristotelismus in der 25. These der ›Heidelberger Disputation‹ von 1518, in: ders.: Reformatorisches Profil. Studien zur Theologie Martin Luthers und zur Reformationszeit, hg. von Athina Lexutt und Volkmar Ortmann, Göttingen 1995, 40–65. Muller, Richard: Scholasticism in Calvin: A question of Relation and Disjunction, in: Neuser, Wilhelm H./Armstrong, Brian G. (Hg.): Calvinus Sincerioris Religionis Vindes. Calvin as Protector of the Purer Religion, Kirksville 1997, 247–265. Markus Wriedt
IV. Die Ausbildung einer thomistischen Schule seit dem 15. Jahrhundert 1. Thomas von Aquin im »Wegestreit« Thomas musste sich nicht nur im speziellen Fall der Frage der Unbefleckten Empfängnis Mariens behaupten, sondern auch in der umfassenden Auseinanderset-
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zung zwischen den unterschiedlichen philosophischen und theologischen Auffassungen, die das 14. und 15. Jahrhundert bestimmte und als »Wegestreit« bezeichnet wird. Dabei ging es letztlich um die Frage der richtigen Aristotelesauslegung bzw. allgemein um das Verhältnis von Philosophie und Theologie. Während die einen sich bei der Interpretation des Aristoteles auf zeitgenössische Autoren (moderni) wie Wilhelm von Ockham († 1347) stützten (via moderna), orientierten sich die anderen an älteren Auslegern (antiqui) wie Thomas von Aquin, Albertus Magnus († 1280) oder Duns Scotus (via antiqua). Während letztere die dabei zutage tretenden Widersprüche zwischen den Aussagen des antiken Philosophen und dem christlichen Glauben durch Interpretation zu harmonisieren suchten, pochten erstere auf den Literalsinn der aristotelischen Schriften und nahmen eine Unvereinbarkeit zwischen Philosophie und Theologie in Kauf. Thomas und seine Anhänger gerieten im Verlauf dieser Auseinandersetzung in die Defensive gegen die via moderna, wie sich schon am Titel des für die Geschichte des Thomismus wohl wichtigsten Werkes des 15. Jahrhunderts zeigt, den Defensiones theologiae divi Thomae Aquinatis des in Paris, Toulouse und Rodez lehrenden Dominikaners Johannes Capreolus († 1444), des princeps Thomista rum (»Erster der Thomisten«), wie er auch genannt wird. Es handelt sich bei diesem zuerst in Venedig 1483/84 und dann vielfach gedruckten umfangreichen Werk (SOPMA 2, 395 f., zuletzt ed. Paban/Pègues, 7 Bde., Tours 1900–1908) um eine am Aufbau des Sentenzenbuches orientierte Darlegung der Lehre des Thomas, die diesen gegen alle Angriffe verteidigen will. Capreolus möchte dabei nihil de proprio […] influere, sed solum opiniones quae mihi videntur de mente s. Thomae fuisse recitare (»nichts Eigenes einfließen lassen, sondern allein die Meinung des Thomas wiedergeben«, Capreolus, Defensiones, In Sent. I prol., q. 1, ed. Paban/Pègues I, 1). Dabei werden Züge deutlich, die für den Schulthomismus insgesamt charakteristisch sind: Die Buchstabentreue gegenüber dem Text des Thomas fungiert als Wahrheitskriterium; es geht weniger um neue Einsichten als um die Vermittlung bereits vorhandenen Wissens, das sich zugleich als eine sich selbst verabsolutierende Tradition präsentiert (vgl. Bonino, Scuola, 61–67). 2. Thomistische Schulbildung und Etablierung der Summa Theologiae als theologisches Lehrbuch Zu einer ausgeprägten thomistischen Schulbildung kam es nicht in Paris, sondern in Köln. Thomas war hier zu kurz, um tiefere Spuren zu hinterlassen. Die beherrschende Gestalt blieb hier sein Lehrer Albertus Magnus. Auf ihn und auf Thomas greift der im ersten Viertel des 14. Jahrhunderts in Köln wirkende Dominikaner Nikolaus von Straßburg in seiner philosophischen Summa zurück, die zwar keinen eigenständigen Wert besitzt, aber wohl verfasst wurde, um mit Approbation der Oberen als Handbuch für die ordensinterne Ausbildung zu dienen. In Italien war im frühen 14. Jahrhundert der Versuch von Anhängern des Tho-
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mas gestoppt worden, dessen Summa Theologiae als theologisches Lehrbuch zu etablieren. Das Ordenskapitel in Perugia hielt 1308 mit Nachdruck an den Sentenzen des Petrus Lombardus († 1160) fest (vgl. MOFPH 20, 169). Das ein Jahr darauf stattfindende Generalkapitel von Saragossa hat diesen Beschluss nicht korrigiert, aber insofern modifiziert, als es den Orden auf die Werke und die Lehre des Thomas festlegte (vgl. MOFPH 4, 38). Damit standen die Dominikaner vor dem bereits angesprochenen Problem, dass Thomas in manchen Sachfragen später eine andere Position bezog als die in seinem Sentenzenkommentar geäußerte, dass dieser aber, da in Bezug auf das maßgebliche Lehrbuch verfasst, für den Schulbetrieb wichtiger war als die Summa Theologiae, welche die in seinen Augen wie in denen seiner Anhänger maßgebliche Position widerspiegelt. Hat er im Vorwort des Ersten Teils der Summa Theologiae doch kritisiert, dass den Anfängern der Einstieg in die Theologie erschwert werde, weil die Lehrer sich als Kommentatoren an vorhandenen Werken (librorum expositio) und nicht an der sachlich gebotenen Reihenfolge (ordo disciplinae) orientieren müssen (STh I prol.; Ed. Leonina 4, 5). So kommt es, dass selbst die groß angelegte Verteidigung des Thomas durch Capreolus sich am Aufbau des Sentenzenbuches orientiert. Die Ablösung der Sentenzen des Lombarden als theologisches Lehrbuch, welche schon lange auch von anderen als Desiderat empfunden wurde, durch die Summa Theologiae gelang erst im 16. Jahrhundert. Dabei kommt den Kölner Thomisten eine gewisse Vorreiterrolle zu (vgl. Höhn). Hier hat der Gründer der Montana-Burse, der aus Paris kommende Heinrich von Gorkum († 1431), ein Kompendium der Summa Theologiae verfasst, das 1473 in Esslingen gedruckt wurde und in die Reihe der für den Schulgebrauch geschriebenen Abbreviationes der Summa gehört, welche die Hochschätzung dieses Werkes belegen, aber in ihrer Kürze kaum geeignet waren, die Argumentation des Thomas nachzuvollziehen. Heinrichs aus der Diözese Tournai stammender Schüler Johannes Tinctoris († 1469), der eine Zeitlang in Köln dozierte, scheint als erster seinen theologischen Vorlesungen neben den Sentenzen die Summa Theologiae des Thomas von Aquin zugrunde gelegt zu haben. Sein Schüler Gerhard von Elten OP († 1484) hat diesen Brauch in Köln weitergepflegt. Dessen Schüler haben ihn an anderen Universitäten etabliert, so in Wien, Freiburg i. Br., Rostock und Greifswald. Der bedeutendste Kommentar zur Summa Theologiae aus der Feder eines deutschen Theologen stammt von dem ab 1507 in Heidelberg und von 1511 an in Köln lehrenden Dominikaner Konrad Koellin († 1536), dessen Expositio in Primam Secundae als erster in Deutschland gedruckter Thomas-Kommentar 1512 in Köln erschien (SOP 2, 100). Aber auch er kann sich nicht messen mit demjenigen des gleichfalls dem Dominikanerorden angehörenden Thomas de Vio genannt Cajetan (1469–1534), des späteren Kardinals und Luther-Gegners. Dieser erklärte 1497–1499 in Pavia die Summa Theologiae und veröffentlichte den ersten vollständigen Kommentar dazu (Rom 1507–1522 u. ö. [SOP 2, 16]), der in der Editio Piana wie in der Ed. Leonina (s. u.) der Summa Theologiae mit abgedruckt wurde und dadurch quasi kanonische Geltung erlangte. In Paris kommentierte der aus
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Brüssel stammende Dominikaner Petrus Crockaert († 1514) seit 1509 die Summa Theologiae in seinen Vorlesungen. Hier hat Francisco de Vitoria OP (1483–1546) diesen Brauch kennengelernt, ihn später in Salamanca etabliert und ihm aufgrund seiner Autorität weltweit zur Durchsetzung verholfen. Vitoria zog die Summa den Sentenzen vor, weil in jener ethische Probleme einen großen Raum einnehmen. Er suchte die Lehre des Thomas auf aktuelle ökonomische, politische und ethische Fragestellungen hin weiterzudenken, während die in Salamanca lehrenden Theologen der nachfolgenden Generationen, unter denen Domingo Báñez († 1604) hervorragt, eine eher am Buchstaben orientierte binnentheologisch enge Thomasinterpretation pflegten. Nicht nur im Bereich der Theologie, sondern auch in dem des Studiums der artes bzw. der Philosophie sorgten die Kölner Thomisten für die Durchsetzung der thomasischen Philosophie (vgl. Tewes, Bursen, 470–664). In dem die Zeit vor der Reformation wie keine andere Frage entzweienden Streit um die Konfiskation und Vernichtung der »Judenbücher« standen die Kölner Thomisten im Gegensatz zu den an Albertus Magnus orientierten Albertisten, die den konvertierten Juden Johannes Pfefferkorn (1469–1522/23) unterstützten, auf der Seite Johannes Reuchlins (1455–1522) und der mit diesem sympathisierenden Humanisten. Die gegen die Kölner Theologen gerichteten Dunkelmännerbriefe treffen darum vor allem die dortigen Albertisten, nicht die Thomisten. Auch die Gegner Luthers an der Kölner Universität sind unter den Albertisten und nicht unter den Thomisten zu finden, die in jenem eher den Reformer begrüßten (vgl. Tewes, Bursen, 781–786). Innerhalb des Dominikanerordens übernahmen erst im 16. Jahrhundert einige unabhängige Geister wie Francisco de Vitoria und Ambrosius Catharinus (1484– 1553) die Lehre von der Unbefleckten Empfängnis, da sie in der wachsenden Zustimmung unter den Theologen wie in der Kirche insgesamt ein Kriterium für deren Wahrheit sahen. Thomas, so verteidigten sie ihr Vorgehen gegen die nach wie vor starke ordensinterne Opposition, sei nicht wie die Bibel wörtlich auszulegen. Catharinus mutmaßte gar, Thomas würde wegen seiner Aufmerksamkeit für die kirchliche Praxis, lebte er heute, die neue Lehre annehmen (vgl. Horst, Diskussion, 80. 98 Anm. 307). 3. Thomas auf und unmittelbar nach dem Konzil von Trient (1545–1563) Die »theologischen Schulen« bildeten auf dem Konzil von Trient – neben den Thomisten und Skotisten sind noch die eher antischolastisch eingestellten »Augustiner« und andere Gruppierungen, wie etwa stark vom Humanismus beeinflusste und deshalb mehr oder weniger gegen die Scholastik eingenommene Theologen, zu nennen – keineswegs geschlossene Schlachtreihen. Auch die Ordenszugehörigkeit bedeutete nicht automatisch die Anhängerschaft an eine
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Denkrichtung, wie etwa der Fall des Catharinus zeigt, der in der Rechtfertigungsdebatte eine skotistische Position einnahm. Die Zahl der skotistisch orientierten Theologen unter den Konzilsteilnehmern war weitaus größer als die der Thomisten, was natürlich noch nichts über ihren faktischen Einfluss sagt. Streng an Thomas orientiert waren auch unter den Dominikanern in der Rechtfertigungsdebatte nur der Ordensgeneral, Francesco Romeo da Castiglione († 1552), und dessen bevorzugter Theologe Domingo de Soto (1495–1560) sowie einige Konzilsväter. Im Falle Sotos führte dieser enge Anschluss an Thomas dazu, dass er sich gegen die »moderne« Thomas-Interpretation Cajetans stellte, die das Auseinanderdividieren von Natur und Übernatur vorbereitete und letztlich in die »Zwei-Stockwerke-Theorie« der Neuscholastik mündete. Andererseits orientierten sich auch Theologen aus anderen Orden an Thomas wie der Franziskanerobservant Andrés de Vega (1498–1549), der bei Vitoria studiert, diesen zeitweilig vertreten und in Salamanca mehrere Jahre den Thomas-Lehrstuhl innehatte. Für die Zukunft des Thomismus besonders wichtig war, dass die Theologen aus dem noch jungen, aber bereits sehr einflussreichen Jesuitenorden Thomas auf ihre Fahnen schrieben, wie Alfonso Salmerón (1515–1585) und Diego Laínez (1512–1565), die zu den ersten Gefährten des Ordensgründers Ignatius von Loyola (1491–1556) gehörten und an allen Tagungsperioden des Tridentinums teilnahmen. Insgesamt aber suchte das Konzil, was die Bevorzugung von Schulmeinungen angeht, sich konsequent neutral zu verhalten und schon in terminologischer Hinsicht die Festlegung auf die eine oder andere Schulmeinung zu vermeiden und eher offen zu formulieren (vgl. Stakemeier, Schulen, 197 f.). Während das Konzil von Florenz sich bei der Darlegung der Sakramententheologie in seinem Armenierdekret vom 22. November 1439 (DH 1310–1328) weitgehend auf das Opusculum des Thomas De articulis fidei et Ecclesiae sacramentis (ed. Mandonnet, S. Thomae Aquinatis Opuscula omnia III, 11–18) gestützt hatte, konzentrierte das Tridentinum sich auf die durch die Reformatoren ausgelösten Probleme. Die zwischen Thomisten und Skotisten diskutierte Frage nach der Kausalität der Sakramente (die ersteren plädierten für eine »physische«, die letzteren für eine »moralische«) wurde nicht entschieden. Diese Zurückhaltung des Konzils selbst konnte freilich nicht verhindern, dass später versucht wurde, den Einfluss des Thomas bzw. des Thomismus auf die Konzilsergebnisse zu betonen und dass die thomistische Interpretation auf lange Sicht die Oberhand gewann. Dazu gehört die Behauptung, die sich über Aeterni Patris (vgl. ASS 12 [1879] 110) bis ins 20. Jahrhundert und in seriöse Publikationen hinein (etwa Fabro, Introduzione, 161) gehalten hat, dass während der Sitzungen des Trienter Konzils neben der Heiligen Schrift und den päpstlichen Dekreten auch die Summa Theologiae auf dem Altar gelegen habe (vgl. Balić, Bedeutung, 195–197). Es handelt sich dabei freilich um eine im 17. Jahrhundert entstandene Legende, bei deren Verbreitung aus einem Tisch ein Altar wurde. Der Thomist Jean Baptiste Gonet OP († 1681), dem man nachrühmt, mehr Thomisten hervorgebracht zu haben als Thomas, hat sie zugespitzt, indem er nur von
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der Bibel und der Summa redet (Gonet, Clypeus theologiae thomisticae, 16 Bde., Bordeaux 1659–1669 [SOP 2, 692 f.], hier Bd. 1, Nachdr.: Paris 1875, 21; vgl. Abbrescia, Leggenda). Der dem Dominikanerorden angehörende Papst Pius V. (1566–1572) hat die Erhebung des doctor angelicus, wie Thomas seit Mitte des 15. Jahrhunderts auch genannt wurde (Torrell, Magister Thomas, 337 f.), zum Kirchenlehrer in seiner Bulle vom 11. April 1567 u. a. damit begründet, dass durch die Lehre des Thomas die nach seinem Tod aufgetretenen Irrlehren besiegt worden seien, wie man in den Entscheidungen des jüngst stattgehabten Trienter Konzils mit Gewissheit erkennen könne (vgl. MBR 2, 1727, 238 f.). Thomas war der erste nachpatristische Theologe, dem der Ehrentitel eines doctor ecclesiae (»Kirchenlehrer«) offiziell zuerkannt wurde, mit dem ihn die Dominikaner bereits seit längerer Zeit schmückten. 1568 wurden übrigens den bereits seit dem 8. Jahrhundert so genannten Kirchenlehrern aus dem lateinischen Westen Ambrosius, Augustinus, Hieronymus und Gregor dem Großen die Griechen Athanasius, Basilius, Gregor von Nazianz und Johannes Chrysostomus faktisch beigesellt, indem sie im neu herausgegebenen Breviarum Romanum unter diesem Titel geführt wurden. Die Franziskaner konnten erst 1588 mit ihrem Ordensheiligen Bonaventura (1217–1274) gleichziehen, der von Sixtus V. (1585–1590), einem Franziskanerkonventualen, zu dieser Ehre erhoben wurde (vgl. Smolinsky, Art. Kirchenlehrer). Am 29. Juli 1570 verpflichtete Pius V. den traditionell und bis heute dem Dominikanerorden angehörenden Magister Sacri Palatii (»päpstlichen Hoftheologen« ) auf die Lehre des hl. Thomas, die von der Kirche rezipiert und sicherer und gewisser sei als andere (vgl. v. Pastor, Geschichte, 147 Anm. 3). Wichtiger jedoch als diese »Absichtserklärungen« erwies sich auf die Dauer die von diesem Papst in Auftrag gegebene und nach ihm benannte siebzehnbändige Ed. Piana der Werke des Thomas von Aquin, die in »einer unglaublichen Arbeitsleistung […] geschaffen und 1569 (mit Erscheinungsjahr 1570) gedruckt« wurde (Arnold, Zensur, 101). Beigegeben war der Kommentar Kardinal Cajetans zur Summa Theologiae, der, angeblich mit Berufung auf das Tridentinum, faktisch aber, wie Arnold gezeigt hat, wegen Abweichungen vom mittlerweile ordensintern geltenden Thomismus purgiert worden war (vgl. Arnold, Zensur, 102 f. u. ö.). 4. Die Förderung des Thomismus durch die Orden Der Orden, dem Thomas angehörte, hat auf seinem 1569 in Rom abgehaltenen Generalkapitel seine Mitglieder erneut und unter Strafandrohung auf dessen Lehre verpflichtet (MOFPH 10, 92). Dies wird bereits im Namen der 1580 von Gregor XIII. (1572–1585) in Rom im Rahmen einer Gründungswelle ähnlicher Institutionen errichteten theologischen Ausbildungsstätte der Dominikaner, dem Kolleg des Thomas von Aquin, deutlich, das, da es bei der Kirche S. Maria sopra Minerva lag, meist jedoch Kolleg der Minerva genannt wurde. Der zweite Orden,
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der nach Trient seine Mitglieder auf die Summa Theologiae des Thomas festlegte, waren die Jesuiten. Hatte Ignatius in seinem 1548 erstmals gedruckten Exerzitienbuch in der elften Regel zur Erlangung einer kirchlichen Gesinnung Thomas zusammen mit Bonaventura und Petrus Lombardus unter den empfehlenswerten neueren Theologen genannt (vgl. MHSJ 100, 410 f.; vgl. dazu Ruhstorfer, Prinzip, 354–357), erhielt Thomas in den zur selben Zeit ausgearbeiteten Konstitutionen der Gesellschaft Jesu (vgl. MHSJ 92, 296 f.) sowie in der endgültigen Fassung der Ratio atque institutio studiorum Societatis Iesu (»Studienordnung der Gesellschaft Jesu«) von 1599 quasi eine Monopolstellung. Dies bedeutete allerdings keine sklavische Gefolgschaft; in begründeten Ausnahmefällen durften die Professoren durchaus von seiner Lehre abweichen, nicht zuletzt in der Frage der Unbefleckten Empfängnis, in der sich der Orden dem »mainstream« angeschlossen hatte (vgl. MHSJ 129, 388–394). Von Francisco de Toledo († 1596) stammt der erste große Kommentar eines Jesuiten zur Summa Theologiae; allerdings wurde dieser erst im 19. Jahrhundert veröffentlicht (Ed. Paria, Rom 1869/70 [BCJ 8, 79]). Er interpretiert den Text mit einer gewissen Freiheit, ebenso wie sein Schüler Luis de Molina (1535–1600) (Commentaria in primam Divi Thomae partem, [BCJ 5, 1175]). Dieser löste mit seinem Werk Concordia liberi arbitrii cum gratiae donis […] ([BCJ 5, 1169 f.]; Ed. Rabeneck), in dem er die Gnadenlehre des Dominikaners und strengen Thomisten Domingo Báñez angriff, den sog. Gnadenstreit aus. Letztlich ging es dabei um eine Frage der rechten Thomasinterpretation. Báñez suchte das Problem des Zueinander von göttlicher Gnade und menschlicher Freiheit im Gefolge des Thomas als Verhältnis von Erst– und Zweit ursache zu erklären, wobei er mit dem Begriff der praemotio physica (»natürliche Vorausbewegung«) die thomasische Ursachenordnung bezüglich des freien Willens in Richtung eines Determinismus verschärfte. Molina hingegen, der diese Position des »Lutheranismus« bezichtigte, wertete die menschliche Freiheit auf, die für ihn mit der göttlichen Gnade zusammenwirkt (concursus simultaneus). Der Streit, der sich über fast zwei Jahrzehnte und über mehrere Instanzen hinzog und in dem der von Molina vertretenen Position mehrfach eine Verurteilung drohte, endete 1607 mit der von Papst Paul V. (1605–1621) verfügten Auflösung der eigens dafür geschaffenen römischen Kommission (Congregatio de auxiliis) und dem über die Parteien verhängten Verbot wechselseitiger Verketzerung (vgl. Ruhstorfer, Art. Gnadenstreit). Molinas Mitbruder und Verteidiger Gregorio de Valencia (1549–1603), der 20 Jahre in Dillingen und Ingolstadt lehrte und dabei eine ganze Theologengeneration für Deutschland heranbildete, schuf einen neuen Typ von Kommentar zur Summa Theologiae: Er folgte deren Aufbau, kommentierte jedoch nicht in erster Linie den Text, sondern behandelte die von Thomas vorgegebenen Themen (Commentariorum theologicorum tomi quatuor, in quibus omnes materiae, quae continentur in Summa Divi Thomae Aquinatis, explicantur, [vgl. BCJ 8, 396–398]). Ähnlich hielt es der wohl originellste unter den frühen Jesuitentheologen, Francisco Suárez (1548–1617), der in loser Folge mehr oder weniger die gesamte Sum-
