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German Pages 211 [206] Year 2012
Theologisieren mit Jugendlichen: Ein Programm für Schule und Kirche
Theologisieren mit Jugendlichen Ein Programm für Schule und Kirche
Theologisieren mit Jugendlichen. Ein Programm für Schule und Kirche Herausgegeben von Veit-Jakobus Dieterich
Calwer Verlag Stuttgart
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
ISBN 978-3-7668-4225-1 © 2012 by Calwer Verlag GmbH Bücher und Medien, Stuttgart Alle Rechte vorbehalten Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlags Umschlaggestaltung: Karin Sauerbier, Stuttgart Satz: NagelSatz, Reutlingen Druck und Verarbeitung: Beltz Druckpartner GmbH & Co. KG, Hemsbach E-mail: [email protected] Internet: www.calwer.com
Inhaltsverzeichnis
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Veit-Jakobus Dieterich Theologisieren mit Jugendlichen – Einleitende Überlegungen . . . . . . . . . .
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Programmatische Zugänge Veit-Jakobus Dieterich Theologisieren mit Jugendlichen – Ein Programm . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Gerhard Büttner Theologisieren als Grundfigur der Praktischen Theologie – Grundüberlegungen für das Theologisieren mit Jugendlichen . . . . . . . . . .
51
Gerhard Büttner Braucht die Jugendtheologie eine »ekklesiologische« Fundierung? . . . . . .
70
Inhaltlich thematische Zugänge Carsten Gennerich »Gott kann nichts.« / »Gott kann alles.« – Die Providentia-Lehre (Vorsehung Gottes) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Annike Reiß Wen wundert’s? – Theologische Gespräche mit Jugendlichen zum Thema »Wunder« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
Katrin Bederna »seele ist mal wieder die einzigartigkeit des menschen« – Jugendtheologien der Seele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Hanna Roose »Sünde ist …« – Biblische Texte bei Jugendlichen ins Spiel bringen . . . . . 135 Friedrich Spaeth »Am Ende ist er im Licht hochgestiegen.« – Theologisieren mit Jugendlichen am Beispiel der Christologie . . . . . . . . . . 150
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Inhalt
(Religions-)Pädagogische Zugänge Uwe Böhm / Manfred Schnitzler Theologisieren mit Jugendlichen – im Pubertätsalter . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Katharina Kammeyer Theologisieren in heterogenen Lerngruppen – Empirische Einsichten in Perspektiven von Lehrkräften und konzeptionelle Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
Die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
Vorwort
Wer unter den Religionslehrkräften wollte nicht mit den Heranwachsenden ins Gespräch kommen über Fragen von Religion und Theologie? Wer in der Religionspädagogik hätte sich nicht Schülerorientierung und die Berücksichtigung der Schülerinteressen und ihrer Positionen, Einstellungen und Haltungen auf die Fahne geschrieben? Da ist es umso erstaunlicher, dass – anders als bei der seit einer Dekade fest etablierten »Kindertheologie« – von einer »Jugendtheologie« oder gar von einem »Theologisieren mit Jugendlichen« im letzten Jahrzehnt kaum die Rede war. Das aber beginnt sich in jüngster Zeit grundlegend zu ändern. Immer klarer stellt sich heraus, dass ein »Theologisieren« nicht nur mit Kindern, sondern auch mit Jugendlichen nötig und möglich ist. In diesem Kontext entstand die Idee zu einer Ringvorlesung zum Thema »Theologisieren mit Jugendlichen« an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg, an der im Sommersemester 2011 sowohl Lehramtsstudierende als auch bereits ausgebildete Religionslehrkräfte teilnahmen. Die Beiträge der Referentinnen und Referenten aus den Bereichen Hochschule, Schule und der zweiten Phase der Lehrerausbildung werden in diesem Band, vereinzelt in modifizierter Fassung, veröffentlicht. Dies Werk verdankt sich daher vielen. Zuerst den Autorinnen und Autoren, die sich der doppelten Mühe der Vortrags- und Seminargestaltung sowie der Ausarbeitung der schriftlichen Veröffentlichungsfassung unterzogen und mit ihren kreativen und innovativen Ideen dem Entwicklungsprozess des neuen religionsdidaktischen Programms anregende und weiterführende Impulse verliehen. Dann den Seminarteilnehmenden selbst, die sich an der Diskussion um die Möglichkeiten des »Theologisierens mit Jugendlichen« kompetent und kräftig, aber auch kritisch beteiligten. Und – last not least – meinem Kollegen Gerhard Büttner, mit dem mich eine langjährige Arbeitsbeziehung und Freundschaft verbindet, die zu vielfältiger Kooperation und Produktion im Bereich der Religionsdidaktik (Religion als Unterricht, 2004) sowie des Religionsbuchs geführt hat (gemeinsam mit anderen, darunter vor allem Hanna Roose: SpurenLesen Religion für die Sekundarstufe I sowie Werke in der Reihe »Oberstufe Religion« für die Sekundarstufe II). Gerhard Büttner begleitete die Ausarbeitung und Durchführung des Projekts ebenso kompetent wie unermüdlich. Der ständige Blick auf die unterrichtliche Praxis verringert hoffentlich und sicherlich die Gefahr, bei der Entwicklung neuer religionsdidaktischer Konzepte oder Programme gleichsam die »Bodenhaftung« zu verlieren. So liegt ein zentrales Interesse dieses Bandes gerade darin, das »Theologisieren mit Jugendlichen« einerseits von der theoretischen Fundierung und andererseits von der praktischen Realisierung her zu entwickeln und zu entfalten.
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Veit-Jakobus Dieterich
Danken möchte ich ferner Herrn Marcel Schöner, der tatkräftig mithalf, die einzelnen Beiträge zum Druck vorzubereiten, sowie meiner Frau Doris Stahl und meiner Schwester Maria Dieterich, die dem Manuskript durchs Korrekturlesen einen weiteren »Feinschliff« verliehen. Ein letzter Dank gilt Herrn Berthold Brohm, der in freundlicher und entgegenkommender Weise die Veröffentlichung des Bandes im Calwer Verlag ermöglichte, sowie der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg, die die Durchführung der Ringvorlesung finanziell unterstützte. Möge der Band, der sich an der Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis ansiedelt, sowohl den an der religionspädagogischen bzw. -didaktischen Diskussion Beteiligten und Interessierten sowie den Religionslehrkräften Anregungen, neue Ideen und ein wenig Mut vermitteln, im Religionsunterricht und in der Religionspädagogik das Wagnis eines echten Dialogs über theologische Themen mit den Jugendlichen einzugehen.
Ludwigsburg, im Frühjahr 2012
Veit-Jakobus Dieterich
Veit-Jakobus Dieterich
Einleitende Überlegungen
1.
Theologisieren mit Jugendlichen – Zur Problemstellung »Ich habe eigentlich noch nie anders unterrichtet …« – »Ein solcher Unterricht ist gar nicht möglich, angesichts des Drucks des Unterrichtsalltags, der Notengebung, des Abiturs etc.«
Zwischen diesen beiden Polen schwanken und verorten sich die Stellungnahmen von Religionslehrkräften angesichts des neuen religionsdidaktischen Programms eines »Theologisierens mit Jugendlichen«.1 Mit anderen Worten: das Programm kann als Zumutung empfunden werden, weil es entweder gar nichts Neues zu bieten scheint oder aber, weil es als allzu neu empfunden wird, dem Üblichen, Gewohnten, Vertrauten widersteht. Die drei wesentlichen Merkmale des »Theologisierens mit Jugendlichen« sind (gleichsam von hinten nach vorn gelesen): Subjektorientierung (… mit Jugendlichen), das Gespräch bzw. der Dialog (…-isieren, verbalisieren, thematisieren) und die Theologie. Ein diskursiv ausgerichteter, themenzentrierter und dabei subjekt- bzw. problemorientierter Religionsunterricht in der Sekundarstufe I und II hat vor allem seit den ausgehenden sechziger und den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein vergleichbares Programm in der Schulpraxis zu realisieren versucht,2 aber eben immer wieder auch verfehlt, wie Thomas Klie in plakativer Zuspitzung (und im Vergleich mit einem gesellschaftskritischen Sozialkundebzw. Gemeinschaftskundeunterricht der siebziger Jahre) anschaulich beschreibt: »Nicht nur ›die Gesellschaft‹ ließ sich als Born allen Übels identifizieren [wie im Gemeinschaftskundeunterricht], es gab in ›Relli‹ noch zwei weitere Basis1 S. dazu auch: Veit-Jakobus Dieterich, Theologisieren mit Jugendlichen als religionsdidaktisches Programm für die Sekundarstufe I und II, in: JaBuJu 1 (Jahrbuch für Jugendtheologie), Stuttgart 2012. 2 S. dazu u.a.: Thorsten Knauth, Problemorientierter Religionsunterricht. Eine kritische Rekonstruktion (ARPäd, 23), Göttingen 2003. – Im Bereich der Gemeindepädagogik wäre der zeitgleiche Ansatz einer »reflexiven Gruppe« (im komplementären Verhältnis zur »erlebnisorientierten«) zu nennen, s. dazu: Martin Affolderbach, Kirchliche Jugendarbeit im Wandel. Analysen zur Bibelfrömmigkeit (Gesellschaft und Theologie / Abteilung Praxis der Kirche, 26), München/Mainz 1977.
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Optionen: wahlweise das entfremdete (und sich schleunigst zu emanzipierende) ICH oder die ›Amtskirche‹.«3
Hier werden alle drei genannten Dimensionen verfehlt, der Subjektbezug, das Gespräch und die Theologie. Das Subjekt mutiert zum zu befreienden Objekt, das offene Gespräch erstarrt in drei im Voraus feststehenden Antwortschemata, Theologie wird auf Ethik und Kirchenkritik reduziert. Bei genauerer Prüfung ist festzustellen, dass ein »Verfehlen« des dialogischen Anliegens nicht nur in solchen gleichsam karikaturartig verzerrten »Fehlformen« von Religionsunterricht vorkommt, vielmehr auch bei Ansätzen mit bester Absicht, wenn auch sicherlich in subtiler Form. So blieb der sehr beachtliche und weithin beachtete Versuch im Bereich der Berufsbildenden Schulen, Schülerinnen und Schüler zu freien Meinungsäußerungen zu zentralen theologischen Themen (primär: zur Gottesfrage) zu bewegen, in der bloßen Sammlung von Schülertexten stecken,4 erstaunlicher Weise weitgehend ohne anschließende Verwendung im Unterricht, also ohne Entfaltung eines darauf aufbauenden dialogischen Unterrichtssettings. Eine ähnliche Tendenz ist in Religionslehrplänen festzustellen, leider bis hin zur Gegenwart. So postuliert das im Jahr 2010 von der EKD veröffentlichte »Kerncurriculum für das Fach Evangelische Religionslehre in der gymnasialen Oberstufe« in der Präambel sehr überzeugend: »Der Dialog ist zentrales Prinzip des Religionsunterrichts.«5 In der Entfaltung von konkreten Unterrichtsthemen fehlt dann aber entweder jeder Subjektbezug oder die Schülererfahrungen dienen als Negativfolie zur Erweisung der Wahrheit des Glaubens, so dass sich das propagierte dialogische Prinzip selbst als »Lehrplanlyrik« entlarvt, wie im Folgenden am Thema »Anthropologie« exemplifiziert: »Im Unterricht kommt es darauf an, dass die Schülerinnen und Schüler Erfahrungen von Scheitern und Versagen wahrnehmen [und] zur Zusage der Vergebung in Beziehung setzen […].«6
Und wo im Unterricht durch Religionslehrkräfte Raum für einen Dialog gegeben wird, ist noch lange nicht garantiert, dass dieser auch wirklich gelingt. So zeigen Äußerungen von Abiturientinnen und Abiturienten, dass sich einerseits die offene Diskussion im Religionsunterricht großer Beliebtheit erfreut, andererseits aber die
3 Thomas Klie, Von der Entrüstung zum offenen Kunstwerk. Nachrufe, in: ZPT 4/2005, 369–375, Zit. 369. 4 Robert Schuster (Hg.), Was sie glauben. Texte von Jugendlichen, Stuttgart 1984. – S. dazu auch die Auswertung der Texte in: Karl Ernst Nipkow, Erwachsenwerden ohne Gott? Gotteserfahrung im Lebenslauf, Gütersloh (1987), 5. Aufl. 1997, 43ff. 5 Kirchenamt der EKD (Hg.), Kerncurriculum für das Fach Evangelische Religionslehre in der gymnasialen Oberstufe. Themen und Inhalte für die Entwicklung von Kompetenzen religiöser Bildung (EKD-Texte, 109), Hannover 2010, 18. 6 Ebd., 32. – Näheres dazu bei: Veit-Jakobus Dieterich, Themen der Jugendtheologie, in: Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer (Hg.), Jugendtheologie. Praxisperspektiven – Beispiele – Kritische Diskussionen (im Erscheinen).
Einleitende Überlegungen
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Gefahr sehr klar erkannt und benannt wird, dass das freie Gespräch ins bloße »Gelaber« abgleitet: »An der Stelle war ich eigentlich voll enttäuscht von der Diskussion, was heißt hier Diskussion […]. Das … das war so eingeschlafen irgendwie, das war gar keine Diskussion, das war einfach so Rumgerede.« (Katharina)7
Und wie schwierig es ist, grundlegende theologische Themen und Denkfiguren bei Heranwachsenden ins Spiel zu bringen, zeigt eine von Ingrid Grill im Jahr 2005 unter dem (Unter-)Titel »Dem theologischen Nachdenken von OberstufenschülerInnen auf der Spur« herausgegebene Dokumentation von Unterrichtsstunden in der gymnasialen Oberstufe mit anschließender Reflexion bzw. Analyse des Geschehens: »Die Unterrichtstransskriptionen zeigen eine tiefe Kluft zwischen der theologischen Begrifflichkeit, wie sie die Lehrkräfte immer wieder ins Spiel zu bringen versuchen (nicht zuletzt unter dem Druck von Lehrplan und Abitur), und der Sprache der SchülerInnen. Es scheint für die Jugendlichen unendlich mühsam zu sein, mit Denkfiguren wie ›Sünde‹, ›Rechtfertigung‹, ›Zweireichelehre‹, ›Theodizee‹ usw. zu operieren.«8
Angesichts der unterrichtlichen Schwierigkeiten des diskursiven Unterrichtsmodells hinsichtlich der Subjekte, des Unterrichtsgesprächs und der Theologie bemühen sich neue religionsdidaktische Konzeptionen bzw. Konzepte an dessen Stelle oder zumindest neben diesem um andere Zugänge, etwa einen symboldidaktischen oder performativen. Nochmals in den Worten von Thomas Klie: »In Sachen Religionsdidaktik, wie ich meine, nun ein gut Teil informierter, reflektiere ich heute auf einen Unterricht, der religiöse Lebensäußerungen in all ihren Formen theologisch und didaktisch ernster nimmt, als ich selbst es damals in meiner problemorientierten Phase je für möglich gehalten hätte. Ich nenne dieses Konzept, zusammen mit Anderen, Performative Religionspädagogik. […] Ich will […] zu lernen geben, wie sich das Subjekt religiös vergewissert und wie sich dieses sein Zur-Sache-Kommen zeigt.«9
Es bleibt aber die Frage, ob eine diskursive Grundstruktur nicht insbesondere auch für den schulischen Religionsunterricht und zumindest teilweise auch für den gemeindlichen Unterricht konstitutiv bleiben soll und muss. So betont in neuerer Zeit etwa Rudolf Englert: »Gerade in religiösen Lernprozessen geht es um eine kritisch-reflexive Auseinandersetzung mit Traditionen und ihren Geltungsansprüchen.«10 7 Peter Kliemann / Hartmut Rupp (Hg.), Tausend Stunden Religionsunterricht. Wie junge Erwachsene den Religionsunterricht erleben, Stuttgart 2000, 130. 8 Ingrid Grill (Hg.), Unerwartet bei der Sache. Dem theologischen Nachdenken von OberstufenstufenschülerInnen auf der Spur. Unterrichtsstunden, Analysen, Reflexionen (Arbeitshilfe für den evangelischen Religionsunterricht am Gymnasium), hg. von der Gymnasialpädag. Materialstelle d. Evang.-Luth. Kirche in Bayern, Erlangen 2005, 3. 9 Thomas Klie 2005 (wie Anm. 3), 370. 10 Rudolf Englert, Religionspädagogische Grundfragen. Anstöße zur Urteilsbildung, Stuttgart, 2. Aufl. 2008, 91.
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Veit-Jakobus Dieterich
Dabei gehe es allerdings – so Englert – um eine neue Art der Auseinandersetzung mit der biblisch-christlichen und anderen Überlieferungen, um einen der gegenwärtigen pluralen Situation angemessenen »nicht-traditionalen Umgang mit Tradition«.11 Die Aufgabe besteht damit also nicht in einer einfachen Repristination des themenzentriert-problemorientierten Religionsunterrichts, sondern in einer Weiterentwicklung, Neuausrichtung und Innovation im Blick auf eine der aktuellen Situation angemessene (Wieder-)Aufnahme, Weiterführung und Profilierung des religionspädagogischen Kernanliegens, mit Heranwachsenden religiöse und theologische Fragestellungen zu thematisieren (dies gegen das erste Zitat aus Lehrermund zu Beginn).12 Eben diesen Versuch unternimmt das »Theologisieren mit Jugendlichen«. Und es ist dabei zu erweisen, dass diese Form des Unterrichts eine grundlegende und durchgängige Möglichkeit des Unterrichtens auch angesichts der vielfältigen Zwänge (aber eben auch Möglichkeiten) des Systems Schule darstellt (dies als Antwort auf das zweite Lehrer-Zitat zu Beginn).13
2.
Theologisieren mit Jugendlichen – Zum Stand der Entwicklung
Das »Theologisieren mit Jugendlichen« hat sich im religionspädagogischen Diskurs noch nicht fest etabliert. So stellt etwa das von Christina Kalloch u.a. herausgegebene »Lehrbuch der Religionsdidaktik« aus dem Jahr 2009 nur die »Kindertheologie«, nicht aber die »Jugendtheologie« als neues »religionsdidaktisches Prinzip« vor.14 Bereits die Begrifflichkeit ist umstritten. Friedrich Schweitzer und Thomas Schlag verweisen darauf, dass der Begriff »Theologisieren« üblicherweise negativ konnotiert sei (in abwertendem, mechanischem, machbarem usw. Sinne),15 und sprechen stattdessen von einer »Theologie mit Jugendlichen«, Petra Freudenberger-Lötz verwendet den Terminus »Theologische Gespräche mit Jugendlichen«. Demgegenüber wird hier – wie auch andernorts16 – gegenüber dem statisch wirkenden »Theologie mit Jugendlichen« sowie dem einseitig (mündlich) akzentuierten »Theologische Gespräche mit Jugendlichen« sehr 11 Ebd. 12 Bereits in der problemorientiert-themenzentrierten Religionsdidaktik sprach Peter Biehl angesichts der Gefahr einer Traditionsvernachlässigung von einem »experimentellen Umgang mit der Tradition« (s. etwa: Peter Biehl, Vorbereitende Bemerkungen zu einer Didaktik des themenorientierten Religionsunterrichts, in: Horst Klaus Berg / Folkert Doedens (Hg.), Unterrichtsmodelle im Religionsunterricht. Zur Praxis und Theorie, Frankfurt a.M. u.a. / München 1974, 106–123, hier 108f. 13 S. dazu die Beiträge dieses Bandes; ferner (bis hin zur Notengebung): Dieterich 2012 (wie Anm. 1). 14 Christina Kalloch / Stephan Leimgruber / Ulrich Schwab, Lehrbuch der Religionsdidaktik. Für Studium und Praxis in ökumenischer Perspektive, Freiburg. i. Br., 2. Aufl. 2010, 314ff. 15 Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer, Brauchen Jugendliche Theologie? Neukirchen-Vluyn 2011, 79f. 16 S. insbes. Gerhard Büttner / Hartmut Rupp (Hg.), Theologisieren mit Kindern, Stuttgart u.a. 2002.
Einleitende Überlegungen
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bewusst und unter Vermeidung von möglichen negativen Konnotationen der Begriff »Theologisieren mit Jugendlichen« verwendet, da nur er exakt das in unserem Kontext Gemeinte bezeichnet, nämlich den sich in unterschiedlichen Formen vollziehenden, prozesshaften Dialog von und mit Jugendlichen über Themen der Theologie. An wichtigen Veröffentlichungen zum Theologisieren mit Jugendlichen bzw. zur Jugendtheologie sind zum einen vier Artikel aus den Jahren 2005 bis 2010 zu nennen,17 bei denen vor allem die – von Friedrich Schweitzer – vorgeschlagene Differenzierung in Theologie von, für und mit Jugendlichen wichtig und weiterführend geworden ist.18 In den beiden Jahren 2010 und 2011 sind drei fürs Theologisieren mit Jugendlichen bzw. für die Jugendtheologie zentrale Werke erschienen. Unter dem Titel »Dogmatik des Jugendalters« veröffentlichte 2010 Carsten Gennerich seine monumentale Habilitationsschrift,19 in der er vorrangig empirische Untersuchungen zu nahezu allen zentralen theologischen Fragefeldern vorstellt,20 dazu dann aber auch theologische und religionsdidaktische Überlegungen anstellt. Die zentrale These von Gennerich ist, dass es bei Jugendlichen typologisch vier verschiedene Gruppen gibt, die in unterschiedlicher Weise theologisch denken und argumentieren, denen dann auch differenziert unterschiedliche theologische Theorie- und Diskussionsangebote gemacht werden sollten, was sich religionsdidaktisch in unterschiedlichen »Unterrichtssettings« realisieren lasse. Thomas Schlag und Friedrich Schweitzer fragten unter dem Titel »Brauchen Jugendliche Theologie?« vor allem nach dem der Jugendtheologie zugrundliegenden Theologieverständnis und unterschieden dabei fünf Formen von Theologie
17 Friedrich Schweitzer, Auch Jugendliche als Theologen? Zur Notwendigkeit, die Kindertheologie zu erweitern, in: ZPT 1/2005, 46–53; Veit-Jakobus Dieterich, Theologisieren mit Jugendlichen, in: Jahrbuch für Kindertheologie (JaBuKi) 6, hg. von Anton A. Bucher u.a., Stuttgart 2007, 119–135; Thomas Schlag, Glaube zur Sprache bringen – Gemeinde bilden. Jugendtheologische Erwägungen zum Grundauftrag evangelischer Bildung, in: ZPT 3/10, 194–208; Hartmut Rupp, Theologisieren mit Jugendlichen 1/2008) www.rpi-baden.de/images/Theologisieren_mit_Jugendlichen.pdf. 18 Friedrich Schweitzer 2005 (wie Anm. 17), 47. 19 Carsten Gennerich, Empirische Dogmatik des Jugendalters. Werte und Einstellungen Heranwachsender als Bezugsgrößen für religionsdidaktische Reflexionen (Praktische Theologie heute, 108), Stuttgart 2010. – Gennerichs Arbeit spielt im vorliegenden Band eine wichtige Rolle, zum einen in Gennerichs Beitrag selbst, zum andern in Gerhard Büttners Rezeption (s. »Theologisieren als Grundfigur der Praktischen Theologie«, Abschn. 3 und 4). 20 Empirische Studien zu den religiösen und theologischen Einstellungen von Jugendlichen, die es zwar bereits seit langer Zeit gibt, die jedoch im letzten Jahrzehnt an Zahl wie an professioneller Fundierung im methodischen wie inhaltlichen Bereich enorm zugelegt haben, stellen zwar keine unmittelbaren Beiträge zum Theologisieren mit Jugendlichen dar, schärfen jedoch den Blick auf die religiösen Einstellungen Jugendlicher entscheidend. S. dazu in jüngster Zeit insbes.: Heinz Streib / Carsten Gennerich, Jugend und Religion. Bestandsaufnahmen, Analysen und Fallstudien zur Religiosität Jugendlicher, Weinheim/München 2011. – Ferner den Beitrag »Theologisieren mit Jugendlichen – Ein Programm« von Veit-Jakobus Dieterich im vorliegenden Band, 31–50.
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Veit-Jakobus Dieterich
(implizite, persönliche sowie explizite Theologie, die theologische Deutung mit Hilfe der theologischen Dogmatik und zuletzt die explizit theologische Argumentation) , wobei sie diese fünfgliedrige Einteilung nochmals jeweils im Blick auf die Theologie von, mit und für Jugendlichen explizierten, so dass eine fünfzehnteilige Matrix aufgespannt wird.21 Ein innovatives Werk zu einem wirklich dialogisch ausgerichteten Theologisieren mit Jugendlichen stellt das von Friedhelm Kraft und Hanna Roose erarbeitete Werk zur Behandlung der Christologie im Religionsunterricht aus dem Jahr 2011 dar.22 Hier wird in konsequenter Weise in einem Dreischritt von den empirisch erhobenen Einstellungen von Kindern und Jugendlichen ausgegangen (Theologie von Heranwachsenden), dann die biblisch-theologische Tradition in ihrer Vielfalt und in ihrem Verhältnis zu den Schülerpositionen geprüft (Theologie für Heranwachsende), um abschließend ein konkretes Setting für einen dialogischen Unterrichtsprozess zu entwickeln und dieses zudem anhand der Unterrichtspraxis zu überprüfen (Theologie mit Heranwachsenden). Gleichsam paradigmatisch wird hier an einem theologischen Teilgebiet gezeigt, wie das Konzept eines »Theologisierens mit Jugendlichen« prinzipiell und dann konkret bei allen theologischen Fragestellungen vorzugehen hätte.23 Zum Abschluss dieses kurzen Überblicks sei darauf hingewiesen, dass im Jahr 2012 der erste Band eines »Jahrbuchs für Jugendtheologie« (JaBuJu) erscheint, das parallel zum bereits seit einer Dekade erfolgreichen »Jahrbuchs für Kindertheologie« (JaBuKi) jährlich herausgegeben wird.24 Die Ausarbeitung einer Jugendtheologie bzw. einer Religionsdidaktik des »Theologisierens mit Jugendlichen« scheint also Fahrt aufzunehmen.
3.
Theologisieren mit Jugendlichen – Grundlinien des Bandes
Da der vorliegende Band – wie bereits im Vorwort erwähnt – aus einer Ringvorlesung hervorgegangen ist, sollen im Folgenden zur näheren Bestimmung des »Theologisierens mit Jugendlichen« zwar nicht nur, aber doch vor allem die Äußerungen und Stellungnahmen der beteiligten Dozentinnen und Dozenten wie der Veranstaltungsteilnehmerinnen und -teilnehmer herangezogen werden.
21 Schlag/Schweizer 2011 (wie Anm. 15). 22 Friedhelm Kraft / Hanna Roose, Von Jesus Christus reden im Religionsunterricht, Göttingen 2011. 23 Zur praktischen Umsetzung im Religionsunterricht s. in jüngerer Zeit insbes. auch: Petra Freudenberger-Lötz, Theologische Gespräche mit Jugendlichen. Erfahrungen – Beispiele – Anleitungen, München/Stuttgart 2012. 24 Beide Jahrbücher werden unter dem gemeinsamen Projektnamen »Theologisieren mit Kindern und Jugendlichen« mit einem Herausgeberkreis von 12 Personen geführt, aus deren Reihen die einzelnen Bände in wechselnden Konstellationen herausgegeben werden.
Einleitende Überlegungen
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Theologisieren … »Theologisieren ist eine Art ›Entdeckungstour‹ und das gemeinsame Suchen nach Antworten auf theologische Fragen mit Jugendlichen im RU.«25
Die Vorstellungen und Definitionen des »Theologisierens (mit Jugendlichen)« im vorliegenden Band zeigen in vielen Aspekten einen gemeinsamen Grundkonsens, wobei jedoch zugleich unterschiedliche Facetten festzustellen sind. Theologisieren stellt eine spezifische Form von Kommunikation dar.26 Im weitesten Sinne ließe sich (mit Niklas Luhmann) eine Kommunikation, die mit dem Code von Transzendenz/Immanenz arbeitet, als religiös bezeichnen, näher hin dann eine Kommunikation, die die Welt im Lichte Gottes betrachtet bzw. – mit Johann Amos Comenius – alles »mittelbar oder unmittelbar auf Gott« bezieht.27 Für die spezifisch theologische Kommunikation tritt als zusätzliches Merkmal hinzu, dass diese – explizit oder zumindest implizit – nur auf dem Hintergrund und im Kontext der theologischen Tradition erfolgen kann. So definiert Katharina Kammeyer in ihrem Beitrag: »Unter dem Konzept des Theologisierens verstehe ich Interaktionen zur selbsttätigen Entfaltung und Erweiterung von Gottesbildern und Gottesrede durch eigenes Fragen und Deuten von Kindern und Jugendlichen sowie jungen Erwachsenen in Auseinandersetzung mit der biblisch-christlichen Überlieferung.«28
Theologisieren im spezifischen Sinne lässt sich also nur im »Horizont geprägter (i.d. Regel christlicher) Theologie«.29 Dabei steht das Theologisieren – wie in der Dogmatik weithin anerkannt und betont – in der fruchtbaren Spannung zwischen dem Glauben und der rationalen Explikation im theologischen Diskurs, wie Friedrich Spaeth hervorhebt:
25 So die 21jährige Lehramtsstudentin H., 3. Sem. Theologie, Teilnehmerin der Veranstaltung »Theologisieren mit Jugendlichen«. 26 S. dazu insbes.: Mirjam Zimmermann, Kindertheologie als theologische Kompetenz von Kindern. Grundlagen, Methoden und Ziel kindertheologischer Forschung am Beispiel der Deutung des Todes Jesu, Neukirchen-Vluyn 2010, 59ff. 27 Näheres dazu in den beiden folgenden Beiträgen von Dieterich und Büttner in diesem Band; s. dazu ferner: Gerhard Büttner / Veit-Jakobus Dieterich, Religion als Unterricht. Ein Kompendium, Neukirchen-Vluyn 2004, 109. – Besonders Karl Ernst Nipkow, aber auch andere Religionspädagoginnen und -pädagogen haben in letzter Zeit die Gottesfrage als religionspädagogisches wie theologisches Kernthema herausgestellt. 28 So Katharina Kammeyer im vorliegenden Band (am Ende des ersten Abschnittes), 193. 29 So Gerhard Büttner im vorliegenden Band in seinem Beitrag: Braucht die Jugendtheologie eine »ekklesiologische« Fundierung?, 73. – Tanja Schmidt insistiert auf der Kommunikation biblischer Theologie (Tanja Schmidt, Die Bibel als Medium religiöser Bildung (ARP 34), Göttingen 2008, 203ff).
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Veit-Jakobus Dieterich
»Theologisieren mit Jugendlichen (wie mit Kindern) teilt mit der traditionellen Theologie den Grundcharakter: nämlich den reflektierenden Umgang mit dem, was der Glaube bekennt.«30
Zum Theologisieren gehört also mehr als ein schlichter Meinungsaustauch, unabdingbar sind Reflexion und rationaler Diskurs, es geht darum, »dass Äußerungen über theologisch relevante Sachverhalte argumentativ begründet und auf ihren Geltungsanspruch befragt werden.«31 Und ein letztes: »Theologisieren« als Kommunikation findet primär in der zwischenmenschlichen Interaktion statt. Auch deshalb eignet es sich in besonderer Weise für Lernprozesse in Gruppen: »Konkret heißt das, dass das Theologisieren sich vor allem und zu allererst im Kontext von Gruppen ereignet, sei es in Konfirmanden- oder Firmgruppen, sei es im schulischen Religionsunterricht.«32
Theologisieren mit Jugendlichen Wenngleich zentrale Impulse zur Entstehung und Entwicklung des Theologisierens mit Jugendlichen von einer Erweiterung der Kindertheologie ausgegangen sind,33 lässt sich Jugendtheologie angemessen nicht einfach als Fortschreibung der Kindertheologie begreifen. Ja, die Entwicklungs-Aufgabe für den Bereich der Religiosität in der Adoleszenz kann mit Heinz Streib und Carsten Gennerich geradezu als Ablösung von einer Kindertheologie verstanden werden: »Religiosität in der Adoleszenz ist von der Überarbeitung religiöser Kognitionen, insbesondere von religiös-kognitiven Kindheitsmustern der Abhängigkeit von einem mächtigen oder übermächtigen Gott/Ultimaten, bzw. der selbstverständlichen Unterordnung unter Normen und Glaubensinhalte der religiösen Sozialisationsagenturen geprägt und damit beschäftigt, für sich selbst ein autonomes Urteil über Gott und die Welt zu erarbeiten und zu erproben«, also gleichsam »Gott und die Welt neu zu erfinden, auch wenn diese Neukonstruktion kein Gesamtsystem und Gesamtkunstwerk ist, sondern vielmehr Patchwork bleibt.«34 30 Friedrich Spaeth in seinem Beitrag im vorliegenden Band (Einleitungssatz), 150. – Spaeth weist jedoch zugleich darauf hin, dass dies »nicht unbedingt der eigene Glauben sein« muss, an dieser Stelle vielmehr auch »der glaubhafte Verweis auf den Glauben anderer« stehen kann. 31 Katrin Bederna im vorliegenden Band, 121. – Bederna weist zudem darauf hin, dass diese Kriterien die Formel Friedrich Schweitzers präzisieren, theologisieren sei »Denken über religiöses Denken« (in: Was ist und wozu Kindertheologie, in JaBuKi 3, Stuttgart 2003, 9–18. 10f). 32 Gerhard Büttner im vorliegenden Band im Beitrag: Braucht die Jugendtheologie eine »ekklesiologische« Fundierung?, 70. 33 S. bereits mehrere Beiträge im Jahrbuch für Kindertheologie (JaBuKi), die »Kasseler Forschungswerkstatt »Theologische Gespräche mit Kindern und Jugendlichen« um Petra FreudenbergerLötz mit einer eigenen Veröffentlichungsreihe »Beiträge zur Kinder- und Jugendtheologie« sowie weitere Einzelarbeiten zur Kindertheologie, die den Blick bis hinein ins Jugendalter hinein erweitern (etwa die Habilitationsschriften von Gerhard Büttner und Mirjam Zimmermann, wie Anm. 26). 34 Heinz Streib / Carsten Gennerich 2011 (wie Anm. 20), 23f.
Einleitende Überlegungen
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Was sind nun die Merkmale eines spezifischen Theologisierens mit Jugendlichen? Zuerst wird immer wieder darauf verwiesen, dass sich Jugendliche deutlich weniger unmittelbar, spontan und offen auf theologische Fragen einlassen als Kinder. Dennoch besteht unter den Autorinnen und Autoren des vorliegenden Bandes Konsens darüber, dass dies gelingen kann, wenngleich mitunter nur in Ansätzen (Friedrich Spaeth), bei einer Tiefenanalyse (Katrin Bederna), vor allem aber auch unter der Schaffung eines »safe place« (Katharina Kammeyer). Überall stehen zudem die veränderten kognitiven Fähigkeiten des Jugendalters im Blickpunkt. Jetzt eröffnet sich neben dem konkret-anschaulichen auch das abstrakte, formale Denken, das zudem ein selbstreflexives »Denken über das Denken« (bzw. die »Denkmittel«) einschließt. Für den – dialogischen – Unterrichtsprozess stehen jetzt zudem neben mündlichen auch schriftliche Formen der Kommunikation in sehr verstärktem Ausmaß zur Verfügung. Eine Schwierigkeit, aber auch eine mögliche Bereicherung einer Jugendtheologie besteht darin, dass sich hier – anders oder zumindest in völlig anderem Ausmaß als bei der Kindertheologie – durch Gruppenbildungen und Orientierungen an den »signifikanten Anderen« spezifische Milieus herausbilden, so dass sich deutliche regionale und (sub)kulturelle Differenzierungen ergeben, die sich zudem zeitlich relativ rasch verändern (können).35 Alles in allem lässt sich sagen, dass das Theologisieren mit Jugendlichen in noch stärkerem Maße als das mit Kindern ein äußerst vielschichtiger Prozess ist, der sehr sorgfältiger und differenzierter Analysen, Planungen und Reflexionen bedarf. Theologisieren als Dialog Im Blick aufs Theologisieren als dialogischen Prozess lassen sich in allen Beiträgen gemeinsame Merkmale finden, die manchen bislang leider immer noch vorhandenen Missverständnissen entgegentreten. Gemeinsame Überzeugung ist, dass das »Theologisieren« zwar einerseits einen Dialog unter Jugendlichen selbst bedeutet (Theologie von Jugendlichen oder auch: Theologisieren unter Jugendlichen), dass dies aber keineswegs ausreicht, vielmehr stets auch eine Auseinandersetzung mit der theologischen Tradition zu erfolgen hat (Theologie für Jugendliche), um zu einem horizontal erweiterten und vertikal vertieften, gleichsam theologisch »angereicherten« oder gar »gesättigten« Dialog zu gelangen (Theologie bzw. Theologisieren mit Jugendlichen). Zudem wird Theologisieren einheitlich zwar als rationale, diskursive Auseinandersetzung gesehen, jedoch keineswegs in gleichsam »rationalistischer«, intellektueller, »klügelnder« Verengung oder Verfälschung, wie oft plakativ behauptet und kritisiert; es geht vielmehr um die gedanklich verantwortliche 35 S. dazu auch den Beitrag »Theologisieren als Grundfigur der Praktischen Theologie« von Gerhard Büttner im vorliegenden Band, Abschn. 2, 55.
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Veit-Jakobus Dieterich
Auseinandersetzung mit existentiellen Frage- und Themenstellungen, das zudem offen ist etwa für performative wie meditative Elemente, so dass man – wie Gerhard Büttner hervorhebt – zu einem Verständnis des Theologisierens kommen kann, »das zwar im Zentrum die argumentative Rede hat, diese jedoch gerahmt sieht durch das Vortragen geprägter Tradition auf der einen Seite, dem meditativen Schweigen auf der anderen.«36
Einig sind sich die Beiträge ferner darin, dass einerseits zwar eine offene Diskussion ein wichtiges Element des Theologisierens mit Jugendlichen darstellt, sich dieses darin aber keinesfalls erschöpfen kann und darf, will es mehr sein als ein Gespräch »um des Gesprächs willen« nach dem Motto: »Gut, dass wir uns auch mal über theologische Themen ausgetauscht haben!« Der auf vielen Ebenen (der mündlichen, schriftlichen, meditativen, performativen, gestalterischen etc.) mögliche Dialog muss vielmehr sorgfältig geplant, strukturiert und evaluiert werden. Er ist ein strukturierter, offener und zugleich ergebnisorientierter Dialog. Das Ziel besteht darin, die unterschiedlichen Positionen der Jugendlichen (immer im Plural) mit den verschiedenen Positionen der theologischen Tradition (ebenfalls immer nur im Plural) in einen grundlegend gleichberechtigten, offen Dialog zu bringen, wobei fremde Positionen anderer Jugendlicher oder der theologischen Tradition zwar (etwa in hermeneutischem Sinne) verstanden werden sollen, aber zugleich die Freiheit besteht, mit ihnen aus berechtigten Gründen entweder einverstanden, nicht einverstanden oder nur partiell einverstanden zu sein. Theologisieren mit Jugendlichen kann also keineswegs als besonders raffinierte Form einer – an den Verstehensvoraussetzungen der Heranwachsenden bloß anknüpfenden – Vermittlungspädagogik missverstanden werden. Dem umgekehrten Vorwurf der Beliebigkeit lässt sich mit einer diskursiven Wahrheitstheorie begegnen, die davon ausgeht, dass das als wahr gelten kann, was sich im Dialog (in möglicherweise unterschiedlichen Facetten) als wahr herausstellt. Insgesamt wäre das Theologisieren mit Jugendlichen damit eine Reaktion auf unsere postmoderne, radikal pluralistische Situation, die die Situation unserer Gesellschaft in den »Mikrokosmos« der religionsunterrichtlichen oder gemeindlichen Lernsituationen mit Jugendlichen hereinholt. Ansatz und Anliegen des Bandes Zentrales Thema des vorliegenden Bandes ist das Theologisieren mit Jugendlichen als religionsdidaktisches Programm primär für den Schulunterricht, aber auch für die Gemeindepädagogik, wobei die drei Elemente der Theologie von, für
36 Gerhard Büttner im vorliegenden Band in seinem Beitrag: Theologisieren als Grundfigur der Praktischen Theologie, 54.
Einleitende Überlegungen
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und mit Jugendlichen konstruktiv aufeinander bezogen werden, wie dies etwa paradigmatisch Carsten Gennerich am Beispiel der Vorstellungen zur göttlichen Vorsehung (Providentia Dei) formuliert als »Herausforderung, weder in einem Einbahnstraßenmodell die Vorstellungen der SchülerInnen nach Maßgabe vermeintlich richtiger theologischer Positionen zu normieren noch in einem allzu induktiven Verfahren die Schülervorstellungen gleichsam hilflos ohne entwicklungsförderliche Impulse im Raum stehen zu lassen. Es ist daher theoretisch notwendig, sowohl den subjektiven Vorsehungsvorstellungen der SchülerInnen wie unterschiedlichen theologischen Entwürfen ein eigenständiges Gewicht zu geben und beide Pole lebensdienlich aufeinander zu beziehen.«37
Programmatisch und grundlegend wird diese Didaktik in den drei einleitenden Beiträgen von Dieterich und Büttner entfaltet. Die Theologie bzw. das Theologisieren von Jugendlichen wird zentrales Thema bei Katrin Bederna (und vorrangig, aber nicht nur von Carsten Gennerich behandelt). Den Dreischritt »von, für und mit« entfalten dann konkret anhand bestimmter (theologischer) Themen vor allem die Beiträge von Annike Reiß und Hanna Roose, aber auch der von Friedrich Spaeth. Als theologische Inhalte bzw. Themen kommen zuerst einmal die drei zentralen theologischen Themenfelder Gott (Theologie i.e.S.), Mensch (Anthropologie) und Jesus Christus (Christologie) in den Beiträgen von Carsten Gennerich (Providentia/Vorsehung Gottes), Katrin Bederna (Seele) und Friedrich Spaeth (Christologie) in den Blick. Hanna Roose verbindet mit der theologisch wichtigen Sündenthematik nicht nur die Bereiche von Mensch und Gott, sondern stützt sich zudem zentral aufs Neue Testament und hier vor allem auf (jesuanische) Gleichnisse. Dass die theologischen Dimensionen stets miteinander verzahnt sind, zeigt zudem Annike Reiß (von der Kasseler Forschungswerkstatt zur Kinder- und Jugendtheologie) am Thema »Wunder«, das neben dem Menschen- und dem Gottesbild auch ganz umfassend das Wirklichkeitsverständnis insgesamt betrifft. In einem letzten Block kommen in einem (religions-)pädagogischen Zugriff die Personen des Lernprozesses in den Blick, im Beitrag von Uwe Böhm und Manfred Schnitzler vor allem (aber nicht nur) die Jugendlichen – im Alter der Pubertät,38 bei Katharina Kammeyer dagegen die Lehrenden mit den Ergebnissen einer Umfrage zu deren Erfahrungen und Einstellungen zum Theologisieren mit Jugendlichen. Insgesamt teilen sich die Beiträge damit in die drei Blöcke: programmatische, inhaltlich-thematische und (religions-)pädagogische Zugänge.
37 Carsten Gennerich zu Beginn seines Beitrags im vorliegenden Band, 81. 38 S. dazu auch das Themenheft KatBl 131 (5/2006).
20 4.
Veit-Jakobus Dieterich
Theologisieren mit Jugendlichen – Die Beiträge dieses Bandes
Programmatische Zugänge Veit-Jakobus Dieterich versucht im einleitenden Beitrag, einige grundlegende allgemeine Hinweise zum neuen religionsdidaktischen Programm des »Theologisierens mit Jugendlichen« zu geben. Zuerst erfolgt eine Abgrenzung (ca. 12–25 Jahre) und Charakterisierung der Jugendzeit im Blick vor allem auf die kognitive Entwicklung (Entwicklung des abstrakten und selbstreflexiven Denkens), dann eine Bestimmung von »Theologie«, bei der sich ein enge, auf die akademisch betriebene Wissenschaft beschränkte Definition von einem weiten Verständnis unterscheidet, das alle Formen rational reflektierten Denkens und Redens über Gott bzw. über den Glauben einschließt. Es versteht sich von selbst, dass nur eine weite Auffassung es zulässt, von einem Theologisieren mit Jugendlichen an der Schule oder in der kirchlichen Jugendarbeit zu reden, während in Seminaren an den Hochschulen durchaus auch Theologie mit Jugendlichen im engen Sinn betrieben werden kann und wird. Im Folgenden orientiert sich der Beitrag dann an der bewährten Unterscheidung einer Theologie von, für und mit Jugendlichen. Wer wissen will, wie Heranwachsende theologisch »ticken«, kann zum einen zu den inzwischen recht regelmäßig erscheinenden – vorrangig qualitativ, aber auch quantitativ ausgerichteten – empirischen Studien zu theologischen Themenfeldern (etwa zum Verständnis von Religion, Gott, theologischer Ethik u.a.m.) greifen oder die Jugendlichen selbst befragen. Für den Religionsunterricht bieten sich dabei zwei Wege an, die keinesfalls als Gegensatz, vielmehr als Ergänzung und Verbund verstanden werden sollten: die (mündliche) Äußerung bzw. Diskussion und die schriftliche Stellungnahme (Schülertexte). Bei der »Theologie für Jugendliche« zeigt das Beispiel des – ursprünglich im Internet betriebenen – Projekts der »Volxbibel« sowohl die Chancen als auch die Gefahren einer »biblischen Theologie« für Heranwachsende (jugendgemäße und -verständliche Übersetzung vs. plumpes Anbiedern bzw. Verfehlen der biblischen Aussagen). Das »Theologisieren mit Jugendlichen« kann verfehlt werden, wenn entweder nur geredet wird, ohne die Theologie zu Wort kommen zu lassen oder umgekehrt Theologie betrieben wird, ohne sie wirklich »ins offene Gespräch« hereinzuziehen. Es kann jedoch auch gelingen, wenn die Positionen der Heranwachsenden mit den Positionen der Tradition tatsächlich in einen offenen, gleichberechtigten Dialog treten, was sich in der Praxis auf vielfältigen didaktischen und methodischen Wegen realisieren lässt. Gerhard Büttner unternimmt den grundlegenden Versuch, Theologisieren als Grundfigur der Praktischen Theologie zu erweisen. In einem modifizierten Anschluss an eine »Katechetische Theologie« des 18. Jh. (Johann Franz Buddeus) und eine gegenwärtig insbesondere von Martin Rothgangel propagierte »Religionspädagogische Theologie« wird »theologische Kommunikation im Bereich der Erziehung« einerseits als »Herzstück« einer adressatenbezogenen Theologie
Einleitende Überlegungen
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profiliert und andererseits mit Hilfe der Kommunikationstheorie von Niklas Luhmann konturiert, die eine Kommunikation dann als religiöse qualifiziert, wenn sie mit dem Code Immanenz/Transzendenz arbeitet. Zugleich wird anhand von Beispielen aus der theologischen Tradition und aus der Kindertheologie gezeigt, dass die diskursive (etwa Argumentation und Diskussion) sowie die performative Rede (etwa das Gebet) keineswegs nur unterschiedliche oder gar gegensätzliche Kommunikationsformen darstellen, vielmehr sehr nahe beieinander liegen, ja sich gegenseitig durchdringen können, wenn etwa ein Gespräch übers Beten nahtlos in ein Gebet übergeht. Ein gegenwärtig sehr attraktives Schematisierungsangebot sieht Büttner in der Gennerichschen Matrix (dazu s.u. sowie Gennerichs Beitrag in diesem Bd.), mit deren Hilfe er drei unterschiedliche Settings eines Theologisierens mit Jugendlichen höchst anschaulich und konkret rekonstruiert und analysiert: ein (eigenes) Beispiel eines Gesprächs in einer 9. Gymnasialklasse über eine (erfundene) JesusGeschichte; die Bibelarbeit einer Jugendgruppe über ein Wunder Jesu (dokumentiert von Christian Schramm) und zuletzt eine Passage des Ringens um die Gottesfrage in einer Sonderschule (bei Inger Hermann), so dass sich ein vielfältiges, anregendes Panorama an Konkretisierungsmöglichkeiten des Ansatzes ergibt. In einem zweiten Beitrag möchte Gerhard Büttner das Programm des Theologisierens mit Jugendlichen »ekklesiologisch« fundieren. Dabei geht er davon aus, »dass das Theologisieren sich vor allem und zu allererst im Kontext von Gruppen ereignet«. Diesen »Rahmen« der Kommunikation in der Gruppe im Sinne einer Kommunikation unter Anwesenden sieht Büttner als konstitutiv fürs Theologisieren und bestimmt dann in lutherischer Tradition die Gruppe, die theologisiert, ganz konkret als »Kirche im Kleinen« (ecclesiola), also als Konkretisierung der (unsichtbaren) Kirche, die sich – im Anschluss an Bert Roebben – gleichsam in der »Vorhalle«, im »Narthex« der Kirche befindet.
Inhaltlich-thematische Zugänge Den Reigen der inhaltlich-thematischen Zugänge beginnt Carsten Gennerich mit einem Beitrag zur Lehre von der Vorsehung Gottes (Providentia Dei), bei der es »um das Handeln Gottes in der Welt oder etwas enger verstanden um Gottes Fürsorge für den Einzelnen« geht. In einem ersten Schritt stellt Gennerich das (auf Schwartz zurückgehende) viergliedrige Wertefeld dar, das er bereits in früheren Untersuchungen und vor allem in seiner Habilitationsschrift »Dogmatik des Jugendalters« mit großem Erfolg verwendete, um in einem zweiten Schritt die empirischen Befunde soziologischer Jugendstudien hinsichtlich unseres Themas aufzuzeigen. Dabei zeigt sich, dass Jugendliche im oberen Feldbereich ihre Weltkonstruktion auch transzendent-offen, im unteren Feldbereich dagegen stärker immanent-geschlossen halten. Gottes Wirken (im oberen Bereich) kann dabei entweder unmittelbar im Sinne einer göttlichen Allmacht (oben rechts) oder über das menschliche Handeln vermittelt (oben links) gedacht werden. Im unte-
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Veit-Jakobus Dieterich
ren Bereich herrscht dagegen eine strenge (natürliche oder göttliche) Gesetzlichkeit, die zugleich vom Einzelnen (mit)konstituiert wird (rechts), oder schlicht der Zufall (links). In einem zweiten Schritt zeigt Gennerich, dass es auch in der theologischen Tradition sehr unterschiedliche Ansätze in der Providentia-Lehre gibt (u.a. Paul Tillich; John Sanders, Theologie des Klagegebets; Dietrich Ritschl u.a.m.), die sich mühelos den vier Feldern der Werte-Matrix zuordnen lassen und sich somit jeweils auf unterschiedliche Weise mit den Einstellungen der Jugendlichen korrelieren lassen bzw. diese anregen können, was Gennerich in einem dritten Schritt anhand von bereits vorhandenen Unterrichtsvorschlägen konkret analysiert und aufzeigt. Annike Reiß berichtet über »Theologische Gespräche mit Jugendlichen zum Thema ›Wunder‹« aus der Kasseler Forschungswerkstatt um Petra FreudenbergerLötz. Sehr konkret wird hier gezeigt, wie sich in der Lehramtsausbildung mit Studierenden ein Religionsunterricht vorbereiten und durchführen lässt, der das Theologisieren mit Jugendlichen für den Schulalltag praktisch umsetzt. Während sich die Heranwachsenden in der Wunderfrage im Unterricht zuerst einmal um die beiden Pole einer »supranaturalistischen« Sichtweise auf der einen Seite (Gott handelt über die Naturgesetze hinweg) und ein »rationalistisches« Verständnis auf der andern (absolute Gültigkeit hat allein das empirisch Verifizierbare) gruppieren, ermöglicht die Einführung einer weiteren, dritten Option, nach der die Wunderfrage uns in einen »Streit um das Verständnis der Wirklichkeit« verwickelt (so Bernhard Dressler), gleichsam eine »Verflüssigung« der festgelegten, erstarrten Positionen und damit auch eine kognitive und affektive Weiterentwicklung. Katrin Bedernas Beitrag zu »Jugendtheologien der Seele« gibt einen ausschnitthaften Einblick in ihr umfangreiches Forschungsprojekt zur theologischen Anthropologie Jugendlicher und basiert auf Gesprächen Jugendlicher in ganz unterschiedlichen Religionsklassen. Die akribische Dokumentierung und gründliche philosophisch-theologische Analyse der einschlägigen Unterrichtssequenzen führt zu einem vier- bzw. fünfgliedrigen Raster (wobei die Seele prinzipiell als »Substanz« oder als »Eigenschaft« verstanden und mit einem naturalistischen bzw. nicht-naturalistischen Weltbild korreliert werden kann): die Vorstellung von der »Wanderseele« (nicht-naturalistisch/substantiell); von der gottgleich-unsterblichen bzw. geschaffen-sterblich-aufzuerweckenden Seele (beides: nicht-naturalistische Eigenschaftsseele); von der Seele als menschlicher Eigenschaft (naturalistische Eigenschaftsseele) und zuletzt die Ablehnung jeder Rede von der Seele (naturalistisch-substantiell). Bei diesem Beitrag liegt der Fokus ganz auf der Erforschung der Einstellungen und Diskussionen bei und unter Jugendlichen, unter bewusster Ausblendung der Frage, wie sich der (weitere) Unterrichtsprozess (u.a. auch mit notwendigen »Inputs«) gestalten kann und soll. Geschulte Leser/innen werden aber ohne unüberwindliche Schwierigkeiten erkennen können, welche der Vorstellungen mit welchen philosophisch-theolo-
Einleitende Überlegungen
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gischen Positionen in konstruktive Korrelation gebracht werden können, wozu die Autorin in ihrem Beitrag selbst in komprimierter Form wichtige Hinweise gibt. Hanna Roose bietet wiederum – ähnlich wie Annike Reiß zum Thema »Wunder« – ein didaktisches Setting zur Vorbereitung und Durchführung einer Unterrichtssequenz zum Thema »Sünde« anhand von neutestamentlichen Texten. Im Anschluss an Aussagen des Neuen Testaments, der Systematischen Theologie wie insbesondere der Analyse von Carsten Gennerich unterscheidet die Autorin drei Sündenkonzepte: das sicherheitsorientierte (»Sünde ist, wenn jemand etwas tut, was Gott verboten hat«), das selbsterkenntnisorientierte (»Sünde ist, wenn jemand sich nur auf sich selbst verlässt und Gott zu wenig vertraut«) und das wachstumsorientierte (»Sünde ist, wenn jemand die Möglichkeiten, die Gott ihm gegeben hat, nicht ausschöpft«). Ein erstes Brainstorming zum Impuls »Sünde ist …« zeigt, dass Jugendliche (Schüler/innen wie auch Studierende) mehrheitlich von einem »sicherheitsorientierten« Sündenkonzept ausgehen. Sünde bedeutet »etwas Verbotenes machen«. Von diesem Ausgangspunkt ausgehend werden nun die Schulklassen mit unterschiedlichen Texten des Neuen Testaments konfrontiert, mit den beiden Gleichnissen vom Verlorenen Sohn (mit einem vorrangig, aber nicht ausschließlich »sicherheitsorientierten« Sündenkonzept) und dem von den anvertrauten Geldern (mit der Möglichkeit eines wachstumsorientierten Sündenkonzepts) sowie einer Passage aus Römer 7 (mit einem primär selbsterkenntnisorientierten Sündenkonzept). Die Texte werden jedoch nicht nur additiv aneinander gereiht, sondern in kreativer, komplexer Weise aufeinander bezogen. Dabei eröffnen sich den Schüler/innen neue Perspektiven, etwa eines wachstumsorientierten oder auch eines mehrperspektivischen Sündenkonzepts. Scheinbar nebenbei liefert die Autorin zudem wichtige Kriterien für die Auswahl geeigneter Bibelstellen zum Theologisieren mit Jugendlichen, insbesondere etwa solche Texte, die unterschiedliche Perspektiven enthalten bzw. ermöglichen und mehrere Deutungen zulassen. Erfrischend realistisch lotet der in der Unterrichtspraxis und in der zweiten Ausbildungsphase bewanderte Friedrich Spaeth nicht nur die Chancen, sondern auch die Grenzen des Theologisierens mit Jugendlichen anhand der Christologie bzw. des »Christologisierens« aus. Gegenüber einer in der religionspädagogischen Praxis über Jahrzehnte weithin favorisierten »Christologie von unten« plädiert er für eine »Christologie von oben«, die die zentralen christologischen Grundfragen fokussiert: »Jesus ist Gott und/oder Mensch«; »Der Tod Jesu«; »Die Auferstehung Jesu und die eigene Auferstehung«. Dabei sollen gegenüber der üblichen unterrichtlichen »Zerstückelung« thematischer Kontexte größere Zusammenhänge in den Blick geraten, also etwa »Wunder und Auferstehung«, »Karfreitag und Ostern« … Das Interesse Jugendlicher wecken kann der Vergleich mit anderen messianischen Gestalten bzw. »Erlöserfiguren« etwa auch in den modernen Medien, die Konzentrierung auf »einigermaßen brisante und zentrale Problemstellungen«, auf paradoxe und
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herausfordernde Fragen und Aussagen (Jesus Christus – Mensch und Gott?) und nicht zuletzt eine gut strukturierte Unterrichtsplanung, die Lernfortschritte ermöglicht und auch – für die Heranwachsenden selbst – sichtbar macht. Dass dies keineswegs einfach ist, zeigt der Autor an einer Unterrichtssequenz zur AreopagRede des Paulus (Apg. 17, 16ff), ein Beispiel, das zugleich deutlich macht, dass beim Theologisieren mit Jugendlichen manche Bibeltexte in den Blick geraten können, die traditioneller Weise keinen festen Platz im Religionsunterricht hatten.
(Religions-)Pädagogische Zugänge Die beiden letzten Beiträge widmen sich zwei spezifisch pädagogischen Herausforderungen beim Theologisieren mit Jugendlichen: der Pubertät sowie der Heterogenität. Die Phase der Pubertät gilt als ganz besonders problematisch. Es ist die Zeit, in der die Heranwachsenden die Eltern und Erwachsenen häufig sehr merkwürdig finden, die Eltern und Erwachsenen selbstredend aber umgekehrt die Jungen. Uwe Böhm und Manfred Schnitzler haben sich der herausfordernden Aufgabe des »Theologisierens mit Jugendlichen im Pubertätsalter« gestellt. Bei ihren Überlegungen greifen sie auf eine von ihnen erarbeitete explorative Studie zum Religionsunterricht im Jugendalter sowie auf eine Sammlung von konkreten Unterrichtsvorschlägen zu unterschiedlichen Themen für diese Altersstufe zurück und verbinden ihre bisherige Arbeit nun mit dem Theologisieren mit Jugendlichen. Aus den Lehrer- bzw. den Schülerbefragen destillieren die Autoren Merkmale eines »guten Religionsunterrichts«: er soll »zum Nachdenken über Gott und die Welt anregen«; »zentrale Glaubensfragen« zur Diskussion stellen und dabei eine »offene Unterrichtsatmosphäre« bieten, bei der sich die Schüler/innen wohlfühlen können. Erstaunlicherweise weisen die Umfrageergebnisse zur eigenen Selbsteinschätzung entgegen der landläufigen Meinung auf eine recht hohe (Selbst-) Zufriedenheit der Pubertierenden hin. Für unser Thema sind besonders die Praxisbeispiele eines Unterrichts von Jugendlichen für Jugendliche wichtig sowie die Fälle von »Übersetzungen« biblischer und theologischer Begriffe in eine heutige, jugendgemäße Sprache durch die Heranwachsenden selbst. Zum Theologisieren mit Jugendlichen im Pubertätsalter formulieren die Autoren fünf Thesen zur »Atmosphäre in der Religionsgruppe« sowie der »Lust am eigenen – religiösen – Denken«; zum »Mut zu zeitgemäßen Wortbildungen«; schließlich zu »ganzheitliche[n] Zugänge[n]« und zu »Konkretionen«/»Verantwortungsübernahme« – als Gegenkräfte gegen einen rein kognitiv ausgerichteten Unterricht. Katharina Kammeyer schließlich berichtet aus einem Forschungsprojekt, in dem Lehrer/innen aus unterschiedlichen Schularten im Bereich der Sekundarstufe I und II über ihre Erfahrungen mit dem religionsdidaktischen Konzept des Theologisierens mit Jugendlichen befragt wurden. Grundlegend wird dabei
Einleitende Überlegungen
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Heterogenität (die dabei vorrangig in zwei Richtungen ins Blickfeld kommt, zum einen hinsichtlich der Leistungsniveaus, zum andern der religiösen Sozialisationshintergründe der Heranwachsenden) einerseits als sinnvolle, ja gar notwendige Voraussetzung des Theologisierens angesehen – da sonst gar kein Gespräch im Sinne eines Dialogs mit unterschiedlichen Positionen zustande käme –, andererseits jedoch auch als Hemmnis, ja als (Zer-)Störung desselben – da allzu divergierende Kompetenzniveaus im kognitiven bzw. kommunikativen Bereich einen Teil der Klasse vom Unterrichtsprozess ausschließt bzw. zumindest eklatant benachteiligt. Bei den Gesprächen erwiesen sich zudem als wichtige Themen: die »bewusste Organisation« von Lernwegen, Sozialformen und Methoden; die Schaffung und Gestaltung eines »safe place« zur offenherzigen Bekundung der eigenen Position; sowie »Gespräche auf der Meta-Ebene« über die Wahrnehmung und Respektierung von anderen Positionen bzw. der Pluralität. Unter »Impulse für das Theologisieren« zieht die Autorin folgende Bilanz: Es gilt, beim Theologisieren einen »Lebensweltbezug« herzustellen, eine »Methodenvielfalt über das Sprachliche allein hinaus« zu entfalten, wobei besonders Fragehaltungen, Eigenproduktionen und Formen der Freiarbeit gefördert werden, ferner »Wissensinhalte und Sprachangebote im Sinne einer Theologie für Jugendliche« bereit zu stellen und zuletzt die »lebendige Pluralität von Theologien« zur Darstellung zu bringen, wobei ein Umgang mit Alterität, mit dem Andern, Fremden, auch mit Konflikten, kurz gesagt: mit der postmodernen, pluralen Situation eingeübt und auf der Metaebene reflektiert werden soll und kann.
5.
Theologisieren mit Jugendlichen – Äußerungen Studierender
Da die Beiträge dieses Bandes den Kern einer Ringveranstaltung an einer Pädagogischen Hochschule bildeten, an der sehr interessierte Studierende bzw. angehende Religionslehrerinnen und -lehrer teilnahmen, sollen am Ende dieser Einleitung einige Voten der Studierenden stehen. Diese »älteren Jugendlichen« bzw. jungen Erwachsenen sahen und formulierten manche zentralen Vorteile und Stärken des Konzepts: »Die Stärken sind vor allem, dass die Schüler in ihren Fragen und auch kritischen Urteilen über Religion/Kirche ernst genommen werden und ihnen nicht suggeriert wird, dass es auf alles EINE richtige Antwort gibt – nämlich die des Lehrers. Besonders wichtig finde ich auch, dass beim Theologisieren wirklich ernsthafte, tiefgehende Denkprozesse über Fragen zu Gott/Leben/… angeregt werden und es nicht um das Auswendiglernen/Reproduzieren irgendwelcher Inhalte geht. Daher sehe ich das Anwendungsgebiet eigentlich in allen Klassen von 5–10.« (H., w, 21 J., 3. Sem.)
In einem weiteren Votum werden zudem die Subjektorientierung und der gegenseitige Respekt als Grundlage eines jeden guten Religionsunterrichts herausgestellt:
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Veit-Jakobus Dieterich
»Das Konzept ist eine gute Basis, um das Vertrauen in der Klasse zu stärken und gegenseitigen Respekt zu üben. / Zudem ist es eine gute »Übung«, andere Meinungen zu respektieren und Toleranz zu zeigen, daraus entsteht offenes Denken. / Zudem ermöglicht es auch die Integration anderer religiösen Schüler. / Die Basis, dass jeder in seiner Person und Denkweise ernst genommen wird, sehe ich als grundlegend an für den RU.« (C., w, 21 J., 3. Sem.)
Auf der anderen Seite werden durchaus auch Schwächen und Grenzen gesehen: »[…] und ich glaube auch nicht, dass die Schüler in jeder Reli-Stunde Theologisieren können. Sie brauchen Abwechslung im Unterricht und Zeit zum Verarbeiten.« (H., w, 21 J., 3. Sem.)
Konkret werden auf Schülerseite die Klassengröße als Problem benannt, im Blick auf die Inhalte manche Themenfelder oder gar Sachgebiete wie etwa die Kirchengeschichte, die sich gegen ein »Theologisieren« zu sträuben scheinen, auf der Beziehungsebene eine möglicherweise nicht ausreichende Vertrauensbasis zwischen Schülerinnen und Lehrern. Ein Studierender formuliert auf die Frage nach den Grenzen und Schwächen des Konzepts beinahe poetisch: »Dort wo Schülerinnen und Schüler Leistungsbewertungen im Kopf haben. Dort wo Schülerinnen und Schüler sich nicht auf Glaubensfragen einlassen. Dort wo Lehrerinnen und Lehrer sich selbst nicht immer wieder aufs Neue hinterfragen. Dort wo Lehrerinnen und Lehrer auf eine Position hinauswollen. (H., m, 22 J., 4. Sem.)
Die meisten und kritischsten Anfragen finden sich im Blick auf die Lehrkraft und deren Kompetenzen: »Hohes Anforderungsniveau an den Lehrer (fundiertes, breites theologisches Wissen, Sensibilität den S gegenüber, Kompetenzen in der Gesprächsführung).« (N., w, 24 J., 7. Sem.)
Wie gehen die Studierenden und angehenden Lehrerinnen mit dem Problem des hohen Kompetenzniveaus, das das Programm des Theologisierens mit Jugendlichen an die Lehrkräfte stellt, um? Auf der einen Seite scheint hier ein Gefühl potentieller Überforderung entstehen zu können, etwa in der folgenden bangen Frage: »Bin ich überhaupt kompetent genug für Schülerfragen, die wirklich ›ans Eingemachte‹ gehen?« (H., w, 21 J., 3. Sem.)
Dieses Gefühl potentieller Überforderung taucht auch hinsichtlich der Planung des gesamten Unterrichtsprozesses auf: »Wie kann trotz Diskussion der rote Faden nicht verloren gehen und den Schülern Ziele gesteckt werden, sodass sie auch das Gefühl haben, dass man nicht ›nur redet in Reli‹, sondern sie sich dabei weiterentwickeln und ihre Denkprozesse wichtig sind?« (H., w, 21 J., 3. Sem.)
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Insgesamt entsteht bei den Studierenden daraus jedoch keine resignative Einstellung. Die große Aufgabe wird vielmehr vorrangig als Herausforderung begriffen, der man sich stellen will. Dass hierbei ein gehöriges Maß an Dazulernen nötig ist, mit andern Worten, dass das »Theologisieren mit Jugendlichen« eine – ständige – Entwicklungsaufgabe einerseits für den Unterricht, andererseits aber auch für die (angehenden) Lehrkräfte darstellt, bietet eine Zielperspektive: »Ich habe erneut gemerkt, wie viel Hintergrundwissen ein Religionslehrer haben muss, um einen qualifizierten Religionsunterricht zu geben, von dem die S profitieren können. Einerseits stellt diese Erkenntnis eine große Herausforderung und auch eine gewisse Überforderung dar. Andererseits möchte ich es unbedingt ausprobieren und die Herausforderung so gut wie möglich annehmen.« (N., w, 24 J., 7. Sem.)
Kann es eine bessere Motivation für die eigene theologische, religionsdidaktische und persönliche Weiterentwicklung geben?
Programmatische Zugänge
Veit-Jakobus Dieterich
Theologisieren mit Jugendlichen – Ein Programm
1.
Einleitung
Das letzte Jahrzehnt, also die erste Dekade des neuen Jahrhunderts oder Jahrtausends, war das Jahrzehnt der Kindertheologie. Das »Jahrbuch für Kindertheologie«,1 in dem sich die Diskussion etablierte und konzentrierte, feiert z. Zt. sein zehnjähriges Bestehen. Das religionsdidaktische Programm einer »Kindertheologie« bzw. eines »Theologisierens mit Kindern« ist zu einem der gegenwärtig breit diskutierten und rezipierten religionsdidaktischen Konzepte avanciert. Warum blieb dabei der Blick auf die Jugendlichen – von vereinzelten2 oder auch marginalen Stellungnahmen abgesehen – weitgehend außen vor? Dafür mag es unterschiedliche Gründe geben: – Zum einen reden Kinder viel unbefangener und spontaner über religiöse Fragen als die in dieser Hinsicht eher verschlossen und unwillig scheinenden Jugendlichen. – Zum zweiten äußern sich Kinder immer wieder in eigenständigen Gedankengängen und originellen Formulierungen, wie dies bereits ein Blick auf die Titel der »Jahrbücher« mit ihren Zitaten aus Kindermund zeigt: »Im Himmelreich ist keiner sauer«; »Kirchen sind ziemlich christlich« oder: »Vielleicht hat Gott uns Kindern den Verstand gegeben«.3 – Zum dritten aber stellt sich die grundlegende Frage, ob es so etwas wie eine typische Jugendlichen-Theologie überhaupt gibt. Denn wenn sich ab der Pubertät das abstrakt-operatorische Denken der Erwachsenen ausbildet, muss die Theologie der Jugendlichen wohl als eine Form – wenn auch möglicherweise eine relativ eigenständige Sonderform – der Erwachsenen- bzw. der Laientheologie angesehen werden.
1 Anton A. Bucher u.a. (Hg.), Jahrbuch für Kindertheologie (JaBuKi), Stuttgart 2002ff. 2 S. hierzu insbes.: Friedrich Schweitzer, Auch Jugendliche als Theologen? Zur Notwendigkeit, die Kindertheologie zu erweitern, in: ZPT 57 (1/2005), 46–53; Veit-Jakobus Dieterich, Theologisieren mit Jugendlichen, in: Jahrbuch für Kindertheologie (JaBuKi) 6 (2007), 119–135; Thomas Schlag, Glaube zur Sprache bringen – Gemeinde bilden. Jugendtheologische Erwägungen zum Grundauftrag evangelischer Bildung, in: ZPT 62 (3/2010), 194–208. 3 Eine Auswahl aus den Titeln des JaBuKi (wie Anm. 1) der Jahre 2003 bis 2006.
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Veit-Jakobus Dieterich
Dennoch scheint es überfällig, sinnvoll und auch möglich, in Aufnahme und Weiterführung der Kindertheologie ein religionsdidaktisches Programm »Theologisieren mit Jugendlichen« auszuarbeiten, damit ein die gesamte Schulzeit durchziehendes Konzept entwickelt und konkretisiert werden kann. Die Konturen dazu sollen im Folgenden umrissen werden. Drei Klärungen, die sich bereits aus dem Titel »Theologisieren mit Jugendlichen« ergeben, sind vorab nötig. Was ist »Jugend«, was »Theologie« und was verbirgt sich schließlich hinter der Kombination »Theologisieren mit Jugendlichen«?
2.