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ma Theologiae kommentierte. Er begann mit dem Kommentar zur tertia pars in vier Bänden (vgl. BCJ 7, 1661–1664 [Nr. 1–3]. 1666 f. [Nr. 6]), welchem er denjenigen zur prima in zwei Bänden (ebd., 1669 [Nr. 8]. 1675 [Nr. 13]) sowie zur secunda secundae und schließlich zur prima secundae in jeweils einem Band folgen ließ (ebd., 1676 f. [Nr. 17]. 1679 [Nr. 21]). Dabei legte er eine große Eigenständigkeit gegenüber Thomas wie gegenüber den mittlerweile etablierten ordensinternen Positionen an den Tag. Molinismus und Suarezianismus sind die beiden Formen, die die von Jesuiten betriebene Philosophie und Theologie fortan hauptsächlich prägten. Der Dominikanerorden brachte im 17. und 18. Jahrhundert nochmals eine Reihe von Kommentaren zur Summa Theologiae hervor. Von »geradezu kanonischer Bedeutung« (Leinsle, Einführung, 275) ist derjenige des portugiesischen Dominikaners Johannes a Sancto Thoma (1589–1644): Cursus theologicus (SOP 2, 538 f.; Ed. Solesmes). Er veröffentlichte auch einen an Aristoteles und Thomas orientierten Cursus Philosophicus Thomisticus (SOP 2, 538; Ed. Reiser). Johannes hat mit seinem Kommentar, der die Summa Theologiae nicht wörtlich, sondern systematisch interpretierte, die Thomisten der folgenden Jahrhunderte geprägt. Neben Jean Baptiste Gonet (s. o.) sind hier vor allem Vincenzo Lodovico Gotti (1664–1742) und Charles René Billuart (1685–1757) zu nennen. Ersterer verfasste eine umfangreiche Dogmatik mit dem für die Zeit typischen Titel Theologia scholastico-dogmatica iuxta mentem D. Thomae Aquinatis (16 Bde. [SOP Suppl. 734]). Letzterer versuchte in seinen beiden Werken Summa s. Thomae hodiernis academiarum moribus accommodata (19 Bde.) und Summa Summae s. Thomae sive Compendium theologiae (6 Bde.) eine historische Thomasauslegung mit den durch Reformation und Jansenismus geprägten Fragestellungen zu verbinden. Neben diesen von Dominikanern geschriebenen Werken ist für diese Phase des Thomismus auch der von Unbeschuhten Karmeliten in Salamanca verfasste Cursus Theologiae Salmanticensis (Erstausg.: 12 Bde., Salamanca 1631–1712; 20 Bde., Paris 1870–1882) zu nennen, in dem ausgewählte Quästionen der Summa Theologiae kommentiert werden. Abbrescia, Domenico: Una leggenda plurisecolare. La »Summa Theologiae« di S. Tommaso, sull’altare del Concilio di Trento, in: MDom 65 (1948), 129–136. Bonino, Serge-Thomas: La scuola tomista nel secolo XV, in: Biffi, Inos/Marabelli, Constante (Hg.): La teologia dal XV al XVII secolo. Metodi e prospettive. Atti del XIII Colloquio Internazionale di Teologia di Lugano. Lugano, 28–29 Maggio 1999, Mailand 2000, 57–70. Höhn, Erich: Köln als Ort der ersten Kommentare zur »Summa theologiae« des Thomas von Aquin, in: Eckert, Willehad Paul (Hg.): Thomas von Aquino. Interpretation und Rezeption. Studien und Texte (WSAMA.P 5), Mainz 1974, 641–655. Stakemeier, Eduard: Die theologischen Schulen auf dem Trienter Konzil während der Rechtfertigungsverhandlungen, in: ThQ 117 (1936), 188–207. 322–350. 466–504. Tewes, Götz-Rüdiger: Die Bursen der Kölner Artisten-Fakultät bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts (Studien zur Geschichte der Universität Köln 13), Köln u. a. 1993. Peter Walter
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V. Der Neuthomismus An diese, nie ganz erloschene thomistische Tradition knüpfte der Neuthomismus des 19. Jahrhunderts an, der zur neuscholastischen Bewegung insgesamt gehört, die nach dem durch Aufklärung und Französische Revolution verursachten Bruch den Anschluss an die zuvor an katholischen Lehranstalten gepflegte Philosophie und Theologie wiederherzustellen suchte. Der gegen Ende des 19. Jahrhunderts geprägte Begriff Neuthomismus wurde und wird, v. a. in fremdsprachiger Literatur, häufig synonym mit dem älteren, um die Jahrhundertmitte bereits gebrauchten der Neuscholastik verwendet. Insofern diese nicht einfach auf thomistische Positionen eingeengt werden darf, da es auch andere gab, wie den Suarezianismus der Jesuiten und den Skotismus der Franziskaner, sollte die Bezeichnung Neuthomismus denjenigen vorbehalten bleiben, die Thomas von Aquin auf ihre Fahnen schrieben. Insgesamt hat sich der Neuthomismus hauptsächlich in philosophischer Hinsicht profiliert, weswegen dieser Aspekt hier im Vordergrund steht (für das Folgende grundlegend Coreth, Christliche Philosophie; Prouvost, Thomas d’Aquin). 1. Die Entstehung des Neuthomismus in Italien und die ersten Zentren Seinen Ursprung nahm der Neuthomismus in Italien. Die in der älteren Literatur behauptete Vorreiterrolle des Kanonikers Vincenzo Buzzetti (1777–1824) aus Piacenza ist jedoch zu relativieren. Sowohl vor als auch neben diesem gab es thomistische Traditionen, an die angeknüpft werden konnte: 1) An den Lehranstalten des Dominikanerordens hatten v. a. philosophische Lehrbücher wie die vierbändige Philosophia iuxta inconcussa tutissimaque D. Thomae dogmata (Lyon 1671 u. ö. [SOP 2, 739]) von Antoine Goudin (1639–1695) und Salvatore Maria Rosellis (1722–1784) sechsbändige Summa Philosophica ad mentem Angelici Doctoris (Rom 1777–1783 u. ö.) großen Einfluss. Diese Ordenstradition wurde im 19. Jahrhundert von den späteren Kardinälen Tommaso Maria Zigliara (1833–1893) in Italien und Cefirino González (1831–1894) in Spanien fortgesetzt. Zigliara verfasste eine vielfach aufgelegte thomistische Summa philosophica in usum scholarum (3 Bde., Rom 1876 u. ö.), deren Einführung als Lehrbuch an zahlreichen kirchlichen Studienhäusern weltweit durch seine Autorität als Präfekt der Studienkongregation (1887–1893) noch befördert wurde. González, der viele Jahre auf den Philippinen lehrte, veröffentlichte seine für die Etablierung des Neuthomismus im spanischsprachigen Bereich wichtigen Estudios sobre la filosofía de Santo Tomás 1864 in Manila. An Goudin knüpfte auch der erste deutsche Philosoph und Theologe des 19. Jahrhunderts an, der sich als Thomist verstand, Hermann Ernst Plassmann (1817–1864). Da er in Deutschland nicht reüssieren konnte, verfasste er sein mehrbändiges Werk Die Schule des hl. Thomas von Aquino (5
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Bde. und 1 Suppl.-Bd., Paderborn/Soest 1859–1862) im Umkreis der römischen Dominikanerhochschule. 2) Am 1751 eröffneten Collegio Alberoni der Lazaristen in Piacenza wurde zunächst ein eher eklektischer Thomismus gepflegt, den der bereits genannte Buzzetti für seinen Unterricht am dortigen Priesterseminar übernahm. Später wurden diese Bestrebungen v. a. durch Alberto Barberis (1847–1896) in strengere thomistische Bahnen gelenkt. Dieser gründete die seit 1880 in Piacenza erscheinende Zeitschrift Divus Thomas, welche von der gleichnamigen, zunächst von Ernst Commer (s. u.), dann von den Dominikanern der Universität Fribourg herausgegebenen zu unterscheiden ist, und die beide für die Verbreitung des Neuthomismus große Bedeutung haben. 3) In Neapel, sozusagen in der Heimat des Thomas, gründete Gaetano Sanseverino (1811–1865) zur Verbreitung des Neuthomismus sowohl 1841 die Zeitschrift La Scienza e la Fede als auch 1846 die »Accademia di Filosofia tomista«, die erste thomistische Akademie, die 1874 in »Accademia di S. Tommaso d’Aquino« umbenannt wurde. Unterstützt wurde er durch Nunzio Signoriello (1820–1889), der das Lexicon Peripateticum Philosophico-theologicum (Neapel 1854, 31881) verfasste. Aus dieser Schule ging Salvatore Talamo (1844–1932) hervor, der, v. a. im Hinblick auf gesellschaftspolitische Fragen, den Gegenwartsbezug des Thomismus aufzuzeigen versuchte. 4) Die Gesellschaft Jesu, später eine entscheidende Verfechterin des Neuthomismus, verhielt sich anfangs eher reserviert. Der Neuthomismus fasste in ihr Fuß zunächst bei den Mitarbeitern der 1850 in Neapel gegründeten Zeitschrift La Civiltà Cattolica: Carlo Maria Curci (1809–1891), Matteo Liberatore (1810–1892) und Luigi Taparelli d’Azeglio (1793–1862). Am Collegium Romanum (der heutigen Päpstlichen Universität Gregoriana) konnte diese Ausrichtung unter massivem Druck Leos XIII. etabliert werden. 2. Die Durchsetzung unter Leo XIII. Papst Leo XIII. verhalf dem Neuthomismus seit Beginn seines Pontifikats zielstrebig zur Durchsetzung: durch die programmatische Enzyklika Aeterni Patris (1879), die Absetzung zahlreicher Gegner an den römischen Lehranstalten, die Gründung einer eigenen thomistischen Akademie (»Accademia Romana di San Tommaso« [1880]), die Ed. Leonina der Werke des Thomas und weitere flankierende Maßnahmen wie etwa die Ernennung entschiedener Neuthomisten zu Präfekten der Studienkongregation, beginnend mit seinem Bruder Giuseppe Pecci (1807–1889), dem Zigliara (s. o.) und Mazzella (s. u.) nachfolgten. Nach Aeterni Patris hat die Philosophie in Bezug auf den Glauben mehrere Aufgaben: 1. soll sie den Weg zum wahren Glauben bahnen und die Menschen auf die Annahme der Offenbarung vorbereiten, indem sie die Existenz Gottes beweist, seine Eigenschaften erörtert und die Glaubwürdigkeitsgründe für die göttliche Offenbarung darlegt; 2. ist ihr Einsatz zur wissenschaftlichen Ausgestaltung der Theologie erforderlich; 3. hat sie die von Gott offenbarten Wahrheiten
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zu schützen. In besonders gelungener Weise hat der als catholicae Ecclesiae singulare praesidium et decus (»einzigartiger Schutz und Zierde der katholischen Kirche« [ASS 12 [1879], 108]) bezeichnete Thomas von Aquin dies verwirklicht, an dem sich die meisten Orden und Universitäten orientieren und auf den Päpste und Konzilien (wie Innozenz VI. und das Konzil von Trient [s. o.]) hinweisen. Die Reformation des 16. Jahrhunderts, welche durch einen Pluralismus der Meinungen die einheitliche Lehre zerstört habe, sei Schuld an dem erschreckenden Zustand der Philosophie wie der Gesellschaft, den der Papst beklagt. Umso mehr lobt er die in der Gegenwart unternommenen Versuche, durch Rückgriff auf die Lehre des Thomas von Aquin die Philosophie zu erneuern, und empfiehlt diese zur Nachahmung. Dadurch sollen zum einen die Jugendlichen, vor allem die künftigen Geistlichen, zum tatkräftigen Einsatz für den Glauben gerüstet und zum anderen möglichst viele aus der Entfremdung von Glaube und Kirche zurückgewonnen werden. Dies würde zur Stabilisierung der Gesellschaft insgesamt beitragen. Anschließend geht die Enzyklika auch auf das Verhältnis von thomistischer Philosophie und Naturwissenschaften ein. In seinen Schlussermahnungen betont Leo XIII. den sapientialen Charakter der Lehre des Thomas und fordert, sie aus den Quellen selbst zu schöpfen. In diesem Zusammenhang macht er, was als einzige Einschränkung in diesem insgesamt sehr affirmativen Text gesehen werden kann, deutlich, dass es nicht um eine einfache Repristination der Scholastik gehen kann, die die Zeitbedingtheit mancher Aussagen und die weitere Entwicklung außer Acht lässt. In Bezug auf die Einschätzung der neuzeitlichen philosophischen und gesellschaftlichen Entwicklung wie hinsichtlich der mit der Wiederaufnahme der thomistischen Prinzipien verbundenen Hoffnungen liefert Aeterni Patris eine Zusammenfassung der Grundgedanken des Neuthomismus. Die hier vertretene Sicht der mittelalterlichen Scholastik, vor allem der Position des Thomas von Aquin innerhalb derselben, kann nur als vereinfachend bezeichnet werden. Man mag ihr zugute halten, dass die historische Erforschung der Scholastik, die ein differenzierteres Bild bietet, noch in ihren Anfängen steckte bzw. innerhalb der katholischen Forschung noch nicht genügend zur Kenntnis genommen wurde. Die von Leo XIII. gewünschte Neuausgabe der Werke des Thomas, die nach ihm benannte Ed. Leonina, wurde mit dem ersten, von Kardinal Zigliara edierten Band 1882 eröffnet. Abgeschlossen ist sie noch immer nicht. Während die ersten Bände noch keineswegs den heute üblichen Ansprüchen an eine kritische Edition eines mittelalterlichen Autors entsprechen, haben die Herausgeber der Ed. Leonina im Laufe der Zeit selber diese Maßstäbe mit gesetzt. Wie in der von Pius V. in Auftrag gegebenen Editio Piana wurde auch hier dem Text der Summa Theologiae der Kommentar Cajetans beigegeben.
V. Der Neuthomismus
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3. Propagatoren des Neuthomismus Insofern der Neuthomismus an frühere Traditionen anknüpft, verwundert es kaum, dass seine Hauptvertreter im Umkreis der beiden Orden zu suchen sind, der Dominikaner und Jesuiten, die auch in der Vergangenheit die Lehre des Thomas von Aquin besonders favorisiert hatten. Neuthomisten, die keinem der beiden Orden angehören, sind eher die Ausnahme. 3.1. Im Umkreis des Dominikanerordens
Eine Hochburg des Neuthomismus war und blieb die römische Hochschule der Dominikaner, das Thomas- bzw. Minervakolleg. Leo XIII. hat das dortige Lehrangebot 1882 um eine philosophische Fakultät erweitert, die natürlich auf den Thomismus verpflichtet war. 1909 erhielt die Hochschule im Anschluss an den Ehrentitel des Thomas doctor angelicus den Namen »Angelicum«, 1963 wurde sie von Johannes XXIII. (1958–1963) mit der Namensbezeichnung Universität des hl. Thomas von Aquin zur Päpstlichen Universität erhoben. Auch die Ordenslehranstalten der Dominikaner waren nicht einfachhin Pflanzstätten des Thomismus. Am Ordensstudium der französischsprachigen Dominikaner, das 1903 im belgischen Le Saulchoir angesiedelt wurde und auch nach der Rückverlegung nach Frankreich 1938 diesen Namen beibehielt, bestimmten unterschiedliche Ausrichtungen das Bild. Ambroise Gardeil (1859– 1931), der 1893 zu den Mitbegründern der noch heute erscheinenden Revue Thomiste gehörte, verband eine durchaus traditionell neuthomistisch ausgerichtete Schulapologetik mit einer gewissen Offenheit für mystische Aspekte. Der Historiker Pierre Mandonnet (1858–1936) gab durch die Anwendung einer strikt historischen Methode nicht nur der Erforschung des radikalen Aristotelismus an der Pariser Artistenfakultät zu Zeiten des Thomas von Aquin, sondern auch der Beschäftigung mit dessen Leben und Werk neue Impulse. Marie-Dominique Chenu (1895–1990), der die fünf Jahre nach ihrem Erscheinen indizierte Programmschrift Une école de théologie: Le Saulchoir (Le Saulchoir 1937) verfasste, hat diese Tradition fortgeführt. Seine maßgebliche Introduction à l’étude de s. Thomas d’Aquin (Paris 1950) erschien zehn Jahre später auf deutsch als zweiter Ergänzungsband der noch immer nicht abgeschlossenen Deutschen Thomas-Ausgabe, die seit 1933 von dem 1926 gegründeten Studienhaus der deutschen Dominikaner in Walberberg bei Bonn herausgegeben wurde, das mittlerweile seinen Betrieb eingestellt hat. Zu den dominikanischen Ordenslehranstalten ist in gewissem Sinne auch die Theologische Fakultät der 1889 gegründeten Universität Fribourg zu rechnen, da diese seit 1890 unter der Obhut des Dominikanerordens steht, dessen Generalmagister zugleich deren Magnus Cancellarius ist. Im deutschsprachigen Raum wurde der Neuthomismus eher von Außenseitern vertreten wie Constantin Freiherr von Schäzler (1827–1880), der aus einer protestantischen Familie stammte, ursprünglich Jurist war und zum Katholizismus
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konvertierte. Obwohl er zeitweilig dem Jesuiten- wie dem Dominikanerorden angehörte, stand er, was seinen Thomismus angeht, dem letzteren näher. Einen Lehrstuhl konnte er, der von 1862 bis 1872 Privatdozent in Freiburg i. Br. war, nicht erlangen. Die letzten Jahre wirkte er als Konsultor des Hl. Offiziums in Rom. Den Tübinger Theologen Johann Evangelist von Kuhn (1806–1887) hat er wegen dessen Gnadenlehre angegriffen, konnte jedoch dessen römische Verurteilung ebensowenig erreichen wie die des Regensburger Bischofs Johann Michael Sailer (1751–1832), die er beide dort angezeigt hatte. Seine Introductio in s. theologiam dogmaticam ad mentem d. Thomae Aquinatis (Regensburg 1882) wurde posthum von dem späteren langjährigen Sekretär der Indexkongregation, dem Dominikaner Thomas Esser (1850–1926), herausgegeben. Auch Ernst Commer (1847–1928) war ursprünglich Jurist und kam als Spätberufener zur Theologie. Er vertiefte seine thomistischen Studien am Minervakolleg in Rom und lehrte zunächst Philosophie und Apologetik am Priesterseminar in Liverpool, an den Universitäten Münster und Breslau sowie schließlich 1900–1911 Dogmatik in Wien. Von 1887 an gab er das von ihm begründete Jahrbuch für Philosophie und spekulative Theologie heraus und machte es zu einem Sprachrohr des Neuthomismus. 1914 stellte er diesem Titel den programmatischeren Divus Thomas voran und übergab 1921 die Leitung an die Fribourger Dominikaner. Commer tat sich als Antimodernist und Gegner der sog. Reformkatholiken, vor allem des Würzburger Theologen Herman Schell (1850–1906), hervor. Einer seiner engsten Mitstreiter war Michael Glossner (1837–1909), der zeitweise am Priesterseminar in Saratow an der Wolga und in Regensburg dozierte. 3.2. Im Umkreis des Jesuitenordens
Die Jesuiten blieben in der Hauptsache ihren Ordenstraditionen verpflichtet, d. h. philosophisch vertraten sie häufig den Suarezianismus und in der Gnadentheologie den Molinismus. Es gab freilich auch Ausnahmen. Ein militanter Vertreter des Neuthomismus war der als Denker mediokre und im Orden lange umstrittene Giovanni Maria Cornoldi (1822–1892). Mittels der 1875 mit Sitz in Bologna gegründeten »Accademia filosofico-medica di S. Tommaso d’Aquino« sowie der von dieser seit 1876 herausgegebenen Zeitschrift La Scienza Italiana, die seit 1891 und noch heute unter dem Titel La Scuola Cattolica erscheint, versuchte er, die Zeitgemäßheit des aristotelisch-thomistischen Hylemorphismus und den Thomismus als spezifischen Beitrag Italiens zur christlichen Philosophie darzulegen. Im Gegenzug bekämpfte er fanatisch den mittlerweile kirchlich rehabilitierten Religionsphilosophen und Theologen Antonio Rosmini-Serbati (1797–1855) und dessen Anhänger, welche diese restaurativen Bestrebungen ablehnten und eine Versöhnung zwischen Glauben und Gegenwart anstrebten. Das Dekret des Sanctum Officium Post obitum vom 14. Dezember 1887, mit dem Rosmini verurteilt wurde (DH 3201–3241), geht hauptsächlich auf Cornoldis Initiative zurück.
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Im Gefolge des durch Leo XIII. eingeleiteten Revirements übernahm Joseph Kleutgen (1811–1883), der als Konsultor der Index-Kongregation an einigen aufsehenerregenden Verurteilungen beteiligt war (Anton Günther [1857], Ontologismus [1861], Jakob Frohschammer [1862]) und der als einer der maßgeblichen Theologen des Ersten Vatikanums (1869/70) gelten kann, an der Gregoriana kurzzeitig das Amt des Studienpräfekten. Er, der durch seine Werke Die Theologie der Vorzeit verteidigt (1. Aufl.: 4 Bde., Münster 1853–1870; 2. Aufl.: 5 Bde., ebd. 1867–1874) und Die Philosophie der Vorzeit verteidigt (2 Bde, Münster 1860– 1863; Innsbruck ²1878) die Neuscholastik im deutschen Sprachraum verwurzeln wollte, war jedoch kein Thomist im strengen Sinn, sondern der in seinem Orden gepflegten Tradition verbunden. Der Tod hinderte ihn daran, seine auf acht Bände angelegte Dogmatik Institutiones theologicae in usum scholarum zu vollenden, von der lediglich der erste Band De ipso Deo erschien (Regensburg u. a. 1881). Im Vorwort (ebd., III–VIII) bekennt er sich zum einen zu Thomas als Vorbild, weist aber auch zum anderen darauf hin, dass dieser zahlreiche wichtige Fragen, wie etwa die Ekklesiologie, nicht umfassend behandelt habe. Kleutgens Nachfolge als Studienpräfekt trat der spätere Kardinal Camillo Mazzella (1833–1900) an, der auf Befehl Leos XIII. den Dogmatiklehrstuhl am Collegium Romanum übernommen hatte, den zuvor Domenico Palmieri (1829– 1909) innegehabt hatte, der jedoch, weil er nicht thomistisch genug war, als Professor für Exegese und biblische Sprachen in die Niederlande abgeschoben wurde. Mazzella galt als kämpferischer Thomist und Antirosminianer. Auch als Präfekt der Studienkongregation (1893–1897) hat er für die Durchsetzung des Thomismus gekämpft. So hat er dem kurz zuvor durch den späteren Kardinal Desiré Mercier (1851–1926) an der Universität Löwen gegründeten »Institut Supérieur de Philosophie« den Gebrauch der lateinischen statt der französischen Sprache vorgeschrieben und die dort geplante Einbeziehung der Humanwissenschaften als Zeitverschwendung angesehen. Trotz dieser Anfangsschwierigkeiten konnte das Löwener Institut, das das Lehrbuch Philosophia Lovaniensis herausgab, seinen offeneren Thomismus weiterverfolgen. Während Mazzella bei seiner Spielart des Thomismus die in seinem Orden gepflegte Tradition mit einbezog, hat sein zeitweiliger Kollege und Nachfolger an der Gregoriana Louis Billot (1846–1931) sich darüber hinweggesetzt und einen strengen spekulativen Thomismus bevorzugt. Dass auch er Kardinal wurde (1911), zeigt die Unterstützung dieser Art von Theologie durch die Päpste. Billot gehört allerdings zu den wenigen, die dieser Würde wieder entkleidet wurden: Er musste, weil er der nationalistischen Action française nahestand, nach deren Verurteilung durch Pius XI. (1922–1939) 1927 auf sein Kardinalat verzichten. Obwohl das Mainzer Priesterseminar mit dem dort lehrenden Dogmatiker Johann Baptist Heinrich (1816–1891) als eine Hochburg der Neuscholastik gelten kann, die vor allem über die hier herausgegebene Zeitschrift Der Katholik eine große Breitenwirkung erzielte, und von einer »Mainzer Schule« die Rede ist, kann man die dort vertretene Doktrin nicht als neuthomistisch im strengen Sinn ein-
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ordnen. Auch Matthias Joseph Scheeben (1835–1888), dem am Kölner Priesterseminar lehrenden wohl bedeutendsten Theologen neuscholastischer Richtung in Deutschland, ging es bei aller Verehrung für Thomas weniger um einen strengen Thomismus als um ein kreatives Neudurchdenken, das die unterschiedlichen Ansätze nicht nur der Hoch- und Barockscholastik, sondern auch der Patristik aufzunehmen versuchte. Wenn auf seinem Grabdenkmal auf dem Kölner Melaten-Friedhof Thomas von Aquin dargestellt ist, soll dadurch eher eine Rang angleichung des ähnlich jung verstorbenen deutschen Theologen mit dem Kirchenlehrer suggeriert werden als eine inhaltliche Übereinstimmung. 4. Die Wandlung der kirchlichen Vorschriften im 20. Jahrhundert Unter Pius X. (1903–1914) verunglimpfte man von Rom aus Philosophen und Theologen, die an das zeitgenössische Denken Anschluss suchten, als »Modernisten« und setzte ihnen hauptsächlich den Thomismus entgegen, auf den man die katholischen Ausbildungsstätten festlegen wollte. Cornoldis Schüler Guido Mattiussi SJ (1852–1925) verfasste 1914 die umstrittenen 24 Thesen (DH 3601–3624), die den, auf längere Sicht freilich vergeblichen, Versuch einer inhaltlichen Festschreibung des Thomismus durch das päpstliche Lehramt darstellten, und versah sie mit einem offiziösen Kommentar (Mattiussi, Le XXIV tesi). Benedikt XV. (1914–1922), der nach der von seinem Vorgänger mitgetragenen »Modernismus«-Hysterie um Schadensbegrenzung bemüht war, ließ die 24 Thesen, auch aufgrund des Einspruchs der dem Suarezianismus verpflichteten Jesuiten, durch ein Schreiben des Präfekten der Studienkongregation, Kardinal Gaetano Bisleti (1856–1937), tiefer hängen (vgl. AAS 8 [1916], 156 f.). Gleichwohl wurden in dem 1917 erschienenen Codex Iuris Canonici, in dem erstmals im Verlauf der Kirchengeschichte das kanonische Recht handlich zusammengefasst wurde, die katholischen Professoren der Philosophie und der Theologie – auch das hat es zuvor nie gegeben – gänzlich (omnino) auf die Angelici Doctoris rationem, doctrinam et principia (»Lehrweise, die Lehre und die Prinzipien des Thomas«) verpflichtet (c. 1366 § 2; vgl. auch c. 589 § 1 mit analogen Vorschriften für die Orden). Aber bei der Wahrnehmung dieser Verpflichtung blieb ein gewisser Spielraum. Bei der 1983 veröffentlichten Neufassung des Codex Iuris Canonici wird Thomas zwar wiederum als einziger Theologe genannt. Aber nun ist von ihm zum einen nur noch im Hinblick auf die Theologie und nicht mehr auch auf die Philosophie die Rede, und zum anderen wird er nicht zum einzigen und umfassenden Maßstab, sondern lediglich als besonders wichtige Hilfe bei der tieferen Durchdringung der Heilsgeheimnisse genannt (s. Thoma praesertim magistro [c. 252 § 3]). Dabei greift der geltende Codex Iuris Canonici bis in die Formulierung hinein auf das Dekret des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965) über die Priesterausbildung Optatam totius von 1965 (Nr. 16) zurück. In dem im selben Jahr verabschie-
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deten Dekret über die christliche Erziehung Gravissimum educationis wird Thomas neben den Kirchenvätern als Vorbild dafür genannt, »wie Glaube und Vernunft sich in der einen Wahrheit treffen« (Nr. 10). Dieses Harmoniemodell wird in der Enzyklika Fides et ratio Johannes Pauls II. (1978–2005) vom 14. September 1998 breit entfaltet (AAS 91 [1999], 5–88). Thomas nimmt hier eine zentrale Rolle ein, da er »die Harmonie, die zwischen Vernunft und Glaube herrscht, in den Vordergrund gerückt hat« (Nr. 43 [ebd., 39]). Unter den »glücklichen Folgen« der Enzyklika Aeterni Patris für die Philosophie wird an erster Stelle die historisch-kritische Erforschung der Werke und der Lehre des Thomas und der Scholastik insgesamt genannt. Diese »Erneuerung der thomistischen Philosophie« zeigte, so ist der Papst überzeugt, in der katholischen Theologie des 20. Jahrhunderts wie im Zweiten Vatikanum ihre Früchte (Nr. 58 [ebd., 51]). Bei der durch das Zweite Vatikanum angestoßenen Reform des liturgischen Kalenders wurde der Gedenktag des hl. Thomas vom Todestag des Heiligen, dem 7. März, da dieser immer in die Fastenzeit fällt, auf den 28. Januar verlegt, den Tag der Translation seiner sterblichen Überreste nach Toulouse im Jahre 1369. Eine größere Volkstümlichkeit hat Thomas von Aquin, der nur ganz selten zum Patron einer Pfarrkirche gewählt wurde, kaum errungen. Seine Verehrung blieb einer intellektuellen Schicht vorbehalten. 5. Eine Pluralität von Thomismen Im späten 19. und im 20. Jahrhundert hat die historische Erforschung von Werk und Lehre des Thomas von Aquin wie der mittelalterlichen Denker insgesamt einen großen Aufschwung genommen. Zu den Pionieren gehörten der Dominikaner und Mitarbeiter an der Ed. Leonina Heinrich Seuse Denifle (1844–1905) und der Jesuit, langjährige Präfekt der Vatikanischen Bibliothek und spätere Kardinal Franz Ehrle (1845–1934), der den Blick für die Vielfalt der mittelalterlichen Philosophie und Theologie öffnete. Ihr Werk haben im deutschsprachigen Bereich Martin Grabmann (1875–1949) und Michael Schmaus (1897–1993) fortgesetzt, die sich Thomas und dem Thomismus zuwandten, sowie Friedrich Stegmüller (1902–1981), der die sog. Barockscholastik erforschte, im französischsprachigen die schon genannten Pierre Mandonnet und Marie-Dominique Chenu. Vor diesem Hintergrund haben sich innerhalb der von katholischen Denkern vorgetragenen Philosophie und Theologie durchaus differenziert zu sehende Anknüpfungen an das Denken des Thomas herausgebildet. Hier sind so unterschiedliche Denker zu nennen wie Jacques Maritain (1882–1973), der auf der Basis des Thomismus einen »Christlichen Humanismus« entwickelte, oder Etienne Gilson (1884–1978), der Mitbegründer des »Pontifical Institute of Medieval Studies« in Toronto, der Thomas und die mittelalterlichen Philosophen als Vertreter einer »Christlichen Philosophie« betrachtete und mit dem zeitgenössischen Denken ins Gespräch brachte. Im deutschsprachigen Raum versuchte Gustav
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Siewerth (1903–1963), die thomanische Metaphysik im Gespräch mit Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Martin Heidegger zu erneuern. Aufbauend auf der Thomasinterpretation ihrer französischen Mitbrüder Pierre Rousselot (1878– 1915) und Joseph Maréchal (1878–1944) sowie vor allem im Gespräch mit Heidegger haben die deutschen Jesuiten Karl Rahner (1904–1984) und Johann Baptist Lotz (1903–1992) ähnliche Versuche im Hinblick auf die Erkenntnis- und Transzendentalienlehre unternommen. Cessario, Romanus: Le thomisme et les thomistes, Paris 1999. Colish, Marcia Lillian: St. Thomas Aquinas in Historical Perspective: The Modern Period, in: ChH 44 (1975), 433–449. Coreth, Emerich/Neidl, Walter M./Pfligersdorfer, Georg (Hg.): Christliche Philosophie im katholischen Denken des 19. und 20. Jahrhunderts, Bd. 2: Rückgriff auf scholastisches Erbe, Graz u. a. 1988. McCool, Gerald A.: The Neo-Thomists, Milwaukee 1994. Peter Walter
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren Anzulewicz, Henryk (geb. 1955), Dr. theol., Editor und Forscher am Albertus-Magnus-Institut, Bonn. Baffioni, Carmela (geb. 1951). Former Professor of History of Islamic Philosophy an der Università degli Studi di Napoli »L’Orientale«, presently Senior Research Fellow am Institute of the Ismaili Studies, London. Member of the Accademia dei Lincei. Basse, Michael (geb. 1961), Prof. für Kirchen- und Theologiegeschichte am Institut für Evangelische Theologie der TU Dortmund. Berger, David (geb. 1968), Dr. phil. habil., Theologe, ehem. Prof. der Päpstlichen Thomasakademie, Bestsellerautor (»Der heilige Schein«, Berlin 82012). Biffi, Inos (geb. 1934), emeritierter Prof. für Systematische Theologie und Kirchengeschichte der Theologischen Fakultäten in Mailand und Lugano Drecoll, Volker Henning (geb. 1968), Prof. für Kirchengeschichte mit Schwerpunkt Patristik an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen und Ephorus des Ev. Stifts, Tübingen. Dreyer, Mechthild (geb. 1955), Prof. für Philosophie, Leiterin des Arbeitsbereiches »Philosophie des Mittelalters und ihre Wirkungsgeschichte« am Philosophischen Seminar der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Ernst, Stephan (geb. 1956), Inhaber des Lehrstuhls für Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Folger-Fonfara, Sabine (geb. 1976), Dr., Wiss. Mitarbeiterin a.r.t.e.s. Graduate School for the Humanities, Philosophische Fakultät der Universität zu Köln. Füllenbach, Elias H. (geb. 1977), Dominikaner, stv. Direktor des Instituts zur Erforschung der Geschichte des Dominikanerordens im deutschen Sprachraum, Köln (IGDom) Imbach, Ruedi (geb. 1946), Prof. für mittelalterliche Philosophie an der Universität Paris Sorbonne IV. Klitzsch, Ingo (geb. 1976), Dr. theol., Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Kirchengeschichte an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau Köpf, Ulrich (geb. 1941), Dr. theol., Prof. für Kirchengeschichte an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen De Leemans, Pieter (geb. 1973), Professor am De Wulf-Mansion Centre for Ancient, Medieval and Renaissance Philosophy (KU Löwen – Belgien) und academic secretary des Aristoteles Latinus. Leppin, Volker (geb. 1966), Prof. für Kirchengeschichte und Direktor des Instituts für Spätmittelalter und Reformation an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen. Miethke, Jürgen (geb. 1938), emeritierter Prof. für Mittelalterliche und Neuere Geschichte am Historischen Seminar der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Prügl, Thomas (geb. 1963), Prof. für Kirchengeschichte, stv. Vorstand des Instituts für Historische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Putallaz, François-Xavier (geb. 1957), Titularprof. für Philosophie an der Theologischen Fakultät der Universität Fribourg. Rieger, Reinhold (geb. 1956), apl. Prof. für Kirchengeschichte an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen. Rosemann, Philipp W. (geb. 1964), Prof. und Direktor des Philosophischen Seminars an der University of Dallas.
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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Schlosser, Marianne (geb. 1960), Prof. für Theologie der Spiritualität an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Schneider-Ludorff, Gury (geb. 1965), Prof. für Kirchen- und Dogmengeschichte an der Augustana-Hochschule in Neuendettelsau Schönberger, Rolf (geb. 1954), Prof. für Philosophie an der Universität Regensburg. Schwöbel, Christoph (geb. 1955), Prof. für Systematische Theologie (mit den Schwerpunkten Religionsphilosophie und Fundamentaltheologie) und Direktor des Instituts für Hermeneutik und Dialog der Kulturen an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen. Slenczka, Notger (geb. 1960), Prof. für Systematische Theologie an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin. Stürner, Wolfgang (geb. 1940), Dr. phil., Prof. für Mittlere und Neuere Geschichte am Historischen Institut der Universität Stuttgart (i. R. seit 2006). Walter, Peter (geb. 1950), Prof. für Dogmatik und Direktor des Arbeitsbereichs Quellenkunde der Theologie des Mittelalters (Raimundus-Lullus-Institut) an der Theologischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau. Weber, Hubert Philipp (geb. 1969), Lehrbeauftragter für Dogmatische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, Sekretär und Theologischer Referent des Erzbischofs von Wien. Wriedt, Markus (geb. 1958), Prof. für Kirchengeschichte an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Quellen 1.1. Abkürzungen
Editionen, die in hier aufgeführten Reihen erschienen sind, werden im Folgenden nicht einzeln aufgeführt. Die Abkürzungen folgen Siegfried M. Schwertner: Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, 32014. Insbesondere gelten die folgenden – teilweise über Schwertner hinausgehenden – Kürzel: AAS AFP AHDL ALKGMA ASS BCJ BGPhMA BFSMA BSELK CChr.CM CChr.SL CIC CIC(L) CLCAG COD CR CSEL CUP DH
ESD HES FC
Acta Apostolicae Sedis. Commentarium officiale, Rom 1,1909–26 (= 2. Ser.1) 1934–51 (= 3. Ser.1) 1959–61 (= 3. Ser. 11)1969–62,1970–106,2014. Archivum Fratrum Praedicatorum, Rom 1,1930(1931). Archives d’histoire doctrinale et littéraire du moyen âge, Paris 1/1,1926/27. Archiv für Literatur- und Kirchengeschichte des Mittelalters, Berlin, 1,1885– 7,1893/1900. Acta Sanctae Sedis, Rom 1,1865–41,1908. Bibliothèque de la Compagnie de Jésus. Nouvelle éd. par Carlos Sommer vogel, Brüssel 31–12,1960–1961. Beiträge zur Geschichte der Philosophie (27,1928/30 ff.) und Theologie des Mittelalters. Texte und Untersuchungen, Münster 1,1891–43,1969/72 NF 1,1970 ff. Bibliotheca Franciscana scholastica medii aevi, Quaracchi (etc.) 1,1903 ff. Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche, Vollständige Neuedition, Irene Dingel (Hg.), Göttingen 2014. Corpus Christianorum. Continuatio mediaevalis, Turnhout 1–266,1966–2010. Corpus Christianorum. Series Latina, 154 Bde., Turnhout 1954–2010. Codex Iuris Canonici, Rom 1918/1931/1955/1989. Corpus Iuris Canonici. Ed. Lipsiensis secunda Aemilius Friedberg, Leipzig 2 1–2,1879–1881 = Graz 1955. Corpus Latinum commentariorum in Aristotelem Graecorum, Leiden 1,1957– 8,2004. Conciliorum Oecumenicorum Decreta, Giuseppe Alberigo (Hg.), Turnhout 4 2006., deutsche Übersetzung: Josef Wohlmuth (Hg.): Dekrete der ökumenischen Konzilien, Paderborn 1–3, 1998–2002. Corpus reformatorum, Berlin (etc.) 1,1834 ff. Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum, Wien, 1–96, 1866–2010. Chartularium Universitatis Parisiensis, Heinrich Suso Denifle (Hg.), Paris 1–4,1889–1897. Enchiridion symbolorum, definitionum et declarationum de rebus fidei et morum, Heinrich Denzinger/Peter Hünermann (Hg.) = Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, Freiburg i. Br. u. a. 402005. Edizioni Studio Domenicano Harvard English Studies Fontes christiani, Freiburg i. Br. 2.1,1990.