Jugend
Jugend als Lebensaltersstufe gibt es nur in hochdifferenzierten Gesellschaften als ein Übergangsstadium, eine »Zwischenzeit«, eine Art »Moratorium« (Erikson) zwischen der Unselbständigkeit der Kindheit und der vollen gesellschaftlichen Integration des Erwachsenenalters. Der Begriff »Jugend« wurde seit 1800 populär. Die Wertung schwankt zwischen deutlich negativ (z.B. Jugendkriminalität) und überaus positiv (z.B. »Jugendlichkeit«). Gegenwärtig hat sich in unserer Gesellschaft ein breiter Konsens über die zeitliche Eingrenzung des Jugendalters herausgebildet,4 wie folgende lapidare Brockhaus-Bestimmung zeigt: »Jugend, Lebensaltersstufe, deren Definition und altersmäßige Bestimmung i.d.R. die Zeit zw. dem 12. und 25. Lebensjahr umfasst.«5
Die Jugendzeit umgreift bei uns also eine Zeitspanne von knapp 1½ Jahrzehnten. In unserer Postmoderne sind folgende Tendenzen für die Jugendzeit charakteristisch: – eine zunehmende Bedeutung der Jugendzeit (Eigenwert, Eigenart, Eigenständigkeit); – eine zeitliche Ausdehnung (nach vorne, nach hinten), – verbunden mit einer Unschärfe der Abgrenzung, besonders hin zum Erwachsenenalter (Postadoleszenz … bis hin zu den jugendlichen Senioren!); – eine Entstrukturierung der Jugendphase (anstelle der klassischen Statuspassagen – Eintritt ins Erwerbsleben und Gründung einer Familie – existiert eine Fülle kleiner Übergänge);
4 S. dazu u.a. Shell Deutschland Holding (Hg.), Jugend 2010. Eine pragmatische Generation behauptet sich (16. Shell Jugendstudie), Konzeption und Koordination M. Albert u.a., Frankfurt a.M. 2010; Kirchenamt der EKD (Hg.), Kirche und Jugend. Lebenslagen – Begegnungsfelder – Perspektiven. Eine Handreichung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Gütersloh 2010, 11. 5 Der Brockhaus in drei Bänden, Mannheim, 4., aktual. Aufl. 2006, Bd. 2, 293.
Theologisieren mit Jugendlichen – Ein Programm
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– Eine Spannung zwischen partiellem Erwachsensein auf der einen sowie partiellem Nicht-Erwachsensein auf der anderen Seite, worauf der Jugendforscher Klaus Hurrelmann hinweist: »Die Jugendphase ist heute durch die Spannung zwischen soziokultureller Selbstständigkeit und sozioökonomischer Unselbstständigkeit charakterisiert.«6
Für uns ist insbesondere die kognitive Entwicklung der Heranwachsenden von Interesse. Die Hirnforschung hat hierzu in jüngster Zeit eine Fülle neuer, höchst interessanter Erkenntnisse zu Tage gefördert.7 Das menschliche Gehirn ist bei 12Jährigen am größten, danach wird es wieder kleiner, bis zum Alter von 20 Jahren. Dabei erfolgt eine völlige Neustrukturierung, die sehr komplex verläuft. Trillionen Verbindungen werden gekappt; die Hauptverbindungswege bekommen eine Fettisolierung und damit ein höheres Übertragungstempo. Auch die Hirnchemie verändert sich. Es kommt zur Aktivierung des präfrontalen Cortex im Gehirn, eine entscheidende Voraussetzung und Grundlage für die Entwicklung des abstrakten Denkens in der Jugendzeit. All dies bedingt (gemeinsam mit den Umstellungen bei der Entwicklung der Geschlechtsreife) die starken Spannungen zwischen Müdigkeit, Trägheit, Lustlosigkeit auf der einen und Angespanntsein, Gereiztheit, aber auch Interessiertheit auf der anderen Seite. Himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt, so lässt sich die emotionale Seite zumindest der ersten Phase der Jugendzeit charakterisieren. Als Schnittstelle zwischen dem Kindes- und dem Jugendalter kann der Beginn der Pubertät oder (im Blick auf die Entwicklung des Denkens) die Entwicklung der formal-operatorischen Logik (Jean Piaget) bzw. auch der Fähigkeit zur Reflexion der »Mittel« (und nicht nur der Inhalte) des Denkens angesehen werden, also auch zur Reflexion des »Theologisierens«: »Der entscheidende Schritt, der über den Kinderglauben hinausführt, ist der Schritt von der Objektreflexion zur Mittelreflexion. Dieser Schritt besagt generell, dass sich die Reflexion nicht bloß auf die gegenständlich vorgestellte und gedachte Welt bezieht, sondern auf die Vorstellungen und Denkkategorien selbst, das heißt eben auf die Mittel, die das Subjekt einsetzt, um die Objektwelt vorzustellen und zu denken.« Das heißt, dass nun »Repräsentationsmittel hinterfragt, kritisiert, abgelehnt, mit Bedacht neu gewählt oder sogar eigens elaboriert werden« können.8
Genau besehen handelt es sich dabei also um zwei Fähigkeiten: – erstens zum formalen, abstrakten Denken und – zweitens zum selbstreflexiven Denken, zum Denken über das Denken – 6 Klaus Hurrelmann, Lebensphase Jugend. Eine Einführung in die sozialwissenschaftliche Jugendforschung, Weinheim/München, 9., aktual. Aufl. 2007, 8. 7 S. dazu u.a. Barbara Strauch, Warum sie so seltsam sind – Gehirnentwicklung bei Teenagern, Berlin, 22007. 8 Reto L. Fetz / Karl Helmut Reich / Peter Valentin, Weltbildentwicklung und Schöpfungsverständnis. Eine strukturgenetische Untersuchung bei Kindern und Jugendlichen, Stuttgart 2001, 247, 252.
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wie dies Leo Tolstoi in einem autobiographischen Rückblick anschaulich beschrieben hat: »Als ich fünfzehn Jahre alt war, da tauchten im Laufe des einen Jahres bereits alle abstrakten Fragen von der Bestimmung des Menschen, vom künftigen Leben, von der Unsterblichkeit der Seele vor mir auf; und mein schwacher kindlicher Geist mühte sich mit dem ganzen Feuer der Unerfahrenheit, die Fragen zu klären, deren bloßes Aufwerfen die höchste Stufe darstellt, die der menschliche Geist erreichen kann, deren Lösung ihm aber nicht gegeben ist. […] Meine Neigung zu abstrakten Betrachtungen hatte das Bewusstsein in mir so unnatürlich entwickelt, dass ich oft, wenn ich an die einfachsten Dinge dachte, in den geschlossenen Kreis der Gedankenanalyse geriet und dann nicht mehr an die Frage dachte, die mich beschäftigte, sondern an den Vorgang meines Denkens. Ich fragte mich: ›Was denke ich?‹ und antwortete: ›Ich denke, dass ich denke.‹ ›Und was denke ich jetzt?‹ ›Ich denke, dass ich denke, dass ich denke …‹ Mein Verstand war am Überschnappen …«9
Jugendliche entwickeln also zwei miteinander verbundene Fähigkeiten, (a) die Fähigkeit zum abstrakten Denken und (b) die Fähigkeit zum Nachdenken über das Denken selbst.
3.
Theologie
In einschlägigen theologischen Lexika (RGG/TLRT) finden sich zwei recht unterschiedliche Definitionen des Begriffes »Theologie« (griechisch: C+ = Gott; óo+ = Wort, Vernunft, Lehre), eine enge und eine weite: »Der Begriff ›Theol[ogie]‹ (KJ##?) wird heute zumeist […] zur Bez[eichnung] der methodisch reflektierten Explikation der Grundgehalte des christl. Glaubens gebraucht, wie sie im Kontext akademischer Bildungsinstitutionen in der Ausdifferenzierung der theol. Disziplinen und in Beziehung auf die christl. Glaubensgemeinschaft in der Vielfalt der Kirchen geübt wird.«10 »Der Begriff T. stammt aus dem Griechischen (abgeleitet von theos: Gott und logos: Rede) und bezeichnet die denkerisch verantwortete Rede von Gott.«11
Die enge Fassung versteht Theologie sehr spezifisch als (akademische) Wissenschaft, die zweite viel allgemeiner als (rationale, verbale) Rechenschaft über den christlichen Glauben. Es ist interessant, dass »Der Brockhaus« beide Fassungen aufnimmt und einfach nebeneinander stellt: »Theologie, die, systematisch reflektierende Entfaltung religiöser Glaubensaussagen.«
9 Leo Tolstoi, Kindererinnerungen, zit. nach: Hans-Ludwig Freese, Kinder sind Philosophen, Weinheim/Berlin 2002, 31. 10 Christoph Schwöbel, Art. Theologie, in: RGG4, Bd. 8, 255ff, Zit. 255. 11 Friederike Nüssel, Art. Theologie, in: Taschenlexikon Religion und Theologie (TLRT), hg. von F.W. Horn und F. Nüssel (4 Bde.), Göttingen 2008, Bd. 3, 1179–1186, Zit. 1179.
Theologisieren mit Jugendlichen – Ein Programm
35
»Die christl. T. reflektiert und entfaltet als Wiss. die Glaubensinhalte des Christentums.«12
Es liegt auf der Hand, dass in der engen Version nicht eigentlich von einer »Jugendtheologie« (wie auch nicht von einer Kinder- bzw. allgemein einer Laientheologie) gesprochen werden kann, nach der weiten Fassung aber sehr wohl. Die beiden Formulierungen spiegeln damit im Grunde die wichtige Unterscheidung zwischen einer wissenschaftlichen Theologie (als wissenschaftlicher Fachdisziplin) und einer Laientheologie. Im Folgenden wird deshalb vorrangig auf den weiten Theologiebegriff zurückgegriffen, ohne dass jedoch der spezifische ganz ausgeklammert bliebe. Als Ebenen (nicht nur: Phasen!) der theologischen Entwicklung in der Lebensgeschichte lassen sich ganz generell vier Stufen beschreiben: – Das »Urvertrauen« (vs. Misstrauen) im Säuglingsalter bildet als »faith« (im allgemeinen Sinn als »Lebensglaube«) die Grundlage des christlichen Glaubens und damit indirekt auch der (christlichen) Theologie. – Mit und nach dem Erwerb von Sprache und Denken (vor-operatorisch sowie konkret-operational) entsteht die Kindertheologie. – Die Ausbildung des formal-operatorischen Denkens ermöglicht die Jugendtheologie. – Das Erwachsenenalter kennt schließlich die beiden Formen einer Laientheologie sowie einer akademischen Theologie (Theologie i.e.S. als Wissenschaft). Unter funktionalem bzw. prozessualem Aspekt lässt sich »Theo-logie betreiben« – gerade auch unter didaktischem Aspekt – mit Johann Amos Comenius konkretisieren als »die Gottesfrage ins Spiel bringen«, wenn er als Leitziel der Frömmigkeitserziehung formuliert: »[Die Schüler] sollen sich also daran gewöhnen, alles, was sie hier sehen, hören, berühren, tun und leiden, unmittelbar oder mittelbar auf Gott zu beziehen.«13
Diese spezifisch theologische Aufgabe des Religionsunterrichts lässt sich in eine umfassende Aufgabe des Religionsunterrichts einzeichnen, nämlich die spezifisch religiöse Sichtweise ins Spiel zu bringen, d.h. nach Niklas Luhmann, das Immanente mit dem Transzendenten in Beziehung zu setzen: »Zur Bezeichnung der beiden Werte des religionsspezifischen Codes eignet sich am ehesten die Unterscheidung von Immanenz und Transzendenz. Man kann dann auch sagen, dass eine Kommunikation immer dann religiös ist, wenn sie Immanentes unter dem Gesichtspunkt der Transzendenz betrachtet.«14
12 Der Brockhaus in drei Bänden (wie Anm. 5), Bd. 3, 564 – kursiv im Original: fett. 13 Johann Amos Comenius, Große Didaktik, übers. und hg. von A. Flitner, Stuttgart 92000, 161. 14 Niklas Luhmann, Die Religion der Gesellschaft, hg. von A. Kieserling. Frankfurt a.M. 2002, 77.
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Veit-Jakobus Dieterich
Der Vorteil einer Kombination beider Ansätze bzw. Definitionen liegt darin, dass es damit möglich wird, im weiten Sinne religiöse Fragestellungen und Themen des Religionsunterrichts mit im spezifischen Sinne theologischen zusammenzuhalten und zugleich voneinander zu unterscheiden.
4.
Theologisieren mit Jugendlichen
Der Begriff »Theologisieren« ist ein Neologismus (also eine neue Wortschöpfung) und nicht unumstritten. Doch im alternativen Begriff »Kinder-» bzw. »Jugendtheologie«15 bzw. der Wendung »Jugendliche als Theologen«16 schwingt eine unangemessene Statik, und die Formulierung »Theologische Gespräche mit Kindern« bzw. »mit Jugendlichen«17 reduziert auf verbale Kommunikation, also auf das Gespräch. Das »Theologisieren mit Jugendlichen« aber steht für einen Prozess mit einer sehr breiten Palette an methodischen Möglichkeiten (s.u.). Da sich Sprache entwickelt, denke ich, dass die Wendung möglicherweise bald ähnlich selbstverständlich sein wird wie »Philosophieren« – als Bezeichnung für jede Form einer ernsthaften Auseinandersetzung mit theologischen Fragen in den unterschiedlichsten didaktischen Settings (und keinesfalls pejorativ, also abwertend im Sinne eines »klügelnden« bzw. »spitzfindigen« Wortgeplänkels). Im Folgenden gehe ich von einer dreifachen Unterscheidung aus, die sich im Blick auf die Kindertheologie als hilfreich erwiesen hat und auch im Blick auf eine Jugendtheologie bereits vorgeschlagen wurde:18 1) Die Frage nach einer »Theologie von Jugendlichen« unternimmt den Versuch, mit empirischen Methoden das theologische Denken von Jugendlichen, also ihr eigenständiges Nachdenken über Fragen von Religion und Glauben, zu eruieren. 2) Eine »Theologie für Jugendliche« möchte theologische Gedanken in altersangemessener, jugendgemäßer Weise zur Sprache bringen. 3) Das Programm »Theologisieren mit Jugendlichen« schließlich ist ein didaktisches Konzept, das ein Unterrichtsverfahren theoretisch und praktisch ausarbeiten will, bei dem biblische bzw. theologische Traditionen und die theologischen Auffassungen der Schüler/innen in einen grundsätzlich gleichberechtigten und ergebnisoffenen Dialog eintreten.
15 So im Titel des bereits erwähnten Jahrbuchs für Kindertheologie (wie Anm. 1) und des neu entstehenden Jahrbuchs für Jugendtheologie. 16 Vgl. Schweitzer 2005 (wie Anm. 2). 17 Vgl. Petra Freudenberger-Lötz, Theologische Gespräche mit Kindern. Untersuchungen zur Professionalisierung Studierender und Anstöße zu forschendem Lernen im Religionsunterricht, Stuttgart 2007. 18 Schweitzer 2005 (wie Anm. 2) und im Anschluss daran: Dieterich 2007 (wie Anm. 2).
Theologisieren mit Jugendlichen – Ein Programm
37
Es geht also im Folgenden um eine Theologie von und für sowie ein Theologisieren mit Jugendlichen. Thomas Schlag und Friedrich Schweitzer haben neuerdings »fünf Aspekte« von »Jugendtheologie« ausdifferenziert: eine »implizite«, »persönliche«, »explizite«, eine auf die theologische Dogmatik bezogene sowie zuletzt eine explizit theologisch argumentierende Form.19 Hilfreich an dieser Unterscheidung ist, dass sie es ermöglicht, die unterschiedlichen Ebenen, in denen sich Religion und Theologie zeigt, zu berücksichtigen. Für das Konzept eines »Theologisierens mit Jugendlichen« wird es dabei zugleich darum gehen, die religiös und theologisch argumentative Form ins Zentrum des religionsdidaktischen Interesses zu rücken.
5.
Theologie von Jugendlichen
Über die Theologie von Jugendlichen geben erstens entwicklungspsychologische und zweitens jugendsoziologische Studien Auskunft. Im Blick auf die Entwicklungspsychologie sind die Theorien von Oser/ Gmünder und von James W. Fowler zum festen Lehrbuchwissen geworden. Nach Oser/Gmünder20 sind im Blick auf den Bezug der Heranwachsenden zum »Ultimaten« (Gottesverständnis und -verhältnis) für das Jugendalter drei Entwicklungen charakteristisch: – das langsame Nach- und Abklingen von Stufe 2 (do ut des – Wie Du mir, so ich Dir); – zugleich komplementär dazu der kräftige Aufbau und die nahezu vollständige Durchsetzung von Stufe 3: »Autonomie der Person durch Abtrennung des Ultimaten vom genuin humanen Bereich (Deismus)«; – zuletzt die zögerliche und langsame Entwicklung von Stufe 4 erst im höheren Jugendalter: »Autonomie der Person durch Annahme apriorischer Voraussetzungen aller menschlichen Möglichkeiten durch Ultimates (Apriorität)« – eine Stufe, die sich dann erst im Erwachsenenalter auf breiter Linie durchsetzen kann.
19 Thomas Schlag / Friedrich Schweizer, Brauchen Jugendliche Theologie? Neukirchen-Vluyn 2011, s. insbes. den Überblick auf S. 179. – Schlag/Schweitzer verbinden diese »fünf Aspekte« mit den genannten »drei Dimensionen« der Jugendtheologie (Theologie »von«, »für« und »mit« Jugendlichen) und präsentieren so eine Matrix mit 15 Feldern. 20 Fritz Oser / Paul Gmünder, Der Mensch – Stufen seiner religiösen Entwicklung. Ein strukturgenetischer Ansatz, Gütersloh 41996 – folgende beiden Zit. 87.
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Veit-Jakobus Dieterich
Während Oser/Gmünder vor allem das unmittelbare Gottesverständnis untersuchten, richtet James W. Fowler21 seinen Blick vorrangig auf den sozialen Kontext der Glaubensentwicklung und setzt dadurch andere Akzente: – Etwa in der Pubertätszeit werden in der dritten Stufe die bedeutsamen Andern (significant others), d.h. die wichtigsten Bezugspersonen (insbesondere auch die Peers), für den Glauben besonders bedeutsam (Synthetisch-konventioneller Glaube). – Mit Adoleszenz und höherem Jugendalter beginnt dann eine vierte Stufe, in der der individuelle Aspekt in Abgrenzung von den anderen Menschen eine wichtige Rolle spielt (Individuell-reflektierender Glaube). Unter den jugendsoziologischen Studien weisen insbesondere die Shell-Jugendstudien, die sich in jüngster Zeit am Rande auch mit dem Thema »Religion« befassen, auf die Existenz von »drei religiösen Kulturen« bzw. »drei Religionsformen« unter Jugendlichen in der Bundesrepublik Deutschland hin:22 – »Religion light« im Westen (»Collage«; »Patchwork«: eigene Religion als Mix aus unterschiedlichen Elementen, u.a. auch fernöstlicher Herkunft); – Religionsdistanz im Osten; – »echte« Religiosität bei Migranten (traditionsorientierte Formen von Religion). Religion spiele bei Jugendlichen insgesamt nur eine »mäßige« Rolle. Die religiösen Einstellungen zeigten zudem keine Auswirkung auf das Alltagsverhalten. In dieser Hinsicht lebten religiöse und nicht-religiöse Jugendliche in sehr ähnlicher Weise. Neben diesen doch recht plakativen, wenig überraschenden Befunden gab es in der Bundesrepublik vor allem seit 2003 eine Fülle von weiteren größeren und kleineren, qualitativ und quantitativ angelegten empirischen Untersuchungen zu den religiösen Einstellungen Jugendlicher, so dass die erste Dekade des neuen Jahrhunderts geradezu als ein Jahrzehnt der »Theologie von Jugendlichen« bezeichnet werden kann – mit einem (vorläufigen) Höhepunkt von mindestens acht Veröffentlichungen allein im Jahr 2008.
21 James W. Fowler, Stufen des Glaubens. Die Psychologie der menschlichen Entwicklung und die Suche nach Sinn, Gütersloh 2000. 22 Shell Deutschland Holding (Hg.), Jugend 2010 (wie Anm. 4).
Theologisieren mit Jugendlichen – Ein Programm
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– Schwerpunkte bildeten dabei erstens die allgemeinen Themen »Religion« und »Weltbild«,23 zweitens die Ethik,24 zum dritten aber – unter betont theologischer Ausrichtung – die Christologie.25 – Die Gottesvorstellungen kamen meist nur grob, gleichsam holzschnittartig26 oder in Einzelaspekten27 in den Blick, die Anthropologie extrem selektiv, vor allem und nahezu ausschließlich mit dem Thema »Tod« (verschiedene Arbeiten). – Die Einstellungen zur »Bibel« und zur Kirche (Ekklesiologie) stellen praktisch Leerstellen dar, auch zum Thema Eschatologie (»Zukunft« in theologischer Perspektive) findet sich erstaunlich wenig. Gleichsam als Auftakt stellten Ziebertz/Kalbheim/Riegel im Jahr 2003 fünf religiöse Typen unter Jugendlichen heraus, die sich in unterschiedlicher, tlw. gegensätzlicher Weise allgemein der Religion bzw. speziell dem Christentum zuordnen lassen (traditionelle bzw. selbständig-autonome Verbundenheit bzw. Distanz):28 1) Kirchlich-christlicher Typ – Anschluss an Kirchengemeinden 2) Christlich autonomer Typ – Eigenständige Verarbeitung christlicher Tradition 3) Konventionell-religiöser Typ – Allgemeine religiöse Einstellungen, Mainstream 4) Autonom-religiöser Typ – Eigenständige Verarbeitung religiöser Traditionen 5) Nicht-religiöser Typ – Distanz zu bzw. Ablehnung von Religion, Christentum
23 Hans-Georg Ziebertz / Boris Kalbheim / Ulrich Riegel, Religiöse Signaturen heute. Ein religionspädagogischer Beitrag zur empirischen Jugendforschung, unter Mitarb. von A. Prokopf, Gütersloh/Freiburg i.Br. 2003; Hans-Georg Ziebertz / Ulrich Riegel, Letzte Sicherheiten. Eine empirische Studie zu Weltbildern Jugendlicher, unter Mitarbeit von Stefan Heil (RPG 11), Gütersloh/Freiburg i.Br. 2008; Andreas Feige / Carsten Gennerich, Lebensorientierungen Jugendlicher. Alltagsethik, Moral und Religion in der Wahrnehmung von Berufsschülerinnen und -schülern in Deutschland. Eine Umfrage unter 8.000 Christen, Nicht-Christen und Muslimen, unter Mitarbeit von N. Friedrichs u.a., Münster u.a. 2008; mehrere weitere (kleinere) Arbeiten. 24 Gottfried Orth / Andrea Schulte / Ingrid Wiedenroth-Gabler, Leben im Regenbogen. Der Dekalog – Angebote für Lebensregeln, Leipzig 2008. 25 Tobias Ziegler, Jesus als »unnahbarer Übermensch« oder »bester Freund«? Elementare Zugänge Jugendlicher zur Christologie als Herausforderung für die Religionspädagogik und Theologie, Neukirchen-Vluyn 2006; Michaela Albrecht, Für uns gestorben. Die Heilsbedeutung des Kreuzestodes Jesu Christi aus der Sicht Jugendlicher (ARP 33), Göttingen 2007; Michaela Albrecht, Vom Kreuz reden im Religionsunterricht, Göttingen 2008. 26 Z.B. Tobias Faix, Gottesvorstellungen bei Jugendlichen. Eine qualitative Erhebung aus der Sicht empirischer Missionswissenschaft (Empirische Theologie, 16), Berlin u.a. 2007. 27 Zur Theodizee s. in jüngster Zeit insbes.: Eva Maria Stögbauer, Die Frage nach Gott und dem Leid bei Jugendlichen wahrnehmen. Eine qualitativ-empirische Spurensuche, Bad Heilbrunn 2011. 28 Hans-Georg Ziebertz / Boris Kalbheim / Ulrich Riegel 2003 (wie Anm. 23), 390ff.
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Tradition
Autonomie
Christentum
Kirchlich-christlicher Typ
Christlich autonomer Typ
Religion
Konventionell-religiöser Typ
Autonom-religiöser Typ
Distanz zur Religion Grafik 1:
Nicht-religiöser Typ
Typologie zur religiösen Einstellung Jugendlicher nach Ziebertz/Kalbheim/Riegel (2003)
In jüngster Zeit fassten Heinz Streib und Carsten Gennerich die Ergebnisse eigener empirischer Untersuchungen (der sog. Bielefelder Online-Befragung) sowie anderer Studien zur Religiosität Jugendlicher auf verständliche und gut überschaubare Weise zusammen.29 Eine Fülle entwicklungspsychologischer und soziologischer Untersuchungen zur religiösen Einstellung und Entwicklung von Jugendlichen sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten im angelsächsischen Raum entstanden.30 Sie lassen sich kaleidoskop- oder puzzleartig zu einem Gesamtbild der Religion bzw. Theologie von Jugendlichen zusammenfassen, wie dies Carsten Gennerich in seiner beeindruckenden Habilitationsschrift mit dem bezeichnenden Titel »Empirische Dogmatik des Jugendalters« im Jahr 2010 getan hat.31 Ein weiterer, sehr praxis- bzw. schulnaher Zugang zur empirischen Erfassung der Theologie von Jugendlichen stellt die Erhebung von Schülertexten unmittelbar im Religionsunterricht dar. Im Bereich der Berufsbildenden Schulen hat diese Methode seit einem von Robert Schuster im Jahr 1984 herausgegebenen Sammelband eine inzwischen nahezu dreißigjährige Tradition.32 Damals wurden mehr als 1000 Schülerinnen und Schülern in Württemberg Satzanfänge, Fragen und Zitate als Anregung zum Verfassen eines eigenen Statements zur Gottesfrage vorgelegt. Satzanfänge: »Gott ist… / Ich glaube an Gott, weil… / Ich glaube nicht an Gott, weil…« Fragen: »Wie stellen Sie sich Gott vor? Woran denken Sie bei dem Wort ›Gott‹?«
29 Heinz Streib / Carsten Gennerich, Jugend und Religion. Bestandsaufnahmen, Analysen und Fallstudien zur Religiosität Jugendlicher, Weinheim/München 2011. 30 Zum jugendlichen Deismus s. etwa: Christian Smith / Melinda L. Denton, Soul Searching. The Religious and Spiritual Lives of American Teenagers, Oxford 2005. 31 Carsten Gennerich, Empirische Dogmatik des Jugendalters. Werte und Einstellungen Heranwachsender als Bezugsgrößen für religionsdidaktische Reflexionen (Praktische Theologie heute, 108), Stuttgart 2010. 32 Robert Schuster (Hg.), Was sie glauben. Texte von Jugendlichen, Stuttgart 1984. – Die folg. Zit. 6.
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Zitate: »›Gott sei Dank gibt es nicht, was sich 60–80 Prozent der Zeitgenossen unter Gott vorstellen‹ (Karl Rahner, Theologe)33 ›Worauf du nun dein Herz hängst und verläßt, das ist eigentlich dein Gott.‹ (Martin Luther, Theologe) ›Hütet euch vor den Menschen, deren Gott im Himmel ist.‹ (Bernard Shaw, Schriftsteller)«
Ein modifiziertes Projekt wird gegenwärtig durchgeführt, zu allen zentralen theologischen Themenfeldern: Thema … Zwei (unvollständige) Aussagen, Satzanfänge: … ist für mich … Zwei Fragen: Woran denken Sie bei dem Wort …? Zwei Zitate (berühmter Personen)
Drei Beispiele aus unterschiedlichen Zeiten und Sammlungen zu den drei theologischen Kernthemen Gott, Mensch sowie Jesus Christus seien im Folgenden zitiert: * Gott »Es sollte bei mir heißen: Ich glaube nicht mehr an Gott. Vor ein paar Monaten habe ich noch an Gott geglaubt und war auch im Jugendkreis vom CVJM, bis sich ein paar Dinge geändert haben. Ich musste ins Krankenhaus, und da habe ich Menschen gesehen, die wirklich schlimm dran waren. Jedoch keine selbstverschuldeten Unfälle, sondern Krankheiten, für die sie nichts konnten. […] Vor kurzem habe ich ein Mädchen kennengelernt (19), mit der ich viel geredet habe. Sie erzählte mir, dass sie einen Tumor im Arm und einen in der Gebärmutter hat. Einige Verwandte von ihr sind schon an Krebs gestorben, und sie hat Angst, dass sie auch Krebs hat. Seitdem ich das weiß, kann ich nicht mehr an Gott glauben, weil er so grausam zu den Menschen ist, ihnen viele Schmerzen (nicht nur körperliche) bereitet. Wenn man an Gott glaubt, muss man vieles von dem, was ich geschrieben habe, übersehen. Lieber keinen Gott als so einen, an den so viele glauben.« * Mensch »Der Mensch ist für mich das Gute, das Schlechte und das Gefährliche. Das Gute ist er, weil er das Schlechte bekämpft, das Gefährliche ist er, weil er das Schlechte erst passieren lässt. Also ist der Mensch an sich der Verursacher und Bekämpfer allen Übels.«34
33 Bei Schuster statt »Zeitgenossen« fälschlicherweise: »Eidgenossen«! 34 Schüler, männlich, Wirtschaftsgymnasium Stuttgart, Klasse 11 (aus dem Jahr 2011).
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* Jesus Christus »Warum musste Jesus für unsere Erlösung sterben? Klar, er ist wieder auferstanden […], aber die ganze Sache hätte doch auch viel leichter geregelt werden können…«35
6.
Theologie für Jugendliche
Das Programm einer »Theologie für Jugendliche« ist auf protestantischer Seite eigentlich ähnlich alt wie diese evangelische Theologie selbst. Luther hat in seinem »Kleinen Katechismus« im Jahr 1529 den Versuch unternommen, die christliche Lehre »besonders in das junge Volk zu bringen«. Nehmen wir ein Beispiel aus der Gegenwart, das (Internet-)Projekt der »Volxbibel«,36 das sich die anspruchsvolle Aufgabe gestellt hat, die Bibel in jugendgemäße Sprache und Denkweise zu übertragen – bei gleichzeitiger Wahrung der theologischen Substanz. Die letzte Passage der paulinischen Aussage zur Widersprüchlichkeit und Zerrissenheit des Menschen (Röm 7) wird so übersetzt: »21 So was passiert mir andauernd: Das, was gut ist, will ich eigentlich tun, aber stattdessen bau ich nur Mist. 22 Ich selber in mir drin möchte das tun, was Gott von mir will. 23 Und doch handle ich nach einem anderen Programm, das bei mir abläuft. Ich bin total darin gefangen, ich bin nicht frei davon.«
Dieses Beispiel kann wohl als gelungen bezeichnet werden. Die Sünde als Macht gewinnt im Bild des »Programms« Anschaulichkeit. Ein Negativ-Beispiel aber findet sich für mich ebenfalls zum Thema »Anthropologie« (diesmal bei der menschlichen Sprachfähigkeit – der Zunge) in Jak 3,2ff, vor allem mit der misslungenen Schlusspassage: »10 Gute Wünsche und fiese Aggrosprüche kommen aus demselben Mund. Leute, genau das soll bei euch nicht abgehen! 11 Wie ist es denn beim Wasserhahn, kommt da Trinkwasser und gleichzeitig Schmutzwasser raus? 12 Und was meint ihr, können an einem Apfelbaum Birnen wachsen oder an einem Birnbaum Tomaten? Man kann ja auch nicht aus dem Klo trinken!«
Manche Religionsbücher bzw. Materialien für den Religionsunterricht bemühen sich in der Sekundarstufe I und II darum, theologische Positionen in schülergerechter Weise zu präsentieren, so dass sie anschlussfähig werden für ein Theologisieren mit Heranwachsenden.37 35 Zit. aus: Albrecht 2008 (wie Anm. 25), 93 (Schülerin, evangelisch). 36 Martin Dreyer, Die Volxbibel. Neues Testament, Holzgerlingen 2006. 37 S. dazu für sie Sekundarstufe I insbes. die drei Bde. des Religionsbuches »SpurenLesen«, hg. und erarb. von Gerhard Büttner, Veit-Jakobus Dieterich u.a., Stuttgart 2007/2008/2010; Lehrerbde. 2008/2010/2011, sowie für die Sekundarstufe II insbes. die von Veit-Jakobus
Theologisieren mit Jugendlichen – Ein Programm
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Theologisieren mit Jugendlichen – Didaktisches Programm und Beispiele »Er hörte gern eine freie Meinung, je drastischer und extremer, desto besser. Dass sich diese Meinung mit der seinigen deckte, lag ihm fern zu wünschen. Beinah das Gegenteil. Paradoxen waren seine Passion. ›Ich bin nicht klug genug, selber welche zu machen, aber ich freue mich, wenn’s andere tun; es ist doch immer was drin. Unanfechtbare Wahrheiten gibt es überhaupt nicht, und wenn es welche gibt, so sind sie langweilig.‹« (Theodor Fontane: Der Stechlin)
Den Kern des religionsdidaktischen Programms Theologisieren mit Jugendlichen will ich in fünf Teilschritten vorstellen, zuerst (1) mit seinen Schwierigkeiten, dann (2) in seinen grundlegenden Möglichkeiten, gefolgt (3) von einem anschaulichen Beispiel, mit anschließender Reflexion (4) der Didaktik und (5) der Methodik. 7.1 Probleme Das religionsdidaktische Programm eines Theologisierens mit Jugendlichen hat einige beachtliche Probleme zu berücksichtigen und zu bearbeiten: – Die Heranwachsenden selbst, die Schüler/innen, lassen sich dann – und nur dann – aufs Theologisieren ein, wenn sie den Eindruck gewinnen können, dass ihre Position tatsächlich ernst genommen wird. – Die Erwachsenen, also die Lehrer/innen, können dann – und nur dann – dem Theologisieren mit Jugendlichen Raum geben, wenn sie das richtige Maß zwischen Planung und Offenheit finden, also gleichsam eine strukturell geplante inhaltliche Freiheit ermöglichen. – Je größer eine Klasse ist, umso genauer und didaktisch wie methodisch durchdachter und elaborierter muss das »Theologisieren« durchgeführt werden. Ein von Thomas Klie im Jahr 2000 veröffentlichtes Unterrichtsprotokoll einer Religionsstunde mit einer KFZ-Klasse zum Thema »Lebenslinien« weist auf eine weitere Schwierigkeit hin: »L.: VITALI: L.: VITALI: L.:
Wann soll’s denn zu Ende sein? (lächelt) Oh! Wie alt willst du werden? Mit 200. 200? (Gelächter) Dann geb ich dir noch einen aus! Du willst also alt werden. VITALI: Nu, ich möchte nicht so schnell. L.: Das hab’ ich nicht verstanden. Das letzte …
Dieterich und Hartmut Rupp herausgegebene Reihe Oberstufe Religion (Sekundarstufe II), aktuelle Auflage, Stuttgart 2006ff mit mehreren Materialheften für Schüler/innen sowie entsprechenden Lehrerhandbüchern zu den zentralen Themen der gymnasialen Oberstufe.
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JAN: Er möchte nicht so schnell. VITALI: Ich möchte nicht so schnell gestorben. L.: Aha: Hab’ ich akustisch nicht verstanden. Noch jemand anderes?«38
Hier wird die Chance zum Theologisieren verpasst, obwohl anhand der genannten Themen und Stichworte (Lebensende, 200, ich möchte nicht so schnell [sterben]) ein theologisches Gespräch hätte geführt werden können und wohl auch müssen. Im Unterricht, aber auch in den Unterrichtsmaterialien findet sich zudem häufig ein gefährlicher Schematismus: auf der einen Seite wird an den Positionen der Schüler/innen »angedockt«; auf der anderen aber kommt dann das »Eigentliche«, die theologische/biblische usw. Tradition. Eine solche »Angelhaken-» oder »Köderpädagogik« ist natürlich kein ernsthafter Dialog. Auch die Schülerinnen und Schüler werden das rasch durchschauen. 7.2 Chancen Das »Theologisieren mit Jugendlichen« steht und fällt mit dem religionsdidaktischen Programm. Dessen Kern besteht formal gesehen in einem Dreischritt: Schülerposition (Theologie von …) – Tradition (Theologie für …) – Dialog (Theologisieren mit …).
Grafik 2:
Die zirkuläre Struktur des Theologisierens mit Jugendlichen
Im Blick auf die Theologie von Jugendlichen lässt sich in diesem Zusammenhang in doppelter Weise formulieren: einerseits ist die Erhebung von Schülermeinungen (Schülertexten) zwar eine notwendige, andererseits aber keinesfalls eine
38 Thomas Klie, Religionsunterricht in der Berufsschule: Verheißung vergegenwärtigen. Eine didaktisch-theologische Grundlegung, Leipzig 2000, 242–261 (Anhang: Transskript einer Religionsstunde in der KfZ-M2), Zit. 257f.
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bereits hinreichende Bedingung fürs Theologisieren mit Jugendlichen. Hinzutreten müssen dabei nicht nur die gründliche Auseinandersetzung mit diesen Positionen in der Schulklasse, sondern auch die Beschäftigung mit Fremdpositionen sowie die dialogische Bearbeitung der eigenen wie der fremden Einstellungen. Drei kurze Hinweise zur Theologie für Jugendliche mögen an dieser Stelle genügen: – Texte und andere Medien aus der biblisch-christlichen Tradition können heutigen Jugendlichen wichtige Anregungen bieten. – In höheren Klassen steht dabei die Beschäftigung mit Originaldokumenten im Vordergrund, also auch mit – geeigneten – Texten der (wissenschaftlichen) Theologie (in deutlicher Differenz zur und Erweiterung der Kindertheologie). – Neben traditionellen Methoden zur Arbeit mit diesen Medien stehen dabei solche (kreativen) Methoden im Vordergrund, die den Jugendlichen eine eigenständige Aneignung ermöglichen. Die Kernaufgabe zum Theologisieren mit Jugendlichen hat bereits Friedrich Schleiermacher in klassischer Weise formuliert: »Je allgemeiner der Katechismus ist, desto schädlicher ist er, je spezieller, desto nützlicher, und der speziellste ist der, welchen sich der Geistliche selbst macht, und der allerspeziellste der, den er sich jedesmal selbst macht.«39
Es würde also im Religionsunterricht darum gehen, dass die Jugendlichen im Verlaufe des Unterrichtsprozesses ihren eigenen »Katechismus« erstellen (etwa in einer Art »Portfolio«), entweder individuell oder auch als Gruppen- bzw. Klassenleistung. 7.3 Unterrichtsbeispiel Ein Unterrichtsbeispiel stammt aus der gymnasialen Oberstufe (12. Schuljahr) eines Technischen Gymnasiums (TG), es handelt sich um eine Unterrichtssequenz zum Thema »Gott«.40 * Theologie von Jugendlichen In der ersten Stunde verfassen die Schüler/innen Texte zu ihrem eigenen Gottesglauben, nach den in der Schuster-Sammlung (s.o.) verwendeten Vorgaben (u.a.: Ich glaube / nicht / an Gott, weil …; Gott ist …; etc.). Ein Text lautet etwa:
39 Friedrich Schleiermacher, Die praktische Theologie nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche, hg. von Jakob Ferichs (Sämtliche Werke, Bd. 13/8), Berlin 1850, 376. 40 Das Beispiel stellt eine Unterrichtssequenz bereits aus der ersten Hälfte der neunziger Jahre aus dem Großraum Stuttgart vor.
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»Ich kann mir Gott, das Wesen Gottes in verschiedenen Menschen vorstellen. Es muss nicht nur ein einzelner sein, es können mehrere gleichzeitig sein, die sich besonders für eine Sache einsetzen. Wie sich z.B. um die Menschen in der 3. Welt kümmern und sich dafür aktiv einsetzen, also nicht nur Geld spenden. Man kann an einen Mitmenschen glauben, der sich z.B. durch besonderes soziales Verhalten hervortut.«
Die (per PC-Eingabe) gesammelten und allen anonym zugänglich gemachten Texte werden in der zweiten Stunde durch die Schüler/innen – zuerst in der Kleingruppe, anschließend im Plenum – nach einem mit ihnen (bereits gegen Ende der ersten Stunde entwickelten) Frageraster ausgewertet (z.B.: Spricht sich der Text für bzw. gegen den Gottesglauben aus? / Mit welcher/n Begründung/en? / Werden weitere Themen angesprochen, falls ja, welche? / Werden Entwicklungen sichtbar? etc.) * Theologie für Jugendliche In einer weiteren Unterrichtssequenz befassen sich die Schüler/innen mit der Religionskritik von Feuerbach, Marx und Freud, anhand klassischer Quellentexte. Sie bekommen dabei (in Gruppen) u.a. die Aufgabe, die Religionskritik jeweils eines Protagonisten grafisch darzustellen, mit tlw. recht originellen Ergebnissen. So wird etwa die Religionskritik von Marx anhand folgender beider Grafiken visualisiert:
Grafik 3:
Grafische Umsetzung der Religionskritik von Karl Marx durch eine Schülergruppe
* Theologisieren mit Jugendlichen In einem weiteren, zentralen Schritt wird nun der Versuch unternommen, die Schülerpositionen sowie die philosophischen Traditionen dialogisch aufeinander zu beziehen. Wiederum in Arbeitsgruppen erhalten die Schüler/innen die Auf-
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gabe, aus der Sichtweise eines ihrer Gruppe zugeordneten Schülertextes (der logischerweise nur in Ausnahmefällen der von ihnen selbst verfasste ist) einen fingierten Briefwechsel mit dem Verfasser einer religionskritischen philosophischen Position zu führen bzw. sich in umgekehrter Richtung aus der Sicht eines klassischen Religionskritikers an die Klasse (repräsentiert durch einen Schülertext) zu wenden. Eine Gruppe schrieb aufgrund der Position des zuletzt zitierten Schülertextes folgenden Brief von Karl Marx an die Klasse: »Sehr geehrte TG-ler, ich denke auch genauso wie Ihr, dass es keinen übersinnlichen Gott gibt. Ebenso können Eure einzelnen ›Menschengötter‹ nicht genug ausrichten, um Veränderungen zu bringen. Es gibt keine ›göttliche Kraft‹ in einzelnen Menschen, sondern nur die natürliche Kraft des Zusammenschlusses der Menschheit gegen das Übel in der Welt. Auch Ihr seid gefordert! Euer Genosse Karl Marx.«
7.4 Didaktik Die dreifache Gestalt der Theologie »von – für – mit« soll anhand des folgenden Schemas nochmals veranschaulicht und verdeutlicht werden. Die verschiedenen Elemente können dabei nicht einzeln und isoliert nacheinander »abgearbeitet« werden, vielmehr sind »Theologie von« und »Theologie für« ständig auf den dynamischen Lernprozess »Theologisieren mit« zu beziehen und mit diesem zu vermitteln.
Grafik 4:
Die drei Ebenen des Theologisierens mit Jugendlichen
7.5 Methoden Natürlich ist das theologische Gespräch eine Möglichkeit für das Theologisieren mit Jugendlichen. Als Input sind dabei paradoxe Beispiele, Geschichten, Dilemmata besonders geeignet, wie etwa folgende kurze, kritisch-ironische Passage zum Thema »Gottesbeweis« aus dem (auch verfilmten) Best- und Longseller von
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Veit-Jakobus Dieterich
Douglas Adams »Per Anhalter durch die Galaxis«. Die – imaginierte – weitere Evolution hat den phantastischen »Babelfisch« hervorgebracht, mit dessen Hilfe man – ins menschliche Ohr eingesetzt – »augenblicklich alles versteht, was einem in irgendeiner Sprache gesagt wird.« Angesichts der Existenz eines solchen Wunderwesens entwickeln sich folgende Gedankengänge: »Nun ist es aber verdammt unwahrscheinlich, dass sich etwas so wahnsinnig Nützliches rein zufällig entwickelt haben sollte, und so sind ein paar Denker zu dem Schluss gelangt, der Babelfisch sei ein letzter und entscheidender Beweis dafür, dass Gott nicht existiert. Die Argumentation verläuft ungefähr so: ›Ich weigere mich zu beweisen, dass ich existiere‹, sagt Gott, ›denn ein Beweis ist gegen den Glauben, und ohne Glauben bin ich nichts.‹ ›Aber‹, sagt der Mensch, ›der Babelfisch ist doch eine unbewusste Offenbarung, nicht wahr? Er hätte sich nicht zufällig entwickeln können. Er beweist, dass es dich gibt, und darum gibt es dich, deiner eigenen Argumentation zufolge, nicht. Quod erat demonstrandum.‹ ›Ach, du lieber Gott‹, sagt Gott, ›daran habe ich gar nicht gedacht‹, und löst sich prompt in ein Logikwölkchen auf.«41
Dass der Dialog auch auf ganz andere Weise geführt werden kann als im unmittelbaren Gespräch bzw. der Diskussion haben wir bereits anhand des (fingierten) Schriftwechsels zwischen den »Erzvätern« des neuzeitlichen Atheismus und den Jugendlichen einer Klasse der gymnasialen Oberstufe kennen gelernt. Aber beim »Theologisieren« lässt sich auch auf ganz andere Weise »kommunizieren«, etwa mittels der »Körpersprache«. Was wäre das Ausdrücken von unterschiedlichen Gebeten (Bitt-, Dank-, Lobgebet etc.) über Körperbilder anderes als eine Form des »Theologisierens«? Meine These zur Methodenfrage beim Theologisieren ist daher, dass (nahezu) alle bisher im und für den Religionsunterricht entwickelten und eingesetzten Methoden Anwendung finden können, auch die sog. »ganzheitlichen«. Das »Theologisieren« ist weniger eine Frage der (sicherlich wichtigen!) Methoden, vielmehr des dahinter stehenden Lernarrangements, der zugrunde liegenden Didaktik.
8.
Theologisieren mit Jugendlichen – Differenzierungen und Ausblick
Die »Jugendzeit« ist keine homogene Zeit, die »Jugendlichen« (die wir in der Sekundarstufe I und II vor uns haben) sind keine homogene Gruppe. Im Folgenden seien abschließend noch zwei fürs Theologisieren mit Jugendlichen besonders wichtige Differenzierungen kurz vorgestellt, zum einen die nach Alter, zum andern die nach der (religiösen) Einstellung.
41 Douglas Adams, Per Anhalter durch die Galaxis, München 352009, 63.
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Theologisieren mit Jugendlichen – Ein Programm
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten und Vorschläge, die Phase der Jugendzeit sinnvoll zu unterteilen (z.B. frühe, mittlere und späte Adoleszenz), häufig sind es Dreiteilungen, etwa die Untergliederung der Jugendzeit nach Hurrelmann:42 – Frühe Jugendzeit mit »Pubertät«: 12–17 Jahre – Mittlere Jugendzeit: »Nachpubertät«: 18–21 Jahre – Späte Jugendzeit: Übergang zur Erwachsenenphase: 22–27 Jahre Es liegt auf der Hand, dass den Altersstufen entsprechend mit unterschiedlichen Methoden, Materialien und Diskussions- und Denkweisen gearbeitet werden muss. Die Differenzierung Jugendlicher nach religiösen »Typen« oder »Kulturen« durch Ziebertz u.a. haben wir bereits kennen gelernt. In etwas allgemeinerer Weise haben Andreas Feige und Carsten Gennerich im Jahr 2008 in einer großangelegten empirischen Studie über die »Lebensorientierungen Jugendlicher« ein viergliedriges »Wertefeld« mit jeweils zwei einander entgegen gesetzten Polen aufgespannt, aus dem sich dann vier »Typen« von Lebensorientierungen ergeben: Beziehungsorientierung »Humanisten«
»Integrierte«
Autonomieorientierung
Traditionsorientierung
»Autonome«
»Statussuchende« Selbstorientierung
Grafik 5:
Typologie zur Lebenseinstellung Jugendlicher nach Feige/Gennerich
Die vier Arten von Lebensorientierung lassen sich folgendermaßen beschreiben: (1) »Die Autonomen im Quadrant unten/links« tendieren zu einer »nihilistischen Lebensphilosophie«. (2) »Die Statussuchenden im Quadrant unten/rechts zeigen eine besondere Nähe zu einer ordnungsgebenden Lebensphilosophie«. (3) »Die Integrierten oben/rechts zeigen die größte Nähe zu einer kirchlich geprägten ›Theologie‹«.
42 Klaus Hurrelmann, Lebensphase Jugend. Eine Einführung in die sozialwissenschaftliche Jugendforschung. Weinheim 72004, 41.
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Veit-Jakobus Dieterich
(4) »Die Humanisten oben/links zeigen eine ethisch orientierte Lebensphilosophie ohne Bezüge zu einer explizit-herkömmlich als ›religiös‹ geltenden Semantik«.43 Daraus ergeben sich wichtige Folgerungen für Religionsdidaktik und Religionsunterricht: »Will man nicht von vornherein eine Gruppe von SchülerInnen als unerreichbar aus den religionspädagogischen Bemühungen ausklammern, dann bedarf es einer Pluralität religiöser Semantiken bzw. die Vermeidung aller Axiomatiken, um alle SchülerInnen zumindest prinzipiell erreichen und fördern zu können. Eine wichtige Aufgabe ist dabei sicherlich vor allem die Suche nach theologischen Anknüpfungspunkten, die erlauben, zumindest partiell die vorfindliche ›Schülertheologie‹ anzuerkennen.«44
In seiner bereits erwähnten Habilitationsschrift hat Carsten Gennerich45 diesen Ansatz und die damit verbundene Aufgabe hinsichtlich aller einschlägigen Themenbereiche der Theologie durchbuchstabiert und anhand von Beispielen belegt. Konkret werden die Religionslehrer/innen beim Theologisieren mit Jugendlichen stets eruieren müssen, welche Typen an Einstellungen in ihrer Klasse (bei den jeweiligen Unterrichtsthemen) vorhanden sind und mit welchen Angeboten die jeweiligen Gruppen in den Unterricht einbezogen werden können. Theologisieren mit Jugendlichen ist ein vielschichtiges, anregendes didaktisches Programm für den Religionsunterricht in der Sekundarstufe I und II, das in seinen vielfältigen Bedingungen, Aspekten und konkreten Ausformungen noch viel detaillierter ausgearbeitet, durchgeführt und ausgewertet werden muss.
43 Feige/Gennerich 2008 (wie Anm. 23), 186–189. 44 Feige/Gennerich (wie Anm. 23), 189. 45 Carsten Gennerich (wie Anm. 31); s. auch den Beitrag von Carsten Gennerich in diesem Band.
Gerhard Büttner
Theologisieren als Grundfigur der Praktischen Theologie – Grundüberlegungen für das Theologisieren mit Jugendlichen
1.
Theologisieren und Theologie, wie hängt das zusammen?
Wenn meine Großmutter in der Zeit meiner Kindheit von »disputieren« sprach, noch dazu in dialektaler Färbung, dann stellte ich mir dabei schwitzende, gestikulierende Männer am Stammtisch eines Wirtshauses vor. Dass ich später an »Disputationen« im Rahmen von Promotionsprüfungen teilnehmen würde, lag damals noch außerhalb meines Denkens. Das Wort »Theologisieren«, sofern es denn benutzt wurde, löste ähnliche Konnotationen aus wie das »Disputieren« – es galt als eher unangemessenes Reden über religiöse Inhalte. Dass das Wort inzwischen einen positiven Gehalt hat und zunehmend Benutzung findet auch in seiner angelsächsischen Variante »theologizing«, verdankt es seiner Karriere im kindertheologischen Diskurs.1 Unter anderem S. Englhart hatte im Hinblick auf den kinderphilosophischen Diskurs zu bedenken gegeben, dass das Verbum philosophieren angemessener sei als das Nomen Kinderphilosophie.2 In der Tat geht es – in der Diktion von Petra Freudenberger-Lötz – um »theologische Gespräche« mit Kindern.3 Wie hängen diese nun mit »der Theologie« zusammen? Ich möchte dies zunächst für die Kindertheologie diskutieren. Rainer Anselm hat unter Rekursnahme auf Johann Friedrich König, einen Theologen des 17. Jh., die Unterscheidung einer theologia acroamatica und einer theologia catechetica eingeführt.4 Eigentliche Theologie ist für ihn nur die erstere, Kindertheologie kann für ihn nur eine Form der zweiten Variante sein. Wie kommt er zu diesem Urteil? Im Anschluss an Schleiermacher sieht Anselm christ1 Die von Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer, Brauchen Jugendliche Theologie? NeukirchenVluyn 2011, 79f angeführten negativen Konnotationen sehe ich so nicht zwingend und zunehmend im Verschwinden. 2 Stephan Englhart, Modelle und Perspektiven der Kinderphilosophie, Heinsberg 1997. 3 Petra Freudenberger-Lötz, Theologische Gespräche mit Kindern. Untersuchungen zur Professionalisierung Studierender und Anstöße zum forschenden Lernen im Religionsunterricht, Stuttgart 2007. 4 Rainer Anselm, Verändert die Kindertheologie die Theologie? In: JaBuKi 5 2006, 13–25. Anselm bezieht sich auf Johann Friedrich König, Theologia positiva acroamatica (Rostock 1664), hg. und übers. von A. Stegmann, Tübingen 2006, den er aber nicht explizit zitiert. In dieser Richtung auch Bernhard Dressler, Religionspädagogik als Modus Praktischer Theologie. Mit einem kritischen Blick auf den Diskurs zur »Kindertheologie«, in: ZPT 63. Jg. 2011, 149–163.
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Gerhard Büttner
liche Theologie als »Inbegriff derjenigen wissenschaftlichen Kenntnisse und Kunstregeln, ohne deren Besitz und Gebrauch eine zusammenstimmende Leitung der christlichen Kirche, d.h. ein christliches Kirchenregiment, nicht möglich ist.«5 Diese Zuordnung von Theologie zur Kirchenleitung hat ihr materielles Korrelat in theologischen Fakultäten, in denen inhaltliche Klärungen erarbeitet und Pfarrer ausgebildet werden als zukünftige Träger dieser Kirchenleitung. Lehrerinnen und Lehrer wurden dagegen bis Mitte des 20. Jh. an Seminaren ausgebildet mit einer primär pädagogischen Ausrichtung. Eine theologia catechetica, der Anselm die Kindertheologie zuordnet, hat bei ihm wie bei König nur einen minderen, abgeleiteten Status. Nun hat Martin Rothgangel deutlich gemacht, dass diese Akzentuierung schon historisch fragwürdig ist, weil etwa Johann Franz Buddeus Grundzüge einer anders gewichteten »Katechetischen Theologie« im 18. Jh. vorlegte.6 Diese Linie nimmt nun Martin Rothgangel auf, um deutlich zu machen, dass es durchaus Sinn macht, die Theologie von ihrer Vermittlung her zu bestimmen. Vermittlung bedeutet dabei zunächst einmal die Mittelstellung zwischen der überlieferten Sache und der heutigen Lebenswelt.7 Zusammen mit der Systematischen Theologie muss demnach eine Religionspädagogische Theologie ihr Augenmerk auf eine Kommunikation werfen, in der heutige Menschen ihr Verhältnis zu Gott immer wieder neu bestimmen. Dabei ist es klar, dass im Sinne einer notwendigen Differenzierung die einzelnen Teilgebiete der Theologie nach ihrem Gegenstand organisiert und methodenspezifisch ausgerichtet sind. Es ist aber für eine christliche Theologie klar, dass sie ihren Bezug auf die gelebte Religion in keinem Moment vergessen darf.8 Betrachtet man von dieser Warte die theologische Kommunikation im Bereich der Erziehung, dann wird klar, dass diese keine Randexistenz außerhalb der Theologie führen kann, sondern ins Herz einer katechetischen Theologie gehört. Institutionell hat sich dies insofern dadurch vollzogen, dass es inzwischen keinen qualitativen Unterschied zwischen der Theologie der Pfarramts- und der Lehrerausbildung mehr gibt, weil letztere faktisch die Lebensversicherung auch der theologischen Fakultäten darstellt. Ich möchte Rothgangels Vorschlag zu einer »religionspädagogischen Theologie« aufnehmen und in der Weiterführung leicht modifizieren. Mit seiner Zentral-
5 Friedrich Schleiermacher, Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen, hg. von Heinrich Scholz, Darmstadt o.J., 2. 6 Martin Rothgangel, Systematische Theologie als Teildisziplin der Religionspädagogik? Präliminarien zum Verhältnis von Systematischer und Religionspädagogischer Theologie , in: TheoWeb 2. Jg. H. 1, 48–62 mit Verweis auf Johann Franz Buddeus, Catechetische Theologie. Aus dessen hinterlassenen Handschriften nebst Herrn Johann Georg Walchs D. Einleitung in die catechetische Historie ausgearbeitet und herausgegeben von M. Johann Friedrich Frisch, Jena 1752. 7 Weitergeführt und präzisiert in Martin Rothgangel / Edgar Thaidigsmann (Hg.), Religionspädagogik als Mitte der Theologie, Stuttgart 2005. 8 I. d. S. Christoph Bizer, Liturgik und Didaktik, in: JRP (1988) 1989, 83–111. Ich verstehe den Begriff »gelebte Religion« hier im Sinne christlicher Frömmigkeitspraxis.
Theologisieren als Grundfigur der Praktischen Theologie
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stellung der Vermittlung bindet er sich m.E. zu stark an den Gedanken der Asymmetrie. Gerade die Kindertheologie hat ja deutlich gemacht, dass hier symmetrische und asymmetrische Kommunikationsformen eine überraschende Synthese eingehen können.9 Von daher scheint mir der Begriff der Kommunikation im Anschluss an Niklas Luhmann weiterführend. Ich möchte im Folgenden untersuchen, wieweit eine solche Kommunikation in der Perspektive der Gott-WeltUnterscheidung im Einzelnen aussehen könnte und welche Differenzierungen vorzunehmen sein werden.10
2.
Theologisieren – Präzisierungen von der Kindertheologie her
Im Gegensatz zu Anselm haben die Systematiker Härle und Bayer sehr weite Theologiebegriffe ins Spiel gebracht.11 Theologie geschieht nach ihnen in der Kommunikation und kann deshalb auch von Kindern betrieben werden. Charakteristisch ist dann das Thema: Wenn es um »Gott und die Welt« geht, dann kann man von Theologie sprechen. Friedrich Schweitzer hat darauf insistiert, dass dabei Grundformen des argumentativen Redens zum Zuge kommen sollten.12 Nun hat Katharina Kammeyer bereits bei Kindergartenkindern auf eine eigentümliche Vermischung argumentativer und performativer Rede verwiesen.13 Wenn die Kinder auf ein Gebet zu sprechen kommen, dann »beten sie es vor«. Nun lässt sich aber zeigen, dass dies keine Merkwürdigkeit des Kindesalters ist. Bereits theologische Klassiker wie Augustinus und Anselm von Canterbury unterbrechen ihre theologischen Argumentationen für kleine Gebete.14 Ist dieser Modus heute im Theologisieren bei Erwachsenen eher unüblich, so existiert doch eine andere Form des performativen Sprechens – das Zitat. Christliche Theologie kann ihre Argumentation letztlich nicht aus sich selbst heraus entwickeln. Sie muss ihre Argumente stützen auf Elemente der Tradition. Dies heißt in der Regel auf Ge-
9 Vgl. dazu Henning Schluß, Ein Vorschlag, Umfang und Grenze der Kindertheologie anhand eines systematischen Leitgedankens zu entwickeln, in: ZPT 57 Jg. 2005, 23–35 und Markus Schiefer Ferrari, Auf der Suche nach der verlorenen Naivität. Erwachsene begegnen Kindern als Exegeten, in: Thomas Schmeller (Hg.), Neutestamentliche Exegese im 21. Jahrhundert. Grenzüberschreitungen (FS Joachim Gnilka), Freiburg/Brsg. 2008, 278–295. 10 Siehe dazu auch: Gerhard Büttner / Veit-Jakobus Dieterich, Religion als Unterricht. Ein Kompendium, Neukirchen-Vluyn 2004, insbes. 36ff; 133f. 11 Winfrid Härle, Dogmatik, Berlin/New York 32007; ders., Was haben Kinder in der Theologie verloren? Systematisch-theologische Überlegungen zum Projekt einer Kindertheologie, in: JaBuKi 3 2004, 11–27; Oswald Bayer, Jeder Mensch ist Theologe – also auch Kinder? Interview mit Oswald Bayer, in: ZPT 57. Jg. 2005, 3–11. 12 Friedrich Schweitzer, Was ist und wozu Kindertheologie? In: JaBuKi 2 2003, 9–18. 13 Katharina Kammeyer, »Lieber Gott, Amen!« Theologische und empirische Studien zum Gebet im Horizont theologischer Gespräche mit Vorschulkindern, Stuttgart 2009. 14 Aurelius Augustinus, Confessiones, übers. von Wilhelm Thimme, Düsseldorf/Zürich 2004; Anselm von Canterbury, Proslogion. Untersuchungen. Lat.-dt. Ausg. von Franciscus Salesius Schmitt, Stuttgart-Bad Cannstatt 1962.
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Gerhard Büttner
schichten und Spruchtradition der Heiligen Schrift. Dazu kommt, besonders in der protestantischen Linie, das Liedgut der Choräle als klassischer Laiendogmatik. Indem ich an wichtigen Stellen meines theologischen Sprechens auf geprägtes Sprachgut zurückgreife, bediene ich mich zwangsläufig eines performativen Stils. Wir können demnach sagen, dass Theologisieren nicht ein bloßer intellektueller Austausch ist, sondern zwangsläufig auch mehr oder weniger performative Anteile enthält. Zu fragen wäre darüber hinaus, ob das Theologisieren auch Anteil haben kann an meditativen Praktiken, besonders dem Schweigen. Nehmen wir diesen, eher monastischen bzw. ostkirchlichen Kommunikationsmodus mit auf, dann wird man zu einem Verständnis des Theologisierens kommen, das zwar im Zentrum die argumentative Rede hat, diese jedoch gerahmt sieht durch das Vortragen geprägter Tradition auf der einen Seite, dem meditativen Schweigen auf der anderen. Kommunikation lebt von der Notwendigkeit der Anschlusskommunikation – in der Regel gewährleistet durch ein Thema.15 Veit-Jakobus Dieterich hat gezeigt, dass man die Luhmannsche Perspektive auf Religion – die Unterscheidung von Immanenz und Transzendenz – bereits in Äußerungen von Comenius sehen kann, die Welt im Lichte Gottes zu betrachten.16 Diese offene Perspektive lässt viele Orte und Gelegenheiten denken, an denen eine solche religiöse Kommunikation stattfinden kann, die wir Theologisieren nennen wollen. Der Fokus der deutschen Diskussion geht dabei auf die Schule, speziell den Religionsunterricht. Schaut man etwa auf die USA, dann sieht man, dass derselbe Diskurs sich um Familie und Gottesdienst bzw. Gemeinde konzentriert.17 Es muss demnach etwas Vergleichbares sein, wenn die Mutter mit dem Kind anhand des Liedes darüber spricht, dass Gott der Schöpfer der unzähligen Sterne am Himmel ist und er gleichwohl alle »gezählet hat, ob ihm auch nicht eines fehlet«, die Pfarrerin von Abrahams Blick zum Himmel spricht und dem Versprechen Gottes, seine Nachkommenschaft so zahlreich werden zu lassen wie die Sterne am Himmel, oder ob Schüler/innen sich den Kopf darüber zerbrechen, wie ihr Wissen bzw. Nichtwissen über die Schönheit und Komplexität des Kosmos mit den ihnen bekannten Bibelstellen zusammen passen könnte. Was letztlich allen drei Beispielen gemeinsam ist, ist, dass es sich hierbei um mündliche Rede handelt. Gewiss ist es legitim, dass Schüler/innen im Unterricht Texte verfassen oder aus Geschriebenem vorlesen, dass auf Texte rekurriert wird, sei es im Gottesdienst oder beim häuslichen Vorlesen. Dennoch erfolgt der eigentliche Austausch mündlich. Das hat zur Folge, dass man letztlich auf das zurückgreifen muss, was man im Kopf präsent hat. Dies scheint mir der entscheidende Unterschied zum wissenschaft-
15 André Kieserling, Kommunikation unter Anwesenden. Studien über Interaktionssysteme, Frankfurt a. M. 1999. 16 Veit-Jakobus Dieterich, Theologisieren mit Jugendlichen – Ein Programm, i.d.Bd. unter Verweis auf Comenius und Luhmann, 35. 17 Karen Marie Yust, »Als Christ/Christin aufwachsen«. Kindertheologie im US-amerikanischen Kontext, in: JaBuKi 10 2011, 11–24.
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lichen Diskurs, der in der Regel schriftlich erfolgt und zurückgreift auf Wissen, das gesichert vorliegt – bislang in der Regel noch in Form von Büchern. Gibt es Dokumentationen der hier beschriebenen spezifischen Kommunikation? Hier scheint mir nun der entscheidende Unterschied zwischen einer Kindertheologie und einer solchen der Jugendlichen und Erwachsenen zu liegen. Wer eine Untersuchung aus den 50er Jahren des letzten Jh. über Kinderäußerungen liest, der wird feststellen, dass er diese eigentlich ohne Abstriche übertragen kann auf heutige Kinderbeiträge. Interessanterweise spielen auch regionale Kontexte so gut wie keine Rolle – zumindest innerhalb der westlich geprägten Kultur. Wie ist das zu erklären? Kindertheologie spielt sich ab im Rahmen des Denkens, das Piaget »konkret-operatorisch« genannt hat bzw. Fowler »mythisch-wörtlich«. Damit ist bei aller Phantasie und Kreativität ein Rahmen vorgegeben, innerhalb dessen sich das kindliche Theologisieren bewegt. James Fowler hat den Übergang zur nächsten Denk- und Glaubensstufe vielleicht am treffendsten charakterisiert als »synthetisch-konventionelle« Stufe.18 Er sieht sie geprägt durch die Orientierung an den »signifikanten Andern«. Vergegenwärtigt man sich, was das konkret heißen kann, dann muss man feststellen, dass die möglichen Milieus, die den Heranwachsenden in den pluralistischen Gesellschaften der westlichen Welt zur Verfügung stehen, höchst zahlreich sind und – wie etwa die Shell-Studien zeigen – sich ständig wandeln. Trägt man dem Rechnung, dann wird Theologisieren in der Jugendwelt ein weitaus komplexeres Phänomen sein als das, was wir von der Kindertheologie her kennen. Und die für das Jugendalter bestimmende Pluralität setzt sich im Erwachsenenalter fort bis hin zu dem erstaunten und fast resignativen Buchtitel »Jeder ein Sonderfall«.19 Die Frage wird sein, ob bzw. in welcher Weise diese Pluralität konzeptionell so erfasst werden kann, dass es dann möglich wird, daraus konkrete Handlungsstrategien für das pädagogische Feld herzuleiten. Theologisieren lässt sich verstehen als spezifische Kommunikation. Theologisieren heißt dann theologische Gespräche führen – in unserem Falle mit bzw. unter Jugendlichen. Mit dem folgenden Luhmann-Zitat wird auf der Inhaltsseite ein sehr offenes Programm formuliert:20 »Zur Bezeichnung der beiden Werte des religionsspezifischen Codes eignet sich am ehesten die Unterscheidung von Immanenz und Transzendenz. Man kann dann auch sagen, dass eine Kommunikation immer dann religiös ist, wenn sie Immanentes unter dem Gesichtspunkt der Transzendenz betrachtet.«
Charmant an der Luhmann-Definition ist die Möglichkeit, im Prinzip alle Fragestellungen darunter subsumieren zu können. Doch entscheidend ist der Transzen18 James Fowler, Stufen des Glaubens – die Psychologie der menschlichen Entwicklung und die Suche nach Sinn, Gütersloh 1991, 167ff. 19 Alfred Dubach und Roland J. Campiche (Hg.), Jede(r) ein Sonderfall. Religion in der Schweiz. Ergebnisse einer Repräsentativbefragung, Zürich u.a. 21993. 20 Niklas Luhmann, Die Religion der Gesellschaft, hg. von A. Kieserling, Frankfurt a.M. 2002, 77. – Siehe dazu auch: Büttner/Dieterich 2004 (wie Anm. 10), 109.
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denzbezug. Im christlichen Kontext können wir an dieser Stelle an Gott, den Vater Jesu Christi, denken. Doch ist die Definition auch offen für religionsphilosophische oder interreligiöse Gespräche. Interessant ist das Nachdenken über eine Theologie der Jugendlichen. Das impliziert nämlich zweierlei: Woher haben sie ihre Theologie und in welcher Weise artikulieren sie diese jugendspezifisch? Für Ersteres gilt, was auch für die Theologie der Kinder gilt: Sie haben sie aus der Tradition und eigenem Nachdenken – mit jeweils sehr spezifischen Mischungen und Gestaltungen. Die SINUS-Studie des BDKJ21 zeigt quasi als Momentaufnahme, wie sich generelle Werte jugendspezifisch aufladen und dann in die Erwachsenenmuster hinüber gleiten. Neben inhaltliche Züge wie etwa die Deismus-Stufe bei Fritz Oser treten spezifische Sprach- und Interaktionsstile. Aus der Sicht der Theologie ist zu prüfen, wieweit die sich hier manifestierende Subkultur eine »eigene kontextuelle Theologie« bildet oder ob es eher darauf ankommt, die Anschlussfähigkeiten an die theologische Kommunikation zu finden bzw. zu ermöglichen.22 Im Vergleich mit dem Material zur Kindertheologie bedarf es hier weiterer empirischer Forschung.
3.
Theologisieren in der Gennerichschen Matrix
Der Hinweis auf die große Möglichkeit kommunikativer Stile im Jugendalter und darüber hinaus wird erträglich, wenn ein Ordnungsmuster dafür gefunden werden kann. Carsten Gennerich hat ein solches vorgeschlagen.23 Es entstammt der Sozialpsychologie und stellt eine Wertematrix dar. Shalom H. Schwartz hat diese Wertematrix entworfen, mit den beiden orthogonal einander zugeordneten Achsen Selbst-Steigerung vs. Selbst-Transzendenz und Bewahrung vs. Offenheit für Wandel. Das Achsenkreuz enthält vier Quadranten und ist daraufhin angelegt, quantitativ gewonnene Daten in ihm abzubilden. Der Vorteil eines solchen Modells besteht darin, dass es zahlreiche Kombinationen und Nuancen auszudrücken vermag. Dabei können zwei Größen dargestellt werden. Zum einen lassen sich Milieus in diesem Feld lokalisieren, z.B. Schultypen wie Hauptschule oder Gymnasium. Zum anderen hat Gennerich plausibel machen können, dass auch bestimmte theologische oder religionspädagogische Angebote in diesem Feld verortet werden können. Diese Matrix erweist sich also als »Zauberkästchen«, mithilfe dessen sich Dinge ganz unterschiedlicher Provenienz aufeinander beziehen lassen.24
21 BDKJ/Misereor (Hg.), Sinus-Milieustudie U 27. Wie ticken Jugendliche? Düsseldorf 2007. (BDKJ = Bund der Deutschen Katholischen Jugend.) 22 Dies erwartet berechtigterweise Tanja Schmidt, Die Bibel als Medium religiöser Bildung (ARP 34), Göttingen 2008. 23 Carsten Gennerich, Empirische Dogmatik des Jugendalters (Praktische Theologie heute 108), Stuttgart 2010. 24 Beispiele vgl. ebd., 51ff.
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Für unsere Argumentation vergröbern wir das Schwartzsche Schema in der Weise, dass wir seine Differenzierung etwas zurücknehmen, um in den vier Quadranten vier idealtypische Muster zu identifizieren. Der Quadrant rechts unten verknüpft Selbst-Steigerung und Bewahrung. Damit kann zweierlei verknüpft werden: eine Erfahrung der Inferiorität kann sich einmal an eine schützende Autorität anlehnen, die Sicherheit gibt, dies kann sich aber auch ausdrücken als Autoritarismus, der durch Abwehr Gefährdungen, z.B. durch Wandel, abzuwehren versucht. Der Quadrant unten links gibt einer Haltung Ausdruck, die durch Veränderung eine Intensivierung ihres Status erreichen möchte. Sie stellt mehr oder weniger rücksichtslos die Ordnung infrage und neigt zu einem riskanten Lebensstil. Der Quadrant rechts oben steht für eine Haltung des geordneten Lebens, in dem das Eigene in Bezug zu anderen Größen steht. Die Vertreter des Quadranten links oben streben nach neuen Erfahrungen, freilich im Einklang mit anderen und der Welt und in einem moderateren Stil. Das Reizvolle an dem Modell ist, dass man ganz unterschiedliche Phänomene hier abbilden kann. Entwicklungspsychologisch laufen Entwicklungen von rechts unten über links unten nach rechts oben (und vielleicht weiter nach links oben). Man kann Schultypen einordnen: rechts unten Hauptschule, links oben Gymnasium, oder die Wertmuster Jugendlicher verschiedener Länder. So wird sichtbar, dass es sich hier um keine objektive Größe handelt, sondern um ein Konstrukt, das Vergleiche ermöglicht. Das Interessante an Gennerichs Arbeit besteht nun darin, dass er den oben von mir skizzierten Stilen verschiedene Ausformungen der klassischen Topoi der christlichen Dogmatik zuordnet. Damit erläutert er den Sinn bestimmter unterrichtlicher Akzentsetzungen bei ein und demselben Thema, je nachdem, welcher Werteaspekt dominiert. Klassischerweise finden sich in einer Klasse Vertreter unterschiedlicher Wertemuster. Dies impliziert dann, dass auch innerhalb vordergründig homogener Religionsklassen unterschiedliche theologische Angebote sinnvoll sind. Für das Theologisieren mit Jugendlichen ergeben sich aus dem Gesagten mehrere Implikationen. Zunächst ist einmal zu fragen, wieweit nach den empirischen Studien eine Affinität der verschiedenen Stile zu kirchlicher bzw. christlicher Kommunikation im weitesten Sinne überhaupt besteht. Anschließend möchte ich anhand von Unterrichtssequenzen versuchen, einige typische Merkmale für das Theologisieren in verschiedenen Jugendmilieus zu skizzieren. Vor der Gesprächsanalyse lohnt sich ein Blick auf die SINUS-Studie des BDKJ. Ähnlich wie Gennerich unterscheidet SINUS verschiedene Milieus, die in einer Matrix mit den Dimensionen Sozialstatus und Werteorientierung eingezeichnet werden. Für das Jugendalter kommt es zu einer Modifizierung dieses Modells, weil die Milieuzugehörigkeit der Eltern gebrochen wird durch jugendspezifische Besonderheiten.25 Ein Fazit der Studie lautet in Bezug auf das Jugendalter
25 Zum Zusammenhang von Milieu und Erziehung vgl. Sylva Liebenwein, Erziehung und soziale Milieus. Elterliche Erziehungsstile in milieuspezifischer Differenzierung, Wiesbaden 2008.
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Gerhard Büttner
(14–19 J.) im Hinblick auf die Ansprechbarkeit durch kirchliche (i.d.F. katholische) Jugendarbeit:26 »Der BDKJ erreicht derzeit – in Bezug auf Bekanntheit, Attraktivität, Engagement – vor allem die Jugendmilieus ›Traditionelle‹, ›Bürgerliche Mitte‹ und Teile der ›Postmateriellen‹. Vereinzelt finden auch ›Konsum-Materialisten‹ in diesen Verbänden eine Aufgabe und damit sozialen Anschluss.«
Das hat zur Folge: »Die quantitativ größten Milieus (Moderne Performer und Hedonisten; auch Experimentalisten), die zusammen 65% der Jugendlichen ausmachen, werden nicht oder nur singulär erreicht.«
Es ist leicht erkennbar, dass die Nähe zur Gennerichschen Unterscheidung groß ist. Konkret heißt das, dass die linke Seite der Gennerich-Matrix von außerschulischen kirchlichen Angeboten kaum erreichbar ist. Nun zeigt es sich aber, dass die Schüler/innen aus dem linken oberen Quadranten wohl kaum vom klassischen kirchlichen Angebot angesprochen werden, aber wohl durchaus von einem Bildungsangebot, das »Theologie« als eine Variante des Philosophierens bietet. Da sich – besonders im Gymnasium – mehrheitlich die Vertreter/innen der beiden oberen Quadranten begegnen, wird man hier auch den Schwerpunkt dessen finden, was wir unter dem Stichwort »Theologisieren mit Jugendlichen« im Sinn haben. Es wird sich aber lohnen, zumindest zum Abschluss darüber nachzudenken, wie eine solche Praxis für die Matrix rechts bzw. links unten aussehen könnte.27
4.
Stile des Theologisierens in der Gennerich-Matrix
Die empirischen Befunde zeigen, was auch der Augenschein vermuten lässt, dass sich innerhalb der verschiedenen Milieus eine deutlich unterschiedliche Affinität zu dem finden lässt, was wir als »Theologisieren mit Jugendlichen« bezeichnen wollen. Dies betrifft beides, das Interesse an Theologie und einen diskursiven Umgangsstil. Wenn wir im Folgenden konkrete Gesprächsverläufe analysieren wollen, müssen wir angeben, in welcher Weise die vorfindlichen Kommunikationsweisen rückbeziehbar sind auf die oben beschriebenen Wertmuster im Sinne Gennerichs. Ich hatte bereits die doppelte Bestimmung des Quadranten rechts unten angesprochen. Vermutlich müssten und könnten wir dort das Phänomen Kindertheologie verorten. Diese ist ja unter anderem dadurch charakterisiert, dass Kinder auf der Objektebene miteinander diskutieren. Damit ist Metakommunika-
26 BDKJ/Misereor (Hg.), Sinus-Milieustudie U 27 (wie Anm. 21), 25. 27 Damit beziehe ich mich konkret auf das Verständnis von »Theologie« bzw. »Jugendtheologie« bei Gennerich, das enger ist als das von Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer (Anm. 1).
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tion faktisch ausgeschlossen.28 Ein weiterer Zug liegt im Verzicht auf Relativierungen. Kinder sind Metaphysiker und wollen wissen, wie etwas ist.29 Damit tendieren sie denkerisch zum Status Quo. Dass das Theologisieren mit Kindern gleichwohl zu sehr überzeugenden Resultaten führt, braucht hier nicht weiter erläutert werden. Finden wir Jugendliche in diesem Quadranten rechts unten, dann handelt es sich eher um verunsicherte Menschen, die dies durch eine abwehrende, oft autoritäre Orientierung kompensieren möchten. Sie suchen auch religiös eine sichernde Instanz, die sie vor den Ansprüchen der gesellschaftlichen Veränderung schützt. Diese Schüler/innen finden sich eher in unteren Schularten, ein diskursiver Stil ist eher nicht ihre Sache. Von der Selbstbeschreibung des Modells her bezeichnet der linke untere Quadrant die eigentliche Krisenregion für einen theologischen Ansatz überhaupt. Man findet in der Pubertätszeit besonders in den wenig diskursiv orientierten Milieus wohl am ehesten das, was Thomas Luckmann als »Kleine Transzendenzen« beschreibt.30 Es geht u.a. um die jugendtypischen Erfahrungen bei Popkonzerten, in Discos oder in Fußballstadien. Diese lassen sich gewiss als religiös beschreiben, doch stellt sich die Frage, ob sie wirklich anschlussfähig sind an die von uns im Anschluss an Luhmann eingeführte Transzendenz-Immanenz-Unterscheidung in Perspektive auf den christlichen Gott.31 Es hat wohl Gründe, warum z.B. auch die Lehrpläne gerade für die Pubertätsjahre das diskursiv-theologische Angebot eher zurücknehmen.32 Damit wird zu Recht angenommen, dass das Projekt »Theologisieren mit Jugendlichen« am ehesten im Kontext der beiden oberen Quadranten lokalisiert werden muss. Ja es kann berechtigterweise angenommen werden, dass gerade in der Konkurrenz der beiden dort manifesten Wertemuster ein kontroverser Diskurs stattfinden kann und muss. Letztlich stehen die beiden Quadranten für die Ausprägungen von Theologie, die man idealtypisch als »orthodox« und »liberal« bezeichnen kann. Dabei ist im Kontext der Postmoderne und der extremen Individualisierung davon auszugehen, dass diese beiden Grundoptionen nicht unbedingt für dauerhafte Haltungen stehen müssen, sondern Argumentationsmuster liefern, die dann auch zum »Probedenken« einladen.
28 Reto Luzius Fetz, Der Kinderglaube. Seine Eigenart und seine Bedeutung für die spätere Entwicklung, in: E. Groß (Hg.), Der Kinderglaube. Perspektiven aus der Forschung für die Praxis, Donauwörth 1995, 22–35. 29 Paul L. Harris, On Not Falling Down to Earth: Children’s Metaphysical Questions, in: Karl S. Rosengren, Carl N. Johnson & Paul L. Harris (ed.), Imagining the Impossible. Magical, Scientific, and Religious Thinking in Children, Cambridge UK 2000, 157–178. 30 Thomas Luckmann, Die unsichtbare Religion, Frankfurt a. M. 1991, 166ff. 31 I. d. S. vgl. Isolde Karle, Die markante Physiognomie der Religion, in: W. Härle u.a. (Hg.), Systematisch Praktisch (FS R. Preul) (MThS 80), Marburg 2005, 305–314. 32 Vgl. aber Uwe Böhm / Manfred Schnitzler, Religionsunterricht in der Pubertät. Eine explorative Studie in den Klassen 7 und 8, Stuttgart 2008.
60 5.
Gerhard Büttner
Eine 9. Gymnasialklasse als Untersuchungsgegenstand
Es ist nicht einfach, einen kleinen Praxisausschnitt als paradigmatischen Untersuchungsgegenstand auszuwählen. Von unserer Definition her wird man das Prinzip des Theologisierens nicht einer eigenen Unterrichtsveranstaltung zuweisen, sondern es im »normalen« RU identifizieren wollen. Nun ist dokumentierter Unterricht in der Regel von sich aus entfernt von Routineverläufen. So erscheint es mir legitim, einen Ausschnitt aus einer extra inszenierten Schulstunde zu wählen. Ziel des Unterrichts war es, im Rahmen eines größeren Projektes herauszufinden, wie Schüler/innen unterschiedlichen Alters mit einer christologischen Frage umgehen.33 Bei dem Ausschnitt handelt es sich um eine bislang nicht veröffentlichte Sequenz einer Gymnasialklasse. Vorgegeben war eine dilemmaartige Geschichte – eigens entwickelt im Anschluss an das Wunder von Jesu Sturmstillung. Der Unterricht hat das primäre Ziel, möglichst viele Interpretamente der Schüler/innen zu generieren; er ist damit in erster Linie ein Mittel zur Ermittlung der Theologie der Jugendlichen. Gleichzeitig ist er aber auch – und das ist der Grund der Präsentation – ein Stück praktiziertes Theologisieren. Die Stunde beginnt mit dem Erzählen einer kleinen, dilemmaartigen Geschichte: Kinder spielen auf dem See Genezareth. Ihre Onkel sind auf dem See und geraten nach einer Wetteränderung in Seenot. Die Kinder überlegen: Kann man nichts machen oder dafür sorgen, dass jemand den Bedrohten zu Hilfe kommt? Da kommt Jesus. Wie geht die Geschichte weiter? L: Ja, soweit die Geschichte. Wie könnte sie wohl weitergehn? Lasst uns n’ Augenblick drüber nachdenken. Wir müssen nicht gleich anfangen zu reden. Aber wie könnte die Geschichte weitergehen? Ja, wer will was sagen? Charlotte. CHARLOTTE: Ja, die Tatsache, dass sie überhaupt überliefert worden ist, spricht ja dafür, dass wohl Jesus mehr oder weniger eingegriffen haben muss. Denn, wenn das jetzt ein Unglück gewesen wäre, wäre das ja Jesus nich gut angerechnet worden, und dann hätte man die Geschichte sicherlich aus dem / aus der Bibel gestrichen. L: Also sie is nicht / steht nich in der Bibel drin, sondern [Charlotte: Ah!] des is eine Geschichte, die man sozusagen [Charlotte: als Anekdote erzählt] als Anekdote oder [Charlotte: Mhm.] auch vielleicht / auch frei erfunden hat. Manchmal sind erfundene Geschichten auch irgendwo / ham ihre Wahrheit. Also sie ist nicht in der Bibel überliefert. Wollt ich nur sagen zur Information. [Charlotte: (So.)] Trotzdem deine Idee mit Jesus (wie er dabei wegkommt) wäre weiterzuverfolgen. BENJAMIN: Ich könnt mir auch vorstellen, dass ehm Jesus, ehm die Deborah fragt, warum sie des denn glaubt, dass da nichts mehr helfen kann und warum sie auf einmal so Zweifel hätte an ihm. Also, soweit ich weiß, hat sie früher auch
33 Gerhard Büttner, Jesus hilft! Untersuchungen zur Christologie von Schülerinnen und Schülern, Stuttgart 2002.
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an ihn geglaubt, also vorher [L: Mhm]. Und dass er dann, um ihr zu beweisen, dass er des kann, dass er ihr / dass er (dann hilft) ((Rascheln)). L: Aber vergesst nicht, da (is) auf hoher See, da äh / da bahnt sich ein Unglück an, ja? Da / da sind Menschenleben / stehen da auf dem Spiel. Also so viel Zeit zum Diskutieren ham sie jetzt wohl gar nich mehr. Aber die Frage wär natürlich schon berechtigt, warum sie denn Zweifel hat. Caroline. CAROLINE: Also, ich glaub auch vielleicht, dass er erstmal / sie auch erstmal fragt, warum sie so Zweifel hat, und hilft denen dann und hinterher kommt sie ja dann zu ihm: »Ja, also die ganzen Zweifel sind aufgehoben« und so, »ich glaub’, dass du des kannst!« und so. Und weiß nicht / und dann / also auf jeden Fall hilft er ihnen. L: Also irgendwie hör ich da raus: Es müssen erstmal die Zweifel aufgehoben sein, ja, die müssen erstmal weg sein, bevor Jesus überhaupt was tun kann. Benjamin, versteh ich dich so richtig und Caroline auch? BENJAMIN: Äh, ich würd eher sagen, ehm, er will die Zweifel erst behoben haben, bevor er was tun will [L: Ja. Mhm.], also nicht bevor er was tun kann, sondern bevor er was tun will.
Betrachtet man die Kommunikation in dieser Klasse, dann lassen sich drei Merkmale erschließen, die m.E. typisch sind für Argumentationsmuster in Diskursen mit Jugendlichen: – Explizit logisches Argumentieren – Einbeziehung von Metakommunikation – Subjektivierung. Charlottes Anfangsstatement steht für die ersten beiden Charakteristika. Wenn Jesus nicht geholfen hätte, stünde die Geschichte nicht in der Bibel. Sie steht aber in der Bibel, folglich muss Jesus geholfen haben. Wir sehen hier einen klassischen Syllogismus im Sinne formaler Logik: A. Jesusgeschichten stehen in der Bibel. B. In Jesusgeschichten wird den Menschen geholfen. C. Wenn die Geschichte in der Bibel steht, dann muss den Menschen auch geholfen werden. Mit dieser logischen Argumentation thematisiert Charlotte gleichzeitig die Konstruktionsbedingung der Geschichte. Es war für meine Untersuchung zur Christologie der Schüler/innen typisch, dass ab der 8. Klasse die Schüler/innen nicht mehr automatisch innerhalb des vorgegebenen Bildes argumentieren, sondern das Setting selbst infrage stellen. Ist diese Geschichte richtig konstruiert? Kann es damals so zugegangen sein? Ist es für Kindertheologie typisch, dass das Gespräch auf der Objektebene bleibt, so können Jugendliche jetzt immer auf die Metaebene springen und von dort her die Handlung bewerten und dabei auch Voraussetzungen der Akteure oder der gegebenen Prämissen wahrnehmen und gegebenenfalls ändern. Die Bezugnahme auf den Zweifel bei Caroline und Benjamin sind nun wiederum typisch für die Stufe der formalen Operation. Lawrence Kohlberg und Carol Gilligan haben vermerkt, dass es in dieser Denkstufe möglich wird, innere Wirklichkeit als eigene Größe aufzunehmen und sie der Realität der Außenwelt
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gegenüber zu stellen.34 Es ist von daher konsequent, wenn die Schüler/innen die Hilfe Jesu zu allererst in der Veränderung der inneren Haltung sehen. Indem Jesus den Zweifel durch neuen Mut ersetzen kann, gibt es für die Geschichte wieder eine Hoffnung. Die Bedingungen der äußeren Realität erscheinen dem gegenüber dann eher nachgeordnet. Mit der Wahrnehmung dieser drei Charakteristika jugendlichen Diskutierens lässt sich das Theologisieren in dieser Altersstufe offenbar gut beschreiben. Der zweite Blick soll nun dem Lehrer gelten. In dem kleinen Ausschnitt macht er sich zunächst einmal zum Sachwalter der erzählten Geschichte und ihrer Logik. Johannes Rohbeck hat wichtige Überlegungen zur Gesprächsführung in der sokratischen Tradition formuliert, die auch hier weiterführend sind:35 Nicht mehr das Herausarbeiten der einen Wahrheit soll das Ziel sein, vielmehr die Ermöglichung von Konsensen bzw. reflektierten Dissensen. Die Aufgabe der Gesprächsleiterin läge demnach beim Theologisieren mit Jugendlichen in einer Strukturierung der Voten und dem Herbeiführen von identifizierbaren Positionen. Diese sind aus den Argumentationen der Schüler/innen zu generieren und sinnvollerweise auch mit deren Namen zu identifizieren. Das Resultat ist dann in der Regel eine sehr überschaubare Zahl von Positionen einschließlich der Bestimmung von deren gegenseitiger Position zueinander. Wie kann sich nun eine Gesprächsleiterin auf solch ein Gespräch vorbereiten? Der dilemmaartige Charakter der Eingangsgeschichte verweist auf die Arbeit des Psychologen und Pädagogen Lawrence Kohlberg. Dieser hatte seinerzeit Dilemmageschichten entworfen in der Erwartung, dass deren Diskussion ein höheres Niveau der Argumentation fördern könne. Um dies messen zu können, entwarf er mit seinen Mitarbeitern ein umfassendes Manual, in dem im Prinzip alle möglichen Antwortreaktionen verzeichnet sind.36 Transformiert man dieses Unternehmen in einen möglichen Schulalltag, dann zeigt dies, dass es prinzipiell möglich ist, mögliche Antwortverläufe zu antizipieren. Beim Theologisieren kommt uns zugute, dass die möglichen Antworten in aller Regel nicht völlig neu sind, sondern in der theologischen Diskussion schon vorgebildet. Konkretisieren wir dies im Hinblick auf das gegebene kleine Beispiel. Wenn es hier bei der Dilemmakonstruktion letztlich um die Hermeneutik neutestamentlicher Wundergeschichten geht, dann werden auch hier – wie von Annike Reiß herausgearbeitet37 – die möglichen Antworten zwischen Rationalismus und Supranaturalismus liegen. Ich konnte in meiner Studie zeigen, dass im Laufe des Heranwachsens magisch-mirakulöse Deutungen zurückgehen zugunsten von solchen,
34 Lawrence Kohlberg / Carol Gilligan, The Adolescent as a Philosopher. The Discovering of the Self in a Postconventional World, in J. Kegan / R. Coles (Hg.), Twelfe to Sixteen. Early Adolecence, New York 1971/72, 144–179. 35 Johannes Rohbeck, Methoden des Philosophie- und Ethikunterrichts, in ders. (Hg.), Methoden des Philosophierens, Dresden 2000, 146–174, 154. 36 Anne Colby / Lawrence Kohlberg, The Measurement of Moral Judgement, Cambridge 1987. 37 Annike Reiß i.d. Band, 99–113.
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die eine Hilfe Jesu im Rahmen der Naturgesetze denken, zunehmend im Sinne einer psychologischen Stützung.38 Mit einem solchen Mindmapping ist der Lehrer dann in der Regel gut gerüstet für die Moderation eines solchen Gesprächs. Das heißt aber auch auf der anderen Seite, dass das Propagieren des Theologisierens mit Jugendlichen gleichzeitig die Verpflichtung impliziert, solche theologischen Mindmaps für die Lehrpersonen bereit zu stellen.
6.
Die Bibelarbeit einer Jugendgruppe als Gegenblende
Es ist nicht ohne weiteres möglich, den obigen Gesprächsausschnitt in der Wertematrix zu verorten. Er gehört wohl auf jeden Fall in den Bereich der beiden oberen Quadranten. Die folgende CVJM-Gruppe gehört wohl in der Matrix eher auf die rechte Seite. Ihr Gespräch über eine Bibelstelle ist deshalb für uns interessant, weil sie die implizite Frage thematisieren lässt, ob und warum Jugendliche zum Theologisieren ein erwachsenes Gegenüber brauchen. Christian Schramm hatte verschiedenen Gruppen neutestamentliche Perikopen mit der Absicht vorgelegt, »Alltagsexegesen« zu erhalten.39 Er wollte sehen, nach welchen Regeln Menschen ohne explizites Training in wissenschaftlicher Exegese Zugang zu diesen Texten finden. Die von mir ausgewählte Gruppe umfasst sechs männliche Jugendliche unter 20 Jahren meist mit mittlerer oder höherer Bildung. Es geht um die Perikope Mk 5,25–34, die Heilung der »blutflüssigen Frau«. Ich referiere einen Ausschnitt des Gruppengesprächs und versuche anschließend, einige Charakteristika herauszuarbeiten.40 »M5: (…) Also erst mal, ich denk mal, das sind so mehrere Teile. (…) Das ist so, erster Teil: Mensch – geht nicht gut. Mensch hat hier in dem Fall Blutfuß, (…) Blutfluss, (?) Blutung. Und zweiter Teil: Mensch versucht alles dagegen anzusteuern, versucht, dass es einem besser geht. Dritter Teil: – es sind eigentlich vier Teile […] – nee, dritter Teil: Irgendwie hat sie dann von Jesus gehört – der Mensch im Augenblick – und denkt: wenn ich nur ein bisschen was von ihm krieg, dann, dann hört, dann werde ich vielleicht gerettet, ne. Ja, und dann trifft sie Jesus, berührt ihn und also Heilung ist da. Durch Jesus. Also das sind so die, die grobe, die grobe Sache. M3: Ja, das ist auch dieses (…), dieses Symbol. Also es gibt ein Lied, das spielen wir auch manchmal, das heißt: ›Nur den Saum deines Gewandes berührn genau in einem Augenblick‹ und das ist ja die Textstelle, die dazu passt eigentlich. Dass man, dass dadurch Heilung ausgeht, das ist ja auch so symbolisch, das Gewand zu berühren, ja* M5: Genau und hier, der vierte Teil ist dann dieser Aha-Effekt, weil sie hat erst gehört und dann wird sie geheilt und dann: ›Aha! Doch! Wirklich!‹ Jesus ist der Herr und red dann und Jesus redet dann ja auch zu ihr, blickt zu ihr hin und, und 38 Gerhard Büttner (wie Anm. 33). 39 Christian Schramm, Alltagsexegesen. Sinnkonstruktion und Textverstehen in alltäglichen Kontexten (SBB 61), Stuttgart 2008. 40 Ebd., 276.
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sagt: ›Geh in Frieden, sei gesund und für dein Leiden. Und dein Glaube hat dich gerettet!‹«
Nun ist es schwierig, aus solch einer kurzen Sequenz gültige Aussagen über das Theologisieren Jugendlicher zu gewinnen. Als Parallele zum ersten Ausschnitt kann man auch hier die Tendenz erkennen, logische Strukturen im Text zu erblicken. Der Versuch, die Perikope auf ein Lied außerhalb des Textes zu beziehen, zeigt ebenfalls die Möglichkeit, von der Textebene auf eine Metaebene auszuweichen. Inhaltlich fällt auf, dass die Auslegung dadurch gekennzeichnet ist, dass sie auffällig uninteressiert an den Details der Perikope ist, diese vielmehr vor allem als »Beleg« für die durch das Lied offenbar vorgegebene theologische Aussage verwendet. Mit seiner Tendenz zur Einseitigkeit – womöglich auch im Dienst eines Gruppenkonsenses – zeigt der Ausschnitt aber offensichtlich ein typisches Merkmal jugendlichen Theologisierens. Einer Diskussionsleitung kommt hier daher ganz besonders die Aufgabe zu, die Pluralität der möglichen Optionen im Gespräch offen zu halten. D.h., dass der Verzicht auf eine »asymmetrische« Leiterfigur die Gefahr erhöht, dass der Diskurs selber in vielen Fällen unterkomplex und einseitig geführt wird.
7.
Der Diskurs – zwischen Performativität und Schweigen
Wir haben oben die Frage diskutiert, wie eng oder wie weit der Begriff des Theologisierens gedacht werden soll. Es ist klar, dass das Gespräch eine Mittelpunktstellung einnehmen muss. Betrachtet man das Medium Gespräch genauer, dann erkennt man, dass es aktive und passive Anteile enthält – das Reden und das Zuhören. Sowohl in actu, d.h. während ich in ein Gespräch verwickelt bin, als auch ex post bei der Erinnerung an ein Gespräch kommen demnach zwei Perspektiven zum Tragen. Der Modus des Redens lässt sich nun extensivieren und intensivieren, indem ein Redebeitrag vorbereitet wird. In diese Vorbereitung kann man nun im weitesten Sinne auch das Erstellen von Texten einordnen, selbst dann, wenn diese nicht unmittelbar in ein Gespräch einmünden. Von daher kann Textproduktion und kreatives Schreiben ein wichtiger Bestandteil des Theologisierens41 sein. Ich werde diesen Aspekt deshalb hier ausdrücklich bedenken. Daran anschließend soll am Beispiel des Schweigens der Erlebensaspekt bzw. die passive Seite des Theologisierens angesprochen werden. Beginnen wir mit einem Beispiel aus der Textsammlung von Mirjam Zimmermann und Michael Hellwig,42 einem Gedicht zum Thema Zeit.
41 Von daher verweist Johannes Rohbeck (Anm. 35) 157ff im Rahmen seiner philosophiedidaktischen Methoden ausdrücklich auf das »Schreiben eigener Texte«. In der Religionsdidaktik ist zu verweisen auf Mirjam Zimmermann / Michael Hellwig, Wo glaubst du hin? Kreatives Schreiben im Religionsunterricht, Göttingen 2011. 42 Mirjam Zimmermann / Michael Hellwig (wie Anm. 41), 86.
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Lea Stenzel ein augenblick in jeder minute schwinden die sekunden formen sie erst kaum spürbar fließen sie durch hände die nicht greifen kaum fühlbar lassen sie uns zurück ohne zeit ohne genug zeit
Das Gedicht bringt eindrücklich das eigene Erleben zum Ausdruck: Der Fluss der Zeit, das Verrinnen, die Unfähigkeit, den Augenblick fest zu halten und das daraus entstehende Gefühl, dass die Zeit im Grunde zu knapp sei. Doch weist der Text über das unmittelbare Erleben hinaus auf die condition humaine – sei sie nun mit oder ohne Gott gedacht. Gleichzeitig ist die Aussage hochaffin zu dem klassischen Text aus Augustins 11. Kapitel der Confessiones:43 »Was also ist die Zeit? Wenn niemand mich danach fragt, weiß ich es; wenn ich es einem Fragenden erklären will, weiß ich es nicht. Trotzdem behaupte ich fest zu wissen, dass es keine vergangene Zeit gäbe, wenn nichts vorüberginge, keine zukünftige Zeit, wenn nichts herankäme, und keine gegenwärtige Zeit, wenn es nichts gäbe, was da ist.«
Damit ist für das theologische Gespräch mit der Verfasserin und ihren Klassenkamerad/innen eine doppelte Möglichkeit gegeben. Man kann von dem Produkt der Schülerin ausgehend erarbeiten, welche Dimensionen bei der Beschäftigung mit dem Phänomen Zeit in den Blick kommen. Vielleicht ist es kein Zufall, dass man sich einem Gegenstand, der einem buchstäblich durch die Hände gleitet, am besten in poetischer Sprache nähert. Gleichwohl lassen sich Strukturen ausmachen. Wie schon oben angedeutet, sind diese Strukturen nicht nur erkennbar in dem Gedicht, sondern sie liegen in der Sache selbst. Der Rekurs auf einen philosophisch-theologischen Klassiker wie Augustins Abhandlung ist keine bloße Referenz an ein Bildungsgut. Sie zeigt vielmehr, dass wir es hier mit einer Frage zu tun haben, die sich vor eineinhalb Jahrtausenden ganz ähnlich stellte wie heute. Das Heranziehen des Klassikers und seine Positionierung neben der Arbeit der Schülerin wertet letztere auf, erhellt diese und zeigt, dass beim wirklichen Philosophieren und Theologisieren alle Produkte und Beiträge »auf demselben Spielfeld« spielen.
43 Aurelius Augustinus, Was ist Zeit? (Confessiones XI / Bekenntnisse 11), eingel. u. übers. v. Norbert Fischer, lat. – dt., Hamburg 22009, 25.
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Wenn ich das Gespräch auf der einen Seite flankiert sehe von performativen Aktivitäten wie dem Schreiben (und Vortragen) von Texten, so steht auf der anderen Seite an der (paradoxen) Grenze zur Nicht-Kommunikation das Schweigen.44 Es stammt aus der monastischen Tradition und begegnet Schüler/innen am ehesten im Kontext der Beschäftigung etwa mit Taizé. So heißt es auch in einem Text:45 »Als ich mit einer Gruppe von Jugendlichen das erste Mal nach Taizé kam, wusste ich gar nicht genau, was mich eigentlich erwartete. Obwohl ich durchaus nicht zum ersten Mal mit dem Glauben in Berührung kam und in meiner Heimatgemeinde auch schon seit längerer Zeit engagiert war, lernte ich auf dem Hügel eine ganz besondere Art des Betens kennen: die immer wiederkehrende Stille in jedem Gebet, die mich auf eine bestimmte Weise dazu zwang, mich länger als sonst dem persönlichen Gebet hinzugeben und so eine engere Beziehung zu Gott aufbauen zu können. Schließlich hatte ich zu Hause noch nie einen Gottesdienst erlebt, wo so lange geschwiegen wurde, ohne dass irgendwer anfing, unruhig hin und her zu rutschen, ein anderer sich räusperte oder wieder einer verstohlen auf die Uhr blickte.«
Der Text beleuchtet zunächst die Kontrasterfahrung zum häuslichen und kirchlichen Alltag. Er ist hier eng verbunden mit dem Gebet. Die hier aufscheinende individuelle Frömmigkeitserfahrung ist einerseits essentiell, wenn das religiöse Reden den Status der philosophischen Erörterung übersteigen soll. Das Reden zu Gott bildet beim Theologisieren ja immer die Hintergrundfolie des Redens über Gott. Gleichzeitig signalisiert die Stilleerfahrung ein Moment der Spiritualität und damit die implizite Frage, ob bzw. wie man Spiritualität lernen und lehren kann. Im angelsächsischen Kontext ist die pädagogische Dimension von Spiritualität kaum umstritten.46 Die aus der Montessori-Tradition stammenden Stilleübungen sind in der Grundschule weit verbreitet.47 Für Jugendliche gibt es bislang kaum nennenswerte Literatur. Doch zeigen eigene Unterrichtserfahrungen, dass es durchaus Bereitschaft gibt zu meditativen Unterbrechungen und Erfahrungen mit Stille – gerade auch im Kontext etwa mit Liedern und Texten aus Taizé.
44 Christof Schorsch, Worüber man nicht schweigen kann, darüber muß man reden. Über Mystik, Wahrheit, Sinn und Zweifel, in: Dietmar Kemper / Christoph Wulf (Hg.), Schweigen – Unterbrechung und Grenze der menschlichen Wirklichkeit, Berlin 1992, 52–64. 45 Zit. nach http://www.beten09.de/files/Monatsthema_Februar__Stille_Taiz____Eidmann.pdf 46 Delia Freudenreich, Spiritualität von Kindern – was sie ausmacht und wie sie pädagogisch gefördert werden kann. Forschungsbericht über die psychologische und pädagogische Diskussion im anglophonen Raum, Kassel 2011. 47 Z.B. Gerda u. Rüdiger Maschwitz, Stille-Übungen mit Kindern. Ein Praxisbuch, München 1993; grundsätzlich: Dietlinde Granzer, Schweigen, Stille und Stilleübungen als Form schulischen Lernens, Opladen 2000.
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Ein Blick in die Sonderschule – ein Epilog
Dass das Theologisieren mit Jugendlichen aus den beiden unteren Gennerichschen Quadranten nicht so einfach ist, klang schon mehrfach an. Der Bericht von Inger Hermann über ihre Arbeit als Religionslehrerin an der Sonderschule gibt nun allerdings einen Einblick, was dort auch und vielleicht gerade dort möglich ist. Wir hatten das Theologisieren als eine Art Probedenken charakterisiert. Damit sollte deutlich gemacht werden, dass es gerade im Jugendalter darauf ankommt, keinen Zwang zu einer Festlegung zu vermitteln. Gerade das Ausprobieren erschien als wichtiger Wesenszug dieses Alters. Ist dieses Ausprobieren ein Ausdruck eines Suchens, dann heißt das, dass hinter dem Experimentieren ein Wunsch nach etwas Festem liegt, etwas, dem man trauen kann. Vielleicht wurde ein Aspekt von Fowlers »synthetisch-konventioneller« Glaubensstufe zu wenig beachtet. Wenn es um die signifikanten Anderen geht, dann steht dahinter auch die Frage, ob bzw. inwieweit die Lehrperson des Religionsunterrichts dazu zu zählen ist. Gelingt dies gar nicht, dann ist Religionsunterricht in diesem Alter für keinen der Beteiligten angenehm. Gelingt es, dann können Dinge zur Sprache kommen, die ganz offensichtlich keinen anderen Ort haben. Was dann spürbar wird, ist, dass Theologie eine unmittelbare existentielle Bedeutung haben kann. Theologisieren gewinnt damit eine Ernsthaftigkeit, die es den Lehrer/innen wahrhaft nicht leicht macht, weil jede von ihnen geäußerte Option für die Jugendlichen Annahme oder Ablehnung implizieren kann – mit zum Teil immensen Konsequenzen. Ich möchte dies dokumentieren anhand eines Gesprächs über die Unsichtbarkeit Gottes. Die Fragestellung ist klassisch – und es gibt dazu viele theologische Äußerungen. Doch zeigt der Abschnitt, wie unmittelbar nah die Schüler/innen diese Frage an sich heran lassen:48 »›Warum sprechen wir überhaupt von Gott, wenn man ihn doch nicht sehen kann?‹ will […] Karla wissen. Ich versuche, eine Antwort auf diese uralte Frage zu finden. ›Schau mal, die Luft, die ist überall um uns herum und in uns drin, und wir sehen die Luft auch nicht, obwohl …‹ ›Doch, ich seh die Luft‹ unterbricht Pablo energisch. ›Du siehst die Luft?‹ ›Ja. Da, wo ich nichts sehe, ist Luft. Wo ich etwas sehe, den Schrank oder den Tisch, da ist keine Luft.‹ ›Ach so meinst du das.‹ ›Der Pablo spinnt wohl, sieht die Luft‹, Sven findet das fast ärgerlich. ›Aber tu ich doch!‹ verteidigt sich Pablo. ›Ich sehe die Luft, weil ich sie nicht sehe. Und weil nichts, ich meine gar nichts, das geht doch nicht. Oder?‹ Er schaut mich fragend an. ›Ich kann mir das Nichts einfach nicht vorstellen.‹ […]
48 Inger Hermann, »Halt’s Maul, jetzt kommt der Segen …«, Kinder auf der Schattenseite des Lebens fragen nach Gott, Stuttgart 1999, 131f.
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Ich nehme Pablos Gedanken auf. ›Nichts, das geht nicht, hast du gesagt. Und Gott, kann es vielleicht mit Gott so ähnlich sein? Er umgibt uns, auch wenn wir ihn nicht sehen.‹ […] ›Wir haben unseren Psalm vergessen‹, erinnert Renate. Wir sprechen gemeinsam: Herr, du erforschest mich und kennest mich … Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir. Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch ich kann sie nicht begreifen … ›Aber wie kann Gott denn eine Hand haben, wenn er doch wie Luft ist?‹ Für Karla ist die Frage noch nicht abgeschlossen. ›Eine Luft-Hand halt‹, Sven wird ungeduldig mit dem Nachdenken über Gott […]. ›… Pablo, was murmelst du vor dich hin?‹ […] ›Ach, ich habe nur gesagt … Wenn mein Vater auch eine Luft-Hand hätte …‹«
Inger Hermann verweist auf das hohe reflexive Potential bei diesen Schüler/innen mit oft großen Schwächen beim Lesen und Schreiben. So folgt auch hier die Argumentation der logischen Kettenbildung wie im ersten Beispiel mit einem eindrücklichen Schluss im Hinblick auf die Frage der Unsichtbarkeit Gottes. Interessant ist der Rekurs auf die geprägte Sprache des in der Klasse bekannten und regelmäßig gesprochenen Ps 139 mit der Gotteshand. Die Einbettung in den Anfangspsalm und den Schlusssegen gibt dem theologisierenden Gespräch in diesem wie den anderen Beispielen des Buches das spezifische Gepräge. Dazu kommt dann die Bezugnahme des Gesprächs und seiner zentralen Metapher auf das eigene Leben und Ergehen. Tanja Schmidt spricht im Anschluss an Welker von der »Gediegenheit« der christlichen Semantik:49 »Sie stellt den Heranwachsenden Deutungs- und Sprachmuster von hohem existentiellem und poetischem Niveau zur Verfügung, mittels derer sie ihrem inneren Erleben Sinn und Konturen verleihen können.«
Damit wird ein weiteres Charakteristikum des Theologisierens – besonders natürlich mit Jugendlichen – offenbar. Wir hatten es bewusst als argumentative Rede kenntlich gemacht und somit seine Verortung auch und gerade im Unterricht plausibel gemacht. Als mündliche Kommunikation unter Anwesenden trägt das Theologisieren aber immer auch eine latente Neigung in sich, sich zumindest punktuell zum seelsorgerlichen Gespräch zu wandeln.50 Dies kann oft sinnvoll sein und manchmal unpassend. Gerade dies zu entscheiden ist dann auch eine wichtige Aufgabe für diejenigen, die für den Rahmen des Gesprächs verantwortlich sind.
49 Schmidt (wie Anm. 22), 209. 50 Gundo Lames, Schulseelsorge als soziales System (PThh 49), Stuttgart u.a. 2000, charakterisiert die »bedingungslose Annahme« als spezifisches Codemerkmal der Seelsorge, die sich dann natürlich vom schulischen Code unterscheidet, der die Kommunikationsbeiträge auch bewerten muss. Zur Thematik Gerhard Büttner, Die seelsorgerliche Dimension des Religionsunterrichts, in: Wilfried Engemann (Hg.), Handbuch der Seelsorge, Leipzig 22009, 508–521.
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Zeigen gerade die schriftlichen Zeugnisse Jugendlicher – seien sie als Lyrik, in Prosa oder als künstlerische Darstellung –, wie theologische Konstruktionen entstehen und sich verändern, so wird gleichzeitig aber auch klar, wie sehr diese Konstruktionen den Austausch mit anderen und die Spiegelung ihrer Vorstellungen im Lichte anderer, aber auch der Sprach- und Denkangebote der Tradition brauchen. Damit stellt sich die Frage nach einer Theologie für Jugendliche. Kann es eine solche angesichts der Pluralität geben? Es existiert ein unübersehbares Angebot allein an jugendspezifischen Bibelausgaben bis hin zur »Volxbibel«. Ingrid Schoberth hat mit Recht darauf hingewiesen, dass wir Glaube nicht »machen« können, aber verantwortlich sind für Gelegenheiten, in denen sich Glaube eher ereignen kann als im Alltag.51 Der vorsichtige Hinweis auf die TaizéErfahrungen war ein Versuch, auf Modi hinzuweisen, wie sie etwa Christian Grethlein mit den Stichworten »Beten« und »Gesegnet-Werden« andeutet.52 Beide Erfahrungen sind nur in einem eingeschränkten Sinne Kommunikation im Sinne des Theologisierens, wohl aber notwendige Randbedingungen.
51 Ingrid Schoberth, Glauben-lernen. Grundlegung einer katechetischen Theologie (CthM, C 28), Stuttgart 1998. 52 Christian Grethlein, Fachdidaktik Religion (UTB 2668), Göttingen 2006, 277f. Niklas Luhmann unterscheidet das Gebet ausdrücklich von der Kommunikation: Niklas Luhmann, Läßt unsere Gesellschaft Kommunikation mit Gott zu?, in: ders., Soziologische Aufklärung 4, Opladen 1987, 227–235.
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Braucht die Jugendtheologie eine »ekklesiologische« Fundierung?
1.
Fragestellung
In ihrem Plädoyer für eine Jugendtheologie bewegen sich Thomas Schlag und Friedrich Schweitzer1 in der Spur von Friedrich Schweitzers »Das Recht des Kindes auf Religion«.2 Hatte Schweitzer dort dafür plädiert, Kindern Religion zuteilwerden zu lassen als Beitrag zu einer ganzheitlichen Entwicklung, so wird nun Theologie als ein Medium jugendlicher Identitätsbildung anempfohlen. Dabei wird eine graduelle Differenzierung der jugendlichen Zugänge präsentiert, die von impliziter über persönliche zu expliziter Theologie reicht. Dieses Modell ist sehr einleuchtend und wird durch entsprechende Statements Jugendlicher belegt. Nun liegt es im Duktus dieser Ausführungen, dass das Eigenrecht jeder dieser Positionen anerkannt und Beeinflussung sehr sensibel diskutiert wird; indes zeigt der Begriff »Theologie« an, dass das Kategoriensystem einer bestimmten Tradition entstammt, der christlichen Theologie protestantischer Prägung. Nun kann und muss man darüber reden, in welcher Weise die christliche Tradition in ihrer Theologiegestalt Bedeutung hat bzw. gewinnen kann in der Kommunikation mit Jugendlichen. Dies impliziert Fragen nach der Zuordnung theologischer Inhalte in einem kirchlichen Kontext. Wichtiger aber erscheint mir ein Zweites: Die Orientierung an Äußerungen einzelner Jugendlicher ist insofern fragwürdig, als sich diese Äußerungen sinnvollerweise am besten im Kontext jugendlicher Kommunikation erheben und interpretieren lassen. Konkret heißt das, dass das Theologisieren sich vor allem und zu allererst im Kontext von Gruppen ereignet, sei es in Konfirmanden- oder Firmgruppen, sei es im schulischen Religionsunterricht. Wenn nun aber, wie ich zu zeigen versuche, der Kommunikation in der Gruppe eine solche bedeutende Rolle zukommt, dann kann dieser »Rahmen« nicht unberücksichtigt bleiben. Ich werde im Folgenden bedenken, inwieweit diese Kommunikation über »Gott und die Welt« als eine mögliche Sozialform von Kirche begriffen werden kann, so dass dann der Begriff »ekklesiologisch« zu rechtfertigen wäre.
1 Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer, Brauchen Jugendliche Theologie? Neukirchen-Vluyn 2011. 2 Friedrich Schweitzer, Das Recht des Kindes auf Religion, Gütersloh 2000.
Braucht die Jugendtheologie eine »ekklesiologische« Fundierung?
2.
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Die entwicklungspsychologische Grundlage der Jugendtheologie
Über die Kindertheologie kann man – pointiert ausgedrückt – sagen, dass hier mit Hilfe entwicklungspsychologischer Theorie erkannt worden ist, welches Potential in dem lange bekannten Phänomen des Kinderglaubens steckt. Betrachtet man unter derselben Perspektive den Glauben Jugendlicher, so kann man erkennen, dass über die Möglichkeit, formal-operatorisch zu denken, ein wichtiges sozialpsychologisches Phänomen auf den Plan tritt. So hatte bereits Lawrence Kohlberg festgestellt, dass Jugendliche sich in ihrer Gerechtigkeitsvorstellung an dem orientieren, was ihre Nahumwelt als angemessen präsentiert.3 Das kann allerdings vom Familiencodex bis zu den Regeln exzentrischer oder krimineller Peergroups reichen. James Fowler erklärt dies durch sog. Spiegel-Phänomene:4 »[I]n einer qualitativ neuen Weise sucht der junge Mensch [neben realen Spiegeln zur Kontrolle seines Äußeren] auch nach Spiegeln anderer Art. Er braucht Augen und Ohren einiger Vertrauter, anderer Menschen, in denen er das Bild einer entstehenden Persönlichkeit sehen […] kann«.
Dies führt nach Fowler dazu, dass dann oft undurchschaute Bindungen an wertsetzende »signifikante Andere« eingegangen werden:5 »[Das] heißt aber, daß es sich trotz ihres echten Gefühls, eine Wahl getroffen zu haben und Bindungen eingegangen zu sein, in Wahrheit so verhält, daß sie von ihren Werten und Selbst-Bildern, vermittelt durch die bedeutenden Anderen in ihrem Leben, gewählt worden sind. Und bei ihrer Wahl haben die Jugendlichen im Wesentlichen die Bilder und Werte geklärt und bestätigt, von denen sie zuvor selbst gewählt worden waren.«
Die »Theologie« der Jugendlichen ist demnach in all ihren Nuancen immer zugleich Frucht eigenen Nachdenkens und Einstimmung in den Wertekanon der bestimmenden Peergroup. Man kann diesen Prozess nun sehen als eine Sequenz zahlreicher, höchst unterschiedlicher Kommunikationsschritte, die dann als momentanes Resultat eine bestimmte »persönliche Theologie« erzeugt hat. Man kann aber auch konkrete Orte zu identifizieren suchen, in denen Jugendliche im Austausch »ihre« momentane Theologie herausbilden. Sofern dort eine »explizite« Theologie zur Sprache kommen soll, wird man dabei am ehesten an Familie, kirchliche Jugendgruppe, Konfirmanden- oder Firmgruppe und Religionsklasse denken.
3 Lawrence Kohlberg, Die Psychologie der Moralentwicklung, Frankfurt/M. 1995, 52: »Stufe 3; Orientierung an zwischenmenschlicher Harmonie oder am Bild des ›guten Jungen‹ bzw. ›netten Mädchens‹. Gutes Verhalten ist das, was anderen gefällt oder hilft und deren Zustimmung findet. Beherrschend sind stereotype Vorstellungen davon, was mehrheitliches oder ›natürliches‹ Verhalten ist. Verhalten wird nach der zugrundeliegenden Absicht beurteilt – es gut meinen taucht zum ersten Mal als wichtige Überlegung auf. Mit ›Nettigkeit‹ erntet man Anerkennung.« 4 James Fowler, Stufen des Glaubens, Gütersloh 1991, 167f. 5 Ebd., 171.
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Nun lassen sich gerade anhand dokumentierter Unterrichtssequenzen leicht Prozesse beobachten, in denen sich Elemente von Jugendtheologie herausbilden. Ich möchte dies zeigen anhand der Arbeit von Annike Reiß. Sie hatte Ausschnitte aus einer Video-dokumentierten Religionsstunde anschließend einigen der Schüler/innen zum »nachträglichen lauten Denken« vorgelegt. Das Zentrum der Stunde aus der Sek II bildet die Auseinandersetzung mit dem Text Sigmund Freuds über die drei Kränkungen der menschlichen Eigenliebe. Im Kontext des Klassengesprächs wird unter anderem die Kleinheit des Menschen im Verhältnis zum Kosmos thematisiert, bis zu dem Moment, als Nadine in ihrem Votum dagegen hält:6 »Ja, ich find, was jetzt alles [sic!] gesagt haben ist eigentlich so, dass der Mensch selber, also einer allein total unwichtig ist. Aber ich mein, es fühlt sich ja, ich glaub keiner von uns fühlt sich jetzt komplett unwichtig so, weil wir leben ja in unserem Kreis in unserer Familie und für die sind wir ja wichtig und deswegen würde ich sagen, ich würd mich jetzt nich so fühlen, ja ich bin ja nur Einer von vielen und bla – für die bin ich ja nicht einer von vielen, für die bin ich ich und für die bin ich auch wichtig.«
Liest sich der Text bereits inhaltlich wie eine Explikation zu dem obigen FowlerZitat, so zeigt der folgende Interview-Ausschnitt, wie dieses Votum nun seinerseits auf Mitschüler eingewirkt hat:7 INTERV.: »[…] und dann kam die NADINE ja mit der Aussage, ja eigentlich aber ne? So klein bin ich ja eigentlich gar nich, fühl mich auch gar nich, ich hab schon das Gefühl, dass ich irgendwie wichtig bin. Und dann hast du das in so ’nem schönen Schlusssatz so zusammengefasst. TIMO (lacht): Genau. Also ich war ähm während der Diskussion ein bisschen hin und her gerissen, weil äh mein Argument war irgendwie nich ganz korrekt, fand ich, weil ähm in einem ganz gewissen Umfeld is man auf jeden Fall wichtig und ich hab das jetzt nur so auf das ganz Große bezogen, da ist man halt irgendwie nichts, weil wenn man sich selbst jetzt mit dem Universum vergleicht is man halt irgendwo ’n kleiner Punkt, aber ähm für die Erde oder ähm in seinem gewissen Umfeld is man natürlich viel auch für andere Leute und die anderen Leute sind natürlich auch viel für einen selbst, und so wollt ich das dann auch noch zum Schluss sagen.«
Timo reflektiert die Stellung des Einzelnen innerhalb seiner Bezugsgruppe und lässt uns teilhaben an seinen Überlegungen. Auch wenn es in dem Ausschnitt nicht explizit um Theologie geht, so wird man die Unterrichtssequenz und ihre Fragestellung gleichwohl als eine Form theologischen Gesprächs sehen können. Nun kann man Gespräche dieser Art auch noch anders interpretieren. Folgt man der Sprachphilosophie des späten Wittgenstein, dann entfalten sich Bedeutungen nur innerhalb einer Sprachgemeinschaft. Das muss kein Jargon sein, doch artikulieren sich Präferenzen im Hinblick auf Musik, bestimmte Stars, Moden etc.
6 Annike Reiß, Die Religionsstunde aus der Sicht einzelner Schüler/innen, Kassel 2008, 172. 7 Ebd., 186.
Braucht die Jugendtheologie eine »ekklesiologische« Fundierung?
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auch in der Besetzung bestimmter Worte. Religiöse Inhalte müssen sich demnach in einer solchen Sprachgemeinschaft etablieren.8 Insofern ist es konsequent, wenn Religionspädagogen hier vom Erlernen einer »zweiten Sprache«9 oder einer »Fremdsprache«10 sprechen. Hermann Hesse zeigt uns in seinem Demian, wie die Genese einer eigenen »jugendtheologischen« Sicht auch hier einer Spiegelkommunikation entspringt: Der Pfarrer spricht über Kain und Abel. Da sieht der Ich-Erzähler das ihm zugewandte Gesicht seines Freundes Demian, der ihm einmal im Gespräch erklärt hatte, man sollte Kain besser nicht als niederträchtigen Brudermörder verstehen, vielmehr als mutigen Helden. »Nur einen Moment sah er mich an, und plötzlich hörte ich gespannt auf die Worte des Pfarrers, hörte ihn von Kain und seinem Zeichen reden und spürte tief in mir ein Wissen, daß das nicht so sei, wie er es lehrte, daß man das auch anders ansehen konnte, daß daran Kritik möglich war!«11
Die Stelle zeigt einmal eine jugendliche Sprach- und Deutegemeinschaft, sie zeigt aber auch die Genese einer eigenen »Jugendtheologie« aus der Absetzung gegenüber einer vorgegebenen Interpretation der »Tradition«.
3.
Theologisieren und Theologie
Dass Jugendtheologie wie Kindertheologie gekennzeichnet sein soll durch Elemente der Reflexion, ist unstrittig. Fragen wird man, ob es inhaltliche Kriterien geben kann oder soll, damit ein Gesprächsbeitrag als »theologisch« gelten kann. Mit dem von Schlag/Schweitzer eingebrachten Begriff der »impliziten Theologie« liegt ein interessanter Grenzfall vor. M.E. kann man dann von impliziter Theologie sprechen, wenn eine Aussage affin ist zu einer geprägten theologischen Denkfigur. Man wird Schulderfahrungen in den Kontext von Sünde und Vergebung stellen können, Leiderfahrungen in den der biblischen Gottesklage. Ob für die Jugendlichen dieses Denkangebot angenommen werden kann, ist eine andere Frage. Theologisieren kann demnach immer nur dann betrieben werden, wenn ein Horizont geprägter (i.d. Regel christlicher) Theologie zur Verfügung steht. So gab es zumindest in den theologischen Disputen vor 40 bis 50 Jahren im Bereich der kirchlichen Jugend-, Studenten- und Schülerarbeit Versuche, eigenständige theologische Deutungsmuster im Anschluss an befreiungstheologische
8 Der Effekt dieses Phänomens wird dort sichtbar, wo mit dem Sprachspiel Vertrautere offensichtlich Vorteile in der weiteren Kommunikation haben. So führt positive Einstellung zur Kirche (i.d. Regel auch durch größere Vertrautheit) dann zu größerer Zufriedenheit mit der Konfirmandenarbeit; s. dazu: Wolfgang Ilg u.a., Konfirmandenarbeit in Deutschland, Gütersloh 2009, 208. 9 Gabriel Moran, Religious Education as a Second Language, Birmingham, Ala. 1989. 10 Stefan Altmeyer, Fremdsprache Religion? (Pth 114), Stuttgart 2011. 11 Hermann Hesse, Demian, in: ders., Gesammelte Werke 5, Frankfurt/M. 1970, 5–163, 54.
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und feministische Ansätze zu formulieren. Doch wird man heute solche jugendspezifisch formulierten Ansätze kontextueller Theologie kaum mehr identifizieren können. Von daher scheint es mir angemessen, an dieser Stelle den bildungstheoretisch formulierten Ansatz von Tanja Schmidt heranzuziehen. Diese setzt sich bewusst kritisch ab von den Versuchen, die Manifestationen jugendlicher Religiosität als identitätsstiftende theologische Interpretamente anzusehen, zumal sie in der Regel überformt sind von den Botschaften des kapitalistischen Konsumismus.12 Tanja Schmidt insistiert auf der Kommunikation biblischer Theologie. Soweit eine solche Kommunikation existiert, bietet sie dem einzelnen Jugendlichen die Möglichkeit, sich dort ein- oder auszuklinken. Wie sich das dann in der individuellen »Theologie« der Einzelnen niederschlägt, bleibt dabei theologisch und pädagogisch unverfügbar. Die Auseinandersetzung mit bzw. die Teilnahme an der Kommunikation bildet damit den eigentlichen Prozess des Theologisierens.13 Dieses Modell belässt dem Jugendlichen die Freiheit, seine religiöse Selbst-Bildung nach seinen Bedürfnissen zu gestalten und gleichzeitig sicher zu sein, dass es eine theologische Kommunikation gibt, in der Deutungsund Wahrheitsangebote für ihn oder sie bereit gehalten werden. Ob der Begriff der Korrelation für dieses Verhältnis passt, ist mir nicht ganz klar, es muss aber Korrespondenzen geben zwischen der impliziten oder persönlichen Theologie der Jugendlichen und dem Deutungsangebot der biblischen und theologischen Tradition. Tanja Schmidt formuliert ihre Überlegungen im Kontext eines bibeldidaktischen Programms für den Religionsunterricht. Doch man wird diese Überlegungen erweitern können auf Kommunikationsprozesse in anderen Gruppen, sei es Familie, Konfirmanden- oder Firmunterricht sowie kirchliche Jugendarbeit.14 Doch hat man besonders im Kontext von Jugendarbeit und Religionsunterricht davon auszugehen, dass das Programm eines Theologisierens dort auf unterschiedliche Resonanz stoßen wird. Karl Ernst Nipkow hat ausdrücklich auf die Notwendigkeit hingewiesen, unterschiedliche Grade des Einverständnisses zu unterscheiden.15 D.h., dass es im Einzelnen notwendig ist zu klären, in welchem Maße Jugendliche bereit sind, ihre Fragestellungen im Kontext einer christlichen Theologie zu besprechen. Ich möchte im Folgenden an zwei Beispielen diskutieren, ob bzw. in welchem Maße diese als Form des Theologisierens angesehen werden können.
12 Tanja Schmidt, Die Bibel als Medium religiöser Bildung (ARP 34), Göttingen 2008, 203ff. 13 Ebd., 169ff. 14 Dabei ist es natürlich optimal, wenn verschiede Orte des Theologisierens komplementär zur Verfügung stehen. Vgl. Uwe Böhm / Manfred Schnitzler, Religionsunterricht in der Pubertät, Stuttgart 2008. 15 Karl Ernst Nipkow, Bildung in einer pluralen Welt. Bd. 2, Gütersloh 1998, 223ff. Vgl. Gerhard Büttner / Veit-Jakobus Dieterich, Religion als Unterricht, Göttingen 2004, 163ff.
Braucht die Jugendtheologie eine »ekklesiologische« Fundierung?
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In der bereits zitierten, von Annike Reiß dokumentierten Religionsstunde vertritt die Schülerin Lea vehement ihre Position als Veganerin. Das Thema passt in den Gesprächsduktus zum Verhältnis Mensch-Tier. Handelt es sich hier um eine Form des Theologisierens? Leas Beiträge sind zweifellos argumentativ, doch was hat das Thema mit Theologie zu tun, es könnte doch genauso gut im Biologieunterricht stattfinden? In Bezug auf den Religionsunterricht wird man festhalten können, dass zweifellos nicht alle Passagen des Unterrichts als Gestalt einer Theologie mit Jugendlichen werden angesehen werden können. Nimmt man den Begriff der impliziten Theologie, so wird man im Bereich des Veganerdiskurses dann von Theologie sprechen können, wenn zumindest als regulative Idee die biblischen Aussagen Gen 1,29f bzw. Gen 9,2f mit ihren unterschiedlichen Aussagen zum Fleischgenuss im Horizont der Überlegungen auftauchen.16 Als Gegenprobe möchte ich eine Sequenz aus der Studie zu den »Alltagsexegesen« heranziehen, die Christian Schramm vorgelegt hat. Er ließ eine Gruppe junger Erwachsener über einen Auszug aus der Bergpredigt (Mt 5,38–48 u.a. Feindesliebe) diskutieren. Die Mitglieder stehen der Partei »Die Linke« nahe und sind konfessionslos. Schramm resümiert:17 »Die Diskussion der Gruppe »SOLID« endet […] bei Mt 5,48, der Vollkommenheitsforderung, womit man grundsätzlich einverstanden ist. Die Forderung nach Vollkommenheit an sich ist in Ordnung. Nur mit den vorstehenden konkreten Verhaltensanweisungen hat man seine liebe Not, sprich: einige Probleme. Für die Gruppe ›SOLID‹ taugen Wangenforderung und Co. gerade nicht dazu, den Weg zur Vollkommenheit zu weisen. Entsprechend werden die einzelnen Forderungen der Kritik unterzogen.«
Handelt es sich hier um eine Form des Theologisierens? Die Teilnehmer/innen würden sich wohl gegen diese Vereinnahmung wehren, wenngleich der Inhalt ihrer Interpretation eine prominente Stelle des Neuen Testaments betraf. Beide hier zitierten Beispiele lassen sich einer Grauzone zwischen Philosophieren und Theologisieren zuordnen. Es scheint unmöglich zu sein, allein vom Gesprächsinhalt oder der subjektiven Beschreibung der Teilnehmer/innen eine Zuordnung vorzunehmen. Es bedarf dazu einer expliziten Diskussion des Rahmens.
4.
Theologisieren – Theologie – Kirche
Der amerikanische Soziologe Erving Goffman machte darauf aufmerksam, dass es von großer Bedeutung sein kann, in welchem Rahmen eine Äußerung erfolgt.18 So bedeutet es einen großen Unterschied, ob derselbe Satz im Rahmen eines 16 Bernhard Lang, Art. Vegetariertum, Neues Bibel-Lexikon Bd. 3, Zürich u.a. 2001, 997f. 17 Christian Schramm, Alltagsexegesen. Sinnkonstruktion und Textverstehen in alltäglichen Kontexten (SBB 61), Stuttgart 2008, 322. 18 Erving Goffman, Rahmen-Analyse, Frankfurt/M. 1996.
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privaten Gesprächs, einer Unterrichtsstunde oder eines Gottesdienstes geäußert wird. Beobachtet man unter diesem Aspekt »theologische« Aussagen von Jugendlichen, dann ist es sinnvoll, den damit jeweils gesetzten Rahmen mit zu diskutieren. Äußerungen zur Theodizee können im Familiengespräch, im Konfirmandenunterricht, im Deutsch-, Philosophie- oder Religionsunterricht gemacht werden. Ist es jeweils dasselbe? Als »Jugendtheologie« können die Aussagen am ehesten dann gelten, wenn sie auf Theologumena der Bibel und der christlichen Tradition beziehbar sind. Die Äußerungen implizit oder explizit, vielleicht sogar nur gedanklich auf diesen Rahmen zu beziehen, ist in unterrichtlichen Zusammenhängen Aufgabe der Lehrperson. Diese hat die doppelte Aufgabe, die Bezüge zu den jeweils korrespondierenden Elementen der Tradition herzustellen und in adäquater Form sich auch selbst in diesem Diskursfeld sichtbar zu positionieren. Nun existiert diese biblisch-christliche Tradition ja nicht kontextfrei, sondern sie ist bezogen auf reale Kommunikationsfelder, die sich in der Regel bestehenden Kirchen zuordnen lassen. Zuordnung muss dabei in keiner Weise Vereinnahmung bedeuten. Es geht hier eher um ein Wahrnehmen, das dazu zwingt, die eigene Positionierung im Lichte bestehender Kommunikation zu bedenken. Wir sehen, dass der hier gebrauchte Begriff von »Kirche« eher soziologisch als theologisch bestimmt ist. Die klassischen Merkmale protestantischer Kirchendefinition aus CA 7 »Predigt des Evangeliums und evangeliumsgemäße Darreichung der Sakramente« helfen an dieser Stelle ebenso wenig wie der Hinweis auf die Taufe. Treffender ist hier eher Wilfried Härles Gedanke von der Kirche als »Gemeinschaft der Glaubenden«, zumal er diesen recht offen formuliert:19 »Die hoffende Ausrichtung auf den einen Gott verbindet die Christen miteinander und konstituiert so Kirche. Dabei kommt das Verbindende nicht nachträglich und äußerlich zum Glauben hinzu, so als könne im Prinzip auch jeder Glaubende als isoliertes Individuum existieren, sondern diese Verbindung ergibt sich aus dem Wesen Gottes als Liebe, auf den die Glaubenden ihre Hoffnung setzen.«
Dabei ist eine genaue Identifikation des Kreises der Glaubenden nach Härle nicht möglich.20 Wichtig ist die zweifache Qualifizierung von Kirche, einmal durch ihre Sozialität, zum anderen durch die inhaltliche Ausrichtung auf diejenigen, die hoffend auf Gott ausgerichtet sind. Damit wird es möglich, all diejenigen Jugendlichen, die sich theologisierenderweise auf Gott beziehen, zumindest situativ im Kreise derer zu verorten, die zur Kirche Jesu Christi gehören. Nun gibt es ganz unterschiedliche Zugänge zur Sozialgestalt der »kirchlichen Kleingruppe«. In den USA gibt es Ansätze, der Familie eine solche Rolle zuzuschreiben.21 Der katho-
19 Winfried Härle, Dogmatik, Berlin/New York 1995, 571. 20 Ebd., 572: »Bei dem Versuch, sich darüber klar zu werden, ob ein Mensch auf Gott vertraut, kann man sich täuschen und getäuscht werden. Daraus resultiert, daß sich nicht feststellen läßt, wer zu dieser ›Gemeinschaft der Glaubenden‹, also zur Kirche gehört.« 21 Florence Caffrey Bourg, Where Two or Three Are Gathered. Christian Families as Domestic Churches, Notre Dame, IN 2004.
Braucht die Jugendtheologie eine »ekklesiologische« Fundierung?
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lische Soziologe Michael Hochschild charakterisiert die Funktion gemeinschaftlicher Kommunikation folgendermaßen:22 »Ob mit oder ohne christliches Bekenntnis, der moderne Individualist lebt die Geselligkeitsaskese und praktiziert dann und wann die Kommunion des Dabeiseins, mit denen, von denen er sich verstanden fühlt. […] Wie bei jeder Vergemeinschaftung vollzieht sich auch die christliche Gemeinschaft vor allem über die Präsenz ihrer Mitglieder. Erst die überschaubare Gruppe unterscheidet sich deutlich von der unförmigen Gesellschaft. Von der christlichen Gemeinschaft gilt daher: sie entsteht, wo unter Glaubenden eine Kommunikation face-to-face prinzipiell möglich ist. Wo die Anwesenden unter einander vertraut sich begegnen und miteinander umgehen, gelingt diese Gemeinschaft.«
Dabei kann die bereits mehrfach angesprochene Spiegel-Kommunikation entstehen:23 »Deshalb stellt die ›ZWEI‹ ein symbolisches Richtmaß für das Zustandekommen kleinerer Gemeinschaften dar, in die sich eine mengenmäßig große Glaubensgemeinschaft wie das Christentum aufteilen kann, um mit dem jeweiligen Gegenüber dem Glauben ein Gesicht und eine unverwechselbare Gestalt zu geben.«
In der Lutherschen Tradition würde man hier gerne das Wort der »ecclesiola«, dem Kirchlein in der Kirche gebrauchen, wenn dies nicht mit einer Bedeutung belegt wäre, die dem hier Gemeinten diametral widerspricht.24 Es geht uns hier nicht wie bei Luther bzw. dann bei Spener um einen Kreis besonders frommer Christen, sondern um Kommunikationsgemeinschaft unter Anwesenden, die – mit Härle – auf Gott hoffen. In der Nachkriegszeit formulierte der lutherische Religionspädagoge Helmuth Kittel die Vorstellung der Religionsgruppe als Gemeinde in voller Analogie zur Gottesdienstgemeinde.25 Damit war der schulischen Kommunikation zweifellos die Qualifizierung als »Kirche« zugesprochen. Die Parole »Kirche an der Schule« implizierte damit nichts Abgeleitetes, sondern sprach der »Evangelischen Unterweisung« denselben Status zu wie dem Gottesdienst. Nun macht Kittel Voraussetzungen, die der heutigen Schulwirklichkeit in ihrer pluralen Verfasstheit in keiner Weise mehr entsprechen. Gleichwohl wird man den Gedanken einer ekklesiologischen Fundierung unterrichtlichen Handelns aufnehmen können, wenngleich in modifizierter Weise. Mein Dortmunder Kollege Bert Roebben hat eine wichtige Differenzierung in das Bild der Kirche einbezogen. In Analogie zum Bau romanischer Kirchen interessiert ihn besonders der Vorraum zum eigentlichen Gottesdienstraum, der
22 Michael Hochschild, Beobachtungen der Kirche 1, Eine kleine Aufmerksamkeitsökonomie, Münster u.a. 2002, 59. 23 Ebd., 60. 24 Gerhard Hilbert, Ecclesiola in ecclesia, Leipzig/Erlangen 1920. 25 Helmuth Kittel, Vom Religionsunterricht zur Evangelischen Unterweisung, Wolfenbüttel/ Hannover 1947; vgl. auch Veit-Jakobus Dieterich, Religionslehrplan in Deutschland (1870– 2000) (ARP 29), Göttingen 2007, 326ff.
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sog. Narthex. Zumindest in der berühmten Ausführung in der Kirche von Vézelay ist dieser Verbindungsraum zwischen der Welt draußen und dem Gottesdienstraum mit einem expliziten theologischen Bildprogramm ausgestattet. Man wird diesem Narthex seinen ekklesiologischen Rang nicht absprechen können, gleichzeitig ermöglicht er immer nur einer begrenzten Zahl von Menschen den Aufenthalt dort. Roebben sieht den Narthex in seiner metaphorischen Bedeutung als einen Ort, der beides ist, »ein pädagogischer und theologischer Ort der Auseinandersetzung«.26 Darüber hinaus sieht er diesen Ort als einen der Spiritualität: »Die Suche bekommt einen neuen Sinn, die Sehnsucht wird neu arrangiert«.27 Wenn wir die Kommunikation in kleinen Gruppen in der hoffenden Suche nach Gott als ein Charakteristikum des Theologisierens mit Jugendlichen ansehen, dann wird man ihm eine ekklesiologische Qualität zusprechen können, zumindest in diesem narthikalen Sinne.
26 Bert Roebben, Religionspädagogik der Hoffnung, Münster 2011, 93. 27 Ebd., 94.
Inhaltlich thematische Zugänge
Carsten Gennerich
»Gott kann nichts.« / »Gott kann alles.« – Die Providentia-Lehre (Vorsehung Gottes)
1.
Einleitung
Das lateinische Wort »Providentia« wird mit dem Begriff der Vorsehung ins Deutsche übersetzt. In dieser Lehre geht es um das Handeln Gottes in der Welt oder etwas enger verstanden um Gottes Fürsorge für den Einzelnen. Also um ein sehr zentrales Lehrstück für die Alltagsfrömmigkeit, die in der Regel mit Gottes Schutz und Begleitung im Alltag rechnet. Soll dieses Lehrstück ins Gespräch mit Jugendlichen gebracht werden, dann stellt sich die Herausforderung, weder in einem Einbahnstraßenmodell die Vorstellungen der SchülerInnen nach Maßgabe vermeintlich richtiger theologischer Positionen zu normieren noch in einem allzu induktiven Verfahren die Schülervorstellungen gleichsam hilflos ohne entwicklungsförderliche Impulse im Raum stehen zu lassen. Es ist daher theoretisch notwendig, sowohl den subjektiven Vorsehungsvorstellungen der SchülerInnen wie unterschiedlichen theologischen Entwürfen ein eigenständiges Gewicht zu geben und beide Pole lebensdienlich aufeinander zu beziehen. Dementsprechend weist Korsch im Anschluss an Schleiermacher darauf hin, dass es »den individuell verschiedenen Lebensumständen entsprechend unterschiedliche Darstellungs- und Ausdrucksweisen des christlichen Lebens gibt«, die sich auch teilweise im Widerspruch äußern können1. Das geschehe auch in dogmatischen Darstellungen der christlichen Lehre selbst, an denen immer auch die Persönlichkeiten der VerfasserInnen mit ihren Lebenserfahrungen ablesbar seien2. Korsch fordert daher auch eine neue Form der christlichen Lehre, die individuell unterschiedlichen Variationen der christlichen Lehre Raum gibt3. Es geht dann im Religionsunterricht um die Fähigkeit, dass sich LehrerInnen bewusst sind, dass sie nicht die christliche Lehre vermitteln, sondern dass sie mit einer eigenen individuellen Ausdrucksgestalt des Christlichen ihren SchülerInnen gegenübertreten und die Verantwortung haben, Bildungsangebote für SchülerInnen bereitzustellen, die selbst wiederum individuell unterschiedlich geprägt sind.