456 Mansi MBR MGH XVI MHSJ Mlat. JB. MOFPH PhB PL RThAM SOP SOPMA STPIMS TPMÂ TzF WA WA.TR
Quellen- und Literaturverzeichnis
Sacrorum conciliorum nova et amplissima collectio. Ed. J. D. Mansi, Florenz 1–53,1759–1827 (etc.). Magnum bullarium Romanum. Bullarum privilegiorum ac diplomatum Romanorum pontificum amplissima collectio (Vol. 1–15), Rom (1739–1753). Monumenta Germaniae historica inde ab a.C. 500 usque ad a. 1500, Hannover u. a. Monumenta historica Societatis Jesu, Rom u. a. 1,1894 ff. Mittellateinisches Jahrbuch, Kastellaun/Stuttgart 1,1964 ff. Monumenta Ordinis Fratrum Praedicatorum historica, Rom u. a. 1,1896 ff. Philosophische Bibliothek Patrologiae cursus completus. Series Latina, Jacques Paul Migne (Hg.), Paris, 1. Ser. 1,1841–79,1849 2. Ser. 80,1850–217,1855 Ind. 1–4 = 218,1862–221,1864. Recherches de théologie ancienne et médiévale, Löwen 1,1929–12,1940 12,1946. Scriptores Ordinis Praedicatorum, Jacques Quétif, Paris 1–2,1719–1721 (etc.), NA 1–9,1885–1914, Suppl. 1934. Scriptores Ordinis Praedicatorum Medii Aevi, Thomas Kaeppeli (Hg.), Rom 1,1970 ff. Studies and texts. Pontifical Institute of Mediaeval Studies, St. Michael’s College, University of Toronto, Toronto 1,1955 ff. Textes philosophiques du moyen âge, Paris 1,1955 ff. Texte zur Forschung, Darmstadt 1,1971 ff. D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, Weimar 1883–2009. D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, Tischreden, Weimar 1912–2009.
1.2. Thomas 1.2.1. Werkausgaben
Opera omnia: Opera omnia. 25 Bde., Parma 1852–1873 (= New York 1948–1950). Opera omnia, Paris 1871–1880 (Vives-Ausgabe). Opera omnia iussu Leonis XIII edita cura et studio Fratrum Praedicatorum, Rom 1882 ff. (Editio Leonina). Opera omnia, ed. Marietti, Turin 1948 f. Opera omnia. 7 Bde., Roberto Busa (Hg.), Stuttgart/Bad Cannstatt 1980; als CD-Rom: Thomae Aquinatis Opera omnia cum hypertextibus in CD-ROM, Roberto Busa (Hg.), Milano: Editoria Elettronica Editel 1992; 21997. Übersetzungen: Die deutsche Thomas-Ausgabe, Katholischer Akademikerverband (Hg.), Salzburg u. a. 1934 ff.
Quellen- und Literaturverzeichnis
457
1.2.2. Einzelne Werke 1.2.2.1. Editionen
Collationes in decem praeceptis Les »Collationes in decem praeceptis« de saint Thomas d’Aquin. Édition critique avec introduction et notes, hg. von Jean-Pierre Torrell, in: BiblThom 52 (2000), 65–117. De regimine pricipum ad regem Cypri et de regimine Judaeorum ad ducissam Brabantiae. Politiva opuscula duo: De regimine pricipum ad regem Cypri et de regimine Judaeorum ad ducissam Brabantiae. Politiva opuscula duo, Joseph Mathis (Bearb.), editio secunda revisa (1948), reimpressio, Turin 1971. De unione verbi incarnati Quaestio disputata ›De unione verbi incarnata‹. Ed. Walter Senner/Barbara Bartocci/ Klaus Obenauer, Stuttgart 2011. In duodecim libros Metaphysicorum Aristotelis: In duodecim libros Metaphysicorum Aristotelis, Ed. iam a M. Raimondo Cathala retractatur cura et studio Raymundi M. Spiazzi, Turin/Rom 1964, 1 f. In librum Beati Dionysii de divinis nominibus expositio: In librum Beati Dionysii de divinis nominibus expositio, cura et studio Ceslai Pera, Turin/Rom 1950. Lectura romana in primum Sententiarium Petri Lombardi: Lectura romana in primum Sententiarum Petri Lombardi. Ed. by Leonard Eugene Boyle, Toronto 2006 Sententia super Meteora, lib. 2, l. 13–15 Three Previously Unpublished Chapters from St. Thomas Aquinas’s Commentary on Aristotle’s Meteora: »Sentencia super Meteora« 2.13–15, hg. von Kevin White, in: MS 54 (1992), 49–93. Super Ave Maria S. Thomae Aquinatis expositio Salutationis angelicae. Introduction et textus, hg. von Iohannes Felix Rossi, in: DT 34 (1931), 445–479. Super epistolas S. Pauli lectura: Super Epistolas S. Pauli lectura, cura P. Raphaelis Cai, editio VIII, 2 Bände, Turin, Rom 1953. Super evangelium S. Joannis lectura: Super evangelium S. Joannis lectura, cura P. Raphaelis Cai, editio VI revisa, Turin, Rom 1972. Super evangelium S. Matthaeum, cap. 5, v. 13–16 ; cap. 6, v. 9 La Lectura in Matthaeum de S. Thomas (Deux fragments inédit et la Reportation de Pierre d’Andria), hg. von Hugues V. Shooner, in: Ang. 33 (1956), 138–142. 156. Super evangelium S. Matthaeum, cap. 5, v. 20–48 La Lectura super Matthaeum V, 20–48 de Thomas d’Aquin (Édition d’après le ms. Bâle, Univ. Bibl. B. V. 12), hg. von Jean-Pierre Renard, in: RThAM 50 (1983), 153–189. Super evangelium S. Matthaeum, cap. 6, v. 1–8. 16–34 Commentary on the Gospel of Saint Matthew: Appendix: Transcription of Basel Manuscript B.V. 12, ed. Hans Kraml/Paul M. Kimball, Bristol 2012. Super Librum de causis expositio: Super Librum de causis expositio, ed. Henri Dominique Saffrey (TPMÂ, XXI), Paris 2 2002.
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Super Psalm 19, v. 8 Thomas d’Aquin, lecteur de Guillaume Breton, hg. von Louis-Jacques Bataillon, in: RSThPh 78 (1994), 580‒582. Super sententiis I Scriptum super libros Sententiarum magistri Petri Lombardi episcopi Parisiensis, t. 1. Ed. Pierre Mandonnet, Paris 1929. Super sententiis II Scriptum super libros Sententiarum magistri Petri Lombardi episcopi Parisiensis, t. 2. Ed. Pierre Mandonnet, Paris 1929. Super Sententiis III deleta Textes inédits de st. Thomas: Les premières rédactions du »Scriptum super tertio Sententiarum«, hg. von Pierre-Marie Gils, in: RSPhTH 45 (1961), 201‒228; RSPhTh 46 (1962), 445‒462. 609‒628. Super sententiis III Scriptum super libros Sententiarum magistri Petri Lombardi episcopi Parisiensis, t. 3. Ed. Maria Fabianus Moos, 2 Bde., Paris 1956. Super sententiis IV Scriptum super libros Sententiarum magistri Petri Lombardi episcopi Parisiensis, t. 4. Ed. Maria Fabianus Moos, Paris 1947. Super sententiis prologus Les débuts de l’enseignement de Thomas d’Aquin et sa conception de la »Sacra Doctrina«. Édition du prologue de son »Commentaire des Sentences« de Pierre Lombard, ed. Adriano Olivia, in: Bthom 58 (2006), 303‒340. 1.2.2.2. Übersetzungen/zweisprachige Ausgaben
De ente et essentia/Über das Seiende und das Wesen: De ente et essentia/Über das Seiende und das Wesen. Lateinisch-Deutsch, übersetzt und eingeleitet von Wolfgang Kluxen, Freiburg i. Br. 2007. De principiis naturae/Die Prinzipien der Wirklichkeit De principiis naturae/Die Prinzipien der Wirklichkeit, Lateinisch-deutsche Ausgabe, übersetzt und kommentiert von Richard Heinzmann, Stuttgart 1999. Die Seele. Erklärungen zu den drei Büchern des Aristoteles »Über die Seele«: Die Seele. Erklärungen zu den drei Büchern des Aristoteles »Über die Seele«, übertragen und eingeleitet von Alois Mager, Wien 1937. Die Vollkommenheit des geistlichen Lebens: Die Vollkommenheit des geistlichen Lebens, übersetzt von Eberhard Maria Welty, Vechta 1933. Political Writings: Political Writings, edited and translated by Robert W. Dyson, Cambridge 2002. Quaestio de immortalitate animae: A New Disputed Question of St. Thomas Aquinas on the Immortality of the Soul. Edited by Leonard A. Kennedy, in: AHDL 45, 1978. Somme contre les gentils: Somme contre les gentils, introduction par René-Antoine Gauthier, Paris 1993. Somme contre les gentils. Livre sur la vérité de la foi catholique contre les erreurs des infidèles. Traduction inéditée par Vincent Aubin, Cyrille Michon et Denis Moreau, Livre I. Dieu. Traduction, présentation et notes par Cyrille Michon, Paris 1999.
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Summe gegen die Heiden Summe gegen die Heiden (Thomae Aquinatis summae contra gentiles libri quattuor), herausgegeben und übersetzt von Karl Allgaier, 4 Bde, Darmstadt 1974–1996. Über die Herrschaft der Fürsten: Über die Herrschaft der Fürsten, übersetzt von Friedrich Schreyvogel, revidiert von Ulrich Matz, Stuttgart 1971 [u. ö.]. Über Seiendes und Wesenheit: Über Seiendes und Wesenheit. Thomas von Aquin, mit Einleitung, Übersetzung und Kommentar, Horst Seidl (Hg.) (PhB 415), Hamburg 1988. Vom Wesen der Engel: Vom Wesen der Engel, Übersetzung, Einführung und Erläuterung von Wolf-Ulrich Klünker, Stuttgart 1989. D. Petro Marc OSB in Abbatia Quarreriensi S. Theol. Lectore et D. Petro Caramello Prael. Palatino in Seminario Ripulitano Philos. Professore, Turin/Rom 1961. Scriptores Ordinis Prædicatorum Recensiti, Notisque Historicis Et Criticis Illustrati, Opus Quo Singulorum Vita, Præclareque gesta referuntur, Chronologia insuper, seu tempus quo quisque floruit certo statuitur: Fabulæ Exploduntur …/Inchoavit Quétif, Jacobus absolvit Echard, Jacobus, ambo conventus SS. Annunciationis Parisiensis ejusdem ordinis alumni, Band 1, Paris 1719. 1.3. Andere Autoren
Abealard Sic et non: Sic et non. A critical edition, hg. von Blanche B. Boyer und Robert M. McKeon, Chicago/London 1976. Sententiae Florianenses: Sententiae Florianenses, nunc primum ed., prolegomenis, apparatu critico, notis instruxit Heinrich Ostlender (Hg.), Bonn 1929. Sententie magistri Petri Abelardi (Sententie Hermanni): Sententie magistri Petri Abelardi (Sententie Hermanni), ed. Crit e nota al testo a cura di Sandro Buzzetti, La Nuova Italia Ed., Florenz 1983. Theologia Scholarium: Petri Abaelardi, Opera theologica III, cura et studio Eligius M. Buytaert et Constant J. Mews, CChr.CM 13, Turnhout 1987, 309–549. Ysagoge in theologiam: Ysagoge in theologiam, Ecrits theol. de l’ecole d’Abelard, Spicilegium Sacrum Lovaniense, Ed. Artur Landgraf, Vol. XIV, 63–285, Löwen 1934 Adam von St. Viktor Summa Britonis: Summa Britonis sive Guillelmi Britonis Expositiones vocabularum Biblie; ed. by Lloyd W. Daly and Bernadine A. Daly, Antenore 1975. Albertus Magnus Opera omnia: Opera omnia. 38 Bde., hg. von Auguste und Émile Borgnet, Paris 1890–1899. Opera omnia, Münster 1951 ff. (kritische Ausgabe, zitiert als Editio Colonensis).
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Übersetzungen: Buch über die Ursachen und den Hervorgang von allem aus der ersten Ursache: Buch über die Ursachen und den Hervorgang von allem aus der ersten Ursache, übersetzt und hg. von Henryk Anzulewicz, Hamburg 2006 (PhB 580). Über den Menschen: Über den Menschen, übersetzt und hg. von Henryk Anzulewicz, Hamburg 2004 (PhB 531); Ausgewählte Texte. Lateinisch-deutsch, hg. und übersetzt von Albert Fries, Darmstadt ³1994. Summa theologiae/Summe der Theologie: Beati Alberti Magni Ratisbonensis episcopi prima pars Summae Theologieae, e celeberrima Bibliotheca illustrissima reuerendissimi Domini D. Leonorii d’Estampes de Valencé […], recognita per Petrum Iammy, nunc primum in lucem prodit, Operum tomus 17, Lyon 1651; Beati Alberti Magni Ratisbonensis episcopi secunda pars Summae Theologiae, e celeberrima Bibliotheca illustrissima reuerendissimi Domini D. Leonorii d’Estampes de Valancé […], recognita per Petrum Iammy, nunc primum in lucem prodit, Operum tomus 18, Lyon 1651. Alexander III. (Roland Bandinelli) Sententiae: Die Sentenzen Rolands nachmals Papstes Alexander III. Zum ersten Male herausgegeben von Ambrosius M. Gietl, Freiburg i. Br. 1891. Alexander von Aphrodisias Quaestiones: Quaestiones, Ancient Commentators on Aristotle, Translated by Robert W. Sharples, London/New York 1994. Alexander von Hales Glossa in quattuor libros Sententiarum Petri Lombardi. 4 Bde., Quaracchi 1951–1957 (BFSMA 12–15). Quaestiones disputate »antequam esset frater«: Quaestiones disputate »antequam esset frater«. 3 Bde., Quaracchi 1961 (BFSMA 19–21); s. auch Summa Halensis. Quaestiones disputatae de peccato originali: Quaestiones disputatae de peccato originali, ed. Jacek M. Wierzbicki, Grottaferrata 2013. Summa Halensis Summa universae theologiae, Partes I–IV, Anton Koberger (Hg.), Nürnberg 1481–82. Summa theologica seu sic ab origine dicta »Summa Fratris Alexandri«, hg. von Bernardini Klumper, 4 Bände, Quaracchi 1924–1948. Exoticon: Exoticon, in: Tony Hunt (Hg.): Teaching and Learning Latin in Thirteenth-Century England, Texts, Cambridge, 1991, 298–322. Aristoteles Aristoteles Latinus, Gérard Verbeke u. a. (Hg.), Leiden 1939ff (auch als CD-Rom). Augustinus De civitate Dei: De civitate Dei, CChr.SL. 47,1–314; 48,321–866. De civitate Dei, CSEL 40/1,3–660; 40/2,1–670.
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De doctrina christiana: De doctrina christiana, Simonetti 6–362. De doctrina christiana, CChr.SL. 32,1–167. De doctrina christiana, CSEL 80,3–169. Enchiridion de fide, spe et caritate: Enchiridion (ad Laurentium) de fide, spe et caritate, CChr.SL. 46,49–114. De trinitate: S. Aurelii Augustini Hipponensis episcopi De trinitate libri XV, cura et studio William J. Mountain, auxiliante Franciscus Glorie, CChr.SL. 50/50A, Turnhout 1968. De vera religione: De vera religione, CChr.SL 32,187–260. De vera religione, CSEL 77/2,3–81. Averroes Commentarium magnum in Aristotelis Physicorum: Commentarium magnum in Aristotelis Physicorum librum septimum (Vindobonensis, Lat 2334) Averroës, hg. von Horst Schmieja, Paderborn 2007. Billuart, Charles René Summa s. Thomae hodiernis academiarum moribus accommodata Summa s. Thomae hodiernis academiarum moribus accommodata, sive cursus Theologieae. Iuxta mentem et in quantum licuit, iuxta ordinem et litteram D. Thomae in sua Summa; Summa Sancti Thomae, opera et studio Caroli Renati Billuart; ed. nova, ab auctore aucta et emendata, 19 Bde., Lüttich 1746–1751. Summa Summae s. Thomae sive Compendium theologiae: Summa Summae s. Thomae sive Compendium theologiae, R. Patris Caroli Renati Billuart, Ord. Fratrum Praedicaterum, 6 Bde., Lüttich/Würzburg 1754–1766. Boethius De institutione arithmetica/Über die Unterweisung in der Arithmetik: Boèce: Institution arithmetique, texte établi et traduit par Jean-Yves Guillaumin, Collection des Universités de France. Serié Latine 322, Paris 22002. De instutiotione arithmetica et De institutione musica de Boèce: De instutiotione arithmetica et De institutione musica de Boèce, dans l’enseignement scientifique et philosophique du Haut Moyen âge en Neustrie: édition d’un manuscrit Du IXe siècle, textes et gloses, par Illo Humphrey; sous la direction d’Iégor Reznikoff, Paris 2004. De syllogismis categoricis: Anicii Manlii Severini Boethii De syllogismo categorico: critical edition with introduction, tanslation, notes, and idexes, Christina Thomsen Thörnqvist, Göteborg 2008. De syllogismis hypotheticis: De hypotheticis syllogismis, A.M. Severino Boezi. Testo, trad., introd. e commento di Luca Obertello, Brescia 1969. De topicis differentiis; Boethius’ De topicis differentiis: De topicis differentiis, Boethius’s De topicis differentiis, translated, with notes and essays on the text, by Eleonore Stump, 1. Print, Ithaca 2004. In Ciceronis topica; Boethius’s in Ciceronis topica: In Viveronis topica, Boethius’s in Ciceronis topica, translated, with notes and an introduction by Eleonore Stump; 1. Print., Ithaca 2004.
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Libri logicales: Libri logicales: Praedicamenta; De interpretatione; Analytica priora et posteriora; Topica; Elenchi sophistici. Aus dem Griechischen übersetzt von Boethius und Jacobus Veneticus (Posteriora). – Porphyrius: Isagoge in Preaedicamenta Aristotelis. Aus dem Griechischen übersetzt von Boethius. – Gilbertus Porretanus: Liber sex principiorum, Venedig 1484. Opuscula sacra: Opuscula sacra, Boèce. Texte latin de l’éd. de Claudio Moreschini. Introduction, trad. et commentaire par Alain Galonnier, Neu-Löwen 2007 ff. Bonaventura Opera omnia: Opera omnia. 10 Bde., Quaracchi 1882–1902; Opere, Lateinisch-italienisch, hg. von Jacques-Guy Bougerol u. a., Rom 1990 ff. Übersetzungen: Breviloquium: Breviloquium, hg. und übersetzt von Marianne Schlosser, Einsiedeln 2006. Collationes in hexaëmeron: S. Bonaventurae Collationes in hexaëmeron et Bonaventuriana quaedam selecta, Ferdi nand M. Delorme (Hg.), Quaracchi 1934. Collationes in hexaëmeron. Lateinisch-deutsch, hg. und übersetzt von Wilhelm Nyssen, München ²1979. De triplici via: De triplici via. Lateinisch-deutsch, hg. und übersetzt von Marianne Schlosser, Freiburg i. Br. u. a. 1993. Der Pilgerweg des Menschen zu Gott: Der Pilgerweg des Menschen zu Gott, übersetzt und kommentiert von Marianne Schlosser, St. Ottilien 2010. Itinerarium mentis in Deum: Itinerarium mentis in Deum. Lateinisch-deutsch, hg. und übersetzt von Marianne Schlosser, Münster 2004. Quaestiones disputatae de scientia Christi: Quaestiones disputatae de scientia Christi, hg. und übersetzt von Andreas Speer, Hamburg 1996 (PhB 446). Sermones dominicales: Sermones dominicales; Sancti Bonaventurae Sermones dominicales, ad fidem cod. nunc ed. studio et cura Jacques-Guy Bougerol (BFSMA 27), Grottaferrata 1977. Bernard Gui Vita S. Thomae Aquinatis Vita S. Thomae Aquinatis, auctore Bernardo Guidonis, Saint-Maximin 1929. Thomas de Vio Cajetan De ente et essentia: De ente et essentia D. Thomas Aquinatis, commentaria: Thomas de Vio Cajetanus, ed. Marie-Hyacinthe Laurent, Turin 1934.
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Wisnovsky, Robert: Avicenna’s Metaphysics in Context, London/New York 2003. Wissink, Jozef B. M. (Hg.): The Eternity of the World in the Thought of Thomas Aquinas and his Contemporaries, Leiden/New York 1990. Wittreck, Fabian: Geld als Instrument der Gerechtigkeit. Die Geldrechtslehre des hl. Thomas von Aquin in ihrem interkulturellen Kontext, Paderborn 2002. Wöhler, Hans-Ulrich (Hg.): Texte zum Universalienstreit, Bd. 1: Vom Ausgang der Antike bis zur Frühscholastik, Berlin 1992. Wohlman, Avital: Thomas d’Aquin et Maïmonide. Un dialogue exemplaire, Paris 1988. Wyser, Paul: Thomas von Aquin (BEStPh 13/14), Bern 1950. Young, Abigail Ann: Accessus ad Alexandrum. The Prefatio to the Postilla in Iohannis Euangelium of Alexander of Hales (1186?−1245), in: MS 52 (1990), 1–23. Zemler-Cizewski, Wanda: Rediscovering Thomas Aquinas in the twenty-first century, in: AThR 85 (2003), 735–741. Zimmermann, Albert (Hg.): Die Auseinandersetzungen an der Pariser Universität im XIII. Jahrhundert (MM 10), Berlin u. a. 1976. — (Hg.): Die Kölner Universität im Mittelalter. Geistige Wurzeln und soziale Wirklichkeit, Berlin u. a. 1989. —: »Ipsum enim ›est‹ nihil est« (Aristoteles, Periherm. I, c. 3). Thomas von Aquin über die Bedeutung der Kopula, in: Ders./Hoffmann, Rudolf (Hg.): Methoden in Wissenschaft und Kunst des Mittelalters (MM 7), Berlin 1971 (ND 2013), 282–295. —: Thomas lesen (Legenda 2), Stuttgart 2000. — (Hg.): Thomas von Aquin, Von der Wahrheit/De veritate (Quaestio I) (PhB 384), Hamburg 1986. —: Ontologie oder Metaphysik, Leiden 1965; Löwen 21998.
Register Stellen Altes Testament Genesis 1,1 1,1–2,4 1,27 1,31 2
140, 339, 342 346 359 237 348
Exodus 33,20
196
Hiob 11,7
196
Psalmen 4,4 33,9 53,2 104 104,13 110,4
429 316 328 342 202 249
Jesaja 11,2 f. 64,3
259 414
Daniel 7,14
249
Sacharja 1,3
435
Jesus Sirach 24,40
179
Neues Testament Matthäusevangelium 5,3–12 5–7 10
259 210 124, 210
17
210
Johannesevangelium 1,1.14 3 5,27 5,35
390 211 409 429
Apostelgeschichte 8,14–17 17,34
401 75
Römerbrief 1 1,19 1,19 f. 1,19–32 1,20 2,15 3,25 f. 8,21 11,33 11,36 13,1
148 145 55 145 145 406 396 409 196 342 120, 343
1. Korintherbrief 1,23 f. 1,25 7,21 9,27 12 13 13,12 13,13 15,12
141 391 409 380 370 52 195 261 405
Galaterbrief 3,28 5,22 f.
145 259
Epheserbrief 2,19
380
498
Register
Kolosserbrief 1,16 3,11
342 145
1. Timotheusbrief 2,7 6,15 6,16
429 249 196
2. Timotheusbrief 3,16
201
Titusbrief 1,9
183
1. Petrusbrief 3,15
212
Hebräerbrief 11,1
311
Jakobusbrief 5,14–16
400
Offenbarung 10,6 11,4 21,1
409 133 409
Autoren der Antike Alcherus De spiritu et anima
70
Alexander von Aphrodisias Super Meteorologicam 151 Aristoteles Analytica posterioria I, 3, 4 II, 26 Analytica priora I, 15, 33b I, 15, 34a Categoriae De anima II, 1
84, 89, 155, 229 f., 323, 411, 414 327 284 84, 89, 230, 411 332 333 84, 89, 229, 411 90, 92, 154, 223 191
III, 6 226 De animalium incessu 156 De caelo 92, 223 De generatione animalium 154, 223 De interpretatione 84, 89, 229, 411 227 2, 16b 10, 19b 225 333 12, 21b 13, 23a 332 De memoria et reminiscentia 154 De mineralibus 223 De motu animalium 154 De partibus animalium 151 De sensu et sensato 154 De sophisticis elenchis 84, 89, 230, 411 c. 1 183 Ethica Eudemeia 155 Ethica Nicomachea 92, 156, 179, 181, 232, 234, 242 370 II, 1 VI 285 VI, 7 285 Historia animalium 154, 156 Metaphysica 90, 92 f., 154–156, 242, 292, 411 f. I, 2 285 II 224, 340 II, 1 333 f., 337 332, 337 II, 2 IV 230, 235 IV, 4 334 IV, 7 323 V 267 X 349 XI 92 XII 235, 239, 355 XII, 6 323, 337 XII, 7 336 155 XII, 8 XII, 10 234 Meteorologica 151, 156, 223 IV 152 Perihermeneias s. De interpretatione Physica 89, 92 f., 151, 184, 223, 242 I 267 II 267
499
Stellen
VII VII,1 VII,2 VII,4 VII,5 VIII VIII,2 VIII,5 Poetica Politica III, 6 Rhetorica Topica
337 330 330 330 330 337 331 330 152, 230 152, 154, 242 243 154, 230 84, 89, 230, 411
Augustin De civitate Dei 68, 70 9, 4, 1 258 De diversi quaestionibus LXXXII 70 De doctrina christiana 46, 52, 68, 70, 98 De Genesi ad litteram 70 8 69 12 69 De spiritu et littera 436 De trinitate 68, 70 69, 74 6 10 72 12,14,22 285 14 414 14,1,3 285 De vera religione 31,57 328 39,72 328 De verbis domini (et apostoli) 70 Enchiridion de fide, spe et caritate (ad Laurentium) 46, 52, 250, 267 Soliloquia 2, 1–2 328 Boethius Commenta in Isagogen Porphyrii 82, 84 l. 1 c. 11 83 Commentarii in librum De hebdomadibus 329 Consolatio Philosophiae 88 5 88
De institutione arithmetica 82 De institutione musica 82 De syllogismis categoricis 85 De syllogismis hypotheticis 85 De topicis differentiis 84 De trinitate 412 f. q. 3 412 Introductio ad syllogismos categoricos 85 Opuscula sacra 85–88, 175 Cicero Topica
84
Fulgentius von Ruspe De fide seu de regula fidei ad Petrum 46, 70 Galen De virtutibus alimentorum
152
Gennadius von Marseille Liber sive definitio ecclesiasticorum dogmatum 46 Hilarius von Poitiers De trinitate
97
Martianus Capella De nuptiis Philologiae et Mercurii 57 Origenes De principiis
250
Philoponus De anima
155
Platon Menon Parmenides Phaidon Phaidros 245c-e Politeia Timaios
90 176 90 337 110 90
500 Porphyrius Isagoge
Register
82, 90, 411
Proklos Elementatio theologica 90, 154, 156, 239, 241 In Parmenidem 152 151 Tria Opuscula Prosper von Aquitanien Sententiarum ex operibus S. Augustini delibatarum liber 45 Pseudo-Dionysius Areopagita De caelesti hierarchia 75 f., 78 77 2 4 79 6 78 7 77 10 80 De divinis hypotyposibus 193 De divinis nominibus 75 f., 78, 193 f., 198 f. 2 80 4 76, 79 f. 6 76 78 7 12 78 De ecclesiastica hierarchia 75, 76 De mystica theologia 75 f., 78, 194, 198 De symbolica theologia 194, 198 f.
Autoren des Mittelalters Abaelard, Petrus Expositio in epistolam ad Romanos 50 Sic et non 46, 53, 98 Theologia scholarium 98 Pref. 1 52 52 I,1 I,17 53 Adam von St. Viktor Summa Britonis
48
Aegidius von Lessines Tractatus de usuris
8
Ptolemaeus Harmonica Liber Iudicialium
82 152
Seneca De beneficiis
148
Albertus Magnus De IV coaequaevis 128 De bono 128 De creaturis 128 De fato 8 De homine 8, 128–130 De incarnatione 128 De natura boni 128 De ressurectione 128 De sacramentis 128 55, 126, 284 Summa Theologica Super Dionysium De caelesti hierarchia 4, 64, 128 Super Dionysium De divinis 64, 129, 132 nominibus XI 131 Super Dionysium De ecclesiastica 129 hierarchia Super Ethica 5, 129, 170 Super Politica 243 127 f. Super sententiarum
Simplicius In De caelo
155
Alexander IV. Quasi lignum vitae
Themistius In De anima
151, 154
Varro Disciplinarum libri novem 57
150
Alexander von Hales Exoticon 101 Glossa in quattuor libros sententiarum 101 I Intr. n. 2 p. 1 101 I Intr. n. 8 p. 4 101 I d. 23 n. 9b p. 226 102
Stellen
II d. 40 n. 1 102 Quaestiones ›antequam esset frater‹ 101 Quaestiones de incarnatione q. 15 n. 72 102 Quaestiones disputatae de gratia 101 100 Summa de anima Summa de vitiis 100 Summa Halensis 55, 99–104 I n. 1 p. 2 104 I n. 387 p. 570 102 III n. 23 tom. IV p. 41–42 104 III n. 606–672 104 180 Super Sententiarum al-Ghazālī Destructio philosophorum 111 Anonymi Cursus Theologiae Salmanticensis 443 Epistolae obscurorum virorum 439 Liber de causis 90, 147, 160, 175, 239, 241 f., 337 c. 5 241 c. 21 241 Liber pancrisis 45 Sententiae divinitatis Tract. II 54 54 Tract. IV Summa sententiarum 48, 98, 251 54 Tract. I c. IV Ysagoge in theologiam 54 Prol. 55 Anselm von Laon Glossa ordinaria
49 f., 97, 204
Averroes Commentarium magnum in Physicam 337 2,75 335 Destructio Destructionum Philosophiae Algazelis 111 Entscheidungstraktat 110
501
Avicenna Buch der Anzeichen und der Hinweise 106 Buch der Heilung 106 Kanon der Medizin 105 Metaphysik 338 Bate, Heinrich Speculum divinorum et quorundam naturalium 152 XI, c. 12 Bonaventura Breviloquium 134 f., 138, 267 VI, 4 398 VI, 13 396 Collationes de decem praeceptis 139, 188 II, 28 94 Collationes de septem donis Spiritus sancti 139, 188 IV, 6 139 IV, 12 95 VIII, 16–19 139 f. Collationes in Hexaëmeron 138 f. I, 9 138 Commentarius in IV libros sententiarum 134, 188 I prooem. q. 1 ad 5–6 287 I prooem. q. 2 141 I prooem. q. 2 ad 4 283 141 I prooem. q. 3 I d. 3 p. 2 a. 1 q. 3 135 137 I d. 8 p. 1 a. 1 q. 2 II d. 1 p. 2 a. 3 q. 2 135 II d. 9 a. un. q. 9 ad 2 288 II d. 16 a. 2 q. 1 135 II d. 24 136 III d. 35 q. 1 141 De mysterio trinitatis 136 q. 1 a. 1 137 De perfectione evangelica 137 q. 2 a. 2 137 De scientia Christi 136 De triplici via – sive Incendium amoris 138
502
Register
Itinerarium mentis in Deum 138, 141 V, 3.4 137 V–VI 137 Kommentar zu Ekklesiastes 134 Kommentar zum Johannesevangelium 134 Kommentar zum Lukasevangelium 134 Legenda maior S. Francisci 138 Legenda minor S. Francisci 138 VII, 8 134 Sermo theologicus 136 IV Soliloquium de quattuor mentalibus exercitiis 138 Bonifaz VIII. Liber Sextus VI 2.14.2 Unam Sanctam
118 120
Capreolus, Johannes Defensiones theologiae divi Thomae Aquinatis 437 Princeps thomistarum 181 Dante Alighieri Divina Commedia 11.–12. Gesang
408, 429 132
Duns Scotus, Johannes Ordinatio I d. 8 q. 3 299 Gerhard von Abbeville Contra adversarium perfectionis christianae 269 Gerhard von Borgo San Donnino Liber Introductorius in Evangelium aeternum 134 Gregor IX. Parens scientiarum Parisius 91
Gui, Bernard Vita S. Thomae Aquinatis 429 c. 32 5 Heinrich von Gorkum 438 Abbrevationes Helwic von Straßburg De dilectione Dei et proximi 8 Honorius III. Religiosam Vitam
42
Hubertus Colligite Fragmenta
265
Hugo von St. Viktor De sacramentis christianae fidei 54, 97 f. Prol. c. II 51 Prol. c. III 51 Didascalion de studio legendi III 9 46 Huguccio von Pisa Summa decretorum Di. 22 c. 1
119
Innozenz III. Venerabilem
115
Innozenz IV. Eger cui lenia Etsi animarum
119 150
Isidor von Sevilla Libri tres sententiarum 45 Jean de Meun Roman de la Rose
151
Johannes XXII. Redemptionem misit dominus 429 Johannes Damascenus De fide orthodoxa 97
503
Stellen
I, 3
335, 337
Maimonides, Moses Dux neutrorum II, 1
337
Mechthild von Magdeburg Das fließende Licht der Gottheit 41 Meister Eckhart Prologus generalis in opus tripartitum 301 36–48 Quaestiones Parisienses 1–10 300 f. Utrum in Deo idem sit esse et intelligere 301
III d. 23–40 III d. 38–40 IV d. 1–42 IV d. 43–50
251 257 251 252
Ptolomaeus von Lucca Historica ecclesiastica nova 252 23,15 S. Thomae Aquinatis vitae fontes praecipui 431 Raymund von Peñafort Liber Extra 31 Robert von Melun Quaestiones de Epistolis Pauli 50
Nikolaus von Straßburg Summa philosophiae 437
Roland von Cremona Summa
Petrus von Bergamo Tabula aurea
12 f.
Petrus Cantor Summa Abel
48
Petrus Comestor Historia scholastica
50
Siger von Brabant De anima intellectiva c. 3 355 c. 4 355 c. 6 355 c. 7 355 Quaestiones in Librum de causis 242
Petrus Lombardus Sententiae in IV libros distinctae 7, 47–49, 52, 64, 66, 70, 96–98, 134, 163, 178, 181, 265, 280, 308, 421 f. I d. 1 251 I d. 2–34 251 I d. 8 252 252 I d. 26–27 I d. 32 c. 1 98 I d. 35–48 251 II d. 1–20 251 II d. 21–44 251 II d. 42 c. 6–8 257 III d. 1–22 251 257 III d. 23 c. 1 III d. 23 c. 1–2 252 III d. 23 c. 2 257
Thomas von Aquin Compendium theologiae I c. 1 I c. 2 I c. 36 I c. 37–44 I c. 44–49 I c. 106 I c. 150 I c. 152 I c. 153 I c. 156 I c. 157 I c. 161 I c. 164 I c. 168 I c. 174 I c. 175 I c. 179
285
267 309 309 309 309 408 404 404 405 f. 406 406 405 407 408 408 408 408
504 I c. 180 408 409 I c. 181–182 I c. 230 404 I c. 239 405 II c. 10 267 Contra retrahentes c. 1 271 270 c. 6 c. 8–9 271 c. 9 271 c. 12 271 c. 14–16 271 c. 15 271 c. 16 271 De anima 350 II l. 1–2 III 352 III l. 1 221 III l. 3 354 III l. 9–10 354 III l. 10 354 f. III l. 10 351 De articulis fidei I 143, 406 II 392, 400, 402 De caelo 218 I, 22 De commendatione et partitione sacrae scripturae § 1200 202 De divinis nominibus c. 1 l. 1 196 c. 1 l. 2 196 f. 194, 196 f. c. 1 l. 3 c. 2 l. 2 197 199 c. 3 c. 4 l. 1 199 c. 4 l. 14 199 c. 5 l. 1 198 f. 194 c. 5 l. 3 c. 7 l. 4 198 c. 11 l. 4 194 c. 13 l. 3 194 c. 13 l. 4 199 De ente et essentia prooem. 160 161, 323 c. 1 c. 2 161 c. 3 84, 162
Register
c. 4 162, 323 87, 162, 299 f., 335 c. 5 c. 6 162, 299 f., 323 De malo q. 3–7 168 q. 5 169, 409 168 f. q. 6 q. 7–15 168 q. 8 148 q. 9–15 169 q. 16 168 f. De perfectione vitae spiritualis c. 6 269 c. 13–14 270 c. 15 270 c. 16 ff. 270 c. 18 270 c. 19 270 c. 23 270 c. 25–29 270 De potentia q. 1 167 q. 1–2 298 q. 2 167 q. 3 167 f., 187, 224, 339, 342, 345, 356 q. 4–6 167 q. 5 168 q. 6 147 q. 7 167, 295–297, 299–301, 309 q. 8 297, 309 297, 309, 404 q. 9 q. 10 297, 309 De rationibus fidei 309 prooem. c. 1 212 c. 2 213 c. 3 213 c. 4 213 c. 5 214 c. 7 214 c. 8 215, 401 c. 9 215, 409 De regno ad regem Cypri I c. 1 247 I c. 6 248 II c. 1 245–247 II c. 3 248 f.