1 Dietrich Korsch, Gelebte und gelehrte Religion in Kirche und Schule, in: Zeitschrift für Pädagogik und Theologie, 55. Jg. 2003, Heft 1, 28–39, 34. 2 Ebd., 35. 3 Ebd., 35.
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Um diesem Anspruch gerecht zu werden, bedarf es aber zunächst eines systematischen Überblicks über die Lebenskontexte der SchülerInnen mit ihren zugehörigen Ausdrucksgestalten des Glaubens. Dann ließen sich in einem nächsten Schritt entwicklungsförderliche theologische Impulse für unterschiedliche SchülerInnen entwickeln. Die Methodik der Wertefeldanalyse und die theologischhermeneutische Interpretation ihrer Befunde sollen zu diesem Anliegen im Folgenden einen Beitrag leisten. Methodisch werde ich in vier Schritten vorgehen. (1) In einem ersten Schritt wird das Wertefeld als abstrahierte Darstellungsform für Lebenserfahrungen von Jugendlichen vorgestellt. (2) Ich werde dann empirische Analysen darstellen, die alltagstheologische Einstellungsmuster zur Vorsehungslehre im Kontext unterschiedlicher Lebenserfahrungen aufdecken. (3) Indem ich diese Muster in einem zweiten hermeneutischen Schritt in eine Beziehung zu theologischen Diskursen bringe, kann ich dann mögliche Anknüpfungspunkte für theologische Gespräche mit Jugendlichen aufzeigen und mögliche Stärken und Schwächen sehr unterschiedlicher theologischer Entwürfe im Kontext der Unterrichtsplanung diskutieren. (4) Abschließend möchte ich mögliche Gewinne für die Unterrichtsgestaltung konkretisieren.
2.
Die Wertefeldanalyse
Mit der Wertefeldanalyse können Einstellungen Jugendlicher so strukturiert werden, dass sich grundlegende Orientierungsmuster entdecken lassen (siehe Abschnitt 3). Auf der Basis bekannter Zusammenhänge zwischen Werthaltungen und situativen Erfahrungen können diese Orientierungsmuster dann in ihrer Bewältigungsfunktion entschlüsselt werden. Werthaltungen werden in dieser Perspektive also nicht als Erziehungsziele konzipiert, sondern als Indikatoren für die Erfahrungskontexte Jugendlicher genutzt. Eine grundlegende Einführung habe ich andernorts gegeben4, so dass hier eine kurze Skizze genügen möge. Das Wertefeld beschreibt zunächst die Inhaltsstruktur von Werten. Empirische Analysen haben nachgewiesen, dass Menschen kulturübergreifend bewahrende Werte im Konflikt mit Werten der Offenheit erleben, sowie Selbststeigerungswerte (egozentrische Werte) im Konflikt mit Selbst-Transzendenzwerten (altruistischen Werten)5. Konkret repräsentieren Tradition und Sicherheit besonders den Pol »Bewahrung«, Macht und Leistung den Pol »Selbst-Steigerung«, Selbstentfaltung 4 Carsten Gennerich, Empirische Dogmatik des Jugendalters, Stuttgart 2010, Kapitel 1. 5 Shalom H. Schwartz, Universals in the content and structure of values. Theoretical advances and empirical tests in 20 countries, in: Advances in Experimental Psychology, 25. Jg. 1992, 1–65. Über die Werteklassen in Abbildung 1 hinausgehend unterscheidet Schwartz noch die Klasse der »Konformitätswerte«, die sich jedoch in den von ihm vorgelegten Daten als weniger profilierte Facette von Traditionswerten erweist und daher von mir nicht in die Darstellung aufgenommen wird. Vgl. Micha Strack / Carsten Gennerich / Norbert Hopf, Warum Werte? In: Erich H. Witte (Hg.), Sozialpsychologie und Werte, Lengerich 2008, 90–130.
»Gott kann nichts.« / »Gott kann alles.« – Die Providentia-Lehre
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und Simulation/Hedonismus den Pol »Offenheit für Wandel« sowie Universalismus und Prosozialität den Pol »Selbst-Transzendenz«. Die damit gegebene Zurückführung unterschiedlicher Werteklassen auf zwei Basisdimensionen ermöglicht die Entdeckung stabiler Zusammenhänge zwischen Werthaltungen und Erfahrungshintergründen (siehe Abb. 1).
Abb. 1: Das Wertefeld-Modell und zusammenhängende Erfahrungshintergründe
Abbildung 1 beschreibt summarisch das Wertefeld im Anschluss an Schwartz mit Befunden zu den Erfahrungshintergründen der jeweiligen Wertefeldbereiche. Personen mit einer Präferenz für universalistische und prosoziale Werte im oberen Bereich haben mehr als andere Personen Zuwendung und Verlässlichkeit erfahren, z.B. einen zuwendend-fördernden Erziehungsstil der Eltern. Personen im unteren Bereich berichten dagegen eher von Erfahrungen der Vernachlässigung, z.B. von Kommunikationsabbrüchen und konfliktreichen Beziehungen mit ihren
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Eltern6. Personen mit Wertepräferenzen im linken Bereich (»Offenheit für Wandel«) erfahren im Vergleich zu Personen mit bewahrenden Werten mehr Sicherheit und weniger Bedrohungen7. Insgesamt realisiert sich damit auf der vertikalen Achse eine bindungstheoretisch verstehbare Dynamik. Erfahrungen der Zuwendung und Verlässlichkeit führen zu inneren Orientierungsmodellen, die prosoziale Werte begünstigen und zu einem Verhalten führen, das die Würde des fremden Anderen anerkennt. Auf der horizontalen Achse realisiert sich dagegen vor allem ein Kompensationsprozess, demnach die Erfahrung mangelnder Sicherheit zu einer gesteigerten Gewichtung von Werten führt, die auf eine Beseitigung des Mangels zielen. Erst bei einer hinreichenden Befriedigung von Sicherheitsbedürfnissen gewinnen autonomieorientierte Werte an Gewicht. Im nächsten Schritt können nun die empirisch messbaren Wertedimensionen mit anderen Einstellungen korreliert werden. Das bedeutet, dass statistisch Zusammenhänge zwischen Werthaltungen und der Präferenz für vorsehungstheologisch relevante Einstellungen berechnet werden können. Dadurch lassen sich Informationen darüber gewinnen, in welchen Erfahrungskontexten bestimmte Orientierungsmuster als plausibel erlebt werden können.
3.
Befunde zum Vorsehungsglauben
In einer ersten Datenanalyse habe ich 6 Vorstellungsmuster zum Vorsehungsglauben, die mir in der religionspädagogischen Literatur begegneten, mit den Wertedimensionen korreliert8. Drei beschreiben Aspekte des Vorsehungsglaubens: Vertrauen in Gottes Plan, in Gottes lenkenden Willen und seine Gebetserhörung. Drei Aussagen beschreiben gegenläufige Einstellungsmuster.
6 Mario Mikulincer / Omri Gillath / Yael Sapir-Lavid / Erez Yaakobi / Keren Arias / Liron TalAloni / Gili Bor, Attachment theory and concern for others’ welfare. Evidence that activation of the sense of secure base promotes endorsement of self-transcendence values, in: Basic and Applied Social Psychology, 25. Jg. 2003, Heft 4, 299–312. 7 John T. Jost / Jack Glaser / Arie W. Kruglanski / Frank J. Sulloway, Political conservatism as motivated cognition, in: Psychological Bulletin, 129. Jg. 2003, 339–375. 8 Zur Methodik im Detail siehe Carsten Gennerich (wie Anm. 4), 45–49.
»Gott kann nichts.« / »Gott kann alles.« – Die Providentia-Lehre
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Abb. 2: Vorsehungsglaube und dessen Ablehnung in Korrelation mit den Wertedimensionen (Studierende, 19–29jährige, N = 94)
Die Abbildung 29 zeigt, dass die drei Items zum Vorsehungsglauben sich auf der rechten Seite lokalisieren. Die Differenzierung ist dabei aufschlussreich. »Vertrauen in Gottes Plan auch bei Schicksalsschlägen« formuliert das Vertrauen paradox, weil eine gegenläufige Realitätserfahrung zugleich mitgedacht wird. Dieses Item findet sich sehr weit oben/rechts im Feld, im Bereich, der besonders deutlich von guten Erfahrungen mit den eigenen Eltern geprägt ist. Dass »gegen Gottes Willen nichts schief läuft«, nimmt dieses Zugleich von negativen Erfahrungen zurück und lokalisiert sich etwas tiefer. Das Item zur Gebetserhörung schließlich betont den Schutz Gottes, der Bittgebete erhört. Das Item entspricht offenkundig besonders deutlich dem Sicherheitsbedürfnis der Jugendlichen unten/rechts. Auf Grund der geringeren Ressourcen zur Kontrolle des eigenen Ergehens scheint die Kontrolle über das Bittgebet besonders betont zu werden.
9 Carsten Gennerich (wie Anm. 4), 248.
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Umgekehrt finden Aussagen, die einer Fürsorge Gottes distanzierter gegenüber stehen, besonders im Bereich unten/links Zustimmung, in dem Jugendliche eher konfliktreiche Beziehungen erlebt haben. Auffällig leer ist jedoch der Feldbereich oben/links. Das bedeutet, dass für diese Jugendliche der Zugriff auf die religionspädagogische Literatur keine Deutungsoptionen ergeben hat, der für sie attraktiv wäre. Es geht daher darum, mit weiteren Datenanalysen das Bild zu erweitern. Jörns befragte in seiner Studie zu den Glaubensvorstellungen der Deutschen auch einige Schulklassen nach ihrem Verständnis der Vorsehung Gottes10. Werthaltige Items in der Studie erlauben eine Rekonstruktion der beiden Wertedimensionen, die mit den vorsehungstheologischen Einstellungen korreliert werden können. Es ergibt sich folgendes Befundmuster zu den Vorstellungen vom Handeln Gottes.
Abb. 3: Deutungen des Handelns Gottes in Korrelation mit den Wertedimensionen; JörnsSchülerstichprobe (17–19jährige; N = 278)
10 Klaus-Peter Jörns, Die neuen Gesichter Gottes. Was die Menschen wirklich glauben, München 1997.
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Abbildung 311 zeigt, dass im Bereich unten/links der Vorsehungsglaube am ehesten abgelehnt wird (»Gott kann nichts«). Im Bereich oben/rechts finden wiederum eher komplexere Vorstellungsmuster Zustimmung, die die Erfahrung von Gottes Fürsorge näher qualifizieren und an Bedingungen knüpfen. Im Bereich unten/rechts dagegen wird Gottes Allmacht betont (»Gott kann alles«), wohingegen oben/links Gottes Handeln in der Immanenz des menschlichen Handelns erkannt wird. Auch dieser Befund fügt sich der Situationslogik. Unter den Bedingungen hoher Ressourcen ist Gottes Eingreifen in die Welt weniger relevant, und eine rationale Erklärung von Gottes Handeln wird bevorzugt. Und erneut zeigt sich auf der Diagonale oben/rechts vs. unten/links eine Tendenz zur Expression vorhergehender Beziehungserfahrungen in den Vorsehungsvorstellungen der Jugendlichen. Eine weitere Analyse in Abbildung 412 zeigt in einer Stichprobe von jugendlichen GottesdienstbesucherInnen von Huber Präferenzen für weitere Vorsehungsvorstellungen13. Die meisten Vorstellungen platzieren sich oben/rechts. Inhaltlich finden wir hier wiederum das Vertrauen in Gottes Plan und verschiedene Aussagen, die Leid nicht aus der Wahrnehmung ausklammern, sondern in eine Beziehung zum Vertrauen auf Gott bringen. Der Befund entspricht also dem bisherigen Muster.
11 Itemauswahl aus Carsten Gennerich (wie Anm. 4), 246. 12 Berechnung übernommen aus Carsten Gennerich (wie Anm. 4), 242. 13 Vgl. Stefan Huber, Spirituelle Räume. Ein Beitrag zur Phänomenologie des religiösen Erlebens und Verhaltens im Alter, in: Ralf Kunz (Hg.), Religiöse Begleitung im Alter, Zürich 2007, 45–71; Stefan Huber, Der Religiositäts-Struktur-Test (R-S-T). Systematik und operationale Konstrukte, in: Wilhelm Gräb / Lars Charbonnier (Hg.), Individualisierung und die pluralen Ausprägungsformen des Religiösen, Münster 2008, 109–143.
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Abb. 4: Leidensdeutungen in Korrelation mit Werten bei 12–29jährigen GottesdienstbesucherInnen in der RST-Normierungs-Stichprobe von Huber (N = 105)
Lediglich das Item »Leid ist eine Strafe Gottes« findet sich in Abbildung 4 im Bereich unten/rechts. Wenn aber sich Leid und Strafe bedingen, dann liegt dem die Annahme zugrunde, dass die Wirklichkeit nach einem Gerechtigkeitsprinzip strukturiert ist, so dass Leid als Folge von moralischen Verfehlungen interpretiert werden muss. Der Vorsehungsgedanke ist hier also mit einer immanent erfahrbaren Gerechtigkeitsidee verbunden, die sich tatsächlich auch in entsprechenden Analysen für den Feldbereich unten/rechts bestätigen lässt14. In der gleichen Stichprobe von Huber in Bad Kreuznach wurden die Befragten auch nach ihren Gebetsinhalten gefragt. Sie geben darüber Aufschluss, wie die Jugendlichen Gottes Handeln in ihrer religiösen Praxis konstruieren.
14 Carsten Gennerich (wie Anm. 4), 232–241.
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Abb. 5: Gebetsinhalte in Korrelation mit den Dimensionen des Wertefeldes in der RSTNormierungs-Stichprobe von Huber (N = 105)
Abbildung 5 zeigt, welche Gebetsinhalte bei den befragten Jugendlichen relativ gesehen dominieren. Korrespondierend zu den bisherigen Befundmustern gehen die Gebetsinhalte unten/links weitgehend von negativen Erfahrungen mit der Realität aus und bringen diese im Gebet klageähnlich zum Ausdruck. Gott wird entsprechend fern und distanziert erfahren. Oben/rechts dagegen werden eher positive Inhalte formuliert (Dank, Lob) und Gebetsanliegen, die mit langen Zeithorizonten einhergehen (Führung, Richtung für das weitere Leben). Zum Teil kommen auch Erfahrungen der Negativität (Not anderer, Orientierungssuche) in Bitten zur Sprache. Die Bitte um Vergebung oben/rechts schließlich erscheint als Variante eines solchen Vertrauens in Gott, demnach Erfahrungen der Vergangenheit das eigene Leben nicht blockierend festlegen und Zukunft neu eröffnet wird. Ebenso ist die Diagonale oben/links vs. unten/rechts aufschlussreich. Unten/rechts wird Gott eine aktive Rolle der Problemlösung zugeschrieben, die eigene Rolle bleibt passiv. Oben/links dagegen wird die eigene Aktivität bei der
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Problemlösung als Basis formuliert und Gott eine unterstützende Rolle zugeschrieben. Die Bitte, dass Gott hilft, mit einer Situation fertig zu werden, findet sich auf dieser Achse mittig und bringt mit der latent vorhandenen Zielperspektive des Akzeptierens sowohl Passivität als auch Aktivität im Sinne kognitiver Anpassung zum Ausdruck. Der Befund entspricht unserer Vermutung, dass Gottes Handeln im Kontext der eigenen Ressourcen konstruiert wird. Je geringer die eigenen Ressourcen, desto stärkeres Gewicht gewinnt Gottes Handeln bei der Problemlösung. Eine abschließende Analyse zeigt weitere Befundmuster zur Erklärung von positiven wie negativen Erfahrungen. In diesem Fall wird ein Datensatz von Schmitt und Kollegen15 reanalysiert.
Abb. 6: Vorstellungen zur Frage der Gerechtigkeit in der Welt in Korrelation mit den Wertedimensionen der GiP-Studie (14–29jährige; N = 402) 15 Manfred Schmitt / Jürgen Maes / Andreas Schmal, Gerechtigkeit als innerdeutsches Problem. Analyse der Messeigenschaften von Messinstrumenten für Einstellungen zu Verteilungsprinzipien, Ungerechtigkeitssensibilität und Glaube an eine gerechte Welt, Forschungsberichte der Arbeitsgruppe »Verantwortung, Gerechtigkeit, Moral«, Nr. 105/1997, www.gerechtigkeitsforschung.de.
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Abbildung 616 zeigt, dass sich ein systematisches Muster bei der Erklärung von Leiderfahrungen nachweisen lässt. Es zeigt sich, dass Jugendliche im Bereich unten/rechts besonders stark an eine gerechte Welt glauben. Dem entspräche dann die Interpretation von Leid als Strafe Gottes, wie wir dies in Abbildung 4 gesehen haben. Bei Jugendlichen oben/rechts ist zweierlei erkennbar. Sie können eine Gerechtigkeit der Welt annehmen, indem sie den Zeithorizont ausdehnen (eines Tages, irgendwann, am Ende), d.h. sie denken Gerechtigkeit ultimativ oder transzendent. Zugleich sind sie daher auch in der Lage, Ungerechtigkeit in der gegenwärtigen Realitätserfahrung wahrzunehmen. Der Befund bestätigt damit wiederum die gleiche Tendenz, die wir in Abbildung 5 gefunden haben. Im Bereich oben/links zeigt ein Ungerechtigkeits-Item sowie die besonders starke Ablehnung der Items unten/rechts durch die Jugendlichen oben/links, dass hier Jugendliche besonders wenig an eine gerechte Welt glauben. Unten/links dagegen erklären Jugendliche die Ereignisse in der Welt mit der Kategorie des Zufalls (dieser Befund zeigt sich in einer Reihe weiterer Analysen17). Zusammenfassend lassen sich systematisch variierende Deutungsmuster in den vier Segmenten des Feldes beobachten. So deuten die Analysen darauf hin, dass im oberen Feldbereich Jugendliche eher auf einen transzendenten Deutungshorizont zurückgreifen. Jugendliche im unteren Feldbereich gehen dagegen eher von einer immanenten Weltkonstruktion aus. Das bedeutet, dass Jugendliche im oberen Bereich eher die Differenz von Glaube und Empirie vertrauend überbrücken können. Ebenso interpretieren Jugendliche im oberen Bereich mit einer größeren Wahrscheinlichkeit die empirische Erfahrung im Deutungshorizont des Wirkens Gottes. Im Kontext von Bewahrungswerten im Vergleich zum Pol »Offenheit für Wandel« wird an einem starken Begriff von Gottes Allmacht festgehalten. Das bedeutet, dass auch im Leid Gottes Fürsorge vertraut wird bzw. dass Gott garantiert, dass das eigene engagierte Handeln immanent belohnt wird. Andersherum führt die Elimination des Allmachtgedankens im Bereich des Pols »Offenheit für Wandel« dazu, dass im Feldbereich unten/links, in dem ein transzendenter Wirklichkeitshorizont nicht gedacht werden kann, aus einer durch Gott garantierten immanenten Gerechtigkeit eine immanente Zufälligkeit wird. Im Feldbereich oben/links, in dem ein transzendenter Deutungshorizont zur Verfügung steht, führt die Zurücknahme der Allmacht Gottes dagegen zur Reduktion des Wirkens Gottes auf den menschlichen Handlungsraum. Fragt man nach einer möglichen Erklärung für diese Zusammenhänge, dann lässt sich mit Rückgriff auf Abbildung 2 für die horizontale Dimension vermuten, dass der Glaube an die Allmacht Gottes in Situationen der Unsicherheit und Lebensbedrohung innere Sicherheit und Trost vermitteln können. Personen, die sich sicher fühlen und weniger bedürfen, gehen daher dazu über, diesen Anspruch zugunsten dessen, was empirisch evident ist, zurückzunehmen. 16 Itemauswahl aus Carsten Gennerich (wie Anm. 4), 158 u. 235. 17 Ebd., 238, 282, 333.
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Mit Rückgriff auf die Erfahrung von Zuwendung und Verlässlichkeit lässt sich sagen, dass diese Erfahrungen eine Grundlage für Vertrauenssetzungen darstellen. Die darin implizite Zeitdimension ermöglicht, entsprechend längere Zeithorizonte auszubilden18. Damit ist dann auch die Fähigkeit gegeben, die Gegenwart zu transzendieren, so dass diese Fähigkeit dann auch auf den religiösen Bereich übertragen werden kann. In einer zweiten Erklärungslinie kann davon ausgegangen werden, dass erst Erfahrungen der Zuwendung ermöglichen, ein stabiles Selbstwertgefühl aufzubauen. Wenn ein solches nicht aufgebaut werden konnte, dann sind Gedanken, die die Gegenwart transzendieren, bedrohlich, weil bei Sinnkonstruktionen auf einer höheren Ebene immer auch Diskrepanzerfahrungen von Realität und Ideal in den Blick kommen19. Zwar könnten religiöse Deutungen wie die der Rechtfertigung des Sünders solche Erfahrungen tragbar machen, jedoch kann bei dem Fehlen entsprechender Gottesbilder schnell ein Teufelskreislauf entstehen, so dass eben transzendierende Kognitionen generell vermieden werden.
4.
Theologische Perspektiven
In einem nächsten Schritt kann nun nach theologischen Perspektiven zur Wahrnehmung der Befundmuster gefragt werden. Die Theologie hat einen zweifachen Nutzen: Erstens können die Einstellungsmuster der Jugendlichen differenzierter wahrgenommen werden und zweitens bieten theologische Entwürfe oder Interpretationen theologischer Kategorien weiterführende Ideen, um vorhandene Einstellungen Jugendlicher entwicklungsförderlich zu erweitern. Die im Folgenden vorgestellten Reflexionen sind dabei nicht als normative Vorgaben zu verstehen, sondern gleichsam als »Trockenübungen« zur Sensibilisierung der Wahrnehmung und als Anregung zur reflexiven Erweiterung der eigenen Denkperspektiven, so dass die Wahrscheinlichkeit steigt, im Unterrichtsgespräch flexibler und individualisierter auf die SchülerInnen eingehen zu können. (1) Beginnen wir mit dem Feldbereich oben/rechts, in dem die Jugendlichen mehr als andere zugleich Vertrauen in Gott und ein starkes Bewusstsein für das Leid ausdrücken. Das Muster entspricht der klassischen paradoxen Struktur des Vorsehungsglaubens, die Paul Tillich so formuliert: »Glaube an eine Vorsehung in der Geschichte ist der Mut, der einen Sinn sieht in scheinbarer Sinnlosigkeit, einen Sieg auch in scheinbarer Niederlage, eine Erfüllung auch in scheinbarer Zerstörung und das Reich Gottes in dem, was das Reich der Dämonen zu sein scheint.«20 18 Ebd., 277–285. 19 Heinz Streib / Carsten Gennerich, Jugend und Religion. Bestandsaufnahmen, Analysen und Fallstudien zur Religiosität Jugendlicher, München 2011, 131–142. 20 Paul Tillich, Sieg in der Niederlage. Der Sinn der Geschichte im Lichte christlicher Prophetie, in: ders., Der Widerstreit von Raum und Zeit. Schriften zur Geschichtsphilosophie, Stuttgart 1963, 126–136, 136.
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Es wird damit anerkannt, dass die transzendente Geborgenheit in der Realität nicht aufgewiesen werden kann. Am Vertrauen in Gottes Fürsorge kann so aber auch unter voller Anerkennung der empirischen Negativität der Situation festgehalten werden. Theologisch wird also der empirischen Unaufweisbarkeit des Vorsehungsglaubens darin Rechnung getragen, dass das Vorsehungsmotiv im Glauben verankert wird. So formuliert bereits Thomas von Aquin, dass nur der Glaube um die Vorsehung weiß (Thomas von Aquin, Summa II-II 1,7). Entsprechend haben auch die orthodoxen lutherischen Dogmatiker den Gebrauch des Vorsehungsmotivs nie zur Welterklärung empfohlen, sondern immer in der vertrauenden Beziehung des Glaubenden zu Gott verortet21. In einer kreuzestheologischen Perspektive kann vertiefend Leiden in der Nachfolge Christi dabei als notwendiger Aspekt des christlichen Glaubens verstanden werden. Leiden stiftet Einheit mit Christus und erweist sich damit als Ort der Gotteserkenntnis und der Nähe Gottes. So erscheinen nicht mehr »Machen, Konsum und Wellness«, sondern Schwachheit und Leid als die Orte, in denen Leben zu finden ist22. Das Negative in der Realität wird damit nicht aus der Wahrnehmung ausgegrenzt, sondern entlastend neu interpretiert, so dass Ressourcen für die wichtigen kleinen Schritte der Bewältigung frei werden23. (2) Jugendliche im Feldbereich unten/rechts dokumentieren eine starke Betonung der Allmacht Gottes. Sie tendieren zur Annahme, dass die Welt gerecht sei und sie die Mächte des Schicksals beeinflussen können. Theologisch anschlussfähig an dieses Einstellungsmuster ist das Modell des riskierenden, aber hilfsbereiten Gottes von John Sanders. Er betont, dass Gott nicht alles festlege, sondern den Menschen Freiheit gewähre (»divine providence in risk taking«), so dass ein wechselseitiges partnerschaftliches Verhältnis ermöglicht wird. So wünsche sich Gott, dass sich der Mensch an ihn wende und Einfluss auf die Entfaltung seiner zurückgehaltenen Allmacht nehme. Er geht sogar so weit, dass er annimmt, dass Gott Dinge nicht für uns tun kann, die er gerne täte, wenn wir nicht darum bitten24. Das Modell von Sanders geht damit bewusst von Gott als einem personalen Gegenüber aus und ermutigt Vorstellungen einer realitätsverändernden Wirksamkeit von Bittgebeten, mit denen der Beter eine erweiterte Kontrolle über seine Situation gewinnt. Negative Welterfahrungen müssen also nicht direkt dem Willen Gottes zugeschrieben werden, sondern erscheinen als korrigierbare Variationsmomente der Freiheit, die Gott der Welt gewährt. Die im Tun-
21 Carl Heinz Ratschow, Lutherische Dogmatik zwischen Reformation und Aufklärung, Teil 2, Gütersloh 1966. 22 Michael Plathow, Die Mannigfaltigkeit der Wege Gottes. Zu Dietrich Bonhoeffers kreuzestheologischer Vorsehungslehre. Kerygma und Dogma, 26. Jg. 1980, 109–127; Michael Plathow, Wirklichkeit – erschlossen im Kreuz. Martin Luthers Kreuzestheologie im heutigen Kontext, Kerygma und Dogma, 47. Jg. 2001, 180–202. 23 Carsten Gennerich (wie Anm. 4), 226–227. 24 John Sanders, The God who risks. A theology of providence, Downers Grove 1998, 11.
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Ergehen-Zusammenhang implizite subjektive Kontrolle ist also auch über die Idee eines verhandlungsbereiten, gesprächsoffenen Gottes denkbar, ohne die problematischen Folgewirkungen einer einfachen Tun-Ergehen-Annahme zu übernehmen (Sündenbocksuche, Ausgrenzung des Negativen aus der Wahrnehmung). Die Diskrepanz zwischen Realität und Glaube kann dabei durch Verhandlungen mit einem Gegenüber bearbeitet werden und stärkt damit die Erfahrung der eigenen Handlungsmöglichkeiten. (3) Jugendliche im Feldbereich unten/links interpretieren das eigene Ergehen mit der Kategorie des Zufalls, sind kritisch gegenüber Aussagen von der Allmacht Gottes und drücken frustrierende Erfahrungen expressiv aus. Theologisch ist die Kategorie des Zufalls weniger anschlussfähig, denn dieser steht dem Schicksal des Einzelnen gleichgültig gegenüber. Anders als beim klassischen Vorsehungsglauben wird also keine Differenz zwischen dem erfahrenen Schicksal und Gottes Willen konstruiert, sondern die verwendete Deutungskategorie soll lediglich die immanente Welterfahrung repräsentieren25. Die Kategorie des Zufalls geht also weitgehend in der aktuellen Erfahrung auf. Dadurch werden weiterführende Lebensperspektiven zugunsten einer widerspruchsfreien Wirklichkeitswahrnehmung ausgespart. Weiterführend und zugleich anschlussfähig an dominierend negative Erfahrungen erweist sich jedoch die Theologie des Klagegebets. Nach Gerhard Sauter hält die Klage den Widerspruch aus zwischen dem, was von Gott aufgrund seiner Verheißung erwartet werden darf und dem, was einem widerfährt26. In der Klage werde so weder das Gottesbild der erfahrenen Realität angepasst noch die Erfahrung beschönigt. Auch Edgar J. Korherr betont, dass die Klage ermöglicht, die eigene Situation ganz vor Gott zu bringen. Es sei daher eine Fehlinterpretation von (An-)Klagen und Fragen gegenüber Gott, wenn sie als mangelndes Gottvertrauen stigmatisiert werden. Vielmehr könne in ihnen eine Form des »Sich-einenWeg-zu-Gott-Bahnens« gesehen werden27. Die Klage bildet damit ebenfalls die paradoxe Struktur des Vorsehungsglaubens ab, jedoch ohne die Erwartung des Gottvertrauens ungebrochen zuzumuten. (4) Jugendliche oben/links zeigen eine Tendenz, Gottes Wirken rational und weltimmanent zu erklären. Auf dieser Linie liegen auch neuere Modelle zur Vorsehungslehre, die bewusst von einem erfahrbaren Handeln Gottes sprechen. Dabei wird Gottes fürsorgliches Handeln im Modus des Heiligen Geistes interpretiert. Erfahrungen der Lenkung, Behütung und Heilung werden bei Dietrich
25 Vgl. Jürgen Werbick, Glaube im Kontext. Prolegomena und Skizzen zu einer elementaren Theologie, Zürich 1983, 192–193. 26 Gerhard Sauter, Das Gebet als Wurzel des Redens von Gott, in: Glauben und Lernen, 1. Jg. 1986, 21–38, 23. 27 Edgar Josef Korherr, Beten lehren, beten lernen: Grundkurs der Gebetspädagogik, Graz 1991, 215.
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Ritschl so als Gottes Geistwirken erklärt, um Erfahrungen der Zerstörung, Krankheit und Verlassenheit nicht Gott zuschreiben zu müssen28. Gottes Handeln im Geist wird dann auf die Hinführung zu rational vertretbaren Leidensdeutungen bezogen. Auch Christian Link und Reinhold Bernhardt konzipieren Gottes Handeln pneumatologisch, um einlinige Kausalmodelle von der Wirksamkeit Gottes zu vermeiden. Sie verlagern Gottes Handeln in die Erfahrung lebensförderlicher Deutungen, die vergangene Ereignisse neu organisieren oder Zukunft erschließen29. Das Sprechen von Gottes Handeln wird also zurückgenommen mit der Folge, dass nicht mehr paradox ein Sinn im scheinbar Sinnlosen behauptet werden muss. Mit den genannten theologischen Interpretationen kann also ein Imaginationsraum für Jugendliche oben/links bereit gestellt werden, der rationale Einsprüche befriedigt und daher eine neue Perspektive auf die Orientierungsfunktion religiöser Symbole ermöglichen kann. Zusammengefasst zeigt sich, dass die unterschiedlichen Deutungsmuster der Jugendlichen so auf theologische Interpretationen des Handeln Gottes bezogen werden können, dass einerseits vorhandene Denkstrukturen der Jugendlichen aufgenommen werden, andererseits aber auch diese Strukturen konstruktiv erweitert werden. Ich nehme an, dass mit einer solchen Elaboration vorhandener Strukturen die Wahrscheinlichkeit steigt, dass Jugendliche lebensdienliche Deutungen ihrer Situation finden.
5.
Didaktische Perspektiven
Wir haben in drei Schritten zunächst typische Einstellungsmuster Jugendlicher identifiziert, dann strukturähnliche theologische Entwürfe identifiziert und schließlich reflektiert, inwiefern deren Deutungsperspektiven entwicklungsförderliche Impulse geben können. Im Unterrichtskontext können die gewonnen Einsichten vor allem auf zweierlei Weise relevant werden. 1. In einer Kombination aus gesteigerter empirischer Wahrnehmungsfähigkeit und Kenntnis theologischer Deutungsfiguren können Unterrichtsgespräche entwicklungsförderlicher für die SchülerInnen geführt werden. In fast jedem Unterricht ereignen sich Unterrichtsgespräche; in diesen Gesprächen dokumentieren sich die Deutungsmuster der Jugendlichen. Daran könnten Lehrerinnen und Lehrer anknüpfen und diese Deutungsmuster im Anschluss an die theologische Diskussion anerkennend elaborieren wie reflexionsstimulierend variieren,
28 Dietrich Ritschl, Sinn und Grenzen der theologischen Kategorie der Vorsehung, in: Zeitschrift für dialektische Theologie, 10. Jg. 1994, Heft 2, 117–133. 29 Christian Link, Die Krise des Vorsehungsglaubens. Providenz jenseits des Fatalismus, in: Evangelische Theologie, 65. Jg. 2005, Heft 6, 413–428; Reinhold Bernhardt, Was heißt ›Handeln Gottes‹? Eine Rekonstruktion der Lehre von der Vorsehung, Gütersloh 1999.
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so dass die SchülerInnen einen diskursiven Zugang zur christlichen Tradition gewinnen. 2. Zudem sehe ich eine Stärke des Modells in der Unterrichtsplanung. Denn Unterrichtsentwürfe können vorab daraufhin reflektiert werden, ob sie den SchülerInnen wie der Sache gerecht werden. An einem Beispiel möchte ich diesen Aspekt illustrieren. Stephanie Schäfers entwickelte einen Unterrichtsentwurf zum Thema »Heiliger Geist«, in dem sie dem Geist Gottes zuschreibt, dass er Haltungen und Einstellungen lebensdienlich ändern kann30. Sie schlägt ein Rollenspiel vor, in dem u.a. die folgenden Rollen vorgegeben werden: Uschi, 22: »[…] Nach einer kürzlich gescheiterten Beziehung fühlt sie sich sehr einsam und ›von aller Welt verlassen‹. Ihr erscheinen alle Menschen nur egoistisch und ›kalt‹, ohne menschliche ›Wärme‹. Auch in der Kirche, findet sie, kann man so eine ›Wärme‹ eigentlich nicht sehen – Gemeinde, so etwas gibt es doch höchstens noch in ganz kleinen Dörfern.« Angi, 18: »aktive, reaktionäre Greenpeace-Kämpferin […] glaubt, die Umweltverschmutzung sei – wenn überhaupt – nur mit Gewalt aufzuhalten, aber nicht mit Reden und Beten.« Ludwig, 74: » […] empfindet das Alter als besonders belastend, da es ihm durch seine Krankheiten nicht mehr so recht lebenswert erscheint. […] der liebe Gott […] scheint aber nur bei den Gesunden und Glücklichen zu sein.« Manni, 47: »versteht gar nicht, warum sich alle so aufregen. Für ihn hat das Leben zwar ›Hochs und Tiefs‹, aber im Großen und Ganzen sieht er alles ganz positiv. […] mit den meisten Menschen versteht er sich ganz gut, auch in seiner Gemeinde, die er mehr oder weniger regelmäßig im Sonntagsgottesdienst sieht.«31
Für das Rollenspiel erwartet Schäfers, dass in dessen Verlauf nach einer optischen Visualisierung des Heiligen Geistes als Taube die Positionen dynamisch angestoßen weitergespielt werden, so dass der Heilige Geist in neuen Deutungen erfahrbar wird. Der Logik nach sind wir hier bei einem Verständnis des Heiligen Geistes in der Linie des skizzierten pneumatologisch-rationalen Modells, jedoch bleiben die Rollenvorlagen und mögliche Einstellungswechsel im Laufe des Rollenspiels unreflektiert. Nimmt man die Rollen wahr, dann zeigen Uschi und Ludwig eine Distanz zur Vorstellung einer Nähe Gottes im Leid (von »Gott« und der »Welt« verlassen). Gott ist in dem, was sie als Unrecht und belastend erfahren, kein relevanter Akteur. Ihre Muster könnten daher unten/links verortet werden. Angi und Manni dagegen lassen sich als Muster-Varianten des Feldbereichs unten/rechts ver-
30 Stephanie Schäfers, Das Wirken des Heiligen Geistes ist ›up-to-date‹, 2008. Online: http://www.lehrer-online.de/heiliger-geist.php (20.05.2008). 31 Ebd.
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stehen. Manni geht ungebrochen von einer gerechten, sich in einer guten Ordnung befindenden Welt aus, die ihm Kontrolle vermittelt. Angi erlebt die Welt als gestört, zielt aber auf eine gewaltsame Wiederherstellung der guten Ordnung und belegt damit die subjektive Notwendigkeit einer solchen guten Ordnung für ihre Weltkonstruktion. Die Rollen könnten also besonders SchülerInnen in den unteren Feldbereichen ansprechen. Es stellt sich jedoch die Frage, wie neue Deutungsperspektiven für diese Schülergruppen erschlossen werden könnten. Vor dem Hintergrund unserer theologischen Perspektiven wäre die Möglichkeit zu reflektieren, dass die Jugendlichen einen schlichten Wechsel in die von Schäfers angestrebten »konstruktiven Deutungen« als oberflächlich empfinden könnten. Die Klage gegenüber Gott als Perspektive und religiöse Möglichkeit für Jugendliche im Bereich unten/links rückt so wahrscheinlich nicht von alleine ins Blickfeld. Auch ist nicht klar, in welche Richtung die Einstellungen erweitert werden können. Erst eine Reflexion theologischer Perspektiven im Voraus bietet die Gewähr, dass auch gezielt Ideen im Unterricht ergänzt werden können, die die SchülerInnen nicht von sich aus produzieren können. So steht eine theologia crucis, die SchülerInnen eher weniger bekannt ist, dem Einstellungsmuster von Manni kritisch gegenüber, indem sie der Perspektive »alles ist positiv« entgegenhält: »wenn alles gut wäre, dann wäre Christus umsonst gestorben« bzw. »zum christlichen Glauben gehört auch die Wahrnehmungsfähigkeit für das, was nicht gut ist«. Im Fall von Uschi könnte eine Verlagerung ihrer Heilserinnerung eine Perspektive bieten. Denn interessanter Weise hält Uschi an einer Heilsvorstellung fest, die sie jedoch – für sie unerreichbar – in »ganz kleine Dörfer« verschiebt. Mit einer denkbaren Verlagerung ihrer Heilserinnerung in »Gottes Hände« könnte ihr Vorstellungshorizont möglicherweise nach oben/rechts ausgeweitet werden. Die Weltwahrnehmung Uschis könnte damit gegenläufig zu ihrem Pessimismus stärker auf das Mögliche gelenkt werden. Im Fall von Ludwig zeigt sich, dass er das Spannungsverhältnis von Gottes Verheißung und Realität eliminiert (der »liebe« Gott kann nur bei den »Glücklichen« sein). Mit dem Angebot einer Theologie des Klagegebets könnte demgegenüber eine solche Differenz (wieder) eingeführt werden, ohne seine belastenden Erfahrungen zu verharmlosen. Schließlich ginge es bei Angi darum, dass ihre Vorstellung der Notwendigkeit eigenen Handelns aufgenommen, zugleich jedoch ihre pessimistisch-radikale Handlungskonstruktion erweitert wird. Ein pneumatologisches Verständnis vom Handeln Gottes, das Gottes Wirken im menschlichen Tun erkennt und zugleich Aktionen für die Umwelt ins Recht setzt (»Bewahrung der Schöpfung«), könnte den radikalisierenden Handlungsdruck von Angi entlasten und so die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass sie den Sinn kleiner Schritte zur Förderung des Umweltbewusstseins würdigen kann. Zusammengenommen ermöglichen die Analyseergebnisse damit eine Art hermeneutisches Training, so dass die Wahrscheinlichkeit steigt, im Unterrichtsgespräch entwicklungsförderliche Deutungsperspektiven individuell differenziert einzubringen. Die Befunde bieten zusätzliche Informationen über mögliche
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Carsten Gennerich
Erfahrungshintergründe bei den Weltkonstruktionen der Jugendlichen und erleichtern die Entdeckung theologischer Tiefenbezüge scheinbar belangloser Schüleräußerungen. All das setzt allerdings voraus, sich sowohl mit gängigen Deutungsmustern bei Jugendlichen als auch theologischen Interpretationsoptionen zu beschäftigen. Denn dann können mit einer Pluralität von Theologien auch angesichts heterogener Schülergruppen für alle SchülerInnen religiöse Bildungsangebote bereitgestellt werden.
Annike Reiß
Wen wundert’s? – Theologische Gespräche mit Jugendlichen zum Thema »Wunder«
»Die neutestamentlichen Wundergeschichten bieten den Schülern die Möglichkeit, zu eigenen religiösen Fragen zu kommen.«, so äußert sich eine Kasseler Theologiestudentin. Das Zitat sowie die Überschrift deuten an, worum es in diesem Beitrag geht: Im Fokus stehen das Theologisieren mit Jugendlichen1 sowie ein ganz bestimmter Gesprächsinhalt, nämlich die Wunderthematik. In mehreren Schritten möchte ich der Frage nachgehen, welchen Ertrag das Thema »Wunder«2 für das Theologisieren mit Jugendlichen zu bringen vermag. Grundlage dieser Überlegungen sind Erfahrungen und Beobachtungen aus der Kasseler Forschungswerkstatt zu Theologischen Gesprächen (an der auch die oben zitierte Studentin teilgenommen hat).
1.
Forschungswerkstatt »Theologische Gespräche mit Jugendlichen«
Um diese Erfahrungen und Beobachtungen in angemessener Weise einordnen zu können, gilt es zunächst, wesentliche Merkmale der Forschungswerkstatt3 zur Kenntnis zu nehmen. 1) Es handelt sich um ein universitäres Seminarkonzept, das Studierende aktiv in den Kompetenzerwerb des Theologisierens sowie in die fachdidaktische Unterrichtsforschung einbezieht. 2) Von zentraler Bedeutung sind die Unterrichtsversuche der Studierenden, die mit Unterstützung der Dozentin geplant, durchgeführt und detailliert reflektiert 1 Die Begriffe »Theologisieren« und »Theologische Gespräche« werden in diesem Beitrag synonym verwendet. 2 Dieser Themenbereich ist komplex; er umfasst auch, aber nicht nur, die biblischen Wundergeschichten. Im Fortgang dieses Beitrags werden an entsprechender Stelle begriffliche Klärungen erfolgen. 3 Das Konzept der Kasseler Forschungswerkstatt ist bereits an anderer Stelle detailliert beschrieben worden. Vgl. beispielsweise Petra Freudenberger-Lötz / Annike Reiß, Theologische Gespräche mit Jugendlichen, in: KatBl 2/2009, 97ff oder auch Annike Reiß, Wunder – fragwürdige Geschichten?, in: Gerhard Büttner u.a. (Hg.), Lernen mit der Bibel (Jahrbuch für konstruktivistische Religionsdidaktik, Bd.1), Hannover 2010, 125–139.
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Annike Reiß
werden. Das Theologische Gespräch steht im Zentrum dieser Unterrichtsstunden. 3) Fachdidaktische Fragestellungen werden im Seminar ausgearbeitet und mit Hilfe der im Unterricht erhobenen Daten einer (vorläufigen) Antwort zugeführt. In diese Forschungstätigkeit werden die Studierenden ihren Voraussetzungen und Fähigkeiten nach eingebunden. 4) Das Konzept der Kasseler Forschungswerkstatt erlaubt unterschiedliche Realisierungen – je nach Dozentin, Studierendengruppe und kooperierender Schule werden thematische und organisatorische Schwerpunkte ausgewählt. Das zuletzt genannte Merkmal erfordert eine detailliertere Beschreibung des Werkstattkonzepts, auf das sich dieser Beitrag bezieht: a) Das fachdidaktische Interesse richtete sich auf die Wunderthematik, insbesondere auf die Rezeption neutestamentlicher Wundergeschichten4. b) Die teilnehmenden Studierenden haben Schüler5 des achten Jahrgangs6 an einer Kasseler Gesamtschule unterrichtet. Die Lerngruppen waren entsprechend heterogen hinsichtlich ihrer Leistung, ihrer Begabung sowie ihrer Religiosität. c) Der Unterricht fand in kleinen Gruppen statt, d.h. je zwei Studierende haben fünf bis sieben Jugendliche unterrichtet. d) Die Unterrichtsversuche wurden mit einem Tonbandgerät aufgezeichnet, anschließend transkribiert und im Blick auf nachfolgende Unterrichtsstunden ausgewertet. e) Im Zentrum der Auswertung standen zum einen Fragen hinsichtlich des Kompetenzerwerbs im Führen Theologischer Gespräche und zum anderen fachdidaktische Überlegungen (vgl. a)). Diese Werkstattidee wurde über einen Zeitraum von insgesamt drei Semestern realisiert; die Studierenden- und Schülergruppen waren also wechselnde. Grund-
4 Mit Stefan Alkier kann die grundsätzliche Frage gestellt werden, welche biblischen Ereignisse überhaupt als Wunder zu bezeichnen sind (vgl. Stefan Alkier, Wen wundert was? Einblicke in die Wunderauslegung von der Aufklärung bis zur Gegenwart, in: ZNT 7/2001, 2–15). In der Forschungswerkstatt haben wir jedoch diese fachwissenschaftlich sehr anspruchsvolle Diskussion zunächst zurückgestellt. Stattdessen diente das einschlägige formgeschichtliche Modell von Gerd Theißen zur Orientierung (vgl. Gerd Theißen, Urchristliche Wundergeschichten. Ein Beitrag zur formgeschichtlichen Erforschung der synoptischen Evangelien, Gütersloh 1974). 5 Die Wahl des Plurals schließt stets beide Geschlechter mit ein. 6 Folglich kann die grundlegende Fragestellung dieses Beitrags präzisiert werden: Welchen Ertrag vermag das Thema »Wunder« für das Theologisieren mit Jugendlichen im Pubertätsalter zu bringen?
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legend für den vorliegenden Beitrag sind damit die Beobachtungen und Erfahrungen eines breiten Spektrums an Unterrichtsversuchen.
2.
Zugänge zur Wunderthematik
Unterrichtsprozesse lassen sich in elementarer Weise mit Hilfe des sogenannten Didaktischen Dreiecks beschreiben; es ist also nach der Wechselbeziehung von Lehrkraft, Schüler und Unterrichtsthema zu fragen.
Beginnen wir mit einem Blick auf die Beziehung von Lehrkraft und Thema: Welchen Zugang haben (potenzielle) Lehrpersonen zur Wunderthematik? Dazu habe ich eine kleine Umfrage mit einer Gruppe von ca. 30 Religionslehrern aller Ausbildungsphasen durchgeführt7. Auch wenn diese Erhebung keine Repräsentativität beanspruchen kann, so ist sie dennoch aussagekräftig – zumal sich die Ergebnisse mit meinen Beobachtungen aus anderen Kontexten decken8. Welches Bild ergibt nun die Umfrage? – Spontan erinnert werden insgesamt 19 Bibeltexte, in denen von wunderhaften Ereignissen berichtet wird. Die meist genannte Wundererzählung ist die johanneische Perikope »Die Hochzeit zu Kana«, gefolgt von den Speisungswundern auf dem zweiten Platz. An dritter Stelle stehen Jesu Seewandel sowie die Heilung des blinden Bartimäus. – Ein Großteil der Befragten ist im schulischen Kontext, d.h. im Religionsunterricht mit biblischen Wundergeschichten in Kontakt gekommen. An zweiter Stelle werden die Kinderkirche bzw. der -gottesdienst genannt, den dritten Platz belegt das Studium als Ort der Begegnung mit Wundererzählungen. – Die Überlegungen, welche Reaktionen die Wundergeschichten in den Befragten auslösen, decken ein breites Spektrum ab. Dabei bewegen sich die Antworten zwischen zwei Polen. Auf der einen Seite stehen der Glaube an, die
7 Diese Umfrage fand im Rahmen der Seminarreihe statt, die dieser Sammelveröffentlichung zu Grunde liegt. 8 Die Forschungswerkstatt gewährt einen Einblick in das Denken von Studierenden der Theologie, und Fortbildungsveranstaltungen schaffen einen Zugang zu bereits praktizierenden Lehrkräften.
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Hoffnung auf und das Vertrauen in Gottes Wirkmacht. Dem gegenüber stehen Zweifel und kritische Anfragen bzgl. der Historizität der wunderhaften Ereignisse. – Interessant erscheint der Umstand, dass die Frage nach dem emotionalen Zugang zu den Wundererzählungen relativ häufig unbeantwortet bleibt. Wenn sich aber die Befragten hierzu äußern, dann geschieht das ausgesprochen positiv. Lediglich in zwei Stellungnahmen wird auf die Schwierigkeit verwiesen, einen emotionalen Zugang zu den Wundererzählungen zu finden. Begründet wird dies mit rationalistischen Anfragen und Zweifeln. – Alle Befragten stellen einen Wandel ihres Zugangs zu den biblischen Wundergeschichten in ihrem bisherigen Lebenslauf fest. Entscheidende Änderungen werden insbesondere im Übergang vom Kindes- zum Jugendalter angegeben. Als Kind, so schreiben die Befragten, haben sie die Wundererzählungen gemocht und nicht hinterfragt. Mit der im Jugendalter aufkommenden Wahrheitssuche gingen dann kritische Anfragen, Skepsis und bisweilen auch Ablehnung angesichts der Wundergeschichten einher. Als weitere Lebenssituation, in der sich der Zugang zur Wunderthematik verändert hat, nennen einige der Befragten das Theologiestudium. Demnach hat die historisch-kritische Betrachtung der biblischen Perikopen zu einem differenzierteren Blick auf die Wundererzählungen geführt, d.h. mit der kritischen Anfrage an den historischen Gehalt der biblischen Wunder ist für einen Großteil der Befragten der Symbolgehalt und die damit verbundene Botschaft der Wundererzählungen in den Fokus gerückt. Ob den Geschichten nun aber eine persönliche Relevanz zugeschrieben wird, hängt offensichtlich von anderen Faktoren – insbesondere von den persönlichen Glaubensvorstellungen und -erfahrungen – ab. Auf die Bedeutung des Zugangs (angehender) Lehrkräfte zur Wunderthematik komme ich später zurück. Zunächst aber gilt es, nach der Beziehung von Schüler und Thema zu fragen. Die Arbeit in der Forschungswerkstatt hat hierzu eine Vielfalt an Erfahrungen und Beobachtungen hervorgebracht, die sich zu drei zentralen Aspekten zusammenfassen lassen: (1) Sowohl in kognitiver als auch in emotionaler Hinsicht deckt der Zugang zur Wunderthematik ein breites Spektrum ab. Fragt man die Jugendlichen nach ihnen bekannten Wundererzählungen, so nennen sie vor allem einzelne Heilungsgeschichten. Oftmals findet sich auch Jesu Auferstehung unter den genannten Wundererzählungen. Darüber hinaus fallen den Schülern alttestamentliche Geschichten, insbesondere aus dem 2. Buch Mose, ein. Die Arbeit mit biblischen Wundererzählungen im Rahmen der Forschungswerkstatt hat gezeigt, dass sich die Jugendlichen in ihrem hermeneutischen Zugang zwischen zwei Polen bewegen. Auf der einen Seite werden die Geschichten als historische Tatsachenberichte aufgefasst. Fehlende Beweise lassen die Jugendlichen an der Historizität zweifeln, und aus diesen Zweifeln resultieren
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eine ablehnende Haltung oder aber der Versuch, rationalistische Erklärungen für die Wundergeschichten zu finden. So stellt ein Schüler im Blick auf die neutestamentlichen Heilungswunder fest: »Ich meine oder denke, dass dahinter immer noch Medikamente stecken.«9
Auf der anderen Seite steht ein kerygmatischer Zugang, d.h. diese Jugendlichen richten ihren Fokus auf die mögliche Botschaft der Erzählungen10. Dazu zählen das Spenden von Hoffnung, die Aufforderung zu ethischem Verhalten gemäß dem Vorbild Jesu sowie die Hilfe zum Glauben. Beispielhaft verdeutlicht sei diese Beobachtung in dem folgenden Zitat einer Schülerin: »Ich denke, es ist dazu da, dass man sich ein Vorbild an Jesus nehmen soll und auch (selbst) etwas kleinere Wunder vollbringen kann.«
Es scheint konsequent zu sein, dass der hermeneutische Zugang zu den neutestamentlichen Wundererzählungen eng mit dem Jesusbild der Jugendlichen zusammenhängt. Auch hier stehen sich die Frage nach der Historizität und die nach dem Kerygma gegenüber. In der Diskussion dieser Polarität stellen die Schüler fest, dass sich das Wunderwirken Jesu auch rationalistisch erklären lässt. Dabei entgeht den Jugendlichen aber nicht die damit verbundene Konsequenz: Ohne seine Wundertaten ist Jesus letztlich als ein normaler Mensch anzusehen. Ein Schüler bemerkt: »Ohne seine Kräfte ist Jesus ganz einfach normal. Jesus ist ja der Sohn Gottes, weil er diese bestimmten Fähigkeiten angeblich hatte.«
Wie aber werden die Wundergeschichten von den Schülern emotional bewertet? Auch hier bewegen sich die in der Forschungswerkstatt wahrnehmbaren Einschätzungen zwischen zwei Möglichkeiten: Im Rahmen einer tendenziell negativen Wertung werden die Erzählungen als unwichtig oder langweilig eingestuft. Zum Teil ist damit auch der Unwille verbunden, eine Botschaft der Erzählungen überhaupt zu suchen. Alternativ zu einer ablehnenden Haltung bewerten einige Schüler die Wundergeschichten durchaus positiv. Sie schätzen sie als wichtige und spannende Erzählungen. So lautet das positive Fazit einer Schülerin: »Wundergeschichten passieren nicht oft. Und wenn Wundergeschichten passieren, dann lohnt sich das.«
Die Beobachtungen in der Forschungswerkstatt haben insgesamt gezeigt, dass die Jugendlichen ihre Bewertung der biblischen Wunder auf der Grundlage einer naturwissenschaftlich geprägten Denkweise vornehmen. Die Schüler fragen also nach der Logik und dem empirischen Gehalt der Erzählungen. Um es mit den
9 Dieses sowie nachfolgende Zitate sind O-Töne von Schülerinnen und Schülern, die im Kontext der Forschungswerkstatt unterrichtet wurden. Die Äußerungen können mündlich oder schriftlich getroffen worden sein; der Wortlaut ist unverändert, Rechtschreibfehler habe ich ggfs. korrigiert. 10 Eine kerygmatische Lesart der Wundererzählungen haben vor allem Mädchen gewählt.
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Worten der Jugendlichen auszudrücken: Ihr Bewertungsmaßstab ist der »logische Menschenverstand«. Ein Unterrichtsgegenstand wie die Wunderthematik muss sich also dieser Anforderung stellen. (2) Es ist bereits in einer Reihe von religionspädagogischen Veröffentlichungen nachzulesen: Identifikationsstiftende und die eigene Kreativität anregende Methoden eignen sich für die Arbeit mit biblischen (Wunder-)Geschichten in besonderem Maße11. Diese Einsicht lässt sich durch die Erfahrungen in der Forschungswerkstatt stützen. Die Unterrichtsversuche boten den Studierenden ausreichend Gelegenheit, eine Vielzahl an Methoden einzusetzen und den Einsatz mit den Schülern zu reflektieren. Dabei hat sich gezeigt, dass die Umsetzung einer Wundererzählung in einem Standbild, Rollenspiel oder Theaterstück zur intensiven Auseinandersetzung mit den Handlungsträgern sowie -orten veranlasst12. So wird den Jugendlichen ein Zugang zu den Wundergeschichten ermöglicht, der die Frage nach ihrem historischen Gehalt zunächst einmal ausblendet oder zumindest in den Hintergrund treten lässt. Anstelle dessen sehen sich die Schüler vor die Aufgabe gestellt, Leerstellen der biblischen Texte zu füllen sowie Verknüpfungen mit der eigenen Lebenswelt herzustellen. Ohne die vordergründige Frage nach der Historizität der biblischen Geschichte fällt es den Heranwachsenden offenbar leichter, dem wunderhaften Ereignis einen Sinn zuzusprechen. Der Einsatz von identifikationsstiftenden und Kreativität anregenden Methoden in der Arbeit mit biblischen Wundergeschichten scheint also in mehrfacher Hinsicht ertragreich zu sein. In Gesprächsrunden, die sich an die beschriebenen Arbeitsphasen anschlossen, wurde jedoch deutlich, dass die unter (1) beschriebene Herausforderung nach wie vor bestand. Es war den Jugendlichen nicht möglich, ihre Erfahrungen aus der persönlich geleisteten Identifikationsarbeit mit den eigenen Denkvoraussetzungen (vgl. (1)) zu vereinbaren. Anders ausgedrückt: Der neu gewonnene emotionale Zugang zu den Wundererzählungen wurde von dem dominierenden Anspruch an Empirie und Logik verdrängt. Die biblischen Wunder stellten also nach wie vor ein logisches Denkproblem für die Schüler dar. (3) Die Auswertung der von den Studierenden angefertigten Unterrichtsmitschnitte zeigt, dass die Schüler zwei Positionen unterscheiden. Auf der einen Seite gibt es eine »supranaturalistische« Sichtweise auf die Wundererzählungen. Dahinter steht die Überzeugung, dass Gott über die Naturgesetze hinweg in und an der Welt zu handeln vermag. Eine derartige Vorstellung klassifizieren die
11 Vgl. z.B. Gerhard Büttner, Hoffnungs-Bilder. Geschichten von Jesus-Wundern in der Sekundarstufe I, in: Religion heute 1994, 90–92 oder Rudolf Englert, »Das kann nicht wahr sein!« Wundergeschichten, in: Ulrike Baumann u.a. (Hg.), Religionsdidaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II, Berlin 2005, 183–198. 12 Vgl. Annike Reiß, Vierzehnjährige begegnen der Heilung des Gelähmten, in: Das Wort. Evangelische Beiträge zu Bildung und Unterricht 4/2009, 19–23 sowie dies. (wie Anm. 3).
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Jugendlichen als typisches Merkmal von Religion bzw. einer damit verbundenen Glaubenshaltung. Dem steht aus Sicht der Schüler ein »rationalistisches« Erklärungsmodell der Wundergeschichten gegenüber. Demnach sind (die biblischen) Wunder13 in Einklang mit der empirisch verifizierbaren Naturordnung zu bringen, denn nur das ist möglich und als wahr anzusehen, was wissenschaftlichen Kriterien wie Logik und Empirie (vgl. (1)) entspricht. Diesen rationalistischen Blick auf die Wundergeschichten werten die Jugendlichen als vernunftgemäß und damit als typisch für die Naturwissenschaften. Beide Positionen – die supranaturalistische wie auch die rationalistische – haben also in den Überlegungen der Schüler ihren Platz. Diesen Sachverhalt thematisierten die Studierenden im Gespräch mit den Jugendlichen14. Dabei wurde deutlich, dass die Schüler die Notwendigkeit empfinden, sich zwischen den Positionen zu entscheiden. Die Sichtweisen von Religion und Naturwissenschaft werden von den Heranwachsenden als unvereinbar angesehen. In den Worten eines Schülers ausgedrückt: »Ich dachte halt immer, es gibt halt zwei Seiten, einmal die wissenschaftliche und einmal die religiöse. Die Wissenschaft sagt, das waren halt Tatsachen oder es war überhaupt nicht da. Die religiöse sagt, Gott war das.«
3.
Die Wunderthematik im Theologischen Gespräch
Zunächst einmal ist zu fragen, was eigentlich unter einem theologischen Gespräch mit Jugendlichen zu verstehen ist. In der Vorbereitung und Durchführung der Forschungswerkstatt15 habe ich gemeinsam mit den beteiligten Studierenden nach Kriterien gesucht, mit deren Hilfe wir diese Frage beantworten können. Bei unserer Suche mussten wir zunächst einmal feststellen, dass es unter dem Stichwort »Jugendtheologie« bislang nur wenige Veröffentlichungen gibt16. Schaut 13 Die Unterrichtsstunden im Rahmen der Forschungswerkstatt zeigten recht bald, dass sich die Wunderthematik nicht auf die neutestamentlichen Wundererzählungen eingrenzen lässt. Die Schüler verwendeten den Wunderbegriff auch im Blick auf aktuelle Ereignisse, die allgemein als »Wunder« beschrieben werden, so z.B. das »Fußballwunder von Bern«. 14 Dazu mussten die Schüler eine Metaposition einnehmen, was ihnen in diesem Alter durchaus auch gelingt. Die Reflexion über das eigene Denken ist eine Fähigkeit, die mit der Pubertät einsetzt und sich – bei entsprechender Förderung – fortlaufend entwickelt (vgl. Manfred Tücke, Entwicklungspsychologie des Kindes- und Jugendalters für (zukünftige) Lehrer, Berlin 32007 sowie Beate Sodian, Entwicklung des Denkens, in Rolf Oerter / Leo Montada: Entwicklungspsychologie, Weinheim und Basel 62008, 436–479). 15 Somit beziehen sich die nachfolgenden Überlegungen auf den ersten Durchlauf der Forschungswerkstatt, also auf das Sommersemester 2008 – von daher werden aktuell erschienene Veröffentlichungen (z.B. Thomas Schlag / Friedrich Schweitzer, Brauchen Jugendliche Theologie? Jugendtheologie als Herausforderung und didaktische Perspektive, Neukirchen-Vluyn 2011) hier nicht berücksichtigt. 16 Vgl. hierzu Petra Freudenberger-Lötz / Annike Reiß, Kognitive Aktivierung im theologischen Gespräch mit Jugendlichen, in: Andreas Feindt u.a. (Hg.), Kompetenzorientierung im Religionsunterricht. Befunde und Perspektiven, Münster 2009, 247f.
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man genauer hin und bemüht zudem die von Friedrich Schweitzer etablierte Unterscheidung in eine Theologie von, für und mit Jugendlichen17, so wird deutlich: Es gibt sehr wohl eine Reihe von religionspädagogischen Studien mit jugendtheologischem Fokus18 – wenn auch nicht unter der Überschrift »Jugendtheologie«. Was aber fehlt, ist eine empirisch fundierte Theorie zum Theologisieren mit Jugendlichen, die Antworten auf zentrale didaktische Fragen bereithält. In der kindertheologischen Forschung ist man in dieser Frage schon weiter fortgeschritten19, so dass die Jugendtheologie von dort aus eine mögliche Orientierung erfahren kann. Vor diesem Hintergrund haben wir für unsere Arbeit in der Forschungswerkstatt eine vorläufige Zielvorstellung formuliert: Im theologischen Gespräch sollen sich die Jugendlichen mit ihrer persönlichen Gottesvorstellung und ihrer Glaubenshaltung auseinandersetzen. Darüber hinaus sollen sie befähigt werden, ihren eigenen Standpunkt durch die Aufnahme entsprechender Anregungen weiterzuentwickeln. Das von Petra Freudenberger-Lötz im Kontext der Kindertheologie entwickelte und erprobte Didaktische Dreieck sollte auch in unserer Arbeit mit Jugendlichen zum Einsatz kommen20. Demnach geht es beim Theologisieren um die Deutungsperspektiven der Schüler im Blick auf ein Thema. Die Lehrkraft steht vor der Aufgabe, diese Perspektiven zu erheben und im Gespräch möglichst produktiv aufeinander zu beziehen. Dies leistet sie im Rückgriff auf ihr eigenes theologisches Wissen sowie auf ihre persönliche Gottesvorstellung und Glaubenshaltung.
Welche Konsequenzen ergeben nun die im zweiten Abschnitt aufgeführten Beobachtungen bzgl. des Zugangs Jugendlicher zum Thema »Wunder« für das Theologische Gespräch?
17 Vgl. Friedrich Schweitzer, Auch Jugendliche als Theologen? Zur Notwendigkeit, die Kindertheologie zu erweitern, in: ZPT 1/2005, 47. 18 Vgl. Veit-Jakobus Dieterich, Theologisieren mit Jugendlichen – Ein Programm, in diesem Band, Abschn. 5, 37ff. 19 Vgl. z.B. Petra Freudenberger-Lötz, Theologische Gespräche mit Kindern. Untersuchungen zur Professionalisierung Studierender und Anstöße zu forschendem Lernen im Religionsunterricht. Stuttgart 2007. 20 Vgl. Petra Freudenberger-Lötz, Theologische Gespräche mit Kindern und Jugendlichen führen. Herausforderungen und Chancen, in: entwurf 2/2008, 39–43.
Wen wundert’s?
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Zu (1): Die hermeneutischen Voraussetzungen der Schüler sind unbedingt zu berücksichtigen, d.h. das Thema »Wunder« darf nicht über diese hinweg unterrichtet werden. Dazu gilt es, den vielfältigen Deutungen, Fragen und letztlich auch Zweifeln der Jugendlichen Raum zu geben. Auf diese Weise erhält die Lehrkraft einen Einblick in das Denken, das Fühlen und das Handeln der Schüler und kann sich daran in der Planung nachfolgender Unterrichtsprozesse orientieren. Zu (2): Auch wenn so keine für die Schüler befriedigende kognitive Klärung der Wunderfrage erreicht werden mag, sollte ihnen die Arbeit mit identifikationsstiftenden und die Kreativität anregenden Methoden angeboten werden. Auf diese Weise können mögliche Blockaden der Jugendlichen gelöst und stattdessen eine Offenheit und ein emotionaler Zugang zur Wunderthematik geschaffen werden. Es ist schließlich zu bedenken, dass das Theologisieren mehr umfasst als das – oftmals kognitiv ausgerichtete – Gespräch. Zu (3): Es gilt, die von den Schülern empfundene Notwendigkeit einer Entscheidung zwischen den – als unvereinbar angesehenen – Alternativen »Religion/ Glaube« und »Naturwissenschaft« zu thematisieren. Den Jugendlichen sind hierzu weiterführende Deutungsangebote bereitzustellen, d.h. Deutungen, die die strikte Trennung beider Bereiche aufheben. Auf diese Weise kann die begrenzte Perspektive der Schüler auf die Wunderthematik erweitert werden. Eine damit einhergehende Zunahme der Diskursfähigkeit bereichert das Theologische Gespräch. Angesichts dieser Herausforderungen konnte uns der fachwissenschaftliche Blick auf die Wunderthematik wichtige und hilfreiche Impulse geben: Die hermeneutische Diskussion der neutestamentlichen Wundererzählungen hat eine Reihe von Deutungsmodellen hervorgebracht, die sich trotz einiger Überschneidungen recht klar voneinander abgrenzen lassen. Einer langen Phase supranaturalistischer Interpretation folgten mit dem Beginn der Aufklärung rationalistische Erklärungen der Wundergeschichten. Die zunehmende Etablierung historisch-kritischer Forschung hat dann zur Entstehung weiterer Deutungsmodelle geführt, so gibt es u.a. das mythische, das kerygmatische oder das tiefenpsychologische Modell. Allen Interpretationsarten liegen spezifische Wirklichkeitsvorstellungen zu Grunde, die jedoch oftmals nicht eigens thematisiert werden, sondern nachträglich zu rekonstruieren sind. Es gilt also zu fragen, ob und in welchem Maße ein Deutungsmodell zur Klärung dessen beiträgt, was in der jeweiligen Wundererzählung als wirklich anzusehen ist und mit welchen Kriterien eine derartige Einschätzung begründet werden kann. Diese Art des Umgangs mit den biblischen Wundererzählungen korrespondiert nicht nur mit aktuellen Entwicklungen innerhalb der exegetischen Forschung21, sie wird auch von religionspädagogischer Seite gefordert, insbesondere von Bernhard Dressler. In seinem Buch »Blickwechsel«, das 21 Vgl. Stefan Alkier (wie Anm. 4), 12f.
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der Wunderfrage ein eigenes Kapitel22 widmet, liefert Dressler über eine Klärung grundsätzlicher Fragen zur Wunderthematik hinaus eine Reihe von didaktischen Impulsen. Grundlage seiner Überlegungen ist die Erkenntnis, dass die Wundergeschichten aus einer Welt stammen, die uns fremd ist und die es darum zu erkunden gilt. Möchte man den neutestamentlichen Texten gerecht werden, so gilt es bei dieser Erkundung einige Regeln zu beachten: – Unser heutiges Wissen über die Naturgesetze ist den biblischen Texten fremd, so dass es keinen geeigneten Bewertungsmaßstab darstellen kann. Auf der anderen Seite hilft auch ein naiver Biblizismus nicht weiter. Vielmehr gilt es, den Wundergeschichten möglichst unvoreingenommen zu begegnen, d.h. die eigenen Unterscheidungskriterien in den Hintergrund treten zu lassen, so dass die Texte selbst zu Wort kommen können. – Damit verbunden ist die Forderung, den Wundererzählungen keine falschen Eindeutigkeiten zu unterstellen. Wer schon vor der Lektüre der Texte ein Urteil bzgl. ihrer Faktizität fällt, verpasst die Gelegenheit zum echten Dialog. – Der angemessene Umgang mit den Wundergeschichten setzt die Bereitschaft voraus, sich von ihnen in einen »Streit um das Verständnis der Wirklichkeit«23 verwickeln zu lassen. Dabei beinhaltet die Frage nach dem Wirklichkeitsverständnis Überlegungen bzgl. der eigenen Lebens- und Glaubensvorstellungen. Diese Regeln gelten im Prinzip für jeden, der sich mit neutestamentlichen Wundergeschichten befasst. Aus religionsdidaktischer Perspektive widmet Dressler der Altersstufe im Sekundarbereich jedoch besondere Aufmerksamkeit. Seine Beschreibung eines für das Jugendalter typischen »kritischen Rationalismus« stellt eine aussagekräftige Zusammenfassung der im vorigen Abschnitt aufgeführten Beobachtungen dar24. Die von den Schülern vorgebrachten rationalistischen Einwände bezeichnet Dressler als Missverständnisse, die nicht selten dazu führen, dass mit den Wundergeschichten »die ganze Bibel mit über Bord geworfen wird«25. Um dies zu vermeiden, gelte es, die Einwände der Jugendlichen zu thematisieren. Das Umgehen der Wunderthematik wäre folglich der falsche Weg, da so den besagten Missverständnissen das Feld überlassen wird. Stattdessen fordert Dressler eine Beschäftigung mit den biblischen Wundergeschichten, die man als kompetenzorientiert beschreiben kann, d.h. die Schüler sollen zu einem angemessenen Umgang mit den Texten befähigt werden. Dies impliziert ein Verständnis der Wunderfrage als offene Frage, die Auskunft über das persönliche Wirklichkeitsverständnis verlangt. Es geht also letztlich um die eigenen Fragen über Gott und die Welt. 22 23 24 25
Bernhard Dressler, Blickwechsel. Religionspädagogische Einwürfe, Leipzig 2007, 278–303. Bernhard Dressler (wie Anm. 22), 279. Vgl. Abschnitt 2. Bernhard Dressler (wie Anm. 22), 285.
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Diese religionsdidaktischen Überlegungen Dresslers zur Wunderthematik (a) greifen die oben beschriebenen Erfahrungen aus der Forschungswerkstatt (b) in überzeugender Weise auf. Gleichzeitig sind sie anschlussfähig an die im vorigen Abschnitt formulierten Zielvorstellungen theologischer Gespräche mit Jugendlichen (c). Unter Berücksichtigung von (a), (b) und (c) ergibt sich die folgende Idee, wie das Theologisieren mit Jugendlichen über die Wunderthematik didaktisch inszeniert werden kann.
Den Ausgangspunkt bildet also die »Wunderfrage«. Diese umfasst zunächst einmal die biblischen Wundergeschichten, erschöpft sich jedoch nicht darin. Schließlich geht es auch um aktuell geschehende Wunder, also um eine Verortung der Thematik im Leben der Schüler. Eine derartige Beschäftigung mit der Wunderfrage verlangt die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Gottesbildern und zwar mit denen der biblischen Texte, mit den eigenen und mit denen der Gesprächspartner. Im Rahmen der Forschungswerkstatt haben wir bei den Schülern eine Vielfalt an Gottesvorstellungen beobachten können26. Demnach lassen sich vier Möglichkeiten, wie Heranwachsende Gott beschreiben, unterscheiden: (1) inklusiv personal; z.B.: Gott ist männlich / ein Lebewesen (2) inklusiv apersonal; z.B.: Gott ist eine Kraft / eine künstliche Intelligenz / ein sprechendes Licht (3) exklusiv; z.B.: Gott ist anders als alles / keine Person / kein (alter) Mann (4) vergleichend; z.B.: Gott ist wie ein Vater / eine Mutter / ein Freund / eine Stimme. Die nachfolgend zitierten Überlegungen einer Schülerin zeigen, wie sich die unterschiedlichen Wege, Gott zu beschreiben, abwechseln bzw. ergänzen können: »Für mich ist Gott nichts ›Greifbares‹. Er ist mehr wie eine Art Tagebuch oder guter Freund, dem man alles erzählen kann, was einen bedrückt oder auch sehr glücklich macht. Vielleicht kann ich es auch mit einer Stimme gleichsetzen – nirgends, aber doch überall.
26 Vieles davon deckt sich mit einschlägigen Untersuchungen zum Gottesbild Jugendlicher.
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Er kann einem auch Mut machen. Bei mir macht er das einfach, indem er für mich da ist. Eben wie ein guter Freund, der einen an die Hand nimmt und sagt: ›Komm, wir schaffen das!‹ Manchmal ist er wie eine Kraft, die einen dazu bringt, Dinge zu tun, zu denen man vielleicht gerade keine Lust hat oder man zu müde für sie ist. Wann anders ist er aber auch wieder jemand, mit dem man seine Glückseligkeit und Freude teilen kann (= geteiltes Leid ist halbes Leid, geteilte Freude ist doppelte Freude).«
Im Blick auf die Frage nach einem möglichen Handeln Gottes in der Welt bewegen sich die Schüler zwischen zwei Optionen. Entweder wird ein solches »Eingreifen« mit dem Verweis auf aktuell ausbleibende Wunder bzw. auf den daraus resultierenden Widerspruch zur menschlichen Autonomie verneint. So stellt eine Schülerin fest: »Gott hat gar nichts mit dem Ablauf eines Lebens zu tun. Jeder hat seinen eigenen Kopf und wie er lebt, hängt mit dem Charakter usw. zusammen.«
Oder aber Gott wird ein Handeln in der Welt – zumindest in wichtigen Dingen – zugetraut. Diese Handlungen werden oftmals mit pädagogischen Termini beschrieben, d.h. Gott straft oder belohnt eigene und fremde Verhaltensweisen27. Ein derartiges Eingreifen Gottes ist nach Ansicht der Jugendlichen Teil des subjektiven Empfindens bzw. der glaubenden Wahrnehmung. Schließlich führt die Auseinandersetzung mit dem Gottesbild zu der umfassenden Frage nach dem Wirklichkeitsverständnis. Hier geht es letztlich um eine elementare Verhältnisbestimmung von Immanenz und Transzendenz – wiederum aus den unterschiedlichen Perspektiven »Bibel«, »Ich« und »Du«. Die Arbeit in der Forschungswerkstatt hat gezeigt, dass die Schüler auf zwei Ebenen argumentieren. Auf der ersten Ebene kommt ein für das Jugendalter typischer Positivismus zur Geltung, d.h. es wird nur das für möglich bzw. wirklich gehalten, was empirisch nachprüfbar ist. Glaube wird als unkritisches Fürwahrhalten vermeintlicher Wahrheiten verstanden. Wer glaubt, dem mangelt es nach Ansicht der Jugendlichen an Vernunft und an Wissen. Auf der anderen Seite, und dies entspricht der zweiten Ebene, erzählen die Schüler von Kontingenzerfahrungen in ihrem eigenen Leben, für die sie unterschiedliche Erklärungen finden – sei es Gott, Schicksal oder eine unpersönliche Macht. Die Erfahrung von Kontingenz wirft Fragen auf und relativiert somit die positivistische Überzeugung der Jugendlichen. Angesichts der Tatsache, dass das Leben Momente bereithält, in denen die Begrenztheit menschlicher Fähigkeiten deutlich wird, beginnen die Heranwachsenden von ihren Hoffnungen und Wünschen zu sprechen. Diese berühren Themen wie Krankheit und Tod, aber auch Glück und Erfüllung.
27 Dies erinnert an das »do-ut-des«-Prinzip, das Fritz Oser und Paul Gmünder in der Argumentation 8- bis 15jähriger besonders häufig wahrgenommen haben (vgl. Fritz Oser / Paul Gmünder, Stufen der religiösen Entwicklung, in: Gerhard Büttner / Veit-Jakobus Dieterich (Hg.), Die religiöse Entwicklung des Menschen. Ein Grundkurs, Stuttgart 2000, 149).
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Bettet man die Wunderfrage in den umfassenden Zusammenhang von Gottesbild und Wirklichkeitsverständnis ein, so bieten sich viele Anknüpfungspunkte für ein Theologisches Gespräch. Es wird den Schülern ausreichend Gelegenheit geboten, ihre Deutungen, Fragen und Zweifel einzubringen, so dass die Lehrkraft einen Einblick in die Glaubensvorstellungen der Jugendlichen erhält. Die damit verbundenen Konsequenzen für das Agieren der Lehrkraft im Theologischen Gespräch sind Inhalt des nachfolgenden Abschnitts.
4.
Herausforderungen und Perspektiven
In Abschnitt 3 wurde auf die von Petra Freudenberger-Lötz ausgearbeiteten Aufgaben der Lehrkraft im theologischen Gespräch hingewiesen. Folglich geht es darum, die Deutungen der Schüler (a) wahrzunehmen, (b) ins Gespräch zu bringen sowie (c) durch geeignete Impulse zur Weiterentwicklung anzuregen. Alle drei Aufgabenbereiche fordern eine Lehrkraft, die das Thema fachlich, d.h. fachwissenschaftlich und -didaktisch durchdrungen hat. Die Befragung der Religionslehrkräfte (vgl. Abschnitt 2) hat gezeigt, dass häufig das Studium der Ort ist, an dem eine erste intensive Auseinandersetzung mit den biblischen Wundergeschichten erfolgt. Diese Begegnung gilt es in der Vorbereitung auf ein Theologisches Gespräch zu vertiefen. Beim Theologisieren kommt es dann darauf an, dass die Lehrkraft ihr Vorwissen und ihre Vorarbeit im Blick auf das Thema so einsetzt, dass keine unnötige Engführung erfolgt. Schließlich ist die Idee des gleichberechtigten Dialogs ein zentrales Merkmal Theologischer Gespräche28. Um dieser Anforderung gerecht werden zu können, sollte die Lehrkraft auch ihren eigenen Zugang zum Thema klären. Dabei können Überlegungen wie die in Abschnitt 2 vorgestellten hilfreich sein: Sie führen beispielsweise vor Augen, dass sich der persönliche Bezug zum Thema im Laufe des Lebens ändert. Die Erinnerung an die eigenen Fragen und Zweifel angesichts der biblischen Wundergeschichten erhöht das Verständnis für den oftmals kritischen Zugang der Schüler zum Thema. Insbesondere kann die Lehrkraft durch diese Form der Vorbereitung auf die Relativität der eigenen Deutung biblischer Wundergeschichten aufmerksam werden: Es gibt eben nicht die eine, einzig richtige Interpretation einer Wundererzählung. Dies führt – so ist zu hoffen – zu einem offenen Umgang mit den Deutungen der Schüler.
28 Vgl. dazu die Überlegungen von Veit-Jakobus Dieterich, Theologisieren mit Jugendlichen – Ein Programm, in diesem Band, 36.
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In der fachwissenschaftlichen Vorbereitung auf die Wunderthematik kann sich die Lehrkraft zahlreicher exegetischer Vorarbeiten bedienen29. Die Kenntnis der unterschiedlichen hermeneutischen Zugänge zu den biblischen Wundergeschichten hilft, die von den Schülern geäußerten Deutungen im Theologischen Gespräch wahrzunehmen und fachlich einzuordnen. Die oben vorgestellten Überlegungen Dresslers wiederum zeigen auf, wie die Wunderthematik fachdidaktisch aufgearbeitet werden kann. Mit der Idee, die Wunderfrage in die übergreifende Diskussion des Wirklichkeitsverständnisses zu stellen, liefert Dressler einen innovativen Vorschlag zur didaktischen Inszenierung der Wunderthematik. Dabei ist jedoch nicht zu übersehen, dass Dresslers Modellvorstellung verstärkte Anforderungen an die fachlichen Kompetenzen der Lehrkraft stellt: Die Einbettung der Wunder- in die Gottesfrage erfordert nicht nur die Kenntnis einzelner Themenkomplexe, sondern auch deren Vernetzung. Im Blick auf die Wunderthematik sind Inhalte der Christologie, der Gotteslehre30, der theologischen Anthropologie sowie der Schöpfungslehre so zu durchdringen, dass sie der Strukturierung eines Theologischen Gesprächs dienlich sind. Um das den unterschiedlichen theologischen Positionen zugrunde liegende Wirklichkeitsverständnis mit dem der Schüler in einen Dialog bringen zu können, benötigt die Lehrkraft reflexive Kompetenzen auf einer Metaebene, da die Wirklichkeitsvorstellungen oftmals nur indirekt benannt und von daher aus den unterschiedlichen Positionen abgeleitet werden müssen. Von besonderer Relevanz ist hier auch die Reflexion des eigenen Wirklichkeitsverständnisses. Schließlich, und das haben unsere Erfahrungen in der Forschungswerkstatt mehrfach gezeigt, gelangt das Theologische Gespräch nicht selten an den Punkt, an dem die Schüler die Lehrkraft fragen: »Und was glauben Sie?«. Studierende, die sich hier im Blick auf die eigenen Glaubensvorstellungen reflektiert und vor allem authentisch zeigten, konnten von besonders intensiven Phasen des Theologisierens berichten.
5.
Fazit
Offensichtlich birgt die Wunderthematik im Theologischen Gespräch eine Reihe von Herausforderungen, aber auch großes Potenzial. Folgt man den hier vorgestellten didaktischen Impulsen, so steht die Lehrkraft vor der Aufgabe, nicht nur ihren eigenen Zugang zum Thema zu klären. Sie muss zudem ihr Wirklichkeitsverständnis reflektieren und für sich klären, welche Rolle die Wunderfrage darin spielt.
29 Vgl. Abschnitt 3. 30 Unter anderem geht es hier auch um die Vorsehungslehre, d.h. um Fragen bzgl. möglicher Handlungsweisen Gottes. Diese sehr komplexe Diskussion kann jedoch an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden; s. dazu jedoch den Beitrag von Carsten Gennerich in diesem Band.
Wen wundert’s?
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Die Schüler wiederum haben die Gelegenheit, über ihre Fragen, Zweifel sowie Erfahrungen und Hoffnungen im Blick auf die Wunderthematik zu sprechen. Die Überlegungen in diesem Beitrag haben gezeigt, dass die von den Jugendlichen angesprochenen Aspekte oftmals grundlegende Lebens- und Glaubensfragen mit sich bringen. Die sorgfältige fachliche und persönliche Durchdringung der Wunderthematik ermöglicht der Lehrkraft eine Strukturierung der Schülerbeiträge sowie das Angebot von Deutungen, die den Jugendlichen ggfs. neue Perspektiven eröffnen. Auf der anderen Seite kann die Lehrkraft in besonderer Weise von den Gedanken und Fragen der Heranwachsenden profitieren, da deren oftmals schonungslos kritisch erscheinender Akzent die eigenen Glaubensvorstellungen auf die Probe stellt. Eine solche Bereitschaft zum offenen Diskurs über Glaubensthemen wissen Jugendliche – auch das haben wir im Rahmen der Forschungswerkstatt beobachten können – sehr zu schätzen. Wen wundert’s?
Katrin Bederna
»seele ist mal wieder die einzigartigkeit des menschen«1 – Jugendtheologien der Seele
»Mein Körper rät mir: Ruh dich aus! Ich sage: Mach ich, altes Haus! Denk aber: Ach der sieht’s ja nicht! Und schreibe heimlich dies Gedicht. Da sagt mein Körper: Na, na, na! Mein guter Freund, was tun wir da? Ach gar nichts! sag ich aufgeschreckt, und denk: Wie hat er das entdeckt? Die Frage scheint recht schlicht zu sein, doch ihre Schlichtheit ist nur Schein. Sie läßt mir seither keine Ruh: Wie weiß mein Körper, was ich tu?«2
Lange vor der Verbreitung des Wortes »Theologisieren« begann eine Religionsstunde in Klasse 10 zum Thema Menschsein mit einer Rezitation dieses Gedichts von Robert Gernhardt. Die Schülerinnen und Schüler sollten – derart angeregt und mittels einer Analyse des Gedichts – die Unterscheidung von Ich und Körper problematisieren (Wer redet hier? Wer schreibt Gedichte? Wer weiß etwas?), ihre eigenen diesbezüglichen Vorstellungen reflektieren und eine begründete Position entwickeln – also philosophieren bzw. theologisieren. Als ›Theologie für Jugendliche‹ seitens der Lehrenden standen alttestamentliche Gedanken eines vitalen, sozialen, ›ganzen‹ Menschen im Hintergrund, gepaart mit einer sprachphilosophisch und selbstbewusstseinstheoretisch inspirierten Vorstellung des Ich als grammatikalischem Punkt, den kein anderer einnehmen kann, als unmittelbarem und unhintergehbarem Mit-sich-Vertrautsein.3 Ganz anders die ›Theologie der Jugendlichen‹: »Allesamt Platoniker!«, steht in meinem damaligen UnterrichtsReflexions-Tagebuch. Als erste Reaktion sowie als Fazit langer Diskussionen konstatierten sie: »Das ist die Seele, die mit dem Körper redet.« »Die Seele braucht den Körper natürlich zum Schreiben, aber sie sagt, was geschrieben werden soll.« »Seele ist das, was nach dem Tod von uns übrig bleibt.« Unterrichtsprinzipien erhalten Namen. Seelenvorstellungen Jugendlicher sind plural. Übergreifend gilt, dass der Begriff »Seele« unter Jugendlichen bekannt ist (wie schon ein Blick in die Welt ihrer Filme, Internetspiele und Bücher, von
1 14-Jährige im Rahmen des Forschungsprojekts Anthropologie Jugendlicher (5_I 557; Quellennachweise nach projektinterner Systematik). Das diesem Bericht zugrunde liegende Vorhaben wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen JP 2004LB gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei der Autorin. 2 Robert Gernhardt, Reim und Zeit. Gedichte, Stuttgart 1990, 51f. 3 Vgl. Klaus Müller, Wenn ich ›ich‹ sage. Studien zur fundamentaltheologischen Relevanz selbstbewusster Subjektivität, Frankfurt a.M.1994.
»seele ist mal wieder die einzigartigkeit des menschen«
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Avataren bis hin zu den Horkruxen des Harry Potter zeigt4) und dass er auf vielfältige Weise gefüllt und in seinen diversen Bedeutungen zustimmend oder ablehnend zur Deutung des Menschen verwendet wird. Letzteres ist eine von zahlreichen Erkenntnissen des qualitativ-empirischen Forschungsprojekts »Anthropologie Jugendlicher«, das dem vorliegenden Beitrag zugrunde liegt. Im Folgenden soll in fünf Schritten dargestellt werden, wie Jugendliche den Begriff Seele zur Deutung des Menschen einsetzen und inwiefern dies religionspädagogisch von Interesse ist. Dazu wird vorab skizziert, welche Relevanz der »Seele« im Rahmen der für den Religionsunterricht zentralen Frage nach dem Menschen zukommt (1), wie sich das ›Problem Seele‹ aktuell darstellt (2) und auf welchem empirischen Material die folgenden Ausführungen beruhen (3), bevor Seelenvorstellungen Jugendlicher und deren Funktion für die Deutung des Menschen dargestellt (4) und davon ausgehende Hinweise für das Theologisieren mit Jugendlichen über den Menschen (5) gegeben werden.
1.
Der Mensch als Thema des Religionsunterrichts – aber deshalb schon »Seele«?
Wer verantwortlich von Gott reden will, muss vom Menschen reden. Das heißt nicht, Gott sei nicht ohne den Menschen, Gott sei nicht der ganz Andere. Doch ist Gott für Juden und Christen zugleich derjenige, der sich selbst offenbart, in der Geschichte des Volkes Israel, in Jesus von Nazareth. Jede Gottrede, auch die religionsunterrichtliche, muss von diesem theologischen Grunddatum – Gott offenbart sich als Heil der Menschen, ist die Liebe, die für die Menschen wirklich wird – ausgehen und folglich reden vom Menschen als der und für den sich Gott offenbart. Was brauchen Jugendliche? Eine wesentliche Aufgabe des Jugendalters ist es, eine eigene Identität im Bezug zum Anderen zu entwickeln. Dies führt u.a. zur Frage: Wer bin ich als Mensch? Wer ist der Mensch? und ebenfalls zur Relevanz anthropologischer Themen für den Religionsunterricht. Aber deshalb schon Seele? Anders gefragt: Kann man theologisch vom Menschen reden, ohne von Seele zu reden? Der Katechismus der katholischen Kirche kann es nicht: »Die nach dem Bilde Gottes erschaffene menschliche Person ist zugleich körperliches und geistiges Wesen. […] Der Leib des Menschen hat an der Würde des Seins ›nach dem Bilde Gottes‹ teil: er ist eben deswegen menschlicher Leib, weil er durch die geistige Seele beseelt wird. […] Die Kirche lehrt,
4 Vgl. religionstheoretisch: Joachim Valentin, Unter Avataren und anderen Prothesengöttern. Was ist und warum betreibt man christliche Religions- und Kulturtheorie?, in: Stimmen der Zeit 136 (1/2011), 39–50; religionspädagogisch: Michael Beisel / Ulrich Schmidt, Menschenbild und Ich-Konstruktion in AVATAR. Wie James Camerons Kinohit mit der modernen Bestreitung der Existenz einer Seele umgeht, in: entwurf 2/2011, 49–55. / Joanne K. Rowling, Harry Potter und der Halbblutprinz, Hamburg 2005.
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Katrin Bederna
daß jede Geistseele unmittelbar von Gott geschaffen ist – sie wird nicht von den Eltern ›hervorgebracht‹ – und daß sie unsterblich ist«.5 Die in jeder Hinsicht gewichtige Theologische Anthropologie Thomas Pröppers beispielsweise kann es, ohne dass ihren 1500 Seiten dadurch etwas fehlte – benötigt den Begriff selbst dann nicht, wenn sie (leider äußerst knapp) über Leiblichkeit des Menschen oder seine Hoffnung nachdenkt.6 Dasselbe gilt selbstredend für Anthropologien protestantischer Autoren.7 Was folgt daraus? Ist der theologische Ort der Seele vielleicht gar nicht die Anthropologie, sondern die Eschatologie? Allerdings wäre die eschatologische Ingebrauchnahme des Begriffs »Seele« hohl, wenn dieser sich nicht anthropologisch plausibilisieren ließe. Zudem wäre die Frage damit nur verschoben: Gibt es eine christliche Hoffnung ohne den Begriff »Seele«? Auch in dieser Perspektive hält das Lehramt der katholischen Kirche an der Seele fest (identifiziert mit dem »menschlichen Ich«; DH 4653), doch bleibt der Begriff ebenso belastend wie hilfreich: Erstens ist das Verhältnis der Seele zum Leib trotz der Dogmatisierung der monistischen anima forma corporis Lehre (vgl. DH 902) bleibend fraglich und durch die latente Abwertung von Leiblichkeit und Geschlechtlichkeit schief. Zweitens erscheint die Seele als unsterbliche zwar vielen notwendig für den biblisch zentralen Gedanken der Auferstehung (da Garant der Kontinuität zwischen jetzt und dann), verdrängt diesen aber zugleich, weil sie eine Hoffnung ohne Auferstehung nahe legt. Es bleiben für die Seele zum einen die philosophische Frage nach Mentalem und Physischem, ihrem ontologischen Status und Zusammenhang, zum anderen die Frage, was sich theologisch Zentrales hinter ihr verbirgt, eventuell aber auch in anderen Denkformen erreichbar ist: Im obigen Zitat aus dem Katechismus sind dies vor allem ein »unmittelbarer« Gottesbezug und die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod. Zudem dient der Begriff »Seele« hier der Bestimmung des spezifisch Menschlichen und der begrifflichen Wahrung mentaler Phänomene. Für Theologie bzw. theologische Anthropologie und für Leben und Glauben Jugendlicher gibt es folglich zentralere Themen als die Seele. Doch kann der Begriff erstens – wie die hier im Mittelpunkt stehenden empirischen Skizzen einer Jugendtheologie um die Seele exemplarisch zeigen – zu zentralen Glaubensfragen (Gottesbezug, Hoffnung, Menschsein) hinführen und sowohl motivierend als auch theologisch fruchtbar sein. Zweitens kommt der Begriff in der Lebenswelt der Jugendlichen und ihren Selbstdeutungen mit teils theologisch und anthropologisch bedenklichen Implikationen vor und bedarf der Aufklärung. Drittens kann er als Nukleus diverser im Jugendalter relevanter Problemfelder verstanden werden (von Selbstsein bis Körperdesign) – drei Gründe, weshalb eine
5 Katechismus der Katholischen Kirche. Neuübersetzung aufgrund der Editio typica Latina, München 2005, Nr. 362–366. 6 Thomas Pröpper, Theologische Anthropologie (2 Bde.), Freiburg i.Brsg. 2011, 578–584; 1490–1520. 7 Exemplarisch hierfür Pannenbergs Mensch als geistgewirkte ekstatische Person (Wolfhart Pannenberg, Anthropologie in theologischer Perspektive, Göttingen 1983, 505–517).
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Thematisierung der »Seele« im Religionsunterricht durchaus erhellend sein kann. Viertens und vordringlich aber: Fiele mit der Seele nicht nur ihre implizierte und heute überholte Metaphysik, sondern auch ihr theologischer Gehalt von Gottesbezug, Hoffnung und Leiblichkeit einer reduktiv-naturalistischen Rationalität anheim, wäre also Friedrich Nietzsches Diktum »Seele ist nur ein Wort für Etwas am Leibe«8 in jeder Hinsicht zutreffend, es wäre das Ende theologischer Rede vom Menschen.
2.
Substanz, Eigenschaft, Emergierendes oder eigentlich nichts. Eine Skizze der Seele
Es gibt Unbelebtes und Belebtes, es gibt Physisches und Mentales. Diese Beobachtungen führten zu diversen Vorstellungen der Seele: als materieller, die Weisungen des Geistes vermittelnder Teil des Menschen (Leukipp, Demokrit, Epikur), der Seele als immaterielles, lebendig machendes und unsterbliches Wesen (Platon), als unselbstständige, dem Menschen wesentliche Form (µ#'Q=) des Stoffes (Â) bzw. Körpers (Aristoteles, Thomas) oder neuzeitlich als immaterielle res cogitans im Gegensatz zur von physikalischen Gesetzen beherrschten Welt der res extensa (Descartes). Spätestens seit Descartes ist das zentrale Problem in diesem Kontext das des Verhältnisses von Leib und Seele.9 Es bestimmt heute, befeuert durch die Versuche der Neurophysiologie, das Bewusstsein naturwissenschaftlich zu entschlüsseln, als mind-and-brain-Problem die Debatte. Deren Frage ist, ob Mentales zum Bereich des Physischen gehört oder etwas (ganz) anderes ist, und wie denn, wenn letzteres zutrifft, eine Wechselwirkung zwischen beiden Sphären (die offenbar wirklich ist, wie Phänomene von Alzheimer bis Zorn zeigen) als möglich gedacht werden kann, obwohl doch die Welt des Physischen kausal geschlossen ist. Die vorliegenden Antwortversuche auf diese Frage systematisiert Ansgar Beckermann durch die Unterscheidung von Physikalisten (bzw. Naturalisten, also denjenigen, die das Mentale ganz eliminieren, auf das Physische reduzieren oder aus diesem nur emergieren lassen) und Dualisten (für die das Mentale ein »ontologisch eigenständiger Bereich« ist), und beide noch einmal dahingehend, ob das Mentale dabei als Substanz oder mentale Eigenschaften gedacht wird.10 Alle vier Antworttypen (Substanz- bzw. Eigenschafts-Physikalisten; Substanz bzw. Eigenschafts-Dualisten) bleiben allerdings unbefriedigend. Äußerst vereinfacht gesagt scheitern erstere vor allem an 8 Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra. Ein Buch für alle und keinen (Kröner TBA Bd. 75), Stuttgart 181988, 34. 9 Vgl. Tobias Kläden, Mit Leib und Seele… Die mind-brain-Debatte in der Philosophie des Geistes und die anima-forma-corporis-Lehre des Thomas von Aquin, Regensburg 2005, 18–50, 168–198 mit weiterführender Literatur. 10 Ansgar Beckermann, Das Leib-Seele-Problem. Eine Einführung in die Philosophie des Geistes, Paderborn 2008, 19. Beckermann bietet hier einen knappen Überblick über die weit verzweigte Diskussion.
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Katrin Bederna
den Qualia, also den phänomenalen qualitativ bestimmten Empfindungen (denn auch nach vollständiger Kenntnis aller neuronalen Zustände bleibt verschlossen, wie es ist, die zugehörige Empfindung selbst zu haben) oder sind vollständig kontraintuitiv, da sie das Mentale letztlich leugnen. Letztere scheitern hingegen an der nicht erklärten Wechselwirkung zwischen Mentalem und Physischem. Die mind-and-brain Debatte spart den Begriff »Seele« aufgrund seiner theologischen und eschatologischen Implikationen aus: Der Begriff Seele antwortet bekanntermaßen noch auf eine zweite, der Differenz mental/physisch verwandte, aber beileibe nicht identische Spannung in der menschlichen Selbstbeschreibung, die zwischen Immanenz und Transzendenz, Sterbenmüssen und Hoffenkönnen. Diese steht theologisch im Mittelpunkt, wenn (um hier einen Minimalkonsens von Rahner bis Ratzinger zu formulieren) Seele als dem Menschen wesentliche Gottfähigkeit bzw. Selbsttranszendenz beschrieben wird, die von Gott ermöglicht und erfüllt wird (»Unsterblichkeit«). In die oben referierte Systematik der mindand-brain-Positionen können viele dieser theologischen Seelenbegriffe nicht konsistent eingeordnet werden, weder der Thomanische Hylemorphismus (der weder dualistisch noch physikalistisch ist) noch transzendentaltheologische Seelenbegriffe wie der Karl Rahners oder selbstbewusstseinstheoretische Ansätze wie der Saskia Wendels vom Seelengrund. Um auch Positionen jenseits der Philosophie des Geistes systematisch fassen zu können, bietet sich an, Naturalisten von Nicht-Naturalisten (statt wie Beckermann von Dualisten) zu unterscheiden, wobei letztere als Substanz-Nicht-Naturalisten (Platon) dualistisch, als Eigenschafts- bzw. transzendentalphilosophische Nicht-Naturalisten (Thomas, Rahner, Wendel) nicht-dualistisch ausgerichtet sind. Zeitgenössische und mediengenerierte Seelenvorstellungen sind im Übrigen bevorzugt substanz-nicht-naturalistisch, sei es wenn im Avatar das menschliche Bewusstsein den Körper wechseln kann, sei es wenn in »Seelen«11 das menschliche »Ich« durch eine Seele verdrängt werden kann.
3.
Anthropologie Jugendlicher – ein Forschungsprojekt
Das diesem Beitrag zugrunde liegende qualitativ-empirische Forschungsprojekt »Anthropologie Jugendlicher« erhebt, mit Hilfe von Gruppendiskussionen Jugendlicher zu den Themen Kontingenz (Schuld, Tod), Sinn, Geschichtlichkeit, Sozialität, Leiblichkeit und Transzendenzbezug des Menschen, wie Jugendliche den Menschen verstehen und dies argumentativ begründen. Es zeigt sich dabei, entlang welcher Dimensionen sich die Menschenbilder Jugendlicher unterscheiden (Transzendenzbezug und Freiheit), welche Typen von Menschenbildern vorkommen, dass und wie die Gott-Rede Jugendlicher von menschlicher Selbstdeutung abhängt und wie Jugendliche selbst Erfahrungen und Traditionselemente
11 Stephenie Meyer, Seelen, Hamburg 2009.
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korrelieren. Die Erhebung erfolgt in religionspädagogischem Interesse und arbeitet einer theologischen Anthropologie zu, die sich als Reflexion menschlichen Selbstverständnisses aus der Perspektive christlichen Glaubens versteht und deshalb nicht zuletzt Selbstdeutungen Jugendlicher diskutiert, also auch ›Anthropologie Jugendlicher‹ ist.12 Die Gruppendiskussionen mit Jugendlichen des Jahrgangs 9 aller drei weiterführenden allgemeinbildenden Schulformen fanden statt im Schulkontext (komplette Klassenverbände bzw. Lerngruppen katholische Religionslehre, 5 Reihen à 8 x 45 min) und mit Teilgruppen außerhalb der Schule (ca. 90 min am Ende jeder Reihe). Sie wurden durchgeführt zwischen November 2005 und September 2006 in ländlichem, mittelstädtischem und großstädtischem Umfeld BadenWürttembergs bzw. Niedersachsens. Es nahmen 126 Jugendliche an den Erhebungen im Schulkontext und davon 26 Jugendliche an den Teilgruppendiskussionen teil. Sie waren zum Zeitpunkt der Erhebung zwischen 13 und 17 Jahren alt (xÒ = 14,8 Jahre). Methodisch orientiert sich die Erhebung am Gruppendiskussionsverfahren nach Ralf Bohnsack.13 Im Schulkontext wurden die Diskussionen gestaltet durch Phasen anderer Sozialformen (bspw. künstlerische Gestaltung von Zwischenergebnissen in Einzelarbeit, Diskussionen in Untergruppen), deren Ergebnisse als Ausgangspunkt für die weitere Diskussion dienten. Aus didaktischer Perspektive wird hier mit Jugendlichen philosophiert, allerdings ohne dass die Jugendlichen (wie es unterrichtlich nötig wäre) mit von außen kommenden philosophischen bzw. theologischen Positionen konfrontiert bzw. ihre Reflexionen in eine philosophisch-theologische Landschaft eingeordnet worden wären. Relevant für den hier herausgegriffenen Aspekt »Seele« sind drei Themenfelder des Forschungsprojekts: Tod und Hoffnung, Leiblichkeit und die vor allem in den Teil-Gruppendiskussionen aufgeworfene Frage nach etwas spezifisch Menschlichem im Vergleich zu Maschinen oder Tieren. Ersteres, also die Frage nach Tod und Hoffnung, wurde präsentiert in Gestalt des (aus der Sicht aller beteiligten Jugendlichen hoch problematischen) Kinderbuches »Abschied von Rune«14. Die Frage nach Leiblichkeit wurde aufgeworfen durch die Kurzgeschichte »Gibt es Sie, Mr. Johns?« von Stanislav Lem15 und inszeniert als Gerichtsverhandlung mit abschließender Reflexion. Forschungsmethodisch zentral ist, dass die Jugendlichen in keiner der Gruppendiskussionen mit theologisch-anthropologischen Begriffen wie Geschöpf, Gnade oder Sünde und also auch nicht mit dem Begriff »Seele« konfrontiert 12 Vgl. Katrin Bederna, »unerklärlich wie Gott« oder »ein lösbares Problem«? Menschenbilder Jugendlicher empirisch erforscht, in: RpB 65/2010, 21–42; dies.,Was ist der Mensch? Eine qualitativ-empirische Studie zur Anthroplogie Jugendlicher, in: Hans-Georg Ziebertz (Hg.), Praktische Theologie – empirisch. Methoden, Ergebnisse, Nutzen, Berlin 2011, 5–24. 13 Ralf Bohnsack / Aglaja Przyborski / Burkhard Schäffer (Hg.), Das Gruppendiskussionsverfahren in der Forschungspraxis, Farmington Hills 2008. 14 Marit Kaldhol, Wenche Øyen, Abschied von Rune. Eine Geschichte, Hamburg 2006. 15 Stanislaw Lem, Nacht und Schimmel. Phantastische Bibliothek, Bd. 1, Frankfurt/M. 1976, 283–291.
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wurden (eine Ausnahme bildet die Frage nach einem Transzendenzbezug des Menschen, in deren Zusammenhang das Wort »Gott« eingebracht wurde). Vielmehr sollten die Jugendlichen die Bedeutung von Kontingenz, Sozialität, Geschichte, Freiheit und Leiblichkeit für das Menschsein diskutieren. Ob sie dabei eine theologische Perspektive einnahmen, lag in ihrem Ermessen und war Forschungsgegenstand, nicht Vorgabe. »Seele« ist also in allen hier dargestellten Diskussionen ein ausschließlich von den Jugendlichen selbst zur Deutung des Menschen eingebrachter Begriff, allerdings nicht notwendig ein theologischer.
4.
»die Seele ist ja der Charakter mit dem Denken.«16 – Seelenvorstellungen Jugendlicher
Eine Idee davon, wie weit die Annahme einer Seele unter Jugendlichen in Deutschland verbreitet sein könnte und welche Bedeutung der Begriff dabei trägt, geben quantitative Studien zu Eschatologie bzw. Glaubensvorstellungen. Kuld, Rendle & Sauter (1996, N=2599, HS, RS, Gym, BS, Augsburg, katholischer Religionsunterricht ab Jhg. 5) zufolge stimmen je nach Schulform 40–50% der befragten Jugendlichen der Aussage »Unsere Seele ist unsterblich« zu. Bei Lischka & Großeholz (1992, N=278, Gym, Berlin, 17–19-Jähr.) gehen 23% der Befragten von der Existenz einer unsterblichen Seele des Menschen aus. Dies korreliert in beiden Befragungen positiv mit dem Glauben an einen persönlichen Gott bzw. regelmäßigem Kirchgang.17 Wird allerdings das Prädikat »unsterblich« fortgelassen, so sprechen 50% der befragten Berliner Oberstufenschüler/innen Menschen bzw. Menschen und Tieren eine Seele zu. Über die Hälfte dieser ›Seelenbefürworter‹ laden den Begriff also nicht eschatologisch auf. Insbesondere die atheistischen und religiös unentschiedenen Jugendlichen stimmen einem »symbolischen Verständnis von Seele im Sinne von ›Gemüt bzw. Charakter‹«18 zu. Das nennt die Darstellung der zugehörigen Jörns-Gesamtstichprobe eine »Ost Eigentümlichkeit«19, wird aber 13 Jahre später auch in der im Folgenden dargestellten qualitativen Erhebung bei westdeutschen Jugendlichen deutlich.
16 1_6 186. 17 Jörg-Michael Lischka / Carsten Großeholz, Glaube und religiöse Orientierung von 17–19jährigen Gymnasiastinnen, in: Klaus-Peter Jörns / Carsten Großeholz (Hg.), Was die Menschen wirklich glauben: Die soziale Gestalt des Glaubens – Analysen einer Umfrage, Gütersloh 1998, 127–164, 150f; Lothar Kuld / Ludwig Rendle / Ludwig Sauter, Tod – und was dann? Ergebnisse einer Umfrage unter Schülerinnen und Schülern im Bistum Augsburg, in: RpB 45/2000, 69–88, 79. 18 Lischka/Großeholz (wie Anm. 17), 151. Bezogen auf die Gesamtstichprobe befürworteten 27% der Gott- bzw. Transzendenzgläubigen, aber 59% der Unentschiedenen und Atheisten das Item »Seele ist ein Begriff für Gemüt oder Charakter« (Klaus-Peter Jörns, Die neuen Gesichter Gottes. Die Umfrage ›Was die Menschen heute wirklich glauben‹ im Überblick, NeukirchenVluyn 1997, 143). 19 Ebd. 143.
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Letztere führt selbstredend nicht zu repräsentativen Aussagen, hat aber gegenüber den genannten quantitativen Erhebungen den Vorteil, dass die Daten angemessener und gehaltvoller sein können, da sie »näher am sozialen Feld«20 und weniger reaktiv (Stellungnahme zu vorgegebenen Inhalten) als vielmehr aktiv (möglichst freie thematische Entwicklung und Reflexion) entstehen. Im Folgenden werden hinsichtlich der Bedeutung der Seele vier der fünf Lerngruppen dargestellt. Die analytisch wichtige Unterscheidung zwischen Lerngruppen, Interview-Teilgruppen, Gruppen jeweiliger inhaltlicher Solidarisierung und exemplarischen Einzelnen wird hier aus Gründen der Darstellungsökonomie und zur Pointierung der Ergebnisse als Einheit auf der jeweils höchsten Ebene betrachtet. Die Hauptschulgruppen erhalten dabei größeren Raum, weil sie in empirisch-theologischen Erhebungen weit unterproportional vertreten sind. Die Rekonstruktion zitiert jeweils einen inhaltlich exemplarischen und formal dichten GruppendiskussionsAbschnitt, für den gezeigt wird, ob und wie die Jugendlichen theologisieren, was sie mit dem Begriff ›Seele‹ bezeichnen und inwiefern dies eine Miniatur ihrer Menschenbilder ist. Kriterium des »Theologisierens« ist, dass Äußerungen über theologisch relevante Sachverhalte argumentativ begründet und auf ihren Geltungsanspruch befragt werden.21 4.1 Kurs kath. Religionslehre, kleinstädtische Hauptschule im Landkreis Ludwigsburg, 19 Christen (rk) Der Begriff Seele steht für diese Lerngruppe ganz in Funktion der Eschatologie. Im Zusammenhang anderer anthropologischer Fragen spielt er keine Rolle. Wenn überhaupt übernimmt dort das Gehirn die potentielle argumentative Stelle der Seele: Jenes ist Inbegriff des »Innen«22, der Erinnerungen und Vorlieben (»wenn er ein neues gehirn hätte, vielleicht war der erst bayern-fan und jetzt wird der stuttgart-fan«23), der Charaktereigenschaften (»zum beispiel war der erst so böse und jetzt isser auf einmal gut, weil irgendwie, weil des alte gehirn ist ja weg. wie, wenn ein computer ne neue festplatte kriegt, dann isser ja au wieder neu«24). Ohne Gehirn wäre der Mensch »ja sozusagen ein Körper«25. Anlässlich der Frage nach einer Hoffnung über den Tod hinaus verwenden hingegen alle beteiligten Jugendlichen den Begriff »Seele«, beschrieben als Charakter, Denken, Geist26 – sterblich für die einen, unsterblich für die anderen:
20 Siegfried Lamnek, Qualitative Sozialforschung. Lehrbuch, 4., vollst. überarb. Aufl. Weinheim, Basel 2005, 166. 21 Diese Kriterien präzisieren die Formel Friedrich Schweitzers, theologisieren sei »Denken über religiöses Denken« (Was ist und wozu Kindertheologie, in: JaBuKi 3, Stuttgart 2003, 9–18, 10f). 22 1_I 550. 23 1_I 552. 24 1_I 555. 25 1_I 568. 26 1_6 186; 1_5 107ff.
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FRANCESCA:
MAREK: CHRISTIAN:
MAREK: FRANCESCA:
STEFANO: FRANCESCA: STEFANO: FRANCESCA:
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FRANCESCA: CHRISTIAN: STEFANO: FRANCESCA: STEFANO: FRANCESCA: CHRISTIAN: MAREK: FRANCESCA: CHRISTIAN: FRANCESCA: MAREK:
also ich glaub wenn ich sterben würd, dann würd irgendwie meine seele schon irgendwie weg . ich glaub, dann bleibt nur mein körper so übrig. aber die seele stirbt zusammen mit dem körper ja, wenn wenn die jetzt, ich sag jetzt so eigen. ich bin eins jetzt. dann stirbt, ich glaub nicht, dass meine seele dann überlebt, weil des kann mer auch nicht so richtig definieren hm des isch aber schon voll komisch was nach dem tod passiert. wenn man sich da, dann hat mer gar nichts mehr im kopf. ich find des komisch. dann lebsch du g’. des kann mer sich gar nicht VORstellen. ja also ich bin dann sch’ ich bin schon neugierig was jetzt nach dem tod passiert manchmal de’ denk ich auch, wenn des so wär wie ich da weiterleben [könnte und so [gel, wie wie des allgemein isch, dass du dir gar nicht mehr vorstellen kannsch, ich weiß des isch komisch ja ich kann mir vorstellen, dann zich billionen jahre dann einfach nix. so wars ja auch vor meiner geburt sag ich mal. vielleicht war es so vor meiner geburt. man weiß ja auch nicht, dass ich dann ich wär dann schon unendlich, wenns jetzt so war nicht da und auf einmal leb ich dann […] wenn ich sterbe, dann bin ich einfach tot oder so ja klar, deine seele ist schon tot, aber die geht irgendwie weg des glaub ich einfach nicht, das kann ich mir einfach nicht vorstellen, dass meine seele dann wegfliegt sag mer so hm die geistert dann um die gegend ich glaub des isch alles nur fantasie, des bilden wir uns alles nur ein wegen den filmen allgemein hm also, we’ wenns diese filme hier gar net geben würd, dann würd mer des gar net wissen mit ähm ich glaub da einfach nicht dran, dass meine seele dann ohne fernsehen wäre andere antworten da JA genau! viellei’, vielleicht sogar logischere antworten ich kann mir nicht vorstellen, dass meine seele dann hochwandert und also ich glaub des hat alles nur mit unserer fantasie zu tun. […] vielleicht ist es ja zerstörbar, naja ich hab den film ghostbusters gesehen und wenn die da so ein geist einsaugen, dann irgendwie zerstören.27
27 1_I 470–518. Die Transkriptionsrichtlinien können eingesehen werden unter http://forschung. ph-ludwigsburg.de/druck_projekt.php?id=34.
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Theologisieren beginnt dort, wo nicht nur Auffassungen ausgetauscht, sondern diese reflektiert und Gründe abgewogen werden. Das geschieht hier, wenn auch weder ohne weiteres erkennbar noch auf der Höhe jugendtheologischer Möglichkeiten. Zentral ist dabei die argumentative Funktion der »Vorstellung«: Zu Beginn werden schlicht Glaubensaussagen aneinandergereiht. Das erste Argument bringt Christian ein: Es gebe keine unsterbliche Seele, da nicht vorstellbar und definierbar sei, was denn das sein soll. Francesca greift den Gedanken der Nicht-Vorstellbarkeit auf: Einerseits bejaht sie, dass das Leben nach dem Tod unvorstellbar sei, akzeptiert dies aber nicht als Argument gegen eine solche Hoffnung, andererseits betont sie, dass man sich nach dem Tod selbst nichts mehr vorstellen könne und eben das sei unvorstellbar. Dahinter könnte das Argument stecken, dass man sich aus der Erste-Person-Perspektive nicht vorstellen kann, nicht zu sein. Genauso versteht es Christian und kontert: Das Argument sei nicht triftig, denn erstens könne man sich sehr wohl, nämlich aus der Dritte-Person-Perspektive vorstellen, nicht mehr zu sein, und zweitens müsste man das Argument, wenn es triftig wäre, auch auf die Zeit vor der Geburt anwenden können, was nicht der Fall sei. Er schließt also vom Nicht-Sein vor der Geburt auf das Nicht-Sein nach dem Tod – und hat damit ex negativo einen für die christliche Mystik eminent wichtigen Gedanken gefasst. Anschließend spaltet sich das Gespräch in zwei Redestränge, die recht unverbunden nebeneinander her laufen: Christian wiederholt refrainartig das anfängliche Argument, eine unsterbliche Seele sei unvorstellbar und deshalb inexistent, während die anderen ihre Stellungnahme pro Seele skeptisch unter Bezug auf die Bedeutung mediengenerierter Vorstellungen hinterfragen. Wofür steht dabei die »Seele«? Für die einen ist ›Seele‹ ein Wort für einen Aspekt des Menschen und nicht, wie die Grammatik insinuiert, etwas Eigenständiges (denn jenes wäre nicht definierbar, s.o. Christian). Logischerweise stirbt dieser Aspekt des Menschen mit ihm. Die anderen sprechen von einer unsterblichen und vom Körper getrennt vorstellbaren »Seele«, die sie teils metaphorisch verstehen, teils konkret beschreiben (durchsichtig). Sie denken dabei allerdings nicht im engeren Sinne dualistisch. Die Seele lebe zwar weiter, sterbe aber in gewisser Weise mit dem Körper (s.o. Francesca: »ja klar, deine seele ist schon tot.«), was beispielsweise darin gründe, dass sie keine Sozialkontakte mehr knüpfen könne: w: man braucht beides eigentlich gleich. wenn man den körper net hätte, dann lebt man ja sozusagen gar net. m: keiner sieht dich. w: weil keiner sieht dich da. den körper brauscht ja um damit die leute dich sehen un damit alles irgendwie läuft. und des ich, des hasch ja, die seele ist ja den charakter, mit dem denken, und so weiter. ich find, man braucht beides, ja. weil, wenn dann der körper stirbt, dann wird ja, bleibt ja nur die seele übrig. und die sieht man ja dann gar net.28
28 1_6 184–186.
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War die Seele also in platonischer Tradition das Lebendigmachende (und ist es in fast allen Gruppendiskussionen Jugendlicher auch heute noch), so wird hier die Einsicht stark gemacht, das wahre Leben sei leiblich – ein Gedanke, an den eschatologisch (allerdings in keiner der befragten Gruppen faktisch) die Hoffnung auf Auferstehung anknüpft. Auffällig ist die Korrespondenz dieser Seelenvorstellungen erstens zum Gottglauben bzw. dessen Ablehnung, zweitens zur Irritierbarkeit der eigenen Vorstellungen und drittens zu den jeweiligen Menschenbildern: Diejenigen aus dieser Gruppe, für die »Seele« ein anderes Wort für Fähigkeiten (Denken) oder Eigenschaften (Einzigartigkeit, Charakter) des Menschen ist, gehen davon aus, dass es weder Gott noch ein Leben nach dem Tod gibt. Zu denen, die von einer unsterblichen und somit vom Körper teilweise unabhängigen Seele reden, gehört hier ebenfalls eine große Gruppe der in der Frage des Gottglaubens ablehnenden, dazu die unentschiedenen und die wenigen Jugendlichen, die sich selbst als gläubig bezeichnen. Es gibt unter den Jugendlichen dieser Lerngruppe also keinen Gottglauben ohne die Möglichkeit einer unsterblichen Seele, aber sehr wohl die Idee der unsterblichen Seele ohne Existenz Gottes. Der Seelenglaube ist hier verbreiteter als der Gottglaube. Zweitens sind die Vertreter der ›EigenschaftsSeele‹ diejenigen, die unbeirrt und klar über mehrere Wochen hinweg ihre Position vertreten. Die »Seele« der anderen steht hingegen im Konjunktiv. Sie sei – so ihre Befürworter! – zumindest auch Produkt der Phantasie, beeinflusst von Filmen, und nicht zuletzt durch ihre Funktion für die Hinterbliebenen erklärbar, eine Gestalt der subjektiv erfahrenen Nähe der Verstorbenen.29 Positiv gesagt: Diejenigen, die (probehalber) von einer unsterblichen substantiellen Seele ausgehen, haben ein scharfes Bewusstsein für funktionale Zusammenhänge im Bereich des Religiösen, für die Manipulierbarkeit der eigenen Vorstellungen und den eigenen Mangel an intersubjektiv überzeugenden Begründungen für diese. Der Nichtglaube ist hier selbstsicherer als jeder Glaube. Drittens deckt sich die skizzierte Differenz zwischen ›Eigenschafts-Seele‹ und ›unsterblicher Seele im Konjunktiv‹ mit der zentralen Differenz zwischen den Menschenbildern dieser Jugendlichen: Während der Mensch für erstere unfrei und nichts als Materie ist, aus dem Nichts kommt und ins Nichts geht, könnte es für letztere sein, dass der Mensch vielleicht doch mehr ist als es scheint, frei ist und für immer »aufbewahrt«30. Einig sind sich diese Jugendlichen über die genannten Differenzen hinweg, dass der Mensch ein Recht auf Wahrung seiner Grenzen habe, sozial und zugleich äußerst aggressiv sei und dass von einem Gottesbezug des Menschen nur rein subjektiv (als Glaube oder Unglaube, nicht als Geschöpf, Begnadeter) die Rede sein könne.
29 Vgl. 1_I 376–411. 30 1_6 120f.
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4.2 Klasse 9, Innenstadt-Hauptschule Stuttgart, 9 Christen (ev, rk, orth), 8 Muslime, 1 Hindu, 6 o. Konf. Die Jugendlichen dieser Gruppe verwenden den Begriff Seele, um in kartesischer Tradition das Wesen des Menschen im Vergleich zu Maschinen zu beschreiben (»er ist noch ein mensch, weil er noch gedanken hat, er hat noch, er kann noch richtig äh denken er hat noch gefühle, er hat ne seele und das ist eigentlich alles, was nen mensch ausmacht« 2_6 69), und diskutieren, was mit dem Begriff »Seele« gemeint sein könnte: DANNY: ANTONELLA: DANNY: NATASCHA: PASCAL: ALI: PASCAL: DANNY: ALI: DANNY: PASCAL: DANNY: ANTONELLA: ALI: PASCAL: ALI: ANTONELLA: DANNY: NATASCHA: PASCAL: ALI: PASCAL: NATASCHA: DANNY: I: ALI: PASCAL: DANNY: ALI: DANNY: ANTONELLA: DANNY: PASCAL: DANNY:
[es gab doch auch mit jesus irgendsowas mit die seele] [ohne seele leb ich doch nich] [kam doch in den himmel oder so] [aber du weißt es doch nicht obs stimmt.] ((..)) ja und die seele kam mit in himmel. jesus is doch wieder auferstanden. hä? jesus is doch wieder auferstanden, [oder nich?] [von wo weisch des] [dem seine seele is doch] (weg) von wo weisch du des das er aufgstandn isch? er is man vom kreuz doch doch wieder aufgwacht oder von wo weisch du’s? [, des sagt ma! [aber guck mal, des sagt ma! [des sagt ma hahaha! des sagt ma! des sagt ma! [na unsre religion sagt man alles, die gibt es sogar bis jesus damals, stimmt es] weiß man nich [aber man sagt auch (…) is vom himmel runtergekommen, ich glaub (…)] [es gibt die wissenschaftliche methode, affenabstammung] [glaubst du des?] [und des is n glaube. und deswegen heißt glaube glaube und nich wissen
wie soll was existiern des ma noch nie gesehen hat? was is deine einstellung? des is ja glaube damit. für mich gibt es keine seele. ((…)) türlich gibt’s seele, im kopf, im gehirn so, so wie ne kleine luft oder ((lacht)) luft! ((lacht)) ((..)) nein, des is ja keine seele, isn ereignis glaub ich ((..)) keine seele, nein, ich glaub nur des, an des was ma sehn kann oder fühln. super. kannst du spüren ob du uns alles kensch? ja, kann man spüren. ach kann mans nicht spüren?
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PASCAL: DANNY: PASCAL: DANNY: PASCAL DANNY: ALI: DANNY: ALI: DANNY: ALI:
PASCAL: ANTONELLA: PASCAL: DANNY: ANTONELLA: PASCAL: PASCAL: DANNY: PASCAL: ALI: PASCAL: ALI: DANNY: ANTONELLA: PASCAL: DANNY: NATASCHA: ALI: ANTONELLA: ALI: DANNY: ANTONELLA:
ja ich kenn dich jetzt ein jahr und da kann ich spürn jetz ja, ob du gut oder böse bist Ja ich glaub, ich hab doch gesagt ich glaub nur daran was man sehn und spürn kann. und zweitens was hat man, wenn ich zu dir komme und jemand von mir sachen erzählt [ Ja des kann ich ja nich spürn!] [wie des kann ich da wissen ob des wirklich oder nich so is. du kannst ja nich spürn. dann kannst ja nix glauben, bis ja voll des sin zum beispiel jetzt bücher, [aber wenn ich dir erzähl jetzt] [die kann ich sehn, aber ne seele hat noch kein, hat noch gesehn, des wird des will ich damit sagen. du glaubst nicht an die seele, aber dass ein körper vernichtet werden kann und wieder zusammengefügt werden kann. ((:..)) ohhh sagen wirs doch einfach [so] [des is doch ne seele die rauskommt aus [dem] körper [warte] wieso ne seele? es gibt keine seele dein geist, dein inneres leben Ich erklärs Hey ich erklärs euch, DANNY meint einfach nur, es gibt jemand wie du, du lebst. [ja genauso hab ich’s nich gemeint] [dann stirbst du, dann] wirst du begraben, deine, deine seele wandert raus. deine DNA oder was nein, deine seele wandert raus und geht in dem augen[blick] [er sagt doch es gibt keine seele] ja, es gibt doch keine seele in dem augenblick, wohin, geht die jetzt bei einer frau rein, die mutter grad wird, oder was? hey was glaubt ihr, dass es da oben im himmel so ne menschenfabrik gibt und da falln die da so runter so huuuu ((lacht)) ja, wenn’s ne seele gibt, was is die seele dann, was is des ich weiß net so die seele [dein geist] [is des, des] ja und was is der geist? der geist, deine luft, dein leben31
Theologisieren diese Jugendlichen oder bekunden sie nur ihre Auffassungen? Bemerkenswert in der oben zitierten Passage ist diesbezüglich die Unterscheidung von Glaube und Wissen. Danny assoziiert zum Begriff Seele die Person 31 2_I 153–271.
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Jesu, was Pascal mit dem Gedanken der Auferstehung zu verbinden versucht. Diesem (qua Alter bekräftigten) Traditionsargument (»des sagt ma!«, »unsre religion […] die gibt es sogar bis jesus damals«) wird von Natascha und Danny viermal der Anspruch auf Wissen als Gegensatz zur Überlieferung entgegengesetzt. Auch Pascals salomonische Trennung der Sphären von Glaube und Wissen überzeugt Danny nicht: Alles Existierende müsse sichtbar sein, alles Geglaubte müsse sich also vor der naturwissenschaftlichen Vernunft rechtfertigen lassen. Dies versuchen Antonella und Pascal mit Gegenbeispielen (Kennen anderer, Unterscheidung von gut und böse) zu widerlegen: Vieles nicht naturwissenschaftlich Verifizierbare sei dennoch unmittelbar evident. Danny aber wiederholt unbeirrt seine Forderung nach empirischer Verifizierbarkeit (»ne seele hat noch […] niemand gesehn«) und begrifflicher Bestimmbarkeit (»ja, wenn’s ne seele gibt, was ist die seele dann«?). Die Jugendlichen reflektieren hier also am Beispiel Seele und zwischen allen bloßen Thesen (»türlich gibt’s seele« – »es gibt keine seele«) die Frage nach dem Wahrheitsanspruch religiöser Aussagen und der Möglichkeit, zu glauben: »dann kannst ja nix glauben, bis ja voll…«. Insofern kann man sagen, sie theologisieren. Wofür steht dabei die »Seele«? Diesbezüglich gibt es hier zwei klare und pointiert vorgetragene ›Rand-Positionen‹: Die Seele im Sinne eines unsterblichen Etwas gebe es nicht, Seele sei ein Ereignis. Diese Auffassung teilen alle muslimischen Jugendlichen dieser Gruppe. Sie ziehen die Vorstellung, die Seele sei das, was nach dem Tod übrig bleibe, ins Lächerliche (»deine DNA oder was«) und formulieren auf dieser Grundlage (als einzige der 126 Jugendlichen des gesamten Projekts) eine Hoffnung auf Auferstehung oder wie Ali sagt »Weiterlebung«32: »nachdem wir gestorben sind, ähm, nachdem wir gestorben sind stirbt, stirbt auch die seele. nach viele jahren werden die guten auf auferstehen und im paradies leben. da gibt es keinen tod mehr, kein krankheit und kein krieg mehr. man ist glücklich und lebt für immer auf der erde. dort braucht man nicht vor den tieren fürchten und abhauen, sondern man lebt auch mit tieren zusammen. ähm die bösen werden äh für immer vernichtet und es gibt keine spuren mehr von bösen.«33
Zweitens sind da diejenigen, die aus naturalistischen Gründen jede Rede von Seele ablehnen, (»ich glaub nur des, an des was ma sehn kann oder fühln«) und monieren, dass die anderen nicht erklären könnten, was mit dem Begriff gemeint sei. Drittens findet sich ein Spektrum an Synkretismen rund um eine unsterbliche Seele. Deren Verfechter – allesamt irgendwie transzendenzgläubig – begründen den Glauben an eine unsterbliche Seele mit Nahtoderlebnissen, beschreiben diese als Geist, Luft und Leben und lassen sie entweder nach dem Tod in den Himmel aufsteigen, in Neugeborene überwechseln (denn ansonsten müsste es ja
32 2_I 396. 33 2_5 205.
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im Himmel eine Menschen- bzw. Seelenfabrik geben, s.o. Pascal) oder (begründet mit diversen Phantasy-Filmen) in einer Geister-Parallelwelt weiterleben. »kann ja sein, niemand kann das ja beweisen«34 ist das Vorzeichen all dieser Vorstellungen. Wiederum spiegeln sich darin die Differenzen, die über alle Themen hinweg zwischen den Menschenbildern dieser Schüler zu Unterscheidungen führen werden: Für die Erstgenannten ist der Mensch bezogen auf Gott (gedacht als allmächtig lenkende Person) und ohne diesen nichts, für die Zweiten ist der Mensch nicht mehr als ein naturwissenschaftlich vollständig beschreibbares Wesen, während die Dritten Gott mit Mensch und Welt identifizieren und zur Beschreibung des Menschen Vorstellungen verschiedenster Traditionen amalgamieren. 4.3 Klasse 9, mittelstädtisches niedersächsisches Gymnasium, 24 Christen (19 ev, 5 rk), 6 o. Konf. Der Begriff Seele wird in der Großgruppe zu keiner anthropologischen Frage aufgegriffen, auch nicht anlässlich der Frage nach dem Tod des Menschen. Diesbezüglich konstatieren die Jugendlichen einmütig: Der Mensch sei sterblich, der Organismus zerfalle, eschatologische Vorstellungen gebe es, da man sich die eigene Nichtexistenz nicht vorstellen könne.35 Für die einen sind sie nichts als billiger Trost, die anderen äußern vorsichtige Hoffnungsbilder (unendliches Licht, Wohlergehen, noch da sein, in der Erinnerung ganz da sein, »ich glaube zum beispiel an das ewige leben, dass man immer wieder geboren wird«36), die aber subjektiv seien (»man muss sich immer was eigenes denken«37). Nur die Mädchen des zugehörigen Teilgruppeninterviews sprechen von Seele und zwar als Wort für die Einzigartigkeit des Menschen: LUISA:
SINA: LUISA:
FRIEDERIKE: LUISA:
SINA:
34 35 36 37
2_5 145. 5_5 84. 5_5 55. 5_5 55.
ja, also ich würd sagen jeder hat ne seele, jetzt aber nich so wie man sich das immer vorstellt, irgendwie so n geist oder irgendwie sowas, sondern n blaues ding da sondern ich würd sagen, der charakter, die gefühle und die gedanken, alles zusammen, das macht die seele von nem menschen aus, aber das ist halt ja, irgendwie sein, das, die seele, das existiert nur im kopf. und es is jetzt nicht irgendwas extra, was in einem rumschwabbelt oder so, das is einfach nur nee, die seele besteht aus dem was luisa gerade gesagt hat, gefühle, gedanken
»seele ist mal wieder die einzigartigkeit des menschen«
IMKE: SINA: FRIEDERIKE: SINA: LUISA: FRIEDERIKE:
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charakter und charakter, ja. […] und dann, irgendwie, ja. seele is mal wieder die einzig, einzigartigkeit des menschen. [ja] [ja, würd ich auch sagen] und die kann ja, die kann ja nicht dableiben, sonst würde hier ja überall so n kleines täschchen, oder so n kleiner koffer mit einzigartigkeiten rumschweben, oder so.38
Das Gespräch speist sich hier nicht aus dem Dissens (obwohl hier sowohl dezidiert agnostische als auch deistische religiöse Vorstellungen im Hintergrund stehen). Diese Jugendlichen philosophieren, indem sie gemeinsam den von ihnen zur Beschreibung des Menschen eingeführten Begriff begründet entwickeln. Dies geschieht negativ, also in Abgrenzung von (vermeintlichen) Vorstellungen anderer (»nich so wie man sich das immer vorstellt«, »nicht irgendwas extra«, »die kann ja nicht dableiben«) und positiv (Charakter, Gefühle, Gedanken, Einzigartigkeit des Menschen). Insgesamt ist hier die Seele ein Wort für bestimmte Fähigkeiten und Eigenschaften des Menschen und insofern logischerweise sterblich wie dieser. Zusätzlich wird die Sterblichkeit der Seele argumentativ gestützt, indem die vermeintliche dingliche Seelenvorstellung anderer ad absurdum geführt wird (»koffer, mit einzigartigkeiten«, in den Himmel »da passen die doch garnicht alle rein«39). »Die Seele ist die Einzigartigkeit des Menschen«, dieser Gedanke übernimmt aus der Tradition die positive, werthafte Konnotation des Begriffs »Seele«. Mit Unbedingtheit oder gar Gottebenbildlichkeit ist diese Vorstellung allerdings nicht zu verwechseln. Menschen sind für diese Jugendlichen schlaue Tiere, die ihre Evolution selbst in die Hand genommen haben und darin im Vergleich zur Mitwelt einzigartigen Erfolg hatten. Menschen sind hier Individuen, die einander allein aus Gründen der Gedeihlichkeit des Zusammenlebens wechselseitig achten. 4.4 Kurs kath. Religionslehre, kleinstädtisches Gymnasium im Landkreis Ludwigsburg, 25 Christen (rk) Auch hier soll ein kleiner Ausschnitt genügen, der einen bisher noch nicht erschienenen Aspekt der Seelenvorstellungen Jugendlicher beleuchtet. Die zweite Gymnasialgruppe führt den Begriff Seele in platonischer Tradition ein als das Lebendigmachende, als das, was den Tod überdauert (und von einigen vehement geleugnet wird), versucht aber von Anfang an, ihn zu umschreiben und so abzusichern:
38 5_I 540–560. 39 5_I 589.
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PHILIPP: ähm ja, also, da bleibt nix mehr übrig nach dem tod. BJÖRN: der, der glaubt an nix mehr als die materie. und ich bin der meinung, das sollt man irgendwie ähnlich wie gott ansehen, also nich als allmächtiges wesen oder sonst irgendwas, sondern einfach etwas, das über die reine materie hinausgeht.40
Im Verlauf der Diskussion verwenden diese Jugendlichen den Begriff »Seele« als Beschreibung des »Wesens des Menschen«: BJÖRN: MARTIN: BJÖRN:
es geht darum, ob der mensch nur die materie isch oder noch mehr. ja, da fehlt doch die seele ja genau das versuch ich doch grad zu verdeutlichen. und zwar ihm, aber er is ein atheist, das kannst du vergessen. man kann niema, jemanden MARTIN: der nich glaubt, dem kann man auch nich erklären, was eine seele is oder so, der glaubt an sowas einfach nich. ich versteh garnicht was er denkt, ( ) VANESSA: er denkt, dass er einfach nur das hier is, was du hier grad siehst. dass BJÖRN: ist, ähm kohlenstoff BJÖRN: ja, vielleicht MARTIN: vor allem BJÖRN: viel wasser MARTIN: genau und er denkt, dass er nicht BJÖRN: im wert von sieben euro MARTIN: dreiundachzig BJÖRN: I: ich versteh auch nicht, was seele sein soll ja, das was den menschen eigentlich ausmacht MARTIN: ja, einfach alles JASMIN: charaktereigenschaften und alles drum und dran, wie er sich verhält MARTIN: […] [wenn man keine seele mehr hat is man tot VANESSA: SALVATORE: was die seele is [( ) chemische reaktion [die seele is das was JASMIN: was übrigbleibt im leben ELENI: ja JASMIN: ich denk die seele is des, was man, wie man, was man mitkriegt auf JASMIN: die welt und was man damit macht ( ) oh nein, eigentlich au net doch ELENI: doch, eigentlich schon JASMIN: ich denk man muss die se BJÖRN: des is ja der körper und des was halt im gehirn oder so abgeht, aber, JASMIN: aber erinnerungen und so, die gehörn dann zu deiner seele ich denk man muss die seele in ähnlichen bereichen wie gott sehen, BJÖRN: dass es einfach et, wieder mal etwas ist, dass wir, dass wir garnicht so erklären können. deswegen mach ich mir garnicht erst die mühe. [des is aber auch die seele, ja äh] JASMIN: [die göttliche seite in uns41 MARTIN: 40 4_I 695–696. 41 4_I 695–697. 842–891.
»seele ist mal wieder die einzigartigkeit des menschen«
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Theologisieren diese Jugendlichen? Bereits die Bestimmung des Kerns der vorangegangenen Diskussionen (nämlich die Frage, ob der Mensch »nur die materie isch oder noch mehr«) stellt eine Metareflexion dar und gehört insofern in den Bereich des Theologisierens: Die Diskussion dreht sich um die im Verlauf aller Gruppendiskussionen wiederholt klar dargestellte und argumentativ abgesicherte naturalistische Position Philipps (der Mensch ist eine schlaue Maschine, nichts als Mathematik und Chemie42). Alsdann wird – ebenfalls auf der Metaebene – die Frage angedeutet, ob hier ein Gespräch möglich ist oder der Grunddissens (Atheismus auf der einen Seite, Glaube auf der anderen) nicht jede Verständigung verunmöglicht (»ich versteh gar nicht, was er denkt«). Bezeichnenderweise folgt darauf ein Gespräch allein der transzendenzgläubigen Jugendlichen. Sie fassen Philipps Position karikierend zusammen (der Mensch als Kohlenstoff und Wasser im Wert von 7,83 Euro) und präsentieren als Gegenbild dazu ihre eigene Auffassung. Anders als in dieser Gruppe üblich wird dabei nicht argumentiert. Es geht vielmehr darum, die richtigen Bilder für die sonst impliziten Vorstellungen zu finden. Dazu tragen die Jugendlichen einander ergänzende Seelen-Vorstellungen zusammen, die teils probeweise geäußert und wieder verworfen werden und im Vergleich der Seele mit Gott kulminieren. Diese gemeinschaftlich konstruierte Vorstellung wird reflektiert werden müssen, doch ist die sprachliche Fassung und Klärung der eigenen religiösen Vorstellung ein erster und unerlässlicher Schritt ›jugendtheologischer‹ Gespräche. Was nun ist hier »Seele«? Während die einen den Begriff ganz und gar ablehnen, verstehen die anderen darunter eschatologisch das Lebendigmachende und den menschlichen Tod Überdauernde, anthropologisch das den Menschen Ausmachende, Charaktereigenschaften, Verhalten, Dispositionen, Erinnerungen. Letzteres ist auf den ersten Blick identisch mit der aus anderen Gruppen bekannten ›Eigenschafts-Seele‹. Während jene jedoch bloßer Oberbegriff für diverse menschliche Eigenschaften und Fähigkeiten ist, dient die Fassung als ›Eigenschafts-Seele‹ hier dazu, die Seele aus dem Bereich des Dinglichen und damit Angreifbaren herauszunehmen. Die Seele ist hier dies und zugleich mehr, unbeschreiblich wie Gott und »die göttliche Seite in uns«. Hierin ist wiederum die grundlegende Differenz zwischen den Menschenbildern in dieser Gruppe abgebildet, wo sich eine naturalistische Auffassung und eine reflektiert gläubige gegenüberstehen: der Mensch als (unerklärlicherweise freie) organische Maschine und lösbares Problem und der Mensch als der freie und bedeutsame ganz Andere, unbeschreiblich wie Gott und auf dieses, »das einfach da ist«43, bezogen.
42 4_I 786. 43 4_I 422. 427.
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Katrin Bederna
4.5 Überblick Die Jugendlichen aller vier Lerngruppen theologisieren. Dazu gehören hier die gemeinsame sprachliche Konstruktion der eigenen impliziten Vorstellung, deren argumentative Begründung bzw. Infragestellung sowie Metareflexionen beispielsweise hinsichtlich der Bedingungen der Möglichkeit wechselseitigen Verstehens oder hinsichtlich der Objektivität und des Status der eigenen Aussagen. Die erhobenen jugendtheologischen Gespräche bewegen sich auf sehr unterschiedlichen sprachlichen und reflexiven Niveaus. Da es sich um Gruppendiskussionen im Rahmen empirischer Forschung handelt, fehlt hier alles, was die sprachliche und reflexive Kompetenz schulen würde und unterrichtlich nötig wäre, wie die Analyse und Schärfung der von den Jugendlichen verwendeten Begriffe und die Bündelung der Positionen durch die Lehrenden. Essentiell für das Theologisieren im Religionsunterricht und hier forschungspraktisch ausgeblendet sind zudem Auseinandersetzungen mit Fremdpositionen oder ästhetische Dimensionen religiösen Lernens. Obige Gespräche zeigen allerdings gerade in dieser fast unmoderierten und rein diskursiven Form, dass der theologische Gehalt hinter den Äußerungen Jugendlicher nicht immer leicht zu erkennen ist und es der Ausbildung einer diesbezüglichen Kompetenz der Lehrenden bedarf, die mit Jugendlichen theologische Gespräche führen wollen. Nötig sind hier in erster Linie breite und vernetzte theologische und theologiegeschichtliche Kenntnisse, Fähigkeiten des abduktiven Schließens (von Schüleräußerungen auf mögliche theologische Hintergründe bzw. Implikationen) und systematisches Denken.
Nicht-Naturalistisch
Substanz-Seele (tendenz. dualistisch)
Eigenschaftsseele (nicht-dualistisch)
Wanderseele
gottgleich u. unsterblich geschaffen u. sterblich
Naturalistisch
Ablehnung jeder Rede von Seele
Seele als Wort für menschliche Eigenschaften
Systematisiert man die Verwendungen des Begriffs Seele durch Jugendliche entsprechend der oben entwickelten Theorie hinsichtlich der Dimensionen naturalistisch/nicht-naturalistisch und Substanz- bzw. Eigenschaftsseele erhält man vier mögliche und empirisch verifizierte Varianten (Abb. 1): 1.1 Unsterbliche Seele als das, was nach dem Tod vom Menschen übrig bleibt und an einen anderen Ort wandert. 1.2 »Seele« als Wort für Eigenschaften und Fähigkeiten, für das, was dem Menschen wesentlich ist, für seine Gottbezogenheit. All dies vergehe nicht. / Seele als von Gott geschaffenes, sterbliches und aufzuerweckendes Ereignis.