Stellen
II c. 4 245 243, 245 II c. 8 De spiritualibus creaturis q. 1 a. 3f 352 q. 1 a. 9–10 356 De substantiis separatis c. 3 148 268 c. 14–15 c. 18 268 De unitate intellectus 356 prooem. c. 1 190 f., 350, 356 c. 2 192 c. 3 192, 356 c. 4 192, 356 191 f. c. 5 De veritate q. 1 165, 297, 357 q. 2 298, 302, 354, 423 q. 2–22 5, 165 q. 4 303 q. 5–6 298 q. 8 346, 354 q. 8–9 166 q. 9 352 296, 352, 354 q. 10 q. 10–17 166 q. 14 143 f., 170 q. 18–20 166 q. 19 406 q. 22 166 q. 23 166, 298, 352 q. 24 338 357, 364, 369 f. q. 27 De virtutibus q. 1 170 q. 2 170 q. 3 169 Expositio in epistolam S. Pauli ad Romanos c. 1 l. 6 145 c. 1 l. 6–8 145 c. 1 l. 7 146 Expositio in librum Boethii De Ebdomadibus c. 3 299 Expositio in Symbolum Apostolorum c. 1 149 409 c. 10 c. 11 407 c. 12 406, 408
505
Expositio super librum De trinitate Boethii 172, 295 q. 1 q. 2 172, 283, 288 q. 3–6 6 q. 4 172 q. 5 6, 173 173 q. 6 In Analytica Posterior I, 1–12 229 I, 27-II, 20 229 In Ethicam/Sententia libri Ethicorum I l. 1 418 I l. 1–3 417 I l. 5 357 I l. 10 350 I l. 13 350 I l. 19–20 357 II l. 1 370 VI l. 3 f. 417 X l. 9–10 349 X 418 X l. 10–12 357 X l. 11 357, 420 X l. 13 357, 420 In Metaphysicam / Sententia super Metaphysicam Prooem. 292 I l. 1 417 II l. 5 237 III 236 IV l. 2 235 V l. 9 236 236 V l. 14 VI l. 1 411 147 XI l. 5 XII 237 XII l. 5 188 XII l. 6 292 XII l. 7 237 XII l. 7–9 297 XII l. 8 293 In Physicam/Sententia super physicam II l. 14 223 VIII l. 10 188 Peri Hermeneias Prooem. 226 I c. 5 227 I c. 9 228 I c. 14 228
506
Register
I c. 15 228 Quodlibet III a. 31 187, 342 VII a. 1 407 Responsio de 43 articulis a. 34 217 Summa contra gentiles 146, 183 I c. 1 I c. 2 143, 146 I c. 2–9 184 I c. 3 183, 305, 412 f., 418 I c. 4 183, 419 I c. 5 183 I c. 6 143, 420 I c. 7 146, 183, 412 183, 305, 325 I c. 9 I c. 10 299, 327 f. I c. 10–11 184, 293 I c. 10–13 184 I c. 11 293, 327 f. I c. 12 184, 292, 325 f. I c. 13 292, 329, 332, 334 f. I c. 13 – III c. 120 6 I c. 14 79, 184, 296, 323 f. I c. 14–27 184 184, 333 I c. 15 I c. 15–102 297 I c. 16–17 184 I c. 18–27 184 I c. 22 185, 299 f., 323 I c. 25 299 I c. 26 80, 300 I c. 28–102 184 79, 323 I c. 30 I c. 30–36 185 185 I c. 37–41 I c. 42 143, 185 I c. 43 185 I c. 44–48 185 185 I c. 44–71 I c. 44–102 185 I c. 48–49 302 I c. 49–59 185 I c. 63–71 185 I c. 72–74 185 I c. 75 185 185 I c. 83–88 I c. 97 185 I c. 97–98 185
I c. 99–102 II c. 4 II c. 6–38 II c. 7 II c. 15 II c. 16 II c. 21 II c. 32 II c. 32–35 II c. 35 II c. 38 II c. 39–45 II c. 42–44 II c. 45 II c. 46–47 II c. 46–101 II c. 49–52 II c. 51 II c. 52–54 II c. 56–90 II c. 59–75 II c. 66 II c. 68 II c. 68–70 II c. 73–78 II c. 78 II c. 79 II c. 79–82 II c. 80 II c. 81 II c. 82 II c. 85 II c. 87–89 II c. 91 II c. 91–101 II c. 94 II c. 95 III c. 1 III c. 1–63 III c. 2–24 III c. 18–24 III c. 20 III c. 25 III c. 25–37 III c. 25–63 III c. 37 III c. 38–48 III c. 38–63
185 184, 416 185 185 185 346 339 303 185 303 f. 143 185 6 185 185 185 6 185 185 185 221 147 186 185 185 356 351 185 351 351 351 355 186 80 186, 348 186 80 361 186 357 363 186 358, 364, 420 348 357 186, 358, 364, 403, 420 357 364
507
Stellen
III c. 39 III c. 39–41 II c. 40 III c. 41–45 III c. 47 III c. 48 III c. 50 III c. 51 III c. 52–62 III c. 53 III c. 63 III c. 64 III c. 64–97 III c. 64–110 III c. 72 III c. 75–76 III c. 90 III c. 97 III c. 98–100 III c. 98–110 III c. 99 III c. 101 III c. 101–146 III c. 111–114 III c. 111–163 III c. 114–129 III c. 115 III c. 116 III c. 117 III c. 130–139 III c. 135 III c. 140–146 III c. 144 III c. 147 III c. 147–154 III c. 147–163 III c. 149 III c. 151–153 III c. 154 IV prooem. IV c. 1 IV c. 2–14 IV c. 2–26 IV c. 11 IV c. 15–25 IV c. 19 IV c. 26 IV c. 27–78 IV c. 54
358, 420 358 420 186 69 186 420 403 186 407, 420 186 344 364 186 186 186 344 186 364 186 364 364 364 364 186 186 364 360, 364, 366, 369 367 186 143 186 408 361, 364, 368, 370 360 186, 363 f. 373 360 370 296 f. 184, 187 308 187, 297 305 308 305 308 187 391
IV c. 56 IV c. 56–78 IV c. 57 IV c. 58 IV c. 59 IV c. 61–69 IV c. 63 IV c. 65 IV c. 73 IV c. 74 IV c. 76 IV c. 77 IV c. 78 IV c. 79 IV c. 79–97 IV c. 81 IV c. 82 IV c. 86 IV c. 91 IV c. 92 IV c. 95 IV c. 97 Summa Theologiae I q. 1
I q. 1–43 I q. 2
I q. 2–26 I q. 2–43 I q. 3 I q. 3–11 I q. 3–26 I q. 3–43 I q. 4 I q. 5 I q. 5–6 I q. 7–8 I q. 8 I q. 9 I q. 10 I q. 11
397 187, 392 395 400 400 401 401f 402 400 398, 401 401 398 400 403–405 187, 403 405 406 406, 408 409 404 f. 404, 405 187 201, 253, 281–284, 286–291, 310, 322, 324, 410, 413–415, 418 f., 423 264 146, 252–254, 262, 264, 292–294, 299, 311, 323, 325, 327–329, 336, 384, 423 253, 310, 312 312 79, 252, 254, 292, 295 f., 299–301, 323, 326 254, 294 297 292 78, 147, 254, 291 71, 72 254 254 304, 323 71, 254 254 254
508 I q. 12 I q. 13 I q. 14 I q. 14–17 I q. 14–24 I q. 15 I q. 16 I q. 16–17 I q. 17 I q. 18 I q. 19 I q. 19–24 I q. 20 I q. 21 I q. 22 I q. 23 I q. 24 I q. 25 I q. 25–26 I q. 26 I q. 27 I q. 27–38 I q. 27–43 I q. 28 I q. 29 I q. 29–32 I q. 29–38 I q. 30 I q. 31 I q. 32 I q. 33 I q. 33–38 I q. 34 I q. 35 I q. 36 I q. 36–38 I q. 37 I q. 38 I q. 39 I q. 39–43 I q. 40 I q. 40–42 I q. 41 I q. 42
Register
69 f., 77–79, 254, 282, 295–297, 357 f., 374, 402, 407 f., 420 69, 77–79, 146, 254, 295 f., 303, 324 71 f., 254, 282, 298, 302 f., 305, 316, 354 298 254 254, 291 71, 147 254 71 254 254, 305, 316 298 254, 316, 369 254, 298, 312 254, 298 254, 298 254, 298 254, 298 254 254 254, 305, 312 f., 315 254 253, 310, 313 254, 313, 318 74, 88, 102, 254, 305, 314 313 313 254 254, 312 254, 282, 311 88, 254, 312 f., 315 313 254, 313, 343 254, 313, 316 74, 254 313 254, 316 f. 254 254, 312 f., 317–319 313 313, 317 f. 254 70, 313 70, 313
I q. 43 I q. 44 I q. 44 ff. I q. 44–46 I q. 44–119 I q. 45 I q. 46 I q. 47 I q. 48 I q. 49 I q. 50 I q. 50–53 I q. 50–64 I q. 53–58 I q. 54 I q. 54–58 I q. 55 I q. 56 I q. 58 I q. 59 I q. 60 I q. 61 I q. 61–64 I q. 62 I q. 63–64 I q. 64 I q. 65 I q. 65–74 I q. 66 I q. 66–69 I q. 66–74 I q. 67–74 I q. 70–72 I q. 72 I q. 73 I q. 74 I q. 75 I q. 75–76 I q. 75–89 I q. 75–102 I q. 76 I q. 77 I q. 77–83
254, 313, 319 f. 71 f., 147, 225, 264, 291, 299, 301, 310, 323, 339, 340, 345 f. 312 255 253, 264, 292, 338 71, 147, 301, 339, 343 187 f., 224, 342 255, 344 f. 80, 255, 345 71, 255 255, 345 f. 255 255, 348 354 282 255 346 78 71 71, 255, 346 255, 346 255 346 255, 346 255 352, 405 255, 346 348 71, 73, 147, 346 255 342 387 255 348 255 255 71 f., 147, 255, 348 f., 351 f., 404 255 171, 219, 255, 349 255, 348 71 f., 255, 349, 350 f., 355, 404 68, 70 f., 256, 347, 351–353 259
Stellen
I q. 78 I q. 78–83 I q. 79 I q. 80 I q. 80–83 I q. 81 I q. 82 I q. 83 I q. 84 I q. 84–86 I q. 84–87 I q. 84–89 I q. 85 I q. 87 I q. 88 I q. 89 I q. 90 I q. 90–92 I q. 90–102 I q. 91 I q. 92 I q. 93 I q. 94 I q. 94–96 I q. 94–101 I q. 95 I q. 95–96 I q. 97 I q. 97–101 I q. 98–101 I q. 99 I q. 100 I q. 101 I q. 102 I q. 103 I q. 103–119 I q. 104 I q. 105 I q. 106 I q. 106–114 I q. 110 I q. 111 I q. 114 I q. 115 I q. 115–116 I q. 117–119
256, 352 256 70 f., 73, 256, 282, 296, 349, 354 f., 419 256, 349, 354, 357 256 256, 258 70 f., 256, 357 256, 349 71–73, 79, 147, 256 f., 296 256 147 282 71, 349, 354 71, 256 256, 296 256, 296, 348 256, 358 349 255 f. 256, 356 256, 353 f. 70, 135, 256, 349, 358 f., 369 256, 357 256 256, 349 358, 361, 368 256 71, 256 256 256 256 256 256 71, 256, 349 71, 256 256 256, 341 256 80 257 71 74 260 369 257 257
I q. 118 I q. 118–119 I q. 119 I-II prooem. I-II q. 1 I-II q. 1–5 I-II q. 2 I-II q. 3 I-II q. 3–5 I-II q. 4 I-II q. 5 I-II q. 6 I-II q. 6–17 I-II q. 6–21 I-II q. 6–48 I-II q. 7 I-II q. 8 I-II q. 8–12 I-II q. 9 I-II q. 11 I-II q. 12 I-II q. 13–16 I-II q. 17 I-II q. 18 I-II q. 18–20 I-II q. 18–21 I-II q. 20 I-II q. 21 I-II q. 22 I-II q. 22–48 I-II q. 23 I-II q. 24 I-II q. 25 I-II q. 26–29 I-II q. 26–39 I-II q. 26–48 I-II q. 30 I-II q. 31–39 I-II q. 34 I-II q. 40 I-II q. 40–48 I-II q. 41–45 I-II q. 46–48 I-II q. 49 I-II q. 49–54
509 352 257 71 375 71, 257, 344, 375, 416 130, 257, 358 71, 357, 416 257, 357, 376, 420 403 71, 359, 368, 374, 376, 405 71, 257, 348, 358, 374, 376 71, 258, 348, 359, 363 258, 363 258, 359 257 258 357 258 71 344 71 258 258 376 f. 258 258, 363 377 258, 378 258, 359 258, 359, 363 258, 359 148, 258, 360 258, 359 258 258 258 258 259 147 f. 259 258 259 259 347, 363 259, 363
510 I-II q. 49–89 I-II q. 49–114 I-II q. 54 I-II q. 55 I-II q. 55–67 I-II q. 55–89 I-II q. 57 I-II q. 57–62 I-II q. 58–61 I-II q. 59 I-II q. 61 I-II q. 61–66 I-II q. 62 I-II q. 63 I-II q. 64 I-II q. 65 I-II q. 66 I-II q. 67 I-II q. 68 I-II q. 68–70 I-II q. 69 I-II q. 70 I-II q. 71 I-II q. 71–89 I-II q. 72 I-II q. 75 I-II q. 75–84 I-II q. 76 I-II q. 77 I-II q. 78 I-II q. 79 I-II q. 80 I-II q. 81 I-II q. 81–83 I-II q. 82 I-II q. 84 I-II q. 85 I-II q. 86 I-II q. 87 I-II q. 87–89 I-II q. 88–89 I-II q. 90 I-II q. 90–92 I-II q. 90–108 I-II q. 90–114 I-II q. 91 I-II q. 93 I-II q. 94 I-II q. 95–97
Register
259 258 259 379 259, 363 259 259, 282 259 259 148 259, 379 171 259, 360 379 f. 259 170, 259, 379 f., 421 259 259 259 259 259 259, 363 368 168, 259, 363 260 259 259 259 259, 361, 368 259 259 259 260, 368 f., 371 260 368 260 260, 369, 402, 404 260 369 260 260 381 260 260, 363 259 367, 381 260 260, 381 f. 260
I-II q. 98–99 I-II q. 99 I-II q. 100 I-II q. 101–103 I-II q. 104–105 I-II q. 105 I-II q. 106 I-II q. 106–108 I-II q. 107 I-II q. 109 I-II q. 109–114 I-II q. 110 I-II q. 111 I-II q. 112 I-II q. 113 I-II q. 114 II-II q. 1 II-II q. 1–16 II-II q. 1–170 II-II q. 2 II-II q. 4 II-II q. 5 II-II q. 8 II-II q. 9 II-II q. 10 II-II q. 11 II-II q. 12 II-II q. 14 II-II q. 15 II-II q. 17 II-II q. 17–22 II-II q. 23 II-II q. 23–44 II-II q. 23–46 II-II q. 28–33 II-II q. 33 II-II q. 35–153 II-II q. 45–46 II-II q. 47–56 II-II q. 48 II-II q. 48–51 II-II q. 56–90 II-II q. 57–122 II-II q. 61 II-II q. 61–78 II-II q. 61–120 II-II q. 62 II-II q. 63–78
260 365–367 260, 365–367 260 260 387 367 260, 367 367 260, 368 f., 372 f. 260, 363 260, 369 f. 260, 370, 372 260, 366, 372–374 260, 363 f., 368, 371–374 260, 358, 372 f. 144, 200, 207, 312 261, 282 260 143 f., 419 143 70 419, 421 418 f., 421 142–145 143 143 70 147 171 261 171, 360 261 261 261 169 168 261 261, 282 261 261 348 261 261 261 261 373 261
Stellen
II-II q. 64–66 II-II q. 64–78 II-II q. 65 II-II q. 67 II-II q. 67–71 II-II q. 72–76 II-II q. 79 II-II q. 80–120 II-II q. 81–100 II-II q. 83 II-II q. 92–96 II-II q. 94 II-II q. 97–100 II-II q. 101 II-II q. 102–105 II-II q. 106–107 II-II q. 108 II-II q. 109–113 II-II q. 114–116 II-II q. 117–119 II-II q. 120 II-II q. 123–140 II-II q. 141–170 II-II q. 144–169 II-II q. 154 II-II q. 160 II-II q. 167 II-II q. 171 II-II q. 171–174 II-II q. 171–189 II-II q. 175 II-II q. 176 II-II q. 177 II-II q. 178 II-II q. 179–182 II-II q. 180 II-II q. 183 II-II q. 184 II-II q. 185 II-II q. 186 II-II q. 186–189 II-II q. 188 III prooem. III q. 1 III q. 1–26 III q. 1–59 III q. 2 III q. 2–15 III q. 3
261 261 373 406 261 261 261 262 262 407 262 143 262 124, 262 262 148, 262 262 262 262 262 262 261 261 261 143 261 148 262 262 261 f. 262 262 262 262 262 78 262, 401 262, 401 262 125 262, 268 125 385, 393, 403 262, 386 262, 386 262 262, 370 262 262
III q. 4–6 III q. 6 III q. 7–8 III q. 7–15 III q. 8 III q. 9–12 III q. 9–13 III q. 13 III q. 14–15 III q. 16 III q. 16–19 III q. 20 III q. 21 III q. 22 III q. 23 III q. 24 III q. 25 III q. 26 III q. 27 III q. 27–39 III q. 27–59 III q. 30–58 III q. 40 III q. 40–45 III q. 46 III q. 46–52 III q. 48 III q. 49 III q. 50 III q. 51 III q. 52 III q. 53 III q. 53–59 III q. 54 III q. 56 III q. 57 III q. 59 III q. 60 III q. 60 ff. III q. 60–65 III q. 61 III q. 62 III q. 63 III q. 64 III q. 65 III q. 65 III q. 66–71 III q. 70
511 262 80 262 262 370 262 282 262 262 306 263 263 263 263 263 263 143, 263 263 387 263 263, 386, 388 387 387 263 148, 306, 387, 389 263 388 f., 409 370 f. 388 389 389, 409 387 263 402 389 389 402, 409 263, 389, 393–395 392 263 263, 393–397 263, 370, 389 f., 393, 395–398 263, 393, 398 263, 393, 398 f. 263, 393 370, 400 263 408
512
Register
III q. 72 263 263 III q. 73 III q. 73–83 263, 401 III q. 74–77 263 III q. 78 263 III q. 79 263 263 III q. 80–81 263 III q. 82 III q. 83 263 III q. 84 263 III q. 84–90 263 III q. 90 262 f., 392 III q. 96 408 III q. 97 408 Super ad Collossense 342 c. 1 l. 4 c. 2 l. 1 384 c. 3 l. 2 145 Super ad Hebraeos c. 11 l. 2 144 Super Evangelium S. Ioannis Lectura prol. n. 2–6 148 f. c. 13 l. 4 n. 1797 148 c. 14 l. 2 384 Super Evangelium Matthaei 203 c. 27 l. 1 20, 10 408 Super Isaiam ad litteram c. 34,1 – 50,1 6 Super librum de causis expositio 240 Prooem. Super Sententiis I prol. 179 180, 253, 282–289 I prol. q. 1 I d. 2 180, 253 84 I d. 3 q. 3 II d. 1 q. 1 187, 190, 339, 341 f. II d. 44 q. 2 249 III prol. 347 III d. 4 q. 2 – d. 34 q. 2 5 III d. 23 181 III. d. 26 q. 2 181 III d. 33 179 IV 392 IV d. 1 q. 2 388 IV d. 15 q. 4 7 409 IV d. 21 q. 1 IV d. 43 q. 1 138 IV d. 44 q. 3 408
IV d. 45 q. 1 IV d. 49 q. 1 IV d. 49 q. 4
406 181 405
Urban IV. Transiturus
276
Vinzenz von Beauvais Speculum universale
245
Wilhelm von Auxerre Summa aurea
55
Wilhelm de la Mare Correctorium fratris Thomae 140, 431 Wilhelm von Saint-Amour Tractatus de periculis novissimorum temporum 65, 150 Wilhelm von Tocco Ystoria S. Thomae Nr. 7 Nr. 58 Nr. 61 Nr. 62
153, 187, 428 f. 123 392 426 426
Witelo Perspectiva
152
Autoren der Reformation und der Neuzeit Billuart, Charles René Summa s. Thomae hodiernis 443 Summa Summae s. Thomae 443 Dorsche, Johann Georg Thomas Aquinas veritatis evangelicae confessor 362 González, Cefirino Estudios sobre la filosofía de Santo Tomás 444
513
Namen
Gotti, Vincenzo Lodovico Theologia scholastico-dogmatica iuxta 443 Goudin, Antoine Philosophia iuxta inconcussa tutissimaque D. Thomae dogmata 444 Ignatius von Loyola Exerzitienbuch
442
Johannes Paul II. Fides et ratio
18, 26, 451
Johannes a Sancto Thoma Cursus Philosophicus Thomisticus 443 Koellin, Konrad Expositio in Primam Secundae 438 Leo XIII. Aeterni patris
264, 290, 432, 440, 445 f., 451 Iampridem considerando 9