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2.1 Keine Verwendung des Begriffs »Seele« zur Beschreibung des Menschen, da nichts existiert, was dieser bezeichnen könnte. 2.2 »Seele« als Oberbegriff für menschliche Eigenschaften. Dabei verwischt der Unterschied zwischen der gottgleichen und unsterblichen Eigenschaftsseele und ihrem sterblichen Pendant. Positiv zeigt diese Systematik die Verwandtschaft dieser beiden Vorstellungen und die faktische Schwierigkeit, die Unsterblichkeit der Seele mit der Notwendigkeit einer allgemeinen Auferstehung zusammen zu denken.
5.
Theologisieren rund um die Seele
Unterrichtliche jugendtheologische Gespräche um die Seele können in diverse thematische Kontexte eingebettet sein, von eschatologischen über anthropologische (Wesen des Menschen; Leiblichkeit und Selbstinszenierung: zwischen Bulimie und Körperkult) bis hin zu sinnlogischen (bspw. am Motiv des Seelenverkaufs: Wofür mein Leben geben?44). Sie können formal motiviert sein, so wenn eine Unterrichtsreihe am Beispiel der Seele die Entdeckung und Aufklärung der in den Medien Jugendlicher implizierten Menschenbilder in den Mittelpunkt stellt (bspw. Seelen, Wirts-Körper und menschliches Bewusstsein bei Stephenie Meyer). Entsprechend werden die Zielperspektive und die didaktisch-methodischen Gestaltungen differieren. In allen Fällen aber wird ein Unterricht, der subjektorientiert ist, den Jugendlichen die Möglichkeit geben, ihre Vorstellungen zu reflektieren – und folglich aufzuklären und zu entwickeln oder zu revidieren. Er wird die Jugendlichen so »zu verantwortlichem Denken und Verhalten im Hinblick auf Religion und Glaube befähigen«45 wollen. Die oben dargestellte Erkundung des Feldes der Seelenvorstellungen Jugendlicher kann den Religionslehrenden helfen, Momente eines solchen Unterrichtsgeschehens zu antizipieren. Zudem hilft sie, den Blick von der thematisch-deduktiven Frage – »wie es gelingt, […] das Thema ›Seele‹ auf ansprechende, interessante, und trotzdem nicht falsche Weise den Schülerinnen und Schülern zu vermitteln«46 – abzuwenden, hin zur Frage, was die Jugendlichen denken, glauben und für die Entwicklung religiöser Urteils- und Handlungsfähigkeit brauchen. Ein solcher Blickwechsel liegt im Wesen der Jugendtheologie. Dass dazu eine breite Kenntnis der Traditionen und Debatten rund um die Seele auf Seiten der Lehrenden und eine exemplarische Auseinandersetzung mit diesen von Seiten der Jugendlichen unerläss-
44 Vgl. Joachim Bayer / Matthias Kessler, Kann man seine Seele verkaufen? Ein Versuch in der Sekundarstufe I, in: entwurf 42 (2/2011), 28–33. 45 Der Religionsunterricht in der Schule. Ein Beschluss der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland (1974), Nr. 2.5.1. 46 Andreas Reinert in der Einleitung zum religionspädagogischen Themenheft entwurf 42 (2/2011), 1.
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Katrin Bederna
lich ist, muss wohl nicht eigens betont werden. Speziell beim Thema »Seele« scheitert die Vermittlungslogik nicht zuletzt an den konzeptionellen Widersprüchen in der Sache selbst: Was soll denn vermittelt werden, die alttestamentliche, die paulinische, die platonische, die aristotelische Vorstellung oder eine Integration aus allen vieren, wie sie der oben zitierte Katechismus der Katholischen Kirche präsentiert? Eine vermittlungslogische Konzentration auf die ›ganzheitliche‹ alttestamentliche Vorstellung, wie sie zumindest religionspädagogische Literatur dominiert, hat zwar theologisch und anthropologisch jedes Recht und Anhaltspunkte in der Jugendtheologie am dort ebenfalls zentralen Begriff des Herzens. Sie wird jedoch weder helfen, die aus Kirche und (anderen) Lebenswelten auf die Jugendlichen zukommende Begriffsvielfalt zu bändigen noch das Potential des Begriffs für die Selbstdeutung auszuschöpfen, wie es sich hier empirisch gezeigt hat. Welche dieser Seelen nun allerdings am meisten von menschlichem Dasein als Subjekt und Person zu fassen versteht, darum wird weiter gestritten werden müssen.
Hanna Roose
»Sünde ist …« – Biblische Texte bei Jugendlichen ins Spiel bringen
1.
Die Rolle biblischer Texte im Bezugsfeld von Systematischer Theologie und Jugendtheologie
Die Diskussion um »Jugendtheologie« findet zurzeit überwiegend im Dialog zwischen Religionspädagogik und Systematischer Theologie statt. Welche Rolle kann biblischen Texten in diesem Zusammenhang zukommen? Biblische Schriften sind nur selten Texte mit philosophischem Charakter. Sie enthalten – sehr viel öfter als Texte aus der Systematischen Theologie – Brüche, Widersprüche und Unklarheiten. Oft sind biblische Texte narrativ geprägt, sie entfalten ihre Theologie, indem sie erzählen – weniger, indem sie bestimmte theologische Begriffe erklären. Die Systematische Theologie fußt – bezogen auf das Neue Testament – sehr viel stärker auf der paulinischen Theologie als auf den Theologien der Synoptiker oder der Offenbarung des Johannes. Die starke Betonung des Sterbens Jesu Christi »für uns«, der Rechtfertigung »allein aus Gnade«, der Sünde als »Macht« blendet andere Gewichtungen und Deutungen biblischer Theologien stark ab, z.B. die Betonung eines Gerichts (u.a.) nach den Werken (Matthäus, Offenbarung des Johannes) oder der Sünden als moralischer Verfehlungen bei Matthäus und Lukas. Insbesondere der narrative Charakter vieler biblischer Texte und ihre theologische Vielfalt (einschließlich »undogmatischer« Positionen) können theologische Gespräche mit Jugendlichen bereichern. Die Bibel erscheint dann nicht als monolithischer Block, dem die Kirche kanonische Autorität zuschreibt, so dass es nichts mehr zu diskutieren gäbe (nach dem Motto: »So steht’s da eben.«), sondern als ein Zeugnis der Auseinandersetzung um theologische Fragen mit unterschiedlichen, für kanonisch erklärten Positionen. Die Jugendlichen sind eingeladen, in diese Auseinandersetzung als gleichberechtigte Partner einzutreten. Dabei muss klar sein, um welche theologische Frage es gehen soll. Solange biblische Einzeltexte als erratische Blöcke stehen bleiben, ohne in einen theologischen Zusammenhang eingeordnet zu werden, leisten sie einem »Theologisieren«, also einem eigenständigen Nachdenken über theologische Fragen, kaum Vorschub. Der gesetzte theologische Rahmen [hier: »Sünde ist …«] grenzt diese Art der Auseinandersetzung mit biblischen Texten von anderen, offener strukturierten Verfahren [ohne Themenvorgabe], ab. Er hilft, »das richtige Maß zwischen Planung und Offenheit [zu] finden, also gleichsam eine strukturell geplante
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Hanna Roose
Freiheit [zu] ermöglichen«1. Diese »strukturell geplante Freiheit« setzt voraus, dass die Lehrkraft eine begrenzte Anzahl möglicher theologischer Positionen im Kopf hat, die es ihr erlaubt, die Beiträge der Schülerinnen und Schüler zu sortieren und gezielte Denkanstöße zu geben. Hier sind einerseits empirische Studien zu der Frage, wie sich das theologische Thema in der Wahrnehmung Jugendlicher strukturieren könnte, andererseits Einblicke in verschiedene Positionen aus der Systematischen Theologie hilfreich.
2.
Sünde in Jugendtheologie, Biblischer und Systematischer Theologie
Welche »Wahrheit« kann das theologische Thema der Sünde in der Gegenwart, genauer: in der Gegenwart, wie Jugendliche sie wahrnehmen, beanspruchen? »Die theologische Sündenkategorie hat ihren zentralen Ort in der Frage der Selbstbewertung …«2 Diese Frage erhält im Jugendalter besondere Bedeutung. Denn Jugendliche erwerben die Fähigkeit zum abstrakten, selbstreflexiven Denken.3 Sie können abstrakte, z.T. ideale, aber auch sehr negative Selbstkonzepte entwerfen, die vom tatsächlichen Verhalten abweichen. Sie können sich selbst durch die Augen anderer, etwa der Eltern, der Lehrkräfte, der peers, sehen und diese Bilder mit ihrer Selbstwahrnehmung vergleichen. Sie nehmen auch andere wahr und vergleichen diese Fremdwahrnehmung mit ihrer Selbstwahrnehmung. Auftretende Diskrepanzen können als belastend empfunden werden.4 Es geht also um eine »Kultur der Selbstreflexion«5. Theologische Sündenkonzepte leisten zu dieser »Kultur der Selbstreflexion« insofern einen Beitrag, als sie »einer Ausklammerung von negativen Aspekten bei der Selbstbewertung und einer Selbsterhöhung entgegenlaufen«6. Im Neuen Testament lassen sich holzschnittartig zwei Sündenkonzepte voneinander unterscheiden: 1. Matthäus und Lukas sehen in »Sünden« ein konkretes Fehlverhalten im ethisch-moralischen Bereich.7 Sie benutzen den Begriff »Sünde« überwiegend im Plural. Der matthäische Christus ist gekommen, um sein Volk von seinen Sünden zu erlösen (Mt 1,21). Im Vater-Unser sind mit den »Sünden« moralische Verfehlungen gemeint (Lk 11,4; Mt spricht hier von »den Dingen, die
1 Veit-Jakobus Dieterich, Theologisieren mit Jugendlichen – Ein Programm, Beitrag in diesem Band, 43. 2 Carsten Gennerich, Empirische Dogmatik des Jugendalters, Stuttgart 2010, 66. 3 So in der Tradition von Jean Piaget etwa: Reto L. Fetz / Karl H. Reich / Peter Valentin, Weltbildentwicklung und Schöpfungsverständnis. Eine strukturgenetische Untersuchung bei Kindern und Jugendlichen, Stuttgart 2001, insbes. 247. 4 Gennerich (wie Anm. 2), 66. 5 Gennerich (wie Anm. 2), 66. 6 Gennerich (wie Anm. 2), 67. 7 Udo Schnelle, Theologie des Neuen Testaments, Göttingen 2007, 466.
»Sünde ist …« – Biblische Texte bei Jugendlichen ins Spiel bringen
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wir schuldig sind« 6,12). Die Menschheit spaltet sich in Sünder und Gerechte. Jesus ist speziell zu den Sündern gekommen (Lk 5,32), denn im Himmel herrscht mehr Freude über einen Sünder, der umkehrt, als über 99 Gerechte, die der Umkehr nicht bedürfen (Lk 15,7). »Sünder« bilden auch bei Mt das Pendant zu den »Gerechten«. Christus ist gekommen, um die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten (Mt 9,13). 2. Anders als Lukas und Matthäus spricht Paulus von »Sünde« fast ausschließlich im Singular (u.a. 1Kor 15,56; 2Kor 5,21; Gal 3,22; Röm 5,21; 6,12; 7,11). »Die Sünde ist eine jeder menschlichen Existenz vorgängige Macht mit Verhängnischarakter. … Der Mensch findet sich immer schon im Bereich der Sünde und des Todes vor und ist in eine von ihm nicht verursachte Unheilssituation verstrickt. Indem er Glied der Menschheit ist, betrifft ihn die Macht der Sünde.«8 Aber Sünde ist nicht nur Verhängnis, sondern auch (zu verantwortende) Tat (Röm 14,23). Beides hängt untrennbar zusammen (Röm 5,12). Die paulinische Sündenkonzeption wirft damit in besonderer Weise die Frage nach der Verantwortung des Menschen für sein Tun auf. Gennerich unterscheidet in der Dogmatik drei Sündenkonzepte: das sicherheitsorientierte, das selbsterkenntnisorientierte und das wachstumsorientierte.9 Das sicherheitsorientierte Konzept, vertreten z.B. von Thomas von Aquin, versteht (Tat-)Sünden als Abweichungen von den Geboten Gottes. Es setzt voraus, dass für die Menschen klar ist, was Gott von ihnen erwartet, und dass die Menschen ihr Verhalten kontrollieren können. Dieses Konzept kann die Selbstkontrolle steigern. In der modernen Theologie werden überwiegend Spielarten der beiden anderen Sündenkonzepte vertreten. Das selbsterkenntnisorientierte Konzept sieht Sünde (Sgl.) nicht als Tat, sondern primär als Haltung, die Gott zu wenig zutraut, die zu stark ichbezogen ist.10 Die Sünde trifft alle Menschen, daher bedürfen auch alle der göttlichen Gnade. Das wachstumsorientierte Konzept bringt den Entwicklungsgedanken ein. Sünde ist die nicht wahrgenommene Verantwortung vor Gott zum moralischen Wachstum. Ähnlich wie beim sicherheitsorientierten Konzept geht es um die Abweichung von einem göttlichen Standard. Dieser wird aber nicht als absolut gesetzt gesehen, sondern als individuell veränderbar. Mitunter kann hier auch davon gesprochen werden, dass Menschen am eigenen Heilsgeschehen mitwirken.11
8 Schnelle, 263. 9 Die folgenden Ausführungen stützen sich auf Gennerich (wie Anm. 2), 68–78. 10 Z.B. Wolfhart Pannenberg, Was ist der Mensch? Die Anthropologie der Gegenwart im Lichte der Theologie, Göttingen 1962; Klaus Wegenast, Der christliche Glaube als Lehre im Religionsunterricht, in : G. Adam / R. Lachmann (Hg.), Religionspädagogisches Kompendium, Göttingen 1997, 327–380. 11 Lucia Scherzberg, Sünde und Gnade in der Feministischen Theologie, in: Jahrbuch für Biblische Theologie 9, 1994, 261–283.
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Setzt man diese drei Konzepte zu den beiden genannten neutestamentlichen in Verbindung, so zeigt sich eine große Nähe des sicherheitsorientierten Konzepts zum Sündenverständnis bei Matthäus und Lukas. Das selbsterkenntnisorientierte Konzept weist eine gewisse Nähe zur paulinischen Theologie auf. Das wachstumsorientierte Konzept nimmt in gewisser Weise eine Zwischenstellung ein. Denn es sieht Sünde sowohl als Haltung als auch als Abweichung von einer (individuellen) Norm.
3.
Kriterien zur Auswahl biblischer Texte
– Die biblischen Texte sollten unterschiedliche Positionen zu einer bestimmten theologischen Frage möglichst gleichwertig ins Spiel bringen. Dieses Kriterium ist aus der Politikdidaktik (genauer: dem »Beutelsbacher Konsens«) entlehnt, nach dem das, »was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, … auch im Unterricht kontrovers erscheinen [muss]«12. – Die biblischen Texte sollten überwiegend narrativ oder poetisch gestaltet sein. Narrative Texte sind in der Regel leichter zugänglich als argumentativ-entfaltende. Sie laden zur Identifikation ein, zum Austausch mit den und über die auftretenden Figuren. Narrative Texte sind »lebendig«, sie lassen sich kaum auf eine »Lehre« komprimieren.13 – Die biblischen Texte sollten zu unterschiedlichen Interpretationen anregen. Ein Blick in die exegetische Fachliteratur verrät, zu welch unterschiedlichen Interpretationen biblische Texte auch unter Experten anregen können. Diese Vielfalt wahrzunehmen kann verwirren, sie kann aber auch davon entlasten zu meinen, den Schülerinnen und Schülern die »richtige« Interpretation des biblischen Textes nahe bringen zu müssen. Das heißt aber nicht, dass wahllos Ideen gesammelt werden. Lehrkräfte sollten sich anhand der Fachliteratur einen Überblick verschaffen, welche Fragen zu einem bestimmten Text diskutiert werden und welche (unterschiedlichen) Antworten in Betracht kommen. Es ist oftmals erstaunlich, wie viel davon auch Schülerinnen und Schüler entdecken. Auch hier gilt also: Es geht um »strukturell geplante Freiheit« im Diskurs. – Die biblischen Texte sollten sich produktiv vernetzen lassen. Die Vernetzung ist natürlich zum einen durch das gemeinsame theologische Thema gegeben. Es bietet sich darüber hinaus an, Texte zu wählen, die sich aufgrund ihrer narrativen Struktur miteinander vernetzen lassen. Dadurch eröffnen sich Möglichkeiten für weiterführende Gedankenexperimente. 12 Herbert Schneider, Der Beutelsbacher Konsens, in: W.W. Mickel (Hg.), Handbuch zur politischen Bildung, Bonn 1999, 173f. 13 Christian Münch, Die Gleichnisse Jesu im Matthäusevangelium, WMANT 104, NeukirchenVluyn 2004, 273–279.
»Sünde ist …« – Biblische Texte bei Jugendlichen ins Spiel bringen
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– Die biblischen Texte sollten zum Perspektivwechsel anregen: Wer sieht wen wie und warum? – Die biblischen Texte sollten ein Stück (kontroverser) Auslegungsgeschichte transparent machen. So wird deutlich, dass schon die ersten Nachfolger Jesu um Wahrheit(en) gerungen haben.
4.
Ausgewählte neutestamentliche Texte zum Thema »Sünde«
4.1 Die Parabel vom verlorenen Sohn In der berühmten Parabel vom verlorenen Sohn bezeichnet der Heimkehrende seinen unakzeptablen Lebenswandel zweimal mit den Worten: »Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir.« (Lk 15,18.21) »Sünde« hat damit einen doppelten Bezug: Sie betrifft die zwischenmenschliche Beziehung (»vor dir«), aber auch die Beziehung eines Menschen zu Gott (»gegen den Himmel«).14 Die Parabel hat in der Fachwissenschaft eine Fülle unterschiedlicher Deutungen hervorgebracht. Zwei Fragen möchte ich im fachwissenschaftlichen Kontext diskutieren. 1. Inwiefern hat der »verlorene Sohn« gesündigt? Er hat ein »zügelloses Leben« geführt und seinen (!) Besitz verschleudert. Sein älterer Bruder wirft ihm vor, er habe das Geld mit Huren verprasst (Lk 15,30). Außerdem hat der jüngere Sohn den elterlichen Hof verlassen. Wird schon dieser Schritt vom Text als Sünde gewertet? Von unserem heutigen Verständnis her scheint das abwegig. Überlegungen zum religiösen Hintergrund der Parabel könnten jedoch in diese Richtung weisen. Der jüngere Sohn reist aus einem jüdischen in ein heidnisches Land. Er hängt sich an einen »Bürger jenes Landes« (Lk 15,15), der ihn zu den Schweinen schickt. »Der Umgang mit Schweinen galt als Sinnbild des nichtjüdischen Lebens.«15 (vgl. 3. Mose 11,7; 5. Mose 14,8; Jes 65,4; 66,17). Der jüngere Sohn verlässt also seine religiöse Heimat, er verliert seine religiöse Identität.16 Er entfernt sich von seinem Gott. Das könnte durchaus als Sünde »gegen den Himmel« gewertet werden. Diese Deutung wird durch die Beobachtung gestützt, dass die Parabel einen Kontrast zwischen drinnen und draußen aufbaut. Nur drinnen, im Haus des Vaters, ist Freude möglich. »Wer außerhalb der Freude beim Vater ist, ist tot und verloren. Wer daran teilnimmt, ist wieder lebendig und gefunden.«17 Der ältere Sohn, der meint, zu kurz zu kommen, unterstellt, dass der jüngere Sohn in der Fremde etwas Zusätzliches, Beneidenswertes erfahren habe. Der Vater versucht ihn 14 Luise Schottroff, Die Gleichnisse Jesu, Gütersloh 2005, 181. 15 Vgl. Karl-Heinrich Ostmeyer, Dabeisein ist alles (Lk 15,11–32), in: Ruben Zimmermann (Hg.), Kompendium der Gleichnisse Jesu, Gütersloh 2007, 623. 16 Vgl. Eduard Schweizer, Das Evangelium nach Lukas, NTD 3, Göttingen 1986, 164. 17 Vgl. Ostmeyer (wie Anm. 15), 629.
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davon zu überzeugen, dass das ein Irrtum sei. Die Parabel formuliert demnach die Überzeugung: Die Nähe zum (göttlichen) Vater ist unüberbietbar. »Dabeisein ist alles«18. 2. Steht der Vater für Gott? Fast alle Ausleger sehen in dem Vater ein Bild für Gott und seine Vergebungsbereitschaft gegenüber Menschen, die umkehren.19 Schottroff hingegen lehnt eine allegorische Deutung des Vaters auf Gott ab. »In Lk 15,11–32 ist eine Gütergemeinschaft im Sinne sozialer Gerechtigkeit nicht im Blick, eher die Idealisierung eines patriarchalen Haushalts mit seiner Orientierung am Besitz und allen seinen Ungerechtigkeiten gegenüber Frauen und Abhängigen. … Es ist ein patriarchaler Vater von ›Fleisch und Blut‹, … Seine Liebe ist großartig, aber sie durchbricht nicht irdische Verhältnisse, nicht einmal die Gewaltverhältnisse eines patriarchalen Haushalts.«20 Die Parabel vom verlorenen Sohn ist eng mit den beiden voraufgehenden Parabeln in Lk 15 verknüpft, die ebenfalls »Vom Verlorenen« handeln. Alle drei Parabeln enden mit einem Freudenfest. Dieser irdischen Freude entspricht – so sagen es die Anwendungen der ersten beiden Parabeln – eine himmlische Freude bei Gott und seinem Hofstaat: »So wird auch im Himmel mehr Freude herrschen über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über 99 Gerechte, die es nicht nötig haben umzukehren.« (Lk 15,7; vgl. 15,10). Das Motiv der himmlischen Freude als Reaktion auf menschliches Verhalten taucht bei Matthäus auch in der Parabel von den anvertrauten Geldern (25,14–30) auf. Sie lässt sich in gewisser Hinsicht als »Spiegelgeschichte« zur Parabel vom verlorenen Sohn lesen: In beiden Erzählungen geht es darum, dass ein Herr Geld abgibt (leihweise oder als Erbteil), in beiden Erzählungen gibt es den Gegensatz von Wegreisen und Dableiben, in beiden Erzählungen kommt es zur Begegnung zwischen demjenigen, der das Geld abgegeben hat und denjenigen, die es bekommen haben. Innerhalb dieser Strukturen fallen nun die Gegensätze besonders ins Auge: In der Parabel vom verlorenen Sohn ist es der Sohn, der weg reist, in der Parabel von den anvertrauten Geldern der Herr. Der Vater vergibt, der Herr rechnet ab, belohnt und bestraft. Der verlorene Sohn verliert all sein Geld, die Sklaven vermehren oder bewahren es zumindest. 4.2 Die Parabel von den anvertrauten Geldern Das Bild der Abrechnung in Geldangelegenheiten ist transparent für die Abrechnung der guten und schlechten Taten im Endgericht. Der Herr lobt die ersten beiden Sklaven mit den Worten: »Geh ein in die Freude deines Herrn!« (Mt 25,21.23) Beim dritten Sklaven hingegen sagt der Herr: »Und den unnützen Sklaven werft in die Finsternis hinaus. Dort wird er heulen und mit den Zähnen 18 Vgl. den Titel des Aufsatzes von Ostmeyer (wie Anm. 15). 19 Z.B. Schweizer (wie Anm. 16), 165. 20 Schottroff (wie Anm. 14), 185.
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klappern.« (Mt 25,30) Ausgespart ist der erzählerisch und theologisch interessante Fall, dass ein Sklave versucht, das Geld zu vermehren und dabei alles verliert. Die Rede von der »Finsternis« sowie vom »Heulen und Zähneklappern« sind typisch matthäische Bilder für die Verdammnis im Endgericht (Mt 8,12; 13,42.50; 22,13; 24,51; 25,30). Dadurch werden Lohn und Bestrafung in einen eschatologischen Horizont gestellt: Die ersten beiden Sklaven gehen ein in das Reich Gottes, der dritte Sklave endet in der ewigen Verdammnis (vgl. Mt 25,31–46). Anders als in der Parabel vom verlorenen Sohn spielt Umkehr in dieser Parabel keine Rolle. Die eschatologische Belohnung gilt denjenigen, die sich richtig verhalten haben, die eschatologische Bestrafung demjenigen, der sich falsch verhält. Matthäus spricht von »Talenten« (1 Talent = 60 Minen). Die Sklaven erhalten unterschiedliche Beträge. Das verlangt geradezu nach einer Deutung. Was bekommen die Sklaven anvertraut? »Moderne Ausleger des matthäischen Textes deuten das Geld unter anderem auf das Wort Gottes, die Gottesherrschaft, auf Fähigkeiten …, auf das Tun der Gerechtigkeit oder Gottes Gaben im Allgemeinen.«21 Das konkrete moralische Fehlverhalten im Umgang mit dem anvertrauten Gut (also die Sünde) besteht dann z.B. im unwürdigen Umgang mit dem Wort Gottes, im Verkennen des Gottesreiches, im Nicht-Ausschöpfen der eigenen, von Gott verliehenen Fähigkeiten, im Handeln entgegen der göttlichen Gebote (vgl. Bergpredigt Mt 5–7) oder im Verschmähen göttlicher Gaben. Das apokryphe Nazaräerevangelium (um 140 n. Chr.) bietet eine Fassung der Parabel, in der der erste Sklave das anvertraute Geld verprasst. Das erinnert an den verlorenen Sohn. Während jedoch der Sohn umkehrt und vom Vater wieder aufgenommen wird, wirft der Herr den ersten Sklaven ins Gefängnis. »Der Herr hatte drei Knechte [Sklaven]: einen, der das Vermögen des Herrn mit Huren und Flötenspielerinnen durchbrachte, einen, der den Gewinn vervielfältigte, und einen, der das Talent verbarg; daraufhin wurde der eine (mit Freuden) angenommen, der andere nur getadelt, der andere aber ins Gefängnis geworfen.«22
Die drei Sklaven werden hier individuell belohnt bzw. bestraft. Inhaltlich würde man erwarten, dass derjenige, der das Talent verbirgt, getadelt wird, während derjenige, der den Gewinn vervielfältigt, eine Belohnung erhält.23 Der Aufbau des Textes legt allerdings eine andere Deutung nahe. Denn wenn wir davon ausgehen, dass sich die zuletzt genannte Gefängnisstrafe auf den zuerst genannten Sklaven bezieht, ist zu erwarten, dass sich der Tadel auf den an zweiter Stelle genannten Sklaven bezieht – also auf denjenigen, der Gewinn macht.24
21 Münch (wie Anm. 13), 252. 22 Zit. nach Wilhelm Schneemelcher (Hg.), Neutestamentliche Apokryphen, I. Evangelien, Tübingen 61990, 135. 23 So Joachim Jeremias, Die Gleichnisse Jesu, Berlin 71972, 55. 24 Vgl. William R. Herzog II, Jesus as Pedagogue of the Oppressed, Louisville, 1994, 152.
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Hanna Roose
Eusebius (um 330 n. Chr.) benutzt die Parabel aus dem Nazaräerevangelium, um der matthäischen Erzählung eine neue Deutung abzugewinnen. »Da aber das auf uns gekommene, in hebräischen Buchstaben (geschriebene) Evangelium die Drohung nicht gegen den erhebt, der (das Talent) verborgen hatte, sondern gegen den, der ausschweifend gelebt hatte, … so erwäge ich, ob nicht bei Matthäus die Drohung, die nach dem Wort gegen den Nichtstuer ausgesprochen ist, nicht diesem gilt, sondern infolge eines Rückgriffs dem ersten, der mit den Trunkenen geschmaust und getrunken hat.«25
Eusebius möchte also die chiastische Struktur der Parabel aus dem Nazaräerevangelium auf die matthäische Parabel übertragen, um so dem Schluss zu entgehen, dass der dritte Sklave in die Finsternis geworfen werde. Diese Strafe gelte vielmehr dem ersten Sklaven. Von diesem erzählt Matthäus nur, dass er Gewinn gemacht habe. Indem Eusebius den matthäischen Text von der Erzählung aus dem Nazaräerevangelium her deutet (und unterstellt, es handele sich um dieselbe Geschichte), kommt er zu dem Schluss, dass der erste Sklave »mit den Trunkenen geschmaust und getrunken« haben müsse und bestraft werde. Wir haben hier ein eindrückliches Beispiel dafür, wie Christinnen und Christen um die Auslegung (biblischer) Erzählungen ringen. Wir sehen außerdem, wie ein Text einen anderen interpretieren und in seiner Aussage verändern kann. Der erste Sklave, von dem es im Nazaräervevangelium heißt, dass er »ausschweifend gelebt« habe, rückt in eine gewisse Nähe zum verlorenen Sohn, mit dem eklatanten Unterschied, dass der verlorene Sohn seinen Besitz verliert, während der erste Sklave den Besitz seines Herrn vermehrt. Zumindest nach Ansicht des Eusebius haben beide Strafen verdient, kein Erbarmen und schon gar keine Belohnung! 4.3 Der Mensch unter der Macht der Sünde (Röm 7) In Röm 7 präsentiert Paulus das Bild eines gespaltenen Selbst: »an inner self that delights in the law of God and wants to do good; a fleshly self that is captive to the law of sin.«26 Die Sünde ist hier die Macht, die verhindert, dass der Mensch das tut, was er will. Die Volxbibel27 übersetzt daher »Sünde« mit »Programm, das bei mir abläuft«. »Der Mensch ist gespalten und von sich aus nicht in der Lage, seine Integrität wiederherzustellen.«28 In der Exegese ist umstritten, ob Paulus damit jeden Menschen29, die Christinnen und Christen30 oder die Menschen jenseits des Glaubens31 meint. Röm 7,25 betont jedenfalls: Die Rettung aus der ausweglosen Situation kann nur durch Jesus Christus erfolgen. 25 26 27 28 29 30 31
Zit. nach Schneemelcher (wie Anm. 22), 135. David G. Horrell, An Introduction to the Study of Paul, London/ New York 2000, 89. Martin Dreyer, Die Volxbibel. Neues Testament, Holzgerlingen 2006. Schnelle (wie Anm. 7), 265. Paul Althaus, Paulus und Luther über den Menschen, Gütersloh 21951, 41–49. Timo Laato, Paulus und das Judentum, Åbo 1991, 163. Schnelle (wie Anm. 7), 264.
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Röm 7 formuliert damit ein Verständnis von Sünde, das deutlich von demjenigen bei Matthäus und Lukas abweicht: Während sich bei letzteren die Menschheit in Sünder und Gerechte teilt und Jesus Christus speziell zu den Sündern kommt, sieht Paulus den Menschen generell unter der Macht der Sünde, von der nur Jesus Christus befreien kann.
5.
Eindrücke aus der Praxis
Bausteine der folgenden Sequenz wurden mit Jugendlichen einer 9./10. Klasse Realschule sowie mit Studierenden (Lehramt ev. Religion an Grund-, Haupt-, Real- und Berufsschulen an der Leuphana Universität Lüneburg) erprobt und weiterentwickelt. 5.1 Brainstorming Ein erstes Brainstorming zu dem Impuls »Sünde ist …« ergibt u.a. folgende Beiträge:
Brainstorming
Die Beiträge zeigen, dass die Jugendlichen (und die Studierenden) ganz überwiegend von einem »sicherheitsorientierten« Sündenkonzept ausgehen. Sünde ist »etwas Verbotenes machen«. Interessant ist die weiterführende Frage, wer nach Meinung der Jugendlichen jeweils etwas verbietet:
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– töten, stehlen, Sex vor der Ehe: die Bibel / Gott / die 10 Gebote – Essen wegwerfen, Filme runterladen, heimlich rauchen: die Erwachsenen, die Gesellschaft Sünde wird also primär als biblisch verankerter Begriff wahrgenommen, der dann aber auch von der Gesellschaft benutzt wird, um bestimmte Handlungen zu verurteilen. Die eigene Meinung der Jugendlichen (Was ist Sünde für mich? Was betrachte ich als Sünde?) kommt hier nur bedingt zum Ausdruck. 5.2 Die Parabel vom verlorenen Sohn Anschließend wird die Parabel vom verlorenen Sohn eingespielt. Dieser Text ist einer Reihe von Jugendlichen und allen Studierenden bekannt. Je nach Bekanntheitsgrad der Erzählung wird man hier anhand unterschiedlicher Methoden das Textverständnis sicher stellen. Zentral für unsere Thematik ist die Bitte an die Schülerinnen und Schüler, den Vater, den jüngeren Sohn und den älteren Sohn zu charakterisieren und zu formulieren, was im Sinne der Parabel Sünde ist. Die Jugendlichen liefern u.a. folgende Beiträge: Sünde ist, … – wenn man Geld verschwendet – wenn man die Familie im Stich lässt – wenn man seinen Vater enttäuscht – wenn man nur an sich selber denkt – wenn man an der Liebe seines Vaters zweifelt – wenn man eifersüchtig ist – wenn man ungerecht ist. Für die Schülerinnen und Schüler wie auch für die Studierenden steht außer Frage, dass in der Parabel mit dem Vater Gott gemeint ist. Von dieser Voraussetzung aus diskutieren sie, was der Text mit Sünde meint. Einige Schülerinnen und Schüler bleiben eng an der biblischen Erzählung, wenn sie Sünde als Geldverschwendung explizieren. Andere rücken den Weggang in den Fokus. Sie verstehen die Parabel offensichtlich dahingehend, dass der Text den Entschluss des Sohnes, den elterlichen Hof zu verlassen, als Sünde qualifiziert. Anders als in der Exegese, die in diesem Zusammenhang auf den Gegensatz von jüdischem und heidnischem Land abhebt, begründen die Jugendlichen diese Deutung mit familiären Werten: Der jüngere Sohn lässt seine Familie im Stich, er enttäuscht seinen Vater, er denkt nur an sich selber. Das An-sich-selber-Denken ist auch an ein selbsterkenntnis-orientiertes Sündenverständnis anschlussfähig. Die übrigen Beiträge ordnen die Sünde – abweichend vom Wortlaut der Parabel (!) – anderen Verhaltensweisen zu: Der jüngere Sohn begeht erst in dem Moment eine Sünde, in dem er an der Liebe seines Vaters zweifelt – also bei der Rückkehr. Er traut letztlich Gott nicht genug zu. Insofern ist auch dieser Beitrag anschlussfähig an ein selbsterkenntnis-orientiertes Sündenkonzept.
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Bei den bisher genannten Beiträgen gilt durchweg der jüngere Sohn als der Sünder. Es gibt aber auch Schülerinnen und Schüler, die in dem älteren Sohn den Sünder sehen (weil er eifersüchtig ist) oder sogar in dem Vater (ohne dabei in Frage zu stellen, dass Gott gemeint ist!). Insbesondere unter den Studierenden entbrennt eine engagierte Diskussion darüber, ob Gott (!) ungerecht ist. Während Schottroff in der Einbettung des Vaters in ungerechte, patriarchale gesellschaftliche Besitzstrukturen ein entscheidendes Argument für ihre These sieht, dass mit dem Vater nicht Gott gemeint sein könne, zweifeln die Studierenden nicht daran, dass der Vater für Gott steht und diskutieren das daraus resultierende Gottesbild. Einige zögern nicht, Gott als Sünder zu qualifizieren – eine Position, die eine Fülle weiterer theologischer Überlegungen anregen könnte. 5.3 Die Parabel von den anvertrauten Geldern Im Gegensatz zur Parabel vom verlorenen Sohn ist die Parabel von den anvertrauten Geldern in der matthäischen Fassung den meisten Schülerinnen und Schülern sowie einigen Studierenden unbekannt. Das Bildfeld – die involvierten Geldsummen, ein Haushalt, in dem mehrere Sklaven arbeiten, die untereinander in einem hierarchischen Verhältnis stehen – erfordert mehr Erklärungen als die Parabel vom verlorenen Sohn. Auch hier formulieren die Jugendlichen, was in dieser Parabel unter Sünde zu verstehen ist: Sünde ist, … – wenn man mehr nimmt als einem zusteht – wenn man sich auf Kosten anderer bereichert – wenn man seine Talente verkümmern lässt – wenn man nicht versucht, das Gute zu vermehren – wenn man aus Angst gar nichts macht. Kontroverser als bei der Parabel vom verlorenen Sohn ringen die Studierenden und die Schülerinnen und Schüler um die Frage, wer in dieser Erzählung eigentlich »gut« und wer »böse« ist. Die ersten beiden Beiträge sehen die Sünde beim Herrn, der als raffgierig eingeschätzt wird. Diese Deutungen kommen derjenigen von Herzog durchaus nahe. Sie argumentieren letztlich von einem sicherheitsorientierten Sündenkonzept her und setzen voraus, dass Gott für soziale Gerechtigkeit eintritt. Die anderen drei Beiträge hingegen sehen in dem dritten Sklaven den Sünder. Hier gewinnt das wachstumsorientierte Sündenkonzept an Bedeutung. Die Studierenden werden nun mit der Fassung der Parabel im Nazaräerevangelium und den Überlegungen von Euseb konfrontiert. Sie sind von der Kühnheit, mit der Euseb die matthäische Parabel von den anvertrauten Geldern mithilfe der Erzählung aus dem Nazaräerevangelium »uminterpretiert«, beeindruckt und überlegen, ob sie dieser Deutung folgen wollen/können oder nicht.
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5.4 Vernetzung der Erzählungen Mittels eines Figurentauschs vernetzen die Schülerinnen und Schüler die Parabel vom verlorenen Sohn mit derjenigen von den anvertrauten Geldern. Sie stellen sich vor, dass der 3. Sklave aus der Parabel von den anvertrauten Geldern vor den Vater aus der Parabel vom verlorenen Sohn tritt und formulieren einen Dialog, der dann vorgespielt wird, z.B.: 3. SKLAVE: »Hallo, ich habe dein Geld gut verwahrt. Ich hatte Angst, dass du böse wirst, wenn ich es verliere.« VATER: »Schön, dass das Geld noch da ist. Aber auch, wenn du es verloren hättest, hätte ich dir nichts getan.«
Die Reaktion des Vaters kontrastiert deutlich mit derjenigen des Herrn. Ebenso kontrastiert das Verhalten des 3. Sklaven (der das Geld bewahrt) mit demjenigen des verlorenen Sohns (der sein Geld verprasst). In einer zweiten »Begegnung« treffen der Herr und der verlorene Sohn aufeinander. Verlorener Sohn: »Es tut mir leid, ich habe all mein Geld verloren.« – Darauf formulieren die Schülerinnen und Schüler sehr unterschiedliche Reaktionen seitens des Herrn, z.B.: »Du bist zu nichts nutze, ich will dich nicht mehr sehen.« Oder: »Macht nichts, immerhin hast du was unternommen. Hier hast du noch mal Geld. Vielleicht läuft es nächstes Mal besser.«
Durch die unterschiedlichen Beiträge gewinnt die jeweilige Charakterisierung des Herrn an Schärfe: Ist er nur auf Geld aus oder belohnt er die Risikofreudigkeit, auch wenn sie einmal nicht erfolgreich ist? 5.5 Einblenden einer Binnenperspektive Anschließend lesen die Jugendlichen einen Ausschnitt aus Röm 7. Da es sich um einen schwierigen, nicht-narrativen Text handelt, wähle ich die Übersetzung der Volxbibel: »Ich bin mir schon im Klaren darüber, dass der Mensch von Natur aus nicht gut drauf ist. Darum kann ich tun, was ich will, am Ende kommt nichts Gutes dabei rum. Ich will zwar immer wieder das Gute tun, aber dann baue ich doch wieder Mist. Das, worauf ich total keinen Bock habe, genau das mach ich. Wenn ich also immer wieder das tu, was ich eigentlich nicht will, ist das doch eindeutig diese negative Macht, das, was mich von Gott trennt, diese Sünde, die mich zum Schlechten verführt. Das, was gut ist, will ich eigentlich tun, aber statt dessen bau ich nur Mist.« (Röm 7,18–20)
Der Text bietet die Innenperspektive eines Menschen. Die Jugendlichen sollen diese Binnenperspektive nun auf eine Figur ihrer Wahl aus den beiden Parabeln beziehen. Die Beiträge fallen sehr unterschiedlich aus:
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–
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Jüngerer Sohn: »Ich wollte was erleben, die Welt sehen, aber dann ist alles schief gelaufen. Ich musste zurück zu meinem Vater.« 3. Sklave: »Ich dachte, ich mach alles richtig, wenn ich das Geld vergrabe. Aber anscheinend war es doch falsch.« Vater: »Ich habe mich so gefreut, als mein jüngerer Sohn wiedergekommen ist. Das wollte ich ihm auch zeigen. Aber dann habe ich gemerkt, dass mein älterer Sohn traurig geworden ist. War ich ungerecht?« Älterer Sohn: »Ich wollte mich auch freuen, als mein Bruder wiedergekommen ist. Aber irgendwie konnte ich nicht. Ich habe mich so geärgert, und dann konnte ich nicht reingehen, obwohl ich eigentlich gerne mitgefeiert hätte.«
Weiterführend ist hier die Frage, warum die Person nicht das tut, was gut ist. Der jüngere Sohn, der 3. Sklave und der Vater haben sich darin geirrt, was gut ist. Dem älteren Sohn stand sein eigener Ärger im Weg. Paulus formuliert: Ich tue nicht das, was gut ist, weil da etwas ist, was mich von Gott trennt – und eben das bezeichnet Paulus als Sünde. Hier stoßen die Jugendlichen auf die Frage, inwiefern wir für das, was wir tun, verantwortlich sind. Sie sind durchaus der Meinung, dass wir uns für unser Tun individuell verantworten müssen, aber sie kennen auch das Gefühl, dass »ich manchmal gar nicht ich selbst bin«, dass »ich mich nicht beherrschen kann«, dass »ich mich über mich selbst ärgere, aber irgendwie nicht anders kann«. 5.6 Die Strukturierung der Schülerbeiträge Die Schülerinnen und Schüler erhalten nun eine Strukturierungshilfe, um die von ihnen formulierten Beiträge ordnen zu können. Wir konfrontieren die Jugendlichen mit drei Sündenkonzepten aus der Systematischen Theologie: 1. Sünde ist, wenn jemand etwas tut, was Gott verboten hat [= sicherheitsorientiertes Konzept] 2. Sünde ist, wenn jemand sich nur auf sich selbst verlässt und Gott zu wenig vertraut [= selbsterkenntnisorientiertes Konzept] 3. Sünde ist, wenn jemand die Möglichkeiten, die Gott ihm gegeben hat, nicht ausschöpft [= wachstumsorientiertes Konzept] Auf einem Arbeitsblatt sind alle Beschreibungen von Sünde, die die Jugendlichen bisher im Rahmen ihrer Auseinandersetzung mit biblischen Texten formuliert haben, gesammelt. Die Schülerinnen und Schüler sollen sie nun den drei Sündenkonzeptionen zuordnen. Sie stellen fest, dass sich viele Formulierungen dem ersten Konzept zuordnen lassen. Die Parabel von den anvertrauten Geldern bringt dann verstärkt auch die zweite und dritte Konzeption ins Spiel. Die Verse aus dem Brief des Paulus stehen dem selbsterkenntnisorientierten Konzept nahe. Wir diskutieren mögliche Stärken und Schwächen der einzelnen Konzepte.
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5.7 Ein eigenes Sündenverständnis Abschließend sollen die Jugendlichen formulieren, was sie selbst unter Sünde verstehen. Es kommen Beiträge wie: – Sünde ist, wenn ich mir nichts zutraue. – Sünde ist, wenn ich mir selbst im Weg stehe. – Sünde ist, wenn ich Angst davor habe, etwas falsch zu machen und dann gar nichts tue. Die Beiträge zeigen: Das wachstumsorientierte Sündenkonzept spricht viele Jugendliche an. Das sicherheitsorientierte Konzept tritt demgegenüber zurück. Das selbsterkenntnisorientierte Konzept rückt in die Nähe des wachstumsorientierten. Dabei zeigen die Unterrichtsgespräche, dass das wachstumsorientierte Konzept auch deshalb attraktiv ist, weil manche Jugendliche es »autonom« – also ohne Gott – verstehen: Gemeint sind dann die eigenen, nicht die von Gott gegebenen Möglichkeiten.
6.
Schluss
Die Unterrichtseinheit nimmt die Jugendlichen mit auf einen Weg. Am Anfang stehen spontane Äußerungen dazu, was Jugendliche unter »Sünde« verstehen. Das Unterrichtsgespräch zeigt, dass der Begriff recht weit von der Lebenswelt der meisten Jugendlichen entfernt und wenig reflektiert ist. Insofern würde ich bei dieser Phase noch nicht von einer »Theologie von Jugendlichen« sprechen. Die Parabel vom verlorenen Sohn holt viele Schülerinnen und Schüler bei dem Sündenverständnis ab, das sie spontan mitbringen: Sünde ist, wenn jemand etwas tut, was (von Gott) verboten ist. Die Auseinandersetzung mit der Erzählung macht aber auch gleich deutlich, dass die Schülerinnen und Schüler den Text unterschiedlich verstehen und bei der Frage, was im Sinne des Textes Sünde ist, zu verschiedenen Formulierungen kommen. Das regt – im Sinne einer »Theologie mit Jugendlichen« – zum Nachdenken an. Das biblische Bedeutungsspektrum von »Sünde« verbreitert sich in der Auseinandersetzung mit der Parabel von den anvertrauten Geldern und der Passage aus dem Römerbrief nochmals entscheidend. Die Jugendlichen bekommen dann – im Sinne einer »Theologie für Jugendliche« – eine Strukturierungshilfe, damit sie ihre eigene Urteilsbildung in »strukturell geplante[r] Freiheit«32 vollziehen können. Für Lehrkräfte ist es entscheidend, dass sie von Beginn an ein gewisses Raster im Kopf haben, das ihnen die Gratwanderung zwischen enger Festlegung und unstrukturierter Offenheit ermöglicht. Hier können Konzepte aus der Biblischen und der Systematischen Theologie sehr 32 Dieterich (wie Anm. 1).
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hilfreich sein. Deutlich wird dann auch, dass biblische Texte sich selten auf ein bestimmtes Konzept festlegen lassen, sondern oft zwischen mehreren Bedeutungen oszillieren. Abschließend können die Jugendlichen – im Sinne einer »Theologie von Jugendlichen« – ein eigenes Sündenverständnis formulieren – in dem Bewusstsein, dass es auch andere gibt.
Friedrich Spaeth
»Am Ende ist er im Licht hochgestiegen.« – Theologisieren mit Jugendlichen am Beispiel der Christologie
1.
»Theologisieren« und »Christologisieren« mit Jugendlichen
Theologisieren mit Jugendlichen (wie mit Kindern) teilt mit der traditionellen Theologie den Grundcharakter: nämlich den reflektierenden Umgang mit dem, was der Glaube bekennt. Mirjam Zimmermann weist zu Recht auf zwei Eigentümlichkeiten christlicher Theologie hin. Erstens scheint der christliche Typus des Nachdenkens über den religiösen Glauben nicht ohne weiteres auf andere Religionen übertragbar.1 Für unser Thema der Christologie kann das noch genauer gesagt werden. Das Judentum als die Ursprungsreligion des Christentums hat mit der rabbinischen Tradition der Auslegung der Heiligen Texte wie den religiösen Diskussionen etwa in der Synagoge oder im Synedrium kein der christologischen Reflexion vergleichbares Interesse. Glauben war in erster Linie das Vertrauen gegenüber Gott und die Interpretation und das Befolgen seines Willens. Zweitens erinnert Mirjam Zimmermann an die bekannte Beobachtung, dass der eigentliche Impuls des Theologisierens aus dem Tod Jesu, seiner Deutung und seiner wesentlichen Verbindung mit dem Geschehen in der Auferweckung Jesu entsteht.2 Das Paradox, dass der Hingerichtete als Auferstandener der messianische Richter sein sollte, setzt die theologische Dramaturgie im Christentum in Gang. Dem lässt sich noch hinzufügen, dass in der Vorstellung der Menschwerdung Gottes in Jesus (also der Inkarnations-Christologie) das Wort, der Logos Gottes die Gestalt des menschlichen Wortes ergreift. »-Logie« war deshalb eine logische Folge aus dem Christusgeschehen. Das ist bekannt und wenn ich hier nochmals besonders daran erinnere, dann vor allem deshalb, weil dieser eigentliche Ursprung und Kern des Theologisierens so nicht mehr überall wahrnehmbar ist. Der Glaube an Gott im Allgemeinen scheint mehr Akzeptanz zu genießen als der Glaube an Jesus Christus.
1 Mirjam Zimmermann, Kindertheologie als theologische Kompetenz von Kindern, NeukirchenVluyn 2010, 69. 2 Ebd., 233f.
»Am Ende ist er im Licht hochgestiegen.«
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Unter den ca. 50 Items der Bielefelder Online-Befragung »Jugend & Religion« sind unter der Rubrik »Gottesvorstellung: Erlöser« zwei, in denen der Name Jesus Christus vorkommt: »1. Jesus Christus ist für meine Unzulänglichkeit gestorben. 2. Das Blut von Jesus bereinigt die Beziehung zwischen mir und Gott.«3
Damit scheint für die Bielefelder Online-Befragung die Rolle Jesu Christi für die Religion der Jugendlichen hinreichend beschreibbar. Schließlich: Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe freuen sich, wenn man Unterrichtsthemen wie Strafe und Schuld oder Gewissen oder Schöpfung oder Gentechnik ankündigt. Jesus Christus gehört nicht unbedingt zu den spontan begrüßten Unterrichtsthemen. Ähnliche Themen, wie sie das Philosophieren mit Kindern und Jugendlichen favorisiert, also Gott, Freiheit, Unsterblichkeit, Ethik, Woher kommen wir?, Wohin gehen wir?, Was dürfen wir? sind auch beim Theologisieren mit Kindern und Jugendlichen beliebt. Diese Themenstellungen berühren die Christologie höchstens am Rand. Selbst dort, wo wie etwa in der Ethik Jesus als Vorbild ins Spiel kommt, wird selten gefragt, ob wir der Ethik Jesu folgen wollen, sondern eher umgekehrt, ob Jesus für das, was wir ethisch richtig finden, als Beispiel dienen kann. Wundergeschichten werden leichter thematisiert, wenn überlegt wird, ob Wunder möglich sind, als wenn gefragt wird, was die Wunder Jesu über Jesus aussagen. Ich habe in den Pfingstferien an mehreren Tagen vor dem Mosaik des Christus Pantokrator in Monreale meditiert. Diese bestimmende zentrale Stellung vor uns über uns hat Jesus, der Christus, heute nur noch vereinzelt. Nicht in der Verkündigung der Kirche, nicht im realen Leben der Gesellschaft, der Familien, der Erwachsenen. Und also auch nicht in den Gedanken der Jugendlichen.
3 Vgl. Heinz Streib / Carsten Gennerich, Jugend und Religion, Weinheim und München 2011, 188.
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Immerhin: Sinnvolles Theologisieren setzt Glauben voraus. Wenn es der eigene sein müsste, wäre die Situation bei Jugendlichen prekär. Es muss, so kann man einschränken, nicht unbedingt der eigene Glauben sein, es kann auch der glaubhafte Verweis auf den Glauben anderer, vielleicht besonderer Vorbilder, der Eltern und Großeltern, der Gemeinde oder der Kirche sein. Und da ist es schon erschwerend, dass all diese Institutionen und Bezugsgrößen in unserer individualisierten Gesellschaft sowohl an Ansehen verloren haben als auch unklar und verworren geworden sind in ihren Konstruktionen der Bedeutung Jesu für den christlichen Glauben. Das freilich muss uns nicht pessimistisch stimmen. Wo wenig ist, kann um so mehr werden.
2.
Die Botschaft von Jesus und die Perspektive der Schülerinnen und Schüler: Unpünktliches Treffen auf dem Areopag
Die Areopag-Rede des Paulus gilt als Muster einer lukanischen Missionspredigt. Sie eignet sich, um die Situation eines nicht mehr kirchlichen Milieus unter den Jugendlichen zu charakterisieren. Die Strategie des Paulus, um die Botschaft von Jesus Christus bekannt zu machen, die Ausgangssituation und die Reaktion der Zuhörer haben nicht nur oberflächliche Analogien in der Szenerie des Religionsunterrichts. Ähnlich wie die Religionslehrer/innen kommt Paulus aus einem religiösen Binnenraum auf einen Marktplatz (Athen) und trifft dort auf philosophierende Neugierige, die gerne mit ihm philosophieren. Auch den Schülerinnen und Schülern klingt manches »sehr fremdartig und sie würden gerne genauer wissen, was es damit auf sich hat.« Von diesen Überlegungen ausgehend wurde in einer 11. Klasse (Großstadt) der Text »Paulus in Athen« (Apg 17, 16ff) intensiv bekannt gemacht, gerahmt mit einer Bilderschau zum damaligen Athen und seinen Göttern usw. Die Schülerinnen und Schüler wurden mit dem unkommentierten Text konfrontiert, so dass sie selbst Fragen an Paulus und sein Auftreten formulieren konnten. Auf Plakaten wurden ihre Fragen zusammengetragen. Insgesamt spiegeln sie die Ratlosigkeit der Athener wider. Einige Beispiele: Fragen an Paulus – Nimmst du Drogen? – Rede ist unsinnig. – Woher weißt du das, was du da erzählst? – Warum willst du andere bekehren? – Worauf wartest du bei der Auferstehung? – Hast du keine Strafen gefürchtet? – Wolltest du dir nur den Adrenalinkick geben? – Wo hast du gelebt? – Was treibt dich an? – Glaubst du das wirklich? – Bist du von der Kirche abhängig? – Hast du Kinder?
»Am Ende ist er im Licht hochgestiegen.«
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Vielleicht wäre es klug gewesen, die Schülerinnen und Schüler bei diesen Fragen zu behaften. Da es zu viele waren, wurde versucht, im Klassengespräch die Fragestellungen zu konzentrieren. Und nun zeigte sich, dass die Schülerinnen und Schüler ihre Fragen eher im Vorfeld der paulinischen Ansprache ansiedelten. Sie wählten als ihre Problemstellungen aus: 1. Ein Gott – viele Götter Eine Wahrheit – viele Wahrheiten 2. Woher nehme ich, was mir im Leben wirklich etwas bedeutet? 3. Kann ich mit meiner Überzeugung alleine bleiben?
Die Schülerinnen und Schüler sollten sich jetzt mit einem dieser Themen befassen, indem sie Briefe an Paulus verfassen. Die Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler wählte – für mich irritierend – die Frage: Woher nehme ich, was mir wirklich wichtig ist? – Paulus und seine Angebote gerieten dabei eher an den Rand. Ein durchaus typisches Beispiel einer Bearbeitung: »Lieber Paulus, Wie du weißt, ist das Leben ein Geben und Nehmen. Auf dem Weg des Lebens wird man viele Dinge, die einem wichtig sind, opfern. Da muss man sich nun entscheiden, was man opfern will. Lieber etwas Großes, das einem aber von geringer Bedeutung ist, als etwas Kleines, das von großer Bedeutung ist. Mir persönlich liegt der Glauben, die Freundschaft, Familie und die Musik am Herzen. Die Überzeugung der Existenz Gottes, das Vertrauen, das man in eine Freundschaft investiert und zurückerhält, die Geborgenheit, die die Familie schenkt und die Lebensfreude, die mir die Musik schenkt, woher nehme ich diese Sachen? Diese Dinge machen das Leben erst lebenswert, doch woher kommen sie? Vielleicht aus der Gottesehrfurcht, der Faszination durch das Unbekannte, der Zuneigung, die man in der Freundschaft sucht, dass immer jemand für einen da ist, wenn man ihn braucht. Vielleicht aus der Geborgenheit in der Familie oder dem Genuss der Kunst, sei es Musik, oder dass man etwas Kreatives produziert. Vielleicht sind es genau diese Sachen, die im Leben zählen oder auch genau diese Sachen nicht. Denn schließlich sind Gefühle und Denkweisen leicht zu manipulieren. Dein J.«
Völlig verloren gegangen ist die Pointe der paulinischen Rede. Dass Paulus von Jesus Christus, seinem Richteramt und seiner Legitimation in der Auferstehung reden wollte, wird ersetzt durch allgemeine Überlegungen zum Leben und seinem Sinn. Andere Schülerinnen und Schüler machten sich durchaus Gedanken über Gott und die Welt, aber nicht über Jesus. Aus dieser Erfahrung möchte ich festhalten: Für die Schülerinnen und Schüler ist das Nachdenken über ihr Lebenskonzept der Horizont, in dem sie andere Botschaften verorten. Sie haben entsprechend dem säkularisierten unspezifischen Diskurs ihrer gesellschaftlichen Umgebung wenig Zugang zu den steileren Themen der Christologie wie der Auferweckung Jesu oder seinem Richteramt.
154 3.
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Die Entwicklung christologischer Aspekte aus der Kindheit hin zum Jugendalter
Die primären Motive des Theologisierens, die bei Jugendlichen (wie bei allen Menschen) sichtbar werden, sind Angst und Hoffnung gegenüber dem Schicksal. Wer wendet Not ab? – Wer sorgt dafür, dass ich Erfolg habe? – Wer bewahrt mich vor Einsamkeit? – Sigmund Freuds Feststellung, dass die Sehnsucht nach einer Macht, die all dies leistet, ihr konkretes Bild an der Vatergestalt nimmt, die ins Allmächtige gesteigert wird, hat nach wie vor ihre Berechtigung. Dem entsprechend wird Jesus in seiner Wundermacht eng mit Gott zusammen gesehen. Denn nur so ist ihm die nötige Macht über das Schicksal zuzutrauen. Jesus als Helfer in seiner Wunder-Allmacht und Gott in seiner Übermacht über das Schicksal dienen also in der Konstruktion der Wirklichkeit ähnlichen Zielen. Von daher wird auch das Verhältnis von Jesus als Sohn zu Gott als dem Vater bestimmt. Gott benützt seinen Sohn Jesus, um seine Absichten unter die Leute zu bringen. Umgekehrt braucht Jesus die Kräfte und die Macht seines Vaters, um Krankheiten zu heilen und Not zu beheben, also das Gute zu tun, das unter normalen irdischen Bedingungen nicht machbar wäre. Es scheint fast selbstverständlich – und ist es doch keinesfalls: Gott wird zunächst als freundliche Macht, als »Helfer« eingeschätzt. Empirische Untersuchungen zum Gottesbild von Kindern zeigen, dass die Ambivalenzen im Gottesbild, also Gott als helfende, Gott als bedrohende Macht, sich bei christlich erzogenen Kindern anders entwickeln als bei religionsfrei heranwachsenden. Während bei christlich sozialisierten Kindern das menschenfreundliche Gottesbild meist die Oberhand behält, drängen sich bei den anderen die negativen Züge ins Bild. Ich vermute, dass dies nicht nur am positiv gestimmten Diskurs über Gott im christlichen Milieu im Allgemeinen liegt, sondern vor allem auch an der Wahrnehmung der Gestalt Jesu, deren Wollen fast eindeutig auf Hilfe und Freundlichkeit fixiert und mit Gott verbunden wird. Die Herauslösung Jesu aus den Fantasy-Gestalten geschieht ja durch die Einbettung in die biblischen Erzählzusammenhänge, deren positiv-freundliche Wertung der Mitmenschlichkeit Jesu eindeutig ist.4 Auf diesem Hintergrund müssen die Entwicklungen im Jugendalter gesehen werden. Allerdings weist das Jugendalter gegenüber den Vorstellungen der Kinder vielerlei Brüche auf. Für Freud hat das Jugendalter die Aufgabe, dem Realitätsprinzip die Vorherrschaft vor dem Lustprinzip und seinem Wunschdenken zu verschaffen. Die Ambivalenz menschlicher Erfahrung, ihre Ungesichertheit und Abhängigkeit vom blinden Schicksal, erweisen den Glauben an einen an meinem jeweiligen Glück engagierten Gott als Illusion. Einer derartigen Desillusionierung, 4 Vgl. Judith Brunner, »Der Jesus kann auch gut mit Kindern umgehen«, in: Gerhard Büttner / Jörg Thierfelder (Hg.), Trug Jesus Sandalen? Göttingen 2001, 27ff.
»Am Ende ist er im Licht hochgestiegen.«
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wie sie Freud für unausweichlich hält, wenn man bei Verstand und Vernunft ist, wird nur entgehen, wer sein Gottesbild an Jesu Kreuz und Auferstehung formt. Betrachten wir unter diesen Voraussetzungen die Mind-Map, die Gerhard Büttner für die Christologie von Kindern und Jugendlichen zusammengestellt hat5:
Abbildung: Mind-Map der Christologie von Kindern und Jugendlichen
Die christologischen Fragen, die dieses Schema für das fortgeschrittene Verständnis Jugendlicher aufwirft, hängen vor allem damit zusammen, ob es gelingt, Jesu Leiden und Sterben und seine Auferstehung nicht nur als etwas zu begreifen, das von Gott so bestimmt wurde, sondern als ein Geschehen, das zeigt, wie Gott in seinem Wesen ist. Die Verbindung des Willens Gottes mit dem Handeln Jesu wird bei Kindern und auch bei jüngeren Jugendlichen vor allem durch das Gebet hergestellt. Das bleibt für 8. und 9.Klässler noch bedeutsam. Zunehmend wird aber die Bedeutung des »besonderen Menschen« Jesus in einen Zusammenhang mit Gott gebracht (z.B. Darsteller Gottes). Das sind einige der Ergebnisse der empirischen Studien von Gerhard Büttner. 5 Aus: Gerhard Büttner, Christologie von Kindern und Jugendlichen, in: Glauben und Lernen, 19. Jahrgang, 1/2004, 44.
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Tatsächlich lassen sich in der weiteren jugendlichen Entwicklung die christologischen Konstruktionsmuster immer weniger typisieren. Die Verbindungslinien in Büttners Schema lockern sich immer mehr. Die Bedeutung der Leidensgeschichte Jesu verringert sich. Die Auferstehung Jesu wird abgeblendet. Die eigene Auseinandersetzung mit Tod und Weiterleben nach dem Tod, bzw. Auferstehung erfolgt ohne Bezug zu Jesu Auferstehung, meist in Auseinandersetzung mit Vorstellungen einer Seelenwanderung oder des Weiterlebens der Seele nach dem Tod. In Fowlers religiösem Entwicklungsschema wird das Jugendalter zwischen 13 und 20 Jahren überwiegend vom synthetisch-konventionellen Glauben (= Stufe 3) bestimmt; mit (deutlichen) Entwicklungen hin zu einem individuierend-reflektierenden Glauben. Ein Faktor, warum der vorausgehende mythisch-wörtliche Glaube zusammenbricht, »sind implizite Gegensätze oder Widersprüche in ›stories‹, was zum Nachdenken über Sinn führt. Der Übergang zum formaloperationalen Denken macht eine derartige Reflexion möglich und notwendig.«6 Es wird auch hier deutlich: Die »stories« der Glaubensüberlieferung leisten für die Weiterentwicklung der Gottesvorstellungen einiges, auch wenn sie nicht kohärent erinnert werden. Für die Christologie setzt das »Nachdenken über Sinn« beträchtliche Kenntnisse voraus. Tobias Ziegler hat in einer groß angelegten empirischen Arbeit die »elementaren Zugänge Jugendlicher zur Christologie« untersucht7. Die von ihm ausgewählte Gruppe Jugendlicher waren 11.Klässler an baden-württembergischen Gymnasien. Tobias Ziegler ermittelt die Ansichten der Jugendlichen zunächst durch einen Schreibauftrag, der von einer fiktiven Situation ausgeht: Es geht darum, einem Freund/einer Freundin, die noch nie etwas von Jesus gehört hat, Jesu Leben und Bedeutung aus der eigenen Sicht darzustellen. Mit dieser globalen Aufgabenstellung werden einige zentrale Gesichtspunkte zur Gliederung der Gedanken verbunden: »Was ich von Jesus denke […]. Für eine Gliederung Ihrer Gedanken und als Hilfe zur Berücksichtigung wichtiger Aspekte beim Schreiben können Ihnen folgende Fragen nützlich sein: – Wer war Jesus? – Was wollte er? – Warum glauben Menschen an Jesus Christus? – Was haben Leben und Tod Jesu mit dem Glauben an Gott zu tun? – Was kann uns Jesus heute sagen? – Was bedeutet Jesus für mich?
6 James W. Fowler, Stufen des Glaubens, Gütersloh 1991, 167. 7 Tobias Ziegler, Jesus als »unnahbarer Übermensch« oder »bester Freund«? Neukirchen-Vluyn 2006. – Für die Altersgruppe der 16- bis 17jährigen Jugendlichen ist diese umfangreiche Studie zur Christologie von Gymnasiasten bahnbrechend. – Zum Thema s. ferner: Michaela Albrecht, Für uns gestorben. Die Heilsbedeutung des Kreuzestodes Jesu Christi aus der Sicht Jugendlicher (ARP, 33), Göttingen 2007; Michaela Albrecht, Vom Kreuz reden im Religionsunterricht, Göttingen 2008; zudem weiten manche der Arbeiten zur Christologie von bzw. zum Christologisieren mit Kindern ihren Blick bis ins Jugendalter aus.
»Am Ende ist er im Licht hochgestiegen.«
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Schreiben Sie ruhig ausführlich, erwähnen Sie auch offene Fragen, Zweifel, Unklarheiten! Bitte geben Sie am Ende des Aufsatzes an, wodurch Ihr Bild von Jesus am stärksten geprägt wurde.«
Ziegler findet bei der Auswertung fünf Grundhaltungen: – Kritiklos indifferent (15,3 %) – Kritiklos zustimmend (23,6 %) – Kritische Ablehnung (24,4 %) – Unsicherheit bzw. hypothetische Zustimmung (16,8 %) – Kritische Aufgeschlossenheit (19,9 %) Die Gruppen erweisen sich grob gesehen jeweils als gleich groß. Interessant ist, dass die Differenzierung nach Geschlecht bei den beiden Gruppen signifikante Unterschiede zwischen den weiblichen und männlichen Jugendlichen erkennen lässt. Mehr männliche Jugendliche sind kritisch ablehnend oder kritiklos indifferent, während weibliche Jugendliche bei den anderen Gruppen (kritiklos zustimmend, Unsicherheit und kritische Aufgeschlossenheit) zahlreicher sind. Eine Differenz, die noch deutlicher zu Tage tritt, wenn die Unterscheidung von ländlichem Raum und Großstadt hinzugenommen wird. Sind die Ergebnisse in ländlichen Regionen näher beieinander, so sind die Mädchen in großstädtischem Milieu gegenüber der Christologie deutlich positiver gestimmt. In seinen Schülerbefragungen hat Ziegler folgende Krisenherde des Jugendalters im christologischen Denken ausgemacht.8 Ich vereinfache etwas: 1. Das Theodizee-Problem: Jesus hat zwar damals Leute vor Not, Krankheit und Tod gerettet, heute aber wird diese Erfahrung nicht mehr gemacht. 2. Jesu göttliche und menschliche Natur: Die göttliche Natur wird in erster Linie in den weltüberlegenen Machtattributen gesucht. Das mindert die beim irdischen Jesus gesuchte und in der Kindheit auch gefundene Nähe und Identifikationsmöglichkeit. 3. Jesus als ethisches Vorbild: Jesus wird als idealisierter Moralprediger gesehen, gesucht wird aber eine befreiende Ethik. 4. Jesus als Wunschbild und Erfindung: Supranaturale Züge machen ihn unwahrscheinlich. Die Nachrichten über ihn gehen in sagenhafte Zeiten zurück. Er trägt die Züge einer illusorischen Phantasiegestalt. 5. Jesus ohne beweisbare heutige Auswirkung: Wo und bei wem kann man sehen, dass der Glaube an Jesus tatsächlich etwas verändert? 6. Jesu Exklusivität als Erlöser: Da Gottes Erlösungswillen allen Menschen gilt, erscheint die Einschränkung auf Jesus als Erlöser willkürlich.
8 Tobias Ziegler, Abschied von Jesus, dem Gottessohn? Christologische Fragen Jugendlicher als religionspädagogische Herausforderung, in: Gerhard Büttner / Jörg Thierfelder (Hg.), Trug Jesus Sandalen? Göttingen 2001, 111ff.
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Die Gedanken Jugendlicher – das zeigt diese, die Ergebnisse von Ziegler verkürzende Zusammenstellung – kreisen zum großen Teil um die gleichen christologischen Themen, wie sie aus der Kindertheologie bekannt sind (und wie sie auch in der akademischen Theologie subtiler erörtert werden). Die beherzte Naivität der Kindheit ist dem größten Teil der Jugendlichen allerdings abhanden gekommen. (Und die verkopfte Gelehrsamkeit akademischer Theologie ist ihnen noch fern.) Die in der Kindheit und frühen Jugend verinnerlichten Bilder Jesu geraten unter Illusionsverdacht; das ist in den ersten fünf Punkten mehr oder minder deutlich erkennbar. Da diese Bilder und Modelle ja tatsächlich kindlich vereinfacht sind, müssen sie einem jugendlichen Verstand ungenügend erscheinen und werden deshalb in kritische Distanz gerückt. Religiöse Entwicklungstheorien sehen derartige Krisen als notwendige Voraussetzung für die Neuformierung der Glaubensüberzeugungen auf einem höheren Niveau. Konsequenterweise stellt sich die Frage, welche Erfahrungen und Erkenntnisse, welche Begegnungen, Informationen und Impulse für die Jugendlichen hilfreich sein könnten, um die kritischen christologischen Themen in ein neues Licht zu rücken. Auf Grund seiner Diagnose fordert Ziegler zu Recht ein plausibles Kerncurriculum zu Jesus Christus in den Bildungsplänen. Wichtiger noch ist seine Zielsetzung, über diese Fragen mit den Jugendlichen in ein »fruchtbares Nachdenken einzutreten«. Und dafür scheint mir das Konzept des Theologisierens mit Jugendlichen bestens geeignet. Dass auch Jugendliche, die eigentlich gern glauben wollen, von intensiver Skepsis geplagt werden, sieht man an diesem Statement aus einer 9. Klasse (Umkreis Großstadt) auf die Frage: »Was macht es dir schwer, an Gott zu glauben?« »Es gibt Dinge, die es einem nicht leicht machen, an Gott zu glauben. Da ist zum einen, dass Jesus vor fast 2000 Jahren gelebt hat. Dies ist zwar kein allzu großes Problem, da ich seine Ansichten teile und diese auf die heutige Zeit übertragen kann. Es gibt aber eine Sache, die ich mir wirklich nicht erklären kann und auch nicht richtig glauben. Es sind die Wunder der Blindenheilung und die blitzschnelle Heilung der Kranken… Ich kann mir diese Wunder nicht erklären. Ich persönlich glaube an Gott. Ich finde auch, dass viel mehr Menschen an Gott glauben sollten.«
4.
»Theologisieren« in der Lernlandschaft Jugendlicher
Untauglich für repräsentative empirische Studien, wissenschaftlich also nicht haltbar, aber auf seine Art sehr empirisch und authentisch ist das, was ich – im Schülerbus fahrend – an Äußerungen über den Schulunterricht höre. Und da ist für mich als Religionslehrer natürlich immer besonders interessant, wie der Religionsunterricht vorkommt. Ich kann nicht behaupten, dass er im Lauf der Jahre besonders enthusiastisch besprochen worden wäre, wie übrigens die meisten Urteile der Schülerinnen und Schüler im Bus über das Schulische stark
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negative Akzente haben. Was mich immerhin beschäftigt hat, war die Wahrnehmung, dass der Religionsunterricht mit einer gewissen Herablassung thematisiert wurde. Dass man dort für geringe Leistungen Supernoten bekommt, dass die Lehrerinnen und Lehrer mit wenig zufrieden zu stellen sind, vor allem aber – und das möchte ich hier als Grenzwert nennen –, dass man im Fach Religion viel labert und wenig lernt. Das Problem ist jedem, der Religion unterrichtet, bekannt und soll hier nicht weiter beklagt werden. Es soll hier nur ins Spiel kommen, um eine Anforderung an das Theologisieren mit Jugendlichen klarer zu umreißen: Die Jugendlichen müssen die Zeit, die sie mit theologischen Gesprächen, Essays, Bildern, Dilemma-Geschichten usw. zubringen, als gewinnbringend verbuchen können. Und sie müssen als Konsequenz daraus Ansätze einer Haltung ausformen, die religiös-ideologischen Situationen mit dieser Haltung begegnet, also »theologisierend«. Beides – die Bewertung des Theologisierens bei den Schülerinnen und Schülern wie die Verfestigung in einen Habitus – ist wenig erforscht. Es ist auch schwierig zu belegen. Lässt sich das Interesse der Jugendlichen nach einer Unterrichtsstunde noch fragebogenmäßig erfassen, so sind für Langzeitbeobachtungen Versuchsanordnungen aufwändiger. Stattdessen möchte ich einige grundsätzlichere Überlegungen anstellen: die Vorstellung vom erfolgreichen Lernen. Was erfolgreiches Lernen ist, lesen die Jugendlichen in der Schule zunächst an den zentralen Fächern, also Mathematik, Naturwissenschaften und Sprachen ab. Selbst wenn sie in diesen Lernbereichen die Kompetenzen gar nicht erwerben wollen, weil sie z.B. Mathe blöd finden, anerkennen sie weitgehend die Kompetenzbeschreibungen der Bildungspläne. Das ist in den so genannten »weichen« Fächern, wie Musik, Kunst, Religion anders. Hier wird ein ausgesprochen subjektiver Lernbegriff bevorzugt. Die Konvergenz mit den individuellen Interessen, die »Lebensnähe«, was darunter auch immer im Einzelnen verstanden wird, die emotionale und gedankliche Überwältigung, die von Phänomenen wie Gewalt, Erotik usw. ausgehen kann, all das ist wichtiger als systematische und kohärente Kenntnisse und Haltungen in diesen Gebieten der Bildung. Neben diese fachspezifische Wertung tritt für die Jugendlichen die Wertzuschreibung der Gesellschaft, die in der Schule in Noten und sonstigen Bewertungen erfolgt. Begabung und investierte Arbeit werden in Relation zum quantifizierbaren Erfolg gesetzt. Aus dem hier knapp Angedeuteten wird erkennbar, warum eine gute Note in Physik nicht gleich bedeutend ist mit einer guten Note in Religion. Und warum die Kompetenz des Theologisierens hier aus dem Rahmen fällt. Bei einem Unterrichtsversuch an einem Gymnasium in Rottenburg, der in den 90iger Jahren von der Universität Tübingen aus wissenschaftlich begleitet wurde, zeigte sich, dass die Schülerinnen und Schüler auch bei unterrichtlicher Performanz, die wir normalerweise der Bewertung entzogen sehen – wie etwa kreative Gestaltungen, theaterpädagogische Umsetzungen oder spielerische Aktivitäten – notenrelevante Rückmeldung und Bewertung erwarteten. Während das Theologisieren mit Kindern noch auf die intrinsische Motivation bauen kann, sich zu
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bestimmten Problemstellungen zu äußern, eigene Gedanken laut werden zu lassen, Sinn zu konstruieren, ist für Jugendliche daneben die extrinsische Motivation der Anerkennung in der Belohnungssystematik der Schule wichtig. Daraus folgt die schwierige Frage, wie sich das Theologisieren mit Jugendlichen über die Events hinaus (darunter verstehe ich Sondersituationen wie Unterrichtsprojekte von Hochschulen, die Mitteilung, dass eine Gruppe empirische Daten für eine Tagung oder Promotion liefern soll u.Ä.) zu diesem System schulischer Wertschöpfung verhält.
5.
Vom »Theologisieren« zum »Christologisieren«
Mirjam Zimmermann stellte in ihrer Untersuchung »Kindertheologie als theologische Kompetenz von Kindern« in den zusammenfassenden Thesen fest: »Kindliche Denk- und Sprachformen können mit dem Paradigma der ›domainspecificity‹ als Landkarten des Denkens in inhaltliche Bereiche systematisiert werden: Neben einer gewissen Grundkompetenz der Kinder zeigen die empirischen Studien eine proportionale Abhängigkeit der theologischen Kompetenz vom vorhandenen domänenspezifischen Wissen der Kinder. Je vielfältiger Voraussetzungskompetenzen waren, desto differenzierter und kompetenter konnten Kinder ein theologisches Problem wahrnehmen, bearbeiten und ›lösen‹.«9
Das kann niemand überraschen. Es gilt aber in verschärfter Form für das »Christologisieren« mit Jugendlichen. Wer über die näheren Umstände von Jesu Tod nichts weiß, hat es allzu leicht beim Spekulieren über die Bedeutung des Todes Jesu. Das Theologisieren und vor allem das »Christologisieren« mit Jugendlichen baut mehr als bei Kindern auf nicht nur einfache, sondern differenzierte Kenntnisse in den jeweiligen thematischen Domänen. Zum Beispiel müssen Jugendliche in der Frage der Wunder den Konflikt mit ihrer eigenen Sicht der Realität verarbeiten. Das bedarf einer genauen Wahrnehmung der alten Texte und kritischer Beobachtungen zu unserem Realitätsbegriff. Zu beidem braucht man Anleitungen. Deshalb seien einige didaktisch-methodische Hinweise erlaubt, wie das »Christologisieren mit Jugendlichen«, speziell mit Schüler/innen, intensiviert werden kann. Zum einen gilt es, Voraussetzungen für Gespräche über Jesus Christus zu schaffen. – Für Jugendliche wirkungsvolle Medien als Hintergrund benützen. Das NT ist eine Sammlung von Kleinliteratur, kein Blockbuster. Wer sich ständig mit Splittern beschäftigt, dem gerät das Gesamtbild der Person Jesu aus dem Blick. Also Bilderzyklen, Filme, zusammenhängende Erzählungen, vielleicht auch
9 Mirjam Zimmermann (wie Anm. 1), 408.
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Übungen der Schüler, Erzählzusammenhänge vortragen.10 Wichtig ist, dass dabei immer wieder größere Zusammenhänge in den Blick geraten, also etwa Wunder und Auferstehung / Karfreitag und Ostern / Bergpredigt und Jesu Leidensgeschichte. – Philosophieren und theologisieren über vergleichbare Charismatiker und ähnliche mediale Gestalten (Messianische Gestalten wie in Terminator oder Matrix oder Der Wüstenplanet / Opferthematik in Filmen und Erzählungen / Vergleichbare Religionsstifter oder prophetische Gestalten). – Einigermaßen brisante und zentrale Problemstellungen wählen, etwa: Warum weicht Jesus seinem drohenden Schicksal nicht aus? – Begünstigende Orte, begünstigende Zeiten aufsuchen: z.B. sich nachmittags in einer Kirche treffen; sich über die Auferstehung nach einem Besuch eines Friedhofs Gedanken machen; über Jesus vor einem Kruzifix, an einem Kreuzweg sprechen; die Ethikgruppe zu einer Diskussion über Jesus einladen. Zum andern sind Nachhall und Nachhaltigkeit gezielt zu fördern: – Gedächtnisübungen: Jugendliche haben häufig kein besonders gutes Gedächtnis für Gespräche oder Diskussionen. Nicht einmal, was sie selbst gesagt haben, wissen manche eine Woche später noch verbürgt. Das lässt sich verbessern, wenn 10 Minuten vor Ende der Stunde Statements und Positionen aus dem Gespräch / der Diskussion erinnert und vielleicht sogar fixiert werden. – Gespräche werden aufgezeichnet und nochmals bei einer passenden Gelegenheit vorgespielt und kommentiert. – Trotz der hohen Arbeitsbelastung der Unterrichtenden sind Gedächtnisprotokolle für die Schülerinnen und Schüler ein eindrucksvoller und dankbar zur weiteren Reflexion genutzter Service. – Konfliktstellungen, Widersprüche, unterschiedliche Meinungen, interessante Themenstellungen, die in einer Diskussion zu Tage treten, werden nochmals zu einer griffigen Problemstellung zusammengefasst und zum weiteren Nachdenken aufgegeben. Beispiel: Jesus ist 100 % Gott und 100 % Mensch. Ein Widerspruch / ein Paradox. – Wie können wir uns diesen Widerspruch erklären? – Rückmeldungen: Zu Aufsätzen in Deutsch erhalten Schülerinnen und Schüler einen Kommentar. Den schätzen sie auch bei Aufsätzen in Religion. Dabei gibt es mancherlei Formen der Rückmeldung (Gespräch, weitere Fragen usw.).
10 Vgl. Gerd Theißen, Der Schatten des Galiläers. Historische Jesusforschung in erzählender Form, München 1986.
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– Rückfragen aus der Gruppe: Eine Schülerin, ein Schüler stellen ihren Aufsatz zur Diskussion. Oder sie verteidigen ihre Meinung auf dem »Heißen Stuhl«. Usw. Entscheidend ist, dass nicht nur auf die Freude am diskursiven Gespräch gesetzt wird – das ist es, was oft zum Vorwurf des »Laberns« führt –, sondern auch Fortschritte wahrnehmbar werden, dass die Schülerinnen und Schüler also so etwas wie gedanklichen Fahrtwind spüren. Häufig erscheint bisher das domänenspezifische Umfeld an Kenntnissen, Verstehensvoraussetzungen und Informationsmöglichkeiten noch als Randproblem des Theologisierens mit Jugendlichen. Diese Aufgabe wird gerne der curricularen Kärrnerarbeit zugeschoben. Hier liegt aber wohl ein fundamentaler Unterschied zum Theologisieren mit Kindern.11 Auf dem Weg zu einer selbstverantworteten, eigenständigen, erwachsenen und gebildeten Laientheologie müssen sich Jugendliche – ausgehend von dem, was sie bereits meinen und denken – auf zusätzliche Erkundungsgänge, überprüfende Gedankengänge, Informationsbeschaffungen, Aneignung von unterschiedlichen Gedankenmodellen usw. einlassen. Theologisieren mit Jugendlichen muss also didaktisch und methodisch im Blick haben, dass die Jugendlichen nicht nur das Theologisieren mit Kindern fortsetzen, sondern von der Schule in ihr jeweils nicht mehr betreutes religiöses Leben eintreten werden.
6.
Zentrale Problemstellungen im Bereich der Christologie
Es ist eine Erkenntnis des Konstruktivismus, dass der Mensch Sinn produziert, ob er will oder nicht und ob es Sinn macht oder nicht. Ich hatte vorhin behauptet, dass die Fragen nach Jesus Christus nicht unbedingt im Horizont der Schüler auftauchen. Frage ich die Schüler aber, welche Fragen sie zu Jesus haben, werden sie zweifellos welche finden. Eine solche induzierte Fraglichkeit sollte man nicht verachten. Es geht also darum, wie Paulus auf dem Areopag die Anlässe bzw. die Begegnungen mit christologischen Problemstellungen so zu arrangieren, dass sie fesseln, obwohl sie vielleicht gar nicht auf unmittelbare Neugier treffen. Fragwürdig aber ist in der Christologie beinahe alles: eine Jungfrau, die ein Kind erwartet, eine Geburt, bei der Engel und Magier Besuchsdienst machen, ein Mann, dessen Jugendgeschichte nur in abseitigen Quellen berichtet wird, ein Wundertäter, Provokateur, Volksheld und Volksfeind, ein Souverän als Opfer der Gewalt, ein Totgeglaubter Lebendiggeglaubter … Wenn das – und noch viel mehr – keine Probleme sind, über die sich das Reflektieren lohnt! Allerdings ist zu spüren, dass ich bei der Aufzählung schon verfremdend verfahren bin. Die Geschichten, um die es geht, sind allen bekannt und doch kennt sie keiner recht.
11 Entschiedene Schritte in die hier angedeutete Richtung machen Friedhelm Kraft und Hanna Roose in: »Von Jesus Christus reden im Religionsunterricht«, Göttingen 2011, das zu vielen in diesem Beitrag angesprochenen Themen ausführlichere Reflexionen enthält.
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Wichtiger für das Gespräch mit den Jugendlichen ist, dass hinter all den differenzierten und verzweigten Details wenige Grundfragen erkennbar sind. Die folgenden thematischen Beispiele können zeigen, dass die Äußerungen der Jugendlichen ihren Charme nicht nur daraus ziehen, dass sie authentisch sind, sondern auch, dass die Eigenständigkeit ihres Zugriffs auf christologische Probleme durch keine fürsorgliche gedankliche Belagerung – also kompetenzorientierte Lernprogramme – ersetzt werden kann. Gleichzeitig rufen sie aber nach Lernarrangements, die aus den in den Beispielen erkennbaren gedanklichen Sackgassen herausführen. 6.1 Die christologische Grundfrage: Jesus ist Gott und/oder Mensch. Bei einem Gespräch in einer 8. Gymnasialklasse über den Satz des Glaubensbekenntnisses: »Ich glaube an Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn…«, sagt ein Schüler: »Jesus ist 100 % Gott und 100 % Mensch. So wenigstens hab ich das in meinem Konfirmandenbuch gelesen.«
Worauf ein anderer dazwischenfährt: »Das ist doch unlogisch!«
Es nützt ja nun nichts, beiden Recht zu geben. Schüler/innen versuchen, das Dilemma ganz unterschiedlich zu lösen: Werden Jugendliche direkt auf die Bedeutung Jesu für ihr Gottesbild angesprochen, so ergibt sich zwar kein einheitliches Bild. Auffällig aber ist die Abstufung Jesu gegenüber Gott. Im Folgenden einige Antworten auf die Frage: Wer ist (für dich) Gott? Spielt Jesus dabei eine Rolle? (9. Klasse, Umkreis Großstadt) a) »Gott ist für mich der Herrscher über alle Menschen, Tiere, Pflanzen usw. Er ist allmächtig und gütig, er bestimmt über Tod und Leben, über Armut und Reichtum und über Glück und Unglück. Er bestimmt unser Leben. Jesus ist sein Sohn, der uns unsere Sünden vergibt. Jesus ist unser Vermittler zwischen uns und Gott.« b) »Gott ist keine bestimmte Person, sondern eine Art ›Etwas‹. Aber er existiert nicht als eine bestimmte Person, deshalb finde ich die Formulierung der Frage ziemlich schlecht gewählt. Jesus selbst spielt eigentlich nur eine geringe Rolle für mich; für mich ist er eigentlich nur das beste Beispiel dafür, was Gott Gutes an den Menschen tut.« c) »Gott ist ein Individuum, dessen Existenz weder bewiesen noch leicht zu glauben ist. Entweder man glaubt an Gott oder nicht. Meiner Meinung nach ist Jesus nur da, um das Glauben an Gott leichter zu machen. Die Geschichte Jesu ist wenigstens ein bisschen real. Aber um die Geschichten Gottes glauben zu können, braucht man sehr viel Phantasie, denn sie sind durch und durch unglaubwürdig.«
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d) »Ich finde, dass Gott für mich eine größere Rolle spielt als Jesus, ich weiß nicht warum. Aber wenn andere Leute Sorgen haben, dann reden sie mehr über Gott als über oder von Jesus. Ich habe in meinem Leben keine feste Rolle für Gott oder Jesus. Ich meine, ich bete nicht morgens mittags und abends. Aber wenn ich mal ein Problem habe, dann schaue ich zum Himmel und frage mich: Warum ich?«
Die Fragestellung rückt Jesus von Vornherein in den Horizont seiner Göttlichkeit. Die Schülerinnen und Schüler distanzieren ihrerseits Jesus von Gott. Sie ordnen ihn unter und relativieren seine Bedeutung. Das hat lange Zeit zur Annahme geführt, den Schülerinnen und Schülern sei eigentlich der Mensch Jesus viel näher, so dass eine Christologie von unten der angemessene Weg sei, ihnen Jesus näher zu bringen. Die Vorstellung war plausibel: Wie die Zeitgenossen des historischen Jesus lernen die Schüler den Menschen Jesus kennen und schätzen. Je mehr sie seine Bedeutung als Mensch erkennen, desto näher rückt der qualitative Sprung des Menschen Jesus zum göttlichen Christus. Vor allem Gerhard Büttner hat mit seinen empirischen Untersuchungen zum Jesusbild von Kindern diese Sicht verändert. Wie andere dann auch feststellten, ist Jesus für Kinder und Jugendliche von vornherein in seiner Beziehung zu Gott interessant. Als Mensch bleibt Jesus bei aller Außerordentlichkeit eine von vielen charismatischen Persönlichkeiten – der Vergangenheit. Im Heft »Jesus Christus« der Reihe Oberstufe Religion haben deshalb Gerhard Büttner, Hanna Roose und Friedrich Spaeth das Konzept einer »Christologie von oben« theologisch und didaktisch ernst genommen.12 6.2 Der Tod Jesu Mirjam Zimmermann hat im Rahmen ihrer prägnanten Studie zur Kindertheologie auch Gymnasiasten aller Alterstufen zur Deutung des Todes Jesu befragt. Ihre Ergebnisse sind überraschend positiv, sowohl, was die Relevanz des Todes Jesu für das eigene Leben anbelangt (über 50 %), wie was die Erklärungen zum Tod Jesu betrifft. Meine eigenen Erfahrungen sind hier etwas skeptischer. So schreiben 7.Klässler auf die Frage: Warum ist Jesus gestorben? – »Er hatte Gotteslästerung in einer Kirche begangen. / Viele Menschen sagten, er sei ein Verräter. / Er wurde gekreuzigt, weil der Stadtrat gemein ist. / Und weil er einen Verräter in seinen Reihen hatte, der ihn bei den Römern verraten hatte.«
Die Stichworte sind da. »Gotteslästerung«, »Verräter«, ein »Rat«, »die Römer«, »die Kreuzigung«. Aber es sind vage Erinnerungen. Sie sind überformt von Versuchen, plausibel zu machen, was eigentlich absurd klingt. Die einzelnen Teile lassen sich aber nicht in einen Zusammenhang bringen. Auch wenn einiges anklingt, was spannend werden könnte, ist es eher kein günstiges Opening, um 12 Gerhard Büttner / Hanna Roose / Friedrich Spaeth, Jesus Christus, Oberstufe Religion, VeitJakobus Dieterich und Hartmut Rupp (Hg.), Schülerarbeitsheft, Stuttgart 2008, Lehrerband, Stuttgart 2011.
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über den Tod Jesu nachzudenken. Dem lässt sich nur aufhelfen, wenn die allernötigsten Informationen gewonnen werden. Wäre vor dieser Fragestellung also ein Filmausschnitt, eine eindrucksvolle Erzählung die informative Betrachtung eines Bilderzyklus erfolgt, so hätte die Warum-Frage eine Basis gehabt, die über vordergründige Ursachen zum Sinn hätte gelangen können. Bei manchen Klassenkameraden sind die Erinnerungen etwas detaillierter: Ich glaube, … – Weil man ihm nicht geglaubt hat, dass er Gottes Sohn ist. – Weil man das Gotteslästerung fand. – (ich kann eigentlich nicht glauben, dass er Gottes Sohn gewesen sein soll!) – Wenn Jesus Gottes Sohn gewesen ist, dass Gott es nicht richtig fand, wie er sich benommen hat. Ich meine damit zum Beispiel: • dass er fast so getan hat, als sei er selber Gott! • dass er so tat, als ob nur seine Religion die richtige sei (wie viele auch denken, dass ihre Religion die beste sei!). – Weil Jesus die Übermacht gegen sich hatte und diese wollte Jesus sozusagen nicht mehr haben. – Die andern fanden es unmöglich, dass er mit Sündern und Zöllnern aß, deshalb waren auch seinesgleichen gegen ihn. – Als Jesus gekreuzigt werden sollte, gab es noch einen Banditen. Jesus und der Bandit standen nebeneinander und die Menge durfte abstimmen, wer von beiden sterben sollte.
Die Frage, ob das Gesagte nun genau stimmt oder nicht, ist unwichtig. Interessanter ist, dass sich mit den fast korrekten biblischen Fakten Überlegungen mischen, die die Befremdungen des Schülers oder der Schülerin erkennbar werden lassen. Die Zweifel an der Gottessohnschaft Jesu, der Gedanke, dass Gott das Auftreten Jesu als anmaßend empfunden haben könnte, die Konkurrenz der Religionen – das alles sind Interpretamente (ob nun richtig oder nicht), die zum einen zeigen, dass sich der Schüler innerlich mit seinen eigenen Aussagen auseinandersetzt. Zum anderen aber sind die Ausführungen so, dass andere darauf eingehen können, dass ein Gespräch, Zustimmung und Kritik erfolgen können. Vielleicht, dass auch die Informationen verdichtet werden könnten. Dabei taucht ein für das Theologisieren mit Jugendlichen sehr typisches Problem auf. Das Gespräch mit anderen und die eigene vertiefende Arbeit, kurz der gedankliche Fortschritt, sie sind methodisch außerordentlich schwierig zu etablieren. Ohne die Anleitung der Unterrichtenden sind die Schätze in den Schülerbeiträgen oft gar nicht zu heben. Was wären also jeweils Problemstellungen und was wären Methoden, mit denen man die Schülerinnen und Schüler ein Stück weit auf ihrem Weg begleiten kann, ohne auf den herkömmlichen Holzweg der Belehrung zu geraten? 6.3 Die Auferstehung Jesu und die eigene Auferstehung Die folgende Gesprächssequenz wurde mitgeschrieben und wird in den Schülerbeiträgen (nicht aber den Lehrerinputs) wörtlich wiedergegeben (Klasse 11
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Gymnasium, Großstadt, 2010). Ausgang nahm das Gespräch von der Frage: Was kommt nach dem Tod? Nach einiger Gesprächszeit mit christlich wenig spezifischen Überlegungen wurde der Fokus der Frage eingegrenzt: Was sind denn dazu christliche Vorstellungen? Ml: Himmel und Hölle. Da trifft man Opa und Oma, die man noch nie gesehen hat, und alle leben glücklich miteinander, wie so Zeichentrick. Ma: War da nicht noch irgendwas mit Fegefeuer oder so? Ch: Im Glaubensbekenntnis steht, dass Jesus die Lebenden und die Toten richtet. Er richtet uns also auch schon zu Lebzeiten. J: Dann kommt ja erst noch die Auferstehung – vor dem ewigen Leben. Was könnte Auferstehung sein? L: Das Lösen von Körper und Geist. Dann muss der Geist seinen Weg fortsetzen und der Körper bleibt zurück. Li: Wenn man stirbt, steigt die Seele auf in den Himmel, dann sitzt man – wie es in der Kinderbibel dargestellt ist – auf den Wolken. Die Auferstehung findet nicht auf der Erde, sondern im Himmel statt. Ma: Im Kontrast dazu haben wir die Geschichte von Jesus, der in seinem Körper wiedergekommen ist, als Jesus. Vielleicht war er aber nie ein wirklicher Mensch. Ch: Am dritten Tage: Der Tod ist erst, wie wenn man schläft, und die Auferstehung ist dann, wie wenn man aufwacht. Chr: Man könnte auf einer anderen Erde wiedergeboren werden, in einer anderen Galaxie. Na: Auferstehung – das ist mir zu abgehoben, das kann ich mir nicht erklären. Auferstehung Jesu? Li: Irgendwas mit einem Stein, der weggerollt ist. Ch: Taucht Jesus auf oder nur ein Engel? M: Am Ende ist er im Licht hochgestiegen. A: Vielleicht steigt er auch ab. Im Glaubensbekenntnis heißt es, hinabgestiegen in das Reich der Toten. Erst hinab und dann wieder hoch. Kann doch sein. Wie stellen Sie sich Jesu Erscheinung vor? Ch: Für den, der mit ihm spricht, ist es schon ein Mensch aus Fleisch und Blut. Der aber dann einfach wieder verschwindet. Li: Nicht in menschlicher Gestalt. Wie so ein Gedankenblitz. Wie so eine Hilfe, eine Stimme. Ch: Jesus ersteht eher in guten Menschen auf. Kann man Christ sein, ohne an die Auferstehung zu glauben? Li: Ich glaub schon, dass man paar Elemente weglassen kann. Christ sein heißt ja eigentlich nur, dass man gottgefällig leben soll. J: Entweder glaubt man alles ganz oder gar nicht. Wenn man nicht alles glauben kann, sollte man sich eine andere Religion suchen. Ma: Ist ja alles nur von Menschen erzählt. Da kann man sich schon rauspicken, was man wirklich glauben kann. Ch: Die Werte machen das Christsein aus. Ch: Ich glaub, dass einem, wenn man stirbt, sein Leben nochmal vor Augen geführt wird.
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Zum Abschluss ein paar Arbeitsvorschläge zu eigenen Überlegungen zu einer konstruktiven Weiterarbeit an diesem Beispiel: 1. Wählen Sie drei bis fünf Schüleräußerungen aus und versuchen Sie, die zugrunde liegenden Vorstellungen und Denkvoraussetzungen zu erläutern. 2. Formulieren Sie Impulse, die jeweils einen vertieften Gedankengang ermöglichen könnten. 3. Überlegen Sie Themen und Sachbereiche, die unmittelbar erarbeitet werden müssten, um eine Basis für ein differenzierteres Verständnis des christlichen Auferstehungsglaubens zu legen. Vielleicht fallen Ihnen griffige Materialien ein, die auf das Interesse der Schülerinnen und Schüler stoßen könnten.
(Religions-)Pädagogische Zugänge
Uwe Böhm / Manfred Schnitzler
Theologisieren mit Jugendlichen – im Pubertätsalter
1.
Differenzierung nach Alter
Ein wichtiges Kennzeichen des Pubertätsalters ist die Ungleichzeitigkeit. Deshalb ist es schwierig, zeitliche Eckdaten zu nennen. Diese Phase verläuft in vielen individuellen Variationen. In der Regel pubertieren Mädchen früher als die Jungen. Aus Sicht der Sozialwissenschaften wird auf das weite Zeitspektrum der heutigen Jugendzeit hingewiesen: 12 – ca. 25 Jahre.1 Von diesem guten Jahrzehnt Lebenszeit ist für Lehrerinnen und Lehrer die erste Phase besonders relevant: das Pubertätsalter. Schwerpunkt bildet die Klassenstufe 7/8, aber Frühentwickler finden sich auch schon in der Orientierungsstufe, und der eine oder andere Spätentwickler stößt sich seine pubertären Hörner erst in den Klassen 9/10 so richtig ab. Die zirka zwei- bis dreijährige Pubertätsphase findet meistens innerhalb des Zeitraums von 10 bis 17 Jahren statt. Laut Definition beginnt die Pubertät physisch (z.B. Menarche, Wachstum der Schamhaare und Genitalien). Für die Religionspädagogik ist jedoch die psychische und religiöse Entwicklung relevanter als die körperliche. Diese Phase wird auch als frühe Adoleszenz bzw. frühe Jugendzeit bezeichnet. Wenn die Eltern seltsam werden, dann beginnt für die Heranwachsenden die eigene Pubertät im sozial-emotionalen Bereich. Die Eltern und Lehrpersonen spüren ebenfalls die seelische Veränderung bei den Jugendlichen. Gerade diese Phase ist es wert, näher betrachtet zu werden. Wir fokussieren dabei auf die Siebt- und Achtklässler in dem Bewusstsein, dass die Pubertät nicht in diesen beiden Klassenstufen allein stattfindet. Somit stellen sich folgende Fragen für den Religionsunterricht in der Pubertät: 1. Welche inneren Veränderungen erleben die Heranwachsenden? 2. Wie nehmen sie selbst ihre Situation sowie den Religionsunterricht wahr?
1 S. dazu etwa die Shell-Jugendstudien der jüngsten Zeit, zuletzt: Shell Deutschland Holding (Hg.), Jugend 2010. Eine pragmatische Generation behauptet sich (16. Shell Jugendstudie), Konzeption und Koordination M. Albert u.a., Frankfurt a.M. 2010.
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Uwe Böhm / Manfred Schnitzler
3. Was wünschen und benötigen die Jugendlichen in den Klassenstufen 7 und 8 im Religionsunterricht? 4. Wie können die Schule und der Religionsunterricht den Übergang vom Kind zum Erwachsenen unterstützend begleiten? Diese Fragen markieren das Feld. Wir wollen in diesem Beitrag einige Antwortperspektiven aus Sicht der Religionspädagogik skizzieren.
2.
»Nicht mehr« und »noch nicht«: Metaphern sowie evolutionsbiologische und entwicklungspsychologische Anmerkungen zur Pubertät
2.1 Metaphern für die Altersstufe Viele Bilder werden verwendet, um die umwälzenden Ereignisse der Lebensphase »Pubertät« zu veranschaulichen: –
»Jugend ist wie ein Most. Der lässt sich nicht halten. Er muss vergären und überlaufen.« (Martin Luther)
–
Erziehung in der Pubertät kann man vergleichen mit der »Kunst, einen Kaktus zu umarmen«. (Claudia und David Arp, 1986)
–
»Pubertät entspricht der Zeit des Panzerwechsels bei einem Hummer.«
Die letzte Position vertritt Françoise Dolto (1908–1988), eine französische Kinderärztin und Psychoanalytikerin, und konkretisiert das Bild folgendermaßen: »Wenn der Hummer den Panzer wechselt, verliert er zunächst seinen alten Panzer und ist dann so lange, bis ihm ein neuer gewachsen ist, ganz und gar schutzlos. Während dieser Zeit schwebt er in großer Gefahr.«2 Deshalb zieht er sich auf den Meeresgrund zurück, um sich vor seinen natürlichen Feinden zu verstecken, und traut sich aus der Höhle erst wieder heraus, wenn der neue Panzer sich gefestigt hat. Wenn man bedenkt, dass ein junger Hummer diesen Panzerwechsel bis zu neunmal pro Jahr durchmacht – und zugleich weiß, dass das Fleisch des Hummers in der Phase des Panzerwechsels besonders schmackhaft sein soll –, dann erahnt man, wie gefährdet sein Aufwachsen ist! Dieses Bild veranschaulicht überdeutlich: Pubertät hat auch mit einer großen Portion Verletzlichkeit zu tun. Das übersehen wir als erwachsene Lehrkräfte leicht! Das Bild des Hummers beim Panzerwechsel zeigt: Jugendliche im Pubertätsalter tragen »nicht mehr« den Schutzpanzer ihrer Kindheit, haben aber den neuen, weiteren Schutzpanzer des Erwachsenenalters »noch nicht« aushärten können. Deshalb sind sie in dieser Phase des Übergangs ausgesprochen verletzlich und reagieren – vor allem aus Selbstschutz – mitunter erschreckend aggressiv.
2 Françoise Dolto, Von den Schwierigkeiten erwachsen zu werden, Stuttgart 21991 (1989), 15.
Theologisieren mit Jugendlichen – im Pubertätsalter
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2.2 Ergebnisse der evolutionsbiologischen Forschung Wie erleben Sie Jugendliche im Pubertätsalter? Sie wirken »cool«, erscheinen stark, sind manchmal provokant, manchmal aggressiv, in jedem Fall eigenwillig. Die Streuung in der Gruppe zwischen den Einzelnen ist groß. Oft sind sie draufgängerisch, voller Mut und Entschlusskraft, leichtsinnig und begeisterungsfähig für Neues. Sie geben alles für ihre Clique. Diese Eigenschaften sind für den Einzelnen mitunter gefährlich, aber für die Gruppe insgesamt von Nutzen. In langen Phasen der Menschheitsgeschichte waren Jugendliche im PubertätsAbb. 1: Männliche Heranwachsende alter durch diese Mischung der Eigenschaften »für die soziale Gemeinschaft von unschätz3 barem Wert.« Jugendliche waren oft so etwas wie »der Motor des kulturellen Fortschritts«.4 Heute jedoch werden sie zweifach ausgebremst: – Die Vermittlung der kulturellen Tradition ist ausgesprochen komplex geworden. Damit verlängert sich die eher unselbstständige Lernzeit bis weit ins Erwachsenenalter hinein. Die Schere zwischen biologischer und sozialer Reife geht immer weiter auseinander. Zählte man vor 5 000–10 000 Jahren mit 30 zu den wirklich Alten, so ist heute in diesem Alter gerade einmal das Studium abgeschlossen und die Etablierung in die Berufswelt hat begonnen. – Zugleich denkt die Elterngeneration – und zum Teil auch die Großelterngeneration – keineswegs an Rückzug. Eine für viele hervorragende Gesundheitsversorgung und der reiche Erfahrungsschatz lassen sie vital und wertvoll für das Ganze bleiben. Setzt man heute Jungen und Mädchen im Alter von 14 Jahren zu ihren Eltern in Beziehung, gilt: »Machtübernahme? Führungsposition? – Keine gute Idee mehr. Die Alten rühren sich nicht von der Stelle, machen keinen Platz. Sie sind stark und mächtig geworden und machen keine Anstalten, ihre Position zu räumen. Die Helden von einst sind zu Opfern ihrer Erfolgsgeschichte geworden.«5
3 Ralph Dawirs / Gunther Moll, Pubertät – Elend oder Chance?, in: Pädagogik 6/2011, 8. 4 Ebd., 11. 5 Ebd.
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War die längste Zeit der Menschheitsgeschichte durch ein Nacheinander der Generationen bestimmt, so entwickelt sich augenblicklich ein Nebeneinander von drei Generationen, das für die Heranwachsenden mehr Ausbildung und weniger Verantwortung zur Folge hat. Die didaktischen Konsequenzen aus dieser evolutionsbiologischen Erkenntnis könnten lauten: – Schule muss Jugendlichen im Pubertätsalter Raum für eigene Fragen und Interessen eröffnen. – Unterricht muss Jugendliche in ihrem Tatendrang Dinge aktiv gestalten lassen und Freude am eigenen Produkt ermöglichen. – Verantwortung zu übernehmen und sich in Ernstsituationen zu bewähren, entsprechen der biologisch-evolutionären Reife dieser Altersstufe. Verantwortungsübernahme (in Ernstsituationen) ist wichtig, um das Selbstbewusstsein zu stärken. – Die elementare Frage nach dem Sinn menschlicher Existenz stellt sich in dieser Phase der Welteroberung ganz neu und will diskutiert werden. Jugendliche im Pubertätsalter sind evolutionsbiologisch betrachtet längst »nicht mehr« Kinder, aber es wird ihnen sozial »noch nicht« eine adäquate Verantwortung zugestanden – auch weil ihre Elterngeneration gerade erst im Zenit ihrer Leistungsmöglichkeiten steht. 2.3 Ergebnisse der entwicklungspsychologischen Forschung: Weltbildentwicklung Pubertät vollzieht sich heute nicht nur in revolutionär neuen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (vgl. 2.2), sondern mit Hilfe von entwicklungspsychologischen Forschungen verstehen wir immer besser, was sich im einzelnen Heranwachsenden an Prozessen abspielt. Exemplarisch wählen wir die für den Religionsunterricht so wichtigen Erkenntnisse zur Weltbildentwicklung. Sozialwissenschaftlicher Hintergrund dieser Untersuchungen zur Weltbildentwicklung bei Kindern und Jugendlichen sind die Phasen der kognitiven Entwicklung nach Piaget. Schon früh haben darauf aufbauend Entwicklungspsychologen wie Lawrence Kohlberg und Carol Gilligan (1972!) das philosophische Potenzial von Jugendlichen betont: »Operations upon operations imply that the adolescent can classify classification, that he can combine combinations, that he can relate relationships. It implies that he can think about thought and can create thought systems or hypotheticdeductive theories.«6 6 Lawrence Kohlberg / Carol Gilligan, The adolescent as a philosopher, in: Jerome Kagan / Robert Coles (ed.): Twelve to Sixteen: Early Adolescence, New York 1972, 154.
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Was heißt das nun konkret auf die Weltbildentwicklung im Pubertätsalter bezogen? – In der Kindheit (6–10 Jahre) hat das Weltbild noch ein klares Unten (= Erde) und Oben (= Himmel). Manchmal kommt – je nach religiöser Sozialisation – die Vorstellung einer »Hölle« (= Unterwelt) hinzu. Der Schöpfer wird anthropomorph (Gott = der Weltbaumeister) gedacht. Insgesamt handelt es sich in der Kindheit um ein mythologisch geprägtes Weltbild. – Der Einfluss naturwissenschaftlicher Denkmodelle zur Entwicklung der Welt wie Urknall- und Evolutionstheorie wird in der späten Kindheit (10–12 Jahre) deutlicher. Noch können allerdings beide Weltbilder für richtig gehalten werden. Mögliche Widersprüche werden nur ansatzweise reflektiert. – Das Entweder-Oder-Denken bricht dann bei Jugendlichen im Pubertätsalter (13–16 Jahre) mit aller Macht auf. Die Spannungen zwischen Glaubenszeugnis (Schöpfung) und naturwissenschaftlicher Theorie (Evolution) werden klar artikuliert und – in aller Regel – zugunsten des naturwissenschaftlichen Zugangs zur Wirklichkeit aufgelöst. Es ereignet sich schrittweise ein Paradigmenwechsel: weg von einem mythologisch geprägten Weltbild, hin zu einem naturalistischen Weltbild.7 »Die Weltbildentwicklung im Jugendalter stellt sich […] als ein tiefgreifender Transformationsprozess dar; das Weltbild des Kindes wird von Grund auf umgestaltet. Diese Transformation ist zunächst durch eine Veränderung im Bereich der Welterklärung bedingt. Der Einbruch naturwissenschaftlichen Denkens verdrängt an entscheidenden Stellen die früheren artifizialistischen Schöpfungsvorstellungen. Der Jugendliche entwickelt aber auch selbst neue, differenzierte, weil bereichsspezifische Verstehensweisen. […] Diese Differenzierungsvorgänge lassen gleichzeitig die Frage nach dem Wirklichkeitszusammenhang akut werden. Wir haben es hier also mit einem komplexen Zusammenspiel von Auflösungs- und Ersetzungsprozessen, von Differenzierungsvorgängen und gleichzeitigen integrativen Bestrebungen zu tun.«8
Bei Jugendlichen im Pubertätsalter liegt der Akzent im Transformationsprozess, in der Auflösung der kindlich mythologischen Welterklärung. Die integrativen Bemühungen, das Ganze von Wirklichkeit in einer Zusammenschau »verschiedener bereichsspezifischer Verstehensweisen« zu erfassen, stehen noch ganz am Anfang, können aber durch das Gespräch im Religionsunterricht erste Impulse bekommen. – Nur ein Teil der Jugendlichen findet in einer späteren Entwicklungsphase (ab ca. 17 Jahren) zu einer reflektiert-komplementären Betrachtungsweise: Der Schöpfungsglaube stellt darin eine denkmögliche, ja sinnvolle Ergänzung zu naturwissenschaftlichen Deutungen der Welt dar. 7 Reto L. Fetz / Karl H. Reich / Peter Valentin, Weltbildentwicklung und Schöpfungsverständnis. Eine strukturgenetische Untersuchung bei Kindern und Jugendlichen, Stuttgart 2001, 346. 8 Ebd., 342.
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Die strukturgenetischen Untersuchungen zur Weltbildentwicklung zeigen wiederum das für die Pubertät so typische Spannungsfeld von »nicht mehr« und »noch nicht«: Jugendliche in dieser Altersstufe verwenden »nicht mehr« das mythologische Weltbild ihrer Kindheit, aber sie sind kognitiv in einem Schwarz-WeißDenken verhaftet und können die Spannungen in den Weltzugängen »noch nicht« mit komplementären Vorstellungen eines Sowohl-als-Auch auflösen. Sie lehnen nun entweder den christlichen Glauben in Bausch und Bogen ab oder sie setzen sich vehement für ihre Glaubensüberzeugung ein und verschließen sich naturwissenschaftlichen Thesen.
3.
Religionsdidaktisches Modul als Umsetzungsbeispiel
Die Aufgabe der Religionsdidaktik in der Sekundarstufe I ist es, mit den Jugendlichen in der Pubertät gemeinsam Wege religiöser Bildung zu suchen und dazu Lerninhalte und Lernwege altersgemäß anzupassen. Dies kann in einem Religionsunterricht gelingen, der Eigentätigkeit der Schüler/innen zulässt. Er berücksichtigt jedoch auch, dass die Schülerinnen und Schüler Unterstützung und Begleitung benötigen. Die Rolle der Lehrkraft verschiebt sich vom Vermittler zum Moderator oder besser zum Regisseur. Neue Formen der Leistungsbeurteilung müssen in diese Konzeption des Religionsunterrichts aufgenommen werden. Dies konnte in dem Modul »Basics des Glaubens – Lernen durch Lehren im Religionsunterricht«9 eingelöst werden. Während dieses Moduls übernahmen Siebtklässler Unterrichtssequenzen im Religionsunterricht der 5. Klasse. Sie wurden durch Kommunikations- und Methodentraining am Anfang des Schuljahres darauf vorbereitet. Inhaltlich erarbeiteten sie sich in Teams Aspekte des Bildungsplans der 5. Klassenstufe (z.B. Jesus, David, Kinder hier und anderswo). Die intensive Vorbereitung im Unterricht und in der Freizeit zeigte die hohe Motivation der Schüler/innen. Begleitend führte jede/r ein Portfolio, das die Gruppenprotokolle, die erarbeiteten Materialien und Verlaufspläne sowie die Reflexionen der gehaltenen Sequenz enthält. Die Rückmeldung sowohl der Siebtklässler als auch der betreuenden Religionskollegen auf diesen Ansatz von Religionsunterricht war ausgesprochen positiv: –
»Zunächst dachte ich, das schaffe ich nie. Aber dann war ich stolz darauf. Wir haben für die Fünfer eine ganz gute Stunde zusammengebaut!«
–
»Die Siebtklässler waren zum Teil ganz schön streng. Aber die Fünfer haben gespurt, dass ich nur so gestaunt habe.« (Begleitender Religionslehrer)
–
»Da hat man sich gefühlt wie ein Lehrer – und das fand ich halt gut.«
9 Vgl. im Folgenden: Uwe Böhm / Manfred Schnitzler, Religionsunterricht in der Pubertät. Fünf Praxismodule für die Klassen 7 und 8, Stuttgart 2011, 137–158.
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Fünftklässler gaben sogar an, dass der Unterricht spannender und abwechslungsreicher durch die Siebtklässler wurde.10 Die Siebtklässler waren im Vorfeld unsicher, inwiefern sie das Niveau der Fünftklässler richtig treffen werden. Ihnen wäre das »Lernen durch Lehren« innerhalb der Jahrgangsstufe 7 lieber gewesen. Nach der Durchführung drückte ein Siebtklässler seine Erfahrungen so aus: »Ich habe gespürt, dass ich Macht besitze.« – Diese Aussage offenbart ihrerseits eine (religions-)pädagogische Herausforderung. Bezogen auf dieses Modul konnten aus unserer Studie »Religionsunterricht in der Pubertät« (s. folgenden Abschnitt) folgende Erkenntnisse zur Selbsteinschätzung der Schülerinnen und Schüler gewonnen werden: – Die Jugendlichen empfinden ihre Pubertät als spannende Lebensphase. Ihnen wird zunehmend in der Familie mehr Verantwortung zugetraut. Dies wünschen sie sich auch im schulischen Kontext. – Die Jugendlichen äußerten den Wunsch, selbstständig und handlungsorientiert in Gruppen arbeiten zu dürfen, um Verantwortung zu übernehmen. – Die Schülerinnen und Schüler genossen zum Teil die Freiräume, in denen sie Verantwortung erhielten. Obwohl sie – wie auch andere (erwachsene) Menschen – schwankend in ihrer Ausdauer sind, können sie sich für biblische Themen begeistern, wenn sie diese eigenverantwortlich erarbeiten und gestalten dürfen. – In offenen Lernformen entstehen Konflikte zwischen den Teampartnern, die bei der Konfliktbearbeitung personale und soziale Kompetenzen erfordern. Diese Kompetenzen können in entsprechend offenen Lernformen eingeübt werden. – Vor allem die Mädchen entdeckten das Portfolio als individuell förderndes Bewertungsinstrument. Der Religionsunterricht begleitet die Heranwachsenden, indem er Möglichkeiten zum Nachdenken über den Glauben schafft, einen Beitrag zur Allgemeinbildung und Teamarbeit leistet und Antworten auf wichtige Fragen der Jugendlichen sowie Lebenshilfe anbietet. Vor allem biblische Kenntnisse und Geschichten, die ansonsten nicht gerade oben auf der Hitliste der Themenwünsche stehen, werden
10 Allerdings ist dies nicht automatisch der Fall. Die Abwechslung in der Person der Unterrichtenden sorgt für gespannte Erwartung bei den Fünftklässlern. Aber es ist bleibende Aufgabe der begleitenden Religionslehrkraft, für die Qualität des Unterrichtsangebots durch die Siebtklässler Sorge zu tragen. Kleinschrittige Vorbereitung, regelmäßige Zwischenberichte und individuelle Nachbesserungen tragen dazu bei. Ultima ratio könnte bei mangelndem Engagement in der Vorbereitung der Stunde sein, dass ein Team diese Stunde eben auch nicht halten darf und entsprechend schlecht bewertet wird.
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durch dieses Modul aus Sicht der Jugendlichen positiv und mit Freude (wiederholend)11 erworben. All diese Ergebnisse legen es nahe, eine Religionsdidaktik zu entwickeln, die die Verantwortungsübernahme fördert und elementare Lernformen mit offenem Charakter integriert. Gerade die konstant hohen Werte ihrer Selbsteinschätzung12 über zwei Jahre hinweg und die Anzahl der Befragten (insgesamt ca. 850 Jugendliche) begründen die Vermutung, dass die Heranwachsenden in der Pubertät keineswegs von Selbstzweifeln verunsichert sind, sondern ziemlich selbstbewusst in die Erwachsenenwelt hinein schreiten.
4.
»Guter« RU in der Pubertät – Wie könnte er aussehen?
4.1 Explorative Studie »Religionsunterricht in der Pubertät« Die Studie »Religionsunterricht in der Pubertät«13 fand in zehn baden-württembergischen Realschulen der Klassenstufen 7 und 8 zwischen 2001 und 2006 statt. Als Religionslehrer/innen waren 17 staatliche und vier kirchliche Lehrkräfte, eine Pfarrerin und zwei Personen aus der Jugendarbeit dabei. Die Erhebung der Daten wurde quantitativ (Längsschnittuntersuchung mit halboffenem Fragebogen an alle beteiligten Schüler/innen zu drei Erhebungszeitpunkten) und qualitativ (Gruppeninterviews mit 27 Schüler/innen sowie Gruppeninterviews mit 17 beteiligten Erwachsenen) durchgeführt. Die Ergebnisse stellen wir zunächst gruppenbezogen dar. 4.2 Interviews der Religionslehrkräfte In den Interviews mit den Religionslehrkräften14 aus fünf Projektgruppen zeigten sich im Verhältnis zu den Schülerantworten sehr vergleichbare Akzentuierungen im Blick auf eine Religionsdidaktik für Jugendliche im Pubertätsalter. Wir zitieren jeweils ein Ankerzitat, verallgemeinern diese Aussage und setzen sie zu den Statements der Schülerinnen und Schüler in Beziehung. »Schüler selber handeln lassen, aktiv werden lassen, tätig werden lassen, das war’s bei mir immer. Wir hatten freitags in der 5. und 6. Stunde Religionsunterricht. Da haben die schon immer einen recht schweren Tag oder eine recht schwere Woche hinter sich gehabt, und wenn wir dann auch noch wollten, dass sie jetzt was Kopfmäßiges machen sollten und ruhig sitzen sollten, dann
11 Sie haben ja in der Regel selbst in Klasse 5 bereits Unterricht zu diesen Einheiten erfahren. 12 Vgl. Uwe Böhm / Manfred Schnitzler, Religionsunterricht in der Pubertät. Eine explorative Studie in den Klassen 7 und 8, Stuttgart 2008, 119–121. 13 Vgl. Anm. 12. 14 Ebd., 59–80.
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ging das mehr oder weniger gut, sage ich jetzt mal, vorsichtig formuliert. Wenn wir aber gesagt haben: Wir gehen heute weg. Oder: Wir machen etwas. Oder: Jetzt dürft ihr in Gruppen etwas machen, dann hat’s immer besser geklappt.«15
Religiöse Bildung sollte möglichst ganzheitlich ansetzen und den Akzent nicht ausschließlich – vielleicht nicht einmal vorrangig – auf religiöses Wissen legen. Die Schüler sagten, dass ihnen die offene Diskussion über Meinungen zum Glauben wichtiger sei als die trockene Vermittlung von Wissenselementen. »Also, ich denke, dass es ganz arg wichtig ist, bei dem, was wir gemacht haben, dass Schüler selbst etwas tun können, wie zum Beispiel bei dem Thema »Lernen durch Lehren« in Klasse 7. Die Schüler haben das Gefühl, sie selbst haben etwas gemacht und sie können sich auch beweisen, sei es jetzt vor den Fünftklässlern oder in irgendeiner anderen Form.«16
Deshalb ist praktisches Handeln für religiöse Bildung den befragten Lehrerinnen und Lehrern so elementar. Erlebnis und Reflexion des Erlebten sollen neuen (religiösen) Erfahrungen den Weg ebnen. Schüler – so haben wir gesehen – wünschen sich herausfordernde Lernsituationen, die ihnen die Chance geben zu zeigen, was in ihnen steckt. Das gilt auch dann, wenn es den Lehrer zunächst einige Mühe kosten sollte, den trägen Punkt bei den Schülerinnen und Schülern zu überwinden. »Neue Gruppenerlebnisse außerhalb der Schulräume eröffnen neue Möglichkeiten, spirituelle Erfahrungen zu machen, gemeinsam auf geistlicher Ebene etwas zu erfahren, erspüren, ermöglichen, ertasten; dann kommt das der Experimentierfreudigkeit in diesem Alter entgegen – auch auf geistlichem Gebiet.«17
Außerschulische Lernorte fördern die Bereitschaft, sich auf religiöse Erfahrungen einzulassen. Diese Öffnung von Schule erfordert zwar ein Mehr an organisatorischer Vorarbeit und eine gewisse Flexibilität der Schule für das Fach Religion, aber sie ermöglicht eine im Schulhaus so nur selten anzutreffende intensive Begegnung mit gelebtem Glauben bzw. eine Auseinandersetzung mit existenziellen religiösen Fragestellungen. Diese Dimension war für die Schülerinnen und Schüler nicht im Fokus ihrer Antworten. Dennoch freuen sich die Allermeisten über Abwechslung im Unterrichtsalltag.
15 Ebd., 75. 16 Ebd., 77. 17 Ebd., 75f.
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»Das Erlebnis von Gemeinschaft, bei dem zugleich fachliche Kompetenz und Inhalte vermittelt werden, diese Komponente finde ich für den Reli-Unterricht ganz arg wichtig.«18
Gemeinsam einen Lernort aufsuchen, zusammen essen, evtl. sogar als Religionsgruppe gemeinsam zu übernachten, das fördert das soziale Miteinander viel intensiver als 45 Minuten miteinander im Klassenzimmer »abzusitzen«. Neue – hoffentlich überwiegend erfreulich positive – Erfahrungen des Miteinanders sind die Folge. Die Schülerinnen und Schüler selbst sind in ihren Antworten in Bezug auf das soziale Lernen schon mit einer häufigeren Berücksichtigung von Gruppenarbeit zufrieden. »Also mir fällt immer wieder ein: Raus aus der Schule! Dieser didaktische Ansatz lässt sich verbinden mit Lebensthemen und biblischen Themen. Das finde ich nach wie vor richtig und gut, dass man eine andere Form des Umgangs und dann schon auch des Ineinander-Verwebens von Themen, die die Schüler betreffen, dass man das durchaus zueinander in Beziehung setzen kann.«19
Den Jugendlichen im Pubertätsalter ist wichtig, dass Fragestellungen ihrer Lebenswelt im RU aufgegriffen werden. Dies entspricht dem, was die Lehrkräfte als erfahrungsbezogenes Lernen bezeichnen. Für sie ist das Wechselspiel von Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler und biblischer Erfahrung die Grundlage eines religiösen Bildungsprozesses. Aus dieser Wahrnehmung der Lehrkräfte ergibt sich ein Religionsunterricht in der Pubertät, der ganzheitliches, praktisches, erfahrungsbezogenes und soziales Lernen am ehesten in außerschulischen, kompakten Lernformen ermöglicht. 4.3 Die Schülerinterviews Was ist »guter« Religionsunterricht in der Pubertät? – Statements von Schülerinnen und Schülern der Klasse 8 in den Interviews zur Leitfrage: »Wie sollte deiner Meinung nach ›guter‹ Religionsunterricht aussehen, damit er helfende Begleitung in der Pubertät sein kann?«20 1) Man saß dann [beim Projekt zum Thema Gewalt] nicht nur auf den Stühlen und hat Unterricht gemacht, sondern man hat auch mit den anderen – oder so – was gemacht und es war eigentlich recht witzig. Man ist da nicht eingeschlafen – oder so. 2) Also, ich fand’s gut mit Frau Y, als wir den Unterricht [Projekt Lernen durch Lehren] gehalten haben, dass man sich auch traut, vor mehreren Leuten was zu sagen, nicht nur vor zwei oder drei. 18 Ebd., 76. 19 Ebd., 77. 20 Ebd., 48–50. Die folgenden fünf Schülerzitate sind diesen drei Seiten entnommen.
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3) In der Grundschule, da lernt man das [die Antwort auf die Frage: Wer ist Gott?] ja eigentlich. Da wird’s einem eigentlich nur gesagt, wie’s ist und man tut nicht mehr darüber nachdenken. Und jetzt, in der Zeit der Pubertät, da wird man halt selbstständiger und man überlegt selbst und das ist nicht gleichgültig. 4) Also ich find, bei manchen Lehrern merkt man halt, ob sie’s ernst meinen oder nicht. Zum Beispiel Frau Z find ich jetzt gut, dass sie einfach auf die Schüler eingeht. Da kann jeder seine Meinung sagen, auch in Bezug auf Gott und Jesus – und so. Ich glaub, das ist auch mal ganz wichtig, anstatt immer nur zu lernen und zu büffeln in jedem Fach. Dann kann man sich schon auf den Unterricht freuen und kann wieder was dazu beitragen. 5) Dass die Lehrer auch mal erzählen, wie es ihnen in der Pubertät ergangen ist und nicht immer so als allwissende Wesen durch die Räume geistern, dass wir denken, sie seien irgendwie etwas Besseres.
Welche Kriterien für einen »guten« RU aus Schülerperspektive lassen sich aus diesen fünf Aussagen ziehen? Zitat 1 – aktive Beteiligung der Schüler – Zusammenarbeit mit Mitschülern – eine gewisse Leichtigkeit in der Unterrichtsatmosphäre (»witzig«) – Abwechslung in der Methodik (bes. Gruppenarbeit und Filmeinsatz) Zitat 2 – herausfordernde Lernsituationen – Möglichkeiten der Bewährung Zitat 3 – Lust am eigenständigen Nachdenken – Freiraum für Diskussionen Zitat 4 – Authentizität der Religionslehrkraft – Freiraum zur divergierenden Meinungsäußerung – Gespräch über Glaubensmeinungen wichtiger als Vermittlung von religiösem Wissen Zitat 5 – Ehrlichkeit und Offenheit der Religionslehrkraft – die Lehrkraft als Mensch (Transparenz)
4.4 Aus den Schüler-Fragebogen Die quantitative Erhebung21 bestätigt die oben genannten Ergebnisse aus den Interviews und ergänzt noch methodische, mediale und unterrichtspraktische Aspekte: – Guter Religionsunterricht soll zum Nachdenken über Gott und die Welt anregen. 21 Ebd., 94–101.
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– Im Religionsunterricht sollen zentrale Glaubensfragen diskutiert werden (von Gott sprechen). – Gemeinsames Nachdenken über Glauben erfordert eine lockere und offene Unterrichtsatmosphäre (sich wohlfühlen). – Schüler/innen in der Pubertät bevorzugen kooperative und kreative Lernformen (Gruppenarbeit). – Die Lehrkraft soll in diesem Glaubensgespräch von persönlichen Überzeugungen reden (Authentizität), aber den Schüler/innen ihre Meinung nicht aufzwingen. – Schüler/innen sind durchaus bereit, im Rahmen des Religionsunterrichts Verantwortung zu übernehmen. – Sie erwarten eine Offenheit für Formen des Lernens an und mit neuen Medien (Computer im RU!). – Auch der RU darf/soll Forderungen stellen (Hausaufgaben). – Disziplin ist eine notwendige Voraussetzung für angemessenen Religionsunterricht (Klasse im Griff / nicht stören / aufpassen / machen, was man will). – Schüler/innen erwarten, dass auch im RU etwas »gelernt« wird (Arbeitsblätter/ Hefteinträge). Wenn man davon ausgeht, dass die Pubertät eine notwendige Lebenskrise darstellt, so überraschen die relativ hohen Werte zur Selbsteinschätzung hinsichtlich unterschiedlicher Kompetenzen über den gesamten Erhebungszeitraum:22
Abb. 2: Selbsteinschätzung der Heranwachsenden – gesamte Klasse
22 Vgl. im Folgenden: Böhm/Schnitzler (wie Anm. 12), 119ff.
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Auffallend ist, dass die Werte für die sich selbst zugeschriebene Attraktivität deutlich steigen, für die Zufriedenheit mit dem eigenen Aussehen jedoch leicht fallen. Trotzdem zeigt der Durchschnittswert von 7,04 auf alle befragten Items eine hohe (Selbst-) Zufriedenheit der Pubertierenden, obwohl die körperlichen Proportionen in dieser Zeit durcheinander geraten. Im Bereich Sport sind die Schülerinnen und Schüler von sich besonders überzeugt. Auch die Auffassungsgabe bewerten sie für sich überraschend/erfreulich hoch. Ein vergleichender Blick auf die Selbsteinschätzung von Mädchen und Jungen zeigt deutliche Differenzen:
Abb. 3: Selbsteinschätzung der Heranwachsenden – Differenzierung nach Geschlecht
Die Jungen liegen in ihrer Einschätzung generell höher als die Mädchen. Überschätzen sie sich dabei? Zeigen die Mädchen ein realistischeres Selbstbild? Wir denken, die Konstanz der hohen Werte über zwei Jahre hinweg und die Vielzahl der befragten Schülerinnen und Schüler legt die Annahme nahe, dass Schülerinnen und Schüler in der Pubertät keineswegs nur von Selbstzweifeln verunsichert sind, sondern ziemlich selbstbewusst mit beiden Beinen in die Erwachsenenwelt hinein schreiten. 4.5 Die Triangulation der explorativen Studie »Religionsunterricht in der Pubertät« Alle drei empirischen Zugänge bündeln wir abschließend in der Triangulation. Im Dreieck stehen die gemeinsamen Konsequenzen für einen »guten« Religionsunterricht in der Pubertät.
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Den Schüler/innen ist es wichtig, selbst etwas tun zu können und dabei kreativ zu werden, indem sie z.B. eine Videosequenz drehen, Fotos zu einer bestimmten Thematik im Umfeld der Schule machen und zusammenstellen oder selbst eine Unterrichtsstunde halten.
Abb. 4: Triangulation der qualitativen und quantitativen Ergebnisse23
Jugendliche schätzen an der Pubertät, dass Eltern und andere Erwachsene beginnen, sie ernst zu nehmen. Es wird ihnen zugetraut, selbstständig und eigenverantwortlich Aufgaben zu erledigen. Allerdings kann das auch leicht kippen, indem ihnen zu viel Verantwortung zugemutet wird. Lehrer/innen erleben Schüler/innen in der Pubertät oftmals schon erfreulich souverän, wohl wissend, dass sich mitunter auch ein gerüttelt Maß an Unsicherheit und Verletzlichkeit24 hinter der selbstsicheren Fassade verbirgt. Die Lehrer/innen sehen besondere Chancen in der (partiellen) Verantwortungsübernahme. Im Handeln entdecken Schüler/innen in der Pubertät ihre Fähigkeiten und erleben auch ihre Grenzen, so dass sie insgesamt ein realistischeres Selbstbild gewinnen. Didaktisch entscheidend ist, die soziale, kommunikative und methodische Kompetenz für erfolgreiches Handeln sukzessiv anzubahnen. Scheitern lässt sich im Handlungsvollzug nie ausschließen, aber mit Hilfe einer entsprechenden Hinführung kann es reduziert werden. Gegebenen23 Böhm/Schnitzler (wie Anm. 12), 145. 24 Vgl. die Metapher vom Hummer in der Zeit des Panzerwechsels.
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falls kann aber auch ein Scheitern innerhalb eines fehlerfreundlichen Lernprozesses zu einer nachhaltigen Lernerfahrung werden. Die Schüler/innen betonen vor allem beim kompakten Lernen außerhalb der Schule die Abwechslung und das erlebnisorientierte Lernen. Den Lehrer/innen ist es dabei wichtig, für intensive (religiöse) Erfahrungen einen neuen (unbelasteten) Raum jenseits der Schule zu nutzen. Spaß und ernsthaftes Arbeiten lassen sich hier eher zu einer Einheit ausgestalten. Die längere, gemeinsam verbrachte Zeit verstärkt die inhaltliche Dimension durch die persönliche Beziehung.
5.
»Auf der Suche nach eigenem Glauben« – Religionspädagogische Konsequenzen für ein Theologisieren mit Jugendlichen im Pubertätsalter: fünf Thesen
Die folgenden Thesen sind religionspädagogisch nicht nur, aber in besonderem Maße im Pubertätsalter von Bedeutung. Wir haben in ihrer Formulierung auf den Ergebnissen unserer explorativen Studie (RU in der Pubertät, Stuttgart 2008) aufgebaut und unsere eigenen Unterrichtserfahrungen der letzten Jahre einfließen lassen: 1) Gerade im Pubertätsalter ist die Atmosphäre in der Religionsgruppe von elementarer Bedeutung. Indikatoren für eine »gute« Atmosphäre sind: – Herrscht in der Gruppe ein Mindestmaß gegenseitiger Akzeptanz? – Sind die Schüler überhaupt bereit, sich mit den anderen auf einen offenen religiösen Diskurs einzulassen? – Können sie mit einer gewissen Zuverlässigkeit erwarten, dass ihr Beitrag ernst genommen wird? Der Anfang ist atmosphärisch entscheidend! Deshalb meinen wir: Es lohnt sich, in den ersten Wochen des gemeinsamen Unterrichts zunächst in den Aufbau einer vertrauensvollen Klassenatmosphäre zu investieren, – sei es durch ein offenes Gespräch über die Chancen und Grenzen des Nachdenkens über Religion im schulischen Kontext, – sei es durch die explizite Beteiligung der Schülerinnen und Schüler an der Unterrichtsplanung – oder sei es durch eine ganz gezielte Bildung von Teilgruppen nach thematischen Präferenzen, Sympathie oder Geschlecht. 2) Religionsunterricht kann für Jugendliche im Pubertätsalter zum Freiraum werden, Lust am eigenen – religiösen – Denken zu bekommen. Schön wäre, wenn Jugendliche über ihren Religionsunterricht sagen könnten: »Ich kann hier meine Gedanken ungeschützt in den Raum werfen – und niemand lacht. In der Diskussion mit meinen Mitschülern zeigt sich, was davon weiterführend ist, was eher ›schräg‹ und ›flüchtig‹«.
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Will dieser heuristische Ansatz vermeiden, dass Religionsunterricht zum unverbindlichen »Laberfach«25 wird, ist es allerdings Aufgabe der Religionslehrkraft, Denkimpulse der Lehrkraft und Gedanken der religiösen Tradition an passenden Stellen in den Diskurs hineinzutragen. Je überzeugender das gelingt, desto authentischer wird das Gesagte in den Augen der Schülerinnen und Schüler. 3) Theologisieren mit Jugendlichen wird durch den Mut zu zeitgemäßen Wortbildungen erleichtert und angeregt. Nehmen wir als Beispiel den für religiöse Rede wichtigen Begriff »Gnade«26. Können Jugendliche mit ihm etwas anfangen? Wenn ja, womit verbinden sie ihn?27 Realschule (Klasse 7) ein Auge zudrücken, Rücksicht nehmen, jemandem noch eine (letzte) Chance geben, Liebe, ach komm! Realschule (Klasse 9) Linderung, Gutmütigkeit, noch mal davonkommen lassen, Milde. Die Gottesantwort an die dringliche Bitte des Apostels Paulus, Gott möge ihn von seinem körperlichen Leiden befreien, lautet bei Luther: »Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.«28 Diese Formulierung versuchen die Schülerinnen und Schüler in »ihre« Sprache zu übertragen. Realschule (Klasse 7) Sei zufrieden mit dem, was ich dir gegeben habe. Damit kann ich durch dich wirken. (Junge; 13, 0) Ich helfe den Schwachen, die wissen, dass sie mich brauchen. (Mädchen; 13, 10) Meine Liebe ist da. Sie ist alles, was du brauchst. Meine Kraft wird dir helfen. (Junge; 14, 9)
25 Ein oft gehörtes und manchmal auch nicht so ungerechtfertigtes Klischee zur inhaltlichen Stringenz religiöser Bildung. 26 39'+ – Anmut, Gnade/Gunst, Gnadengabe/Gunstbezeugung, Dank. 27 Vielen Schülerinnen und Schülern ist diese Spracharbeit nicht leicht gefallen, etliche haben eher magere Versuche abgegeben, aber einige Übertragungsversuche zeigen u.E., dass mit ein bisschen Geduld und Zutrauen Theologisieren mit Jugendlichen im Pubertätsalter auch in der Suche nach zeitgemäßen Wortbildungen möglich ist. 28 Dieses paulinische Wort (2. Kor. 12,9) hat in einer leistungsorientierten Gesellschaft bleibend Bedeutung und kann gerade Jugendlichen, deren schulische Ergebnisse trotz Bemühung unterdurchschnittlich sind, zum Trostwort werden.
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Realschule (Klasse 9) Ich habe Gnade mit dir. Denk daran: Meine Kraft ist gerade in Loosern mächtig. (Junge; 16, 9) Der Glaube und die Liebe zu mir ist alles, was du brauchst. Sie werden dich von deinem Leid befreien und dir neue Kraft schenken. (Mädchen; 15, 7) Nicht nur die Harten kommen in den Garten. Auch die Schwachen dürfen rein – und sie werden sogar vom Gärtner versorgt. (Junge; 15, 4) Pointierte Sprachentwürfe mögen zwar innerhalb weniger Jahre wieder »out« sein, aber sie können etwas andeuten von der Lebendigkeit und bleibenden Wandelbarkeit des Evangeliums hinein in unsere Welt und hinein in die Sprache der jeweiligen Generation.29 Der religiöse Dissens liegt überraschend und damit erfreulich selten in der religiösen Sache selbst begründet. Viel häufiger ist es die den Jugendlichen fremde Sprache der Tradition, die ihnen einen Zugang zu Fragen des Glaubens [unnötig] erschwert. Noch ein Zweites zur Sprache: Sie darf für Jugendliche in der Pubertät nicht allzu abstrakt sein. Für operationales Denken sind die hirnphysiologischen Voraussetzungen noch nicht hinreichend ausgebildet. Eine prägnante Formel, ein anschauliches und lebensnahes Beispiel, eine erläuternde Strukturskizze – dies alles trägt dazu bei, dass weder die Denkentwürfe der Jugendlichen noch die Vorgaben der Glaubenstradition im Nebulösen verschwimmen.30 4) Theologisieren mit Jugendlichen sollte sich nicht auf das Gespräch beschränken. Gerade im Pubertätsalter ist es für die Schülerinnen und Schüler hilfreich, wenn methodisch – über den Dialog hinaus – ganzheitliche Zugänge den Lernprozess fundieren. Dies können gestaltpädagogische Ansätze sein oder erlebnispädagogisch akzentuierte Aktionen. Das Gespräch jedenfalls gewinnt durch zuvor gemachte persönliche Erfahrungen an Tiefe.31 29 Die Bemühung um jugendgemäße Sprache schließt die Begegnung mit biblischen Geschichten und einzelnen Bibelzitaten keineswegs aus, im Gegenteil. Der pointierte Sprachentwurf baut eine Brücke in die Lebenswelt der Jugendlichen, das Bibelzitat hingegen sichert den Anschluss an die Tradition. Wie man bei einem Gedicht nicht unbedingt erwartet, dass man es beim ersten Lesen schon erfasst, so muss man sich auch einem biblischen Wort mehrfach aussetzen, um es in seiner Tiefe auszuloten und im Nachsinnen Bezüge zur eigenen Existenz zu knüpfen (vgl. M. Ernst Wahl, Kein Mut zur Theologie, in: Evangelisches Gemeindeblatt in Württemberg« vom 12.6.2011, 9f). 30 Das gilt in abgemilderter Form auch noch in der Erwachsenendidaktik. 31 Ein Beispiel aus der Unterrichtspraxis mag dies veranschaulichen: Eine Religionsstunde zum Thema Passion kann elementare religiöse Erfahrungen leichter anbahnen, wenn Sie dabei den ggf. in der katholischen Kirche vorhandenen Kreuzweg in das Unterrichtsvorhaben einbauen. Sie gehen mit der Religionsgruppe in die Kirche, sagen kurz etwas zur Bedeutung von Kreuzwegen in der (katholischen) Kirche und geben einen Überblick zu den vierzehn Stationen. Dann durchwandern alle schweigend (!) die vierzehn Stationen. Danach stellen sie sich an die Station, die sie besonders angesprochen hat. Jeder darf den Mitschülern sagen, warum er sich
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5) Glaube verlangt für Jugendliche in der Pubertät nach Konkretionen, nach der aus dem Glauben erwachsenden Tat. Glaube sollte auch in der Schule nicht ein rein kognitives Sprachspiel bleiben. Jesus hat dies deutlich gemacht, indem er stets Wort und Tat unmittelbar zueinander in Beziehung setzt (vgl. bes. im Matthäusevangelium, Kap. 5–9). In der Diakoniegeschichte findet sich von Gustav Werner hierfür das Motto: »Was nicht zur Tat wird, das hat keinen Wert.« Deshalb sind Sozialpraktika in der Schule sowie deren ethische Begründung und nachträgliche Reflexion eine große Chance für den Religionsunterricht in der öffentlichen Schule; z.B. das »Themenorientierte Projekt Soziales Engagement« (TOP SE) an Realschulen in Baden-Württemberg. Hierbei haben Schülerinnen und Schüler in der Klassenstufe 8 die Aufgabe, in einem Verein, einer diakonischen Einrichtung oder auch einer kirchlichen Kinder- und Jugendgruppe über 30–40 Stunden hinweg Erfahrungen im Dasein für andere zu sammeln. Im Sozialpraktikum wird Schülerinnen und Schülern etwas zugetraut, manchmal auch zugemutet. Durch Verantwortungsübernahme werden sie, die zu lange und zu oft lediglich Rezipierende bleiben, zu aktiv Gestaltenden, die eine verantwortungsvolle Aufgabe zum Wohl der Gesellschaft übernehmen können und sollen. Im Rückblick sind sie meist stolz auf ihre Arbeit und die positive Rückmeldung, die sie dabei erfahren.32
6.