Luther, Martin Ad librum eximii Magistri Nostri Magistri Ambrosii Catharini defensoris Silvestri Prieratis accerimi, responsio 434 Divi Pauli apostoli ad Romanos Epistola 433 Enarratio Psalmi LI. 286 Rationis Latomianae confutatio 434
Molina, Luis de Commentaria in primam Divi Thomae partem 442 Concordia liberi arbitrii cum gratiae donis 442 Pius V. Mirabilis Deus
430
Plassmann, Hermann Ernst Die Schule des hl. Thomas von Aquino 444 Roselli, Salvatore Maria Summa Philosophica ad mentem Angelici Doctoris 444 Sixtus V. Triumphantis Hierusalem
133
Thomas de Vio Cajetan In De ente et essentia 160 Kommentar der Summa theologica 311, 438, 441, 446 Valencia, Gregorio de Commentariorum theologicorum 442 Zigliara, Tommaso Maria Summa philosophica in usum scholarum 444 Zwingli, Huldrych Vom Erkiesen und Freiheit der Speisen 435
Namen ‘Abd al-Mu’min 110 Abraham 409, 415 Abaelard, Petrus 46, 50, 52–55, 75, 85, 97 f., 227, 251, 318 Abū Ya‘qūb 110 Adam 259, 368, 371 f. Adam von St. Viktor 48 Adenulf von Anagni 210
Aegidius von Lessines 8 Aegidius Romanus 242, 249, 426, 431, 434 Alberto Baberis 445 Albertus Magnus 2, 4 f., 8, 38, 43, 55, 58, 64, 69 f., 75, 85, 93, 95, 105, 125–132, 170, 176, 179, 193, 216 f., 229, 232, 234 f., 241, 243, 274, 284, 287, 338, 341, 411, 437, 439 Alcherus 70
514
Register
Alexander IV., Papst 31, 134, 150 Alexander von Aphrodisias 83, 112, 151 f., 192, 227 Alexander von Hales 48, 93, 99–105, 149, 180, 280 Alfarabi (al-Fārābī) 90, 105 f., 108, 112 al-Ghazālī 111, 192 al-Kindī 108, 112 Amalrich von Bène 90 Ambrosius von Mailand 45, 288, 441 Ambrosius Catharinus 439 f. Ammonius Hermeiou 152, 227 Ammonios Sakkos 82 Anaxagoras 147 Angelus von Viterbo 428 Anselm von Canterbury 85, 101, 311, 327 f., 435 Anselm von Laon 45, 49, 51, 97 Archimedes 152 Aristides Quintilianus 82 Aristoteles 5, 22 f., 25, 31, 43, 45, 57 f., 62, 64, 67, 69, 71–73, 78, 82–85, 88–96, 98, 100, 105 f., 109 f., 112, 125–127, 129 f., 136, 139, 147 f., 151–156, 160, 162, 167, 170, 172, 174, 176, 179, 181 f., 184, 188, 190 f., 193 f., 216–237, 239 f., 242 f., 246–248, 254 f., 258, 262, 267 f., 279, 283, 285, 292, 296, 306, 313, 323, 326–328, 330–334, 336 f., 340, 349, 350, 352 f., 355–358, 360, 365, 370, 376, 378, 404, 410–412, 414–417, 429, 434, 437, 443 Arnold von Brescia 41 Athanasius von Alexandrien 70, 441 Augustin 23, 45 f., 52, 68–74, 77–80, 85–87, 90, 97 f., 101, 129 f., 136, 170, 179, 233, 241, 250, 258, 267, 280, 283, 285, 328, 349, 363, 374, 393–395, 414, 432, 436, 441 Augustinus Triumphus von Ancona 434 Averroes (ibn Rushd) 62, 90, 92, 94, 109–113, 160, 185 f., 191–193, 216, 218, 220, 222, 224, 229, 237, 335, 337 Avicenna (ibn Sīnā) 90, 94, 105–109, 112, 160, 185, 192, 231, 235, 299, 337–339 Avicebron 160, 268 D’Azeglio, Luigi Taparelli 445 Bacon, Roger 93 f., 216, 232 Báñez, Domingo 439, 442 Bartholomäus von Capua 67, 244
Basilius von Caesarea 441 Bate, Heinrich 152 Beda Venerabilis 45 Benedikt XV., Papst 450 Berard von Palermo 35 Berengar von Tours 401 Bernhard von Clairvaux 101 Biel, Gabriel 434, 436 Billot, Louis 449 Billuart, Charles René 443 Bisleti, Gaetano 450 Bodenstein, Andreas, gen. Karlstadt 436 Boethius 26, 57, 69, 74, 81–90, 102, 160, 172 f., 175 f., 194, 213, 227 f., 230, 240, 280, 282, 288, 314, 329, 411–413 Boethius von Dacien 94 Bonaventura 65, 94 f., 100, 103, 132–142, 179, 188, 190, 267, 283, 287 f., 290, 311, 315, 341 f., 365, 395, 397 f., 441 f. Bonifaz VIII., Papst 30, 115, 118, 120, 249 Bourret, Étienne 427, 431 Brunet, Elias 178 Buzzetti, Vincenzo 444 Cajetan s. Thomas de Vio Calvin, Johannes 435 Capreolus, Johannes 181, 435, 437 f. Casante, Hieronymus 19 Castiglione, Francesco Romeo da 440 Chenu, Marie-Dominique 447, 451 Chrysostomus, Johannes 205, 441 Cicero 81, 84, 129, 258, 434 Clarembald von Arras 85, 87, 172, 175 Clemens IV., Papst 35, 138 Clemens VI., Papst 432 Commer, Ernst 445, 448 Cornoldi, Giovanni Maria 448, 450 Courçon, Robert 31, 57, 90 Curci, Carlo Maria 445 Dante Alighieri 408, 429 David von Dinant 90, 129 Demetrios Kydones 215 Demokrit 147 Denifle, Heinrich Seuse 451 Descartes, René 23, 236 Dietrich von Freiberg 432 Dionysius Areopagita s. Pseudo-Dionysius Areopagita
Namen
Dionysius (biblisch) 75 Dionysius der Kartäuser 99 Dionysius von Paris 75 Dominicus Guzman von Osma 38, 42, 44, 122–124, 132, 134, 137 Donadieu, Martin 427 Donatus 81 Dorsche, Johann Georg 362 Duns Scotus, Johannes 58, 140, 236, 299, 301, 432, 435, 437 Durandus de S. Porciano 432 Eck, Johannes 433, 436 Eckhart, Meister 58, 300 f., 427 Ehrle, Franz 451 Elia 210 Elias von Cortona 100 Elisabeth von Thüringen 40 Empedokles 147 Erasmus von Rotterdam, Desiderius 75, 435 Esser, Thomas 448 Eutyches 87 Eva 368, 372 Fishacre, Richard 290 Frachet, Gerhard von 59 Francisco de Toledo 442 Francisco de Vitoria 439 f. Franziskus von Assisi 38, 40, 42, 122, 124, 132, 134, 137 f., 141 Franziskus von Terracina 426 Friedrich I. (Barbarossa), Kaiser 114 Friedrich II., Kaiser 30–32, 34–36, 39, 56, 60–63, 92, 117 f., 123 Frohschammer, Jakob 449 Fulgentius von Ruspe 46, 70 Fulko von Marseille 42 Galen 152 Gardeil, Ambroise 447 Gennadius von Marseille 46 Gerhard von Abbeville 138, 209, 269 Gerhard von Borgo San Donnino 134 Gerhard von Cremona 89, 239 Gerhard von Elten 438 Gerson, Johannes 105 Ghislieri, Michele s. Pius V. Gilbert Porreta 54, 85, 87, 172, 175, 318
515
Gilbert Universalis 49 Gilson, Etienne 451 Glossner, Michael 448 Gonet, Jean Baptiste 440, 443 González, Cefirino 444 Gottfried von Auxerre 85 Gotti, Vincenzo Lodovico 443 Goudin, Antoine 444 Grabmann, Martin 451 Gregor I., der Große, Papst 45, 77, 179, 205–207, 275, 288 Gregor VII., Papst 30, 118 Gregor IX., Papst 30 f., 34, 37, 43, 91 f., 117, 411 Gregor X., Papst 33, 68 Gregor XIII., Papst 441 Gregor von Nazianz 441 Gregorio de Valencia 442 Grosseteste, Robert 75, 91 f., 129, 193, 229, 232 Gui, Bernard 5, 59, 60, 429 Günther, Anton 449 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 23, 452 Heidegger, Martin 23, 452 Heinrich III., König von England 36 Heinrich IV., Kaiser 118 Heinrich V., Kaiser 114 Heinrich VI., Kaiser 33 f., 114 f. Heinrich von Gent 135 Heinrich von Gorkum 438 Heinrich von Hessen 8 Heinrich, Johann Baptist 449 Helwic von Straßburg 8 Heraklit 147 Hermannus Alemannus 92 Hieronymus 45, 77, 124, 204, 441 Hilarius von Poitiers 97 Hiob 205–207 Hilduin von St. Denis 75 Hincmar von Reims 85 Honorius III., Papst 31 f., 34, 38, 42 f., 57 Honorius IV., Papst 426, 431 Hubertus, Magister 265 Hubmaier, Balthasar 436 Hugo II., König von Zypern 244 Hugo III., König von Zypern 244 Hugo von St. Cher 50, 102, 128, 275 f.
516 Hugo von St. Viktor 46, 51 f., 54, 76, 97, 101, 193, 251, 393 Huguccio von Pisa 119 Ibn Bājja 112 Ibn Rushd s. Averroes Ibn Sīnā s. Avicenna Ignatius von Loyola 440, 442 Innozenz III., Papst 30–34, 37 f., 42, 115–118, 428 Innozenz IV., Papst 31–34, 39, 63, 65, 117–119, 150 Innozenz V., Papst 273 Innozenz VI., Papst 432 f., 446 Isaak 415 Isidor von Sevilla 45, 57, 393 Ivo von Chartres 45 Jakob 59, 415 Jakob von Capua 35 Jakob von Tonengo 274 Jakob von Venedig 92, 151, 155, 222, 229 Jean de Meun 151 Jesaja 148 Joachim von Fiore 134, 138, 273, 319 Johann von Böhmen, König 428 Johannes XXII., Papst 276, 427–430 Johannes XXIII., Papst 447 Johannes Damascenus 97, 179, 316, 327, 335, 337 Johannes von Ferentino 426 Johannes von Gravina 428 Johannes de Montesono 432 Johannes von Neapel 429 Johannes von Parma 138 Johannes von Rupella 100, 103 f. Johannes de Sancto Giuliano 123 Johannes a Sancto Thoma 443 Johannes de la Tixanderie 429 Johannes von Vercelli 273, 426 Johannes von Wildeshausen 62, 64, 123 Johannes Paul II., Papst 18, 20, 26, 451 John Lackland, König von England 120 Jordan von Sachsen 123 Josef 59 Justinian I., Kaiser 81 Kant, Immanuel 23, 226, 292
Register
Karl I. von Anjou, König von Sizilien 35, 429 Karl II. von Anjou, König von Sizilien 244, 428 Karlstadt s. Bodenstein, Andreas Kilwardby, Robert 93, 274, 426 f., 431 Kleutgen, Joseph 449 Koellin, Konrad 438 Konrad III., Römisch-deutscher König 114 Konrad von Marburg 37 Konstantin I., der Große, Kaiser 119 f. Kuhn, Johann Evangelist von 448 Laínez, Diego 440 Lambert von Avignon 435 Lambertus de Monte Domini 435 Landulf von Aquino 60, 124 Lentini, Thomas 123 Leo XIII., Papst 9, 17, 432, 445–447, 449 Leonhard von Palermo 267 Liberatore, Matteo 445 Ligier de Besançon 5 Lothar III. von Supplinburg, Kaiser 114 Lotz, Johann Baptist 452 Ludwig IV. (der Bayer), Kaiser 428 Ludwig IX., König von Frankreich 32, 35, 37, 100 Luther, Martin 99, 286, 362, 374, 433 f., 436, 438 f. Maimonides, Moses 190, 206, 224, 325, 337 f., 341 Mandonnet, Pierre 447, 451 Maréchal, Joseph 452 Margarete von Ungarn 427 f. Margarita von Konstantinopel 275 Maria 278, 390, 432, 436 Mariales, Xantes 171 Maritain, Jacques 451 Marsilius von Padua 121 Martianus Capella 57 Matthäus 271 Mattiussi, Guido 450 Maximus Confessor 75 f., 193 Mazzella, Camillo 445, 449 Mechthild von Magdeburg 41 Melanchthon, Philipp 434 f. Melchisedek 249 Mercier, Desiré 449
Namen
Michael Scotus 62, 92, 154 Milon de Nanteuil 35 Mohammed 143 Molina, Luis de 442 Mose 59, 103 f., 210 Nestorius von Konstantinopel 87 Nicolaus von Marsillac 5 Niketas von Antiochien 204 Nikolaus von Cues 267 Nikolaus von Durazzo 272 Nikolaus von Lyra 50 Nikolaus von Paris 92 Nikolaus von Straßburg 437 Nikomachus von Gerasa 82 Odo Rigaldus 100, 103 Odo Sala 429 Origenes 250, 268, 346 Otto IV., Kaiser 30, 32, 34, 117 Otto von Lucca 98 Palmieri, Domenico 449 Paris, Matthew 118 Pascal, Blaise 305 Paul V., Papst 442 Paulus 75, 145 f., 208 f., 259 Pecci, Giuseppe 445 Peckham, John 138, 140, 187 f., 426, 431 Pelagius 363 Peter d’Andria 5 Peter von Benevent 42 Petrus 30, 63, 118 f. Petrus de Alvernia 243 Petrus von Bergamo 12, 181 Petrus Callo 59 Petrus Canterii 429 Petrus Cantor 48, 163 Petrus Comestor 49 f. Petrus von Corbeil 90 Petrus Crockaert 439 Petrus von Hibernia 62 Petrus Hispanus 92 Petrus Lombardus 7, 47–49, 52, 64–66, 70, 72, 96–99, 101, 104, 128, 134, 163, 170, 172, 178–181, 251–253, 257, 265, 273, 280, 287, 308, 339, 341, 393, 421 f., 435, 438, 442 Petrus Porreta 170
517
Petrus von Tarantasia s. Innozenz V. Petrus Venerabilis 212 Pfefferkorn, Johannes 439 Philipp (Magister in Bologna) 275 Philipp (Sohn Ludwigs IV. von Frankreich) 97 Philipp II., König von Frankreich 33 Philipp IV. (der Schöne), König von Frankreich 121, 249 Philipp von Bourges 428 Philipp der Kanzler 93 f., 100, 103 Philipp von Schwaben 30, 117 Philipp von Tarent 428 Philoponus 155 Pierre d’Ailly 432 Pius V., Papst 430, 441, 446 Pius X., Papst 450 Pius XI., Papst 449 Plassmann, Hermann Ernst 444 Platon 23, 69, 73, 82 f., 88, 90, 110, 136, 139, 148, 167, 176, 219, 221, 225, 233 f., 237, 246, 258, 268, 337, 340, 350 Plotin 69, 75, 90, 106 Porphyrius 82–85, 90, 227, 411 Prierias, Alexander 433 Priscian 81 Proklos 75, 90, 152, 154, 156, 160, 239 Prosper von Aquitanien 45 Pseudo-Dionysius Areopagita 4, 64, 69, 75–81, 90, 129, 131, 145, 147, 174, 179, 193–199, 240, 268 f., 280, 323, 393, 401 Ptolemaeus, Claudius 152 Ptolomaeus von Lucca 59 f., 120, 168, 243 f., 249, 252, 277, 431 Quidort, Johannes 121, 249 Quintilian 81 Radulf von Laon 45, 49 Rahner, Karl 452 Raimund IV., Graf von Toulouse 32 Raymund von Peñafort 30 f., 427 Reginald von Piperno 2, 5, 210, 219, 267 f., 274, 276, 403, 426 Régnon, Théodore de 308 Renner, Franciscus 9 Reuchlin, Johannes 439 Richard von St. Viktor 88, 101 f., 311 Robert von Anjou, König von Neapel 429
518
Register
Robert von Benevent 428 Robert von Lincoln 193 Robert von Melun 50, 251 Roland von Cremona 150, 285 Roscelin 318 Rosellis, Salvatore Maria 444 Rosellus von Arezzo 152 Rosmini-Serbati, Antonio 448 Rousselot, Pierre 452 Rudolf I., Römisch-deutscher König 33 Rufus, Richardus 216
Theoderich der Große 81 Theodora Caracciolo (Mutter des Thomas) 60, 62 f., 124 Theophrast 192 Thierry von Chartres 85, 172 Thomas (Apostel) 59 Thomas von Cantimpré 59 Thomas von Vercelli 75, 193 Thomas de Vio, gen. Cajetan 160, 311, 405, 433, 438, 440 f., 446 Tinctoris, Johannes 438
Sailer, Johann Michael 448 Salmerón, Alfonso 440 Sanseverino, Gaetano 445 Sarracenus, Johannes 75, 78, 193 Savelli, Pandulf 428 Schäzler, Constantin Freiherr von 447 Scheeben, Matthias Joseph 450 Schell, Herman 448 Schmaus, Michael 451 Scotus Eriugena, Johannes 4, 75, 78, 85, 193 Seneca 148 Severi, Raymund 5 Siewerth, Gustav 451 f. Siger von Brabant 192, 217, 242, 355 Silvester von Ferrara 405 Simler, Georg 434 Simplicius 152, 155 Sixtus V., Papst 133, 441 Sohravardī 109 Sokrates 148, 161, 176 Solon 234 Soto, Domingo de 440 Stegmüller, Friedrich 451 Stephan von Corbario 41, 61 Suárez, Francisco 442 Sutton, Thomas 181 Sylvester I., Papst 119 Symmachus 81 Syrianos 75
Urban IV., Papst 204, 272, 276 Urban V., Papst 68, 430, 432
Taddeus von Suessa 117 Talamo, Salvatore 445 Tempier, Étienne 31, 186, 191, 426, 430 f. Tetzel, Johannes 433 Themistius 84, 90, 92, 112, 152, 154, 192, 229
Valdes, Petrus 42 Valla, Lorenzo 75, 81 Varro 57 Vega, Andrés de 440 Venantius Fortunatus 277 Veuillot, Louis 392 Victorinus, Marius 81 f. Vinzenz von Beauvais 245 Vinzenz de Castro 170 Wilhelm von Auvergne 91, 93 Wilhelm von Auxerre 55, 92 f., 100, 103 Wilhelm von Baglione 188 Wilhelm von Berthout 225 Wilhelm von Champeaux 45 Wilhelm von Luna 229 Wilhelm de la Mare 140, 431 Wilhelm von Militona 100, 103, 134 Wilhelm von Moerbeke 90, 92, 151–156, 218, 229, 232, 235, 240, 242, 247 Wilhelm von Ockham 59, 121, 437 Wilhelm von Saint-Amour 65, 115, 125, 137 f., 150, 268 f. Wilhelm von Shyreswood 92 Wilhelm von Tocco 59, 60–62, 123, 153, 187, 392, 426, 428 f. Witelo 152 Wyttenbach, Thomas 435 Ya‘qūb al Mansūr 110 ˙ Zugliara, Tommaso Maria 444–446 Zwingli, Huldrych 435
Sachen
519