»Im Gespräch der Generationen« – Bildbetrachtung zum zwölfjährigen Jesus im Tempel nach Albrecht Dürer
In der explorativen Studie war uns wichtig, unsere Untersuchung theologisch zu rahmen. Das Eingangskapitel trägt die Überschrift: »Jugendliche als Theologen? Die prophetische Kraft der Jugend – Pubertät im Ersten Testament.« Diese Fragestellung greifen wir im Schlusskapitel der Studie auf und versehen sie mit einem Ausrufezeichen: »Jugendliche als Theologen!« »Es birgt einen enormen didaktischen Mehrwert, Mädchen und Jungen in der Pubertät als Theologen im unterrichtlichen Gespräch ernst zu nehmen.«33
Warum könnte das so sein?
gerade zu dieser Station gestellt hat. Sie bekommen somit eine auf die Klasse und die einzelnen Schüler hin akzentuierte Nachbetrachtung des Passionsgeschehens. (Zu weiteren kontemplativen Lernformen im Pubertätsalter vgl.: Manfred Schnitzler, Elementarisierung – Bedeutung eines Unterrichtsprinzips, Neukirchen-Vluyn 2007, 349–367). 32 Vgl. Uwe Böhm, Soziales Lernen und Soziales Engagement. Verantwortungsübernahme Jugendlicher im schulischen Kontext, Baltmannsweiler 2006. 33 Böhm/Schnitzler (wie Anm. 12), 154.
Theologisieren mit Jugendlichen – im Pubertätsalter
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Manchmal sagt ein Bild mehr als tausend Worte. Uns fasziniert in der Veranschaulichung dieser These ein Bild von Albrecht Dürer, das eine in fünf Tagen rasch ausgeführte Skizze »Opus quinque dierum« (Das Werk von fünf Tagen) aus dem Jahre 1506 ist:
Abb. 5: Albrecht Dürer: Opus quinque dierum (1506)
Wie lässt sich dieses Bild im Blick auf das Theologisieren von Jugendlichen im Pubertätsalter ausdeuten? – Da sind im Bildmittelpunkt vier Hände zu sehen, zwei von einem sehr alten Gelehrten, zwei von einem jungen Mann.34 Die zarten Hände formen im Wechselspiel mit den knorrigen Händen des Alten einen virtuos lebendigen Kreis. – Schaut man genauer hin, ist dieser Kreis seinerseits Teil eines größeren von drei weiteren ehrenwerten Männern gebildeten Kreises aus Händen und Büchern. Die Gestik der am Gespräch beteiligten Menschen wird erweitert durch den Verweis auf die in den Büchern dokumentierte Tradition. 34 Es könnte auch eine junge Frau sein. Dürer stellt die junge Person eher androgyn dar.
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Uwe Böhm / Manfred Schnitzler
– Neben den Händen bilden die Köpfe der Diskutierenden einen dritten Kreis. Die jugendliche Schönheit des jungen Mannes, seine geradezu träumerische Nachdenklichkeit, kontrastiert mit den markanten Gesichtern der alten Männer und deren Eifer um die Sache. – Schließlich fällt auf: Bei aller Unterschiedlichkeit – es scheint eine Diskussion auf Augenhöhe stattzufinden. Dafür sprechen das kreisförmige Räderwerk der vier Hände im Bildmittelpunkt sowie die durch das Abzählen angedeutete klar strukturierte Rede des Jungen.35 Sie ahnen, welche biblische Geschichte Dürer hier ins Bild gesetzt hat? – Es ist die einzige neutestamentliche Erzählung, in deren Mittelpunkt ein junger Mann in der Pubertät steht: der zwölfjährige Jesus im Tempel. »Er saß mitten unter den Lehrern, hörte ihnen zu und stellte Fragen. Alle, die ihn hörten, waren erstaunt über sein Verständnis und über seine Antworten.« (Lk. 2,46f.)
Zuhören und interessiertes Nachfragen auf der Seite des Jugendlichen korrespondieren mit dem Ermöglichen von Teilhabe und der bewundernden Anerkennung von Verständnis auf der Seite der Gelehrten. Die Lehrkräfte sollten bei ihren Unterrichtsversuchen den Mut aufbringen, sich auf ein Gespräch auf Augenhöhe mit den Jugendlichen in der Pubertät einzulassen. Nicht immer wird das Gespräch glücken. Aber wir hoffen doch, dass sich immer wieder »Sternstunden des religiösen Gesprächs zwischen den Generationen« ereignen und Sie als angehende Lehrkraft auf die nächste Religionsstunde und das Theologisieren mit Ihren Schülerinnen und Schülern im Pubertätsalter gespannt sind.36
35 Das Bild könnte allerdings auch im Sinne einer asymmetrischen Kommunikation ausgedeutet werden: sechs Gelehrte »stürzen« sich auf einen jungen Mann. Sie bedrängen ihn mit ihren Argumenten, die sie als die Schriftbesitzer aus den dicken Büchern der frommen Tradition ziehen. Der Junge hingegen steht träumerisch in der Mitte und scheint sich nicht auf einzelne Argumente einlassen zu können oder zu wollen. 36 Den Vortragstil der Seminarsitzung haben wir versucht in diesem Artikel beizubehalten.
Katharina Kammeyer
Theologisieren in heterogenen Lerngruppen – Empirische Einsichten in Perspektiven von Lehrkräften und konzeptionelle Überlegungen
»Der Freund des Gespräches aber ist der Freund des Friedens, der nur auf dem Gespräch der Menschen miteinander ruhen kann.« (Richard von Weizsäcker, auf dem Weltkongress der Germanisten in Göttingen 1985)
1.
Theologisieren in Vielfalt
Heterogenität wird in der Allgemeinen Pädagogik und Didaktik ausführlich beforscht. Im Jahr 2010 wurden zahlreiche Titel zum Thema veröffentlicht wie etwa »Heterogenität im Klassenzimmer« (Klippert), »Heterogenität in Schule und Unterricht« (Trautmann/Wischer), »Heterogenität als Chance nutzen lernen« (Rebel), oder »Heterogenität bejahen. Bildungsgerechtigkeit als Auftrag und Herausforderung für evangelische Schulen« (Frank/Hallwirth).1 Heterogenität ist diesen Buchtiteln zufolge eine Perspektive, aus der man Lerngruppen und -prozesse betrachten, befürworten und bewusst gestalten kann. Gemeint ist die Thematisierung von gleichberechtigter Verschiedenheit der Mitglieder der Schulgemeinschaft.2 Die zunehmende Enttraditionalisierung und Individualisierung unserer Gesellschaft sowie ihre migrationsbedingte Multikulturalität gelten als die wichtigsten Faktoren für eine Pluralisierung im Klassenraum. Anders betrachtet lässt sich ergänzen: Über alte Milieuzuschreibungen und beschränkende Erwartungshaltungen von Lehrkräften hinaus wird die Vielfalt von Menschen heute mehr denn je sichtbar. Bereits 1993 entwickelte Annedore Prengel ihre »Pädagogik der Vielfalt« und formuliert deren Sinn nicht problematisierend, sondern anerkennend: »Die Heterogenität von Lerngruppen wird nicht nur in Kauf genom-
1 Vgl. einleitend den Beitrag »Heterogenität und Differenzierung«, in: entwurf 4/2010, 6–10 von Manfred Pirner, der dort diese Titel zusammenstellt. 2 Eine weitergehende Klärung des an dieser Stelle nicht weiter reflektierten Begriffes Heterogenität findet sich u.a. in den Beiträgen von Annedore Prengel, vgl. z.B. dies., Pädagogik der Vielfalt. Verschiedenheit und Gleichberechtigung in Interkultureller, Feministischer und Integrativer Pädagogik, 3. Aufl. Wiesbaden 2006. Seine kritische Übertragung auf die Religionspädagogik ist Thema einer eigenen Forschungsarbeit.
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Katharina Kammeyer
men, sondern als bereichernd favorisiert.«3 Die Vielfalt an Hintergründen und Begabungen in Lernprozessen – ist sie auch ein Chance für das Theologisieren? In diesem Beitrag geht es darum, theologische Gespräche mit Jugendlichen und die begleitenden, interaktiven Lernprozesse unter einer Perspektive auf die Verschiedenheit der Jugendlichen zu untersuchen und zu fragen, wie sich deren Anerkennung durch Religionslehrer/innen auf die Gestaltung und Verläufe der Gespräche und Lernprozesse auswirkt. Dabei wird im Sinne des Inklusionsparadigmas4 davon ausgegangen, dass jede Klasse Menschen versammelt, die sich in vielen Weisen unterscheiden: Die Schülerinnen und Schüler kommen als Mädchen und Jungen aus verschiedenen Familien mit jeweils unterschiedlichen materiellen, kulturellen und religiösen Sozialisationsfaktoren. Sie entwickeln und wählen darüber hinaus eigene Einstellungen,5 d.h. sie interessieren sich für verschiedene Dinge oder Menschen und fühlen sich andererseits zu unterschiedlichen Aufgaben oder Beziehungen gezwungen. Sie bringen unterschiedliche Erfahrungen und unterschiedliches Vorwissen mit, haben verschiedene Fähigkeiten und Beeinträchtigungen und werden als Lerntypen unterschieden. Sie sammeln sich in unterschiedlichen peer groups, sie sprechen verschiedene Sprachen und sie treten häufiger oder seltener, lauter oder leiser mit diesen und weiteren denkbaren Zuschreibungen im Religionsunterricht in Erscheinung.
3 Annedore Prengel: Heterogenität in der Bildung – Rückblick und Ausblick, in: K. Bräu / U. Schwerdt (Hg.), Heterogenität als Chance. Vom produktiven Umgang mit Gleichheit und Differenz in der Schule, Münster 2005, 19–35, 21. 4 In der pädagogischen Debatte wird Inklusion im Ansatz und in letzter Konsequenz dahingehend diskutiert, dass bestehende Klassen im dreigliedrigen Schulsystem plus Sonderschulsystem noch längst nicht konsequent inklusiv sind. Ihre Vielfalt soll erhöht und didaktisch aufgefangen werden. Ich beziehe folgende Definition von Inklusion aus diesem Kontext hingegen bewusst auf im derzeitigen System vorfindliche Klassen im Sinne des Enthaltenseins (hier »Miteinander« genannt) von verschiedenen Menschen in einer Gruppe, um zu verdeutlichen, dass auch diese Klassen keine homogenen Gruppen darstellen. Im inklusiven Verständnis lässt sich ihre Heterogenität jedoch differenzierter als bisher wahrnehmen: »Es geht diesem Verständnis nach nicht um die Einbeziehung einer Gruppe von Menschen mit Schädigungen in eine Gruppe Nichtgeschädigter, vielmehr liegt die Zielsetzung in einem Miteinander unterschiedlichster Mehr- und Minderheiten – darunter auch die Minderheit der Menschen mit Behinderungen. Hier geht es um diverse Dimensionen von Heterogenität, etwa die Geschlechterrollen im Sinne einer reflexiven Koedukation, die der unterschiedlichen kulturellen und sprachlichen Herkunft im Sinne einer interkulturellen oder antirassistischen Erziehung, weiter die Heterogenität bildungsferner und bildungsnaher Milieus mit unterschiedlichen sozialen Umfeldern, auch die Heterogenität weltanschaulicher Orientierungen im Sinne eines interreligiösen oder multiethischen Unterrichts, schließlich die Heterogenität verschiedenster Lebensentwürfe, sexueller Orientierungen usw. usf.« Andreas Hinz, Von der Integration zur Inklusion – terminologisches Spiel oder konzeptionelle Weiterentwicklung? (2002), in: A. Pithan / W. Schweiker, Evangelische Bildungsverantwortung: Inklusion. Ein Lesebuch, Münster 2011, 19. Zur Umsetzung und Selbstevaluation einer inklusiven Schulkultur siehe zudem den »Index für Inklusion«, 2003 hg. durch T. Booth und M. Ainscow und für deutschsprachige Verhältnisse bearbeitet von Ines Boban und Andreas Hinz unter: www.eenet.org.uk/ resources/docs/Index%20German.pdf [letzter Aufruf: 20.9.2011]. 5 Vgl. hierzu den Beitrag von Carsten Gennerich in diesem Band.
Theologisieren in heterogenen Lerngruppen
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Unter dem Konzept des Theologisierens verstehe ich Interaktionen zur selbsttätigen Entfaltung und Erweiterung von Gottesbildern und Gottesrede durch eigenes Fragen und Deuten von Kindern und Jugendlichen sowie jungen Erwachsenen in Auseinandersetzung mit der biblisch-christlichen Überlieferung. Diesem Ansatz soll nun das Thema der Heterogenität gegenüber gestellt werden. Es ergibt sich folgende Fragestellung: Wie passt der Ansatz des Theologisierens zu heterogenen Lerngruppen? Bietet er gerade ihnen gute Lernmöglichkeiten? Wann trägt eine heterogene Gruppe dazu bei, dass Theologisieren gelingt? Wann ergeben sich Grenzen?
2.
Aufbau der Untersuchung
In halbstrukturierten, ca. einstündigen Experteninterviews wurden Perspektiven von zehn Lehrkräften, die über Kenntnisse und Erfahrungen mit dem Theologisieren in Sek I und II verfügen, erhoben.6 Beteiligt haben sich insgesamt acht Lehrerinnen und zwei Lehrer aus zwei Gymnasien (Duisburg, Wien), einer Realschule (Mülheim/Ruhr), zwei Gesamtschulen (Bochum, Mülheim/Ruhr), davon einer mit Gemeinsamem Unterricht,7 einem Berufskolleg (Düren) und aus Studienseminaren für Sek I (Oberhausen, Hannover). Erste Schritte zur Perspektivrekonstruktion von denjenigen, die dafür verantwortlich sind, wie Jugendliche miteinander in theologische Gespräche kommen, ergaben Orientierungsfiguren zu folgenden drei Feldern: a) Wie nehmen Lehrkräfte eigentlich Heterogenität wahr? Wovon berichten sie uns, wenn wir sie nach Verschiedenheit in ihrer Klasse fragen? b) Mit welchen Inhalten und Methoden wird das Theologisieren gestaltet? Worauf achten sie in der Gesprächsführung? c) Wo sehen sie Chancen und wo Grenzen des Theologisierens insbesondere auch hinsichtlich einer gewünschten Pluralität in der Theologie?
6 Zur Erhebungsmethode vgl. Siegfried Lamnek, Qualitative Sozialforschung. Lehrbuch, Weinheim, 4. Aufl. Basel 2005, 356ff, zur Begrifflichkeit der Auswertung mittels der Dokumentarischen Methode vgl. Ralf Bohnsack, Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative Methoden, 5. Aufl. Opladen 2003, 31ff. Für ihr wertvolles Mitwirken danke ich den beteiligten Lehrer/innen, für die Zusammenarbeit in Planung, Interviewführung, Transkriptionen und Auswertung Frau Gesa Menzel und dem Projektteam, das mit Mitteln des Dortmunder Kompetenzzentrums für Lehrerbildung gefördert wurde. 7 Eine Form des Gemeinsamen Unterrichts (GU) bedeutet hier: in einer Lerngruppe von 25 Schüler/innen und zwei Lehrkräften ist bei fünf Schüler/innen sonderpädagogischer Förderbedarf, hier mit den Schwerpunkten geistige Entwicklung oder Lernen, diagnostiziert.
194 3.
Katharina Kammeyer
Zur Wahrnehmung: Wie stellt sich Heterogenität im RU dar?
Die Reihung der oben genannten Merkmale von Verschiedenheit wird durch die Lehrkräfte noch einmal erweitert bzw. genauer differenziert. Sie unterscheiden Schüler/innen – mit kritischer Frage- und Diskussionshaltung gegenüber Schüler/innen mit unkritischer Glaubenshaltung, die sich um Eindeutigkeit in religiösen Antworten bemühen, – mit wenig oder tiefem nachhaltigem Orientierungswissen, – mit oder ohne Erfahrungsschatz religiöser Praxis, der durch eine kirchliche bzw. nicht-kirchliche Sozialisation geprägt ist, – mit ausgeprägter oder geringer Sprach- und Ausdruckskompetenz, – mit kognitiven Begabungsunterschieden, – mit und ohne körperliche Behinderungen, – die mit Interesse oder aus Verpflichtung heraus am RU teilnehmen, – als Mädchen und Jungen (die tendenziell unterschiedliche Diskussionsstile einnehmen und unterschiedlich Verantwortung übernehmen), – die zu verschiedenen Altersgruppen gehören, – in ihrer religiösen Entwicklung unterschiedlich sind, – verschiedene kulturelle Hintergründe mitbringen und – zu verschiedenen Religionen oder Konfessionen gehören.
4.
Zum Umgang mit Heterogenität in inklusiver Perspektive
Aus der Wahrnehmung von Unterschiedlichkeit von Menschen ergeben sich Möglichkeiten und Folgen für den Umgang miteinander. Der (zunächst neutrale) Begriff der »Diskriminierung« als Unterscheidung von Verschiedenheit macht in seiner geläufigen negativen Konnotation deutlich, dass hiermit in der Regel eine Bewertung einhergeht, die für Handlungsmöglichkeiten der/s Einzelnen günstig oder ungünstig ausfallen kann. Die Klärung der verwendeten Kriterien (und enthaltenen Maßstäbe) sowie in unserem Kontext die hieraus folgenden Zugangsmöglichkeiten zu den Bildungsangeboten des RU sind daher entscheidend. Sie unterliegen Normen und Werten, die wiederum Diskursen und zeitlichem Wandel unterworfen sind. In der hier eröffneten inklusiven Perspektive geht es grundsätzlich um Wege der Anerkennung und Beteiligung aller Schüler/innen mit ihren verschiedenen, nicht hierarchisierten Merkmalen, und im Sinne des Theologisierens um individuelle und kooperative Umgangsweisen mit wahrgenommener Verschiedenheit in religiösen Lernprozessen nach diesem Ansatz.
Theologisieren in heterogenen Lerngruppen
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In der Allgemeinen Didaktik werden in der Regel vier Faktoren von Heterogenität unter Schüler/innen beschrieben:8 die Leistungsvielfalt bzw. Förderbedarfe, ethnisch/kulturelle Hintergründe, Genderaspekte und die materiellen Ressourcen der Familie. Entsprechend sind didaktische Konzeptionen zum Umgang mit der Verschiedenheit entwickelt worden: Konzeptionen zur inneren Differenzierung und Individualisierung von Lernprozessen ermöglichen, dass nicht alle das Gleiche zur gleichen Zeit, sondern Verschiedenes in unterschiedlichen Zeiträumen lernen können. Klärungen aus der interkulturellen Pädagogik und der reflexiven Koedukation machen auf die Notwendigkeit aufmerksam, einen Vertrauensraum zu schaffen und zu pflegen, einander zuzuhören und verschiedene Wissensinhalte, Sichtweisen und Vorgehensweisen auch auf der Metaebene zu thematisieren. Die Rolle von Armut und Wohlstand und damit verbundene Einflussfaktoren auf Bildungsprozesse wird zwar im Kontext der deutschen PISAErgebnisse immer wieder betont, Lösungsansätze sind jedoch weitaus weniger geläufig. Die Fachdidaktik Religion ist im Umgang mit Verschiedenheit besonders hinsichtlich der Differenzierung nach Entwicklungen im religiösen bzw. moralischen Erleben bzw. kognitiven und komplementären Denken entfaltet.9 Geschlechtsspezifische und lebensweltbezogene Ansätze bieten wiederum Möglichkeiten für die Wahrnehmung von Heterogenität und bemühen sich um Freiräume für Schüler/innen.10 Ebenso liegen wichtige Theorien und didaktisch-methodische Reflexionen für interreligiöse Lernprozesse vor.11 Der Umgang mit kultureller, begabungs- und leistungsbezogener oder motivationaler Unterschiedlichkeit ist noch wenig entwickelt.12 Nehmen wir die Hinweise aus der Allgemeinen Didaktik ernst, sollten im Sinne einer Sensibilität für Verschiedenheit in der Klasse religionspädagogische Ansätze untersucht und praktiziert werden, die sowohl Individualität als auch Verständigung in der Gruppe berücksichtigen. Wünschenswert ist es, entsprechend konstruktivistischer Lerntheorie mehr Raum für Binnendifferenzierungen und Individualisierungen sowie entsprechende Wertschätzung für Eigenproduktionen zu ermöglichen und die Förderung der Kommunikation 8 Vgl. z.B. Bräu/Schwerdt (wie Anm. 3). 9 Vgl. Gerhard Büttner / Veit-Jakobus Dieterich, Die religiöse Entwicklung des Menschen. Ein Grundkurs, Stuttgart 2000 u.v.a.m. sowie in Ergänzung zu strukturgenetischen Modellen Hinweise zu bereichsspezifischen Entwicklungsmodellen in Katharina Kammeyer, »Lieber Gott, Amen.« Theologische und empirische Studien zum Gebet im Horizont theologischer Gespräche mit Vorschulkindern, Stuttgart 2009, 111ff. 10 Vgl. insgesamt überblickartig Hans Mendl / Manfred L. Pirner, Differenzierung im katholischen und evangelischen Religionsunterricht, in: M. Eisenmann / Th. Grimm (Hg.), Heterogene Klassen – Differenzierung in Schule und Unterricht, Baltmannsweiler 2011, 173–191, auch mit methodischen und theoretischen Überlegungen und weiterer Literatur, zudem insb. A. Pithan u.a. (Hg.), Gender, Religion, Bildung. Beiträge zu einer Religionspädagogik der Vielfalt, Gütersloh 2009. 11 Vgl. Joachim Willems, Interreligiöse Kompetenz. Theoretische Grundlagen, Konzeptionalisierungen, Unterrichtsmethoden, Wiesbaden 2011. 12 So Pirner (wie Anm. 1).
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Katharina Kammeyer
darüber in der Gruppe zu unterstützen – in einem vertrauensvollen Rahmen und immer wieder auch unter Rückgriff auf Metagespräche. Diese Merkmale treffen bei dem Ansatz des Theologisierens mit Jugendlichen auf gutes Potential, das bereits ausgeschöpft wird bzw. noch weiter in Anspruch genommen werden kann. Im Folgenden werden Beispiele der Lehrkräfte für einen bewussten Umgang mit Verschiedenheit hinsichtlich Interessen, Wissen, Kritikfähigkeit und Begabungen während des Theologisierens untersucht. Sie machen sich bewusst, welche Methoden und Sozialformen sie einsetzen (4.1), sie führen Metagespräche über die Verschiedenheit (4.2), und sie bauen ganz bewusst einen Vertrauensraum für die Meinungsbildung auf (4.3). 4.1
Wahl der Methoden und Sozialformen
4.1.1 Bewusste Organisation von homogenen oder heterogenen Gruppen Aus Sicht verschiedener Lehrer/innen ist es sinnvoll, die Schüler/innen homogene Gruppen bilden zu lassen, wenn es darum geht, eigene persönliche Fragen und Deutungen zu formulieren. Bei Themen wie Freundschaft oder Sinn des Lebens wird so der Entwicklung der eigenen Sichtweise Raum gegeben, z.B. gerade in der Pubertät »also die Mädchen allein und die Jungen allein.« (Gesamtschule mit GU, Kl. 9). Um hingegen das Hören auf andere Positionen und die Diskussion zu fördern, wird bewusst auf heterogene Gruppenbildung gesetzt: Eine Gymnasiallehrerin zeigt, wie sie bewusst kritische und unkritische (von der Lehrerin »charismatisch« benannte) Schüler/innen zu neuen Gruppen kombiniert. Es geht hier um die Arbeit mit den klassischen Gottesbeweisen in Kl. 11, der die Beschäftigung mit Wundererzählungen vorausging: Es ist oftmals so, dass die Schüler, die überhaupt keinen Zugang haben, zusammen sitzen, und die charismatischen Schüler, die sitzen zusammen. Ich lasse die dann abzählen und neue Gruppen bilden. Und die tauschen sich dann aus. Und das bringt was. [Die neu gemischten Gruppen lernten die Gottesbeweise kennen. Sie sollten aus diesen einen Rap schreiben, in dem auch ihr Kommentar mit eingeflochten ist.] Das weiß ich noch, die [unkritische Schülerin] hat an dieser Stelle sehr aggressiv reagiert: »Dass etwas ein Wunder ist, und das kann man nicht verstehen!« Das haben sie dann in dem einen Rap ganz wunderbar aufgearbeitet. Die Jungs rapten die Gottesbeweise und die zwei Mädels hatten dann als Zwischentext: »Menschen können es nicht verstehen. Du musst zu Gott sehen.« Also haben sich dann davon abgrenzt. [Zitiert die Schülerinnen:] Also, irgendwelche Beweise gibt es natürlich nicht. Das kann man versuchen und wir erklären jetzt auch, wie Aquin es gemeint hat, aber: Wir grenzen uns an dieser Stelle eindeutig ab und sagen: »Gott ist nicht zu erklären und nicht zu beweisen und man müsste nur genügend glauben, dann hätte man den Zugang.« (Gym. Duisburg)
Deutlich wird: die kreative Methode in der Auseinandersetzung mit den Gottesbeweisen, die alte Diskussion und die eigene Positionierung hierzu in einen Rap umzusetzen, erlaubt bzw. erfordert die eigene Schwerpunktsetzung und in
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diesem Fall der gemischten Gruppe die Auseinandersetzung mit den anders denkenden Gruppenmitgliedern. Ein Ausgangspunkt für ein theologisches Gespräch zur mehrdimensionalen Wirklichkeitsdeutung ist entstanden. 4.1.2 Innere Differenzierung in Bezug auf freie Wahl von Inhalten und Methoden Im Sinne von konsequent umgesetzter Freiarbeit geben einige Lehrer/innen den Lernweg in Bezug auf Inhalte und/oder Methode in die Hände der Schüler/innen. Die Schüler/innen wählen das Thema der Vertiefung bzw. aus dem Angebot verschiedener Vertiefungsaufgaben. Eine Gymnasiallehrerin stellte in Kl. 11 das Oberthema »Gut und Böse«, ließ selbst Unterthemen finden – und gewählt worden sind also folgende Themen: »Das Fegefeuer in der mittelalterlichen Kirche«; »Gute Engel, böse Engel – von Luzifer zu Satan«; »Der Wandel im Menschenbild zwischen Gut und Böse«; »Der Gegensatz von Gut und Böse als Visualisierung«, vielleicht also ne Collage und eine »Gut und Böse im Alltag« – eine Fotoserie. (Gym. Duisburg)
Ganz im Sinne konstruktivistischer Lerntheorie stehen die eigenen Lernwege im Vordergrund, auf die dann erst im zweiten Schritt die Auseinandersetzung mit den Beiträgen der Anderen folgt. Arbeiten zum Vaterunser in einer 9. Klasse sehen dann z.B. so aus: Wir hatten einmal die Möglichkeit, eben das Vaterunser in Gebärden, also pantomimisch darzustellen, dann das Vaterunser in einem Comic darzustellen, dann das Vaterunser zu singen – dazu hat sich leider keiner bereit erklärt – oder als Rap eben darzustellen und dann eine Werbung für das Vaterunser zu gestalten. Die meisten haben die Werbung gewählt, aber ich hatte eben auch ein paar, die gesagt haben: »Nee, wir möchten jetzt gar nicht so uns körperlich darstellen vor der Klasse.« Die haben dann eben den Comic gewählt. Also da gibt’s dann verschiedene Formen, wie sich gern präsentiert wird oder lieber gelernt wird, also lieber am Platz dann und zeichnerisch oder eben doch mehr mit Ausdruck und Rumlaufen und Lautsein, wenn’s geht. Ja, also wenn’s geht, versucht man drauf einzugehen. (Gesamtsch. Mülheim)
4.1.3 Bewusste Gestaltung und Moderation der Präsentationsund Gesprächsphasen Mehrere Lehrkräfte gehen mit Heterogenität in Bezug auf Interessen, Begabungen und Lernniveaus in der Lerngruppe so um, dass sie Gesprächsmethoden und gestaltende handlungsorientierte Elemente, in denen Schüler/innen vorbereitend für das Gespräch Inhalte entwickelt haben, gezielt aufeinander beziehen. Die Ebene des fragenden und deutenden theologischen Gesprächs wird also um eine vorbereitende Phase ergänzt, in der inhaltlich und methodisch (wie in 4.1.2 dargestellt) differenziert wird. Zur inneren Differenzierung gehören auch der unterschiedliche Umfang und die unterschiedlichen Schwierigkeitsgrade von
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Katharina Kammeyer
Aufgaben. Erst auf diese individualisierte Phase folgt die Präsentation, was den Beginn des gemeinsamen Gesprächs deutlich erleichtert. Auch die Präsentation wird, hier aus Sicht einer Lehrerin in Kl. 9 als Erinnerungsprotokoll festgehalten, differenziert: In der Präsentationsphase kommen dann handlungsorientierte und diskursive Elemente zusammen: Nicht alle Schüler beteiligen sich am reflexiven Gespräch, aber alle präsentieren ihre Ergebnisse. In der Praxis schließt dies dann ein, dass Schüler, die den gymnasialen Zweig der Gesamtschule anstreben und Schüler mit geistiger Behinderung jeweils unterschiedliche Lernprodukte erarbeiten. Es werden also z.B. Collagen und Dokumentationen über ein Thema und Rollenspiele vorgestellt. Sie werden beide in eine Auswertung einbezogen, aber die findet für die beiden Gruppen auf ganz unterschiedlichen Ebenen statt. (Gesamtsch. mit GU Bochum)
4.1.4 Angebot von Inhalten vor der Frageaufforderung Zentraler Gedanke des Theologisierens ist der Beginn mit den Eigenkonstruktionen von Schüler/innen zu einer theologischen Thematik, d.h. also z.B. mit ihrem Gottesbild, ihrem Gerechtigkeitskonzept, ihrer Vorstellung von Kirche usw. In jedem Fall wird mit einer offenen Aufgabenstellung begonnen, die der Lehrkraft Raum zum Beobachten lässt und Schüler/innen ermöglicht, ins eigene Fragen vorzudringen. Einige der befragten Lehrer/innen gehen auch so vor. Andere betonen, dass Jugendliche hierin weniger spontan und darstellungsfreudig sind als Kinder. Jugendliche haben das Bedürfnis, sich inhaltlich abzusichern und zögern z.T., frei zu assoziieren und zu spekulieren. Weil sie um die Wirkung ihrer Beiträge gegenüber den Mitschüler/innen wissen, bzw. weil sie wissen, dass sie zu einem Thema erst wenig wissen, zögern sie auch, Fragen zu formulieren. Die Lehrkräfte bieten von daher häufig von vornherein Inhalte zur Auseinandersetzung an: Also, wenn ich einen Einstieg wähle, in egal welches Thema und eigentlich auch fast egal in welchem Alter, wo wir über das Sammeln von Bildern und Vorwissen und Fragen der Kinder gehen, das kann in sehr heterogenen Gruppen keine gute Idee sein. Weil, die einen wissen noch nicht einmal, was sie fragen sollen, weil sie das Thema gar nicht kennen. Und die anderen sind die großen Spezialisten, die vielleicht meinen, eh schon alles zu wissen und denen ist es dann gleich fad. Also je größer die Heterogenität umso eher glaube ich, ich muss mich da jetzt selber beobachten sozusagen, umso eher glaube ich, dass ich versuche, erst einmal eine gemeinsame Ausgangsbasis zu schaffen, egal welches Thema, weil’s sonst für die anderen zu keinem Zweck ist. (Gym. Wien)
Deutlich wird, dass Theologie für Jugendliche im Vergleich zu einer Theologie für Kinder wichtiger ist, um Theologisieren von und mit Jugendlichen anzuregen. Weniger das assoziative Fragen, sondern die Eröffnung eigener Deutungsräume und die Notwendigkeit, Zusammenhänge zu begründen und so zu ergründen, gelten aus Sicht der Lehrkräfte als hilfreich, um unterschiedlich ausgeprägte Wissenshorizonte zusammenzubringen. Wer mit inhaltlichem Vorwissen in der
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Gruppe ist, dieses aber noch nicht als lebendiges Wissen für sich durchdacht hat, kommt dann ebenso zum Zuge wie jemand, der einen Text zum ersten Mal interpretiert. Auf diese Weise trägt das Theologisieren dazu bei, zu niedrige Anforderungen zu vermeiden und die ganze Gruppe herausfordern, indem Schüler/innen vom Wissen zum Hinterfragen kommen. 4.1.5 Methoden, die das Einüben von Mehrperspektivität schulen Für viele Lehrer/innen ist es eine erstrebenswerte Kompetenz, theologisches Denken als mehrdeutiges und spannungsvolles Denken in theologischen Fragen, auf die es keine eindeutige Antwort geben kann, zu praktizieren. Methodisch wird dem nachgegangen, indem den Schüler/innen die Vielzahl von Interpretationswegen gezielt eröffnet wird. Im Beispiel geht es um das Gleichnis vom verlorenen Sohn: Da [in der Präsentation von Standbildern zur Begegnung von Vater und verlorenem Sohn] ging es jetzt nicht drum, welche Interpretation ist die bessere oder schlechtere. Sondern da wollte ich einfach drauf raus, dass die Gleichnisse ganz viele Deutungsmöglichkeiten nahe legen, auch Unterschiedliches in unterschiedlichen Situationen sagen können. Und genauso wie die Bilder [aus der Kunstgeschichte, die mit den Standbildern verglichen wurden], dass das eigentlich z.B. ein Reichtum ist, der da drin steckt. Das ging. (Berufskolleg Düren)
Aus der Innensicht heraus erfahren Jugendliche so etwas über den Deutungsspielraum, den Bibeltexte anbieten. Deutlich wird, dass die Methode der Binnendifferenzierung und die theologische Absicht, eine Pluralität von Theologien zu eröffnen, sich entsprechen: Methoden, die auf individuelle Lernwege eingehen, fördern ein Theologieverständnis, das von der Pluralität der Deutungsmöglichkeiten lebt. Diese Pluralität miteinander zu diskutieren, d.h. sich gemeinsam über individuelle Ergebnisse zu verständigen, diejenigen der Anderen nachzuvollziehen und anzufragen und Begründungen für sie zu finden, ist zentrales Element von theologischen Gesprächen. Wenn das Gespräch also die Verschiedenheit selbst thematisiert, ist eine neue Ebene, eben die Metaebene, erreicht. 4.2
Gespräche auf der Metaebene
4.2.1 »Ist das okay, Religion oder Glaube von jemanden so zu bewerten?« Das erste Beispiel stammt aus dem Kontext einer Berufsschulklasse, in der in einer Reihe zu Gottesbildern die Stufentheorie von Oser/Gmünder thematisiert wird.13 Der Auseinandersetzung mit dem Paul-Dilemma folgt die eigene Zuordnung in das Stufenmodell, was wiederum dahin führt, dieses Vorgehen selbst kritisch zu reflektieren:
13 Vgl. Fritz Oser / Paul Gmünder, Der Mensch – Stufen seiner religiösen Entwicklung. Ein strukturgenetischer Ansatz, 4. Aufl. Gütersloh 1996.
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… und dann sagt so Tom, der jetzt auf Stufe 3 ist, so nach Gmünder, sagt dann zur Vanessa: »Ja, was du jetzt da gibst als Antwort, das ist ja ganz klar Stufe 2. Was hast du denn für ein Gottesbild noch? Nee, so Gott greift direkt ein, und was er da tut, das sagt mir auch was, ne und der Paul, der wird jetzt bestraft dafür, dass er sein Versprechen nicht gehalten hat. Was ist denn das für ein Gott?« […] So, dann hat jetzt am Ende der Stunde der eine dann noch mal zurück gefragt: »Ja, wie findet ihr das denn eigentlich, dass da Religion eingestuft und damit letztendlich auch ein Stück bewertet wird?« Und dann haben die das selber auch, diese kritische Anfrage kam sogar von einer Schülerin. Und dann habe ich gesagt: »Gute Frage. Was denkt ihr denn? Ist das okay so? Man kann ja alles mögliche bewerten, aber ist das okay Religion oder Glauben von jemanden so zu bewerten?« Und dann sind sie eigentlich so verblieben, wie es gibt unterschiedliche Formen von Religion, wir wollen das nebeneinander stehen lassen so als Stufenform. […] Die Schüler haben mich dann am Ende gefragt, wie ich mich selbst einsortiere. Das hat sie natürlich interessiert und da hab ich gesagt: »Wisst ihr, ich bin manchmal Stufe 2, da hadere ich und da bin ich ganz unmittelbar auch so grad im Gebet. Und dann ist mir Theologie auch egal. Und klar, wenn ich über Glauben reflektiere oder theologisch arbeite, dann ist das natürlich auch noch mal auf ein anderen Niveau und… Eigentlich genau, ich springe und man springt.« Aber es hat sich jetzt nicht aus dem Gespräch der Schüler entwickelt, die haben sich eigentlich selber so fest in starre Stufen eingeordnet. (Berufskolleg Düren)
Deutlich wird, dass die Schüler/innen nicht nur selbst die Bewertung von Verschiedenheit thematisieren, sondern ausgehend von einem normativen Stufenmodell ein Nebeneinander der Positionen zu Gottesbildern anstreben. In diesem Prozess bringt sich die Lehrkraft daraufhin so ein, dass sie das Ausgangsmodell erweitert, indem sie es zu einem dynamischen Modell erklärt. 4.2.2 »Meine Mitschüler sind Christen wie ich. Und glauben in entscheidenden Fragen etwas vollkommen anderes.« In der eingangs (in 4.1.1) zitierten gymnasialen Lerngruppe der Schüler/innen mit als kritisch und unkritisch-unmittelbar bezeichnetem Glaubens- und Schriftverständnis erfolgte im Laufe der Unterrichtsreihe eine Auseinandersetzung mit verschiedenen exegetischen Deutungen zu Wundererzählungen. Rückblickend beschreibt die Lehrerin ihre Sicht auf den Lernzuwachs der Jugendlichen: Ich glaube schon, dass sie [unkritische, charismatische Schüler/innen] diese [nicht wörtliche Interpretationen zu Wundererzählungen] wahrnehmen. Das war auch zwischendurch so ein Statement, dass die eine mal sagte: »Es gibt hier verschiedene Meinungen im Raum und es kann jeder glauben, was er will.« Das ist schon viel, glaub ich. Da sie aus einem Kontext kommen, wo die Freikirche verhindert, dass sie mit auf Klassenfahrt fahren, weil sie das nicht möchten die Mischung mit anderen, das Freizeitverhalten von anderen. […] Ja, dieser Satz ist mehr wert – mehr werden wir nicht erreichen. […] Ich finde es auch gut. Ich finde es auch richtig, dass die anderen Schüler, die zum Teil vollkommen unbeleckt sind, diese freikirchliche Position wahrnehmen. […] Und dass sie sehen, das sind meine Mitschüler, mit denen ich umgehe und die vertreten eine andere Position und glauben auch. Sind Christen wie ich. Und glauben an entscheidenden Stellen
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etwas vollkommen anderes. Das ist schon ein Lernzuwachs, der gut ist. (Gym. Duisburg)
Die Möglichkeit, die das Theologisieren in der Schule bietet, d.h. in dieser Weise eine Position zu einer Pluralität an Glaubensinhalten und Argumentationen treffen zu können, wird sich der zitierten Schülerin vermutlich im Kontext der Kirchengemeinde mit exklusivem Selbstverständnis nicht bieten. Auf der anderen Seite haben »unbeleckte Schüler« durch das Theologisieren die seltene Möglichkeit, ihnen fremde, freikirchliche Positionen wahrzunehmen. Interpretationen im Plural zu begründen und in ihrer Aussagekraft auszuloten, ist jedoch ein wichtiges demokratisches Lernziel. Deutlich wird auch in dieser Lerngruppe, wie die Unterscheidung bzw. Ablehnung von inhaltlichen Positionen und der Respekt vor der Person miteinander verbunden werden können. 4.2.3 »Das ist eine Störung ersten Ranges, die Vorrang hat. Da frag ich: Wie kommst du darauf? Woher hast du das?« Eine Lehrerin aus einem Wiener Gymnasium mit zahlreichen Schüler/innen mit ostasiatischen Wurzeln stellt dar, wie sie mit einem Thema umgeht, dem die Jugendlichen mit ungleichem Wissen und verschiedener emotionaler Beteiligung begegnen. Es geht um den Umgang mit einem Gesprächsbeitrag in Kl. 9, nach welchem in Indien häufiger Mädchen als Jungen abgetrieben werden. Hier bringt die Lehrerin das Gespräch auf eine Metaebene, um eine Klärung der verschiedenen Zugänge zu erreichen. Und dann muss man praktisch aus dem ursprünglichen Thema, also mein Thema ist nicht ›die Abtreibungen in Indien‹ […] muss ich dann heraussteigen, und das hat immer höchste Priorität. Also, das ist eine Störung ersten Ranges, die Vorrang hat. Die muss ich rausnehmen und dann frag ich z.B.: »Wie kommst du auf das? Wo hast du das gelesen? Warum, glaubst du, ist das so?« zu den eurozentristischen Kindern. Und bei den [asiatischen Kindern auch], äquivalent die [gleiche] Zeitverteilung [zum Reden ermöglichen] und wirklich schauen, dass beide dann auch zum Sprechen kommen »Was weißt du darüber?« zu den indischen Kindern nämlich: »Hast du darüber schon was gehört? Wo kommst du denn her? Ist das in deiner Gegend so? Hast du die Möglichkeit zu Hause nachzufragen?« […] Wo können wir uns noch Informationen besorgen? Was sind verlässliche Quellen? Dann wird halt das zum Thema gemacht. […] Man könnte auch indische, philippinische Kinder damit überfordern, zu sagen »Geh, find mal heraus, wie das bei euch ist«, weil vielleicht wollen die von Zuhause überhaupt nichts wissen, vielleicht sind die total assimiliert. (Gym. Wien)
Aus dem Bewusstsein der Lehrerin für die eigene eurozentrische Perspektive erfolgt hier also die Thematisierung der Wissensquellen und der Prüfung des Wissens dadurch, dass nach Begründungen für die jeweils dargestellten Thesen gefragt wird. Die Lehrerin achtet darauf, dass die Sprechanteile beider hier unterschiedenen Gruppen, also der gebürtigen österreichischen und asiatischen Jugendlichen, gleich hoch sind. Die in der interkulturellen Didaktik kontrovers
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diskutierte Möglichkeit, die Heranwachsenden als Expert/innen für »ihre« Kultur auftreten zu lassen, ist der Lehrerin dabei ebenso bewusst. 4.2.4 »Was hält mich eigentlich noch an dieser Religion? Wie kommt es, dass wir so einen unterschiedlichen Sozialisationsstatus haben?« Ähnlich gehen die Duisburger Gymnasiallehrerin und auch der Realschullehrer vor, indem er das Wissen bzw. Nichtwissen von Schüler/innen thematisiert bzw. insgesamt Zeit einberaumt, über deren Motivation und religiöse Sozialisation zu sprechen: In der 10. Klasse hab ich jetzt die Situation gehabt, dass ich sag: »Ja, Mensch, das sind doch Sachen, die habt ihr doch schon in der 7. oder 8. oder 9. gehabt.« Und dann stellte sich eben heraus: »Ja, nee, da haben wir uns abgemeldet. Wir sind jetzt erst wieder da hinzugekommen.« Und dann gab es natürlich die anderen, die sagten: »Nee, wir haben das, wir kennen das vom Unterricht. Oder aber wir kennen’s von Zuhause.« Und dann haben wir ja tatsächlich diese Unterschiedlichkeit ausgesprochen. Und dann wird das im Grunde genommen auch zum Thema, insofern: Was hält mich eigentlich noch an unserer, an der Religion? Oder was interessiert mich an der Religion? Und wie kam es dazu, dass ich diese religiöse Sozialisation nicht habe? Wie sind meine Eltern, meine Großeltern, was haben die mir mitgegeben? […] Und, aber das wird dann, das muss ich dann thematisieren, sonst informell funktioniert das, glaube ich, nicht. […] Und dann sagte einer: »Meine Oma hat mal was von einem Wolf und einem Lamm erzählt.« Und da habe ich dann gleich die Konkordanz rausgeholt. (Realschule Mülheim)
Es entspricht Grundsätzen von kompetenzorientiertem Unterricht, geplante und vollzogene Abläufe, Methoden, Produkte und Ziele von Unterricht transparent zu machen und gemeinsam zu reflektieren. Wie sind wir vorgegangen? Was hat geholfen, die Antwort zu finden? Eine Chance theologischer Gespräche liegt aus einer heterogenitätssensiblen Perspektive betrachtet darin, Wissenshorizonte sowie inhaltliche Ausgangspositionen und gefundene Interpretationen durch Metagespräche in dieser Weise zu thematisieren. Das Theologisieren gewinnt hierdurch deutlich an Komplexität.14 4.3
Gestaltung des Gesprächsrahmens zur Schaffung eines safe place
4.3.1 Gesprächsregeln Alle Lehrer/innen sind sich bewusst, dass die Moderation von Gesprächen über theologische Fragen und Deutungen die Klärung der Rahmenbedingungen einschließt. Hierzu gehört die Verständigung darüber, dass verschiedene inhaltliche 14 Es erfüllt so das Kriterium, »selbstreflexive Form des Denkens über religiöses Denken« zu sein, vgl. Friedrich Schweitzer, Was ist und wozu Kindertheologie?, in: Jahrbuch für Kindertheologie 2, Stuttgart 2003, 9–18, 10 und erweiterte Überlegungen dazu in Kammeyer (wie Anm. 9), 44–55.
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Haltungen und Niveaus in den Beiträgen respektiert werden. Die Pflege eines safe place meint eine vertrauensvolle Offenheit, in der sich jede/r mit Fragen, Antworten und Zweifeln frei äußern kann und sich wohlfühlt.15 Respektvollen Umgang erreichen die Lehrkräfte implizit durch gegenseitiges Kennenlernen, für das Zeit eingeplant werden muss. Auf dem expliziten Weg wird dieser Schutzraum mittels Regeln vereinbart: Und dann habe ich in den Lebensläufen festgestellt, dass da dann doch auch wieder ehrenamtliche Tätigkeiten, CVJM oder sonst was, aufgezeichnet waren. Und selbst solche Menschen, solche Schülerinnen und Schüler, die diese Kontexte haben, sind dann in der Klasse offenbar sehr zurückhaltend. Also, vielleicht ist auch der Klassenverband bei denjenigen, die jetzt tatsächlich noch mehr eine christliche Prägung haben, doch ein Problem, eher hinderlich, dass sie sich öffnen, weil sie wissen, es gibt andere Schülerinnen und Schüler, die machen das eher lächerlich. Und ein Klima zu erreichen der Offenheit, da muss man schon fast ein paar Monate gearbeitet haben mit denen. Und es muss klar sein, dass man sich gegenseitig achtet. Also diese vorbereitenden Sachen, eben die gruppendynamischen Arbeiten: Dass man eben sich gegenseitig achtet, was man sagt, dass es unterschiedliche Meinungen gibt, dass der Lehrer alles achtet, was die Schüler sagen. Also das, wenn das gelingt, dann funktioniert das und dann fängt es erst an, dass die Schüler selber Deutungsansätze präsentieren. (Realschule Mülheim)
4.3.2 Scheu abbauen, sich mit wenig/viel Wissen am Gespräch zu beteiligen Schüler/innen mit viel oder wenig Vorwissen werden ermutigt, sich am Gespräch zu beteiligen. Das Beispiel zeigt, wie sich die Arbeit am safe place mit dem Metagespräch über Sozialisationshintergründe überschneidet: Schülerinnen und Schüler, die sehr wenig religiöse Sozialisation haben und trotzdem dann im Unterricht sitzen, haben ja schon das Gefühl, sie kommen da mit einem Defizit rein. Und da versuche ich immer zu Anfang, ihnen klarzumachen, dass sie da mit fast allen anderen in guter Gesellschaft sind [mithilfe einer Statistik, die zeigt, dass nur 3% aller Kirchenmitglieder die Sonntagsgottesdienste besuchen]. […] Also dass, dass sie dann nicht die Angst haben müssen, wenn sie jetzt keine Hintergründe haben, dass sie dann in diesem Unterricht nichts verloren hätten. (Realschule Mülheim)
4.3.3 Moderation durch die Lehrkraft Moderationsregeln wie die Gesprächswerkzeuge aus dem Philosophieren mit Kindern fördern das Einüben von Begründungen und das Denken in Alternativen und ermöglichen so einen freien Raum für Ideen und eine sachliche Auseinandersetzung mit Unterschiedlichkeit, da Kritik jeweils begründet bzw. nachvollziehbar sein soll. Dem Anspruch des Philosophierens nach verhelfen sie zur 15 Der Begriff stammt von Robert Jackson aus dem Philosophieren mit Kindern, vgl. Eva Zoller Morf, Selber denken macht schlau. Philosophieren mit Kindern und Jugendlichen. Anregungen für Schule und Elternhaus, Oberhofen (CH) 2010, 35.
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Beteiligung von allen. Auch wer wenige Inhalte kennt, kann z.B. nach Argumenten und Beispielen für eine These suchen bzw. Gegenfragen formulieren.16 Zum Teil übersteigt dies die Möglichkeiten der Schüler/innen, so dass die Lehrkraft wie im Beispiel in der Argumentation für einen Kräfteausgleich sorgt und sich auf die Seite der schwächer vertretenen Position stellt: Ich versuche eigentlich, denen beizustehen, die einen schweren Stand haben. Normalerweise hätte ich mich auf die Seite des Jungen geschlagen gegen dieses Heer von Mädchen, aber der war stark genug. Ich gucke dann, dass es eine Ausgewogenheit gibt, ein bisschen Kräfteausgleich oder versuche noch mal einen neuen Input zu machen. (Gym. Duisburg)
In der Berufsschulklasse, in der Gottesbilder in Auseinandersetzung mit Oser/Gmünders Modell verglichen wurden, führt das Gespräch schließlich dazu, dass Vanessa von dem tödlichen Unfall ihres Bruders berichtet. Dieses Ereignis steht für sie in einem Zusammenhang mit ihrer Überlegung, dass es einen Grund im menschlichen Verhalten für das Handeln Gottes gebe. An dieser Stelle bringt sich die Lehrerin als Moderatorin ein und hebt die Bedeutung des Kontexts für theologische Formulierungen hervor: Ja gut, als Vanessa jetzt z.B. erzählt hat eben von dieser persönlichen Erfahrung mit ihrem Bruder, da hab ich auch noch mal deutlich gemacht, dass es so ein Unterschied ist, ob ich jetzt darüber philosophiere, wie Gott das zulassen kann, wenn ich hier nicht selber betroffen bin. Oder ob ich selber betroffen bin und das für mich eine wirklich persönliche lebensgeschichtliche Frage ist, die ich klären muss, weil da mein Gottesverhältnis dran hängt. Also ich fordere da auch ein bisschen ja Schutz ein oder indem ich immer diese zwei Ebenen deutlich mache. Dass das einerseits was, wo ich… Religion ist was sehr persönliches, das Verhältnis, das ich hab zu Gott, und anderseits ist es was, worüber man auch reflektieren kann. (Berufskolleg Düren)
4.3.4 Schüler/innen gestalten den safe place mit Die Duisburger Gymnasiallehrerin der Klasse mit großen Unterschieden im Schriftverständnis (vgl. 4.1.1) beobachtet unter ihren Schüler/innen die Fähigkeit, eine faire und tolerante Diskussionshaltung mit Freiraum zum Theologisieren durchzuhalten: Also, ich hätte gedacht, dass sich der eine oder andere abfällig äußert: »Das ist doch falsch, was du hier sagst.« Aber die haben einen ganz sittsamen Umgangston. Die lassen sich da gegenseitig ihren Raum. […] Das [der Dreischritt ThinkPair-Share] funktioniert. Aber da kann auch keiner raus. Aber das liegt auch am Partneraustausch. Ich glaube, dass das Setting eine ganz wichtige Rolle spielt. Ich glaub, dass es prinzipiell bei allen Schülern, bei allen Menschen, ein Bedürfnis gibt, über religiöse Themen zu sprechen. Man muss es dann so aufbereiten, dass sie nicht das Gefühl haben, dass das den anderen auf den Wecker geht oder dass es lächerlich ist. (Gym. Duisburg) 16 Vgl. die »Werkzeuge der schlauen Denker« in Zoller Morf (wie Anm. 15), 37ff.
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Die beiden letztgenannten Effekte zu vermeiden, ist die Aufgabe der Moderation. Wo Schüler/innen hingegen keine respektvolle Haltung einnehmen, kann ein Theologisieren nicht stattfinden. In vielen Fällen wird eine erforderliche Gesprächskultur jedoch durch eine tolerante Haltung der Schüler/innen wie hier in der Berufsschule unterstützt – andererseits aber auch erschwert: Wo dann so die unterschiedlichen Deutungen auch miteinander ins Gespräch kommen, aber da ist eher so die Haltung: »Na ja, jeder hat halt seine eigene Meinung«, also da ist wenig kritische Anfrage, wechselseitige, kritische Anfrage. Es ist eher so eine Haltung der Subjektivität auch im Sinne von gleichgültig: »Du glaubst das und ich glaube das.« Und was jetzt wahr ist? Es ist alles irgendwie wahr. Also da empfinde ich auch Jugendliche heute so, einerseits so toleranter vielleicht als ich das noch kenne, andererseits auch nicht mehr so auf der Suche wirklich nach gültiger Wahrheit. Also das reicht dann, wenn man festgestellt hat, wir denken alle was Unterschiedliches. Den Schülern wird es reichen … Es ist schon so, dass sie sich auch mal in Frage stellen, aber es ist eher so ein bisschen wie: Wir lassen unseres so und wir hören das an, wir lassen es gelten. Es ist dann vielleicht nicht meine Wahrheit, aber es ist deine so. (Berufskolleg Düren)
Diese Haltung der Schüler/innen im Umgang mit verschiedenen inhaltlichen Positionen könnte durchaus als eine Grenze im theologischen Gespräch wahrgenommen werden. U.a. der Umgang mit konfliktträchtigen Inhalten wird im Folgenden unter Überlegungen zu Chancen und Grenzen des Theologisierens in heterogenen Gruppen aufgenommen.
5.
Chancen und Grenzen des Theologisierens
5.1 Heterogenität weckt Neugier – als Motor für das Theologisieren Die beteiligten Lehrer/innen sehen in der Heterogenität von Menschen und Meinungen grundsätzlich eine Chance für das Theologisieren, weil sie der stärkste Motor ist, der zur Überprüfung und Erweiterung der eigenen Ansichten herausfordert: Generell halte ich Heterogenität immer ganz wichtig zum Theologisieren, weil, wenn man so Kreise hat, wo alle das Gleiche denken, da braucht man eigentlich nicht miteinander zu reden. Ja, das ist ja das Schöne, dass der eine was anderes denkt und vielleicht durch sein Denken den anderen bereichert oder auf andere Ideen bringt oder seine eigene Meinung überprüfen muss oder so was. Ja, also ganz homogene Gruppen sind ja gar nicht wünschenswert. (Gesamtschule mit GU Bochum)
Konkret bedeutet das: Kritische und unkritische Schüler/innen können sich inhaltlich ergänzen bzw. bringen ihre je eigenen Kompetenzen, hier im Falle der Berufsschulklasse in Orientierungswissen und Argumentationsfähigkeit, ein: Ich finde, es ergänzt sich auch gut. Also z.B. Vanessa hat einfach eine unheimlich gute Bibelkenntnis, das haben die anderen nicht. Dann der Tom ist einer, der eben gerne kritisch fragt, das tut die Vanessa dann wieder nicht. Ja, und Diana ist dann
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eine, die mit allem kommt, was ihr so eben mal durch den Kopf schießt. Auch wenn sie dann irgendeinen Bibeltext gelesen hat, der ihr gar nix sagt, dann kommt die, dann ist auch egal, ob wir bei [Hans] Joas sind oder sonst wo, dann kommt die darein. (Berufskolleg Düren)
Dass Unterschiedlichkeit Neugierde auf die christliche Tradition fördert, stellt sich im interreligiösen bzw. interkulturellen Kontext besonders deutlich heraus: Jetzt in der 6. Klasse habe ich eine türkische Muslima, die aus Interesse mit drinne ist. Und wenn wir dann die Abrahamgeschichten durchgehen, dann ist das für mich der Anlass, dann auf jeden Fall auch die muslimische Reaktion einfach mal mit reinzubringen […] Also, dann kommt die Außenperspektive stärker zum Tragen. Aber nachdem auch die evangelischen Schülerinnen und Schüler ja meistens so wenig an christlicher Sozialisation mitbringen, ist das dann vielleicht gar nicht so schlimm, weil auch sie die Außenperspektive haben und erst mal neu mitkriegen müssen: Wie sind denn unsere Bezugstexte? Wie sind eigentliche unsere Texte, unsere Geschichten? (Realschule Mülheim) Gut, also daraus ergibt sich eine kulturelle Vielfalt. Auch eine katholische Vielfalt, weil eine Christin aus Nigeria hat eine andere Geschichte als eine Christin, eine katholische Christin aus den Philippinen als eine aus Wien. Das sind unterschiedliche Geschichten, unterschiedliche Fragen, unterschiedliche Traditionen, aus denen sie kommen, und das ist belebend. Das ist für Reli sehr, sehr, sehr belebend. Erstens einmal, weil gerade die Afrikaner und die Asiaten aus Kulturen kommen, wo es dann auch Buddhismus, Hinduismus und sonstige Dinge gibt, und dann sind diese Themen für sie von vorneherein von einer größeren Nähe und dann mit Dringlichkeit in der Auseinandersetzung und also man kommt, mit diesen Klassen, kognitiv viel, viel weiter, viel schneller viel weiter, weil durch die multiplen Hintergründe die Neugier und die Notwendigkeit, sich mit den Dingen zu befassen größer ist. Also im homogenen Umfeld haben die Kinder nicht von vorneherein diese Fragenvielfalt. (Gymnasium Wien)
Hier wird deutlich, welches Potential darin liegt, Heterogenität, insbesondere kulturelle und auch religiöse Vielfalt, im Theologisieren mehr als bisher zu berücksichtigen.17 Viele Gesprächsanlässe ergeben sich aus der Diversität der Schulgemeinschaft selbst und sollten im Sinne der konsequenten Schülerorientierung nicht vernachlässigt werden. Der Ansatz des Theologisierens bietet die Mittel, um aufkommende Fragen zu moderieren und theologisch zu vertiefen.
17 Vgl. zur kritischen Begegnung mit dem Anderen als religionspädagogischen Lernanlass Bert Roebben, Religiöse Bildung und Diversität, in: ders., Religionspädagogik der Hoffnung, Berlin 2011, 133–156, bes. 151ff. – Insbesondere zum »Theologisieren in multikulturellen Gruppen« vgl. Thomas Schlag, Glaube zur Sprache bringen – Gemeinde bilden. Jugendtheologische Erwägungen zum Grundauftrag evangelischer Bildung, in: ZPT 62, September 2010, 194–210, hier 205ff.
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5.2 Theologisieren mittels Lebensweltorientierung oder als Begabungsförderung? Heterogenität hinsichtlich kognitiver Begabungen wird andererseits als ein Faktor wahrgenommen, der Theologisieren begrenzt, insbesondere dann, wenn Theologisieren ausschließlich als Gesprächsform und kognitiv anspruchsvolle Methode aufgefasst wird. Ja, also Epikur, die Diskussion über Epikur und über seinen Ansatz ist schon eine sehr intellektuelle Angelegenheit gewesen. Für meine Klientel wiederum nicht geeignet, würde ich sagen. Also ich find’s schwierig, weil es diejenigen, die sehr sprachfähig sind, bevorzugt und diejenigen, die etwas kompliziertere Sachverhalte gerne sich zu Gemüte führen. […] Also wir müssen ihnen ja erst mal eine religiöse Alphabetisierung hinbekommen und die Detailfragen vielleicht oder die Geschichten, die unser Traditionsgut kennt, nach und nach tradieren und dann zum Schluss die Schüler animieren, die großen Fragen zu diskutieren und wie sie selber dazu stehen. Bei uns eben, ich hab’s nur in der 10. Klasse erlebt. (Realschule Mülheim)
Neben der unterschiedlichen Sprach- und Argumentationskompetenz wird unterschiedliches Wissen als Grenze für das Theologisieren wahrgenommen: Ich sehe absolute Grenzen, wenn Schüler religiös unmusikalisch sind. Wo überhaupt kein Wissen ist und kein Zugang. Da ist es sehr schwierig. Da kommt nicht soviel rum und deswegen arbeite ich gerne und viel mit Texten und Erzählungen, damit auch die ihr Futter haben, worüber sie sprechen können. (Gym. Duisburg)
Ihre Kollegin verortet das Theologisieren spontan in die Begabungsförderung und ergänzt dann: Eine Grenze […] entsteht durch die Schüler selbst, wenn ich merke, dass sich da eine Außenseitergruppe entwickeln würde, die theologisiert, dann würde ich versuchen das irgendwie so zu kanalisieren, dass ich das Thema etwas niedriger setze, wenn es dann zu theoretisch wird, das ist das Schwierige. […] Das bedeutet aber im Umkehrschluss, ich muss einfach auf einem quasi niedrigeren Niveau theologisieren und mehr Alltagsbezug mit reinnehmen, dann geht das ja auch.
Ein Zuviel an persönlicher Lebenswelt ist jedoch nicht förderlich: Das ist das eine und das zweite ist, wenn es daran geht, dass man zu viel von der Persönlichkeit preisgibt, da würde ich versuchen einzulenken, weil das dann manchmal auch hinterher bereut wird. Im Eifer des Gefechts sagt man »Ich finde aber…«. Es ist ja schon kritisch, wenn sich jemand äußert und sagt: »Ich bete jeden Morgen und Abend.« Das kann auch mal negativ verwendet werden. (Gym. Duisburg)
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Fazit: Impulse für das Theologisieren
Betrachten wir zusammenfassend das Verhältnis von Theologisieren und Heterogenität in Lerngruppen, stellen sich bestimmte Bedürfnisse und Erträge heraus: 1) Wie oben angesprochen wissen viele Jugendliche um die Wirkung von ihren Beiträgen, auch hinsichtlich ihrer Sättigung oder ihres Experimentieranteils. Z.T. ist es für sie sicherlich auch schwer, eine Wirkung unter den Mitschüler/innen einzuschätzen, was die Mitteilungsfreude eher bremst. Auch wenn Jugendliche zum Fragen und Deuten motiviert sind, führt bei vielen die eigene Unsicherheit dazu, nach Wissen und »richtiger« Antwort zu verlangen, so dass sie die Lehrkraft nach Lösungen fragen.18 Im Sinne des Theologisierens kommt es dann darauf an, eben nicht mit vermeintlichen Lösungen, sondern mit einem Angebot an Inhalten, Sprache, Bildern und Erzählungen als »Futter« zu antworten. Um tatsächlich religiöse Sprachförderung bieten zu können, sollte Theologisieren immer wieder Wissensinhalte und Sprachangebote im Sinne einer Theologie für Jugendliche bereithalten. Hierbei unterscheiden und bevorzugen Schüler/innen durchaus Beiträge von Gleichaltrigen gegenüber denen der wissenschaftlichen Theologie. Theologie von Jugendlichen wird als Theologie für Jugendliche geschätzt. Ein Lebensweltbezug kann möglicherweise gerade auf diesem Weg erreicht werden. 2) Ausgehend von der wahrgenommen Verschiedenheit an Interessen und Begabungen verspricht eine Binnendifferenzierung, die auch mit einer Methodenvielfalt über das Sprachliche allein hinaus arbeitet, eine inhaltliche Vertiefung des Theologisierens. Die Schülerorientierung, also der bewusste Ausgang von den Konstruktionen und Aktivitäten der Schüler/innen, erscheint nicht nur förderlich, sondern grundlegender als die Fokussierung auf das Gespräch, so wichtig dieses auch ist. Anders herum formuliert: In begabungsheterogenen Lerngruppen ist Theologisieren nicht förderlich, wenn es rein kognitiv aufgefasst wird. Ausgehend von den Fähigkeiten und Interessen der Schüler/innen auch zu handlungsorientiertem Arbeiten kann aber eine Förderung der Frageund Deutekompetenzen, der Sprach- und Argumentationsfähigkeiten erreicht werden.19 18 Zur Förderung von Schülerfragen vgl. Gesa Menzel, Praxis der Frage(-erziehung) im Religionsunterricht – empirische Befunde, in: H. Lindner / M. Zimmermann (Hg.), Schülerfragen im (Religions-)Unterricht. Ein notwendiger Bildungsauftrag heute?! Neukirchen-Vluyn 2011, 195–206. 19 Die Diskussion, die bereits an anderer Stelle geführt wurde, wird im Kontext der begabungsheterogenen Lerngruppe wieder aktuell, vgl. Christian Grethlein / Christhard Lück, Religion in der Grundschule. Ein Kompendium, Göttingen 2006, 56 und Kammeyer (wie Anm. 9), hier zum Verhältnis von performativen Handlungen und dem Gespräch mit Kindern die S. 369–374 und 501–505.
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3) Die Subjektorientierung des Ansatzes in Verschränkung mit der Entfaltung zentraler biblisch-christlicher Inhalte bewährt sich gerade in heterogenen Arbeitsfeldern und erlaubt eine Erweiterung der Frageförderung hin zu Eigenproduktionen und Freiarbeitsmodellen. Ein Beispiel aus einer Christologieeinheit im Gymnasium Kl. 11: Ein Schüler hatte gefragt: »Würdest du eigentlich Theologie studieren, Jesus?«. Und hatte nach diesem Halbjahr gesagt: »Jesus würde auf keinen Fall Theologie studieren.« Das war jetzt eine Erkenntnis, die er in der Auseinandersetzung mit Jesus hatte. […] Er hatte im Lukas-Evangelium erfahren: »Jesus ist ein Freund der Armen und er kümmert sich um die Armen. Und das ist etwas, was mir an Jesus gut gefällt. Ich kann mir vorstellen, dass er die Menschen lehrt. Das weiß ich aus der Bergpredigt. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er sich eine so feste Lebensform sucht wie so ein Studium.« (Gym. Duisburg)
4) Die Erfahrung der respektvollen, gleichberechtigten Anerkennung einer Pluralität von Haltungen, Gedanken und Interessen der Schüler/innen durch die Lehrkraft, die sich im safe place und nicht zuletzt in den individualisierten Arbeitsformen niederschlägt, erleichtert es Schüler/innen, auch selbst Heterogenität im Klassenraum anzuerkennen. Während sie zum einen zum Fragen nach Inhalten, dem Aufbau von Wissen und der Begründung von Haltungen ermutigt werden und so zu einer eigenen Deutung finden, entwickeln sie zum anderen die Fähigkeit, aufeinander zu hören und Unterschiede zu benennen und dadurch mehr als eine Deutung im Gespräch zu halten. Auf diese Weise wird das Ziel, eine lebendige Pluralität von Theologien zu fördern, gerade im heterogenitätssensiblen Unterricht greifbar. 5) In unseren Beispielen findet sich dabei die Tendenz der Schüler/innen und Lehrer/innen, neben den Unterschieden auch verbindende Elemente zu benennen. Sie drücken so Anerkennung gegenüber den Personen aus, die jeweils andere Inhalte als sie selbst vertreten. Dies ist schon sehr viel. Die Moderationsformen des Theologisierens unterstützen diese Anerkennung und sollten im Verständigungsbedarf über Verschiedenheit diese personale Ebene immer mit im Bewusstsein halten. Meiner Ansicht nach gehört es dazu, im Metagespräch auch den Umgang mit Verschiedenheit als Quelle für Konflikte zu thematisieren. Gerade angesichts der guten Grundlage der persönlichen Anerkennung gibt es einen Raum, Differenzen in der Sache wie auch belastende Gefühle zu thematisieren. Das Theologisieren kann von interkultureller und -religiöser Didaktik lernen, Konflikte produktiv aufzunehmen: »(Religiöse) Pluralität bedeutet nicht Idylle, sondern ist vielleicht nur dort keine Quelle von Konflikten, wo Religion gänzlich privatisiert, Religionen gesellschaftlich gleichgültig und letztlich bedeutungslos geworden wären. Im Dialog wird nicht die Harmonie des ›Einander-Verstehens‹ erreicht werden, sondern eher das ›Einander-in-der-Fremdheit-Begleiten‹ als fruchtbare Lösung anzusehen sein.
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Konflikte sind notwendig und können Chancen eröffnen. Auch deswegen ist nicht primär ihre Vermeidung anzustreben, sondern primär ein angemessener Umgang mit ihnen.«20
Zusammenfassend lässt sich festhalten: Die Anerkennung von Heterogenität durch Lehrkräfte ermutigt Schüler/innen zum Fragen nach Inhalten und dem Aufbau von Wissen, vertieft theologische Gespräche inhaltlich und methodisch, weil sie so reichhaltiger werden, führt Schüler/innen dahin, selbst auch Heterogenität und damit jede/n Einzelnen in der Gemeinschaft anzuerkennen, und eröffnet so gute Voraussetzungen für eine lebendige Pluralität von Theologie.
20 Martin Jäggle: Religiöse Pluralität als Herausforderung für Schulentwicklung, in: M. Jäggle / Th. Krobath / R. Schelander (Hg.), lebens.werte.schule. Religiöse Dimensionen in Schulkultur und Schulentwicklung, Wien 2009, 265–280, 267.
Die Autorinnen und Autoren
Dr. Katrin Bederna ist Professorin für Katholische Theologie / Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Dr. Uwe Böhm ist Bereichsleiter am Staatlichen Seminar für Didaktik und Lehrerbildung (Realschulen) in Ludwigsburg und Lehrbeauftragter an der Pädagogischen Hochschule sowie der Evangelischen Hochschule in Ludwigsburg. Dr. Gerhard Büttner ist em. Professor für Evangelische Theologie mit den Schwerpunkten Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts an der Technischen Universität Dortmund. Dr. Veit-Jakobus Dieterich ist Professor für Evangelische Theologie / Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Dr. Carsten Gennerich ist Professor für Gemeindepädagogik an der Evangelischen Hochschule Darmstadt. Dr. Katharina Kammeyer ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin für Religionspädagogik am Institut für Evangelische Theologie der Technischen Universität Dortmund. Annike Reiß ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fach Religionspädagogik am Institut für Evangelische Theologie der Universität Kassel. Dr. Hanna Roose ist Professorin für Bibelwissenschaften und Religionspädagogik an der Universität Lüneburg. Dr. Manfred Schnitzler ist Lehrer an der Johann-Bruecker Haupt- und Realschule Schönaich. Friedrich Spaeth ist pensionierter Lehrer und Fachleiter für Evangelischen Religionsunterricht am Seminar für Didaktik und Lehrerbildung in Stuttgart.