Sachen Abendmahl s. Eucharistie actus / Akt 73, 176, 184, 227, 235, 298, 301 f., 323, 358 – Akt – Potenz 135, 160, 162, 167, 185, 267, 300, 352 f. Affekte 258 f., 359 f., 435 Akzidens 135, 160, 162, 199, 213, 235 f., 296, 350, 377, 402 Allmacht 167 f., 191, 206, 214, 305, 323 Amt 76, 262, 398 f., 401 Analogie 200, 203, 213, 222, 267, 284, 290, 296, 300, 315, 344 Anthropologie 135 f., 141, 166, 186, 191 f., 214, 255 f., 297, 347–361, 364 (s. a. Seele; Sünde) Antichrist 34 Arianismus 86 f., 312–314 Aristotelismus 27, 43, 45, 57, 62, 69, 79, 89–96, 99, 109,112, 129 f., 136, 147 f., 174, 179–185, 190, 216–237, 239–241, 243, 246–248, 259, 265, 279, 285, 292, 296, 306, 312, 330, 333 f., 337 f., 349 f., 355, 358,411–416, 434 f., 437 (s. a. Hylemorphismus; Kategorien; Ursache) – konsequenter Aristotelismus 31, 67, 91, 138 f., 186, 188, 190–193, 216 f., 220 f., 224, 350, 355 f., 411, 430 f., 447 Armut 39 f., 42, 65, 124, 137, 151, 209 f., 269, 271, 429 artes liberales 57 f., 81 f., 93, 134, 138, 150, 179, 216, 281, 283, 410 f., 424 Astrologie 273 f. Auferstehung 111, 403–406, 408 Aufklärung 24 Autorität – in der Kirchenstruktur 32, 115, 248 f. – in der Theologie/Lehre 46 f., 68 f., 71, 76–78, 97 f., 179, 196, 202, 212, 288, 432 f., 438, 441 f. Averroismus s. Aristotelismus, konsequenter Axiom 86 f., 175, 231, 331 f., 335 Bakkalaureus 49, 57, 64, 128, 163 f., 178, 280, 421 Beginen 40 f. Benediktiner 41, 61, 123
Bettelorden 34, 38–42, 65, 114, 123 f., 133, 137, 150, 212, 277, 424, 429 – Bettelordensstreit 31, 39, 65, 67, 115, 124 f., 134, 138 f.,150 f., 209, 268 f. Bewegung 106, 148, 222–224, 237, 294 f., 297, 323, 329–332, 336 f. Bibel s. Heilige Schrift Bild 76, 198, 201 f., 204, 211, 289, 316, 408 Bischof 31, 34 f., 56, 269 f., 401 Böse, das 80, 88, 169, 199, 255, 345 Buße 263, 273, 401 Christologie 27 f., 86 f., 166, 171, 180, 210 f., 213, 262–264, 320, 342 f., 371, 383–393, 403, 405 (s. a. Zwei-Naturen-Lehre; Inkarnation) – Leben Christi 210, 386–388, 390 f. creatio ex nihilo 80, 93, 111, 167 f., 188 f., 339–341, 346 Dämonen 167, 169, 346, 348 Dekalog 186, 269, 365 f., 383 Determinismus 94, 228, 341, 442 Disputation 47, 58, 136, 163–171 Dominikaner 7, 18–20, 38, 41–44, 58, 62–64, 66 f., 122–125, 128, 149 f., 210, 271, 426–433, 438–441, 443–445, 447 f. Dreieinigkeit/Dreifaltigkeit s. Trinität Drucke 3, 6, 9–11, 13 f. Dualismus 36 f., 42, 338, 346 Ehe 395, 403 Ekklesiologie 28, 30, 76, 115 f., 208, 248, 269, 398 f. Emanation 80 f., 86, 106 f., 184, 225, 301, 316 Engel 77, 80, 107, 136, 166 f., 171, 255, 268, 345–348 Entelechie 130, 177, 181, 184, 186, 222, 310, 324, 327, 334 f., 340, 348 f., 357 f., 360 f., 375 f., 416 Erkenntnis 107–109, 111–113, 135–137, 141, 147, 173, 220 f., 230, 239–241, 284, 303, 354–356, 413–415 – Gottes 78 f., 81, 86, 145, 148, 172–174, 183–185, 194, 196–198, 200, 253, 284,
520
Register
296, 302, 309, 311, 323–327, 358, 412, 416, 420 Erlösung s. Soteriologie Eschatologie 28, 215, 393, 402–409, 416 essentia s. Wesen Ethik 25–27, 99, 130, 180 f., 232–234, 246, 257–262, 275, 347 f., 363, 375–383, 417–419 Eucharistie 28, 214, 263, 277, 396–402 Evangelische Räte 40, 186, 269–271 (s. a. Armut; Zölibat) Ewigkeit der Welt 67, 93–95, 110 f., 139 f., 187–190, 224 f., 342 Existenz s. Sein Familie 41, 60–63, 123 f., 271 Fegefeuer 212, 215, 407–409 Form / forma 160–162, 176, 185, 192, 220–223, 235, 339, 350 f., 358, 374, 405 (s. a. Hylemorphismus) Franziskaner 38, 40, 42 f., 99 f., 134, 137 f., 140, 149, 151, 269, 427, 429, 441, 444 Frauen 39–41, 44, 353 f., 406 Freiheit 168, 233, 274 f., 374 (s. a. Wille, freier) Frieden 131 Fronleichnam 276 f., 394, 402 Gebet 125, 266 f., 276 f., 402 Gericht 111, 406, 409 Gesetz 260, 363–367, 378, 380–383 – lex divina 260, 365–367, 380, 383 – lex naturalis 99, 130, 260, 365 f., 380–383 Gewissen 102, 406 Glaube 85, 143 f., 173 f., 183, 191, 195, 200, 213, 267, 283, 287–289, 312, 325, 396, 412 – und Vernunft s. Vernunft und Glaube Glossen 4, 44, 49 f., 97, 102 Glück/Glückseligkeit 112, 130, 181, 186, 214, 233 f., 240, 257 f., 327, 357 f., 375 f., 378 f., 405, 408 Gnade/Gnadenlehre 27, 74, 104, 166, 170, 208, 212, 260, 289, 358, 360–364, 367–374, 393, 396–399, 407, 442 – gratia cooperans 74, 260, 372 – gratia gratis data 74, 104, 370 – gratia operans 74, 260, 372 f. – gratia praeveniens 74, 372 f. – gratia subsequens 74, 372
Gott/Gotteslehre 104, 106, 177, 194, 196, 253 f., 286 f., 291–307, 310, 312, 319, 321–324, 326–328, 336, 413–416, 419–421 (s. a. Trinität) – Eigenschaften Gottes 136, 194, 198, 254, 297 f. – Einheit Gottes 167, 295, 299, 307–309, 311–319 – Gottesbeweis 25, 79, 146, 148 f., 162, 184, 237, 291–295, 299, 311, 321–338, 412, 445 – Gotteserkenntnis s. Erkenntnis, Gottes – Gottesliebe s. Liebe, Gottesliebe – Gottesnamen 77, 185, 195–198, 296, 304 – Schau Gottes 130, 186, 346, 358, 376, 407–409, 420 – Wesen Gottes 43, 78, 80, 149, 165, 173, 185, 195, 253, 294–304, 311, 319, 323–326, 329, 337, 407 – Wille Gottes 177, 185, 228, 378 Gottebenbildlichkeit s. imago Dei Gute, das 72, 131, 165 f., 177, 195, 198 f., 234, 255, 357, 359 f., 378–382 Habitus 99, 170, 259, 285 f., 347, 363, 366, 378 f., 434 Handlung 26, 130, 170, 181, 257–259, 347 f., 363, 375–378, 380–383 (s. a. Ethik) Handschriften 2–8, 129, 175, 281 Heiden 142–147, 149, 183 Heil s. Soteriologie Heilige Schrift 46, 49 f., 65, 97, 180, 193, 195, 197, 199–211, 280 f., 283, 288–290, 394 Heiliger Geist 99, 211, 213, 316 f., 320, 343, 370 Heiligsprechung 5, 67, 153, 426–431, 451 Heilsgeschichte 26, 51 f., 94, 264, 310, 319 f., 389, 395 f. Hoffnung 181, 267 Hölle 191, 408 Humanismus 75, 439 Hylemorphismus 136, 160–162, 236 f., 267, 300, 345, 348, 352, 394, 448 Hymnus 276 f., 402 imago Dei 98, 135 f., 256 f., 358 f., 361, 375 Inkarnation 94, 102, 104, 213 f., 262, 385 f., 390 Inquisition 37, 39, 43
Sachen
Interreligiöser Dialog 26, 320 Irrlehre 7, 41, 43, 143 f., 189, 441 (s. a. Ketzer) Islam 66, 143, 183, 212–215, 401 Jenseits 108, 111, 191, 407–409 Jesuiten 440, 442–445, 447–450 Juden/Judentum 143–145, 183, 206, 214, 439 Kategorien 86, 160, 236, 267, 323, 338 Katharer 31 f., 36 f., 42 Kausalität 79, 148, 174, 239 (s. a. Ursache) Ketzer 31 f., 37, 39, 43, 426 Kirche s. Ekklesiologie Kirchenkritik 36, 41 Kirchenrecht 30–34, 57, 115–119, 450 Kirchenväter 45 f., 98, 101, 179, 204 f., 272, 388, 435, 441 Kommentar 44, 163, 217 f., 226 – Aristoteles 22, 90, 92, 110, 129, 151–155, 216–237, 243 – Bibel 50, 64, 97, 101 f.,134, 199 f., 203–211, 342, 391, 421 – Sentenzen 48 f., 96, 101, 178–181, 251 f., 412 König/Königtum s. Weltliche Gewalt Konzeptualismus 84 Konzil 26, 32 f., 63, 66, 68, 90, 100, 117 f., 132, 152, 188, 268, 272, 275, 346, 433, 439–441, 446, 449–451 Koran 106, 110 f., 212 Körper s. Leib/Leiblichkeit Kreuz 94, 210, 213 f., 271, 371 f., 389 f., 393 (s. a. Passion) Kreuzzug 31–34, 37, 39, 114, 116 f., 128 Krieg 25, 131 Leib/Leiblichkeit 186, 192, 220, 345, 351, 355 f., 395, 404–406, 408 Liebe 135, 181, 213, 269, 316 f., 343, 367, 370 f. – Gottesliebe 78, 99, 170, 269 f., 364–366, 369, 372 – Liebesgebot 267, 270, 367 – Nächstenliebe 99, 170, 269 f., 366 Liturgie 266–277, 402, 430, 451 Logik 82, 85, 89, 226, 229 f., 333, 411, 435
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Magister 5, 57 f., 65, 89, 134, 163 f., 268, 280, 421, 424, 431 f. Mariologie 278, 386, 432, 436, 439, 442 Materie / materia 73, 160–162, 222 f., 236 f., 242, 339, 346, 352, 355, 405 f. (s. a. Hylemorphismus) Medizin 275 Metapher s. Bild; Zeichen Metaphysik s. Philosophie Mission 38, 66, 183, 212 Monotheismus s. Gott, Einheit Moral s. Ethik Musik 82 Mystik 27, 41, 76, 78, 109, 133, 137, 141, 447 Nachfolge Christi 36 f., 39–41, 99, 124, 209, 271 (s. a. Armut; vita apostolica) Natur 87, 189, 223, 274, 327, 339, 346 Neuplatonismus 68 f., 73, 75, 80, 82, 84, 87 f., 90, 112, 132, 168, 175, 179 f., 185, 225, 239 f., 264, 310, 334, 349, 387 (s. a. Platonismus) Neuscholastik 17–28, 126, 311, 410, 440, 444–452 Nominalismus 84, 434 Notwendigkeit 106, 228, 275, 299, 332 f., 336 (s. a. Determinismus) Offenbarung 111, 140, 195–197, 200, 267, 283–286, 288, 310 f., 322, 324 f., 413 Ökumene 22, 24, 362, 433 Ontologie s. Sein Ordensschulen 7, 19 f., 38, 43, 56, 58 f., 64, 66, 128, 216, 424, 447 Ordnung 76, 198, 202, 235, 334 f., 343–346 Ostkirche 24 f., 115–117, 272, 308 Papst/Papsttum 18, 30–37,42 f., 91, 114–121, 134, 150 f., 248 f., 427–432, 442, 445 f. – und Kaiser/König 30–36, 61–63, 114–121, 123, 248 f. – Patrimonium Petri 33–35, 117, 120, 249 – plenitudo potestatis 30, 33, 118 f., 121 Passion 214, 389 f., 396–398, 403 (s. a. Kreuz) Person 74, 87 f., 102, 167, 308 f., 311–320 Philosophie 22 f., 25 f., 110, 125–127, 130,
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Register
139, 160, 175, 187, 235 f., 239, 292, 418, 444–447 – antike Philosophie 62, 147, 172, 183, 285, 410 – und Theologie 22 f., 78, 93, 95, 112, 139, 182, 184, 189 f., 292, 410–417, 419–421, 437 (s. a. Vernunft und Glaube/Offenbarung) Platonismus 81, 136, 147, 194, 221, 231, 239, 241, 349, 355 (s. a. Neuplatonismus) Pneumatologie s. Heiliger Geist Polytheismus 143, 213 Postmoderne 24 Potenz s. actus Prädestination 165, 186, 215, 341 Prämonstratenser 39, 42, 122 Predigt 38 f., 42 f., 122, 124, 138, 150, 163, 210, 277 f., 429 Priestertum 76, 398 f., 401 Prinzip/Prinzipienlehre 145, 148, 162, 194, 197, 221, 230 f., 237, 259, 283, 285 f., 288, 327, 378, 381 f., 415 Providenz 88, 165, 186, 206 f., 228, 237, 256, 274 f., 341, 364, 375 Realismus 84 Realpräsenz 277, 396 f., 400–402 Rechtfertigung 260, 362–364, 368, 371 f., 374, 397, 440 Reform 31 f., 37 f., 114, 209, 439 Reformation 22, 362 f., 369, 371, 433–436, 440, 446 Reliquien 5, 430 Sakrament 28, 76, 215, 262 f., 267, 370, 372, 389–402 Satisfaktionslehre 214 Scholastik 44–55, 76 f., 85, 87, 140, 163–165, 172, 203, 246, 290, 433–435, 439, 446 Schöpfung/Schöpfungslehre 27, 93, 106, 132, 168, 185, 188–190, 198, 224 f., 241, 254 f., 296, 301–304, 306, 311, 317 f., 338–349, 353 (s. a. creatio ex nihilo) Schriftauslegung 26, 49, 66, 199–211, 309, 433, 435 Schriftsinn 66, 180, 201, 203, 205 f., 289 f., 388 Seele 25, 36, 72, 94, 106–109, 128, 135 f.,
166, 171, 185 f., 191 f., 219–222, 226, 231, 241, 255, 286 f., 347–356, 368–370, 395, 404–409 – allgemeine Vernunftseele 94 f., 108, 139 – Unsterblichkeit der Seele 108, 113, 139, 220, 351, 404–406 Seelsorge 36, 38 f., 65, 123, 125, 137, 271 Sein 25, 79 f., 83, 86 f., 106, 111, 137, 149, 160–162, 167 f., 175–177, 185, 189, 194, 197–199, 221, 223, 225, 227, 235 f., 239 f., 267, 291 f., 295 f., 299–303, 314, 323, 326 f., 334–336, 340, 344, 413 – Seinsstufen 161, 196, 239, 242, 291, 333 f., 344–346 Sentenzen 44–55, 96–98, 251, 280 (s. a. Summe; Kommentar, Sentenzen) Soteriologie 37, 144, 214, 262, 361 f., 374, 396, 398, 405, 414, 416 species 83 f., 161, 316, 326 Spiritualität 122–125, 138 Stoa/Stoizismus 82, 88, 148, 233, 338 Studium 7, 12, 38, 56–59, 62–65, 122–125, 134, 150, 268, 276, 286, 422 f. (s. a. artes; Bakkalaureus; Ordensschulen; Universität) Substanz 80, 88, 135, 148, 160–162, 185, 191, 235, 296, 350 f. Summe 44 f., 47 f., 50–52, 54 f., 66, 102–104, 250–252, 264 f. Sünde 27, 166, 169, 258–260, 358, 361, 364, 368 f., 371 f., 403 f., 408, 434 – Ursünde / Erbsünde 142, 169, 260, 395, 409 – Sündenfall 214, 259, 346, 353, 358, 365, 368 f., 374, 395 f. – Todsünde 169, 260, 408 Taufe 145, 263, 400 Teleologie 223, 237, 334–336 Teufel 206 f., 259 f., 378 Theologie – natürliche 25, 145, 173, 184, 325 f. – negative 75, 80, 174, 197, 295–297, 323 Thomismus 17–28, 140, 307, 311, 432–434, 437–452 Tod 25, 108, 275, 351, 403–409 Tradition 45 f., 69, 97 f., 288, 305 Transzendentalien 165, 175, 194, 198, 297, 334 Transzendenz 79, 145
Sachen
Trinität/Trinitätslehre 26 f., 73 f., 86, 136 f., 172, 174, 179, 198, 211, 213, 253 f., 297, 305, 307–320, 342 f., 407, 412 Tugend 52, 99, 170 f., 181, 212, 234, 257, 259–262, 360, 367, 373, 378–380 Überlieferung 2–12 Übersetzung – Aristoteles 84 f., 89 f., 92, 151–156, 179, 217 f., 222, 227, 229, 232, 235, 242, 247, 410 – Thomas 11 f., 15, 21 Universalien 82–84, 111, 434, 436 f. Universität 31, 43, 49, 56 f., 61, 65 f., 91, 96, 114 f., 118, 123, 149 f., 163 f., 216, 243, 279 f., 410, 422, 439, 446 f. – Paris 7, 31, 49, 56–58, 62, 64 f., 89–94, 97, 99 f., 123, 125, 128, 132, 134, 138 f., 150, 156, 160, 164 f., 169, 178 f., 187, 202, 209, 216, 220, 239, 251, 268 f., 280, 355, 411, 426 f., 430–433, 447 Ursache 131, 182, 198 f., 239–242, 294–296, 302 f., 321- 323, 331–336, 339, 344, 397 – erste Ursache 106, 131, 145, 162, 241 f., 254, 286, 300, 305, 329–333, 335, 339 – vier Ursachen 72, 267, 281, 331, 339 f. Urstand 166, 256, 348, 361, 368, 372, 374, 396 Verdienst 170, 358, 371–374, 406, 408 Vernunft 146, 173, 183, 187, 191, 196, 226, 229, 233, 247, 285, 289, 311, 324, 360, 365–367, 375–378, 381 f., 414 – und Glaube 78, 85, 88, 136, 147, 182, 189 f., 288, 413, 431 (s. a. Philosophie und Theologie) – und Offenbarung 80, 111, 136 f., 140, 167, 173, 195, 283, 310, 410, 415 Verstand 73, 85, 107 f., 112 f., 143, 191 f., 210, 220–222, 226, 229, 327, 358 – intellectus agens 107 f., 112 f., 129, 185, 221, 354 f.
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– intellectus possibilis 112 f., 185, 191, 354 vita apostolica 37, 41 (s. a. Nachfolge Christi) Vollkommenheit 77, 149, 167, 177, 184 f., 197, 247, 269 f., 302 f., 344, 376, 379 f. Vorherwissen s. Providenz Vorlesung 7, 58, 65, 96, 101, 129, 136, 200, 202, 207, 251, 280, 421 Wahrheit 110, 127, 139, 146, 165, 182 f., 190 f., 201 f., 222, 228, 236, 284, 328, 334, 410, 419 Waldenser 37 f., 42 Weisheit 141 f., 179, 235, 267, 285 Weltkleriker 31, 38 f., 43, 56, 65, 67, 150, 268 f. Weltliche Gewalt 33, 35 f., 56, 114–116, 119–121, 144–150, 244–250 Wesen 84, 106, 160–162, 168, 177, 185, 235, 323, 335 – Gottes s. Gott, Wesen Wille 143, 169, 177, 356 f., 373–375, 377 f. – freier Wille 88, 166, 186, 215, 222, 257, 350, 375 – Wille Gottes s. Gott, Wille Wissen 143, 173 f., 217, 222, 229–231, 283, 287, 290, 410 Wissenschaft/Wissenschaftstheorie 25, 45, 106, 139, 174, 200, 217, 222 f., 235, 246, 250, 279–290, 292, 321, 410 f., 413–415, 417 f. – Theologie als Wissenschaft 104, 135, 142, 173, 180, 201, 279–290, 322, 414 f., 417–419 Zeichen 197, 201, 393–396, 399 (s. a. Bild) Zisterzienser 39 f., 426 Zölibat 40 Zwei-Naturen-Lehre 171, 209–211, 214, 262, 267, 306, 385, 397